Biographisches Jahrbuch und
deutscher Nekrolog
Anton Bettleheim
(VProiii l'lorenz phot
Hehoirr Georq Büxenütein Sc C-
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I
GRAPHISCHES JAHRBUCH
UND
EUTSCHER NEKROLOG
UNTER STÄNDIGER iMITWIRKUNG
VON
GUIDO ADLER, F. VON BEZOLD, ALOIS BRANDL, ERNST ELSTER, AUGUST
FOURNIER, ADOLF FREY, HEINRICH FRIEDJUNG, LUDWIG GEIGER,
RL GLOSSY, MAX GRUBER. SIGMUND GÜNTHER, EUGEN GUGLIA,
ALFRED FREIHERRN VON MENSI. JACOB MINOR, PAUL SCIILENTHER,
ERICH SCHMIDT, ANTON E. SCHÖNBACH, FRIEDRICH VON WEECH,
GEORG WOLFF V. A.
HERAUSGEGEBEN
VON
ANTON BETTELHEIM
Vm. BAND
1 1. JANUAR BIS 31. DEZEMBER 1903
MIT DEM HEODOR MOMMSEN IN HELIOGRAVÜRE
RLAG VON GEORG REIMER. BERLIN
1905.
BIOGRAPHISCHES JAHRBUCH
UND
DEUTSCHER NEKROLOG
UNTER STÄNDIGER MTTOTRKUNG
VON
GUIDO ADLER, F. VON BEZOLD, ALOIS RRAN'DI., ERNST ELSTER,
AUGUST FOURNIER, ADOLF FREY, HEINRICH FRIEDJUNG, LUDWIG
GEIGER, KARL GLOSSY, MAX GRUBER, SIGMUND GÜNTHER.
EUGEN GUGLIA, ALFRED FREIHERRN YON MENSI, JACOB MINOR,
PAUL SCHLENTHER, ERICH SCHMIDT, ANTON E. SCHÖNBACH,
FRIEDRICH VON WEECH, GEORG WOLFF ü. A.
HERAUSGEGEBEN
VON
ANTON BETTELHEIM
VIII. BAND
VOM I. JANUAR BIS 31. DEZEMBER 1903
MIT DBM BILDNIS VON THEODOR MOMMSEN IN HELIOGRAVÜRE
BERLIN
DRUCK UND VERLAG \ ON GEORG REIMER
1905.
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1 Hr N. \V V
PUBLIC LIBRAi,
355641
LENOX AND
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I n h a 1 1.
Seite
Vorrede v— vi
Deutscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Januar 1903 i — 361
Ergänzunf^en und Nachträge 362 — 423
Al]>tKiV>etischcs Namenverzeichnis I
Alphabetisches Namenverzeichnis II 430
Totenliste 1903 i*— 128*
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Vo rwo r t.
In dem wundervollen Nachruf für Kilian Steiner, mit dem
Gustav Schmoller den vorliegenden Band des Biographischen Jahr-
buches und Deutschen Nekrologes beschenkt hat, findet er das -Trostwort:
»Kein Mensch lebt umsonst — auch für den Zusammenhang unseres
irdischen gesellschaftlichen Daseins«. In diesem Sinne hat unser Unter-
nehmen von Anfang seine Aufgabe zu erfassen und zu pflegen gesucht.
In diesem Sinne würdigen unsere Mitarbeiter auch die Toten des
Jahres 1003.
F. V. Weech, der schon vor dem Ersclieinen des ersten Bandes
zu den eifrit^sten Beschützern des Deutsciien Xckrolo^^es sich gesellt und
nunmehr auch in die Reihe der standigen Berater unseres Unternehmens
sich gestellt hat, widmet dem badischen Staatsmann Xokk liebreiche
Betrachtung. Schäffle findet in seinem Landsmann Wilhelm Lang,
Roesicke in Theodor Barth, Gussenbauer in Otto v. Frisch,
Zumpe in Max Schillings, Ernst Friedlaender in Ernst ferner,
Gegenbaur in E. Göppert, Otto Hartwig in Gerhard, Hugo
Wolf in Paul Müller den berufenen Biographen. Männer der Erd>
und Völkerkunde Meinecke, Schurtz, Radde, Rüge, Schneider
behandelt ein Schüler Ratzels, Victor Hantzsch. Die Nekrologe von
Gaedertz und Onno Klopp schreiben ihre Sohne, der Nachruf für
Ernst Koebner ist seinem Bruder Wilhelm Koebner zu verdanken.
Einem Historiker von der Bedeutung Cornelius' wird Moritz Ritter
gerecht. Der Persönhchkeit von Lazarus hält Ludwig Stein den
Spiegel vor. Friedrich Fecht und den Kunst- und Kulturhistoriker
Ilefner- Alteneck charakterisiert H. Holland, den Physiologen Rollett
O. Zoth. Wilhelm Müller Skutsch, Ulrich Köhler R. Weil.
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VI
Vorwofit.
Zeller-Wcrdm ii Her Rahn, Eni^elhert Müh Iba eher E. v. Otteii-
thal, den Popular-Philosoplien Julius Duboc mit gleicher Unbefangen-
heit Johannes Sass. In Her Fülle dieser und anderer sich drängender
Gestalten erscheint Theodor Mommsen vorläufig nur in dem Bilde,
das Band VIII beigegeben ist: den Text, den Ludo M. Hartmann für
den Herbst dieses Jahres zugesagt hat, müssen wir ftlr Band IX auf-
sparen, wie wir ja — nicht zum Schaden der Sache — nicht kalender-
gerecht eingelaufene Nekrologe — Rohde, Schweinitz, Kaiserin Victoria —
in den Nachträgen früherer Bände und in dem vorliegenden Bande
die von Uhlirz gewidmete Biographie Dümmlers, die Charakteristik
Robert Byrs von H. Sander, Kroneckers Nachruf für Kühne und
andere belangreiche Ergänzungen einreihen konnten.
Wien. Anton Bettelheim.
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DEUTSCHER NEKROLOG
VOM I. JANUAR BIS 3i. DEZEMBER
1903
Homo über de nulla re minus quam
de motte cogitat et ejus sapientia non
mortis, sed vitae meditatio est.
Spinosa. EthicM put IV. Ptoimm.
Lxm
Bio^. Jal»«^but:l» w. Ucut^chcr Nekrulof. 8. Bd.
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E^utscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Dezember 1903.
Nokk, Wilhelm, badischer Staatsminister, * 30. November 1832 in Bruchsal,
•f" ij.Februar 1903 in Karlsruhe. — N. wurde als Sohn des Professors Anton Nokk,
fler später Direktor des dortigen Gymnasiums, seit 1848 des Lyzeums in Freihurg
war. geboren. In dieser Anstalt erwarb er sich 1850 das Zeugnis der keife,
um dann an den Universitäten Freiburg, Bonn, Heidelberg und wieder Freiburg
die Rechtswissenschaft zu studieren. Daneben vernachlässigte er aber nicht
den Besuch philosophischer, historischer, literar- und kunstgeschichtlicher
Vorträge. An dem studentischen Leben beteiligte sich N. in Bonn, wo er
Mitglietl der Burschenschaft Frankonia wurde und in deren Verband er eine
Freundschaft für das Leben mit Heinrich von Treitschke schloli. Im Dezember
1854 unterzog er sich der juristischen Staatsprüfung und wurde unter die
Rechtspraktikanten au^enommen, 1857, nachdem er die vorgeschriebene
Praxis bei verschiedenen Staatsbehörden durchgemacht hatte, aum Referen-
dar ernannt. Einen Urlaub, der ihm im Februar 1858 bewilligt wurde,
benutzte N. zunächst zu einer Reise nacli Frankreich, um sich in der
französischen S{>rat lie zu vervollkommnen und das fran/ösis( fie Gerichts-
verfahren kennen zu lernen. In i'aris traf er mit seinem nahezu gleichaltrigen
Freunde August Eisenlohr, dem späteren badischen Minister des Innern,
xnsammen. Gemeinsam reisten sie nach Marseille, schifften sich dort nach
Civitavecchia ein und brachten hierauf mehrere Wochen in Rom zu. Wie
vorher im südlichen Frankreicli, übten in der j>ewigen Stadt« die römischen
Altertümer eine große Anziehungskraft auf tlie breunde aus, wie in Paris
besuchten sie eifrig die Museen. Unter den Künstlern war es vorzüglich
ihr Landsmann Anselm Feuerbach, dem sie näher traten. Sie trafen ihn an,
als er sich eben anschickte, eines seiner bedeutendsten Meisterwerke »Dante
und die Frauen von Ravenna« zu vollenden. In die Heimat zurückgekehrt,
war N. bei verschiedenen Staatsbehörden tätig und bewährte überall das Lob,
das ihm schon früher seine Vorgesetzten s|)endeten, > Grün<llichkeit, r.ische
Auffassung, ausgezeichnetes Judizium«, und zeichnete sich durch eine um-
fassende, allgemeinwissenschaftliche und Fachbildung rühmlich aus. 1863
wurde er zum Sekretär, 1864 zum Assessor im Oberschulrat ernannt, 1865 trat
er in gleicher Eigenschaft in das Ministerium des Innern über, in welchem
er 1867 zum Ministerialrat vorrückte. Zum Präsidenten dieses ^li^i'^te^iums
war ein Jahr vorher Dr. Julius Jolly, dem N. schon seit geraumer Zeit nahe
stand, ernannt worden. Unter dessen Leitung eröffnete sich für N. ein aus-
gedehnter Wirkungskreis als Referent Uber die katholischen Kirchen- und
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Nokk.
FJiesarlicn, über die Mittelschulen, die Volksschu!< r.. (Ii«.- T.t'lircrseniinarc und
bald auch über die beiden I.andesumvcrsitnten und <iie Polytechnische S« hule.
Das Referat über diese drei Hochschulen im Ministerium des Innern behielt
N. auch bei, als er 1874 zum Direktor des Oberschulrais ernannt wurde.
Infolge der tief eingreifenden Veränderungen in der Leitung der badischen
Ministerien -7- 1876 Rücktritt JoUys, den Turban als Staatsminister, v. Stösser
als Präsident des Ministeriums des Innern ersetzten, 1881 Rücktritt \ "^t < >ssers,
an dessen Stelle Turban dieses Ministerium übernahtn — traten auch Ände-
rungen in der Organisation der obersten Siaatsbeluirden ein; u. a. ginj^en
Kultus und Unterricht einschließlich der l ürsurge für Wissenschaften und
Künste an das Ministerium der Justiz über, su dessen Prisidenten 1881 N.
ernannt wurde. In dieser Stellung verblieb er fortan, auch als ihm 1893 das
Präsidium des Staatsministeriums unter Ernennung /um Staatsminister über-
tragen worden war. An dieser Stelle mag erwähnt sein, dali N. von 1S67 1.S70
auch der zweiten Kammer des Landtages angehörte unil an deren \'erhand-
lungen als Mitglied der nationalen i'artei eifrigen Anteil nahm.
Von der Tätigkeit, welche N. seit April 1881 als Präsident des Ministe-
riums der Justiz, des Kultus und Unterrichts entfaltete, war jene, die das
Gebiet der Justizverwaltung betraf, die wenigst bedeutende. In den Jahren
1881 — 1H98 handelte es sich besonders um V'ollzugsvorschriften und Dienst-
anweisungen zur Ausführung der Reichsgesetze, von 1899 — 1901 um die wichtigere
und schwierigere Aufgabe der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches und
seiner vielverzweigten Nebengesetze durch eine größere Zahl den Landes-
verhältnissen angepafiter Verordnungen. Auf diesem Gebiete wurde er in
wirksamer Weise durch ilen Ministerialdirektor l-'reiherm von Neubronn unter-
stützt. Hei tler Leitung der Kultusangelegenheiten war N. bestrebt, die
Heziehungen zwischen Staat und Kirche einer dauernd friedlichen (lestaltung
entgegenzuführen. Die Regelung der Kirchensteuerfrage für Protestanten,
Katholiken und Israeliten beschäftigte ihn seit 1888 und es gelang ihm dabei,
dem Grundsatz allgemein gesetzliche Anordnung zu verschaffen, daß die
kirchlichen Bedürfnisse, soweit dieses aus vorhandenen anderen Mitteln nicht
geschehen k()nne, aus Heiträgen der Konfessionsgenossen zu bestreiten und
daß zu diesem Hehufe kirchliche Steuern zu erheben seien. Der katholischen
Kirche gegenüber war er mit Erfolg bemüht, die aus der Zeit des Kultur-
kampfes noch fortbestehenden Härten und Schroffheiten zu beseitigen und an
ihre Stelle eine versöhnliche und entgegenkommende Haltung treten zu lassen.
Mit der protestantischen Landeskirche gab es keine Konflikte. Die Israeliten
verdanken ihm die Gewährung der für ihre kirchlichen Interessen wiclitigcn
Synodalverfassung. — In dem Unterricht.swesen war N., der dieses Gebiet
seit 1866 in allen seinen amtlichen Stellungen bearbeitet hatte, als Lachmann
und Schulfreund unau.sgesetzt für den Fortschritt tätig. Der Elementar-
unterricht wurde verbessert, neue Gegenstände wurden in den Lehrplan der
Volksschulen und der Fortbildungsschulen aufgenommen. Für die Gclehrten-
schulen bezeugte er bei jedem Anlasse das größte und wirksamste Interesse.
Für die lu)heren Mädc henschulcn wurile ein neuer Lehrplan erlassen. Besondere
Auhnerksamkeit wandte N. den Universitäten Heidelberg und Freiburg sowie
der Technischen Hochschule in Karlsruhe zu. Er sorgte für die Erhöhung
der Zahl der Lehrstühle, für die Vermehrung und Erweiterung der akademi»
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Nokk. 5
s( hen Institute. Die Hochachtung für die Wissenschaft und ihre Träger, der
Schutz der Freiheit der Forschung und ihrer Lehre waren die Angelpunkte
seines Wirkens auf diesem Gebiete. Die Ausgestaltung der Polytechnist hen
Schule zu einer im In- und Ausland in ihrer Wertstellung anerkannten Hoi h-
schnle ist in erster Reihe sein Verdienst. Auch sonst war er für Wissenschaft
and Kunst ein begeisterter und sachkundiger Förderer. Die Inventarisierung
der Kunstdenkmäler Badens, die teilweise bahnbrechenden Arbeiten der
Badischen hi-^torischen Kommission, die Leistungen der Karlsruher Kunst-
akademie und Kunstgewerheschuie sind unvergängliche Ruhmestitel für sein
ministerielles Wirken. — Die tiefsten Cirundlagen seines Schaffens bildete
seine nationale Gesinnung, seine humane und liberale Lebensauffiissung und
die Ehrfurcht vor der Religion. Fest hielt er an seiner auf diesen Grund-
lagen ruhenden Übetseugung. Aber seinem milden Wesen, seinem groflen
Wohlwollen, seinem Streben nach Frieden und Harmonie widerstrebte es,
auch Gegnern mit Schärfe oder gnr mit Härte entgegenzutreten, ein Vorhaben
in gewalttätiger Weise (hirrhzufiihron. Was wohl manche, die ihm ferner
standen, für Schwäche zu hallen geneigt sein mochten, war die Anschauung,
dafi es ein politisches Axiom sei, den richtigen Zeitpunkt fOr die Durch-
f&hrung einer wichtigen Mafiregel abzuwarten und mit Geduld und Nachsicht
Fragen einer günstij^aMi Lösung entgegenzuführen, welche durch rasches und
scharfes Handeln \ ielleicht unerrciclibar geblieben wäre. In dieser Auffassung
der Aufgaben eines Staatsmannes, besonders in einem kleineren Staatswesen,
begegnete N. sich mit dem Groliherzog Frietlrich von Haden, mit ilem ihn
während all der Jahre, in denen er in leitender Stellung seinem Fürsten und der
engeren Heimat wie dem groflen deutschen Vaterlande diente, ein Verhältnis
gegenseitigen Vertrauens und, man darf wohl sagen, treuer Freundschaft ver-
band. Sein l.andesfürst -^Mh daher auch X. nur mit großem Redauern aus
dem Dienste des Staates n( heiden, als sich im Sonnner i()or die .\nzeichen
eines ernsten Leidens, der Folgen allzu groüer Anstrengungen und .Aufregungen,
wie sie mit seiner amtlichen Tätigkeit verbunden waren, zeigten und ihn
zwangen, um Enthebung von seinen Amtern zu bitten. Das Schreiben, in
wel< hem am 27. Juni 1901 der GroOherzog ihm die Genehmigung seines
.\bschiedsgesuches mitteilte, ist ein ehrenvoller I?eweis der hohen Wert-
>chätzung, die er seinem langjährigen R.it^'eber widmete. \*()n allen Seiten
wurden ihm bei .seinem Ausscheiden aus dem Dienste, soweit es nicht schon
früher geschehen war, ehrende Anerkennungen zuteil, seitens der Hochschulen
Heidelberg und Freiburg durch Verleihung der Khrendoktorwürde mehrerer
Fakultäten, durch Krnennung zum Fhrendoktoringeiueur seitens der Techni-
srhcn Hochschule in Karlsruhe, durch Adressen der katholis( h theologischen
Fakultät fler l'niversität l-reiburg. des Oberrats iler Israeliten und tier Synode
der israelitischen Religion.sgemeinschaft. Die Städte Heidelberg und Karlsruhe
ernannten ihn zum Khrenbürger. — Es war N. nicht gegönnt, sich lange der
Ruhe zu freuen, von der er selbst und die Seinigen wohl eine Besserung
seines Gesundheitszustandes gehofft hatten. Um die Jalireswende 1902 03 trat
eine Zunahme seines schweren Leidens ein und die Kräfte des Siebzigjährigen
zeigten einen raschen /erfall. In der Nacht vom 12. zum 13. Februar mjo^
entschlief er sanft. Hei seiner lieisetzung am 19. l ebruar erwiesen ihm nicht
nur der Großherzog, die Großherzogin und die Prinzen des Hauses die letzte
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Nokk. Rocsicke.
Ehre, sondern aus allen Teilen des Landes kamen Abordnungen herbei, um
an seinem Sarge Krnn/c niederzulegen, an dem offenen (rrahe Worte der
Trauer und N'crehmng zu sprechen. Er hiiiterlieÜ eine Witwe, die ihm
35 Jalire lang die verständigste und teilnahmvollste Gefährtin seiner Freuden -
und Leiden, in seinen kranken Tagen die treueste Pflegerin war. Mit ihr
trauerten ein Sohn und zwei Töchter an seinem Grabe. Und viele Freunde,
die er von seinen Jugendjahren bis in rlie Jahre des Greisenalters sich er-
worben und erhalten hatte, beklagten den Verlust eines Mannes, der ein
echter Mens« h gewesen, desseti idealer Sinn, dessen vielseitige Bildung, dessen
wahre Humanität unil I reiheii des Geistes und Urteilb allen, die iinn naher
traten, unvergeßlich bleiben wird, wie er fortleben wird in den Ergebnissen
seiner ernsten Förderung der Kunst und Wissenschaft.
Karlsruher Zeitung igo,^ Nr. ,^6o. - - Staatsniini!>ter Dr. Wilhelm Nokk, von dcn> Ver*
fu9er dieses Nachrufes. Heidelberg, C. Winter, 1904. y, v. Weech.
Roesickc, Richard, Inilustrieller und .Sozialpoiiiiker, * 24. Juli 1845 in
Berlin, f 21. Juli 1903 daselbst. — Sein Vater, Adolf Roesicke, war ein an-
gesehener Kaufmann. Der älteste Sohn Richard widmete sich, nachdem er
das Französische Gymnasium bis zur Prima besucht hatte, ebenfalls dem Kauf-
mannsstande und absolvierte zunächst vnn 1S61 bis 1S64 in Frankfurt a. M.
eine dreijährige l.ehr/<'it. Noch nicht zwanzig Jahn' alt, wurde er \ on seinem
Vater 1864 nach Bei Im beriiien, um dort die Leitung einer von dem Vater
käuflich erworbenen Brauerei zu Qbemehmen. Da das Brauereigeschäft ihm
bis dahin völlig fremd gewesen war, so erfüllte der Sohn den Wunsch des
Vaters nur mit einigem Widerstreben. In sehr kurzer Zeit fand sich der junge
Mann aber in den neuen V' erhältnisvcn zurechl und entwickelte die nat h ihrem
Vorbesitzer |iil)st SrhullheilJ genannte Brauerei, die beim Erwerb noch jegli( her
Masdiinenkr.ül entbehrt hatte, in überr.aschend kurzer Zeit zu einem grolien
Betriebe. Ende der sechziger Jahre von einem schweren Brustleiden befallen,
das ihn veranlafite, längere Zeit im Süden, in Italien, Ägypten, Spanien und
in der Schweiz, zuzubringen, nahm er nach seiner Genesung die Entwicklung
seiner Brauerei mit erhöhter Energie auf, envarb im Jahre 1S77 die Wald-
schioliihen-Braiierei in Dessau hinzu und brachte, nai lulem er die Schiilthciß-
brauerei in eine Aktiengesellschaft umgewandelt hatte, als Generaldirektor diese
Aktiengesellschaft zu einer ungewöhnlichen Blüte. Die Schultheiflbrauerei stand
bei Roesickes Tode in bezug auf das Prodnktionsquantum an der Spitze aller
Brauereien Deutschlands Sie verteilte fortgesetzt glänzende Dividenden und
wurde, was die soziale Fürsorge für die in den Betrieben der (iesellschaft
beschäftigten Arbeiter anlangt, von keinem anderen Großbetriebe Deutsch-
lands übertroffen.
Die unausgesetzte Fürsorge, die er in seinen Betrieben zur Verbesserung
der Lage der Arbeiter aufwandte, hatte ihn bald auch auf die Bahnen einer
öffentlichen sozialreformatorischen Tätigkeit geführt. Als ausgesprochenen
Sozial|>olitiker si hickte ihn der Wahlkreis Dessau-Zerbst 1890 in den Reichs-
tag. Von 1890 bis zu seinem Tode hat er diesen Wahlkreis im Reichstage
vertreten. Er gehörte zunächst keiner parlamentarischen Fraktion an, son-
dern blieb wildliberal. Ende der neunziger Jahre trat er der Freisinnigen
Vereinigung näher und schlofi sich im Dezember 1903, während der heftigen
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Rocsicke.
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Zollkimpfe, die damals im Reichstage ausgefochten wurden, auch formell
dieser Fraktion an. Bei den Wahlen im Juni 1903 hatte er sein Mandat so-
wohl gegen die Sozialdemokratie als auch gegen die Agrarier, denen sich
die Nationallibcralen, weiche ihn bei allen früheren Wahlen unterstützt hatten,
anschlössen, zu verteidigen. Trotzdem erhielt er über 2000 Stimmen mehr
als bei der vorhergegangenen Wahl des Jahres 1898. Unmittelbar nach der
Wahl unterwarf er sich einer schweren Operation, die ihn von einem Darm-
leiden befreien sollte. Den Folgen dieser Operation erlag er nach einigen
Tagen.
R.S Bedeutung für das öffentliche Leben Deutschlands lag vornehmlich
in dem Umstände, dafi er ein industrieller Großunternehmer war, der die
weitestgehenden sozialen Reformen nicht nur in der Gesetzgebung vertrat,
sondern auch in den ihm unterstellten Betrieben praktisch durchführte und
dabei von jeder patriarchalischen Methode in der Behandlung tler Arbeiter
absah. Kr forderte von den .Arbeitern seines Betriebes tüchtige Leistungen
und bewilligte ihnen dafür nicht nur hohen Lohn unter gleichzeitiger Her-
stellung der denkbar besten Wohlfahrtseinrichtungen, sondern er räumte ihnen
auch die vollste Gleichberechtigung ein. Sie waren weder in ihrer Lebens-
führung noch in ihren politischen Überzeugungen irgendwelchem Zwange unter*
worfen. Er hinderte die Arbeiter seiner Dessauer Brauerei in keiner Weise daran,
bei den Reichstagswahlen gegen ihn und für seinen sozialdemokratischen
Ciegner zu stimmen. Die Arbeiterausschü.sse, die in der Schultheilibraiicrei
geschaffen wurden, dienten nicht zur sozialpolitischen Dekoration, sondern
besaßen sehr realen Einfluß. Sie fungierten nicht nur bei der Begutachtung
der zu erlassenden Arbeits- und Strafordnungen, sondern auch bei der Über«^
wachung bestehender und bei der Beratung neuer Wohlfahrtseinrichtungen.
Die Beaufsichtigung und Anregung von Vorrichtungt-n zum S« hutze von
Leben uiul (Jesundheit war ihnen überwiesen, und zur Schlichtung von
Streitigkeiten aller Art wurden sie zugezogen. Die Mitglieder dieser Arbeiter-
ausschOsse wurden alljährlich in geheimer Wahl neugewählt und erhielten
aufler dem Ersatz ihrer Barauslagen als Entschädigung für Zeitversäumnis bei
Ausübung ihres Amtes eine jährliche Vergütung von 100 M. Jeder Arbeit-
nehmer, der in den Ausschuß gewählt wurde, hatte Anspruch auf eine vier-
wöchentliche Kündigungsfrist.
Die auch in die.sen Anordnungen zutage tretende grundsätzliche Gleich-
stellung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern war der sozialpolitische
Zentralgedanke der gesamten Roesickeschen Sozialpolitik, und gerade dadurch
unterschied er sich von jenen Arbeitgebern des Typus Stumm, die zwar
auch bereit sind, für ihre Arbeiter in materieller Beziehung gut zu sorgen
und für \\ ohlfahrtseinrichtungen Opfer zu bringen, die aber an einem straffen
.Vbliängigkeitüverhältnis auch außerhalb des Arbeitsvertrages festhalten.
»Wenn«, so äuflerte sich einmal der Freiherr von Stumm in der Reichstags
Sitzung vom 19. Mai 1890, »ein Arbeiter eine von mir nicht gewOnschte
Zeitung liest, dann bestrafe ich ihn nicht, .sondern entlasse ihn, und ich
werde auch in Zukunft so halten. Das persönliche Verhältnis zwi.schen
.\rbeitern und Arbeitgebern tlarf nicht untergraben wenlen«. R., der das
.Arbeitsverhältnis auf moderne konstitutionelle Grundlage stellen wollte, und,
soweit dies in seiner Iklacbt war, auch stellte, befaind sich deshalb politisch
1
g Roesickc. GuMenbauer.
in fortgesetzter Fehde mit dem Freihcrm von Stuiiini, der mit allen Mitteln
bestrebt war, das Wr^en des patriarehalischen Absolutismus auf das modi-me
Arbeitsverhältnis unserer Cirofiinchistrie zu übertragen. In Deutschland hat
es bisher keinen Groüindustriellen gegeben, der das Prinzip des Konstitu-
tionalismus so konsequent auf das moderne Arbeitsverhältnis zu Qbertragen
bereit gewesen wäre wie R. Das hat ihn zu einem der bedeutendsten
Sozialreformer Deutschlands gemacht Ein durchaus auf das Positive gench«
tetcr Geist, hat er seine Unterstützung keiner auf die Verbesserung der T.age
fler Arbeiter gerichteten gesetzgeberischen Maßregel versagt, sobald ihm die
Durchführbarkeit des Vorschlages nur einigermaßen gewährleistet schien. In
der Organisation der Unfallberufegenossenschaften war er viele Jahre hindurch
die leitende Persönlichkeit. Die im Jahre 1889 in Berlin veranstaltete Aus-
stellung für Un^Uverhütung, die auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes
epochemachend war, verdankte ihre F.ntstehung seiner Anregung und ihre
Krfolge vornehmlich seiner Leitung. Auch in seiner Stellung zur Sozial-
demokratie zeigte K. eine ungewöhnliche Toleranz und Vorurteilslosigkeit,
öhne die kollektivistischen Tendenzen des sozialdemokratischen Programms
im mindesten zu teilen, billigte er der sozialdemokratischen Partei doch die>
selben politischen Rechte zu wie jeder anderen Partei. Er war deshalb der
entschiedenste Gegner aller gegen die Sozialdemokratie gerichteten Aus-
nahmemaliregeln. Obgleich er sein Reichstagsmandat immer aufs neue gegen
die Sozialdemokratie in der Stichwahl mit Hilfe der rechtsstehenden Parteien
behaupten mufite, machte er diesen recht^ehenden Parteien doch niemals
die geringste Konzession. Vielmehr ermunterte er seine politischen Freunde,
sowohl bei den anhaltischcn Landtagswahlen wie bei den Stadtverordneten-
wahlen in Dessau sich mit den Sozialdemokraten zwecks gemeinsamer Be-
kämj)fung der Reaktionäre zu verständigen. Ihm stand es fest, dafJ der
Liberalismus in Deutschland nur dann wieder zu einer ausschlaggebenden
Bedeutung kommen könnte, wenn es gelänge, mit den in der Sozialdemokratie
organisierten Arbeitermassen einen politischen modus vivendi herbeizuführen.
Auch in dieser Beziehung war R. dem Liberalismus der alten Schule weit
voraus.
Der all/.ufrühe Tod ilieses ungewöhnlich einsichtsvollen und charakter-
festen Sozialpolitikers war der .schwerste Schlag, der die deutschen Sozial-
reformer im Jahre 1903 getroffen hat, man kann vielleicht hinzufügen, es
war der schwerste Verlust, der neben Theodor Mommsen Deutschland in
jenem Jahre Oberhaupt betroffen hat. Theodor Barth.
Gussenbauer, Karl, Rektor der Universität Wien, Professor, Hofrat, Chirurg,
♦ 30. Oktober 1842 in Ober-Vellach in Kärnthen, f *9' J""' 1903 Wien. —
G.S Vater war ein tüchtiger Dorfarzt, dessen Tätigkeit mühevoll und auf-
reibend, dessen Einkommen sehr gering war, so daß die Brüder Hermann
und Karl in äußerst bescheidenen Verhältnissen heranwuchsen. Bereits in
seinem sechsten Lebensjahre kam Karl von seinem Elternhause fort, zu seinem
Oheim, dem Pfarrer Rudolf Gussenbaucr, von dem er den Elementarunterricht
erhielt und nach Beendigung der Volksschule nach Salzburg geschickt wurde,
wo er sich im Borromäum für den geistiichen Stand vorbereiten sollte.
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Gttsactifaaiicr.
9
Nachdem G. hier fOnf Klassen absolviert hatte, erkllite er seinem Oheim,
dafl er sich zu diesem Beruf dun liaus nicht hingezogen fühle und bezog mit
dessen zögenvler Kinwilligung das Ciyninasiuin in Kla^'cnfurt. Groß waren
hier seine Kntht hrnn^ien und kaum für den notii'stL'ii I A-hensnnterhalt rcii hten
die spärlichen Mittel, mit wekhen er von den v^cinigen unterstützt wurde.
Noch schlechter erging es ihm, als er im Jahre 1861 nach Wien kam,
am hier Medizin zu studieren. Seine Bemühungen eine Stelle als Hauslehrer
zu erhalten, schlugen fehl ; ohne Freunde und Bekannte, allein in der fremden
Stadt lernte G. Hunger leiden. l)o( li hier zeigte sich ^chon sein Mut und
seine feste Willenskraft: er versäumte es nicht, trotz der drückenflcn I-agc,
in der er sich befand, seine Kollegien mit Kiter zu besuchen und mit ge-
spanntem Interesse folgte er den Vorlesungen Hyrtls und Brückes.
Durch Hofmeisterstellm, welche er endlich in der Familie des Grafen
Pilfy, dann in der Familie seines. späteren Freundes v. Rosthom erhielt, in
seiner finanziellen I aL'c gebessert, uenoß (',. mit dem hohen Interesse, das er
seinem Staiuie entj^efienbrachte, die Hlüte/eit der »Wiener Sdnde«. Außer
Hyrtl und Brücke horte er Koiiitiinsky, Skoda, Oppolzer, Arlt, Schuh und
Hebra. Am Institut Brückes veifafite er zwei Arbeiten, die ihm später einen
Ruf als Assistent der physiologischen Lehrkanzel nach Breslau eintrugen,
welchen er aber nicht annahm. Im Jahre 1867 wurde er zum Doktor der
Medizin und Chirurgie, zum Magister der Augenheilkunde und Geburtshilfe
promoviert.
Hierauf praktizierte G. an verschiedenen Abteilungen des allgemeinen
Krankenhauses sowie im Rudolf-Spital, wo damals Weinlechner tätig war.
1869 kam er als OperationszOglin^ an die Klinik Bitlroth. Schon bei
der dazu nötigen Prüfung (Operation an der Leiche) fiel Billroth die außer-
ordentliche Geschicklichkeit und Exaktheit auf, mit welcher G. seine Auf-
gabe löste.
Die Billrothsche Schule war damals im Aufblühen begriffen. Billroth
fostand es, die Begeisterung, mit welcher er an seinem Berufe hing, auch
auf seine Schüler zu übertragen. Er erkannte ihre Fähigkeiten und Talente
and leitete ihre Arbeitslust und ihren Tatendrang auf bahnbrechende Wege.
So war es ein emsiges und ruhmreiches wissenschaftliches Arbeiten, das
Rillroth mit seinen Schülern verband; diesen war er nicht nur der große
•Meister und Lehrer, er war auch ihr Freund und Vater, dem sie Hoc hachtung
nnd Dankbarkeit, aber auch Liebe und ihr ganzes Vertrauen entgegenbrachten.
So stand G., insbesondere nachdem er 187 a klinischer Assistent geworden
war, an der Seite des größten Chirurgen in seiner besten Zeit.
Der Eifer und die Pflichttreue, welche er in dieser Stellung an den Tag
legte, die rücksichtslose Strenge gegen sich, die stets gleiche Kncrgie imd
Gewissenhaftigkeit, mit der er seinen Dienst versah, erweckten die Bewunderung
ond Hochachtung seiner Kollegen. Tag und Nacht, mit stets gleicher .Arbeits-
heudigkeit schaffend, sorgte er für das Wohl der ihm anvertrauten Kranken.
Daneben fand er Zeit zu wissenschaftlichen Studien; er arbeitete sich ein in
Bakteriologie, Histologie und experimentelle Pathologie und Stand Billroth
bei seinen zahlreichen Tierversuchen hülfrei' Ii zur Seite.
Dieser Zeit entstammen mehrere l'ublikationin (I.s, von welchen jene
Aber die Perlmutterkrankheit seine Habilitationsschrift, die e.xperimenlell-
10
Gussenbauer.
rhirurgischc Studie über )>artielle Nfagcnresektion eine grandlegende Arbeit
für die moderne Maj^cndartnchirur^ic wurde.
Im Jahre 1873 luhrie liillroth seine erste 1 Otalexstirpation wegen eines
karzinomatösen Kehlkopfes aus, und G. gelang es, nach langem Nachdenken
und vielen mühevollen Versuchen, ffir den Patienten einen Apparat zu kon-
struieren, der in die Trachealkanüle eingeführt, dem Kranken es ermöglichte,
wieder zu s])rerhen. Dieser .\|)par;it wurde allerdings sjijiter von anderen
nioditiziert uixl \ i-rhesNcrt, doch geljührt flas X'erdienst der Idee und ersten
Ausführung eines künstlichen Kehlkopfes allein G.
Im Jahre 1875 kam von selten der belgischen Regierung die Anfrage an
Billroth, ob er wohl für die erledigte I^ehrkanzel in Lfittich einen tüchtigen
Chirurgen wisse, es sollte womögli(h einer seiner Schüler sein. Billroth
empfahl (]., dessen außerordentliche Fähigkeit er kannte, von dessen selbst-
standiger ( hirurfrisrhcr Tätigkeit er viel erwartete. So kam G. im .\lter \nn
33 Jahren als Ordinarius und Leiter der Kgl. belgischen Universitätsklinik
nach Lüttich. Wie groß die Willenskraft und der Fleifl G.s war, kann man
daran erkennen, dafl er, der französischen Sprache unkundig, dieselbe in
wenigen M(Miaten derart erlernte, dafl er nicht allein seine Antrittsvorlesung
in fließendem Französisch v(^rtrug, sondern auch seine Klinik von allem
Anfang an in dieser Sprarhc hielt.
In seinem neuen Wirkungskreis erlebte er anfangs Anfeindungen, nament-
lich von selten der Presse, welche ihn als Ausländer herabsetzen wollte. Dazu
kam die Art seines Auftretens im Spital. Die von ihm übernommene Klinik
war äuflerst mangelhaft eingerichtet, schlecht geführt und befand sich in den
denkbar ungünstigsten Ingicnischen \'erliältnissen. Wuiulfielior und Hosj)ital-
brand waren an der Tagesordnung. Da fuhr G. hinein mit all seiner Energie
und Strenge. Rücksichtslos mit eiserner Hand entfernte er alles, was er als
schlecht erkannte und ebnete sich den Boden, auf den er BtUrodis Schule
pflanzte. Mit einigen jungen Ärzten, die er sich heranzog und als tüchtig
und verläßlich erkannte, leitete er die. Klinik nach den Prinzipien di r mo-
dernen .\ntisejisis und schon bald konnte er in einem statistischen Jahres-
•bericht der Regierung die eklatanten Krfolge seiner Tätigkeit aufweisen. Nun
war d;us Eis gebrochen und G., nur mehr /e ,i^rand nUdecin genannt, erfreute
sich der gröflten Achtung und Verehrung in ganz Belgien.
Die Studenten folgten mit Interesse seinen Vorlesungen, die ihnen gar
manchen neuen Gesicht.spunkt brachten. Wenn er das Französische anfangs
auch nur mühevoll beherrschte, so daß er die lateinische Sprache oft zu
Hilfe nehmen muÜte, so hielt doch der geistige Inhalt seines \'ortrags die
Hörer in Atem. Sie wurden gefesselt durch die Klarheit seiner Worte und
Anschauung und durch den Reiz seiner Kritik.
Die Begeisterang, mit welcher Arzt und Patient von G. sprachen, ver-
schaffte ihm einen Ruf, der weit über die Grenzen des Landes hinausging,
und als ihm nach 2' 2 Jahren die erledigte Lehrkanzel an der deutschen
l'niversität in Prag angetragen wurde, machte die Regierung alle möglichen
\ ersprechungen, um ihn zu halten, und nur ungern ließ man ihn ziehen,
wohlwissend, welchen Verlust die Universität und das ganze Land durch
seinen Abgang erfahre.
Von wissenschaftlichen Arbeiten entstammen der Zeit zwei bedeutende
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GassenlNiuer.
Monographien: »Scphthämie und Pyohäinie« und die »Traumatischen \'er-
letziinpen-. Beide Werke, besonders das letztere zi-i^^HMi eine verljUiflende
Schärfe der Beobachtung und Klarheit in der kritischen Heurteihing (k'rselbeii.
In Prag, wo G. von 1878 — 1894 wirkte, herrschte ein reges wissenschaft-
liches Leben, an dem er mit Freude tätigen Anteil nahm. Er trat in die
Redaktion der »Zeitschrift für Heilkunde« und förderte durch rahlreiche eigene
Beiträge dieses Organ der Prager medizinischen Fakultät Desgleichen regte
er seine Schüler zu wissenschaftlichen Forschungen an und verstand es, das
reichhaltige Krankeninaterial, d;us ihm im Zentrum des so dicht hev<")!kerten
Landes zuströmte, zu Nutz und Frommen der rasch fortschreitenden Wissen-
schaft zu verwerten. G. stand in der Blüte seiner Jahre, in der Glanzperiode
seines Schaffens. An all den unermOdlichen Arbeiten, in der Klinik, am
Krankenbett, im Laboratorium, am Schreibtisch und in der Privatpraxis fand
er seine Befriedigung. Seine Tüchtigkeit war bald in den weitesten Kreisen
bekannt und seine T^npularität wie die eines Fürsten. Dazu trug nicht wenig
bei, daß er an den Arztevereinen im Land mit Interesse Anteil nahm und
regelmäßig in den Wanderversammlungen der deutschen Arzte Böhmens aus-
lievählte Kapitel aus der Chirurgie vortrug. Den Berliner ChirurgenkongrcO
versäumte er nie zu besuchen. Er folgte mit großer Aufmerksamkeit allen
Vorträgen und Demonstrationen und wirkte durch seine sachliche und stets
treffende Kritik anregend auf die Diskussion. Auch an <ien internationalen
medizinischen Kongressen in London, Herlin und Moskau nahm er tätigen Anteil.
G. verheiratete sich in Prag und fand in .seiner Frau eine ihm durchaus
ebenbOrtige Lebensgefährtin, die ihm in Lieb und Treu bis zu seinem Tode
m Seite stand.
Seine Publikationen aus der Prager Zeit sind zahlreich und erstrecken sich
über die verschiedensten Gebiete der medizinischen Wissenschaft. Sehr ein-
gehend beschäftigte sich G. mit der Frage der Ätiologie der l)ösartigen
Geschwülste, und auch später, als er nach Wien kam, setzte er seine dies-
betflglichen Studien fort, ist jedoch zu keinem Abschluß gekommen. Doch
vissen wir, daß er die parasitäre Theorie vertrat und stets daran festhielt.
N'eben der Tätigkeit G.s als Arzt und Gelehrter verdient hervorgehoben zu
»erden, daß er im Jahre 1886 als Rektor der Prager Universität in den
nationalen Kämpfen mit gleicher F^ntschiedenheit für deutsche Kultur und
deutsches Recht eintrat wie er es .später in seinem letzten Lebensjahr als
Rektor der Wiener Universität getan hat.
Als im Jahre 1894 Billroth starb, wurde G. einstimmig als der würdigste
Nachfolger des unerreichten Chirurgen anerkannt und berufen. In seiner
Antrittsvorlesung in Wien sagte er: ' Ohne persönliche Asj>iration verließ ich
die älteste deutsche Universität und kam in pietätvoller Krinnerung meines
Lehrers und Meisters nach Wien. Wie dem Sohne tUis Erbe des Vaters, so
fiel mir nach dem oft so rätselhaften, aber nicht minder unwandelbaren
Gesetze des Schicksals seine Lehrkanzel zu.«
G. oblag seinen Berufspflichten in Wien mit ungeschwächter Manneskraft,
fortschreitend auf dem Pfade des (ielelirten und Künstlers durcli volle neun
Jahre, bis ihn das erbarmungslose Schicksal traf. Vau Herzleiden, das erst
wenige Monate vor seinem Tode ernste Störungen seiner sonst so kräftigen
Konstitntion veruisachte, brachte ihm den Tod. Als ein Mann von Selbst-
12
Gttsscnbauer.
behcrrschung, der sich soll)st mit spartanischer Strcn<;e orzcigoii, kannte er
kein Mitleid mit sicli und heischte keines von seiner I mgebung. Ntit
wacivsender Sorge bemerkten seine Angehörigen und Freunde die stets zu-
nehmenden Symptome der drohenden Herzschwäche. Umsonst bat man ihn,
sich zu schonen, sich die so aufreibende Tätigkeit in der Klinik, die schwere
Last der RektoratsgeschSfte leichter und erträglicher zu machen. Umsonst !
Mit stoischer Ruhe und gewohnter Gewissenhaftigkeit erledigte er seine
Arl)eiten als Rektor, hielt er die klinische \'orlesung; nur eins ließ er
d;is Operieren. Vielleicht fürchtete er, dem Kranken unter seinem Messi r
nicht mehr mit der gewohnten Sicherheit helfen zu können. Und wie groß-
artig, wie genial hatte er operiert! Mit einer staunenswerten Technik vollendete
er die schwierigsten Eingriffe und kannte kein Hindernis, sobald es galt,
einem sonst rettungslos verlorenen Menschen zu helfen.
G. war ein ernster Mann. Schon als junger Student um seine Kxistenz
kämpfend, hatte er seinen Geist gestählt in Willenskraft und Strenge. Groß
war in ihm das Pflichtgefühl, und wie er es selbst empfand, so forderte er
es von seinen Untergebenen. Sein Gerechtigkeitsgefühl, das ihn in all seinen
Handlungen und Urteilen leitete, war derart ausgeprägt und mit so eiserner
Konsequenz angewandt, daß seine Kollegen und die Fakultät sich in strittigen
l'ragen gerne an ihn wandten — und sein Wort ^Mlt' Protektion kannte er
nicht. Hoffte jemand, G. würde ihm bei diesem oder jenem durch die
Finger .sehen, so kam er s<hlechi an. Ohne zu geiüeln, aber aucli ohne
Rücksicht sagte er jedem, gleichviel ob es ein Untergebener oder Vorgesetzter
war, mit stets gleicher Offenheit und in der für ihn so charakteristischen
knappen und bündigen Form seine Meinung. Wenn er deshalb manchmal
auch für hart und vielleicht allzu strenge galt, so midJte dtx Ii jeder zugeben,
er wollte stets das beste un<l verstand es dies überall dun hzusetzen, wo es
in seioer Macht stand. Seiner ausgeprägten Wahrheitsliebe ent.spracli es, daß
ihm Etikette und all die üblichen konventionellen Höflichkeiten zuwider
waren; eine Phrase hörte man von ihm nie. Und wer ihn näher kannte, der
wuOte, was für ein seelenguter Mann er war, wie nah ihm das Wohl und
Wehe seiner Mitmenschen ging, wie ungern er tadelte. .\ber mit unbeurj-
samer Kraft kämpfte er jede Regung seiner so warm fühlenden Seele nieder,
als schämte er sich ein Herz zu haben, und wer ihn nicht näher kannte, nicht
gut beobachtete, der ahnte wohl nicht, welch tiefes Gemüt, welch grofle
Nächstenliebe hinter dem harten Panzer peinlicher Crerechtigkeit und strengen
Pflichtbewußtseins verborgen war.
G. war ein groUer Freiuul der Natur. Alljährlich nach SchluU des
Sommersemesters reiste er in seine Heimat, wo er für seine Familie ein
stattliches Haus gebaut hatte. Hier hatte sein Vater, der erst wenige Jahre
vor dem Tode seines Sohnes gestorben war, in behaglicher Ruhe den Abend
seines Lebens verbracht. Hier lebte G. seiner Familie, seinen Landsleuten.
Dabei befafite er si< h mit <ler hnhen Jagd, mit Bergsteigen und Klettertouren;
er sorgte um die heimisi he Kultur durch Pauten und Anpflanzungen aller
Art. D.i, wo er alljährlii Ii ausruhte von den .Mühen und Plagen des Winters,
in der frischen Hergluft frische Kraft schüpfentl für neues rastloses Arbeiten,
da liegt er auch begraben, am lauschigen Friedhof seines stillen Geburts-
ortes. Aber sein ruhmvolier Name, sein Andenken lebt fort und wird nicht
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Gussenbauer.
13
untergehen. G. war ein bewunderungswürdiger Charakter, ein grofier Ge-
lehrter, ein unübertroffener Cfiinir^.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten Gussenhauers: Ȇber die
Unskiilatioii der Atrioventrikularklappen des MnuchenlieRensc (Wien). — »Ober das Ge-
ftflsfstem der &ufieren wcibli« hen Genitalien« (Wien. k. k. Akad, d. Wissensch. Bd. 60). —
»über die erste durch Th. Billroth auÄjjefUlirtc Kehlko|>fe\stirp:ui<'n« (T.angciibcrks Archiv
Bd. WII, 343). — »Die partielle Magenresektion« (Langenbccks Archiv Bd. .\1X). —
•Kapfcrt de ta Climique ckirurgicaU de Lüget (1876— 1878). ~ »Die traumatischen Ver-
letiungen« (D. Ctiir. Lief. XV, 1S80). — »Seplithäinie, Pyohttmie und Pvosephdilmie«
' ("bir. Lief. 1SS2). — j'Hy-.tiojrenesc des Kreliscs« (Koiijjri'(Jl>cricli!, 31. Knujrr. 2. Sit/,}^.
1902^. — »Uber die Eriolge der operativen Behandlung der Kiirzinouic« (Frag. med. W.
1S79). — »Ciier die Entwiddun; der sekundttren LyiuphdittsengeschwUlstec (Zeitsdbr. f.
Heilkunde Bd. II). — »Ein Beitrag sur Lehre von der Verbreitunif des E|Ntbelialkrebses
auf Lymphdrüsen« fl.an<,nriberks Archiv Bd. Xll. S. 561). »(^lit-r die Pignientbildung^ in
toelanotiscben Sarkomen« (N'irchows Archiv Bd. 63}. ~ »Über die Heilung per primam
imtenti^mem* (Archiv f. kl. (Tbir. Bd. XU, S. 791). — »Die Methoden der kOnsdichen
Knochentrennung und ihre Verwendung« (Archiv f. kl. Chir. 1875, S. l). — »Erfahrungen
uSicr M.issagc« (Praj^er med. \V. iSSi. \. i ). — »Über eine liiioiiKitösc Mu-^kel- und Nerven-
degcneration« (I^mgenbcdcs Archiv Bd. .Wl, S. 602). — »tH>er die Veränderungen des
^iterg erti eiften Muskelcewelies bei tnunnatischen Entxtlndungen« (^\ichiv f. U. Chir. Bd. XU,
ä. 1010). — »Erfahiui^fefi Uber die Jodofornibehandlong bei der ibtochentuberkulose«
rPrager med. W. 188 1, Nr. 35). — »Über die Bchandhinjj der Gangriin bei A>/a/', / r nu Utiusi.
^Wiener kL \V. 1899, Nr. 17). — »Die KnochencntzUudungen der Pcrhiiuitcrdrechsler«
^^■Bgcabcc k s Archiv Bd.XVIlI, .S.630). — »Beitrag sur Kenntnis und Exstirpation von myelo-
geneii SdiidelgeaehwOlstenc (Zeitsdir. f. Heilkunde Bd. V). — »Erfiihrungen Uber die oiteo-
pla-livchc Stbädcltrcp inntion wc-jcn I lirngeschwiilvtci fW icriiT kl. W. 1902, Nr. 6, 7, 8).
»Zur operativen Behandlung der tiefliegenden traumatischen i lirnabsxesse« ^Präger med. VV.
1885, Nr. I). — »Über den Mechanismus der Gehirnerschütterung« (Präger med. \V. 1880,
Xr. 1—3). — »Zur Kasuistik der Epilepsie nach Himlision« (Prager med. W. 1S86, Nr. 35).
— j»irrn4;Icro-.i' und Hirdcr-iclicinungcn« (Wiener kl. W'ochcnschr. 1902, Nr. 38). - »Über
fachymemnguh tuber c. circumscripta*^ (Präger metl. W. 1S92, Nr. 9). — »Über Skalpierung
durch Maschinengeiralt« (Zeitschr. f. Heilkunde Bd. IV). — »Ober die Commo^ medulUu
»pmalUm. (PtBger med. W. 1893, Nr. 40^41). — »über Nervennaht« (Prager med. W. t88a,
Nr. i). Ȇber Ischias scoliotica (Prager med. W. 1890, Nr. 17 18). Ȇber Stdmato-
l>l.-\stik« (Präger med. W. 1885, Nr. 13). — • »über buccalc K\>itirpatioii der basilaren Rachen-
gc^chwUlste« (Archiv f. kl. Chir. Bd. XXIV, S. 263). — »Ein neues N erlahrcn der Stomato-
plastik cur Heilang der narbigen Kieferklemme« (Langenbecks Archiv 1877, Bd. XXI, II. 3,
S. 52). — »Die temporäre Resektion des Na>cngertistes zur Kreileguiig des •Snhvw/ frontalis*.
(Wiener kl.W. 1 895, Nr. 21). — »t'ber Behandlung der i rigeniinusi»curalgie« (Prager med. W. 1 886,
Nr. 31). — »Beitrag zur Kctuitnis der subpleuralen Lipome« (^Langenbecks Archiv Bd. XLlll,
S.3S3). — »Znr Kasuistik der Keblkopfexstirpation« (Präger med.W. 1883, Nr. 31). — »Beitrag
/ur Kenntnis der bronchiogcncn Geschwülste« (Festschrift f. Billroth). >Über kombinierte
• >»ophagotomic« (Zeitschr. f. Heilkunde Bd. IV). — »Zur Kasuistik der Fremdkörper des
Magens« (_Prager med. W. 1891). — »Zur Kasuistik der Fremdkörper des Magens« (Prager
med. W. 1883, Nr. 15). — »Zur operativen Behandlung der Paakieascysten" (Langenbecks
Archiv Bd. XXDC, H. 2). — »Zur Kasuistik der Pankreascysten« (Präger med. W. Nr. a— 3).
- >Zur Kasuistik der Pankreascysten« (Prager med.W. iSgi Nr. 32— 33). — »Fall von
ioiticllcr Resektion des Colon dtscendetu%, (l^ongenbecks Archiv Bd. .X.XIH, S. 233). ~
»Zw opcntivcB Bdiandhing des Kaninoms des S Jtamamitmm (Zettsehr. f. Heilkunde Bd. I,
1880). — »Über JSernia tpigastricat (Prager med.W. 1884, Nr. I). — »Exstirpation eines
Harnblasen myoms nach vorau.sgchendem tiefem und hohem Blascnschnitt« (Archiv f. kl. Chir.)
sCber Hamblasensteinoperationen« (Prager med. VV. 1888, Nr. l — 7). — »Beitrag zur
Sutnpation von Be^enknodiengeschwttlsten« (Zeitschr. f. Heilkunde Bd. XI, 1890). — »Über
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GussMilMuer. Zumpe.
sakrale Demiuide« (Prager med. \V. 1893, Nr. 36), »(Iber die Behandlung der Fissura
aitU (Wiener kl. W. 1902, Nr. 2). — »Über die Behandlung der Kißfrakturen dcä Fersen-
beines« (Pnger med. W. 1888, Nr. 18.) Otto v. Frisch.
Zumpe, Herman, Kgl. bayr. Generalmusikdirektor, * 9. April 1850 in
Oppach in Sachsen, f 4. September 1903 in München. — Der am 4. Sept.
1903 jäh aus dem Leben geschiedene Münchener Generalmusikdirektor Her-
man Zumpe hat einen heißen, steilen Weg zur Hohe des Lebens zurücklegen
mü.ssen. Zur Lehrertätigkeit bestimmt, und nacii seiner in Taubenheim a. d.
Spree verbrachten Jugendzeit im Seminar in Bautzen ausgebildet » hatte er
kurze Zeit in Weigsdorf gewirkt, sein Herz aber zog ihn mit einer Macht,
die allen Hindernissen gewachsen war, zum künstlerischen Leben sbcnife. Er
wufite seine Versetzung nach Leipzig zu erreichen, wo er bis 1871 bei Prof.
Tottmann gründliche musikalische Studien betreiben konnte. Die entschei-
dende Wendung in seinem Leben trat 1872 ein; er legte die Lehrerstelle
nieder und hatte das Glück, nach Bayreuth an die sogenannte »Nibelungen-
Kanzlei« berufen zu werden, wo er unter den Augen Richard Wagners und
zusammen mit Hans Richter, Anton Seidl, Franz Fischer seine musikalische
Ausbildung (bis 1875) vollenden durfte. Die künstlerisclie Weihe und Lohre,
die er dort empfing, hat ihm den BHck geöffiK-t für die grotien Geheimnisse
seiner Kunst und ihn deren Wesen als Kulturmacht erf;issen gelehrt. An
kleineren Bühnen — in Salzburg, Würzburg, Magdeburg — hat er dann als
Kapellmeister des Opernwesens Leid und Freud gründlich kennen gelernt,
bis er in den achtziger Jahren einen größeren Wirkun|pkreis in Frankfurt
a. M. und nicht lange darauf in Hainburg fand. .\ber im Kunstgeschäfts-
bereich PoUinis war seines Hlcibens nit ht. Kr zog sich ins Privatleben zu-
rück (18S6- 1891), durch kompositorische und pädagogische Tätigkeit die
materiellen Sorgen von sich uud seiner schon in Bayreuth begründeten Fa-
milie wehrend. In diesen Jahren ernsten Lebenskampfes entstanden einige
Werke leichteren Stils, darunter die bekannte Operette l'arinelli«. In
seinem Herzen aber l)e\vahrte er treu den Zug zum Hö( listen. - - Mit (k-r
Herufung zum Hofkapellmeister nach Stuttgart (1891) lieg.mn die wichtigste
und glücklichste Kpoche seines ]..ebens, in der er seine Kräfte voll cntlulten
konnte. Das Stuttgarter Hoftheater verdankt seinem Wirken (1891— 1895)
manche künstlerische Tat von Bedeutung (so die deutsche Erstaufführung von
Verdis Falstaff), nicht minder das Konzertuntemelnnen Dr. Franz Kaims in
München, dem er in den Jahren i8<)5 — 1897 eine hochgeachtete Stellung im
Müiu heiler .Musikleben erkämpfte. Dix li sein Herz hing zu sehr an der dra-
matischen Kunst, als daß er nicht freudig einem Ruf des Generalintendanten
von Ledebur nach Schwerin gefolgt wire. Die Schweriner Oper erlebte unter
Z. 1898 — 1901 eine Zeit hoher Blüte. Eine Frucht seiner dordgen Tätigkeit
lernte auch das Berliner Publikum schätzen geiegentlicli der Gastsi)iele des
Schweriner F.nsembles mit Schillings' Ingwelde im Berliner Opernhaus. Auch
im Auslande erntete Z.s Kunst nachhaltige Krfolge. — Ks war naheliegend,
daß Ernst von Possart den Plan faßte, Z.s künstlerische Kraft der Münchener
Hofbfihne zu gewinnen, da nach Herman Levis Abgang und nachdem
Richard Straufi seiner Vaterstadt den Rücken gekehrt hatte, ein führender
musikalischer Geist fehlte, der die Energie besafi, die großen Traditionen
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Zumpc. ConwUua.
15
dieser Bühne lebendig zu erhalten und ihrem Leiter ein verständnisvoller und
tatkräftiger Helfer bei der Verwirklichung seiner bedeutenden Pläne zu sein.
Dem uneigennützigen Kntschlussc des kunstsinnigen Regenten Schwerins und
seines Intendanten verdankte Z. die Möglichkeit, dem Rute Possartü 1901 zu
folgen. Mit zflher Energie, mit aufopferndem Fleifie sich seiner nach Lage
der Dinge äufierst schwierigen Aufgabe widmend; hat Z. sich in MQnchen
als der rechte Mann am rechten Orte bewährt; unter seinem Stabe blähten
die "Akademiekonzerte« neu empor, durch sorgfältige Neueinstudierungen
klassischer Opemwerke wurde ilas Repertoire befestigt, im Mittelpunkt seiner
Tätigkeit aber stand das Wirken für tlus nn Entstehen begriffene Prinzregenten-
theater, dem Possart. in erster Linie die verantwortungsvolle Aufgabe zu-
gewiesen hatte» das vorbildliche Wirken Bayreuths in umfassender Weise für
die Pflege des Wagnerschen Kunstwerkes nutzbar zu machen. Dem SchOpfer
und Meister des musikalischen Dramas alle gebührenden Khren zu zollen
war Z. ein Herzenshedürfiiis. So wirkte er, mit Possarl durch ein inniges
Freundschaftsband verbunden, in schaffensfreudiger Begeisterung für das künst-
lerisch bedeutungsvolle Unternehmen, und die achtunggebietende Stellung, die
es sich errungen, ist nicht zum wenigsten Z.s Verdienst.
In vollem Sonnenlichte erfolgreicher Tätigkeit stehend, ist er plötzlich
am 4. Sept. 1903 einem Herzschlage erlegen. Nach einem Leben voll heifier
Kämpfe war ihm ein Siegcrtod vergönnt.
In der Geschichte des deutschen Theater- und Konzertlebens der letzten
beiden Dezennien muß Z. ein ehrenvoller Platz als Dirigent von ungewOhn-
lidien Eigenschaften angewiesen bleiben. Die Triebkraft seiner künstlerischen
Leistungen war eine nie erlöschende Begeisterungsfähigkeit, die er mit be-
sonderem pädagogischem beschick zu üf)crtragen wußte, der CJrundzug seines
künstlerischen Wesens ein edles Pathos, das nur kühlen Beobachtern als
iafierlich erscheinen konnte. Nicht durch genialischen Schwung riü er mit
sich fort, er wirkte aufe Gemüt durch Wahrhaftigkeit und Echtheit seiner
Absichten! Und wie der Künstler, so der Mensch. Dem Freunde zeigte er
ein warmes, oft bis zur Schroffheit im Urteil ehrliches, vom verwirrenden
Theaterleben unangetastet gebliebenes Herz voll kindlich naiver Eigentümlich-
keiten.
Z.S kompositorischer lätigkeit war eine nachhaltigere Wirkung nur auf
einem Gebiete beschieden, das er wohl recht eigentlich »der Not gehorchend«
betreten hatte. Des bedeutenden Erfolges der Operette »Farinelli« (1886)
wurde schon Erwähnung getan. Was er aus eigenem Triebe« geschaffen
hat, verkündet uns keine neuen (rcheimnisse der Tonsprache; eine Anzahl
tiefempfundener Lieder (3 Hefte), eine Ouvertüre zu Wallensteins Tod (Mskpt.),
ein unvollendetes Streichquartett (Mskpt.) und vor allem die unvollendet
gebliebene Oper »Sawitii«, Dichtung von Graf Sporck, der er die freie Zeit
seiner letzten Lebensjahre widmete, spiegeln doch seine naiv pathetische,
dem Edelsten zustiebende Seele in sympathischer Weise wider.
Max Schillings.
Cornelius, Karl Adelt, Historiker, * 13. März 1819 in Würzburg, f 10. Fe-
hmar 1903 in München. — C. ging aus einer Künstlerfamilie hervor: sein
i6
Gkinelius.
Vater war ein Schauspieler, der seine Kunst mit idealem Sinti erfaßte, sein
Oheim, der dem Neffen bis zum Entle seine besondere Zuneigung schenkte,
war der gewaltige Maler. Er selber wurde für den Gelehrtenberuf bestimmt,
und wie die Mittel in dem Künstleriiatushalt knapp waren, so muflte er die
Zeit der kostspieligen Vorbereitung nach Möglichkeit abkOrzen. Mit 17 Jahren
zog er vom Gymnasium zur Universität, mit 21 Jahren trat er, versehen mit
einem Oberlehrerzeugnis, in dem Deutsch und Geschichte als Hauptfächer
erschienen, sein Probejaiir als Gymnasiallehrer an, und mit 22 Jahren wnrtle
er als Hilfslehrer am Gymnasium zu Emmerich, mit 24 Jahren als ordent-
licher Lehrer in Koblenz angestellt
Er trat in die Welt als ein junger Mann, der auffiel, wo er sich zeigte:
schlank von Wuchs, das fein geschnittene, blasse Antlitz durch leuchtende
Augen und tiefschwarze Haare gehoben, in seiner Rede kraftvoll bis zur
Verwegenheit, aber immer zum Ziel treffentl und gewählt, mit einem Organ
von prächtigem Klang, dazu in Kleidung und Haltung einigermaßen nach-
lässig wie ein junger Maler, und dann wieder, wenn er sich zusammennahm,
leicht etwaü geziert gleichsam mit einem Anflug dramatischer Kunst; er war
im vollen Sinne, was man im geselligen Verkehr interessant zu nennen pflegt.
In "seinem Beruf gewann er alsbald hohe Anerkennung, sowohl als Lehrer
wie als Charakter: er ist ein vorzügliiher Lehrer und höchst ehrenhafter
Mensch, schrieb der Schulrat Landfermann ; er ist, so bemerkte bei Gelegen-
heit eines kleinen Konfliktes der Oberregieningsrat Halm, ein rechtschaffener
Mann und keiner Lüge fähig. Aber er kannte auch Interessen, die auflerhalb
seines Berufes lagen. In seinem Vaterhaus und seinem Studium waren ihm
die Schöpfungen großer Dichter nahe getreten; in das Verständnis und den
Genuß der poetischen Literatur, der deutschen wie der fremdländischen, ein-
zudringen, blieb fortan eine seiner liebsten Beschäftigungen, und wenn ihm
auch nicht, wie seinem jüngcrn Bruder, die Gabe künstlerischer Produktion
zuteil geworden war, so wufite er doch als glänzender Vorleser den Werken
der Dichter Klang und Leben zu verleihen. Daneben verleugnete er nicht
«len fröliliclien Rheinländer (nach dem Ort seiner Geburt war Cornelius ein
Würzburger; aber das hing mit ilem wechselnden Aufenthalt seines N'aters
zusanunen): in ausgewähltem Männerkreise anregende Gespräche zu führen,
joviale Scherze auszutauschen und die Stimmung mit fWMM» hMiim zu erhöhen,
hat immer zu seiner Lebenskunst gehört und wurde damals im Hochgefühl
der Jugend geübt. Man konnte darum auch bei obertlät hlicher Beobachtung
zweifeln, ob er mehr Schöngeist als Gelehrter sei, und oh er zu den Naturen
gehöre, denen die Zukunft besondere Sorgen bereitet. Aber in der 'I iefe
arbeitete in ihm der Drang nach selbständiger wissenschaftlicher Forschung
und nach einer Stellung, die diesem Verlangen entsprach. Sein Glück wollte,
dafi es ihm dabei an äufterer Förderung nicht gebrach.
Theodor Brüggeroann, erst ein hervorragender rheinischer S< !,ii!m um,
dann im Jahr 1843 zum vortragenden Rat in der katholischen Abteilunj^ des
Kultusministeriums ernannt, hatte sich in demselben Jahr, da C. geboren
wurde, mit einer Tante desselben vermählt. Selbst kinderlos, nahm er den
Neffen seiner Frau als Tertianer nach Koblenz in sein Haus und behielt ihn
bei sich, bis er die Universität bezog. An Brüggemann hatte C. fortan einen
väterlichen Berater und nebenbei einen mächtigen Gönner. Der erste Beweis
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Comelius.
17
dieser Fürsorge war, daß er im jähr 184^», oliiu' daß cv ciiu'n akadcmisclien
Grad gewonnen oder eine Zeile j^a-s» liriehni hatte, die Stelle des Dozenten
der Geschichte und Literatur an dem Lyzeum zu Braunsberg erhielt. Hier-
mit betrat C. die Vorstufe des akademischen Berufes, und nun lieft es ihm
keine Ruhe, bis er völlig in denselben eintrat. Was ihn dabei ermutigen
konnte, war der I nistand, dafi man an einigen Universitäten, die in vor-
wiegend katholischen ('u'bieten lafjen, (his Fach tier Geschiclite «lojiiielt,
mit einem l'rotestanten und einem Katholiken, zu besetzen suchte, und dali
fähige Historiker, die wirklich zur katholischen Kirche hielten und doch
ohne vorgefafite Tendenz forschten und lehrten, schwer su finden waren.
Aber ein Beweis von Selbstvertrauen und hohem Sinn war es doch, dafi der
mittellose junge Mann die Stelle, die ihn näiirte, nach dreijährigem Besitz
preisgab, mn seine Doktorproniotion nach/.iduilen und sich im Januar 1852
in Hreslau als l'rivatdozent der (icschichte zu habilitieren.
Schon hatte er jetzt auch das Gebiet seiner selbständigen Lorschung
abgesteckt. Als er während seiner Studienjahre sich an den historischen
Cbungen Rankes beteiligte, gewann er als tüchtiger Schüler dessen Gunst
and erfuhr selber von den gerade gegen Schlufi seiner Studien (1839 — 1840)
erscheinenden drei ersten Bänden der ReforniationsL'eschiclite eine l)estimmende
Einwirkung. Die keformationsgeschichte stand fortan im Mittelpunkt seiner
Arbeiten, und innerhalb derselben fand er einen Abschnitt, der ihn sowohl
vegen seiner eigenartigen Bedeutung, ab auch darum anzog, weil hier nach
den Vorschriften seines Lehrers der Durchbruch von der jüngeren zur ältesten
Schicht der Überlieferung erst voizum hnu n war: es war die Geschichte des
l^rsprungs und l^ntergangs des Ken lies der W ieilertäufer in Münster. Dem
Nachweis, daß ilie hierüber xorliegenden (^)uellen abgeleitet und getrübt
seien, galt gleich seine Doktordissertation vom Jahr 1850. Zwei Jahre später
konnte Ranke in der dritten Auflage seiner Reformationsgeschichte bereits
auf eine Sammlung der echten »Denkmale aus dieser Zeit« hinweisen, welche
C. ihm gröfitenteils schon handschriftlich mitgeteilt habe: vsie wird sehr
merkwürdig werden; für die neue Bearbeitung dieses Abschnittes ist sie mir
sehr nutzlich gewesen . Im jähr 1853 erschien diese Sammlung unter deiti
litel »Berichte der Augenzeugen über das Münstersche Wiedertäuferreich«.
Ihr hatte C. es zu danken, dafi er im Januar 1854 zum aufierordent-
lichen Professor in Breslau ernannt wurde, ja einige Zeit vorher schon, am
27. Dezember 1853, von der philosophischen Fakultät der Universität Bonn
an dritter Stelle für die durch Aschbachs Abgang erledigte ordentliche Pro-
fessur vorgeschlagen, und hierauf, nach einjährigem Schwanken des Ministers,
um 18. Dezember 1854 an die rheinische Universität als ordentlicher Profe%or
versetzt wurde. (Den Vorschlag hatte Dahlmann gegen Ldbell durchgesetzt.
Im Ministerium wurde der an erster Stelle vorgeschlagene Wegele abgelehnt;
der an zweiter Stelle vorgeschlagene I 'icker wurde berufen, lehnte aber seiner-
seits ab. Gegen C hatte der Minister das IJedenken, daß er seiner kaum
ani^ctretenen Bresiauer Professur nicht gleich wieder entzogen werden könne.
[l-akultäUi- und KuratorialaktenJ.)
In "Bona veröffentlichte er seine erste historische Darstellung von größerer
Anlage: es war der erste Band der Geschichte des Münsterschen Aufruhrs.
Diesem Werk hatte er es wiederum zu danken, dafi er noch vor Ablauf
Bkgr. Jahrbuch «. Dcatidwr Nekrolog. 8. Bd. a
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Corndius.
zweier Jahre von Bonn nach München berufen wurde und damit das seiner
Laufbahn als Universitätslehrer gestei kte Ziel erreic hte.
Bei dem Übergang nach München hatte C. eine zehnjährige Lehr- und
Wanderzeit hinter sich, in der sein Geist durch die Beschäftigung mit poh-
tischen, kirchlichen und wissenschaftlichen Fragen gereift war. Für seine
Schulung in politischen Angelegenheiten war es ein grofles Ereignis, da6,
als im April 1848 die Wahlen für das Deutsche Parlament auch in Ostpreußen
angeordnet wurden, die Wahl des Kreises Hraunst)ei7;-Heilsberg auf ihn tiel.
Wie der 2i) jährige, eben zugewaiuierte iTenidling das Vertrauen iler Wähler
gewann, habe ich nicht zu erfahren vermocht- nur davon habe ich seinen
damaligen Kollegen, den inzwischen verstorbenen Professor Andreas Menzel,
einmal erzählen gehört, dafl er mit einer diesem geistlichen Herrn auffallen-
den Begeisterung die maditvolle Stellung, die Preußen in dem verjüngten
Deutschland gel)ühre. gepriesen habe. Im Parlament selber mußte er die
harten Widersprüche erfahren, zwisc hen <lenen sich da.s deutsc he X erfassungs-
werk bewegte. In der Krage lies Keich.sverwesers unterzeichnete er zunächst
einen Antrag, kraft dessen die deutschen Fürsten und freien Städte zur
schleunigen Ernennung des Statthalters aufgefordert werden sollten, gab dann
aber, fortgetragen von der Bewegung, die Gagerns kühner Griff hervorgerufen
hatte, seine Zustimmung zu der Wahl durch die Nationalv»'rs;iniinlniig uiul
zu tler Krwählung des Erzherzogs luhann, allerdings nicht ohiu- >ii h hinter-
her der Würthschen Erklärung anzuschließen, daü die Beistimmung zu dem
Grundsatz der Wahl nur im Verträum auf die Zustimmung der Regierungen
zu der zu treffenden Wahl gegeben sei. In dem Streit über das Retchsober-
haupt gesellte er sich der Partei der Grofldeutschen bei, die sich am 20. De-
zember i84<S im l'ariser Hof konstituierte, und entzog sich der ersten Ab-
stimmung über die ("Übertragung der Würde des Reichshauptes auf einen
deutschen Fürsten und über die Erblichkeit derselben, gab dann aber bei der
zweiten Lesung, als das Parlament vor der Wahl stand, entweder auf Oster-
reich oder auf die Reichsverfassung zu verzichten, zu beiden Bestimmungen
sein ja und wählte am a8. März den König von Preuflen zum Kaiser der
Deutschen.
Das letzte Ergebnis der Frankfurter Räinptr war für C. die Erfahrung,
daü sich die staatliche Einigung Deutschlands an einem doppelten Wider-
spruche stiefl: an dem Gegensatz der Machtverhältnisse der deutschen Staaten,
und an dem alle innem Verfassungsfragen verwirrenden Streit von Konser-
vativen, Liberalen und Demokraten. In let/tercr Beziehung befestigte er sich
fortan in den CIrundsätzen des gemäßigten Liberalismus, in ersterer Hinsicht
scl^f'int er erst seit tlem neuen Aufflammen der deutschen Einhettskämpfc,
seit »859, die strengeren Konsequenzen seiner groÜdeutschen Grundsätze ge-
zogen ZU haben. Da erschien ihm der dem Frankfurter Fürstentag vorgelegte
Ver&ssungsentwuif so gerecht und nützlich, dafl, wie er damals sagte, ein
vernünftiger Nfann nichts dagegen einwenden könne; da sah er in den fort-
schreitenden Erschütterungen der österreichischen Macht in Italien und
Deutschland eine unermel^Iiche (iefähniung tles ileutschen Wesens durch
Slaven, Magyaren und Romanen; von der Stärkung der zentralistischen Be-
strebungen in Deutschland fürchtete er den Niedergang der Freiheit und
geisttötenden Militarismus, und gegen die preuflische Politik, die den Krieg
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Gnrnelitts.
19
von 1866 hervorrief, erfüllte er sii h mit leidonsrhaftlicher Erbitterung. Aber
erregt seine Teilnahme an tlen öffentlichen Dingen war, den Versuch zum
tätigen Kingreiten in dieselben hat er seit 1S49 nicht wiederholt. Sichtlich
war sein Unabhängigkeitssinn, der Rigorismus seiner Wahrhaftigkeit und die
Neigung zum apodiktischen Aussprechen seiner wohlerwogenen Meinung nicht
vereinbar mit den Erfordernissen der Parteidisziplin, den Kfinsten der Agitation
und der Geschmeidigkeit des parlamentarischen Re<lners.
Nicht so lebhaft, aber tief und dauernd war der Anteil, den er gleich-
zeitig an den im Innern der katholischen Kirchen beginnenden Kämpfen
nahm. An die Namen Hermes und Günther knüpfte sich damals das Be-
streben, die Dogmen der Kirche durch die Ergebnisse der neueren Philosophie
zu befestigen und zu vergeistigen, aber auch die Erfahrung, daft die Vertreter
ncu'^t holastischer Theologie diese Bestrebui^ucn zu vernichten suchten, und
(iaü die Autorität der Indexkotigregation und des l'apstes ihnen dazu verhalf.
\on diesen Streitigkeiten blieb nicht unherülut. Hruggemaim, in dessen
Hau^e er in der Zeit lebte, da der heranwachsende Knabe zu den Sätzen der
Religionslehre ein inneres Verständnis zu gewinnen sucht, war damals ein
eifriger Hermesianer; der rheinische Freundeskreis, in den er in Breslau trat
— Baltzer, Elvenich, Reinkens — stand mitten in <lem Kampf für die
Gönthersche Philosophie. Indes für den geistigen hihalt dieser Bewegung ge-
wann er kein sonderliches Interesse. »Ich habe , äußerte er mir einmal,
^meinen Freunden in Bre.slau gesagt: mit eurer Philosophie lockt ihr keinen
Hund vom Ofen.« Der Grund dieser abwehrenden Haltung dürfte in einer
Gedankenrichtung liegen, die auch in seiner Geschichtsschreibung hervortritt.
Wer z. B. im zweiten Band seiner Wiedertäufer eine eindringende Entwicklung
iler Lehren sucht, in denen Zwingiis » Radikalismus und dann der (ieist der
läufer zum Ausdruck kommt, wird sich tlunh die Knap|)heit gerade dieser
Abschnitte enttäuscht tmden. Natürlich liegt das niiht an einem Mangel
des Wissens, wohl aber daran, daß er in der Vergangenheit wie in der
Gegenwart den metaphysisch-theologis^en Gedankenllügen eine gewisse Ge-
ringschätzung entgegenbrachte. Dagegen gab es einen anderen Punkt, in dem
er die Opposition seiner Hreslauer Freunde gegen die Neusi holastiker nicht
nur teilte, sondern wolil noch überbot: daß war die l nahhängigkeit wissen-
schaftlicher Forschung. Dali der Gelehrte die Ergebnisse methodisch an-
gestellter Forschungen ofiEen auszusprechen und nicht etwa solange zu veriiflUen
oder zu modeln habe, bis sie mit dem, was die heutige Hierarchie als Dogma
oder als unverlierbares Recht oder ab Lebensinteresse der katholischen Kirche
ansieht, übereinstimmen, das war ihm wohl von .Anfang an selbstverständlich,
und der entgegengesetzten l orderung hat er nie ein Zugeständnis gemacht.
Bald traten noch andere Streitfragen hinzu. Im Frankfurter Parlament
hatte er einen Antrag unterzeichnet, der als »Grundrecht« die volle Unabhängig-
keit der Religionsgesellschaften, vor allem natürlich der katholischen Kirche,
von jeglicher Beteitigung der Staatsgewalt an der Verwaltung ihrer Angelegen-
heiten, besonders auch an der Besetzung der geistlichen .'^mter und dem
Besitz und <Ier \'er\s endung des Vermögens, forderte: er tat es in dem
schwärmerischen Vertrauen, daÜ im Licht der Freiheit auch die Kirche von
den Versuchen zur Unterwerfung der Staatsgewalt abstehen werde. Noch
früher hatte er das superstitiOse Element im katholischen Kultus, wie es sich
3*
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20
Coradiiis.
in den Auswüdisen der Heiligen- und Reliquienvcrehrung kundgibt, mifibilligt:
er hoffte dabei, daß die Auss( hreitungen noch in Schranken zu halten seien.
In beiden Voraussetzungen sah er sich nun tlurch den (ieist, den die Re-
gierung Papst Pius' IX. entfesselte, getäuscht. Da hörte denn Reinicens schon
in Breslau das gereizte Wort von ihm: »am schlimmsten ist es, wenn die
Pfafifen regieren«. Und als der Papst im Dezember 1854 die Lehre von der
unbefleckten Empfibignis verkündete, wurde er, wenn eine früher von be-
freundeter Seite mir einmal gemachte Mitteilung richtig ist, sich vollends des
(.icgensatzes bewuUt, der ihn von der obersten Leitung der katholise hen
Kirche trennte. Kr wollte dieser Kirche angehören, aber manchen (Jeboten
und Lehren ihrer Hierarchie stellte er sich schon so frei gegenüber, dafl er,
als er nach München kam, als korrekter Katholik im römischen Sinne nicht
mehr gelten konnte.
öffentlich trat er indes auch in kirchlichen Angelegenheiten nicht hervor;
seine öffentliche Wirksamkeit galt vielmehr ausschlielilich dem wissenschaft-
lichen Heruf. Hier aber zog er anfangs den Umfang seiner Tätigkeit weit
oder eng, je nachdem er als Lehrer das Bedürfnis seiner Zuhörer oder als
Forscher die Anforderungen einer alles durchdringenden Gründlichkeit zu
erfüllen suchte. Im akademischen Vortrag strebte er Mittelalter und Neuzeit
vollständig zu umfassen, in Hreslau z. H durch Vorlesungen über christliche
Zeit, erster und zweiter Teil, über Reformationsgeschichte und über allgemeine
Geschichte von 1648 bis 1848. In seiner Forscherarbeit dagegen beschränkte
er sich damals, wie in der späteren Zeit, streng auf die Reformationsepoche:
nur zwei Abhandlungen, über die Gründung der Liga und den grofien Plan
Heinrichs IV., greifen über diese Grenzen hinaus. Die Vorzüge, die C. als
Forscher und (ieschichtschreiber auszeic hnen, traten gleich in seinen ersten
Arbeiten, vollends in dem zweiten, im Jahr 1860, erschienenen Hand seines
Münsterschcn Aufruhrs hervor. Sie liegen in erster Linie in der genauen,
nach Vollständigkeit strebenden Aktenforschung, in der scharfsinnigen, mit
heller Anschauung des lebendigen Zusammenhangs der Vorgänge vollzogenen
Kombination der zahllosen Zeugnisse und Tatsachen. Nicht leicht koniUe
man eine größere Spannung der Aufmerksamkeit beobachten, als sie ('. bei
der Sammlung und Prüfung seiner (^)uellen betätigte; er konnte von sich
sagen, daü er Seiten lang exzerpiere und kopiere, ohne sich ein einziges Mal
zu verschreiben. Mit dner um den Zeitpunkt der Vollendung unbekümmer-
ten Geduld suchte er bei der Sammlung der urkundlichen Quellen dem
Ideal der Vollständigkeit so nahe als möglich zu kommen, und wenn er sich
endlich zur Ausarbeitung entschloß, so hütete er sich vor Gedankensprüngen
oder gewagten Kombinationen: wo ein Mittelglied in dein X'erlaufe der
Ereignisse fehlte, machte er den Leser darauf aufmerksam. Zustatten kam
ihm sein künstlerischer Sinn. In seinem Münsterschen Aufruhr zerlegte er
nach dem Muster Gibbons die Darstellung in eine Folge ganz kleiner Ab-
schnitte, deren jeder ein Moment des grofien Verlaufs, u ie in ein Bildchen
gefaßt, enthielt, und die alle sich zu einem klar gegliederten Ganzen zu-
sammenschlössen. Natürlich wurde bei einer so vollkommenen Verarbeitung
des Stoffes auch der Stil ein eigenartiger. Der Schilderung persönlicher
Taten und Geschicke konnte man wohl mdir Anschaulichkeit und Kraft, der
Erzählung im ganzen helleren und leichteren Flufl wünschen, aber überall
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Cornelius.
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war der Ausdruck edel und maßvoll, die SAtze sowohl aneinander gefftgt, wie
es dem folgerechten Gedankengang entspradi, i:nd nur da erhob sich die
Rede zu höherem, dann aber auch stets ergreifendem Schwung, wo die Größe
menschlicher Gedanken uiul Geschicke es erf(irdcrte; im einzelnen war alles
SO sorgfältig ausgearbeitet und gefeilt, dali man wohl sagen konnte: in den
Grenzen seiner Eigenart war dieser Stil nahezu vollendet. Es war eben ein
ganzer Mann, der einem hier, wie in allem, was C. anfaftte, entgegentrat
Verständnis in weiteren Kreisen konnten freilich diese Arbeiten schwer
pewinnen. Kür die große Ma^-sc waren sie zu speziell; den katholischen
Partei inannern miÜtiel «iie Darlegung des Zustandes geistiger und sittlicher
Lähmung, in der die alte Kirche den Sturm des Humanismus und der Re-
formation Ober sich ergehen liefi; die unbedingten Bewunderer der Reforma-
tion fohlten sich abgestofien, durch das schneidende Urteil, daß unmittelbar
(dieses »unmittelbar« ist übrigens in C.s Sinne zu betonen) durch den Sieg
von Taitheranem oder Kcfonnierten kein Aufschwung des religi(")sen Geistes
her\ orgerufen sei, und auch unhi fangene Historiker hatten ihre Einwendungen
gegen die beiden Grundanst hauungcn, daß nämlich erstens die stitatliche
Einigung Deutschlands durch Maximilian unter Leitung besserer Staatsminner
wohl bitte gelingen können und, wenn gelungen, einen einheitlicheren, den
vollen Bruch mit dem Überlieferten vermeidenden Verlauf der kirchlichen
Bewegung zur Folge gehabt hatte, daß zweitens der Sieg der Reformation,
wenn die Kirche sich noch »der (Gesundheit und Blüte vergangener Zeiten«
erfreut hätte, nicht erfolgt wäre, also in Wahrheit nur aus einer vorüber-
gehenden Gestaltung sittlicher und politischer Zustände zu erklSren sei. Indes
seinen unbefongenen Gegnern zeigte C. selber den Weg zur Verständigung,
nämlich die vorurteilslose Forschung, die zu fortschreitender Verbesserung und
Vertiefung der Grundanschauungen führen soll.
Auf diesen Weg die Studierenden, die sich seiner Leitung anvertrauten,
zu führen, das war denn auch das Ziel, welches sich C. im Fortgang seiner
Lehrtätigkeit steckte. Zuerst in Bonn hatte sich*s an dem jungen Kampsdhulte,
der ihm eine reformationsgeschichtliche Doktorarbeit vorlegte, erprob^ wie
mächtig seine strenge Kritik und sein fester Rat einen talentvollen und eifrigen
Schüler zu fesseln vermochte. Als er nun nach München zog, war er von
frischen Erwartungen erfüllt, da der Minister Zwehl ihm tien Eintritt in die
Direktion des zu gründenden historischen Seminars zugesagt hatte. (Ich
erzähle wieder, was mir C. Über diese Dinge im Spätherbst 1891 mitteilte.)
Hier jedoch erlebte er eine verhängnisvolle Enttäuschung. Wie er sich zum
Antritt des neuen Amtes dem Minister vorstellte, erklärte ihm dieser, daß er
seine Zusage nicht halten könne, da man dem gleichzeitig ernannten Heinrich
von Sybel die alleinige Leitung des Seminars habe zugestehen müssen.
ALmt her andere würde dieses unkollegiale Vorgehen damit beantwortet haben,
daß er gegen den Nebenbuhler eine akademische Fehde begonnen und sich
unter Lehrern und Schülern einen Anhang geschaffen hätte. Indes so tief
C. die Kränkung empfand, so unl)edingt verabscheute er jede Vermischung
seiner persönlichen Interessen mit der Benifstätigkeit. Er begnügte sicii also,
die aus früherer Zeit stammenden freundlichen Beziehungen zu Sybel, olnic
den \ crsuch einer persönlichen Aussprache (dies nach Sybels Mitteilung),
abzubrechen und vor dem Kollegen, der auch noch das geschichtliche Examen
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22 Cornelius.
derkOnftigen Gymnasiallehrer für sich allein in Beschlag nahm, in den Schatten
zu treten, ein Verhältnis, das sich unter Sybcls Nachfolger Giesebrcrht wohl
liinsichtlich der freundlichen Beziehungen der Kollegen, nicht aber in der
äache änderte.
Es war eine Niederlage, die C. erlitten hatte, und sie blieb nicht ohne
tiefgreifende Folgen. Mit einem wenig günstigen, freilich auch das einzelne
leicht verallgemeinernden Urteil betrachtete er jetzt den unsere Universitäten
vielfach verunzierenden Geist der Parteiung und Intrigue, vermöge dessen so
oft der Geschickte und Skrupellose eniptirstoigt, der Zurückhaltende und
Gewissenhafte nicdorgchalten wird: ' t"> bleibt , sagte er mir einmal in einer
plötzlichen Expl()>ion, »für den, der an (bescm Unwesen keinen Teil haben
wdl, nichts übrig, als dem Ehrgeizigen die Ehren zu überlassen und selber
anspruchslos seine Pflicht zu tun«. Seine Pflicht nun hatte er bisher in dem
Sinne getan, dafi er in seinen Vorlesungen dem nächsten Bedürfnis der Zu-
hörer zuliebe große Zeiträume in übersichtlicher Darstellung vorzuführen
suchte, während seine eigene Neigung ihn mehr dazu trieb, enger begrenzte
Epochen zu behamkln uml hieil)ci dieselben Eigenschaften gründlicher
Durchforsi hung und künstierisc lier Verarbeitung zu pflegen, die seine Sciiriften
auszeichneten. Sollte er jetzt, da als Leiter des historischen Studiums
ihm ein anderer vorgezogen war, nicht dieser Neigung folgen dürfen, und
zwar in der Weise, daß Vorlesungen von engerem Umfang und größerer Fülle
den von Sybel gehaltenen utnfasscnrleren Kollegien zur Seite traten? Kr
bejalite diese Krage, zog sich allinähli( Ii von der Hehandlung des Mittelalters
zurück und beschränkte si( h bald aut h in tier neueren Zeit auf drei Zeit-
räume: Reformation, Revolution und neunzehntes Jahrhundert. Im Mittel-
punkt seiner Darstellung standen die Wandelungen der Machtverhältnisse im
Innern und in den äußeren Beziehungen der Staaten, Leben gewann der
Vortrag durch die Charakteristik der fülirenden Personen und Gemeinschaften,
auch wohl durch eine einigernialien Mdvjektive Kritik über die Art, wie die
Staatsleiter es hätten machen sollen und nicht gemacht haben; vor allem
aber wußte er durch die Tiefe des Mitgefühls, die Wucht des sittlichen
Urteils und die Pracht der Rede seine Zuhörer hinzureißen: oft, wenn er die
ihm anhaftenden .Mängel des Nachlässigen und Gesuchten abstreifte, erhob
er sich zur Hohe des vollendeten Redners.
Auf diesem Wege voranschreitend, schuf er seit dem Semester 1859/60
auch eine Ergänzung tles historischen Seminars, indem er in seinem Studier-
zimmer mit wenigen auserwählten Schülern Obtmgen auf dem Gebiete der
Reformationsgeschichte anstellte. Sein Verfahren war, daß er den Gang von
Untersuchungen, die ihn gerade beschäftigten, den Zuhörern mit der ihm
eigenen Klarheit und strengen Kolge der Gedanken vorführte, daneben Arbeiten
iil)er Kragen, die er selber stellte, und die neue Ergebnisse versprachen, be-
urteilte. Mit liebevollem Eingehen ptiegic er seinen Schülern zu zeigen,
was in ihren Arbeiten zutreffend und versprechend, was falsch oder flüchtig
war; sein Urteil beruhte auf genauer Erwägung und war so klar und bestimmt,
daß es den Kindruck eines unverbrüchlichen Wahrspruchs machte. Von der
Kritik zu positiven Weisungen und Vorschlägen, wie die Arbeit im einzelnen
zu ändern oder anzulegen sei, pHegte er jedoch nic ht voranzuschreiten: man
macht dann, meinte er, die Schrift selber, statt daü der Schüler sie macht.
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Gomdiat.
23
Allerdings konnten bei dieser Zurückhaltung einerseits, und bei der oft über-
triebenen Strenge seiner Forderungen anderseits nur Studierende, die selber
zu denken verstanrlcn, der Gefahr des Verzagens oder der endlosen Klein-
arbeit entgehen. C. wünschte al)er aurh nur Schüler, die seil)stäii(hg (l.u hten,
er freute sich, wenn sie eigene Wege einschlugen, und mit fast übertriebener
Scheu wies er jeden Gedanken surück, daß er bei Förderung wissenschaft-
licher Arbeit irgend einen persönlichen Zweck verfolgen könne.
Bald ^iiiL:en denn auch Doktordissertationen von selbständigem Wert
au«^ diesen l ljungen hcr\'or, so die Rofonnationsgesrhirlite Meinmingens von
Rohling (1864), die Schrift über I)(»nauw(>rth \oii Lossen (i866), die Unter-
suchung über die zwölf Artikel von Baumann (1871). Eine iiucli umfassendere
Leitung wissenschaftlicher Arbeit hoffte C. auszuüben, als auf seinen Antrag
die neu g^ründete Historische Kommission die Herausgabe der auswärtigen
politischen Konrespondenz der Fürsten des Hauses Wittelsbach für das Jahr-
hundert von 1550 — i6t;o beschloß (1860). Allerdings erlebte er dabei wieder
insofern eine Enttäuschung, als (he Kommission das UiUernehnien ihm nicht
als einheitliches übertrug, sundern es in drei Abteilungen unter drei be-
sonderen Leitern serschnitt, wobei ihm selber die Herausgabe der bayerischen
und kurpftlsischen Akten für die Zeit von 1600 — 1650 zufiel. Aber wie nun
für die Zusammenstellung des Materials von den Leitern jüngere Mitarlx iter
anzustellen waren, so kamen jetzt nicht Studenten, sondern solche, die ihre
Studien bereits abgeschlossen hatten, um sich C'.s Führung zu unterstellen:
zuerst ich selber (1862); dann August von Druffel (1864, nur formell war er
Löher untergeordnet), schliefilich Felix Stieve (1867). Jeder von uns Öffnete
sich in seiner besonderen Weise dem starken Einflüsse des Führers, allerdings
mehr in unserer gesamten wissenschaftlichen Entwicklung, als in der be-
sonderen Arl)eit der Aktenausgabe. Demi so tatkräftig C. auch in letzterer
Beziehung eingriff, indem er für bestimmte Punkte — (Iründung der Liga,
Politik Heinrichs IV. in den Jahren 1609^ lo — sich unmittelbar an iler
Qnellensammlang beteiligte, dttieben umfessende Orientierungen in vielen
Archiven vornahm, so brachte es doch seine oben berührte Art der Unter-
weisung mit sich, daß seine Mitirbeiter ihre eigenen Wege, und diese wieder
na( h verschiedenen Richtungen, gingen. Da außerdem für das ganze rntcr-
nehmen die Trennung in drei Abteilungen der Aufstellung eines einheitlii hen
Kilitionsplanes von vornherein im Wege stand, so hatte jeder einzelne Arbeiter
seine besondere Publikation zu vertreten.
Inzwischen gingen die Jahre voran. Wenn C, als er fünfzig Lebensjahre
vollendet hatte, zurückblickte, so konnte er doch mit seinen Erfolgen zufrieden
sein. Seine Vorlesungen hatten zahlreichen, gelegentlich sogar sehr zahlrei» hen
Besuch gewoimen, unter seinen Kollegen hatte ihm die ( iründli( hkeit seiner
Leistungen, seine über viele Schärfen und Schroffheiten hinweghelfcntle un-
bedingte Wahrhaftigkeit und Uneigennütztgkeit eine noch immer wachsende
Achtung erworben, und auch an innigen Beziehungen, die das Gemüt frisch
erhalten, fehlte es ihm nicht Als ein Mann starker Antipathien uml Sym-
pathien wählte er streng, bevor er seine Zuneigung verschenkte. Dami aber
war er ein Freund von felsenfester Treue und innigem Mitgefühl, geradezu
dankbar, wenn ihm Gelegenheit geboten wurde, Hilfe zu erweisen, überhaupt
mehr darauf angelegt, zu geben als zu empfangen. Su hatte er sich ein
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Cnmelilu.
nach außen ziemlich abgeschlossenes, nach innen aber desto wärmeres
Familienleben geschaffen, und in einem kleinen Kreis anlianglichcr Freunde
pflegte er einen regen Austausch der Meinungen und Erfalirungen. Auch
seiner Neigung zu großartiger Kreigiobigkeit konnte er frei nachgehen, da in
seinem Hause im Gegensatz gegen die schwere Zeit der Jugend sich der
Oberflafl eingestellt hatte.
In dies behagliche Leben griffen nun noch zwei Vorgänge ein, welche
für den weiteren Verlauf desselben liestiinmend wurden. Der erste entsprang
auf dem Hoden wissenschaftlicher Arbeit.
Während er in übergründlicher Forschung noch innner in den X'orarbeiten
für den dritten Band des Münsterschen Aufruhrs verstrit kt blieb, traf ihn die
Nachricht, dafi sein am 3. Dezember 1873 verstorbener Freund Kampschulte
das Manuskript des zweiten Bandes seines Calvin ihm vermacht habe zur
freien Entscheidung, ob es ganz, teilweise oder verbessert herausgegeben
werden sollte. Indem er nun die Arbeit des Freundes flurchging, mußte er
sehen, wie einige inaligebende l'ul)bkatioMen erst nach Abschluß derselben
hervorkamen, wie die Archive von Cienf und Bern, vor allem die Genfer
Ratsprotokolle, zwar von Kampschulte, dann wieder von Roget durchgearbeitet
waren, aber doch nicht mit solcher Vollständigkeit, dafi nicht eine erneute
Ausschöi>fung die Wechselfälle der Genfer Parteienkämpfe, die Vermischung
kirchlicher bleale und jxditischer Machtfragen genauer und vollständiger an
den Tag bringen mußte. Da faßte er denn mit großartiger Selbstverleugnung
den Beschluß, das von ihm so liochgesi hätzte Werk durch eine erschöpfende
Nacharbeit zu ergänzen: der Geschichtsschreiber der Wiedertäufer wurde zum
Calvinforscher. Jahrelang erschien er jetzt als ständiger Gast in den Archiven
von Genf und Bern, seine Vorlesungen über Reformationsgeschichte teilte er
— allerdings nicht zum Vorteil des Hesuchs — in zwei besondere Kollegien
über lutherische und calvinische Reformation, und von 1886 — 99 veröffent-
lichte er eine Reihe von Abhandlungen, in denen er die Frage stellte: wie
ist Genf calvinisch geworden? eine Frage, die er zu beantworten suchte,
indem er mit eindringendster Prüfung die Kämpfe und Wandelungen seit
dem ersten Einzug Calvins in Genf bis mitten in die Zeit des Ringens um
die l'nterwerfung der Statlt unter den Geist des Reformators, bis ins Jahr 1548,
Schritt für S( hritt verfolgte. F.s war beinahe die Hälfte des gedruckten ersten
Bandes und etwa ein Viertel des ungedruckten zweiten Bandes des Kamp-
schulteschen Werkes, zu dem er diese Abhandlungen als Grundlage für seine
Umarbeitung vorlegte. Schlimm war es, dafi diese Vorarbeiten nicht bis zum
Ende gediehen, und dafi daher die l^marbeitung selbst gar nicht in Angriff
genommen werrlen konnte: der zweite Band des Kainpschulteschen Werkes
blieb also im \'erschluß, bis er endlich, da C.s Kräfte für die Vollendung
der gewaltigen Arlieit versagten, durch W. Goetz unverändert zum Druck
befördert wurde (1899).
Der zweite für C.s Leben entscheidende Vorgang war das vatikanische
Konzil. Wie er sich von vornherein darüber klar war, dafi tlie dieser Ver-
sammlung zugedachten Beschlüsse auf die Verdammung alles dessen, was
ihm für eine würdige Entwicklung des kirchlichen Eebens erforderlic h schien,
hinausgehen mußten, so wählte er auch seine Stellung mit gewohnter Be-
stimmtheit. Als ich ihm einmal von den formalen Einwendungen gegen die
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Cornelius. Passini.
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Gültigkeit <\es Konzils sprach, erwiderte er kurz: ein Konzil ist üherliaupt
nicht herechtifit, uns I nsinn vorzuschreiben. Nach dem Krscheinen der
iimstitutio dogmatica de ecciesia sah er sich tleingemäü vor der \V;Uil, entweder
gleichgültig der hierarchischen Autorität den Rücken zu kehren oder auf
dem Boden der Kirche den Kampf gegen ihre Häupter zu wagen. Durch
An*.chluß an die altkatholische Bewegung entschied er sich für das letztere.
Nicht jedoch, daß er sich {labei mit kühnen Hoffnungen tnig. Tn einem
\'ortnig in der Akademie vom 1. Juni 1872, in dem er seinen alten Satz
wiederholte, daß in den Massen, die der Reformation zum Siege verhalfen,
die rein religiösen Antriebe verhältnismäßig gering gewesen seien, bemerkte
er, daß sich diese Erscheinung im kleinen in der altkatholischen Bewegung
wiederhole; und der Versammlung, die in den Pfingsttagen 1871 im Hause
des Grafen Moy tagte, rief er zu: »Täuschen Sie sich nicht, meine Herren,
ihre Kraft liegt nur in der Negation«. Mißtrauisch zurückhaltend, stimmte
er auch — allein mit Dollinger und Stumpf — bei dem Münchener Kongreß
vom September 1871 gegen den Antrag auf planmäßige Gemeindcbildung.
Als aber die Mehiheit gegen ihn entschieden hatte, nahm er teil an der
Bischofswahl (3. und 4. Juni 1873), trat in die S)modalrepräsentation und
dbemahm den Vorsitz in dem Zentralkomitee für katholische Reformbewegung
in Süddeutschland. Mit dü|)pelter Stärke jedoch kehrte sein Mißtrauen wieder,
als die Synode von 1878 die /,i)lil)at])rticht der tjeistlichen aufhob. Von <la
ab zog er sich aus der Synodal reprasentation zurück, ohne sich jedoch dem
Gemeindeverband 2U entsiehen.
Die kirchlichen Zerwürfnisse wirkten auf C.s Lehramt zurück. Als der
ilim wenig gewogene Minister Lutz im Jahre 1885 dem siebzigjährigen Giese-
brecht einen Nachfolger ernannte, dehnte er dieselbe Maßregel auf tien vier
Jahre jüngeren C. aus. Noch setzte letzterer einige Jahre seine N'orlesungen
fort, aber als auch er das siebzigste Lebensjahr vollendet hatte, gab er sie
auf. Im November 1897 mahnte den jetzt Achtundsiebzigjfthrigen ein Schlaga
anfall an das Ende. Dank strenger Vorsicht und der liebevollen Piege der
Seinigen verlängerte er sein Leben noch um reichlich fünf Jahre, dem ge-
lehrten Schaffen entsagend, aber in unermüdlicher Lektüre stets mit dem
geistigen Abbild fler Welt l)es(:häftigt. He vor dimn der bei seinem Leiden
drohende Verfall der Cieisteskräfte eintrat, befreite ihn der Tod, dem er fest
und mhig entgegengesehen hatte.
K. Th. Hdgel, Beilage mr »MOnchener AUg. Zeitg.c 1903, Nr. 184— 1S5. — W. Goets,
Mi-'orisrhe X'ienelj.ihrsschrift 1903, S. 449. — Gedichtiiisrede FHedriclu in dcrMflndiener
Akademie, 12. November 1904.
' Wiederholt aus den »Forschungen xur Geschichte Bayerns«, Heft l und 2, mit Ge*
Mhmigung der Vcriagthandliing Rudolf Oldenbouig, Manchen. MoritZ Ritter.
Pasrini, Ludwig Aquarellmaler, * 9. Juli 1832 zu Wien, f 6. November
1903 zu Venedig. — P. starb als eines der beliebtesten Mitglieder der Ber-
liner Künstlerkreise, in denen er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens
e/nc gesells< liaftliche Kolle spielte; nach CJeburt und Erziehung war er
Österreicher und wird von der Wiener Kunst unter den Sittenmalern, Kur/-
bauer, Angeli u.a., neben Pettenkofen als einer der besten für sich in An-
spnch genommen; die eigentliche Heimat aber, die Heimat seiner Kunst
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Pkssini.
war Venedig, und in der Reihe der (^enremaler der Lagunenstadt, Tito,
Nono, Zezzos, Eugen Bl.ias, steht vr obenan. Als Sohn des viel!)eschäftigten
Wiener Ku|)ferstc<'hcrs Johann I'. besuchto er (h"c Wiener Akafleinie, wo
Kiihri( h, Kupelwiescr und Knder seine I -ehrer waren, verlieü sie aber im
Jahre 1850, als seine Eltern nach 'J'riest zogen; späterhin gingen sie nacli
Venedig, das damals österreichischer Besitz war. Hier fand der junge P. den
Mann, der bestimmend und richtunggebend auf seine Kunst einwirken sollte
und mit dem ihn nachher viele Jahre gemeinsamen Schaffens verbanden,
den Aquarellmaler Carl Werner aus l,cij>zij^. Dem Zupe seiner Zeit fol^'end,
hatte dieser auf großen Reisen, in Ägypten, ( irieehenland, Palästina, die
Stoffe seiner Kunst gesucht und an dem hellen Lichte tles Orients seine
frische Aquarelltechnik gebildet. Nach zehnjährigem Aufenthalt in Rom
gründete ÄVemer 185 1 ein Meisteratelier in Venedig, das durch fünf Jahre
bestand und dessen bester S< hüler P. war. Werners Kunst hatte damals in
Italien großen llrfolg und übte in weiten Kreisen I'influß; unter dieser Ein-
wirkung wandte sieh auih 1". ganz der Aquarellmalerei /.». Im Jahre iS-^s
ging er mit Werner zusammen nach Rom, wo sich um seine liebenswürdige
Person ein grofier Freundeskreis scharte. Hier entwickelte sich seine Kunst
auf ihrem beschränkten Gebiet zur Blüte und seine Bilder wurden Jahre
hindurch mit großem Erfolg aufgenommen und hoch geschätzt, besonders
in Deutschland, so daü er ^idi entschloß, iiai h Berlin zu ziehen, wo er
auch viel Heifall für seine nrrhatt auf^-efaliten Porträts erntete. 1.S78
wurde er zum k. k. Professor ernannt, auch gehörte er den Akademien in
Wien, Berlin und Venedig als Mitglied an. In seinen venezianischen Aqua-
rellen zieht eine bunte, heitere Reihe von Szenen aus dem Volksleben und
von Ausschnitten aus dem Straßenbilde der Stadt an dem Hes( hauer vorüber;
er mischt sich unter das lärmende \'olk auf dem Markte, blickt mit den
Neiigierij^eii von der Brücke ins Wasser. Inl^l dem zierlich dahineilenden
Mädchen in die engen, schattigen Gas.sen, sieht nnt ihm vom Balkon her-
nieder oder lauscht dem Gesang in der dämmerigen Kirche. Die Gruppen
wirken oft gestellt, aber meistens trägt die feine Beobachtung des Lebens
den Sieg davon, und wenn auch das erzählende Moment, der stoffliche
(Jehalt an den Bildern die Hauptsache /u sein scheint, so ist die malerische
Wirkung dabei nie veina( hlassigt und neben der teilweise süßlichen, schonen
Eormengebung kommt tlie prägnante Charakteristik nicht zu kurz. Da.s
schönste an den Bildern ist die Aquarelltechnik an sich, die weiche, warme
tiefe Farbe, die an Glut und Leuchtkraft bisweilen der Ölfarbe ganz nahe
kommt, freilich aber wieder häufig den alten Meistern näher liegt, als der
feuchten fbrnim-rnden Helle der Wirklichkeit. Zu den beliebtesten seiner
Hilder geluiren die Kürl)isverkäufer in Chio^gia (1S76, Kunsthistorisches
Museum, Wien), die Chorherren in der Kirche« («870, Nationalgalerie,
Berlin), die »Neugierigen, von einer Brücke zum Kanal schauend« (Breslau,
Schlesisches Museum).
Literatur: Muther, Gescbichte der Malerei im 19. Jahrhundert, 1894; Hevesi,
Österreichische Kunst di-s i<). Jahrhunderts, 1903; Itoetticher, Malcrwerke des 19. Jahr-
hunderts. Kunstcbionik XV. Kunst für Alle XIX. Chroniqut da Artt 1903. Neue
Freie Preme No. 14 101 (A. F. Seligmann).
Hugo Schmerber.
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Gaedeits.
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Gaederti, Theodor» * 6. Dezember 181 5 in Lübeck, f 22. November 1905
ebenda. — Am Totensonntag hauchte Theodor GaederU in Lübeck, fast 88 Jahre
alt, seinen Odctn aus. Kr war der Hauptbegründer der deutschen Kunstvcrcine,
mit Wort uml Schrift bei den Kunstkongressen uncrnnidlich beteiligt, ein
Förflcrcr nachmals berühmt gewordener Maler, als guter Kenner von (k'-
mäkicn, gerciller Kritiker und tüchtiger Kunsthistoriker allgemein ge.schätzt.
Einer altangesehenen Lübeckischen Familie entstammend, wachs der
Knabe in einer Atmosphäre auf, die aus Kunst und Wissenschaft und prak-
tischer, opferbereiter Betätigung zusammengesetzt war. Sein Großvater, ein
Hanseat von e< htem Schrot und Korn, als Notabel in der Kranzosenzeit
mehrfach .Abgesandter der Freien Stadt laihc< k an den Kaiser Napoleon,
schon in jüngeren Jahren als Autorität auf dem Gebiete des Handelsrechts,
speriell im Assekuranzwesen von Friedrich dem Grofien anerkannt, besaß
eine der trefflichsten Privatgemftldegalerien im nördlichen Deutschland; die-
selbe hat sein Vater, Lübeckischer Senator, mit Gesdimack und Glück ver-
mehrt, so dafi jeder kunstverständige Fremde sie als Sehenswürdigkeit be-
sachte.
Kein Wunder, wenn der Enkel und Sohn zweier so hervorragender
Persönlichkeiten schon früh Freude an der Malerei und einen feinen Kunst-
sinn in sich aufsog!
G. entschied sich zwar für das Studium der Kcrhtswisscnschaft, dem er
auf den Tniversitäten Honn und Göttingen oblag; aber giei<'h nat ]i fler Pro-
motion zum Dr. iuris wandte er sich in Herlin seiner I .iet)lingsneigung, der
Kunstgest:hichte, zu, nachdem er als Schüler des hannoverschen Hofmalers
Karl Oesterley sich bereits keine ganz geringe technische Fertigkeit in der
Ölmalerei angeeignet hatte, wovon eine kleine Zahl sauber ausgeführter Bilder
seagt. Gustav Friedrich Waagen und Franz Kugicr wurden seine Lehrer;
sie traten ihm auch freundsc liaftb« h n;ilier. desgleichen die bei<!eii Knnst-
forscher, Ferdinand Sotzmann und Karl i riedrich von Rumohr. Zumal letzterer,
der nach Lübeck übersiedelte, kam oft und gern in die Galerie Gaedertz,
sich mit Vater und Sohn über die verschiedenen Malerschulen und einzelnen
Meister unteihaltend.
Kurz sei erwähnt, dafJ ('• na( h bestandenem Staatsexamen in seiner
Vaterstadt sich 1840 als .Advokat und Notar niederlie(3, i.Sjy < )!)ergcrichts-
prokurator, 1X5,6 Verwaltungsbeamter des neugebildeten Landamtes und 1871
erster Obcrbcamter des kombinierten Stadt- und Landamtes wurde, in welcher
Kigenschaft er, namentlich als Obervormund, voller Pflichttreue viele Jahr-
zehnte hindurch eine segensreiche Tfttigkeit entMtet hat.
Für Lübecks Kunstleben bedeutete die Heimkehr des jungen kunstbe-
geisterten und kunstwissenschaftlich geschulten Mannes einen wichtigen Ab-
schnitt. Was G. als langjähriger Schriftführer bzw. Direktor des laibecker
Kunstvereins, dessen Ehrenmitglied er später geworden ist, anregend und be-
fruchtend geleistet hat, gleidhsam als VorkAmpfer, bleibt von dauerndem
Gewinn, wenn auch die jetzige Generation kaum weiß, wem der gegen-
wärtige hohe Stand der dortigen Kunstintercssen in erster IJnic verdatikt wird.
Das Jahr 1850 sollte für die deutsche Kunst ein entscheidendes sein.
G. war CS, der Hand in Hand mit Merteiis-Hremen den Gesamtverl)and der
Kunstvereine des nordwestlichen Deutschlunds schuf, sowie noch im näm-
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Gaedcm. Meinecke.
liehen Jahre mit Luramis-Halberstadt einen Kongreß der deutschen Kunst-
vereine nach IJerlin berief, erspricfJIi( Ii, ja bahnbrechend für unsere seitdem
ZU SO hoher Blüte und Ik'deutung gelan^'tiMi K unstaussteihmgen.
Zähe Ik'harrbchkeit und ein still loderndes Feuer des wärmsten, wahren
Kunstenthusiasmus ließen ihn nach außen hin als Keorganisator der deutschen
Kunstvereine einen vollen Erfolg erzielen.
Daneben sich kunstgeschichtlich eifrig beschäftigend, hat der arbeitsame,
bescheidene Gelehrte eine Reihe von Büchern herausgegeben, die ihm auch
als Schriftsteller einen geachteten Namen sichern, vor allen die Monographien
und EiiizeluntersiK hangen über Adrian van Ostade, Holhein, Memling,
Kubens und Johann Kemmer, sowie seine unter dem Titel »Kunst-streifzüge«
gesammelten Aufeätze und Vorträge, welche sogar des Fürsten Bismarck
Beifall fonden.
Dem deutschen \'olkc wird G. wert bleiben durch seine innigen Be-
ziehungen zu einem der besten Dichter unserer Tage, Kmanuel (jcibel. b h
darf wohl, ohne zu befürchten, mißverstanden zu werden, hier offen bekennen,
daß iler junge Geibel als Student zu Bonn am Rhein uns nicht so nahe ge-
rQcIct, nicht so lieb und vertraut geworden wäre, hätten wir nicht die Auf-
zeichnungen seines Landsmannes und Kommilitonen G., die ich in meiner
Biographie »P^manuel Geibel, Sänger der Liebe, Herold des Reiches« habe
veröffentlichen dürfen.
Dafür dankt ihm der Sohn, dafür dankt ihm jeder Verehrer Cieibels.
Karl I heodor Gaedertz.
Meinecke, Gustav Hennaiui, deutscher Kolonialpolitiker und Kolonial»
Schriftsteller, • 15. Februar 1854 in Stendal, f 11. April 1903 in Berlin. —
Ohne einen gelehrten Beruf ergriffen zu hal)en, wanderte M. in jugendlichem
Alter nach Nordamerika aus und iicli siih nach längerem mhcrzit'lien
schließlich in Texas nieder. Auf mehrjährigen Reisen erwarb er sich dann
eine umfassende Kenntnis der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse
in den wichtigsten überseeischen Kolonien der großen Weltmächte. Später
kehrte er nach Europa zurück und war vorübergehend in Baris und Zürich
als Redakteur tätig. Als um die Mitte der achtziger Jahre die deutsche
Kolonialbewemiiig um si( h griff, trat er mit Begeisterung für sie ein, siedelte
nach Berlin über und entfaltete eine umfa-ssentle agitatorische Wirksamkeit.
Vor allem bemfihte er sich, durch die Presse die breiten Sdiichten des Volkes
fttr eine kraftvolle deutsche Kolonialpolitik zu erwärmen. 1887 Obemahm er
die Redaktion der Deutschen Kolonialzeitung, des amtlichen Organs der
Kolonialgesellschaft. Seit 1.SH8 gab er übei(lie'> ein Koloniales Jahrbuch her-
aus, das einen guten ( berblit k über alle einigerniaüen bedeutsamen \'orgänge
auf kolonialem Gebiete während des letzten Jahres brachte, aber nach elf-
jährigem Bestehen wieder einging. 1889 liegründete er den sehr praktisch
eingerichteten, nach seinem Tode von Alfred Herfurth fortgesetzten deut-
sehen Kolonialkalender, der jedes Jahr eine Menge neuesten Materials ver-
wertete und nicht nur alles Nötige über Bev()lkerung, Produktion und Handel
der einzelnen Schutzgebiete, über koloniale Beamte und Behörden, Missions-
wesen und l ortschritte der Zivilisation und Gesetzgebung, sondern auch Rat-
schläge für Auswanderer und wissenschaftliche Reisende, sowie Hinweise auf
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Mehiecke.
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<lie neueste Fachliteratur enthielt. Zum Teil auf Grund eigener Anschauun-
gen schrieb er seine Hücher: Sechs Jahre Deutscher Kolonialpolitik (unter
ik-n\ Pseudonym W. Weißenborn, 1^90), Deutsclie Kultivation in Ostafrika
(1892) und Aus dem Lande der Suaheli (1895), in denen er namentlich für
die Anlegung von Zuckerrohrpflanznngen in dem fruchtbaren Schwemmlands-
gebiete am Pangani eintrat. Auch durch belletristische Darbietungen (AttS
dem K reolenhuule, 1888; Kxotische Novellenbihliothek , 4 Bände 1895 -97;
Aus drei Weltteilen, gesammelte Novellen, Skizzen und Krzählungen, 2 Hiiiule
1900 — Ol), die allerdings höhere künstlerische Ansprüche nicht zu befriedigen
vermögen, suchte er das gröflere Lesepublikum fttr die überseeischen Ver-
hJUtnisse zu interessieren. 1895 gründete er in Berlin den Deutschen Kolonial'
verhig, der schon nach wenig Jahren eine gröflere Zahl von Werken über
Kolonialpolitik, Exportwesen und tropische Agrikultur umfaßte. Haid darauf
arbeitete er den in J. J. Webers Sammlung illustrierter Katechismen erschie-
nenen etwas veralteten Katechismus der Auswanderung den modernen An-
forderungen entsprechend zu einem sehr brauchbaren Handbüchlein um.
Eine überaus rege Tätigkeit entfaltete er 1896 anlftfilich der ersten deutschen
Kolonialausstellung in Herlin. F.r verfaßte nicht nur den offiziellen Katalog
und den Führer für die Hesucher, sondern redigierte auch den im folgenden
Jahre in Form eines großen Prachtwerkes mit vielen 'l'afeln und Abbildungen
erschienenen amtlichen Bericht: Deutschland und seine Kolonieen im Jahre
1896. Allmählich aber wich seine Begeisterung für die deutsche Kolonial-
politik einer gewissen Ernüchterung. Die Verwaltung der Schutzgebiete
schien ihm allzu sehr von Militarismus und Bureaukratie beherrscht zu sein.
Auch fand er sie viel zu kostspielig und umständlich. An Stelle des zur-
zeit bestehenden Systems empfahl er nac h englischem Vorbild eine vorwie-
gend wirtschaftliche Ausnützung der Kolonieen. Den maßgebenden Kintiuß
der O^iere und Juristen wünschte er durch den der Pflanzer und Kaufleute
ersetzt zu sehen. Da seine Ansichten, wie auch die impulsive Art, mit der
er sie persönlich und literarisch vertrat, viel Widerspruch erregten un<l ihn
in zahlreiche verdrießlicht Streitigkeiten ven\'ickelten, legte er 1899 die Re-
ilaktioM der Kolonialzeitung nieder und beteiligte sich bald darauf an der
Gründung der kolonialen Zeitschrift, welche in Verbindung mit dem agita-
torisch tätigen deutschen Kolonialbunde für eine entschiedene Reform der
amtlichen Kolonialpolitik unter vorwiegender Berücksichtigung wirtschaftlicher
Gesichtspunkte eintrat. Diese Forderung erhob er auch in seinen letzten,
vorwiegend für den praktischen Gebrauch bestimmten Werken : Die deutschen
Kolonieen in Wort und Bild (1899); Der deutsche Fxport nach den Tropen
und die Ausrüstung für die Kolonieen, ein illustriertes Handbuch für Reisende,
Beamte und Offiziere der Schutztruppen (1900); Wirtschaftliche Kolonialpoli-
dk (1900, Band I: Betrachtungen und Anregungen, Band II: Die Undurch-
f&hrbarkeit des Programms des Herrn von Liebert und ein neues Kolonial-
programm); Der Kaffeebau in Usambara, seine Aussichten und seine Rettung
(1900) und Seidenzucht in den Kolonien (1901, gemeinsam mit W. von Bülow
verfaßt). Alle diese Werke sind von aufrichtiger Vaterlandsliebe getragen
und zum Teil sehr anregend und gemeinverständlich geschrieben, doch ent-
wehren sie in einzelnen Angaben vielfoch der Zuverlässigkeit. Sie wenden
»ch nicht an die SlSnner der Wissenschaft, sondern lediglich an die weiteren
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Meinecke. Schutte.
Kreise der Kül(Jiiialfroun<le. In diesen liahen sie ohne Z\veifc-1 viel zur Ver-
breitung von genaueren Kenntnissen ül)t.'i unsere überseeischen Hesitzungen
und zur Ausrottung von tief eingewurzelten Irrtümern und Vorurteilen bei-
getragen. Dasselbe gilt auch von seinen zahlreichen Aufsätzen, die er in
angesehenen Tagesblättem veröffentlichte. Neben seiner schriftstellerischen
Tätigkeit hat er auch mehrfach praktische Arbeit für die Kolonieen geleistet
Er verwaltete einige Zeit das licrliner Kolonialmuseuni, l)egründete die l'sam-
l)ara-Kaltcebau-( 'ifsfllsc Haft und wirkte auch bei mehreren anderen kolonialen
Krwerbsgesellschalien, namentlich bei der Kameruner Kakao-Plantagen-Ge-
sellschaft vorübergehend in leitender Stellung. Am ii. April 1903 starb er
zu Berlin noch im besten Mannesalter, aber von langer Krankheit ge-
brochen. Die Genugtuung, seine Wünsche und Forderungen erfüllt zu sehen,
blieb ihm versagt. Viktor Hantzsch.
Schurtz, Camillo Heinrich, * 11. Dezember 1S63 zu Zwickau in Sachsen,
f 2. Mai 1903 zu Bremen. — S., einer der befähigtsten und vielseitigsten unter
den jüngeren deutschen Ethnologen, wurde als Sohn eines Arztes und Berg-
direktors geboren. Erbesudite zunächst die RUrgerschuIe, dann mit mäßigein
Krfolg das (Jyninasium seiner Vaterstadt. Nachdem er Ostern 1884 die Reife-
prüfung nur mit der Zensur III'* bestanden hatte, trat er als Freiwilliger in
das 133. Infanterieregiment ein, mußte aber sciion im folgenden Krühjahr
wegen Krankheit wieder entlassen werden. Nach seiner Wiederherstellung
bezog er die Universität Leipzig, um Naturwissenschaften und Geographie zu
studieren. Der bedeutsame Eindruck, den die Persönlichkeit seines Lehrers
Friedrich Ratzel auf ihn ausübte, veranlaßte ihn, si» h auf dessen Rat ganz
der Kthiiologie zuzuwcn« L 11. 1 )iesem ( ietiicte gehört auch seine erste größere
Arbeit über das Wurlmcsser der Neger an (Leiden 1Ü89), mit der er den
philosophischen Doktortitel erwarb. Auf Grund umfassender Kenntnis der
älteren und neueren Reiseliteratur stellt er darin die geographische Verbrei-
tung des Wurfmessers fest und weist seine Entstehung aus dem von vielen
Naturvölkern gebrauchten \Vurflu)lze nach, schildert seine Handhabung und
beschreibt die wichtigsten l'orinen, die er auf einige wenige Tvpen zurück-
zuführen sucht. Kine lafel mit 60 Abbildungen erläutert den Text in an-
schaulichster Weise. Dieses Erstlingswerk wurde von Friedrich Ratzel, auf
dessen Anregung es entstanden ist, als ein gutes Beispiel der Anwendung
der anthropogeographischen .Methode auf ein ethnographisches Problem ge-
rühmt. Während si( h S. in dieser .\rl)eit mit Erzeugnissen weit entfernt
wohnender N'ölkerstänmie beschäftigte, ilie er niemals gesehen hatte, fand er
für seine nächsten Schriften den Stoff in der Heimat. \ on Jugend auf war
er ein begeisterter Freund des Fuflwandems. Das heimische Erzgebirge
durchzog er nach allen Richtungen, namentlich wenn er als Student die
Ferien in Schmiedeberg, dem damaligen Wohnsitz seines Vaters, verlebte. Mit
offenem Sinn ließ er die Schönheiten der Landschaft auf siih einwirken,
aber auch der niedergehende Bergljau und die volkstümlichen (Überlieferungen
der Bewohner erregten sein Interesse. Aus diesen Kindrücken entstand all-
mählich seine Abhandlung: Über den Seifenbergbau im Erzgebirge und die
Walensagen (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Band 5,
Heft 3, Stuttgart 1890). Darin geht er von den ältesten vorgeschichtlichen
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Scbaits.
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Spuren der Metallgewinnung im s;u lisis( li-l)ölimis( hen (ironzgebirge aus. Hier
vkar ja eine der wichtigsten J'\nHJst.ltten des Zinns, das seit grauester \'orzeit
2ur Herstellung der Bronze verwendet wurde. Lange Zeit gewann man das
hochgeschätzte Metall nicht durch bergmännischen Abbau aus dem festen
Gestein, sondern durch die Ausbeutung von Seifenlagem, also von erzführen»
den FluQablagemngen. Dieser Seifenbergbau wurde im Krzgebirge nicht nur
auf Zinn, sondern auch auf (rold und Halbedelsteine betrieben und zwar der
Sage nach vor allem durch Italiener, Juiien und Zigeuner, die man unter
dem Namen Walen zusammentalite. Nach dem (ilauben des Volkes sollen
diese ungeheure Schätze gewonnen und nach dem Auslande geführt haben.
Ihre Kenntnisse über das Vorkommen wertvoller Mineralien haben sie in den
sogenannten Walenbüchem niedergelegt, deren Angaben allerdings kritischer
Prüfung nicht stanilhalten. Während S. in <lieser Schrift seine Neigung zu
urgeschichtlichen Forschungen bekundete, zeigte er sich in seiner näc hsten
über Die Pässe des Krzgebirges (Leipzig 1891) als tüchtiger Geograph, der
namentlich dem Gebiete der Anthropogeographie neue Gesichtspunkte abzu-
gewinnen verstand. Er versuchte darin nachzuweisen, dafl die Straften, über
das Krzgebirge ihrer Lage und Richtung nach nirht wie die Pässe der Alpen
von der Natur vorgezeichnete Wege sind, sondern daß ihre Kiitstehung ein
anthropoge()gra[)hisclK-s Problem ist. Das ergibt sich daraus, dali die ^Tiitie-
ren Städte und Verkclirsmittelpunkte am FuQe des höheren l^rzgebirges nicht
den Gebirgsstraflen ihre Entstehung verdanken. Vielmehr haben diese Städte,
die ursprOnglich Kulturzentren fruchtbarer I^andstriche oder reicher Bergwerks*
distrikte waren, erst mit der Zeit bewirkt, dafl sich aus der grofien Zahl mög-
licher Stralk'ii bestimmte (Iruppen ausschiedet^ und vorwiegend entwickelten.
I)ier>e IjciiJen Heitriige zur Heimatkunde liattcn indessen S. nicht seinem
Hauptarbeitsgebiete, der Völkerkunde, entfremdet. iJas bewies er durch eine
bald darauf erschienene gedankenreiche Schrift: Grundzüge einer Philosophie
der Tracht mit besonderer Berücksichtigung der Negertrachten (Stuttgart
J891). Kr kommt darin im Gegensatz zu vielen anderen Forschem ZU dem
Krgebnis, daß die F.ntstehung der Tracht auf die kegungen des der inensi h-
lichen Natur eingebtjrenen Schamgefühls zurückzuführen sei, das bei keinem
Volke ganz fehlt und eme notwendige Folge der gesellschaftlichen Entwick-
lung der Menschheit, namentlich der Ehe ist. Später kam er von dieser
Ansicht zurück, und schon nach wenig Jahren bezeichnete er das kleine Werk
als einen gut gemeinten, aber noch unreifen Versuch, die tiefere soziale Be-
deutung der Irachtenprobleme darzustellen. Nach dem Krscheinen dieser
Arbeit habilitierte er sich, einem Wunsche seines Lehrers Friedrich Ratzel
folgend, an der Leipziger Universität als Privatdozent. Als solcher hat er
vier Semestor hindurch Vorlesungen über Landes- und Volkskunde von Mittel-
deutschland, über Vorgeschichte des Menschen, über die alten Kulturvölker
der Erde, über die Völker Kuropas und über Kunst und Dichtung bei den
Xatun'ölkem abgehalten. Vm den Studierenden Gelegenheit zu geben, sich
rasch einen kurzen, aber ausrei( henden (^berblick über das weite debiet der
Völkerkunde zu verschaffen, veröffentlichte er in Webers Samndung illustrier-
ter Katechismen einen Katechismus der VOlkeritunde (Leipzig 1893), der eine
reiche Fülle von Stoff in knappster Form, aber klar und wohlgeordnet zu-
sauunenfoflte.
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SchnrlJt.
Nocli in demselben Jahre er<(ing ein Ruf iles Direktors S( hauinsland in
lircinen an ihn, die Einrichtung und Vergröüerung des mit dem dortigen
Museum für Naturkunde verbundenen Museums für Völker- und Handelskunde
XU ttbemehmen. Da die Stellung eines Assistenten hinlängliche MuOe und
reiche Anregung durch den täglichen X'erkehr mit den aufgestapelten ethno-
graphischen Schätzen verhieß, nahm er sie an, und er hat diesen Schritt
auch nie l)ereut, um so mehr als ihm die reichen Mittel des Museums einige
gröUere Studienreisen nach den Mittehneerländern, nach Spanien, Nordafrika
und Kleinasien ermöglichten. Unter den Beständen der Sammlung waren
namentlich viele durch aujEbülende Farbengebung und charakteristische Or-
namentierung ausgezeichnete Schnitzereien melanesischer Naturvölker ver-
treten. Die Vergleichnng dieser eigenartigen Kunsterzeugnisse mit <lenen
aiKkrer X'ölkcr führte ihn allmählich zu Krkcnntnissen von weittragender
Ik'deutung, die er in seiner näi hsten Schrift über Das Augenornanient und
verwandte i'robleme (im 15. Ban<le tier Abhandlungen der Kgl. sächs. Gesell-
schaft der Wissenschaften, Leipzig 1895) niederlegte. Darin weist er nach,
daß die Augenbilder in den verschiedensten Verbindungen und ornamentalen
Verflechtungen nicht nur 1 < i den Melanesien! und den Urbewohnem Neu-
seelands, sondern auch bei licn Nordwestamorikaneni und den altamerika-
nischen Kulturvölkern in merkwürdig übereinstiinincnder Weise zur Aus-
schmückung von Gerätschaften und Kleidern verwendet wurden. Aus dieser
Tatsache, wie auch aus verschiedenen Vorstellungen mythologischer Art, die
auffallende Ähnlichkeit zeigen, zieht er den Schlufi, daß diese Völker einst
in einem nahen verwandtsch.iftlichen oder wenigstens kulturellen Zusammen-
hang gestanden haben müssen. Auf ein ganz anderes Gebiet führte ihn bald
darauf seine Beschäftigung mit der neu angelegten Cicldsammlung des Bre-
mer Museums. Kr legte sich die Kragen vor: welche Wertmesser gab es vor
unsenn Gelder aus welchen Anfängen hat sich das Geld entwickelt, und
welche Entwicklungsstufen sind jetzt noch nachweisbar? Aus der Beant-
wortung tliescr I'r Igen erwuchs sein Grundriß einer Entstehungsgeschichte des
(ieldes (Bantl 5 der Heitr.äge zur \\»lks- und X'iWkorkuiuie, Weimar 189S).
Darin erörtert er in geistreicher Weise die zahllosen \ crx hicdenartigen primi-
tiven Keime und Ansätze des Geldwesens und die damit in engem Zusammen-
hange stehenden Anfilnge des Eigentums und des Handels. Er gelangt zur
Unterscheidung zweier Arten von Geld: des Binnengeldes, das seine Wurzel
im menschlichen Schmuckbedürfnis hat und nur innerhalb des einzelnen
Stammes gilt, uiul des Aufiengeldes, das dem Verkehr verschiedener Stämme
miteinander dient.
Um dieselbe Zeit beschäftigte ihn noch ein anderes weit ausschauendes
Unternehmen. Sein Freund Hans Heimol t, gleichfalls ein SchQler Friedrich
Ratzels und vi>n dessen Ideen beeinfluflt, bewog ihn zur Mitarbeit an der
von ihm herausgegebenen, durch ihre eigenartige Anordnung des historischen
Stoffes nach X'ölkerkreisen bekannten großen Weltgeschichte des Bibliogra-
phischen Instituts (Leipzig 1899^'.). S. hat für diocs licdcutsame l'nter-
nehmen mehrere umfangreiche Abschnitte beigesteuert. Für den zweiten Band
bearbeitete er Hochasien, Sibirien und Indonesien, für den dritten Westasien
und Afrika, fQr den vierten die südlichen und westlichen Mittelmeerländer.
Daneben reiften aber auch noch andere Früchte seiner unermüdlichen und
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Schnitz.
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vieNcitijzon Tätigkeit. 1899 hatte die Fürstlich Jal)Ion()\vskis( he (Gesellschaft
in Leipzig eine Preisaufgabe pesteilt, welche eine eingehende l'ntersuchung
und vergleichende Darstellung des nationalen (Jewerbes bei den eingeborenen
Vöikmi eines oder mehrerer aufiereuropäisdier fötlteile unter besonderer
Berücksichtigung der Betriebsfonnen der Stoffumwandlung und der Absatz-
weisen der Fabrikate forderte. S. gewann den Preis durch seine Abhandlung
über Das afrikanische Gewerbe (Leipzig 1900). Darin weist er zunäc hst auf
die Wichtigkeit Afrikas für die Kenntnis primitiver Kultiii Verhältnisse hin.
Dann schildert er die bei den dort wohnenden Naturvölkern übliche Arbeit^-,
teilung zwischen den beiden Geschlechtem, hierauf die an gewisse Orte oder
Stimme gebundenen und die von einzelnen Individuen betriebenen Gewerbe,
weiterhin die Keime höherer gewerblicher Organisationsformen, endlich den
Absatz gewerblicher Erzeugnisse und die dabei üblichen Handelsgebraiu he.
In demselben Jahre schloß er auch noch sein Hauptwerk ab, das seinen
Namen in weiten Kreisen der Gebildeten bekannt machte, tlie l rgeschichte
der Kultur (Leipzig und Wien 1900), eine Frucht siebenjährigen Fleiftes.
Darin will er die Anfinge jener gewaltigen geistigen Erbschaft, an der die
Menschheit seit Jahrtausenden spart und die sie immer weiter zu vermehren
trachtet, auf Grund .seiner umfa.ssenden Kenntnis der vorgeschichtlichen Funde
untl tler in ilen deutschen Museen aufbewahrten Werke der Naturvölker dar-
stellen. Keine Seite des Kulturlebens hat er dabei vernachlässigt. Er schil-
dert die Anfänge der Gesellschaft und der sozialen Schichtungen, die Ent-
stdiung des Staates und die Entwicklung von Sitte und Brauch. Daneben
untersucht er in tief eindringender Weise die Ausgangspunkte der mensch-
lichen Wirtschaft und ihre primitivsten Formen, die ältesten Kultur])rtanzen
un<l Haustiere, die frühesten Spuren von (bewerbe und Handel. Besonders
ausführlich bespricht er die Entstehung der materiellen Kultur, die allmählich
fortschreitende Benutzung und Beherrschung der Naturitrftfte, die Technik, die
Waffen, Werkzeuge und Gerite, Schmuck und Kleidung, Bauwerke und Ver-
kehrsmittel. Von eigenartigem Reize sind seine künstlerisch i^gerundeten
(ieii.uikengänge über die rrgeschiclitc der Geiste^kultur, über die Anfänge
\on S]>ra( he, Kunst, Religion, RechtspHege und Wissenschaft. In diesen Ab-
schnitten hat er sein Eigenstes und Bestes gegeben. Hier merkt jeder Leser,
dafi ein Stoff und Form gleichermaßen beherrschender Meister der Wissen-
schaft zu ihm spricht. S. selbst aber war von einzelnen Teilen des Buches
nicht \ befriedigt. Namentlich die schwierigsten Probleme der Sozio-
logie, die Fragen nach dem Ursprung der (iesellschaft und des Staates,
reizten ihn zu immer tiefer eindringenden l ntersuchungen. Hie erste dieser
tragen suchte er zu lösen durch sein Werk: Altersklassen und Männerbünde,
eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft (Berlin 1903). Darin will
er nachweisen, dafi die Gesellschaft sich nicht, wie vielfach angenommen
wurde, allein aus der Familie, sondern vor allem aus ilen geselligen Verbän-
den der Männer entwickelt habe, die noch heute bei vielen Naturvölkern
nach Altersklassen geordnet, sicli in gewissen ausschlielilich für iliesen Zweck
bestimmten Häusern regelmäliig zu versammeln pflegen. Nach der Vollen-
dung dieses Buches wollte er noch einmal wie vor 10 Jahren das weite Ge-
biet der Ethnologie auszugsweise in Form eines Leitfadens darstellen, aber
der Tod nahm dem Unermfidlichen plötzlich die Feder aus der Hand. Am
Bfqgr. /«brbueh «. Dtutidier Nekroloc. 8. Bd. 3
34
Sehurts. Rage.
2. Mai 1903 starb er noch im besten Mannesalter zu Bremen infolge einer
Blinddarmentzündung. Auf dem Friedhofe zu Loscbwitz bei Dresden liegt
er begraben. Sein nachgelassenes Kompendium der Völkerkunde erschien
wenige Wochen später als Band 16 der von Maximilian Klar herausgegebenen
Sammlung: Die Erdkunde (Leipzig und Wien 1903).
S. war ein Mann von mittelgroßer Gestalt und wenig auffälliger Gcsichts-
bildung. Seit früher Jugend hatte er viel unter Krankheiten zu leiden, doch
beeinträchtigten diese nur vorübergehend seine bewunderungswürdige Arbeits-
kraft. Trotzdem der hinreiflende Flafi der Rede ihm versagt war, übte seine
Persönlichkeit auf alle» die niher mit ihm verkehrten, einen eigenardgoi Reis
aus. Gegen Fernstehende verhielt er sich meist kühl und schweigsam, und
im Verkehr mit ihnen konnte er eine f^ewisse Schüchternheit nie überwinden.
Da er auf AulJcrlichkeiten wenig Wert legte, blieb ihm der Vorwurf gesell-
schaftlicher Nachlässigkeit nicht erspart. Wer aber sein Vertrauen gewonnen
hatte, dem offenbarte er allmlUidi sein überaus eigenartiges Innenleben.
Er war eine KQnstlematur, durch und durch Idealist und Stimmungsmensch,
phantastisch veranlagt und einer mystischen Betrachtung des Lebens und der
Außenwelt zugeneigt. Das l'ranszcndentale hielt er nicht für eine theore-
tische Hilfsvorstellung, sondern für eine reale Macht, mit der er Beziehungen
anknüpfen konnte. Gelegentlich glaubte er mit Geistern und Abgeschiedenen
in Verkehr zu stehen. Seine Gedankenrichtung war eine vorwiegend intuitive.
Deshalb begnügte er sich in seinen Schriften nicht mit der induktiven Weise des
Sammeins, Beschreibens und Vergleichens von Einzelheiten, sondern er ver-
band sie gern mit der deduktiven Methode, indem er von allgemeinen
Gesetzen ausging, nach denen sich seiner Überzeugung gemäß das Kulturleben
der Menschheit entwickelte. Sein Stil ist weit entfernt von gelehrter Trocken-
heit, vielmehr flüssig, klar und gedankenreidi. Soveit es der Stoff irgend
zuliefl, strebte er nach künsderischer Ausgestaltung und Abrundung. Schon
in früher Jugend hatte er sich als Dichter versucht. Ein Drama Schwan-
hildis , (las an eine Sage seiner Heimatgegend anknüpfte, ist im Druck er-
schienen (Zwickau 1890). Neben seinen selbständigen Werken hat er noch
eine große Zahl von kleineren Abhandlungen in angesehenen Zeitschriften
veiöfi^tlicht, so in Petermanns Mitteilungen, im Archiv für Andiropologic,
Globus, Ausland und Internationalen Archiv für Ethnographie, in den Deut-
sehen Geographischen Blättern, den Preuüischen Jahrbüchern, den Gren«-
boten. den wissenschaftlichen Beilagen zur T-eij)ziger und zur Münchener
Allgemeinen Zeitung, in der Cicographist hen Zeitsrhrift, der Umschau, der
Zeitschrift für Sozialwissen.schaft, der Duut.schen Monatsschrift, der Wiener
Zeit und der Deutschen Bauseitung.
Fr. Ratsei in der Weseneitunp vom 7. Juni 1903 und in den Deutschen Geognqalii-
schen Blättern XXVI, 1903, S. 51—63 (mit Bibliographie). - W. Wulkenhauer in der
Deutschen Rundschau fUr Geographie und Statistik 1904, S. 39 (mit Bildni-«).
Viktor Hantzsch.
Rüge, Sophus, 26. Mfin 1831 zu Dorum im Lande Wursten, f 23. De^
zember 1903 zu Klotzsche bei Dresden, Professor der Geographie und Ethno-
logie an der Kgl. Technischen Hochschule zu Dresden, einer der gründlichsten
Forscher auf dem Gebiete der Geschichte der Erdkunde und des Karten-
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Ruge.
35
vesens. — Als Sohn eines Arztes wuchs R. von früher Jugend an unter dem
Einflüsse wissenschaftlicher Anregungen auf. Der frühe Tod des Vaters ver-
anlaüte die Witwe, den Heimatsort zu verlassen und nach Stade übcrzu-
siedehi, wo der Knabe das Gymnasium besuchte. Seit 1850 studierte er
snfangs in GOtdngen, dann in Halle Theologie. Da er nach einiger Zeit die
ObeKseugang gewann, dafl der Predigeibemf nidit seinen innersten Neigungen
entsprechen würde, wendete er sich der Geschichte, der (Geographie und der
kla.ssischen Philologie zu. Von seinen akademischen Lehrern hcoinflußten
ihn namentlich (leorg Waitz und Heinrich Leo. Nach X'oilcndung des
Studienganges wirkte er zunächst eine Zeitlang als Hauslehrer in einem
Foisthause bei Einbeck, dann seit 1857 an einer Mädchenschule in Stade.
1859 wurde ihm eine Lehrerstelle an der Handelsschule der Kaufmannschaft
in Dresden übertragen. Hier mufite er hauptsächlich erdkundlichen Unterricht
erteilen. Dieser T'mstand veranlaßte ihn, dem weiten Gebiete der Geographie
sein Hauptintcrc-NC zuzuwenden. Seiner historischen Vorbildung entsprechend
zog ihn namentlich die geschichtliche Entwicklung dieser Wissenschaft an.
Mduere Vorträge, die er hielt, führten ihn mit Carl Andree und andern
Dresdner Geographen susammen. Der Wunsch, einander regelmäflig su
sdien und wissenschaftliche Belehrungen uiszutauschen, bewog diese Fach-
genossen 1863 zur Crfündung des Dresdnei X'ereins für F'rdkunde, den Ruge
30 jähre hindurcli als erster \'orsit/.endcr leitete. Da er unernuidlich in der
Abhaltung von Vorträgen über allgemein niieressierende Themen aus den
▼erschiedensten Gebieten der Länder- und Völkeriiunde und in der Beridit-
esstattung Ober wichtige Forschungen und Entdeckungen oder über verschie-
dene geographische Bücher und Landkarten war, gelang es ihm, zahlreiche
Angehörige der besten fresellschaftskrcise Dresdens als Mitglieder heranzu-
ziehen. Zwar konnte der X'erein nicht mit den großen (iesellschaften in den
europäischen Hauptstädten konkurrieren, aber unter den Provinzorganisationen
nahm er eine angesehene Stellung ein, besonders da er ziemlich regelmäßig
Jahresberichte mit cum Teil wertvollen wissenschaftlichen Abhandlungen und
Kartenbeilagen und bei besonderen Veranlassungen auch verschiedene be-
merkenswerte Gelegenheitsschriften veröffentliclite.
1864 erwarb R. in Leipzig durch eine gründliche und noch heute
brauchbare Dissertation über den Chaldäer Seleukos den philosophischen
Doktortitel. 1870 wurde er als Oberlehrer an die städtische Annen-Realschule
in Dresden berufen. Zwei Jahre später habilitierte er sich als Privatdosent
an dem Polytechnikum daselbst, das später in eine Technische Hochschule
verwandelt wurde. Seine Probevorlesung handelte über das Verhältnis der
Erdkunde zu den ihr verwandten Wissenschaften. 1874 ernannte ihn das
Ministerium zum ordentlichen Professor für Geographie und Ethnologie. Als
solcher hat er bis in die letzten Jahre seines Lebens Vorlesungen über
Länder- und Völkerkunde, sowie über Geschichte der Geographie gehalten.
Kinen weitreichenden Einfluß übte er durch seine Lehrtätigkeit nicht aus.
.Auch war es ihm nicht vergönnt, einen Kreis von Schülern heranzubiklen,
fiie in seint^n Sinn und (reiste weiter arbeiteten. Was Sa< hsen an jungen
Geographen hervorbrachte, verdankte man nicht ihm, sondern seinen Leipziger
Kollegen Oskar Peschel, Ferdinand von Richthofen und vor allem Friedrich
Ritzel.
3*
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36
Rnge.
Weit bedeutender und einflußreicher war seine schriftstellerische Tätig-
keit. Namentlich auf dem Gebiete der (leschichte der Krdkun<ie und des
Kartenwesens hat er Arbeiten von dauerndem Werte hinterla.ssen. Seinen
Ruf als dnen der besten Kenner dieses Wissenschaftszweiges begründete er
dadurch, dafl er auf Oskar Pescheis Wunsch dessen umfang- und inhaltreiche
»Geschichte der Erdkunde« in zweiter vermehrter und verbesserter Auflage her-
ausgab (München 1S77). Das, was an dem liuche bewährt und all<,'emein
als trefflich anerkannt war, die zweckmäßige übersichtliche (Gliederung des
Stoffes, die geistreiche und treffende Charakteristik der bedeutsamsten Per-
sönlichkeiten, die glAnzende Stilisierung lieft er möglichst unverändert. Da-
gegen füllte er mancherlei Lücken aus, verbesserte zahlreiche Versehen und
Irrtümer, ergänzte die Literaturangaben und unterzog das Ganze einer sorg-
fältigen Durchsic ht. Das Werk hat länger als 20 Jahre allen, die auf diesem
Gebiete arbeiteten, gute Dienste geleistet. Allmählich aber begann es zuerst
in Einzelheiten, die durch neuere Spezialforschungen überholt wurden, dann
in ganzen Abschnitten zu veralten. R. fühlte nicht mehr die Kraft in sich,
eine neue Ausgabe zu veranstalten. Auch ein jüngerer Bearbeiter konnte
nicht ermittelt werden, und so wurde das verdienstliche Buch 1903 durch
Siegmund Günthers Geschichte der Erdkunde ', die <len modernen Anforde-
rungen entsprach, für den praktischen Gebrauch völlig zu den 'l'oten ge-
worfen. In der Entwicklungsgeschichte der Wissenschaften aber wird es für
alle Zeiten einen ehrenvollen Platz behaupten.
Neben diesem zusammenfassenden Hauptwerke hat R. eine grofie Anzahl
von Studien verschiedensten Umfanges über einzelne Perioden der Geschichte
der Erdkunde oder über diesem Gebiet angehörende Personen und Ereig-
nisse veröffentlicht. Eine Auswahl derselben vereinigte er 1SS8 in einer
Sammlung, die er »Abhandlungen und Xorträge zur Geschichte der Erd-
kunde« betitelte und der Dresdner geographischen Gesellschaft zu ihrem
asjfthrigen Jubelfeste widmete. Zunächst ging er von der Geographie des
Altertums aus. Hierher gehört seine .schon erwähnte Dissertation über den
Chaldäer Scleukos (Dresden iS6«;), in der er durch gescliickte Heranziehung,
kritische Si» htung und einwandfreie Grup[»ieruiig des --ehr zerstreuten und
schwierig zu behandelnden Stoffes seine Befähigung für exakte historische
Forschungen bewies. Daran schlössen sich s|)äter noch zwei Aufsätze »Uber
die historische Erweiterung des Horizontes« (Globus 1879, Band 36) und
über «Die Erdkunde bei den alten Ägyptern« («3. Jahresbericht des Vereins
für Frdkiindf in Dresden iSc)^). Die ideenarme, meist sklavisch abschrei-
bcivk' l'.rdkuiule des .Mittelalters vermochte ihn niemals zu selbständiger Be-
arbeitung anzuregen. Dagegen wendete er sein lebhaftes Interesse dem Zeit-
alter der groOen Entdeckungen zu. Diesem Gebiet gehört sein zweites
Hauptwerk, die »Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen« (Berlin 188 1 ff.)
an, das als neunter Teil von Wilhelm Gnckens Allgemeiner Geschichte in
Einzeldarstellungen erschien und seinen Namen zuerst in weiteren Kreisen
aulkrhalb der Fac hgem>sNcii bekannt machte, da es nicht nur gelehrt und
gründlich abgefaßt, sondern auch anziehend und allgemein verständlich ge-
schrieben ist. Einige Abschnitte daraus, welche die Entdeckungsgeschichte
der Neuen Welt betreffen, veröffentlichte er später nochmals in wesentlich ver-
änderter Form in der Hamburgischen Festschrift zur Erinnerung an die Ent-
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Rüge.
37
deckung Amerikas (Hambärg 1893) und stark verkürzt im Globus 1892,
Band 61.
Unter allen den zahlreichen jiroflen und kleinen Kntdeckern zog ihn
namentlich die von der Parteien Hall und Gunst verzerrte Person des
Roloinbiis an. Dessen getrflbtes und verdunkeltes Bild kritisch su beleuchten
ond von den ihm anhaftenden Legenden tu befreien, erschien ihm mit Recht
als ein verdienstliches Unternehmen. Nach mehrjährigen t'orschungen trat
er 1S76 mit einem Vortrag über Die Weltanschanung des Kolumbus' her\'or.
Darin schU)ß er sirh der sc hon von Fes( hei vertretenen Meinung an, daß der
Entdecker keineswegs ein wahrhaft grober Mann, sondern vielmehr ein.
roensdilich und wissenschaftlich ziemlich tiefetehender, aber von ungewöhn-
iidiem Glück begünstigter Schwärmer und Abenteurer war, der seine besten
nnd fruchtbarsten Gedanken nicht sich selbst verdankte, sondern von Tosca-
nelli entlehnt hatte. Anfangs erregte dieses Urteil heftigen Widerspruch,
allmählich aber wurde es von unterric hteten Sachkennern wie Henry Harrisse
und andern bestätigt, und so konnte Rüge in einer vielbeachteten liiographie
des Kolumbus, die er 1893 anläfliich des Jubeljahres der Entdeckung Amerikas
in der von Anton Bettelheim herausgegebenen Sammlung »Führende Geister«
TerOffentlichte, mit Genugtuung darauf hinweisen, daß seine ehemals von so
fielen Seiten bekämj^fte .Ansicht allmählich immer mehr Anhänger und zu-
letzt, wenigstens in Deutschland, nahezu allgemeine .Anerkennung gefunden
habe. Als kleine Späne, die bei seiner jahrelangen Beschäftigung mit dem
Leben des Kolumbus und der andern Entdecker abgefollen waren, mögen
noch der Aufsatz »Was kostete die En^eckung Amerikas?« (Globus 1893,
63)» femer eine kurze Geschichte der ersten Erdumsegelung (Abhand-
lungen und Vorträge 188S) und eine Auseinandersetzung mit dem französi-
nhcn Amerikanisten Jules Marrou über die Herkunft cles Namens Amerikai Peter-
manns Mitteilungen 18S9), sowie eine Neuausgabe der merkwürdigen, aus dem
Anbng des 16. Jahrhunderts stammenden Flugschrift »Copia der Newen
Zejrtnng aus Pressilg Landt« (4. — $. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde
iD Dresden 1868) erwähnt werden.
Wie die Kolumbusfeier des Jahres 1S92, so hat R auch andere mehr
oder minder wichtige geographisc he [uhiläen durch Kestartikel begrüßt. Als
man sich 1882 in Sach.sen eines ritterlichen Abenteurers namens Bernhard
von Miltitz erinnerte, der vor 300 Jahren den indischen und atlantischen
Ozean durchsegelt und alle damals bekannten Erdteile besucht hatte, wies
R. nach, dafi dieser Seefahrer keineswegs, wie man irrtümlich angenommen
liatte, der erste sächsische Weltumsegler gewesen sei (Neues Archiv für
iach>. (ieschichte 1882, Band 13). .Als man in Portugal 1804 den Tag be-
ging, an dein 400 Jahre zuvor Prinz Heinrich der Seefahrer geboren wurde,
verftlfentiichte er im 65. Bande des Globus eine Lebensbeschreibung und
Charakteristik dieses verdienstvollen Förderers der Entdeckungen. In der-
selben Zeitschrift wies er durch eine kurze, aber gehaltvolle Abhandlung
15^96 flarauf hin, daß 600 Jahre seit der Rückkehr des großen mittelalter-
lichen Orientreisenden Marco Polo verflossen seien, und im folgenden Jahre
icierte er an der gleichen Stelle den Gedenktag der Entdeckung des nord-
amerikanischen Festlandes durch Giovanni Caboto im Sommer 1497. Auch
^ Jubiläum der Auffindung des Seeweges nach Ostindien 1898 beging er
38
Rnge.
durch zwei in Berlin und Dresden gehaltene Vorträge (Verhandl. d. Ges.
f. Erdkunde zu Berlin, Band 25; Jahrbuch der Gehe-Stiftung su Dresden,
Band 3).
Wenn ihn aucli das Zeitalter der großen Kntdeciiungen vorzugsweise be-
schäftigte, so vernachlässigte er doch auch- nicht die neuere Geschichte der
Erdkunde. Ins 17. Jahrhundert weisen seine Au&tttse Ober »Die EnMeckung
des Kap Hoom« (aj. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde su Dresden
1893), - Über einige vor- Defot'S( he Robinsonaden« (Abhandlungen und Vor-
träge 1888) und »Über die ersten Ansiedler auf der Robinsoninsel Juan
Fernandez« (ebendort), ins 18. Jahrhundert die gleichfalls in dem eben ge-
nannten Sammelwerke erschienenen Abhandlungen »Aus der Sturm- und
Drangperiode der Geographie«, »Die Bedeutung des Jahres 1781 für die Ge-
schichte der Erdkunde« und »Die Afrikanische Gesellschaft in London«,
deren 100 jähriges Jubiläum iSSS feierlich begangen wurde, endlich ins
iq. Jahrhundert seine an derselben Stelle abgedruckten l'ntersucliungen
»über die Bedeutung der Jahre 1863 — 1888 für die Geschichte tler Krdkunde«,
sowie seine Biographien Heinrich Barths, des verdienten Afrikareisenden
(Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden, Heft 3, x866), und Carl
Eduard Meinickes, des gründlichen Kenners der Siidseeinseln und ihrer Be-
wohner (ebendort Heft 15, 1878). Auch wichtige politische Kreignisse regten
ihn gelegentlich zu historisch-geographischen Darstellungen an, so die Er-
werbung deutscher Schutzgebiete im Stillen Ozean zu den Skizzen »Ge-
schichte der Entdeckung der Karolinen« (Beilage zur AUg. Zeitung 1885) und
»Geschichte der Erforschung des Bismarck-Archipels« (ebendort 1887), und
die Eröffnung des Schienenweges nach Ostasien zu einem Vortrage über »Die
Sibirische Eisenbahn« (Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden 1902, Band 8).
Ein weiteres Gebiet, mit dem sich R. jahrzehntelang eingehend be-
schfiftigte, war die Geschichte des Landkartenwesens. Sein hierher gehöriges
Hauptwerk ist »Die Entwicklung der Kartographie von Amerika bis 1570«
(Ergänzung^eft 106 zu Petermanns Mitteilungen 1892). Kleinere Aufsätze
behandelten ' Kompaß und Kompafikarten« (Programm der Handelsschule zu
Dresden tS6S), Das Fretum Anian«, die heutige Reringsstraße (Programm
der Annen-Realschule daselbst 1873), -Das unbekannte Südland<> (Deutsche
geogr. Blätter 1895, Band 18) und »Valentin Ferdinands Beschreibung der
Azoren« (27. Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu Dresden 1901).
Diesen schließt sich seine letzte, leider nicht völlig zum Abschlufl gekom-
mene Arbeit »Topographische Studien zu den portugiesischen Entdeckungen
an den Küsten Afrikas« (Abb. d. phil.-hist. Klasse der Kgl. Sachs. Ges. d.
Wiss. 1903, Band 20) an. Einige andere Abhandlungen beschäftigen sich
mit der Geschichte der kartographischen Darstellung Deutschlands und seiner
Nebenländer, so »Ein JubilAum der deutschen Kartographie« (Globus 1891,
Band 60), ein Hinweis auf die angeblich 1491 im Druck erschienene, von
dem Kardinal Nikolaus von Cusa entworfene Karte von Mitteleuropa, ferner
• Arnos Comenius als Kartograph« (ebendort i8()2, Band 61) und Die An-
fänge der Kartographie von Deutschland (\'erh. des 7. intcrnat. Geographen-
Kongresses zu Berlin 1899). Auch für eine von ihm beabsichtigte, aber nicht
zur Ausffihning gekommene Darstellung der Entwicklung des Kartenwesens
in seinem zweiten Vaterlande Sachsen trug er mdirere Bausteine heran, so
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Rüge. Radde.
39
eine kurze •>Geschichte der sächsischen Kartographie im i6. Jahrhundert«
(2^itschrift für wisscnsch. Geographie i8Si, Hand 2) und eine Lichtdruck-
reproduktion der meisten Blätter der von dem Markscheider Matthias Oeder
in den Jahren 1586 bis 1607 durchgeführten ersten Landesauhiahme Kur-
sachsens (Dresden 1889). Aach sonst hat er die landeskundliche Literatur
über Sachsen durch mehrere weniger für Fachgelehrte, als vielmehr für das
große Publikum berechnete Veröffentlichungen bereichert, so durch eine
»Geschichte des Augustusbades bei Radeberg« (Dresden 1880) und eine in
der von A. Scobel herausgegebenen Sammlung »Land und Leute** erschie-
nene Schilderung Dresdens und der Sächsischen Schweiz (Bielefeld u. Leipzig
1903). Sehr xablreiche kleine Aofefttze hat er aufierdem zu den Zeitschriften
der Touristenvereine für die Sächsische Schweiz, das Erzgebirge und dais
Böhmische Mittelgebirge beigesteuert.
Man würde die literarische Produktion R.s nicht vollständig ( haraktcri-
sieren, wenn man nicht auch seiner pädagogischen Schriftstellerei und seiner
Tätigkeit als Kritiker gedenken wollte. Seine Lehrbücher und Leitfäden für
den geographischen Unterricht (Geographie für Handelsschalen und Real-
schulen 1864, Kleine Geographie 1878, Dresdner Schulatlas 1892), sowie sein
Lesebuch für Handelsschulen sind aus seiner langjährigen Praxis als Lehrer
hervorgegangen. Sie wurden an vielen Schulen eingeführt, erlel)ten mehrere
Auflagen und sind noch heute hier und da in (iebraucli. Als Kritiker hat
er in vielen Zeitschriften, namentlich seit 1887 in den Literaturberichten zu
Petermanns Mitteilungen, seit 1895 auch in Hennann Wagners Geographi-
schem Jahrbuch, die neuesten Ersdieinungen auf dem Gebiete der Geschichte
der Erdkunde mit Sachkenntnis besprochen. Besonders bemerkenswert sind
seine ausführlichen Referate über Xordenskiölds Faksimileatlas und Periplus
i^Deutsche geogr. Blätter 1890 und 1900) und über die große italienische
Raccolta Colombiana (Petermanns Mitteilungen 1895).
An Ehningen und Anerkennungen hat es R. während seines langen
arbeitsreichen Lebens nicht gefehlt. Der König von Sachsen verlieh ihm
den Titel eines Geheimen Hofrats, die geographischen Gesellschaften zu
Berlin. Amsterdam und Lissabon ernannten ihn zum korrespondierenden, die
zu Dresden, Leipzig, Hamburg und München zum Ehrenmitglied. Auch ge-
hörte er der philologisch-historischen Klasse der Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Leipzig und der Königlichen Kommission fQr sftchsische Ge-
schichte daselbst an.
Nachrufe in den Dresdner Tagesblättern. — J. Partsoh im »Geographischen Anzeiger«
1901, II, S. 33—35 (mit Bildnis). — A. Kobut im »Globus« 1901, L.XXIX, S. 174—175
(mit Bildais). — V. Hantzseh in der »Geographischen Zeitschrift« 1904, X, S. 65—74. —
S. GSnfher in der Beilage zur »AUg. Zeitung« 1904, Xr. 18, S. 140. »Zeitschrift für Schul-
feographie« 1904, XX\'. S. 129. — H. Haack im »Geographen-Kalender« 1904 03, II, S. 20I
Us 202. — L. Hugueä, Sophus Rüge. Cenm' bicgraßci c bibliograßci. Torino 1904.
Viktor Hantzsch.
Radde, Gustav Ferdinand Richard, Reisender und Naturforscher, * 27. No-
vember 183 1 zu Danzig als Sohn eines unbemittelten SchuUehrer.s und Küsters,
t in der Nacht vom 15. — 16. März 1903 zu Tiflis. — In dürftigen Verhältnissen
heranwachsend besuchte R. die Realschule seiner Vaterstadt. Da die Mittel
in weiteren Studien nicht ausreichten, trat er in die Ratsapotheke als
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40
Raddc
Lehrling ein. Hier benutzte er jede freie Stunde zur F'rweiterung seiner natur-
wissenschaftlichen Kenntnisse. Sein Lerneifer erregte die Aufmerksamkeit
des Professors Anton Menge, der sich seiner annahm, ihn mit Ratscliiägen
und Büchern untersttttete und ihm ein Reisestipendinm der Dandger Natur-
forschenden Gesellschalt verschaffte. Mit diesem Gelde und mit Empfehlungen
des ru.ssischen Konsuls von Adelung, eines Sohnes des berühmten Sprach-
forschers, begab er sich 1852 nach der Krim, wo er den Botaniker Christian
Steven traf, den er auf seinen Sammelreisen begleitt-tc und für dessen litera-
rische Arbeiten er eine Reihe von Zeichnungen entwarf. Fast drei Jahre
lang durchwanderte er die Halbinsel nach allen Richtungen, erforschte die
Flora und Fauna und untersuchte auch das organische Leben des Asowschen
Meeres, bis ihn <h'e durch den Krimkrieg hervorgerufene Unsicherheit ver-
scheuchte. Mehrere Abhandlungen, die 1854 — 55 in den Schriften der Moskauer
Naturforschenden (iesellschaft erschienen {(^ber das Tierleben am Faulen Meer,
Versuch einer PHanzenphysiognomik i'auriens, Beiträge zur Ornithologie
Sfldrufilands), erregten die Aufmerksamkeit der russische Gelehrten, und so
wurde er im FrOhjahr 1855 von der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft
nach Petersburg berufen, um eine Forschungsreise nach dem südöstlichen
Sibirien zu unternehmen. Im April verließ er wohlausgerüstoi die Hauptstadt
und begab sich in möglichster Eile nach Irkutsk, wo er Ende Mai eintraf.
Nachdem er mehrere Wochen die nähere Umgegend dieses Ortes, namentlich
das Tal der Angara durchstreift hatte, um sich mit Land und Leuten bekannt
zu machen, begann er die Tiere und Pflanzen des Baikalsees und seiner
Uferlandschaften zu erforschen. Zunächst fuhr er an der Westküste entlang
bis zur Nords]>itze, besuchte dann in Transbaikalien die Mineral(]iiellen von
Turkinskoje und das Mündungsgebiet der Selenga unil kehrte im Spatherbst
nach Irkutsk zurück. Den Winter verbrachte er teils mit der Ordnung und
Ergänzung seiner reichen Sammlungen, teils mit Sprachstudien und Jagd-
ausflflgen. Im März 1856 fuhr er abermals über den Baikalsee, verfolgte den
Lauf der Selenga bis zur chinesischen Grenze, überstieg das Apfelgebirge,
erreichte auf der transbaikalisi lien l'oststraße die Kreisstadt Tschita und ver-
lebte den l-rühling an dem durch sein Tierleben merkwürdigen Tareinor. L'm
dieses Leben auch im Hochsommer und im Herbst beobachten zu können,
hielt er sich noch zweimal längere Zeit an diesem See aui Die Zwischen-
pausen verbrachte er mit Ausflagen in das mongolische Gebiet jenseits der
Grenze, in die Täler der Flüsse Schilka, Argunj und Onon und ins Sochondo-
gebirge, dessen höchsten Gipfel er l>e>^tie•,^ Oen November verwendete er zu
ergiebigen Streifzügen durch das Apfeli;el)i! [:e und nach den östlichen Zu-
flüssen der Selenga. Dann kehrte er über den gefrorenen Huikalsee im
Januar 1857 nach Irkutsk zurück, wo er bis Ende März im Winterquartier
blieb. Im Frühjahr unternahm er zunächst eine Reise nach der wichtigen
Handelsstadt Kjachta an der chinesischen (Frenze. Dann begab er sich
wieder nach Tschita. Hier bestieg er ein I'loli und fuhr, begleitet von drei
Kosaken und einem Tungust-n. zunächst die Flüsse Ingoda und Schilka, tiann
den Amur abwärts bis zur Mündung des Ussuri. An günstigen Stellen landete
er, um seine Sammlungen zu vervollständigen. Dort, wo das Burejagebirge
dicht an das linke Ufer des Amur herantritt, famd er einen Ort, der ihm
sehr geeignet zur Errichtung einer Niederlassung erschien. Er baute sich
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Radde.
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deshalb aus den Haiken seines Flosses ein Blockhaus, trat mit den unnvolinen-
ilen l un^usen in freundschaftliche Heziehunfien und untersu( lite auf zahl-
reichen Exkursionen die Mora und Fauna der Gegend, Da der Krfolg seiner
Forschungen die Erwartungen weit überstieg, blieb er, wenn auch unter
manchen Entbehrungen, den ganzen Winter hier. Im Frühjahr 1858 wurde
in der Xähe seines Hauses durch den Generalgouverneur Grafen Murawiew
eine noch heute blühende Niederlassung von Kosakenfamilien angelegt und
na( h seinem Namen Raddewka i^enannt. Nachdem er auch den Sonuner
unermüdlich sammelnd und beobachtend teils hier, teils in der Mandschurei
verlebt hatte, holte ihn im Spfttherbst ein Regierungsdampfer ab und brachte
ihn mit seinen naturwissenschaftlichen Schätzen nach Blagowetschensk. Von
hier aus fuhr er im Schlitten am russischen Ufer des Amur entlang und dann
auf der transbaikalischen Poststraße bis zum Haikaisee. Im Januar i8c;q traf
er wieder in Irkutsk ein. Im Frühjahr brach er abermals auf, um die I ni-
gebung des großen, von Tieren reich belebten Sees Ko.ssogol, das Sajanische
Gebirge und das Quellgebiet der oberen Zuflüsse des Jenissei, namentlich
der Oka und des Irkut zu durchforschen. Ein Versuch, durch die Mongolei
nach der Gobi vorzudringen, scheiterte an dem Widerstand der Grenzbehörden.
Er begab sich deshalb im Oktober wieder nach Irkutsk, verpackte seine
überaus reichen und \vert\()llen Sammlungen und kehrte dann nach Peters-
burg zurück, wo er im Januar i8bo ankam. Hier wurde er zum Konservator
bei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften ernannt. Die nächsten
Jahre verwendete er zur Ordnung und Bestimmung der mitgebrachten Natur-
gegenstSnde, die er dem Museuro der Akademie überwies, .sowie zur Aus-
arbeitung eines umfangreichen Reisewerkes. Zunächst erschien ein Vorläufer
unter dem Titel »Berichte über Reisen im Süden von Ostsibirien als 23. Hand
der von K. E. von Baer und G. von Helmersen herausgegebenen Beiträge zur
Kenntnis des russischen Reiches (St. Petersburg x86i). Dann folgte in deut-
scher und russischer Ausgabe das mit vielen Tafeln und Karten ausgestattete
zweibändige Hauptwerk »Reiset^ im Süden von Ostsibirien in den Jahren
1855 — 59« (St. Petersburg und Leipzig 1862 — f>T,), worin er die Säugetiere und
Vögel des von ihm erforschten (Gebietes ausführlich behanilelte. Dieses Buch
brachte ihm mancherlei Anerkennung. Die Universität Dorpat ernannte ihn
tum Magister, Breslau zum Dr. phil., und die Petersburger Akademie ehrte
ihn durch Überreichung ihrer Demidow-Prämie. Auch in Zeitschriften hat er
in kürzerer Form den V'erlauf seiner Reise oder einzelne Erlebnisse derselben
geschildert, so in Petermanns Mitteilungen (drei Vorträge über Sibirien und
das Amurland 1S60--61), in den \'eröffentlichungen der Akademie und der
Kaiserlich russischen getjgraphischen Gesellschaft und in der deutschen
Sl Petersburger Zeitung. Auch einige kleinere wissenschaftliche Reisen follen
in diese Jahre. So begleitete er im Sommer 1860 den Akademiker von Brandt
nach dem Gouvernement Cherson zur Hebung eines Mastodon am Flusse
Ingul und 1862 den berühmten Naturforscher von Baer nach Südruiiland zur
.Anstellung von Untersuchungen über die zunehmende N'ertlai hung des Asow-
scJien Meeres und über die geologischen Verhältnisse <.ier Manytschniederung.
Einen Wendepunkt seines Lebens bildete das Jahr 1863, das ihn nach
dem Schauplatz seines ferneren Lebens und Forschens, dem Kaukasus, führte,
io diesem Jahte wurde ihm nämlich die Stelle eines Assistenten am
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Radde.
astronoinisch-pliysikalisrhen Observatorium in Tiflis übertragen. Der damalige
Statthalter Großfürst Michael Nikolajowitsch lernte seine wissenschaftliche
luchtigkeit schätzen und beauftragte ihn mit der biologisch-geographischen
Erforschung des gesamten Kaukasusgebietes. Diesem elirenvollen Auftrage
folgend hat er vierzig Jahre hindurch fast jeden Sommer, sofern ihn nicht
andere Arbeiten abhielten, mit Reisen durch jene Gebirgslandschaften zu-
gebracht und die Wintermonate zur \vissens( haftlichen Verarbeitung seiner
Sammlungen und Heobachtunfft-n verwendet. Den größten Teil dieser Samm-
lungen überwies er in uneigennütziger Weise dem neugegründeten Kauka:»i-
schen Museum in Tiflis, zu dessen Direktor er ernannt wurde und das er
bald in allen fOnf Abteilungen, der geologischen, zoologischen, botanischen,
rtlii lographischen und archäologischen, auf eine achtungfiebietende Höhe zu
liehen verstand. Namentlich pflegte er das Herbarium (le> Instituts, das all-
mählich bis auf 3000 genau bestimmte, dem Kaukasusgebiete angehörige
phanerogamische Arten anwuchs. Auch brachte er eine sehr ansehnliche
Sammlung vmi Bttchem über den Kaukasus zusammen, die er mit solchem
Verstftndnis zu vermehren wußte, dafl ihn die Regierung im Nebenamte auch
zum Leiter der Kaiserlichen Bibliothek in Tiflis ernannte. Von seinen Reisen»
über die er fast alljährlich kurze Berichte in Petermanns Mitteilungen ver-
öffentlichte, sind hau|>tsächli(h folgende bemerkenswert: 1864 besuchte er
Mingrelien, Svanetien und die drei kolchischen Hochtäler. 1865 durchwanderte
er Abchasien, Uberschritt den Nacharpafl und erstieg den Elbrus bis zur Höhe
von 4360 m. Die Ergebnisse seiner Forschungen in beiden Jahren stellte er
in den Berichten über die biologisch-geographischen Untersuchungen in den
Kaukasusländern- ('i'ifbs und Leipzig 1866, russisch und deutsch) zusammen.
1K66 bereiste er zum ersten Male die noch wenig bekannte l.ands( haft Talyscb
am Südwestufer des Kaspischen Meeres. 1867 durchzog er das russische
Armenien, namentlich die Gegend .von Kars und das Quellgebiet der Kura.
1868 unternahm er eine Reihe von beschwerlichen Hochtouren am Kasbek,
im folgenden Jahre am Ararat. 1870 begab er sie h zum zweiten Male nach
Talyscb und fuhr dann über den Kaspisee nach Krasnowodsk. wo er mit
dem Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch zusammentraf, den er auf einer
kaspischen Kundreise begleitete. 1871 erforschte er da-s Flußgebiet des Aras
und den Goktschaisee, bestieg den Alagös, sowie den groften und kleinen
Antrat, besuchte mehrere Kurdenstämme und gelangte bis an den Oberlauf
des Euphrat. In den beiden nächsten Jahren mußte er auf Forschungsreisen
verzichten, da er 1872 von der Regierung nach Moskau zur polytechnischen
Ausstellung und 1873 nach Wien zur Weltausstellung abgesandt wurde, um
die kaukasischen Abteilungen einzurichten und zu überwachen. Im Anschluß
an seinen Wiener Aufenthalt trat er eine Wanderung durch Deutschland an,
um in den größeren Städten eine Reihe von Vorträgen über die Kaukasus-
Iftnder zu halten. Den Text derselben ließ er 1874 in Gotha unter dem
Titel: Vier \'orträge über den Kaukasus, als Krgänzungsheft 36 zu Petcnnanns
Mitteilungen im Druck erscheinen. In den Sommern 1874 und 1875 bereiste
er teils mit seinem Freunde G. Sievers, teils mit anderen deutschen (ielehrten
das russische, persische und türkische Armenien, namentlich die Gegend uro
Erzerum und um den mächtigen erloschenen Vulkan Bingöl-dagh. Im folgen-
den Jahre besuchte er das kleine christliche Volk der Chewsuren und ihre
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Radde.
43
Nachbarn, die Pschawen, 'l"us( lien und Kisten, die in den Hochtälern des
Großen Kaukasus nahe dein Kasbek wolinen. Die wii htigen ethnologischen
£rgebni:>se dieser Reise veröffentlichte er in einer umfangreichen, durch viele Ab-
bildungen erläuterten Monographie: Die Chewsuren und ihr Land (Kassel 1S78).
Das Jahr 1877 brachte eine Reihe von Wanderungen im Ruratal abwärts bis
nahe zur MOndung. 1878 ging er als Abgesandter der russischen Regierung
nach Paris zur Weltausstellung und zum internationalen RotanikerkongreÖ.
Im Herbst 1879 brach er zum dritten M;ile nach Talysch auf, wo er zur \'er-
voilständigung seiner ornithologischen Sammlungen bis zum August 1880
verweilte. Dabei iQhrten ihn seine Streifzüge wiederholt über die persische
Grenxe bis nach Ardebilf zum Sawalan und nach Rescht x88i war er mit
der Überwachung eines notwendig gewordenen Erweiterungsbaues am Kau-
kasischen Museum und der dadurc h bedingten Umordnung der Sammlungs-
gegenstände, sowie mit der Vorbereitung des in Tifbs abgehaltenen russischen
Archäologenkongresses beschäftigt, an den sich eine Reise der Teilnehmer
nach Kutais und an den unteren Rion zur Besichtigung der dortigen Altei^
tfimer anschlofi. Die nächsten Jahre verbrachte er, teils veranlaßt durch seinen
Gesundheitszustand, teils von dem Wunsche beseelt, die bisherigen Ergebnisse
seiner Studien übersichtlich zusammenzufassen, mit literarischen Arbeiten.
Als Frucht derselben erschienen drei umfangreiche, mit Tafeln und Karten
ausgestattete Werke: Ornis loucaska, die Vogelwelt des Kaukasus systematisch
und biologisch-geographisch beschrieben (Kassel 1884), Reisen an der persisch-
russischen Grenze, Talysch und seine Bewohner (Leipzig x886), und Die Fauna
und Flora des südwestlichen Kaspigebiets (Leipzig 1886). 1885 nahm er seine
Reisetätigkeit wieder auf. Zunächst besuchte er die Hochalpen von Daghestan,
namentlich das Gebiet zwischen Schah-dagh, Dulty-dagh und IJogos, um die
Hohengrenzen der Tier- und Pflanzenverbreitung kennen zu lernen. Einen
ansfOhrlidien Reisebericht veröffentlichte er als Ergänzungsheft 85 zu Peter-
manns Mitteilungen (Gotha 1887). 1886 wurde er vom russischen Kaiser
mit der Leitung einer wissenschaftlichen Expedition nach Transkaspien und
Chorassan beauftragt. \'on Krasnowodsk aus gelangte er auf der neueröffneten
transkaspischen Eisenbahn durch tlie Turkmenensteppe bis Aschabad. Hier
hielt er sich längere Zeit auf und unternahm mehrere nicht ungefährliche
Ausflüge durch das erst kOrzlich eroberte und noch keineswegs völlig beruhigte
Land. Nachdem er seine reichen Sammlungen nach Krasnowod^ gebracht
hatte, fuhr er längs der Ostküste des Kaspischen Meeres nach Süden, unter-
suchte das Mündungsgebiet des Atrek und zog an der persisch-russischen
Grenze hin landeinwärts wieder nach Aschabad. Von hier uns erfolgten
größere Exkursionen nach Tedschen, Merw und Meschhed. Auch drang er
bis Qber die afghanische Grenze vor und untersuchte den Lauf der Flüsse
Murgab und Heri Rud. Im September traf er wieder in Tiflis ein. Die Be-
arbeitung der Ergebnisse dieser Reise verursachte mancherlei Schwierigkeiten,
80 daß erst 1898 ein Bericht als Frgänzungsheft 126 zu Petermanns Mit-
teilungen erscheinen konnte. Im Hot hsommer 1887 beabsichtigte er tlie
ossetischen Alpen zu besteigen, doch muütc er diesen Plan wegen eines
hartnäckigen Fuflleidens aufgeben. 1888 begleitete er, einer ehrenvollen
£ioJadung folgend, den GrofifQrsten Nikolai Michailowitsch und den Prinzen
Nikolai von Mingrelien auf einer Reise durch den Kaukasus. Im folgenden
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Radde.
Jahre unternahm er zu seiner Krhnlniii: eine Rundfahrt durch das westliche
Europa. In London würfle ilun hei dieser Gelegenheit von der Geographi-
schen Gesellschaft ihre höchste Auszeichnung, die Viktorianiedaille, iiberreicht.
Nach der Rückkehr unternahm er noch in demselben Jahre eine flüchtige
Reise quer durch Turkestan bis nach Samarkand. Im FrQhjahr 1890 besuchte
er gemeinsam mit dem Geologen Valentin die russisch-persische Grensland-
Schaft Karabagh in Armenien und veröffentlichte einen Bericht als Krgänzungs-
heft 100 zu Petermanns Mitteihmgen (Gotha iSqo). Vom September ticsstlhen
Jahres an begleitete er die Grollfürsten Alexander und Sergei Mirhailowitsch
auf ihrer Reise durch Vorder- und Hinterindien bis nach Amboina. Nach
der Heimkehr wurde er mit der Ausarbeitung eines groflen Prachtwerkes über
diese Fahrt beauftragt, das unter dem Titel »23000 Meilen auf der Jacht
Tamara« in russischer Sprache in St. Petersburg erschien und von dem ein-
zelne Abschnitte auch in deutschen geographischen Zeitsduiften (Globus,
Umschau, Jahresberichte des \'ereins für Krdkunde zu Dresden) Aufnahme
fanden. Im Sommer 1893 erforschte er die östlichen Uferlandschaften des
Schwarzen Meeres, namentlich die Gegend von Batum bis zur türkischen
Grenze und die Mündungsgebiete des Rion und des Kuban. Dann drang
er in den Großen Kaukasus ein, um die engumgrenzten Verbreitungsgebiete
des Wisent und des Steinbocks kennen zu lernen (Bericht im Ergänzungsheft 1 12
zu Petermanns Mitteilungen, Gotha 1894). im nächsten Jahre besuchte er
das von der grusinischen Heerstraße durchzogene Hochgebirgsgebiet, dann
die Steppen zwischen den Flüssen Terek und Kuma und die Landschaft
Daghestan mit ihren schneebedeckten Hochgipfeln (wissenschaftliche Ergeb-
nisse im Ergänzungsheft 117 zu Petermanns Mitteilungen, Gotha 1895). In
den Jahren i<S()5 und 1897 begleitete er den kranken Großfürsten-Thronfolger
Georg Alexandrowitsch auf seinen Fahrten nach tlen nordafrikanischen Küsten-
ländern, nach Algier, Tunis und dem Rande der Sahara. Seitdem zwang
ihn zunehmende Altersschwäche, von größeren Reisen abzusehen. Er ging
deshalb nunmehr daran, das Gesamtergebnis seiner wissenschaftlichen Lebens-
arbeit in zwei großen Werken zusammenzustellen. Das eine behandelt die
Grundzüge der Ptlanzenverbreitung in den Kaukasusländern (Leipzig 1899,
Band 3 der .Sammlung: Die Vegetation der Erde, herausgegeben von A. Engler
und O. Drude), das andere gibt in russischer und deutscher Sprache einen
Überblick über die Sammlungen des Kaukasischen Museums (Tiflis und
Berlin 1899 ff., Band i — 2: Zoologie und Botanik von Radde selbst bearbeitet,
die folgenden Hänfle unter seiner Mitwirkung entstatulen). Mitten unter den
\'orarbeiten zu einer großen zusaninuMifassenden biologiscli -geographischen
Monographie der Kaukasusländer ereilte ihn nach längerem .schwerem Leiden
der Tod.
R. war ein seltener Mensch von ungewöhnlicher Arbeitskraft und erstaun»
lieber Vielseitigkeit, ein Autodidakt im besten Sinne des Wortes. Ohne jede
akademische Vorbildung gelang es ihm durch Fleiß und Energie, sich einen
guten (^berblirk auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften, der Geo-
graphie und Ethnologie und bedeutende Spezialkenntnisse in der Botanik
und Zoologie zu erwerben. Sein Hauptverdienst ist die wissenschaftliche Er-
schließung der Kaukasuslftnder durch seine vielen Reisen, durch zahlreiche
Schriften und Aufsitze verschiedensten Urnings und durch den musterhalten
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R«dde. Schneider.
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Ausbau des Kaukasischen Museums, dem er seine wertvollen Sammlungen
überwies und das er mit viel \"erständnis, (Jeschmack und Liebe ausstattete
und leitete. An Ehrungen und Anerkennungen hat es ihm während seines
langen arbeitsreicfaen Lebens nicht gefehlt. Der rassische Kaiser verlidi ihm
den Titel eines Geheimrats mit dem Prädikat Exxellenz. Viele gelehrte
Gesellschaften des In- und Auslandes ernannten ihn zu ihrem korrespondieren-
den oder Elireninitglied Mit mehreren Kürstlichkeiten, namentlich mit einijjjen
tiroüfursten und dem Kronprinzen Rudolf von Osterreich, stand er in Ireuntl-
schaftiichen Beziehungen und erreichte durcli ihre Vermittlung manche Förde-
rong seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Er gehört mit zu den besten jener
deutschen Gelehrten, die sich um die geistige Kultur Rufllands unvergängliche
Verdienste erworben haben. Trotz seiner Liebe für sein zweites Vaterland
blieb er stets ein guter Deutscher und unteihielt dauernd die engste Fühlung
mit der deutschen Wissenschaft.
»Globus« 25, 1874, S. 22—24 ('»>t Bildnis); 58, 1890, S, 241—244, 273—275,
300—302. — Morits von D^chy im »Gcugraphiscfaen Anteiger« 3, 1902, S. 161 — 163 (mit
BQdnis). ~ Beilage tut >Allgemcuen Zeitung« 1903, Nr. 76. — W. Wolkenhauer in der
>Dcut-icben Rundschau für Geographie und Statistikc 1903, S. 571 — 573 (mit Bildnis). —
>L€opoldina« 1903, Nr. ii und 12. Viktor Hantzsch.
Schneider, Oskar, Xaturforscher, Geograph und Schulmann, * 18. April
1841 SU Löbau in der sächsischen Oberlausitz, f 8. September 1903 zu
Blasewitz. — S. war der Sohn des Archidiakonus Johannes Schneider. Da
der Vater ein eifriger Blumen- und Tierfreund war, empfing der Knabe schon
in früher Juvenil F.indrückc, die sein Interesse für die ihn umgebende Natur
erweckten. Et sammelte Käfer und Schnietterlin^a', zog kleine 'J'iere aller Art
auf, trug Kristalle und Versteinerungen zusammen und legte sich ein Her-
barium an. Bis zum 13. Jahre besuchte er die Bürgerschule seiner Vater-
stadt Dann trat er in das Gjrmnasium zu Bautzen ein, das er nach wohl-
bestandener Abgangsprüfung im Herbst 1860 verließ, um sich in Leipzig auf
Wun^rb seiner Angehörigen dem Studium der Theologie 7.\\ widmen. Da-
neben hörte er auch eine große Zahl von naturwissensi haftlichen und geo-
graphischen Vorlesungen und schloü sich eng an den ausgezeichneten i.eipziger
Mineralogen und Geognosten Karl Friedrich Naumann an. Dieser emp&dil
ihm, sich ganz der Geologie zuzuwenden und als Probe seines Könnens eine
gründliche Untersuchung der Gesteine des ihm von Jugend an wohlbekannten
Löbauer Berges vorzunehmen. S. wendete sich während der akademischen
Ferien diesem L'nternehnien mit F.ifcr zu und ließ bereits iiS6_^ einen vor-
läuligen Bericht über seine Beobachtungen in den Abhandlungen der Natur-
forschenden Gesellschaft zu Görlitz erscheinen. Da ihn indes seine Ver-
mOgensverhältnisse nötigten, möglichst schnell eine sichere Lebensstellung zu
sudien, unterzog er sich im folgenden Jahre tler theologischen Kandidaten-
prüfung und nahm bald darauf einen Hosten als Hauslehrer bei einem
Fabrikanten in Glaneck bei Salzl)urg an. Die reichliche Muße, die ihm
dieses Amt ließ, verwendete er zur weiteren Ausarbeitung seiner geognosti-
scben Beschreibung des Löbauer Berges, namentlich zur Herstellung einer
Karte. Im Herbst 1865 sandte er die Abhandlung an seinen Lehrer Nau-
mann ein, und durch dessen Vermittlung erwarb sie ihm unter Erlafl der
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Schneider.
mündliclien Prüfung den Doktortitel der Leipziger philosophischen Fakultät.
Im folgenden Jahre wurde sie nebst der Karte in den Abhandlungen der
Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz gedruckt. Auch sonst verwendete
er seinen Salzburger Aufenthalt nach Kräften zur Erweiterung und Vertiefung
seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse und zur Abfassung der in den Schriften
der Isis su Dresden erschienenen Aufsfttze: Uber die Salzburger Kaikaipen,
1866, Meteorologische Beobachtungen auf dem Untersberg und Reise Ober
die Hohen Tauern, beide 1867.
Ostern 1866 legte er sein Amt nieder und kehrte nach Sachsen zurück.
In Dresden erhielt er eine Lehrerstelle an der Privatschule des Direktors
Böttcher. Gleichzeitig bereitete er sich auf die zweite theologische Prüfung
vor, die er im Frühjahr 1867 glücklich bestand. Durch wiederholte öffent-
liche Predigten bewies er, daß er dem Gedanken, in den geistlichen Stand
einzutreten, noch nicht völlig entsagt hatte. Da erging im Herbst desselben
Jahres tlie Aufforderung an ihn, die Stellung eines Krziehers im Hause des
preußischen Generalkonsuls Theremin in Ägypten zu übernehmen. Diesem
Rufe folgte er um so lieber, als sich ihm dadurch die Aussicht auf ergebnis^
reiche naturwissenschaftliche Forschungen in fernen, noch wenig untersuchten
Gebieten eröffnete. Um möglichst wohl vorbereitet die Reise anzutreten,
erbat er sich Instruktionen von Rt)lilfs, Schweinfurth, Lepsius und andern
grün(lli( hen Kennern des Landes. Kaum war er in seinem Bestimmungsort
Ramie bei Alexandrien angelangt, so begann er sogleich mit dem Sammeln
von Tieren, Pflanzen und Mineralien, aber auch von Kunstwerken und Alter-
tümern. Durch Vermittlung seines Hausherrn lernte er zahlreiche hohe Beamte
und andere einflußreiche Männer kennen, die ihm mancherlei Förderung an-
gedeihen ließen. In den Ferien durchstreifte er das Land nach allen Rich-
tungen und drang mehrfach bis nach ( )l)eragypten vor. Heinahe wäre er
einer Kinladung Georg Schweinfurths gefolgt, ihn auf seiner großen Reise in
das Herz Afrikas zu begleiten, doch hielt ihn die Nachricht von einer
schweren Erkrankung seines Vaters davon ab. Die Osterzeit 1868 benutzte
er zu einem mehrwöchentlichen Ausflug nach der Sinaihalbinsel und nach
den heiligen Stätten Palästinas. Bei der Rückkehr fand er Gelegenheit, das
eigenartige Tierleben zu untersuchen, das sich in dem beinahe fertiggestellten
Suezkanal zu bilden begann. Im Sommer 1869 beabsichtigte er einen
wissenschaftlich brauchbaren Katalog der von Tischendorf nur ungenügend
durchforschten, an Handschriften der griechischen Kirchenväter reichen
Patriarchalbibliothck in Kairo anzufertigen, doch wurde diese Absicht ver-
eitelt, da Generalkonsul Theremin na( h Furopa abreiste un(l S. sich dadurch
gezwungen sah, seine Stellung aufzuge!)en. über Italien, das er bei dieser
Gelegenheit flüchtig kennen lernte, kehrte er nach seiner Heimat zurück.
Noch im Herbst 1869 wurde er zum Oberlehrer am Freimaurerinstitut, einer
Knabenerziehungsanstalt in Dresden, ernannt. Die reichen Erträgnisse seiner
ägyptischen Forschungen legte er im Laufe der Jahre in einer Reihe von
Auf><ätzen nieder, die meist in den Sitzungsberichten und .Abhandlungen der
Naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis in Dresden, aber auch in andern
Zeitschriften oder als Schulprogrammc und Sonderdrucke erschienen: über
ägyptische Skorpione (1870), Über die Entstehung des Toten Meeres, Bei-
träge zur Kenntnis der ägyptischen und palästinischen Insektenfauna, Die
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Schneider.
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Flora der Wüste von Ramie, über die Konchylienfaunu der ägyptischen
Mittelmeerküste, Die Käferfauna von Kamle, über nutzbringende Hölzer
Palästinas (sämtlich 187 1), Beiträge zur Kenntnis der griechisch-orthodoxen
Kirche Ägyptens (1874), Über Anschwemmung von antikem Arbeitsmaterial
an der Alexandriner Küste (1883), Die Schwefelminen am Ras el Gimse,
über den roten Poqihyr der Alten (beide gleichfalls 1883), Der ägyptische
Granit und seine Beziehungen zur alten äg>'ptischen Geschichte (1887), Der
Chamsin und sein EinHuü auf die niedere Tierwelt (Festschrift des Vereins
l&r Erdkunde zu Dresden 1888), Der ägyptische Smaragd (Zeitschrift für
Edinologie 1893X endlich: Ein Ausflug in die Tiergeographie und in die alt-
Igyptische Götterwelt (1900).
Durch den Aufenthalt in Ägypten war S.s Reiselust mächtig angeregt
worden. F.r benutzte deshalb auch in seiner neuen Stellung wenigstens die
Ferien zu ausgiebigen Wanderungen. 1870 besuchte er mit Rudolf Virchow
die Lausitz zur Erforschung der dortigen Schlackenwälle (2^itschrift für
Ethnologie 1870, S. 357 — 367), im folgenden Jahre die Schweiz und Ober-
italien (Botanische Beobachtungen in Oberitalien, Isis 1872). Bald darauf
vertauschte er sein Lehramt mit einem weniger anstrengenden an der städti-
schen .\nnen-Realschule zu Dresden, die er, wenn auch mit mehrfachen l'nter-
brechungen durch Urlaub, über 20 Jahre lang bis zu .seiner 1893 erfolgten
Pensionierung bekleidete. Zu seiner groflen Freude wurde ihm der geo-
graphische und naturwissenschaftliche Unterricht Qbertragen. Diesen suchte
er vor allem möglichst anschaulich zu gestalten. Mit vieler MQhe, aber ohne
große Kosten, brachte er eine reiche und sehenswerte Sammlung von Natur-
objekten und geographischen Anschauungsmitteln zusammen. Die letztere
umfaßte hauptsächlich Karten, (iloben, Reliefs, Landschaft-sansichten, X'ölker-
typen, Trachtenbilder, ethnographische Gegenstände, charakteristische Industrie-
eizengnisse, Handekwaren und Tauschmittel. Durch eine Schrift ttber die
Notwendigkeit und Einrichtung geographischer Schulsammlungcn (Zeitschrift
für das (iymnasialwesen 1877) suchte er auch weitere Kreise für seine Be-
strebungen zu interessieren. Damit es auch für die Hand der Schüler an
einem möglichst vielseitigen geographischen Lehr- und Anschauungsmittel
nicht fehlen sollte, gab er nach jahrelangen Vorarbeiten unter Mitwirkung
der namhaften Zeichner W. Claudius, H. Leutemann, G. Mtttzel und C. F.
Seidel seinen Typen-Atlas heraus (Dresden 1881, 4. Auflage 1892). Dieser
naturwissenschaftlich-geographische Handatlas bringt auf 15 Tafeln in treff-
lichem Hol/si hnitt mehrere hundert Objekte aus der Menschen-, Tier- und
Pflanzenwelt zur Anschauung, welche beim geographischen Unterricht zur
Besprechung kommen und doch den Schülern entweder gar nicht oder in
nicht genügender Weise vor Augen gestellt werden können, und lehrt gleich-
zeitig durch die in die beigegebenen Kartenskizzen eingedruckten Ziffern die
hauptsächlichsten Kundorte und die ungefähren Verbreitungsgebiete der dar-
gestellten (legenstände kennen.
L'nterde.s.sen hatte er aber auch keine Gelegenheit versäumt, seinen
geistigen Horizont durch Reisen zu erweitem. Im Sommer 1873 besuchte er
mt seinem Freunde und Amtsgenossen Sophus Rüge, der gleichfalls aus
einem Theologen ein Geograph geworden war, Böhmen und die Tatra, im
folgenden Frühjahr Mittelitalien und Elba (Geognostische Skizze der Insel
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Sdmeider.
Elba, Isis 1874). Als 1875 eine Gesellschaft deutscher Gelehrter zu natur-
wissenschaftlichen Samnilungszwecken die Kaukasusländer bereiste, wurtle
er zur Teilnahme eingeladen. Im März fuhr er quer durch Südrußland nach
Tiflis, wo er bei Gustav Radde, dem verdienstvollen Direktor des Kaukasi-
schen Museums, gastfreie Aufnahme fand. Nachdem er sich mit der Insekten-
founa in der Umgegend dieser Stadt und mit den zoologischen Schätzen des
Museums eini}:erniaßeii bekannt gemacht hatte, eilte er, um das Erwachen
des Frühlings ni( lit zu versäumen, unter vielen Beschwerden auf dt r ^gru-
sinischen Heerstraße nordwärts über Wladikawkas nach dem Steppengebiet
des Terek. Dann begab er sich zu den Naphthaquellen von Baku, nach
Krasnowodsk am Ostufer des Kaspisees, nach der Landschaft Talysch am
Südwestrande desselben, endlich nach dem armenischen Hochlande. Hierauf
kehrte er über Konstantinopel nach Hause zurück. Die Bearbeitung seiner
reichen Sammlungen, die allerdings nur zum Teil glücklich in Dresden ein-
trafen, beschäftigte ihn mehrere Jahre, da namentlich die Bestimmung der
niederen Tiere, von denen er allein 18000 Käfer in 1700 Arten mitgebracht
hatte, grofle Schwierigkeiten bereitete und wegen der notwendigen Mitwirkung
anderer Fachgelehrten viel Zeitaufwand erforderte. Folgende Bücher und
Abhandlungen traten allmählich als Früchte der kaukasischen Reise an die
Öffentlichkeit: Vorläufiger Bericht (Sitzungsberichte der Isis 1876), Natur-
wissenschaftliche Beiträge zur Kenntnis der Kaukasusländer (Dresden 1878),
Beiträge zur Kenntnis der kaukasischen Käferfauna (Verhandlungen des
Natufforschenden Vereins in Brünn 1878, Band 16—17, gemeinsam mit Hans
Leder verfaßt), Schädel vom Schlammvulkan von Boshie-I'romysl in Trans-
kaukasien (Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie 1878)
und Über die kaukasische Naphthaprodiiktion (Dresden 1883).
Bald nach seiner Rückkehr verheiratete er sich, und da auch seine Ver-
mttgensverhältnisse günstigere geworden waren, würde ihm wenig mehr zu
voller Zufriedenheit gefehlt haben, wenn ihm nicht sein Gesundheitszustand
ernste Soilu lureitet hätte. Ein Herzleiden machte sich bemerkbar und
nötigte ihn, last alljährlich Urlaul) zu erbitten und längere Zeit in Kurorten
zu verweilen, zunächst meist in Italien, später vorwiegend auf den Inseln
der deutschen Küste. Dabei benutzte er jedesmal ausgiebig die Gelegenheit,
seine Sammlungen zu vervollständigen und namentlich die Insektenfauna der
betreffenden Gegenden zu erforschen. 1882 weilte er in \'allombrosa bei
Florenz (Beschreibung der Gegend und Verzeichnis der daselbst gefundenen
Käfer im Globus iSSS, Band 54, Xr. 14), 1SS3, 1884 und im Winter 1888 8q
in San Remo, von wo aus er auch Korsika besuchte (Die Riviera di Ponente,
Weimar 1887; San Remo und seine Tierwelt im Winter, Über Melanismus
korsischer Käfer, beide in den Verhandlungen der Isis 1893 und 190a). Als
1883 infolge zunehmender Herzbeschwerden Todesahnungen über ihn kamen,
stellte er, um einige seiner besten kleinen Aufsätze vor der Vergessenheit zu
retten, eine Sammlung derselben unter dem Titel: Naturwissenschaftliche
Beiträge zur (ieographie und Kulturgeschichte zusanunen (Dresden 1883).
Seit 1887 verweilte er zu seiner Erholung fast alljährlich einige Sommer-
wochen hindurch auf Borkum. Die Muße des Badelebens verwendete er
dazu, die Fauna der Insel systematisch zu erforschen und zu sammeln. Nach
13 Jahren veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Studien in einer als muster-
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Sdineider. Fantin Leopoldine.
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haft anerkannten Monographie: Die Tierwelt der Nordseeinscl Horkum unter
Berücksichtigung der von den übrigen ostfriesischen Insehi bekannten Arten
(Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Bremen 1898, Bajid 16).
Darin widerlegt er die bisher verbreitete Annahme von derTierarmut dieser
Insel und weist das Vorhandensein von nicht weniger als 2823 Arten nach,
von denen 28 der Wissenschaft bisher unbekannt waren.
Trotz aller Bemühungen um seine Gesundheit verschhnimerte sirh indes
sein Herzleiden von Jahr zu Jahr. 1893 war er deshalb genötigt, sein
Schulamt niederzulegen. £r siedelte in sein eigenes Grundstück nach
Blasewits nahe bei Dresden Qber und lebte hier noch 10 Jahre ganx seinen
wissenschaftlichen Neigungen, namentlich der Vermehrung seiner reichen
Käfersaminknig und dem Verkehr mit Freunden und Kachgenossen, mit
denen er im Verein für Krdkunde, in der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft
Isis und im Entomologischen Verein Iris regelmäßig zusammentraf. Auch
literarisch trat er noch in seinen letzten Jahren durch eine Reihe von
kleineren Abhandlungen in verschiedenen geographischen und entomologischen
Zeitschriften hervor. Die wertvollsten Bestände seiner Sammlungen hinterliefi
er dem Zoologischen Museum zu Dresden.
K. M. Udler in der »Deutschen EntomologiscbcD Zeitschrift Iris« 1903, S. 236—246
(imi bilüiuä und üibliographicj. Viktor Hantzsch.
Leopoldine Ffiratin zu Hohenlohe-Langeabnr^ * 22. Februar 1837 in
Karlsruhe, f 23. Dezember 1903 in Straßburg (Elsafi), — Sie war die jüngste
Tochter des Markgrafen Wilhelm von Baden und seiner Gemahlin F.lisabeth, '
geborenen Herzogin von W'ürtteniberi;. Am 22. Se|)teml)fr 1S62 vermählte
sie sich mit dem Fürsten Hermann zu Hohenlohe-Langenburg. Dieser sehr
glücklichen Ehe entsprossen drei Kinder: der Erbprinz Emst, die Prinzessin
Elise, vermählt mit dem Erbprinzen Heinrich XXVII. Reufl j. L. und die
Prinzessin Feodora, vermählt mit dem Fürsten Emich zu I.einingen. An (\er
Seite ihres Gemalils eifrifj mit der F^rziehumr ihrer Kinder beschäftigt, lebte
>ie abwechseliul in Karlsruhe und auf tlem Schlosse I,angenbur<^, bis im
Herbst 1894 die Ernennung ihres Gemahls zum Kaiserlichen StaitliaUer des
Reichslandes Elsafi-Lothringen die Fürstin zu dauerndem Aufenthalte nach
Strafiburg rief. Von da an stand sie dem Fürsten Hermann bei Erfüllung
seiner mannigfachen Aufgaben in treuer Pflichterfüllung und unermüdlicher
Hingebung zur Seite, sowohl wenn es sich um die Repräsentation handelte,
in welcher sie eine ebenso glänzende wie liebenswürdi^fe ( iastlichkeit betätigte,
als auch bei Pflege einer werktätigen Nächstenliebe, in der sie mit ihrer
Nichte, der Deutschen Kaiserin, wie mit ihrer Cousine, der Groflherzogin von
Baden, wetteiferte. Den Schwachen und Kranken hilfreich zur Seite zu
stehen, den Armen ihre Sorgfalt ZU widmen, betrachtete sie als eine der vor-
nehmsten Pflichten ihrer Stellung und was sie ihnen (Jutes tat, war erfüllt
von der echten Xäc hstenliebe, die den Beschenkten mehr noch als die
erhaltene Gabe erquickt und tröstet. In den Versammlungen wohltätiger und
gemeinnütziger Vereine wirkte sie mit viel Umsicht und Takt, wodurch sie
sich im Reichsland überhaupt in weiten Kreisen Ssrmpathie und Vertrauen
erwarb, Mit ihren Angehörigen trauerten an ihrem Sarge in erster Reihe die
Armen und Kranken, v. Weech.
Biogr. Jahrbuch u. Deutsclier Nekrolog. &. Bd. <
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Diffene.
Diffcne, Philipp, Cieheimer Rommerzienrat, * 27. November 1833, f 4. Ja-
nuar 1903 in Mannheim. — D. entstammte einer angesehenen Mannheimer
Familie ; sein Vater war während einer Reihe von Jahren Bürgermeister dieser
Stadt. Frühzeitig für den Handelsstand bestimmt, trat er, nachdem er eine
gründliche Schulbilthmf; f^enossen hatte, in die von seinem Vater gegründete
Tabak- und Weingroßhandlung Sauerl)cck und Diffene ein, der er vom Tode
seines Vaters an als leilhaber angehörte; später wurde er alleiniger Inhaber
dieser Firma, welcher er durch seine unermüdete Tätigkeit eine achtung-
gebietende Stellung erwarb. Seit 1870 war er Mitglied der Mannheimer
Handelskammer, die ihn 1880 zu ihrem Präsidenten erwählte. Er hatte diese
Stellung bis zu seinem Tode inne. \'om Jahre 1885 an vertrat er die Handels-
kammer ununterbrochen im Ausschusse des Deutsclien Handelstages, auch
die Leitung des badischen Handelstages lag in seiner Hand. Die liedeutung
der Bewegung, welche seit Gründung des Deutschen Reiches den Handels-
stand Mannheims ergriff, um sich auf dem Weltmarkte zu betätigen, erkannte
sein scharfer Blick alsbald, und der l-örderung der Bestrebungen der am
Endpunkte der Rheinschiffahrt, an zwei Flüssen gelegenen Stadt war unaus-
gesi't/t seine rastlose 'I'ätigkeit, seine unermüdliche Arbeitskraft gewidmet.
Mit der (ieschiehte der Fhitwicklung und Blüte der Industrie- und Handels-
stadt Mannheim wird sein Name immer verbunden bleiben. Auch an der
Verwaltung der Stadt nahm Diffenö eifrigen Anteil. Die nationalliberale
Partei der F'.inwohnerschaft wählte ihn 1871 in den Bürgerausschufl, in welchem
er als Mitglied mehrerer Kommissionen sich vielfach verdient machte und
seit 1881 aK \ orsitzender des Stadtverordneten Vorstandes maßgebenden VAn-
fluQ ausübte. Im Jahre 1886 wurde Diffene nach dem Ableben des der
demokratischen Partei angehörenden Kaufmanns Kopfer als Abgeordneter
des Wahlkreises Mannheim — ^Weinheim — Schwetzingen in den Reichstag ge-
wählt und errang auch bei den Neuwahlen nach der infolge der Septennats-
frage stattgehabteti Aufli>sung des Reichstages den Sieg über den ilemokratischen
und den sozialdemokralis* hen Bewerber. Im jähre iSqo jedoi h unterlag er in
der Stichwahl dem Kandidaten der Sozialdemokratie; 1893 lehnte er sodunn
die Annahme einer abermaligen Kandidatur ab. Im Reichstag trat er nament-
lich bei den Verhandlungen über die Tabaksteuer- und Tabakzollfragen als
Redner in den Vordergrund und er\s arb sich eine angesehene Stellung durch
seine große Sachkenntnis. In den politisclu-n Fragen gehörte er dem rechten
Flügel der nationallihoralen Partei an, wahrend er in den wirtschaftlichen
Fragen sich mehr dem linken Flügel zuneigte, jedoch für einen gemäßigten
Schutzzoll eintrat In Baden hatte ihn schon 188 1 der Groflherzog zum
Mitglied der Ersten Kammer ernannt, 1893 erfolgte seine Ernennung zum
\'i/.cpräsidenten. Auch in dieser Stellung war Diffen^ durch sein umfassendes
Wissen, seine reiche Erfahrung und die .Mäßigung in Geltendmachung seiner
Anschauungen liochgeschät/.t. In der ( lesc häftswelt erwies sich das Vertrauen,
das ihm in ilen weitesten Kreisen ge.schenkt wurde, durch die Wahl zum
Aufetchtsrate verschiedener bedeutender industrieller Unternehmungen. Staats-
männer, Kaufleute und Industrielle widmeten Diffend bei seiner Bestattung
auf dem Mannheimer Friedhof am 7. Januar 1903 die ehrendsten Nachrufe.
\'<jl. den Jahrobcrii-Iit <kr H.mdelskaminer für den Kreis Mannheim für das Jahr 1903
und verschiedene Mannheimer Zeitungen aus dem Januar 1903. v. Weech.
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Pecht
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Pccbt, Friedrich, Historien- iind Porträtmaler, Zeichner und Kiinst-
historiVcr, * 2. Oktober 18 14 zu Konstanz, j 24. April igo^ zu München als
groliherzogUch batlischcr Hofmaler. — Die l anulic l'ccht stammte aus Ost-
fnenften oder Schweden , verzog nach Unteitranken, wo der Großvater bei
Baflfurt eine Ansiedlung (Neudorf) gründete, daselbst unseres Kfinsüers
Vater 1773 geboren wurde. Anfangs zur Theologie bestimmt, stuilierte der-
selbe zu Bamberg und Würzburg, trat \n die Riegersehe Buchhandlung zu
Aug^burg, übernahm eine Filiale derselben in Konstanz 1798, errichtete eine
Buchdruckerei in Frauenfeld, begann und redigierte daselbst die »Thurgauer
Zeitung« und eine landwirtschaftliche Monatsschrift, den »Bauemfreund«,
heiratete die Tochter eines Kantonrates, übersiedelte 181 2 nach Konstant
un 1 L fablierte dort nach Senefclders Erfindung eine lithographische Druckerei.
Im llungerjahre 181 7 lieli sich der unruhige, wanderlustige Mann herbei, eine
Anzahl Arbeiter einer Petersburger Kattunfabrik zuzuführen. Während der
Vater noch viele unnütze Projekte, auch eine Samenhandlung und Zichorien-
fabrik betrieb, erhielt der kleine Fritz in der altertümlichen Stadt, deren
Kunstwerke zur barbarischen »Verschönerung« der Vernichtung anheimfielen,
die ersten künstlerischen Eindrücke. Auch die damals vielverbreiteten Bilder-
bogen des Nördlinger Malers Job. .Michael Voltz (17S4 — i«S58) übten große
Anziehungskraft auf den Knaben, welcher bei dem Bildhauer Sporer, dem
Zcichnungslehrer Nikolaus Hug, dem Maler Wendelin Moosbrugger und der
schönen Marie Ellenrieder weitere Anregung fand und die abermals in
Schwung kommende lithographische Anstalt des Vaters als Faktor leitete,
dabei auch Köpfe auf Stein zeichnete, darunter die Bildnisse von Wessen-
berg, den Prinzen Louis Napoleon und dessen Mutter, der »dicken Königin
Hortensia . Seine landschaftlichen Studien boten den Stoff zu einem im
väterlichen Verlag erscheinenden Bodensee-Album« (1832). Angezogen vom
Ruf des dortigen Kunstlebens und insbesondere um sich im Gebiete der
Lithographie weiterzubilden, ging P. nach München, zeichnete an der
Akademie gleichzeitig mit Schraudolph, Giessniann und Strähuber, wobei
Schnorr, Heinrich Hess und Conrad Eberhard die Korrektur übten, hospitierte
bei Hanfstängl, wo er an einem Reiterbilde des Königs Otto von Griechen-
land die Luft des Hintergrundes verbesserte und an einem Bildnisse Schellings
von Stieler die Haare des grofien Philosophen kräuselte; natürlich besuchte
er auch mit absolutem Unverständnis dessen Vorträge und mit gleichem
Erfolge die Kunstexpektorationen F. von OUviers an der Akademie; alle
Sehenswürdigkeiten der Stadt wurden bestaunt und eine Menge mehr oder
minder interessanter Persönlichkeiten, wie Saj)hir, Ksslair, \ espernKuni be-
wundert. Dazwischen gab es Künstlerfeste mit der veritabeln In.szenierung
von »Wallensteins Lager«, oder eine Erstaufführung von Meyerbeers »Robert
der Teufel«, dann wieder Ausflüge in die altbayerische Bergwelt, Abstecher in
die Schweiz, nach Tirol und Innsbruck zu den erzgegossenen rirabwächtem
am Denkmal dos Kaisers Maximilian. In erstaunlicher Armut tuten sich die
jugendlichen Kunstgenossen zusammen, tlie vom täglichen Ertrag ihrer Arbeit
nicht allein in frugalster Weise und buchstäblich von der Hand zum Munde
lebten, sondern auch möglichst viel lasen und lernten und grofie Zukunfts-
hoffnungen planten. Im Winter 1836 folgte P. einer Einladung Hanfstängls
nach Dresden, betätigte sich an der lithographischen Reproduktion der
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Pecht
dortigen Meisterwerke in der Galerie, inalte eine Menge von HiUlnissen, be-
freundete sich mit Semper, Kietschel, Emil Devrient, Dahl, Friedrich,
L. Richter, und erweiterte seinen Gesichtskreis, welcher 1838 und 1839 in
Leipzig, insbesondere durch die Bekanntschaft mit den Trägem des »Jungen
Deutschland« erheblichen Zuwachs fand. Nachdem P. auch noch die tonan-
gebenden »Düsseldorfer« auf einer Berliner Ausstellung und die Krzcugnisse
der neueren Franzosen bei einem Kunsthändler kennen gelernt hatte, zog er
1839, mit guten selbstverdienten Mitteln versehen, über München, Konstanz,
Karlsruhe und Straßburg nach Paris. Delaroche bot ihm wohlwollend einen
Platz in seinem sehr einfachen und schmucklosen, aber mit Schülern Ober-
sSten Atelier. In Paris wurde P. mit dem feinen Winterhalter und in
Versailles mit Delacroix bekannt, ebenso mit T.aube, welcher ihn mit Heine
zusammenführte. P. zeichnete nicht nur Heines Porträt (lithographiert von
P. Rohrbach), sondern schilderte auch sein ganzes Wesen (Pecht: »Aus meiner
Zeit« 1894, I, 187). Hingerissen von der nonchalanten Grazie der Heineschen
Lieder, die P. füt auswendig wuflte, gebrauchte der Maler den unvorsichtigen
Ausdruck »das klinge ja leicht wie aus drai Ärmel geschüttelt«; da brauste
aber der Dichter zornig auf: »wenn Sie es nur wüßten, wie ich oft tage-, ja
wochenlang an einem einzigen Verse herumgefeilt habe!« Dazu kann der
Schreiber dieser Zeilen mit weiteren, wie mir dünkt, bisher nicht bekannten
Erinnerungen dienen. Das ganze Manuskript vom »Buch der Lieder« hatte
Heine dem um dieselbe Zeit in Paris weilenden August Lewald geschenkt.
Lewald hütete diese kostbare Gabe mit neidischer Sorgfalt; nur nach langen
Bitten entschloß sich Lewald, wie er mir 1857 wiederholt erzählte, ein Blatt
für eine sehr hohe Autographenjägerin herauszuschneiden. Jede Seite dieses
in klein Oktav geschriebenen Heftchens zeigte vielfache Korrekturen, eine
einzige Strophe trug 17 Varianten! Leider ist dieses unbezahlbare Unikum
unwiederbringlich verloren, da August Lewald, vor seinem am 10. März 1871
in München erfolgten Tode, alle Briefe und Autographen, sämtliche Korre-
spondenzen, Schriften und Büchet — in einem Anfall von Raserei — ver-
brannte! — P. kam damals in Paris auch mit seinen deutschen Kollegen,
dem Schluchtenmaler Feodor Dietz und dem zierlichen Albert Graefle, in
Fühlung. Den anziehendsten Eindruck machte jedoch Richard Wagner, der
trotz seines schlechten Klavierspieles und der noch müheseligeren Hand-
habung der französischen Sprache, eine Aufführung seines »Rienzi« an der
großen Oper ilurchzudrücken hoffte. P. war förmlich fasziniert von der
magischen Anziehungskraft, der freien l })erlegenheit, dein angeborenen Adel
seiner Natur, seiner Leidenschaftlichkeit und dem sprudelnden Witz des erst
sechsundzwanzigjährigen Komponisten, seiner Weltgewandtheit und der Un-
erschOpflichkeit, neue Hilfsmittel und Quellen zu finden und herauszuschlagen.
Die Schilderung seiner Berührungspunkte mit Wagner gehört zu den an-
ziehendsten Abschnitten in P.s »Lebenserinnerungen«.') In dieser Zeit war
P. auch Zeuge der »Einholung der Leiche Napoleons von St. Helena« und
der EntliüUung der »Juli-Säule«. Seine artistischen Pariser Eindrücke und
Erfahrungen verwertete P. 1841 und 1842 in Konstanz als Zeichner, Porträt-
<) In cTweiteiter Foim in der »Tiglichen RundsduM« and daiatis im Fetdileton der
Mflnchener »Neuesten Nachrichten« Nr. 171 und 17a vom 33. und 34. Juni 1894.
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nuler und Lithograph; ein Ausflug ins Appenzellerland ergab schönes
Material zu sehr einfachen Genrebildern, darstellend z. B. : eine »Appenzeller
Stube«, ein armes »einen Brautkranz betrachtendes Mädel« oder 'ins Wihi-
kirchli«, welches noch lange auf seine durch J. V. von Scheffel zu crwartemle
Berühmtheit warten mufite — Stoffe, welche im Kunstverein zu München, wo
P. 1843 — 1^44 abermals gastete, gebflhrliche Anerkennung fonden.*) Auch
»Der Wifthin Töchterlein« und die »Wallfahrt nach Kevlaar« erhielten eine
über die schwarzgerauchten Wände der »Scheideischen Künstlerherberge«
hinausgehende Beachtung. P. wurde mit K.iulhach, Genelli, Enhuber,
Albert Zimmermann und andern Kor)'phäen, auch mit den jüngeren Malern
bekannt, welch letzlere der scharfe Kritiker noch in späterer Erinnerung
zQroend apostrophierte: »Es gibt nidits Undankbareres als den Verkehr mit
Jungen Kfinstlem (und P. war kaum erst in das dritte Dezennium getreten!),
die so gar nichts zu geben haben, aber doch sehr bald die älteren zu über-
sehen glauben.« Kr sprach damals schon sehr doktrinär über eigene Er-
fahrung! Auf wanderlustigen Streifzügen wurrlen (Irünwald, Schäftlarn,
Starnberg — dieses vorläufig noch ohne Eisenbahn und Dampfschiff —
unsicher gemacht, dann ging es über Mumau und Partenkirchen »ins Tirol«,
durch das Otztal nach Meran, wo P. zwei Monate im Schloß Tirol in Sommer<>
frische lag und Blutsbrüderschaft mit dem feinfühligen Dichter und Maler
Friedrich I. entner, dem sarkastischen Dr. Ludwig Steul) und dem markanten
Dr. Streiter schloß. Das Jahr brachte ihn wieder nach Leipzig, wo im
lebhaftesten Verkehr mit Laube, Kuranda, Kammerrat Krege, Alexander Kauff-
roann, Moriz Hartmann, Alfred Meissner, Uffo Horn, Berthold Auerbach,
Gustav Freytag, Julius Fröbel nicht allein ihre Porträts, sondern auch eine
Menge Bildnisse von anderen berühmten und seitdem wieder verschollenen
droßen gezeichnet wurden. F.in Abstecher nach Weimar machte ihn mit
Bernhard Neher und Freiler bekannt, auch heimste er noch allerlei Tradi-
tionen ein und entriß selbe der Vergessenheit z. B.: daß sich Frau von
Pogwisch, die Mutter von August Goethes Gattin, zu dem Ausspruch verstieg,
dafi sie »Goethen als Menschen verabscheue; es habe gewifi keinen zweiten
Egoisten wie ihn gegeben«, womit nicht ihr Schwiegersohn, sondern der
Vater desselben gemeint war. Wieder in Dresden (1846 — 1S47) malte l\
viele hocharistokratische pohlische Schönheiten, lernte auch die geistreiche
Gräfin Ida Hahn-Hahn kennen und begann sein Ölbild: »Goethe nach der
ersten Aufführung seiner »Iphigenie« mit Ck>rona Schröter« — ein Thema,
welches später Kaulbach abermals bearbeitete. In regen Verkehr trat P. mit
Hähnel, Ferd. Hiller, dem jugendlich überschäumenden Arthur von Ramberg,
mit der Schröder-Devrient, Otto Ludwig, Semper, Rieh. Wagner, Emanuel
Geibel, Julius Schnorr und vielen anderen. Der Sommer 1847 brachte ihn
über München wieder nach Meran und dann nach dem schon unheimlich
kochenden Venedig, über Ttiest, Wien, Prag nach Dresden und Leipzig
zurück, wo sein Goethebild glücklich nodi einen Käufer fand. Da es aber
>) Die »AppoMeller^Fanilie« wnrde iin Mflnchener Kunstvereiii tat Veilo«ung 184a
am 133 Gulden angekauft; 1843 »Der Wirthin Töchterlein« mit 294 Gulctoi und von dem
XyJographcn Schneider gewonnen. Außer der »Wallfahrt nach Kevlaar« wurden 1.S44
aocb ausgestellt eine »Mittagsruhe schwäbischer Landlcute, welche von der Walltalut nach
Mvk Einaedeln sartdckehrenc und »Zwei Ittdchen in der Kirehe«.
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Pecht
beim Anbruch des tollen Jahres 1848 für die Kunst wenig Aussicht gab, so
nahm P., angereiht durch einen Schweizer Vetter, <ler als Aj^ent eines brasiliani-
schen Hauses große (Jeschätte mit Kaffee und Diamanten machte, einen
über Hamburg und England nach Amerika lautenden Tali. Ausgestattet mit
wohlgemeinten, in die höchsten Kreise reichenden Empfehlangsbriefen, konnte
der nur höchst mangelhaft die Sprache beherrschende Portritmaler keinen
festen Fuß fassen, trotz einigen (sogar für den Prinzen Albert) zur Zufriedenheit
ausgeführten Aufträgen. Er beschränkte sich also neben den Studien in den
Galerien, auf Studien in der aristokratischen Promenade <les Hydepark und
die nicht immer anziehenden Eindrücke des übrigen Stralien- und Volkslebens,
und kehrte, in rechtzeitiger Erkenntnis der Torheit, sich expatriieren zu
wollen, und trotz der vielverheifienden Ankunft und Kinladung eines zweiten
Schweizer Vetters, ihm nach l^dna zu folgen, nach Deutschland und Frankfurt
zurück, um hier im politischen (lewimmel des Parlaments Stoff zu sammeln
zu einem großen historischen Bilde. Aber der so gewaltige Erwartungen er-
regende Reichstag ergab wenig künstlerische Ausbeute, P. zeichnete im
Wetteifer mit Boddien, Adolf Schrödter und anderen nur einen Zyklus von
Karikaturen, welche unter dem treffenden Titel als »Atzbilder« erschienen,
ausgestattet mit satirischen Texten des seine politischen (IcL-^tur auch außer-
halb der l'aulskirt he aK l'iepmeyer ; mit allen Waffen iles (leistes und
Spottes verf<iigen(ien Joh. Hermann Detmold (* 1S07, f 1856). Außerdem
blieb es bei Vorstudien von großen Porträts, Gruppen- Kompositionen und
Klubbildem und ein paar Bilderbogen mit der Ermordung von Auerswald
und Lichnowski. Dann ging es Über Konstanz in die Meraner Sommer-
frische und nach dem inzwischen sehr veränderten »>Elbeflorenz < zurück, wo
P. nel)en dem Verkehr mit Betty Paoli, Alfred Rethel und A. von Rambcrp
Szenen und Charakterköpfe zeichnete zu Hackländers (leheimen Agenten-^
oder Gutzkows ' Ritter vom Geist und einen Genrestoff aus den Befreiungs-
kriegen« begann. Bei einem Ausflug nach Partenkirchen, von wo P. auch
das »Ammergauer Passionsspiel« besuchte und davon Gruppen und Köpfe
für Philipp Eduard Devrients Monographie (Leipz. 1851) zeichnete, hatte sich
der KünstK'r eine hartnäckige Augenentzündimg zugezogen, welche vorerst
das Malen und Zeichnen unni()glich machte. In der unfreiwilligen Muße
diktierte P. seine »Jugenderinnerungen die in Kühnes »Zeitung für die
elegante Welt« (abgedruckt in P.s Autobiographie »Aus meiner Zeit« 1894,
I. B.) erschienen und Glück machten. Da der Arzt von einem Besuche
Italiens gründliche Heilung versprach, so kam P. darauf, dahin zu reisen
und die l'',indrücke als Schriftsteller, vielleicht sogar in illustrierter Form zu
verwerten, wozu sich der bereitwillige J. |. Weber als \'erleger ein\ erstanden
erklärte. P. ging also, ebensowenig vorbereitet, wie ehebevor für Paris und
London, nach Italien, ohne besondere sprachliche oder kunsthistorische
Kenntnisse, ausgestattet, wie er selbst mit rührender Offenheit eingesteht, mit
»einer unglaublichen Unwissenheit«. In Venedig abermals erkrankt, fand P.
an dem Wiener Ministerialrat Exner') (* 1802, f '^53) «in^n fördernden
') über diesen um \'cnctlig so hochverdienten k. k. Ilofrat Franz Exncr (geb. 28. Aug.
1802), welcher schon am 19. Juni 1853 zu Padua ätarb, vgl. Wurxbachs »Biographisdies
Lexikon« 1858 IV, 115 ff.
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Pecht.
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Freuntl, und einen fröhlichen Kunstj^enosseii an dem «hiin:\ls seine St hw Ingen
gaiu virtuos entfaltenden A<|uarellisten Ludwig Passini (welchem er iSyq im
IL Bd. S. 251 ff. seiner ; IJeuische Künstler des XIX. Jahrhundert-s« ein so
schönes Denkmal setzte). P. begann damals schon die Vorstudien zu
seinem groften und sehr respektabel durchgeführten, aber erst 1854 vollendeten
Bilde, darstellend eine »Episode aus dem Kinzuge der österreichischen
Truppen in V'eneilig 1849«, wo die vielverrufenen Krieger ihre Rationen mit
den überall am Markus]ilatze herundiegenden Hungernden untl Kranken
teilten (seit 1882 im Rudolphinum zu Prag), eine Leistung, welche 1854 in
Galvanographie durch Schöninger in vielen Kunstvereinen als Jahresprämie
die weiteste Verbreitung erhielt. Unter den merkwürdigen Persönlichkeiten,
die P.s Aufmerksamkeit erregten, befand sich auch der originelle Charakter-
kopf John Ruskins, des Vaters der englischen Präraphaeliten, welcher damals
über seinen »S/o/ny of Wnuc seine lustige Frau und sie ihn in Vergessenheit
brachte. — Ganz entzückt von den ihm früher so wenig bekannten venetiani-
schen Malern, die er trefflich charakterisiert (dabei begegnen ihm freilich,
wie auch anderswo, allerlei Lapsalien, z. B. im Exkurse über Paolo Veroneses
»Hochzeit von Canaan«!), ging P. über Padua, Mantua, Bologna, Florenz,
Livomo. nach Rom. Mit großer Geschicklichkeit gelingt es ihm, die Haupt-
personen, mit welchen P. auf längere oder kürzere Zeit in Fühlung geriet,
durch wenige festsitzende Striche leibhaft dem Leser vorzuführen, so den
alten, immergrimmigen Maler und Bildhauer Joh. Martin von Wagner, den
idealen Landschafter Emst Willers (1802 — t88o), den jungen glühenden
Bouguereau, den ehrwürdigen Overbeck, Karl Werner und Swertschkow. Zu-
fällig stiel! er auch mit einem jungen in gleicher Mauserung helitidlichen
Juristen zusammen, welcher mit alndii hen Herufssc hmerzen behaftet war
und von j)üetischem Geist angehaucht, die Kokons seiner bisherigen K.\istenz
SU durchbrechen trachtete. Während P. zum Berufe des Schriftstellers
einbiegend, seine Palette vorläufig an den Nagel zu hängen und ein Buch
Ober Italien zu schreiben gedachte, mühte sidi der damals noch namen-
lose Jos. Viktor Scheffel, ein bisher nur widerwilliger 'I'hemis- Jünger, der
.Muse der .Malerei den Gürtel zu lösen, ahnungslos, daü der ihm einzig be-
stimmte Hippogryph schon ungeduldig scharrend seines künftigen Reiters
harrte. Mit liebenswürdigster Teilnahme für den älteren Kollegen, mit be-
zaubernder Mischung von gesundem Menschenverstand, köstlichem Humor
und holder Idealität bat der die poetischen Eierschalen noch auf dem Rücken
tragende Maler den praktischen Kollegen, ja nicht zwischen zwei Stühlen
niederzusitzen, während der artistische Kritiker die Seele seines Mrutiers in
Apoll zu retten suchte. Sie blieben über diesem Lebensturnier mit deutscher
Gründlichkeit bis um die tiefste Mittemacht sitzen und »wendeten sehr viel
feurigen italischen Weines daran, um sich gegenseitig die deutsche Tinte
auszureden«. Für beide waren im Ratschluß der Götter indessen die
günstigen Würfel gefallen. Keiner fand des Lotos süße Kernfrucht, tlie der
Heimat .Angedenken auslöscht ; jeder wurde seines eigensten Berufes klar.
Scheffel folgte dem Gangsteig zum Parnaß; P. dem ehrenden .Namen eines
scharfsinnigen Kritikers und anmutenden, gefälligen Schriftstellers, ohne
deshalb der ausübenden Kunst ganz treulos zu werden. Es zeigte sich
deutlich, dafi seine Feder im früheren Verkehr mit den Stimmführem des
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Pecht.
»Junpen Deutschlaiid<' Schulung empfangen hatte, er handhabte sie mit
Grazie, Humor und Sarkasmus; dabei stand dem scharfbeobachtenden Maler
immer ein heimlicher Poet zur Seite; es fehlte ihm, wie seine farbenprächtigen
Schilderungen, darunter beispielsweise die hinreißenden Skizzen des »Römi-
schen Karneval beweisen,') nichts zu einem glänzenden Keuilletonisten und
stilistischen Meister, als eine gediegene wissenschaftliche Bildung, die ihm
auf seinem ganzen Lebensgang ziemlich ferne geblieben war. Daher sein
doktrinäres Schwanken, welches prinzipienlos jeder neuauftauchenden Er-
scheinung huldigend, doch alsbald wieder bedingungsweise eingeengt oder
rückwirkend verplempert wurde. Die Folge davon ergab eine unerquickliche
Reihe von Plänkeleien um des Kaisers Bart und andere Unnotwendigkeiten,
zahllose X'erstimmungcn, Anfeindungen, Kmphndlichkeiten und nutzlose Ver-
geudung der guten, unwiederbringli< hen Zeit. In Summa gestaltete sich das
unleugbare Resultat, in eine neue Tätigkeit und gangbare Wege eingelenkt
zu liaben, worauf ilun viel schwächer begabte Naturen folgten, die gegen ihn
das höhnende Wort ausspielten: wohl seinen Worten zu glauben, aber nicht
seinen Werken zu folgen I Indessen erwarb P. durch seine in Briefform ab-
gefallen »Südfrüchte^ den unbestrittenen Ruhm eines geachteten Schrift-
stellers, dem später der eines scharfen Kritikers folgte. Nach seiner über
Neapel, Capri, Orvieto, Florenz, i'isa, (ienua, Turin und Mailand erfolgten
Rückkdir — der Vater war unterdessen, 1852, gestorben — verständigte er
sich mit den übrigen Erben der inzwischen nicht unbetr&chtlich ausgedehnten
Kunstanstalt in Konstanz, heiratete seine schon früher erkorene Braut zu
Ulm und gründete nach einem abermaligen Winteraufenthalte zu Venedig*)
ein behagliches Heim zu München. Hier erblühte ihm die Aufgabe, als
ständiger Referent über die neuesten Erzeugnisse der Kunst und Industrie,
über die Ausstellungen des In- und Auslandes in die Augsburger »Allgemeine
Zeitung« zu berichten, eine ebenso geachtete, wie beneidete und angefeindete
Obliegenheit, welche den vielbeweglichen Wanderer bald wieder nach Wien
und London, nach Paris, Gent und Antwerpen, mit idyllischen Rasttagen an
den Bodensee oder nach Berchtesgaden l>rachte. Damit begannen bei dem
durch Kaulbach, Schwind und den neuauftauchenden, schnell aller Augen
auf sich ziehenden Pilo^ rasch verftnderten Münchener Leben die »kritischen
Schuljahre« P.s, welcher ab Herold der neuen Ära ihren Ruhm willig, wohl-
beredt und glänzend verkündete. Freilich machten nch auch Meinungs-
Verschiedenheiten mit älteren unri jüngeren Fachgenossen wie F.rnst Förster,
Moritz Carriere, Feodor Dietz, Julius Grosse, Anton Teichlein und sogar mit
Dr. Max von Pettenkofer geltend, es setzte allerlei literarisch-artistische
Häckeleien und Lieblichkeiten, Fehden und Kilmpfe, nebst blauen Augen,
') Vorn römischen Karneval; vgl. Pecht: Siidfrüclite. Skizzenbuch eines M.ilers.
Leipz. 1853 bei J. J. Weber 1, 204 ff. — Andere Probea seine» perlenden Humors gab F.,
im Eingang seines Artikels ttber den »Neubau der Bayerisdien Vereinsbaiüc« (in Nr. 292
»Allg. Ztg.« 21. Oktober 1886), in dem Bericht aber die »Elektrische Ausstellung im
Miinclicner Glaspdast« (in Nr. 290 »Allg. Ztg.« 17. Oktober 1882) und an vielen anderen
Stellen.
*) Hier vollendete P. im Winter 1853 auf 1854 sein froher begonnenes Bild ttber die
»Einnahme Venedigs« (vgl. die Berichte in Eggers »Deutsches Kuns^latt«, Berlin 1854,
V, 440 [von A. Teichlein] und ebendas. i8s7. VUI, 461).
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moralischen Beulen, ehrenvollen Narben, schwere Turniere mit Lanzen-
gesplitter und Schwertgerassel, aber auch wieder problematische Friedens-
schlüsse und diplomatische Siegesfeierlichkeiten. Selbst mit den Redaktionen
setzte es Spähne und Zwist, dafür öffneten ihm andere Blätter, wie die
>S8ddentsche Zeitung«, die »Neue Freie Presse«, die MQnchener »Neuesten
Nachrichten« und die »Allgemeine Zeitung« ihre Spalten und Feuilletons.
Aus den Artikeln rundeten sich in neuer Bearbeitung eigene Bücher, z. B.
über »Die moderne Kunst auf der Internationalen Kunstausstellung zu
München ' (1863), über die Pariser (1867 und 1878) und Wiener (1873) Welt-
Ausstellungen — alle voll Geist, Witz, Humor, wohlwollender Belehrung und
anmutender Unterhaltung. Schon 1859 hatte ihn der Osterreichische Lloyd
in Triest mit einer Edition der »Meisterwerke Venetianischer Malerei« (in
Stichen von Merz, Raab u. a.) betraut, wozu P., als zu einem populären
Unternehmen, ilie passenden Bcglcittextc sclirich. Das gab den Anstoß für
die alsbald beliebten »Illustrationen« deutscher Künstler zu den Meister-
werken der größten Dichter, welche unter Beteiligung von Arthur von Ram-
berg in Leipzig (bei F. A. Brockhaus) in Stahlstich erschienen, keine eigent-
lichen »Kompositionen«, sondern einzelne ideale »Kostüm- und Charakterbilder«
in halber Figur und Kniestück. Von den 50 Blättern zu Schiller lieferte P.
allein 31 Zeichnungen, drei zu den Räubern, vier zu Fiesko, zwei zu Don Carlos,
sieben zu Wallenstein, fünf zur Jungfrau von Orleans, sechs für den 'Fell (in
effdKtvoUen Farbenstichen von Raab, Sichling, Schultheifi, Lämmel, Geyer,
Fleischmann, Jaquemot, Gonzenbach, Merz, Froer), darunter manches sehr
theatralisch urgiert. Darauf folgte in gleicher Anzahl und Ausstattung eine
I Goethe-Galerie ( in 50 Blättern, ebenso »Fessing« (1857 mit 30 Blättern)
und Shakespeare«« in 36 tafeln, wobei Max Adamo, Fr. Schwörcr, H. Spieß
und andere jüngere als Mitarbeiter auftraten. Im Zusammenhange damit
entstanden mehrere figurenreiche Ölbilder P.s »Goethe am Hofe des Mark-
grafen Carl Friedrich von Baden, bei Anwesenheit Carl Augusts von Weimar
'775» Faust-Fragment vorlesend«, eine etwas gequälte und steife Arbeit,
ganz in jener akadcniisch-aufgestutzten Manier, welche 1'. an seinen Coeffen
so bitterlich verhöhnte (nach einer späteren Wiederholung gestochen von
H. Droehmer und in Holzschnitt bei J. J. Weber in der Leipziger »lilustr.
Ztg.^). In gleicher Wdse bearbeitete P. die Ssene, wie Schiller nach der
eisten AnffQhrung der »Rftuber« beim Austritt aus dem Theater von den Zu-
hörern erkannt und mit einem «Hochvivat gefeiert wut K Darauf kam noch
ein »König Fear mit Cordelia«, »Heinrich VIII. mit .Anna Boleyn auf dem
Feste des Kardinal Wolsey- (Original in Schwerin, Stich von Raab in
Brockhaus »Shakespeare-Galerie«) und »Prinz Heinrich iV. am Sterbebette
seines Vaters« (Stich von J. Bankel). Zur Abwechslung wurde auch einmal
eine frühere Interieur-Studie aus dem Dogenpalast mit Figuren staffiert, eine
»Herbststimmung« in Farbe gesetzt, ein Bildnis oder Genrestoff (»Amor einer
Dame einflüsternd«) vorgenomTncn. K()!ii<,f Maximilian betraute ihn mit der
Darstellung von 12 historischen Charakterfiguren von Staatsmännern und
Feldherren, welche in Fresko, jedoch erst 1871, nach dem Fode des Königs
beendet wurden. Als Freskotier betätigte sich P. mit zwanzig die Geschichte
der Stadt Konstanz behandelnden Kompositionen, welche in dem bekannten
Konzilsaal daselbst, unter Beihilfe seines Landsmannes Fr. SchwOrer (* 1833
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PechL
zu Weil, f 1891 in München), wobei die Hilder Huli auf dem S( heiterhaufen ,
der »Einzug des Papstes Martin \'. , die N'erteidifiung von Konstanz gegen
die Schweden« und schlielilicli noch im Auftrug »1er (Jro Ii herzog in von
Baden der »Empfang Kaiser Wilhelm I. in Konstant 1871 von P. ausgeführt
wurden.
In der langen Zeit seines vielbewegten Lebens war P. mit den besten
seiner Zeitgenossen in persönlichen \'erkeiir gekommen, hatte ihre Werke
kennen gelernt und in verschiedenen Zeits<liriftfn teilweise sch<)n den
Lebenden oder oftmals auch den loten ein gebührendes Denkmal gesetzt.
Diese Biographien begann P. unter dem Titel »Deutsche Künstler des
XIX. Jahrhunderts« zuerst 1877 in einem Bändchen (Nördlingen bei Beck) zu
sammeln, welchem alsbald bis 1885 noch weitere Teile (der zweite Band
auch in neuer Auflage 1.SS7) nachfolgten.') In diesen, mit meisterlicher
Realistik hart herau>gemeiüelten Portratkopfen hat P.s l-eder wohl tlas Jieste
geleistet. Kreilich führte ihm auch hier bisweilen die Vorliebe oder eine
unüberwindliche Abneigung die Hand, beengte und trübte den sonst freien
Blick — wie überhaupt eine streng objektiv-historische Anschauung nie die
Intention derjenigen Schule war, unter deren Einwirkung seine Bildung sich
vollzog. Kr hatte bei seiner eminenten negal)ung auch das nicht ncidens-
wertc Talent, schnell zu vergessen oder ein kurz vorher zu em|)hatisrhes
Wort wieder einzudännnen — so betrübliche Delikte ergaben sich in auf-
fillligster Weise in den Artikeln Über Cornelius, l>efregger, Kaulbach, in der
widerwärtigen Geringschätzung von Schwanthalers grandioser Phantasie und
Gestaltungskraft, in der völligen Charakterverschiebung des Schlachtenmalers
Franz Adam, wie er id)erhau|)t den Trägern dieser Maler-Kamilie am liebsten
aus dem Wege ging: auih begegnete es ihm, bloli auf sein (ledächtnis ver-
trauenil, iiikier auf andere Namen umzutaufen (so ist z. B. Langenmantels
»Lavoisier« als Makarts I<eistung ausgegeben). Aber abgesehen von solchen
Hinfölligkeiten klingt aus diesen Porträtskizzen eine Feuer- und Farbenkraft,
ein den Leser geradezu hinreißender und fesselnder, die bereitwilligste An-
erkennung alm<)tigc'nder Zug. Hier ist I*. freilich ><7/w fi^rano s<ilh ganz in
seinem Klement, wemi er auch die feinkritische Diplomatik eiiRs Crowe und
Cavalcaselle nicht im entferntesten erreicht, wie er überhaupt immer nur
durch das persönliche Sehen, nie aber durch eigene exakte Forschung sein
Wissen konstruierte. Bücher zu lesen, war überhaupt nicht seine Sache und
machte ihm Pein; ein zuverlässiges Zitat aus einem Kachwerke sucht man
vergeblich in seinen Schriften. Dagegen ergötzt er die Leser und Lacher
du*rch ül»erras( hende Apercus und politische Betrachtungen, die seinem
patriotischen Herzen urplötzlich und unerwartet wie eine Sturzwelle entquellen.
•) Der I. Hand enthält »lic N.uikii: ( OriKlius, L. Richter, E. Kietschel, L. Knaus,
(j. Semper, M. v. Schwind, Anselm Keucrlia« Ii und I'relki ; H. Kottmann, Defregjjer,
W. V. Kuulbach, Lenbach, /VJfred Ketbel, A. Boccklin, L. Passini, ü. GeneUi, A. v. Menzel
und Makait; III. R. Mengs, Cafstens, Chodowiecki, Fahrich, Hansen, Fentel, Fr. ischmidt,
Plloty, G. Max, Hciidcinaiui, Lessing, A. Achenbach und H. Wiutier; IV. Schinkel,
L. V. Klonte. OmtLc K, Tctcr von Helj, Wintcrh.dtci . Bernhard Nehcr, Kalil. E. Sc hleich,
A. V. Kamberg, ihihnel, Schilling, A. von Werner, Peter Janssen. - Eine prächtige
Leistung ist auch TfA Chankteristik von Meissonaitr in »V<»n Fels zum Meer« «Oktober 1884,
S. 100 ff.
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Pecht.
59
Vasari oder Karel van Mander blieben ihm ein imaginärer, kaum vom Hören-
sagen bekannter Begriff, ebenso Hermann Grimms Forschungen und Ergeb-
nisse über Michelangelo, oder I.essinirs l aokoon«. Es war ilun eine
Leichtigkeit, die Verdienste eines Rün>tk'i^ nialilos zu erliel)Cii und demselben
kurze Zeit darauf das gerade Gegenteil zu .sagen. Cornelius und Kaulbach
standen nicht in seiner Gnade. Piloty wurde ebenso gepriesen, wie als
antiquierte Persönlichkeit über der Bewunderung seiner Schüler beiseite ge-
schoben. Es gab prinzipielle Abneigungen und offene Feindschaften. Wie
lange nergelte er an Sc hwind herum, bis er sich nach einer unerwarteten
persönlichen Zusammenkunft, zu dessen aufrichtigem l-ohredner bekehrte. Am
längsten und besten hielt seine Freundschaft mit Spitzweg, des.sen ebenbürtige,
sarkastische Ader ihm ebenso wie Schwinds Schlagfertigkeit imponierte.
Neben den seinen Schriftstellemamen begründenden Südfrüchten und
den immerhin auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit stehenden Deutschen
Künstlern des XIX. Jaluhunflerts entstand der leichthegreifliclie Wunsdi. seine
weitverzweigte journalistische Mosaikarbeit zu einem einheitlichen Hilde zu
bringen. Zur Ergänzung seiner eigenen Aufzeichnungen und Erinnerungen
versendete er xiemlich umfassende Fragebogen zirkularschreibenmäßig an alle
Betreffenden, die ihm ein unschätzbares, autobiographisches Material ein-
brachten, welches er nun in seiner Weise rektifizierte und ordnend gestaltete.
Nachdem F. schon zu Franz von Rebers (lesdiichte der neueren deutschen
Kunst ' (Leipz. 1884), die Skizze über Die ileutsche Kunst der (iegenwart ' (III,
202 — 99)') geliefert hatte, reifte endlich die »Geschichte der Münchencr Kunst
im XIX. Jahrhundert« (Mönchen 1888 bei Fr. Bruckmann 498 S. gr. 8* aus-
gestattet mit 40 Bilderbeilagen und zahlreichen Text-.\bbildungen), ein Beweis
seiner vielseitigen Arbeitskraft, wobei er freilich oft nach Laune oder per-
sönlicher Rüi ksicht seine feuillctonistis< h verwöhnte Feder walten ließ. Ab-
geiiehen davon, daü eine Menge guter Namen vergessen oder nur mit ober-
flächlicher Nennung abgetan wurden, schwankt oft die Wage seines Urteils in
bedenklicher Weise. Unser Staunen steigt durch seine Betätigung an der
seit 1^885 gegründeten Zeitschrift »Kunst für Alle«, bei welchem Unternehmen
P. zwar als nomineller Redakteur zeichnete, jedoch die eigentliche technische
Last einer jüngeren Kraft (Fritz Schwartz) überließ, während er mit zaidlosen
kleineren und größeren Referaten die geistige Führerschaft behauptete und
damit den Beweis einer unermüdlichen und freundlichen Fühlung mit den
jeweilig auftauchenden neueren und neuesten, seiner ursprünglichen Tendenz
vielfa< h entgegengesetzten Richtungen lieferte. Die proteusartige Schnellig-
keit, siel» oft sehr minderwertigen Frscheinungen entgegenkommend an-
zuschmiegen, verleitete zu Inkonsequenzen, welche dem Internehmen ein
neues Publikum zuführten und zur Kosmopolitik des nach P.s Heimgang
fröhlich weiter florierenden Unternehmens wesentlich beitrugen. Schließlich
liefi er sieb, vielfeu:hen Mahnungen entsprechend, auch noch herbei, seine
Lebenserinnerungen unter dem Titel Aus meiner Zeit« (MOnchen 1894 in
<wei Bänden bei Fr. Bruckmanns Nachfolger) zu erzählen, wobei freilich
•1 F.> Heitrag stieß auf >cliarfc^ l rteil in I.Utzows Zeitschrift riS85, XX, 203), ebenso
verletzten mancherlei Beitrage zu Liliencrons »Allgemeine Deutsclie iliographie«, worüber
äA Dissidien ergoßt ao dafl P. als Mitarbeiler «lisscliied.
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60
Pecht Albu.
viele schon bekannte Episoden wieder zur Sprache kamen; doch hielt er
sich in neidenswerter Frische, mit grofk-r SelhstbcfrierlifTunp und öfters mit
leiclitcr plauderfröhlicher Ironie (^der Inunoristischer Scliärfe auf sein langes
Tagwerk zurückblickend: Ein immer > cum ^rano salis dankbar aufzunehmendes
Opus ; kein vollendetes Kunstwerk wie »Dichtung und Wahrheit«, aber doch
ein Spiegel seiner Zeit und eines vielfach komplizierten Charakters, dem auch
der femerstehende Psycholog Teilnahme nicht versagen wird.
Nach dein Totfe seiner Frau (1.S74) iil)ornahm P.s Schwester die Stelle
eines ( Icne ral-Sekrctais ; ila 1*. eine unlesiTÜc he Hand s( hrieb, besorgte sie
zum Heil aller Redakteure und Setzer die Keinschrilt seiner Manuskripte:
eine höchst humane, Nachahmung verdienende Einrichtung!
Im Jahre 1857 malte er sein eigenes PortfU; aus dieser Zeit stammt auch eine
Photojfrapl>ic im Visitenkartenformat. Beide zcijfeii n.-xch Persi'.nlichlccit und \'isape ffroße
Ahnliclikeit mit dem von Bonnet fjeinaltcii HildiiiNsc I con ropnict-. Eine Holzschnitt-
zeiclmung von F. Wciü erschien m Nr, 47 »L berl-aad und Meer« 1S74. Die 'ursprtinglicli
schmttchtigen Formen gingen spiter in ein beh&biges, eher einem Gutsbesitzer und Ritt-
meister a I. $. entsprechendes Embonpoint Uber; das trotz der immer scbicfsitzcnden Brille
scharf hohrende Auge eignete eher einem Jnper und Schlitzen, der freilich oft genug ins
Schwarze getroffen. So erscheint er zuerst als l'itelbild zu seiner »Geschichte der Münchener
Kunst im XIX. Jahrhundert« 1888, und in der späteren Selbstbiographie (1894). Seiner
Leibesgestalt nach blieb P. unter dem Mittelmaß; doch sah es putzig aus, als der Maler
etwas gebeugt imd herablassend vor Adolf Mensel »teUend, ihm zum Zeichen seiner Hoch-
achtung die Hand scbtlttclte.
Aus der UnsaU von S^ilungsreferaten werden hier nur die Artikel von M. Haushofer
(in Nr. 2675 Leipz. »lllustr. Ztg.« 6. Oktober 1894) und Dr. von Reber (in »Kunst f)lr
Alle« I. Oktober 1894), beide zum So. Ccburtstat,^ erwähnt. Das Verzeichnis aller Ober
ihn erschienenen Nekrologe gebt tibcr unsere Grenzen. Die ersten biographischen Notizen
lieferte Vincenz Maliers »Handbuch von Manchen« 1845, S. 164. Die letzte, ttbrigens er-
gan/ungsbedUrftige, aus P.s eigenen Mitteilungen stammende Auf/lUilung seiner Bilder
und Werke fmdet sich in Fr. v. Bönicbers »Malerwerken« 1898 II, 231 ff.
Hyac. Holland.
Albu, Isidor, Arzt und Hygieniker, zuletzt in Herlin, * 20. Januar 1837
in Fichtberger bei Landsberg a. W., f 5. Januar \()ot, in einem Sanatorium
in Groß -Lichterfelde bei Berlin. — A. studierte und promovierte 1864 in
Berlin. Hier liefi er sich als Arzt in der Rosentbaler Vorstadt (Berlin N.)
nieder und arbeitete nebenher achiütstellerisch, wobei er sich besonders
hygienischen und epidemiologischen Studien widmete. Er veröffentlichte
unter anderem eine deutsche Ausgabe von Riants Lccons dliygiene<^ (1874
unter dem Titel »Handbuch der allgemeinen persönlichen und öffentlichen
Gesundheitspflege«), ferner mehrere Aufsätze über die Berliner Mortalitäts-
veihlltnisse, über Cholera, Pocken, Typhus und Griindwassergang in Berlin,
gab 1879 einen hygienisch -topographischen Atlas von Berlin mit graphi-
schen Darstellungen und drei Karten heraus und machte sich besonders
auch dadurch verdient, daß er lel)haft für die Einrichtung von Krippen resp.
Kinderbewahranstalten in den ärmeren Stadtteilen wirkte. 1.S82 folgte er
einem Rufe als Leibarzt des Schalis von Persien in Teheran und Professor
an der medizinischen Schule daselbst, von wo er etwa 1892 nach Deutsch-
land surOckkehrte. Er praktizierte anfangs an einem kleinen Ort im Harz,
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Albu. Bets.
6l
p'nt; wieder nac h Berlin und gründete hier ein Okuhiriutn zur Beschaffung
p,i-«scnikT Brillen und augenär/.tlicher 15eh;indluiig, das er bis kurz vor seinem
iode leitete. Während seines Aufenihulteb in Persien veröffentlichte er in
der »Berliner klin. Wochenschr.« einen Aufruf xur Erneuerung und Erhaltung
der noch yorhandenen, aber sehr vernachlässigten Grabstätte Avicennas, des
berühmten arabischen Arztes.
VergL »BiogT. Lex. hcrvorr. ÄxztM von Hinch und Wemich Bd. 1. Pagel.
Betz, Philipp Friedrich, einer der älteren und bekannteren Ärzte
Wfirttembergs, * 1$. Februar 1819 in Weinsberg, f 34. September 1903 in Heil-
bronn. — B. war der Sohn eines Strump&trickers, Weinschenken und Stadt-
rats in Weinsberg. Kr besuchte bis zu seinem 14. Lebensjahre die dortige
Lateinschule und widmete sich, angerej^t dur< h die glänzende Laufbahn seines
Oheims, des hannoverschen Oberstabsarztes Dorsch in Celle, und die freund-
sdiaftlichen Beziehungen zu dem Stadtarzt Dr. Stegmeyer in Gundelsheim a. N.
der Heilkunde, zu welchem Zweck er 1833 beim Wundarzt Stegmeier in die
Lehre trat. 1838 kam er als freiwilliger Unterarzt fQr jdas K. württembergische
.Militär nach Ludwigsburg, nachdem er 1837 die Oehilfenprüfunpj mit gutem
Erfolge bestanden hatte. Hier besuchte er nebenher das Lyzeum und erlangte
1842 das Zeugnis der Reife für die Universitätsstudien, die er in Tübingen
machte und nach deren Beendigung er 1845 in Stuttgart ein Jahr lang als
Unterarzt diente, wobei er gleichzeitig den Schülern der Kgl. Kunstschule
anatomischen Unterricht erteilte. Nachdem er dann vorübergehend in seiner
Vaterstadt praktiziert hatte, ül^ernahm er die Stelle als anatomischer Pro-
sektor in Tübingen unter Friedrich Arnold, hielt Vorlesungen über Ostcologic
und Pastoralmedizin, war nebenbei eine Zeitlang Assistent an der medizi-
nischen Klinik unter Wunderlich, machte 1848 auf Staatskosten eine wissen»
ftchaftliche Reise nach Prag und Wien und lieft sich schlieBlich zu dauernder
Tätigkeit in der Gesamtmedizin 1850 in Heilbroim nieder, wo er bis zu
seinem Lebensende in segensreichster \\*eise praktisch und schriftstellerisch
wirkte. \'on 1848 — 1855 war er fleißiger Mitarbeiter an verschiedenen Zeit-
schriften und 1856 gründete er die sehr bekannten, weit verbreiteten und
beliebten »Memorabilien, Monatsblätter für praktische und wissenschaftliche
Mitteilungen rationeller Arzte« im Verein mit einer großen Schar von Mit-
arbeitern. In 44 Bänden dieser Zeitschrift, die 1884 ihr 25jähriges Jubiläum
*eierte. veröffentlichte 15. selbst 214 Originalartikel über die verschiedensten
(lebiete der .Medizin. 1864 erfolgte die Übernahme des Verlags des »Irren-
ireunds*. Beide Zeitschriften horten mit B.s Tode zu erscheinen auf. Übrigens
war B. Impfgegner und ein eifriger Politiker, seit 1860 Mitglied des Deutschen
Nationalvereins, seit 1867 Mi^lied der deutschen Partei in Stuttgart, 1899
EhrenvofStand der 1875 organisierten Heilbronner deutschen Partei. In den
Kriegen von 1866 und 1870 leistete er aufopferungsvolle ärztliche Dienste.
1877 gab er die erste .\nregung zur Gründung einer Zentralhilfskasse für die
.\rzte Deutschlands; auch sonst nahm er an allen Angelegenheiten des ärzt-
lichen Standes tatkräftig leitend und anregend teil, wofür er seit 1876 dem
Vorstande des ärztlichen Bezirksvereins II angehören durfte, bis er 1894
zurücktrat aus welchem Anlafl er zum Ehrenpräsidenten ernannt wurde.
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62
Beti. Bumin.
187 1 setzte B, die Errichtuti^f eines DenkniaN für ( )ekoialnj>a(liu^, den Re-
formator von Basel, in dessen Geburtsort \\ einsberg durch. Später gründete
er einen Geschichtsverein für Stadt und Land Weinsbeig. 1896 beging er
sein sojftbriges Approbationsjubiläum, wobei er eine Reihe von Ehrungen aus
weiten Kreisen erhielt. Am 80. Geburtstage wurde er durch den Sanitätsrats-
titel ausge7ei(~hiiet. Xaclulem er mehrere Jahre an allgemeiner Altersschwäche
gekränkeil halte, erlitt er am 11. November 1902 einen Hirnschlagüuü
(Hirnembolie), der zur Lähmung und schlieülich zum Tode führte.
Vergl. »Württ. Med. Korrespondeiublatt« I^X.Mil .Nr. 4Ü vom 28. November i<)03,
p. 855—858 nebst Bild. Pagel.
Bumm, Anton, ordentlit lier Professor der Psychiatric, Meilizinalrat in
München, ♦ 27. März 1849, f 13. April 1903. — B. war der Sohn eines Taub-
stummenlehrers in Wfirzburg, besuchte in seiner Vaterstadt Gjrmnasiutn und
Universität und genügte daselbst seiner Militärpflicht. 1872 erhielt er bei
der FakultätsprQfung in allen Fächern die erste Note und promovierte in
demselben Jahre mit einer Dissertation über Schußwunden. 1873 bestand B.
die Staatsprüfung mit Nr. I und trat bald danach als Assistenzarzt in die
von Hubrich geleitete Wernecker Kreisirrenanstalt, an der er bis 1876 tätig
war, nachdem er inzwischen auch wissenschaftliche Reisen nach Wien, Paris
und London gemacht iiatte, wo er unter Meynert und Charcot sich in der
Psychiatrie vervollkommnete. 1877 trat nach einer mehrmonatlichen Er-
krankung R. bei filuiden in Münthen als .\ssistent ein, wurde 1883 zweiter
Hilfsar/t an der Krei>irrenan>talt Krlaiigen, jedoch schon am i. Oktober 1884
als Nachfolger C.rasheys zum Direktor der niederbayri.schen Kreisirrenanstalt
in Deggendorf ernannt. 1888 folgte er einem Ruf in die durch Hagens
Abgang erledigte Stellung als Anstaltsdirektor und Prof. e. o. nach Erlangen,
1896 siedelte er als Direktor der oberbayerist hen Kreisirrenanstalt und ordent-
licher Professor der Psychiatrie nach Mün< ben über, wo er bis zu seinem
an einem Gallensteinleiden eifo]gten''l"ode verblieb. H. ist aufs engste mit dem
Kntwicklung.sgange der modernen P.sychiatrie verknüpft. Insbesondere hat er
sich durch seine himanatomischen Arbeiten einen Namen gemacht, die er
nach der von Gudden angegebenen experimentellen Methode anfertigte. So
veröffentlichte er u. a. Vorträge und Abhandlungen über die Verteilung des
Sehnerven in der Netzhaut des Kaninchens ( iSSo), über ein selten beobachtetes
Markbündel an der Basis des menschlichen (lehirns (1SS3), über das (Iroß-
hirn der X'ogel (1883), eine Abhandlung, welche die erste eingehendere Dar-
stellung der speziellen Histologie des Vogeigroßhims bildet. Über experimentelle
Beiträge zur Kenntnis des Hömervenursprungs beim Kaninchen (1888),
experimentelle Untersuchungen über das Corpus trapezoides und den Hör-
ner\-en der Katze (1893) u. a. Mit dem letztgenannten Werke hat H. sein
anatomisches Meislerstück geliefert, in dem er in unübertrefflicher W eise eines
der schwierigsten und strittigsten Probleme der Hirnforschung zur Klärung
brachte. Später hat B. noch die feinere Anatomie des Ganglion ciliare be-
arbeitet und die Ergebnisse, die einen wesentlichen Fortschritt in der Erkenntnis
bedeuteten, in mehreren Vorträgen und Abhandlungen niedergelegt. Gern
beschäftigte sich B. mit historisch-medizinischen Studien besonders der arabisch-
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Biunin. von E^gers. Dnboc.
63
jüdischen Periode. Er hat über die Psychiatrie des Avicentia (in >^Miinch.
med. Wochenschrift ) eine Ahliandhing veröffentlicht und mehrere kleinere
Studien als Manuskript drucken lassen.
Vergl. Spccht-Eilaiigen in »MOndi. med. WodieiMchriftc 1903, Nr. 27 p. It6> — 1166.
Pagel.
Eggers, Heinrich Franz Alexander Freiherr von, Botaniker, * 4. De-
zember 1844 zu Schleswig, f 14. Mai 1903 in Leipzig. — E., dessen Vater
Königlich dänischer PoHzeimeister in Schleswig war und später in Tondcrn
lehte, wurde hier und in Odensee auf Kühnen erzogen, wo er von 1858 — 1862
die Lateinschule besuchte. Er trat dann als Otti/.iersasi)irant in die dänische
Armee ein und machte als solcher den Feld/.ug von i^S04 mit. Nach dem
Friedensschlufl nahm er seinen Abschied als Leutnant, um in fremde Kriegs-
dienste zu gehen. Er schloß sich dem Korps österreichisch-belgischer Frei-
williger für Kaiser Maximilian an, das zu Laibach in Osterreich gebildet
wurde, und traf im April 186;; in Me.xiko ein. Im Oktober 1866 wurde er
gefangen genommen. .Nach seiner Freilassung im April 1867 bereiste er den
Süden Mexikos und kehrte im Dezember desselben Jahres nach Kopenhagen
zurück. Uber seine Erlebnisse veröffentlichte E. 1869 die »Erindringer fra
Mexiko , ein Werk, das neben der Schilderung der kriegerischen Ereignisse
eine Fülle feiner Beobachtungen über Land und Leute enthalt. Im April 1868
vurdc er als Sekondeleutnant aufs noue im dänischen Heere angestellt, aber
bereits Ende des Jahres auf seinen Ijcsonderen Wunsch zu den westindischen
Truppen kommandiert. Er stand dann lange Jahre auf St. Thomas, seit 1878
als Kapitän und Kompagniechef. Am i. Dezember 1885 quittierte er den
Dienst und lebte von nun an ausschliefilich seinen wissenschaftlichen
Forschungen, und zwar teils in Westindien, teils in Kopenhagen. Die Re-
sultate seiner Reisen und Studien, die in erster Linie der I'lnra der west-
indischen Inseln galten, legte E. in zahlreichen Abhandlungen nieder, die in
verschiedenen botanischen und geographischen bei Bricka genannten —
Zeitschriften erschienen sind. Hier sei noch auf das größere Werk » The Fhra
of St. Croix and Mf Virx'in Islands<i (Washington 1879) hingewiesen, sowie
auf die beiden vortrefflichen Aufsätze Die Insel Tobago < und »Modemer
Plantagenbau« (Deutsche Geographisc he Blätter. Bd. 16, 18^3, S. i — 20; Bd. 21,
1898, S. I — 21). Die reichhaltigen Sammlungen, welche E. angelegt hat,
besitzt zum größten Teil das Museum von Ro{)enhagen.
Vgl. H. K. Eggen, Geschichte de« Geschlechtes Eggers. Bd. i, Ploen 1879, S. 140
—146; B<J. 2. Harburg, 1887, S. 97 (Bildiii- .luT der Tafel /wischen S. 98 u. 99). — »Geo-
p".>phisches Jahrbuch«. Hii. 26, 1903, S. 42s. — »Globus«, Bd. 84, 1903, .S. 20. —
>I>eut»che Rundschau für (Jeographie und Statistik«, Jg. 25, 1903, S. 520. — »Kieler
Zcttmig«, Morg.-Ausg. 36. Mai 1903. — C. F. Bricka, Danik Biografisk Lexikon , Bd. 4,
1890, S. 438/39. — »Botanisk Tidsskrift«, Bd. 12, 1880/81, S. 237/38. Gothaisches
Genealogisches Taschenbuch der Freih. Häuser. Jg. 55, 1905, S. 161. Job. Sass.
Daboc, Karl Julius, Philosoph und Schriftsteller, * lo. Oktober 1829 in
Hamburg, f 11. Juni 190^ in Dresden (nicht am 13. oder 13. Juni, wie mehrfach
angegeben wird. Herr Ed. Duboc hatte die Freundlichkeit, mir das richtige
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Duboc
Datum mitzuteilen.) — I)., ein Rrudcr des unter dem Pseudonym Robert
Waldmüller bekannten Dichters Eduard D., war der jüngste von sechs
Geschwistern. Die Mutter gehörte einer alten angesehenen Kaufmannsfamilie
an, der Vater, gleichfalls Kaufmann, war ein aus Havre gebürtiger Nord-
franzose. Er starb aber noch vor der Geburt des jüngsten Sohnes. Dieser
kam, nachdem er 1844 auch (hc Mutter verloren hatte, zuerst zu Verwandten
nach Offenbach, dann nach Krankfurt u.M. Hier besuchte er l)is i8<^o das
Gymnasium, studierte darauf in Giefkn unil Leipzig Mathematik und i^hysik
in der Absicht, sich später dem Bergbaufach zu widmen. Daneben vertiefte
er sich mit gröfltem Eifer in philosophische Studien, die seiner Neigung und
Begabung weit mehr entsprachen. Kränklichkeit zwang ihn jedoch, 1855 die
Universität zu verlassen, und »eine eigentümliche Verkettung von Lebens-
umständen«, wie er selbst sagt, führte ihn noch in demselben jähre nach
Australien, von wo er erst 1857 in die deutsche Heimat zurückkehrte. Er
ging nach Berlin, wo er seine philosophischen Studien fortsetzte und durch
die Doktorpromotion zum Abschluß brachte. Dann wandte er sich dem
Journalismus zu und wirkte zuerst als Mitredakteur der x.I)euts( hen Zeitung«,
die aber bald einging. \'on 1861 bis 1863 stand I). als leitender Redakteur
an der Spitze der v Westfälischen Zeitung« in Dortnunui. In diese Zeit fallen
seine ersten größeren Aufsätze, die er in ( )i)|)enheims »Deutschen Jahrbüchern
für Politik und Literatur« veröffentlichte. (Jg. 1862, Bd. 2 S. 191—209: »Ein
Besuch im Zellengeflngnis zu Bruchsal«; Bd. 4 S. 118 — 138: »Wider die
Grundanschauungen des philosophischen Idealismus«; Bd. 5 S. 378 — 397:
»Die Ck'fanpnisfragc im preußischen Abgeordnetenhause .) Dortmund wurde
für ihn noch von ganz besonderer Bedeutung, weil er hier in der Schwester
des Kunsthistorikers Wilhelm Lubke seine Lebensgefahrtni fand. Es folgten
Jahre aufreibender Tfttigkeit im Dienste der Berliner »Nadonalzeitung«, deren
Redaktion D. bis 1870 angehörte. Dann aber gab er den journalistischen
Beruf auf und zog nach Dresden, das ihm Heimat wurde und blieb. Hier
schuf er, fern vom Lärm und Treiben des Tages und doi h in engster Fühlung
mit allen Strömungen und Kis( heinungen der (legcnwart, jene reifen unil
tiefen Werke, die in der Cieschjchte des deutschen (Jeisteslebens ihre Be-
deutung behalten werden.
D.S philosophischer Trieb war ein Erbteil vom Vater her, der selbst eine
Schrift </<• la i/i,i,^nitr Je l'/iomme^^ (Bruxelles 1826) veröffentlicht hatte und mit
Hegel und Reinhold in nahein \'erkehr stand. Des Sohnes Führer und Meister
auf dem Wege der Frkenntnis wurde Ludwig Feuerl)ach, zu dein er auch in
persönliche Beziehungen trat. »Der zentrale Punkt, in dem D. an Feuerbach
hängt«, sagt Joel, »ist der Sensualismus, d. h. die Betonung des Sinnlichen,
Empfundenen, als des Wirklichen, Wahren«, wie denn D. »die Konzentration
auf das Diesseits«, d. h. eben die \'erweltlichung, oder spezieller »das Prinzip
der Sinnlichkeit" als Feuerbat hs Leistung betont. Im einzelnen freilich
gingen beide wieder weit auseinander, vor allem trennte sie ein tiefer L lUer-
schied des 1 emperanients. D. selbst äußert sich über sein Verhältnis zu
Feuerbach einmal folgendermaßen: »Ich werde häufig als Anhinger, als
Schüler, gelegentlich »der letzte Schiller Feuerbachs« bezeichnet. Es ist dies
namentlich meinci^ s])ätcrcn Schriften gegenüber kaum aufrecht zu erhalten.
Nur mein »Leben ohne Gott« ist noch wesentlich auf Feuerbachschem
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Duboe.
65
Standpunkt gesihrichon. In allen niciiK-n späteren Schritten habe ieh die
sehr wesentlichen Unterscliiede, die meine Aultassung von der .seinigen
trennen, wiederholt betont und hervorgehoben«.
Das »Leben ohne Gott« erschien 1875 und ist dem Andenken Ludwig
Feuerbachs gewidmet. Die Untersuchungen über den ethischen Gehalt des
Atheismus«, welche I). hier vorlegt, enthalten keines\ve£:s nur negative Kritik,
sie zeigen vielmehr, wie dem Menschen, auch wenn er >ich der alten, mit
den Ergebnissen der modernen Wissenschaft unvereinbaren Gottesvurstellung
und des Unsterblidikeitsglattbens entäuftert' hat, noch ein tiefes religiitees
Empfinden bleiben kann und mufi. Als Kern der neuen Religiosität gilt
dem Verfasser das Gefühl der Ehrfurcht, der Ehrfurcht vor dem Über-
ragenden. »Wer bestreiten will, daß der Atheismus religiös sein könne, muß
sich an dieses Huch halten«, in dem sich neben vielen andern das schöne
Wort findet: »Wer das Seinige erwartet mit einem innerlichen Gefühl des
Handefaltens, weil er die Lebensgesetzlichkeit desselben erkannt, und mit
dnem versöhnten Sinn, weil er das Leben als der Güter höchstes begreift,
der wahrt die Würde des Menschen«. Ein solcher Geist weht in dem Ganzen,
dessen charakteristischer Schluß in den Ruf des Psalmisten ausklingt: »Meine
Seele dürstet nach dem lebendigen Gott.«
Derselbe hohe Idealismus, der sich in dem »Leben ohne tiott« offenbart,
erfüllt auch D.s erstes größeres Werk, »die Psychologie der Liebe«, mit dem
er bereits ein Jahr zuvor, 1874, auf den Plan getreten war. Es enthält in
Oberaus feinen Seelenschilderungen die Naturgeschichte des Gefühls, welches
die Geschlechter zusammenführt . Ein Verklärungsglanz liegt über der ganzen
Darstellung, die nie eine äiifk-rliche bleibt, sontlern tief in das Heiligtum
der Liebe« hineinführt. D.s Standpunkt ist ein idealer Realismus, in der
vollen Wertschätzung des Lebens bekennt er sich auch hier schon zum
Optimismus. Beide Werke, das »Leben ohne Gott« und die »Psychologie
der Liebe«, bilden gewissermaßen die Grundmauern zu dem Hauptwerke, in
dem D. seine Philosophie eingehend darlegt und begründet. Es erschien
188 r unter dem Titel Der (Optimismus als Weltanschauung und seine religiös
ethische Bedeutung für die (iegenwart . Eine Ergänzung dazu bikkt die
Schrift »Die Tragik vom Standpunkte des Optimismus, mit Bezugnahme auf
die moderne Tragödie« (1886). Mit scharfen Waffen wendet sich D. gegen
den Pessimismus, der den idealen Gehalt des Seins nicht gelten lassen und
alle Liebe und Freude aus dem Leben tilgen will. Für ihn gibt es nichts
Sinnloseres, als die Lieblosigkeit oder Freudlosigkeit. Hast du die Liebe
oder Freude verloren, so starrt dir überall das große Warum entgegen.
Warum, wozu alles, was mich umgibt? was soll es mir? was soll ich ihm?
Welt und Geschöpif, Leben und Arbeiten, Werden und Vergehen — nichts
hat einen eigentlichen Sinn mehr, und alles Grübeln bewahrt dich nicht vor
dem Sturz in eine bodenlose Tiefe. Nur die Liebe rettet dir den Zusammen-
hang des Ganzen und dich innerhalb dieses Zusammenhangs . Mit der Preis-
gebung des Individuums in\ Weltprozeß versöhnt D. tler Ckdanke, daß dieser
Weltprozeß ein Lichtgestaltungsprozeß ist. Das Gewissen wird aus
dem Prinzip des »Gebührenden« hergeleitet. Die Ableitung des Gewissens
erfiUirt eine noch weit ausführlichere Behandlung in dem 189a herausgegebenen
»Grundriß einer einheitlichen Trieblehre vom Standpunkte des Determinismus«.
Bio^. Jibrbueii u. Dcattdicr Ndooloj. 8. Bd. j
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Duboc.
D. bietet hier 'cinc ethische Psychologie iin oudänionistischen Sinne". (Vgl.
auch die Al)haiulhiii|,' «Kant und der Kudiiinonisnuis : Zeitschrift f. Vi)lkor-
psychologie, Hd, 14, 1883, S. 261 — liLiucrkunf^ da/u von H. Steinthal:
S. 280—289; Schlußbemerkung von D.: S. 473 476.) (iegenüber der Maxime
Kants »Tue» was du sollst« lautet seine Forderung »Tue, was du willst«, d. h.
erfülle den Inhalt deines menschlichen Willens. Den dem höchsten
(lUte nachstrebenden ( dücksi-liLikeitstriel) voll und tatsächlich bejahen, heilet
die Menschlichkeit vollenden, vuid dies füllt mit der Sittlichkeit /u^ainnieii.
Zur Gesamtheit tler ethischen Fragen nahm IJ. später noch einmal Stellung
in dem Werke »Die Lust als sozialethisches Entwickelungsprinzip. Ein Beitrag
zur Ethik 'der Geschichte« (1900).
Auch als Historiker suchte er dem Leben der Gegenwart gerecht zu
werden und es aus der X'ergangenheit zu verstehen. Aus diesem Streben
erwuchs die reifste Schö|ifung seines (leistes, das große (leschichtsgemählc
»Hundert Jahre Zeilgeist in Deutsehland« (1889). »Der F.sythüloge, Ästhetiker
und Sozialschriftsteller haben sich hier vereinigt, die wirren Gestaltungen,
welche die wechselnde Zeit hervortreibt, zu plastischer Klarheit zu heben
und von einer Kritik hochethischer Färbung durchleuchten zu hissen.« Das
Ganze ist kein ausgeklügelt Hu( h , sondern erlebt und daher von so
packender und ülierzeuj^ender Wirkung. Auf tiefem, innerlichem Miterleben
beruhen auih die übrigen Arbeiten D..s, in denen er einzelne hervorragende
Zeiterscheinungen wie die Frauenfragc, den Einflufl Nietzsches, die Emanzi-
pation der Kunst kritisch behandelt. Überall dringt er mit Nachdruck auf
das Einfache und Naturgemäße und ruft die Zeit, die ihm ganz jenseits des
Wirklichen < zu stehen s( heint, zurück zum Wirklichen, »das ihm als das
Gesunde, Lebensfähige heilig ist .
Als Essayist genießt 1). mit Recht einen besoiulerei\ Ruf. Die vier
Sammlungen »(}egen den Strom«, »Reben und Ranken«, »Plaudereien und
Mehr«, »Streiflichter« enthalten eine Fülle von anregenden Aufsätzen, die,
mit Geist und Liebe gearbeitet, in ihrem edlen Mafl nach Komi und Inhalt
zu dem Besten zählen, was unsere Literatur auf diesem tlebiete besitzt.
Der Feder des l'oeten D. venlanken wir den Novellenstrauß Herzens-
geschichten« und die Gedichtsammlung Krüh- und Abendrot . Im letzten
Jahrzehnt seines Tabens versuchte er sich auch als Dramatiker, ohne jedoch
einen nennenswerten Erfolg zu erringen. —
In der r'hilosophie der Zeit wirtl D. seinen l*latz behalten. Immer wird
man ihn, tler der Philosophie des Todes flie Philosophie des Lebens, detn
Welthaß die Liebe entgegensetzt , unter den machtvollen flcgiu-rn des Pessi-
mismus in erster Reihe nennen, und die >'s< hönheitsvolle (lesundheit ' seiner
vom Ideal derMenschenwürde getragenen, aus tiefstem Wahrheitssinn und
Freiheitsdrang geborenen Schriften wird immer wieder lebendigen Wideriiall
wecken.
D.s ganzes Leben und Schaffen erscheint wie eine einzigartige Erfüllung
jenes Wortes, das in Heinrich von Steins Hehlen und Welt <ler griechische
Weise spricht: >j Meinest du denn, weil sie mich einen Philt)so|)hen neimen,
ich halte Liebe und Leben für nichtig oder gering? Vielmehr nielit^ weiü
ich sicherer als dies: wie auch immer der gewaltige, dunkle Hintergrund der
Dinge in Wahrheit beschaffen sein mag, der Zugang zu ihm steht uns einzig
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Dttboe.
in eben diesem unserem armen F.eben offen, und also scliließet auch unser
ver£:.in^liches Tun diese ernste, tiefe und unentrinnbare Hedeutun<i ein. Wie
sollte ich nun nicht auch hoffen und darauf denken müssen, diesem vergäng-
lichen Tan eine würdige Gestalt zu verleihen?«
Verzeichnis der selb'-talu] io; erschienenen Schritten D.s: l. Die Propa-
faoda des Rauhen Hauses und das Johannes-Stift in Kerlin. ICiiic Warinini,'. l.iip/.ip 1S62.
— 3. Die uiTcntliche Sittcnlo.sigkcit. Entgegnung auf die ji^leichnaniige Schrift des Zentral»
Aasschusscs flDr die innere Mission. 1. — 4. Aufl. Hamburgs 1870. 5. u. 6. mit einem
\orwort vcnn. Aufl. 1S70. (Anonym erschienen.) .v St»zialc Briefe. I. — 3. Aull.
H. iiiiburg ( V\'!. »Blatter f. lit. I nterhaltun}»«, 1S73, Hd. i, S. 260 70.) 4. Cicschichte
der englischen Presse. Nach J. Graitt» Xcrcspaper JWss frei bearb. Hannover 1S73. 2. u.
3. Aasg. Hamburg 18S3. — 5. Die Ps> cholugie der Liebe. Hannover 1874. 2. ergänzte
0. Term. Aufl. — mit Portr. in StahlsUdi — 1880. 3. Aufl., 2. (Tit«l-)Ausg. Hamburg 1883.
?. Aufl. Neue, mit einem \ or\vort versehene Ausg. Dresden 1S9S. (N'^I. >'Hl;itter f. lit.
L'nL«, 1874, Bd. 2. S. 701 2; Br. Meyer, Zur Psychologie der Liebe, »Deutsche Warte*,
Bd. 8, 1875, S. 65 — 73.) — 6. Das Leben ohne Gott. Untersuchungen aber den ethi-
schen Geh«It des Atheismus. Hannover 1 875. 2. u. 3. AltSg. Hamburg 1884. (Vgl. »Blätter
£ lit. Unt.«, 1876, B<1. I, S. 13-;,; P.. Pficiderer, Der natiirnli>ti'^ohc .\thei>n)us. Kritische He-
tnchtungen im An>clilul3 an J. J>uboc: »Das heben ohne Gott«, in: »Pruteslaul. Kirchen»
xeituDg«, Jg. 23, 1S76, Sp. 773 7S7, 799- 813). - 7. (Jcgen den Strom. Gesammelte
Aofsätxe. Hannover 1877. 2. Ausg. Hamburg 18S3. 3. .\usg. 1S84. (Vgl. »Deutsehe
Rundschau«, Bd. 14. 1S7S, S. 505 'f>.^ - S. Die Heliandlim«; der Prostitution im Keiclie.
Elin Beilrag zur Kritik unserer Gesetzgebung. (.\us »Magdeburg. Zeitung«.) 1. u. 2. Autl.
Magdeburg 1S77. 3., durcb einen Anbang veim. Aufl. 1879. — 9. Das »Leben ohne Gott«
und die Kritik der »Protestantischen Kirchenteitung«. Eine Entgegnung. Bonn 1877.
(Dagegen: J. Clüver. »Jenaer Literaturzeitimg«, Jg. 5. 1878, S. 2q8'()9.) — 10. Reben imd
Ranken. Studienblätter. Halle 1879. (Vgl. »Blätter f. lit. Lnt.«, 1879, Bd. 2, S. 417 — 421;
»Deutsdke Rundschau«, Bd. 20, 1879, S. 32S/29.) — it. Der Optimismus als Weltanschauung
Bad seine religiös ethische Bedeutung flir die Gegenwnit. Bonn 1881. (Vgl. »Philos.
Monatshefte«, Hd. iS, 1SS2, S. iSo'Sj.) — 12. Kin Besuch im Versortjuiigshaiis in Bonn.
Hamburg 1884. — 13. Die moderne Jugendliteratur. l. u. 2. Auil. Hamburg 1884. (Aus:
»Gegen den Strom.«) — 14. Plaudereien und Mehr. Aus der Studien-Mappe. Hamburg 1884.
(\'gl. »Deutsche Rundschau«, Bd. 43, 1885, S. 154/56.) — 15. Die Tragik vom Standpunkte
des Optimismus, mit Bezugn.nhmc auf die moderne Trag-Wlie. Hamburg 1SS6. (\'gl. vl'hilo-^.
Monatshefte«, Bd. 23, 1887, S. 445/49.) -- 16. Her/.en>gcscbichten. Ein Novellenstrauli.
I. u. 2. Aufl. Dresden 1888. — 17. Hundert Jahre Zeitgeist in Detrtsddand. Geschichte
tmd Kritik. Leipzig 1SS9. Teil 2. Eine Umschau an des Jahrhunderts Wende. 1893.
2. Aufl. 1899. (Vgl. »Jahresberichte f. neuere «leutsche Literaturgesch.« 1890, Halblid. 2,
S. 37, Bd. 5, 1894, IV ib: 203; »Blatter f. lit. Lnt.«, 1889, Bd. 2, S. S^o/^ii 1893, Bd. 2,
S. 703; »Greiuboten«, Jg. 49, 1890, 3. Vierteljahr, S. 113 — 117; »Magastn f. d. Literatur«,
it' S9i 35S/S9i 374/77: »Histor. Jahrb. d. Görres-Gesellschaft«, Bd. 15, 1894. S. 397/99;
A. Berthold, J. Dubocs Ihmdcrt Jahre Zeitgeist in Deutschland. X'orfrag. Leipzig 1S04.)
— iS. Grundriß einer einheitlichen 1 rieblehre vom Standpunkte des Determinismus. Leipzig
1892. (Vgl. »PUlos. Monaislieite«, Bd. 29, 1893, S. 330/37, Bd. 30, 1894, S. 49—57;
»Zeitsclir. f, Philos. u. philos. Kritik«, N. F. Bd. 103, 1894, S. 336*) — 19- Fflnfxig Jahre
Flauenfrage in Deutschland. fJoschiihtc und Kritik. Leipzig 1S96. (Vgl. »Deutsche
Lhcraturzeitung«, Jg. 17, 1896, Sp. 161S — 22.) — 20. Jenseits vom Wirklichen. Eine
Studie «US der Gegenwart Dresden 1896. (Dagegen: O. Bie, Gesunde u. kranke Kunst,
»Kuttstwart«, Jg. 9> 1895/96, S. 49 — $1.) — 21. Anti-Nietssche. Erweitert Sep.-Abdr. aus
»Jenseits vom Wirklichen'!. Dre-dcn 1S97. (Vgl. »Zukunft«, Bd. 18, 1897, S. 419: Selbst-
anzeige; >I>eutsche Literatur/.eitung«, Jg. iS, 1S97, Sp. 646/47.) — 22. Das leb und die
Cbr^en. (Kttr und wider M. Stlmcr.) Ein Beitrag zur Philosophie des Fortschritts.
Leipzig 1897. (Vgl. »Jahresber. f. neuere deutsche Literaturgesch.«, Bd. 8, 1897, IV 5 d : 88;
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Dttboc. Laib.
»Dhittcr r. Itt. Tut.' , itS()8, S. 727.'» — 2;,. Zwei Zcitgediclitc. Zur Fr.uicnfr.i<,'c. Kine
Kpistfl all die Muniicrwclt. — Zur Judciilragc. Dresden 1S97. — 24. J>ie Emanzipation
d«r Kunst Dr«i Briefe an einen Freund. Nebst einer Nachschrift Uber »Das Moderne«.
Leipzig 1S9S. »jalireMbcr. f. 11. il. Litcraturgesch.«, Bd. 10, iS<»9, I 11: 85.) —
2v 1 rüh- und Aluiuirot. Ccdichtc. l)rt".(U"ii ti. T cip/ifi; i^'j'i. »Zukunft«, Bd. yt,
1900, S. Ü7/89: Scll)stanitcige; »Litcrar. Echo«, Jg. 2, iS99^iy(K>, Sp. loio ii: R. M. Werner,
Optimistische Lyrik; »Hibliogniphie d. deutschen Zeitschr.-Literatur.« Supplbd. i. Bibliogr.
d. d. Rezensionen 1900, S. 100.) — 26. Die T,u>t als sozialetbisches Kntwickelungsprinzip.
Hin Heitrag zur Ethik der Godiichtc. I.cipzijj 1900. (X'}?!. »Zukunft«, Bd. 34, looi,
S. 29/30: Sclbstanzcigc; »l.it. Zentralbl.«, Jg. 52, lyoi, Sp. 2109; »Deutsclie I.itcraturzcilung«,
Jg. 22, igol, .Sp. 1544/46; »Neue Bahnen«, Jg. 3, 1903, S. 432— 36.) — 27. Zusammen
mit P. Wiegler: Geschichte der deutschen Philosophie im 19. Jahrhundert. Berlin 1901. s
Das dcut-i l>f J.ihrliumlirt in l'in/cl-, !ititun. Bd. i, .\l)th. 3. (Vgl. »Lit. Zcntrallil. '. Jg. 53,
1902, .Sp. I293;94.) — 2ü. Die Freunde. Schauspiel in 4 Aufzügen. Dresden 1902. —
29. Streiflichter. Studien und Skiuen. lA'iiv.ig 1902. (Vgl. »Lit Echo«, Jg. 3, 1902/03,
Sp. 1366.)
<.>ucl!en: In erster Linie: K. JikI. J. 1). ('.Noid ti. Süd«, l?d. 60, 1S92, S. 31S — 330,
l'ortr. ); derselhe, J. I), Zum 70. Geburtstag ^»Frauklurtcr Zeitung«, 1S99, .Nr. 279 v. S. Okt.).
\ gl. ferner: J. Duboc, Mein Jubilftum (»Zukunft«, Bd. 40, 1902, .S. 278— 281). — »Hamb.
Correspondent«, Ab.» Ausg. v. 1$. Juni 1903 (Nekrolog von E. Isolani). — »National-Zeitung«
1903, Nr. 340, Morg.-.Vusg. v. 14. Juni. — > ! itcr. Echo«, Jg. j, i ^'<n ' i >/(pfi Sp. 201; Jg. 5,
1902/03, Sp. 1372. A. Ilinrichscn, »Das literar. DeutschLind«, j. .\ui1. 1S9J, .S. 294 '95.
— Briimmcr, »Lexikon d. deutschen Dichter u. Prosaisten d. 19. Jahih.«, 5. Ausg., Bd. 1,
S. 283/84, 529. — Kürschners deutscher Literatur-Kalender, 1903, Sp. 279. — Meyers
Konv ersations-Lexikon, 6. .\ufl., Bd. 5, I0<>.V S. ^4i''42. - <). .'fiebert, »Gesch. d. neueren
deutschen Pliiidsopliie seit Hegel«. Göttingen iS'iS. S. 27. — l eber\veg-Hein/e. »Grundriß
d. Gesch. d. Philos.«, V. 4, 9. .\ufl. iyo2, .S. 330. — Bibliogr. d. deutscli. Rezensionen.
Suppl. zur »Bibliogr. d. deutsch. Zeitschr.- Liter.«, Bd. 2, 1901, S. 54; 3, 1902, S. loi;
4, 1903, S. 104. — Briefe von L. An^engrubcr Iirsg. \ . .\. Bettclheini, 1902, Bd. t, Nr. 211,
215, 219, 222, 22U u. S. 312: Bd. 2, S. 30. 23«), 243. — Beziehungen zu Feuerbacli:
J. Duboc, Aus L. Fcuerbaclis NachlaU ^»Nord u. SUd«, Bd. 60, 1S92, S. 307 — 317); der-
selbe, Ludwig Feuerbach (»Zukunft«, Bd. 20, 1897, S. 469—475). — W. Bolin, Ludwig
Feuerl).ach, sein Wirken und seine Zeitgenossen. Stuttg. iS<)i, S. 2S9 <)i, 342 43. —
.\usgewahltc Briefe von u. an L. Fciicrbach hrsg. v. \V. B(din. Leipzig 1904. Hd. i.
152/53; lid. 2, S. 204/9, 252/54. -25^^/59. 2S0/81, 2S4/S5, 289/90, 323/25. — Vgl. auch:
»Deutsche Warte«, Bd. 4, Hft. 10, 1873 (Acht Briefe von L. Feuerbach). Joh. Sass.
Laib, Friedrich, katholischer Priester, Kunsthistoriker, * 21. September 1 819
zu Obcrntlorf a. N., f 20. Januar 1903 zu Rottenburg. — L. studierte Theo-
logie in Tübingen, wurde am 29. August 184J zum Priester geweiht, am
12. Juli 1846 Pfarrer in Re(-hher<,'h;iusen, am 14. Mai 1867 Pfarrer in Oedheim,
am I. Mar/ 1899 pensioniert. l.iterarisi h tätig war I,. auf dem (Jel)iete
der christlichen Kunst. Mit Dr. Kranz Josef Schwarz zusammen redigierte
er die Zeitschrift: »Kirchenschmuck. Ein Archiv für kirchliche Kunstschöpfungen
und christliche Altertumskunde. Herausgegeben unter der Leitung des christ-
hchen Kunstvereins der Diözese RottenI)inu (^7 Hände in 14 Jahrgängen,
Stuttgart 1857 — 1870; mit einem Regi^terhand, Mlhvangen 1874). Ebenfalls
mit Schwarz zusammen jtuhlizierte 1^. die folgenden Si hriften: Formenli hre
des rumänischen und gothisehen Baustils^^v (in i. Autl. als 1. \'ereinsgabe des
Rottenburger Diösesanvereins für christliche Kunst; 2. Aufl. Stuttgart 1858;
Titelauflage Zürich 1867); »Studien über die Geschichte des christlichen
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L4ub. Stiegele. Cnuner.
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Altars. Herausgegeben vom Rottenburger DiGzesanverein für christliche Kunst
2. Vereinsgabc (Stuttgart 1857); ^Biblia Pauperum. Nach dem Original in
der Lyzeumsbibliothek zu Konstanz herausgegeben und mit einer Einleitung
begleitet von Laib und Sciiwarz < (Zürich 1867; 2. unveränderte Auti. Würz-
burg 1892; neue Ausgabe Freiburg i. Hr. 1899).
VgL Neher, Pttsonalkatalog der Gdttltchen des Bistums Rottenburg (3. Aufl.,
Scbw. GmOnd 1894). S. 87, F. Lau che rt.
Stiegele, Paul, Donikapitular in Rtntenburg, * 2. I >t/rnil)er iSij zu
Ka\ cnshurg, f 24. Februar i<)o.^ zu Knttc!il)urg. St. studK rte i licoloj^io in
l übingen, wo er 1868 den Preis der kathc»lisch-theologis( hen FakuUät und
1870 den ersten homiletischen Preis erhielt, und wurde am 10. August 1X70
zum Priester geweiht Hierauf war er zuerst kurze Zeit Vikar in Biberach,
November 1870 bis 1875 Repetent im Konvikt in Rottweit. Im Frühjahr 1875
zu einer Reise nach Italien iHMirlaultt. wurde er nach seiner Rückkehr itn
.\uglist 1875; provisorisch, seit Scptrinhcr 1.S76 detinitiv Kaplan in .\idendorf,
am 17. Oktober 1878 Pfarrer in Suiniingen, am 26. September 1882 provisorist h,
am 5. Mai 1884 definitiv Regens des Priesterseminars in Rottenburg; 1898
Domkapitular. Als Vertreter des Domkapitels in der z, Kammer widmete er
Mch mit einem bei seiner zarten Oesundheit s« -m Kräfte aufreibenden Kifer
den parlamentarischen .Xuf^'aben, indem er in^lKMinderc in den Kämpfen um
«lic konfessionelle Volksschule mit Mut und l-lntschiedenheit <lie Rechte der
Kirche vertrat. — St. war ein Mann von roichen Kenntni.ssen nicht nur in
4ier Theologie, sondern auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft
und Literatur. Seine bekannteste literarische Arbeit sind die in drei Auflagen
verbreiteten Klosterbihler aus Italien« (Stutt<,'art 1881; 2. Aufl. 1802; 3. Aufl.
i8f).^). Nach seinem Tode erscheinen ( ledenkblätter aus dem Leben und
Nachlaß des Domkapiiulars Paul Stiegele , wovon bis jetzt Hand II. ^ Fasten-
predigten«, herausgegeben von B. Rieg (Rottenburg 1904), vorliegt; die
folgenden Binde sollen weitere Predigten und Vorträge, Band I ein Lebens-
bild St.s enthalten.
VgL »Augsbiufer Postzeitunpr« 1903, Nr. 46 vom 26. Februar. >K;>!ni$c]ie Volks-
.H-inrng« 1003, Nr. 177 vom 25. Kehrimr, — Neher, Personalkatalog der Geistlichen des
Bistums Koticnburg ^3. Aufl., Scbw. Gmünd 1894), S. 183. F. Lau eher t.
Cmncr, Wilhelni, Weihbischof von Münster, * 3. März 181 5 zu Oelde in
Westfalen, f 15. März 1903 zu Münster. — C. besuchte das Progymnasiuni
zo Warendorf und das Gymnasium zu Münster, studierte dann Theologie an
ier Akademie zu Münster und wurde am ro. August 1838 zum Priester ge-
weiht. Am ()ktober iH^c) wurde er Kaplan /u Xeuenkirchen bei Rheine,
am 21. Oktober 1S50 Pfarrer uml Decliant zu lJulmen, Anfang 1864 Regens
des Priesterseminars in Munster, am 21. Juni 1864 auch als Domkapitular
investiert, Mai 1866 zugleich Direktor der Weltpriesterkongregation in Kevelaer.
In den Kulturkampfsjahren, während das Priesterseminar seit 1876 geschlossen
war, der Bischof in der Verbannung weilte unfl eine Reihe von Pfarreien
jahrelang verwaist standen, erwarb sich C\ dur< h Abhaltung von Volksmissimien
jjroüe Verdienste. Als der Bischof Johann Bernard Brinkmann 1884 aus der
Verbannung zurückkehrte, ernannte er C. zum Domdechanten (als solcher
70
Cimmer. Uebert.'
wurde er am lo Aj>ril 1884 installiert) und /um Weihbischof; am 13. N'ovem-
bcr 18S4 prakonisierte ihn Papst Leo XIII. /um Hischof von Lykopolis i.p. i.
und Weihbischof von Münster; am 21. Dezember 1884 wurde er von Bischof
Brinkmann konsekriert. Er war auch päpstlicher Hausprälat und Thronassistent.
— C. entfaltete auch als vortrefflicher relifpöser Volksschriftsteller eine tin-
ermüüliche, segensreiche 'J'ätigkeit. Als Pfarrer von Dülmen begründete er
1852 das Dülmener »Katholische MissionsMatt. Kin Sonntajjsblatt zur religiösen
Belehrung und Krhauunj,' , das er mehrere jahr/ohnte lanjf auch in seinem
spätem Wirkungskreise fast ganz allein schrieb. Von seinen zahlreichen
Gebetbüchern, Mahn- und Krbauungsschriften haben mehrere eine große Zahl
von Auflagen erlebt und erfreuen sich noch einer grofien Beliebtheit. Als
die bekanntesten darunter seien genannt: »Feuer und Schwert oder: Die
heiligen Stätten und Stunden (Dülmen 1870; die folgenden Auflagen unter
dem Titel:) Auf na« h Salems Höhen! oder: Die heiligen Stätten und Stunden
unseres Herrn in 40 Betrachtungen für jeden lag der heiligen Fastenzeit«
(2. .Aufl. 1873; 6. Autl, 1898); »Die christliche Mutter« (Dülmen 1872;
28. Aufl. 1899); »Der christliche Vater« (Dülmen 1873; 8. Aufl. 1897); »Die
christliche Lehrerin« (Dülmen 1887; 4. Aufl. 1895); »Der christliche Lehrer«
(Dülmen 1889; 2. Aufl. 1896). Größere Werke: Das Kirchenjahr, oder
Betrachtungen auf alle Tage des Kirchenjahres nach dessen Festen und F.van-
gelien (2 Bde., Münster 1877/78; 2. Aufl. 1894); \)cx apostolische Seelsorger,
oder der Seelsorger, wie er sein und wirken soll« (Dülmen 1889; 2. Aufl.
1890; 3. Aufl. 1903); »Unser Adel oder die Kindschaft Gottes« (Dülmen 1892).
Erwähnt sei noch die Schrift: »Wahrheit und Märchen, oder die Glaubens-,
entscheidung des 18. Juli. Ein Wort der Belehrung und Beruhigung (Dülmen
1S70I, und die Biographie: Johann Bernard, Bischof von Münster (Würz-
burg 1875, Deutschlands Fpiskopat in I.el)ensl)ildern, III. Bd., 5, Heft).
K. KaOmann, Nachrichten vun dem l.cbcn und den Schriften MUnstcrländiscber
Schrifteteller, Neue Folge (Mttnster 1881), S. 4af. — »Alte und Neue Welt«, 37. Jahtg.
1903, S. 571, mit Portriit. - »1, itcrar. Handweiser« 1903, Nr. 788, Sp. 57of. — >K.<Inisdie
Volkszeiiung« 1903, Nr. 335 vom 17. Män. F. Lauchert.
Licbert, Narzissus, O. S. ß., Rektor der StudienaIl'^talt bei St. Stephan in
Augsburg, * 18. März 1844 zu Augsburg, f 25. .März 1903 daselbst. — L. be-
suchte in seiner Vaterstadt 1854 — 1862 das Gymnasium der Benediktiner zu
St. Stephan, trat dann im Stift St. Stephan in den Orden, legte am 20. Mai 1864
Profeß ab, studierte an der Universität München Theologie und Philologie und
wurde am j?o. >rai 1867 zum Priester geweiht. Im Herbst 1867 machte er das
philologisc he Staatsexamen, am 27. Juni 1S6S promovierte er in Würzlnirg zum
Dr.phil. Seit Herbst 18O8 wirkte er hierauf im Lehramt am dymnasium St. Stephan,
1868 — 70 als Gymnasialassistent, 1869—70 als Seminarpräfekt, 1870—71 als
Studienlehrer, 1871 — 91 als Gymnasialprofessor. Schon bald lehrte er Latein und
Griechisch in den beitlen obersten Gymnasialklassen, seit 1872 auch Hebräisch.
Seit 1871 war er auch Novizenmeistcr und Kleiikerdirektor im Kloster. i.S()i
wurde er Rektor der ( lesamtstudienanstalt (Lyzeum und (l\nuiasium) und
übernahm auch die Profe.ssur für i'hilologie und Pädagogik am Lyzeum. L.
war ein hervorragender Philologe und Schulmann, ein entschiedener Vertreter
des humanistischen Bildungsideals. — Die schriftstellerische Tätigkeit Ljs
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Liebelt. Sclimid. Mitterrutzner.
71
umfaßt auf philologischem Gebiete die Dissertation »ZV doctrina TaeUi*
\\Vürzburg 1S6S) und vier Hefte ' Lateinische Stilühungen" (Programme der
k^l. kath. Studienanstalt zu St. Ste|»han in Augsburg 1S76, iSSo, 18S7, iSgS);
auf theologischem tiebiete Übersetzungen derHomiiien des hl. Johannes Chryso-
stomus über die Briefe des Apostels Paulus an die Epheser, an die Philipper und
an die Kolosser (in: Ausgewählte Schriften des hl. Chrysostomus, nach dem Ur-
texte übersetzt, Bd. VII, S. 169—558, Hd. VIII, S. 7 — 5;,.^' Kempten i882ff.,
in der Hihliothek der Kirchenväter), und der Didache: Die neu aufgefumlene
Lehre der zwtilf Apostel, aus dem l'rtexte übersetzt (Keini)ten 1S85 in: Biblio-
thek der Kirchenväter, Anhang zu den Apostolischen Konstitutionen«).
Vgl. »Attgsbarger Postzeitung« 1903, Nr. 70 vom 28. MSrs (P. Beda Gnmdl). —
Lindner, Die Schriftsteller des Benediktinerordens in Bayern, Bd. II (K^ensburg 1880),
S.a55f.; Nachträge (1884), S. 74. F. Lauchert.
Scbinid, Theodor» S. /.. * 9. November 1837 su Dillingen» f 9. April 1903.
— Sch. trat am 27. September 1857 zu Gorheim in das Noviziat der deutschen
()rden«;provinz der Ocsc-llscliaft Jesu ein. Nachdem er den gewöhnlichen
Studiengang durchgemacht hatte, wurde er am 1 _v September 1S6S zu Maria-
Laach zum Priester geweiht. Er wirkte rlann zwei Jahre in der Seelsorge zu
Bonn. Seit der Verbannung aus Deutschland 1872 war er an der Sfe/la
mahffitia zu Feldkirch in vielseitiger Wirksamkeit tätig, als I..ehrer der Reli-
g!t)n, Geschichte und Ästhetik an den hciheren Gymnasialklasscn, sowie
aN ]*rediger unrl C'hor<lirigent. Schriftstellerin h machte sich Si Ii. als Ästhetiker
nm\ Kunstkritiker auf <lem Gebiete der Musik einen angeselienen Namen
durch seine in den Stimmen aus Maria-Laach und in kirchenmusikalischen
O^anen veröffentlichten Beiträge. Als Buch erschien: »Das Kunstwerk der
Zukunft und sein Meister Richard Wagner« (Freiburg 1. Br. 1885; vorher in
einer Reihe \ r,u Artikeln in den Stimmen aus Maria-Laach, Bd. 2$-~2'j, 1883^).
Von seinen kleineren Arl)eiten seien cr\vähnt: Das KunstscluMie in der
Kirchenmusik- (im Cäcilienkalender, herausgegeben von Haberl, Kegensburg,
für 1883, 1884, 1885), und von seinen Heiträgen zu den Stimmen aus Maria-
Laach: »Kirchenmusikalische Briefe^ (3. Bd. 1872, S. 505—513; 4. Bd. 1873,
S. 436—448» 571—583; 5- Bd. 1873, S. 277—288; 6. Bd. 1874, S. 71—83);
Besprechungen der Passionsspiele von \ "rderthiersee in Tirol (29. Bd. 1885,
S. 511 — 526), Hrixlegg (37. Hd. iSSo, S. 3O4 — 381) und Oberammergau (39. Bd.
i8<)o. S. 405 — 42q); /'nfit//>ts musitac — Fürsten der Tonkunst (l'alestrina
und Orlando di Las.so; 47. Bd. 1894, S. 113 — 136, 264 — 2S6, Nachtrag 483
bis 486); »Werke der Tonkunst aus Österreichs alter und neuer Zeit« (49. Bd.
1895, S. 151 — 175, 268 — 283); »Zur Choralkunde« (52. Bd. 1897, S. 175 — 199,
289 — 316); seine letzte Arbeit war ein eingehendes Referat über das Werk
vnn R. Molitor, Die nachtridentinische Choralreform zu Rom, Bd. I und II,
Leipzig 1901 f. (unter verschiedenen Titeln, 61. Hd. looi. S. 404 — 414, 516
bis 528; 65. Bd. 1903, S. 33—55, 555 572; 66. B(L 1904, S. 84 93).
V^I, »Stimmen ans Maria-Laach«, 65. Bd. 1903, S. 3.if. \\ Lauchert.
Mitterrutzner, Johannes Chrysostomus, C<jn. nx-, emeritierter Gymnasial-
dircktor, * 30. Mai 1S18 auf dem Höllerhofe zu I iis bei Hrixen, f 15. April
1Q03 im Stift Neustift bei Brixen. — M. absolvierte die GymnasiaLstudien
iS^i—^j zu Brixen, wo sein geistlicher Oheim Forer, der für seine Ausbildung
7?
Mittemi tzD er.
sorgte, Präfekt des Gymnasiums war (f 1845), die philosophischen Studien
1837 — 39 in Innsbruck und studierte dann in Brixen 183Q — 42 Thcolopic,
wo unter seinen Lehrern Vincenz (iasser, der spätere Kürstbischof von Hrixen,
als Professor des Alten Bundes und der orientalischen Sprachen, und Franz
Josef Rudigier, der spfttere Bischof von Linz, als Professor der Kirchen-
geschtchte waren. Unter Gasser, der auch später als Fürstbischof sein großer
Gönner blieb, betrieb er mit besonderem Eifer das Studium der orientalischen
Sprachen, außer dem Hebräischen auch des Arabischen, Syrischen und
C'haldäisclien. Nach dreijährigem Studium der Theolorric trat er am 7. Sep-
tember 1842 in dem Augustiner-Chorherrenstift Xeustift bei Brixen in das
Noviziat ein und erhielt statt seines Taufnamens Josef den Ordensnamen
Johannes Chiysostomus; am 8. September 1843 legte er ProfeS ab und wurde
am 24. September 1843 zum Priester geweiht. Während des folgenden Jahres
hörte er noch den vierten tlicologischen Kurs und bereitete sich zugleif Ii auf
das Gymnasiallehranit vor. \m Soninur 1S44 kam er zum erstenmal nach
Rom, wo er auÜer anderen \\ urdenträgern und lielciirten insbesoiulcre mit
dem Kardinal Mezzofanti bekannt wurde. Zu einem zweiten längeren Studien-
aufenthalt kehrte er 1846 nach Rom zurOck, wo er diesmal von April 1846
bis Mai 1847 bbeb; am 16. Juni 1846, dem Wahltage Papst Pius' IX., wurde
er /)r. tlnol. an der römischen l'niversität. Im Herbst 1S47 wurde er Lelirer
am (iynina^iuin zu Hrixen, wo er abwct hst lnd (icschic hte und (Jco^raphie
und ilie klas.sisclien Sprachen, als Kreifäclier aut h moderne Sprachen ieiirte.
1853 ernannte ihn Accaäema di rttigione cattolica in Rom zu ihrem ordent-'
liehen korrespondierenden Mitglied. Seit 1851 nahm sich M. mit großem
Eifer der Angelegenheiten tler afrikanischen Mission an; in diesem j.ilne kam
der ;ii>nsi(»lisrhc l'rovikar für /cntralafrika, Dr. Ignaz Knobleclur, den er
schon in Rom kennen gelernt liuttc. auf einer Reise nach Brixen, um den
Marienverein zur Förilerung der kaiholi.schen Mission in Zentralatrika auch
in dieser Diözese einzuführen. Als Vertreter des Marienvereins sammelte M.
unermüdlich Geld für die Mission, stand den Missionaren mit Rat und Tat
zur Seite und wurde zu allen wichtigeren Angelegenheiten der Mission zu
Rate gezogen. 1S56 reiste er selbst nach Alexandria, um acht Negerknaben,
die in Europa ausgebildet werden sollten, al)7,uholen. Nach dem Tode
Knoblechers 1858 wünschten die Missionare dieses Missionsbezirkes ihn als
apostolischen Provikar in Chartum; er begab sich aber zu persönlicher Ver-
handlung mit der Propaganda nach Rom und bewirkte die Ernennung des
P. Matthäus Kirchner. Aus Manuskripten von Missionaren und nach münd-
licher Anweisung eines nach Brixen gekommenen Negers verfaßte er in den
sechziger Jahren die Werke: Die Dinka-Sprache in Zentralatrika. Kurze
Grammatik, Text und Wörterbuch^ (Brixen 1866) und » Die Sprache der Bari
in Zentralafrika. Grammatik, Text und Wörterbuch« (Brixen 1867). In An-
erkennung dieser Arbeiten verlieh ihm 1867 das Institut de tAfriqw in Paris
das Diplom als President d'honneur. Während des Vatikanischen Konzils war
er als Geheimschreiber des Generalsekretärs des Konzils, des Bischofs Keßler,
wieder in Rom. Im Jahre 1873 wurde er Direktor des Gymnasiums zu Brixen;
1891 legte er wegen fortgeschrittenen Alters und zunehmender Kränklichkeit
dieses Amt nieder und erhielt den Titel eines k. k. Schulrates; er lehrte dann
noch zwei Jahre am Gymnasium Italienisch, 1 89 2 93 auch Geschichte. Im
MilteirutsncT.
73
Sommer 1S93 kehrte er dann in das Stift Neustift zurück und lebte hier die
letzten zehn Jahre bis zu seinem Tode. — M. besaß eine hervorragende
linguistische Begabung; neben der in den Studienjahren erworbenen Kenntnis
der klassischen und Orientalist hen Sprachen beherrschte er eine gröUcre Zahl
von modernen Sprachen (Italienisch, Fran/.O.sisch, Spanisch, Portugiesisch,
Rhltoladinisch, Englisch, Niederländisch, Slovenisch, Dänisch), wozu noch
die schon erwähnten Negersprachen kommen; diese vielseitige Sprachkenntnis
erwarb ihm den Beinamen des tirolischen Mezzofanti. Von jibilologischen
Arbeiten sind neben den oben sjcnanntcn zwei (Jraniinatiken die aN Hrixcncr
(ivmnasialprogramme veröffcntlit hien Arlieiten zu ikmiich: Leichte Methotle
für Lateiner, Italienisch zu lernen, oder: Abstammung und \ erwandtschatt
der italienischen Sprache« (Innsbruck 185 1); »Die rhätoladinischen Dialekte
in Tirol und ihre Lautbezeichnung« (Brixen 1856); »Slavisches aus dem öst-
lichen Pustertale« (1879). Unter seiner übrigen schriftstellerischen Tätigkeit
nehmen die biographischen und hagiographischen Arbeiten die erste Stelle
ein. von denen genannt ^eien: -Das Leben des ehrwürdigen Hieners (lottes
Vincenz Maria Slrambi aus iler Kongregation der Passionisten, Bischof vdh
Macerata und Tolentino (geb. 1745, gest. 1824). Nach den Akten des Selig-
sprechongsprosesses bearbeitet« (Schaffhausen 1854); »Kurze Lebensbeschreibung
des hochw. Heim Alois Haller. apostolischen Missionars zu Chartuni in Zentral-
afrika (geb. 1820, gest. 1854) (Iinisbruck 1855); Leben \md Wrehrung der
hl. Agnes, Jungfrau und Martyrin (nach dem Italienischen; liuisbruck i8j^();
2. .'\ufl. »877); »Das Leben tlcs seligen I'aul vom Kreuze, Stifters der Kon-
gregation der Passionisten« (aus dem Italienischen übersetzt; Innsbruck 1860);
»Dr. Ignaz Knoblecher, apostolischer Provikar der katholischen Mission in
Zentralafrika« (Brixen 1869); »Josef Kardinal Mezzofanti, der große Polyglott«
(zuerst als Programm. T?ri\en r88^; 2. Titelaufla^e Wien 1885); Fragmente
aus (lern Leben des !• rai:mentisten (}. Ph. Kallmerayer) (Brixen 1887): Pa'n
Blatt der Erinnerung an tlie katholischen Missionare aus Tirol in Zentral-
afrika« (Brixen 1890). Von anderen Arbeiten seien noch genannt: »Immer-
währender katholischer Hauskalender. Ein vollständiges Handbuch für katholische
Familien« (mit Nikolaus Rothmüller; 2 Bde., Innsbruck 1848 — $1; 2. Aufl.
i86g — 76); Conspectus hierarch'iae catkolkae per orbcm terra rum tempore conc'ilii
oeeumeniti rdtieani» (Rrixen 1871). Aus dem Italienischen übersetzte M. ins
Lateinische: * Angela Scotti, Aleditat'wnes ad usum cleri, per singulos anni dies
um^Ute €x JJemmkamm eoangtltts* (4 Bde., Innsbruck 1854—55); aus dem
Französischen ins Deutsche die »Betrachtungen für Priester« von Chaignon
(in 4 Bdn., Brixen 1870 — 72; die folgenden Auflagen in 5 Bdn., 2. Aufl. 1879!,
3. Aufl. iS84f., 4. .\ufl. iSQif.). Kür die Kemptener Bibliothek der Kirchen-
väter lieferte er den I., II., V. und X. Band der Ausgewählten Schriften des
heiligen Chrysostomus, nach dem Urtexte übersetzt« (1869 — 84). Nach seinem
Tode erschien seine Autobiographie unter dem Titel: »Aus dem Schatze der
Erinnerungen eines glücklichen Menschen« (veröffentlicht und ergänzt von
£daaid Jochum, Brixen 1903; mit Porträt).
Vgl. femer J. M. Sdiinidingcr, Der letzte- ^< liUler Mezzofantis: in der ».\u},'sl)urger
Po«tzcitunp« I903< Nr. 99 und 100, vom 3. und 5. Mai. — >Zeit>chrift des Kcnlinandcums
für Tirol und Vorarlberg«, 3. Folge, 47. Heft, 1903, S. 321—324 (mit Porträt zu S. 315).
F. Lauchert.
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74
Beyschlag.
Bcyschlag, Robert, (k-nreinaler , * i. Juli 1838 zu Nördlingen, f 5. De-
zember if)n3 in München. B. cntstamnit einer alten Familie, aus welcher
schon viele namhafte Gelehrte und Künstler, insbesondere im Baufache, her-
vorgingen. Aach Wissenschaft and Theologie sind inbegriffen. — Seine
rechtzeitig erkannte Begabung führte ihn auf die Münchener Akademie zu
Philipp Foltz »aus Bingen« (wie der sc hrullenhafte aber tüchtige Lehrer sich
zum l'nterschiede von allen übrigen > Koltzen und Voltzen« zu bezeiclinen
beliebte), der gerade damals ein zahlreiches Häuflein rüstiger Talente l)ei-
sammen hatte, darunter Jheodor Pixis, Weilibrod, Hauschild, Schwoiser,
Jos. Mansch, Heinrich Spieß, Karl Baumeister u. a., welche das frisch
aufblühende »Jung- München« — auch eine Art artistischen »Hainbund«,
dessen Geschichte noch eines Biographen harrt — begründeten, zu dessen
fröhlichen Festen B. rüstig beitrug. Foltz hielt den vielversprechenden Kunst-
jünger hoch; ihm imponierte auch sein klassiscli geformter Kopf, welchen
der doktrinäre Professor eines kleinen l ehls wegen innner als eine beschäiligte
Antike« pries. Mit seinen kleinen, mit Vorliebe mittelalterlich kostümierten,
durch guten Formensinn und feines Farbengefühl ansprechenden, größtenteils
etwas lyrisch-sentimental angesäuselten Bildern machte B. viel Glück. Ks
gab da «Gretchen«, libellenhafte »Psychen < und (^)uellennymphen. Liebende,
die ihr versdilungenes Monogramm einem alten Linden- oder Buchenbau ni
einschneiden, zärtlic he Xachbarkinder und Friihlingsgrülie , gliu klic he, mit
ihren holden Sprößlingen spielende Frauchen, eine ^ Erwartung ä la Schiller,
wobei der schlafende Freund mit Küssen geweckt wird. Bisweilen kleidete
er ähnliche Stimmungen in das moderne Leben, es gab dann »Geburtstags-
gratulationen«, ' l'nterhaltungen am Brunnen , Abs» Im ds- und dergleichen
nasse Szenen. Auch mit antiken Stoffen versuchte er sicli, gleichfalls glücklich:
an einer Iphigenie, Orpheus und Furydike, einem flötenden I lirtenpärc hen :
)ü du glückliche Jugend!' Unter dem l'itel 1 rauenlob« veranstaltete er
eine internationale Sammlung von anmutigen und schönen, verschiedene
Jahrhunderte repräsentierenden Frauenköpfen: aus der hellenischen Welt,
mit Überspringung der Pfahlbauten aus dem Früh-Christentum, der »Giotik«,
der holländischen und vcnetianischen Blüte, im Charakter der Renaissance,
des Rokoko, der Revolutions-, Empire- unil Biedermaier-Zeit. Wiederholte
Reisen nach Paris und Italien gaben gar keinen neuen Zuwachs. — Ganz
nach dem »historischen« Rezept seines Meisters malte B. eine Freske In die
Galerie des bayerischen Nationalmuseums, wie »Ludwig der Kelheimer mit
dem Sultan K&mel über den Abzug der Kreuzfahrer unterhandelt« (1221) —
ein - recht gut komponiertes , fest gezeichnetes und frisch koloriertes Excmpel
der damaligen ( '.cschii htsmalerei. Dann kehrte H. in das ihm ganz zuständige
Repertoire zurück: Er brachte anmutende Familienszenen, wobei auch der
leise mitspielende Humor dem Künstler neue Freunde gewann, darunter
»Waldhüters Töchterlein«, »Die beiden Hasen« und der »Liebesdienst« (wie
ein kleines Stumpfnäschen ihrem Brüderchen die . zerrissenen Inexpressibles
zunäht) und dergl. Eine große Anzahl fortgesetzter Erzeugnisse seines
Fleißes, in Holzschnitt und Photographie rejjroduziert , darunter auch sehr
ansprechende Bildnisse, sicherten ein dankbares l'ublikum dem gemütreichen
Künstler, welcher nach dreiwöchentlicher Krankheit einem glücklichen
Familienieben entrissen wurde. Eine Ausstellung seines Nachlasses im
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Bcysehlag. BOigeL
75
Mönchener Kunstverein brachte 34 gröfitenteils ganz vollendete, mitunter
aus der (ilan/zcit seines Schaffens stammende Bilder inul Studien; sie wurden
am 10. November iqo^ durch Carl Maurer versteigert.
Vgl. Pccht: (Ifschichtc der MUnchcncr Kunst 1.S8S S. 242. — Singer iRof; T 122. -
Fr. von Bötticber 1895 ^ 89 ff. (dabei sind 63 Nuniinern geuisscnhalt ui bistorisclicr
HeilMBfo^ Aiifgexihlt). — Nekrologe in Nr. 340 »Allgem. Ztg.« 8. Oexember 1903. —
Knutvcfdiisbericht für 1903 S. 67. Hyac. Holland.
Bürgel, Hugo, Laiulscluiftsmaler, * 14. April 1853 in Landshut, f 3. Juli
1903 zu München. — B., Sohn eines 1869 zu Kegcnsburg verstorbenen
OberpostinspektOTs, absolvierte das Gymnasium und widmete sich der militäri-
schen Laufbahn. Seit 1876 mit der Tochter des Philosophen und Universitäts-
piofessors Dr. Karl von Prantl (f 1888) verheiratet, beschäftigte sich B. in
mehr als «lilettantischcr Begabung mit der Malerei, nahm 1886 einen ein-
lährigen Urlaub, welchen er unter August Kinks Leitung so ene!gi'^( h be-
nutzte, daß er den Entschluß fällte, den militärischen Beruf mit dem l^ünstle-
rischen zu vertauschen. Im März 1887 nahm B. seinen Abschied als
Oberleutnant und debütierte mit Bildern aus dem Isartal (namentlich mit
einer »Femsicht auf die Zugspitze ) im Kunstverein und in den Jahresaus-
^tellungen des f'jlaspalastcs. Nik Ii Fügen v(^n Stielcrs Rücktritt wurd B. als
erster Präsident der Minu htner KunNtgenossens< hafl gewählt, \ er/i< litete aber
bald auf diese Stelle, um als X'orsitzender an die Spitze der sogenannten
Luitpoldgruppe zu treten. Mit feiner Empfindung ausgestattet, wählte er am
liebsten weiche, in verschleierter Atmosphäre verfltefiende Stimmungsbilder,
wozu die Eindrücke der oberbayerischen Landschaft mit ihrem Fluß-, Seen-
und Moorgebiet die wechselreidistcn Motive boten. Seine alle Jahres- und
Tageszeiten abspiegelnden, immer in zarten Duft gehüllten Bilder wirken
ungemein beruhigend, sozusagen kontemplativ, in einer .Xrt unendlicher
.Melodie, mit einem alle festeren Konturen einlullenden Nirwana. Deshalb
ermüdete auch eine Gesamtausstellung seiner Werke, wie man selbe im
Dezember 1903 veranstaltete, den Beschauer, während in kleinerer Auswahl
unser Interesse immer gefesselt wird. Jedenfalls war der Künstler in seiner
ganzen Entwicklung noch nicht zum .Abschluß gekommen, und der Tod hat
ihn gehindert, seine letzten malerischen Absichten vollkonunen zum Ausdruck
za bringen. Doch ist das, was er uns gegeben, genug, um sich daran immer
irieder zu erfreuen« und sein frühes Scheiden zu beklagen. Die Liebe zur
Natur ist sein Glaubensbekenntnis, seine Religion, sein Alles, Höchstes. Ein
triiheres Eintreten in den artistischen Berufskreis wäre, wie bei J. \'. von
Scheffel, von günstiger Folge gewesen. Seine vornehmen Züge hat W. Thor
in einem trefflichen Bildnis festgehalten. Seine zahlreii iien Freunde bereiteten
ihm vor der Überführung zur Feuerbestattung nach Jena eine glänzende
Ovation.
Vgl. »Das geistige Deutschland« 1898 S. 94. — Alexander Heilmeyer im Mflnchencr
Kunstrereinsbericht filr 1903 S. 68. — Kine vcr^tiUitliii^iiuii^'c Hc-prechung von B.S G«-
"^»mtau-^stellung seiner Büdcr in Nr. 56a der »MUnchcncr Neuesten Nachrichten« vom
!• Dezember J 903.
Hyac. Holland.
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76
Dennerlein. Eberie.
Dennerlein, Thomas, Bildhauer, ♦ 1847 in Mitt«rteich (Oberpfalz),
t 24. Januar lon^ zu München. — Als der Sohn eines Lehrers frühzeitig itn
Zeichnen geübt, tat I). sich schon auf der Kunstueuerhesc hule (h)rrli originelle
Entwürfe, z. B. zu einem Schwarzwalder Uhrgehäuse, einein Handspiegel und
dergl. hervor; auch Silhouetten ä la Konewka (die vier Jahreszeiten, Arm
und Reich, Sommemachtstrauro, Bettelmusikanten, Jagd) und Projekte zu
kunstgewerblichen Schöpfungen wie Türklopfem, Tafelaufsätzen, Leuchtern,
Tellern, l'okalen gingen aus seiner Hand hervor. Nach Ableistung seiner
MilitärpHicht im Kriege 187071 und wiederholten Studienreisen in Italien,
wurde I). in hervorragender Weise bekannt durch sein Kriegerdenkmal für
Ulm. Darauf folgte das Modell zum kolossalen Adler mit der Merkur- und
Neptun-Gruppe am Giebel des neuen Bahnhofgebäudes in München und die
allegorischen, jede einen 200 Zentner schweren Merlera-Steinblock aus Istrien
erfordernden Figuren der Kegententugenden (Wahrheit und (lerei iuigkeit) am
dortigen Königssalon. In seine eigentlichste Mahn kam 1)., als ( )|)erl)aurat
G. V. Neureuther ihm die phistische Dekoration an seinen Bauwerken, am
Polytechnikum und neuen Kunstakademie-Gebflude, übertrug. Hierfür schuf D.
nicht nur einen fröhlichen K^nderfries, sondern auch die imposante Giebel-
Bekrönung mit der klassischen Ciestalt der Pallas Athene und den Nebenfiguren
der Toesie': und »Wissenschaft . Die l'allas , welche, obwohl im Innern
hohl, doch 45 Zentner Ton erforderte, wurde durc h die l irnia \'illerov und
Boch in Mettlach gebrannt, eine vordem noch nicht ausgeführte Leistung.
Von gleichem Kaliber waren jene, die pyramidale Gruppe harmonisch ab-
schließenden, sitzenden Seitenfiguren. Weitere Arbeiten D.s bildeten das
Denkmal für den Dichter Karl Stieler in Tegernsee, das sinnige Grabmal
für Professor Dr. (lustav Hever, dazu die prachtvolle Büste (lottfried von
Neureuthers. Hin lel)en>gr()lier C'rucifixus kam in die Kry|>ta der herzoglichen
Familie zu Koburg. Auüerst anmutige Arbeiten lieferte D. mit einem zier-
lichen Pagen über der Toreinfahrt im Hause der Baronin von Hormayer und
der Grabfigur eines geflügelten Mädchens. Dann entstanden die Repräsentanten
der »Chemie und Mathematik« (an der T.uitpold-Kreisrealschulc) und die
»Industrie« als (liebelsclnnuck an der Hypotheken- unri Weehselbank, und
das Wappenschild an der k. Kriegsschule. Kinen ehrentlen Ruf an die
Kunstgewerbeschule in Pforzheim (1876) lehnte er ab, dafür erfolgte die
Verleihung des Prolessortitels an der Akademie und die Aussicht auf ehren-
volle Bestellungen. D. war ein echter idealer Künstler, ein Mann ohne Arg
und Falsch» eine edle, treue Seele.
Vgl. LUtzows Zeitschrift !.SS6 XXI 673. - Fr. Pocht, Cc-rhiditc <Ur MOnchcner
Kunst 1888 S. 310 (nül Abb. der »Pallas«), — »Das geistige Deutschland« 1898 S. laj.
— »Allgcm. Ztg.« Abendblatt Nr. 27. 1903. — Kunstvereinsbericbt fUr 1903 S. 68.
Hyac. Holland.
Eberie, Syrius, Bildhauer, k. Professor, * 9. Dezember 1844 zu Pfronten
(Allgäu), f 12. April 1903 zu Ro/en. — E. fand im Hause des Vaters, eines
ländlichen Schreinermeisters, frühe (lelegenheit zum Schnitzen und Zeichnen;
die Sehnsucht mehr zu lernen, führte ihti 1862 nach München. Hier nahm
sich der vielbeschäftigte Bildhauer Jakob Hradl mit prakti.scher Unterweisung
seiner an, so dafi £. mit 21 Jahren Aufnahme an der k. Kunstakademie
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Eberle.
77
finden konnte und bei Professor Max Wiedeinann 1866—1872 srhnelle Koit-
bchrittc machte. Mit einer großen Grupjie: wie ein verwundeter Soldat, von
einem anderen unterstützt, während eine barmherzige Krankenpflegerin den
zerschossenen Fofi verbindet, jubelnd seinen Mitstreitern den Sieg verkündet
(vgl. Fr. Pccht in Beil. 208 AUgem. Ztg.« 25. Juli 1872), erhielt E. die erste
Auszeichnung und damit ein Stipendium, welches er zu einer Studienreise
nach Nc^rddeutschland verwendete, worauf er zu München in F. X. Rietzlers
Atelier') /ahlrei( he Heiligensiatuen und (iruppen schuf, von denen die
meisten nach überseeischen Ländern, insbesondere nach Brasilien und Peru
gelangten. Längere Zeit im Atelier des rOhmlichst bekannten Bildhauers
und Akademie^Professors Josef Knabl als Assistent verwendet, trat nach
dessen am 3. November 1881 erfolgten Ableben K. als Na( hfolt^cr in diese
Stelle. Schon früher hatte ihn Könif,' Ludwig II. mit mancherlei Aufträgen
betraut: für ihn modellierte K. die \oii großer Phantasie zeui^enden, zierlichen
Projekte zu enieni latclaulsatz , zu einem Schiilten und Prunkwagen (die
Gipsmodelle dazu erschienen 1903 auf der Münchener Jahresausstellung im
Glaspalast). Auch fertigte er eine lebensgrofle Statue des Königs für die
Aula des Münchener Polytechnikums (1882). Zwei Jahre vorher wurde das
nach E.s Modell in bronziertem ZinkmifJ ausgefülirte, in .Auffassung und Durch-
bildung zu den besten .Arbeiten zahlende Kriegerdenkmal zu Kempten ent-
hüllt, emcn zu Tode getroffenen sterbenden Helden zeigend, über welchem
eine herrliche Viktoria den Siegeskranz hält Sein Projekt für den monu-
mentalen Brunnen zu Lindau erhielt 1882 den zweiten Preis. Bei der Kon-
kurrinz um das Münchener Denkmal für Franz Xaver Gabelsberger, den
l'rheber der nach ihm benatniten Stenographie, siegte K. über 17 I?e\ver1)er;
er hat den genialen Korscher, ganz im Kostüm seiner Zeit, sitzend, mit Siitt
und Täfelchen in den Händen, im tiefsten Sinnen über seine Erfindung, zur
wirksamsten Darstellung gebracht. Ebenso glücklich ist die Charakteristik
der Brüder Grimm für Hanau: Wilhelm, stehend, schaut dem forschenden
Jakob — der sitzenden Figur ist ein Mantel über die Knie drappiert — in
da'« gemeinsam gearbeitete Wörterbuch. Die einen lehrenden (Ireis und eine
.\lärchen-F>zählerin vorführenden Seitenreliefs am Sockel sind im antiken
Stil gehalten — jedenfalls wäre eine etwa an Ludwig Richters Innigkeit
streifende Behandlung besser am Platze gewesen I Der Aufbau des Ganzen
und die Charakteristik der unzertrennlichen Brüder erhebt das Werk zu einer
echt deutschen, nur mit Rietschels '>Goethe und Schiller« vergleichbaren
Schöpfung. Ebenso selbstverständlich wie monumental wirken an der die
Isar überspannenden Ludwigsbrücke in München, die je dritthalb Meter
hohen, "Industrie« und f Floßfahrt repräsentierenden großzügigen Kalkstein-
Figuren. Erstere wird durch eine kräftige, weibliche, durch Kad, Hammer
nnd Ambos hinreichend gekennzeichnete Gestalt vertreten, die flott drapiert,
mit energischem Sinne ihrer Probleme gedenkt; die Flößerei, zwar keine
Tölzer- oder Lenggrießer Kostümfigur, aber doch hinreichend kenntlich, sitzt
rudernd, in windflatternder Gewandung auf seinem Holzstoß: ein imj^onierendes
Sinnbild der Bemeisterung des wilden Bergwassers. Zwischendurch gingen
>) V'gl. Biographisches Jahrbuch für 1900 V, 1 37. Aus Kietzlcrs Nachlaß wurden
120 HeUigeDfi^rcn am 14. September 1904 Tersteigert.
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78
Eb«ile. Eisenhttt.
noch viel andere Arlieitenr Ein ritterlicher S. Georg als Drachenstecher an
der südöstlichen Kcke des mit Skulpturen iiberh;ui|>t so fröhlich ausijestatteten,
von dem geistvollen Hauberrisser erbauten neuen Rathauses, dri-i Figuren
für das Reichstagsgebäude in Uerlin, tanzende Amoretten, ein Grabmal für
Wttrzburg usw. Mit ganzer Hingabe arbeitete der energische Künstler an
einer Reiterstatue Kaiser Wilhelms für Nürnberg; aber es war ihm nur mehr
die Fertigstellung des lebensgroßen Modells gegönnt, dessen Ausführung
Rümann übernahm Vielfach in hastender Arbeit erschöpft, suchte der über-
müdete Mann Erholung in Südtirol, wo ihn am Ostersonntag im schönen
Bozen der iod überraschte. Aus schlichten Verhältnissen durch eigene
Kraft emporgearbeitet, blieb er dennoch zeitlebens ein Überaus einfacher, be-
scheidener Mann, der möglichst zurückgezogen nur seinen künstlerischen
Aufgaben und seiner Familie lebte. Vom eigenen Schaffen nie leicht be-
friedigt, strebte er, ein echter Künstler, mit verzehrendem Kifer für jedes be-
gonnene Werk die m(')gHchst vollendete Formgebung zu erreichen. Fine
Übersicht seiner filastischen Entwürfe und Skizzen füllte auf der Münchener
Jahresausstellung 1903 einen ganzen Saal.
Vgl. Fr. Pecht, »Gescbichte der Munchener Kuti9t< 1888 S. 308. — »Kunst für Allee
1889 IV 14s und 17a (mit Abbildung des (Jrimm-DcnkmaK . — Pcclu in Beil. 292 »Allg.
Ztg.« 22. Oktolior 1S85 Uber d;is < ialnlsbi-rgcr Hcnkmal , dc-seii Abbildung in Nr. 45
»Über Land und Meer« 1890 64 Bd. 604 und Nr. 2457 »lUustr. Ztg.« Lcip/.., 2. August
1890. — »St. Georg« in der »Vercinsgabc der Gesellschaft fflr christl. Kunst« 1893. —
»Das geistige Deutschland« 1898 S. I45. — Nekrolog (von Max l'"ür<t) im Jahresbericht
des »Vereins für christl. Kunst« 1903 S. 140*. Hyac. Holland.
Eisenhut, Fcrencz, Genremaler, * 2(). Januar 1857 zu Nemet-Palänka
(U ngarn), f 2. Juni n)o\ in Miim hen. Seine ersten Studien nuu hte F.. an
der Zeichnungsschule zu Budapest; seit 188Ö in München an der Akademie
unter W. von Diez kultivierte er mit auflerordentlicHer koloristischer Be-
gabung sein eminentes Talent. In seinen ganz vom Geiste des Orients durch-
hauchten Bildern hatte er auf vielfachen Wantlerzügen nach dem Kaukasus,
der Türkei, Syrien, Ägypten und Nordafrika unzählige fremdländische Stoffe
gesammelt: ein kulturhistorischer Kthnograph unter seinen Kollegen. Er
kannte das Leben in allen Erscheinungen und freute sich, wie Freiligrath als
Dichter, uns solche Szenen in scharf charakterisierender Zeichnung und in
der Farbenpracht der südöstlichen yfelt vorzuführen. So malte er die
Haremsfrauen und Sklavenhändler, das Treiben und Drängen in arabischen
Moscheen, das Marktgewühl in den Straßen Kairos mit den seltsamen
Industrien, mit der hochnotpeinlichen Justiz, den maurischen Bädern und
Cafes, mit Geldwechslern in Tiflis, Tscherkessen- und Kosaken -Tänzen,
Tatarenschulen in Baku, mit den mohammedanischen Studenten in Kairo und
ihren gottesgelehrten Koran-exegesierenden Professoren, mit Strafiengauklem,
bärtigen Kriegern, Kaufleuten, Schuhflickem und Pfeifenbohrem, Teppich-,
Schmuck- und Waffenhändlem in den Bazaren untl Karawansereien aller
Art. Anfänglich noch hart und trocken, wie in der Palänka-Illorker Dampf-
fähre« ( Illustr. Welt < 18S3 Nr. 39), fand er sich blitzschnell in Farbe, Zeich-
nung, Stinunung und der Bewältigung seiner Stoffe zurecht; wie ein Dichter
griff er hinein in den vollen Völkertrubel und wo er ihn j>ackte, da war es
■X.
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EUenhut. Gessner.
79
aach interessant. Was Bogumil (ioltz mit der Feder schildert, erziililt uns
E. in keckmi, lebensprühenden Farben and mit vornehmer, wobler^ ogener
Tedmik. Das gruppiert sich von selbst vor den Toren einer nordafrikani-
sehen Stadt, mit Pferde- und Esclrcitem und Kamelkarawanen, mit dem
Mnnberürkenden, zu einer t;nii/.en höllischen Symphonie anwachsenden Gelärm
und Gesc hrei bei Hahnenkampfen, dem Ausrufen <k*r Wasserverkäufer, mit
den schhingenbändigenden Musikanten, Minaretsangern, Tarabukapaukern,
näselnden Tänzerinnen und den ernsten Briefschreibern, Rechtsanwälten und
Mirchenerzahlem; alles in kühler Morgenstimmung oder heißem bleischweren
Tagesglast, mit dem Hintergrunde weißer Mauern und schöngeschwungener
Kappeln. Das ist der echte Orient, da weiß man doch warum man lebtl
Auch eine - Heilung t durch Hcsprerhung und '^(^})erleseiv mit Korans'ersen
— wie eine Szene aus Hariris >i\lakamcn — den lud des ehrwürdigen
Büßers, Weltweisen und Pilgers Gül-baba zu Ofen (beide im Besitz des Kaisers
von Osterreich) und die große »Schlacht von Zenia« (1897 in München,
Eigentum des Bäcs-Bodroger Komitates) hat er uns vorgeführt. Immer neue
wechselreiche Stoffe folgten (bettelnde Marabuts; gcfr^^cltc Sklavinnen im
Harem, Kriegsbeute) voll unermüdlicher I- risi he, weh hc durrh Photographie
und lh)lzs(-liiiitt vervieltähigt wurden, wahreiul (He < )rii,diiaU' tii( ht nur in
den Künstlervereinen, sondern auch bei hohen und allerhöchsten Runst-
freonden, in den Galerien zu Wien, Budapest, Berlin und München ihre
ehrende Stellang fanden. Die Münchener Kunstausstellung, auf welcher der
Maler mit drei Hildem vertreten war, hatte kaum üirc Säle geöffnet, als E.
nach kurzer schwerer Krankheit aus dem Leben schied. Seine zahlreichen
I reunde und Landsleute bereiteten ihm beim Begräbnis eine besondere
Ovation.
Vgl. Singer 1895 I 393 (5 Zeilen!) — Fr. v. Bötticher 1895 ^ — geistige
Deutschland« 189S S. 154 Xr. 153. — »Allgem. Ztg.« 4. Juni 1903. — Kunstvereinsbericht
1903 S. 69. — Nr. 3149 »lUustr. Ztg.« Letpz. 5. November 1903.
Hyac. Holland.
GessneTt Adolf, Frauenarzt, ordentlicher Professor und Direktor der Kgl.
Universitfttsfrauenklinik in Erlangen, * 4. Februar 1864, f 24. Januar 1903. —
0. war der Sohn eines Baurats zu Friedberg in Oberhessen. Er studierte seit
1883 Medizin in Gießen und Kriangen, erlanj^te die merlizinisrhe Doktor-
würde in F.rlaiigen iS8() auf (Irund einer Dissertation: Mikrosko]>is( he
Lntersui luingen über ilen liakteriengehait der menschlichen Hand , wurde
1890 approbiert, war kurze Zeit Assistent an der Wasserheilanstalt Michelstadt
in Oberhessen, dann Assistent an der Frauenklinik in Erlangen, wo er sich
habilitierte, war hierauf seit 1.S93 Assistent an der l'niversitäts-Frauenklinik
in Ik-rlin und erhielt iqoi als Nachfolger l'rommels das Ordinariat der (le-
burtshilfe und (rvnäkologie sowie das Direktorat der Frauenklinik in Krhmj,'eii.
Aulier der oben genannten Doktordissertation verottenlliehte G. Abhandlungen
Ober die Nachgeburtsperiode, über mikroskopisch-anatomische Diagnose in
der Frauenheilkunde, sogen. StQckchendiagnose über Geschwülste u. a.
Vgl. die im Vlichaiwschen Jahresbericht von 1903 I, S. 414 angegebenen Nekrologe.
Pagel.
80
Fudis. Gebhard. Göll. Hadn.
Fuchs, Siegmund, IMiysioloj; und ( )r(Iiiinrius in Wien, * q. August 1859,
f 30. Juli if)o^. — K. war der Sohn eines Aj><)thckcrs zu Neusiedl am See
in Ungarn, studierte Mcdi/an in Wien seit 1878, besonders unter Brücke, Exner
and V. Fleischl, war Assistent bei Langer, widmete sich anfangs der Augen-
heilkunde, wurde 1890 Assistent am physiologischen Institut, habilitierte sich
1895 mit der Abhandlun-,' ül)er die galvanischen Vorgänge in der Netzhaut,
gab mit Immanuel Münk in Herlin <lus Zentralbhitt für IMnsioIogic« heraus
und wurtle 1867 /.um urdentiii hen Professor für Anaioniie utul Physiologie
der Haustiere an der Hochschule für Bodenkultur m \\ ien ernannt. F. be-
kleidete diese Stellung bis zu seinem in Vorderbrühl bei Mödling erfolgten
Tode. Er ist Verfasser zahlreicher wertvoller Arbeiten auf seinem Spezial-
gebiete. Das Verzeichis fimlet sich in den nekrologischen Quellen, die in
dem unten angegebenen Jahresbericht verzeichnet sind.
Jahresbericht von Virchow (Waideyer-Posner) von 1903 1, 414. Pagel.
Gebhard, Carl, Frauenarzt und üniversitätsprofessor der Gynäkologie und
Geburtshilfe in Berlin, * 36. Oktober 1861 in Karlsruhe (Baden), f 27. De-
zember 1903. — G. studierte in Berlin, hauptsächlich unter Olshausen, Dr. med.
1887, war seit 1889 Assistent an der Kgl. Universitäts->Frauenklinik (Berlin),
seit 1804 i^rivatdozent für Ceburtshilfe und (lynäkologie an der Universität
zu Berlin uml wurde 1899 zum Professor ernannt. (1. wirkte seit 1889 als
Frauenarzt in Berlin. Kr veröffenliichte: ^ Pathologische Anatomie der weib-
lichen Sexualorgane« (Leipzig 1899) — »Die Menstruation« (in Veits Hand-
buch der Gynäkologie 1898). Während des Sommersemesters 1898 und des
Wintersemesters 1899 erledigte G. in Grcifswald einen ministeriellen Lehr«
auftrag. Kr war ein ausfjezeichneter und beliebter Kehrer.
Vgl. die in Virchows (\Valdc\ er-l'osuer) Jahrfisbeiicht von 1903 1, S. 414 angegebenen
nekrologischen Quellen. Pagel.
Ck^n, Friedrieh, ordentlicher Professor der Pharmakologie in Zürich,* i. März
1829 in Zürich, f 12. November 1903 daselbst. — G. studierte in seiner
Vaterstadt, sowie in Würzburg und Paris, liefi sich 1853 in seiner Vaterstadt
als Arzt nieder, habilitierte sich 1862 daselbst als Dozent und erlangte später
die erstgenannte Stellung, die er bis 1901 bekleidete, wo er in den Ruhe-
Stand trat. G. ist hauptsächlich in der Literaturgeschichte der Medizin
bekannt als Entdecker der nach ihm benannten Rückenmarksstränge, worüber
er 1860 die Monographie: »Beiträge zur feineren Anatomie des Rückenmarks«
und 1864: Verteilung der Blutgefäße auf die Rückenmarksquerschnitte« ver-
üffentluhte. .Xulierdeni ist G. noch X'erfasser einer Krstlingsstudie: Über
den Emtiuli des Blutdrucks auf die Nierensekreiion , mit welcher die bezüg-
lichen Forschungsergebnisse Karl Ludwigs wesentlich ergänzt wurden.
Vgl. die im Virchowschen Jalucsbeiichte von 1903 I, S. 414 angeieigten Nekrologe.
Pagel.
Hadra, Sally, Chirurg in Berlin, * daselbst 24. Februar 1856, f 20. Mai 1903.
— H. besuchte das Friedrichsg) nmasium seiner Vaterstadt. Im Oktober 1874
machte er sein Abiturientenexamen als prhmts mmum. In Strasburg begann er
das Studium der Medizin; beinahe wäre er umgesattelt, da ihm die Schrecken
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Hadra. Jaigei».
8i
(It'-s Stv.icrsaalcs auf die Nerven fielen. \'on seinen I. ein ein sind I.eyden,
Kußmaul, Freund und Hopjic-Scilcr zu nennen. Die \ ui le.sungcn hörte er
iast slmtlich doppelt. Im Jahre 1879 machte er sein Staatsexamen und zwar
mit solcher Auszeichnung, daft dies ausdrücklich vom Dekan hervorgehoben
wurde. Er machte dann eine Arbeit über Stoffwcchselversuche, die in Leydens
Zfitx hr. f. klin. Med. \ eröffentlirlu wurde; (he Versuche fülute er am eipeneji
kuriier aus und niagirte dabei erhebh'ch al). In Kreuth suelite er KrhoUnig.
Wie die Sektion jetzt zeigt, halte er tlatnals l uberkel, die dann ausheilten.
Er wurde Assistent bei Freund in Strafiburg, dann bei Riess im Krankenhaus
am Friedrichshain zu Berlin; schliefitich bildete er sich bei Hahn im Friedrichs-
hain zum Chirurgen aus. Seine Poliklinik in Berliti erfreute sich großer
Beliebtheit. Im Jahre iqoo kaufte er sti Ii ein Haus in der Ktiniggrätzerstralie,
um dort eine Klinik anzulegen; an ilem Tag, an dem der Kontrakt unter-
schrieben wurde, stellten sich zum erstenmal Blutungen aus der Blase ein.
H. erkannte wohl nicht ganz die Krankheit, die unaufhaltsam Fortschritte
machte. Am 27. Februar mufiten ihn seine Angehörigen ^t mit Gewalt
seiner Praxis entziehen. Die Sektion ergab, daß ein disseminierter Mark-
^bwamm an der vorderen Seite der Blase vorhanden war, außerdem Sklerose
der Coronararterien und alte Herde in den Lungen, ii. war Diabetiker.
Er war ein ausgezeichneter Diagnostiker und hatte viel (ilück bei seinen
Operationen. Er war ein bescheidener, fröhlicher Mensch. Als großer Sports-
mann betrieb er eifrig das Radfahren und Reiten; manchen Knochenbruch
hat er sich auf diese Weise zugezogen. —
Fs sei noch hinzugefügt, daß er im \'erein für innere Medizin zweimal
das Wort er<4rifl'en i»at. Im Jalire 1S86 sj)rach er über ( )eso|)haguskompressions-
stenose durch Mediastinaltumor, und im Jahre 1898 stellte er einen Fall von
Gastrotomie nach Witzel vor, der ideal geheilt ist.
In der Berliner medizinischen Gesellschaft hatte er sechsmal das Wort
zar Demonstration vor der Tagesordnung genommen.
Vgl. Na.lunf von J. Ikohcr in der Sit/imjr des Vereins für innere Medizin vom
2S-Mai 1903 und die übrigen in Virchuws Jahresbericht von 1903 1, .S. 415, genannten (^)ueUcn.
Pagel.
JQrgenSy Rndolf, Patholog, Universitätsprofessor und Kustos des patho-
logisch-anatomischen Museums in Berlin, * 19. Januar 1S43 in Tengshausen
fOldenburg), f n. Juni 1903 in Holländer bei Berlin- Hoppegarten. — Als
.\rzt approbiert 1R73, war J. Assistent unter Vircliow am patholouisch-
.^natomischen Institut in Berlin, an welchem er eine sehr unil.issende
Tätigkeit als Lehrer in Kursen für Arzte und l'rüflinge im Staats- und
Physikatsexamen, später als Examinator und ganz besonders als Prosektor
entwickelte. 1901 erhielt er den Professortitel, auch hatte er sich noch 1902
als Privatdozent habilitiert. Sein Tod erfolgte nach längerer Erkrankung.
Seine ziemli« h zahlreichen wisssenschaft liehen Arbeiten und \'eröffentlichungen
fialten tler Diagnose der Amyloiddcgeneration, der Lehre von ilen Oeschwülsten
und von deren Beziehungen zu den Protozoen. L. a. veröffentlichte J.:
»Experimentelle Untersuchungen Qber die Ätiologie der Sarkome« (1S96);
»über Protozoen des Karzinoms« (1898); »Zur Ätiologie des Karzinoms« (1900).
Zahlreiche kasuistische Mitteilungen» Gelegenheitsfunde bei Sektionen etc.
Biogr. Jahrbuch u. Oeutteher N«kroloir. S. Bd. 6
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82
JOrgens. Münk. Nasse. Piitxner.
veröffcntlii hto J in Ct stalt von V orträgen und Demonstrationen in den groften
wissenschaftliiiu'ii W-icinon lU-rlins.
Vgl. die im Virchuwsclicn jaiirc.>>liericlitc \uii 1903 1, S. 416 angegebene (Quelle.
Pagel.
Münk, Imouuittel, außerordentlicher Professor der TMiysiologie und Ab-
teilungsvorstcher am ]>hysiologis(Iicn Institut der L'niversität in Ilerlin,
* 30. Mai 1852 in Posen, f i. August 1903 in Ik-rlin. — M. war ein jüngerer
Bruder des berühmten iierhner Physiologen und Akatlemikers Hermann M.
Er studierte Medizin in Berlin, erlangte hier 1874 die Approbation als Arzt
und widmete sich seitdem ausschließlich physiologischen SpezialStudien. Er
habilitierte sich 1883, erhielt 1895 den Professortitel und wurde gleichzeitig
als Nachfolger von Gad mit der Leitung der speziellen physiologischen Ab-
teilung dos genannten Instituts betraut und iSqq zum Kxtraordinarius ernannt.
M. war ein ausgezeichneter Physiolog, ein bedeutender Forscher und nament-
lich auch als Lehrer und Mensch sehr beliebt. Seine ebenso zahlreichen als
wichtigen Arbeiten betreffen teils die Gebiete des Stoffwechsels und der
Emfthmng, teils die Harnchemie. Kr war Verfasser eines beliebten, oft auf-
gelegten I..ehrbuches der Physiologie, gab mit Uffelmann zusammen ein Werk
heraus unter dem Titel Die Krnährung des gesunden und kranken Menschen ,
redigierte gemeinschaftlich mit S. l-'uchs, Wien, das Zentralblatt für Physiologie
und lieferte auch größere Heiträge für mehrere Sammelwerke. So bearbeitete
er u. a. zusammen mit Salkowski den Abschnitt über physiologische Chemie
fflr Virchows Jahresbericht.
Vgl \'irchows Jahresbericht von 1903 I, S. 419 und die dort genannten nekrologi-
sdien Quellen. Pagel.
Nasse, Otto Johann Friedrich» ordentlicher Professor der Medizin zu
Rostock, * a. Oktober 1839 zu Marburg, f 36. Oktober 1903 zu Freiburg i. Br.
— N. war ein Sohn von Karl Friedridi Werner N. Fr studierte in Marburg,
Berlin, Wien, war l>esonders Schüler seines Vaters, K. Du Hois-Heymontls,
C Ludwigs, und H. Kolbes, wurde 1862 Doktor, war seit 1866 Privatdozent
ni Halle, wurde 1872 Professor e, o. daselbst, 1880 Professor ord. der Phar-
makologie und physiologischen Chemie in Rostock, trat 1899 krankheitshalber
von der Tätigkeit an der Universität zurOck und zog sich nach Freiburg i. Br.
zurfick. N. war ein hervorragender Lehrer und I' orsc her. U. a. veröffentlichte
er folgende Schriften : Ik-iträge zur Physiologie der Darmbewegungen« (Leipzig
1866), '>Zur Anatomie und PliNsioiogie der »[uergcstreiflen Muskelsubstanz
^(Ib. 1882); ferner verschiedene Aufsätze, hauptsächlich in PHügers Archiv
sowie in den Sitzungsberichten der Naturforschergesellschaft zu Rostock be-
treffend: Muskelsubstanz, Fermente, Eiweiflsubstanzen, Oxydationsvorgftnge,
Kohlehydrate, und zwar insbesondere Glykogen, Glykolyse, das Millonsche
Reagens usw.
Vgl. die in Virchows Jalucsbericht von 1903 i, S.420 angegebenen nckrologisolicn <^)ue]len.
Pagel.
Pfltzner, Wilhelm, Extraordinarius der Anatomie in Stiafiburg i. E.,
* 22. August 1853 zu Oldenburg in Holstein, f i. Januar 1903 in Straßburg. —
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Ffitzner. von Kahlden. Boeddingliaiu.
83
P. studierte an den Ui^iversitäten Kiel, Strafiburg» Heidelberg und Göttingen,
promovierte in Kiel 1879, wurde 1883 Assistent am anntoniisrhen Institut in
Straliburg i. E., habilitierte sich für An.itdinic dixsclbst, wurde außerordent-
licher Professor 1891, auüerordeiulii lier Professor der topographischen Ana-
tomie und Prosektor 1893. Er veröffentlichte über den Bau des menschlichen
Extremitfttenskeletts eine Serie von ausführlichen Publikationen, auOerdem
qrtologische und anthropologische Untersuchungen, so u. a. 1886 »Zur patho-
logischen Anatomie (!'^ Zellkerns«, Beiträge zur Anthropologie u.a.
Vgl. Virchows Jalire:ibericht von 1903 I, S. 421. Pagel.
Kahlden, Clemens Ton, auflerordentlicher Professor der pathologischen
Arartomie in Freiburg i. Br., * 39. Mai 1859 in Koblenz, f 13. Mivz 1903 zu
Freiburg i. Br. — K. war 1882 in Marburg als Arzt approbiert und promovierte
(ktseibst am 12. November 1882 zum Dr. med. Dann bekleidete er bis 1.S85 eine
Stellung als Assistent an tier chirurgisc hen rniversitätsklinik unter Roser, war
bis 1889 zweiter, darauf erster Assistent am pathologischen Institut in Ereiburg,
habilitierte sich z888 als Privatdozent fQr pathologische Anatomie und erhielt
1891 das Extraordinariat Gleichzeitig war er seit 1899 Vertreter der gericht-
lichen Medizin an der Universität. K. war einer der bedeutendsten Männer
der Neuzeit in seinem Each. Mit Ziegler gab er das /entralblatt für patho-
logische Anatomie heraus, dessen eifriger Mitarbeiter er war. Er veröffentli« lue
u.a. ein bis 1900 sechsmal aufgelegtes technisches Hilfsbuch zur Untersuchung
padiologischer Präparate (Jena) und zahlreiche Artikel und Abhandlungen in
seinem Spezialgebiet, von denen die wichtigsten in dem unten angezeigten
Nekrolog zusammengestellt sind.
Vgl. Virchow» Jahresberidit von 1903 I, S. 416. Pagel.
Boeddinghaus, Karl, katholischer Priester, * 25. Oktober 1835 zu Camen
bei Dortmund, f 17. April 1903. — B. absolvierte die Gyronasialstudien und
die theologischen Studien zu Münster i. W. und wurde am 11. Eebruar 1862
zum Priester geweiht. Hierauf wirkte er zuerst fünf Jahre als Kaplan an der
deutschen katholischen Kirche in London; am 13. November r8(>7 wurde er
Kaplan an der Pfarrkirche zum hl. Ägidius in Münster, .welche Stelle er bis
1901 versah. Daneben war er insbesondere publizistisch tätig, 1870^82 als
Verleger und Leiter des »WestÜlischen Merkur«, in welcher Eigenschaft er
Mch in der Kulturkampfszeit um die Interessen der Katholiken große Ver-
dienste erwarb. Er war auch Mitbegründer, Vorstandsmitglied und zeitweiliger
Präsident des Augustinusvereins und Präses des katholischen (icsellenvereins
in Münster. Besonders verdient machte er sich auch durch den Bau der
katholischen Kirche und die Gründung des katholischen Kinderheims auf
der Insel Borkum. — B. übersetzte: »J. Morris, Kardinal Wiseman in seiner
letzten Krankheit. Mit Autorisation übersetzt von einem Priester der deutschen
Mission zu London« (Münster 1865). Beiträge zum Münsterischen Fastoralblatt
Vgl. »latcrar. Handweiser« 1903, Nr. 777 '^p. 30. — »Kölni>rhc \ ()lkszcitung;<r i'ioj,
Xr. 317 vom 18. April. — Kaßmann, Nacbricbuii vun dem Leben und den Schriften Münster-
tiiidiicbcr ScbriftsteUcr, Neue Folge (MttMter 1881), S. 35. F. Lauchert.
6»
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84
▼an Ackeren. Afimaan. Wetiel.
Ackeren, Josef van, Klirendomkapitular und Dcchant in Kevelaer,
* 4. Juli 1S30 zu Nütterden hei Cranenburg (am Niederrhcin), t Mai iof>3
zu Kevelaer. — A. studierte in Miiin lien und Münster uiul wurde am 17. De-
zember 1853 zum Priester geweiht; Kaplan in Kevelaer; vorübergehend
auf der Insel Norderney tätig; 21. September 1863 Pfarrer von Kevelaer;
seit 1890 auch Landdechant des Dekanates Geldern; 26. Oktober 1893
Ehrendomkapitular von Münster; Synodalexaminator, l*äj)stH( her Hausprälat;
machte sich während seiner langjährigen Wirksamkeit an dem Wallfahrtsorte
sehr verdient um ilie Hebung desselben.
Vgl. »Ahe und Neue Wehe, 37. Jahrg. 1903, S. 699, mit l'ortmt. — »Kulnischc
Votkneitung« 1903, Nr. 370 vom 2. Mai und Nr. 373 vom 3. Af«'. F. Lauchert.
Aflmann» Johann Baptist Maria, Bischof, Feldpropst, * 26. August 1833
zu Branitz in Schlesien, + 27. Mai 1903 zu Ahrweiler. — A. besuchte das
Gymnasium in Leobschütz, studierte Theologie an der L'niversität Breslau
und wurde am 15. Juli iSöo zum Priester geweiht. 1861 — 64 war er
Kooperator in Katscher bei Rutibor, Januar 1865 bis Juli 1868 Missions-
pfa'rrer und Militärseelsorger in Kolberg; in dieser Eigenschaft machte er
den Krieg von 1866 als Feldgeistlicher mit; ebenso 1870 71 den deutsch-
französischen Krieg als Divisionspfarrer in Neisse, welche Stellung er 1868
bis 18S.' l)ekleidete. 1882 — 88 war er Propst von St. Hedwig in Herlin
und ^i■^■^tl)i^(•h^)tli( her Delegat für die Mark Pran<lenburg. iSSS wurde er
zum katholischen i eldpropst der kgl. preuliischen Armee und der kaiser-
lichen Marine berufen, am i. Juni 1888 zum Titulaturbischof von Phila»
delphia in Kleinasien präkonisiert, am 1 5. Oktober von Kardinal Kopp in der
St Hedwigskirche zu Herlin zum Bischof konsckriert.
»Die k^itholischc Kirclie unserer Zeit und ihre Diener in Wort und Bild« II. Bd.
^München lyooj, S. 231!., mit Porträt. — »Ahe und Neue Well«, 37. Jahrg. 1903, S. 729f. ,
mit Porüftt. F. Lauchert.
Wetzel, Franz Xaver, katholischer Stadtpfarrer und Dekan von Lichten-
steig (Kanton St. Gallen) und Kanonikus, \'olksschriftstcllcr. * 25. November
1840 zu Rorschach, f 31. Mai 1903 zu Ingenhohl im .Mutterhaus der barm-
herzigen Schwestern. W. begann im Herbst 1863 die (iymnasialstudien in
Schwyz, setzte sie von Herbst 1864 bis 1869 im bischöflichen Knabenseminar
zu St Georgen bei St. Gallen fort, studierte von Herbst 1869 bis 1873 Theo-
logie in Innsbruck, trat dann in das St. Gallische Priesterseminar zu St. Georgen
ein und wurde am 21. März 1874 in St. Gallen von Rischof Greith zum Priester
geweiht. Zuerst wirkte er dami kurze Zeit als Professor am bischöflichen
Knabenseminar zu St. Georgen. Na( h dessen Aufhebung im Herbst desselben
Jahres durch die radikale St. Gallische Regierung ernannte ihn liiscliof Greith
zu seinem Kanzler. 1878 wurde er Rektor der katholischen Kantonsrealschule
und Religionslehrer an der Kantonsschule in St Gallen; Anfang i88x Kaplan
und Professor an der Realschule in Uznach; Xovember 1882 Pfarrer zu Alt-
stätten im Kheintal; 1895 Dekan des Kapitels Rheintal; 1S07 zucleich
nichtresidicrendes Mitglied des Domkapitels von St. Gallen; iHot) Stadtptarrer
und Dekan von Lichtensteig. Aus der groüen Zahl der Schriften Wetzcls,
von denen insbesondere die seit Anfang der neunziger Jahre erschienenen
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WetieL OdandreUL
85
erl);iulirhen Vnlksscliriftt'ii eine sehr starke X'crbrt itrnL' lm fuiKlcii haben und
ihren V crtasscr in ilie erste Reihe der religiösen \ olksx luiltsteller nel)en
Alban Stolz stellen, seien folgende genannt: »Die Wissenschaft und Kunst
im Kloster St. Gallen im 9. und 10. Jahrhundert« (Lindau 1877; neue Aufl.
unter dem Titel: Das goldene Zeitalter des Klosters St. (lallen , Ravensburg
1900); Illustrierte Weltgeschichte in Charakterbildern für Schüfe und Haus«
^Kinsicdeln 1878; 7. Aufl. iSgS); Die Lektüre, oder: Wie soll man lesen?«
(Lindau 1881; 2. AuH. Ravensburg 1897); Der selige Nikolaus von Müe
(Einsiedeln 1887; 2. Aufl. Ravensburg 1895); »Phnusen^^ (Ravensburg 1895;
2. Aufl. 1897); »Schlagwörter« (ebd. 1895; 2. Aufl. 1897); »Das Laienapostolat«
(ebd. 1896); »Das Vaterhaus« (ebd. 1898); »Die Weisheit in Sprüchen« (ebd.
1900); »Warum wir glauben« (ebd. 1902); »Der rinnisrhe K.itholizismus gegen-
üher dein einfachen Kvangeliuni < (ebd. 1002); Dr. Otto Zardetti, Krzbischof
von Mozissus. Krinnerungsblätter- (Finsiedeln U)()2).
Vgl. Adolf Fiih, Der Jugciuifrcuiui und Volk^schrittstcUcr Kranz Xaver Weizcl. Kavcns-
huwg 1904. Mit PortiSt. — »Scfaweiierisches katholisches Sonntagsblatt« 1903, Nr. 36—28.
Pbititt in Nr. 24. — »Ahe und Neue Welt«, 37. Jahrg. 1903, S. 764, mit PoitriU.
F. Lauchert.
Calandrelli, Alexander. Hildluiurr. Professor, * q. Mai iSt;,; in luiiin,
T 26. Mai 1903 daselbst. — C. war der Sohn des Kdelsteins( hneitiers Giovanni C,
der im Jahre 1832 aus Italien nach Berlin berufen wurde. Er studierte an
der Berliner Akademie in den Jahren 1848 — 52 und arbeitete dann in mehreren
Meisterateliers. Bei Friedrich Drake zählte er zu den besten Schülern; gegen-
über dem klassisch antiken Empfinden dos Lehrers und seiner von Thor-
waldsen beeinflußten weichen l-'ormei\gebung entwickelte sii h bei ('. eine
mehr realistische Auffassung und härtere Durchbildung. Kr besuchte auch
das Atelier August Ferdinand Fischers, der gleichfoUs in der Richtung des
antikisierenden Geschmacks wirkte, und dasjenige Dankbergs. Seine Formen»
gebang wurde auch dadurch beeinflufit, dafi er sich ursprünglich mit Klehi-
kunst beschäftigte, mit der er gleich seinen Lehrern begonnen hatte: Drake
.arbeitete anfangs in Hol/, und Klfenbein, |-'iscluT war ( ioldsc hinied und C'.
stellte Modelle für Kleinplastik und Arbeiten in Wachs her. Ebenso wie
seine Lehrer stieg auch er von diesen Anfängen bis zu monumentalen Werken
auf und schuf eine stattliche Reihe von Denkmälern. Im Jahre 1866 eröffnete
er ein eigenes Atelier, wo ihn auJilreiche Staatsaufträge beschäftigten. Sein
durch Xaturbeobaclitung gemäßigter Klassizisimis bewahrte ihn bei den grofSen
Monumenten bisweilen nicht vor dem konventionellen Denkmalschema. Als
eine seiner besten Arbeiten gilt das Bronzerelief an der üstseite des Sieges-
denkinals in Berlin, wo der Auszug der Truppen und die Erstürmung der
DQppeler Schanzen dargestellt ist. An dem äußeren plastischen Schmuck der
Xationalgalerie in Berlin ist der Künstler durch zwei Werke beteiligt: die
fechte der beiden Sandsteinfiguren, welche den oberen Abschluß der Treppen-
wangen l>iklen, *der Kunstgedanke , ferner rlas auf dem Podest der Freitreppe
errichtete eherne Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV., das i886 enthüllt
wurde- an dein Sockel aus schwedischem Granit sind die traditionellen vier
aiicgonächen Denkmalsfiguren angebracht, Glaube, Poesie, Philosophie und
Geschichte^ in das Postament sind Omamentfriese eingelassen. Im Inneren
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CaludrdlL Kanlbacb.
des (iebäudes der Nationalgalerie, im Kuppelsaal, stammen vier der Musen-
tij^uren, in Stuck mit leicht polychromer Behandlung, von ('.; es sind links
vom Kingang Erato, Melpouicne, Urania, Thalia. Desgleichen die stehende
Statue von Cornelius in der Voriialle der Nationalgalerie und zwei Gruppen
auf der neuen KönigsbrQcke, femer eine sitzende Statue des Peter von Cor-
nelius, die Statue des Generals Yorck an dem Denkmal Friedrich Wilhelms III.
in Köln, mit dessen Vollendung nach dem Tode Bläsers betraut wurde,
die Kolossalstatuen Kaiser Wiilicinis I. und des Kurfürsten Friedrich I. am
Nationaldenkmal bei Brandenburg, die Kolossalstatue Wilhelms II. im Tcltower
Kreishaus, das Denkmal des Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg in
Friesack, das Reiterdenkmal Wilhelms I. in Bromberg u. a.
Literatur: A. Roscnbcr^. r.cschichte der modernen Kun^^t. 1804. — »Kunst-
chronikc XIV. — »Kimst für Alle« XVIII. - TbChronique d(s Arts it de la Curiosili* 1903.
— H. W. Singer, Allgemeines KUnsüerlexikon, 1895. — »Jahrbuch der hilticiulen Kiin -t« n)04.
Dr. Hugo Schmerber.
Kaulbach, Friedrich, Maler, Professor, * 8. Juli 1822 zu Arolsen, f 5. Septem-
ber 1903 zu Hannover. — In der Malerfamilie K. nahm der Verstorbene neben
seinen berfihmteren Verwandten nur einen bescheidenen Platz ein, und sein Name
blieb auf einen kleineren Kreis beschränkt; sein Onkel und Lehrer war der
alte Wilhelm von K. (1805 — 1874), der das »tiefe Cedunkenspiel des histori-
schen Weltgeistes < malte, sein Sohn und Schüler ist l'riedrich August K.
(geb. 1850), der Maler der altfleutschen Patriziertüehter, der Lautenspii-Ierinocn
und der elegant kostümierten modernen Damenporträts. Mit 18 Jahren kam
K. nach München und trat in das Atelier seines Onkels ein, wo er bis 1845
studierte. Nadi einer Reise in Italien lieft er sich eine Zeitlang in München
selbständig nieder und malte im Geiste seiner Zeit meist kolossale Historien-
bilder, mit Szenen aus der Bibel oder aus Shakespeare: die '^Krönung Karls
des (Großen' für das .Maxiinili.iiieuin zu München, Adam und F!va bei .\bcls
Leiche«*, »Othello und Desdemona , »Julia Capulets Hochzeitsmorgen-, das
nach vierzig Jahren vollendet und nicht lange vor dem Tod seines Schöpfers
in Hannover erworben und der Stadt Hannover zum Geschenk gemacht wurde.
Daneben war K. im Porträtfach tätig und seine Bildnisse mit ihrer korrekten
Kleganz und mondänen ()l)errtächlichkeit verschafften ihm bakl einen Ruf in
vornehmen (Iesells( hattskreisen. Im Jahre 1855 wurde er nach Hannover
berufen, wo ihn König Cieorg V. bewog, sich als Hofmaler niederzulassen
und ihm ein Atelier nahe dem königlichen Schlosse erbauen lieft. Hier malte
er durch ein halbes Jahrhundert die königliche Familie und andere Mitglieder
des Adels: Bilder ohne Charakteristik des Ausdrucks und ohne l arbenreiz,
in peinlichster Detailausführung und Treue des Kostüms. Das Hauptwerk
unter fliesen ist das große ('rrup]>enbild der ktHiiglir iien Familie in der
Porträtgalerie des Schlosses Herrenhausen. Im Museum der Stadt Hannover
befindet sich ein Porträt des Wiener Bildhauers Hans Gassec (1854) und der
Bildhauerin Elisabeth Ney (1860). Er war Professor an der technischen
Hochschule in Hannover.
I.itcr.itur: »Kunst für Alle« XV III und »Kunstchronik« XI\'. -»Chronique
des ArU et de la Curiositc* 1903. — llotllichcr, MaJerwcrkc des ly. Jahrhunderts, 1895 — 1901.
— »Jahrbach der bildenden Kunst« 1904. — Mather, Geschichte der Malerei im 19. Jahr-
hundert, 1893. Dr. Hugo Schmerber.
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von Kopf.
87
Kopf, Josef von, Bildhauer, * 10. März 18^7 zu l'nliiigcn in Württem-
berg, f 2. Februar 1903 in Rom. — Mit K. ist einer aus der Schar jener
deotschen Künstler verschwunden, die in ihrer Jugend, zur Zeit der Nasarener,
nach Rom zogen, am dort das Heil der Ronst zu finden; während aber die
meisten nach kürzerem oder längerem Bleiben wieder in ihr Vaterland gingen,
war für K. der römische Aufenthalt nicht nur eine Episode, sondern er fand
in der Stadt, wo er seine ersten bescheidenen Schritte tat und die ersten
Erfolge gewann, für das ganze lieben eine zweite Heimat. Sein Leben
repräsentiert den Typus einer bewegten Künstlerlaufbahn: vom hungernden
Steinmetzlehrling, den der Zug der Zeit antreibt, zu Fufi nach der heifl
ersehnten ewigen Stadt zu ziehen, wo er allein zum Künstler werden zu
können glaubt, bis zum vielgerühmten und begehrten Bildhauer, der mit den
Höchsten der P'rde verkehrt, die besten Künstler zu Freunden hat unrl auf
großen Reisen den Spuren seiner Kunst nachgeht. Dabei durchaus keine
großzügige, heldenhafte, geistreiche, prachtliebende Herrschematur, wie wir
uns etwa Lenbach in seinem Atelier im Palazzo Borghese denken, wo er mit
Prinzen, Fürstinnen und Kardinälen Feste gab und in den herrlichen Ge-
mächern träumte »der Fürst Borghese zu sein -, sondern ein >< hlichter,
urwüchsiger, wohl auch sarkastischer Mensch, der jeden Allerhöchsten Auftrag
mit gcscluneichelter Genugtuung in seinem Tagebuch verzeichnet und bei
Hofballen und Festen mit dem Frack und der F.tikette zu kämpfen hat. —
Ein regelrechtes Studium seiner Kunst machte er niemals durch. Seine harte
Jagend als Sohn eines armen Bauern bildet ein langes Leidenskapitel in seinen
Erinnerangen. Vom Maurerhandwerk entflieht er immer wieder zur Kunst
und erwirbt sich die Anfangsgründe bei Sickingen (München), Uofmann
(Wiesbaden) und Knittel (Kreil)urg i. H.).
Für letzteren führte K. niehrerc Brunnenfiguren aus, biiilete sich zugleich
im Zeichnen nach dem Modell und in Anatomie und besuchte die Universität.
Hier in diesem gesteigerten Leben wurde der langgehegte Wunsch, in Rom die
hohe Kunst zu erlernen, zum Kiitschlufl, und ohne Mittel, ohne Empfehlungen
verließ er am 1. September 1X52 I reiburg. Seine Fußreise durch Tirol über
Verona, X'enedig nat Ii Rom, ausgestattet mit einem l'ilgerbuch und hundert
Gulden, beschreibt er selbst mit humorvoller Erinnerung; auch die Ankunft
in Rom, am 13. Oktober war nicht glänzend, da er von seiner Unterkunft im
Pilgerhause aus umsonst bei allen Bildhauern Arbeit suchte. Trotz alledem
vertiefte er sich in fromm gläubigem Sinne in die Herrlichkeiten der Stadt,
zeichnete in ilor französischen Akademie auf dem Pincio na< h Modell und
besuchte einen Kurs in der .Akademie S. Luca, sobald er einen bescheidenen
Verdienst hatte. Diesen fand er durch die Bekanntschaft nnt einem päpst-
lichen Schweizer-Hellebardisten, der in seinen Mufiestunden verzierte Stuhl-
füfle schnitzte und ihm Arbeit gab. Endlich gelang der erste Schritt auf dem
Wege zu eigentlich künstlerischer Tätigkeit, als ihn der Bildhauer Pilz aus
Böhmen in sein Atelier aufnahm, so dafJ er seine Sfhnit/.erei aufgeben koimte.
Seine ersten \'crsuche in der Bildhauerei sind ganz im Sinne streng religiöser
Kun>tans( hauung entstanden. Zu F^ndc 1853 begann er einen sitzenden
Christus zu modellieren, ohne Modell, ohne sonstige Studien, der das Interesse
von Cornelius und Overbeck erregte und den jungen Anfänger als würdiges
Glied der Nazarenergemeinde erscheinen lieO. Sie stellten ihm empfehlende
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von Kopf.
Zeugnisse aus, die an die Akademie der Künste in Stuttgart mit einem Brief
an den König gesendet wurden: er erhielt eine Subvention und die Aul-
forderung noch mehr einzusenden. Der Entwurf zu dem Relief »Abraham
verstößt die Hagar« (1854) wurde vom König Wilhelm T. von Württemberg
für das königliche Schloß in Stuttgart in Marmor bestellt und damit begann
die lange Reihe der Werke, (he der Künstler für die württcmbergisrhe .
Herrscherfamilie schaffen sollte. Andere Arbeiten aus dieser Zeit waren das
Relief Nemesis und (he Statue der Ruth, die sj»ater die Bezeichnung
»Sommer« bekam und die erste der vier 1' iguren der Jahreszeiten wurde, die
im Garten der königlichen Villa Berg bei Stuttgart aufgestellt und nachher
in allen Gröfien und Stoffen vielfach nachbestellt wurden. Auf sein Schaffen
waren zu dieser Zeit sowohl Cornelius als der Bildhauer Wagner von Kinfluli.
Er selbst fand später seine eigenen Sachen von damals konventionell und
»im cornelianisi hen Fahrwasser- : ( ber dem (ledanken an eine sc hone l igur
hatte ich das Individuum der Ruth vergessen: Das ährenlesende schöne
Weib, mit dem einfachen Anzüge der arbeitenden armen Frau, die sich
bücken und beide Arme gebrauchen und sich gegen die Sonne mit einem
Tuche schützen soll, ließ ich ganz aufk>r acht. Ks kam mir nicht in den
Sinn, einen wirklichen, individuellen Menst hcn zu schaffen . . . und so das
Schöne durch den Charakter in der lebensfähigen Figur zu errei( hen . . .
Die Furcht, in das Genrehafte zu fallen, verscheuchte damals jedes liebevolle
Eingehen auf die Person, die dargestellt werden sollte.« — Vom Jahre 1S57
an wurde seine Stellung immer besser. Sein Atelier wurde von Fremden
aufgesucht, die Kronprinzessin von Württemberg und die russische Kaiserin
machten fU'stelliingen, Schnaase nahm sich seiner an, ein neues großes Atelier
wurde bezogen, König Ludwig von I5a\ern zog ihn zu Tisch, besonders
russische Reisende erstanden seine Arbeiten. I3er Aufschwung trug ihm sogar
den Tadel von Cornelius ein, der ihn lieber auf der »Bahn der christlich-
historischen Kunst« verharren gesehen hätte, als dem Verdienste nachlaufend.
Er lernte Böcklin kennen, mit dem ihn später Freundschaft verband, Lenbach,
Piloty u. a. und wurde in das römist he ( "le^cllsi }uiftslel)en gezogen. F.s be-
gannen die l'orträtaufträge, die späterhin den Hauptanteil seines Schaffens
bilden sollten. Nacli siebenjährigem Aufenthalt in Rom besuchte er im
Sommer 1859 Deutschland und diese Reise wurde ein Wendepunkt in seinem
Leben. In Stuttgart erwarb er sich viele Freunde, wurde vom König und
von der russischen Kaiserin empfangen und ins Hofleben gezogen. Von nun
an unternahm er fast alljährlich die l\ei'>e nach Deutschland, und es entstand
eine Reihe von Arbeiten hauptsiichlich fiir den russis» hen und württembergi-
schen Hof: ein Kolossalbrunnen mit überlebensgroliem Triton für die Villa
Oranienbaum, die »Griechische Tfinzerin«, das »Mädchen mit Schlange,« die
»Bathseba im Bade« (heute Sammlung der königlichen Kunstschule in Stuttgart),
eine Pietä für die katholische Kirche in Stuttgart und viele Büsten. Das
größte Werk waren die zwei großen Kamine für den weißen Saal in Stuttgart,
ilie 1867 aufgestellt wurden. Der erste F.ntwurf mit liegenden (lestalten
lehnte sich an die Clräber der Medici an, als Gegenstand waren die vier
Elemente gewählt, die beim Kaminfeuer in Betracht kommen, durch die
Figuren des Prometheus und Zephyr, der Gäa und Venus dargestellt; gro&e
Putten mit den Attributen für die Figuren sollten karyatidenartig an den
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von Kopf.
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Seiten der üttnung sich erheben, zwischen den liegenden Figuren war eine
llir angebracht und in der Mitte des Kamins eine Nische mit einer Büste.
Tkx Entwurf mufite später geändert werden, weil er in den Stil des Saales
nicht paßte. — Den Vorscldag, als Professor an die Kunstschule in Stuttgart
/u kommen, lehnte K. ab, dagegen wäre er gerne nach Wien gegangen, wozu
ihn I.übke aufforderte; er unternahm aurli 1S71 die Reise dorthin, wurde bei
I.ützovv, Kitelberger, Makart, Ferstcl u. a. wähl aufgcnonmu-n. doch aus der
Berufung wurde nichts unti die Stelle erhielt /umbusch. 1872 modellierte er
auf einer Reise nach Holland die Königin; er besuchte auch Paris und
London und wurde an den Höfen von Darmstadt und Weimar eingeführt.
Den Winter verbrachte er regelmäßig in Rom, führte ein gastliches Haus,
modellierte viele Porträts von I rLiiKkti und auch eine Kcihe von Statuen,
z. B. die • N'3'in|)he sich vor einer Kidcchsc fürchtend , die Reliefs Tanz«,
l'oesie , »Musik -, viele Kopien nach Antiken, »Cloldst hmieds l öchierkin",
-Eva«, »Ameur m^r/menie«t »Josef und die Frau des Potiphar« u. a. Im
Jahre 1874 entschloß er sich rum ersten Male den Sommer über nach
Baden-Raden zu gehen, das von nun an der Hauptstützpunkt setner künst-
iLTischen Tätigkeit werden sollte. Jeden Sommer gingen aus seinem Atelier
finc MenL^e von l'orträts und anderen Werken hervor und endlirli erreii hte
er seinen Wunsch, auch die Büste des dort weilenden Kaisers Wilhelm I.
modellieren zu können. Der Groflherzog von Ba^en bewog ihn, jedes Jahr
im Sommer nach Baden-Baden zu kommen und schenkte ihm ein Atelier,
das der Künstler mit großer Liebe unter Beihilfe seiner Freunde allmählich aus-
gestaltete und das ein Anziehungspunkt für die Hesu( her des Kurortes wurde;
ein Sandsteinbau in italienischem Renaissancestil mit einer von zwei Säulen
getragenen Vorhalle, innen mit liildern seiner Freunde geschmückt. Zum
Dank für diese Schenkung stiftete K. eine Kolossalbttste des Kaisers, die
vor der Trinkhalle au^estellt wurde, und 1892 schenkte er das Atelier samt
Inhalt dem Großherzog von Baden. In Gemeinschaft mit Ernst Curtius
bereiste er 1876 Griecheidand. Zu den Arbeiten aus seiner späteren Zeit
gehören vier Figuren für das Schloß Heiliuenlierg : "Mignon^ , - Des Mädchens
Klage , Ainor'^ und »Psyche« (1889), sowie das Denkmal der Kaiserin Augusta
in der Lichtenthaler Allee in Baden-Baden, das 1892 entfiüllt wurde und das
er als Abschlufl seiner gröfieren Werke bezeichnete. — Als Bildhauer wurde
R. in seiner Blütezeit sehr hoch, zum Teil übermäßig geschätzt; er wurde
der erste Porträtist seiner Zeit genannt und seine bihlist hen, mythologischen
und allegorischen l-"iguren fanden großen l>eifall. Nachdem er sich bald aus
dem beschränkten Kreis der religiösen Kunst seiner ersten Jalue befreit hatte
bildete er die ihm charakteristische Kunstanschauung allmählich aus und
bemühte sich, die Grenzen seiner Begabung zu erweitem. Seine Figuren
>ind schöne, zierliche Formen in graziöser Bewegung, aber ohne den Reiz
Jes Individuellen und jirägnant Charakteristischen; l)ei den allegorischen
Figuren muß er die Attribute thuunehmen, um sie verstiindlic h zu machen,
denn die F'ortuna ohne Füllhorn und kad, oder die Nemesis ohne (ieißel
imU Ruder könnte ebensogut anders heißen. Die feine, weiche Marmor-
ausführung, die nur in einigen Büsten weniger hervortritt, bewegt sich in der
Manier Thorwaldsens. 'Selbst Cornelius fand eiinnal eine Madonna von K.
zu weich und sentimental (1856). Aus den Aufzeichnungen des Künstlers
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von Kopf. Ciutw.
pellt hervor, (l,i(5 er sich der seinem Talente auferlegten Beschränkunp wohl
bewuüt war und niehr reali-tische Charakteristik an^trelite, wobei ihn auch
der Einfluß von Wagner anspornte, und diili ihn im üciüld dieser überwiegend
fonnschönen, sanften Manier bisweilen der Wunsch Qberkam, etwas Krttftig-
gewaltiges, womöglich Kolossales zu schaffen. Er plagt sich mit einem über-
lebensgroflen Prometheus am Kelsen, unternimmt einen Titanenkanipf, ohne
etwas zu erreichen; auch sein Wun>( h, einen prölieren Denkmalsauftrag zu
erlangen, blieb unerfüllt. In nian( hen seiner Hüsten erreichte er dennoch
eine lebendige, ja imponierentie Wirkung. Unter den zahlreichen l'orträts,
denen er Öfters die Form der Herme gab, erw&hnen wir: Kaiser Wilhelm I.
(1876, Nationalgalerie Berlin) im römischen Imperatorenmantel mit dem
Stern des Roten Adlerordens, Kaiserin Aiij,'usta aus den letzten Lebensjahren,
im Häubchen und Diadem, Crc^orovius, Kbers, Curtius, Döllinger, Delbrück,
Hiickel, Uenzen, Schnaase (Relief im Städelschen histitut und Rüste anf5en
am Museum in Herlin), Lübke, Preller, Andreas Achenbach, Höi klin, Richartl
Voß, Franz Xaver Kraus, Malvida von Meysenbug und viele Mitglieder der
Aristokratie. Im Sommer 1904 war in der Kunstausstellung zu Dresden eine
Reihe von seinen Büsten und Reliefs vereinigt, welche aus dem Besitze des
Herrn Geh. Hofrates Prof. Graff, der Krau (). Schweter und der Frau Baronin
von Cramer-KIett in München stammten, u. a. T.eo XIII. (Gipsrelief 1898),
Böcklin (dipsrelief 1884) unil Döllinger (Marmorbüste). Die Leitung der Aus-
stellung hatte pietätvoll dem verstorbenen Meister einen kleinen Raum neben
dem Hauptsaal fast ganz eingeräumt, so dafi der Gesamteindruck unbeetnflu^fit
von Vergleichen mit modernen Werken blieb; auch .so aber trat die feine,
genaue AusfOhrung der Köpfe und Kostüme charakteristisch hervor un<l
selbst ein so spätes Werk, wie das Porträt iles Papstes Leo XIII. (180S)
zeii^te, (l;iÜ K. deti rra<liti<incn seiner Hlüte/.eit treu geblieben war. Im
Jahre 1Ö99 gab er einen starken Hand 'Lebenserinnerungen eines Bildhauers«
heraus, der auch manches Interessante Ober das lieben der Künstler und
Fremden in Rom bietet.
Literatur: »Kunst und Kuastfiindweik« 1900 (Mit vielen AhliiUlungen). — Kopf,
Lcben^erinneningcn eines Bildhauers, 1R90. »Kuii^-tchronik« \!\'. Nr. i. ?, 16. -
Adulf Kosenberg, Geschichte der modernen Kun>t, i.Sy4. »Kun.st iUr Alle« .W ill. —
»lllttstriefte Zeitung« CXX, S. 263. ~> »Chro$»igm€ da ArU et dt la Curi»H*i* 1903. —
A. Heilmeyer, Die moderne Plastik in Deutschland, 1903.
Dr. Hugo Schmerber.
Curtzc, Ma.ximilian, ( lymnasiallehnr, Schriftsteller über (leschichte der
Mathematik, * 4. August 1837 in Hallenstedt, f v .bi'^H'^r i9"3 ''^ Thorn. —
C. war das drittjüngste unt.cr zwölf Rimlern, welche dem Geh. Mcdizinalrate
Eduard Curtzc, herzoglich anhaltischem Leibarzte in drei verschiedenen ^en
geboren wurden, und gehörte der letzten Ehe mit Johanna, geborener Nicolai,
an. .\lle Kinder, mit Ausnahme einer unverheiratet als Lehrerin in Bernburg
lebenden Sc hwester, sind .Maximilian im Tode vorangegangen. Der Vater
starb 1846, worauf die Mutter nach Hernburg übersiedelte. Im dortigen
Gymnasium erlangle C. 1857 das Keifezeugnis, welches insbesondere die
mathematische Begabung des Abiturienten hervorhob, und dem darin
mittelbar ausgesprochenen Rate folgend bezog C. die Universität Greibwald,
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Csnc.
9«
um Mathematik, zu stucicfen. Ohne sich stsden:i>che£n Verbinounpi'.cbcn zu
entfidien, widmete sich C eürig der Ton ihra |revSh!:en Wissenschaft. Er
war der Schüler Grnnerts. emes Mannes, der freilich ntmeist dsrvh das von
ihm gegrfindete Archir der M \:heayit:k ur.J Physik ur.d viurch :.v< unter seiner
Leitung zu Ende gefühne Mj:hv-:-.i::» he \Vör:crhj h Kh.je'.s K v i i^t. vier
aber auch zahlreiche, hir :hre Zeit gdr-z gjie, wenn auch :. : h e; en \Vu>t
von Rechnungen ervas abschreckende Lehrbucher und Abharuiluuiiea verfaöce,
und der sich seinen Schsleni als der Täcerliche Freund zeigte, als welchen
C den am 7. Joni 1872 Verstorbenen in einem warmen Nachrufe rühmt. Das
Jahr 1861 brachte C. nach bestandenem Lehrerexamen .m -;ie höhere Bürger-
M'hule zu Lennep' in <ler Rhei".: r-^» :>.z; im April iS(>4 fo.^te d:c ev' iiiultiiie
Anstellunc ('»% -• "a.-:.--;!ehrer m Th Tn. u"><i an dieser .\r.-t.ilt b!:eh C volle
30 Jahre, bis er i$<J4 in den Ruhestand trat. Von Thorn aus gingen seine
wissenschaftlichen Leistungen in die Welt. In Thom begründete er kurze
Zeit nach der Anstellimg. am 4. August 1864, sein Familienleben durch Ver>
beiratang mit Klara Flamant, welche er seit dem Abgang zur l'niversität,
wenn nicht schon länger, als die ersehnte Leben>gefährtin betrachtete, und
mit welcher er in treuer Liebe bis zu seinem Tode vereint blieb. In Thom
erlosch sein Leben am 3. Januar 1903.
C.s wissenschofiache Leistungen zertallen in drei Üruppen. Krstens hat
er einige wenige kleinere reinmadiematische Aufsätze verfaflt; zweitens hat er
Übersetzangen italienischer Schriften von Battaglini, von Brioschi. von Cremona,
von Gherardi, von Schiaparelh, vnn SelLi geliefert; drittens hat er — und
hier liegt seine wahre Lebensarbeit — ge-chichtlich-matheniati<«che Forschungen
angestellt, einer der Wenigen in Deutschland, w elche, die-ein Son<iert.u !ie ihre
volle Kraft widmend, dem>eiben mehr und mehr anerkannte Bedeutung /u
▼erschaffen wufiten. Cs Tätigkeit als Schulmann litt aber keineswegs unter
der schiiftstelleriscdien Fruchtbarkeit. Dankbare Schüler bestätigen, was sie
ihm auf diesem Gebiete zu verdanken hatten. Eine Übersicht von Cs Ver-
öffentlichungen mit Au-^chiuß zahlreicher Hü( herbe>|trechungen. welche mei>tetis
durch sachliche Bericlitigungen oiler Ergänzungen der ange/oigten Werke sich
auszeichnen und in den verschiedensten kritischen t>rganen zum .\bilruck
gelangt sind, hat Herr S. Günther einem Nachrufe in der BiMiotkica Mathf*
maHea, 3. Folge 4.3and S. 65 — 81 einverleibt. Einen anderen Nachruf hat der
Verfasser des gegenwärtigen Nekrologes in den Jahresberichten der Deutschen
Mathematikervercinigung für 1903 veröffentlicht. Heiden iN.u hrufen i^t das
Bildnis Cs beigegeben. Haben wir. an den angegebenen Orten /u näheren
Fac hgenossen redend, den i- reund von dem dahingegangenen Freunde erzählen
lassen, so möge hier in kürzerer, mehr objektiver Weise über C. als Geschichts»
Schreiber der Mathematik berichtet werden.
C. war noch nicht lange in Thorn ansässig, da wurde er .luf einen iler
dortigen reichhaltigen Ciymnasialbibliothek angehörenden hand^ hrittlichen
Sammclband aufmerksam, weither dem XIV. Jahrhunderte entstammte. Fs
war vermutlich die erste Haiidschrift, mit welcher C sich zu beschäftigen
Gelegenheit hatte,. und ein glücklicher Zufall wollte, daß ihr Inhalt der Kr-
ibfschung wert war. Fand sich doch in ihr der Alganmus praportumum des
Nicole Oresme! Verfasser utk! Weric waren selbst Fachgelehrten der (Je-
schichte der Mathematik so gut wie unbekannt, und erst seit C beide neu
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92
Cttitte.
entdeckte und 1865, 1S68, 1879 in immer ausführlicherer Weise davon liaiulelte,
wurde dem gelehrten Bischof von l.isieux die Stellung eingeräumt, welche
ihm als dem hervorragendsten französischen Mathematiker desXI V'.Jahrhuiulerts,
als dem Begründer der Rechnung mit Potenzen, auch mit solchen mit ge-
brochenem Exponent mit Recht zukommt
Hatte sich C. bei dieser Gelegenheit mit der Mathematik des XIV^ Jahr-
hunderts hekannt machen iniisscn, so führte ihn ein anderer glücklicher Zufal I
tief in die Kenntnis der lieiden folgenden Jahrhunderte. Das Lehen «les
Nicolaus Coppeniicus, des berühmtesten Sohnes der Stadt Thorn, ist durch
die Jahreszahlen 1475 >543 begrenzt. Thorner Bürger hatten am 19. Fe-
bruar 1839 einen Verein gegründet, dessen ausgesprochener Zweck es war,
für die Errichtung eines Coppemicusdenkmals in Thom zu wirken, und als
im Oktober 1853 diese Aufgabe gelöst war, bildete si< h aus <Iem alten
\'ereine ein neuer: der Coppernicusverein für Wissensc haft und Kunst, der,
wenn er auch allgemeine/wecke verfolgte, doch in erster Linie die ( "oj^pernicus-
forschung zu forilern sich vornahm. Leopold Prowe, Uberlehrer am 1 hörne r
Gymnasium, Spröflling einer angesehenen Thomer Familie, Festredner bei der
Denkmalsenthüllungsfeier von 1853, war die treibende Kraft des neuen Vereins.
C. mufite, als er 1864 nach Thorn kam, zu dem Schulkollegen wie zu dem
Vereine in nahe Beziehungen treten, mußte an den Bestrebungen des Vereins
teilnehmen. Kann oder muß man in den erwähnten Umständen einen glück-
lichen Zufall erkennen, so war es C.s glänzende Begabung für geschichtliche
Forschung, welche ihm bald eine Stellung neben Prowe zuwies. C. hat in
Prag die dort in gräflich Nostizschem Besitze befindliche Originalhandschrift
des Hauptwerkes des Coppernicus, seiner sogenannten Revolutionen, mit den
vorhandenen 1 )rui kausgahen verglichen und so den gereinigten Text hergestellt,
der wieder unter C.s Leitung 1873 als Jubiläumsausgahe die Presse verließ.
C. veröffentlichte 1874 und 1S75 unter dem Titel Rtliijuiac Coppcrnkanac
Randbemerkungen, welche C\)j)i>ernicus einst in ihm angehörende Bücher ein-
getragen hatte. Inedita C^ppermcana heiflt eine weitere Veröffentlichung C.s,
die Frucht einer 1877 auf Kosten des Fürsten Boncompagni nach Upsala
unternommenen Reise, tieren Krgebnisse mit in Wien und in Herlin befind-
lichen Schriftstürken, welche noch nicht veröffentlicht waren, vereinigt wurden.
Auch dem Studiengange des Coppernicus in Italien widmete C seine
Forschung, und er stieg so von Coppernicus aufwärts zu Domenico Maria
Novara, der jedenfalls, zu Scipione del Ferro, der möglicherweise ein Lehrer
des Thorner Astronomen war.
Wir haben in Orcsme und Coppernicus zwei Brennpunkte C.scher Forschungen
kennen gelernt. .Aber sein ('»ebiet erstreckte sich ungemein viel weiter. Kmsiges
Stutlium vorh;uidener Handschriftenkataloge, später eine im Sommer 1896 im
Auftrage der Berliner Akademie unternommene Kundreise zur Durchstöberung
deutscher und österreichischer Bibliotheken nach mathematischen Handschriften
erweiterten seinen Blick und gestatteten ihm in dem Bericht über jene Rund-
reise ein Arbeitsprogramm zu enthüllen, welches noch zahlreichen jüngeren
Kräften gestattet, mit Hoffnung auf Krfolg C.s Spuren nachzugehen.
Lassen wir in aller Kürze die Namen der Schriftsteller an uns vorüber-
ziehen, mit welchen C. sich neben Oresme und Coppernicus beschäftigt hat.
Archimed kann hier insoweit genannt werden, als C. nachwies, dafi ein so-
Digitlzed by Google
Curtse.
93
genannter Brief des Archimed an Ki>iiig Gebon eine späte Fälschung ist,
wekVve schon weit früher als solche erkannt worden war. Wir erwähnen
«ciier die Kubikwurzelausziehung des Herrn von Alexandria, mit deren
Diskussion C. sich beschäftigte. Wir erwähnen Diophant wegen einer lange
TCisdioUenen, vonC. in Krakau wieder aufgefundenen griechischen Handschrift
seiner Arithmetik.
Orientalischer Sprachen war C. nicht mächtig, aber um so genauer kannte
und würdigte er im XII. Jahrhunderte durch Gerhard von Creniona und ilur( h
Plate von Tivoli angefertigte Übersetzungen arabischerund hel)räischer Schriften,
und die Herausgabe solcher Übersetzungen war ihm besonders angelegen.
So erschienen durch C. eingeleitet und mit Erläuterungen versehen das Buch
der drei Brüder (um 830 verfafit), der Kommentar An-Natrizis zu den
Elementen des Euklid (um 900 verfaßt), die Geometrie des Abraham Savasorda
(im Jahre m? abgeschlossen). Wir kommen noch auf die große Bedeutung
znrOck, welche C. diesen ^Übersetzungen beilegte.
Wir gelangen zu mittelalterlichen europäischen Schriftstellern. C. machte
auf die in München aufbewahrte älteste Handschrift derGerbertschen Geometrie
aufmerksam. Er lernte die dem XII. Jahrhunderte angehörende Geometrie
des Hugo Physicus kennm, sowie einen dem gleichen Jahrhunderte ent-
stammenden Algorismus, einen am Ende des XII. Jahrhunderts verfaßten
Tractalus de abaco. Sodann gab C. die Schrift De tnani^ulis des Jordanus
Nemorarius erstmalig heraus, vervollständigte die ältere lückenhafte Ausg.ibe
von desselben \'erfassers Büchern De numeris datis. Kr wies nach, dali der
andere große liiathematiker des XIII. Jahrhunderts, Leonardo von Pisa, vieles
aus der Geometrie des Savasorda entlehnte. Er wies andererseits bei Leonardo
von Pisa auf das Vorhandensein einer Regel zur Auflösung mehrerer gleich-
zeitig zu erfüllender unbestimmter (Ileichungen ersten Grades hin, welche sich
bei (letn Regensburger Mönch Krater Kridericus von 1450, welche si( h um
die gleiche Zeit bei Kegiomontanus wieder ftndet, welche aber auch in China
seit dem III. nachchristlichen Jahrhunderte unter dem Namen Ta Yen bekannt
war. Aus dem Ende des XIII. Jahrhunderts stammte der von 1291 datierte
Kommentar des Petrus de Dacia zum Algorismus des Sacröbosco, welchen
C. herausgab.
Wir \\endei\ uns dem X\'. Jahrhunderte zu. C war es. der den oben
erwähnten Krater Kridericus entdeckte, der eine neue Au.sgabe des Brief-
wechsels des Regiomontanus veranstaltete und insbesondere die für die Kenntnis
der damaligen Zeit so wichtigen RechnungsausfOhrungen zum Abdruck brachte,
welche der frühere Herausgeber, Christoph von Murr, weggelassen hatte.
Weitere Schriften des XV, Jahrhunderts, welche durch C. bekannt wurden,
sind das Buch De caf^ac'itate. eine Geometrie von Leonardo Mainardi, eine
(Quadratur des Kreises, eine deutsche Übersetzung des Kobertus Anglicus
von 1477.
Im XVI. Jahrhunderte entstand die deutsche Übersetzung des unter dem
Namen Initius Algebras bekannten Werkes, welche C. im Drucke herausgab.
Das sind gewaltige Leistungen eines einzigen Mannes, und sie erschöpfen
r\oc\\ keincsvK-egs das Arbeitsgebiet Cs. Bald unter flieser, bald unter jener
Spitzmarke hat C. zalireiche kleinere Notizen zum Drucke gegeben. Kr hat
sich mit dein sogenannten Josephsspiele beschäftigt, mit Witelo, mit Dominicus
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Cuitec. Hautmann.
de Clavasio, mit Tohaimes de I.ineriis, mit dem Prozesse peften Galilei und
mit vielem anderen. Alles, oder doch weni'istciis fast alles, was wir erwähnten,
bildete für C. die Vorarbeit für eine Ciescluchte der (/eonietrie im Mittelalter,
deren Plan in seinem Riesengedächtnisse fertig dastand, an deren schriftlicher
Ausfahrung aber der jähe Tod ihn verhinderte.
Zweifellos hat die Geschiehtswissenschiift durch die Nichtausführung des
geplanten Werkes einen großen Verlust erlitten. Da Aufzeichnungen nicht
vorhanden sind, lassen sich Vermutungen ül)er C.s leitende Grundgedanken
kaum wagen. Nur einen dieser Grundgedanken glauben wir zu kennen.
Die mittelalterlich-europäische Geometrie steht unter dem Einflüsse griechischer
Wissenschaft» die in arabischer und hebräischer Sprache sich forterbte. Aber
diese Forterbung selbst war bedingt durch eine lateinische Wiedergabe der
auch für die Gebildeten nicht lesbaren orientalischen Texte. Das ist die von
C. richtig erkannte und gewürdigte Bedeutung des Gerhard von Crcmona,
des Plato von Tivoli. Moritz Cantor.
Hautmann, Johann, Bildhauer, * 21. April 1830 zu München, f 30. Januar
1903 ebendaselbst. — H. stammte aus einer alten, in der Mitte des
XVIII. Jahrhunderts von Amberg nach der bayerischen Hauptstadt über-
siedelten Künsticrfamilie. Sein Vater, Joseph Haut mann, welcher im
82. Lebensjahre, am 28. September 1877 starb, war ein tüchtiger Techniker
und Steinmetz, der den südlichen (allen) Friedhof mit Grabdenkmälern und
Büsten schmückte. Während ein jüngerer Sohn, Hii)polyt Hautmann,
rechtzeitig zur Kunst kam und sich einen guten Namen erwarb, aber schon
1862 in Florenz, wo er seine zweite Heimat gefunden h.itte, aus dem Leben
schied, war unser hier in Rede stehende H. zum Theologen bestimmt; er
durchlief Lateinschule und Gynmasium, sjtrang dann aber doch zur Kunst
ab, genoli auf der Akademie noch die Unterweisung des alten Conrad
Eberhard und die Aufnahme als Eleve im Atelier Schwanthalers, der jedoch
im vollen Schaffen schon 1848 starb. Kurze Zeit stand H. als Kustos am
sogenannten Schwanthaler-Museum, bis ihm die zahlreich zufließenden Auf-
träge zur Errichtung einer eigenen Werkstatt ennutigten. F.r fertigte religiöse
Skulpturen für die Kirche in Friedberg und den l)om in .Augsburg, die
Rie.senstatue einer »Matlonna für den Dom in Kaloska, eben.so formte er
nach einer Skizze von Sjostrand ein Hochrelief in ZementguQ für das neue
Akademiegebäude in Helsingfors, auch viele allegorische und dekorative
Darstellungen, sonstigen Schmuck and Zierrat an Hriicken und öffentlichen
Hauten. .Auch viele l'orträtbiisten von Gelehrten (Abt Haneberg) und her-
vorragenden Miinnern (Windthorst) und anderen, die freilich nicht immer
dem Künstler in Original saücn, darunter von dem jungen Könige Ludwig iL
und seiner Braut (welche in Hunderten von Abgüssen für alle bayerischen
Städte, Märkte und Rathäuser bereit stand, als das vorschnelle Versprechen
rückgängig wurde — die fast unabsehl)are Reihe von verstäubten Exemplaren
bildete einen seltsamen Eindruck in H.s .\telier; Herzog Maximilian hatte
den Künstler mit dem Titel eines Hofbildhauers begnadet). Spater versah
der patriotische Künstler alle Justizhallen und Sitzungssäle, Rentämter und
Landgerichte mit der Büste des Prinzregenten, wozu derselbe dem Plastiker
persönlich gesessen hatte. König Ludwig II. hatte H. in besondere Afiektion
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Hautroaim. Uirscbfelder.
genommen uml viele Aufträge für den Linderliol und das stolze Chiemsee-
sdiloft übertragen, wosu H. zu längeren Stadien sich nach Paris begab. Bei
dem plötzlichen Tode des unglücklichen Monarchen formte H. das Haupt und
die rechte Hand des hohen Verlebten. Als Alter und Krankheit dem Bildner
schlieüii( h Reser\en auferlegten, konnte er sieh des tröstliclien Hewulitseins
freuen, ein wenn auch von mancherlei Mühen unil Sorgen nicht versch(»ntes
— dazu gehörte auch 1891 eine unbegreifliche Konkurserklärung — aber
doch allzeit ehren- und verdienstvolles, vieltätiges Leben und Schaffen voll-
endet zu haben.
Vgl. Nr. 52 >Neucslc N;ichrichteH€ TOIII 3. FebnMT 1903 und (M. l'Ur>t) Rechenschafts-
bericht des Vereins fttr chrUÜ. Kunst 1903 S. 11 ff. Hyac. Holland.
Hirschfelder, Salomen, (ienremaler, * 16. Mai 1832 zu Dettensee (Hohen-
zollem), f 10. Mai 1903 in München. — Seit 1853 an der Akademie, bei Pro-
fessor Ph. Foltz, machte er sich durch seine einfachen, meist heiteren Szenen
aus dem Volksleben, in der Weise wie Kaltenmoser und Naumann einen
geachteten Namen. Mit den beiden Genannten zeichnete er vieles für Steffeus
Breslauer V'olkskalender, lustige Einfälle, die der nachmals gesuchte Conrad
(ieyer auf seinen Platten in Stich übersetzte. Seine meist kleinen Bilder
nahmen in ihrer Technik tlie Wette auf mit denen anderer Zeitgeno.ssen, dabei
befleißigen sie sich eines guten Humors, einer heiteren Laune. Dazu gehörten
als Erinnerung an seine Heimat allerlei, mit der schwierigen Abfassung oder
L^nng von Liebesbriefen vollauf beschäftigte Schwaben-Mädchen«, ein
minniglich plauderndes Pärchen, welchem unterdessen die gierigen Hühner
flic Brot- uml l liervorräte erleichtern, ein mit Bierfhtsc hen beladener Schul-
knabe, welcher dem Herrn Lehrer in den Weg läuft und nun verzweifelte
Anstrengungen macht, dem hohen, derselben Quelle zusteuernden Allgewaltigen
die gebühriiche Reverenz zu erweisen. Zu seinen packwdsten Einfi&llen zählten
zwei Kinder, wovon das dralle, breitspurig aufgepflanzte Mädchen mit fest-
gcsrhlnssenen Händen ihrem Gegenpart mit einer energischen IVage - Rechts
oder Linkst die Wahl lälJt. .Auch ein leichtfüßiger !• ei htbrutkr, der auf der
Walze bei einem Flickschuster vorspricht, zu spät aber an den Wandtrophäen,
an Federhut und Säbel, den gestrengen Gkmeindediener und rechtschafienden
Pfleger der Ordnung und Gerechtif^keit erkennt. Auch Bildnisse malte er
frühzeitig, immer mit grofier Treffsicherheit un<l Ähnlichkeit; er »zeichnete
mit der Farbe , wie man damals überhaujit den '>alten Herren« nachsagen
konnte. Die (icutschen Kriegsjahre boten erwinisc hte Gelegenheit zu j>atrio-
tischen Kriegerszenen mit braven Soltlaten und schönen KrankenpHegerinncn;
ebenso betätigte unser Maler bei Tumerfest-Zeitungen mit allerliebsten »Kraft-
proben« seinen immer bereitwilligen Humor. Eine »Gewichts- und Brotvisi-
tation« (Gartenlaube 1873 S. 124 und 125) ergab gleichen Anlaü, ebenso ein
'Dienstbotenbureau« otler ein -Rache ist süß« betitelter, die l'niforni seines
Vorgesetzten tüchtig durchklopfcnder ( )fliziersbursche. II. }>hMioi:raphierte nicht
allein eine Menge Modelle, er arbeitete auch und expcrimciuierte mit Ver-
besserungen dieser Technik; er konstruierte einen Aj »parat mit Momentver-
schJofi; photographierte zu einer Zeit, wo noch niemand dergleichen wagte,
e/neo Taubenflug und einen Blitzzug. Vergebens suchte er seine Verbesse-
fUfl^en in Paris und London zu verkaufen, vergeblich nahm er ein deutsches
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96
Hirschfelder. Hofelich.
Patent, l^nisoiist — er drang nirgends durili. Auih das Pr()l)leni loste er,
drei vcrscliiedcnc Einstellungen auf einer Platte zu realisieren. Die meisten
seiner Platten fiberliefi er dem Kunsthändler Ferdinand Finsterlin. Außer-
ordentlich musikalisch, gehörte es zu seinen stillen Freuden, alle Instrumente
zu spielen, voraus die Geige, und zwar mit hinreißendem Feuer und zartester
Kmplindung. Als er sein Ende fühlte, ließ er den g;inzen Inhalt seines
Ateliers, fertige Püder, Skizzen, /eichnungen . den ganzen Schatz seiner
artistischen Hiibüeligkeilen am ^9. Aprd 1903 durch Carl Maurer versteigern
und begab sich darauf in das israelitische Gemeindehaus, wo er, zeitlebens
ein strenggläubiger Bekenner, wenige Tage darauf aus dem Leben schied.
Seinen ganzen Lebensinhalt bildete die Kunst, eine Kunst, die unter Tränen
lächelt; sie bildete das ( legengewirht zu seinen Leiden und Entbehrungen
— in ihr fand er 'Prost, Frieden und reichen Segen. ^
Vgl. Fr, voll Hüuicher 1S95 I, 543. — Singer 1890 III, 182 (4 Zeilen!) — Nekrolog
in Nr. 131 »AUg. Ztg.c iz. Mai 1903. Hyac. Holland.
Hofelich, Ludwig, Xylograph und Landschaftsmaler, * 30. Oktober 1842
in Leipzig, f 12. Januar 1903 zu München. — Die Armut seiner Eltern
nötigte H., trotz aller Vorliebe zur Malerei, in der Holzschnittkunst, die er
bei Joh. Gottfried Flegel (♦ 1815, f 1881) erlernte, eine sichere Erwerbsquelle
zu suchen. In dieser Technik von 1860 — 1864 in Petersburg außerordentlich
tiitig. studierte er nach Mt')g]iclikeit in der Fremit.ige an alten Meistern mit
einem seine Gesundheit betlrohenden Feuereiter. Auch im hgürlichen Fache
suchte H. seine Ausbildung 1867 in Berlin, Dresden und Leipzig zu erreichen.
Abermals krank, wendete sich H. nach der süddeutschen Alpenwelt, deren
Schönheit ihm neue Anregung und erwünschte Heilung bot. Seit 1868 in
^Tünchen ansässig, durchzog er, unausgesetzt Studien sammelnd, das ganze
Hochland und die Schweiz. Daraus holte er seine hochpoetischen W'ald-
landschaften, hier erquickte er sich an Muliufern und Seegeländen, an
träumerischen Weihern und Schilfwassem; ihre wechselnden Stimmungen zu
beobachten und nachzubilden, konnte er nie ermüden, zum weiteren Ausdruck
am liebsten die Tierstaffage verwendend. Verlassenen, einsamen Gegenden,
verschütteten Gebirgsstraüen folgte er nach, die Waldstille lehrte ihm ihren
Zauber. (Jleiche Intention führte ihn nat h seiner norddeutschen Heimat und
gab ihm das Cieleite an den oberitalischen Seen und in lorbole, am Starn-
berger See und dem lieblich ernsten Bemried. Zuletzt brachte er noch ein
Herbstmotiv aus dem Englischen Garten und von der Isarüberschwemmung
bei Ismaning; beide erschienen auf der Kun.stausstellung im (Ilaspalast 1903,
dazu sein Selbstbildnis: im .\rbeitskleitl, das Pfeifchen im Mund, ruhig, ernst,
mit stillen .\ugen auf den Heschauer blii keiul. Der grüne F^hrenkranz mit
der Trauerschleife zeigte, daß der Maler schon unter der Erde ruhte. Eine
veihältnismäßig leichte Erkrankung schlofi unerwartet dieses tätige Schaffen,
welchem die Mitwelt nicht nach vollem Verdienst entgegenkam.
Im November 1903 erschienen im Münchener Kunstverein an dreihundert
l^lätter mit Studien, Skizzen und Zeichnungen aus H.s Nachlaß, der dankbare
Käufer fand.
\ gl. I r. von HittUchcr 1895 54^>' — Singer iS<>6 II, 189. — Das geistige Deutsch-
land 1898 S. 314 (Autobiogniphie) und Kunstrereinsbericht fbr 1903 S. 70 (von Alfred
Niedeimann). Hyac. Holland.
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Köpp«ii. Mayer.
97
Koppen, Theodor, }ii^torienm:iIcr, * 27. Juli 1828 zu Hrakc a. U. Weser
(Oldenburg), f 3. März 1903 in Nyinphenburg (München). — Sohn eines Land-
wirtes; eist Dekorationsmaler in Oldenburg, kam .über DQsseldorf nach München
an die unter Kaulbachs Direktion neu t1oi i< iM. le Akademie. Die Mittel /.u
ernsteren Studien f^cwann K. durc h gcM lue kt«.' Kopien n:\( Ii iilteren Meister-
werken der Pinakothek, insbesondere der l)eru!initen lU-tti-lknahen MuriUos,
die er, entgegen der damaligen Hausordnung, durch sehr einfache List, in der
verpönten Originalgröße, mit wahrer Virtuosität anzufertigen verstand. Diese
hannlosen Revenuen bildeten die solide Basis, um eigene Pläne zu realisieren,
wozu auch vielfache Porträts, darunter das treffliche Bildnis des Landschafts-
malers Ernst Willers, erwünschte Förderung boten. Dazu gehörten die idealei»
licbilde von Nacht und 'lag (iS6i\ welche später mit 'Morgen und Abende
(1867) einen Appendix erhielten. Daii er sich auch an kühne Probleme
wagte, deren Realisierung eine größere Kraft erfordert hätte, zeugt von dem
idealen Mute der damaligen Jugend. Hiezu zählt der schön gezeichnete
Karton Oer Mensch im Kampfe mit den Elementen (1865), ein Stoff,
welchen K. immer wieder vornahm, bis derselbe (1874) zu einem durch-
gearbeiteten ()lbilde reifte, welclies um 6000 Gulden doch eines Käufers
sich erfreute. Auch eine Komposition mit »Hagen und die wilden Meer-
maide« hatte ihn 1867 in Anspruch genommen, aber auch »Amoretten
FrQchte tragende italische Frauen, mit oder ohne Kinderbeigabe; italische
Fischer und rudermächtige, hart vom Sturm bedräute Marinan\ ferner ein
Sturm an fcKitrer Küste mit umbrandetem Leuchtturm — schöne Früchte
einer südliclien Studienreise, die sich vorwiegend mit land'schaftlichcn Kin-
drücken befalite, welche dem Maler bei seinem »Von den Ukeaniden be-
klagten Prometheus« (1888) gut zustatten kamen. Das führte ihn wieder
auf die Antike zurück mit einer »Antigone und Ismene« und »Antigone bei
der Leiche des Polyneikes , von da gab es mit Szenen zu »Romeo und
Julia« und König Lear« den f^bergang zu Shakespeare.
Die Mehrzahl seiner Hilder kam mit einer »Abundantia nach England
und Amerika, einige erwarb die Galerie zu Oldenburg. Ein dekorativer
Zyklus für einen Konzertsaal gelangte nach Edinburg. K. versah auch die
Stelle eines Lehrers bei der Prinzeß Ludwig Ferdinand.
Vgl. Fr. y. Bötticher 1895 1» 743* — Singer 185^ I, 372. — Kllnstvcre^n^bc^icht
1903 8.72. Hyac. Holland.
Mayer, Friedrich Carl, Architekturmaler, (iroüherz. Weimarischer Uofrat,
* 3. Januar 1824 in Tölz, f 24. Januar 1903 zu MQnchen. — M., Sohn des
damaligen Rentbeamten Eduard Mayer, wurde tum Studium und sur Beamten-
laulbahn bestimmt, fühlte sich aber nach dem Vorbilde seines Urahns, eines
wackeren Augsburger Hauherrn, unwiderstehlich zur .\rchitektiir hingezogen;
besuchte denn auch mit der \'ersetzung seines Vaters nach .\ufj;sburg (woselbst
derselbe später im Ruhestand, 1855 und 1856, sehr hübsche, auf gediegenen
Studien beruhende »Skizzen« aus der dortigen Stadtgeschichte verfafite) die
dortige Kreisgewerbe- und Polytechnische Schule, dann die Münchener Akademie,
wo er sich unter Eduard Metzger, Voit u.a. (1844—48) ganz der Baukunst und
den damit verbundenen praktischen Übungen witlmete. In Nürnberg betätigte
sich M. zuerst als Heideloffs .Assistent am Polytechnikum (1849) und als
^xttgr. J.ohrbuch u. Deutscher Nekrolog. 8. Bd. f
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98
Mayer.
Maler, wozu er auf steten Studienfahrten um Rhein und in Heluien ein lierr-
liches Material gesanunelt hatte. So entstanden die anziehenden, nach
Krclings gci.strciclieui Vorgang, mit altertümlichen Staffagen belebten Olbikler
aus dem »Kreuzgang von Schulpfoita«, dem »Inneren der Stiftskirche zu
Gemrode« (1848)» eine »Partie aus dem Kreuzgang des Mainzer Domes«
(1849). Gerechtes Aufsehen machte das große GcmSlde (1850) wie ^Adam
K rafft sein Sakramentenhäuslein dem Bürgermeister von Imhoff übergibt^
(Stahlstich von Hablitschek). (bleiche Teilnahme erhielt das Innere der
Sebaldkirche mit dem Sebald-Denkmal nach dem ursprünglichen (in Wirklich-
keit leider nur halb ausgeführten) Entwürfe eines seither noch unbenannten
Meisters. Der Maler stafEierte sein Bild mit dem freilich unhistorischen, aber
sehr naheliegenden Vorgang: wie Peter Vischer das Denkmal dem Kaiser
Maximilian erklärt, der mit \"eit Stoß, Wolgemut, Dürer und vielen anderen
zum Beschauen dieses Guiiwerkes gekommen ist. Das grolle Hild ersc hien
zuerst 185 1 auf der Münchener Kunstausstellung, bestand hier die gefährliche
Konkurrenz mit Ainmillers exzellenten »Ansichten aus der Westminsterabtei«
und erhielt trotz diesen beiden Rivalen allgemeinen Beifall (vgl. Beilage 224
Neue Münchener Ztg.« 20. September 1851). Dar.m reihte .sich 1852 eine
Ansicht des Nürnberger Marktplatzes mit der Krauenkirche und dem schönen
Ikunnen belebt durch die festliche Einführung der Reichskleinotlien 1422.
Kerner die sogenannte '>Hrauttüre bei S.Sebald', eine Partie aus der Michaels-
kirche zu Hildesheim, das Kabinettstück einer mittelalterlichen »Fabrica« mit
dem berühmten Erzbildner Bemward von Hildesheim (1854), ein Kirchenfest
mit dem Motiv aus dem Augsburger Dom. Schon damals exzellierte M. durch
die verständnisinnige optische Konstruktion, jeder Pinselstri( h war richtig
gedacht und haarscharf an seine Stelle gesetzt, ohne flaß dadurch die (jcsamt-
haltung in Form und 1 arbe litt. Als gewissenhafter Techniker und Lehrer
bewährte sich M. 1^55 65 an der Kreisgewerbeschule: als solcher Schnitter
alle architektonischen Stilarten, z. B. die Konstruktion des maurischen Tropf-
steingewölhes, in Holz, wie er überhaupt Modelle jeder Art, sogar Miniatur-
backsteine, formen ließ. Wie der Maler neben seiner ausgedehnten Lehrtätig-
keit, neben der Unzahl von Kntwürfen und W'erkzeirhnungen für Hausgeräte,
(ilasfensier, Tapeten und Teppii hmuster, Gefälie, Metall- und Klfenbeinari)eiten,
sow^ie ganzer Wohnung.seinrichtungen in allen Stilarten unil Geschmacks-
richtungen früherer Zeiten und Generationen, wie M. zu immer neuen und
so liebe- und stimmungsvoll durchgeführten eigenen Bildern noch Zeit finden
konnte, war nur seinem eisernen, andauernden Fleifle möglich. So entstanden
inzwischen kleine architektonische Ki)igra!nme seiner Kunst, indem er <len
alten Patrizier- und Bürgerhausern der Bibra und l'rcller ihre malerischen Ge-
heimnisse und poetischen Winkel ablauschte und zur erfreulichen weiteren
Kenntnis brachte (1861). Gleich anziehende Motive sammelte er aus dem
Dom in Magdeburg (1862), aus dem Rathaus zu Braunschweig (1865), aus
den Fürstenzimmern in Augsburg (1868). Im Jahre 1865 folgte M. einer
ehrenvollen Berufung als Profe'^'^or an die Kun>tschule nach Weimar, uiUer
Fortsetzung der gleichen Tätigkeit. Halte er früher sc hon ilie Restauration
der hl. Kreuzkirche zu St. Johann bei Wür/burg und den Bau des sogenannten
roten Turmes in Oberwesel (1S64— 66) geführt, so leitete M. die gesamte
Ausstattung eines Thüringer Schlosses und des Palais für den Herzog Moritz
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Kbjer. Steub.
99
von Sa( hsen-Alteiiburg. Dann kehrte der mit F.hren und ( )r(len vielfach aus-
gezeichnete Künstler 1875 "^i^'h Nürnberg zurück, welches er 1889 mit
München vertauschte, wo er sich ein neues, gleich gemütliches Heim schuf
und mit unermQdlicbem Eifer, trotz seines durch glückliche Operation 1897
gehobenen Augenleidens, der geliebten Kunst oblag. Seine Bilder gingen ebenso
wie die liebenswürdigen Genrestücke iles mit M. vielfach geistverwandten
Anton Seitz (vgl. Riogr. Jahrb. \') weit in die Welt. Stoffe hatte er für
mehr als eine Lebenszeit eingeheim.st. Er arbeitete wie ein Schatzgräber, der
rerborgene Kleinode der Vergessenheit entreißt und in das rechte Licht
bringt. Eine Auswahl dieser seiner »architektonischen Novellen« erschien —
in ihrer Weise auch ä la Claude Lorrain, eine Art »Ziber verifyUis* — in
einem mit photographischen Reproduktionen reich ausgestatteten Album (in
Fürth bei Schildknecht) und mit neuen Aufnahmen eine zweite Kollektion
bei Joh. Nöhring in Lübeck. Damit ist aber sein Lebenswerk noch immer
nicht erschöpfend gezeichnet. In seiner Wohnung hing Bild an Bild, eine
ganze Gderie von Zeitgenossen, deren Werke er durch Tausch, Kauf und
Geschenk erhalten, darunter aber auch eine erkleckliche Zahl eigener Schöpfungen.
— Bewundernswert blieb die Schärfe seiner Beobachtung und die Sicherheit
der Hand, das reizende, bis ins kleinste gehende, in liebevollster Weise
durchgebihiotc Detail, darunter z.B. die Gitter und die subtilen Dekorationen
mit Waffen und Wappenschildern an den Wänden (Ulm) und dabei doch die
das Ganze beherrschende einheitliche Wirkung, Haltung und Stimmung. Ebenso
originell war seine Sammlung von eigenhändigen Modellen. So hatte M. die
Kopie eines »Ordinari-Flosscs« aus der Erinnerung gefertigt wie dergleiclien
noch vor einem halben Säkulum von Tölz nach Wien gingen mit allem IJei-
werk, mit der Kochhütte darauf, deren Insassen und der übrigen Ladung
von Bier- und Gipsfässern, Kohlen usw. Lbeiiso ein die Donau und den
Inn aufwftfts d. h. »bergfahrendes« von schweren Pferden gezogenes Fracht-
sdkiff (Ihnliche Szenen malte ja auch Ludwig Hartmann, vgl. Biogr. Jahrb. VII);
dazu die wahrhafte Nachbildung eines alten echten Wirtscbafts- und Bauern-
hauses aus Lenggries oder Jachenau. .A.us Platzmangel hing dergleichen mit
anderen plastischen Reproduktionen alter, mit Getreitlesacken heiasteter
Schrannenwagen, von Bierfuhrwerken und anderen zur Kunde des altbayeri-schen
Volkslebens höchst wertvollen Inventarstttcken, durch eigens konstruierte Auf-
zöge mittelst Schnürwerk dem Augenschein schnell vermittelbar, von den
Plafonds seiner mit Seltsamkeiten aller Art geschmückten und überladenen
Zimmer herab. M. war seit mit der Tochter eines kunstliebenden
Nürnberger Kaufherrn verheiratet. Sein treffliches Bildnis hat Kuppclmayer
1894 gemalt.
Vgl. Naumann, Archiv f. zeidinende KBntte 1870. — Westennafer, Cbronik von TOli,
1871, S. 182. — Regnet in Nr. 11 von Schaslers »Deutsch. Kunst-Ztg.« 1873. — Friedrich,
Nürnbergs Meister der (iegenwart, 1876. — Kr. von Hutticher, 1895 ^^t 960, — Nekrolog
in Nr. 26 »AUg. Zcitg.c 1903. — Kunstvereinäbericht 1903, Ö. 72.
Steub, Fritz, Charakterzeichner und Karikaturist, * 11. November 1844
XU Lindau, f $. August 1903 zu Partenkirchen. — Als der Sohn eines be-
hibigen Kaufananns besuchte St. die Volksschule seiner Heimat, kam dann
xo seinem Groflvater, dem UniversitfttsstiftungS'Administrator St. (Vater des
Hyac. Holland.
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100
Steub.
Kuhiirhistotikcrs utul Humoristen Dr. Ludwig St.), narh Münrhcii, wo er die
Gewerbeschule absolvierte und um sich dem Maschinenbaufach zu widmen,
das Polytechnikum in Karlsruhe auf zwei Jahre bezog. Ausgezeichnet mit
einem glänzenden Wissen und empfehlenden Zeugnissen führte ihn, als er
gerade daran war zu München in die praktische Laufbahn einzutreten, sein
guter Stern zu dem Maler und XyIograi»hen Kaspar l^raun, dem Begründer
der «Fhegenden Blätter , der sich seiner in väterlicher Weise annahm und
ihn für die artistische Laufbahn gewann. Die Akademie wird St. wohl
schwerlich oder nur kurze Zeit besucht haben, obwohl er bei Professor Joh.
Leonhard Raab als Zeichner, Radierer und Kupferstecher eintrat, wo eine
Brustfellentzündung die Lehrzeit nur zu bald unterbrach. Dann warf sich
St. auf die Xylographie, nahm seine Beschäftigung als Zeichner neuerdings
auf und lieferte eine Reihe schnurriger Kinfälle (darunter auch mit der Kon-
struktion neuer unmöglicher Zukunftsmaschinen) für die »Fliegenden Blätter«
und eine stattliche, allmählich über 70 Nummern zählende Folge für die
lustigen »Münchener Bilderbogen«, alles für den weltbekannten Verlag von
Braun und Schneider, der seit 1864 dieser willkuminenen Kraft gerne seine
Spalten zu ständiger Mitarbeitersc haft (iffnete. Im Jahre 1872 schloß St. eine
Ehe mit Elise Braun, einer vielbegabten Tochter seines l)isherigen Fremides
und Prinzipals. Vorübergehend gab St. seine köstlichen Kinfälle auch in
anderen illustrierten Zeitschriften, z. B. in »Über Land und Meer« (darunter
ein Blatt mit über ein Halbhundert der putzigsten Figürchen aus dem
Sommerfrischentreiben, Botanischen Charakterköpfen usw.) und Schorers
»Familicnblatt« (Die »Artistenhochzeit« in Nr. 6 des Jahrgang 1890), wie er
auch M. Reymonds köstliche l'nica Das I.aienbrevier des Hai kelianismusc ,
dessen ^-Exodus des Menschengeschlechts aus Lemurien« (in drei vielaufgelegten
Ausgaben nebst der Farge »An Bord des Julius V'erne« (Bern 1878 bei George
Frobeen u. Comp.) einer humoristisch-satirischen Weltumsegelungsnovelle, mit
seinen neckischen, kongenialen Einöllen begleitete. Auch illustrierte St eine
Ausgabe des Don Quixote. Ein eigenes Büchlein mit tollen Scherzen und
Schwänken Firlefanz« (zuerst 1874) und das possierliche Opus Leben und
Taten des Herkules mit Versen des Herrn von Mieris (Franz Bonn) erhielt,
gleichfalls bei Braun und Schneider, seinen entsprechenden Bilderschatz. Kin
anderes, in Bild und Wort sich deckendes, damals epochemachendes und
ganz zeitgemäßes, nun leider aus dem Buchhandel verschwundenes Opus trug
den Titel »Der deutsch-französische Krieg. Eine romantische Tragödie in
fünf Aufzügen« (München 1S71, Braun und Schneider, 4"); d;isselbe bestand
in einer geistreichen, wörtlichen, von keinem geringeren als Herrn von Possart
getroffenen Auswahl aus Schillers > Jungfrau von Orleans«, welche St. mit
44 seiner hinreifienden Bilderscherze illustriert hatte.
Was St.s Kunst betrifft, so begnügte er sich am liebsten mit der Dar-
stellung von kleinen, oft nur fünf Zentimeter hohen Charakterfiguren. Es
sind der Mehrzahl nach kaum Einakter, wohl auch Duetten, bisweilen größere
Gruppenbilder; wenn er sii h ins türkische, jiersische oder iiulische Reich
begab, auch längere Zyklen. Schön ist kerne von ihnen, aber wild, gräülich,
turbulent und obwohl Iftcherliche Karikaturen, doch voll leicht erkennbarer
schrecklicher Wahrheit. Sie wären eigentlich eine Zierde xu dem bekannten
Buche von Rosenkrana »Ober die Ästhetik des Häfilichen«. Man sieht das
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Stenb.
lOI
Vor\nld von Ka.sj)ar Hrniins T,umyHMi, Herbert Königs und Reinhardts liühnen-
künstlern, Harburgers Geldprotzen und Bauern oder Spitzwegs PhiHstern. Sie
alle aber hat St.s exzentrischer Humor weit überboten. Diese Strolche,
Knoten, Fechtbrflder, Tagdiebe, Polizisten, Spießbürger, Hausierer, Eisen-
bahner, Weinschmecker, Biertrinker, Bettler und Kommerzienräte, Hungerleider
ond Vielfraße, »zerstreute Gelehrte, Tragöden und Hettelclichter, Kritiker,
Schuhputzer und andere Hedientenseelen, Spitzbuben, Räuber und Doktoren
aller Fakultäten, böse \Veil)er und (iiftschlangen, klatschlustige, itolitische
Seifensieder, diese eingebildeten Kranken, die kochlüffelhandhabcnden Zofen,
Frauen und KOchentrabanten, Aratsleute, Förster, Nachtwächter, ulkende
Studenten, Steuereinnehmer, Photographen, Anwälte und Verteidiger, das
landplagende Heer der sogenannten »KQnstler< , Feuerfresser, Magier und
-Professoren« jeden Kalibers: alle fliese numerisch kolossalen Typen hielt St.s
markante Figur fest mit sicheren Strichen und zielbewußter Wirkung — in
-seiner Weise eine so originelle Erscheinung wie Oberländer, Busch, Bechstcin,
Spitzer, die teilweise in Daniel Nikolaus Chodowiecki und Jacques Callot
ihre Vorgänger hatten.
St war ein äufietst Stiller, aber scharfsehender unermüdlicher Beobachter,
ein wohlwollender, wortkarger und docli liebenswürdiger Kauz. In seiner
lugend leuchtete aus seinem Antlitz eine mädchenhafte Schönheit, wie aus
Fra Angelicos Kngelsköpfchen, auch später behielt sein immer ernster Ausdruck
einen jugendlichen Grundton, Ober welchen nur die flüchtige Spur eines
Witzes zuckte, während sein Stift die tollsten Dinge zu Papier brachte. Er
tat sich indessen nie genug, änrierte unzählige Male, bis er den gewünschten
zutreffenden Ausdruck fand. (!anze Mögen füllte er mit ein und denselben
Kfipfen und Figuren, immer bessernd und mit jedem Strich ringend, gerade
so wie Heinrich Heine unennüdlich an seinen Liedern besserte und glättete.
St. besafl einen Schatz von Wissen aus den verschiedensten Fächern, trug
sich mit Verbesserungen von photographischen Apparaten, experimentierte
tage- und wochenlang in seiner Dunkelkammer, weshalb er während seines
Aufenthaltes zu Fürstenfeldbruck sogar einmal <len Verdacht der heiligen
Hermandad erregte — ein den Künstler höchst belustigender Kasus, wx-h her
mit der photographischen Aufnahme des zur Untersuchung abgeonlneten
Polizeisoldaten endete, dessen unverkennbares Konterfei alsbald die »Fliegenden
Blätter« verewigten. Mit allen Ergebnissen der neuesten reproduzierendeo
Kunsttechnik und Forschung war er vertraut und verfügte über eine viel-
seitige IJilflung und Helesenheit. V,r hielt französisclie, englische und ameri-
kanische Zeitungen, freute sich an allen Fortschritten des Keproduktions-
verfahrens. Er hatte einen weiteren Hlick als andere seiner Kunstgenossen:
St. ehrte die Antike, ebenso die großen .Meister wie Dürer und Cornelius,
Schwind, Richter, Rethel und Preller — sie standen ihm nicht im Wege,
Qbten aber auch keinen Kinflufi und beirrten ihn nicht, da er an seiner Natur,
wenn auch nicht im Sinne jenes stolzen »afif//' /<> sono pittore*, festhielt und
auf selbsteigenen Fußsteigen weiterging. St. liebte es auf eigenem Grund
und Hoden zu sitzen, wechselte aber gern seinen .\ufenthalt: bald l)aute er
in Schwabing, in Bruck oder St;irnberg em echt künstlerisches Tuskulum, um
selbes, verftnderungsbedOrftig, wieder mit der Stadt zu vertauschen. Neidlos
anerkannte er alle Bestrebungen seiner mitarbeitenden Zeitgenossen, ohne
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Stenb. Kast
gerade von koloristischer Einseitigkeit und symbolistischen Spielereien entzückt
zu sein. All das seltsame Getier und Edelwild, welches im deutschen Kunst-
revier neucstens sein Wl-scii trieb, worauf ja auch die »Micgciiclen bisweilen
ein lustiges Hailoh anstimmten, machte ihm Freude. Der Schalk pflegte die
Kunst des Lachens; grämliche Argerlichkeiten kannte er nicht. Aber der Mann,
welcher gewiß Hunderttausende von Menschen su Frohsinn, Heiterkeit und zum
gesündesten Lachen hinriß und dadurch als echter Humorist zn ihrem physischen
Wohlsein wesentlich beitrug, marluc ntir selten von seinem Xamen Gebrauch.
Die Wenigsten wuüten den.scll)en; cm Monogramm gebrauchte er nicht, hiu bsi
selten setzte er einen nicht immer gut le.serlidien Zug oder Hausbuchstaben
dazu. Seine Freunde kannten ja jeden Strich seiner originellen Hand auf
den ersten Blick. Und das war ihm genug. Dafür fehlt sein Name fast in
allen Kompendien. Das schOne Künsticrsch äffen wurde schließlich getrübt:
Im Jahre 1900 starb nach langen, schweren Lciilen seine l-"rau. \'on da an
war seine Gesundheit erschüttert. Nun wird ihm auch die längst verdiente
Anerkennung zuteil werden.
Nach seinem Tode brachten die »Fliegenden <, gleichsam als ^Mimmrts
tTimin tomke* in Nr. 3054 und 3056 noch zwei lächerliche Proben seines
Humors, einen moralisierenden Schnapphahn und eine knütteldicke Hauern-
schlägerei als Studienobjekt für einen reisenden M.ilcr! Tn der l-'rühjabrs-
sezessionsausstellung 1904 erschienen zehn Rahmen mit l-eder- und Hieistift-
zcichnungen aus verschiedenen Jahren, köstliche Sächeh hcn und Hlättchen,
im Besitze von Braun und Schneider und der Maler Lipps und Thiem in
Starnberg.
Vgl. Kut$chm.inn, Gcsdiiclite der deutschen Illustration 1900, S. 306 u. Morgenbl. 218
der »Allg. Ztg.c, 8. August 1903. Hyac. Holland.
Kast, Alfred, ordentlicher Professor <ler inneren Medizin in Breslau,
* 2$. Juli 1856 zu Ulenau bei Achern in Baden, f 7. Januar 1903 in Nizza. —
K. war der Sohn eines Irrenarztes, späteren Bezirksarztes und Medizinalrats
in Freiburg, studierte in Freiburg, Heidelberg und Leipzig, hauptsächlich als
Schüler von Erb, Ttäumler und Cohnheim, erlangte 1879 die Doktorwürde,
habilitierte sich 18S3 in Freil)urg, wurde dort 18S6 Prof. e. o., 1888 Direktor
des allgemeinen Kr.mkenhauses in Hamburg und folgte 1892 einem Ruf in
die oben zuerst erwähnte Stellung nach Breslau. K. hat sich durch Ein-
führung des Sulfonals als Schlafmittel in die ärztliche Therapie ein unaus-
löschliches Andenken gesichert. Seine weiteren wissenschaftlichen Arbeiten
bewegen sich ebenfalls auf dem Ccbiet der physiologischen Chemie. Unter
anderem veröffentlichte er Untcrsm hungen über tlie aromatischen Fäulnis-
produkte im menschlichen Harn, über das S« hicksal der organis« hcn Chlor-
verbindungen im menschlichen Organismus, über Chlorausscheidung und Ge-
samtstoSwechsel. Femer ist K. Verfasser von Arbeiten zur Lehre von den
Nervenkrankheiten, wie von Studien über cerebrale Kinderlähmung, primäre
degenerative Neuritis, sogenannte subakute Ataxie, Paraph gien, traumatische
Neurose, unrl zur l ehre von den inneren Krankheiten; Leukämie, arzneiliche
Fieberbehandlung, Fieber bei Krebskranken u. a. m.
Vgl. die in Viichows Jahresbericht vcm 1903 I S. 416 genannten Quellen.
Pagel.
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von Liebig.
«03 '
licbig, Georg Freiherr von, * 17. Februar 1827 zu Gießen, f 31. De-
zember 1903 in München. — L. war der Sohn des weltberühmlen Chemikers
Justus V, Liebig. Er studierte in Giefien und in Berlin, promovierte in
Gieflen 1853, machte bald darauf eine zweite Prüfung in London beim Coli,
of Surg., trat in ticn Dienst der eiiglist h-()>(iiulist hcii Kompagnie in Bombay
1S53 und wurde, narh ilrrijiiliriger Dienstzeit mit t-nglisi'licn und indischen
Truppen, 1856 nadi Kalkutta als I'rofessor der Naturgeschichte am Hindu-
College berufen. Er kehrte 1858 nach Europa zurück, wurde nach kurzem
Aufenthalte in Berlin, um besonders die neueren Fortschritte in der Gynä-
kologie kennen zu lernen, 1859 Bezirks- und Salinenarzt in Reichenhall, blieb
in dieser Stellung 15 Jalirc lang und gab sie 1873 auf. Kr bewohnte seitdem
keichenhall nur während der Sommermonate, zur Ausübung der Praxis, und
lebte im Winter in München, wo er sich 1877 für Klimatologie unil Balneo-
logie habilitierte. Die Titel seiner wichtigsten literarischen Arbeiten sind:
»Über die Respiration der Muskeln« (Muellers Archiv 185 1) — »Über die
Temperaturunterschiede des venösen und arteriellen Blutes < (Inaug.-Diss.,
Gießen 1853). Aus Indien machte er über eine kleine C'holeraepidemie
(Arrh. f. gemeinnütz. Arbeiten) eine kurze Mitteihuig, veröffentlichte zwei
meteorologische Arbeiten im Journ. 0/ thc Asiat, i^hiety in Kalkutta, über
die Bahn eines Wirbelsturmes und Abzug des Wasserdampfes von der
Barometerhöhe, den er als ungerechtfertigt nachwies. Über die klimatischen
Kigentüralichkeitcn, die Kurmittel von Rcichcnhall und deren Wirkung ver-
öffentlichte er Arbeiten im Bayerischen ärztlichen Intel]igeiizl)Iatt, der Wiener
med. Wochenschrift, der Deutschen Klinik und der Deuts( heii med. Wochen-
schrift, zusammengefaüt in der Badeschrift: »Reichenhall, sein Klima und
seine Heilmittel« (5. Aufl. Reichenhall 1883), darunter: »Beobachtungen über
Puls- und Körpertemperatur im lauen Bade« (Arztl. Intelligenzbl. 1878). Nach
Krrichtung einer pneumatischen Kammer für die Anwendung des erhöhten
Luftdruckes in Reichenhall 1866 publizierte er: v ITntersuchungen über die
X'entilation und Krwärmung der j»neumatischen Kammern usw.< (München
1869) — *Über das Atmen unter erhöhtem Luftdrucke (Zeitst hr. f. Biol.
1869) — »Die Sauerstoffaufnahme unter erhöhtem und gewöhnlichem Luft-
drucke« (Pflügers Archiv 1875) — »Ein Apparat zur Krklfirung der Wirkung
des Luftdruckes auf die Atmung« (Du Bois-Reymonds Archiv 1879) usw. Ks
folgten noch in Du Bois-Reymonds Archivzwei Untersuchungen über «Die Puls-
kurve« (18S2, iHS^) und 'Die Veränderung der Pulskurve in der pneumati-
s< hen Kammer* (Deutsche med. Wochenschr. 1884) • Wirkung der saugenden
Spannung im Pleuraräume auf die Zirkulation« (Sitzungsber. der (jes. t.
Morphol. und Physiol., München 1885) und »Die Wirkung des Luftdruckes
auf die Zirkulation« (Du Bois-Rejmnonds Archiv 1888). Ks folgten femer
eine Anzahl von -Arbeiten über Beobachtungen unter dem erhöhten und dem
verminderten laiftdruck l)ezuglich der Atmung, Muskelkraft, Biutdruc k, i'uN,
meist in den Sitzung>l)er. <1. des. f. Murphol. und IMn sioj. in .\Iün< hen,
welche zum leil zu einer Arbeit über die Bergkrankheit' Veranlassung
gaben (Deutsche Vierteljahresschr. f. öffentl. Gesundheitspfl. XX VIII, 1896)
und 1898 in einem Buche »Der Luftdruck in den pneumatischen Kammern
and auf Höhen« zusammengefaßt wurden. Aufier ZusammcidKing mit den
seidier erwähnten Arbeiten stehen: »Gewichtsbestimmungen der Organe des
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I04
von Liebig. Pflflgvr. Saenger.
menschlichen Körpers (Rcicherts und Du Bois-Reymonds Archiv 1874) —
»Zur Beurteilung der Revakzination (Deutsche Klinik 1873) — »Die Nähr-
salze und die Molke« (Vortr. Balneol. Vers,, Berlin 188 1; Wiener med. Blätter
x88i). Dazu zahlreiche andere Arbeiten und Ausätze teils in den bereits
genannten Zeitschriften, teils in der Berl. klin. Wochenschr. und in dem
Deutschen Archiv f. klin. Med.
Vgl. Virchows Jahrc«bciiciu von 1903 1 8.418. Pagel.
PflQger, Emst, Professor der Augenheilkunde an der Universität Bern,
• I. Juli 1846 zu BQren a. d. Aare, Kanton Bern, f 30. September 1903 in
Bern. — P. studierte in Bern, promovierte 1870, bildete sidi in seinem
Spezialfach in l'trerht und Wien unter Donders und Arlt, habilitierte sich
in Bern, war von 1876 — 1879 auüerordentlicher und seitdem ordentlicher
Professor der Augenheilkunde in Bern. Er war Verf. einer Reihe von Einzel-
abhandlnngen, die meist im Archiv für Ophthalmologie, in den Berichten
über die Augenklinik in Bern und im Schweizer ärztlichen Korrespondenz-
blatt veröffentlicht sind. Selbständig erschienen u. a. ^Tafeln zur Bestimmung
der Karbenblindheit und Sehproben . — Daneben hat V. noch eine populär-
wissenschaftliche .Abhandlung über Kur/.sic htigkeit und Kr/.iehung verfalit.
Vgl. die in Virchows Jahresbericht von 1903 I 421 gcnaiuiten (Quellen. Pagel.
Saenger, Max, ordentlicher Professor der Geburt-shilfe und Gynäkologie
an der (ieut^< hen Universität in l*ra^, * 14. Winz 1853 zu Baireuth, f 12. Januar
1903 in Bubentsch bei Frag nach längerer Krankheit. — S. studierte seit
1871 in Würzburg und Leipzig, approbiert und promoviert 1876 ("Die
Mechanik der Broncho- und Pneumorrhagien bei 7\Aercuhsis pulmmmn^\
war bis 1878 Assistent am pathologischen Institut, sowie an der medizinischen
Poliklinik unter E. L. Wagner, wo er auch durch den bekannten Erfinder
der »polaren EIcktrisation«, der damals an der l'oüklinik wirkte, Ikenner,
Anregung zur Beschäftigung mit Xerveiikrankheiten cni])ting. 1S78 — 1S81
war S. Assistent an der Klinik von B. .S. Crede, habilitierte sich für Geburts-
hilfe und Gynäkologie 1881 mit der Schrift: »Der Kaiserschnitt bei Uterus-
fibromen nebst vergleichender Methodik der Sectio caesarea und Porro-
Operation«, einer Arbeit, welche zusammen mit einer Reihe nachfolgender
Publikationen durch Angabe von Verbesserungen tler ()|)erationstechnik, 1)e-
sonders der l^terusnaht, deren CJeschichte ausführlich gebracht wird, einen
Umschwung zugunsten der konservativen Methode des Kaiserschnitts gegen-
über der Porro-Operation bewirkte und den Weg für eine häufigere Anwendung
des Kaiserschnitts bei relativer Indikation zur Vermeidung der Kraniotomie
und Embryotomie des lebenden Kindes bahnte. S. warf sich nun auf die
moderne, operative (lyn.-ikologic, gestützt auf normale und pathologische
Anat(miie als wissenschaftliche Grundlagen. Kr übte bereits 1881 die ^^roUten
gynäkologischen Operationen aus, z. B. komi>K'ttc, vaginale Totalexstirpation
des Uterus (neben Thiersch als erster in Leipzig), schwierige Coeliotomien
l)ei eitrigen Adnexerkrankungen usw. unter Asepsis und Antisepsis, deren
Ausbildung er sich unausgesetzt widmete, mit Hilfe eigener Erfindungen und
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Saenger. Schmid-Monnard.
105
Verbesserungen. Sehr früh befaßte er sich mit der jetzt so selir betonten
mechanischen Desinfektion (Sanddesinfektion), die er nie zu üben aufhörte
und in der Prager Klinik (mit Schenk) in neue Bahnen ienkte. 1884— 1887
war S. Operateur der gynäkologischen Klinik in besonderer von Cred6 ihm
anvertrauter Stellung. Anfangs in dürftigen Mietswohnungen in der von
Leopold übernommenen Privatkb'nik tätig, konnte er erst iSo<^ eine allen
modernen Anforderungen entsprechend eingerichtete Krauenheihmstalt mit
25 Betten eröffnen, die erste nach dem Monnier-Kabitz-System mit Abrun-
dongen der Wanddecken und Kanten ausgiebig durchgeführte Klinik, in der
die Fußböden der Operations- und Nebenräume aus unverwüstlichem XyloHth
hergestellt waren, mit «wei Laboratorien zu histologischen und bakteriologi-
schen Arbeiten usw. 1883 gründete S. eine sehr fn'(|uentierte gyniikologische
Poliklinik, die einzige derartige in Deutschland, welche nur Studenten zu-
gänglich war, wo jedoch in den Ferien Ärztekurse stattfanden. Ende 1890
vurde S. Professor e. o., 1897 kgl. sächs. Med.-Rat, 1899 als Professor ord.
und Vorstand der geburtshilflich-gjniäkologischen Klinik nach Prag berufen.
S. war 21 Jahre lang Mitglied der Gesellschaft für Geburtshilfe in Leipzig,
wiederholt deren Vorsitzender und stellvertretender \'orsitzender, später deren
Ehrenmitglied, auüerdem Mitglied bzw. Khrenmitglied zahlreicher anderer
gynäkologischer und gelehrter Gesellschaften. YAn vollständiges Verzeichnis
von S.s Publikationen 1877 — 1S99 umfafit etwa 132 Nummern. Dieselben
beziehen sich auf die verschiedensten Kapitel der Geburtshilfe und Gynäkologie,
Kaiserschnitt, Geschwülste, speziell DfcUmma» plastische Operationen, /^efro-
vtrslo-flex'io uteri, Atzbehandlung des Uterus, Atlncxc, Tubenschwangerschaft,
Carcinoma uteri, Hysterektomie, Operationen in der IJauchhöhle, Harnorgane,
Asepsis, auüerdem noch Reden, Nekrologe, feuilletonistischc Aufsätze und
sonstige Arbeiten nicht gynäkologischen Inhalts. Die Titel der wichtigeren
Arbeiten von S. sind in einer der unten angegebenen Quellen zusammen-
gestellt.
VgL die in Virchows Jahresbericht von 1903 I S. 423 genannten Qudleo und Pagel,
Bm^. Lex. hervorr. Ante des XIX. Jahrh. S. 1460 — 64. Pagel.
Schmid-Monnard, Karl Alexander, verdienter Schulhygieniker und Arzt
in Halle, * 11. August 185S in Leipzig, f 10. November 1903 in Halle. —
Sch. studierte seit 1880 Zoologie in Würzburg, promovierte 1883 zum Dr.
phil. mit einer Arbeit über Histogenese der Knochen der Teleostier, hierauf
ging er zum .Studium der Medizin über, tlas er in (lieüen und Kiel erledigte,
erlangte 1887 die ärztliche Approbation, übernahm die Stellung als Assistent
an der chirurgischen Privatklinik von Neuber in Kiel, siedelte 1888 nach
Halle über, wo er seine Habilitation als l'rivatdozent vorbereitete und kurz
vor Beendigung der bezüglic hen Schrift starb. Sch. hat sich durch eine
irrftßerc Reihe wichtiger N'erötfentlichungen um die l*"(')rderung schulhygieni-
>chcr Hestrebungcn wohlverdient gemacin. Seine schriftstellerischen Leistungen
und Arbeiten auf diesem und anderen Gebieten der Medizin sind in den von
der unten angegebenen Quelle genannten Nekrologen verzeichnet.
Vgl. Virchows Jahresbericht von 1903 I S. 423.
Pagel.
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io6
Steudel. Scbttffle.
Steudel, Wilhelm, Arzt und Sanitätsrat in Stuttgart, * 4. April 1829 in
Oberurbach, Oberamt Schorndorf, f 23. Juli 1903 in Stuttgart. — S. erhielt
seine Erziehung im Hause seines Verwandten, des Dichters Ludwig Uhland,
der ihn im Alter von fünf Jahren an Kindesstatt aufnahm, studierte seit 1848
Medizin in Tübingen, hauptsäclilich als Sdiülir von (Griesinger und Viktor
Bruns, erhielt 185^^ seine Approbation als Arzt, eil;uii;te die Doktorwürde
1854, besuchte behufs weiterer Ausbildung; Wien und l'aris, wurde 1855
Oberamtswundarzt in Böblingen, 1862 Uisiriktsarzt in Kochendorl, war seit
1869 Stadtdirektionsarzt in Stuttgart und zog sich 1899 ins Privatleben
zurück. S. hat sich um die Pflege und Förderung der ärztlichen Standes-
angelegenhciten durch Wort und Schrift ein großes Verdienst erworben. Er
begründete den Stutt;^Mrttr Ä r/te\ erein, dessen \'orsitzeiider er 1880 wurde
und war seit 1888 \"orsit/.euder des Hezirksvereiiis. ('l)iiueiis bekleidete S.
eine Zeitlang das Amt als Kxaminator der (Icburtslulte in Stuttgart. Er war
ein tüchtiger und beliebter Arzt, aufierdem ein hervorragender Schmetterlings-
kenner.
Vgl. die in Virchows Jahresbericht von 1903 S. 424 angegebene Quelle.
Scbäfflc, Albert Eberhard Friedrich, volkswirtsehattliciier und sozial-
wissenschaftlicher Gelehrter, Schriftsteller, Universitätsprofessor, auch k. k.
Minister, * 24. Februar 1831 zu Nürtingen im Königreich Württemberg, f 35. De-
zember i()o,^ in Stuttj^art. — Sch.s Vater war Lehrer an der Xürtinger Real-
schule; er l)estiminte den frühzeitig aufgeweckten und strebsamen Sohn zur
theologisehen Laufbahn. Im niederen Seminar zu Schönthal (1844 — iS4,S')
eignete sich dieser eine ^rüntlbehe klassische Bildung an, zeigte aber schon
damals vorwiegende Neigung für realistische Fächer, für Mathematik, Geschichte
und Geographie. Im Herbst 1848 trat er in das Tübinger Stift, wo zunächst
das Studium der Philosophie an die Reihe kam, das aber schon nach sie])en
Monaten dur< h die Revolution unterbrochen wurde. Man hat in der Rich-
tung, die später Sch.s sozialwisscnschaftliche Studien nahmen, in dein s\ste-
matischen Zug seines Denkens, in der Durchführung des Kvolutionsprinz.ips, in
seiner Vielseitigkeit und in seiner formalistischen Dialektik den Einfluß der Hegel-
schcn Philosophie erkennen wollen. Tatsächlich hat ihn das philosophische Studium
als solches wenig angezogen, und die allerdings unverkennbare spekulative
Anlage in ihm ist später mehr durch Lotze und Albert Lange befruchtet
worden. Immerhin darf gesagt werden, daß in seiner Tübinger Zeit die
Hegels< he Philosophie dort noch eine Macht war, der sich gerade die Begab-
teren schwer entzogen. Man sog Hegeischen Geist sozusagen mit der Luft ein.
Den äufteren Zwang der Stiftseinrichtungen aber ertrug er unmutig, zum
geistlichen Beruf verspürte er nicht die geringste Neigung, und es war we-
niger die jugendliche Begeisterung für die Revolution, als vielmehr der
Drang, lästige Fesseln abzustreifen und der ihm drohemlen Bestimmung zu
entgehen, was ihn im Juni 18.J9 bewog, dem Ruf der sogenannten Reichs-
regierung zu folgen, als diese zur l nterstützung des badischen Aufstamles
aufforderte. Mit anderen Studiengenossen entwich er dem Stift und wagte
es anh Ungewisse hin, entschlossen, alle Folgen zn tragen. Die Erfahrungen
des abenteuerlichen Freischarenzugs waren freilich beschämend. Die grofie
Pagel.
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ScbXflTle.
107
Masse «les Frcihcitshccres war, wie er in sciiuMi ninkwürdigkeiton schreibt,
••unsagbar gemeines Ocsindcl , ijnd die einzige l'rucht, «lie er von diesor
kurzen, für die Tubinger Kreise har unblutigen Episode davontrug, war der
unauslöschliche Kkcl an jeder Art der ziellosen und selbstischen VolLsver-
hetznng«. Sch. kehrte nach Tübingen zurück, aber nicht ins Stift; mit der
geistlichen Laufbahn hatte er eiulgültig gel)rochen. Mittellos, wie er war,
versuchte er es nun zuerst mit dein Lehrfach. Bald aber eröffnete sich dem
Neunzehnjährigen eine seinen F;ihif;keiten und seinem inneren Drang weit
angemessenere Aussitlit: ilie Kaniilie l.lbcn in Stuttgart berief ihn auf den
Rat des Tübinger Geschichtsproiessors Hang in die Redaktion des Schwä-
bischen Merkur, der er nun ein volles Jahrzehnt, 1850— 1860, angehörte.
Er hat sdne Pflichten als Journalist mit grOflter Pünktlichkeit erfüllt, doch
warerauch von Anfang an entschlossen, dafl dies nur ein Dur( hgangspunkt für
ihn sein sollte. Cereut haben ihn die journalistisclien l.ehrjalue niemals.
Er war damit in eine Schule getreten, in der er Mensi hen und Dinge viel-
seitig kennen lernen konnte, in der er genötigt war, seine Kenntnisse zu er-
weitern, das jäh abgebrochene Studium wieder aufzunehmen und zu ergänzen.
Und nun fond er auch das Feld, das ihm zum Lebensberuf wurde. Mit
einer erstaunli( hen Arbeitskraft warf er sich auf die verschiedenen Zweige des
Staatsrechts und der Nationalökonomie. Die journalistische Tagesarbeit und
das thcoretist he Studium ergänzten sich gegen.seitig. »Dali ich das Cielernte
eigentümlich gelernt habe, dali theoretische und praktische, wissenschaftliche
und geschäftliche Ausbildung in engste Wechselbeziehung traten, ist für meine
Entwicklung günstig, jedenfalls entscheidend geworden.« Nach wenigen
Jahren hatte er sich in den Staatswissenschaften eine so umfa.ssende Kenntnis
erworben, daß er, nachdem ihm ein nur zweimonatiger l'rlaub bewilliu't wor-
den war, die lu)here Staatsprüfung für den Dienst im .Ministerium des Innern
mit Glanz ablegen konnte. Stets war er stolz darauf, duU er dies fertig
gebracht hatte einzig durch Selbststudium, ohne eine akademische Fachvor-
lesang gehört zu haben. Kr begründete jetzt einen eigenen Hausstand; durch
die Staatsprüfung sah er sich für die Zukunft ökonomisch gedeckt.
Während er noch der Redaktion des Schwäbischen .Merkur angehörte,
hatte er eine X'erbindung angeknüpft, die für seinen späteren I.ebensgang von
den wichtigsten Kolgen war. Er trat in ein näheres Verhältnis zu dem Haron
Georg von Cotta, dem er bald der tägliche Berater, der vertrauteste Freund, die
rechte Hand wurde. Damit wurde er in eine weitere Welt eingeführt, auch zum
erstenmal sein Interesse für (Österreich geweckt. Cottas Ehrgeiz war es damals,
<Ier Schaffung einer wirtschaftlichen Union mit Ostorreich ebenso zu dienen,
wie sfin \'ater si< h um das Zustandekommen des Zollvereins verdient ge-
macht hatte. Kür tlieses Ziel ging nun auch Scii. ins Zeug, zumal, nai hdem
er auf einer Reise nach Wien im Jahre 1857 durch Empfehlungsbriefe Cottas
mit dem Frhrn. v. Czömig, dem Chef des statistischen Amtes, und mit dem
Sektionschef im Finanzministerium v. Hock persönlich bekannt geworden war.
Cotta stellte ihm die Allgemeine Zeitung und die von ihm selbst redigierte
Deutsche \'ierteljalirsschrift zur Verfügung, und in beiden Organen entwickelte
der junge Schriftsteller bald eine äuüerst fru< litbare Tätigkeit, politisc her
sowohl als wis.senschaftli( her .Art. (ileich die erste Abhandlung in tier ge-
nannten Zeitschrift (1856) zeigte bereits die GrundzOge seiner sozialpolitischen
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Schftffle.
Anschauungen. Sic war Abbruch und Neubau der Zunft betitelt und
sprach sich für berufsgcnossenschaftliche Organisation, unbeschadet der Gc-
werbefreiheit, aus. Unter Freiheit verstand er im Gegensau zum Faustrecht
des Uusser faire und hisser aller »die Freiheit jedes Ge.sellschaftsgliedes in
in seiner organischen gesellschaftlichen Berufsfunktion <. Andere Abhand-
lungen in diesen Jahren galten dem Aktienwesen, der Mandelskrisis von 1S57,
den Wiener Zollkonferenzen, <lein deutschen (lewerl)e- und Heimatrecht, dein
Münzwesen usw. Mit dem Ausbruch des italienischen Krieges im Jahre 1859
begann in Süddcutschland eine leidenschaftliche Bewegung, die tätige Partei-
nahme für Österreich verlangte. Die Allgemeine Zeitung war die erste, die
den Alarmruf erhob, und in dieser war tlic Stimme Sch.s eine der lautesten.
Unermüdlich und unter heftigen Angriffen auf die preußische Politik stritt
er für den Satz, daß der Rhein am Po zu verteirligen sei, und daß der Krieg
des Kaisers Napoleon für Italien nur als Vorläufer eines Krieges zur Krobe-
rung der Kheingrenze gedacht sei. Mit dieser i'arteinahme für Osterreich
wäre, als dann nach Villafranca in Deutschland die Parteien in eine groß-
deutsche und eine kletndeatsche auseinandergingen, seine Stellung am
> Schwäbischen ^^crkur kaum länger vereinbar gewesen, wäre er nicht in
dieser Zeit überhaujtt bereits auf dem Sprung gewesen, die journalistische
Laufbahn zu verlassen.
Schon im Jahre 1859 hatte ihm der österreichische Handelsminister, Frei-
herr von Bruck, eine Stellung als Ministerialrat in Wien angeboten. Er
lehnte ab, weil ihm die Osterreichischen Verhältnisse su fremd waren. Wün-
schenswerter schien ihm die akademische I ifbahn, in der er sich ungehin-
dert entfalten, und neben dem Dozenten gleic hzeitig Publizist bleiben konnte.
Im Herbst 1860 folgte er einem Kuf an die staatswirtschaftliche I akultät
nach Tübingen. Solche Anerkennung hatte er sich durch .seine schriftstelle-
rische Tätigkeit erworben, daft ihm sofort das Ordinariat erteilt wurde. Acht
Jahre wirkte er nun als Lehrer an der heimischen Hochschule. Seine Zu-
hörer rühmten seinen lebendigen, anregenden Vortrag. Der Lehrauftrag um-
faßte: Enzyklopädie tier Staatswissenst haften , Nationalökonomie, Politik,
Polizeiwissenschaft. Nebenher ging eine fruchtbare S( liriftstellerei. Schon
im Jahre 1861 veröffentlichte er ein Lehrbuch der Nationalökonomie. Eine
Reihe von Abhandlungen folgte, teils in der Deutschen Vierteljahrsschrift,
teils in der Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, deren
Redaktion er im Winter 1860 übernommen hatte, und mit Ausnahme eines
Jahres, 1871- 72, bis an sein V.wde fortführte. Diese .Abhandlungen waren
zum Teil rein wissensi h.iftliclun Inhalts, überwiegenfl aber zugleich der ]>rak-
tischen Politik zugewandt. Damals war die l'rage der Zolleinigung mit Osterreich
durch den Abschluß des preußisch-französischen Handelsvertrags in ein kri-
tisches Stadium getreten. Eine lebhafte publizistische Debatte entspann sich
über die deutsche Verfassungsreform, und Sch. war einer der grofideutschen
Stimmführer. Aber auch die Arbeiterfrage begann ihn jetzt angelegentlich
zu beschäftigen, und er war um so geneigter, Lassalles .Auftreten nicht ohne
Sympathie zu würdigen, als er von Anfang an dem vulgären Liberalismus«
der Nationalökonomie ablehnend gegenüberstand, niemals an die absolute
Harmonie der kapitalistisch-liberalen Volkswirtschaft geglaubt hatte.
Bei seinem lebhaften Drang su politischer Betätigung lag es nahe, sich
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Schlirie.
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auch auf parlamentarischem Boden zu versuchen. Schon im Jahre 1S61 nahm
er für den La!ull)ezirk Tübingen eine Wahl in die württetnl)ergi>clic Kannner
der Abgeordneten an. Kr war hier um semer finanziellen und volkswirl-
schaftUchen Kenntnisse ein geschätztes Mitglied , wie ihm andererseits der
Einblick in die Verwaltung, das Steuerwesen, die Wohlfahrtspflege des Staa-
tes, den er besonders durch die Arbeiten in den Kommissionen erwarb, \on
N'utzen war. Als Mitglied der Finanzkommission hatte er neben Moritz Mohl
den preuliisch-franzüsisi hell Haniielsvertrag zu begutachten; er verfaßte c-iiu-n
Sonderbericht, der im Gegensatz zu Mohls extrem schutzzöllnerischem Bericht
eine gemäßigte Freihandebrichtang vertrat, in dem Sinne, dafl Osterreich die
Handds- und Zollannähening an den Zollverein ermöglicht werden sollte.
Zu der Zeit, d i ^c in Bericht erschien, Januar 1864, waren aber die Würfel
schon gefallen; die kleineren Staaten sahen sich um der Krhaltung des Zoll-
vereins willen zur .\nnalnne lies \'ertrages geniitigt, unil der (ledaiike der
Zolleinigung mit Österreich, für den Sch. bis zuletzt gekämpft hatte, war
aussichtdos geworden, übrigens, wie er selbst einräumte, nicht bloß durch
die Schuld der damals allmächtigen Freihandelspartei, sondern »mindestens
ebenso« durch die Fehler der österreichischen Regierung und durch die süd-
deutschen Schutzzöllner. Nicht glücklii lu i war er als einer der publizistischen
Wortführer der grolideutschen Partei, l'.r hatte an der Konstituierung des
groüdeutüchen Reformvereins teilgenommen, die im Oktober 1862 zu Frank-
furt a. M. beschlossen wurde, und war als Ausschußmitglied auch an der
Abfaissnng des Programms beteiligt. Doch hatte er keine Freude an den
konservativen Partikularisten, Weifen und Ul'tramontanen, die die große Masse
dieser Partei bildeten, auch nicht an der Reformakte, die Osterreich im
Jahre 1863 auf dem Fürstentage in Frankfurt einbrachte; er nahm dann noch,
als die schleswig-holsteinische Erbfolgefrage den deutschen Verfassungsstreit
abgelöst hatte, an der Frankfurter Abgcordnetenversammlung teil, zog sich
aber seitdem von dem eigentlichen Parteileben mehr und mehr zurück.
Diese Erfahrungen wirkten dazu mit, dafl er im Jahre 1865 kein Mandat
mehr für den Stuttgarter Ständesaal annahm. Er hatte im Grunde eine ver-
einsamte Stellung dastlhst eingenommen,' er paßte nicht recht weder in die
politische noch in die wirts< liattliche Parteischablone. Auch hatten ihn die
»Miserabilitäten« des kleinstaatlichen Parlamentarismus abgestoßen, und dazu
kam noch, daß er mit dem leitenden Minister, Freiherm von VambÜler,
auf gespanntem Fuße stand, und selbst mit seinem intimen Freunde, dem
L'nterrichtsminister Golther, zerfiel. Kurz, er verließ die politische Bühne
und kehrte ganz zu seinem akademischen Beruf zurück. Aber au( h in die
l-'ni\ersitätsverhältnisse hatte der politische (Gegensatz eingegriffen. Im Senat
stand sich eine kleindeutsche und eine groüdeutsche, zugleich spezifisch
schwäbische Partei gegenüber, die, so oft es sich um eine Berufung oder um
die Rektorwahl handelte, ihre Kräfte maßen. Sch. erlitt mit seinen groß-
deotschen Freunden mehr als eine Niederlage, so bei der Rektorwahl im
Frühjahr 1.S67, wo er selbst mit 13 gegen 17 Stimmen gegen den Kir< hen-
historiker Weizsäcker unterlag. Auch gesellsc haftlich stand man in gi treiniten
Lagern, und es ist charakteristisch, dafl Sch., auüer mit wenigen gleichgesinnien
Freunden, am meisten mit Mitgliedern der katholisch-theologischen Fakultät
L'mgang pflog, deren Häupter allerdings keineswegs Ultras waren. Im
HO
Schtffle.
Jahre 1867 erschien seine Nationalökon<>niie in zweiter, völlig umgearbeiteter
Auflage. Gleichzeitig vertiefte er sich in die Studien, aus denen bald dar-
auf sein Kapitalismus und Sozial ismus'^ hervorging. Als aber im Frühjahr
1868 die Zollparlamentswahlen stattfanden, die das politische Leben in
Württemberg wieder aub tiefste aufwühlten, liefl sich auch Sch. von neuem
in das Parteigetricbe hineinziehen. Kr nahm eine Kandidatur für Ulm an und
gehörte zu den siebzehn Glücklichen, die Württemberg mit der Losung: keine
Krweiterung des Zollparlaments zum X'ollparlament, kein Anschluß an den
norddeutsi heil Mund, nach Hcrlin sandte. Aber noch während der erNten
Tagung des Zollparlaments erhielt er durch Vermittlung des Pandektisten
Brinz einen Ruf an die Universität Wien. Einen ersten Ruf dahin, der im
Jahre 1863 durch Schmerling an ihn erging, hatte er abgelehnt Jetzt wurde
er unter glänzenden Bedingungen erneuert, und Sch. zögerte um so weniger
ihm zu folgen, als das Ministerium Vambüler nichts tat, ihn der Heimat zu
erhalten.
Im Oktober 1868 hielt der k. k. L niversitätsprofessor und Kegicrungsrat
seine Antrittsvorlesung in der Aula zu Wien. Bis in den Sommer 1870 lebte
er ganz dem akademischen Beruf, doch wirkte er durch Vortrage, deren Gegen-
stand die Arbeiterbewegung war, über die akademischen Kreise hinaus. Aus
diesen \*(irträgen entstand die Schrift iilier Kapitalismus und Sozialismus, die 1870
in Tübingen erschien. In Wien glaubte er noch tiefere Kinhlicke als bisher in
die Disharmonien der bestehenden Ciesellschaft gewonnen zu liaben; er war von
der Unhaltbarkeit der rein liberal individualistischen oder kapitalistischen
Gesellschaftsordnung überzeugt und sah das Heil in einer »freiheitlich -ge-
nossenschaftlich-korporativen Weiterbildung und Ergänzung der individualistisch
interessierten Produktionsweise in einem ökonomisch sogenannten Föderalis-
mus oder So/iotarismus . Vur Österreich speziell schien ihm das allgemeine
Wahlrecht im Gegensatz zu der bestehenden (jruppen- und Klassenvertretung
ein uncrlfifiliches Mittel zur sozialen wie auch zur politischen Reform. »Das
zentrifugale heutige Osterreich sollte in staatsmAnnischer Erkenntnis seines
Heils dem direkten allgemeinen Wahlsystem huldigen; dieses System wird die
großen materiell-humanen Kragen auf die Tagesordnung bringen, und in der
fruchtbaren Lösung dieser Fragen kann ()sterreich seiner zahllosen Sonder-
schichten Herr werden, denen es dafür im Gebiete und Umfang ihrer wahren
Berechtigung rückhaltlose Autonomie einräumen mag.« In diesen Worten lag
bereits sein Programm für die Heilung der Österreichischen Staatskrankheit.
Seine akadenn'schen Vorlesungen über Verfassungspolitik hatten ihn auch
zu Studien über das österreichische Staatswesen geführt. »Als ich 1868
berufen wurde, hatte irh von der iimeren staatsrechtlichen und politischen
Lage Österreichs auch nicht annähernd eine richtige Vorstellung.« Er hatte
mit Staatsmännern des absolutistisch-bureaukratischen Systems, wie Hock, in
Beziehung gestanden, aber diese waren jetzt durch den parlamentarischen
Zentralismus kalt gestellt. »Davon, daß der Zentralismus überhaupt bereits
bankerott war, derjenige Schmerlings und Auerspergs noch rascher und ent-
schiedener als der absolutistische Schwarzenbergs. Stadions, Brucks und Bachs,
hatte ich beim 1 bertritt nach Osterreich noch keine Ahnung.* Nun sollte ihm
der Glaube an die .Allmacht des Zentralismus zergehen. Im Umgang mit
seinem Kollegen Habietinek, Lehrer des Zivilprozesses, und dessen deutschen
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Schiffle. III
und böhmischen Freunden lernte er zum erstenmal die böhmischen Verhält-
nisse kennen. sDurth Habietinek überzeugte ich mich vor allem von dem
unbeugsamen Ernst der vereinigten streikenden tsdiechischen Majorität Böhmens
und des konservativen böhmischen Hochadels, namentlich erstmal vom Charakter
und von der Bedeutung der führenden Persönlichkeiten. Bestverleumdete und
»Feudale« lernte idi als bedeutende, vorurteilslose und brave Menschen kennen,
viele der liberalen Tagesgötzen des Parlamentarismus fand ich mit dem Kot
der Korruption beschmutzt.« Wie dann Sch. allmählich in die verhnn^niis-
volle Hahn ^^Tiet, die zum Ministerium Hohenwart führte, w ie im da^ Srlbst-
verirauen gewann, der Retter seines Adopliwatcrlaniics aus seinen verfassungs-
politischen 'Wirren zu werden, das hat er selbst in breiter Ausführlichkeit in
seinen Denkwürdigkeiten erzählt. Er wurde mit einem Grafen Dürckheim
bekannt, der Adjutant des Kaisers Franz Joseph gewesen und jetzt Mitglied
des Abgeordnetenhauses war. Mit diesem Dürckheim pflegte sich Sch. ül)er
vcrfassungspolitische Kragen zu unterhalten und eines Tages — es war im
Februar 1870 — bat ihn jener, ihm eine Darstellung seiner » österreichischen
Staatsgrundsätze« in die Feder zu diktieren. Das geschah denn »aus dem
Stegreif«, und durch den Grafen Dürckheim gelangte das Manuskript in die
Hände des Kaisers. Das hatte weitere Folgen, als unter dem Faiulruck des
dents( h-frauzösisrhen Kriegs der Kaiser den l^nfrietlen seiner X'ölker doppelt
>chwer empfand uiul eine neue Aktion des Ausgleichs mit Böhmen beschlossen
wurde. Es fand zunächst eine Konferenz bei Habietinek statt, der eine Denk-
schrift des Barons von Heilert zu Grunde lag als Ergebnis einer Sondierungs-
reise nach Prag, wo namentlich der Führer der Opposition Graf Clam>Martinic
zn Rate gezogen war, der auf der Aneiltennung des böhmischen Staatsrechts
in vollem Umfang bestand. Der Konferenz, die zunächst ohne Ergebnis war,
wohnte auch (iraf Hohenwart, ilcr Statthalter von Oberösterreich, an, mit dem
Sch. schon im April durch Dürckheim bekannt geworden war. Im Oktober
wurden die Anläufe zu einem Systemwechsel ernstlich erneuert. Dürckheim
führte Sch. zu dem Präsidenten des damaligen Obergangsministeriums, Grafen
Potocki, der sich glei(hfall^ die »Staatsgrundsätze vortragen ließ, und am
24. Oktol)cr hatte Sch., durch Potocki eingeführt, Audienz beim Kaiser, dem
er ^unverblümt das X'erdcrbliche und Naturwidrige des die Hevölkerungs-
mehrheit betlrückenden und kontumazierenden Systems einer parlamentarischen
Nationalitäts- und Klassenminoritätsherrschaft« auseinandersetzte. Diese Minori-
tätsherrschaft sei tatsächlich Herrschaft des Großkapitals mit Unterstützung
des doktrinären Liberalisnuis, des Beamten-, Advokaten-, Literaten- und Pro-
fessorentums. Als Gegengewicht gegen die Gefahr der ungarischen l'rnpon-
deranz, führte er weiter aus, müsse der Friede unter sämtlichen Völkern der
dics.Ncitigen Keichshälfte hergestellt werden, d. h. die volle tatsächliche und
verfassungsmäßige Gleichberechtigung unter dem Schutze des Kaisers, als des
Fürsten aller Kronländer. Dieser Friede aber beruhe auf dem Ausgleich
zwischen den Deutschen und den Tschechen. Diese beiden zusammen werden
dann einen so festen Punkt diesseits, wie die Mag>'aren jenseits der Leitha
bilden. In einer zweiten .Audienz am 29. ()ktober beauftragte ihn der Kaiser,
sich mit Hohenwart zur Bildung eines Kabinetts im Sinne der von ihm ent-
wickelten Grundsätze in Verbindung zu setzen. Noch aber dauerte es Monate,
bis das Ministerium zustande kam. Die Verhandlungen wurden im tiefsten
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112
Schiffle.
Geheimnis f^cführt. Heust vor allen, der Reichskuii/.ler, durfte nichts davdn
erfahren, der schon frülier einen Zusamniensioü mit Sch. gehabt hatte, ebenso
durften die Ungarn nichts davon wissen, und so war es eine völlige Über-
raschung, als am 5. Februar 187 1 die »Wiener Zeitung« die Bildung des Ministe-
riums Hohenwart ankündigte, das als über den Parteien stehendes, wahrhaft
österreichisches« Ministerium eingeführt wurde, Sch. hatte das Ministerium
des TTandels und interimistisch das des Ackerbaus übernommen.
Das neue Kabinett wurde in Wien mit einem S( Inei der Entrüstung aut-
genommen. Im Abgeordnetenhaus, das am 10. Februar zusammentrat, waren
die Minister, insbesondere »der junge Herr Handelsminister aus Schwaben«,
Gegenstand der heftigsten Angriffe von seitcn der Führer der Verfassungspartei,
der Herbst, Giskra usw. Es wurde ein förmliches Mißtrauensvotum beschlossen
in Form einer Adresse an den Kaiser, der al)or diese Kundgebung als vfaktiöse
Opposition« abwies. Neben der .Xusdehiiuni; <les Landtagswahlrei hts war der
wichtigste Teil des i^rograumis der neuen Regierung der Ausgleich mit den
Tschechen. Diesen nahm Sch. selbst in die Hand. Im Mai reiste er nach
Prag und führte dort die Verhandlung mit den Führern der Opposition, Alt-
und Jungtschechen. Die vereinbarten Hestimmungen wurden vom Grafen Ch\xn
in den vielberufenen ^ Fundamcntalartikeln zusammengefaßt. Die Forde-
rungen waren: .Ausgleich in denselben I-ornuii wie mit I rigarn, (Juoten-
system wie dort, Recht der Steuer- und der Rekrutenbewilligung, Ausscheidung
eines großen Teils der Gesetzgebung aus der Kompetenz des Reichs und
dessen Uberweisung an die Landtage, Verwandlung des Herrenhauses in einen
Senat, des Abgeorclnetenhauses in einen Delegiertenkongreß, schlie('l!( h Krö-
nungslandtag mid Krönung nach dem böhmischen Staatsrecht Diese Artikel
waren, sagt Sch., nicht die F.ndverabredung des zu schatfnuii'n .\usgleichs,
sondern nur der Ausdruck de.ssen, was äußerstenfalls den 1 Schechen einge-
räumt werden konnte, wenn die Vertreter der übrigen zisleithanischen Kron-
länder zustimmten«. Im September wurden sie dem böhmischen Landtag zur
vorläufigen Gutheißung vorgelegt. Später sollte zur Abänderung des Staats-
grundgesetzes die Zustimmung beider Häuser des Reichsrates eingeholt werden.
Zu diesem Zweck wurden die Landtage aufgelöst, aber sofort erklärten die
Deutschböhmen und der niederösterreichische Landtag, den nächsten Reichs-
rat nicht zu beschicken. Trotzdem fielen die Neuwahlen so aus, daft die
Regierung sicher auf eine Zweidrittelmehrheit zur Abänderung der Verfassung
rechnete. Manche der Einräumungen, die der böhmischen Adelspartei gemacht
worden waren, schienen auch Sch. und seinen Kollegen bedenklich, allein sie
gaben sich der Hoffnung hin , daß sich in den Verhandlungen mit den \'er-
tretern der anileren Kronländer noch etwas davon abmarkten lassen werde.
Eine fatalistische Hoffnung, wenn man den Tschechen ausdrOcklich gesagt
hatte, bis wohin man ihnen »äufierstenlalls« entgegenkomme. Indessen
waren aber die Gegner des Ministeriums eifrig beinuht gewesen, den Kaiser
umzustimmen. In der Aula gab es aus Anlaß der Rektorinauguration eine
große Demonstration, wobei die Minister beleidigt, dem Reichskanzler dagegen
große Ovationen dargebracht wurden. Die Beschwerde, die Graf Hohenwart
darüber beim Kaiser führte, wurde in einer Weise beantwortet, die ein erstes
Zeichen war, dafl der Kaiser schwankte. In einem Kronrat am 20. Oktober
reifte die Entscheidung. Die Reichsminister Beust und Andrassy machten
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SchUne.
mit K.rfol^ die rcchilirhen Hfcloiiken gegen die l-'unilaineiitalartikel, wie ihre
Gciahrcn für tlie auswärtige Politik geltend. Zwei Entwürfe eines kaiserlichen
Reskripts an den böhmischen Landtag standen zur Debatte : Der Entwurf des
Ministeriums Hohenwart enthielt eine verbindliche Anerkennung der Rechts-
an^rüche des Königreichs H()hinen, in dem anderen Entwurf, von den Reichs-
ministem vorgelegt, wurde der l)ühniische Landtag kurz und bündig aufge-
fordert, seine Vertreter zu dem Werk tler Versöhnung in den Reichsrat zu
entsenden. Am nächsten Tag entschied der Kaiser für den Entwurf der Keic iis-
minister. Damit war die Entscheidung gefallen. Schon am 23. Oktober über-
reichte Sch. dem Kaiser sein Entlassungsgesuch, das am 30. Oktober mit
demjenigen sftmtlicher Minister genehmigt wurde. Die Ära Hohenwart machte
wieder einem liberalen, zentralistischen Kabinett Platz. Kein anderes der
vielen Ministerien, tlie sich an tier Sisyphusarbeit des Nationalitätenaus<,'Icii hs
in Osterreich abgenutzt haben, ist den .Ansprüchen des b(')hiiiiM hcn Staat^-
rechtb soweit entgegengekommen, wie diu» Ministerium Ilohenwari, und die
Dentschösterreicher haben es Sch. niemals vergessen, daß er bei dieser Aktion,
die sie als den stärksten Vorstoß gegen das Deutschtum und gegen die Reichs-
einheit betrachten, mitgetan hat, ja die führende Hand gewesen ist, er der
Deutsche, der Ausländer, der nach eigenem (lestäiuliiis iiocli vor kurzem ohne
alle Kenntnis der ö.^terreichischen Staatsverhältnisse {gew esen war. Sic erac htcn
es als verhängnisvoll für alle Zeiten, daß die 1 Schechen, die so dicht vor
dem Ziel ihrer Wünsche standen, eben dadurch in ihren Ansprüchen nur be-
stärkt werden konnten. Sch. selbst blieb hartnäckig überzeugt, daß ihm mit
dem verwerfenden Urteil über seine staatsmännische Episode schweres Un-
recht geschehe, daß er mit den Fundamentalartikcin die richtige NTittc zwischen
Zentralismus und Föderalismus gefunden habe, daß er auf dem rechten Wege
gewesen sei, den Völkern Österreichs den Frieden zu bringen; er ist noch in
seinen letzten Publikationen bemüht gewesen, sein damaliges Regierungs-
programm theoretisch aus seinem staatswissenschaftlichen System heraus zu
begründen.
Im Besitz des Ehrenbürgerrechts tschechischer Städte, begleitet von den
Verwünschungen der Deutschen, hat Sch. nach diesem Mißerfolg als Staats-
mann Wien im Jahre 1872 wieder verlassen. Er hat von da an in seiner
sdiwäbischen Heimat, erst in Cannstatt, dann in Stuttgart gelebt, als Privat-
mann, in voller Unabhängigkeit, ganz mit seinen schriftstellerischen Arbeiten
beschäftigt, die bis 1878 rein wissenschaftlich, von da an iilicrwiegcnd prak-
ti>cb-publizistischer .Art waren. Zunächst suchte er tiurch philosophische und
natnentlich naturwissenschaftlii hc Studien die (Irundlage zu gewinnen für das
groüe Werk, das sein Hauptwerk werden sollte, und das unter dem Titel:
»Bau und Leben des sozialen Körpers« in 4 Bänden 1875 — 1878 erschien.
Sch. faßte darin die gesamte soziale Tatsachenwelt zusammen, sie in ihren
Organen, ihren Funktionen, und ihren Erscheinungsformen analysierend. Das
Buch führte den Untertitel : F.nzyklopädischcr Entwurf einer realen .Anatomie,
F'hysiologie und Psychologie der menschlichen ( Icscllschaft mit besonderer
Rücksicht auf die Volkswirtschaft als sozialen Stoffwechsel.* Kt war nämlich
überzeugt, daß »der soziale Körper mit den Energien organischer Körper
und mit den Kräften der anorganischen Natur denselben äußeren Lebens-
bedingungen gegenübersteht, welchen auch die Organismen ihr Leben abringen«.
Biogr. Jahrboeh o. Dcuiaclier Mckrolcv. 8. Bd. 8
114
SchSfrie.
Das (Ilfichuewirlit der pcrsimliihcii lU'staiultcilc des Wirtschaflskörpers ist
ihm zufolf^o c'l)ens() i^t-wissi-ii iiiKT>< luiltcrli( hfn X'orau.sset/unficii unlcTWorfen,
wie Ua.sCilcii hgcw ii ht tlcr Jk^iaiulteile im gesunden Mcnschenköiper. In diesem
Sinne übertrug er den Gedanken der organischen Einheit vom Menschenkörper
auf Wesen und Bau des sozialen Körpers. Man hat ihn deswegen der biolo-
gischen Schule zugezählt, ihn als ' Orpaniker l)ozei( hnet, seine AMiänjiigkeit
von Spencer behauptet. Kr seihst hat stets mit Nachdruck betont, <hdJ er
die Anah)gien, die er in allen sozialen Krsi heiiiunus<^ebieten fand und durch-
zuführen suchte, eben nur Analogien seien, niclit Homologien, nur Gleichnisse,
die zur Verdeutlichung dienen, Mittel der Pfadfindung. Daß Spencer auf
ihn von Einfluß gewesen sei, hat er ausdrücklich bestritten. Wirklich finden
sich die Ansätze zu seiner Auffassung \ on der gesellschaftlichen Entwicklung
der Massen schon in seinen frühesten Sc hriften.
Kine solche (lesamtdarstellung der ( iesellschaft in allen ihren l-unktioiu'n
und Einrichtungen von der sozialen Zeile bis hinauf zu den staalliciien CJe-
bilden, zu Schule und Wissenschaft, zu Kunst und Religion war in Deutsch*
land noch nicht geleistet worden. Mit ungemeinem Scharfsinn, in einer
freilich oft gesuihten Terminolo- ie ist die bauliche und die funktionelle
Differenzierung iler ( lesollschaft dmt hgeführt, sind ilie verschlungenen Kreis-
läufe des in Kanipten aller Art si< h dahinwälzenden Menschenstronis verfolgt,
ist der gescllsciiaftiiche Daseinskampf als ein Fortschreiten von \ ernichtuiig
durch ausweichende Anpa.viung zu immer mehr Geselischaftsbildung, mithin
zur Zivilisation, zu Recht, Sitte und Moral beschrieben. »Schäffle hat zum
erstenmal in das funktionelle Zusammenspiel der gesellschaftlichen Krschei-
nungen Licht gebrai ht. Der von ihm geschaffene Hegriff der gestaltlicheii
und funktioTiellen Differenzierung der (Iesellschaft stellt eine so bedeutende
(ledankenleistung dar, dali von ihm mehrfach die (irünilung neuer Teiidiszi-
plinen ausgegangen ist, und er noch auf lange Zeit hinaus die sozialwissen-
schaftliche Einzelforschung befruchten wird.« (Spann.)
Doch wie der menschliche Köri>er, so hat auc h der soziale Körper seine
Krankheiten und Milibildimgen, der Kreislauf wird gehemmt und kommt ins
Stocken, das (lleichgew i< ht der evolutionistischen Fortschrittsbewegung der
(iesellschaft erleidet Störungen, daher die Notwendigkeit heilend einzugreifen,
daher bei Sch. neben seinem theoretischen Aufbau der bestandige Drang,
sich von der Anschauung des Ganzen aus in den Tatsachen zu orientieren
und sein Wort in die brennenden Zeitfragen zu werfen. Dazu empfing er
nun einen mächtigen Anstoß durch den großartigen Ausbau der deutschen
Reiclispolitik, wie er sich unter Bismarcks l-ührung vollzog. Der ehemalige
Großdeutsche hatte sich bald mit der IJismarckschen Schöpfung ausgesöhnt,
und sie zog ihn um so mehr an, er sah sich um so stärker zum Mitschaffen
angeregt, je mehr die Wirtschaftspolitik des Reiches in Bahnen einlenkte, die
im Einklang mit seinen wissenschaftlichen Grundansichten waren. »Bismarcks
Staatskunst hat mich von nun an immer stärker gefesselt. <^ Hatte er zum
Sozialistengesetz eine gegnerische Stellung eingenommen, so stand dagegen
seine Feder in der Frage der Kei( hseisenl>ahnen , tles Tabakmonopols, auch
in Sachen der Kolonialpolitik und des Flottenausbaus auf des Kanzlers Seite.
Eine große Reihe von staatswissenschaftlichen Abhandlungen erschien in dieser
Zeit, meistens in der von ihm redigierten Zeitschrift; sie betreffen die Ver-
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SchKffle.
fassungspolitik, die Theorie der Viilk->\ cnrt tiiiii;. die Verhältniswahl , die l'.in-
rirhtuni: von W'irtschaftskainnicni . Aihcitcrvcr^ichorung , Arbeitorschiitz , Woli-
nun^srctoriii , a[,'rarischc Prublcine; Aufsatzf, tlie dann in den zwei Händen
der Kern- und Zcilfragen^' ge.sanmiell sind unti die wohl eine gröliere Wir-
kung gehabt hitten, wenn nicht Sch.s Schreibart an einer gewissen Umständ-
lichkeit und Schweriälligkeit litte. Am meisten Aufsehen machte seine Schrift:
()uiiUe>senz de> Sozialismus , der er gleichsam als Ergänzung s Die Aussichts-
losigkeit der Sozialdemokratie folgen ließ, zwei Schriften, die aufs Neue
bewiesen, daü er sich in keine l'arteischablone einfü^^en lielJ, iiml die nur
scheinbar einander widersprachen. Schon in seinem Hauptwerk halte er
ausgeführt, daß die geschichtliche Entwicklung unaufhaltsam der sozialistischen
O^anisation der Gesellschaft zustrebe; er nehme, hatte er gesagt, den Sozi-
alismus «sehr emsthaft« , kOnne aber für jetzt »wetlcr die tatsächlichen
Bedingungen noch die klaren Gedanken vorfinden, wie sie ein alsbaliliger und
positiver Durchbrurh des Kollektivismus heischen würde . Einmal hat S( h.
auch d:vs biographische Gebiet betreten. Er schrieb für die Allgemeine
Zeitung« und später für Bettelheims Führende Geister»^ ein Lebensbild des
Buchhändlerfürsten Johann Friedrich Cotta. Die hervorragende Beteiligung
Cottas an den württembergischen Verfassungskämpfen 1815 — 1819, sowie dessen
Verdienste um das Zustandekommen des Zollvereins hat Sch. zum erstenmale
aktenmäOig belegt.
Die Frage <ler Atbeiterversicherung hat ihn auch einmal in persr>nliche
Berührung mit Bismarck gebracht. Als Bismarcks erster L'nfallversiciierung.s-
entwurf erschien, unterzog ihn Sch. einer Kritik in der »Allgemeinen Zeitung«
und schickte diese Arbeit im Oktober 1881 dem Reichskanzler zu. Es knüpfte
sich daran ein längerer Briefwechsel, und die Folge war, d:is Sch. dem Reichs-
kanzler einen ausgearbeiteten ( lesetzesentwurf für Gesamtorganisatinn einer
bcrufsgenossenschaftlit hen .\rbeiterversicherunu iibersandte. worin er besonders
die Vorzüge einer korporativen, bcrutlicli und lerriturial gegliederten \er-
sicherung im Gegensatz zur Schablone der Privatversicherung hervorhob.
Zuletzt wurde er auch zu einer persönlichen Besprechung mit dem Fürsten
nach Berlin eingeladen, die am 3. Januar 1882 stattfand. Der Verkehr mit
Bismarck kam dann aber ins Stocken; dieser zog der Gesamtorganisation ein
bedächtiges X'orgelKii Schritt für Schritt vor, überlielJ die weitere Ausfiihrung
der Kniwürfe seinen Räten, und so wurde die Sache, die sich Sch. als eine
einheitliche zusammenhängende Organisation gedacht hatte, »zunächst zerhackt,
plan- und einheitslos« gemacht. Immerhin blieb ihm die Genugtuung, daß
seine Anregungen nicht ganz unwirksam gewesen waren, und daß nach seinem
Rat der .\nfang mit der Krankenversit lu-rung gemacht wurde.
Zu seinem 70. Geburtstag, 24. Februar iqoi, >^ind Sch. zahlrei( he Beweise
von Führung und Anerkennung aus den Kreisen der Fachgenossen zuteil ge-
worden. Besonders erfreute ihn eine Festschrift, die ihm von sechs akade-
mischen Lehrern: Bücher, Fricker, Funk, Mandry, v. Mayr, Ratzel gewidmet
wurde. In demselben Jahre griff er noch einmal mit fsat leidenschaftlichem
Eifer in eine ra<:esfrage ein: er unterwarf den neuen schutzzollnerischen
ZoJltarifentu urt einer schneidenden Kritik. In der Hcvorzuguni; iK r agrarischen
Interessen erblickte er einen störenden Eingriff in die naturgemälie soziale
Entuicklung. Kr fürchtete, daß ein starker Schutzzoll der hauptsächlichsten
8*
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Scbliffle.
Erzeugnisse des Croßfirundbesitzes, statt die technische und wirts( haftlirhc
Kncrgie der Latifinidicnträger zu erzielen, vielmehr ihnen eine Art von Ruhe-
polstcr gehen nunhle, wodurch che Auslese im Lebenskampf der Nation zu
ihren Gunsten in rückläufigem Sinn beeinflußt werde. Auch zur Beutteilnng
der Landwiftschaftsbedrängnis suchte er den weitesten, den soziologischen
Gesichtskreis zu gewinnen. Das letzte, was er schrieb, war von dem gleichen
Gedanken erfüllt; es sind die Neuen Beiträge zur Grundlegung der Soziologie,
die 1903 und zum Teil erst 1904 narh seinem Tode in seiner Zeitsi hrift er-
schienen. Sch. unternahm darin eine umfassende Revision der (irundbegrifte
seines Hauptwerks und schloß mit dem bezeichnenden Satze: »Von Hause
aus verfehlt rnüfite eine Therapie erscheinen, welche auf internationaler
Verkehrshemniung begründet wäre. Das hauptsächlichste Mittel zur Abhaltung
untl Einschränkung fler internationalen Störungsinterdependenz, die Hemmung
des (lüterverkehrN dunh Protektion und IV«>hil)ition, stellt sich unter dem
soziologischen (iesichtspunkt alN ein l)estentalls nur beschränktes wirkungs-
fähiges Heilmittel nationaler Politik dar.«
Mitten aus der Arbeit rief ihn der Tod. Am 25. Dezember 1903 erlag
er einer rasch verlaufenden Nierenkrankheit. Bis dahin durfte sich der stark-
gebaute Mann einer Konstitution erfreuen, die unablässiger geistiger Produktion
gewachsen war. In den Jahren i.Soq bis iqoi schrieb er seine Lebenserinne-
rungen nieder, die na« h seinein Tode veriiftentlic ht worden sind. Man gewimit
aus ihnen den KiniUuck. einer kraftvollen, auf sich selbst gestellten, ihres Wertes
vollbewuflten Persönlichkeit. »Einsam und trotzig«, dieses Motto steht Über
dem Buche — eine treffende Selbstcharakteristik. Was Sch. geworden ist,
ist er durch sich selbst geworden. Kr ist keiner wissenschaftlichen Schule
beizuzählen und hat auc h nur kurze Zeit im Hann einer politischen Partei
gestanden. .Xufrec ht und stolz auf seine Unabhängigkeit ist er durchs Leben
gegangen. Kr rühmte sieh, daß kein Orden seine Brust bedeckt hat. Charak-
tere, die sich einsam, aus eigner Kraft ihre Stellung erkämpfen, nehmen leicht
etwas hartes, herbes an: liebenswürdige Züge wird man bei ihm nicht ent-
decken. Auch erkennt man leicht, daß er nicht zufrieden war mit der An-
erkennung, die er gefunden; er hatte eine starke Anlage zu argwöhnischen
Anwandlungen, die sich bis zu einer Art von \ erfolgungswahn steigern konnten.
Mit bitterem (iroll gedachte er mancher Zeitgenossen, währentl er seinen groß-
deutschen 1 reunden von vormals und den üesinnungsgeno.ssen, die er in
Ostenreich gefunden, eine warme Anhänglichkeit bewahrte. Aus seiner poli-
tischen Vergangenheit war ihm etwas Zwiespältiges geblieben, auch als er
sich ganz mit den Aufgaben des neuen Reiches erfüllte. Ob er mit wirklicher
Befriedigung auf sein Leben zurückgeblickt hat? Auf politischem Boden war
ihm eine Enttäuschung na( h der anderen beschieden gewesen. Die Zoll-
einigung mit Österreich, die Bundesreform nach dem großdeutschen Programm,
der Ausgleich des Völkerstreits in Osterreich — an diesen Unmöglichkeiten
hat er sich vergebens abgearbeitet. Er verbarg kaum die Empfindlichkeit
darüber, daß man ihn in Wien so sang- und klanglos hatte fallen lassen und
daß auch sein Zusammenarbeiten mit Bismarck im Sande verlief. Ein origi-
naler Denker ist er in seiner Wissenschaft gewesen um! tlas ist seine bleibende
Bedeutung. ^^An schöpferischer Rrafi und Ursprünglichkeit, an Tiefe und
Selbständigkeit des Denkens, an Unverzagtheit der Meinungsäufiening werden
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Sdiiffle. Klopp.
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ihn wenige seiner Zeitgenossen erreichen < (K. Bücher) Sciiu' so/.ialwisscn-
srhaftlirhcn Entdcrkungcn , wie er sie selbst nennt, haben Widersprucli
erfahren, aber auch (he Gegner stellen nicht in Abrede, daü sie ein Ferment
der sozialpolitischen Entwicklung geworden sind.
ScbBffles Schriften in Buchform sind: Die Nationalökonomie oder allgemeine Wirt-
schaftslchrc, Leipzig l86l. Die 2. Auflage erschien unter dem Titel: Das gesellschaftliche
System der nien.'>chlichen Wirtschalt, rül)ingen 1867. Aufl. in 2. ltdn.. riil)in>;en 1873.
— I ber die ethische Seite der natiünalokonomischen Lehre vom Wert, 1 ultingcn 1S62. —
Die nationalökonomische Theorie der ausschlieBenden AbsatzverbKltnisse , TUbingen 1867.
— Kapitalismus und So/iali-iiui-> . Tübingen 1870. 2. Aufl. 1878, — Die Quintessenz, des
Sozialismus, (lotha 1873. 13. Aull. 1S91. H.ni und Leben des sozialen Körpers, 4 I'eilc,
Tübingen 1875 — 78. 2. AuH. 2 lide. 189b. tliuyklopädie der M.iatslehre, TUbingen 1878.
— Die Grundsätze der Steuerpolitik, Tfibingen 1880. — FOr internationale Doppelwfthrvng.
— Der korporative Hilfskassenzwang, Tübingen 1SS2. 2. Aufl. 1884. — Die Inkorporation
de< Hypothekenkredits , Tübingen 1883. Vereinigter Wr.sicheninq^-;- und .spardien<t bei
/wang>hiltäkas$en, i uliingen 1884. — Die Aussichtslosigkeit der .Sozialdemokratie, l Ubin-
gcn 1885. 4. Aull. 1891. Gesamroelte Aufstttse, 3' Bde., Tobingen 188$— 87. — Be-
kSmpfiuig der Sozialdemokratie ohne Ausnahmegesetz, Tübingen 1890. — Kern- und Zeit*
fra«rcn . Berlin iS<)4. Neue Knlfro 1S05. - Die Steuern. 2 Hdc., Leipzig 1895 07, —
Neuer Beitrag zur nationalen Wohnungsretorm (gemeinsehaltlicli mit P. Leehler), Berlin 1897.
— Die staadiche Wohnungsftlrsoige, Berlin t9oa — Ein Votum gegen den neuesten Zoll«
tarifentAurf, Berlin 1901. Aus meinem Leben, 2 Bde., Berlin 1905.
Außerdem mehrere .\rtikel im r>Staat<\vi>rlerbuch« von Bluntsohli und Brater, und im
»Handwörterbuch der Staatswissenschahen« ; zahlreiche Aufsiitzc und Abhandlungen m der
»Dentschen Vierteljahrsschrift«, in der »Zeitschrift fBr die gesamte Staatswissenschaft«, in
der »Allgemeinen Zeitung«, im »Schwäbischen Merkur«, in der »Zukimft« usw.
HnuptqucIIe der l^iograjjhie sind die Denkwürdigkeiten: Aus meinem l.ebcn. Da/u
vergl. Karl BUcber und Dr. Othmar Spann in der »Zeitschrift für die gesamte Staatswi.ssen-
schaft«, 6a Jahrg. 1904. Dr. H. Losch im »Schwftb. Merkur«, 5. Mirz 1904. K. Jentsch
in der Wiener »Zeit«, 27. Dez. 1903. W. Lang.
Klopp» Onno, Historiker, kgl. hannoverscher Hof rat, * 9. Oktober 1833
in I-eer, f 9. August 1903 in Wien. — K. war von den zwölf Kindern des
Kaufmanns Wiartl Klopp in Leer in Ostfrieslaiul das fünftältcstc. K.-v \'ater
marhte die Tiefreiungskriege 1814 und 1.S15 als freiwilliger Jäger unter preu-
ßischer Fahne mit und vermählte sich bald nachher mit Klara Verford aus
Vechta. Die Familie Kh>pp, seit Generationen in Leer ansässig, war lutherisch.
Wiard Klopp starb schon im 43. Lebensjahre an einer akuten Krankheit.
K. wurde, nachdem er das Progymnasium in Leer durchgemacht und seine
Begabung zum Studium bewiesen, auf da.s Gymnasium nach Finden gesc hi« kt.
Hier genoß er unter tüchtigen Lehrern eine vortreffIi( he X'orbildung, so dalJ
er mit einen) glänzemlen Maturitätszeugnisse Ostern 1841 die Lnivcrsität
Bonn beziehen konnte. Dort hörte er hauptsächlich philologische Vorlesungen.
Er trat dem Korps Westphalia bei. Ostern 1842 ging er nach Berlin, wo er
philologische und theologische Kollegien besuchte; das fünfte und sechste
Semester brachte er wieder in Bonn zu. Im .\pril 1844 wurde er in Göttingen
immatriktilicrt und begann sich mm auf das philologische Staatsexamen vor-
zubereiten, welches er im Frühling 1845 mit sehr gutem Krfolge ablegte.
Bald darauf wurde er in Jena zum Doktor der Philologie promoviert. Auf
der Rflckreise in seine Heimat stellte er sich in Hannover dem Oberschul-
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Klopp.
kollcgiuni vor, um seine Rewerhini},' für «las I .clirfacli aii/uincl<lcn. Im Ok-
tober 1845 engagierte der Magistrat von Osnabrück K. als Lehrer am dortigen
Ratsgymnasium und er blieb in dieser Stellung bis zum Juli 1858. Das Jahr
1848 wirkte nach der Richtung anregend auf K., daß es ihm ein Antrieb
wurde, auf die geschichtliche Kntwirkelung der hesteliendeii politischen \'er-
hältnisse zurüek/ugelien. Auf dorn ]>ädagoj,fis( lK'n ("lehiett- liatte K. sic h schon
vorher schriftstellerisch betatif^t durch die St hrift: Die Reform der (lymiiasien
in Betreff des Sprachunterrichtes. Kr phiidierle in derselben für Kinführung
der modernen Sprachen auf dem Gymnasium, und zwar gleich zu Begiiui des
philologischen Unterrichtes; die alten Sprachen sollten auf die neuen folgen.
Außerdem schrieb er \ iel in Zeitschriften. Zu seinen ersten gesi liichtlichen
Arbeiten gehörte eine Studie über tlie Wiedertäufer, weU he in der Mün( hener
Hauschronik erschien. Die l)edeutendste Arbeit, weh he K. als Kolla-
borator am Ratsgynmasium /.u Osnabrück sc hrieb, war eine dreibändige (be-
schichte Ostfrieslands. Hei dem dritten Bande kam K. in Konflikt mit den
Ständen von Ostfricsland, welche ihm bereits zu den ersten beiden Bänden
eine Subvention hatten zukommen lassen und nun bei der Sulnention des
dritten Bandes den Tadel hinzufügten, (bis Buch sei fein<lselig gegen den
Kiniig l'riedricli II. von l'reußen. K. verweigerte die Annahme dieser Sul>-
vention, die von einem l'adel begleitet war, für den nicht einmal der X'ersui b
eines Beweises erbracht. Die Sache machte großes Aufsehen und König
Oeorg V. von Hannover wies dem Historiker, dem er schon für den zweiten
Band eine goldene Medaille hatte überreichen las.sen, die Subventionssumme
aus seiner Kasse an. K. begab sich, um seinen Dank al)zustatten, in die
Sommerresidenz des Kiuiigs auf Norderney und dieser eröffnete dem (lelehrten,
dali er ihn ii'. seine Dienste nehmen wolle. Allein die .Minister fanden keine
geeignete Steile für K. inzwischen hatte «lieser mit der Ixhrerlaufbahn, die
ihn nicht befriedigte, abgeschlossen und war auch ohne eine gesicherte
Stellung zu haben mit seiner Familie nach Hannover übersiedelt, im Ver-
trauen darauf, daß er sich durch den bereits erworbenen Ruf eine Position
erringen werde. Die journalistisilie I nufbahn hätte ihm eine solche sofort
versc hafft, aliein er hatte die ausgesj)roc]Kiie Neif^iuig tles Forsoliers, dem die
Journalistik nicht zu.sagte. Im Jahre 1859 "iiithie K. eine Keise nach Eng-
land und besuchte auf dem Rückwege in Belgien den Grafen Villermont,
der gleich ihm Tillystudien betrieb. In jener Zeit spannte K. seine Arbeits-
kraft aufs äußerste an. Im Jahre 1860 erschien König Friedrich II. von
Preußen und die Deutsche Nation , im Jahre 1.S61 ►Tilly im dreißigjährigen
Kriege in zwei Bänden, außerdem liie Kieindi-utschen Clescliichtsbaumeister ■
und eine Keiiie kleinerer Schrillen. Der Tilly namentlich machte großes
Aufsehen. Der Kaiser von Osterreich, der König der Belgier und der König
von Hannover verliehen K. beinahe gleichzeitig ihre goldenen Medaillen für
Wissens( liaft und Kunst. König Max von Bayern sandte ein Handschreiben
und der Konig der Belgier liefi durch seinen Sekretär versichern, daß er den
Tilly ganz gelesen habe.
im Jahre 18O1 stellte K. durcii den Minister (irafen Kielman.segg beim
Könige Georg V. den Antrag, ihm die Herausgabe der Werke von Leibniz zu
übertragen. Die Genehmigung erfolgte balrl und in den nächsten Jahren war
die Durchforschung des gesamten literarischen Nachlasses von Leibniz auf
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*lcr Kiil. I^ibliotlu'k /u HannoviT K.s Hniiplnuf^'ahi-. K. hat <lic Srhroibweisc
l.eiViniz {cst^estclll, (loiui unter den Hunderten von l'nterst hritten des großen
Uelehrtcu tand sich keine mit Leibnitz. Nebenher beschäftigten K.s rastlosen
Geist viele andere Probleme. Er war für Norddeutscliland einer der bedeu-
tendsten Führer der grofideutschen Partei. In Folge dessen hatte er eine
ausgebreitete Korrespondenz und schrieb mehrere Broschüren sowie zahlreiche
Artikel in Zeitschriften und Zeitungen über die>e l'ragen. Der «■)sterrei( hischc
(lesandte in Hannover, Graf Ingelheim, war ihm ein treuer I'reund und (lönner,
ebenso die Legationsräte Haron Brenner und Herr von l'ilat. K. fand 1862
auch Zc*it, Gfrörers Gustav Adolph in vierter Auflage durchgesehen und
verbessert herauszugeben. Während des Fürstentages in Frankfurt 1863 tagte
daselbst auch eine großdeutsche V'ersammlung, welche K. 1)esuchte und wo
er sehr geehrt wurde. Zugleich arbeitete er an einem größeren Werke Deutsch-
land und das Haus Habsburg«, welches jedoch unvollendet geblieben ist.
Im Jahre i*S66 war es bis zu Karl V. gediehen und das Kapitel Karl v ließ
K. 1867 in den Münchener historisch-politischen Blättern als Studie erscheinen.
Zu Beginn des Jahres 1865 schuf der König Georg V. die Stelle eines
Referenten für das Archivwesen des Landes und betraute K. als Archivrat
mit den Agenden desselben. K. bereiste die Landesar( e .\urich, Osnabrück,
Stade und Hildesheim uml machte in Hezug auf das lielassi-n der .\rchivalicn
in <len Provinzen und das Zentralisieren derselben in der Residenzstadt \'(>i-
schläge, die heute im Prinzip nat h langem Für und Wider für die ünlnung
der preuOischcn Staatsarchive angenommen sind. Im Herbste 1865 unter-
nahm K. eine Reise nach Osterreich, die er bis nach Pola ausdehnte. In
Wien besuchte er in der Abteilung der Staatskanzlei fiir die deutschen \n-
gelegenlu-iten die I?arone Mcvsenlnig, Hiegeleben untl (lagern und betrieb
NachtorsrhunL'en in tlen k.ii'-erlit hen .\rchiven. Kr hatte aut h Audienz beim
Kaiser. Ln Dezember 1865 mai lue K. im (iefolge iles Königs die l eier mit,
welche in seiner Heimat zur Krinnerung an die fünfzigjährige Vereinigung
Ostfrieslands mit Hannover abgehalten wurde.
\'nn Beginn des Jahres t866 an war K. nicht mehr im Zweifel, dafi es
zum Kriege zwischen r)sterroich und l'reulJen kommen und auch Hannover in
Mitleidenschaft gezogen würde. Im .Vpril fand er eines Tages in der Zeitung
für Mord<leutschlantl einen preuUenfreumllichen Artikel; er sihrieb mit Kot-
stift unter den Titel des Blattes »Organ für die preußische Provinz Hannover«
und unterbreitete es so dem Minister Grafen Platen. »Sie sehen zu schwarz«,
erwiderte dieser. K. hatte jedoch offiziell an politischen Beratungen der
Regierung keinen Teil und ist auch vom Könige niemals zu soll hen heran-
_H>zogen worden. Seine \'orträge bei dem Konige l)etrafei" hauptsächlich
historische Fragen. Nur wenn (iraf l'laten einen t>sterreichfreundlichen
Artikel im offiziösen Blatte wünschte, berief er K., die preuflenfreundlichen
schrieb Oskar Meding. Bei den Hannoveranern war K. mit dem Odium be-
haftet, daß er sie katholisch mrfchen wolle. Anlaß dazu gal> ihnen, daß er
einmal einen Vortrag über Leilmiz" Verhällin's zu den kinhlichen Reuin'ons-
vcrsuchen gehalten hatte und dall er seine 'ri)( hter zu den L'rsulinen in die
Schule s( hickte. Weiter hatte es keine Gefahr.
Am 15. Juni 1866 stellte Preußen an Hannover das Ultimatum, entweder
Böndnis mit Preufien oder Krieg. Georg V. wählte den Krieg. Für K. wäre
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Klopp.
ein Verblciheii in Hannover unter jireußisrher Okkupation Nchr unangenolun
geworden, allein es kam nit ht dazu. V or seiner Abreise zur Armee nai h
Göttingen erteilte der König den Befehl, dafi K. ins Hauptquartier folgen
solle. In Göttingen stellte sich die Notwendigkeit heraus, Fühlung mit dem
Bundestagspräsidium in Frankfurt zu^haben. Graf Platen hielt Umfrage, wer
die gefalirlii he Tour unternehnicn wolle. Mehrcrc weigerten sich; K, eiklärte
sich bereit. Kr fuhr naehniittags ab und war nach ununterbrochener W'n^eii-
fuhrt am nächsten Tage abends 7 Uhr bei Uaron Kübcck in Frankfurt. Elf
Uhr nachts setzte er sich wieder in den Wagen und um 3 Uhr früh des zweiten
Tages machte er seine Meldung beim Grafen Platen. . Er war auf der ganzen
Tour nicht eher angehalten Wehrden, als bei den eigenen Vorposten. Der
Rat, den K. vfmi !?undesta^spräsidium mitlirachte, war der, die hannoversclie
Armee ino^'c durchs Werratal auf Fulda rnars( liieren, wo die Konzentr.ition
des 8. Armeekorps geplant war, sowie die V ereinigung mit den Bayern. Allein
der hannoversche Generalstab entwarf den Plan, über Heiligenstadt, Mühl*
hausen, Eisenach vorzurücken. So geschah es und K. befand sich am 23. Juni
im Hauptcjuartier zu Langensalza. Hier machte sich von neuem das Be-
dürfnis nach Fühlung mit den süddeutschen Verbündeten geltend und aber-
mals erklärte sich K. bereit, die verwegene Tour /u unternelunen, welche
direkt durt h die feindlit hen Vorposten führte. Die Kinzeiheiten dieser Tat
bind K.s Geheimnis geblieben, bekannt ist nur, daB K. in der Nacht vom
33. auf den 24. Juni Langensalza verliefl und in den ersten Nachmittagsstunden
des 25. Juni vor dem (a-neral von der Tann im bayerischen Hauptquartier
zu Bamberg stand. Der Kommandierende, Prinz Karl von Bayern, ebenso wie
sein rieneralstabschef von der Tann verhielten sich gegenüber den Nach-
richten, «lie K. von der Stellung der Hannoveraner gebracht hatte, teilnahmsh^s.
K. hatte sofort den Eindruck, daü die Absicht, eine Vereinigung mit der
hannoverschen Armee herbeizuführen, nicht bestehe. Schon von Inchtenfels
aus hatte K. seine Na« hrii hten über die Stellung der Hannoveraner nach
Wien, München und Frankfurt depeschiert. Aus dem bayrischen Hauptquartier
machte er sich selbst nach Wien auf den Weg. Kr berichtete dem Kaiser
über den Stan<l der Dinge und reiste in Hegleitung des hannoverschen (le-
sandien in Wien, von ilem Knesebeck, wieder ins bayrische Haupt<iuartier
zurück. Inzwischen hatte am 27. Juni das für die Hannoveraner siegreiche
Treffen bei Langensalza stattgefunden, jedoch zwei Tage darauf hatte König
Georg V. (laselb'-t kapituliert. Klopp begab sich nach Frankfurt zur Dispo-
sition des Haron Rubeck und reiste, als die TreulJen herannahten, über München
nach Wien, wo bald darauf Koni^ (ieorg \'. eintraf. K. war der Verfasser des
Friedensansu( hcns, weh lies Cieorg V. von Wien aus an den König Wilhelm
nach Nikolsburg sandte, welches aber von diesem nicht angenommen wurde.
K. blieb im Dienste seines Königs. In den ersten Jahren nach dem Kriege
veröffentlichte er aidu r einer zweiten .Auflage des Werkes »Friedrich II. von
Preußen mehrere Hrosi luiren zur Klarstellung der Vorgänge von 1866. Dann
begab er sich an V orstudien zu s<.iiu in grolien Werke: Fall des Hauses Stuart
und Sukzession des Hauses Hannover in tjrolii>ritannien und Irland im Zu-
sammenhange der europäischen Angelegenheiten (1664 17 14). Im Jahre 1870
studierte er zu diesem Zwecke in den Londoner Archiven.
Die Vollendung der Leibniz-Ausgabe, von welcher er bis 1866 fünf Bände
l
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Klopp.
I2t
hatte erscheinen lassen, wurde K. unmöglich gemacht durch die Weigerung
Bismarcks, iliin au-^ (kr lUhliothek in Hannover ferner Material verahfolf^en
zu lassen. Die fran/.()sisrhe Akademie der W'issensi liaften erliel5 1S69 ein
Schreiben an K., in welchem sie die l nterbrechung der Ausgabe im Interesse
der Wissenschaft bedauerte. K. hatte jedoch aus der Zeit vor 1866 noch so
viel Material zusammengerafft und durch Mittelspersonen nachher sich zu
verschaffen gewufit, daft er die ganze historisch-politisrhe Serie in 11 Bänden
abgeschlossen edieren konnte, den Ictzteti Band im Jahre 18S4.
In ch\s Jahr 1873 fälh K.s (^bertritt zur katliolisrhen Kirche. Seit seiner
Schrift »Katholicismus, i'rotestantismus und (iewissen.sfreiheil- , weh he 1857
erschien, erwog er, wie aus verschiedenen Aufzeichnungen hervorgeht, die
Frage, ob er seiner Überzeugung, dafl die katholische Kirche die wahre sei,
durch den formeMen (^l>crtritt gerecht werden müsse. Dazu kam, daß seine
Frau von Haus aus katholisch war und seine Kinder, denen er d.irin I'reiheit
gelassen, ^\r]\ für die katholische Kir< he erklart 1i,i(!imi \|s K. dem K("»ni_ue
(teorg \'. meinen Kntschluß anzeigte, erwiderte ilun <iie>er, daß er, ohne (hirc h
die vorgebrachten Gründe von der Notwendigkeit des Glaubcnswechscls über-
zeugt zu sein, ihm dennoch darin volle Freiheit lassen mQsse. Die lebhafte
wissenschaftliche Korrespondenz, welche der König mit K. unterhielt, erlitt
keine Unterbrechung. Ks liegen aus den Jahren 1869 bis 1878 siebzig Hand-
schreiben des Königs an K. vor.
In der Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrliunderts begann K.s ( iesi hicius-
unterricht beim Er/.herzoge Franz Kertlinand, der einige Jahre darauf auch
auf den Erzherzog Otto ausgedehnt wurde. Noch während der Dauer dieser
Stunden begann K. den Unterricht beim Herzoge Albrecht von Württemberg.
K.S immense Arbeitskraft war allen Anforderungen gewachsen. Kr hatte gleich-
zeitig umfangreiche Studien in den kaiserlichen An liiven zu machen. Von
1875 bis 1888 ers< liien diirclischnittlich in jedem Jahre ein band vom Kali
des Hauses Stuart. Im Jalire 1882 verlieli das Werk > Das Jalu 1683 und der
folgende grofle TQrkenkrieg bis 1699« die Presse. Nebenher hatte K. stets eine
ausgebreitete Korrespondenz, kam seinen dienstlichen Verpflichtungen gegen
den König Georg V. nach, die mit häufigen Reisen nach Gmunden verknüpft
waren und besorgte die Angelegenheiten seiner Familie auf das sorgfältigste.
Georg \'. starb am 12. Juni 1878 in Paris. K. begab sich zur Leic henfeier
dorthin, sowie zur Beisetzung nach Windsor. Von dort reiste er nach Ciro-
ningen in Holland, wo eine Zusammenkunft mit seiner betagten Mutter statt-
fand. Preufiisches Gebiet wagte K. nach 1866 nicht mehr zu betreten. Zum
fünfzigjährigen Priesterjubiläum des Paj)stes I,eo XIIT. 1888 widmete K. dem-
selben die eben vollendete Heransgabe des Briefwechsels zwischen dem Kaiser
Leopold L und dem Kapuziner Marco d'Aviano. Nach \'oiIendung von l-all
des Hauäcs Stuart<' begab sich K. an eine neue Auflage von lilly, welche
jedoch unter der Arbeit zur »Geschichte des dreißigjährigen Krieges bis zum
Tode Gustav Adolfe« in vier Bänden anwuchs. Aufierdem beschäftigten ihn
mehrere große Entwürfe, die nicht druckreif geworden sind: die Cleschichte
der Reformation, die (ieschichte des Deutschordens in Preußen, die Erlangung
der preußischen Königskrone und andere.
K. hatte sich bis ins hohe Alter einer guten (Gesundheit erfreut. Seinen
Si.Geburtätag feierte er unter zahlreichen Teilnahmsbezcugungen seiner Freunde
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Klopp.
VOM nah und fern, alirr oin liallu-^ Jahr darauf t'rh"tt er einiMi S( hla^'anfall,
von dein i r si< h ni( ht nii hr erholte. Kr starb in sctnem HauHC in Wieii-
TcM/iiig am 9. Antust 1903.
K. hatte von Jugend auf ein lebhaftes Interesse an grofi^ Weltbegcbcn-
hciten; ein starkes PflirhtbewuBtsctn und ein unwiderstehlicher Drang zur
Krforschunf,' der Wahrheit wohnte ihm inne. So viele deiner er auf dem
wissen>( haftli< hen und politisc hen (lehiete hatte, sie haben ihm in seinen
Sehriften keine neiuienswerten l nrii liti<ikeiten nac hweisen k(»nnen. \'on den
meisten wirti die Klarheit seiner Darstellung gerühmt. Durch das Streben
jedoch, kurz und klar zu sein, erscheinen seine Sätze hie und da allzu koin-
pakt. Er war für die Quellenforschung philologisch vorgeschult wie wenige
seines Faches, zudem las er alle Kult Ursprachen vom Schwedischen bis zum
l'ortugiesisrhen. Zur Würdigung seiner Tätigkeit folgen die Namen der
historisc hen l"ersc)nlic hkeiten , die er einstellend in seinen Werken l»eh:\n(lelt
hat: Barbarossa, die Halisburger, namentlich Karl V., Ferdinand II., Leopold I,,
Maria Theresia, Mel.inehthon, Moriz von Sachsen, Tilly, Wallenstein, Ciustav
Adolf, Ludwig XIV., Leibniz, Wilhelm III. von England, die letzten Stuarts,
Prinz Kugcn, Friedrich II. von Preußen. Johannes Janssen nannte K. den
ersten zeitgencissischen katholischen Historiker.
An \iis/ei( Iniungen l)esaß K. das Ritterkreuz des hannovcrM hen (iuelphen-
onlens, das Ritterkreuz I. Klasse des hannoverschen l"'.rnst .\ugustordens, die
hannoversche goldene Medaille für Wis.senschaft und Kunst, die Langensalza-
medaille, das Kommandeurkreuz des österreichischen I«eopoldordens, die
österreichische goldene Medaille für Wissenschaft und Kunst, das Komman-
deurkreuz des päpstüc lu n St. (Ire^oriusordens, das I lir Mikreuz ffv eccUsia et
pontifuc. die belgische .Medaille für Wissenschaft umi Kunst.
AN i^'uollc liir \ orstc'lu'iuio 1 ).itcn \\.\\ der gL'N;uiitc li.in<iscl)riltiii'hc XacliI.iU \i>n K.
gedient, dci sich un HcMt/c des Sohnes i inan/.rat Dr. Wiard KIupp, Wien .\i Ii' beimdet.
Kin Portrtkt von K., gemalt von Heinrich Vossberg, befindet sich im Schlosse des Herzogs
von Cumlierland in Gmunden, ein anderes, gemall von Baronin Wilhelmine Vogelsang, im
Besitze dc^ SoliiK-<i.
Iv- lolgcn die bedeutenderen Werke vun K.: i. Die Kelurni der (iyinnasien in betreff
des Spiacbuntemchte.«. Kin Entwurf. I.ei(jzig. Reichenbach 1848. — 3. Die Grundrcdhtc
des deutschen Volitcü, mit allgemein fafllichcn Erlüuterungcn nebst der deutschen Reichs-
vorl'.Ksun}?. O^nabrUok. Ka.-kliorst lS4<>. (liuiiun. der deutschen Jcifjond cr/iihlt. I eiivig.
Weidmann 1850. — 4. üesch Ichleu, charakteristische /üge und Sagen der deiUschen \ olks-
stämme aus der Zeit der Völkerwanderung bis zum Vertrage von Verdun. Nach den Quellen
craählt. a Teile. Iiripdg. Weidmann 1851. — 5. Leben und Taten des Admirals de Ruiter.*
Mit <Ic Riiiter'- Pdrtriit. Holzschnitt. Hannover. Rümpler 1S52. ( Titcl-l .\nsg. 1S58. - -
6. licscbiehlen unti CharakterzUgc der dcnischen Kaiäcr/.eit von 843 — 1125. Nach den
(Quellen erzählt. Leipzig. Weidmann 1852. — 7. Deutsche Gcschichtsbibliothck oder Dar-
stellungen aus der Wel^eschichte für Leser aller Stande, l'nter Mitwirkung verschiedener
flelehrter. 4 H.imlo. Hannover. KUmpIer l^^5^'- — ' beschichte von < >stfrieslaiid.
B inde. Hannoxer. Küinpicr 1.S54— 58. 9. .Studien über Katholizismus, Protestantismus
und (icwisscnsfreiheit in Deutschland. (Anonym.) Schaft'hau.scn. Hurter 1857. — lO. Wird
Deutschland wieder katholisch werden? Von dem Verfasser der Studien ttber Katholizismas,
Protestantismu«- und Ccwi-sciisfreiheit. f.Xnonym.) ."schalTbaiisen. Hurter \%yt. — iI.Das
Rcsiitutions-Kdiki in) nordwestlichen Deutschland. Aus den Korsohungen zur deutschen
Geschichte. 1. liand. G>>ttmgen. Diedrich 1860. — la. Der König Friedrich II. von Preußen
und die deutsche Nation. SchafTliausen. Hurter 1860. — 13. Das Verhältnis von Leibniz zu
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den kirobliclicu Kcuiiionsvcräuchcn in der 2. Iliilltc tlcs 17. Jhnlts. Vortr. im hisl. Vor. 1.
Nicdmachscn. Abdruck aus der ZciUchrift des \'creins. Hannover. Juncckc 1S61. — i4.Tilly
im jojähr. Kriege, a Rande. Stuttgart J. G. Cotta 1861. — 15. Die gotliaische Auffassung
der deutschen Cleschichtc und der National-Vcrcin. Mit l?cziehun}j auf »lic Srhrift (U's Herrn
>vf.c!: Die dcut>ohL' Nation und das Kaisertum. Hannover. Klindwoitli |S(.2. - lo. •»(Tencr
Hric'f an den Herrn I'rofessor HUusser in Heidelberg, betr. die An^ieliten über <len Konig
Friedrich II. von PreuBen. Hannover. Rlindworth 1862. — 17. Nachtrag xn dem offenen Brief
an den Herrn Professor HäuSi^cr in Heidelberg, betr. die .\n-i Iitcn ul i^r den König Friedrich II.
von I'reußcn. Hannover. Klindwortli 1S62. - iS. Kleiiuleut>elu < ie-^ hu ht-li.uinieiNter, l'rei-
i>urg i. b. Herder 1863. ly. Murgenstudien über die Regierungskunst von dem Könige
Friedrich II. von PieuSen, genannt der Große, geschrieben fttr seinen Neffen; Originaltext
mit gegenüberstehender t liersetzung. (Anonym.) i'reibuig. Herder 1S63. — 20. (Iu^t.i\ .Vdolph,
K -nig von Sehwcdcn und -eine Zeit von .\. !•'. < i fröre r. 4. .Xufl. naeh dem Tode <le> \'er-
fj*scrs durebgcstlien und verl>e>sert. .Suuigart. Kralibe li>i>^. - 21. Die Werke von l.eibniz
gemifl seinem hand.<H-hriftIichen Nachlasse in der königl. Bibliothek zu Hannover. Durch
die Muniii/en/. Sr, Maj. des Königs von Hannover ermUgliohte Ausgabe. 1. Reihe. Historiseh-
politiscbe ;in<! -taatswissen-ch.iftliche Schriften. I.- -II.Bd. Hnni\over. Klindworth 1S64- 1SS4.
— 22. Leibniz, der Stifter gelehrter Gesellschaften. Vortrag bei der 23. \°er>anunlung deutselier
Philologen und Schulmiinner zu Hannover. 1.ei|»ig. Tcubner. 1864. — ijt. Lcihnitii de
{xftdidoHe .Ugyptiaca Ludtn ico Sil'. Franciac regt proponcHdc. , ? . ^^mnia iiutic super-
sunt adjccta prtu/iitionc /tisii^rii oct iticii. //ann(K'critt. 7'y/<:s A .', /, ,.- '.';7/ . / vci^.
24. Leibniz. Vorsehlag einer friui/ösi.selieit Kxpeditiun naeii -Xgvjiten. L tier>ichtiicli , mit
Wiedergabc einiger der hauptsächlichsten Schriftstücke in deutscher Übersetzung und mit
kritischer Hei ücksichtigung früherer Publikationen. Hannover. Klindworth 1864. — 25. Ein
ratriotischo Wort an meine I.nndsleute von einem Hannoveraner. ' Anonyin,^ Wien. leiKilcr
iSOti. — 26. Studie über den Kai.scr Karl \'. (.Vnonym.) Historisch-politische ülatter. Hd. tx».
> Kolgen. München 1H67. — 37. Der König Kriedridi II. von Prcuficn und seine Politik.
2. neugearbeitete .\uflage. Sch-ilHiau-en, Httiter 1867. - - 28. Die prcuüische Politik des
rridericianisnm> nach Friedrich Ii. SchafThauscn. Hurter iS»>7. — .?<). I Lil)ni/ Plan iler
(«rüDdung einer Sozietät der Wissen»chaUen in Wien. Wien. K. k. Hui- und Maatsdruekerei
1868. — 30. RSckblick auf die preuSiscbe Annexion des Königreichs Hannover. MOndien.
J. 0. Weiss 1S68. 3 .\uflagen, - 31. Wer ist der wahre Erbfeind von Detitschl.ind : (.\nonym.)
München. W eiss j.S()S. - jji. Die H.m!in\ oraiu-r v or l- is<.n icli :un :?4. Juni i Sod. DTfcne-
.Seodschreibcn als Antwort an den koburgischeu Munster Herrn von Secbaeh. Wien. Mrau-
mfiller 1869. — 33. Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von
Hannover mit Aktenstücken. Wien. HraumUller 1S69. - 34. Der evangelische ()ber>Kirchenrat
in Berlin und das Konzil. (.Viionym."* I'reil>urg i. H. Herder 1S69. 35. Handhauer. Z u li irias,
die Katastrophe von Magdeburg 1631. Auszug aii.s dessen Tagebuch mit einer kritisch-
histori»dwa Cbeisieht Freiburg i. B. Herder 1874. — 36. Der Fall des Hauses Stuart und
die Sokxcsaitui des Hauses Hannover in Grofi-Britannicn und Irland im Zusammenhange der
europäischen \n<^el(.i,'cnheiten von lO'^io -1714. 14 Haiuie. Wien. Hraumliller iS7> — iSSS.
— 37. Zur Ehrenrettung von Leibuiz. Send>chreihen an die königliche Akudemie der Wissen-
«chaiten zu Berlin. Germania 1878. - 38. König Georg V. Kvcry inek a hing. Hannover.
Weieheh 1878. — 39. Das Jahr 1683 und der folgende grofle Tdrkenkrieg bis zum Frieden
• rm Carlovvitz ffi'i'». Hraz. Styria 1S82. — 40. Zur zweiten Säcularfeicr des \2. September
10S3, (iraz. Styria i8b2. — 41. Corrispondcnsa epistolare tra Leopolde I. impntitiMc cd il
/'. Marco tT Aviano Cttpuccmo» Bai ManaserUH är^inali HraHa e puMlieata. Graz. Styria
1888. — 4a. Der 3ojihiige Krieg bis zum Tode Gustav Adolfs 1633. 2. Ausgabe des
Werkes: Tilly im 3ojährij,'en Kriege. Hand 1, 2, 3. I und \\. Paderborn. Schöningh 1891.
— 43. Philipp .Mclaiichthon 1497 1560. Germania. Berlin iSy;. Sagen der Völker-
wanderung, Geschichten der sächsischen und salischen Kaiser, sowie Adiniral de Ruiter
• ^Nr. 5, 6 und 7) sind neu aufgelegt bei Wehberg, Osnabrück 1905. - Nachrufe: »Hist.«
1H)1. Blätter« CXXXil, 8 (1903). »Jahrbuch der Ges. f. bild. K. u. hi t. .Mt in Emden«
1905.
Dr. Wiard K lopp.
124
Lazarus, Moritz, orclcntlirher Honorarprofessor di-r Philosophie an der
l niversitiit Herlin, (klu iiner Regieruiigsrat, * 15. Sejjteniber 1824 in Filchne
(Provinz Posen), f 13. April 1903 in Meran ( rirol). — L. war der Sohn einer
jüdischen, in grofiem Ansehen stehenden Kaufmannsfamilie. Sein Vater, Aaron
Lcvin Lazarus (f 26. Februar 1874), gehörte zu den Schülern des grOflten
'ralinuclistcn deutscher Zunge am Anfange des vorigen Jalirlunidcrts, namens
Akiba Kger, dherrabhiner \on Posen. Alter Gepflogenheit gein.nß, vertrutj
sieh der kaufinänniselie 15eruf mit der nel)enamtlichen Khrenfunklion eines
Rabbinatsmitgliede.s und Mitvorstehers der Talmudschule zu Filehne bei Levin
Lazarus durchaus. Den Kinflufi des Vaters auf den künftigen Philosophen
können wir nicht hoch genug anschlagen. Hätte Vater I^azanis die an ihn
gerichteten Briefe seines V)erühmt gewordenen Sohnes ebenso ^nrt^fältig be-
hütet und getreulich aufbi-wahrt, wie beispielsweise die Kitern Herbert Spen-
cers, so kihuite man etwaige I.i'uken der Lazarus'schen Hi<»graphie aus diesen
Briefen, «lie meist in hebräischer Sprache oder doch mit hebräischen Lettern
niedergeschrieben waren, mit Leichtigkeit rekonstruieren. Mögen sich auch
zwischen Vater und Sohn ganze Welten an Anschauung und Kenntnissen, an
Eindrücken und Empfindungen dazwischen geschoben haben, so (hiß der
kulturlidie Abstand zwischen den zwei rienerationen, denen Vater unil Sohn
angelKMten , nicht nach Jahrzelmten, sondern nach Jalnhnnderten gemessen
werden müßte, so biliiele das 1 aniiliengelühl auf der einen, das religiöse
Empfinden auf der anderen Seite ein Bindeglied von unzerreißbarer Stärke
zwischen ihnen. Denn Moritz Lazarus war nicht etwa wie Spinoza ein philo-
soj)hierender Jude, sondern wie Mendelssolm ein jüdischer Philosoph.
In die im Jahre iS^ j begründete deutsche Schule in l'ilebne konnte
Moritz I^azarus aus konfessionellen Oründen ni» lu eintreten; er erhielt daher
— vom V ater für den Kaufmannsstaml bestimmt — eine vorwiegend tahnudi-
sche Bildung, wie dies in besseren jüdischen Familien noch in der ersten
Hälfte des JaJirhunderts, im Osten zumal, durchgängiger Brauch war. Sein
Geburtsort war ein konfessionell-nationaler Mikroskosmus. Das Städtchen von
3000 Einwohnern zählte zu je einem Drittel etwa Katholiken, I'rotestanten
und Juden. I nweit seines (leburtsortes lag ein j^olnisches I)()rfchen (Neu-
teich), das in Anlage und Gesittung ein Modell der ^polnischen Wirtschaft«
darstellte, während sein Geburtsort die »deutsche Zivilisation« repräsentierte.
»Dieses Bild«, sagte Lazarus später, »konnte ich nicht aus der Seele bekommen.
Weshalb diese Tnordnung unmittelbar neben der Zivilisation? Was wir natio-
nale Unterschiede nennen, war für mich ein Rätsei, das mir nachging. Die
nationale Kntwicklung in der Verschiedenheit der Kultur in allen Lebens-
formen war es, w;is später einen so beträchtlichen Teil meines Lebens aus-
gefüllt, was kristallisiert zur Entdeckung des Begriffs der Völkerpsychologie
geführt hat.«
F.l)en diese »Entdeckung«, welche L. stets als sein eigentliches Lebens-
werk selbst angepriesen hat und von allen an<leren als seine entscheidende
Leistimg angesehen wissen wollte, wurde unmittelbar na« h seinem Tode zum
Schibboleth absprechender Kritik auf tier einen, verhimmelnder Lobeserhebungen
auf der anderen Seite. Der Berliner Literarhistoriker Richard M. Meyer ver-
öffentlichte in der »Zeitschrift des Vereins für Volkskunde« (Bd. III, 320—324),
die ihrerseits nur eine Fortsetzung der von Lazarus mit seinem Schwager
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Lamus.
125
Steinthal l)c<irün(lctcn iiiul 20 Jahre fortgesetzten Zeitsdirift für \'öIker|)sy("ho-
logie und Sprachw issensrliaft- ist, einen Nachruf auf L., in wehheni das
Verhältnis) diesci» völkerpsychologischen Dioskurenpaares wie folgt gekenn-
tdchnet wird: »Im übrigen stellte sich die Arbeitsteilung im Anfang wohl
fost wie nach den Worten der Bibel zwischen Moses und Aaron: Steinthal
legte die Worte in den Mund des Bruders, der für ihn zum Volke redete.«
Darob ergrimmte die dem Meister Lazarus treu anhängende Verehrerschaar.
In ihrem Nunicn fuhrt Alfred Leicht, Lazarus der Hcgriinder der Völkerpsycho-
logie, Leipzig, Dürr, 1904, den umständlichen dokumentarischen Nachweis,
der sich auf die Worte Steinthals stützt: »Die Ehre, Begründer der Völker-
pqrchologie zu sein, kommt nicht mir, sondern dem Herrn Professor Laza-
rus zu. i
Dieser Prioritätsstreit, der unercjuicklich heftige Formen angenommen hat,
der aber — nach der chronologischen Seite — unzweifelhaft zu (Junsten L.s
entschieden ist, ficht die Wissenschaft um so weniger an, als es heute durchaus
fraglich ist, ob eine Völkerpsychologie als Wissenschaft möglich sei, vor allem
aber, ob sie als gesonderte Disziplin Daseinsberechtigung habe. Der Um-
stand, dafi Wilhelm Wundt seine Untersuchungen über Sprache, Mythos und
Sitte »Völkerpsychologie« Überschrieben hat. erluirtet ; noch lange nicht die,
mit Meyer zu sprechen, angefochtene Berec htigung dieser Disziplin. Man
vergleiche Wundts Aufsatz über ^ Wege und Ziele der Völkerpsychologie
(Phiiüs. Studien, Bd. 1888), und man wird die Umgrenzung, innerhalb
deren Wundt' eine Völkerpsychologie zuläfit, an den Loschen Ansprüchen
gemessen, recht enge finden. Augenblicklich werden diese Grenzen in einer
Preisaufgabe der Berner Universität (L. hat bei seinem Wegzug aus Bern
einen kleinen Fonds gestiftet, der uns gestattet, alljährlic h eine j)hiIosophische
Prei«;frage auszuschreiben und mit einem l)t si IkhIcmumi Preise zu i)cdenken),
des Näheren untersucht: »Xölkerpsychologie einst und jetzt^^ ist das Thema
betitelt, das einen Bearbeiter gefunden hat, über dessen Resultat hier noch
nicht gesprochen werden kann. Im übrigen hat bereits einer meiner Schüler,
Lazarus Schweiger, den genannten Lazaruspreis für nachbenannte Arbeit
erhalten: Philosophie der (Jeschichte, \'ölkerpsychologie und Soziologie-,
erschienen in meinen Herner Studien zur Philosophie und ihrer (ieschic hte ,
Bd. XVH, 1900. Das (bleiche gilt von den Arbeiten J. Seligers, >'Das soziale
Veriialten des menschlichen Individuums zur menschlichen Gattung« und
Hermann Kleins, »Individual- und Sozialethik in ihren gegenseitigen Be-
ziehungen« (Bemer Studien, Bd. XXXVI und XXXVII, 1904). An der Stätte,
die den Höhepunkt in der akademischen Wirksamkeit von L. bedeutete, ja
nach eigeiier .Aussage überhaupt den Zenith seines Lebens darstellti- — an
der Universität Bern — wird der Völkerpsychologie, seinem Lebenswerke,
fortgesetzte Aufmerksamkeit gewidmet. Wenn hier die Ergebnisse nicht
durchweg zu deren Gunsten ausfeilen, so liegt dies wohl daran, dafi uns
5S Jahre von der Begründung der Völkerjjsychologie trennen. Wir arbeiten
mit anderen Methotlen, nach anderen Gesichtspunkten, zu anderen Zwecken
und gelangen demgemäß zu völlig anderen Ergebnissen. Die Pietät gegen
Personen hat immer und unter allen l'mständen hinter den PHichien gegen-
über der Wissenschaft zurückzutreten. Es ist ewig schade, dali Stcinthal sich
in Paris so wenig von Comte beeinflussen liefi, dafi er vielmehr ziemlich
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126
Lazarus.
li;it/i^ uiul w c^w et IcikI üIkt «It-n W'if.is^cr der f'li'ilt'stfliii- poiitivi- an seinen
l' iciuul und naelunali^en Scluvager L. bcrit lUete. Kin vertictlcs Studium von
Comte, Condorcet und Vico hätte Stcinthal und seinen Pylades L. davon
überzeugt, dafi Comte im wesentlichen schon hatte, wonach sie suchten. Der
Xanie freilich war ein anderer, philosophisch verunglückter: Soziologie, Aber
die S.u lie war vorhanden. Spencers von Comte inspirierte Soziologie , die
iliei)reii^i he sowohl als aui h die deskriptive, baut in Wirklichkeit jenes
System aus, zu weh hem L. und Stcinthal in niclir als 25jäliriger gemeinsamer
Arbeit nur Bausteine geliefert haben. Um die Art dieser Zusammenarbeit noch
mit einem Worte zu streifen, so verteilte sich die Schillersche Forderung vom
Zusammenstimmen von > Anmut und Würde« dergestalt, daß auf Seiten L.s
tlie Anmut, auf Seiten Sieinthals ilie Würde vertreten war. Dati die Anregunj^
zur \'()lkeri)sycho]ogie von L. ausging, scheint mir ausgeinui ht. Kbenso halte
ich die entscheiden<le Arbeit des Jahres 185 1 über den Hegritt" und die Mög-
lichkeit einer Völkerpsychologie« in den Hauptzügen für d;is Erzeugnis L.schen
Geistes, so dafi die zeitliche Priorität nicht beanstandet werden kann. Aber,
wer wie i( h den Vorzug hatte, dem Castor wie dem Pollux der Völker-
psychologie gleich nahe zu stehen und besonders mit Steinthal Jahre hin-
durch nachbarlirh -treun<lschaftliche Beziehungen zu pflegen, wobei ich aus
meiner grenzenlosen \ erehrung für tliesen Wissenschafts-Heiligen ' niemals
und niemandem gegenüber einen Hehl machte, der wird der Wahrheit die
Ehre geben müssen: die Arbeitsleistung ruhte vorwiegend, wenn nicht aus>
schließlich auf den Schultern von Steinthal, während der Arbeitsertrag, natür-
lich tier ideelle, von Seiten Steinthals so geteilt wurde, daß er die größere
Hälfte dem damals noch vergötterten Schwager ül)erwies. In den ersten
Jahren hat \.. no( h Heiträge und Hes|)re< hungen beigesteuert, aber man
nehme die letzten \z Hände der Zeitschrift zur Hand, und man wird sich
überzeugen, dafi von einer Mitarbeit L.s — abgesehen natürlich von
der Mitunterzcichnung des Titelblatts — verschwindend wenig zu s{>üren
ist. Was mit Divination, (Irazie, glücklicher Eingebung und gefälliger, für
damalige Ohren einsc hmeichelnder Ausdrucksweise zu erreichen war, das be-
sorgte L. nnt Annuit, wo es hingegen auf's Hohren in die Tiefe, aufs (iraben
in den unteren .Sehn Ilten des Wissens, auf's Schürfen hinter und jenseits der
Oberfläche ankam, da war die Würde Steinthals am Platze. Mochten immer«
hin die Gegner von L. in die Welt hinausposaunen, seine Redeweise sei nicht
zierlich, sondern geziert, nicht graziös, sondern kokett, nicht Natur, sondern
Pose, so verschlägt diese üble \ai hrede gegenüber der 'rafs;i( he nichts, ilalJ
I.. gerade auf Srhwei/,erl»o< len , wo fm' alles, w.is K iiiistlichkeit und Mache
heilit, nur Hohn und Spott zu ernten ist, die nachh.illigste Wirkung geübt
und die dauerndsten Spuren hinterlas.sen hat
Der äußere Lebensgang von L. entbehrt nicht jener Tragik, die allen Über-
gangsmenschen, weh he den Weg vom seelischen Ghetto zum \m steuropäisch-
amerikanischen Kultursystem zurüt kgelegi haben, unabtrennbar anhaftet. Kine
gewisse l'nrast der l'roduktion und ein nervös- milllrauisehes Schielen nach
rechts und links, ob man ihm den L bergangs( haraktei entweder wirklich
anmerke, oder nur fühlen lassen wolle, sind psychologisch naheliegende,
wenn nicht ganz unausbleibliche Folgen <lieser wie aller Zwitterzustände. Selbst
die vielbesprochene Eitelkeit, der Ich-Rultus, die Selbstbeweihräucherung,
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LaiArus.
127
die gar manchen abstieß, hängt mit diesem l hergangscliaraktei zusammen.
Ihm war es gelungen, in einer einzigen Generation Jahrhunderte der Kultur«
entwicklung behende und unauffällig zu fiberspringen, vom Talmudschöler
des Ostens zum gefeiertsten populär-philnsnphischen Schriftsteller des Westens,
ja zum Rector magnificus einer deutsch -schwei/.ciiscluii Universität empor-
zuklimmen, ohne jenes sacnpzio ilel inUlUtto dar^H-hrarlit zu h.ihi'ii, das
den Taufschein als unerläUliches Kintrittsbillet in die Walhalla lies akade-
mischen Lehrerbenifs forderte. Und wäre L. seinem Lehrerbemf in Bern
treu geblieben, so würde sich sein äußeres Leben vielleicht minder glanzvoll,
aber sein wisscnsclKiftliches Wirken sicherlich unvergleichlich reicher und
machtvoller entfaltet haben.
Dem Kaufmannsstande er war Kaufmannslehrlin<f in Posen — sagte er
ebenso rasch \ alet wie Si hopenhauer. Wie diesor bereitete er sich privatim auf's
Gymnasium vor, das er 1844 in Braunschweig bezog und 1846 mit dem testimonium
maturitatis verlieft. Direktor Kröger und der Herbartianer Griepenkerl, seine
Lehrer, erkannten die hohe Begabung von L., die dieser besonders in einem
Vortrag Religion als Bildungsmittel- an den Tag gelegt hatte. Vorträge
waren überhaupt sein wissenschaftliches Lebenselement; er war der geborene
Ke<lner un»l KNsayist. Weim man mit der laipe zusieht, stellen sich alle
Werke von L., selbst die anscheinend geschlossensten, wie »Das Leben der
Seele«, als Vorträge, Gelegenhcitsschriften oder Essays dar. Und wenn seine
»Ethik des Judentums« der Form nach ein Ganzes, Einheitliches zu sein be-
absichtigt oder prätendiert, so wird der Kenner unschwer die F^en heraus-
finden, mit welchen die einzelnen Essays notdürftig zu einem anscheinenden
(iaii/cn /usanimcngenäht sind. Das Abrupte, Aphoristische, der (Icdankcn-
spiiiier, das IMölzliche, iler Kintall das ist das wissenschaftliche Leben.s-
element von L.
Schon in Braunschweig begann er Kant, Hegel und Herbart zu lesen,
daneben besonders Geschichte der Philosoi)hie zu studieren. Im Sommer 1845
war er mit seinetn Lehrer ( Iriepenkcrl, einem Herbart-Srhüler, schon Bruder in
Herbart ; sie sind gciiK'iiis* Iiafilich Photographien, w obei L. ein IJild Herl)arts
in der Hand hielt. Die geschlo.ssene Art des Denkens, wie sie Herbart unter Zu-
grundelegung der Erfahrung als entscheidender Wissensquelle auszeichnete, war
für L. schon während seiner Studienzeit in Berlin bestimmend, der Hegeischen
Denkmethode zu entsagen, um sich der herhartisc hen ohne auf des Meisters
Worte zu s( hwi)ren — anzuschließen. Neben den ])hilosojihiM hen und ins-
besondere ps\ ( hologischen Studien bev< häftigten theologische und |>hilologische
Arbeiten den lebhaften und rcg.samen Geist des jungen L. Unter den Philo-
logen zogen ihn besonders die sprachphilosophischen Vorlesungen Heyses an,
in dessen Hause er verkehren durfte. Hier wurden zwei Freundschaften
angeknüpft, die in das Leben von L. tief eingegriffen haben; denn Heysc
vennittellc die Bekanntschaft mit dem etwas älteren Steinthal, der später sein
engster wissenschaftli« her Büik lesgenosse und Schw ager werden sollte, zugleii h
aber lernte er den jugendlichen Poeten Paul Heyse kennen, der ihm gemütlich
wie literarisch sehr nahe stand. Paul Heyse hat der ersten Frnu von Lazanis,
geb. Lebenheim, einen Band Novellen gewidmet.
Im Jahre 1849 promovierte Lazarus mit der Dissertation ctiintttionc
aestkftica-^ in Halle zum Doktor. Hier knüpfte L., ähnlich wie Schillers gruml-
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128
Laxants.
legende Briefe ('l)er die ästhetische Kr/iehung des Mens<!ieii fi/Oü), i\cn
Erzichungswert des Sehonen und den Bildungswcrt der Kunst an. Der Hori-
zont war, entsprechend der Jugend und völlig andersartigen Begabung des
Disserenten, natürlich enger. Schillers Briefe bildeten ein Seitenstück zu
I^essings Erziehung des Menschengeschlechts , sofern Schiller der Kunst
jene weltgeschichtliche sozialpädagogische Rolle überbinden wollte, die
Lessing der Religion zugewiesen hatte; den Aufstieg vom N'ot- und /wangs-
stuiit zum moralischen und \ ernunftstaut sollte nach Schiller die Kunst und
nur sie bewiricen. Bei L. hingegen ist der ihn beherrschende völkerpsycho-
logische Gedanke mafigebend: Was haben die einzelnen Völker zur Ent-
wicklung des Schönen beigetragen?
Wie eine Fortsetzung seiner Dissertation nimmt sich die Schrift aus,
mit welcher L. (i<S5o) zum ersten Male vor eine breitere Öffentlichkeit trat:
»Die sittliche Berechtigung Preußens in Deutschland« — eine längst ver-
griffene Schrift, die L. nicht neu auflegen wollte. Im Anschluß an seinen
Lehrer W. Adolf Schmidt, dessen »Preußens deutsche Politik« ihn mächtig
anregte, untersucht L. das Wesen des V'olksgeistes im allgemeinen und das
des preußischen im besonderen, wobei die staatliche Vorherrschaft Preußens
mit »lessen politisch-kultureller und ästhetisch-intellektueller Lberlegenheit
begründet wird. Bald darauf trat L. mit dem hervor, was er sein eigenes
nannte, der Völkerpsychologie. In Prutz' »Deutsches Museuro« veröffent-
lichte er 185 1 »Über den Begriff und die Möglichkeit einer Völkerpsychologie«.
Hier untersucht L. in geschlossenem Zusammenhange, was ihm zuvor dunkel
und ahnuiigsvoll, wie im Dämmerschein, vorgeschwebt haben mochte: den
Begriff des (lesamtgeistes.
Daß damit eine neue Wissenschaft begründet sei, inochte L. wohl an-
nehmen. Der fröhlichen Entdeckerfreude, dem beglückten und verzückten
Heurekaruf des jugendlichen Enthusiasten mag man zugute halten und
menschlich nachfühlen, daß ihn diese vermeintliche Entdeckung , die er in
drei Wochen mit fieberhaften Pulsschlägen zu Papier brachte, bis er unter
di-r Last des Geleisteten erschöpft zusammenbrach, in allen Fasern seines
Seins ctM liauei ii machte. Auf geschichtliche Distatiz gesellen, wird die Be-
geisterung für diese angebliche neue Wissenschaft merklich abkühlen müssen;
sie ist in demselben Maße neu, wie sie Wissenschaft ist. Was ihre Neuheit
angeht, so ist ihr Problem nicht viel jünger als die Philosophie selbst. Die
Lehre des Aristoteles vom »Gesamtgci-t der Menschen, der allein unsterb-
lich sei (Wj; -',n-\y}r, und vö; -i'h-\/Ai lieißt das Problem bei den späteren
Kommentatoren, Aristoteles selbst >pricht nur von -w/n), l>irgt das Modell
aller Völkerpsychologie in sich. Die Einheit des Wollens als Staatsziel
ist ein alter Grundgedanke Piatons, der übrigens Thraker, Skythen und He-
lenen schon ganz im Sinn von L. völkeipsychologisch typisiert und charak-
terisiert. Und schließlich ist das philosophische Zentraljiroblem des ganzen
Mittelalters — das sogenannte ITniversalienproblem — nichts anderes, als die
(Grundfrage von L.: wie verhält sich der Einzelne zum Allgemeinen? Nur
engt L. sein Thema auf das \ erhaknis des Einzehnenschen zum Gattungsgeist,
zum Volks- oder Nationalgcist ein. Aber damit ist keine neue Problem-
stellung gegeben, sondern das alte Universalienproblem erhtlt durch L. eine
»völkerpsychologische« — wir würden heute sagen: »soziologische« — Biegung.
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Laxan».
129
Das L.sche Problem ist vielmehr nur ein soziologischer Spezialfall des um-
fassenderen rniversalienprobleins. Was ist früher und dem Werte nach
höher: das Einzelne oder das Allgemeine, das Kxemplar oder tlic (lattiing,
die Einzelemptindung oder der logische Begriff, das einzelne Individuum oder
seine Religions-, Volks- und Nationalgemeinschaft, der einzelne Bürger oder
der Staat?
Von allen mittelalterlichen Bearbeitern des Universalienproblems abge-
sehen, ist Hegels Lehre vom »objektiven (leist« das unmittell)are Vorbild
wie von Lazarus Gesamtgeista. so von Wuiults Kollektivwillen und dem,
was die Allerneuesten Universalgeist nennen. Aristoteles und Hegel sind
die wahren and eigentlichen Vftter dieses Gedankens, den L. und Wundt
adoptiert und in ihrer Weise umgedeutet haben.
Natürlich hat L. dem Piatonismus neue Seiten abgewonnen. In den
einleitenden (ledanken über Völkerpsychologie , mit welchen die La/arus-
Steirithalsclie Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft sich
1859 so glücklich einführte, daü bis auf den heutigen Tag nichts Er-
schöpfenderes und Gerundeteres vorliegt, als sie diese Programmschrift bietet,
empfilngt der soziologische Platonismus, wie ich die Weltanschauung von L.
taufen möchte, Zuzug und Bereicherung von entlegenen Enden. Der Gesamt-
?cist — die platonische Idee in soziologischer Fassung — ist nach L. das
frühere und l'r>j)rüiiglichere, und der Kiiizelgeist empfängt von ihm wie
sein Dasein, so sein Recht. Er hebt das Individuum nicht ganz auf, wie IMato,
aber er gliedert es restlm in die Gattung ein. »Ich ringe überall danach,
den Gesamtgeist zu erkennen, zu halten und das Individuum doch nicht zu
vedieren«, schreibt er einmal an Graffunder. Durch L. Völkerpsychologie soll
der Gesatntgeist zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein gefülirt werden,
l.. unterscheidet vier Formen des Gemeinlebens: Sprache, (jffentlicher Dienst,
ößentlicher Geist und Gesetzgebung. In den synthetischen Gedanken und
Völkerpsychologie« (Bd. III. der Zeitschrift) werden diese Gedanken dahin
ergänzt, dafi sich der objektive Geist in fünf verschiedenen Betätigungsarten
offenbart. Das »Verluiltnis des Einzelnen zur (iesanitheit« hat L. noch
gesondert in einer feinsinnigen l ntersuchung behandelt, der man, wie allen
Schriften von L. vorbehaltlos naclirühmen kann, sie sei im Stile edelster
Popularität geschrieben. Die Wissenschaft wahrhaft gefördert hat Steinthal,
die Wissenschaft aber verbreitet und in weite Schichten getragen zu haben, ist
das bleibende Verdienst von L.
Damit sind die übrigen philosophischen Schriften von L. (Das Leben der
Seele in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze, i. .Aufl. 1856,
3. .Aufl. 3 Bde. 1883 — 1897; Über flen l'rspriing der Sitten, 1S60; Über die
I<leen in der (ieschichte, 1861; Zur Lehre von den Sinneserscheinungen, 1867;
Kin psychologischer Blick in unsere Zeit, 1872; Ideale Fragen in Reden und
Aufsätzen, 1878; Erziehung und Geschichte, 1881 ; Über die Reize des Spiels,
•883; Pfldagogische Berichte, herausgegeben von A. Leicht, 1903; Die Sprache,
Schmidt's Encyklopädie) in der Hauptsache gekennzeichnet. Was L. einmal
von der Legendendichtung sagt, sie sei nicht architektonisch, sondern nur
omamental« (Ethik des Judentums I, 36) gilt von der philosophischen Per-
sönlichkeit und der schriftstellerischen Eigenart von L.: das Ornamentale
erdrückt das Architektonische. Unter dem bizarren Schnörkel des Rede-
Biogr. Jahri»ueh u. Deitueh« Nakroloc. S. Bil. q
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I30
LAzarus.
Schmucks und einer schwellenden Rhetorik, die uns heute sprachHch etwa
anmutet wie Barock im Hauli( hen, entgleitet uns unversehens (he gerade Linie
im GcUunkhchen, das Monumentale, die dialektische (iutik. Nichts welkt
schneller, als ein Qberiadener Stil, der den Zeitgenossen vielleicht mundet,
der nachfolgenden Generation aber safilich, schal und bitter schmeckt Zur
Erklärung und Rechtfertigung dieser L. eigentümlichen I)arstelhn\usart, von
welcher der gelassene, gefeiltere, vornehm unparteiliche Stil seines Schwagers
Steinthal so wohltuend absticht, soll hier darauf hingewiesen werden, daß 1..
von Hause aus der geborene philosophisi he Essayist und Redner, nicht aber
ein geduldiger Forscher und folgerichtiger Zuendedenker war. Keines seiner
Werke zeigt Geschlossenheit der Konzeption. Selbst das »Leben der Seele«,
nach Außen hin sein Hauptwerk, stellt sich der nachprüfentlen Forschung als
ein Sammelwerk dar, dessen einzelne Bestandteile — zu verschiedenen Zeiten
und bei mannigfaltigen Anlässen erfaßt utid vorgetragen — häutig nur lose
zusammengehalten werden durch die Gemeinsamkeit des Titels und die ein-
heitliche Persönlichkeit des Verfassers. Ein systemgerechter Denker im Stile
seines erbitterten GegenfOfilers, Hermann Cohen, war L. niemals, am aller-
wenigsten in seiner »Ethik des Judentums«: (Bd. I, 1899), über welche sich
Cohen in der Hraun'schen »Monatsschrift (Hd. 4,^, S. 385 ff.) so hcrli und
schroff, so maßlos abweisend ausgelassen hat. Will man diese • K.thik ijber-
haupt noch zu r,.s philosophischen Werken, und nicht zu seinen {sogleich
zu besprechenden) jüdisch-apologetischen oder richtiger tlK.'ologischen Werken
zahlen, so gebietet uns das wissenschaftliche Gewissen, unbeschadet aller
Pietftt und herzlichen Verehrung, die wir der Persönlichkeit des Lehrers
zollen, das Werk — in Methode und Aufbau — als einen philosophischen
Mißgriff zu bezeichnen.
Wenn ich am Eingänge dieser Darlegungen 1,. mit Mentlelssohn einen
jüdischen Philosophen, und nicht, wie .Spinoza, einen philosophierenden
Juden nannte, so wollte ich nicht bloß auf seine praktische Wirksamkeit, als
Präsidenten zweier jüdischer Synoden (in Leipzig und Augsburg), als Mit-
begründer und Kurator der Berliner >Hochschule für die Wissenschaft des
Jutlentum^ , als Aufklärer und Verklärer des Judentums in Wort und Schrift
(Was heißt national?; L'nser Standpunkt; An die deuist hen Juden ; Auf Moses
Mendelssohn; .Auf Michael Saclis; Rede auf Auerbach; Der Prophet Jeremias),
sondern wesentlich und vorzüglich auf seine »Ethik des Judentums« hinweisen.
Dero äußeren Aufbau nach gewinnt es zu Anlang den Anschein, als habe
man es mit einem methodisch durchgebildeten religionsphilosophischen
System zu tun. .\ber sehr bald verliert sich «I;is Architektonische, um »lern
Ornamenl.den Platz zu machen. Der Spieltrieb gewinnt die Oberhand —
der Bautrieb tritt ganz in den Hintergrund. Von wirklichen Religions-
philosophen — Saadia, Bachja ihn Pakuda, Juda Halevi, Salomonibn Gabirol,
Abraham ihn Daud, den beiden Ibn Rsra, Maimonides, Gersonides, Chasdai
Creskas, und Josef Albo — ist so gut wie nichts zu verspüren. Die Mehr»
zahl der (lenannten wird nicht einmal erwähnt, dafür aber ein so unsicherer
Kantonist im Religionsphilosoi)hischen wie Kassel herausgestrichen.
Das jüdische Schrifttum der talmudischen Zeit, in welchem L. der
Absicht, wenn audi nicht dem vollen Umfange und der tiefgehenden Wirkung
nach vorzugsweise orientiert ist, kennt einen halachischen (gesetzgebenden)
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Lksmus.
13'
und aggadisrheii (auslegenden) Teil. lAt/tcior arbeitet vorwiegend mit
Allt'^forion un«l Analogien, mit syinboliM lu r Dtnitung iim<I Kxegcse, mit
l-fgcnilc und Mythos. Dit-se Allegorcsc ist keine Son< !i i trsclieinung der
jüdischen Literatur, somlern eine Teilerschcinung einer generell verbreiteten
Lileraturgattung, jener Allegurese nämlich, aus welcher auf hellenischer Seite
die kynischen Wanderredner und ersten christlichen Prediger hervorgegangen
sind, während auf der jüdischen die sogenannte »midraschische« Literatur
von der streng hahuln'schen sich abzweigte. So haben die Stoiker /. !?. Alle-
gorese getrieben, indem sie die Richtigkeit irgend einer ihrer paradnxt-n He-
hauptungcn durch das Alter der Autoritäten decken wollten, auf die sie sich
berkrfen ->* meist auf Homer, Hesiod und Pindar. Da die homerischen Zitate zu
ihrem Paradaxon meist nicht buchstäblich und restlos passen wollten, so wurden
sie so lange gedrechselt und grammatis( h verrenkt, bis sie annähernd jenen Sinn
orpal)en, dei\ der sprachgewandte Stoiker zur Bekräftigung seiner These gerade
brauchte. Die i/ua/irnio tcnniuorum und alle .Arten wie .Abarten der Zirkel-
und Fehlschlüsse, der Lang- und Trugst hlüsse, wie sie in den Sophisten-
schulen heimisch waren, gelangten in der stoischen Ailegorese zu hohem
Ansehen. Ein paralleler Vorgang spielte sich in der talmudischen und midraschi-
schen Literatur ab. Unter Zugrundelegung irgend eines Bibeltextes, der
noch größere Autorität für sich in Anspruch nehmen konnte, als etwa der
Homertext in den Augen der Stoiker, wird eine landläufige Wahrheit ent-
weder gewaltsam in diesen Te.xt hineingelesen, oder noch gewaltsamer aus ihm
herausgelesen. Legenden, Parabeln, Analogien, Tropen, Gleichnisse, Scherz-
worte, figürliche AusschmQckungen, zuweilen direkte Wortspiele {CeJem-
hourgs) werden aur Bekräftigung des Thema probandum herangesogen, aber
der Triumph ist erst dann vollkommen und abschließend, wenn der Nachweis
gelingt, daß jenes ^quod erat ditnoustramiutii sc hon otfcnkimdig oder aniicutcntl
-in der Hibel steht«. Je versteckter, grsut lito, gepreÜter jene ]{ibel>lelle
erscheint, damit sie den gewollten Sinn und bealjsichtigten Nachweis hergibt,
desto grOfier ist die Kunst des Auslegens (Maggid). Von dieser Literaturgattung
der Ailegorese zweigt sich auf jüdischer Seite die Homilie, die sabbatliche
Auslegung des Wochenabschnittes der Bibel, auf der christlichen die Predigt
ab, der in der Regel ein biblischer 'Text untergelegt wird, dessen tigürlic he
Ausdeutung und Anpassung auf den aktuellen Fall die Kunst des Kanzel-
redners ausmacht.
In dieser Kunst war L. unbestrittener Meister. Von allen Kanzelrednem,
die ich je gehört habe, verstand es keiner, die Bibeltexte so sinnvoll und
feinffihlig, so kunstgerecht und wirkungsvoll dem behandelten Stoffe —
scheinbar ungezwungen und absichtslos - einzufügen und anzugliedern,
wie L., wie es denn überhaupt wenige zeilgen()ssisclie Redner gegeben haben
tnag, die so zündend und elektrisierend die Hörer im Banne zu halten ver-
moditen. Die imposante Erscheinung, der schöne Gesichtsausdruck, das
weiche, lächelnde, grundgtttige Auge, die feierliche Haltung verbunden mit
einer melodiösen, einschmeichelnden Stimme und einer sorglich gefeilten,
bestechend durchsichtigen Sprache — das alles prädestinierte ihn zum Kanzel-
redner. So ist er denn auch ein »Jellinek') des Katheders« genannt worden.
<} Jdlinek (Prediger in Wien) war der bertthmteMe jOdische Kancelredner seiner Zeit
9»
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\)vr liöi'listo RiihiiH'stitcl auf der Kanzel kann indes ein Verlinn^rnis auf
(ItMn KatluMk-r sein. L. wurde nämlich, auf Metreiben des PhiK)loi:i n Kdibeek,
um Ubiern 1860 iin die Universität Hern berufen, wo ihm eine aulierordcnt-
Hche Professur für Völkerpsychologie übertragen wurde. Die Bemer Tätigkeit
bezeichnet in jeder Richtung den Höhepunkt in seinem Leben. Hier las er
über alle Gebiete der Philosophie vor einem aus allen Fakultäten sich
rekrutierenden Auditorium. Hier stiej; er in übcrrasthfn<l kurzer Zeit zum
Dekan und ein akademisches Unikum — gleichzeitig zum Rektor auf, in
welcher Eigenschaft er die ünivcfbität Hern gelegentlich einer akademischen
Feier in Wien in so glänzender Rede vertrag daß die Hörer jener merk-
würdigen Improvisation heute noch, nach einem Menschenalter, den Ein-
druck festhalten. Auch die in Hern entstandenen Arbeiten sip ! freilich,
wie fast alles, was h. schrieb, Reden; so die Antrittsrede über »den Ursprung
der Sitten«, so die Rektoratsrede über die Ideen in der (leschichte ; end-
lich die wichtigen Arbeiten > Verdichtung des Denkens in der (beschichte«
und die (schon erwähnten) »synthetischen Gedanken zur Völkerpsychologie«.
Über diesen Arbeiten liegt Sonne. Die völlig andersartige Umgebung, der
vertraute Freundeskreis, den er hier gefunden und bis zu seinem Tode treu
bewahrt hat, der Kollegien- und Examenzwang — das alles hat wissenschaft-
lich derartig auf ihn eingewirkt, daß er sich die Kanzelberedsamkeit, die ihm
im Blute steckte, abzugewöhnen schien, um sich der gedrungeneren akademi-
schen Vortragsweise immer entschlossener anzunäiiern. In diesem Milieu
hätte er ohnehin für seinen Hang zur Allegorese wenig Resonanz gefunden.
Zu seinem Unglück verließ L., ohne triftigen Grund, das geliebte Bern.
Der Mangel an Ausdauer, der sich an .seinen philosophischen Schriften ge-
rächt hat, hatte wohl den verhängnisvollen KaitschluÜ, die Hemer Professur
— er war inzwisciien Ordinarius geworden — ohne jedes A<iuivalent auf-
zugeben, zur Reife gebracht. Die Verwaltung eines seiner Frau zugefallenen
Vermögens (Grundbesitz in Leipzig) und der Wunsch, größere gesellige Kreise
in seinem gastlichen Hause zu vereinigen, mochten die äufieren Beweggründe
gewesen sein. L. war in Bern auf dem besten Wege, sich innerlich zu
sammeln, zu geschlossener Arbeitsweise durchzuringen, manche Kanten ab-
zuschleifen und Schlacken seines Wesens zu überwinden. Da trieb es ihn
hinaus in das lärmende Gesumme der Großstadt oder auf seinen in der
Nähe Leipzigs belegenen schönen Landsitz (Schönfeld). Im Dezember 1865
nahm er seinen Abschied, nicht ohne auf sein Professorengdialt zu verzichten
und den fälligen Anteil dem schon erwähnten Lazarus-Preise zuzuführen.
Zwei Jahre privatisierte L. Michaeli-> 1S6S begann er die ihm übertragenen
Vorlesungen an der Herliner Kriegsakailcmie, wo der damalige Kronprinz
und nachmalige Kaiser i riedrich sein Hörer unii aufrichtiger Hcwunderer
war. Versuche Ribbecks, L. für Kiel zu gewinnen, scheiterten am Wider»
Stande der Theologen. Völlig unmotiviert wurden im Herbst 1872 L. die
Vorlesungen an der Kriegsakademie wieder entzogen, indem man das Lehr-
fach, das sich nur zu großer Krfolge rühmen durfte, plötzlich ganz eingehen
ließ und bis auf den iicutigen 'l'ag nicht wieder in den Lehrplan der Kriegs-
akademie aufgenommen hat. Haid darauf, im Mai 1873, hatte L. die Genug-
tuung zum ordentlichen Honorarprofessor der Berliner Universität ernannt zu
werden, und hier hat er ein Vierteljahrhundert etwa als vielbewunderter
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Laianis.
Lehrer gewirkt. Zur Feier seines siebzigsten f iehurtstngcs gewährte ihm Kaiser
Wilhelm den Titel eines (leheimen Kcgierungsrates und die Juristenfakultnt
der Universität ßern ernannte ihn zum Ehrendoktor der Jurisprudenz. Das
»Hdrew Union CoUegei^ von Cindnnati erteilte ihm den Titel eines Doktors
der Theologie. Doch diese Aaflerlichkeiten vermochten L., der im Jahre 1895
eine zweite Ehe mit der St hriftstellerin Nahida Remy einging, darüber nicht
hinwegzutäuschen, daß Bern für ihn (las verlorene T'aradies war und hlieb.
L. stattete mit seiner zweiten Frau, gleich nach tier Eingehung seiner zweiten
Ehe, Bern einen Besuch ab, um für die Ernennung zum Ehrendoktor zu
danken, und die ganze Universität versammelte sich zu seinen Ehren. An
diesem Tage wurden mir die Worte klar, die L. einst seinem Freunde
Graffander schrieb: Karriere habe ich, mit Ausnahme der in der Schweiz,
ni« ht gemacht. Kr hatte von Hause aus das Talent zu einem ganzen
I"hiIos()j)hen, aber im (iewühl und (letriebe des geräuschvollen Alltags, der
geselligen Verbindungen, die er suchte und fand, der pt)litischen Kleinarbeit,
der agitatorischen Tätigkeit in Vereinen, der Verwaltungsarbeit in der
«jüdischen Gemeinde« Berlins und der »Hochschule für die Wissenschaft des
Judentums« usw. war vieles verzettelt und in Kleinmünze verausgabt Die
Tätigkeit in den jüdischen Synoden vollends weckte in ihm jene latent gewordene
- aggadistische Rhetorik, die als gehörtes Wort hypnotisierend gewirkt haben
mag, aber als gelesene Rede sich heute recht abgeblalit ausnimmt. Leider
hat L. diesen Kanzelton, den er in Bern ziemlich abgelegt hatte, wieder
aufgenommen, seinen späteren Schriften, besonders den apologetischen und
polemischen einverleibt und schließlich in die »Ethik des Judentums« ver-
pflanzt, wo alles gut Geschaute, klar Erfaßte und treffsicher Gepackte über-
wuchert wird von einer iiberüppigen .Mlegorese, einem Rankcnwerk glänzend
gedeuteter Midraschim und geistreich parajihrasicrter Hil)elu orte, die sich in
einer Predigtsammlung ebenso vortrefflich ausnehmen würden, wie sie in
dnem streng wissenschaftlichen Werk durchaus verfehlt sind.
Über L.s Bedeutung für das moderne Judentum, seine Mendelssohnrolle
in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts steht es uns an dieser
Stelle nicht an, ein Urteil abzugeben. Daß er nur das Gute gewollt hat,
werden nicht eiinnal seine erbittertsten Feiiule bestreiten; daß er es aber
immer erreicht hat, wagen selbst seine feurigsten Fürsprecher nicht zu be-
haupten. Eine kräftigere Mischung mit den edlen, vornehm -selbstlosen
Eigenschaften seines Schwagers Steinthat hätte ihm wie intellektuell, so auch
charakterlich treffliche Dienste geleistet. Denn mag er auch der Beste seiner
Art gewesen sein, die Art selbst wird nicht als die beste gelten dürfen. Er
hätte auch dem modernen Judentum unvergleichlich mehr sein können, wenn
er weniger hätte sein wollen.
Müde und resigniert ist L. in Meran, mitten in der vorbereitenden Arbeit
für den zweiten Band seiner »Ethik des Judentums«, soi^sam gepflegt von
seiner tapferen Gattin, für immer entschlummert. Fem vom Geräusch der
Grofistadt ruht das Grab eines Denkers, dem die Großstadt selbst zum Grabe
geworden war.
Literatur Ober Moritz Lazarus: K. Herliiicr, i'rof. Lazarus und die lilTentliolic Meinung
1577; Jhomas Achclis, Moritz Lazarus (^Sammlung der Vorträge von \'irchow und I it)ltzcn-
AofiT, Heft 333) > B. MHiu, 1900; M. Brasch, Nord und Sttd, Sept. 1894» J. Wohlgematb,
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Luants. Cremer.
1903; A. Leicht, Lazarus, der BcgiUnder der Völkerpsychologie, 1904. Auf die wisscri-
schaftlicbe Bedevtang von Laziini« gehen ein; Th. Ribot, La p$ych»t9gk a Hem a n de C0t$^
tcmporakui Bou^ICi Les scietices sociales en AlUmagne, i8<j6 (sehr liebevoll, die beste
Würdijjunp von T-aziirus) ; Robert Klint, History 0/ ihc J'htlosophy 0/ J/isi^^ry in Fronet and
iitrmany ^letztes Kapitel); Ch. Rappa{>ort, Zur Cbiuakteri:>tik der Methode und Haupt-
richtungen der Philosophie der Geschichte (1904 fnuuösisch erschienen), in meinen »Bemer
Stadien« Bd. III; L. Sohw cii^cr, Philosttphic der Geschichte, Völkcrj)syrli(iloj»ic und Soziologie
in ihren gcgenseitijjen Be/ichun^cn, »Ikrncr Studien« Bd. Will; ). ( ioldfricilrich. Die
hiMorische Ideenlehre in Deutschland, Kapitel 5; The Jewish £ncyclo/>cäia, Bd. 1905,
Aftikel Lazarus, allwo hebriUsche und englische Nachrufe in grOBerer Anzahl angeÄlhit
werden.
Crcmcr, Hermann, D. theoL iiiul Dr. jur., Prof. <ler Tlu'ologic, Konsistorialrat,
* 18. Oktober 1834 in l nna (Westfalen), f 4, Oktober 1903 in Greifswald. —
In Halle und Tübingen theologisch vorgebildet und darauf Ober lo Jahre
(1859 — 70) im geistlichen Amt als Pfarrer von Ostönnen bei Soest praktisch
und wissenschaftlich bewährt, wurde C. 1870 als ordentlicher Professor nach
Grcifswalcl berufen iind hat dort, seit 1S.S6 auch dein pommcrsohcn KonsistoriiiiTt
angehörend und wiederholt in l'rovinzial- und ( leneralsvnode tätig, eine ül)er-
aus lebhalle Wirksatnkeit als theologischer Lehrer wie auf ileni lioden des
kirchlichen und kirchenpolitischen Lebens entwickelt »Denn umfengreiches
Wissen, Schärfe des Denkens und Klarheit des Ausdrucks verbanden sich bei
ihm in etniigartiger Weise mit Tntcre-,-'r und Sinn für praktische Fragen . . .
Wenn die jiiristische Fakultät ihm im Hinblit k dara\if hotun-'ia cau^n die Würde
eines l}(>ifor jur'K verlieh, so entsprach diese von ihm dankbar empfuiulene
Anerkennung durchaus der Wirklichkeit« (V. Schultze in Greifswalder Ztg.»,
vgl. Evangel. Kirchenztg. Sp. 1006). — Mit schriftstellerischer Arbeit hat er
früh begonnen; in der Stille seines westfälischen I<andpfarrhauses entstanden
bereits die Schriften: Die eschatologische Rede Jesu, Matth. 24 u. «5« (1860);
»Der biblische Begriff der Krbauung (1863); Die Wunder im Zusammenhang
der gtUtliciien Offenbarung (1865); > Hiblisch-lheologisches Wörterbuch der
neutestamentlichen Gräcität (1867), letzteres ein Werk, das, bis 1900 in neun
Auflagen verbreitet, den Ruhm seiner theologischen Gelehrsamkeit begrün-
dete. Noch gehören der Zeit vor seiner Berufung nach Greifewald an die Ab-
handlungen über den »Zustand nach dem Tode (1868, 1901 in 6. Auflage er-
schienen), und über Vernunft, (Gewissen unil Offerd)arung< (1869). — Das
theologisch-praktische (Jebict betrat er mit Schriften über Die kirchliche
Trauung (1875), »Aufgabe und Bedeutung der Predigt (1877, 2. Auflage 1S92);
»Befähigung zun» geistlichen Amt<' (1878, 2. Auflage 1900); »Unterweisung im
Christentum« (1884, 3. Auflage 1899), denen sich späterhin die Streitschriften
»Zum Kampfe um das Apostolikum«« (1S92, 7. Auflage 1893), über »Duell und
Ehre« (1894, 3. Auflage 1896), über -Das Wesen des Christentums« (1902, gegen
Harnack) anschlössen. Sj)eziell theologis( h-wisscnschaftlicher Natur ist seine
'Theologische Prinzii»ieidehre (1884, 2. Auflage 1889), die Festrede im Luther-
jahre über Refürmation und Wissenschaft« (1884), die apologetischen Unter-
suchungen über den »Einfluß des christlichen Prinzips der Liebe auf die
Kechtsbildung und Gesetzgebung« (1889), über »Die Fortdauer der Geistes-
gaben« (1890), über «Die Gebetsverheißungen« (1891, 2, Auflage 1899), über
Bern.
Ludwig Stein.
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Cremer. KttUing.
»Glaube, Schrift und heilige ( Icschiclitc (iSq6i. uhct Die christliche Lehre
von den Eigenschaften Gottes über -Weissagung und Wunder^^ (1900),
fiber »Die Bedeutung der Gottheit Christi für die Ethik« (1901). In dem von
Zöckkr herausgegebenen »Handbuch der theol. Wissenschsrften« (3. Auflage
1889) hat C. die Dogmatik bearbeitet. Einen bedeutsamen Beitrag zur neu-
testamcntli' hen Thc(>h)j,'ie bihlet seine I'auh'nisclie Rechtfertiguiigslehre im
Zusammenhange ihrer geschic htlii hen \ oraussetzungen (iS()q. 2. Aufhige iqoo).
Seinen zahlreichen Schülern, die besonders in seinein honnletischen Seminar
von ihm vielseitige Förderung entptingcn, sowie einer dankbaren Hörergemeinde
hat er mit seiner Predigtsammlung: »Das Wort vom Kreuz« (1891, 3. Auflage
iqoo) eine bleibende Gabe hinterlassen. So hat sein Tod — nach läiigerem
Unwohlsein durch plötzlichen Gehirnschlag — einem ungewöhnlich wirkungs-
reichen Leben das Ziel gesetzt.
Emst Cremer, Mitteilungen aus dem Leben und Heiingang vun H. C, »(iedciik'
unter« 1904. Kohlschmidt.
Kölling, Wilhelm, D.thcol.^ Pfarrer und Superintendent in Pleß, ♦ 11. Sep-
tember 1836 in Pitschen (Oberschlesien), 721. Februar 1903 in Pleü. — Nach
Klickkehr aus dem Hause fies Großvaters, wo er seine Kindheit unfl erste
Jugend verlebte, ins väterliche Pfarrhaus Roschkowitz, kam K. verhältnisnialiig
spät, erst im Alter von 15'/! Jahren, durch seinen Vater vorbereitet, auf das
Magdalenen- Gymnasium su Breslau , wo er sich indes bald durch eminente
Arbeitslust und groOe Begabung insbesondere für alte Sprac hen und Geschichte
vorwärts brachte, so daß er mit st Jahren «ur Universität Breslau übergehen
konnte. Eine Predigt, die er im sechsten Semester für den ihm befreundeten Pastor
Düschkc in Prochlitz hielt, bestimmte den dortigen Kin henpatron, CIrafen Kitt-
berg, ihn zum Nachfolger des inzwischen verstorbenen Freuntles zu designieren.
So kam K. am i. Oktober 1861 zunächst als Pfarrvikar nach dem drei Ortschaften
umfassenden, fast ganz polnischen Kirchs])ie], und hat nach wohlbestandenem
zweiten Examen hier seit Juni 1862 als Pfarrer noch 11 Jahre mit Erfolg ge-
wirkt. 1873 berief ihn der l'iirst von Pleü in die deutsche (ieineintle -icincs
Stammsitzes; im fi^lgenden Jahre winde K. mit Su|)erintendentur und Kreis-
schulinspektion betraut. Seit 1881 gehörte er der schlesischen Provinzial-
synode an, die ihn von 1884 an wegen seiner allseitig anerkannten theologischen
Gelehrsamkeit in die Prüfungskommission für Theologiestudierende deputierte
und 10 Jahre später auch zur preußischen ('«eneralsynode entsandte. In dem
I.elirkursus für positive Theologen, den iS()6 der danialige Superintendent
von Weferlingen ( jetzt zweiter siic h>is( her ( Ieneralsu|)erinten(lent ) 1). lioh/heiier
als Gegenstuck zu den Bonner Ferienkursen in seinem l'larrhause eingerichtet
hatte, hat K. im ersten wie in den beiden folgenden Jahren über Dogmatik
vorgetragen, und zwar ganz im Geist seiner altlutherischen Vorbilder und
Glaubenszeugen M. Chemnitz, Joh. Gerhard und .\gidius Hunnius und durch-
aus auf dem (Iruiule des Dogmas wörtlichster Verhalinsi>iration der Mibe!. —
Diesem J)t)gma galt auch das zweite seiner literarisf h-theoh)gis( hen Haupt-
werke (daü erste ist die ^Geschichte der Arianischen Häresie« 2 Bde. 1874,83):
»Theopneustie« (1890/01), dem er 1890 die »Prolegomena zur Lehre von der
Theopneustie« hatte vorausgehen lassen ; nach K.s Darstellung sind die bibli-
schen Schriftsteller kaum etwas anderes als mechanische Werkzeuge des den
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KtflUng. Nehmu.
Bibelwortlaut ihnen diktierenden heiligen (ieistes. Diese Diktattheorie« hat
in K. ihren konsequentesten V erfechter in der Gegenwart gehabt. Ein anderes
Zentraldogma für K.s Gedankenkreis wa,r die Lehre vom heiligen Geiste und
der Wesenstrinität Gottes überhaupt, die er auch gerade mit Bezug auf die
dritte Person in der Gottheit nicht zu einer bloßen Offcnbarungstrinität«
verflüchtigten lassen wollte; ihr ist seine - Pncumatolo^ic otlcr die Lehre von
der l'erson des heiligen (',ci'^tcs (i.S»)4) gewidmet. Seine letzte grolk' theolo-
gische Schrift galt der Lciire von tler stellvertretenden üenugiuung<«, tler
*Satis/<icHo vicaria* Christi (2 Bde. 1897/99), die im forensischen Sinne als Forde-
rung der Gerechtigkeit Gottes gegenüber unserer Schuld ihm der wesentlichste
Punkt in der lehr.- \ nn der Versöhnung und Rechtfertigung war. Im Sommeri90o
erlitt er, wohl infolge' der (Überanstrengung bei einer GenernK isitation. einen
Blutstiir/ No(h raffte er sich auf zu einer letzten kleinen Schrift selhst-
biographischer Art: 40 Jahre im Weinberge Christi, lose Blatter als Beitrage
zur praktischen Theologie« 190 1 ; und noch einmal war es ihm 1902 vergönnt,
an den Arbeiten der theologischen Prüfungskommission in Breslau und an
einer Tagung des Lutherischen Vereins sogar als Vorsitzender und Vortragender
teilzunehmen, ja im Herbst beschäftigten ihn neue thenlogise h-wissenschnft-
bche IMane. Dorh im Angesicht des nahenden i rühlings ward er aus seinem
arbeitsvollen Leben durch sanften Tod abgerufen.
»EvangcU Kirclicnztg.c 1903 Nr. 10, 1 2, 1 3. K o h Ls c h m i d t.
Nehmiz, Hugo. Gencralsuperintendent. * 6. November 1845 in Sagan,
f 2S. August 190.^ in Breslau. Nur j' : Jahre hat N. als erster (leistliclier an der
Spitze der Kirche seiner Heimatprovinz gestanden, der er in seiner geistlichen
Arbeit auch nur diese kurze letzte Zeit seines Lebens angehört hat. Er war
geboren als Sohn des Superintendenten Adolf N. in Sagan, erhielt aber seine
Gymnasiaibildung auf der Klostcrschule zu Roßleben in der Provinz Sachsen
und ging 1863 zum theologischen Studium nach Halle, später nach Tübingen
(wo er sich besonders Becks Führung hingab) und kehrte 1S66 na( Ii Hidle
zurück, wo er im Sommer 1867 die erste theologische l'rüfung bestand. Kine
kurze Tätigkeit als Hauslehrer in Hamburg brachte ihn in Verbindung mit
dem damals an der Anschar» Kapelle dort wirkenden (späteren rheinischen
Generalsuperintendenten) Wilhelm Baur, dessen Gehilfe in der Stadtmission
er ward. Zwei Jahre darauf, im Mai iS6t), legte er in Magdebui|{ sein zweites
Kxamen ab und trat bald darauf als Domhilfsprediger hier sein erstes geist-
liches ,\mt an. 1873 wählte ihn die dortige St. IMrichsgenu inde zu ilirem
zweiten Prediger. Doch schon 1876 schied er von hier, um die Stelle des
leitenden Geistlichen am Diakonissenhause Bethanien in Berlin zu übernehmen.
Nach fast 17 jähriger Arbeit, 1893, rief ihn von da die Domgemeinde nach
Magdeburg zurück, indem er zugleich dem Königlichen Konsistorium als Rat
beitrat, l'm Ostern iqoi folgte er dem ehrenvollen Kufe in die (leneralsuper-
intendenlur Schlesiens, doc h sc hon als leidender Mann. Kinzelne schwierige
Zwischenfälle kirchcnregiincntlicher An (Streit im Samariterordensstift Krasch-
nitz, Versagung der Bestätigung des als Pfarrer in Liegnitz gewählten I|. Dr.
Franke) mögen seine Gesundheit weiter untergraben haben. Sein Begräbnis
am 31 • August bezeugte aber weitgehende Liebe und .\nerkennung, die er
sich in kurzer Zeit erworben. Der plötzliche Tod des Präsidenten des Preufii-
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Nebmü. Schulte. GiUbauer.
sehen Oberkirchenrates D. Barkhauser» während der Trauerfeicr im Hause hat
dieselbe zu einer einzigartig erschütternden werden lassen.
K o h U c h m i d t.
Schultz, Heinrich Hermann, D. theol.^ Dr.pkil.^ Prof. und Konsistorialrat,
Abt von Bursfelde, *3o. Dezember 1836 in Lüchow (Hannover), f 15. Mai 1903
Böttingen. — In Göttingen und Erlangen hat S. 1853 — 56 sein theoliogisrhcs
Studium absolviert, in Göttinpen hat er von 1876 an fast drei jahrzelnite als
theologischer Lehrer gewirkt und seiner hannoverschen Heimat den Hauptteil
seiner Lebensarbeit gewichnct. Nach kurzer lA'hrtäligkeit in Hamburg (1857
bis 1859) '^^^ Repetent, 1861 als Privatdozent dem theologischen Lehr-
körper seiner Heimatumversitat bei. Bereits 1864 berief ihn Basel als ordent-
lichen Professor für alttestamentliche Theologie; 1872 siedelte er als solcher
an die ncucrrichtetc Straßburger Fakultät über. Schon zwei Jahre später folgte
er einem Rufe nach Heiflelberg, und wieder zwei Jahre darauf durfte er in
(jüttingcn seinen Lehrstuhl dauernd aufschlagen. 1S81 trat er hier ins Kon-
sistorium ein und erhielt 1890 die Würde eines Abts von liursfelde. Am be-
kanntesten und einfluBreichsten unter seinen theologischen Werken ist das
Lehrbuch der alttestamentlichen Theologie geworden, das von 1869 bis 1895
tünf Auflagen erlebte, 1892 auch ins Englische übersetzt wurde und von .\uflage
711 Auflage mehr den Ergebnissen fler historisc h-kritischen Hihel-Wissenschaft
kechnung trug, so (lab es zu einem recht eigentlichen .Studentenbuch wurde.
Doch auch Fragen der Dogmatik, der Kirchengcschichte und der kirchlichen
Praxis sind von ihm behandelt worden : so erörterte seine Habilitationsschrift
von 1861 »Die Voraussetzungen der diristlichen Lehre von der Unsterblich-
t'it ; 1869 "^Jini er j^Zu den kirchlichen Fra: * Icr Gegenwart > das Wort und
behandelte Die Stellung des Glauliens zur heiligen Schrift {2 Auflage 1S77).
iiSSi veröffentliilile er die drei kleinen Schriften: Die Lehre von der Gottheit
Christi«, *Das katholische und das evangelische Lebensideal« und Zur Lehre
vom heiligen Abendmahl«, die beiden erstgenannten Themen spezifisch im
Sinne der Ritschrschen Schule. Sein »Grundrifl der evangelischen Dogmatik«
voni890 erschien nach zwei Jahren in 2. Auflage, zwischenein(i89i)ein > Grundriß
der evangelischen Ethik«' (2. Auflage 1897) und bald (1894) flcr (Irundriß iler
christlichen Apologetik . So waren bei ihm vor den alttestainentli( hcn die
systematischen Fragen in den Vordergruml getreten. Doch ergriff er auch 1892
noch einmal das Wort über die 10 Jahre später durch den Bibel-Babel-Streit
so brennend gewordene Frage: »Das Alte Testament und die evangelische
f'Cmeinde . — Erst nach langem und schwerem Leiden bat der Tod seiner
rüstigen Arbeitskraft das Ende gebracht. Kohlschmidt.
Gitlbaucr, Michael, Dr.phil.j I^rofessor der klassisc hen Philologie an der
Wiener üniveisität, ♦3. September 1847 zu Leonding bei Linz in Oberöster-
leich, f 31. Mai 1903 zu Wien. — Sohn eines armen Schmiedes, besuchte G.
•las Gymna.sium zu Linz, trat 1865 in das Augustiner-Chorherren-Stift St. Florian
bei Linz ein, wurde 1870 zum Priester geweiht, fungierte zwei Jahre als Hilfs-
priester in Kied, daim als Kustos der ansehnlichen ^|ünzensannnlung des
Stiftes, auch kurze Zeit als Profes.sor der .Moral am theologischen Hausstuilium
des Stifts. 1873 bezog er die Wiener Universität auf drei Jahre zu pbilo-
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GiUlMiuer.
logischen Studien, die er ein weiteres Jahr an der Berliner Lnivcr.^ität fort-
setzte , wo er auch in Mommsens Seminar arbeitete. 1876 erwarb er das
Doktorat, 1877 habilitierte er sich in Wien mit einer Schrift Ober den ältesten
Wiener Li\nus-Kodex. 1879 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt,
iqoo erhielt er den Titel eines ordentlichen Professors. Kr leitete das philo-
logische l'roscminar.
G. war ein Schüler Wilhelms von Härtel. Er verlieii aber immer mehr
jene Prinzipien der konservativen Kritik, die sich heute zum Vorteil einer
gedeihlichen wissenschaftlichen Entwicklung durchgesetzt haben. Er suchte
überall Neues, Gewagtes, Kühnes auf. Darin lag seine Hedeutimg, aber auch
seine Tragik. I)e:Mi während er einerseits mit Reeht auf die l'nsicherlieit
aller unserer handscliriftliehcn l beiiieferung aufmerksam machte, vertraute
er doch anderseits in einem bisher kaum erhörten Grade den Hilfsmitteln
modemer Kritik und Methode. Er begnügte sich nicht mit vorsichtiger
Skepsis und mit der Feststellung der größeren oder geringeren Glaubwürdig-
keit der Überlieferung; er versuchte oft in überkühner Weise das Ursprüng-
liche herzustellen. So war er der (Überzeugung, daß unser jetziger Cäsartext
ein Krzeugnis antiker Schulpedanterei sei. Cäsar selber habe in unübertreff-
licher Prägnanz einfach geschrieben: Galiuu partes ires.* Das sei in den
Schulen mannigfach erläuternd ausgefüllt worden, bis der schwerfällige Satz
unserer Vulgata entstand: *Callia est onmis äMsa m partes tres*. Er suchte
diese Wandlung mit Scharfeinn und Gründlichkeit aus allen Varianten der
Handschriften e.xakt zu erweisen. Ähnlich zeigte er, wie aus Ciccros ursprüng-
licliem erlitcn .Ausruf ^Qtiousque tandemU^ allmählich der jetzige vollständigere,
aber mattere Satz entstanden sei pQuousque tanäcm abuterc, CatUina, patientia
nostra!^
Die griechischen Tragödien waren ihm in ihrer jetzigen Textgestalt ähn-
liche Attfschwellungen des ursprünglich viel knapperen Dialogs. Und zwar
wären es schon die nächsten Erben der Tragiker oder die Dramaturgen der
nächsten Generation gewesen, die solche erweiterte .Ausgaben veranstaltet
hätten. Der plausible Grund dazu wäre darin gelegen. <laÜ die Dramen nur
bei ihren Craufiulii ungen den Schmuck der musikalisciien Chore hatten. Als
mit dem Ende des 5. Jahrhunderts der kostspielige Chor abkam, hätte man
das Bedürfnis gefühlt, den Abgang durch reichlicheren, rhetorischeren Dialog
zu ersetzen.
In den griechischen Rednern suchte er den kunstvollsten Numerus nach-
zuweisen, so dafJ die also erhaltenen (iebilde sich fast den Gesetzen der \'ers-
und Strophenbildung zu unterwerfen schienen. Cberhaupt setzte er sowohl
für den prosaischen wie für den poetischen Ausdruck der Griechen eine be-
wufite Gesetzlichkeit voraus, wie sie bisher unerhört war.
Das weiteste Interesse erregte sein Versuch, nachzuweisen, daß die Ger-
mania des Tacitus ein I.ehrgediiht, in jambischen Senarcn abgefaßt, darstelle.
Kr bemühte sich, durch die geringsten \"erän(lerungen des Textes, meist durch
bloßes Umstellen der Worte die ursprünglichen Verse wiederherzustellen.
Aber gerade der Unglaube und der Widerstand, den diese Auf^llung erfuhr,
hat ihn immer mehr verbittert und wohl auch seine Krankheit und seinen
Tod beschleunigt. Er hatte bereits eine kost.spielige Ausgabe rier Germania
drucken lassen, die durch Anordnung der Lesarten in vier Farben eine un-
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Gidbauer.
mittell);ir(.> Anschauung des ursprünglirlK-n und des jct/igcn X'crliältnis^c^ des
Textes geben sollte. Denn er meinte auch hier, daß schon die antiken Hand-
schriften zum Schalgebrauch eine Auflösung der poetischen in die prosaische
Wortfolge begonnen hätten. So viel er gerade auf diese Entdeckung und
auf die Methode ihrer kritischen Beweisführung hielt, so hat er doch in letzter
Stunde die Ausgabe des fertigen Druckwcrks aufgegeben. Ich weiß nicht,
ob er sie auf einen späteren günstigeren Zeitpunkt verschieben wollte, wie
er selber anileutete. In seinem Xachlab haben sich einige vollständig ge-
druckte Exemplare vorgefunden.
G.S Hauptpublikation sind seine »Kritischen StreifeQge«, eine Sammlung
mannigfaltiger Aufsätze aus allen Gebieten der Philologie. (Freiburg im Breis»
gan 1886, Herder. 8» XI u. 481 S.)
Seine andern philologischen Schritten sind: •De Codice L'n'iano vctustiss'imo
V'mäobtmensi.* Wien 1876, Gerold. 8°, IV u. 133 S. — iSophokleische Studien.
Sep.-A. a. d. Zschr. f. d. Osterr. Gymn. XXVIII. 1877. — »Verbesserungsvorschläge
zu Ciceros Epp. ad fam.* Sep.-A. aus »Wiener Studien«. 1879. — »Ein Wort
über Madvigs Emcndaiioncs Liv'ianae.* Zschr. f. d. österr. G3rmn. 1878. — »Pa-
Iäographi>che Nachlese./ Zschr. f. d. österr. Oyinn. 1S7S.
Textausgaben veranstaltete er von Horaz (Wien 18S1, (Icroid), von Mabrius
iWien 1882, Gerold), von Cornelius Xepos (Freiburg i. Br. i8S^, Herder; 4. Auf-
lage 1893, dazu auch eine Ausgabe ywith a Vocabuiary in Englis/i ), von Cäsars
gallischem Krieg (Freiburg i. Br. 1884 u. 1885, Herder), von Piatons Laches
(Freiburg I. Br. 1884, Herder), von Tacitus Annalen (Freiburg 1. Br. 1887, Herder).
Die Antigone des Sophokles hat er nach den bereits erwähnten kürzenden
Prinzipien und nach eigener Sichtung des griechischen Textes übersetzt
(.\llg. Bücherei, Wien Nr. 6, Brautnüller; mit Vertonung der Gesangsteile durch
Richard Kralik). Bedeutsam für seine Methode ist besonders: P. Ttrenti
Ade^hoe, Principia critUa seetäus ab usitaüs äwtrsa rtcemmt M. G. Cum specinme
ediäoms quadrieoloris (Wien 1896, Fr. Doli).
G. war aber vor allem Spezialist auf dem Gebiete der antiken Tachy-
graphie. Hier hat sein Scharfsinn grtWJte .\nerkennung errungen. Darauf
beziehen sich folgende X'erüffentlichungen : Die C berreste der grici lii>t hcn
Tachygraphie im Codex l'at. Gr.t. Zwei Abteilungen. Denkschriften d. kais.
Akad. d. W. Phil.-hist. Klasse, XXVm 1878 u. XXXIV 1884 (auch Separatab-
druck). — Transskription und orientierende Bemerkungen zu den zwei tachy-
graphischen Tafeln XXVI u. XXXI in Schrifttafeln zur Gesch. d. griech.
Sclirift von Wilh. Wattenbacli. 2. Heft. Herlin 1877. ( lardthausen und die
grit ( h. Ta( hygrapliie , Beilage /um Korrespondenzblatt des Kgl. stcnogr. In-
stituts zu Dresden, 1879 Nr. 5, S. 18 ff. — »Die Stenographie der Griechen
nnd Römer» (Sep.*A. aus dem »Vaterland«). Wien 1894, Fr. Doli. Mit einer
Beilage. — »Die drei Systeme der griechischen Tachygraphie.« Mit 4 Tafeln.
Denkschr. d. kais. Akad. d. W. IMii! bist. Klasse XLIV, 1886, auch separat. —
Zur ältesten Tachygra|)hie der (iriechen.« Festbuch zur hundert). Jubelfeier
der deutschen Kurzschrift. Herausgeg. v. Dr. (.'Iir. Johnen. Herlin 1896. Wrlag
von Kerd. Schrey. — »Studien zur griechischen Tachygraphie.' .Archiv für
Stenographie von Dr. Curt Dewischeit, Berlin. 53. Jahrg. 1901 u. 54. Jahrg. 1902.
G. hat auch gedichtet, lateinisch und deutsch. Hierher gehören mehrere
Novellen, unter dem Pseudonym Burgholz in Zeitschriften veröffentlicht, latei-
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140
Gdbauer. von Salmudu
iiisclu- (icM lichte an Papst I.cfi XIII. und anricre Pcrs(inli(likeiten, deutsche
lyrischf und scherzhatte (ledichte in Anihohigien untl in ( iele^a-nhcitsdrut ken.
Shakespeares »Sturmis hat er luicli eigener Sichtung des englischen Textes
übersetzt für das 5. Heft der Allg. Bücherei (Wien, Braumüller).
Als Mitredakteur des Wiener »Vaterland« hat er vor allem zahlreiche
Leitartikel über französische Verliältnisse und Politik geschrieben. Eine Rede
am Stiftmif^sfest des katholischen Studentenvereins Austria«, die 1881 hei
V. Kipeldauer, Wien, gedruckt wurde, hat viel Aufsehen und ihm manche
Verdrießlichkeit erregt.
Sein handschriftlicher Nachlaß enthalt außer seinen Rollegicnheften eine
Sammlung sorgfftitig ausgearbeiteter Predigten. Nur zwei davon sind gelegent-
lich im Druck er-xliicuen: Maria, ein dreifaches Vorbild des Priesters.«
Freibur*,' i. Hr. 1S84, Herder. Das Priesteraint ein Kiigclaint.< Linz i8»)i ,Sol)otka.
\'on eij^enen lülelMiis^en erzählen lebendig,' die »Keisebiider aus Schwaben-
lanil und der Schweiz. Wien 1S83, Kirsch.
Unvollendet geblieben ist die kritische Ausgabe der Psalmenkommentare
des heil. Augustinus, die er für die Sammlung der lateinischen Kirchenvater
im Auftrag der Wiener Akatlemie der Wissenschaften vorbereitete. Die Reisen,
(Iure h die er sich in «Icn Besitz des handschriftlichen .\pparats setzte, haben
seine Lebenskraft, die s< hon durcli Knttäuschungen auf seiner wissenschaft-
lichen Laufbahn im innersten angegriffen war, vollends erschöpft. \ on fiaus
aus eine frohmütige, naive, fiust kindliche Natur, .sanguinisch, liebenswürdig,
vertrauensvoll, freundschafutbedürftig, unterlag er im Kampf für seine origi-
nellen Anschauungen, die er bis in ihre letzten Konsequenzen zum Siege zu
führen verzagen mußte. Seine geist\'olle Arbeit wird nicht jzanz vergebens
sein. Manche seiner (irundsätze werden bei vorsichtigerer P>chandlung einst
noch der Philologie zum Nutzen oder zur Anregung gereit hen können.
Salmuth, Ludwig Friir. von, General der Kavallerie, * x. August 1S21 zu
Ballenstedt a II , f \q. Januar 190,^ in Schöneberg b. Berlin. — 1840 als
Füsilier mit der .Aussicht auf Beförderung in das o. Infanterie-Regiment ein-
getreten, rückte S. bereits in demselben Jahre zum Portepeetahnrich auf und
lieli sich als solcher im Dezeniber zum 10. Husaren-Kcgiment versetzen, wo
er kaum ein Jahr später zum Sekondeleutnant avancierte. 1847 nahio er an
dem französischen Feldzuge in Algier teil, wobei er leicht verwundet wurde.
In die Heimat zurückgekehrt, war S. 1848 1849 zur Militär-Lehrschmicde,
1840 1851 zur Militär-Reitschule kommandiert, wurde 185^ Adjutant der
7. Kavalleriel)ngade, im April zum 8. Husaren-Regiment versetzt und im Fe-
bruar 1854 Adjutant der 7. Division. Als solcher stieg er nach einigen Mo-
naten zum Premierleutnant auf und erhielt im August 1857 seine Ernennung
zum Rittmeister. In diesem Dienstgrade im Oktober in die Front zurück-
versetzt, erhielt S. zunächst die l'ülirung einer Schwadron des damaligen
8. Landwehr-Husarenregiments, wurde 1858 Kskadronschef imd \^^q zum
(larde-Kürassierregiment versetzt. Hei der Rel)rgani^ati(»I1 der {»reuliischen
Armee führte S. zuerst eine Schwadron des kombinierten Ciarde-Dragoner-
regimcnts, erhielt 1860 eine solche als Chef in dem neuformierten 9. Garde-
Dragonerregiment und im Juni 1864 das Kommando als Adjutant des
Richard v. Kralik.
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von Salmutli. ron Schulenbursr.
141
Generalkommandos des Gnrciekorps. 1866 zam Major befördert, nahm er in
dieser Stellung an dem Feldzuge von 1866 gegen Österreich, und zwar an den
Gefechten von Nacliod, Soor und KCtniginhof sou it- an der S< hhu lu hei
Königgrätz teil, wurde Knde Oktober von seinem Kuinnuindo enthoben, etats-
mä&iger Stabsoffizier in seinem Regiment und 1868 Kommandeur der BlOcher-
husaren (Pomroersches Husarenregiment Nr. 5) in Stolp. 1869 zum Oberst-
leutnant aufgestiegen, führte S. seinen Truppenteil 1870 in den Krieg gegen
Frankreich und machte (h»rt che Schlacht ))ei Sedan. die Einschließung von
Paris, die Ciefechte !)ei Petit Hicotre, hei Marollo und Artenay, «las Treffen
bei Coulmiers, die Schlacht bei Orleans, das Oefecht bei Aieung, die Schlacht
bei Beaugcncy-Cravant usw. mit. Für vor dem Feinde bewiesene Tapferkeit
ertiielt S. beide Klassen des Eisemen Kreuzes sowie verschiedene andere hohe
Auszeichnungen. 1871 zum Oberst befördert, bekam er das Kommando der
7. Kavalleriebrigade, wurde 1S76 CJenerahnajor und als solcher 1881 mit der
Führung der 7. Division beauftragt, an deri'ii Spitze er 1K82 als General-
leutnant trat Als solcher leitete S. die Kavallerieübung beim IV. Arniee-
koips und nahm 1887 den Abschied. 1895 erhielt er den Charakter als Ge-
neral der Kavallerie.
Nach den Akten. Lorenzen.
Schulenburg, Werner von der, Generalleutnant, * .^o, Januar 1S36 zu
Glogau, -f 9. Oktober 1903 zu Potsdam. — Aus dem Kadettenkorps als Portepee-
fähnrich dem Infanterie-Regiment Nr. 20 überwiesen, avanciertes. 1857, zum
Sekondeleutnant, war x86o zur Gewehr- Prfifungs- Kommission in Spandau
kommandiert, wurde darauf zum Infanterie-Regiment Nr. 60 versetzt und 1861
beim Landwehr-Regiment Nt. 20 beschäftigt. Im Fekizuge von 1864 in
Schleswig focht er mit seinem Trui)[>cnteil bei Windebyc und Missunde gegen
die Dünen, nahm an der lielagerung untl Krstürmung der Düppeler Schanzen
teil und zeichnete sich bei dem Übergang nach der Insel Alsen aus, so daß
er aufier einer Belobigung noch den Roten Adler^Orden IV. Kl. mit Schwertern
erhielt. Während des Krieges wurde S. 1864 zum Premierleutnant befördert,
war nach dem P'rieden als Adjutant des 3. brandenburgischen Landwehr-
regiments Nr. 20 kommandiert, machte 1866 im Feldzuge gegen Österreich
die Schlai ht bei Kiiniggrätz mit und fungierte von 1866 1868 als Kegiments-
adjutant, in welcher Stellung er drei Monate in Neu-Strelitz bei F^inrichtung des
neuen Landwehr-Bezirkskommandos tätig war. 1869 zum Hauptmann und
Adjutanten der 11. Division ernannt, am folgenden 18. Juni unter Belassung
in seinem Kommando zum westpreußischen Füsilier-Regiment Nr. 37 versetzt,
trat S. 1S60 als Adjutant zum C;eneraI-Komman(!() des III. Armeekorps über
und m.ichte bei diesem den deutsch - fran/osiM hcn Krieg von 1870/71 mit.
Er nahm während desselben an den Schlachten bei Spichcren, V'ionville und
Gravelotte^ der Einschliefiung von Metz, dem Gelechte bei Bellevue, der
Schlacht bei Beaune la Rolande, dem Gefechte bei Bellegarde, der Schlacht
bei Orleans, den Gefechten bei Gien, Coulommiers, .\zai-Mazange, Epuisay,
Montaille und Ardenay, sowie an der Schlacht bei Le Maus teil und wurde
nach der Riu kkehr in die Heimat 1S73 als Kompagniechet in das S. l)raiulen-
burgische Infanterie-Regiment Nr. 64 versetzt. 1876 erfolgte mit der Hefortle-
ning zum Major S.s Versetzung in die Abteilung für persönliche Angelegen-
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142
von Schttlenburg. von Gcmmingen. von Hoffmann.
heitfii im Kricgsministcriuin, \vel<'he Stellung er iSSj mit der eines Bataillons-
kommandeurs im 3. thüringi>.clR-n Itifanterie-Kegiment Nr. 71 vertauschte, bis
er im Januar itS84 als Oberstleutnant und elatsmäliigcr Stabsoflizier in das
hohetizollerasche Füsilier-Regiment Nr. 40 kam. 1887 mit der Führung des
6. brandenburgischen Infanterie -Regiments Nr. 52 beauftragt, erhielt er am
14. Mai jenes Jahres (.hxs Kommando dieses Truppenteils als Oberst, das er
bis zum 24. NTärz iSqo jjehielt, an welrheni Tage er, zum General aufgerückt,
Kommandeur tler ig. Intanterie-Hrigade wurde. In dieser Stellung verblieb
er bis zu seiner erbetenen Verabschiedung 1892.
Nadi den Akten. Lorenzen.
Gemmingen, Julius Frhr. von, General der Infanterie, * 15. Juli 1S44 zu
Grünau in Westpreußen, 7 23. Oktober 1903 zu Berlin. Nach beendigter
.Ausbildung im Kadettenkorps wurde O. 1862 als Sekotuleleutnant in das
(larde-i'üsilier-kegiment eingereiht. 1866 wurde er dem Ersatzbataillon des
Regiments zugeteilt, nach Beendigung des Feldzuges zum Adjutanten des
5. Bataillons ernannt und 1867 in das anhaltische Infanterie-Regiment Nr. 93
versetzt. Auch bei diesem Truppenteil fungierte G. zunächst als Adjutant des
Zerbster Bataillons und darauf als Regimentsadjutant, als welcher er 1869
zum Premierleutnaiit aufrückte. Im Feld/uge von i87o'7i nahm er an der
rnternehmung gi gen die Festung Toul, an den S< hlachten bei lieaumont und
Setlan sowie an der Ik'lagerung von Paris teil und wurde nach der Rückkehr
in die Garnison 1873 von der Stellung als Regimentsadjutant enthoben. In
demselben Jahr zum Hauptmann und Kompagniechef befördert, trat G. 1877
in den Großen Generalstab über und wurde am 25. April 1878 in den Generäl-
stal» der 21. Division in I-rankfurt a. M. ver'^et/.t, wo er 1881 zum Major avan-
cierte, in well hem Dienstgrade er 1S82 zum ( jeneralstabe tles XI. Armeekorps in
Kassel kam. 1884 unter Rückversetzung in den ürolien Generalstab zum Kriegs-
ministerium kommandiert und im Juli desselben Jahres zum Allgemeinen Kriegs-
departement versetzt, tat G. vom Juli 1867 ab beim 3. Garde-Regiment z. F.
Dienst, wurde Bataillons-Kommandeur in diesem Regiment und kam 1888 als
Oberstleutnant iniil etatsmäßiger Stabsofti/icr in das 7. thüriiiizi-^t lie Infanterie-
Regiment Nr. 96. iSSS zum Chef des Geiieralstal)es \ I1. Armeekorps ernannt,
rückte G. 1890 zum Oberst auf, wurde 1892 Konunandeur des 4. Garde-Regi-
ments z. F. und trat 1894 als Generalmajor zu den Offizieren von der Armee
über. Einige Zeit darauf zum Kriegsministerium kommandiert, übernahm G.
die Leitung des Militär-(")konomie-Departements, wurde 1897 Generalleutnant
189S Kommandeur der S. Division, tqoi vielgerühmter Triisident des neu-
errichteten Reichs- .Militärgerichts. Seine Beförderung zum General der In-
Infanterie erfolgte 1902.
Nach »Mtlitir>Zeitiing<. Lorenzen.
Hoffmann, Karl Ritter von, König!. Bayerischer General der Infanterie,
* 2. Dezember 1832 zu Regensburg, f 3. l'ebruar 1903 zu München. — Nach
Durchlaufen der unteren Dienstgrade wurde H. 1853 zum Leutnant, »86i zum
Oberleutnant, 1866 zum Hauptmann im Infanterie-Leib- Regiment befördert.
Als solcher nahm er an dem Kriege gegen Preußen teil und zeichnete sich
im Feldzuge von 1870/71 gegen Frankreich bei Wörth aus. NamentUdi aber
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von Hoflfnann. von Bumke.
HS
bewahrte er in dem blutigen Rin^a-n tim Bazeilles in der Srhlacht bei Sedan
eine jranz bewundernswerte Ruhe und K iltl)lütijikeit. Hier ließ er, als eine
traii/t)>is( hc K<)ni|)aiinie mit f^efalltiMn Hajonctt auf die si-inif^e lossiürniti-, Halt
inaciien und naehdciii der l eind aut etwa ukj St hritte herangekommen war,
zur Salve anlegen. Als M. bemerkte, dafi einige seiner Leute hierbei muckten,
lieft er in aller Ruhe wieder absetzen und kein Mann feuerte trotz der Nähe
der Gefahr, aber es muckte auch keiner als nun zum zweiten Male angele^,'t
wurde, und auf das Kommando i-euer rollte die Sähe dem Feinde auf
50 S«'hritt Kntfernunii cntfif ^en. Der Sturm war abgeschlagen. Ii. behauptete
dann noch einige Zeit hindurch seine Stellung, mufite sich endlich abc-r mit
einem Verlust von 43 Toten, darunter 3 Offiziere, zurückziehen. Auch im Ge-
fecht bei Villepion tat H. sich ruhmvoll hervor, nahm in der Schlacht bei
Loigny-Pouprj' ein bereits an die Franzosen verloren gegangenes Wald-
Stück wieder und vertrieb l)ei Orleans den Feind zweimal mit dem Hajonett
aus seinen Stellungen. In der Sc hlacht l)ei l?eaugenc\ -( "ravant wurde er ver-
wundet. Nach dem Fehlzuge trat H. zum Cieneralstabe über, rückte 1873 zum
Major und 1876 zum Oberstleutnant auf, als welcher er an die Spitze des 4. In-
fanterie-Regiments König Karl von Württemberg trat. In dieser Stellung zum
Oberst befördert, erhielt er unter Stellung ä !a suiie der Armee 1885 das Patent
als Generalmajor, wurde am 1. Dezember zum Kommandanten von Ulm, 1886
zum Kommandeur der 6. Infanterie-Urigade, und 1S80 zum (leneralleutnant er-
nannt. Am 9. Mai jenes Jahres trat H. als Rommanileur an die Spitze der
3. Division und wurde am 23. Mai 1893 Chef des üeneralstabes auch mit Wahr-
nehmung der Geschäfte als Inspekteur der Militär-Bildungsanstalten beauftragt.
Mit dem Charakter als General der Infanterie erhielt er 189$ den nachge-
gesuchten Abschied.
Nach »Militir-Zeitung«. Loren zen.
Bomke, Julius TOn, Generalleutnant, * 21. Mai iS$9 zu Zehdenick im
Kreise Templin, f 31. Januar 1903 zu Berlin. — Nach vollendeter Erziehung
.Ulf der Kitterakademie in Rrandenburg a. H. bezw. im Gymnasium zum grauen
Klo>ter in Ik-rlin, wurde B. 1849, als Pionier auf Hefcirderung dienend, in die
5. Pionier-Abteilung eingestellt und ein Jahr später zur 3. Pionier-Abteilung
versetzt. Während des Besuches der Vereinigten Artillerie- und Ingenieur-
schule in Berlin 1850 — 1853 rückte er 1852 zum Sekondeleutnant auf und
trat nach Verlassen der Schule zur 8. Pionier-Abteilung über. Drei Jahre
später zum Adjutanten der 7. Pionier-Abteilung ernannt, kam B. 1859 zum
Fortitikationsdicnst nach Mainz, wo er zum Premierleutnant avancierte. 1862
der 2. Reserve-Pionier-Kompagnie überwiesen, besuchte er von 1861 — 1864
die Kriegsakademie in Berlin, war im Anschluß hieran zur .Ausbildung in der
französischen Sprache auf zwei Jalire nach Paris kommandiert, erhielt 1864
das Hauptmannspatent und fand nach seiner Rückkehr Verwendung als Ad-
jutant der 3. Ingenieur-Inspekdon, in welcher Eigenschaft er bis zum Aus-
bruche des Krieges von 1866 tätig war. Den Feldzug machte er im Süd-
westen von Deutschland mit, wurde 1S66 dem Chef des Ceneralstabes der
.\rrnee zugewiesen, kam im Oktober zum (leneralstahe des \'1H. .\rmeekor|)s,
machte im Jahre 1867 eine Erkundungsreise nach Frankreich und avancierte
j86S zum Major. 1869 hielt B. sich zu Erkundungszwecken abermals zwei
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von Bumke. Modupfel.
Monate luiuluich in l'rankroich auf und zog hei Auslirudi des Krieges von
1X7071 ini (ieneralstabe seines Armeekor|)s ül)er die tranziisisehe (Jrenze, wo
er iu\ den Schlachten bei Spicheren, Vionville und Gravelotte, der Belagerung
von Metz, an dem Gefecht bei B^rtaucourt tes Thennes, an Schlacht bei
Amiens, an dem Gefecht bei Buchy sowie an den Schlachten an der Hallue»
bei Bapaume und St. Quentin teilnahm. Als General v. Goeben im Januar 187t
den Oberbefehl über die i. Armee übernahm wurde Ii. mit der l'ührung der
Geschäfte als Ober-Quartiermcister beauftragt und vertrat später den Chef des
Stabes der Armee. Kür seine \ erdienste mit dem Eisernen Kreuz 2. und
I. Klasse sowie mit dem Orden ßour k mirite ausgezeichnet, erhielt er im März
das Kommando des I. Bataillons Infanterieregiments Nr. 74, avancierte 1873
zum Oberstleutnant und wurde 1874 mit I'ührung der Geschäfte als Chef des
Stabes der General-Tnsjiektion tles Ingenieurkorps und der Festungen beauf-
tragt. 1S75 zum Chef des Stabes der genannten General-Inspektion, 1S76 zum
Oberst, 1882 zum (icneralmajor, 18S3 zum Inspekteur der 2. Ingenieur-Inspek-
tion sowie zum Präses der Prüfungs-Kommission des Ingenieurkorps und 1885
zum Inspekteur der 3. Ingenieur-Inspektion ernannt 1887 wurde ihm der
Charakter als Generalleutnant, 1896 der Adel verliehen.
Nadi »MQittr-Zeitvngc. Lorenzen.
Hochapfel, Hclwig Reinhard, Maler, * 28. April 1823 zu CasNel, f 7. Juni
1903 daselbst. — H. war ein Sohn des liofschlossermeisters Heinrich H. zu
Cassel. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er auf der dortigen Kunst-
akademie, wo Werner Henschel, Ruhl, L. Grimm u. a. seine Lehrer waren.
Nach mehrjährigem Aufenthalt in London und München ließ er sich 1849
als Dekorationsmaler in seiner Vaterstadt nieder. Seine dekorativen Arbeiten
wurden sehr geschät/.t. So malte er u. a. 1857 tlie Trinkhalle zu Bad Nauheim
und das Innere des Casscler Hoftheaters. Die neun Musen an der Decke
des Zuschauerraums schuf er nach Skizzen seines Schwagers, des Schlachten-
malers Adolf Nordien aus Hann.-Münden (f 1876), mit dessen Schwester Char-
lotte er seit 1S52 in glücklicher Ehe lebte. Auch im Wilhelmshöher Schlofi
hat er mancherlei künstlerische Arlieiten ausgeführt, den großen Stammbaum
des hessischen Füistenhauses im Ku[)|ielsaal vollendet und den Rittersaal der
Lüwenburg ausgemalt. Die Inncmlekoration des Schlosses zu I rieilelhausen
(Rabenau) sowie die der neuen Casseler Gemäldegalerie ist gleichfolls zum
groflen Teil unter seinen Händen entstanden. H. machte zuerst seine Mit-
bürger, die ihn seit 1861 in den Bürgerauss( huß bezw. Stadtrat gewählt hatten,
in der »»Hessischen Morgenzeitung ' auf die S< honheiten des »malerischen
Cassels« aufmerksam, deren er manche auf die l.ennvand bannte. Seine alt-
kasseler Straüenbilder fanden vielen Beifall und werden auf seinen Wunsch
nach Fertigstellung des neuen Gebäudes der Casseler Murfaardbibliothek in
deren Besitz übergehen. In seinen letzten Jahren beschäftigte sich H., der auch
als ausgezeichneter Restaurator alter r)lbilder galt, viel mit poetischen Versuchen,
ohne jedoch die Kinder seiner Muse tler Öffentlichkeit zu übergeben. Auch
seine Geschichte des Casseler Weinbergs, auf dessen Höhe er sich als einer der
ersten Ansiedler ein idyllisches Heim errichtet, ist biJ> jetzt ungedruckt geblieben.
Hoflneiiter, Casscler Kinder in Piderits Gesch. v. Cassel, 2. Aufl., S. 473. — Hessen«
luid 17, 166. — Familiennachrichten. Ph. Losch.
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Kliogclhöfer. Merkel.
Klingelhöfer. Fritz, Maler. * 4. Mai 1832 zu Maibuig i. \\., j (.). November
1903 daselbst. — Sein Vater war der Anut.wundarzt Friedrich Jacob Theodor
iL zn Marburg. Schon in seinem t6. Jahre kam er nach Cassel auf die dortige
Kunstakademie, die er bald darauf mit der Dflsseldoxfer vertauschte. Aber
lange hielt er es auch hier ni« lit aus. Als junger Mensch von 19 Jahren ging
er über den O/can nach Nordainerika, wo er zwei Jahrzehnte verweihe und
aucli ain Sklavenkrieg tler I nion gegen die Südstaaten teihiahm. \'on größter
Bedeutung für seine künstlerische Entwickelung war seine Reise n.ich West-
afrika, die er im Jahre 1872 in Begleitung eines Freundes unternahm. Hier
an den Ufern des Kongo, des Kamerunflusses und im Nigerdelta bis herauf
nach dem grünen Vorgebirge sammelte er nicht nur zahlreiche ethnographisch
und naturgeschichtlirh interessante Gegenstände. Waffen und (ier;its( haften,
die z. T. später in den Besitz des Berliner Museums für X'olkerkunde über-
gegangen sind, sondern auch viele reizvolle Motive für seine Iropenlaud-
schaften, die er später nach , der Rückkehr in die Heimat ausgeführt hat.
Zweimal war K. in Afrika, dann liefl er sich 1878 in seiner Vaterstadt Mar-
burg nieder, der er seitdem treu geblieben ist. Hier hat er viel gemalt, ohne
ietloch mit seinen Bildern in weiteren Kreisen l)ekannt zu werden, da er bei
seinem ausgesprochenen Widerwillen gegen Kunstausstellungen es vermied,
seine Bilder in der Welt herunizusenden. Eine Anzahl seiner Landschaften
hat er indessen im Jahre 1894 in Marburg ausgestellt. K.s Eigenart war die
Darstellung exotischer Landschaften, die teilweise von packender Wirkung
sind. Seit der Rückkehr in die alte Heimat malte er auch zahlreiche Land-
schaften aus der Umgegend von Marburg, die wegen ihrer Naturwahrheit und
Farbentechnik die Anerkennung nicht nur seiner Freunde, sondern namhafter
Kunstgröüen, wie Carl Bantzers und H. von V olkmanns fanden.
Nekrologe in »Oberbcssisdte Zeitung« v<Mn i I.November 1903. — Hessenland 17,
306 VL 317. Ph. Losch.
Merkel, Walther Emil, Maler, * 13. Juli 1863 zu Cassel, f 7. Dezember
1903 zu Wehlheiden. — M. besuchte die Casseler Kunstakademie, an der sein
Vater Carl (iottlob M. (f 1897) seit 1854 als Lehrer der Zeichenkunst und
architektonischen ( >rnamentik unterrichtete. Der talentvolle Sohn errang sich
den l*reis der Bose-Stiftung und konnte damit 1895 zu seiner weiteren .Aus-
bildung nach München gehen. Später kehrte er nochmals nach Oberbayem
zurück, um in Alling und Wessling zu studieren, wo auch sein Freund und
Landsmann, der im Jahre 1902 verstorbene Hans Feht ^ si< Ii manches
schöne Motiv für seine Landschaften geholt hatte. Wie I ehrenberg. so war
auch -\L vorzugsweise Landschaftsmaler. .Seine ."Studien aus der rnigegend
von Cassel, besonders aus dem Habichtswalde und dem Druseithale sind fein
empfunden und gut ausgeführt Aber auch im Portrfitfach hat M. Gutes ge-
leistet und es fehlte ihm darin nicht an Aufträgen. Besonders bekannt machte
er sich durch sein Bildnis Landgraf Philipps des Großmütigen, das er im
Jahre 1891 nach einem Holzschnitt Hrosamers für die neue .\ula der Univer-
sität Marburg malte. Line verkleinerte Austührinig dieses (ietnäldes ist im
Besitze der Casseler Landesbibiiolhek. Im Frühjahr 1902 wurde M. krank.
Ein Winteraufenthalt in Italien vermochte sein Brustleiden nicht zu lindem.
Nur 40 Jahre alt, ist er in dem Casseler Vororte Wehlheiden gestorben.
Nach dem Nckndof von W. Schftfer im Hcssenluid 18, 15. Ph. Losch.
Ubfr. Jahrbuch u. I>MltdMr Nckralof. 8. Bd. lO
Dlgltlzed by Google
146
Bdlingrath. Lunts.
Bcllingrath, Ewald, Dr.-Ing., Gfiu-i ildirrktor der »Kette (deutM lic F.lb-
schiffahrtsgescllschaft), * 18. April 183Ö in Bannen, f 22. August 1903 in
Dresden. — B. entstammte einer angesehenen, industriellen Familie Barmens;
nach Absolvierung der polytechnischen Studien, denen er in LQttich, Karls-
ruhe und Zürich oblag, widmete er sich einige Jahre der damals inäihtig
aufblühenden Stahlindustrie. Im Jahre iS6q be^cründete er die (k'sellscbaft
» Kette i in Dresden, die zunäclist die KIbe mit einer von Böhmen bis
Magdeburg reichenden Kette belegte. Später wurde unter seiner Leitung
auch auf der Saale, auf dem Neckar, Main und auf der Moldau die Ketten-
schleppschiffahrt eingeführt. Nachdem im Jahre 1874 die Kettenlegung auf
der ganzen Elbe beendet war, wurden an Stelle der nur 1 00 bis 150 t Lade-
fähigkeit besitzenden Fracht^c hiffe sdh he von 400 bis 700 t eingeführt. Hier-
durch, sowie durch rationelle l- rarhtt.u iieinrichtungen vermehrte sich der
Verkehr in 15 Jahren um etwa das Zehnfache.
B. verstand es, befähigt durch seine gediegenen wissenschaftlichen Kennt-
nisse einerseits und durch den tiefen, verständnisvollen Einblick in die Be-
dürfnisse des industriellen Lebens anderseits, die Fortschritte der Wissenschaft
für die Vervollkommnung der Hiimenschiffahrt trefflich auszunutzen und auch
die ersteren wesentlich zu fördern, dlänzende Beweise hierfür sind seine
»Studien über Bau und Betriebsweise eines deutschen Kanalnetzes« (1879) untl
die Schaffung einer mustergültig ausgestatteten Versuchsanstalt zur Bestimmung
der Widerstände der SchiffekOrper im Wasser. In Anerkennung seiner groflen
Verdienste auf dem Gebiete der Technik wurde B. im Jahre 1901 von der
Technischen Hochschule in Dresden zum »Ehrendoktor« ernannt.
R. war eine vornehme Xatur; er verleugnete auch inmitten der regsten
F>werl)statigkeit niemals seinen idealen Sinn, bewahrte stets ein lebhaftes
lnteres.se für Kunst und Wissenschaft und förderte in uneigennütziger Weise
den Ausbau der Technik.
Literatur: »Zentralblatt der Bauverwaltimg« 1901, $. 207 und 1903, S. 440; »Zeil-
schrift des österreichischen Ingenieur< und ArchitektenTereins 1903, S. 576. A. Birk.
Luntz, Viktor, Professor an der Akademie der bildeiulen Künste in Wien,
* 8. März 1840 in Vbbs a. d. Donau (X. ().), f am 12. Oktober 1903 in Wien. —
L. hatte seine kfinstlerische Ausbildung an der Architekturschule der Akademie
der bildenden Künste zu Wien unter van der Nüll, v. Stccardsburg und
Schmidt (1860— 1864) erhalten; dann trat er in Schmidts Atelier, wo er sich
der mittelalterlichen Baukunst widmete. Seine Tätigkeit in tlicscm -\telier
unterbrach eine zweijährige Reise nach Italien, der Schwei/., nach Deutsch-
land, Spanien, Portugal und Frankreich mit liulic des groüen Staats-Keise-
stipendiums, das ihm die Akademie in Anerkennung seiner — ohnehin schon
durch den Gundel- und Fugerpreis ausgezeichneten — Leistungen verlieh.
Als Schmidts Mitarbeiter war L. beim Bau der St. Othmarkirche unter den
Weißf^'ärbern und beim Hau des Rathauses in Wien t;itig. (ielegentlich der
Sehlulisteinlegung bei letzterem erhielt er das Ritterkreuz des Franz Josef-
Ordens und das Bürgerrecht der Gemeinde Wien.
Im Jahre 1885 wurde L. als Nachfolger Ferstels an die Technische
Hochschule und im Jahre 1891 als Nachfolger Schmidts an die Akademie
der bildenden Künste berufen, wo er mit großem Pflichteifer und inniger
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Luntz. Bischoff v. Klammsldn.
1 rcudc die mittelaltcrli< he Baukunst lehrte; ein jäher Tod machte seinem
Wirken vorzeitig ein Ende.
Von den Werken dieses charaktervollen, einfachen und bescheidenen
Mannes, dessen edles Denken und Handeln ihm treue Freunde erwarb, seien
erwähnt: die Mausoleumsbauten in Gurkfeld und Warnsdorf, die Grabdenk-
mäler für seine Eltern und seine Frau, der Jubiläunvsbrunnen in Seheibbs,
die Jubiläumskirche in Wien, die Restaurierung der Spinnerin am Kreuz«
und der Kirche »Maria am Gestade < in Wien. L. war Grunder und Ehren-
mitglied bezw. Ehrenvorstand der »Wiener Bauhütte« und Mitglied der
Zentralkommission fQr Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmäler.
Literatur: »Zeitsdirift de* östcrreicbUchen In^nicvu^ and Archttektenvercins« 1903,
S.635; mit Bild. A. Birk!
Bischoff V. Klammstein, Friedrich, k. *k. Sektionschef im P^iscnbahn-
ministerium, * 14. November 1832 in Graz, f 26. Februar 1^03 in Wien. —
Einer der alten Garde der Ingenieure, die beim Baue der Semmeringbahn
ihre erste praktische Ausbildung erhielten, hat B. durch volle fünfzig Jahre
mit ungeschwächter geistiger Kraft in seinem Berufe gewirkt und an der
Schaffung bedeutsamer Werke durch 26 Jahre in leitender Stellung teil-
genommen. Eine wechselreiche, verschietlene Gebiete des Kisenhahnhaiie^
und des Eisenbahnbetriebes umfassende Berufstätigkeit in dem jüngeren
Lebensalter befähigte ihn ganz besonders zu der leitenden Tätigkeit, mit der
er sein Schaffen und Wirken erfolgreich krönte und beschlofi.
Nach Vollendung der Semmeringbahn trat B. in die Dienste der Süd-
bahnL'eseU'-chaft, wo er u. a. auii\ die wichtigen Materialgescluifte führte.
Im Jahre iS()c) libeinahni er dit- Stell\ ertretung des leiti'nden ( »lieringenieurs
der Generalbauunternehiuung iur die ungarischen Staat.sbahnlinien Hat\ an —
Miskolcz und Zakany— .\gram, sowie der ungarischen Westbahn Raab— Graz.
Hier wurden ihm Aufgaben nicht nur bautechnischer, sondern auch wirtschaft-
licher und finan/.ieller Natur, so daß er sich umfossende kaufmännische
Kenntnisse erwarb, die ihn später wie selten Einen geeignet erscheinen
ließen, die oft s( hwierigen und lieiklen Endaustragungen zwischen Hauherrn
und Unternehmer ni einer beide Teile zufriedenstellenden Weise zu losen.
Im Jahre 1875 — nach Vollendung der genannten Bahnbauten in Ungarn
— trat B. in die Dienste der Kaiserin Elisabeth-Westbahngesellschaft, die
ihn schon im nächsten Jahre mit der Leitung des gesamten Bahnerhalt ungs-
(lienstes betraute, den er in mustergültiger Weise reorganisierte. Hei der
Verstaatlichung der Westbahn (1HS2) wurde H. Abteilungsvorstand der
k. k. Staatsbahnen, als welcher er zwei Jahre .später den Titel und Charakter
eines Hofrats erhielt. Eine große Reihe von Neubauten, darunler den Um-
bau des Untersteintunnels und die Vollendungsarbeiten an der Arlbergbahn
und der galizischen Transversalbahn hat B. in dieser Stellung geleitet. Er
verstand es, tüclitige Fachleute heranzuziehen und sie für seine .Anschauungen
zu begeistern; er verstand es, die technischen l'ortschritte zu verwerten, neue
anzuregen und für die Durchführung scliwieriger l'robleme die richtigen
Pfade zu weisen, auf denen seine Nfitarbei^r rfistig vorwärts zu schreiten
vermochten. In dieser Hinsicht muß seine Tätigkeit in der eben gekenn-
zeichneten Periode voll anerkannt und von diesem Standpunkte aus müssen
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148
BischoH' V. Klauunstein. Borsdorf.
auch die ihm zuteil gewordenen Auszeichnungen, so die Erhebung in den
Adelsstand, beurteilt werden. Diese hervorragenden Eigenschaften lieflen ihn
auch als den rechten Mann für die Leitung der im Jahre 1895 neu ge-
schaffenen k. k. Baudirektion erscheinen, welcher u. a. der Bau der Wiener
Stailtbahn übertragen wurde. Im Jahre 1807 erhielt B. tlen Titel und
Charakter eines Sektionschefs und am i. Jub 1902 trat er nach Vollendung
der Stadtbahn und Auflösung der liaudirektion für dieselbe in den Ruhestand.
Grofie Verdienste hat B. um den Osterreichischen Ingenieur- und Archi-
tektenverein sich erworben, in dessen verschiedenen Komitees er au6er-
ordentlicli eifrig wirkte. B. hat die Flußeisenfrage aufgerollt und an der
gedeihlichen Lösung derselben hervorragenden Anteil genommen. In den
Jaliren 1.S.S7 und 1888 war er auch X'orsteher dieses \ ereins. Als Mitglied
der i'rüfungskonunission für die zweite Staatsprüfung und für die Ingenieur-
Diplomsprüfung aus dem Ingenieurbaufache an der k. k. technischen Hoch-
schule in Wien wird ihm ein wohlwollendes und mildes Urteil nachgerühmt.
B. bekleidete auch seit 1891 das Ehrenamt eines Vorsitzenden im Preisausschusse
des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen.
Kill Herzschlag machte seinem I.eben, das er nach seiner reiisiomerung
au.sschlieülich seiner Familie widmete, ein jähes, aber glücklicherweise
schmerzloses und sanftes Ende. Sein rauhes, mitunter barsches Wesen hat
ihm nicht allenthalben Liebe gewonnen — aber die ihn näher kannten,
rühmten sein weiches Herz.
Litcr.itur: »Zeitschrift des Ost«rreidiUcheii Ingenieur- und Architcktcnvcreins« 1903,
S. 235; uiit Bild. A. Birk.
Borsdorf, Alfred Theodor Wilhelm, * 9. April 1865 zu Potsdam, f 10. Juni
1903 auf Capri. — B. besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und stu-
dierte seit 1882 in Berlin bei Tobler und /uj)itza romanische im 1 englische
Philologie. Im Jahre 1885 wandte er sich nach (lenf, verlebte den darauf-
folgenilen Winter in Italien, ging dann nach Paris zu Ciaston Paris und kehrte
nach Berlin zurück, wo er am 11. Januar 1890 promovierte. Seine Disser-
tation behandelt die Burg im »Claris und Laris« und im »Escanor«. Die
kulturgeschichtlichen Ergebnisse waren um so reichhaltiger, da er neben dem
Bau der Burg auch die J^ebensutensilien und Lebensgewohnheiten der Burg-
insassen in den Kreis seiner Betrachtung zog. Zudem ergab die Besc liränkung
des Themas auf zwei gleichaltrige Gedichte interessante Beiträge zur fran-
zösischen Bedeutungslehre. Der Arbeit fehlte darum auch die Anerkennung
der Fachkritik nicht. Ende 1892 wurde B. zum Professor der romanischen
Sprachen und Dozenten der altdeutschen Philologie am UmvenUy Calkge zu
Aberystwith, einer der drei konstituierenden Hochschulen der neugegründeten
Universität in Wales, ernannt.
Im l'mgang war B. von äußerster Liebenswürdigkeit und ausgesuchter
Höflichkeit, fast mehr I ranzose als Deutscher — auch hatte er eine Fran-
zösin zur Frau: gegen seine Lehrer zeigte er eine dankbare Anhänglichkeit.
Er besaß ein unendlich reiches Wissen; sein langjähriges Lungenleiden aber,
dem er allzufrüh erlag, hinderte ihn an der Verwertung. Nur ein einziges
Denkmal seiner literarischen Wirksamkeit zeugt von ilen bedeutsamen Ent-
würfen, die er vorhatte. Es sind zwei kritische Essays über Taine und
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Borsdorf. Werner. Ptaeirldcft. Bartsch. 141^
Hert>eit Spencer. Der Schluß lautet: Hus venture to Hope tkat the fongmng
cmsiderations hai't prmn'd that it is not possibh to take Scieru-e 0/ Li/erahuv in the
scnse in lohich Taine undcrstood it. nor yet in that su^f^estcd f>y S/>t-tirfr. Tt is
char that the attcmpt to hitrodiicc thc metlwds of natural er ituithcmatical Siit/nr
info crititrism must bc abandoncd. Truth is clsaohcrc, and thc iask still ranains
of diuvperhig the prhuiples upon whuh a literary sdence may he ßmtided, Bitt
hefore this new tuork cmäd be tmdertaken it was meet and necessary to discuss
^Umpted Solutions of the problcm ivhich, thoui^h dtfectivet yet as thc ivork of genius
cmnmand attcntioti and rcspcct. In \vcl( her Richtung er selbst die Lösung des
Problems siuhte, ist leider nicht ersichtlich.
Werke: Die Burg im »Claris und Larisc und im »Escanor«. Berlin 1890. (Vcrgl.
data VolImOllers krit Jahresbericht über die Fortschritte der romanischen Philologie I. 433
und Romania. Paris 1890, p. 374.) ScifnCi- of lilcrnturc. Ott Ike liitrary theorica ef
Taim and Herbert Spencer. 'Ptvo hcturcs. London i<)03.
Quellen: Die Vita der Dissertation, briefliche Mitteilungen von l'rof. lobler in Herlin
und Prof. l^thi in Aberysiwith. Der einzige Nekrolog findet sich hi der akademischen
ZeitiKArirt %Thc Dragom*, AUry$twith November 1903. Curt Michaelis.
Werner, Karl Friedrich Heinrich Eugen, Ministerialrat, * als Sohn eines
GQter-Dirigenten der Berlin-Anhalter Eisenbahn am 8. April 1849 zu Berlin,
1 10. Juni 1903 daselbst. — W. studierte auf den Universitäten Berlin und Mar-
burg, trat im März 1870 in (Kn Justi/dit n-t, wurde 1. Oktober 1879 Staats-
anwalt, am I. Oktober iSc)i ( )"oerhuniesgerit htsr:it in ("eile, 1 7 . Sej)teml)er 1S96
(lehciiner justi/.- und vortrafj;en(ler Rat im Justizministerium. Oktober iS()9
Geheimer Ober-Justizrat, Dezernent für Bau- und Gefängniswesen. Er erhielt
verliehen das Eiserne Kreuz II. Kl., Ehrenkreuz des Lippeschen Hausordens,
den Roten Adlerorden IV. Kl. (1898), III. Kl. (1901), auch das japanische
Kommandeurkreu» des Ordens der Aufgehenden Sonne (looi).
Ccfl. Mitteiltuig aus dem Kgl. Preuß. Justizministerium. — »Dcutsdic Jun^ten-Zoitung«
'i*"3 ^- A. Teichmann.
Przewioka, Thomas, Justizministerialrat, * als Sohn eines Gutsbesitzers
in Niedcrkunzendorf atn 7. Dezember f am 26. September 1003 zu Ik'rlin.
r. studierte in Hresl iu und Herbn, trat im Juni 1S77 in deti Justizdienst,
wurile I. September 1882 Amtsrichter in Heuthen, 31. März 1893 Landrichter in
Berlin, 16. April 1896 Landgerichtsrat, 25. Juni 1898 Kammergerichtsrat, 16. Jan.
1899 Geheimer Justiz- und vortragender Rat im Justizministerium, mit gesetzgebe-
rischen Arbeiten bei Inkrafttreten les Hürgcrlichen Gesetzbuchs betraut, 22. Mai
1903 Geheimer Ober-Justizrat. Iniiaber des Roten Adlerordens Kl. 1901.
Clcfl. Mitteilung aus dem Kgl. Preuß. Ju:>tizuituisterium. — »l)eut>chc Jun^tcn-ZLitmig«
19038.2X9,468. A. Teichmann.
Bartsch, Max, Geheimer Ober-Justizrat, * iS^^ zu Sjuottau. f jo. .August
1903 zu Breslau. — B, trat 1854 in den Justizdienst, wurde i.S5() Gerichts-
assessor, 1862 Kreisrichter in Gleiwitz, 1873 Kreisgerichtsrat, 1877 Tribunal.srat
in Königsberg i. Pr., 1879 Landgerichtsdirektor, 1887 Landgerichtspräsident
in Bartenstein in Ostpreußen, 1895 na( h Breslau versetzt, wo er die Leitung
des Lan<lgerichts und den Vorsitz in einer Zivilkammer übernahm, 1898 Ge-
heimer Ober-Justizrat mit dem Range der T^iite zweiter Klasse.
>Brcsl;iuer Zeitung« lyoj Nr. 585 vom 31. August ««^OJ. A. Teichuiann.
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ISO
Goecke. GrosehuAT.
Goecke, Franz Friedrich Wilhelm, Geheimer Justizrat, * ^o. Januar 1824
als Sohn des Justiz-Hauptkassetirciulanten G. in Paderborn, f am .^i.Mai 1003
zu Köln. - Nach beendeten Studien trat G. mit 20 Jahren als Auskultator
beim Stadt- und Landgericht ein und liefi sich 1846 behufs Ausbildung als
Notariatskandidat in den Bezirk des damaligen Rheinischen Appellations-
gerichts versetzen, wurde 1849 Notar, zuerst in Viersen, dann 1857 in I.ütze-
rath, 1861 in Ottweiler, 1870 — 76 in Erkelenz, endlich in Köhl. Er war Mit-
hec;ründer des Notariatsvereins für Rheinpreußen und entfaltete für die Orpa-
ni^aiion eines scllistän<li<,'en Notariats auf wissenschaftlicher Grundlage eine
sclir segensreiche Wirksamkeit als Mann von strenger (iewissenhaftigkeit in
der Amtswaltung, von groBem Patriotismus und persönlicher Liebenswürdig»
keit, viel wirkend für Aufblühen und Gedeihen des Inselbades Norderney.
i8()4 wurde er durdi eine künstlerisch ausgleitete Adresse der Kurgäste
dieses l^adcs und am 9. November iSc)4 bei seinem 50-jähripen Aint>jubiläum
vielerscits geehrt. Er war Inhaber des Roten Adlerordens Iii. Kl. mit der
Schleife und der Kriegsdenkmünze von 1870 71 für Nii htkondjattanten, Vor-
sitzender des deutschen Notarvereins.
»Kölnische Zeitung« 1903 Nr. 47a, 473. — »Deutsche-Juristen Zeitung« 1903 S. 389.
(iroschuff, Albert. ( ielieimer ( )I>er-Justi/rat, * als Solln des Rechtsanwalts
und Notars, Justizrats Karl (j. am i. April 1835 zu Berlin, r am 2b. Februar 1903
daselbst. — Nach Besuch der Universitäten Erlangen und Berlin begann G.
seine juristische Laufbahn als Staatsanwalt (187 1) beim Kammergericht in
Herlin, wurde 1879 I. Staatsanwalt in Altona, dann 1888— i So i in gleicher
Kipenschaft am 1 andgericht I. Herlin, in weh her Zeit er sich z. H. im Straf-
verfahren gegen Heinrich Geffrken zu betätigen hatte, wodurch er natürlich
mit Fürst Bismarck in Berührung kam. 1891 siedelte er an diis Oberlandes-
gericht in Celle über und wurde bald (i. Februar 1892) zum Vorsitzenden des
Strafsenats des Kammergerichts ernannt, in welcher Stellung er eine un-
gemein umfassende Tätigkeit entfaltete. Denn der Geschäftsbereich dieses
einzigen Kammergerichtsstrafsenats ist nach S 50 des preußist hen Ausführungs-
geset/es vom 24. April 187S ein höchst ausgedehnter. Im Hesitze der für
seine hohe Stellung erforderlichen Geistes- und Her/.ensgaben hatte er stets
den Blick auf das Ganze gerichtet und verlor sich nie in kleinliche Dinge.
Sehr große Verdienste erwarb er sich u. a. dadurch, dafi er die zahllosen
preußischen Polizeiverordnungen der verschiedensten Bezirke, deren Rechts-
gültigkeit nach und nach zweifelhaft geworden war, sehr streng auf diesen
Punkt hin prüfte inid damit viele al-^ nicht mehr gültig ausschied. Viele
.Arbeitslast wurde ihm auch durch den häufig eintretenden W et h.sel der Mit-
glieder dieses (Gerichtshofes, was die ruhige und geordnete (leschäftsleitung
sehr erschwerte. Zudem war er noch Mitglied des Disziplinarhofes für die
nicht-richterlichen Beamten, auch des Disziplinarsenats und des großen Diszi-
plinarsenats, endlich Vorsitzender der l)iszij)linarkammer für die S< hutzgebiete.
Seine umsiclitige riescluiftsführung erfreute sich auf allen Seiten, bei den
l'.irteien wie bei Staats- und Rechtsanwidten, gleich freudiger Anerkennung.
Literarisch hatte er si« h nur dur( h eine kurze Besprechung der > Verantwort-
lichkeit des Redakteurs periodischer Druckscluriftcn für die durch die Presse
A. Teichmann.
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Groschuff. Perelt.
15»
begangenen strafbaren Handlungen im Archiv \on Cioltdainmer und Hahn
Ikl. XXIII 27 ff. bekannt gemacht (1875), wurde dann aber vom Verhigsbuch-
hlndler Otto Liebmann in Berlin bei Gründung der »Deutschen Juristen-
Zeitung« als Mitarbeiter gewonnen. Seine Abhandlung »Die Sitzungspol izei-
befugnissc des Vorsitzenden gegenüber dem Staatsanwalt« war der erste für
(hcse Zeitung gelieferte Beitrag, dem noch viele andere (z. B. 1896 Nr. 12 und
14; 1897 \r. 4 und 14; iQoo Xr. 13 und 24; iqoi Nr. 12) und sehr gut redi-
gierte Berichte über die Rechtsprechung des Strafsenats des Kamniergerirhts
folgten. Er ließ sich femer zu der verdienstlichen Herausgabe »Die preußi-
schen Strafgesetze« 1894 zusammen mit Senatspräsident beim Kammer-
gcrirht G. Eichhorn und Landgerichtsrat Dr. Delius gewinnen, deren zweite
Hearl)eitung vor seinem Tode noch rechtzeitig im Manuskript fertig gestellt
wurde. An Anerkennungen erfulir er am 22. März 1807 anläßlich der /entenar-
feier tlie Verleihung der Krinnerungsmedaille, im Dc/cinher 1S07 dos Titels
•Geheimer Ober-Justizrat« und am iS.Januar 1901 des Koten Adleronlens Ii. K.1.
mit Eichenlaub.
Kammergencbtsrat Dr. Kronecker in d. »Deutschen Juristen>ZeituDg« 1903, Nr. 6, S. 143.
Otto I .iehm.nnn im »Gcrichtss.ial« H<1. (J2, S. 307 314. Pcitrii^c /ur Krtautcrunjj des
Deutschen Rechts 13d. 4S. S. 1S7. — Ztsch. f. Deutsches Hürgcrhches Kcclit und fr-uiA-i-isches
ZirUrcelit Bd. XXXV, 317, 575. A. T e i c h m a n n.
Perels, Ferdhiand, Wirklicher Geheimer Rat, Direktor im Reichsmarine-
amt und Professor der Rechte an der Universität Berlin, * zu Berlin am
30. Juni 1836, f am 34. Dezember 1903. — P. l)esu< hte 1849 — 54 dasFricdrich-
Werdersche (iymnasium zu lierlin und trat nach Absolvierung des juristischen
Studiums am 29. Oktober 1S57 als Auskultator im Appellationsbezirke Naum-
burg in den Justizdienst ein, wurde 4. Juni 1859 Rammergerichtsreferendar,
30. April 1862 Gerichtsassessor. Nunmehr wandte er sich dem Militärjustiz-
dienste zif, wurde 29. Oktober 1863 Gamisonsauditeur in Spandau, 1865 in
Rendsburg, 1866 Divisionsauditeur hl Neifie. Nach (''bertritt in die neu-
pcst haffene liundeskricirsinarine war er vom i. Februar 1S67 bis 1S77 Audi-
tour dt-r .Marinestation der ( )stsee in Kiel, se it Anfang der siebziger Jahre
zugleich Lehrer für Völkerrecht, See- und Miütarrecht an der Marineakademie.
Am 21. August 1877 wurde er zum Wirklichen Admiralitätsrat, vortragenden
Rat und Auditeur der Kais. Admiralität in Berlin ernannt, 1881 Geheimer
Adtniralitätsrat, 11. Januar 1892 Wirklicher (Geheimer Admiralitätsrat, Direktor
<ics V'erwaltungsdepartemcnts dos Keiclismarineamts und stellvertretender
Hevollmächtigter zum Hundesrat für das Königreich l'reulien. Seine reichen
Kenntnisse auf dem von ihm mit Vorliebe gepflegten Spezialgebiete konnte
er auf das trefflichste verwerten, nachdem er für Vorlesungen Ober inter-
nationales und deutsches Seerecht im Jahre 1900 zum ordentlichen Honorar*
Professor an dt r I'niversität Berlin ernannt worden war. Im Militärverhältnis
war er Major der Seewehr. Wenige Stimden vor seinem Hinscheiden erfuhr
er noch seine Ernennung zum Khrendoktor der (Ireifswalder Juristenfakultät.
Öcr amtliche Nachruf des Staatssekretärs des Reichsmarineamts von l irpitz
schildert ihn als einen Mann von hervorragenden Geistesgaben, von edlem
und liebenswürdigem Charakter, als wohlwollenden Vorgesetzten seiner Unter-
gebenen und als treue Stütze seiner Vorgesetzten. Mit gröOter Sicherheit
152
Perds. Schmidt.
beherrsrlite er ein eng umschriebenes, doch taglicli an praktischer Wichtig-
keit zunehmendes Rechtsgebiet, das Seerecht; er nahm emsigen Anteil am
Ausbau der Flotte und ihrer Vervollkommnung, wie Verwendung im Dienste
des Vaterlandes. Im Jahre 1879 in das Imtittti de droit mtemaüomi gewählt
(seit 1885 Mitglied), nahm er an mehreren Sitzungen desselben teil und
lieferte u.a. das Referat über die friedliche lilokade (vgl. Annuaire IX, 27 3 ff.)
für die Heidelberger Sitzung vom 7. Septenil)cr 1S87, sowie Thesen betreffend
die submarinen Kabel in Kriegszeit (ebd. XIX, 302). Kleinere \vi.s.senschaftliche
Arbeiten veröffentlichte er in verschiedenen amtlichen Zeitschriften und Ver-
ordnungsblättern, in den Annalen des Deutschen Reichs 1876, S. iioi — 11 10
(»Rcichs-Oberseebehörde und Untersuchungen von Seeunfällen«), im Archiv für
öffcntli( lies Rec ht I, 461—497, 677 — 704 (»Rechtsstellung der Kriegsschiffe
in freniilen lloheitsgewässern 'n v. Stengels Wtkterbuch des deutschen
Verwaltungsrec iits die .\rtikel Blockade (I, 11^), Durc hsui liungsreclit «
(I, 293), ^Embargo (I, 354), Kaiserei« (I, 703), »Kontrebande- (1, S40),
»Kriegshäfen« (I, 872), »Kriegsmarine« (II| xoio), »Prisenangelegenheiten«
(II, 305). Hervorragende gröfiere Arbeiten sind »Das internationale öffentliche
Seerecht der Gegenwart , Berlin itSSi (franz. mui I . Arndt 1884, auch russisch
von l.ilienfeld 1.SS4), 2. .\ull. 10)0:5; Handbuc h des allgemeinen (öffentlic hen Scc-
rechts im Deutsc Iien Reic he , Herlin 1SS4 (mit S|)illing); Das Keichsbeamten-
ge.sctz , Herlin 1890; Das allgemeine öffentliche Seerecht im Deutschen Reiche.
Sammlung der Gesetze und Verordnungen«, Berlin 1901, mit Ergänzungsband
'»Die Seemannsordnung vom 2. Juli 1902 und ihre Nebengesetce«, Berlin 1902.
Auch rührt von ihm der Entwurf einer Strandungsordnung (1873) her.
l'VIix Stoerk, Nckmloj,' in der »Zcit^chr. f. intemat. Privat- mul. nftentliclic>> Recht«,
Hd. XiV (^1904; Ö. 225/26. — Cicfälligc Mitteilungen des Sohnes, Privatdo/cnten Dr. jur. Kurl
Pcrels in Kiel. — Tableau j^eneral de PfnsHtui de droit mttmaihntU 1873—92. Paris 1893.
S. 325. — »Annuaire di- 1' Institut' XX III, 276; XIX, 388. — »Jurist. I-iteraturhlattc 1904,
.•^.47. ( hronik der Kj^l. Friedrich \ViIlu'ltns-rnivcr-it;it Hcrlin f.d. Kciluuing<jahr kjcjo
(iiallc a. d. S.), S. S. von Stengels VVürterbuch d. dtsch. V'erwaltung.srecht:», 3. Krgün/.ungs-
band 1897, S. 328, 256, 258. — »Zcitschr. f. Handelsrecht« LH. 368. — Kirehenheiin«
Zentralblatt 1, 312; III, 463; XXIII, 88. — »Zeitscfar. f. internat. Privat- und Strafiecbt« XI,
54,^. — dKi-i'Us: iic liroit international' \\\' , XXXIV, 6«):!. Journal de C turnt i 1S84,
S. öSo i>Tttbks gincralcs du JournaU III (I905), 718J. — Felix Stoerk im Ann. de /'inst,
de droit mttrMatwmatT^ (1904) 264—266. A. Teichmann.
Schmidt, Karl Adolf, Geheimrat, Prof. Dr. jur. in Leipzig, ♦ 4. November
181 5 7.W Allstedt (Sachsen-Weimar), f 2 \. Oktober 1903 zu Haden-Haden. —
Sein X'ater Georg l'riecUich August war zuletzt Superinteiulent und Kirchenrat,
Jenenser Ehrendoktor der Philosophie (1847), gestorben 16. Januar 1858 in
Ilmenau, so daS sich der Sohn öfters »Schmidt von Ilmenau« nannte, zur
Unterscheidung z. B. von Karl Adolf Sch., Oberappell ationsgerichtsrat in
Celle, Verfasser tler Werke Der prinzipielle Unterschied zwischen dem römi-
schen und germanischen Rechte (Rostock und Schwerin 1853), und »Die
Rezeption des römischen Rechts in Deutschland (Rostock 1H68). In seiner
Jugend war er Spielkamerad <ler l'.nkel (ioethes, als junger .Mann sah er
den Dichterfürsten auf dem Totenbette. Kr studierte die Rechtswissenschaften
in Jena und wurde für gute Lösung der gestellten Preisfrage in der Arbeit »De
stKcessione ßsci in bom tuuantia ex jurt ivmam*^ Jena 1836, mit dem ersten Preise
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Schmidt
Selohnt, dessen er sich freilich nicht sehr erfreuen konnte, da Prof. von Schröter,
Obcrapi^ellutionsgericht.snit in Parchiin, zu gleicher Zeit eine zum selben
Resultate gelangende Abhandlung in der »Zeitschr. f. Zivilrecht um! Pio/eß <,
Bd. X, 89 ff. erscheinen ließ, was ihn veranlaßte, diesen letzteren an/-ugreitcn,
wie Oberhaupt dieses Thema damals von mehreren Schriftsteilem unabhängig
voneinander aufgegriffen wurde (vgl. Vangerow, Pandekten, 6. Aufl. 2. Abdr.
II, 671). Zur Erlangung der Doktorwürde veröffentlichte er A/. TuU'i'i
Ctcenvüs pro Rosno comocJo onjfio illustrata, edifn , Jena iS,:?q, und habilitierte
>i( h 1840 in Jena für rüinisc hcs Recht, wurde 1843 auiierordentlit lu r Professor,
ging 1849 als ordentlicher Professor nach Greifswald, 1850 nach i reiljutg i. H.,
wo er sich sehr bald in s\ mpathischer Umgebung wohl fühlte und mannig-
fatche Ehningen erfuhr; so vertrat er längere Zeit die Universität in der
I. badischen Kammer. Sein T.ieblingi^tudium war von Anfong an die Be-
sfhaftipung mit dem röniisrhen Recht, für dessen Auslc<:ung er durch j^riind-
liche i>lii lologisciie Kenntnisse W(^]d vorbereitet war. V.v war aus^e/en hnet
als l.chrcr, seine Zuhörer stets auf tlen Kern lier Institute so eindringlich
hinweisend, dafl seine Ausführungen bei vielen zeitlebens wörtlich haften
blieben. Überall durchdrungen ^on gesunder Auffassung des Wertes prak-
tischer Verwendung, war er einer unbedingten, blinden Verehrunj^ des römi«
sehen Rechts völlig fremil. Im Frühjahr 1S60 na<h Bonn überi^esiedelt, ging
er schon im Herbste dieses Jahres nach l,eip/i^f, wo er Jahre emsj^ wirkte.
Seine wissenschaftlichen x\rbeiten sind vieltaih grundlegend gewesen unt,!
haben für die Folgezeit die Bahn gebrochen. Es gehören hierhin »Zivilistische
Abhandlungen«, Bd. I, Jena 1841; »Das Interdiktenverfahren der Römer. In
geschichtlicher Entwicklung . Pcipzig 1853; "Das formelle Recht der Not-
erben . Leipzig 1862 und Das Ptlichttcilsrecht des piitrontt^ und des f>,tr,-n:i
monii/nisscr . Heidelberg 1868. Kleinere Arbeilen sind Kritische Hemerkungen
zu T. L'wii hhtor. Hb. XLI^ Kap. 8, 9: I). i'lp'uuü Jmgm. tit. / S 12; fr. i S i
D. de kupict^ub vetifre«, Freiburg 1856 und »Cffmmea/aih de originibus legis
acthtmm*, Freiburg 1857 (Einladungsprogramm zur 4. Säkularfeier der Uni-
versität), sowie »Die Perscuilichkeit des Sklaven nach römischem Recht , i. Abt.
(Programm z. Feier des Geburtsfestes des (^roßherzofjs. l'reiburg 1868) Der
Leipziger Zeit geluiren an Das Hauskind /// nuuhipio. Jane rcchtgesc'hicht-
liche Abhan<IIimg , Leipzig 1879; I ber die /(Xvjr actio per jttäuis postulationcm ^
(Zeitschr. d. Savigny-Stiftung II, 145—164); Zur I^hre vom internationalen
Rechtsverkehr der Römer« (ebd. IX, 122 — 143); »Über die superficies* (ebd.
XI, 121—164); »l^ie Anflinge der bmiorum possessio ^^ (ebd. XVII, 3^4 —328).
Bei Übernahme des Rektorats behandelte er das deutsche Recht (Rcktorats-
reden v. 31. Okt. 1873, S. 26—45, Rede v. 31. Okt. 1S74, S. 3 21). Die
philosophische Fakultät der Universität Leipzig ernannte ihn am Tage seiner
vor 50 Jahren erfolgten Promotion zum Dr. juris (6. Februar 1889) zum Ehren-
doktor, die Stadt Leipzig mit Ehrenbüi^erbrief vom 13. Dezember 1895 zu
ihrem Ehrenbürger. Bis in seine letzten Tage war er ein eifriges Mitglied
der nationalliberalen Partei und auch in deren Vorstande in Leipzig. Am
I. Oktober 1901 schied er aus (Rektoratswechsel an der Lniv. Leipzig am
31. Okt. 1902, S. Ii) und siedelte nach Karlsruhe in Kaden über, durch seine
zweite Ehe besonders mit diesem Lanile verbunden. Krankheitshalber begab
er sich 1903 nach Baden-Baden, wo er am 24. Oktober verschied.
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Schmidt von Weinrich. von Leipsifer.
Ji'scf Kollier im >Juri>l. I.itcraturbl.-itt« 1904, Nr. 155 vom 15. Mai, S. 1^7 t)S. —
Mo)crs Kunvcrä.-I.cxikon (5) J897, Bd. 15, S. 55(1. - Kürschners deiitsilur Litcralur-
kalender fOr 190a, S. 1258. — Richters krit. J«hrbb. I, 309!?. — Krit Vicrtcljahres«chr. V,
135. - Zamckcs I.itcrnr. Zentralblatt iS<)2, Sp. 1037; 1903. Sp. 1401. — Biedemiann,
Goethes r.csjniulu' \'ni, 110. — Gefl. Mitteilungen des iicrm Prof. Dr. Friedrich Schur,
russ. Staatsrat in Karlsruhe. A. Tcichlliann.
Weinrich, Karl von, Königl. Bayerischer General der Kavallerie, ♦ 22. Sep-
tember 18 15 zu Aschaffenborg, f 19» Oktober 1903 zu München. — W. trat
1834' als Junker in das bayerische 4. Chevaulegers- Regiment »König« ein,
rückte 1836 zum Unterleutnant und 1847 unter Vcrsctzimt,' in das 2. Chevau-
lepcrs-Regiinent Taxis < zum ( ihcrlciitnant auf. Jn tlicscni I )icnst^'ra(ie war
er kurze Zeit al> Adjutant /ur 2. K i\ allcric 15rii,'ailo konunandicrt, kam als-
dann in das 4. Chcvaulcgers-Kcginicut /.unu k und wurde US48 zum Atljulantcu
bei der 2. Armeedivision ernannt In dieser Stellung verblieb W. bis er 1849
in den Frontdienst seines Regiments zurücktrat, mit dem er im Juni genannten
Jahres an die württembergische um\ im Herbste des folgenden Jahres an die
sä( hsis( lu' (Irenze marschierte. 1851 dem Kommandierenden Cieneral des
II. l)ayiTis( lien Armeekorps als Ailjutant zu<,'eieilt. wurde er bald darauf /um
Rittmeister im i. Chevaulegcrs- Regiment befordert, 1855 in gleicher Eigen-
schaft zum 4. Chevaulegers-Regiment versetzt und 1860 zum Major ernannt.
1863 ging W. auf einige Zeit nach Österreich, um sich über den Dienst bei
den dortigen Ulanen-Regimentern zu unterrichten. Atn Kriege von 1866 gej:en
I'reuüen nahm er als Oberstleutnant ti'il, ni.u lite die (lefeehte bei Derniba« h,
Kissingen, l'ettiiiuen und Kollbruini mit, wurde na<li dem l'riedensschlusse
Kommandeur des 3. Ciievaulegers- Regiment und im Mai 1867 zum Oberst
befördert. Nach der Mobilmachung von 1870 fand \V. Verwendung als Vor-
postenkommandcur in der Pfalz zwischen Zweibrücken und dem linken Ufer
des Rheins, wo ihm zu seinem Regiment noch ein Infanterie- und ein Jäger-
I^ataillon zu^'ewicsen waren, rückte darauf mit seinen Chevaulegcrs über die
fratizr)sis( he ( "ireiize und machte die Schlacht bei W'iirth , die KinschlieÜung
von Mars.il, die Schlacht bei Seilan, (bis (iefecht bei Plessis IM(|uet untl die
Hehlgerung von Paris mit. Nach der Rückkehr in die heimische Garnison
wurde er 1873 zum Generalmajor und Kommandeur der 2. Kavallerie-Brigade
und 1878 zum Generalleutnant und Kommandeur der 3. Division befördert.
Mit dem Charakter als General der Kavallerie erhielt W. 1884 den nachge-
suchten Al)schied.
Nach dcu Akten. Lorenzen.
Leipziger, Ernst von, General der Kavallerie, * 31. Januar 1837 zu Niemegk,
Kreis Bitterfeld, f 21. November 1903 zu Berlin. — Nachdem L. seine Kr-
zichung im Domgymnasium zu Naumburg und an der Landesschule zu Pforta
erhalten hatte, trat er als Avantageur beim 3. Ulanenregiment in den
Königlichen Dienst, /.um Sekondeleutnant aufgerückt, fungierte er eine Reihe
von lahren als .Adjutant dieses Regiments, wurde 1866 l'rcmierleulnant und
kommandierte im Kriege gegen Österreich die 3. Schwadron seines Iruppcn-
teils, mit der er bei Gitschin sowie in der Schlacht bei Königgrätz focht
Nach der Rückkehr in die Heimat mit der Führung der 5. Schwadron be-
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von Leipziger, von Kiichb»^. Sdimidt
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auftragt, rückte er 1867 zum Rittmeister und Eskadronschef auf, zog 1870 an
der Spitze seiner Scliwadron mit gegen Frankreich ins Feld, wo er sich das
Kiserne Kreuz Tl. Klasse erwarb. Kinitic Jahre nacli dein Frio(liMiss( lihi>se
verblieb L. noch in der Front, wurde 1S74 als Hauptmann in den (Irolien
Gcneralstab versetzt und, nachdem er 1S75 '''^'"^ Major aufgerückt war, zum
Generalstabe der Kavallerie-Division des XV. Armeekorps kommandiert. 1880
KumGrofien Generalstabe zurückgetreten, erhielt er zunächst vertretungsweise
die Führung des 2. Hessischen Husarenregiments Xr. 14 in Kassel, rückte im
September 1881 zum Oberstleutnant auf und wurde 188;» endgültig als Komman-
deur an die Spitze des Regiments gestellt. In dieser Stellung verblieb i..,
1886 zum Oberst aufgestiegen, bis er 1887 beiiufs ( bernahme des Konnnandos
der 27. Kavallerie-Brigade (2. Königl. Württembergischen) nach Württemberg
kommandiert wurde. Ein Jahr später als Kommandeur der 8. Kavallerie-
Brigade nach Krfurt versetzt, rückte L. 1889 zum Generalmajor auf, wurde 1891
/um Führer «1er o. Div ision ernannt, an deren Sj)it/e er als ( ii'neralleutnant
trat. i8o_^ zum (iouverneur voir Köln ernannt, erhielt L. 1S06 den Charakter
als General der Kavallerie und 1897 den erbetenen Abschied.
Nach den Akten. Lo r e n z e n.
Kirchbach, Hans Adolf von, Königl. Sächsischer Clei'.eralmajor, *j6. Oktober
1834 zu Dresden, fg. Februar 1903 ebenda.- Nach dem Mesut h des Kadetten-
korps seiner (leburtsstadt in die .Armee übergetreten, erhielt K. im Jahre 1S53
»las Oftizicrspatent, wurde 185^ Oberleutnant und 1866 Hauptmann. Die
Keidzüge von 1866 bezw. von 1870 71 gegen Preußen und Frankreich machte
er beim 4. Bataillon der Brigade Kronprinz mit Auszeichnung mit, namentlich
t.it er sich im letzteren Kriege hervor und wurde am Tage nach der Schlacht
bei Sedan vom Prinzen Georg von Sachsen in Ansehung seines ta]>fcren Ver-
Jnltens mit Siegesdcpcschcn nach Dresden geschickt. Mit <iem Fisernen Kreuz
Kla.sse und dem Ritterkreuz 1. Klasse des Sächsischen N'ertlienstonlens mit
der Kriegsdekoration geschmückt, rückte K. nach Beendigung des Feldzuges
im Mai 1873 zum Major auf, wurde im Juni 1878 zum Oberstleutnant und
1881 als Bataillons-Kommandeur im Infanterieregiment Nr. 103 zum Oberst
befördert 1885 als Kommandeur an die Spitze des 9. Infanterieregiments
Nr. 133 gestellt, schied K. 1887 als Generalmajor aus dem aktiven Dienst.
Nach »Militär-Zeitung«. Lorenzen.
Schmidt, Otto, Generalleutnant, * 16. April 1845 zu Kassel, f 5. Februar 1903
ebenda. — Aus dem Kadettenkorps seiner Vaterstadt trat S. am 31. Mai 1864
in das damalige 3. Kurhessische Infanterieregiment als Fähnrich über, kam
am folgenden 11. September als Leutnant in das i. Infanterieregiment, tnit
«lern er gegen Preußen focht. Nach dem I iieden \\ur<le S. in den Verband
üer preußischen Armee aufgenommen und dem Infanterieregiment Nr. 81
öberwiesen, mit dem er 1870/71 als Bataillonsadjutant ins Feld zog, an der
Einschliessung von Metz, Diedenhofen, und Mezidres, in der Schlacht bei
Noisseville, an den Gefechten bei Chieulles, l'eltre sowie bei Bellevue teil-
nehmend. .\m 28. Oktober 1870 zum Premierleutnant befr>rdert, wurde er
nach der Rückkehr in die Heimat Kej,dmentsa(ljutant, stief,' am 21. No\emlier
zum Hauptmann auf und erhielt im Februar 1877 eine Kompagnie, in den
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Schmidt, von Est<»fr.
Jahren 1879 bis 1887 fungierte S. als Adjutant beim Generalkommaiulo des
XI. Armeekorps, wurde am 18. April 1882 zum 4. Thürinf;is( hin Infantorii--
RcgimciU Nr. 72 versetzt, 1885 vorpatentiert und am ;:<>. Februar iS<S6 zum
Major befördert. In diesem Dienstgrade kam er am 16. Juli 1887 als Hataillons-
Kommandcur in das i. Schlesische Grenadierregiment und am 18. April 1891
als etatsmäßiger Stabsoffizier in das 9. Groflherzogltch Hessische Infanterie-
regiment Kaiser JiVilhelm Nr. 116, avancierte im darauf folgenden Monat zum
Oberstleutnant und erhielt am 14. Mai 1894 unter Tieförderunj^ zum Oberst
das 3. Rheinische Infanterieregiment Nr. 2i). Im weiteren am 17. Juni 1897
mit der Führung drr 65. Infanterie-Brigade beauftragt, stieg S. am folgenden
20. Juli zum (ieneralmajor auf und trat an die Spitze der von ihm geführten
Brigade. Am 16. Juni 1900 erhielt er den nachgesuchten Abschied, wobei ihm
der Charakter als Generalleutnant verliehen wurde.
Nach den Akten. Lorenzen.
Estorff, Kggcrt von, ( ic nerahii.i i< t /. I)., *i. November iS^^i zu Wrden,
f 10. Februar 1903 zu Eldingen bei Celle. — Finer alten hannoverschen Oftiziers-
familie entstammend, trat R. nach vollendeter Erziehung auf der Ritterakademic
in Lüneburg und im vormaligen Königlich Hannoverschen Kadettenkorps am
1. April 1850 als Kadett in dasHannovorN( hcGartle jägt r-Hatailloncin, wurde
am I. Januar 1851 zum Leutnant utk! ikk h einein Koinninndo zur Artillerie
am i.()kt<^btT 1856 zum Premierleutnant bi-tordcrt. \'<>n diesem Zeitpunkte
an besuchte er bis i. Ai)ril 1857 die Militär-Akademie in Hannover, war
während der Okkupation von Holstein durch hannoversche und sächsische
Truppen 1863/64 Kommandant des Depots seines Bataillons und focht nach
Ausbruch des Krieges von 1866 bei Langensalza gegen die Preußen. Nachdem
die hatmoverschen Offiziere von König deorg \'. ihres Fides entbunden worden
waren und F. den narhgesiK hten .\l)s( liied erhalten hatte, trat er in den
V'erbanil iler preuüi.si hen Armee über, wunle am i. März 1867 mit seinem
Dienstgrade beim i. Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 31 angestellt und
bereits am folgenden 1 1. April zum Hauptmann und Kompagniechef befördert.
Als solcher rückte er 1870 gegen Frankreich ins Feld, focht am 20. August
bei Heaumont und wurde am 26. September (lesse!!>rti jahres in d.is ,v Magde-
burgis( he Infanterie-Regiment Nr. 66 versetzt. Mit diesem nahm E. an der
Einschlieiiung von Paris teil und rückte mit dem Eisernen Kreuze 2. Klasse
geschmückt nach dem Frieden in die Garnison Magdeburg ein. Am 15. März
1875 zum Major, am 15. September 1882 zum Oberstleutnant befördert, wurde
er am i5Mar/ 1.S.S6 Kommandeur des i. Schlesischen Grenadier- Regiments
Nr. 10 uiul kurz darauf ( )berst. Nach fast 2^4 jähriger Tätigkeit wurde IC. am
13. Dezember iSSS in ( leiielunigung seines Abschiedsgesuches zur Disposititni ge-
stellt und am i, Januar 1889 als Redakteur des Militär- Woi henblattes nach Berlin
berufen. Länger als 10 Jahre hat er in dieser Stellung gewirkt. Alle, die mit
ihm während jener Zeit in Berührung gekommen sind, werden seine Pfinkt-
li( hkeit und Ordnungsliebe, sein Entgegenkommen und maßvolles Urteil, seine
Sachlichkeit, ganz besonders aber seine Selbstlosigkeit zu würdigen wissen.
Als Verfasser selbständiger Schriften ist er zweimal an die ()ffenllic]ikeit
getreten, und zwar auf sehr vcrschie< leiien C.ehieten. l-^imnal mit ' laktisi he
Betrachtungen über das Infanteriegclecht auf dem Schlachtfelde von Grave-
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von Estoiff. Kirchner.
lottt'-St. Privat« im Jalire i888 und ferner 1899 mit Lnienbetrat htungen über
die Kraft der Bibel im Wissen und (ilaubeu ', weiche die Ansichten eines
gUabigen Lutheraners zum Ausdruck bringen. — Von der Schrifdeitung des
Militär-Wochenblattes zurückgetreten, zog E. sich in die engere Heimat, in
die Lüneburger Haide, nach ilem in der Nähe von Celle belegenen I)(irfe
Eldingen zuKick. Hier gccLu hte der körperlich nocli rüstige General den
Rest seiner Lebenstage fern (k'triol>c der Welt, in tlessen Mitte er so
lange gestanden, /u verbringen und seiner Lieblingsbeschäftigung, dem etilen
Waidwerk, nachgehen zu können. Leider war es ihm nicht lange vergönnt
dieser Neigung leben zu dürfen. Ein sich einstellendes schweres Herzleiden
ond das Schwinden des Augenlichtes nötigten ihn bald, der Jagd mehr und
mehr zu entsagen. Hin sanfter Tod endete seine Leiden.
Nach »Militär- Wochenblatt«. Lorenzen.
Kirchner, Theodor, Komponist, * 10. Dezember 1823 in dem sftchsischen
Dorfe Neukirchen bei Chemnitz, f 18. September 1903 in Hamburg. — Seine
Kinderjahre verlebte K. in dem östlich von seinem (leburtsort gelegenen
Wittgensdorf, wcthin sein Vater, der Lehrer war, bereits 1826 übersiedelte.
In der dortigen Dortkin ho erlernte der Rnal)e schon sehr früh unter väter-
licher Anleitung das Ürgelspiel, in welchem er es rasch zxi einer großen
Fertigkeit brachte. Mit 12 Jahren wurde er in die Bürgerschule zu Chemnitz
angenommen. Hier erhielt er dann auch den ersten methodischen Musik-
unterricht und machte in kurzer Zeit so bewundernswerte Fortschritte, daß
sein Lehrer, der Musikdirektor Stahlknecht, erklärte, ihn nicht weiter fördern
zu können. Der \'ater beschloß daher, sich nach Leipzig zu wenden, um
tlort die Frage zur Entscheidung zu bringen, ob sein Sohn die Musik als
Ld>ensbenif ergreifen solle. So wurde K.. 1838 im Alter von 14 Jahren
Mendelssohn und dem Kantor der Thomasschule Christ. Theodor Weinlig
v rp;L> teilt und blieb dann auf beider dringendes Anraten in Leipzig. Von
d.i ab gehörte sein Leben ganz der Musik. Als Lehrer hatte Mendelssohn
besonders den ausgezeichneten Organisten an der Nikohukirche, Karl Fer-
dinand Becker, empfohlen, bei dem K. sich im Orgelspiel und in den theo-
retischen Fächern weiterbildete. Daneben trieb er sehr gründliche musikalische
Privatstudien. Auch lernte er allmählich verschiedene hervorragende Persön-
lichkeiten der Leipziger Musikwelt kennen, darunter vor allem Robert Schu-
mann, zu dem er sich vom ersten Augenblick an mehr als zu jedem andern
leidenschaftlich hingezogen fühlte, und dessen Kunst für die seinige von
der allergrößten Bedeutung wurde. In ihm fand K. eine gleichgestimnue,
vahlverwandte Künstlerseele. Schumanns aus unergründlich tiefem Empfinden
B^rene Musik mit ihrer blühenden, lebenswarmen Romantik ergriff ihn im
innersten Wesenskem, und ihre Zaubertöne, die wie »klingendes Licht« in
^ein Herz fielen, erhellten ihm mit einem Male in leuchtender Klarheit den
Weg, den seiti eigener Genius ihn führen wollte. So wurde ©r der luimittel-
bare Nachfolger des Meisters und (.Icrjcnige X'ertreter der Schuniannsclien
Schule, der ihren Charakter am treusten und reinsten gewahrt hat. Mit wie
echtem Verstehen Schumann seinerseits das Streben des von ihm hochge-
schStzten jQngeren Freundes begleitete, das läfit sich schon aus seiner Be-
sprechung der Kirchnerschen Lieder op. i erkennen, die 1843 in der »Neuen
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Kirchner.
Zeitschrift für Musik« erschien und mit den Worten schlieflt: »man schreibe
sich schon jetzt den Namen dieses talentvollen Musikers zu denen, die einen
guten Klang in der Folge zu bekommen verhciüen. In demselben Sinne
äuÜert sich Schumann verschiedentlich in seinen Briefen. In Kirchner allein
find* ich eine wanne Musikseele , schreibt er am 19. Juni 1 S43 an \'erluilst,
und an einer antlern Stelle nennt er K. »dm» bedeutendste produktive 1 alent«
unter allen Zöglingen des neugegründeten Leipziger Konservatoriums. In
dieses war K. besonders auf Mendelssohns Wpnsch im Frühjahr 1843 als
rt u r Schüler ein<j;etreten, nachdem er inzwischen ein Jahr in Dresden zuge-
brai ht und sich bei Joh. Schneider mit großem Frf(>life im Orgelspiel ver-
vollkommnet hatte. Sein neuer Studionaufonlhalt in Leipzig war indessen
nur von kurzer Dauer, bereits im Herbst 1843 folgte er einem Ruf als Orga-
nist nach Winterthur. Damit beginnt der zweite Abschnitt von K.s Künstler-
laufbahn, zugleich die glücklichste und sorgenfreiste Zeit seines ganzen
Lebens. Fast dreißig Jalire blieb er in der Schweiz, wo er si( h von Anfang
an völlig heimisch fühlte. Hier fantl er die treusten Freunde, denen er
lebenslang eine rührende Anhänglichkeit bewahrte, hier schuf er, getragen
von der Liebe und Verehrung aller, denen seine Kunst frohe, wahrhaft lebens-
werte Feierstunden bereitete, eine Reihe seiner schönsten Werke. 1862 ging
er nach Zürich, wo er die Stelle eines Dirigenten der dortigen Abonnements-
konzerte und bald auch noch das Amt eines Organisten an St. Peter über-
nahm. Sein Nachfolger in Winterthur wurde Hermann Goetz. In Zürich
lernte der Künstler auch Richard Wagner kennen, doch eine brücke wollte
sich nicht zwisc hen ihnen si hlagen. Sie lebten in verschiedenen Welten.
Überhaupt vermochte K. mit der von Berlioz, Liszt und Wagner ausgeheiiden
neueren Richtung niemals innere Fühlung zu gewinnen. Um so glücklicher
gestaltete sich sein Verhältnis zu Brahms, der ihm als die Vollendung der
deutschen Musik galt. Er traf ihn zum erstenmal im Sommer 1865 in Baden-
Hadcn. und bald verband die l)ei<!en eine immer engere, festgegründete
Freundsc haft. Mit der ganzen Wudit seiner musikalisi hen Persönlichkeit
trat K. begeistert für die Schöpfungen des Freundes ein und war einer der
ersten, die das gewaltige D>moll-Konzert öffentlich zu Gehör brachten. Sehr
oft wirkte K. von Zürich aus auch in Baseler Konzerten mit, besonders gern
übertrug man ihm bei den großen Aufführungen im Münster die Orgelpartie,
und auch hier feierte seine abgeklärte, durchgeistigte Kunst, so oft er kam,
einen neuen Triumph. 186S verheiratete er sich mit der > ebenso schönen
wie liebenswürdigen^ Sängerin vom Züricher Stadtdieater Maria Schmidt.
Vier frohe Jahre verlebte K. dann noch in der Schweiz. Im Spätsommer 1872
aber wandte er sich nach Deutschland zurück, ohne jedoch in der alten
Heimat das ersehnte Glück zu finden. Im Gegenteil es begann jetzt für ihn
eine Zeit ruhelosen Wanderns und schwerer Sorgen und Klimpfe um die
Kxistenz. In Meiningen, wohin ihn der Herzog als Musiklehrcr für ilie Prin-
zessin Maria berufen hatte, war .seines Bleibens nicht lange. Die Hofluft mit
ihrem Etiquettenzwang sagte seiner nach ungebundener Freiheit dürstenden
5>eele nicht zu. Er suchte daher die lästigen Fesseln sobald wie möglich
abzustreifen. Mit neuen Hoffnungen ging er 1873 als Direktor der neu ins
Leben gerufenen Musiksc hule nach Würzburg. Doch auch hier vermochte er
sich den Verhältnissen nicht anzupassen, zum Beamten war er ebensowenig
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Kirchner.
^-esrhaffcn wie zum Ht)finann. Kompromisse verstand er nii ht /u schlieüeii,
uitcl die Rücksichtslosigkeit seines i'emperainents, über die er niclU immer
Herr blieb, bereitete ihm bei der Ausübung seiner Pflichten manche Schwierig-
keit. Er legte daher nach kaum xweijähriger Tätigkeit die Stelle in Wttrz-
biug nieder und sog nach Leipzig, um hier als gänzlich unabhängiger Künstler
von Privatstunden und dem Krwerb aus seinen Kompositionen zu leben. Im
Gegens:it7 zu früheren Jahren, in denen K. nur mit sehr wenigen Werken
hervortrat — 1870 stand er noch bei der Upuszahl 10 — entfaltete er jetzt
eine aufierordentliche Prodaktiondcrafl^ und es zeigte sich, dafi die äufiere
Not die starken Schwingen seines Geistes nicht zu lähmen vermochte. Alle
Kompositionen dieser Zeit sind reine, in sich vollendete Kunstwerke, nur
an Einem fehlte es ihnen, sie eigneten sich nicht zur Marktware, mit tler
'lie Verleger ein Oeschäft machen konnten. K. sah sich daher bald ge-
zwungen, auch andere Wege zu gehen und sich mit Bearbeitungen aller Art,
Transskriptionen von Liedern und dergl. zu befassen. Auch auf diesem Ge-
biete hat er die musikalische Literatur um wirkliche Schätze bereichert, die
alle das Gepräge emster Künstlerschaft tragen. Am bittersten mag er den
harten Druck des Lebens empfunden haben, wenn er, was nicht selten vorkam,
bestellte Arbeiten sozusagen handwerksmäßig liefern mußte. Kin I,ichtblick
in trüber Zeit war die im Frühling i.SSo unternommene Reise in die Schweiz,
wo der Künstler zu den alten Freunden noch zahlreiche neue gewann. Die
Rflckkehr nach Leipzig aber brachte keine Besserung in seinen Verhältnissen,
ei griff daher wieder zum Wanderstab und versuchte in Dresden festen Fufi
zu fassen. Ks gelang ihm ar. h, am Dresdener Konser\'atorium eine freilich
•^ehr mäßig besoldete Stelle als Lehrer für Knsemble und Partittirspiel zu
erhalten. .\lle andern Krwartuiigen .iher, mit denen er gekoinnien war,
schlugen fehl, und Mitte der achtziger Jahre gestaltete sich seine äuliere Lage
SO trostlos, dafi verschiedene seiner Freunde, darunter Brahms, Bülow, Grieg,
HerKOgenberg, Joachim und Konstantin Sander in Leipzig, gemeinsam einen
Aufnii zur Bildung eines K]urnfon<!s für K. erließen, Sie hatten einen so
günstigen Erfolg damit, dali hinnen kurzem eine erhebliche Summe zur Ver-
fügung stan<l, durch welche der iiuüersten Not gewehrt und auch die Zukunft
der Familie einigerinalien sicher gesteilt werden konnte. K. selbst aber litt
es nicht mehr lange in Dresden, 1890 trennte er sich von den Seinigen und
lieft sich in Hamburg nieder, wo sich ihm endlich in seinem hohen Alter
dank der treuen und liebevollen Fürsorge einer hochherzigen Hamburger
l"amilie nach langer Irrfahrt eine sichere Zuflucht bot. Fs ist hier nicht der
<'rt, den inneren Oründen der tragischen Schicksale nachzuforschen, die K.
in der zweiten Hälfte seines Lebens so schwer bedrängten. Auch von ihm
vird Theodor Storms ernstes Wort gelten: »Vom Unglück erst zieh* ab die
Schuld«. Seine Kunst aber — und auf sie allein kommt es hier an — hat
er durch alle Stürme und Wirrsale siegreich hindurch gerettet, und wer sie h
in sie versenkt, dem wird er immer als ein Geweihter, eine Lichtgcstatt
erscheinen.
Theodor Kirchners Musik — *des Erdenlebens schweres l'raumbild
unkt , ein wundersamer Stimmungszauber nimmt uns gefangen, eine Weit
voll Schönheit, Geist und Anmut tut sich auf. — Von Schumann ging K.
aas, doch trotz der engsten Anlehnung an sein groQes Vorbild, ist er niemals
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Kirchner.
sdn bloßer Nachahmer gewesen, in allem was er schuf, zeigte er sich als
eine durchaus selbstSndtge Künstlernatur. Man hat es K. zum Vorwurf ge-
macht, dafi ihm nie ein Werk großen Stiles gelungen sei. Allein er kannte
die (Iri nzen seines Könnens viel zu genau und übte stets eine viel zu stren<;e
Selbstkritik, ;ds diiü er sit h ji' hätte verleilen lassen sollen, Wege zu wandeln,
für die seine Kraft nicht ausreichte, l.r war der Meister der musikalischen
Kleinkunst, besonders auf dem Gebiet des kleinen Klavierstücks steht er
einzigartig und unübertroffen da, hier liegt seine eigendiche Bedeutung.
Cicnialer Krfindungsreichtum, lebendigste Frische, bestrickende Melodik
zeichnen alle tliese Kompositionen aus, welche tlie zartesten und leiilen-
schaftlichsten l'.mpfindungen einer echten Künstlerseele wiedei spiegeln. Die
Form ersc heint immer streng durchgebililet und in sich geschlossen. Ks ist
durchaus nicht inuner leicht, dem Künstler zu folgen, er erfortlert oft reifes
Verständnis und intimes, eindringendes Studium. Allein, wer tief hinabtaucht
in die kristallreine Flut seiner Töne, der findet die Perle am Grunde.
Eine gute, auf gründlicher Kenntnis beruhende Übersicht und Analyse
der Kirchnersciien Tondichtungen gibt Ni^^gli in seinem unten erwähnten
F.ssay. HiiT sei uur flüchtig an die scluinsten seiner Werke erinnert, zu
denen vor allem die »Klavierstücke« op, 2, die allbekannten >.\lbumblätter<^
op. 7, sowie die Clara Schumann gewidmeten »Präludien« op. 9 gehören.
Der ganze Kirchner lebt auch in den »Nachtbildem« op. 25, und ebenso
zählen op. 56 > In stillen Stunden« und die Romantischen Geschichten«
op. 73 zu den k()st!i(listen und poesievollsten Offenbarungen seines ("Jeistes.
Auch unter K.s Liedern finden sich Scliätze von hinreiiiender Kraft und
Schönheit, .so das vielgesungene > Sie sagen, es wäre die Liebe aus op. 1,
und das tief innige »Was gibt doch der Sonne den herrlichsten Glanz« (op. 6).
Aus der späteren Zeit stehen die Lieder op. 40 und 50 obenan. £rstere
gelten dem Andenken seines früh verstorbenen Freundes Franz v. Holstein.
Äulierst wirkungsvoll ist auch das herrli< lie Liebeserwachen (ojv 67), eine
der duftigsten Hlüten in dem reirhen Kr.mze der Kirchnern lieii Lieder.
Unter seinen wenigen Kammermusikwerken dürfte das Klavier^uartett op. 84
(C-moll) das bedeutendste sein. Das schöne Streichquartett G-dur op. 20
gehörte seinerzeit zu den von dem berühmten Florentiner Quartett bevor-
zugten Kompositionen. Voll entzückenden Humors sind die Novelletten
op. 59 für Klavier, \ ioline und Cello. Mit einem Wort muü hier auch noch
der ausgezeichneten Hearheitungen K.s gedaclit werden, auf die wir schon
üben kurz hingewiesen haben, der gradczu meisterhaften Klavier-.Vrrangements
einzelner Lieder von Brahms, Schumann und Franz, sowie um nur einiges
noch\zu nennen, der hervorragenden Transskription des Schumannschen »Faust«
und des Hrahmsschen Re(iuiems für Klavier allein.
In alledem lebt der Herzschlag wahrer Kunst, jeder spürt ihn, so oft er
Kir( hni'rs( lie Weisen vernimmt, .\llein den ganzen unsagbaren Zauber seiner
Musik wenlen wir nie mehr empfinden. Der enthüllte sich in seiner vollen
Tiefe nur dann, wenn der Meister selbst am Flügel saß und seine eigenen
Sachen oder Schumann und Chopin spielte, oder wenn er etwa vollendet,
wie es kein anderer vermochte, seinen Freund Stockhausen zum Gesang be-
gleitete. Wie seelenvolles Singen war sein Si)iel, und die Macht seiner Töne,
in denen er das drängende Leben der eigenen Brust ausströmte, packte die
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Kirchner.
I6l
Zuhörer mit Allpewalt. So srlireiht W ilhelm liiump^artner einmal über ein
Konzert, welches Clara Schumann und St()( khausen unter Mitwirkung von R.
im Februar 1862 in Zürich gaben: Die Krone ilcs Abends war die Dichter-
liebe, ein Liederkxeis von Heine, komponiert von Schumann, vorgetragen
von Stockhausen und begleitet von Kirchner. Das Ganze ein Gufi, voll
Poesie, Stimmung und höherer Auffassung. K. löste seine schwere Aufgabe
als Künstler, jeder Ton bewußt mit Hingebung und vollster Beherrsi hung
des Kunstwerkes, ganz in Schutnann eingelebt und \ei\\ebt. Der Kiiidruck
auf mich war groli und unvergeßlich . Aludiciies bezeugen alle, ilenen es
vergönnt war, K. am Klavier su hören oder seinem wundervollen Orgclspiel
zu lauschen. Wir werden es nimmer erleben. Er, der so Grofies über
Menschenherzen vermochte, ruht »im Bann des ew'gen Schweigens«. Und
■ loch, was er geschaffen, bleibt uns untl tienen, (b'e nach uns kommen, un-
vcrloren. Denn es ist echte Musik, die K. uns geschenkt hat, gesund und
kerndeutsch. Wie sollte sie nicht leben!
Vgl. A. Nigjjli. Tli. K. Ein hiograpliisch-kritisrhcr Es^ay. I.cip/ijj und Zürich:
Gebr. Hug (1888). (Scp.-Abdr. aus der »Schweizcrisclicn Mu.tikzeitung«, Jg. 27, 1887,
N'r. 6 — 13.) — Derselbe, Th. K. Ein Gedenkblatt (»Schweix. Musilueitc, Jg. 44. 1904,
Xr. 1—2). >Die Musik«, Jg. 3, 1903/04, llft. 2, S. 115 — 117 (Nekrolog von J. Sittard
mit vortrcfTl. Bihini-l. »Die Mu.sikwoLl>c«, }g. 1903, Nr. 37 (Portr.), Nr. 38 (Nekrolog
von S. Karg-KIcrtj. — »Neue Musik-Zeitung« (StuUgarter), Jg. 25, Nr. 1 v. 22. Okt. 1903
(W. Wtntier, Persönliches von Tb. K.). — »Der Klavier-Lehrer«, )g. 76, 1903, S. 312—315.
361 — 363 (Nekrolog von A. Morsch). — »Neue musikiilisclic Presse«, Wien, Jg. 12, 1903,
Nr. 19 (Nekrolog von A. Smolian). — »'/'//<' Mottthlv Musiciil Kt-cordi, Vol. 33, 1903,
S. 204 — 205 (Nekrolog von Christina StrutJurs). — »Neue Zürcher Zeitung« v. 24. SepL
1903. — »Hamburg. Cotrcspondent«, Morg.>Ausg. v. 19. Sept. 1903. — »Neue Zeitschrift
ftr Mu-ik«, Bd. 55, 1S61. S. 153—156, 165—167 (Schumanniana Nr. 6. Die Schu-
mann'^chc .Schule. II. Th. K. — Geburtsjahr ist hier irrtümlich 1824 angegeben).
— »Sign.ale für die musikalische Well«, Jg. 18, 1860, S. 27; Jg. 31, 1873, S. 337/38;
Jg. 34, 1876, S. 65 66; Jg. 45, 1887, S. 1057 58: Jg. 61, 1903, S. 874. — »Mttsikalisdies
Centralblattc, Jg. i, I^^ipzig 188 1, Nr. 26. II. Kieinanii, Geschichte der Musik seit
Beethoven, 1901, .S. 613 14, — Derselbe, Musik- I.cxikdii, (>. Aufl. 1905, S. 660 61 mit
«einer fast vollständigen Liste von K.s Uriginalkoiupositionen«. — A. Ehrlich, berühmte
Klavierqiider der Vergangenheit und Gegenwart, 2. Aufl., Leipzig 1898, S. 155/56. —
C F. Weltmann, Geschichte des Klavierspiels und der KJavierliteratur, 2. Ausg. (1879),
176. - R. Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker. 4. Aufl. Neue
Ausg. v. F. G. Jansen, Bd. 2, 1891, S. 427 — 428, 484. — H. Erler, »Robert öchuuiann's
Lebeac. »Aus seinen Briefen«. 1887. Bd. 1, S. 324 325; 2, S. 174, 195. — R. Schu«
naims Briefe. N. F. Hrsg. v. F. G. Jansen. 2. Aufl. 1904, S. 229, 230. — J. V. Widmann»
Johannes Brahms. Berlin 1S98, S. 15. — M. Kaltieck, Johannes Brahms. Bd. i,
1904, S. 283/84. — Musikerbriefe aus fttnf Jahrhunderten, hrsg. von La Mara. Bd. 2,
S. 321—323 (Brief K.S an seinen Bruder Otto. Winterthur la Febr. 1854). — Hans v.
Bttlow, Briefe u. Schriften. Bd. 3, 1896, S. 86; vgl. S. 139, 286, 294, 418, 436. — L.
Nohl, Neues Skizzenbuch, 2. Ausg. München 1876, S. 153 ff. L. Ehlert, Aus der
TonwelL Essays. Berlin 1S77, S. 244. — \V. J. v. VVasielewski, Aus siebzig Jahren.
LehäBserinneningen. 1897, S. 35 36. — (C. Widmer), Wilhelm Baumgartner. Zttrich,
D. BOikH, 1868, S. 133/33. — W. Kiend. Miscellen. Leipzig 1886, S. 76 77. — Persön-
liche Mitteilungen ü))er K. verdanke i<'h Frau Musikdirektor Käslin in Aarau, die mir auch
«inc Reihe von Briefen K..S freundlichst zur WrfUgung stellte.
joh. Sass.
Biogr. Jahihveh u. Deuttoher Mekfoleg'. 8. Bd. 1 1
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Steiner.
Steiner, Kilian, Dr., * 9. Okiuber 1833 in Laupheim (Würtieinberg),
f 25. September 1903 in Stuttgart. — Der Unterzeichnete bringt hier auf
Wunsch des Herausgebers die Worte zum Abdruck, welche er im Krema-
torium in Heidelberg zum Gedächtniss des Freundes sprach, läflt aber einige
Notizen über den Lebensgang vorangehen.
Kilian Steiner stammt aus jü(lis( hen Kreisen Oberseliwabens. Sein Vater
hat erst i8jS mit zwei liriidern den Familiennamen Steiner angenommen,
wie es überall ilie neuere Ciesetzgebung verlangte. Kr liieli Victor, ist am
I.September 1790 geboren, am 14. Juli 1865 gestorben; die Mutter Sophie,
geb. Reichenbach, war 1800 geboren, starb i4.0lctober 1866. Wesen, Charakter
und äußere Krscheinung soll Kih'an wesentlich von ihr haben, über die beider-
seitigen Ciioüeltern sind nur Namen, Celnirts- und Sterbetage iiberliefert. Wesen
und Erscheitumg St.s w aren in so \ ielfat her Beziehung üljerw legend germaiiiseh,
uberschwäbiseh, daü man unwililvuriii h an eine vielleicht weit zurückliegende
Blutmischung zwischen jüdischer und germanischer Rasse denkt.
Die Eltern lebten in bescheidenen Verhältnissen; der Vater war Handels-
mann, Landwirt und Brauer; er hatte, als die württembergische Regierung
.Srhioli und (lut l.aupheim verkaufte, dieses erhebli( he Anwesen mit Andern
übernommen. Kr mullte sich schwer durchschlagen; halte elf Kinder,
welche von 1S19 — 1840 geboren wurden. Kilian war das achte Kind, be-
suchte die Volksschule in Laupheim und erhielt zugleich lateinischen Unter-
richt beim katholischen Geistlichen; 1844 — 49 wurde er Schüler des Stuttgarter,
1849 — 51 des Ulnier Gymnasiums, wo der spätere Oberstudienrat Hassler, als
Leiter der Anstalt, sich seiner sehr annahm. Von den fünf Söhnen war Kilian
der einzige, der eine höhere wissenschaftliche Ausbildung erhielt; die andern
wurden Kaufleute unil lirauer.
Von 1851—58 studierte St. in Tübingen und Heidelberg, machte dann
seine juristischen Staatsexamina, lieB sich 1859 in Heilbronn als Advokat
nieder und siedelte 1S65 nach Stuttgart über, wesentlich auf Wunsch seiner
politischen Freunde (tler deutschen Partei) und in Zusammenhang mit den
Plänen, eine große württembergische Hank zu gründen. Kr war von .Anfang
an der Rechtsrat und geistige I^eiter der 1869 gegründeten Vereinsbank, deren
Geschichte er 1894 schrieb: »Württembergische Vereinsbank, Rechenschafts-
bericht über die ersten »5 Geschäftsjahre 1869 — 1893«. f)ieser Bericht ist
ein sehr wertvoller Beitrag zur deutsdien Hankgeschichte.')
Am 17. Oktober 1869 verheiratete sich St. mit Clotilde Coldschmidt,
geb. Bacher, die ihm zwei Töchter erster Ehe mitbrachte; er liebte sie wie
seine eigenen und gab ihnen seinen Namen; aus seiner Khe gingen drei
Kinder hervor, Victor geb. 1870, jetzt Rechtsanwalt in Kolmar, Lisi geb.
1872, Mut geb. 1876. Alle drei sind verheiratet.
Über die »zwei Seelen« in seiner Brust, von denen die eine ihn nur nach
idealen Gütern streln n, die andere ihn zu einem der ersten unserer großen
Unternehmer und Kai tellgründer werden ließ, sei es gestattet hier eine Hrief-
stelle von ihm anzuführen (wohl an seine Mutter geri( htet, aus den fünfziger
Jahren): »Was die innere Geschichte meines hiesigen Lebens betrifft, .so kann
') Ich hoffe, ihn demnächst in meinem Jahrbuch für Gesetzgebung des Deutschen
Reiches (1905) zu veröffentlichen.
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Steiner.
163
ich hier freilich nur vom allfremeitiston sprechen. Ich wunlc duK h die Zeit, die
ich daheim verlebte, \ on meinem sonstigen Streben wi'it abj^e/.ogen ; es waren
meiit nur materielle Interessen, die ich um micli sah und ich war geneigt,
auch für meinen Teil darnach zu streben, diesem Interesse zu genügen. Ich
fBhlte aber bald, dafi es in meinem Herzen und in meinem Geiste leer und
leerer wird und wie ich hicher kam, da erfüllte mich wieder die ganze
Sclii>i:< !it mu h der früheren Zeit, wo nicht (his ganze Ziel meines Strel)ens
auf Krkrnuntr nieines Handwerkes gerichtet war, sondern ich voll Kifer für
das Gute und Schone ein höheres Ziel für das Leben verfolgte. Leider ge-
hört Bildung, die wahre und echte, immer mehr zu den seltenen Dingen;
der materielle Erwerb erfüllt alle KOpfe und Herzen. Ich schlug von Anfang
an einen anderen Weg ein und bin wieder auf ihn zurückgekommen, um auf
demselben zu verharren.«
Die Politik, die Wissenschaft, die Literatur, die Kunst waren es, welche
ihn freundschaftliche Bande mit Wallesrode, Leuthold, Wilhelm Raabe, Moritz
Hartmann, Wilhelm Jensen, Adolf Seeger, Pfizer, Freiherm v. Staufenberg,
Beithold Auerbach, Paul Heyse, J. Viktor v. Scheffel, Herrn v. Putlitz (dem
Karlsruher Intendanten), mit Bamberger, Lasker, Rickert knüpfen liefien. Als
FQhrer der deutschen Partei stand er in enger Fühlung mit dem preußischen
Gesandten von Rosenberg; Minister von X'arnbüler hatte dauernden Verkehr
mit ihm. ebenso stand Kinan/.minister v. Riecke ihm nahe und der langjährige
ausgezeichnete stille Lenker der württembergischen Politik, der Geheime
Kabinetschef v. Griesinger. Manche der Tübinger Professoren sahen ihn
gerne und schätzten ihn hoch; es seien nur die beiden Kanzler Rümelin
und Weizsäcker genannt.
Teils als alte Freunde, teils als neue Cieschäftsgenossen traten die führen-
den Berliner und Wiener Finanznuinner in engere He/.iehung zu ilnn, vor
allem Adalbert Delbrück, Werner und Georg v. Siemens, Steinthal (Deutsche
Bank), Finanzminister Depretis.
In den achtziger und neunziger Jahren entstanden die Beziehungen zu
I.aistner, Bettelheim, Adolf Kröner, German v. Bohn, Gabillon, Sudermann,
Leiil)ach. Fricli Schmidt, Bernhard Suphan.
Eine sornehme und behagliche Gastfreundschaft führte diese und zahl-
reiche andere bedeutende -\lanner im Sonuner immer wieder nach Niedernau
and Laupheim. Er hatte 1877 das Sommerhaus des Klinikers Niemeyer in
Niedemau erworben, schuf dort an sonnigem Waldabhang einen ganz eigen-
artigen Waldpark, mit halbsüdlichen Gärtnereien verbunden. In späteren Jahren
«ohnte er im Sommer auf Schloß Laupheim; er begründete dort in kürzester
Zeit niiht bloli eine Musterlandwirtschaft ersten Ranges und eine technisch
vollendete Brauerei, sonilern auch wieder einen Ziergarten und einen Park,
der anmutig das hochliegende alte Schloßgebäude umgibt. — Immer mehr
zog er sich von der geschäftlichen Tätigkeit zurück, sammelte Bilder, Kunst-
gegenstände, wertvolle literarische Manuskripte — die Zukunft seiner Kinder
orrlnend, fertig mit dem irdischen Leben, ruhig und gelassen den Tod er-
wartend.
\ On tlen jüdischen und den christlichen Pfaffen wollte er nichts wissen.
Mit hochstehenden protestantischen Geistlichen hat er gerne verkehrt, engste
Beziehungen zu ihnen gehabt Meine Gedächtnisrede auf ihn lautet:
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Steiner.
Werte 'l'iaiict\cr>;iiiim!iing! Wir liabcn uns vor di in Sarg unseres I'reuiides,
des teuren Anverwandten, des Mitarbeiters und Chefs, des Dr. Kilian v. Steiner
hier versammelt, um ihm ein letztes I«ebewohl zuzurufen, ehe seine irdische Hülle
in Asche zerfSllt, wie er es angeordnet hat. Ich schätze mich glücklich, von
der Familie berufen zu sein, als sein ältester Freund hier den Clefühlen Aus-
dru( k zu geben, die uns alle beseelen. Ks situi die bitteren (Jefühle des
Schiner/es, dali wir von dem unvergelJlichen , seltenen Manne uns trennen
sollen, der in der Tut in seiner t'unulie, in seinen Geschäftsbeziehungen, bei
seinen Freunden eine unausfüllbare Lücke hinterlftfit. Er war der beste
Gatte, der treueste Vater, der Berater aller seiner Verwandten, der hingehendste
Freund seiner l'reunde, er war ein Geschäftsmann ganz großen Stils, ein
guter Jurist, der /um königlichen Kaufmann geworden war; einer der führenden
(Icister beim (""bergang der deutsthen Volkswirtsc haft aus der Knge klein-
bürgerlicher Verhältnisse zur Weltmacht, zur (Irolimdustrie, zur modernen
Geld- und Kreditwirtschaft in den letzten vierzig jaiiren.
Wie wurde ihm mOgltch, so Großes zu leistend Er stammte aus be-
scheidenen Verhältnissen; doch konnten ihn seine trefflichen Filtern aufs
(«ymnasium nach Ulm und Stuttgart senden. Er entwickelte sich nicht rasch,
einer seiner Lehrer soll dem \'ater geraten haben, ihn ein Handwerk lernen
zu lassen. Schon damals wirti er den Zug bedät htiger \\)rsii hl und Umsicht
gehabt haben, der langsam voranging, um erst wenn er ganz festen Hoden
unter den Füflen hatte, zu urteilen und zu handeln. Er hat dann in den
Fünfzigerjahren in Tübingen und Heidelberg Jura, Geschichte, Philosophie
und Literatur studiert und getrieben. Seine geistige Lebensluft blieb der
humane Idealismus, der, aus unserer großen Literaturperiode stammend, damals
noch voll uiul ^anz die besseren, hochstreliemlen (ieister beherrschte. Ks ist
bezeichnend, daß er bis an sein Lebensende humanistisches Gymnasium und
juristisches Studium auch für die beste Vorschule des groflen Kaufmanns hielt
und daß er, den Schillerverein gründend und unterstützend, gleichsam seinen
Jttgendidealen Altäre errichtete. Ich glaube, man wird sagen können, er
wäre nach seinen innersten Neigungen stets am liebsten der Literatur, der
Kunst, der Wissenschaft treu geiiliehen. Kür Universitätsprofessoren behielt
er zeitlebens eine — ich möchte fast sagen übertriebene — Schwäche und
Verehrung.
Ich hatte St. kennen gelernt, als ich am ersten Tag meines Tübinger
Aufenthalts in der »Traube« einen Platz am studentischen Mittagstisch suchte
und zufällig liehen ihn kam. .\us dem gemeinsamen Kssen erwuchs unsere
Bekanntschalt, die bald zur !• reundsc haft und Gesinnungsgenossenschaft in
philosophischen, ethi.schen, politist hen, sozialen und anderen Idealen wurde.
Schon damals hatte der Umgang mit ihm einen unwiderstehlichen Reiz.
Als er nach einigen Semestern Tübingen verließ, wurde ich der Erbe seines
ZAmmers im Amraemiüllerschen Hause. Er sollte nun I)ald sein Hrot ver-
dienen und wandte sich als unbekannter, junger .\dvokat nach Heilbronn,
wo er außer mir wohl nur Dr. Paul Huttersack sen. näher kannte. .Nicht ganz
leicht wurtle es ihm, sich eine geachtete, lohnende Stellung zu erkämpfen.
Manche, die später seine gehorsamen Diener waren, traten ihm zuerst un-
freundlich entgegen. Er entwaffnete alle durch seine Ruhe und Liebens-
würdigkeit, durch seine juristischen und geschäftlichen Fähigkeiten. Ich war
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Steiner.
165
1861 bis 1864 auch viel in Heilbronn; er war ein fast täglicher Gast in un-
serem Hause. Neben der laufenden Advokatenarbeit ergriff ihn die Politik;
ein begeisterter deutscher Patriot trat er für Preußens Führung, für die An-
nahme des französischen Handelsvertrags und derartiges ein. Bald war man
auch in Stuttgart auf ihn aufmerksam geworden. Gustav Müller zog seine
grofie, schriftstellerische und geschäftliche Kraft in den Dienst der Lösung
der württembergtschen Bank- und Kreditfragen. Kr übersiedelte nach Stutt-
ffart und war von Anfant^ an die Seele der neuen. 1S69 eröffneten Vereins-
bank. Auch in Berlin liemorkie man >eine Bedeutung. Dr. Delbrüc k, der
frühere Chef des großen Bankhauses Delbrück, Leo und Co., erzählte mir
einmal, Ende der Sechzigerjahre habe er von dem ihm damals noch wenig
bekannten Dr. Steiner eine kleine Denkschrift Ober eine wichtige volkswirt-
schaftliche Kra^'C (vielleicht über die Neugründung der Berliner Banken
1S68 bis 1S71) erhalten, die so prä/is. so <liir( hd u lit, so groß in ihren Kon-
zeptionen <;e\vc>en sei, dali er sofort begriffen habe, welchen Wert e.s hätte,
ihn zu allem Möglichen iieranzuziehen.
Daneben aber hielt ihn bis in die Siebzigerjahre die Politik gefangen.
Er wurde in Württemberg einer der Führer der Deutschen Partei. Er hat
vor allem in den grofien Entscheidung.sjahren 1866 und 1870 eine liedeutsaine
Kolle in Stuttgart gespielt. Der leitende Minister v. \':iriibüler. der 1866 den
l'rcuLien das ruit- T'/r/is zurief und au( Ii 1870 ni» bt ,uan/. sit her war, in welt hem
Lager Württembergs Vorteil und Zukunft liege, kannte und schätzte St. sehr
hoch; er sprach ihn damals viel, er merkte, daß dieser durch seine auswär-
tigen Verbindungen doch oft viel besser unterrichtet sei als er; er fühlte wohl
audidie Wucht und Kraft des nationalen Gedankens, der ihm in St. so klug
und gemäßigt, so überzeugend entgegentrat. Das einzelne aus diesen Be-
ziehungen kann hier ni( ht besprochen werden.
So kam er auf die Mittagshöhe .seines Lebens 1870 bis 1890, nai hdeni er
1869 sich auch sein eigenes Heim gegründet, seine Jugendliebe heimgeführt
hatte; nicht lange nachher hat er in dem stillen Niedemau sich einen idyllischen
Waldgarten mit Sommerhaus geschaffen. Er lebte nun mehr und mehr ganz
den großen Geschäften: Er nahm tätigen Anteil an der (leschäftsleitung der
ersten dt utschen Kffekten-, nämlich der Deutsc lien l>ank , an der Begründung
und Ausfüiirung der Anatolischen Hahnen, er l)aute das württeinbergische
Bankwesen vollends aus; er wurde der finanzielle Berater und stellvertretende
Vorntzende der Gesellschaft, die das größte deutsche Verlagsinstitut schuf,
indem sie eine Anzahl grOBerer>Verlagsgeschflfte zur »Union« zusammenfaßte
and damit die Cotta'sche Buchhandlung und den Verlag der Gartenlaube in
Verbinflunif brachte; er war eine Hauptperson bei der Si haffung des l*ulver-
1111*1 I )yn.unitkartelis, l)ri dem riesenhaften .\ufs( hwunj^ der Hadist lu-n .\nilin-
und Sodafabrik; er hat jahrelang daran gearln-Mtet, tla.s unge.sunde .Mono])ol
der Rodischilds und ihrer Klientel durch ebenbürtige Fusionen zu brechen. Er
hat mit das große Heilbronner Salzwerk geschaffen und sein Gedanke war
CS, soviel ich weiß, daß diese.s große Unternehmen einst der Stadtgemeinde
anheimfallen sollte. Heute würde man das Munizijinlsozialismus nennen. Bei
St. war es das einfache Gefühl der Gerechtigkeit, an derartigen aus der Ge-
ineindemarkung hervorgehenden Reichtümern in irgend einer horm die ganze
Gemeinde teilnehmen zu lassen. Doch ich darf mich nicht in die Einzel-
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l66 Sicitter.
heiter» verlieren, soviel noch zu erwähnen wäre. Ich bemerke nur noch, daß
seit den neunziger Jahren die ungeheuer werdende (]esrhäftslnst und das
herannahende Aller ihn veranlaßtcn , sich etwas von diesen großen Unter-
nehmungen zurückzuziehen, und daß er nun die freien Stunden seiner Sechziger-
jahre ganz dem Plane widmete, in Laupheim, wo seine Eltern einst schon
eine kleine I^ndwirtschaft und Brauerei betrieben hatten, eine gröfiere Muster-
wirtschaft zu ('tri( hten. Seine Käse- uitI Buttcrprofluktion machte ihm hier
nun so viel l ieude, wie vorher die gmlkn Kartellgriindungen. Kr hraclite
es in wenigen |;ihren so weit, daß angeselienste Landwirte aus nah und fern
nach Si hloü Lauplieini walllahrleten, um ilie (Geheimnisse tlieses technisch
vollendeten, trotz der landwirtschaftlichen Not lukrativen Betriebes zu er-
gründen.
Ich frage noch einmal, wie kam dieser humane Idealist zu solchen prak-
tischen Krf<^lgcnr Was war psychologisch die rr>ache derselben, wus machte
den Kern seines geistigen Wesens aus? Ich horte oft sagin: la, der St. hat
eben eine glückliche Hand. Aber die Hand und tlas Gluck machts nicht,
sondern der Kopf, der Charakter, das GemOt, die ganze Seele und alle ihre
Kräfte. Man hat ihn ein Geschäftsgenie genannt ; ich möchte sagen, er hatte
große geniale Züge, aber sie waren in erster Linie solche der Willensenergie,
rler Verstandesscharfe, der Herzensgüte und der (lemütswärine. Es will mir
vorkommen, seine gan/en (leistcs- und Gemütskräfte seien, wie man es nur
bei wenigen begnadigten Menschen trifft, von besonders starker Erregbarkeit
und besonders grofier Feinheit gewesen; er beobachtete besser als andere,
seine Fähigkeit, Menschen und Verhältnisse zu durchschauen, in ihren Folgen
zu schätzen, war größer; alle Eindrücke auf seine Seele waren stärker, seine
Anschauungsbilder von der Welt waren lebendiger, seine Fähigkeit, zu handeln,
weitumspannende Verhältnisse konzentriert als Einheit zu fassen, war größer
als bei andern Menschei^. Er hatte, was für den haiulelnilen Men-schen das
wichtigste ist, ein seltenes Augenmaß für richtige und rasche Einschätzung
der Kräfte, der Menschen, der Verhältnisse, die ihm gegenüberstanden; er
sah stets das Grofle sofort groß, das Kleine klein. Und deshalb stimmten
auch seine Erwartungen mit den spätem Folgen. Nichts hat ihn ghu klirher
gemacht, ;ils wenn in seinen großen (leschäftskombinationen nach Monaten
und Jahren die Dinge sji h so gestalteten, wie er vorausgesagt hatte. Nichts
erhöhte auch sein Ansehen in der großen Geschäftswelt mehr, als diese IVeff-
sicherheit in der Voraussicht der privat- und volkswirtschaftlichen Entwick-
lungsprozesse.
Aber wer so geartet ist, wer ein so viel feineres Instrument der Seele
besitzt, der leidet auch darunter. Bis zum physischen Schmerz konnte jede
wichtige politische, geschäftliche, l-ainiliennaclnic lit ihn erregen; er koinite
dann wie abwesend erscheinen, sich in sich selbst verst hließen, um Herr zu
werden über die Erregung; er war dann nicht fähig, darüber zu reden, wie
er überhaupt leicht als still, als verschlos.sen erschien, nur schwer sein Innerstes
aufschloß, auch nur selten den Vertrautesten sein Herz und seine letzten Ge-
danken ganz eröffnete. Er sprach leicht stockend; er liebte es, oft nur in
Andeutungen zu reden, auch wo er sich aufschloß, l-'ernstehenden erschien
er stets mehr als die Herrschernatur, die mit Sicherheit ihre Wege geht und
gebietet. So hat ihn auch Lenbach in seinem Bilde erfailt. Auch in der
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Steiner.
167
Familie erscliicn er als lierr^chcndcr Patriarch; ich mußte, wenn ieli ihn (h\
lenken untl bestimmen Mih, oft an die Worte Ulpians denken: pakr ßimiiias
(St, qut in domo dominium habet.
Er war daneben die Güte, die Leutseligkeit, die Liebenswürdigkeit, die
Weichheit selbst; er war ein unverbesserlicher Idealist und Optimist; er sah
stets mehr das Gute in den Menschen als das Schlechte, weil er selbst inner-
lic h so gut war. F!r war auch in den Geschäften Optimist, sonst hätte er
nicht so (iroües f^eschaffen ; der ganz große rnternehmer ist wie der große
Staatsmann nicht möglich ohne eine große produktive, an den Fortschritt der
Welt, an höhere, bessere Formen der Zukunft glaubende Phantasie. Aber
dieser Optimismus verband sich bei St. mit schflrfster Erfassung des Wirk-
lichen und mit der höchsten Energie des Wollens; er setzte alles daran, das
zu verwirklichen, was er hoffte und wünschte. Und jeder grofie Wille zwingt
das Schicksal bis auf einen gewissen Clrad.
In diesen Eigenschaften liegen die (ieheinmisse seiner großen Krfolge,
auch die Erklärung so vieler kleinen Züge seines Wesens. Am meisten fiel
auf, dafi er fest scheu, keusch sich stets in den Hintergrund drückte; er hatte
eine förmliche Angst, mehr zu scheinen als er sei, ja nur entfernt zu verraten,
was er Großes sei und leiste. In seinen Gesclunftsberichten sprach er nie von
sich, es hatte d.) stets den Ans( hein, als oh andere das (Iroße gemacht. Kr
hat kaum je öffenthth gesjirochen . so \iel er anderen mit seinen (ledanken
und Ratschlägen unter die Arme geginten hat. Die L rsa( he lag eben in
seiner Sensibilität; er wurde nur im stillen Kämmerlein Herr Uber seine
Gedanken und Erregungen, im grofien Kreise fürchtete er die Gewalt der
letzteren.
Auch im kleineren Kreise seiner großen ( lese häftsfreunrle ließ er, so wird
mir erzählt, gerne zunächst andere reden. Aber zuletzt, wenn alles durch-
einander ging, kein rechter Ausweg denkbar schien, dann erhob er sich, trug
klar und sicher seinen wohlüberlegten Plan vor; dann sanken die Nebel und
alle fühlten, daß St der Meister war, dafl man ihm folgen und gehorchen
müsse. Mochten andere, wie sein Freund Georg von Siemens, oft genialer
und kühner sein, er war vorsichtiger, solider; von .Siemens' Plänen scheiterte
auch manrher, von den sein igen kaum jemals einer.
Bequem war er auch seinen Freunden, seinen Kollegen und den \'er-
waltungsräten, seinen Direktoren und Beamten nicht immer. Nicht bloß,
daft er viel forderte, weil er selbst viel leistete. Er hatte vor allem strenge
Vorstellungen über Solidität, Rechtlichkeit, erlaubte Geschäftsmaximen. Nicht
bloß, weil er selbst innerlich eine so vornehme, idealistische Natur war, weil
ihm die Sache stets über dem augenblicklichen (leldgewiim stand, sondern
weil er auch mit weitem IIoriz<int die Tragweite der ungeheuren I ni wälzung
unserer Betriebsformen überblickte, weil er die Gefahren einer ungesunden
und die Bedingungen einer gesunden Entwicklung dieser neuen Wirtschaft-
lidwn Welt erkannte.
Er sah, dafi wir tnir mit diesen neuen Formen der Aktiengesellschaft,
'ier Fusion, des Kartells und Trusts rasch vorankommen, den anderen
Nationen tlie Stange halten k()nncn. Kr war einer der cr--icii, der diese
Formen praktisch anwandte, ihnen Ciestaltung, rechtlii he lorm, wirtschaftliche
Ausführung gab. Aber er sah auch, dafi damit eine andere Welt Wirtschaft*
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Steiner.
licher Motive entsiaiulfn war, daß mir Mcnx lu n mit viel liölicrcr Bildung
und Sdiulung und mit ganz anderem PHit lit- und Verantwortlichkeitsgefühl,
mit ganz anderem sozialem Sinn diese gröflercn Institute richtig und segens-
reich leiten können. Ihn selbst charakterisierte ein seltenes und strenges
Pflichtgefühl. Der blofie Gelderwerb, der habsüchtige Egoismus der (ield-
macher erschien ihm stets verächtlich. Kr sali, (hiß unsere Zeit an dem
Laster der Habsuclit der oberen Klassen scheitern kann, uml daß die Leitung
<ler großen Kombinationen von lieschäften nicht bloß die Kigensi hatten des
geriebenen (jc.srhä{tsmanne.s, sondern, wenn man so sagen darf, auch die
des Staatsmannes erfordere, daß diese Leitung nicht bloß auf den Gewinn
<ler Aktionäre, sondern ebenso auf das Gesamtwold gerichtet sein müsse.
Als wir einmal von seinen Erfolgen und seinem Reichtum sprachen, sagte
er: Ja, ich bin reich geworflen, aber ich habe es nie erstrebt; wenn ich es
gemacht hätte, wie >o manche in ähnli( her Stellung. i(-h hätte flas Zwei- und
Vier- und Melulache erwerben können. Aber ich wollte anderen .stets ein
gutes Beispiel geben.« Er fügte bei: »Ich sah es geradezu als meine wichtigste
Aufgabe und Pflicht an, in den Aufsichtsräten, den Direktoren und Beamten
der großen Unternehmungen ein Geschlecht von Männern zu erziehen, das nicht
in erster Linie für sich erwerben will; diese «jn^ßen Betriebe können nur mit
einem kaulmannisch-technis( heii lieaintentum ^a-fülirt werden, das sich bewußt
ist, fremde (ielder zu verwalten, im Dienste anderer und der Gesamtheit zu
stehen.« Oft hat St., besonders in den letzten zehn Jahren, darüber geklagt,
welchen Widerstand er in dieser Beziehung finde, welche Kämpfe ihm durch
seinen Standpunkt erwachsen. Die kurzsiduigen Geldmacher begriffen ihn
nicht, wenn er es streng verpönte, daß die Aufsichtsriite einer Aktiengesell-
schaft in Hausse und Baisse der eigenen Aktien spekulieren. Aber oft
rühmte es St. auch, daß er da und dort unendlich viel (jutes mit diesen
Prinzipien geschaffen, daü die Blüte dieser und jener seiner Lieblings-
schOpfungen auf diesem Geiste beruhe. Ebenso erkannte St. aber, dafi
die neuen Großbetriebe nur mit einem geistig, technisch, politisch und
moralisch sich hebenden .'\rbeiterstand auf die Dauer gedeihen können. Er
konnte für diesen Gedanken stets aufs neue sich erwärmen und ereifern. Kr
fürchtete sich nicht vor dem steigenden Selbstbewußtsein der .Arbeiter, vor
ihren politischen und beruflichen Organisationen. Er war der .Antipode jener
Scharfmacher unter den Grofluntemehmem, die in jeder Lohnforderung eine
Antastung ihres Herrenrechtes sehen. Ich glaube, dafi St stets meine sozial-
pol itischen .Anschauungen, die er nicht bloß als Freund, sondern auch als
Sozialpolitiker init Teili>ahme verfolgte, billigte.
Kr hatte eben hier wie überall den großen Blick für die Zukunft uinl
die letzten, inneren Zusammenhange neben der klaren und nüchternen Kr-
fassung der Wirklichkeit. Er drang auch hier vor bis zu den obersten und
ersten Ursachen des Menschenlebens, des menschlichen Handelns: Moralische
und geistige Kräfte erkannte er überall als die letzten Motoren. Er .stand
ebcnhiirtig neben Richard Rivsicke, den wir neulich in Berlin zu Grabe
geleitet. Holten wir, daß das Schicksal uns au( h künftig immer wieder
solche Männer gibt, dann steht es gut um un.sere Zukunft.
Teurer Freund I I^ebewohll Wir danken Dir für alles, was Du uns, was
Du Tausenden, was Du dem Vaterlandc warst. Verehrt, geliebt, bewundert
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Steiner. Neckelmann.
169
wie wenige scheidest Du aus dem T-cbcn. Deine Werke folgen Dir nach.
Den unendlichen Schmerz, den Dein l'od utis bereitet, hat jeder \on uns
tür sich je nach seinem religiösen, seinem philosophischen Standpunkt im
Innern durchzukämpfen und abzumachen. Aber das Eine werden wir uns
alle als Trost sagen können: Kein Mensch lebt umsonst — auch für den
Zasammenhang unseres irdischen gesellschaftlichen Daseins. Und vollends
der nicht, der so reich begabt, an solcher Stelle wie Du auf Tausende wirkte.
Was ein I.eben, wie das St.s an guten Ideen, (lefühlen, Handlungen in sich
barg, an neuen Kinrichtnngen erzeugte, das ist mit dem Tode nicht \erloren.
bis sind Samenkörner, die tausondtache Frucht tragen, tlie in uns immer neue
Auferstehung, Kräftigung und Ausbreitung erleben. Denn
»Wer dm Besten seiner Zeit genug getan.
Der hat gelebt flir alle Zeiten!«
Gustav SchmoUer.
Neckelmann. Skjold, Professor für .Arciiitcktur an »k r I echnischen Hoch-
schule in Stuttgart, * 24. November 1854 in Hamburg als Sohn eines aus
Dänemark stammenden Kaufmanns, fij. Mai 1903 in einer Nervenheilanstalt
ZQ Neckargemünd bei Heidelberg. — Nach dem l?csuch der S< lilcidcnschcn
Schule in Hamburg erlernte X. von 1870 — 1873 das Mnurcrliaiidwcik. wühtciul
er gleichzeitig in den Wintermonaten in der Hainhur^H-r Haus« hulc gründ-
liche Kachstudien trieb. Ostern 1873 trat er in das Jiureau des Architekten
Martin Haller ein, bezog jedoch schon im folgenden Jahre die Akademie
der bildenden Künste in Wien, wo er sich unter Theophil v. Hansen sechs
Semester hindurch mit solchem Eifer dem Studium widmete, daß man seinen
Fleiß mit einem Stipendium belohnte, das ihm tlie erste Heise na< h Italien
ermöglichte. Konnte der Aufenthalt dort auch nur von kurzer Dauer sein,
so wurde er doch von wesentlicher Bedeutung für N.s künstlerisi he Kntw icke-
Ivng. Die nachhaltigen Eindrücke, die er damals von den Werken der grofien
Meister der Renaissance empfing, legten den Grund für seine ganze .spätere
Stilrichtung, die er selbst einmal als »italienische Renaissance mit leichten
Anklängen an die ;\ntike< charakterisiert. Nach vorübergehender Tätigkeit
in Wiesbaden und Berlin wandte er sich für ein Jahr nach Paris und beschloß
dann seine Lehr- und Wanderzeit durch eine zweite Reise nach Italien, dessen
Wunderwelt sich ihm nun in fünf gUu klic hen Monaten in ihrer ganzen Fülle
und Tiefe erschloß. Nach Hamburg zurückgekehrt verband N. sich zu ge-
meinsamem Wirken mit dem ihm befreundeten Architekten Franz Schmidt.
Die praktischen Aufgaben, vor die er sich gestellt sah, genügten jedoch seinem
ho« hstrebenden deiste nicht; aut h zahlreiche Wettbcwi'rhe, an denen er sich
hetciligte, führten, obgleich sie seinen Arbeiten rei( he Anerkennung brachten,
doch nicht zu dem ersehnten Krtolg eines monumentalen Auftrags für <lie
Vaterstadt. N. beschloß daher, Hamburg zu verlassen. Im Sommer 1885 ging
er nach Leipzig, wo er sich an den um zehn Jahre älteren August Härtel
anschloß. Im Wn in mit diesem Meister schritt er nun von Krfolg zu Krfrilg
und (hirfte es erleben, daü sich die kühnsten Träume seiner Jugend glänzend
verwirklichten. Die geniale (lestaltungskraft , die in N. rege war, erwachte
jeut zu vollem Leben und lieli ihn Werke schaffen, die höchste Anerkennung
und Bewunderung fanden. Fttr eine ganze Reihe von Entwürfen wurden
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Neekdmaim. Soucbay.
beiden Künstlern hervorragende Auszeichnungen zuteil. Hei dein internatio-
nalen Wettbewerb um IMäne für die Fassade des Doms zu Mailand lieferten
sie eine Arbeit, die unter den fünfzehn besten ihren Platz erhielt und N. die
Ernennung zun) Mitglied der Mailänder Akademie eintrug. Das Jahr 1888
brachte ihnen erste Preise für ihre Entwürfe für das Landesgewerhi inuseum
in Stuttgart und für das Landesaussehuügebäude in Straßburg i. K. N u hdem
ihnen auch flie Ausführung des letzteren sowie der Landesbibliothek ilaselbst
übertragen war, verlegten sie 1889 ihren Wohnsitz nach Straiiburg. Aber
schon 1890 siedelte N. zur Ausführung des Landesgewerbemuseums nach
Stuttgart Aber. Kaum hatte er das Werk begonnen, als ihm infolge des Todes
seines Freundes Härtel die überaus schwere Aufgabe zufiel, die gemeinsam
übernommenen Arbeiten nunmehr sätntlich allein zu vollenden. Dazu kam,
daß er, im Oktober 1892 als Nachfolger des T^audirektors (*. v. l eins zum
ordentlichen Professor für Architektur an der Tee hnisi hen Hochschule in
Stuttgart berufen, sich den Pflichten dieses neuen Amtes mit demselben Feuer-
eifer 'hingab, der ihn bei allem Tun beseelte. Aber schließlich überstieg das
Obermafi der an ihn gestellten Anforderungen seine Kr&fte und legte den Keim
für die spätere s( hwere Krkrnnkung, die den zum Höchsten ringenden Künstler
noch vor Vollendung cles 50. I-ebensjahrcs hinwegraffte. Das erhabenste Denk-
mal seiner Kunst, das man mit Recht sein ciuciuliches Lebenswerk genannt
liat, bleibt das Stuttgarter Landesgewerbemut.eum, das iiu Größten wie im
Kleinsten den ganzen Reichtum seines schöpferischen Geistes offenbart. Als
akademischer Lehrer erfreute sich N. eines ganz besonderen Rufes und einer
von Jahr zu Jahr wachsenden Zahl von Schülern, die er wie kein anderer
für den idealen Beruf der Hanknnst zu begeistern wußte. Als Mensch ge-
wann er sich die Liebe und Zuneigung aller, tieneii er nahe trat; \n Stutt-
gart sah er sieh von der ganzen Gesellschaft gerailezu auf Händen getragen.«
Viel zu früh ist er dahingegangen, aufs tiefste betrauert von allen, die ihn
kannten und schätzten. Die Früchte seines Lebens aber dauern, und der
Geist, der in den Werken seiner Kunst lebendig ist, wird immer fortwirken.
Veröffentlichungen: Omamcntule Phantasien. Berlin iSSo. — Dekorative
Skizzen. T.fcf. i. 2. (Je 10 Tafeln.) Leipzig iSSf) S7. Deiikmiiler der Renaissance
in Düncniurk mit beschreibendem Text von K. Meld.ihl. (47 l.il.j IJcrlin 18S.S. — Zusammen
mit A. Härtel: Aus unserer Mappe. Auswahl hervorrag'ender Entwürfe. 1886 — 87. (36Taf.)
}.c\\>/.\^r 1SS8; .*^erie 2. (4a laf.) Hcrlin iSSq. _ .\nhitektonisclje Sni<i:cii. EntWttrfe von
.'stutiii.'icTuit'M (iii Kgl. rcchni>.L-licn 1 loeli^cluile zu Miitttrait. Ilr>jj. unter 1 ritiins' ^'on ^. N,
(^25 lal.) Slultuatl 1897. — Das Königlich Würaeiuijeigische Landes -Gewerbemuseuni in
Stuttgart. Berlin 1898.
Vgl. »Deutsche Bauxettung«, Jg. 37, 1903. S. 266/67. - »^entralblatt der Bauver-
waltung««, Jg. 23, 1903, .'i. (Hildüist. »Hamb, ("orre-pündcnt«, .M).-Ausg. v. 25. Mai
1903. (Ein Hanjburgcr Künj>tk-i v. J. h'aulwasscr.j — »CiewcrbeblaU aus \VUrUeuil>crg«. Jg. 35,
1903, Nr. 20. — »Schwäbische Chronik« (des Schwab. Merkurs 3. Abteilung) 1903, Nr. 219
V. 13., 225 V. 16. u. 226 v. iS. Mai. - Das Kttniglich Wttrttembergiscbe L«ndes-Gewerbe>
miiseum in .Stuttgart. Festschrift zur Einweihung des neuen Museumagebäude«. .stut^ait
Souchay, Konrad Theodor, Dichter, * 30. Dezember 1833 in Lübeck,
1 36. Dezember 1903 in Cannstatt. — S., der Sohn eines wohlhabenden Kauf>
herm — die Familie stammte ursprünglich aus Frankreich — verlebte seine
1896, S. 75 ff.
Joh. Sass.
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Soiichay. Sittard.
Jugend in seiner Vaterstadt, wo er bis sa seineni 13. Jahre das Katharineum
besuchte. Seine weitere AusbiUiunc: empfing er in der Hondersrhen Krzie-
hungsanstalt in Weinhcim bei Meidelbcrg und auf dem Stuttgarter ( )l)er,i:vni-
nasium, wo er sich ein Semester hing aufhielt. Ivntschlo.ssen , Landwirt /.u
weiden, machte er zunächst auf verschiedenen norddeutschen Gütern eine
praktische Lehrzeit durch und bezog dann auf ein Jahr die landwirtschaft-
Üclie Akademie in Hohenheim. Von hier aus verlcelute er häufig mit Stutt-
parter Künstlern, und unter dem Kinfluß dieser Kreise sowie seiner eij^enen
künstlerischen Neigungen, die ihn vor allem auch zur Musik hin/ogen,
kostete es ihn manchen Kampf, bei dem erwählten Beruf auszuharren. Doch
blieb er fest, kehrte nach Norddeutschland zurOck, praktizierte noch ein Jahr
auf der Lübecker Domäne Behlendorf und übernahm dann das in anmutigster
Gegend an den l'fern des Wardersees gelegene Cut Margarethenhof in Holstein.
Später jedoch in die Lage versetzt, unabhängig lcl)en zu können, verkaufte
er seinen Besitz und siedelte nach Stuttgart über. Knde der sechziger
Jahre zog er zu kürzerem Aufenthalt nach Heidelberg und lieli sich 187 1
dauernd in Cannstatt nieder.
S. war ein feinsinniger, formgewandter Lyriker, zugleich ein durch und
dorch musikalischer Dichter. Die Musik seiner Verse ist in mancher tief
empfundenen Komposition lebendig gewor<!en. Seinen ersten »Gedichten«,
die er 1873 herausgab, folgten später no( h die drei Sammlungen Krisch vom
Herzen! Lieder und Dichtungen« (1886), Lieder des Lebens. Neue lyrische
und epische Dichtungen«' (1899) und »Klegien*' (1902). Daneben schuf er
eine stattliche Anzahl von Texten für Oratorien und Kantaten. — Eng mit
Süddeutschland verwachsen blieb S. doch der echte Niedersachse. »In sich
geschlossen, unermüdlich an der eigenen Weiterbildung arbeitend, ein Feind
des Scheins unrl der Mode, allem K liquctnvesen abhold, freimütig bis zur
Derbheit, selbständig denkend, mit einem raschen, doch meistens trettentlen
l'rteil über Menschen und Dinge, wies er energisch alles von sich ab, was
seinem Geschmack und seinem Gewissen zuwider war, was seine Kreise
stüren konnte. Wen er in sein Herz blicken liefi, der erkannte, wie viel
echtes Gold die oft rauhe Schale barg. Auch seine Gedichte zeugen davon,
sie sind ein tri uer Spiegel seines innersten Wesens, vor allem seiner hohen
Liebe zu der ihm vorangegangenen (lattin einer '{"ochter des 'l'übinger
Professors Knaus — seiner warmen Begeisterung für alles vaterländische (Jroiie,
seiner Versenkung in die Wunder der Natur und in die Reize der deutschen
Erde. Ein Lobgesang z. B. wie »Gruß dir, mein Cannstatt« ist dieser Stadt
noch von keinem Dichter erklungen. Und doch hat sich S. sein Leben lang
nach seiner nordischen Heimat und den Ufern der Trave zurückgesehnt.''
Vgl. »Schwäbische Chronik« (des »Schwab. Merkurs« 2. Aht.), Mittag<;blatt v, >S. Dc-
Mmber 1903. — »Kieler Zeitung«, Murgenausgabe v. i, Januar 1904. — »Niedersachsen«,
]§' 9i Nr. 8, S. 133. — Brammer, »Deutsche« Dichter -Lexikon.« Nachtrag. Eichstätt und
Stuttgart 1S77, S. 125 126. - Derselbe, ^I cNiknn der deutschen Dichter und Prosaisten des
19. Jahrb.«, 5. Ausg.. Hd. 4, .S. 103/104, 45:!. Kürsohntrs »Deutscher I,it.-Ka!.« . lOO.l,
Sp. 1306 (Verzeichnis der Werke). — »Niedersachsisches Dichterijuch« hrsg. v. K. Eckart.
Bitmen 1890, S. 3«7ff. Joh. Sass.
Sittard, Joseph, Professor, Musikschriftsteller und Kritiker, * 4. Juni 1.S46
in Aachen, j* ^4- November 1903 in Hamburg. — Körperliche Leiden und
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172
Sittard. von Sdiener.
(Icbrcrhcn, mit licncii S. von Jugend auf kämpfen mußte, vermochten seine
geistige Entwicklung nicht zu beeinträchtigen. Mit eiserner Willen>>tärke
überwand er immer wieder alle Hindernisse und durfte schließlich einen vollen
Lebenserfolg sein eigen nennen. Von 1868— 1872 besuchte er das Stuttgarter
Konservatorium, wo er besonders Orgelspiel, Gesang und Musikgeschichte
studierte. Seine Leistungen in der Abgangsprüfung waren derartig hervor-
ragend, daß er sofort als Lehrer für die genannten Fächer angestellt wurde.
Nebenher widmete er sich bahl auch einer au>gebreitL'ten sclirittstcllcri^t lien
und kritisclien Tätigkeit, schrieb wahrend mehrerer Jahre die Musikkritiken
im »Staatsanzeiger für Württemberg und trieb ausgedehnte archivalische
Quellenstudien, als deren Frucht er später die zweibändige »Geschichte der
Musik und des 'Flu atrrs am Wurttembergischcn Hofe < herausgab. Für dieses
Werk verlieh ihm der K<>nig von Württemberg die große goldene Medaille
für Kunst und Wissenschaft. 18S5 verließ S. die schwäbische Hau|)tstadt und
ging nach Hamburg. Hier trat er als Nachfolger von Ludwig Meinardus in
die Redaktion des »Hamburgischen Correspondenten« ein, dem er als Musik*
kritiker, Feuilleton-Redakteur und Leiter der »Zeitung für Literatur, Kunst
und Wissenschaft< 18 Jahre lang in unermüdlicher Arbeitsfreudigkeit gedient
hat. Line heilige Pflicht war es ihm, den ihm anvertrauten lU/.irk geistiger
Tätigkeit rein und frei zu halten von allem (lemeinen. .\ls K titikcr w altete
er mit > tiefem Ernst der künstlerischen Forderungen und warmem Enthusias-
mus für alles Schöne und Grofie in der Musik, mit umfassendem Wissen und
scharfem ästhetischen Urteil« seines Amtes. Wahrheit war ihm oberstes Ge-
setz. So erwarb er sich sehr bald eine hochgeachtete und einflußreiche Stellung
im hainburgist hen Musikleben, von dessen historischer Entwicklung er in
seiner wertvollen ( leschic hte des Musik- und Konzertwesens in Hamburg«
ein anschauliches Bild entworfen hat.
Schriftenverzeichnis: 1. Compendinm der Geschichte der Kirchenmusik, mit besonderer
Rerttcksichtigung des kirchlichen Gesanges. Vun Ambrosius cur Neuzeit. Stuttgart i88l. —
2. Felix Mcndöhsohn-Hartholdy. (.S.Tinml. imisikal. Vortrüjjc. Mr-fj.; Paul Graf Waldcrscf. ^ v )
Leipzig 1881. — 3. üiuachimo Antonio Kos»ini. (Samml. musik. Vortr. 47. 48.) Leipzig
1883. — 4. Zur Einfllhrung in die Aesthetik und Geschichte der ^lusik. Stuttgart 1885.
— %. Das I Stuttgarter Musikfcst am 17., 18. und 19. Juni 1885. Eine kritische Rttck-
»ch.nu. Stiitttj.Trt 1SS5. 6. Die Mii^ik-In>trumente .luf ticr HamltiirpNi hcn flewcrlic- imd
Induätrie-Auä^tcllung 18S9. Altona 18M9. — 7. Studien und Charakteristiken. 1 — III. Ham-
burg und Leipzig 1889. — 8. Geschichte des Musik» und Konzertwesens in Hamburg vom
14. Jahrhundert bis auf die Gegenwart. Altona 1890. — 9. Zur Geschichte der Musik und
des Theaters am Wüntomhcrgischen Hofe-. Nach '^)ri<»inal<niclkii. Htl. i 2. Stuttjjarl 1890
— 1891. — 10. Kritische Briefe über die W iener internationale Musik- und Theater-Aus-
stellung. Hamburg 1892. — 11. In der .Sammlung »Der Mu»ikftthrer«, 1895: Erläuterungen
zu Bach, H-molI Messe (Nr. 19, so); Beethoven, (%dur Messe (Nr. 30), Missa solemnis
(Nr. 47. 4S), 9. Symphonie (Nr. 4); Hrahm-;, Akadem. l c>t-Ouvcrtttre, Tragische Ouvertüre
(Nr. 25), Schicksalslied, Gesang der Parzen (Nr. 37); Handel, Messias (Nr, 42, 43). ^
12. Mitarb. an: Beethovens Symphonien erläut. Stuttgart 1896, 2. Aufl., 1900; Urahnis,
Erllut seiner bedeutendsten Werke. Stuttgart 1897; Die beliebtesten Chorwerke erlSut.
Stuttgart 1898. — Vgl. >Hamb. Correspondent«, Abendausgabe v. 24. u. 36. November 1903.
Schcrzcr, Karl von, l nrs< hung^rcisender uiul Staatsmann, * i. Mai 1821
in Wien, f 19. Februar 1903 zu (jör/. — Sch. entstammt einem tlrei Jahr-
hunderte alten protestantischen Patriziergcschlechte der ehemaligen reichs>
Joh. Sass.
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von Scherzer.
173
freien Stadt Eger, das gleich allen protestantischen Familien dieser Stadt
nnter dem Drucke der Gegenreformation zur Zeit des Kaisers Ferdinand II.
zum Wanderstab greifen muUte. Sein \'ater Johann (Icorj; kam zu Anfang
des 19. Jahrhunderts aus Zirndorf bei Nürnberg als armer liauerssohn nach
der Kaiserstadt und brachte es allmählich zu Wohlhabenheit. Er erfreute
sich als Besitzer des seinerzeit berühmten Vergnügungslokals »zum Sperl«
einer großen Volkstümlichkeit. Der Khern innigster Wunsch war es, dafl
Kir! für die lU-anitonlaufhahn luTangebihlet werde. Kine an Widerwillen
grcn/rn<le Abneigung gegen diesclbo und die Begeisterung für die 'l'echnik
vcraniaülen ihn aber, ein jünger Gutenbergs zu werden. Er trat 1834
als Lehrling in die Hof* und Staatsdruckerei ein und wurde schon nach
zwei Jahren freigesprochen. Sodann begannen die Wanderjahre, die ihn zu-
erst nach Leipzig, wo er bei F. A. Brockhaus arbeitete, und hierauf nach Paris
führten, wo er in der damaligen Imprinierk royalc tüditigt.' I-achstudien machte.
Von Paris begab er sich iku h London, wo er die Ijerühmtesten Druckereien
besuchte und in der Bibhothek des Britischen Museums emsig linguistischen
und geographischen Studien oblag. In der Vaterstadt gedachte er die auf
der Wanderschaft gesammelten Erfahrungen zu verwerten, aber mit Rücksicht
Auf seine ausgesprochen freiheitliche Gesinnung wurde ihm vom Wiener
.Magistrat die Genehmigung zur Errichtung einer Buchdruckerei und Verlags-
buchhandlung im großen Stile versagt. F',r zog sidi nun für einige Jahre in
die Einsamkeit zurück und lebte seinen Liebling-sstudicn. Das ereignisreiche
Jahr 1848 fand ihn jedoch auf seinem Posten. F^nge Freundschaft verband
ihn mit Fischhof, Brestel, Schuselka, Kudlich und anderen Führern der Linken.
Seiner unermüdlichen Tätigkeit verdanken die Buchdrucker Wiens die Regu-
lierung des Lohntarifs und die Aufhel)ung <ler Sonn- und Feiertagsarbeit.
Für seinen I.ebensgang entscheidenti war der Aufenthalt in Meran im
Frühling 1851- Er lernte dort den Naturforscher Moriz Wagner aus Baireuth
kennen, der damals von einer Forschungsreise aus dem Kaukasus zurück-
gekehrt war. Dieser gewann ihn für eine auf drei Jahre berechnete gemeinsame
Reise nach Amerika. Am 13. Mai 1852 schifften sie sich nach New Vöde ein.
Sie bereisten ganz Kanada, sowie fast sämtliche Staaten der Union; die
orsten Größen der \'creinigten Staaten wetteiferten darin, iimen mit Rat und
lat beizustehen. So ward es ihnen möglich, eint- seltene Sammlung urkund-
licher, ganz neuer Materialien über Land und Leute, über Politik und Volks-
virtsch^ zustande zu bringen. Sodann bereisten sie die damals wissenschaftlich
noch ganz unbekannten fünf Staaten Zentralamerikas. Sie besuchten unter
den größten Gefahren Gegenden, die niemals vor ihnen ein Europäer betreten,
sie bestiegen Wdkane, um Höheii und X'cgetationsgrenzen kennen zu lernen,
legten naturwissens« haftli( he Sammlungen an. machten sich mit den Sitten
und der Sprache halbwilder Stamme vertraut, suchten die Reste indianischer
Denkmäler in den Wildnissen von Guatemala auf und beuteten während der
R^enzeit die Archive und Bibliotheken der Hauptstadt aus.
Die Jahre 1855 und 1856 widmete Sch. der Ausarbeitung des reic hen
Materials teils in selbständigen Werken, teils in kleinen gediegenen Abhand-
lungen, die in den Sitzungsberirhtcn der Wiener .\kademie der Wissens( haften
veröffentlicht wurden. Seine Publikationen erregten in den weitesten Krei.sen
berechtigtes Aufsehen. Ihnen hat er es zu danken, daü er gewissermaßen
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174
von Schmer.
zum ffcistigcn Führer der von dem damaligen Marine-Oberkommandanteii
Erzherzog l-'erdinaiul Max ausgerüsteten Novara-i:\[ic<lition auscrseheii wurde.
Er arbeitete rastlos, um sich für sie gebührend vorzubereiten. Eine umfassende
Korrespondenz mit hervorragenden Gelehrten wurde eingeleitet um deren
Wünsche, Ratschläge und Winke kennen zu lernen und diese während der
Reise verwerten zu können. Die ^ n N'orgehen hatte zugleich den Vorteil, das
Interesse der wissenschaftlichen W elt an der K\|>i'(lition zu steigern, weil
(hitlurch zahheiihe Gelehrte gleichsam zu Mitarbeitern an dem im Laufe der
Expedition durchzuführenden wissenschaftlichen l'rogranune wurden. .Nament-
lich in England bekundete sich eine grofle Teilnahme für das österreichische
Unternehmen. Männer wie Lyell, Huxley, Darwin, Gray, Robert, Owen»
Carpenter, Hooker, Goodser u. a. gaben Sch. nicht allein wertvolle Winke,
sondern unterstützten auch seine Bestrebungen durch (leleitbriefe an befreun-
dete Fachgenossen in fernen Erdteilen. Sell)st Kmj)fehlungen tier Londoner
Bibelgesellschaft fehlten nicht, und .Sch. nahm sie um so freudiger an, als
ihm die wesentlichen Dienste in dankbarer Erinnerung waren, die ihm eng-
lische Missionäre, welche vielfach zugleich Ärzte und Sprachforscher sind,
auf seinen früheren Reisen leisteten. — Eine Reise nach Deutschland sollte
den brieflic hen Verkehr und die mündlic he Hesprechung mit (lelehrten in der
Heimat noch vervollständigen. Sch. l)egab sich nach München, wo er mit
Liebig, Sieljold, liisehoft, Pesrhel, l'allmerayer, Moriz Wagner u. a. die .Auf-
gaben der Expedition eingehend erörterte. Noch lohnender war sein Auf-
enthalt in Berlin, wo damals noch Alexander von Humboldt und Karl Ritter
als Sterne erster Gröfie am wissenschaftlichen Himmel leuchteten.
Die großartigen Leistungen der ersten österreichischen Weltumseglungs-
expedition sind bekannt I)er von Sch. bearbeitete beschreibende Teil <ler
Ivxpedition hatte einen m der Cleschielite fies deiitsc hen Buelihandeis geradezu
beispiellosen Erfolg, da an 29000 Exemplare verkauft wurden. Justus von
Liebig bezeichnete das Werk »als eine Naturgeschichte der merkwürdigsten
Art, als ein Monument für die Novara-Reise und für den deutschen Geist,
denn nur ein Deutscher konnte es zustande bringen«. Eine ebenso glänzende
Aufnahme fand <ler ebenfalls von Sch. bearbeitete statistisch-kommerzielle
Teil. Ihm gebührt aber auch das X'erdient, das gesammelte linguistische,
ethnographische, anUiropometrische und kraniologische Material, das von Fach-
gelehrten bearbeitet wurde, gesichtet zu haben.
Als die österreichische Regierung x868 eine Expedition nach Ostasien
sendete, um mit den Regierungen von Siam, China und Japan Handelsverträge
abzuschlietien, begleitete sie Sch. als »erster Beamter des handelspolitischen
und wissenschaftlichen Dienstes . 1872 wurde er (leneralkonsul in Smyrna,
wo er eine Monographie über die geographischen, wirtschaftlichen und intel-
lektuellen Verhältnisse von Vorderklcinasien schrieb, welcher der bedeutende
Nationaldkonom Emile de Lavel^e nachrühmte, »dafi man die ganze Erde wie '
sein eigenes Vaterland kennen würde, wenn man über die verschiedenen
Länder gleich vorzügliche Monographien besäße«. 1875 wurde Sch. General-
konsul in London und 1S78 wurde er in gleicher Eigenschaft nach Lei]>zig
versetzt, wo er zugleich als diplomatischer N'ertreter bei den fünf sogenannten
kleindeutschen flöten wirkte. In diese Zeit fällt das Erscheinen seines hoch-
bedeutenden Werkes: »Das wirtschafdiche Leben der Volker«, in dem das
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von Schener. üokelaiann.
universelle Arbeitsgebiet der Kulturvölker, die Wcliarbeit, sozusagen in ihren
vichtigsten Funktionen dargestellt und die hauptsächlichten Elemente und
Faktoren, welche die wirtschaftliche Tätigkeit des Menschengeschlechtes be-
einfluflen, in ihrer allmählichen Entwicklung bis zum gegenwärtigen Stand-
punkte bei allen Handelsvölkcrn der Krdc gcMliildcrt werden. Als er ein
Kxemplar dieses Werkes, dessen Erscheinen mit den Zeitumständen, mit der
von nationaler Begeisterung getragenen kolonialpolitischen Bewegung glücklich
xosammentiel, dem Fürsten Bismarck überreichte, dankte dieser nicht nur in einem
äußerst schmeichelhaften Schreiben, sondern lenkte auch in einem besonderen
Zirkular die Aufmerksamkeit aller Botschaften und Ronsularämter des deutschen
Reiches auf das Buch. Es ist dies um so bemerkenswerter, als tler Reichs-
kanzler vier Jahre vorher wegen der von St Ii. an seiner Schutzzollpolitik ge-
übten Kritik sich bei der österreichischen Regierung beschwert, in der Nord-
deutschen Allgemeinen Zeitung<^ einen fulminanten Artikel gegen den Kritiker
Teranlaflt und in einer Weise, dafi es ihm zu Ohren kommen mußte, die
Änflemng getan hatte: »Der österreichische Generalkonsul in Leipzig täte
besser, uro die österreichischen als um die deutschen Zollverhältnisse sich zu
kümmern .
Sch. schloli 1897 seine Laufbahn als ( ieneralkonsul indenua ah. Seiliier
lebte er bis zu seinem am 19. Februar 1903 erfolgten Tode in stiller Zurück-
gezogenheit in Görz, mit der Ausarbeitung seiner fünf Erdteile umfassenden
Lebenserinnerungen beschäftigt.
Zahlreiche Ehrungen sind dem ehemaligen Setzerlehrling erwiesen worden:
er war Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der ( iiiversität Ciieüen,
Ehrenmitglied der (lesellschaft der Arzte in Wien, der geographischen, ethno-
logischen und anthropologischen Gesellschaft in London und dcx Koyal ^4siaiic
Society in Bombay, außerordentliches Mitglied der statistischen Zentralkom-
mission in Wien, korrespondierendes Mitglied der Wiener und Münchner Aka-
demie der Wissenschaften, der Soc'u'tc de S/afist'n/ue in Paris und des Institut
hUa^ationalc de Statist'tqiic in Rom, Mitglied der Leopohlinisch-Carolinischen
Akadenn'e der Naturforscher, Meister des Freien Deutschen llochstifts zu l*'rank-
furt am Main, korrespondierendes Mitglied des Museums für Kunst und In-
dustrie, der geologischen Reichsanstalt und der Land wir tschaftsgesellschaft in
Wien, der russischen Gesellschaft der Naturforscher in Moskau, der Gesell-
schaft für Erdkunde und der internationalen Vereinigung für vergleichende
Rechtswissenschaft und N'olkswirtschaftslehre in Berlin, des Museums für Völker-
kunde in Leipzig und vieler anderer gelehrter (iesellschaften.
Seme Werke: Republik Costa Rica. 1855. — Kciscn in Nordamerika. 1S55. — Wandc-
mnfen dtircli Nicaiaifua, San Salvador und Honduras. 1856. — Beschreibender Teil der Reise
der Novara um die Erde. 2. Aufl. 1864. Aus dem Natur- und Völkerlebcn im tropischen
Amerika. 1S64. — ."statistisch -kommerzieller 1 eil der Nov.ir.i - KxpeditiDii. 2. .\ufl. 1S67. -
psterreichisch-ungariscbe Expedition nach Siam, China und Japan i86^i 70. 1871. — Smyrna.
1873. — Weitindostrien. 1880. — Wirtschartliche Tatsachen zum Nachdenken (Kritik der Bis-
marckschen Schutzzollpolitik). 1881. — Das wirtschaftliche Leben der Völker. 1885. — Der
wimchaftHche Verkehr der Cegrowart 1891. Bernhard Münz.
Bokelmanii, Wilhelm Hieronymus, Geheimer Regierungsrat, bii 1893
Direktor des Schleswig-holsteinischen landwirtschaftlichen General Vereins,
* 21. Mai 1822 als Sohn des Königlich d&nischen Ministerresidenten Geheimen
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176
Bokelroann.
Leg:iti(nisr;its \V. IJokcltnanii in Hamburg, + 3. DezL-inher iqo.^ in Kiel. —
B. besuchte das Gymnasium in Altona, studierte in Kiel und Heidelberg die
Rechte und bestand 1846 in Kiel mit glänzendem Erfolge das juristische
Examen. In dem Erhebungskampf des Jahres 1848 schlofi er sich dem
Rantznuschen Freikorps an. Nach Beendigung des Feldzuges wurde er zum
Senator in Altona ernannt, im Januar 185;? aber von der dänischen Regierung;
seines Amtes enthoben. Die Altonaer Hürijersi luift wählte ihn darauf sofort
zum Stadtverordneten. Du die Zeiten jedoch einer wirklich fruchtbringenden
Öffentlichen Tftti^eit wenig günstig waren, beschloß B. sich der Landwirt-
schaft zu widmen. Kr kaufte 185s den Hof Rethwischhöhe bei Oldesloe,
den er 18 Jahre lang bewirtschaftete, bis er 1873 seinen Wohnsitz in Kiel
nahm. Sehr bald schon hatte er sich unter den Landwirten seiner Heimat
ein hohes Vertrauen und Ansehen erworben. 1867 berief ihn der schlcNwiif-
hulsteinische landwirtschaftliche (Jeneralverein zum Vorsitzenden Direktor. In
dieser hochbedeutsamen, verantwortungsvollen Stellung, welche B. 26 Jahre
hindurch in ununterbrochener Folge bis zu seinem freiwilligen Rücktritt im
Jahre 1893 bekleidete, hat er sich um die Förderung der schleswig-holsteinischen
Landwirtschaft unvergängliche V'erdienste erworben. Mit ganz besonderem
fleschick wußte er ihre Interessen zu vertreten bei der durch die Ereignisse
des Jahres 1864 bedingten Neugestaltung der Verhältnisse. Kbenso rastlos
war er bestrebt, die mancherlei Aufgaben, vor die sich die Landwirtschaft
bei fortschreitender Entwicklung gestellt sah, mit tatkräftiger Initiative einer
glücklichen Lösung entg^;enzuföhren. Dahin gehört unter anderem die Be-
gründung des Institu'.- der Wanderlehrer sowie die Errichtung eines agri-
kiiltnrchemischen Laboratoriums, das bald zu einer landwirtschaftlichen
X'erMU hsstation erweitert wurde. .Vuch als .Mitglied de.s preuÜiM'hen Lantles-
Okonomiekollegiums, des deuti>chen Landwirtschaftsrats, des liezirkseisenbahn-
rats und der Zentralmoorkommission hatte B. kein anderes Ziel im Auge,
als die Macht, das Gedeihen und den Einfluß der heimischen Landwirtschaft
zu mehren und zu sichern. In nicht minder hervorragender Weise betätigte
er si(-li als Volkswirt; sein weiter Blick uiul kluger Rat ist tnancher Kin-
ri( htung zum Besten der arbeitcmlen Klassen, deren Wohl ihm ganz besonder^
am Herzen lag, zugute gekommen. Einen Einblick in die verschiedenen
Gebiete der Lebeioarbeit des hochverdienten Mannes, die er alle von Grund
aus beherrschte, gewähren die zahlreichen Abhandlungen und Aufsätze, in denen
er seine Gedanken und Erfahrungen niedergelegt hat. Eine kurze Übersicht
über die wichtigsten dieser wertvollen Arbeiten, die, in Zeitschriften zerstreut,
sich der allgemeinen Kenntnis völlig entziehen, möge dazu beitragen, sie
auch für die Folge nutzbar zu machen.
»Landwiitscliaßliches Wochenblatt fär Sdileswig-Holstein«, 1872, Nr. 47—49; Wie ist
dem drohenden Arbeitennangel abzuhelfen? — 1875, Nr. 5,: Die Regelung; des Kostonwescns
in Auscinandcrsetzunjissachen. 1SS2. Nr. 6: Ver-.ichcrungf ijeijen Hajjclschadcn ; vgl.
auch Nr. 9 und 10. — 1883, Nr. 16: Maikäfer; Nr. 17: Gründung einer Arbeiterkoluoie ;
Nr. 25—29: Die bäuerlichen VerhUtnisse der Provinx Sdileswig-Holstein. — 1885, Nr. 9
und 10: Einige Betrachtungen Uber GetreidezUll«. — 1886, Nr. 43; Der Anschluß des Ver-
bandes der \'ii'hzn< ht\ LTciiu- ;tii den ' "riner.ilM.rLiii. — 1SS7. Nr. 17: Verhandlimfjen im
deutschen l^ndwirt>cbaftsrat Uber die K.un»tbutterlrage; Nr. 39: Ansiedelung in der Pro»
vinz Posen und WestpreuBen; Nr. 50: Ober die Aufhebung des IdentitStsoachwcises bei der
Ausfuhr des Getreides. — 1889, Nr. 6, 8, 15, 17: Cber Diensttioten und Arbeiter; Nr. 21 und
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Bokdnann. ■ Sdwppif . MOdihocfer.
32: Strikes. — 1890, Nr. 31: Mitteiliuigen aber ein«: Rundreise im Hoctunoor. — 189I1
Nr. 14; Das Bcattacrungsrecht der luidwirlseliaffiieheii Vereine; Nr. 17: Der Banemverein;
\r. 44: Die BelcHmpfungr der Tubeilnilose; vgl. «och Nr. ii. — 1893, Nr. 11 und la:
Doppelwährung; vgl. auch Nr. 22. 1S94, Nr. 5 und 6: Die Lanclwirtschaftskammer. —
i$95, Nr. I : Vertretung der Kreise in den Landwirtschaftsluunincrn; Nr. 6 — 9: Der General«
Taein. — 1897, Nr. 17: Was i»t Politik? — Man rgl. femer: ScUeswiflr-Holsteinische An»
tt^en, 1895, S. i29£r. — Schriften des deatsdien Vereins fttr Armenpflege und WohlMtiglceit,
Heft ;4, 1S96, S. 30. — Protokolle der 25. und 26. Sit/ung' der /entralmonrkommi-'iion,
1890, S. 78 — 84, Protokoll der 35. Sitzung, 1S95, S. 162 ff. — Mitteilungen deä Vereins zur
Fhdcnmir der Moorkultor im Deatadm Reiche, Jg. 11, 1893, S. 336 ff. — Vendiiedene
Refaate in den Verhandlungen des i^Vnlgl. Landesfikonaauekellegimns, Berlin 1879, 1883,
1891. — Diejenige Arbeit, auf die R. innerlich den grcißten Wert legte, eine umfangreiche
Studie über >ücwinnbeteiligung« ist ungedruckt geblieben. Das Manuskript befindet sich
im Besits des Herrn Rechtsanwalts B. in Kiel.
VgL Alberti, SdttiftsteUer-Lenkon, 1866—1882, Bd. t, S. 57/58, 466. — »Kieler
Zeitung«, Morg'.-u. Abd.-Ausg. v. 4. Dezember 1903 »Nord-Ostscc-Zeitung«. Mittags-Ausg.
T. 4. Dezember 1903. — »Landwirtschaft!. Wochenblatt für Schleswig>Holstein«, Jg. 42,
52 V. 23. Dezember 1892 (Biogr. Skizze v. Generalsekretär Bojsen mit Bildnis), Jg. 53,
Nr. 50 ▼. II. J>etcmber 1903 (Nekrol<^ von H. Breyhols). — J. H. Edcardt, Vmt Kieler
Rdrgem (»No«'d-O<tsce-Zeitung«, Ahd.-Ausg. v. 8. Dezember 1903). — A. Emmerling, Agri-
kulturchemische Untersuchungen. Festschrift. Kiel 1895 (nicht im Buchhandel), S. i — 10.
— • Für persönliche Mitteilungen Uber B. sowie flir die Zusammenstellung der von ihm ver-
fiiBten AnlidUse bin ich Heim Geheimen R^emngsrat Prof. Dr. Enuneding in Kiel au
aifiiditigein Danke Tetpllicktet. Joh. Sass.
Scheppig, Richard, Professor, Überlehrer am Reform-Realgymnasium zu
Kiel, * 17. November 1845 zu Sondershausen, f 24. Dezember 1903 in Kiel.
— S. bezog 1864 die Universität Heidelberg, studierte zwei Semester lang
Jnra, dann jedodi Geschichte und Philologie in Leipzig, Berlin und Halle,
wo er 1869 zum D/. phiL promovierte und im August 1870 auch das Staats-
examen bestand. Nachdem er bis 187 1 als Lehrer an der Fellenbergschen
Krziehungsanstiilt in Hofwyl bei Bern tätig gewesen war, hielt er sich von
j8;2 — 1876 als Mitarbeiter an Herbert Spencers ^Descriptive Socioloi^y^ in
London au£. Ostern 1876 folgte er einem Ruf an die Kieler Realschule, seit
1888 war er zugleich Direktor des Museums fQr Völkerkunde in Kiel. Die
Schule hat mit dem Heimgegangenen einen ihrer treusten Diener, die Wissen-
schaft einen überaus tätigen Förderer verloren. S. war ein Charakter von
lauterster Reinheit, ein Mann von edler, vornehmer Denkweise und tiefer,
wahrer Herzen^freundlichkeit. Das Sonnige, Warme, das in seinem Wesen lag,
gntaltete den Verkehr mit ihm stets zu einem besonders beglückenden. Er
bleibt unvergessen.
Vgl. Alberti, Schriftsteller-Lexikon, 1866 — 1882, Bd. 2, S. 212. — »Kieler Zeitunyr«,
MoTg.-Ausg V. 35., Abd.-Ausg. v. 28., Morg.^Ausg. v. 30. Dezember 1903. — S.S »Vita* am
ScUuB aeiner Dissertation J)* JMdamU A^tmuiui rerttm gtmHkm Urrmrmm stript^f.
Halle 1869. — Jahresbericht d. Reformrealgymnasinnis, Kiel, Sdiiiljahr 1903/04, S. 18. —
Hnbeit Spencer, Am AuiMograpky» Vol. a. London 1904, S. a66f., 270, 349 f.
Joh. Sass.
Hflcliboeftr, Arfhur, ordentlicher Professor der Archäologie an der Uni-
vcisitftt Kid, * ai. Mftrz 1852 zu Schirwindt in Ostpreuflen, f 7. Dezember
1903 in Kiel. — M., der Sohn eines angesehenen Arztes, erhielt seine Vor-
Koir* Jabfbndi a. DmUdwr Nclooloir* S> Bd. 13
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I ^3 ' Milchhoefer.
bildung auf dem Gyinnai>iuin in Tilsit. Seine akademischen Studien begann
er In Berlin, wo er sich namentlich an Emst Curtius anschlofl, und setste
sie sp&ter in München fort, nachdem er inzwischen als freiwilliger Kranken-
pfleger am deutsch -französischen Kriege teilgenommen hatte. 1873 promo-
vierte er in München mit der von Curtius angeregten Dissertation Über den
Attischen Apollon«. Das Staatsexamen bestand er in Köiiigsl)crff und war
darauf vom Winter 1875/76 bis zum Herbst 1876 am Wiliielmsgymnasium in
Berlin tätig. Noch in demselben Jahre ging M. als Stipendiat des archäo-
logischen Instituts zu längerem Aufenthalt nach Griechenland. Damit begann
für ihn ein überaus reicher und glücklicher Lebensabschnitt. Sehr bald fühlte
er sich dort völlig heiinis(~li, der Zauber des attischen Bodens nahm ihn ganz
gefangen und hat ihn dann nie mehr losgelassen. Von außerordentlicher
Bedeutung war es für ihn, daß er gerade damals nach Griechenland kam,
als mit Schliemanns Ausgrabungen für die Wissenschaft des griechischen Alter-
tums und das Studium der alten Kunst eine neue grofle Zeit anbrach. Von
Schliemanns Persönlichkeit fühlte sich M. von Anfong an mächtig angezogen,
und die Bekanntschaft beider Männer gestaltete sich bald zu dauernder
Freundschaft. Welch ungeheures Erlebnis für den jugendli» hcn (u-lchrten,
an der Seite eines solchen Meisters bei jenen ersten ejjoc Ik iu.u ht iulcn Ent-
deckungen gegenwärtig und an einigen sogar selbst beteiligt zu sein. Speziellere
Forschungen widmete er besonders der Landschaft Attika, wo er mit seiner
scharfen Beobachtungsgabe auf mannigfachen Kreuz- und Querzügen viele
kostbare Schätze der Vergangenheit ans Licht gezogen hat. In Attika wurzeln
die Keime aller Arbeiten seines späteren Lebens, die namentlich drei Ge-
biete, die Topographie sowie die älteste Kunst und Religion behandeln.
Den Sommer 1877 verlebte M. in Neapel, den folgenden Winter in Rom,
der Frühling des nächsten Jahres aber sah ihn wieder in Athen. Nach
Deutschland zurückgekehrt, weilte er 1880 als Assistent von £. Curtius in
Berlin, wo er mit Schlieniann zusammen die trojanischen Altertümer ordnete.
1882 habilitierte er sich als Privatdozent in Göttingen, ging aber schon 18S5
als außerordentlicher Professor nach Münster. In demselben Jahre erschien
M.s erstes größeres Werk, > Die Anfänge der Kunst in Griechenland < , worin
er zum erstenmal auf Grund der neuen Funde in der sogenannten mykenischen
Kultur neben den Einflüssen des Ostens eine durchaus selbständige Kunst
auf hellenischem Boden nachweist. Als Mittelpunkt der mykenischen Kultur
bezeichnete er die In-^cl Kreta. Seine s< li;u fsinnige Hypothese, welche hier
"den rrsj)rung der ältesten ni\ kcnischcii Kunstin(histne suchte, ist durch die
späteren Au.sgrabungen auf Kreta vollauf bestätigt worden. 1886 87 unter-
nahm er eine zweite Reise nach Athen, die hauptsächlich der Topographie
von Attika galt. Ihre Ergebnisse sind in der Ȇbersicht der Schriftquellen
zur Topographie von Athen« nie<U i umlegt, die einen wichtigen Bestandteil
der 1891 veröffentlichten Stadtgesc hu lite von Athen < von E. Curtius bildet.
Seit 1.S05 wirkte M. als ordentlicher Professor in Kiel. Aus einer an schönen
Erfolgen reichen Lehrtätigkeit heraus ist er abberufen worden, ehe es ihm
vergönnt war, in einem letzten von ihm geplanten Werke, das tiefgreifende
religionsgeschichtliche Untersuchungen größten Stils umfassen sollte, seine
Lebensarbeit zum Abschluß zu bringen.
• AttBer den bereits im Text genannten veröffentlichte M. noch folgende selbständige
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Milcbhocfcr. äartori.
179
SchiiAm: Die Mnscen Athens. Afhen 1881. — Die Befitetunir des Promedietts, ein Fund
aui Pergamon. 42. Progranim zum Winckelmannsfeste der nrchäol. Gesellschaft zu Berlin.
Berlin 1882. • — Untersuchungen Uber die Demennrclnung des Klcisthenes. (Aus: Abhandl.
d. Berl. Akad. d. Wiss.) Berlin 1892. — Zusammen mit A. Furtwängler u. G. Külte:
AiclAoloi^scbe Studien, Hctnr. Bnmn rar Feier seines sojihr. Doktorjubillums daifebracht.
Berlin 1893. — Das archäologische Skulpturenmuseuni der Kieler l'nivcrsitrit. Kiel 1896.
— Rede zum Winokelmannt.ifjc am 0. Dezember iS()5 (Über die Ausgrabungen in Mykeii:l\
Kiel 1S96. — Rede zum Winckelmanntage 1898 (\'on der Akropolis Aitatlicns). Kiel 189S.
— Ober die alten Burgheiligttlnier in Athen. Progr. Kiel 1899. — Ober die Grftbeikinist
der Hellenen. Rede. Kiel 1899. — Die Tragödien des Äschylus auf der BOhne. Rede.
Kiel 1900. — Krhiutemder Text zu Curtios und Kaupert, Karten von Attika. Heft i — 5,
7—9. 1881 — 1900.
Vgl. S. Sudhaus, Gedlchtnisrede auf A. M. gesprochen bei der akademischen Timer-
fcier am 12. Dezember 1903 (Chronik der l iii\ersit;it Kiel f. d. Jahr 1903/1904, S. 54—63).
— >Archäol()gischer Anzeiger«. Beiblatt /um Jahrb. des Ar. hMi)log. Instituts, 1903, 4, S. 213.
— R. Kukiila, »Bibliograph. Jahrb. d. deutschen Hochschulen«, 2. Aufl. 1892, S. 621. —
»Kieler Zeitung«, Abd.-Ausg. v. 7., Morg.>Ausg. v. 8. u. 13. Desember 1903. — Ober
M.^ KezielllUlgen zu Scbliemann vgl. seine beiden Aufslitze »Heinrich Schliemann« und
»Krinnerungfen an Heinrich Schliemann« (»Deutsche Rundschau«, Bd. 28, 1881, S. 392—
416; Bd. 67, 1891, S. 278—289). Joh. Sass.
« ■
Sartori, August Anton Heinrieh, Geheimer Kommerzienrat, Schi&reeder
und Kaufmann, * 16. Juni 1837 in Lübeck, f 1$. Oktober 1903 in Kiel. —
S., dessen Vater dem Handwerkerstände angehörte, machte, nachdem er mit
15 Jahren die Schule verlassen hatte, zunächst in Lübeck eine dreijährige
Lehrzeit durch, war darauf bei einem Kieler Schiffsmakler tätig und begründete
am I. Januar 1858 in Kiel die Schiffsmakler- und Speditionsfirma Sartori
& Berger, die sich seit i86a auch der Reederei zuwandte. Unter der genialen
Leitung seines Begründers wuchs das Geschäft im Lauf der Jahre aus kleinen
Anfängen zu immer größerer Bedeutung heran und steht heute blühend und
hochangesehen da. S. aber ließ sich daran nicht genügen, sein starker
Gemeinsinn trieb ihn von jeher, sein Lehen in den Dienst der Öffentlichkeit
ZU stellen und für die Gesamtheit einzutreten. Vor allem lag ihm das Wohl
und Wehe der Stadt Kiel am Herzen. Die groflartige Entwicklung Kiels
während der letzten vierzig Jahre ist mit dem Namen S.s unauflöslich ver-
bunden, ja man kann sagen, sie verkörpert sich geradezu in diesem Manne.
Schon als junger Anfänger hatte er die Vorzüge der günstigen Lage des Ortes
erkannt, und fest überzeugt von der Zukunft Kiels, setzte er begeistert alles
daran, diese Zukunft lebendige Gegenwart werden zu lassen, und soviel in
seiner Macht stand, dazu beizutragen, die Stadt zu einem Zentralpunkt ersten
Ranges zu gestalten. In di^m Sinne war er in erster Linie unablässig be-
müht, das Verkehrswesen Kiels auszubauen und der Stadt neue Verbindungs-
wege zu Wasser und zu Lanfle zu erschließen. So ist z. B., um nur auf eins
hinzuweisen, die wichtige deutsi he Postdainpferlinie Kiel — Korsör S.s eigenstes
Werk. Auch als Mitglied des Stadtverordnetenkollegiums, dem er seit 1872
angehörte, sowie als Vorsitzender der Kieler Handelskammer und des Kieler
Nautischen Vereins hat er in glücklichster Weise an der Lösung der großen
wirtschaftlichen Aufgaben Kiels mitgearbeitet. Damit aber ist die Wirksamkeit
dieses außerordentlichen Mannes nicht im entferntesten erschöpft. Weit über
die Grenzen Kiels hinaus suchte er deutschen Handel und Wandel zu fördern.
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I
1 3o Sartori. Grassauer.
Als Vorsitzender des Deutschen Nautischen Vereins hat er der gesamten
deatscfaen Seeschiffahrt die hervorragendsten Dienste geleistet Auch {Qr die
Erweiterung der deutschen Wasserstraßen trat er stets aufs neue ein und
brachte den Arbeiten des Zcntralvereins für Hebung der deutschen Fluß- und
Kanalschiffahrt die lebhafteste Anteihiahme entgegen. Auf diesem Gebiete
hat er sich auch schriftstellerisch betätigt. (Vgl. »Kiel und der Nord-Ostsee-
KanaU, Berlin 1891; »Der Nord-Ostsee-Ranal und die deutschen Seehäfen^,
Berlin 1894; »Der Elbe-Kiel-Kanal«, Berlin 1898.)
Name wird immer mit Ehren genannt werden. Ein besonders dank-
bares Andenken aber wird die Stadt Kiel ihm bewahren, der sein Leben
lang ihre Interessen zu den seinigen gemacht hat. Wohl dem Cicmeinwesen,
dem ein Mann geschenkt wird, der an der Schwelle einer neuen Zeit, wie
sie in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts für Kiel heraufzog,
klaren Blicks das Richtige erkennt und mit zäher Energie die rechten lifittel
findet und durchsetzt, die Stadt einer neuen Blüte en^;egenzufuhren. Das
hat S. für Kiel getan. Darin ruht seine Bedeutung.
Vgl. P. Chr. Unn-cn. Aui^usi Sartori, ein Kiclfr Großkaufmann. Vortraj,', pehalten hid
13. November 1904 in Kiel. (Mit ßilduis.) Kiel, Druck des VerlaK^^ der »Nord-Ustsec-Zeitung«
1904. — »Kieler Zeitung«, Abd.-Ausg. v. 16., Morg.-Ausg. v. 20. Oktober 1903, Morg.-
Ausg. T. 1$. November 1904« — »Nord-Osttee*Zeitaiigc, Abd.'Ausg. v. 8. Detembcr 1903.
— »Daheim«, Jg. 40, Nr. 6 v. 7. November 1903 (Nekrolog mit Poitiit). — »Deutach-
Nautischer Aimanach«, Jg. 6, 1905, S. 6. Joh. Sass.
Grassauer, Ferdinand, Dr, phi/., k. k. Hofrat, (kopraph, l'niversitäts-
Bibliothekar und Vorstand der Wiener Universitäts-Bibliothek, * 26. Juni 1840
in Sallingstadt in Nieder-Osterreich, Gerichtsbeztik Zwettl, f 25. Oktober 1903
in Klostemeuburg. — Gr. hatte eine sehr harte Jugend durchzumachen. Im
Alter von 6 Jahren verlor er seinen Vater, der Schullehrer in Sallingstadt und
im Altef von 33 Jahren atn Typhus gestorben war. Da fhc Mutter, eine
energische und intelligente Frau, noch für drei Kinder zn sorgen hatte, kam er
zu seinem väterlichen Großvater, der Kurschmied im Stifte Zweltl war, und
besuchte nicht nur die dortige Volksschule, sondern wurde audi von ihm für
den geistlichen Stand bestimmt. i8$i — 53 machte er die zwei ersten Gym-
nasialklassen an dem Privatgymnasium des Stiftes, setzte dann die Gymnasial-
studien in Krt ins his zutn Abschluß fort, trat am 13. August 1859 als Novize
in das Stift ein und studierte als Kleriker dieses Klosters zwei Jahre Theologie
am geistlichen Institut in Heiligenkreuz. Immer mehr war er jedoch zur Über-
zeugung gelangt, dafi er such im geistlichen Stande niemals zufrieden fühlen
werde, weshalb er um seine Entlassung aus dem Stifte bat. Obwohl er
auch ferner in freundschaftlichen Beziehungen zum Stift blieb, war Gr. zeit-
lebens erfüllt von durchaus freisinnigen Anschauungen. Er begab sich hierauf
nach Wien, und da seine \ erliältnisse ihn nötigten, sich selbst zu erhalten,
trat er nach einer unentgeltlichen Praxis bei der Tabak- und Stempelbuch-
haltung in den Dienst der obersten Kechnungs- Kontrollbehörde (1862). Da
jedoch eine Anstellung daselbst durch ein Staats-Prüfungszeugnis über Staats-
Rechnungswissenschaft bedingt war, hörte er diese an der juridischen Fakultät
und legte die Prüfung darüber ab, worauf er als Akzessist definitiv angestellt
wurde (1863); 1864 rückte er zum Rechnungs-Offizial III. Klasse vor. Wegen
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Auflösung der Hof- und Staatsbuchhaltungen traf ihn unerwartet und ohne
Verschulden das I.oos der ( )uieszierung, doch blieb er als Kaikulant beim
Obersten Rechnungshof in Verwendung. Daneben hörte er 1863 — 66 mit Er-
laabnis seiner BdiOrde an der philosophischen Fakultit historische und
geographische KoU^ien; er tat dies mit solchem Eifer, dafl er Mitglied des
hi-storischen Seminars wurde. 1866 erwarb er den Doktorgrad, 1867 legte er
die Lehramtsprüfung ab und erlangte für Geschichte und Geographie für das
ganze Gymnasium (h'c I-chrbefähigung, die er als Probekandidat am akade-
mischen Gymnasium und als Supplent am ReaI-Obergymn;isium auf der Land-
strafie in Wien aasflbte; mehrere Jahre unterrichtete er auch an dem De-
merf^elschen Privat-Institut In dem 1873 ausgestellten Verwendungsxeugnis
rfihmt der Direktor des Landstrafler Gymnasiums Dr. Gemerth, Gr. »habe die
ihm übertragenen Aufgaben zur vollen Zufriedenheit gelöst und verdiene
wegen der (iewissenhaftigkeit, mit welcher er den Unterricht leitete, wegen
der sehr guten Erfolge, die er mit den Schülern erzielte, wegen der Sorgfalt,
die er auf die Aufrediteriialtang der Disziplin verwendet, wegen der sehr humaium
Behandlung der Schüler und der Urbanität im Verkehr mit den Angehörigen
der Schüler, und wegen seiner ruhigen, besonnenen und musterhaften Haltung
auf*; l)este em])f(ihlen zu werden«. Was hier dt-ni T, ehrer nachgerühmt wird,
gehört zum (Irundzug seines Wesens und bctätij^te er auch in seinem späteren
amtlichen Wirkungskreis, der seine Lebensstellung werden sollte.
Gr. war nämUch schon 1867 in den Bibliotheksdienst eingetreten. Um
eine seinen wissenschaftlichen Studien entsprechende Stelle zu erhalten und
sich dauernd aus der schwierigen Lage zu befreien, in die er durch die un-
verschuldete Quieszierung geraten war, hatte er sich um eine Amanuensisstelle
an der Wiener Universitäts-Bibliothek beworben, die er auch erhielt. Rasch
durchlief er die weiteren Stufen im Hibliotheksdienste ; 1868 wurde er bereits II.,
1870 I. Skriptur, 1875 Kustos an derselben Bibliothek. Es kamen ihm aufier
seinen literarischen, sprachlich«i und fachwissenschaftlichen Kenntnissen als
ehemaligem Buchhaltungsbeamten auch seine Vertrautheit im Rechenfache
und im Verwaltungsdienste sehr zustatten; sie prädestinierten ihn auch für
die leitende Stelle, die ihm in einem für die Bibliothek und ihren Leiter
schwierigen und bedeutungsvollen Zeitabschnitt zuhel. Als nämlich der Neu-
bau der Wiener Universität geplant wurde und beschlossen ward, auch die
Universitftt&-Bibliothek in dem neuen, von Heinridi von Ferstel zu erbauenden
Palast unterzubringen, sprach sich der damalige Bibliothekar Dr. Friedrich
Leithe nicht nur dagegen aus — er trat dafür ein, daß die Bibliothek in
ihrem bisherigen Standort als allgemeine Öffentliche Bibliothek verbleibe und
in der neuen Universität eine für die Studierenden und die Professoren be-
stimmte Haus- und Fachbibliothek eingerichtet werde — sondern er ging in
seiner ablehnenden Haltung so weit, dafi er schliefilich jede Mitwirkung ver-
sagte und erklftrte, in die neue Bibliothek keinen Fufi setzen zu wollen. Gr.
wurde als Vertreter der Bibliothek in die Kommission gewcählt, die den Plan
für die Übersiedlung und Einrichtung entwerfen sollte, und, (ibwohl auch er
mit Einzelheiten des Plans, so namentlich was die Anlage eines groüi n Lese-
saales betrifft, mit Ferstel nicht übereinstimmte — Gr. trat in einer mit Sach-
kenntnis geführten Diskussion für die Schaffung mehrerer kleinerer Lesesäle
ein — , suchte er doch, soweit ihm dies möglich war, die Interessen der
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I82
Gnssauer.
Bibliodiek zu wahren. Als dann (1884) die Übersiedlung der Bibliothek be-
vorstand, trat Leithe einen längeren l^rhiul) an utul Cr. wurde ]>rfn isorise h
mit der T/eitung betraut. Als erste und schwierigste Aufgabe oMa'^ iliin nun
die Übersiedlung der Bil)liothek, eine Aufgabe, bei der praktischer Blick,
besonnene Routine und organisatorisches Talent am meisten etfofderlich sind.
Nach einem von Gr. entworfenen Plan wurde der ganze damalige Bestand der
Bibliothek von über 300000 Bänden, zahlreichen Doublctun, ungebundenen
Broschüren, Zeitungen, Kunstblättern in 12 Arbeitstagen im September 1884
aus der alten in die neue Bibliothek übertragen und hier in den neuen Re-
positorien so untergebracht, dali die Benutzung der Bibliothek sofort möglich
gewesen wäre, wenn die baulichen Arbeiten und die inneren Einrichtungen
nicht die Eröffnung der Bibliothek um einige Wochen hinausgeschoben hätten
— eine glänzende Leistung, die Gr. die wohlverdiente Anerkennung in Biblio-
thekskreisen des In- und Auslandes eintrug. Es sei noch erwähnt, daß ein
erheblicher Teil der präliminicrten Kosten erspart werden konnte, da die
Übersietllung in 12 statt in 24 Tagen bewerkstelligt wurile.
Mit der Übersiedlung der Bibliothek begann aber auch eine neue Ära
für die Wiener Universitäts^Bibliothek, die für alle Zeiten mit dem Namen
Gr.s verknüpft ist. Obwohl er auch femer nur als erster Kustos mit der
Leitung der Bibliothek betraut blieb, mußte sofort den geänderten Verhält-
nissen entsprechend eine gänzliche Umgestaltung, sowohl was die I-ührung
der Bibliotheksagenden, als was die Aufstellung der Werke in der Bibliothek
betrifft, eintreten. Die neuen Räume boten nämlich, wenn die in der altcu
Bibliodiek durchgeführte Aufteilung nach Literatuifächem — innerhalb der
Fächer geschieden und besonders numeriert nach den Formaten — bei-
behalten werden sollte, so wenig Stellraum, daß sich sofort Platzmangel fühlbar
gemacht hätte. Dieser äuÜere Grund war vornehmlich der zwingende für
flie Änderung der Autstellung, so da(5 fortan alle Werke ohne Rücksicht auf
den Inhalt fortlaufend numeriert werden (numerus currens) und nur das
durch die Höhe der Bände bestimmte Format bei der Au&tellung berück-
sichtigt wird. Für diese aus Raumrücksichten unerläfliiche fortlaufende Nume-
rierung machte Gr. auch eine Reihe innerer Gründe geltend. Auf das Für
und Wider dic-er Aufstellungsart, für die übrigens bereits auf das Beisjjiel
anderer Bibliotheken hingewiesen werden konnte, kann hier nicht eingegangen
werden; es sei nur erwähnt, daß sie nach dem Vorgang der Wiener Universitäts-
Bibliothek seither in vielen anderen, so auch an der Hofbibliothek, Eingang
gefunden hat. Vorerst wurde nur die Aufetellung nach dem numerus currens
für den neuen Zuwachs genehmigt, dann aber als Konsequenz davon auch
die {^bernahinc des übersiedelten Bestandes in die neue Auf~-tc!hmg. Aus
inneren Gründen niulitc jedoch die ganze frühere Katalogisierun*,'^ emer gründ-
lichen Revision unterzogen werden, so dali als Voraussetzung für die längst
notwendig gewordene Neuanlage des alphabetischen Haupt- Kataloges, der
ganze Bestand, der dadurch auch eine große Bereicherung erfuhr, eigentlich
neu katalogisiert wurde. Für die Beschreibung wurde unter Gr.s Leitung eine
eingehende Instruktion ausgearbeitet, ferner für clcn nach X'ollendung des
alphabetischen Kataloges in Angriff zu nehmeiulen ^y^tenlatischen Katalog
ein Schema ausgearbeitet. Schon als Leiter der Bibliothek hat Gr. den inneren
Geschäftsgang umgestaltet, und eine Reihe von Einrichtungen getroffen, die
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Grassaner.
183
da,s Institut auf t-int- Imlu re wissenschaftliche Stufe zu heben und i-Ith' bessere
Schulung des Beaintenkorpers anzubahnen geeignet waren. Daiiin gehören die
Referatseinteilung, dafl nach Tunlichkeit die einzelnen Wissenschaftsgruppen
von Fachmännern geleitet werden, die in den ihnen anvertrauten Fächern
alle Agenden selbst zu führen haben, und die Einführung von regelmäßigen
Bihliothekssitzungen, an denen alle Beamte teilnehmen; es werden die behörd-
lichen Verfügungen mitgeteilt, allgemeine und besondere Fragen besprochen
und die Literaturreferate vorgetragen.
August 1885 wurde Gr. zum Universitäts-Bibliothekar und Vorstand der
Bibliothek befördert, nachdem Leithe zum Bibliothekar der Wiener technischen
Hochschule ernannt worden war. Während der 18 Jahre seiner Vorstand-
schaft war Gr. bestrebt die Wiener Universitäts-Bibliothek weiter auszugestalten.
Die erwähnte Xeukatalogisienmg wurde zu Ende geführt und der neue alpha-
hctix hc Handkatalog in Angriff genommen, die liibliotheksdotation wurde
unter ihm allmälilich von 15000 auf 30000 (iulden erhöht, wozu gelegentliche
außerordentliche Kredite für einzelne Zweige kamen; die Zahl der systemi-
sierten Beamtenstellen von 10 auf 19 gebracht, wozu noch eine grOftere Anzahl
adjutierter und nirhtadjutierter Praktikanten trat; au< h die Zahl der Diener
erfuhr eine erhebliche Vermehrung. Den gesteigerten Anforderungen würfle
durch N'eruK^hrung der Leseiäumc und der Bureaus, ferner tlcr 1 .escstuntlen
Rechnung getragen; der neue Katalog und tlie Ausgestaltung des biblio-
graphischen Apparates bedingte femer die Erweiterung des Katalogzimmers,
deren Fertigstellung allerdings erst in die Zeit nach seinem Ausscheiden fällt
Durch liberale Handhabung der Auslciheordnung wurde die Tk nutzung, soweit
CS innerhalb der bestchenfien Vorschriften möglich war, erleichtert, der Ou-
blcttenverkehr der österreichischen Bibliotheken unter Mitwirkung Gr.s geregelt,
endlich unter seiner Leitung der »(ieneralkatalog der laufenden periodischen
Druckschriften« (Wien 1898) herausgegeben, in dem die Periodica und ihre
Bestände in den einzelnen Universitäts-, Studien- und technischen Bibliotheken
Österreichs (in einem Anhang die nur in' der Hofbibliothek vorhandenen)
verzeichnet werden. Damit wurde die Benutzung dieses wichtigen Literatur-
zweiges bedeutend erleichtert.
Für die Beurteilung der Tätigkeit Gr.s als Universitätsbibliothekar und
ihrer Erfolge muss man sich die Schwierigkeiten vor Augen halten, die er
zu überwinden hatte. Weniger als in anderen Staaten war für das Bibliotheks^
Wesen in Österreich geschdhen: es fdilte dafür das richtige Verständnis und
vielfach fehlt es ja heute noch, so sehr auch die Verhältnisse sich gebessert
haben inögen. Bei der Bedeutung, die der Wiener l'niversitäts-Bibliothek als
größter staatlicher Bibliothek Österreichs zukommt, mußte ihre Entwicklung
naturgemäß von großem Einfluß auf das gesamte Bibliothekswesen sein. Tat>
sächlich bat die Wiener Universitäts-Bibliothek unter Gr. und durch ihn einen
großen Aufschwung genommen, der sie, soweit sie auch noch immer an
Mitteln hinter den großen weltberühmten Bibliotheken des Auslandes zurück-
t>leibt, was ihre Verwaltung und Benutzung betrifft, in die vorderste Reihe
nickte; noch größer war freilich dieser Fortschritt in relativer Hinsicht, wenn
man nauilich die Rückständigkeit früherer Zeiten ins Auge faßt. Es ist das
am so höher anzuschlagen, als Gr. die Kenntnis der Einrichtungen fremder
fiibJiodieken aus eigener Anschauung fehlte; erst 1890 machte er im Auftrage
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Gnssaver.
des l^nterrit htsniinisteriuins eine Studienreise nach Deutschland, Frankieich,
England und Holland, über die er dann einen ausführlichen Bericht erstattete.
Die Durchsetsung der von Gr. angestrebten Ausgestaltungen war jedoch, ins-
besondere soweit die Erhöhung des sachlichen und persönlidim Aufwands
durch sie bedingt war, mit solchen Schwierigkeiten verbunden, die audi eine
energischere Natur, als (ir. war, hätte erhihincn lassen. Sein Interesse für
das Aufblühen des Bibliothekswesens in Österreic h bekundete er auch durcli
den Eifer, mit dem er die Gründung und die Tätigkeit des »Österreichischen
Vereins für Bibliotiiekswoen« förderte, der vom Unterzeichneten angeregt
und vorbereitet worden war. In der konstituierenden Versammlung dieses
Vereins hielt er einen weitausblickenden Vortrag über »Ziele und Aufgaben
des modernen Bibliothekswesens' . In diestMn Zusammenhange sei noch er«
wähnt, daii (Jr. bereits 1883 ein sehr brauchbares Hanflbu( h für österreichische
Universitäts- und Studien-Bibliotheken« (Wien, Graeser) veröffentlicht hat, das
eine gute Anleitung für die Verwaltung kleinerer und grolter Biblfotheken
und im Anhang eine Zusammenstellung aller einschlftgigen behördlichen Ver-
fugungen, Erlasse und Verordnungen enthält. Die Tätigkeit Gr.s fand darin
ihre Anerkennung, daß er 1893 den Titel eines Regierungsrates, gelegentlich
seiner Pensionierung (1903) den eines Hofrates erhielt; der österreichische
Verein für Bibliothekswesen ernannte ihn, der seit der Grüdung dessen erster
Obmann-Stelivertreter war, zu seinem Ehrenmitgliede.
Auch auf seinem engeren Fachgebiet, der Geographie und namentlich
der österreichischen Landeskunde, war Gr. erfolgreich literarisch tätig. Seine
»Landeskunde von Osterreich -Ungarn« (1875), die beiden in »Hölders Geo-
graphischer Jugend- und Volksbibliothek« 1879 erschienenen Bändchen: »Die
Alpen« und »Die Donau < sowie der im selben Jahr in der Sammlung »Die
Länder Osterreich -Ungarns in Wort und Bild« erschienene Band »Das Erz-
herzogtum Osterreich ob der Enns« erfreuten sich beifälliger Aufnahme; über
die geographische und kartographische Literatur erschienen zahlreiche Rezen-
sionen aus seiner Feder in der »Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien».
Seit Ende 1881 war er auch Mitarbeiter der Allgemeinen Enzyklopädie«,
hg. V. Ersch u. Gruber; 1887 wurde er von Kron|)rinz Rudolf in das Redaktions-
komitee des Werkes «Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und
Bild« als Referent für landschaftliche und topographische Schilderungen be-
rufen. Mit emsigem Fleifl sammelte er das Material für ein groft angelegtes
»Repertorium der geographisch -statistischen Literatur Österreich -Ungarns«,
das sein Lebenswerk werden s<illto, das herauszugeben ihm jedoch nicht
beschieden war. Auf dem Wiener internationalen (ieogra|)heii-Konureü k'<rtc
er eine Druckprobe vor; der Beifall, den sie von fachmännischer Seile fand,
veranlaflte wohl die Wiener geographische Gesellschaft sich dafür su inter-
essieren, doch blieb die notwendige materielle Unterstützung aus.
Gr. war von mittelgroßer Statur und erfreute sich stets ungestörter Ge-
sundheit. In früheren Jnhren c^blag er gern dem Jagdvergnügen als Gast der
Stifte Zwettl unii Klosterneuburg; später mußte er wegen zunehmender Kurz-
sichtigkeit ihm entsagen. Seit dem Jalire 1886 besati er ein Haus samt Garten
in Klostemeuburg; Gartenarbeiten und Baumkulturen boten ihm l^olung
von literarischen und amdichen Arbeiten. In den letzten Jahren war eine
merkliche Müdigkeit eingetreten ; anfangs 1903 trat mit Heftigkeit ein Übel
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GnuMwr. Zelter. Bcnf^-Sehnppe).
185
auf, das wohl schon längere Zeit ihm unbewußt das Zerstörunpswcrk vollzogen
hatte; Diabetes im Verein mit einer Nierenent/.ündung warfen ihn aufs Kranken-
iager und nach vorübergehender kurzer Erholung starb er, wenige Monate
nach «einer Pensionierung. An seiner Bahre trauerten seine Witwe (Lina
geb. Weinberger, Tochter des Landgerichtsrates W. in Salzburg), mit der er
in glücklicher Ehe seit 1876 lebte, und zwei Töchter. Am 27. Oktober wurde
er unter großer Teihiahme auf dem Friedhofe zu Klosterneuburg bestattet.
Literatur: FUr den vorstehenden Nekrolog konnten urkundliches Material, femer
MitteQtuigen der Witwe Gr.s und det mit Gr. befie ui i de tien Aichivais des Stiftes Zwettl,
Dr. Benedikt Hammerl, wofür auch hier Dank gesagt wird, benutzt werden. Vergl. außerdem;
Ha.-is »Die Übersiedlung der k. k. Universität^-Bibliothck in Wien« (Zentralbl. f. Bibliotheks-
wesen II 312 ff); Frankfurter »Die k. k. I'nivcrsitats-Bibliothek in Wien« (Das Archiv II 341fr.,
»Das Bibliothduwesen« (Kaiser Frenz Joseph I. und seine Zeit I 124 (T), »Emeaerang^ des
alphabetisdien Bandkataloges der Wiener Universitätsbibliothek« (Zentralbl. f. Bibliotheksw.
XIX 175 fr»: Mover »Die alte und die neue Wiener rniversitiits-Bihliothek« (Mitt. d. «isterr.
\'cr. f. Bibliotbekäwesen IV 56 ff); B(ohatta) »Dr. FerdinandGrassauer f« (ebenda \ 11 193, vgl.
«ach ebenda VI 155). Dr. S. Frankfurter.
Zeller, Eduard Maximilian, Jurist und Dichter, * 28. März 1822 in Stutt-
gart, f daselbst 7. Septbr. 1903. — Er war der Sohn eines Ober-Medizinal-
rats, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und studierte tlann in Tübingen
und Zürich die Rechtswissenschaft. Nachdem er von 1843 ab zwei Jahre
hindwch im wOrttembergischen Staatsdienst besdiäftigt gewesen, lieO er sich
1S45 in Calw als Advokat nieder, wurde 1849 au&tSndische Bewegung
Württembergs zur Herstellung der deutschen Einheit verwickelt und begab
sich als politischer Flüchtling in die Schweiz und 1850 nach den Vereinigten
Staaten von Nordamerika, wo er erst in New-Vork und zuletzt in Michigan
als Lehrer seinen Unterhalt fand. 1863 kehrte er nach erfolgter Begnadigung
nach Europa zurück und ließ sich in Stuttgart als Rechtsanwalt nieder.
Neben seiner Praxis beteiligte er sich vielfach am öffentlichen Leben; er
wurde zum Obmann des Bürgerausschusses, in den Gemeinderat und in die
evangelische Landessynode gewählt. 1880 gab er seine Praxis und öffentliche
Tätigkeit auf und widmete sich hinfort literarischen Studien und seiner
poetischen Neigung. Kr veröffentlichte »Geistliche Lieder« (1882), »Geistliche
Lieder zu den Evangelien, x. Kirchenjahr« (1S91) und »Vier Märchen in
Versen« (1900).
Penüdiclie MtudSangea. Franz BrQmmer.
Benfey (-Schuppe), Anna, Musiklehrerin und Schriftstellerin, * zu Lan-
deck in Schlesien, f am 27. Mai 1903 in Weimar. — Ihr (rcburtsjahr ist nicht
bekannt geworden. Sie war die Tochter eines höheren Justizbeamten, der
später nach Brieg, Grofiglogau, Breslau und zuletzt als Obertribunalsrat nach
Berlin versetzt wurde. Schon in früher Jugend offenbarte sich bei der Tochter
ein poetisches Talent, das indessen bald durch eine grofie Leidens( haft für
die Musik zurückgedrängt wurde. Als zwanzigjähriges Mädchen erhielt sie
in Glogau durch Ludwig Meinardus Unterricht in der musikalischen Kom-
position, worauf sie als Musiklehrerin in dem Ursulinerinnenstift daselbst
angestellt wurde. In Breslau setzte sie ihre Studien unter dem Kirchen-
komponisten Moritz Brosig fort, und in Berlin verdankte sie dem Komponisten
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Beiifey(-Sdiüppe). Berdraw. von Bleidenbach.
Geort; \ icrling und dem Konzertmeister Hubert Rieß iniinche Förderung in
der Komposition. Sie widmete sich nun ganz der Musik, erteilte Musik-
unterricht und komponierte Chor- und Orchesterwerke, von denen besonders
die Musik za Shakespeares Romeo und Julia bekannt geworden ist und am
Hohfaeater in Gotha und am Stadttheater in Breslau zur Aufführung gelangte.
Nachdem Anna Schuppe längere Zeit in Ungarn, Wien und Dresden als
Musiklehrerin gewirkt, verheiratete sie sich, schon in älteren Jahren, 1870 mit
dem Schriftsteller Rudolf Benfey, einem begeisterten Fröi>elianer. Sie hatte
mit ihm lange über gemeinschaftliche geistige Interessen korrespondiert, und
als der Gelehrte sterbenskrank bei den Barmherzigen Schwestern in München
lag, wünschte er sie noch einmal zu sehen. Als er genesen, schlofl er, der
Jude, mit ihr, der Katholikin, den Bund /nr ulin kli< hsten Ehe. Das Paar
lebte dann in der Folge in Weimar, Hra/. Wien, DrcMlen und Jena, wo iSoi
der (latte starb. Die Witwe verlegte danach ihren Wohnsitz, erst nach
Görlitz und 1H92 nach Weimar, und hier ist sie im Krankenhau.^e gestorben.
Erst nach ihrer Veifaeiratung, und nachdem sich eine zunehmende Schwer»
hörigkeit bei ihr eingestellt hatte, so daß sie ihre musikalische Tätigkeit
aufgeben muflte, begann sie sich* als Schriftstellerin zu betätigen fn den
ersten Jahren schrieb sie ausschließlich Märchen und Frzählungen für Kinder,
dann l'>zählungen für junge- Mädchen und schlielJlich auch i:ri)ßere Arbeiten,
von denen besonders die Novelle Fridolin, ein Jünger (iutenberga (1895)
und der Roman »Glühendes Eisen« (1900) hervorzuheben sind.
Adolf Hinrichsen: »Das litenrisclie Deutschland«, 1891, S. 97. — »Dicbteistiaunen
der Gegenwart«, Jahrg. 1903, Heft ii. Franz Brümmer.
Herdrow, Otto, Schriftsteller und Dichter, * 26. Mai 1862 in Stralsund
(Ponunern), f daselb.st 6. Februar 1903. — Er war der Sohn eines Lehrers
und bereitete sich gleichfalls auf den Beruf eines solchen vor. Nachdem er
das Gjrmnasium seiner Vaterstadt und das Lehrerseminar in Franzburg be-
.sucht hatte, wirkte er seit 1882 als Lehrer in W n,m n bei Greifswald und in
Richtenberg tmd seit 1886 in Giebichenstein l)ei Halle a. Saale. Hier be-
nutzte er HeilJig die (Jeletrcnheit, Vorlesungen an der Universität zu h("»ren,
und es war besonders Rudolf Haym, der einen bestimmenden LinHuÜ auf
sein literarisches Schaffen gewann. 1888 kehrte er in seine Vaterstadt zurück,
wo er zuletzt an einer Knaben-Mittelschule als Lehrer tädg war. Als Schrift»
steller pflegte er zunächst tlas Gebiet der Literaturgeschichte und der Bio-
graphic, wie seine '>Fraucnl)iIder aus der deutschen Literaturgeschichte« (1895,
2. Aufl. iqoo), Friedrich Perthes, ein deutscher Buchhändler (1897), Rahel
Varnhagen, ein Lebensl. und Zeitbild« (1900, 2. Aufl. 1902) und »Pastor
Hammer, ein Zeitbild« (Roman, unter dem Pseudonym Leopold Guthart, 1896)
bezeugen. Seine Gedichte »Srill und bewegt« (1903) berechtigten zu Hoff<^
nungen ; da erlag der Dichter im besten Mannesalter einer tückischen Lungen-
entzündung.
Persönliche MittcüuBgeo. — »Preußische Lehrerzeitung« vom 14. I cbruar 1903.
Breidenbach, Emilie von, Schriftstellerin, * 7. Januar 1838 in Konstanz,
t 16. April 1903 daselbst. — B. war die Tochter eines Freiherm von Eisen-
Franz Brümmer.
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▼on Breidenbach.
187
decker und seiner zweiten Gemahlin, einer Livländerin, und kam, da ihre
Matter bei der Gcl)urt starb, srlion im ersten Lebensjahre nach Genf in l'tlcfie,
wo sie bis zum dritten jähre verblieb. Ins Vaterhau> zurückgekehrt, erhielt
sie eine sorgfältige Erziehung, die später, in Er/iehungsinstituten zu Genf
and Dresden, ihren Abschluß erhielt. Ihre Ausbildung, besonders in Sprachen,
Musik und Zeichnen, war eine vonsttgliche. Dazwischen fielen alljährlich
grSfiere Reisen durch die Schweiz, nach Italien, Frankreich und England.
Später kamen traurige Zeiten für die Schriftstellerin. Ihre Schwester, der sie
besonders zugetan war. >tarb nach kurzer Ehe; der \'ater, t)l)Wohl sell»st
kränklich, schloÜ zum viertenmal eine Ehe und gab seiner Tochter eine
Stiefmutter, die jener das Leben im Elternhause zur Qual machte, weshalb
sich Emilie entschlofi, ihrem verwitweten Schwager, dem hessischen Gesandten
Freiherm von Breidenbach .in Stuttgart, die Hand zum Ehebunde zu reichen,
um so dem Sohne ihrer verstorbenen Schwester die Mutter zu ersetzen (1S63).
Aber auch in den neuen Wrhältnissen blieb ihr der Kummer nicht erspart,
und 1882 traf sie der schwerste Sihlag: sie verlor den Gatten durch den
Tod. Die Nervenerschütterung, welche dieser Verlust zur Folge hatte, machte
einen Aufenthalt in Meran nötig, und hier, unter dem segensvollen Einflufl
der sie umgebenden Natur, versuchte sie, in geistiger Arbeit ihrem Leben
einen neuen Anhalt zu geben. Die Frucht der ersten Äußerung ihrer Gefühls-
Ntimmung waren flie »Natur- un(l l,el)ensbilder« (1885), deren Drucklegung
kein Geringerer als Karl Gerok veranlalite. Nach der Rückkehr aus Meran
siedelte sie sich versuchsweise auf dem SchloU Louisenherg bei Mannenbach
am Untersee im Kanton Thurgau an, das sie einige Jahre später käuflich
erwarb. Hier fand sie ihren inneren Frieden und die freudigste Schaffenslust.
Werke des Wohltätigkeit und schriftstellerische Tätigkeit füllten fortan ihr
Leben aus. Die freundsc haftlic hen Beziehungen zu den b.i<li>clien, württeiii-
bergischen und hohenzctlk-rnschen Höfen gewährten ihr manche angenehme
Abwechselung, und während des Sommers bot ihr Schloli gastlich mancher inter-
essanten Persönlichkeit lieben Aufenthalt Während des Winters unternahm sie
monatelange Reisen, besonders nadi &igland, meist philanthropischen Werken
gewidmet; das Wirken des ihr befreundeten Barnardo, des Retters unglücklicher
Kinder, schildert sie in ihrer Erzählung Sibyllas Traum und anderes ( iSS;).
•Mit der ihr gleichfalls ]»etrcun(leten MitJ Fanny Gumbleton, gründete --ic 1S85
in Torquay ein Heim für arme heimatlose, der Sehwindsucht verfallene
Mädchen, das sie auch in der Feme behütete und unterstützte. Das Ent-
stehen, dieses Lid>eswerkes schilderte sie in der Schrift »Drei Monate in
England, ein philanthropischer Rundgang (1890). Andere Schriften von ihr
Mnd noch Das Bärgli Hus Vreneli (1S86), eine Krzählimg, in der die
Sitten des Schweizervolkes trefflich gezeichnet sind, der Roman Schatten
und Licht« (i888), »Drei Novellen« ^^18^9), die Episoden aus dem Leben
der Dichterin schildern, die Erzählungen »Bunte Ranken« (1895) und die
Reiseskizsen »Erinnerungen aus alter und neuer Zeit« (1898). Seit dem
Jahre 1899 lebte Frau v. Br. in Konstanz und dort ist sie auch, viel zu früh
für die Armen und Notleiclenden, gestorben.
Persönliche Mittcilunj^en. — Sophie Patacky: »Lexikon deutscher Krauen der Feder«,
1898, Bd. I, S. 103. ~ Lina Morgenstern: »Die Frauen des 19. Jahrhunderts«, 1891.
Bd. 3, S. 303. Franz Brttmmer.
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Ton Lariich« von Troäw.
Larisch, Karl von, (ieiieral der Kavallerie, * 2. August 1824 zu Kümm-
ritz, Kreis Luckau, f 3. Oktober 1903 zu Haus Boeckey bei Gläsersdorf, Kreis
Lüben in Schlesien. — L. trat am i. November 1841 als Avantageur in das
6. Kflrassierregiment ein. 1843 Sekondeleutnant, bekleidete er 1847 — 1850
die Stellang als Regimentsadjutant, su welchem Zeitpunkte er in das 5. Kü
rassierrepimcnt versetzt wurde. Am i. Juli 1859 wurde L. als Eskadronschef
in das ncugcbildctc poscnsche Ulanenregiment Nr. 10 versetzt. Hei diesem
Truppenteil machte er die Besetzung der russischen Grenze in den Jahren
1863 und 1864 mit, 1866 wurde er zum Major befördert. Bei der bald dar-
auf eintretenden Mobilmachung kam L. als Generalstabsoffizier zu der kom-
binierten Landwehr- Kavallerie-Division des L Reserve-Armeekorps, machte
hier den Feldzug gegen r)sterreich mit und trat nach dem Frieden als ctats-
mäßiger Stabsoffizier zum Dragonerregiment Nr. 15 über. 1869 erhielt er
seine Ernennung zum Kommandeur des magdeburgischen Kürassierregnncntb
Nr. 7 und rückte am a6. Juli 1870 zum Oberstleutnant aul Leider war es
L. im Feldzuge von 1870/71 gegen Frankreich nicht vergönnt, mit seinem
Regiment die berühmte Attacke bei Vionville zu reiten, da er infolge eines
am 1. August erlittenen Armbrurhes erst am 6. Sejitember zu seinem Truppen-
teil zurückkeluen konnte. Im weiteren \'erlauf des Krieges nahm L. mit
seinem Truppenteil an der Belagerung von Paris, an den Gefechten bei
Mantes, Evreux, der Schlacht von Le Mans und dem Gefecht bei Bemay teil,
stieg am 18. Januar 1872 zum Oberst auf und erhielt am 15. Juni 1875 die
5. Kavalleriebrigade. 1876 zum Generalmajor befördert, trat L. am 11. No-
vember als Kommandeur an die Spitze der 6. Division und am 15. Januar
1887 in den Ruhestand. 1890 erhielt er den Charakter als General der
Kavallerie.
Nftch den Akten. Lorenzen.
Trotha, Ernst von, Generalleutnant, * 24. Juni 1819 zu Neubeesen im Saal-
kreise, f 29. Januar 1903 zu Skopau bei Merseburg. — Als Avantageur im
Januar 1837 in das Gartie -Jägerbataillon eingetreten, erhielt T. 1838 das
Patent als Sekondcleutnant, wurde auf seinen Wunsch 1841 zum 10. Husaren-
regiment versetzt, rückte 1843 zum Premierleutnant auf und war von Oktober
1854 bis März 1859 als EskadronsfQhrer zum 10. Landwehr-Husarenregiment
kommandiert, während welcher Zeit er zum Rittmeister avancierte. Unterm
12. März 1859 dem Husarenregiment Nr. 8 als Eskadronschef überwiesen, trat
er, nachdem er den Sommer hindurch eine Schwadron des mobilen 8. Land-
wehr-Husarenregiments geführt hatte, als Eskadronschef zu dem neuerrichteten
rheinischen Dragonerregiment Nr. 5 über. 1863 wurde T. in das schlesische
Ulanenregiment Nr. s, 1864 unter gleichzeitiger Beförderung zum Major in
das brandenburgische Dragonerregiment Nr. a, 1866 als etatsmäfiiger Stabs-
offizier in das 2. brandenburgische Ulanenregiment Nr. 1 1 versetzt, in welcher
Stellung er den Feldzug von 1866 gegen Österreich niilinarhte, und in diesem
an dem Gefecht bei Sichrow, sowie an der Attacke gegen österreichische
Kürassiere in der Schlacht bei Königgrätz teilnahm. Nach dem Feldzuge
trat T. 1867 als Kommandeur an die Spitze des oldenburgischen Dragoner-
regiments Nr. 19, das er bereits seit Monaten geführt hatte; wurde 1868
Oberstleutnant und bei Ausbruch des Krieges gegen Frankreich 2870 zum
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von Trotha, von Gemuiingen. (Jeibel.
189
Oberst ernannt. Im Feldzuge nahm er mit seinen Dragonern an der Schlacht
bei Spicheren and Vionville, an der Belagerung von Paris, sowie an den Ge-
fechten bei Ch^risy und Bu teil. Ganz besonders zeichnete T. sich mit
>cinem Regiment in der Schlacht von \'i(in\ille ans, wo er in dem Reiter-
kampfe bei Ville sur Yron 9 Oftiziere, 104 l iuerofliziere und Mannschaften,
sowie 99 Pferde verlor. Das Regiment verblieb unter seinem Kommando, als
znr OUcupationsaimee gehörend, bis cum Juli 1873 in Frankreich. Nach der
Rückkehr in die heimische Garnison erhielt T. das Kommando der 9. Ka-
valleriebrigade, avancierte 1874 zum Generalmajor und trat 1875 zu den
Offizieren von der Armee über. Am i. November 1875 erhielt er den er-
betenen Abschied, 1S95 den Charakter als Generalleutnant.
Nach den Akten. Lorenzen.
Gemmingen, WUhelm Frlur. von and tu, General der Kavallerie,
* 17. April 1827 zu Gemmingen im Kreise Heidelberg, f 18. Oktober 1903 zu
Karlsruhe in Baden. — G. trat 1842 als Kanonier in die badische Artillerie
ein, avancierte 1845 Portepeefähnrich, 1846 zum T-cutnant. rS^o erhielt
er das Kommando, das von den Insurgctiten wcfrL'cschlepptc Kriegsmaterial
an der schweizerischen Grenze zu sammeln und zu ordnen, war 1852 dienst-
lich nach Darmstadt, Kobnrg, Weimar und Dresden entsendet, rückte 1852
zun Oberleutnant auf, wurde 1853 Brigadeadjutant und 1859 zum Haupt-
mann und Batteriechef befördert, aucl\ 1860 zum Vorstand des 3. Remon-
tierungsbezirks ernannt. Im Winter 1S63 zu 1S64 war er in dieser Stellung
dienstlich in Ungarn beim Ankauf von Retnonten tätig. 1S67 wurde (1. unter
gleichzeitiger Ernennung zum .Major und Ordonnanzoffizier des Großherzogs
in das damalige 3. Dragonerregiment »Prinz Carl« versetzt, fungierte in den
Jahren 1867 und 1868 abermals als Vorstand der Remonteankaufskommission
im Auslände und trat 1868 in den Generalstab über. 1869 erhielt er das
Komman(lf> des 3. Dragonerregiments »Prinz Carl«, das er 1870 gegen Frank-
reich ins l'eld führte, wobei er, mittlerweile zum Oberstleutnant aufgestiegen,
die Belagerung von Straüburg, die Gefechte bei Bruy6res und Dijon, sowie
die Schlacht an der Lisaine mitmachte. Nach dem Kriege wurde G. als
Oberstleutnant und Kommandeur des 3. badischen Dragoneiregiments »Prinz
Carl« Nr. 22, bis dahin 3. Dragonerregiment »Prinz Carl« in den Verband der
preufiischcT^ Armee aufgenommen und rückte 1873 zum Oberst auf. 1876
warde er mit der Führung der 21. Kavalleriebrigade beauftragt, an deren
Spitze er im folgenden November endgültig trat. 1878 zum Generalmajor
befördert, erhielt 6. 1883 unter gleichzeitiger Ernennung zum Generalleutnant
das Kommando der 14. Division, das er 1886 mit demjenigen der ax. Divi-
sion vertauschte; 1888 trat er in den Ruhestand.
Na^ den Akten. Lorenzen.
Geibel, Stephan, Buchhändler und Buchdrucker, * 15. Juli 1847 in Buda-
pest, t 6. Januar 1903 in Altenbnrg (S.-A.). — Kommerzienrat Stephan G. war
der Sohn des Budapester, später Leipziger Hofbuchhändlers Geibel, der am
Aufschwung der ungarisclien Literatur des vorigen Jahrhunderts einen wesent-
lichen Anteil hatte. Nach sorgfältiger Erziehung im Elternhause trat G. zur
Erlernung der Buchdruckerkunst bei F. A. Brockhaus in Leipzig ein, ging
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Geibel. Hagemeist«r.
dann nach Gotha, um sich danach ganz der buchhändlerischen Laufbahn
zuzuwenden. In Leipzig, Genf und Bonn hatte er als Gehilfe gearbeitet, als
ihm und drei Leipziger Firmen die Pierersche Hofl>nchdruckerei in Altenburg
zum Kauf angeboten wurde. Am 2. Januar 1872 übernahm er als Leiter
diese Druckerei, die er in mehr als dreilJigjährif^er rastloser Arbeit mit zum
ersten graphischen Institut Deutschlands eniporbrachte. G. war es in erster
Linie, der Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der sehr im
Argen liegenden Buchdmckerkunst neues Leben einhauchte. Den Ruf seiner
Firma als graphische Musteranstalt hat er dauernd erhöht.
Im Jahre 1888 begründete G. einen eigenen Verlag, dessen Grundstock
Krwcrbungen aus dem Julius Niednerschen \'erlage in Wiesbaden, darunter
die lickunnten Schriften des Volks- und Jugendschriftstellers Wiihelni ( )ertel
von Horn, waren. Auch die üertelsche »Spinnstube«, jenes ausgezeichnete
Volksbuch, das zu vielen Tausenden alljährlich als Kalender ins Volk gin<^,
hat G. noch eine Reihe von Jahren, bis 1895, fortgeführt. Neben einer Reihe
gern gelesener und weitverbreiteter Jugendschriften, so von Noeldechen,
Schupp, Bomcl u. a., verlegte G. auch die religiösen Schriften des Pastors
Funcke in Bremen u. v. a.
Der groüen deutschen Buchdruckergilde hat G. durch seine langjährige
tätige Mitwirkung an deren Bestrebungen die wertvollsten Dienste geleistet.
Qttcllen: »2Mtschrift flir Deutschlands Budidnidcer«, 1903 Nr. 3; Sdimidt, »Deutsdie
Buchhändler«, IV. Bd. Rudolf Schmidt.
Hagcmcistcr, Johann Carl Paul Wilhelm, Jurist und Historiker,
* 13. Juni 1826 in Stralsund, f 27. März 1903 in Greifswald. — Sohn des
Stralsunder Bürgermeisters Carl H., aus einer alten, im 13. Jahrhundert in
Pommern eingewanderten niederdeutschen Familie, welche in der amtlichen
Stellung eines Hagemeisters {Magister indaginis) rias Dorf Helmshagen bei
Greifswald begründete, und von dort nach Greifswald, Grimmen und Stral-
sund übersiedelte, wo sich die amtliche Bezeichnung in den Familiennamen
»Hagemeistcr« umwandelte. Seit 1357 in Greifswald und seit 1566 in Stral-
sund durch zahlreiche Mitglieder im Rate vertreten, gehörte die Familie zum
Patriziat und führte als Wappenemblem eine Rose im Schilde und auf dem
Helme. Nach dem Muster dieser Vorfahren widmete sich H. gleichfalls der
Rechtswissenschaft, studierte in Halle, Heidelberg und Berlin, wurde 1849
Auskultator, 185 1 Referendar, 1855 Assessor, 1858 Kreisrichter und 1868
Kreisgerichtsrat in Stralsund, legte dies Amt aber nieder, wirkte seit 1871
dort als Rechtsanwalt mit dem Titel »Justizrat«, und seit 1876 als Land-
syndikus, als Rechtsbeistand der neuvorpommerschen Stände, und starb
am 27. März 1903 infolge eines Schlaganfalles. Neben dieser praktischen
Amtstätigkeit widmete sich H. mit Vorliebe historischen und antiquarischen
Forschungen, für welche ihm im Katsarihiv und in den zahlreichen Denk-
mälern der Kirchen und Klöster seiner Vaterstadt ein reiches Material vorlag.
Dieses verwertete er nach zwei Richtungen, einerseits durch Aufstellung sorg-
fältiger, nach urkundlichen Belegen ausgeführter Genealogien alter Familien,
von denen einige handschriftlich vorliegen, andere in der Zeitschrift des
Vereins »Herold« erschienen sind; andererseits durch Nachweisung, Restau-
ration und Beschreibung der Stralsunder Bau- und Kunstdenkmäler, welche
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Hagem^ster. Kiem.
191
Forschungen auch vom Baumeister v. Haselberg bei der Bearbeitung der
»ButdenknüUer des Reg.-Bet. Straisand« Heft 5, 1902 benutzt worden sind.
Namentlich ist H.s Förderung der Erneuerung der alten Wandmalerei^ in
der Nikolaikirche her\'orzuheben, für welche er auch die bewährten Kunst-
historiker Dr. Crull in Wismar und Prof. Knackfuß in Ka.ssel zu interessieren
wußte, und welche auch für den Chor derselben durch die Maler Grimmer
und Xyinter ausgeführt wurde. Kbenso erhielt auf seine Veranlassung das
Gebäude des Swarteschen Ganges, einer vom Ratsherrn Arndt Swarte im
Jahre 1569 begründeten Stiftung fOr alte Dienstboten, welcher er als Patron
vorstand, eine Restauration, bei welcher die Wappen der um dieselbe beson-
ders verdienten Familien Wardenherg, Swarte und Hagemeister neben dem
Eingange angebracht wurden. Auch gehörte er zu den HauptlOrderern des
dem Bürgermeister Lambert Steinwig (f 1629) auf dem Alten Markt vor dem
Rathause im Jahre 1904 errichteten Denkmals, welches dessen ruhmvoller
T&dgkeit bei der Belagerung Stralsunds durch Wallenstein gewidmet ist.
Von H.S kunsthistorischen Forschungen, welche im Druck erschienen, sind
zu erwähnen: Sammlung von Bildnissen der Stralsunder Ratsherren, 1889;
Die alte Uhr in der Nikolaikirclie, iSq^; Der Schwarze (/ang, i8g6; Ein
Gang durch die Nikolaikirche in Stralsund, in erster Bearbeitung 1890, in
sweiter Bearbeitung 1900, mit der Beschreibung ihrer zahlreichen Kunstwerke,
eine Reihe von Schriften, durch weldie ihm, ebenso wie durch die Erhaltung
der Denkmäler, ein bleibendes Andenken in seiner Vaterstadt gesichert ist
Quellen: Hnndschr. Selbstbiographie. Nekrolog »Strals. Zeitung«, 1903 < Nr. 78.
PienOnliche Ertnoerungeo. Pyl.
Kiem, Martin, O. S. B., Sub[)rior in Gries, Historiker, * 8. Februar 1829
zn Algund in Tirol, f 13. Juni 1903 im Stift Gries bei Bozen. — K. machte
seine G]rmnasialstudien am Benediktiner-Gymnasium zu Meran, trat dann
1847 im Stift Gries in den Orden, legte am 16. September 1849 Profeß ab,
machte die philosoithisehen und theologischen Studien an der Hauslehranstalt
und würfle am 15. Februar 1852 zum Priester geweiht. Hierauf wurde er
nach Samen in der Schweiz (übwalden) gesandt und wirkte 29 Jahre bis
i88r als Gymnasialprofessor an der kantonalen Lehranstalt daselbst, zu deren
Hebung er neben dem Rektor P. Augustin Gr&niger hervorragend mitwirkte.
Nach der Gründung des mit dem Gymnasium verbundenen Konvikts war er
186S 1S72 Präfekt desselben. 1881 wurde er als Stiftsdekan in das Stift
Gries zurii( khcruti-n ; 1804 legte er dieses Amt aus Gesundheitsrücksichten
nieder und wurde Bibliothekar, seit 1897 zugleich Subpnor. — Während tler
Jahre seiner Wirksamkeit in Samen beschäftigte sich K. eingehend mit der
Geschichte von Obwalden. Eine Reihe von Abhandlungen und Publikationen
▼on Urkunden-Regesten veröffentlichte er in der Zeitschrift »Der Geschichts-
freund« (Einsiedeln). Bd. 18 — 30, 1863 1872; grciüere Arbeiten sind darunter:
"Die Alponwirtschaft und Agrikultur in Obwalden seit den ältesten Zeiten «
(21. Bd. 1865 S. 144 — 231); »Die Entwicklungsgeschichte und die Landam-
nSoner von Unterwaiden ob dem Wald. 1304—1872« (28. Bd. 1873 S. 208
bis 277). In den 1864 — r873 '^^^ jährlich yeiji^Oten Programmabhand-
lüugcn des Gymnasiums zu Samen gab er teils Beiträge «ur Geschichte der
Uhnuistalt, teils behandelte er in einer Reihe von Programmen die
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Kiem. £berle. Jakob,
Geschichte der Pfarrei Samen. Als selbständige Schrift erschien: »Der selige
Nikolaus von FIQe« (nach dem größerm Werk von Ming, Ingenbohl 1862;
3. Aufl. 1879); spftter: »Der selige Nikolaus von Flfle» ein Vorbild für alle
Christen« (Einsicdcln 1881). Nach der Rückkehr K.s nach Gries erschien
zuerst die Urkundenpuhlikation: »Das Kloster Muri im Kanton Aargau.
A. Acta Murensia oder Acta futu/afionis. B. Urkunden und Briefe. C. Necro-
logtum Hermctis-i'ilianum« (in: (.)uLlleii clcr Schweizer Geschichte, Utl. III,
Abteilung 3, Basel 1883). Auf die Abhandlung: »Inneres Leben und äulJere
Tätigkeit der Muri-Konventualen aus dem Zeitraum von 1684— 1776« (Studien
und Mitteilungen aus dem Benediktinerorden, 6. Jahrg. 1885 Bd. I S. 392
bis 397; Bd. II S. 135 — 145, 342 — 348) folgte dann K.s Hauptwerk, die zwei*
bändige »Geschichte der Bcnediktinerahtei Muri-Gries {ad S. Afarftnum — aif
B. V. Mariam)« (Stans 18SS, iSqt). Kleinere Mitteilungen erschienen in der
»Zeitschrift des Ferdinandcums für 1 irol und Vorarlberg« (3. Folge, 33., 36.
und 37. Heft, 1889, 1892 und 1893). In den letzten Jahren folgten noch
die Schriften: »Leben des hl. Martinus, nebst Erwägungen und Gebetbuch«
(Brixen 1898); »Augustin Vigil Nagele, letzter Prälat des Augustiner-Chor-
herrenstiftes zu Gries bei Bozen (1790 — 181 5) und seine Zeit (Innsbruck 1899).
Vgl. Studien und Mitteilungen aus dem Benediktinerordcn, 24. Juhrjj. 1903 S. 554 f.
— »Der Geschichtsfreund«, 58. Bd. 1903 S. XXXI — XXXIII. (Aus dem »V aterhuid«.) —
Ser^toru Orä, S, BenaUcH fui ijso—rMo fitiruni im imferh Amtriaep'Bia^aric»
{Vi mi tht m a t 1881) p. 231 s. F. Lauchert.
Ebcrlc, Melchior, C. S. ß., Subprior von St.Bonifaz in Mimchen, * 27. März
1828 zu Großkissendorf bei Günzburg, f 10. Juli 1903. — E. absolvierte das.
Gymnasium bei den Benediktinern zu St Stephan in Augsburg, trat dann
1850 daselbst in das Noviziat, legte am 6. Januar 1851 Profefi ab, studierte
Theologie und Philologie an der Universität München und wurde am 4. Mai
1853 zum Priester geweiht. Er wirkte dann als Lehrer am Gymnasium zu
St. Stephan, von iSj^q — 1878 als Stuclienlelirer am Ludwigsgymnasium in
München, nachdem er 1859 in das Kloster St. Bonifaz in München über-
getreten war; 1878 — 1884 war er Beichtvater in Frauenchiemsee, dann Seel-
sorger an der Filialkirche St. Benedikt in München; seit 1899 Subprior im
Stift St.Bonifaz. — Schriften: »Lourdes und seine Wunder« (Augsburg 1892);
»Der hl. Bonifazius, Apostel von Deutschland« (ebd. 1893). Artikel »Frauen-
chiemsee« in Seb. Brunners Benediktinerijuch (Würzburg 1880).
Vgl. »Augsburger Postzeitung« 1903, Nr. 155 vom 13. Juli. — Lindner, Die Schrift-
steUer d«s Boie^Sktiiierontetis in Bayern, Nadittlge (Kegensburg 1S84), S. 78.
F. Lauchert
Jakob, Georg, Domdekan in Regensburg, Kunsthistoriker, * 16. Januar
1825 zu Strauhinjr^ -j- 12. Juli 1903 zu Regensburg. — J. absolvierte das
Gymnasium in Straubing, studierte dann Theologie in München und empfing
am 9. Juli 1849 in Regensburg die Priesterweihe. Nachdem er zuerst einige
Jahre in der Seelsorgc gewirkt hatte, wurde er Prifekt im Kleriksüsemiiwr
zu Regensburg, wo er insbesondere Vorlesungen über kirchliche Kunst hielt.
1858 wurde er Spitalpfarrer in Straubing; 1862 Domvikar in Regensburg,
zugleich provisorischer Regens des Priesterseminars; x88i Domkapitular; am
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Jakob. BritU.
S.Mai 1897 Domdekaii; Dr. thcol. h.c. — Hauptwerk: Die Runst im Dienste
der Kirche. Ein Handbuch fttr Freunde der kirchlichen Kunst« (Landshut
|SS7; 5. Aufl. 1901). Ferner: »Die feierliche Einweihung der Kirchen« (i8$o;
2. Aufl. 1864); »Dr. Josef Ambergcr, Domkapitular in Regensburg« (Regens-
bu^ 1890); gab heraus: »Bcati Alberti ALtj^^/u de sacrosanrfo rorf^or'is Doniini
sacranunto senmmcs* (Regeiisburg 1893). Mehrere gröüerc -\rlikel zur christ-
lichen Kunst in der zweiten Auflage des Kirchenlexikons von Wetzer und
Welte. — J.S Bedeutung als Kunsthistoriker würdigt Domkapitular Schnfitgen
in der Zeitschrift fQr christliche Kunst (1903, Nr. 7, Sp. 234) folgendermafien:
»Der kirchlichen Kunst mit Einschluß der Musik hat er .seit ihrem Wieder-
aufleben, also üljer ein halbes Jahrhunilert, in reinster .Absicht, vollkommenster
Hingabe, erfolgreichster Weise gedient, ernst und gründlich als Korscher,
kenntnisreich und anregend als Lehrer, fruchtbar und zielbewußt als Schrift-
steller. Seinen strengen Grundsätzen, die nicht auf Vorurteil oder Eigensinn,
sondern auf gründlichen Studien der Quellen, der Denkmäler, der Literatur
beruhten, ist er treu geblieben bis an sein Ende. Der tiefe Einblick in die
Vorzüge der mittelalterlichen Kunst, die er in ihrem Zusammenhang mit
Liturgie, Symbolik usw. mehr wie fast alle andern erfaßt hatte, war ihm
zugleich eine Schutzwehr gegen die nivellierenden und modernisierenden
Bestrebungen, die den Zusammenhang mit der Vergangenheit auch auf dem
von der Tradition besonders behüteten kirchlichen Kunstgebiete abzuschwächen,
wenn nicht gar au&ulösen drohen.«
Vgl. »Augsburger Postzeitnng« 1903, Nr. 15s vom 15. Juli; Jahrg. 1899, Nr. 153
vom S. Juli. F. Lauchert.
Brüll, Andreas, katholischer Pfarrer von Plittersdorf bei Godesberg, Pa-
tristiker und Sozialpolitiker, * 5. Juni 1845 Boslar bei Jülich, f 24. Juli 1903
zu Kissingen. — B. besuchte das Kaiser Karls-Gymnasium in Aachen bis
1867, begann dann die philosophischen und theologischen Studien im Collegium
Gcrmantnm in Rom, setzte sie an der Universität Bonn fort und emjiting am
24. August 187 1 in Köln die Priesterweihe. Hierauf wirkte er sec hzehn Jahre
als Vikar und Lehrer an der höheren Stadtschule zu Schleiden. 1874 promo-
vierte er in Freiburg i. Br. zum Dr. thnL 1888 wurde er Pfarr-Rektor an
der St. Albertuskirche in München>Gladbach; 15. Mai 1894 Pfarrer von Flitters-
dorf. — Die früheren literarischen Arbeiten von B, bewegen sirh auf dem
Gebiete der Patristik und sind vorzugsweise den apostolischen Vätern ge-
widmet: l'rsp)rung und Verfasser des Briefes des Clemens von Rom an die
Korinther« (in der Tübinger Theologischen Quartalschrift 1876); »Das Zeugnis
des Clemensbriefes über den Tod des Apostels Petrus in Rom« (Theolog.
Qnartalsdirift 1877); »Clemens von Rom und der Hirt des Hermas« (Theolog.
Quartalschrift 1878); ? Der Episkopat und die Ignatianischen Briefe (Theolog.
(,)uartalschrift 1879); Zur ältesten Geschichte des Primates in der Kirche«
(Theolog. (^uartalschrift 1880); "Ursprung des ersten ( "lemensbriefes und des
Hirten des Hermas« (Theolog. Quartalschrift 1882); ;Der Hirt des Hermas,
nach Ursprung und Inhalt untersucht« (Freiburg i. Br. 1882); »Der erste Brief
des Clemens von Rom an die Korinther und seine geschichtliche Bedeutung«
{Freiburg i. Br. 1883); »Über die Echtheit der Martyrakten des hl. Ignatius«
(TJieoiog. Quartalschrift 18S4); »Die Clemensromane und der Primat der
Bi*<cr. Jahrbuch u- Deutscher Nekrolog. 8. Bd. Ij
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194
Brm. O&wald.
römischen Kirche« (Theolog. Quartalbchrift 1891). Ferner verfaßte er eine in
einer Reihe von Auflagen vorliegende »Bibelkunde fQr höhere L^nmstalten
und X'ehrerseminare sowie zum Selbstunterrichte« (zuerst Freiburg i.Br. 1877
unter dem Titel »Bibelkunde für Präparandenanstalten und Lehrerseminare ;
S. Aull 1002) und ein »Lchibut h der heilip;en Geschichte, zunächst für die
oljcren KLissen höherer 1 .eliranstalten« (Kreiburg i. Br. 1884). Seit seiner
Wirksamkeit m M.-(jladbach arbeitete er sich eifrig in das Studium der
sozialen Frage «n und war auch literarisch auf diesem Gebiete tätig durch
Artikel in Zeitschriften, sowie im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft und
im Jenaer Handwörterbuch der Staatswissenschaftcn. Den letzten Jahren
gehören einige Beiträge zur Erkhlriing der Leidensgeschichte Jesu Christi an:
»Jesus vor Annas« (Katholik i8qg, l); Pie sieben letzten Worte Jesu
(Katholik 1900, 1); »Die Ergreifung und Überlieferung Jesu an Pilatus^
(Theolog. Quartalschrift 1901). Aus seinem Nachlasse wurde das treffliche,
die Grundgedanken der Apologetik der Kirche in gemeinverständlicher Weise
zusammenfassende Schriftchen veröffentlicht: »Die wahre Kirche Christi«
(Frei bürg i. Br. 1903).
Vgl. »Kölnische Vülkszcitung« 1903, Nr. 631) vom 31. Juli. — »Echo der Gegenwart«
(Aachen), Nr. 524 vom 26. Juli. — »Literar. Handweiser« 1903, Nr. 779, Sp. m f .
F. Lauchert.
Oswald, Heinrich, Professor der Theologie in Braunsberg, • 3. Juni 1817
zu Dorsten in Westfalen, f 7. August 1903 zu Braunsberg. — O. besuchte das
Piog\ mnasiuni zu Dorsten, dann 18 ^4 — 1836 das Gyinnusiuni zu Münster,
studierte dann in Münster Theologie und Philologie und wurde daselbst am
13. Juni 1840 zum Priester geweiht Hierauf setzte er seine Studien noch an
der Universität Bonn fort, wurde am 15. Juli 1843 zu Münster Lic. ikeal, und
habilitierte sich 1845 als Privatdozent an der theologischen Fakultät in Münster.
1846 wurde er Professor der Dogmatik an der philosophisch-theologischen
Lehranstalt zu Paderborn; i. März 185=; erteilte ihm die theologische Fakultät
zu Münster die theologische Doktorwürde; 1875 Professor der Dogmatik ani
Lyceum Hosianum in Braunsberg; päpstlicher Hausprälat. — O. war als
Dogmariker sehr bedeutend. Sein Lebenswerk liegt in einer Reihe von
gröfieren Einzelwerken vor, in denen er im Laufe der Jahre fast die gesamte
katholische Dogmatik behandelte: »Die dogmatische Lehre von den heiligen
Sakramenten der katholischen Kirche« (2 Bde., Münster iSjöf.; 5. Aufl. 1894);
»F,schatologie, das ist die letzten Dinge dargestellt nach der Lehre der katho-
lischen Kirche« (Paderborn 1868; 5. Aufl. 1893); »Die Lehre von der Heiligung,
das ist Gnade, Rechtfertigung, Gnadenwahl im Sinne des katholischen Dogmas
dargestellt« (Paderborn 1873; 3. Aull. 188$); »Die Erlösung in Christo Jesu
nach der Lehre der katholischen Kirche dargestellt = (2 Bde., Paderborn 1878;
2. Aufl. 1887); "Religiöse Urgeschichte der Menschheit, das ist der If^rstand
des Menschen, der Süiulenfall im Paradiese und die Erbsünde, nach der
Lehre der kadiolischen Kirche dargestellt« (Paderborn 1881; 2. Aufl. 1887);
»Angelologie, das ist die Lehre von den guten und bösen Engeln« (Pader-
born 1883; 3. Aufl. 1889); »Die Schöpfungslehre im allgemeinen und in
besonderer Beziehung auf den Menschen« (Paderborn 1885; 2. Aufl. 1893);
»Die dogmatische Theologie, das ist die Lehre von Gott in seinem Sein und
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Oswald. Gebcle. Huhn.
^93
LebetTt (2 Bde. Paderborn 1887). Eine schon früher erschienene »Dogmatische
Mariologie« (Paderborn 1850) war wegen einiger dogmatisch unkorrekten
Tiiesen 1856 auf den Index gekommen und vom Verfasser zurQckgezogen
worden. Die frühesten Arbeiten 0.s waren eine Reihe von gröfleren und
kleineren exegetischen und dogmatischen Abhandlungen, die 1844 — 48 in dem
^Katholischen Magazin für Wissenschaft und Lehen« (Münster) erschienen. Ferner
vind noch die akademischen Programme und Reden zu nennen: ^ De institutionis
thcohgUae ina ac ratioiu. Oratio acadcmka solemms*^ (Paderborn 1850); ^Oral'umes
Modewucae tres» guikis dacirmae de S. BucharisHa aUqu^ loci iUusiratiätnt
(Paderborn i8$$); »Das grammatische Geschlecht und seine sprachliche
Bedeutung. £ine akademische Gelegenheitsschrift« (Paderborn 1866); De
generis human'i ht Protoparrnh' laf>si aii rccttpcratniam in Christo salutcm Jivinitus
instituta prafparationc commcntatio (2 Teile, im Index Lccttattum für Sommer 1876
und Winter i882;83. ßraunsbcrg 1876, 1882).
Vgl. £. Raflnwiii, Nadttiehten von dem Leb«i «ad den SehrÜten MUnsterlindiadier
Schriftsteller (Münster 1866), S. 247^; Neue Folge (18S1), S. i6of. — »Literar. Handweiaei«
19OJ, Nr. 779, Sp. 113. — »Augsburger Postseitung« 1903, Nr. 149 vom S. Juli.
F. Lauchert.
Gebele, Eugen (Taufname Ernst), O.S.B.^ Abt von St. Stephan in Augsburg,
* 10. April 1836 7.U f)*^terbuch bei Wertinpcn, f 8. August 1903 zu Au<^sl)urg.
— (}. besuchte die (jyninasion zu St. Stephan in .\ugsburg und zu Dillingen,
absolvierte die philosophischen Studien am Lyzeum zu Augsburg, das Studium
der Theologie an der Universitit MQnchen und wurde am 21. Juli 1861 zum
Priester geii^eiht. Hierauf wirkte er im Weltpriesterstande mehrere Jahre in
der Seelsorge, zuerst als Kaplan in Langenreichen, 1862 — 63 in Oberdorf,
seit 1S63 als Stadtkaplan hei St. Max in .\ugshurg. 1868 trat er daselbst im
Stift St. Stephan in den Benediktinerorden und legte am 6. Januar 1869 ProfeÜ
ab. 1870 promovierte er in München zum Dr.phil. Von 1870 bis 1878 war
er als Lehrer der Religion, Geschichte und Geographie, von 1878 bis 1889
als Professorder Geschichte und seit 1879 sugleich der Religion am Gjrmnasium
TM St. Stephan tätig; seit 1880 zugleich als Professor der Philosophie und
Geschi( hte am Lyzeum. Am 11. März 1889 wurde er zum Abt des Stiftes
gewählt, am 28. April bencdizicrt. Unter seiner Regierung erfolgte der An-
schlui^ des Klosters an die bayerische Benediktinerkongregation, deren Präses
er zur Zeit seines Todes war. — Schriften: »Das Leben und Wirken des Bischofs
Hermann von Augsburg vom Jahre 1096 — ii33> Nach den Quellen bearbeitet«
(Dissertation; Augsburg 1870); »KriegfOhrung der französischen Rhein- und
Moselarmee in Schwaben und Bayern, zunächst im ehemaligen Kürstbistum
Augsburg, im Jahre 1796« (2 Teile; Progrannnc der kgl. kath, Studienanstalt
zu St. Stephan in Augsburg für 1883 84 und 1885/86; Augsburg 1884 und i886).
Vgl. »Augsbmger PoMseitung« 1903, Nr. 177 vom 11. Augost — Ltndner, Die
Schriflstellcr des Benediktinerordeas in Bayern, Bd. II ^q:ei»buig 1880), S. 258.
F. Lauchert.
Huhn, Georg Adalbert, Stadtpfarrer von hl. Geist in München, * 19. April
1839 zu Orb in der Diözese Würaburg, f 11. August 1903 zu Aussee in
Steiermark. — H. absolvierte die Gymnasialstudien in Aschaffenburg, studierte
dum Theologie in Würzburg, wo er sich als Schüler von Hettinger, Hergen-
13*
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Huhn. Grimimcli.
röther und Denzinger ein gediegenes theologisches Wissen aneignete, und
empfing am 33. April 1862 daselbst die Priesterweihe. Hierauf wirkte er
zueist zwei Jahre als Hilfspriester in Elsenfeld bei Aschaffenburg, im Sommer
1864 als Kurprediger in Bad Kissingen, von November 1864 bis Ende 1870
als Stndtkaplan bei St. Agatha in Asrhaffenburg. Am i. Januar 1871 wurde
er Stadtpfarr{)redigcr an der Maria-Hilf-Kirchc in der Münchener \'orstadt Au.
In den Jahren 1875 — 1881 gehörte er auch dem bayerischen Landtage an aLs
Abgeordneter für München II. Am 29. Juli 1883 wurde er als Stadtpfarrer
von hl. Geist in München installiert; 1895 Prosynodalexaminator und eiz-
bischöflicher geistlicher Rat; 1899 päpstlicher Hausprälat. In den ersten
Jahren seiner Wirksamkeit als Pfarrer führte H. die Erweiterung und Restau-
rierung seiner Pfarrkirche durch; in seinen letzten T^ebensjahren erfiilLTtt- unter
seiner eifrigen Mitwirkung die im Interesse der Seelsorgc notwench'g j^cwordene
Teilung der durch die .Ausdehnung der Stadt immer mehr angewachsenen
Pfarrei und der Bau der neuen Pfarrkirche St. Maximilian. H. war ein Mann
von außerordentlichen Rednergaben» einer der bedeutendsten und beliebtesten
Prediger Münchens und ein im ganzen katholischen Deutschland mit Ver-
ehrung genannter Redner, der so oft nicht nur in katholischen Vereinen und
Versamnihmgen Münchens und Bayerns, sondern auch auf einer Reihe fler
(Jeneralversammlungen der Katholiken Deutschlands eine große Zuhörerscludi
für die höchsten Ideale begeisterte. Seine klar und logisch durchdachten
Predigten und Reden wirkten nicht sowohl durch rhetorische Künste, als
(hirch ihren inneren Gehalt und durch die Macht der Überzeugung. Unvergeß-
hclie Verdienste hat er sich insbesondere in den ersten siebziger Jahren um
die kalliolische Sache in München erworben durch sein mannhaftes Auftreten
in Wort und Schrift gegen die konzils- und kirchenfemdiiclie Bewegung. —
H.S literarisches Hauptwerk ist die »Geschichte des Spitales, der Kirche und
der Pfarrei zum hl. Geist in München« (3 Abteilungen, München 1891 — 93).
Femer ist zu nennen: = Robert Emmet. Eine Erzählung aus der Geschichte
Irlands- (München 1874), und ans der Zahl seiner kleineren (iclegenheits-
schriften und einzeln gedruckten Reden: l-'.iiie Ministerantwort im Lichte
der Wahrheit« (Freiburg i. Br. 1871); »Döllingers alte und neue Hotlnungen«
(München X874) ; '>Der Kampf in Spanien und seine Bedeutung« (München 187 5) ;
»Die neuere Geschichte der Ehescheidung« (München 1890); »Die St. Maxi-
milianskirche in München. Festschrift zur Feier der Einweihung dieser Kirche
am 6. Oktober 1901« (München 1901). Nach seinem 'i'ode wurde heraus-
gegeben: «Seele Christi heilige mich! 14 Predigten über das Ciebet des
hl. Ignatiuse (München 1904; 1. bis 3. Aufl.; mit l'orträt). Wie man hört,
wird die Herausgabe einer Auswahl von sonstigen Predigten und Reden H.s
vorbereitet, ein Plan der freudig su begrüfien, und dessen baldige Verwirk-
lichung dringend zu wünschen ist.
Vgl, P. Graßl, Prälat Adalhcrt Huhn, Stadtpfarrer von hl. (kist in München (München
1903; mit Porträt). — »Augsburger Postzeitung« 1903, Fcuilkion von Nr. 204, 205, 207 209.
Grimmich, Virgil, O. S. B. Professor der Theologie an der deutschen
Universität in Prag, * 13. November 1861 zu Kaaden in Böhmen, f 14. August
1903 zu Prag. — G. trat 1880 zu Kremsmünster in den Benediktinerorden,
F. Lauchert.
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Grinunich. Scibrttder.
197
Studiertc 1881 — 1885 Theologie an der Lehranstalt in St. Florian (( )beröster-
reich) und wurde 1885 zum Priester geweiht. Nachdem er hierauf einige
Zeit als Kooperator in Weiflkirchen in der Seelsorge gewirkt hatte, ging er
1886 zum weiteren Studium der tfaomisdschen Philosophie nach Rom, wo er
am 13. April 1S88 Dr. phil. wurde. 1888 — iSqy wirkte er als Professor für
christliche Philosophie und alttestainentliches Hibelstudiiun an der Lehranstalt
in St. Florian; Ai)ril 1897 wurde er auüerordentlicher Professor für ( liristliche
Philosophie und Pädagogik an der Universität Wien; Januar 1901 ordentlicher
Professor der Moraltheologie an der deutschen Universität in Prag; im Juni
1903 zum Rektor fflr das nächste Studienjahr gewählt — Werke: »Lehrbuch
der theoretis( hen Philosophie. Auf thomistischer Grundlage« (Freiburg i. Br.
1803); Lehrbuch der allgemeinen Erziehungslehre. Zunächst zum Gebrauche
i'ur Lehrer- und Lchrerinnenbildungsanstalten« (Wien i8c)8); »Der Religions-
unterricht an unseren Gymnasien« (Wien und Leipzig 1903)- Ferner bearbeitete
G. die 10. — 12. Auflage des »Handbuchs der Pastoraltheologie von Ignaz
Schfich« (10. Aufl. Innsbruck 1896, 11. Aufl. 1899, 13. Aufl. 1902). Erwähnt
sei noch die Abhandlung: Der Seelenbegriff in der neueren Philosophie« (in
der Wiener Zeits< hrift »Die Kultur«, i. Jahrg., 1899/1900, S. 8i — 95, 178 — 201),
Vgl. »Kölnische V'olkszcitung« 1903, Nr. 690 vom 17. August. — - Guppenberger,
Bibliographie des Klents der Diözese Linz (Linz 1893), S. 67. — »Literar. Handweiserc
1903, N'r. 780, Sp. 157. F. Lauchert.
Schröder, (Peter) Joseph, Professor der Theologie in MOnster, * 26. April
1849 zu Beekf Pfarre Würm (Rheinland), f 5. September 1903 zu Elberfeld. —
Sch. besuchte das Gymnasium zu Neufi und studierte dann 1867 — 74 Philo-
sophie und Theologie im CoUeguwt Germaniatm zu Rom, wo er 1873 Dr. phil. y
1874 Dr. theol. wurde und am 18. Mai 1873 die Priesterweihe empfing. Da
der Kulturkampf seine Anstellung in der Heinuit zunächst verhinderte, über-
nahm er die Stelle eines Professors der Philosophie am bischöflichen kleinen
Seminar in StTrond in Belgien, wo er längere Jahre tätig war; einige Zeit
wirkte er dann auch als Professor am Priesterseminar in LOttidi. Im Oktober
1887 wurde er Pfarrverwalter von St. Johann Baptist /.u Köln, t888 Professor
an dem wiederer(')ffneten Priesterseminar daselbst. iSSq fjinp^ er nach Amerika
als Professor der Dogmatik an der neu errichteten katholischen Universität in
Washington, in welcher Stellung er bis 1898 wirkte und sich auch um die
Interessen der katholischen Deutschen daselbst sehr verdient machte. Ostern
1898 wurde er als Professor der Dogmatik an die Akademie Münster i. W.
berufen; bei deren Erhebung zur Universität war er Rektor 1902/03. Er
war auch päpstlicher Hausprälat und Khrendomherr von Lüttich. P'ür Herbst
190.^ hatte er einen Ruf an die neu errichtete katholisch-theologische Fakultät
in Strasburg als Professor der Pastoraltheologie angenommen, starb aber am
$. September an Lungenentzündung zu Elberfeld, wohin er sich vor der
beabsichtigten Übersiedelung zur Erholung begeben hatte. — GrOfiere Schriften:
^Sur la tolerance de FEf^lisc^^ »Der Liberalismus in der Theologie und
Geschichte. Eine theologisch-historische Kritik der Kirchengos( hichte des
Professors Dr. F. X. Kraus« (Trier 1883); ^Church and R(pubitc<^ (1891).
V'gL »Kölnische Volksieitung« 1903, Nr. 749 vom 6. September. — »Augsburger
AMtteitiing^« 1903, Nr.aoi vom 10. September. — »Litenr. Handweiserc, Nr. 780^ Sp. i57f.
. F. Lauchert.
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von Sceger.
Seeger, Hermann von, bedeutender Straf rerhtslchrcr, * zu Stuttgart am
18. August 1829, f zu Tübingen am 12. Juni 1903. — S. stammte aus einer
alten schwäbischen Familie. Sein Vater war Obertribunalprokurator in Stutt-
gart 1844 — 48 Mitglied der württembergischen Abgeordnetenkammer, 1848 — 52
Vorstand des Vaterländischen Vereins, eines X'orläufers der heutigen Deutschen
Partei, ein in Rechtspflege und Politik wohlbekannter Mann. Der Sohn
studierte 1847 — 51 in Tübingen und schloß sich der Hurschenschaft (lennania
an, an deren Spitze er eine Zeit lang trat und der er zeitlebens Anhänglich-
keit bewahrte. 1852 machte er sein Staatsexamen als Jurist und war dann
einige Jahre beim Stadtgericht und dem Kriminalamt in Stuttgart und beim
Gerichtshof in Esslingen tätig. Er doktorierte in Tübingen 1S54 mit der
Arbeit *De repetltkmc ob turpem rem datorum cessante propter lUmth turpitudinem«,
worauf er sich für die strafrechtlichen Fächer habilitierte. 1858 wurde er
außerordentlicher, 1862 wirklicher aulierordentlicher Professor, nach dem Tode
von Geib (1864) Mitglied der Juristenfakultät und ordentlicher Professur. Einen
bald darauf erhaltenen Ruf nach Basel lehnte er ab. 1874/75 bekleidete er
das Rektorat der Universität und stellte sich begeistert in den Dienst der
nationalen Sache wie der evangelischen Kirchengemeinde. 1875 in den Pfarr-
gcmeinderat gewählt, war er lange Zeit auch Mitglied <les Diözesanausschiisses
und während zweier Wahlpet-ioden Stellvertreter des Abgeorilneten zur I.andes-
synode. Solange die Tübinger Fakultät noch Spruchkollegium war und Rechts-
gutachten abzugeben hatte, konnte er als Referent auch sich praktisch juristisch
betätigen, z. B. als Referent der Fakultät in ihrer Eigenschaft als Kassationshof
für die ehemalige freie Stadt Frankfurt am Main. Mit großem Eifer lag er
seinen Vorlesungen ob und liebte (Ieii \'erkehr mit seinen Schülern, von denen
er sehr verehrt wurde. Seine wissenschaftliehe Tätigkeit war ziemlich aus-
gedehnt. F^s sind hier zu nennen seine Gedächtnisrede auf l'rof. Dr. Anton
Mayer, Tübingen 1857, seine »Abhandlungen aus dem Strafrechte«, Bd. I,
Tübingen 1858 (seinem Vater Karl August Friedrich S. gewidmet), mit Er-
örterungen über die Todesstrafe und die Notwehr, Hd. II, i »Über die rück-
wirkende Kraft neuer Strafgesetze«, ebd. 1.S62 (Karl (ieorg von Wächter ge-
widmet); i ber die Ausbililung der Lehre \ om N'erMich der X'erbrec tu n in der
Wissenschaft des Mittelalters« (Festschrilij, Tübingen 1Ö69, und » Uber (iu.-^ \ er-
hältnis der Strafrechtspflege zum Gesetz im Zeitalter Ciceros«, ebd. 1869 (Fest-
schrift für von Wächter); »Uber den Versuch der Verbrechen nach römischem
Recht«, ebd. 1879; »Die strafrechtlichen awx/V/V? Tubingensia \on der Gründung
der Universität bis zum Jahre i6oo<f, (aus Beiträge zur deschichte der Uni-
versität Tül)ingen , US77); '>(iutarhten f. d. dtsch. Juristeniag über den nortldtsch.
St.-G.-B.-Entwurl (in den Verhandl. JX 174 — 197) und Abhandlung in Golt-
dammers Archiv XVIII 227—247; »Über Zusammenfluft des einladien und
betrüglichen Bankerottes« (ebd. XX 137 — 163); »Strafrechtspflege und Wissen-
schaft in ihren wechselseitigen Beziehungen« (Gerichtssaal XXIV 107 — 127,
205 — -mS); »Karl (Jeorg von Wächter« (Unsere Zeit iSSo II, 732 — 740); ; Die
Befugnis des mit der Voruntersucliung beauftragten Amtsric hters zur Eröffnung
derselben« (Gerichtssaal XXXlli 241 — 246); »Über Besteuerung der Konsum-
vereine« (Ztschr. f. freiwill. Gerichtsbarkeit und Gemeindeverwaltung XXIX);
»Der Felonie-Prozefi gegen Herzog Ulrich von Württemberg« (in der Tübinger
Festgabe zum 25. Juni 1889); »Die Strafrechtstheorien Kants und seiner Nach-
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von Sccf er. Weit*.
199
folger im Vcrliältnis zu den allgemeinen (Grundsätzen der kritischen Philo-
sophie- (in der Festgabe für A. F. Berner, Tübingen 189^). An der Allg.
Dtsch. Strafrechtszeitung« von v. Holtzendorff war er als Mitherausgeber be-
teiligt gewesen. Geschwächte Gesundheit veranlaflte ihn, von seinem akade-
mischen Lehramte zurückzutreten (i. Oktober 1901), bei welchem Anlaß ihm
das Kommenthurkreuz II. Klasse des Friedrichsordens verliehen wurde. Xach
schwerem Leiden verstarb er am 12. Juni 1903. Durch testanicntarisi he Ver-
fügung ^inj: seine Bibliothek in den Besitz des juristischen Seminars der
Universität Tübingen über. Die Ehe mit Kmilie geb. Roman war kinderlos
geblieben.
»Schwibiflcher Merkur« 1903, Nr. 368. — »Deutsche Juristen-Zeitunir« 1903, S. 313. —
»Gerichtssail« XXII 159, XXXIII 551. — Ztsclir. von v. I.isrt XI 216, XIII 553. KlUpfel,
L'niversitÄt Tübingen. 1S77, S. 139. — KukuLt, »Alljj. diulsiher Hoch^chulen-Almanach«,
Wien 1 888, S. 803; Kukuki »Bibliographisches Jahrbuch der deutschen Hochschulen«, Inns—
brack S. a$4/855> A. Teichmann.
Weiss, Olga, Blumen- und Stillebenmalerin, * 18. September 1853 zu
München, f 30. Juni 1903 ebendaselbst. — Ihr Vater, Joseph Andreas W.
(* 31. Juli 1814 zu Kreisin«!, f 20. April 1S.S7), war, als Landsi liafter und Archi-
tckturmalcr von i83q — bei Hcrzoii Max Kii^en von Leu('htiMi})er<( in Peters-
burg tätig, mit dem Titel eines Hofmalers nach München zurückgekehrt, wo
er ein schOnes Haus erwarb, welches er mit künstlerischer Laune zu einem
wahren Atelierbijou ausstattete. Hier wurde die Tochter schon in frühester
Jugend mit Pinsel und Farbe so vertraut, daß bei ihren glänzenden Anlagen
kein Zweifel über ihren künftigen Beruf walten konnte. Sie ersetzte dem
X'.iter reichlich den Verlust seines einzigen, zu den schönsten Hoffnungen
berechtigenden Sohnes, welcher im deutsch- französischen Kriege 1870 auf
dem Felde der Ehre blieb. Ausgestattet mit einer ungewöhnlichen Vor-
bildung, besuchte Olga W. die damals begründete Kunstgewerbeschule für
Mädchen, widmete sich unter Prof. Theodor Spiess kunstgewerblichen Studien
und ging dann auf Wunsch ihres Vaters bei Prof. Heinrich Stelzner zum
Zeichnen nach der Antike untl dem lebenden Modell, zur Stillebenni.ilerei in
Aquarell, Tempera und Öl über. Infolge ihrer auUerordentlichen Fähigkeiten
wurde ihr 1879 das Lehrfach für Blumenzeichnen und Malen an derselben
Anstalt übertn^sen, wobei sie ihr Talent und ihre reichen Kenntnisse zum
Nutzen ihrer Schülerinnen entfaltete, die sich in ihre Klasse drängten, welche in
manchem Semester über 80 Elevinnen zählte, und die sie ihrer ebenso liebens-
würdigen als auch energischen Persönlichkeit wegen hoch verehrten und
liebten. Dabei benutzte Olga W. eifrigst jeden freien Augenblick zur eigenen
Förderung und Weiterbildung, zu originellen Schöpfungen von äufierst natür^
lieh und geschmackvoll geordneten und virtuos, mit taufrischer Duftigkeit
wiedergegebenen lUunienstücken, in>fic>ondere von Malven, Rosen und Trauben,
welche anfangs noch in Aquarell, alsbald aber auch im Ölbild zu einer Spezialität
<ler Künstlerin sich gestalteten. Dagegen ist sie mit den köstlichsten Pro-
liuktcji ihres unversiegbaren Humors niemals, wenigstens nicht unter ihrem
Namen, in die Öffentlichkeit getreten. Sie liebte und handhabte die Kari-
katur sowohl In einzelnen Blättern wie in ganzen, von poetischen Texten
begleiteten Episoden und Zyklen. Damit eiireute sie ihren intimsten Freundes-
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200
Weiss, von Wahl.
kreis, immer aber in einer Weise, daß auch der jeweilig von diesem Konietii-
regen Betroffene sicherlich zuerst in die herzlichste Heiterkeit versetzt
wurde. Dieser Gnindzng ihrer Kunst bildete den Hauptieiz ihres Privat-
lebens und zugleich die Gegenwirkung zu einem schweren Leiden, welches
anfänglich arglos, dann aber unverkennbar und von der Künstlerin vollständig
mit bewußter KolLreruiig erkannt, die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens
immer drohender begleitete. Olga W. war eine seltene Natur: hochbegabt
und bescheiden, offen und wahr, von unermüdlichem Pflichteifer und goldener
Freundestreue, eine echte Künstlerin, die verdientermaßen von ihren Schüle-
rinnen enthusiastische Verehrung genoß. Eine schöne Seele im reinsten Sinne
des Wortes. Ihr zahlreicher artistischer Nachlaß fülhe mit 60 Bildern, Studien
und Skizzen den größten Saal des Kunstvereins, die an einem Tage verkauft
waren. Die Exposition im Cilaspalast 1903 zeigte nur ein Blatt mit etlichen
Herbstzeitlosen, aber auch dieses voll Wahrheit and Eleganz. Darunter hing
der wohlverdiente Lorbeerkranz.
Vgl. Kunstrewins-Bericht f. 1903 S. 73 ff. (C v. B.). — Nr. 304 »Neue tc Nachrichten«
3. Juli 1903. Hyac. Holland.
Wahl, Alexander von, Bikihaucr und Maler, * 22. Dezember 1830 zu
Affick in Livland, f 2, Dezember 1903 in München. — Nach Absolvierung des
Gymnasiums ging W. an die Petersburger Akademie, um sich bei dem durch
seinen »Pferdebändiger« an der Newabrücke und die Gruppen vor dem Ber-
liner Schloß bekannten Peter Clodt, Baron von Jürgensburg (f 1867), zum
Plastiker zu l)ildcn. Nach fxründli( hen Vorstudien übersiedelte \V. n:\rh
München zu l'rofessor von Widnmann, wo er (1.S6O) eine Statui- des <:el)len-
dctcn »Polyphem« modellierte, wie der wütende Zyklop den gewalligen Stein-
wuif dem kühnen St&dteverwüster Odysseus nachsendet Auf diese mit der
grofien silbernen Medaille gekrönte Arbeit folgte x866 die Gnipppe eines
gegen zwei heidnische Esten kämpfenden Deutschherren-Ordensritters, eine
charaktervolle, von großer technischer Gewandtheit zeuL'cnde und deshalb
gleichfalls prämiierte I oistunf;. Nach wiederholten Kelsen in Deutschland,
Italien und Griechenland ließ er sich bleibend in München nieder, wo er
die lebensgroflen Figuren eines tanzenden Faun und einer Bacchantin mo-
dellierte und sein kühnstes Werk vollendete: die von einem Tiger bedrohte
Nomadenfamilie: Vergebens, daß der alle Kräfte anspannende Mann sein
mutiges Weib und das z.iircndc Kind /u verteidigen trachtet — ihr Leben
ist doch Rettungslos verloren' Der Aufbau der nach allen Seiten mit
stupenden Studien durchgebddeten, mit packender Wahrheit in den feinsten
Linien harmonisch gearbeiteten Gruppe ergab eine bewundernswerte Schöpfung,
welche 1879 auf der internationalen Ausstellung ausgezeichnet, leider immer
vergeblich einer Bestellung oder Ausführung in Stein oder Bronzeguß harrte,
(ileichzeitig entstanden mehrere exzellente Mannorlnisten, z. B. der kunst-
sinnigen Baronin \on Moltke (f 1878) und ihrer Schwester, der feinfühligen
Malerin Alexandra von lierckholtz (f 1899). Dann aber wendete W. sich zur
KabinetsplasHk und schuf kleine, kaum 40 cm hohe Charaktertjrpen von est-
ländischen Bauern, oder lieber noch jene in ihrer feinen Detaildurchbildung
an Horschelts Zeichnungen erinnernde Tscherkessenkrieger und -Streiter, voll
tiefer Empfindung, großer Wahrheit und Schönheit Diese lauernden Berg-
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von Wahl. Budaker.
201
Jäger und zielsicheren Schützen, diese .steinschleuderndcn Tartaren gelangen
ihm mit virtuoser Treue. Auch modellierte W. eine ganze Reihe von ent-
zQckenden kleinen Tieibildem: komische Katzen, Hasen und Affen, eine
Entenfamilie, possierliche Eichkätzchen, dazwischen alle Rassen Pferde, Bären
tind Eulen, aber auch estnische Bettler und Slovaken, Charaktertypen aus
der französischen Revolution. Khcr, /.icgcn, Indianerjätrer und berittene Rot-
haute, welche in Bronze und aiulercn Abgüssen weite Verbreitung fanden.
Plötzlich verließ er die Plastik und warf sich ganz auf die Malerei, trat sogar
bei W. von Diez in die Schule und erschien mit einem öfter variierten, am
Sterbebette der einzigen Tochter seine verborgenen Schätze jetzt nutzlos aus-
kramenden > Geizhals« als gewiegter Genremaler. Ebenso griff er auf seine
früheren Tscherkessen, Kaukasicr uml Kosaken zurück, mit ihren malerischen
Trachten, köstlichen Waffen und struppigen Kossen. Ein paar kleine emi-
nente Ölbilder dieser Art erwarb Prinzregent Luitpold. Auch an heiteres
Genre wagte sich der immer einsthafte Mann, z. B. mit einem »Unerwarteten
Quartett«, bei welchem ein unmusikalischer Spitz plötzlich in ein Dilettanten-
Trio heulend einfällt. Endlich entsagte der durch Krankheit vielfach ver-
hinderte und verstimmte Künstler auch der Palette und genoß der wohlver-
dienten Ruhe im Kreise seiner zahlreichen, hochbegabten Kinder,
VgL »Über Land und Meere 1883, 35. Bd. S. 104 (Im Grünen bei Tiais); Nr. 2239
»Ulustr. Z^.< Leipiig, 29. Mai 1886 (Zu spät) und »Knnst fkr Allee 1887, H, ajS (Der
Gei2h.»ls); »Über Land und Meer« 1887, 58. Bd. S. 688 (fConkenfKOnste); Fr. V. BOttidier,
19UI, III, 966. Nekrolog in Nr. 3j6 »Ahg. Ztg.«, 4. Desember 1903.
Hyac. Holland.
Budaker, Georg Gottlieb, Sc hulmann und Pfarrer, * am i. .Mai 1S23
in Bistritz in Siebenbürgen, f ebenda am 21. Juni 1903. — Frühzeitig verlor
B. den Vater und wurde mit drei Schwestern von seiner umsichtigen Mutter
eisogen. Nachdem er die vierte Klasse des evangelischen Gymnasiums seiner
Vaterstadt absolviert hatte, kam er auf die Wiener-Neustädter Militär-Akademie
(1839). Aber .schon nach zwei Jahren verließ er diese Anstalt, da er ihren
militärischen Zwantj nicht zu ertragen vermorlite und kehrte in die Heimat
zurück. Hier licsuchte er nun das Obergymnasium uiui legte 1844 die
Maturitätsprüfung ab. Zwei Monate darauf begab er sich an die Universität
nach Leii)zig, um Theologie zu studieren, doch besuchte er auch mathema-
tische und geschiditliche Vorlesungen. Aufieifaalb der Universität verkehrte
er mit Robert Blum und dem Literaten Seibt, mit 2iamcke und R. Heinze.
Gegen seinen Wunsch mußte B. Leipzig schon nach zwei Semestern ver-
lassen, (hl er an einer Demonstration der Protestanten und Liberalen gegen
den damaligen Kronprinzen Johann, der zur Besichtigung der Kommunalgarde
nach Leigzig gekommen war, tätigen Anteil genommen. Angezogen von der
deutsch-katholischen Bewegung ging er hierauf nach Breslau und vollendete
hier seine Hochschulstudien. Im Jahre 1847 kehrte er nach Bistritz zurück
und wurde für kurze Zeit Lehrer an der dortigen Mädchenschule. .\uch an
der neuerrichteten Bürgerschule, an die B. übersetzt wurde, war seine Tätig-
keit nur von kurzer Dauer. Nachdem er vor dem Domestikalkonsistorium
seine Dissertation über den Atheismus verteidigt hatte, wurde er an das Gym-
nasium seiner Vaterstadt berufen. An den Stürmen des Jahres 1848/49 hat
B. seinen selbstverständlichen Anteil gehabt, indem er die Waffen für den
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202
Budakcr.
Kaiser und sein eigenes Volkstum ergriff und als Hauptmann der zweiten
Bistritzer Bürgerwehrkompagnie einen Teil des Bürgerkrieges mitmachte. Der
zurückgekehrte Friede fand B. wieder als Lehrer am G3nnnasittin. Durch
sein organisatorisches wie durch sein Lehrertalent lenkte er die Auf-
merksamkeit der maßgebenden Kreise derart auf sich, dali er, nur 28 Jahre
alt, am 20. Juni 1853, mit der Leitunjj des Gymnasiums betraut wurde.
Mehr als neun Jahre hat B. diese Stelle bekleidet. Es war eine schaffeiis-
freudige Zeit, denn in ihr erfolgte auch in Bistritz die Einführung des öster-
reichischen Organisationsentwurfes für die Gymnasien, der einen Markstein
und zugleich grofien Fortschritt der sächsischen Gymnasien in Siebenbürgen
bedeutet. B.s Verdienst ist es, wenn das Bistritzer Gymnasium bald mit den
Schwesteranstalten der evangelischen Landeskirche Siebenbürgens wetteifern
durfte. An den Arheiteti seiner Kirche nahm B. schon seit dem Jahre 1860
unmittelbaren Anteil. In diesem Jahre berief nämlich die Regierung über
Anregung des evangelischen Oberkonsistoriums auf den i. August Vertrauens-
männer nach Hennannstadt, darunter auch B., damit diese ihre persönlichen
Überzeugungen und Ratschläge bezüglich der »Provisorischen Vorschrift für
Vertretung und Verwaltinig der evangelischen Kirche in Sicbenhürgcn« darlegten.
Nac:h eingehenden Heratungen geschah dieses in einer DtnkMhritt, die die
Grundlage für die von der Regierung herausgegebenen ^Provisorisciien Bestim-
mungen« abgegeben hat, auf Grund deren 1861 die Landeskirchenversammlung
zusammentrat, um im autonomen Wirkungskreis der Kirche eine Verfassung
zu geben. Von dieser Zeit an ist B. unermüdlich im Dienste seiner Landes*
kirche gestanden. Schon 1865 berief ihn die Landeskirchenversammhmg in
die oberste Kirchen- und Schulhchörde, in das Landeskonsistorium, und er-
neuerte diese Berufung innner wieder, so dali B. bis an chis Ende seines
Lebens dieser Behörde, und zwar als geistliches Mitglied, angehört hat. Schon
im Dezember 1862 nämlich war B. als Pfarrer in den Dienst der evangelischen
Gemeinde in Lechnitz getreten. Als solcher, wie später (seit i^^ts) als Pfarrer
von Bistritz, hat er sicli mit '«einen besten Kräften bemüht, das religiöse Leben
in den seiner 'M-elsorgerischen Lcitunt; anvertrauten Gemeinden zu hegen und
zu prtegen, niciit allein nur aus dem lirunde, weil er dies zu tun für seine
Pflicht hielt, sondern auch deswegen, weil er die Überzeugung hatte, dafl dem
* Verfalle des Volkslebens meistens der Verfall des religiösen Lebens voraus-
geht, daß mit dem Abgang, mit dem Entschwinden der religiösen Über-
zeugung das Leben selbst ärmer, kälter und idealloser wird.
Geradezu /.um lebendigen Mittelpunkte des kirc hlichen Lebens im Nösner-
gau wurde B., als ihm im Jahre 1882 das üechanat des Bistritzer Kirclien-
bezirkes übertragen wurde. Vierzehn Jahre hindurch hat er dieses ehrenvolle
Amt bekleidet und es erst dann niedergelegt, als er es fQr geboten hielt, sich
wenigstens teilweise zu entlasten. Denn groß war die Last, die auf ÜJS
Schultern lag. Jahrzehnte hintlurch ist er nämlich auch der ]>olitische Führer
seiner engeren V(^lksgenossen gewesen. Schon 1.S63 war er vom Bistritzer
Landwahlkreis als Abgeordneter in den Hermannstädter Landtag entsendet
worden, wo er sich als schlagfertiger Redner bewährte; 1870 wurde er von
demselben Wahlkreis in die sächsische Universität gewählt. Er hat bis zu
seinem Tode dieser Körperschaft als eines seiner bewährtesten Mitglieder
angehört.
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Biidaker. Neumuin.
203
Doch auch damit war die Tatkraft H keineswegs erschöpft. So ist er
u. a. allen volkswirtschaftlichen Unternehmungen des sächsischen Volkes von
jdier nahe gestanden. Noch als Stadtpfaner von Bistrits übernahm er die
Mission durch eine gewerbliche Studienreise in die Bukowina und Moldau
rur Hebung des Gewerbes und des Handels seiner Vaterstadt beizutragen.
In seinem Berichte über diese Studienreise (Hermannstadt, in Kominissi<iii hei
Iranz Michaelis 1882) zeigt er sich als scharfer Beobachter und tüc htiger
Kenner der Siebenbürger Verhältnisse. Literarisch ist B. ausser hier und der
gelegentlichen Mitarbeit an der Tagespresse weniger hervorgetreten. Die be-
deutendste Leistung B.s auf schriftstellerischem Gebiete ist die im Bistritzer
Gymna-sialprogramm im Jahre 1855 veröffentlichte historische Arbeit: Die
Krbgrafschaft von Bistritz, die auch lieute noch lesenswert ist. Fan gütiges
Geschick hat es B. vergönnt bis zum letzten Tage seines Lebens für sein
Volk zu wirken. Noch am Vortage seines Hinscheidens nämlich hatte er als
Schulinspektor an den öffentlichen Prüfungen des evangelischen Gymnasiums
in Bistrita mit gewohnter Ausdauer teilgenommen. Am Morgen des zweiten
Prüfungstages traf ihn ein Schlagfluss, der schon abends seinen Tod zur
Folge hatte.
Vpl. ri. Fr. Tcutsch, Denkrede auf Gottlieb Biidaker und Heinrich W ilt>tock. ».Archiv
<iei Vereuis für SiebeubUrgische Laudcskundcc. N. I". XWII. Bd., 207 ff. — Dr. Fr. Schüller,
sSdirifbtellerleakon d«r Siebenbttiger Deutschcnc. IV. Bd. Hermannstadt, Drack und Ver^
hg von W.Knfik, 190a. F. Schuller.
Neumann, Friedrich Emil. Akadernieprofcssor und Landschaftsmaler,
* 7. Juli 1842 zu Pojcrstiten (Kr. Fischhausen), f 4. Januar iqoj^ zu Cassel. —
Einem kleinen Diirfchen des ostpreußischen Sandandes entstammend, kam N.
früh nach Königsberg, wo er das Seminar und die Malerakademie besuchte.
Er bestand das Examen als Elementar- und Zeichenlehrer, sowie das all-
gemeine Organistenexamen, worauf er 1865 eine Klemcntarlehrerstelle am
Friedrichs-Kollegium zu Königsberg erhielt. Während dieser Zeit konnte er
seine Studien an der dortigen Kunstakademie weiter fortsetzen, bis er 1S67
als Zeichenlehrer an die höhere Bürgerschule zu Wriezen a. C). berufen wurde.
Im Herbst 1870 vertauschte er diese Stelle mit einer gleichen an der höheren
BQrgerschnle zu Cassel. Sein hervorragendes zeichnerisches Talent veranlafite
ihn nach neun Jahren seine bisherige Laufbahn au&sugeben und sich aus-
schließlich der Kunst zu widmen. Er studierte weiter an der Casseler Kunst-
akademie, bis er im Jahre 1884 als Lehrer der Landschaftsklasse desselben
Instituts angestellt wurde. In tlieser Stellung hat er über zwanzig Jahre bis
zu seinem Tode gewirkt. 1890 erhielt er den Professortitel. — N. war ein
wfterordentlich fleifiiger Maler und Lehrer, der einen gjoüen SchQlerkreis
um sich versammelte. Auf großen Studienreisen nach Norwegen, Schottland
und Korsika, die er teilweise in Gesellschaft des kunstsinnigen Kasseler In-
tenflanten Barons v. tlilsa unternahm, sammelte er das Material für seine
Landschaften, die von dein kunstliebenden l'ublikuni mehr und mehr geschätzt
wurden. Besonders seine Marinestücke, von denen eins von der Cas.seler
Galerie erworben wurde, sowie seine Hochgebirgslandschaften fanden vielen Bei-
fall. Aber auch seine liebevoll und fein ausgeführten Darstellungen aus der land-
schaftlich so reizvollen Umgegend Cassels, seine kleinen pittoresken hessischen
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204
Neumann. Zottmayr. MöhL
I)()rfl)il(lcr verdienen wegen der glücklichen Wahl der Motive, der trefflichen
Ausführung und geschickten Farbcngebung das Lob derer, die nicht allein
auf die moderne Malweise sesessionistischer Landschaftler eingeschworen sind.
N. war eine Hebenswürdige Persönlichkeit, die sich auch aufieilialb seines
groflen Schülerkreises allgemeiner Beliebtheit erfreute. In den letzten Jahren
seines Lebens fing er, der als leidenschaftlicher Naturfreund und Jagdlieb-
haber sich bisher der besten Ge>undheit erfreut hatte, an zu kränkeln und
starb nach langem schweren Leiden an einem (iehirnschlag.
Vg;l. »Das geistige Deutschland am Ende des 19. Jahrirandeits« I, 4S4. — C Acker-
mann, Statist. Rllcksdtau auf 100 Semester der Realschule zu Cassel (1893) 22. — Cassel.
Tageblatt und Anzeiger vom 5. Januar 1903. — Familiennachiichten. Ph. Losch.
SSottmayr, Nina, geb. Hartmann, Opemsängerin, * 30. August 1S36 zu
Aachen, f 24. Februar 1903 zu Kassel (die Angabe in Eisenbergs Bühnen-
I^exikon t 4. Okt. 1890 ist irrig). — N. Z. war die Tochter des Musikdirektors
Franz H irtinann, der später als Konzertmeister in Cöln wirkte. Am dortigen
Konservatorium empfing sie ihren ersten Musikunterricht und war speziell
die Schülerin des Kammersängers Ernst Koch. Sie begann ihre Bühnenlauf-
bahn in Graz, wohin sie nach einem kurzen Engagement in Frankfurt später
noch einmal zorOckkehrte. Am 30. Juni 1861 wurde sie in München die Gattin
des Tenoristen Max Zottmayr, der seitdem Jahre 1868 als ungemein beliebter
Hehlentenor am (^isseK r Hoftheater tätig war. Ein Jahr später folgte sie ihrem
(Jatten an dieseU)e lUihne, auf der sie am 6. Juni 1869 als Fides ' im Propheten
zum ersten Male auftrat. Dem Casseler Hoftheater gehörte sie dann von 1869
bis 1882 ununterbrochen an als eins der hervorragendsten Mitglieder des
dortigen Opemensembles. Die Z. war eine mit bedeutenden Stimmitteln
begabte und künstlerisch trefflich ausgebildete Altistin, die in ihre Rollen
stets einen großen Zug zu legen wußte. Ihre Hauptrollen waren die ^ Selica
in der Afrikanerin, ■ Anineris in Aida, Orpheus , Ortrud«- u. a. Als eine
ihrer Glanzleistungen galt die Fides« im Proj)heten, wobei ihr das treffliche
Zusammenspiel mit ihrem Gatten, der den »Johann von Leyden« sang, zu
statten kam. In voller Rüstigkeit verlieft die Sftngerin im Jahre 1882 die
Hühne, um sich von da an dem Gesangsunterricht zu widmen, in dem sie
gleichfalls treffliche Erfolge aufzuweisen hatte. Zu ihren Schülerinnen zählt
u.a. die bekannte Altistin Luise (ieller - Wolter, aurli der namentlich in
.Amerika so gefeierte Tenorist Andreas Dippel ist aus ihrer Schule hervor-
gegangen.
Familiennadmchten. — »Casseler Tageblattc vom 25. Febmar 1903.
Möhl, Heinrich, Meteorologe und Geologe, * 31. Dezember 1832 zu
Rauschenberg, f 14. Oktober 1903 zu Cassel. — Von seinem Geburtsort, dem
kleinen Städtchen Rauschenberg in Oberhessen, wo sein Vater Ludwig M. als
Lehrer und Kantor wirkte, kam M. schon in .seiner Jugend nach Cassel auf die
polytechnische Schule, die wegen ihrer vortrefflichen Lehrkräfte einen weiten
wohlverdienten Ruf besaß. Von 1851 — 53 besuchte er sodann die Universität
Marburg, um Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren. Nachdem er
sein Staatsexamen bestanden hatte, war er eine kurze Zeit als Hilfsgeologe
an der kurhessischen geologischen Landesanstalt und dann 1854 als Prakti«
Ph. Losch.
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MöhL von Petersdorff.
205
iuint an der C.asseler Polytechnischen Schule tätig, bis er im folgenden Jahre
von der Regierung an die neubegründete Realschule zu Hofgeismar versetzt
vmde. WShrend seiner dortigen Tätigkeit als erster Lehrer der Anstalt erteilte
M. zugleich Unterricht an den Handwerksschulen zu Hofgeismar und Greben-
stein, sowie an der Landwirtschaftsschule zu Beberbeck, wo er neben der
Mathematik auch Vermessungskunde, XivelHeren und Ronitieren lehrte. 1S61
siedelte M. wieder nach Cassel über und wurtle im folgenden Jahre zum
beauftragten Lehrer der dortigen Realschule ernannt. Auf Vorschlag der
philosophischen Fakultflt der Universität Marburg, die ihn 1863 zum Dr, phil.
promoviert hatte, wurde er im Sommer 1865 an die Polytechnische Schule
zu Cassel versetzt, deren Lehrkörper er bis zu ihrer Aufhebung im Jahre 1888
angehörte. Seine Lehrfächer waren besonders Technologie, Geognosie und
Mathematik. — M. war schop früh schriftstellerisch tätig. In seiner Hofgeis-
marer 2^it hatte er ein Lehrbuch der Arithmetik verfaßt. Dann wandte er
sich besonders der geognostischen Erforschung seines Heimatlandes zu, der er
mehrere Monographien und zahlreiche kleinere Aufsätze gewidmet hat. Wir
nennen nur »Urgeschichte des kurhessischen Landes« (1863), »Kurhessens
Boden und Bewohner« (1865), Gesteine der Sababurg in Hessen < (1872). und
Knt^tehung und Formung der Casseler (iegencU (187S). Aucli über die
'Basalte und Phonölythe Sachsens« veröffentlichte er 1874 eine umfangreiche
Arbeit Auf Anregung H. W. Doves beschfiftigte sich M. auch mit meteoro-
logischen Untersuchungen. Er errichtete mehrere meteorologische Stationen
m Kurhessen und berichtete seit 1863 regelmäßig in der Landwirtschaftlichen
Zeitung bezw. in den Jahresberichten des Vereins für Naturkunde /.u Cassel
über die kurhessischen Witterungsverhältnisse. Als Leiter der von ihm be-
gründeten Casseler Beobachtungsstation, der er bis zu seinem Tode vorstand,
war M. in Grassel eine populäre Persönlichkeit Er war längere Zeit Vor-
sitzender des Vereins fQr Naturkunde und des Gartenbauvereins und seine
zahlreichen für ein größeres Publikum bestimmten wissenschaftlichen Vorträge,
die er in diesen und antieren \'ereinen hielt, erfreuten sich großer Beliebtheit.
M.s Schriften sind, abgesehen von den obenangcfiiiirtcn, zum grolien Teil in
Zeitschriften zerstreut. Von seinen sonstigen Werken sei noch die »Wandkarte
von Hessen« in neun Blättern (1867), ein »Topogr.-geognost Plan von Cassel«
(1878), sowie der »lUustr. Führer durch Wilhelmshöhe« (1883) erwähnt. Dafi
der vielseitige Geldute auch ein gewandter Landschaftszeij^mer war, beweisen
mehrere Ansichten von Hcberbeck und Hofgeismar, die -er in seinen Jugend-
jähren in Lithographie ver()ftentlichte.
Vgl. Ackermann, Statist. kUckschau aul 100 Semester der kealscliulc /u Cassel (1893)
S. 21. — Poggendoiff, Biocr.-lit Ha^wOiteibuch 3, 933. — Vortrag von Hessler im Verein
Ar Erdkunde n Cassd. »Oissel. Tagebl.« r. 34. Dezember 1903. — »Hesscnland« 17, 305.
Ph. Losch.
Petersdorff, Ernst von, Generalleutnant, * 22. August iS.ji zu Kriedeberg
in der Neumark, f 25. Februar 1903 in Berlin. — 1860 trat T. als Sekonde-
lentnant ans dem Kadettenkorps in das i. Garderegiment zu Fufi Qber und
nahm nach einem dreijährigen Kommando an der Unterofiizierschule Potsdam
von 1863 — 1866, in letzterem Jahre an dem Kriege gegen Osterreich teil.
In der Schlacht bei Königgrätz schwer verwundet, rückte P. 1866 zum Premier-»
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206
von Petersdorff. Hasse.
leutnant auf, besuchte von 1867 bis Juli 1870 die Kriegsakademie und ver-
blieb bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges zunächst beim Ersatz-
bataillon seines Regiments. Im August zum Adjutanten beim Gouvernement
der Festung Mainz und zum Hauptmann in diesem Verhältnis befördert, trat
er 187 1 zum Regiment zurück und hatte al^ ( lief der 6. Kompagnie die
ehrenvolle Aufgabe, unseres jetzigen regierenden Kaisers Majestät in allen
Zweigen des Dienstes zu unterweisen. 1878 zum Kommandeur der Unter-
offizierschule Potsdam berufen, stieg P. in dieser Stellung am 18. Oktober 1879
zum Major auf, trat 1882 als Bataillonskommandeur zum Regiment zurück, wurde
1884 Flügeladjutant Kaiser Wilhelms des (iroßen und 1885 zum Oberstleut-
nant befördert. Als solcher erhielt er iS<S8 das Kommando der Schloßgarde-
Kompagnie, wurde in demselben Jahre Mitglied der (]eneral-( )r(lenskoinmission,
trat nach dem Abieben Kaiser Wilhelms 1. als Flügeladjutant zu Kai.ser Fried-
rich III. über und erhielt 1888 ein Kommando zur Diensdeistung beim
2. Garderegiment zu Fufi, dessen Führung er nach einigen Wochen Übernahm,
bis er am 9. Juli von dem Kommando zur General-Ordenskommission ent-
hoben, am 4. .August zum Oberst und Kommandeur jenes Truppenteils avan-
cierte. Weiterhin wurde P. in der Rangliste als Flügeladjutant weiland
Kaiser Wilhelms I. weitergeführt und 1890 mit der Führung der 9. Infanterie-
brigade betraut, an deren Spitze er, zum Generalmajor aufgerückt, endgültig
am 15. Dezember gestellt wurde. 1894 erhielt P. unter Beförderung zum
Generalleutnant die z. Division, deren Kommando er 1895 mit demjenigen
der 17. Division vertauschte, bis er 1897 den erbetenen Abschied erhielt.
Nach den Akten. Lorenzen.
«
Hasse, Wilhelm, Oberst, * 12. MIrz 1850 zu Minden In Westfalen,
f $. Februar 1903 zu Berlin. — Von seinem Dienstantritt im Jahre 1847 bis
zum 22. Juni 1878 stand H. fast ununterbrochen im jetzigen i. westfälischen
Feldartillerieregiment Nr. 7. Im P'eldzuge von 1870 71 in Frankreich zeich-
nete er sich in der Schlacht bei (Iravelotte ganz besonders aus und hat sich
und seiner Batterie einen unvergänglichen Namen in der Geschichte der
deutschen Artillerie erworben. Mit seiner Batterie in eine Stellung, die Front
gegen die Ferme Moscou, voigezogen, prasselte hier ein unaufliörliches Ge-
wehr- und MitraiUeusenfeuer aus den von den Franzosen besetzten Schützen-
gräben von Point du jour in die rechte Flanke der Batterie. .Mle Offiziere
verloren die Pferde unter dem Leibe; mit jedem .\ugenblick stürzten Mann-
schaften und Pferde zusammen. Zwei seiner Offiziere waren sogleich schwer
verwundet; er selbst erhielt am rechten Unterarm einen Streifschuß, wodurch er
gezwungen wurde, einen Augenblick das I^ommando an den noch unver-
wundeten Sekondeleutnant Hoeckner abzugeben. Doch gelang es der Batterie,
das Feuer zu eröffnen, und offenbar war die Wirkung sehr gut. Mehrfach
wurden die Versuche französischer Batterien, bei Moscou-Ferme Stellung zu
nehmen, vereitelt. Der erste Zug der Batterie beschoß auf Befehl H.s die
Schützengräben von Moscou auf 900 Schritt, der zweite und dritte Zug rich-
teten ihr Feuer auf Moscou und Umgebung auf ixoo Schritt. Hinter dem
Gehöfte standen didite feindliche Kolonnen. Die Verluste der Batterie
wuchsen von Minute zu Minute. Nach Ablauf von i'/z Stunden lag ein
grofier Teil der Mannschaft teils tot, teils verwundet am Boden; die gefechts-
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I
I
Hasse. Ton Heuser.
207
fähigen Leute reichten nur noch zur Bedienung eines (icschützes aus. Audi
die Munition ging zu Ende; Ersatz war nicht zur Hand, da die Munitiuns-
wagen durch die auf der Strafte eingetretene Truppenansammlung aufgebalten
waren.
In der Artillerielinie bei Gravelotte blieb die verzweifelte Lage der
K.itterie nicht unbemerkt. Der Kommandeur der Artillerie der I. Armee,
(ienerulleutnant Schwarz, sandte ihr mehrmals Befehl, die gefahrvolle Stellung
zu räumen. Allein schon war Hauptmann H. nicht mehr in der Lage, Be-
vegungen vornehmen zu können, da 73 Pferde (einschl. 4 Offizierspferde) durch
feindliche Geschosse getötet waren. Durchdrungen von der Wichtigkeit
seiner Stellung für die Festhaltung des mühsam erkämpften Bodens auf dem
Ostrande des Mancetales erklärte zudem H., lieber sterben als zurückgehen
2i\ wollen. Das Feuer wurde fortgesetzt, bis die ganze Munition verschossen
war. Da brachte der Abteilungskonimandeur (Major Coester) persönlich die
zur Bespannung nötigen Zugpferde heran und erteilte nochmals der Batterie
den Befehl zum Zurückgehen. Während die Bespannung ergänzt wurde,
überschüttete der Feind die nun gänzlich wehrlose Truppe von neuem mit
einem Kugelregen, in welchem vielfach die erst frisch eingestellten Pferde
fielen. Endlich gelang es, die Geschütze bewegungsfähig zu machen. Im
Schritt verließ die hcldennuitige Batterie den ruliinvoll behaupteten Posten.
Die von Kugeln durchlöcherten Protzen waren mit Schwerverwundeten be-
laden; Fahrer und Reiter waren abgesessen. Von dem Mianenfaaer derFran-
tosen verfolgt, ging die Batterie auf der Chaussee nach Gravelotte zurück.
Mit schrecklich gelichteten Reihen, aber in uni^ehrochener moralischer Kraft
erreichte die Batterie Gravelottc. Lauter Jul)el enipting sie dort; bewegt
küßte General Schwarz Hauptmann H. vor der l'ront. Der Kik kzui; der
Batterie H. war im waiuen Sinne des Wortes zu einem Triuniplizug ge-
worden.
Hauptmann H. rückte nach dem Feldzuge zum Major auf und wurde
Abteilungskommandeur im Regiment. 1878 schied er aus dieser Stellung
aus unfl übernahm das Kommando des 8. Trainbataillons; 1882 trat er, in-
zwischen /.um Oberstleutnant befördert, aus dem aktiven Dienst aus. Das
Eiserne Kreuz 2. und 1. Klasse schmückten seine Brust.
Nadi den Akten und der Regimcntsgcfdiiichte. Lorenzen.
Heuser, Alexander von, Pascha, Königlich Preußischer Major a. D. und
Kaiserlich Ottomanisclier Divisionsgeneral, * 12. August 1839 zu Schwedt a. C).,
t II. November 1903 zu Konstantinopel. — H. kam 1857 als charakterisierter
Portepeefähnrich aus dem Kadettenkorps zum 6. Kürassier- Regiment Kaiser
Nikolaus I. von Rußland, wurde 1858 Sekondeleutnant und 1862 zum damaligen
Militär-Reitinstitut in Schwedt a. ü. kommandiert. 1864 im Feldzuge gegen
Dänemark in Schleswig erhielt H. für die von ihm vor dem Feinde bewie-
sene Tapferkeit den roten Adlerorden Klasse mit S( hwcrtern, zeichnete sich
im Kriege gegen Österreich in der Schlacht bei Koniggriitz aus, wurde dem-
nächst mm Fremierleutnant befördert und auf zwei Jahre zur Militär-Reit-
schule in Hannover kommandiert. Den Feldzug von 1870/71 in Frankreich
machte H. als Rittmeister und Chef der 4. Eskadron seines Regiments mit,
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von Heuser. Goldschmidt. von Lindhuner. Moott.
^tieg 1879, unter Beibehaltung der Kskatiron, zum Major auf und nahm 1880
den Abschied, um in türkische Dienste zu treten. Hier erklomm er rasch
die Stufenleiter der militärischen Hierarchie bis zum Divisionsgeneral und
erlag nach reger Tätigkeit einem langwierigen Leiden.
Nach >MiUtite<>Zeitnng€. Lorenzen.
Goldschmidl^ Alber^ Königlich Preufiischer Musik-Direktor und Leutnant
a. D., • 16. September 1823, fn. November 1903 zu Liegnitz. — Bei einer
Gesamtdienstzeit von über 55 Jahren, gehörte G. 49 Jahre, und zwar von
1849 — 1896 dem (Jrenadier-Reginieiit König Wilhehn I. (2. Westpreuüisches)
Nr. 7 an, mit welchem Truppenteil er flie beldzüge von 1866 gegen Osterreich
und 1870/71 gegen Frankreich in allen Ehren mitmachte. Seine Dienstzeit
hatte G. 1843 beim Musikkorps des 3t. Inlanterie>Regiments begonnen und
war 1848 in dasjenige des 26. Infanterie-Regiments Übergetreten; 1849 kam
er in das damalige 7. Infanterie-Regiment.
Nach »Miütär-Zeitung«. Lorenzen.
Lindhamer, Karl Ritter von, Königlich Bayerischer Generalleutnant z. D.,
♦ 19. August 1S28 zu München, f 21. Januar 1903 elienda. — 1848 zum Infanterie-
leutnant belörtiert, diente er lange Jahre im 2. Regiment, wo er 185Q zum
Ubcrleutnant und 1866 zum Hauptmann aufstieg. Als solcher nahm er
an dem unglücklichen Kriege gegen Preuflen teil und wurde nach dem
Friedensschlufi in den General-Quartiermeisterstab berufen. Im Kriege von
1870/71 gegen Frankreich fand er Verwendung im Generalstabe des 2. bayerischen
AnnecVorps, in welcher Tätigkeit er sich (la'> Kivcrne Kreuz 2. Klasse unrl
andere I )ek(iratinnep. erwarb. Au<'h nach der Rückkehr in die Heimat blieb
L. im Generalstabe, wo er 1872 zum Major aufrückte, erhielt dann die Führung
eines Bataillons des Infanterie-Leibregiments, avancierte zum Oberstleutnant
und wurde bald darauf Chef des Generalstabes des 2. Armeekorps. 1878 er-
hielt L. das Patent als Oberst, wurde 1881 Kommandeur des 18. Infanterie-
Regiments und 1SS5 als Generalmajor an die Spitz der 5. Infanterie-Brigade
gestellt. 1889 für seine Pe rson geadelt, trat L. im gleichen Jahre als General-
leutncint in den Ruhestand.
Nach den Akten. Lorenzen.
Mootz, Johann Georg, Großherzoglich Hessischer Generalleutnant </ Ai suiu^
*i8o7, 715. Oktober 1903 zu Darmstadt. — M. gehörte von 1841 — 1845 der
ehemaligen Groflherzoglich Hessischen Pionierkompagnie, zurzeit 9. Kom*
pagnie des Infanterie-Leibregiments Grofiherzogin f v Großherzogtich Hessisches)
Nr. 118 als Oberleutnant und vom 20. März 1S47 bis zu seiner 1851 er-
folgten Zurück\ erscl/ung in den Genera!-(^)uartiermeisterstab als Hauptmann
an. Bei Auflösung der GroUherzoglich Hessischen Armee trat M. nicht mit
in den Verband der Preuflischen Armee über, avancierte aber ä la suüe weiter
bis zum Generalleutnant. Die Beförderung in diesen Dienstgrad erhielt M.
1806 fast 90 Jahre alt.
Mach »Militär-Zeitung«. Loren zen.
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Reidummn. von Holstein.
209
Reichmann, Theodor. ( )])t'rn^än(:er (Bariton), * iS. März 1840 zu Rostock
(Mecklenburg), t 22. Mai iQn.^, Marbach am Rodonscc. l rsprün^lich zum
Handclhbtantie bebtimint, wendete sich R., einer leiclenscluiltlichen Neigung
zur Musik folgend, dem Gesänge su. Er studierte bei Prof. Johann Refi,
diesem bei mehrmaligen Übersiedelungen von Sudt zu Stadt folgend. Später
bildete er sich noch — wenn auch kurze Zeit — bei Mantius und Lamperti (1873),
In Magtieburg (Sept. 1869), Rotterdam (1870 — 71), Köhl (1871 — 72) und Straß-
hurg (1872 — 74) reift er zum liühnensänger heran, ckirch sein mächtiges,
überaus wohllautendes Organ, seine vornehme, echte und innige \ ortragsart
und sein wohldurchdachtes Spiel immer weitere Kreise von Verehrern seiner
Ronst gewinnend. Nach kurzem Engagement in Hamburg folgte er 1875 einem
Rufe an das Hoftheater in München, wo er unter Führung Levis bald zu
einem Sänger und Darsteller ersten Ranges sicli entwickelte. Richard \V:ium i
wurde auf ihn aufmerksam und zog ihn zu tlen Festspielen na* h Hayreuth
heran, wo er namentlich als erster Interpret des Amtortas L nvergeüliches
bot (1882). — Von München aus an das Hofopemtheater nach Wien berufen,
trat er am i. Juni 1883 in dieses Institut ein; in kürzester Zeit zfthlte er zu
den ausgesprochensten Lieblingen des Publikums. Daher wurde sein, durch
eine Kidlision mit den Theatergesetzen unvermeidlich gewordener Abgang
von Wien (8. April 1889) allgemein s< hwer Ijedauert. Am schwersten :tl)er
wohl von R. selbst, der mit der ganzen Wärme seines Herzens an W ien, den
Wienern, an seinem Wiener Wirkungskreis hing. Glänzend verlaufende Gast-
spielreisen nach England, Amerika und Rußland brachten ihm Pahren in Fülle,
machten ihn zum reichen Mann; immer wieder aber tauchte er in Wien auf,
in seinen Konzerten — d;i-s Theater war ihm versc blossen — von dem ihn
leidenschaftlich verehrenden Publikum bejul)elt. Kndlich kam zwischen ihm
und dem lange genug grollenden Direktor W. Jahn eine Versöhnung /.ustande.
Am t. September 1893 trat R. wieder in den Verband der Hofoper und wurde
zum k. k. Kammersänger ernannt. Zehn Jahre wirkte er nun mit ungeschwächter
Kraft. Nach kurzem Kränkeln starb er gelegentlich eines Erholungsaufent-
h.ilies in Marbach am Bodensec. Am 1. Oktober 1904 wurde auf seinem Grab
im Jerusalemcr Friedhofe in Berlin ein von W. Sipperling entworfenes und
ausgeführtes Denkmal enthüllt, K. war in Rollen, die Pathos, breiten Vor-
trag, tiefe Innerlichkeit verlangten, von keinem der zeitgenössischen Sänger
Obertroffen, kaum erreicht Vampyr, Heiling, fliegender Holländer waren
>eine Glanzpartien. Man glaubte ihm, wie keinem anderen, das Dämonische.
Nach langer Arbeit hatte er sich aber auch in den Hans Sac hs R. Wagners
eingelebt und gab clamit eine wahrhaft rührende (iestalt. .Mies (Ira/iöse,
leichthin Liebenswürdige lag ihm ferne. Kbenso versagte im Konzert seine
weniger auf das Musikalische als auf das Theatralische gestellte Kunst. — R.
var ein offener, ehrlicher Charakter, der in dem seltsamen Kampfe von Inter-
essen und Instinkten, wie ihn das Theater mehr als irgend ein anderer Beruf
mit sich bringt, stets unberührt, unbefleckt Idiel).
Nach Riemaniift Musiklexikon, Mitteilungen der Herren Graf u. W oberer tnul eigenen
Notizen. R. Heubergcr.
Holstein, August von, Generalleutnant z. D., ^31. Mai 1847 zu Wismar,
1 19. August 1903 zu Schwerin in Mecklenburg. — Nach dem Austritt aus
Bi^gr. Jahrtedi u. Dtuttebtr Nekrolog. 8. Bd. Ij.
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210
von Hobtein. von Sdillnaii^Weltr,
dem Schweriner Kadettenkorps kam H. 1864 als l'nteroffizier in das Mecklen-
burgische 2. Infanterie-Regiment, stieg tlort noch im gleichen Jahre zum
Portepeelähnrich auf und wurde 1865 als Sekondeleutnant zum Grenadier-
Garde-Bataillon desMecklenburgischeni.Infanterie->Regiinents versetzt. 1867 trat
er zum Grofiherzogüch Mecklenburgischen Grenadier-Regiment Nr. 89 über und
wurde mit diesem im Oktober 1869 in den Verband der preußischen Armee
aufgenommen. Zum Regimentsadjutanten ernannt, war Ii. im Feldzuge von
1870/71 in Krankreich tätig, nahm an den Helagcrungen von Metz und Toul,
an der Einschließung von Paris, am Gefecht bei Dreux sowie am Loire-
Feldzuge teil und rückte nach dem Frieden 1872 zum Premierleutnant auf.
1874 ehielt er zunftchst ein Kommando als Adjutant zur 10. In&nterie-Brigade
und ein solches zum Großen Generalstabe, bis er 1878, unter Beförderung
zum Hauptmann und Bclassung beim Großen Gencralstabe, in den (lencral
Stab der .\rmcc versct/t wurde. 1879 kam H. zum ( Jeneralstabe des I. Armee-
korps, 1882 zu demjenigen der 17. Division, wurde 1884 Kompagniechef im
Infanterie-Regiment Nr. 85, 1885 wiederum in den Großen Generalstab und
einige Wochen darauf zum Generalstabe des VIII. Armeekorps versetzt. Nach
seiner Beförderung zum Major, die 1885 erfolgte, erhielt H. 1890 ein Bataillon
des Königin Augusta ('laide-drenadior-Regiments Nr. 4, rückte i8()i zum Oberst-
leutnant auf, wurde im Juni (k'^sclben Jahres Chef des Cleneralstabes des
VIII. Armeekorps und trat 1893 an die Spitze des Infanterie-Regiments Nr. 137.
In dieser Stellung wurde H. 1894 Oberst, 1897 Generalmajor und Komman-
deur der 24. Infanterie-Brigade und 1899 zur Disposition gestellt. 190z wurde
ihm der Charakter als Generalleutnant verliehen.'
Nach den Akten. Lorenzen.
Schönau-Wehr» Max Fthr» von, Generalleutnant und Kommandant von
Karlsruhe, * 16. April 1847 zu Karlsruhe in Baden, f zi. März 1903 ebenda.- -
Nach Besuch des badischen Kadettenkorps trat S. 1866 in das damalige
badische Keldartillerie-Regiment über, avancierte am :;o. Juni 1866 zum Offizier
uiui nahm an dem Kriege jenes Jahres gegen l'reuüen teil. Nach dem Keld-
zuge von 1870 71, in dem er sich das Eiserne Kreuz 2. Klasse sowie eine
badische Kriegsdekoration erworben hatte, wurde S. im Juli 1871 als Sekonde-
leutnant in den Verband der preuflischen Armee aufgenommen und als
solcher der 14. Artillerie-Brigade zugewiesen. Dort rückte S. zum Premier-
leutnant auf und k.iin bei <Kr Trennung der Keld- und Fußartillerie 1H72 in
das badis( he 1* cN iaiti ücric- Regiment N r 1 wurde 1873 Adjutant der 7. Keld-
artillerie-Brigade umi am 15. Juli, unter Knibindung von diesem Kommando,
in das i.Garde-Feldartillerie-R^iment versetzt Weiterhin 1877 zum Haupt-
mann aufgestiegen, wurde S. 1888, unter Beförderung zum Major, Flügeladjutant
des Groüherzogs von Baden, avancierte 1893 zum (Oberstleutnant, eriiielt
dar.uif den Rang eines Regimentskommandeurs und 1806 das Patent als
Oberst. Nac hdem S. iS«)«) zum ( ieneralmajor unti unter Knthebung von der
Stellung als Mugeladjutanl zum Kommandanten von Karlsruhe ernannt worden
war, wurde ihm 1903 der Charakter als Generalleutnant verliehen.
Nach den Akten.
Lorenzen.
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▼OD HaitUeb. ▼cm Hodenbeig.
211
Hartlieb gen. Wallsporn, Maximilian von, Königlich Bayerischer General-
major z- D., * 9. Januar 1840 zu Zusmarshausen in Hävern, f am 18. März 1903
in München. — H. wurde 1S59 zum Unterleutnant im i. Artillerie-Regiment
cnumnt und 1866 zum Oberleutnant befördert. Nach dem Kriege mit Preuflen
kam er 1868 in das 3. Artillerie-Regiment, wo er zuerst als Bataillonsadjutant
und seit 1870 als Regimentsadjutant tätig war, in welcher Stellung er im
Feklzuge gegen Frankreich zunächst beim immobilen Regimentsstabe zurück-
biieb, bis er unter Versetzung zum i. Artillerie-Reginient zum Hauptmann
aufgerückt, 187 1 mit einer neuerrichteten Parkbatterie zum Belagerungskorps
vor Beifort geschickt wurde. Im April kam er mit seiner Batterie nach
München zurück, war bis 187 1 Mitglied der E^senbahn-Linien-Kommission
in Karlsruhe in Baden und 1872 Nfitglied der Artillcrie-Beratungs-Kom-
mission in München, wurde bald darauf zur Preußischen Artillerie-Prüfungs-
Kommission in Berlin berufen und </ /a su//<' des i. l-eldartilierie-RegiiiieiUs
gestellt. Von dieser Stellung enthoben, trat H. 1877 als Batteriechef zu letz-
terem Regiment zurück, avancierte 1880 zum Major, am 23. November zum
etatsmdfligeh Stabsoffizier und bald darauf zum Abteilungskommandeur bis
ihm 1886 die Leitung der Artillerie- und Ingenieurschule als Direktor über-
tragen wurde. Als solcher rückte H. 1886 zum Oberstleutnant und 1888 zum
Oberst auf, wurde i88g mit Wahrnehmung der ( lest hafte des Direktors der
Rriegsakademie beauftragt, erhielt 1893 diis Patent als Generalmajor und trat
189s in den erbetenen Ruhestand. Die Artillerie wird ihn nicht vergessen.
Nach »MiHttr-Zeitmis«. Lorenzen.
Hodenberg. Gottlob Frhr. von, Königlich Sächsischer fleücral der In-
fanterie z. D., * II. Oktober 1838 zu Harburg im ehemaligen Königreich
Hannover, f am i. April 1903 zu Klein-Z.schocher bei Leipzig. — Bei seinem
Aasscheiden aus dem damaligen hannoverschen Kadettenkorps wurde H. 1856
der Artilleriebrigade als Portepeejunker überwiesen, rückte im darauffolgenden
November, unter Versetzung zum 3. Artil1> l ii ]>atailIon, zum Leutnant und 1859
zum Oberleutnant auf. 1861 als Generalstabsoffizier 2. Klasse zum General-
>tabe in Hannover kommandiert, fand er vielfach X'erwendung bei topo-
graphischen Aufnahmen, war in den Jahren 1863 und 1864 zur Dienstleistung
dem hannovorschenCambridge-Dragoneiregiment sowohl, als auch dem x. Jäger-
bataillon zugeteilt und wurde 1866 Generalstabsoffizier i. Klasse. Den Krieg
gegen Preußen 1866 machte er im Generalstabe des kommandierenden Gene-
rals der hannoverschen Armee mit und nahm in dieser Dienststellung an der
Schlacht bei Langensalza teil. Nach dem Frictlen trat H., <la die ehemalige
hannoversche Armee zu bestehen aufhörte, zur sächsischen Armee über, wo
er 1867 Anstellung fand und zum Hauptmann und Kompagniechef im 2. Gre-
nadier-Regiment Nr. 102 ernannt wurde, aber bereits 1868 zur taktischen
Abteilung des sächsischen Generalstabes kam. 1870 dem sächsischen
(rcneralkommando als Generalstabsoffizier überwiesen, machte er als solcher
den Keldzug von i87o'7i in Frankrei( h mit, wo er sich in den Schlachten
und Gefechten, die das sächsi>( he Armeekorps zu bestehen hatte, .so hervortat,
dafi ihm die 2. und i. Klasse des Eisernen Kreuzes verliehen wurde. 187 1
wurde H. in den preußischen Generalstab berufen, um an der von der kriegs-
gesdiichtlichen Abteilung übernommenen Abfassung des Generalstabswerkes
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von Hodenberg. von Bauer, von Marehtaler.
mitzuarbeiten, wobei man ihm insbesondere die Darstellung^ der Anteihiahme
der sächsischen Truppen an den KampJen bei St. l^rivat übertrug. Während
dieses Zeitraumes 1873 zum Major befördert, ging H. 1875 nach Dresden zurück,
wurde Generalstabsoffizier der i. Infanterie-Division und 1878 als solcher dem
Generalkommando zugewiesen. Kurz darauf zum Oberstleutnant befördert,
erhielt er 1879 das Kommando des i. Bataillons i. (Leib-)(jrena<licr-Re^,'imcnts
Nr. 100 und im Jahre 188:: das Patent als ( )herst. 1883 zum Kommandeur
des 2. Grenadier-Regiments Nr. loi ernannt, erhielt H, 1887 das Kommando
der 6. Infanterie-Brigade Nr. 64, wurde x888 zum Generalmajor und 1890 zum
General ä la suite des Königs Albert von Sachsen und im Januar 1892, unter
gleichzeitigem Aufrücken zum Generalleutnant, zum diensttuenden General-
adjutanten des Königs ernannt. 1893 trat er an die S[>itzc der 2. Division
Nr. 24, erhielt i8q6 das Patent als General der Infanterie und 1897 den nach-
gesuchten Abscliied.
Nach »Militär-Zeitung«. Lorenzen.
Bauefi Georg von» Generalmajor z. D., ♦ 12. August zu Kassel,
f I. Januar 1903 ebenda. - \a< h Absolvierung des ehemaligen kurhessischen
Kadettenkorps in seiner \ atersiadt, trat B. 1841 als l'ortepeefähnrich in (bis
kurhessische .Artillerie-Regiment über, erhielt am darautldlgenden 30. Juli das
Sekondeleutnantspatent und machte 1849 den Feldzug gegen Dänemark mit,
erhielt die Premierleutnantssteme und war 1850-^1852 zum Generalstabe,
zum Kadettenkorps und zum Oberbefehlshaber der hessischen Truppen
kommanfliert, worauf er 1854 zum Hauptmann aufrückte, 1855 Batterie-
chef und 1865 Major wurrlc. Am Keldzuge gegen Preußen nahm B. teil,
nach dessen für. sein engeres \'aterland uiigUn kliclien Ausgang er als Major
und Abteilungskonunandeur im Kestungs- Artillerieregiment Nr. 2 zur preu-
ßischen Armee übertrat. 1869 zum Oberstleutnant befördert und gleich-
zeitig in das Feldartillerie-Regiment Nr. 3 versetzt, kommandiertes. im deutsch-
französi seilen Kriege die 3. Abteilung dieses Truppenteils, mit dem er sich
in der S( hlac bt von Gravelotte, vor Metz und Paris, in der Schlacht bei
X'illiers sowie s])äter im Osten Frankreichs im Verbände tler Südarniee aus-
zeichnete. 187 1 erhielt er den Charakter als Oberst und 1872, unter Ver-
leihung des Patents als solcher, das Kommando des Feldartillerie-Regiments
Nr. 10, das er 1874 mit dem der 8. Feldartillerie-Brigade vertauschte. 1876
zum Generalmajor befördert, trat B. 1879 in den erbetenen Ruhestand und
wurde 1891 wegen der im Kriege wie im Frieden geleisteten Dienste geadelt.
Nach »Militär-Zeitung«. Lorenzen.
Marchtaler, Anton von. Königlich Wttrttembergischer Generalleutnant,
* 21. April 1821, f II. Juli 1903. — M. trat bei der reitenden Artillerie ein,
avancierte im Oktober 1839 ^"'^^ l'nterleutnant und führte im Feldzuge des
Jahres 1866 gegen Preußen, mittlerweile zum Hauptmann aufgeriickt. die
I. Batterie. Wegen der vor dem l-'einde im Gefecht bei Tauberbiscbofsheim
bewiesenen Bravour wurde ihm die württembergische goldene Militär-Verdienst-
medaille verliehen. 1867 zum Major und Kommandeur der i. Abteilung des
württembergischen Feldartillerieregiments befördert, zog er 1870 mit dieser
gegen Frankreich ins Feld und hatte das Glück, die kleine Festung Lichten-
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von lifordttaler. Saul.
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berg durch eine mehrstündige Beschießung? zur Übergabe zu zwingen. Für
sein tapferes Verhalten vor Paris, am 30. November und 2. J)ezember 1870
bei Villiers bezw. Champigny. erhielt er zu dem bereits verliehenen Kisemcn
Kreoz 2. Klasse auch noch das i. Klasse. Bei der Neuordnung der württem-
beigischen Wdirmacht im Jahre 1872 wurde M. Oberst und Kommandeur des
FeldartiUerier^ments Nr. 13 und bei der späteren Teilung des Truppenteils
in zwei Regimenter Kommandeur des l-eldartillerieregiments \r. 20. 1.S75
mit fU ni Range als Brigade-Kommandeur zum Stal)c tler preußischen 2. Fekl-
artillcricbrigade kommandiert, wurde M. im folgenden Jahre iin die Spitze
der württembergischen 1 3. Keldartilleriebrigade gestellt, inzwischen zum General-
major aufgestiegen, 1882 zum Generalleutnant befördert und 1883 auf sein
An s u c h e n verabschiedet.
Nach »SchwAbischer-Merkur«. Lorenzen.
Saul, Daniel JohaaneSf Journalist und Dichter, * 2. September 1854 zu Bal-
horn, 1 8. Oktober 1903 zu Jugenheim. — Im alten Pfarrhause zu Balhorn in Nieder-
hessen stand S.s Wiege. Sein Vater war der Pfarrer LudwigS., ein strenggläubiger
frommer Matm, der in der hessischen Geistlichkeit auch als Herausgeber des
vielgclesenen Sonntagsl)()ten aus Kurhessen eine nicht unbedeutende Rolle
spielte. Bis zum 15. Jahre genoß der Sohn den Unterricht des V aters, der
früher selbst Lehrer an der Casseler Kadettenanstalt gewesen war, dann kam
er auf das Gymnasium zu Hersfeld, wo er im Jahre 1875 sein Abiturimten-
examen bestand. Im Herbst desselben Jahres bezog er die Universität Leipzig,
um sieben Semester lang l'hilf)l()gie und PhiIos()j>hie zu studieren. Inzwischen
hatte sic-h in seinem elterlichen Hause zu l^alhorn mancherlei veriindert, was
nicht ohne Folge für die Zukunft des Sohnes sein sollte. Sein Vater, ein Freund
und Anhänger der Brüder Vilmar, hatte sich dem Protest eines groflen Teils
der hessischen Geistlichkeit gegen die unionistischen Mafiregeln des preufiischen
Kirchenregiments angeschlossen, und gehörte zu den 43 hessischen Pfarrern,
die dann infolge ihrer Renitenz« gegen das von ihnen nicht anerkannte neue
Konsistorium abgesetzt wurden. Der alte Pfarrer S. hatte zwar flie Freude und
Genugtuung, daß der überwiegendeTeil seinerGemeinde ihm treu blieb und trotz
aller Lockungen und Verfolgungen nicht zu dem »Staatspi^er« in die Kirche
ging, aber lange sollte er seine Absetzung, die er nie anerkannte, nicht über-
leben. Nach dem Tode seines Vaters, der am 28. Juli 1877 erfolgte, war
Daniel S. ganz auf sich selbst angewiesen. Zum Eintritt in den preußischen
Sclmldienst zeigte er wenig Neigung, auch wären die L'luuu en in dieser
Laufbahn für den Sohn des renitenten Pfarrers wohl nicht die günstigsten
gewesen. So entschlofi er sich denn, seine Universitätsstudten abzubrechen
und Journalist zu werden. Schon als Student hatte er Beziehungen zu der
»Frankfurter Zeitung« angeknüpft, die dazu führten, dafi er 1879 in deren
Redaktion eintrat. Da seine Existenz in dieser Stellung gesichert erschien,
konnte S. nunmehr auch daran denken, einen eigenen Hausstand zu gründen.
Im Jahre 1881 vennählte er sich mit F^lly Benn, die ihm eine sorgsame Gattin
and treue Mitarbeiterin wurde. Zwölf Jahre lang blieb S. in Frankfurt,
dann siedelte er im Sommer 189 1 als Korrespondent und Vertreter der
»Frankfurter Zeitung« für Württemberg nach Stuttgart über, von wo er aufier
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Said.
seinen regelmäöigen Berichten manches gediegene Feuilleton für sein Blatt
lieferte.
Nicht nur für die »Frankfurter Zeitung« »war S. journalistisch tätig. Er
beteiligte sich im Jahre x886 an der Gründung der der Pflege hessischen
Heimatsinnes gewidmeten Zeitschrift >> H essen I and«, die manchen Beitrag aus
seiner Feder erhielt. Als im Jahre 1894 der erste Redakteur des »Hessen-
land«, Ferdinand Zwcnger, plötzlich starb, da übernahm S. die Redaktion.
Die Schwierigkeiten, die durch die weite Entfernung vom Erscheinungsort
bedingt waren, veranlafiten ihn freilich nach Jahresfrist dies Amt wieder
niederzulegen.
$3 Beiträge zum »Hessenland« waren vorzugsweise poetischer Natur,
Schon früh hatte er neben seiner journalistischen Tätigkeit zu dichten begonnen.
i88() erschien sein I.usts|iiel Die Stoiker , das zuerst am Königlichen Theater
zu Cassel, dann auch in Frankfurt und an einigen anderen Bühnen auf^cfidirt
wurde. Dann erschien 1894 eine kleine Sammlung seiner ' Gedichte^ , wahrend
eine große Anzahl weiterer Gedichte und Erzählungen im »Hessenland« und
anderswo zerstreut erschienen sind. S. gehOrte unstreitig zu den besten hessi-
schen Lyrikern der neueren Zeit. Seine Gedichte sind keine Dutzendware,
sondern zeichnen sich durch cigenarrii^c Kmpfindung, durch tadellose Form
und einen glücklichen, oft volkslicdartigcn knappen Ton (Schoof) vorteil-
haft vor vielen andern aus. Die weltschmerzlichc Stimmung, die in einigen
seiner Gedichte zum Ausdruck kommt, erscheint nicht als moderne Künstelei,
sondern als ein Ausflufi wahrer und echter Empfindung. Dabei fehlte es dem
Dichter auch nicht an echtem Humor, wie u. a. einige in seiner heimatlichen
Mundart gedichtete Strophen beweisen.
Dieser Mundart, flic er trotz jahrzehntelanger Abwesenheit von der Hei-
mat gut beherrschte, setzte S. noch ein besonderes Denkmal durch seinen 1901
erschienenen »Beitrag zum hessischen Idiotikon«, der eine allerdings nicht voll-
ständige Zusammenstellung charakteristischer Ausdrücke und Redewendungen
aus seinem in sprachlicher Hinsicht interessanten Heimatsdoif Balhorn (das
direkt an der niederdeutschen Sprachgrenze gelegen ist) darbietet; von weiteren
wissenschaftlichen Arbeiten S.s ist noch zu nennen seine Schrift »Zur Begren-
zung des Pyrrhonismus«, auf Grund derer er sich im Jahre 1892 die philo-
sophische Doktorwürde der Universität Tübingen erwarb.
In Stuttgart nahm S. lebhaften Anteil am öffentlichen und politischen
Leben. Durch das Vertrauen seiner demokratischen Parteifreunde wurde er in
den Landesausschufi der württembergischen Volkspartei berufen. Ein schweres
Lungenleiden, dessen Keime schon seit längerer Zeit vorhanden waren, machte
indessen seiner Tätigkeit in der württemljcrgisclu'n Hauptstadt ein vorzeitiges
Ende. Sein leidender Zustand zwang ihn, seine Stelle bei der »Frankfurter
Zeitung« aufzugeben. Im Jahre 190a verlegte er seinen Wohnsitz nach Jugen-
heim an der Bergstrafie, wo er unter der liebevollen Pflege seiner Gattin, mit
der er in kinderloser Ehe lebte, Genesung zu finden hoffte. Seine Hoffnung
war vergebens.
Vgl. Nekr. von W. Beinierke in »Hcssinland« 17, 268. >>nc>si>iche Blatter« 1903
Nr. 2998. — Brümmer, Lexikon der deutschen Dichter 3, 389. — Schoof, Die deutsche
Dichtung in Hewen »23 f.
Ph. Losch.
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Klingelhöffer.
Klingelhöffer, Otto, Rcgicrungsrat, * 11. Januar 181 2 zu Dorheim, f i. Ja-
nuar 1903 zu Darmstadt. — Im kurhessischen Amtshause zu Dorheim bei
Nanheim in der Wetterau ert^lickte K. das Licht der Welt Er besuchte
T<m seinem 14. Lebensjahre an das Gymnasium zu Hanau und bezog dann
im Sommer 1831 die Universität Giefien, wo er drei Semester hindurch Jura
studierte und mit feuriger Hegeisterung der Bursrhensrliaft angehörte. Es war
die Zeit der heftigsten Gährung in der deutschen Studentensc haft. Die Bundes-
beächlüsse von 1832 führten zu dem Sturm auf die Frankfurter Wachen, an dem
die Burschenschafter von Giefien besonders beteiligt waren. K. war schon im
Herbst 183a nach Heidelberg übergesiedelt und wenn er auch an dem Frank-
furter Attentat nicht unmittelbaren Anteil nahm, so fand er doch in Heidel»
berg mehrfach Gelegenheit, seine alten Gießener I rcundc, die wegen ihrer
revolutionären Umtriebe verfolgt wurden, bei der Fhu ht über die französische
und schweizer Grenze zu unterstützen. Nach Beendigung seiner Universitäts-
Studien trat K. 1835 in den kurhessischen Staatsdienst, war als Referendar
bes. Assessor in Kassel und Hanau beschäftigt und wurde dann Kreissekretar
in Hersfeld um! 1S47 T andrat in Ziegenhain. Seine auf den Idealen seiner
burschenschaftlic lien Studienzeit basierende unverhohlene liberale Gesinnung
hatte ihn also bisher in seiner Beamtenlaufbahn nicht gehemmt. Als al)er
nach den Stürmen des Jahres 1848 die Hassenptlugsche Reaktion in Kur-
hessen einsetste, schlofi sidh K. der bekannten Beamtenrevolution von 1850
gegen den veihaftten Minister an; die Folge war, dafl er zur Strafversetzung
verurteilt und iS^i überhaupt zur Disposition gestellt wurde. Diese Maßregel
hat er der kurhcssi^-t Irmi Regierung nie verziehen. War er schon vorher kein
Sonde rli( h begeisterter Hesse gewesen, so sah er von nun an sein Heil nur in
Preuücn. Nach einem kurzen Aulenthalt in Kschwege, siedelte er im Spatherbst
18s I nach der kurhessischen Stadt Bockenheim über, die damals noch vor den
Toren Frankfurts lag, um sich fortan nationaldkonomischen und finanzwissen-
schaftlichen Studitti zu widmen. Hier gelang es ihm durch den Assessor
Zitelmann Beziehungen zu dem neuernannten preußischen Buivlcstagsgesandten
Otto V. Bismarck anzuknüpfen, der den gegen seine Regierung grollenden kur-
hessischen Beamten mehrfach über die kurhessischen Angelegenheiten zu Rate
zog. In Bismarcks Auftrag arbeitete K. eine Denkschrift öber die kuihessische
Veifassungshrage aus und rtthmte sich später, durch seine Darstellung eine
VTandlung in Bismarcks Anschauungen über das Verhältnis Preußens zu
Österreich veranlaßt und .seinen Haß gegen die alte Kaiscrmacht genährt
zu haben. K.s Beziehungen zur preuüisc hen Gesandtschaft dauerten bis zum
Abgang Bismarcks nach Petersburg fort. Die Vermittelung ging durch die
Hände Zitelmanns, der nach Bismarcks Abgang gleichfalls Frankfurt verließ.
Im Einverständnis mit dem preuflischen Gesandten verfaßte K. damals ver-
schiedene politische Flugschriften, wobei er namentlich in der anonymen
Schrift »Die deutsche Einheit und die kurhessische Verfassung^ (Frankfurt
1859) ^'-^^ Programm der Einigung Kleinrlcutschlands unter preußis< her Führung
im Sinne der Bismarckischen Politik entwickelte. Trotz seiner frondierenden
Stellung wurde K. 1863 wieder in den kurhessischen Staatsdienst aufgenommen
and war von da bis 1866 Regierungssekretar zu Marburg i. H. Im Juni 1866
erfüllte sich sein sehnlicher Wunsch, der Sieg Preußens über den Bund und
Ostenreich. Als aktiver kurhessischer Regierungsbeamter konnte er es über
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Klingelhöffer. Daudert.
sich gewinnen — wie er selbst erzählt — , den als Eroberer in Marburg
einrückenden Preuflen jubelnd entgegenzugehen und ein Humh auf sie aus-
zubringen! Nach der Annexion Kurhessens wurde K. zum Mitglied der
Eiscnbahiuliroktion Cassel und 1867 zum Regierungsrat ernannt. Mit der
Eisenbahndirektion siedelte er dann im Jahre 1872 nach Frankfurt a. M. bezw.
Sachsenhauson über und wirkte dort bis 1.S82, wo er in den Ruhestand trat.
Nach seiner rensionierung zog er nach üarinstadt, wo er noch über 20 Jahre
in geistiger Regsamkeit und Frische lebte. Seine schriftstellerische Tätigkeit
setzte er bis in sein hohes Alter fort Als ihm 1893 nach fQnfeigjfthriger glück-
licher Ehe seine feinsinnige künstlerisch begabte Frau Anna geb. Eulner ge-
storben war, da setzte er ihr ein Denkmal, indem er ihr französisch ge-
schriebenes 'I'agebuch (sie war zu Brüssel geboren) 1805 veröffentlichte. Ein
Jahr später veröftentlichte er die Schrift -Das Reichswahlgesetz , in der er
für Beschränkung des Wahlrechts eintrat. Seine letzte Schrift »Paradoxa,
historisch-politische« (Gieflen 1900) gleichsam sein politisches Glaubens-
bekenntnis widmete er der dent«:hen Burschenschaft. Bezeichnend für die
Anschauungen des 88jährigen Greises ist es, daß er in dieser Schrift zur Er-
richtung eines Denkmals für die l'rheber des Frankfurter Attentates aufforderte.
So blieb er den Idealen seiner Jugend bis ins Alter treu. Hochbetagt, fast
91 Jahre alt, erlag er um 1. Januar 1903 einem Intluenzaanfall.
Autobiugrapbische Avfsdclmungcn findea sich in de& obenervriUi&teii »Pandoza«.
Als Manuskript gedruckt. Giefien 1900. — Vgl. ferner »Tagebuch einer Frau.« Leipzig
1895. Nekrolog von H. Hatipt in Beil. 35 x. »Tigl. Rundschau« v. 1903. — »He<;':en-
landc 17, S. 43. Ph. Losch.
Daudert, Ernst Wilhelm, Dichter, * 10. Februar (22. Februar n. St.) 1839
in Riga, f 5. Januar 1903 in Freiburg (Baden). — Er erhielt eine für den
Handelsstand bestimmte Ausbildung', zidetzt in <ler damaligen Handrlsklasse
der Rif^aer Kreisschule, versah spater tlie Stelle eines Korrespondenten ver-
schiedener Sprachen in mehreren angesehenen Handelshäusern seiner Vater-
stadt und gründete 1853 daselbst ein eigenes Handelshaus. Sein Beruf bot
ihm vielfach Gelegenheit zu groflen Reisen durch Deutschland, Holland und
Belgien, und bei .seiner Vor hebe für literarische Beschäftigung wurde er auch
mit ilei französischen, engliM hen und dänischen Sprache und deren Literatur
vertraut. 1.S68 wurde er zum Ratsherrn erwählt; als solcher war er 20 Jahre
hindurch Mitglied und später Präses des Komitees, dem die Verwaltung des
Rigaischen Theaters anvertraut war. Für dasselbe schrieb er auch das Fest>
spiel »Schillers 46. Geburtstag«, das auch anderswo zur Aufführung gelangte.
Nach Auflösung des Rigaischen Rats zog sich D. auch vom Geschäftslcben
zurück und siedelte 1891 mit seiner Familie nacli 1 roiburg in Baden über,
wo er ganz seinen literarischen Neigungen lebte. Aus seiner Rigaer Zeit
stammen noch zwei Händchen Poesien, von denen das erste, Gedichte« (1876),
unter dem Pseudonym Emst Wildau erschien. Der zweiten Sammlung »Lebens-
blüten. Lieder« (1884) sollte eine Fortsetzung folgen; doch ist der Dichter
nicht mehr zur Ausgabe derselben gekommen.
Persönliche MitteOungen. — Adolf Hinriclisen: Das Uterarisehe Deutsdiland, 1887, S. 108.
Franz Brümmer.
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Diedein. Engdien.
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Dietlein, Hermann Rudolf, Schulmann, * 3. März 1823 in Delitz a. Berge
(Provinz Sachsen), f 16. Juli 1903 in Halle a. S. — D. war der Sohn
eines Lehrers und verlebte seine Knabenjahre in Löbnitz a. d. Mulde, wohin
sein Vater versetzt worden war. Auf dem Seminar in Kilcnburg bildete er
ii h 1S38— 42 Zinn T-ehrer aus und wurde nach erlaniifc r Ik-fähigung Lehrer
Ult Knaben der ( )fhziersf:imilien des t,. Husarenrejjiments in Düben. 1.S46
ging er an die Mädchenbürgerschule nach Halle a. S., 1849 als erster Lehrer
nach Wartenburg a. d. Eibe und 1874 al.s Rektor nach Schafstädt 1889 trat
er in den Rahestand und siedelte nach Halle a. S. über, wo er sich mit
regem Interesse den öffentlichen Angelegenheiten widmete, auch längere Zeit
als Stadtverordneter und Mitglied der Schulkommission tätig war. Er kämpfte
gegen die Reaktion auf schulpolitischein Cifl)iete durch Wort und Schrift für
die Volksbildung und die Kntwickeinng des Schulwesens. Kr war Mitbegründer
des Lehrer- und Pestalozzi- Vereins der Provinz Sach.sen (1862), redigierte auch
zwei Jahre lang das »Schulblatt der Provinz Sachsen«. Von seinen zahlreichen
Schriften für die Hand der Schüler und Lehrer nennen wir nur »Der ver-
einigte Anschau ungs-, Si>rach-, Schreiblescunterricht auf der Unterstufe (1874)
— »Der Sprachschüler c (5. Aufl. 1880) — »Wegweiser für den Schreibunter-
ncht- (4. Aufl. i8c)5) — > .Anforderungen an den ersten Leseunterricht » (1894)
und die gemeinschaftlich mit seinem Bruder verfaliien Bücher »Die deutsche
Fibel nach der Normalwörtermethode« (112. Aufl. 1898) — »Deutsches Lese-
buch für mehildassige Bürger- und Volksschulen« (in vier verschiedenen Aus-
gabe 1870 — 90) — »Aus deutschen Lesebüchern. Dichtungen in Poesie und
Prosa, erläutert für Schule und Haus« (III, 1880 ff.).
»Pädagogische Zeitung«. Berlin. Jahrg. 1903, S. 5Ö2. • - II. Kuhn: Lehrer .als Schrift-
steller, 1S88, S. 33. — Adolf Hinrichsen: Das literarische Deutschland, 1891, .S. 274.
Franz Brümmer.
Eogelien, August Karl Hermann. jKiilagogischer Schriftsteller, • 24. August
1832 zu Landsberg a. d. Wartlie, t 21. Juni 1903 in Berlin. — Fr war der
Sohn eii\es Schneidermeisters und erhielt seine Schulbildung in der höheren
Bürgerschule seiner Vaterstadt, die er 1849 absolvierte. Noch zu jung, um
ins Lehrerseminar aufgenommen werden zu können, übernahm er xunftchst
eine Hauslehrerstelle in der Familie des Gutsbesitzers Zastrow und trat dann
Ostern 1850 in das Seminar für Stadtlehrer in Berlin ein. 1853 bis 1860 unter-
richtete er an vcrschietlcnen höheren Privatschulen Berlins und wurde d nin
Lehrer an einer städtischen (lemeindesrhule. Seit 1H70 Leiter (von 1.S7.S ab
mit dem Titel Rektor) der 30. Gemeindeschule, verwaltete er dieses Amt bis
n seinem Übertritt in den Ruhestand. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm
der Charakter als »Professor« verliehen, eine für einen preufiischen Volks»
schullehrer seltene Auszeichnung. — E. hat sich als Schriftsteller besonders
auf dem Gebiete des deutsc hsprachlichen linterrichts betätigt. Seine Gammatik
der neuhochdeutschen .Sjirache ^ (1867, 4. Autl. iSqi) hat in Lehrerkreisen viele
•Anerkennung und N'erwertung gefunden. Dasselbe gilt von seiner ) Schul-
grammatik der neuhochdeutschen Sprache« (1872. 5. Aufl. 1884), von seinem
»Ldt&den für den deutschen Sprachunterricht« (II, 1862), der zum Teil in
100. Auflage erschienen ist, und von seinem Grundrifi der Gesduc lue der
neuhochdeutschen Grammatik und der Methode des grammatischen Unter-
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EngeUen. Oppd. von Levettow.
richte in der Volkshchulc« (1885). Mit dem Seminar- Überlehrer Professor
H. Fechner in Berlin gab er heraas »Deutsches Lesebuch. Nach den Quellen
bearbeitet« (in drei verschiedenen Ausgaben 1873—76), das noch heute zu den
besten Büchern dieser Art gehört, und »Cbungsstoff für den Unterricht in der
deutschen Rechtschreibung'^ (1881. 10. Aufl. 1902).
Ii. Kühn: Lehrer als Schriftsteller. Leip<i|f 1888, S. 40. — Adulf Hinrichsen: Oas
literarische Deutschland, 1891, S. 330. Franz Brümmer.
Oppel, Karli Pädagog und Schriftsteller, *9. August 1 8t 6 in Frankfurt a. M.»
t daselbst 12. (n. a. 11.) Mai 1903. — O. wurde von seinem Vater, einem ehr-
samen S( hnoidermc istcr mit zahlreicher Familie, für den Kaufmannsstand be-
stimmt, obwohl der Sohn nii ht (ho gcrinp'-tL' N'oigimg dazu verspürte. Den
Z\vi<->[Kilt h)sten endh'rh die Lehrer des Kiiahcn, welche diesen dem Leliit-r-
berule zuführten unil iiun durch unenigeltiiciien Privatunterricht eine tüchtige
Vorbildung gaben. Nachdem O. 1H33— 35 das Seminar in Esslingen besucht
hatte, trat er als I^hrer an der Weififrauenschule in seiner Vaterstadt ins Amt.
Kiu r^Mx h ;vrheitete er an seiner Fortbildung, so daß er 1847 an die Muster-
schule ( Ke;ils( huie i. Ordnunji) herufen ward und sich 1859 an der Tnivcrsität
('jieiien die Würde eines /V. />////. crwerl)en konnte. Im Jahre 1879 trat er in
den Ruhestand. Aus Gesundheitsrücksichten siedelte er 1883 nach dem kleinen
Schweinfurt Ober, wo er als Schriftsteller tätig war und zahlreiche populär-
wissenschaftliche Vorträge hielt. Nach einem Jahrzehnt kehrte er in seine
Vaterstadt zurück. .Als Sc hriftsteller trat er zuenst mit einer Broschüre Pesta-
lozzis Leben, Wollen und Wirken^ (iS.j:;^ auf. In dem Buch der Kitern«
(4. .Aufl. iS()6) bot er seine reichen Krfahrun^a'n allen tlenen dar, die ein
Interesse für die Heranbildung der kommenden Generation haben. In gleicher
Richtung bewegen sich auch seine »Briefe über Knabenerziehung « (1858). Ein
Ergebnis seiner ägyptologischen Studien sind seine Schriften »Altägyptische
Glaubenslehre ^ (1859), Freimaurerei und ägyptisches Priestertum« (1860) und
»Das Wunflerland der Pyramiden (4. Aufl. 1881). Daran reilicn sich zahl-
reiche Jugendschriften und novellistische Arbeiten, darunter die Städtege-
schichten »Aus allen Gauen des \ aterlandes« (2. Aufl. 1896).
Adolf Hinrichsen: Das literarische Deutschland, 189t, S. 1000. — Frankfurter
TagesblKtter. Franz BrÜmmer.
Lcvetzow, Albert von, Wirklicher ('rchcimer Rat, Landrat und Landes-
direktor a, D., Reichstagspräsident. * i 2. .Septeml)er 1828 auf Gossow bei Königs-
berg in der Neumark, f 12. August 1903. — Sohn eines Rittergutsbesitzers
besuchte L. das Marienstiftgymnasium in Stettin, wo er 1856 das Zeugnis der
Reife erhielt. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaft zuerst in Berlin,
dann Heidelberg, wo er als Saxo-Porusse aktiv war und sich bis zum Herbst
1848 aufhielt und s( hlieülich in Halle. Nai h bestandenem Auskultatorevamen
trat er 1849 in den Staatsdienst, zunächst in Landsberg, wo er zugleich sein
Jahr beim dortigen 2. Dragonerregiment abdiente, dem er später als Reserve-
offizier bis zum Major angehört hat. 1855 wurde er GerichtsassMsor und
zugleich Hilferichter in Frankfurt a. O. und Königsberg in der Neumark. 1857
arbeitete er, zum Regierungsasscssor ernannt, als Hilfsarbeiter im Kultus-
ministerium unter Raumer und Bethmann-Holiweg. 1859 traf ihn die teil-
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Ton LevetBOir.
219
weise Mobilmachung bei seinem Kef^imeiit. worauf er Anfang 1860 das väter-
liche Gut Gosäow unter Beurlaubung aus dem Staatüdienüt übernalun. Im
Februar 1861 schied er endgültig aus dem Staatsdienst aus, um sich zunftchst
Sffentlich im engeren Heimatdienst und in den Provinzial- und Volksver-
tretungen zu betätigen. So wurde er 1863 zum Mitglied des brandenburgischen
Provin/iaüandtages gewählt, kämpfte in r)sterrei(h mit untl wurde 1861 von
seinem lieimatskreise Königsberg in der Nt-uniark zum l andrat gewählt und
am 6. Januar folgenden Jahrcü mit der Verwesung vorlautig betraut.
Der Norddeutsche Reichstag zählte ihn in seinen Reihen, doch liefi er
sich in den Deutschen nicht wählen, sondern widmete sich ausschliefllich den
Kreisgeschäften, die er erst nach seiner Erwählung zum Landesdirektor der
Provinz Brandenburg 1876 abgab. Da sein Amtssitz Herlin war, wurde er
wieder Mitglied des Reichstags von 1S77 — 1884 und sodann von 1H87 — 1903.
1881 wurde er Präsident der brandenburgischen Provinzialsynode und im
November dieses Jahres zum Präsidenten des Reichstages erwählt, in welcher
Eigenschaft er auch amtlich bei der Eröffnung des Gotthardtunnels anwesend
war. 1884 wurde er Ehrenkommendator und Schatzmeister des Johanniter-
ordens utid Mitglied des Preußischen Staatsrats. 1886 brac lue ihm tien Kanzler
des Johannitcrordens untl die königliche Ernennung als Mitglied der (jencral-
synode. 1888 wurde er Kommendator der brandenburgischen Provinzial-
genossenschaft des Johanniterordens und bei seiner Wiederwahl in den Reichs-
tag dessen Präsident. 1889 wurde ihm der Rang der Räte I. KI. verliehen
und im folgenden Jahre wurde er aus allerhöchstem Vertrauen ins Herrenhaus
berufen. 1892 erhielt er das Prädikat »Exzellenz« als Wirklicher Geheimrat,
wurde i8()4 Domherr von Brandenburg, Z^r./my honoris causa der Universität
Halle und Ehrenbürger in Kriesack.
1895 legte er in der bekannten dramatischen Sitzung infolge der ver-
veigerten Ehrung des Altreichskanzlers zu dessen 80. Geburtstage die Würde
des Präsidenten nieder und schied im folgenden Jahre aus seinem hohen
Provinzialamt, nachdem er vorher zum Ehrenbürger von Neudamm ernannt
worden war. Die großen Händer des Koten .AdU-rordens und Kronenordens
schmückten ihn, denen 1901 noc h die brillanten zum Roten Adlerortlen I. Kl.
folgten. In diesem Jahre legte er das Amt eines Kommendators des Johanniter-
ordens nieder, während er erst im Todesjahr die Kanzlerwürde in die Hände
des Herrenmeisters zurückgab.
Er war mit Charlotte von Oertzen vermählt, die ihm 1901 im Tode voran-
ging. Ihn überlebt nur ein einziger Sohn als Erbe des \;itcrlichen Hesitzes.
Dieser äußere Lebensgang bezeichnet zugleich seine |)olitische Kntwick-
Inng und die einzelnen Phasen seiner öffentlichen Tätigkeit. Das Sturmjuhr
1848 sab ihn in Heidelberg, wo freilich der Mitltäraufstand erst später los-
brach. Vorläufig war der junge Student mehr Korpsbursche als Politiker und
gewann der revolutionären Bewegung und den Einheitsbestrebungen kein
Interesse ab, obwohl ein prcuüis( hes Kaisertum schon damals zu seinen
l'it-alcn zählte. Erst als Landrat nahmen ihn die (iffentlichen .\ngelegen-
hciten in Anspruch, aber seine Gewissenhaftigkeit kam schon damals zum
Ansdrucky dafi er nur seinem Staatsamt, das ihn so eng mit der Heimat ver-
band, seine ganzen Kräfte widmete. Erst als er sich ausschliefllich der Be-
^rtschaftung seiner Güter widmete und in der Winterszeit doch Mufie für
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von LevetBOw.
eine weitere Hesc häftirjunt,' fand, ^te!lte er --eiiu' l'erson für die kei( hstajjs-
wahl zur Verfügung. Er bcwährie gleich bei seinem parlamentarischen Auf-
treten ein diplomatisches Talent in der Versöhnung der Gegensätze, wenn er
auch bei seiner verhältnismäßigen Jugend noch nicht zu einer äufierlicli
leitenden Stellung innerhalb der Fraktion gelangte und infolge des Reichstags-
präsidiums erst nach Mantetiffels Rücktritt 1896 den Vorsitz der Fraktion
übernahm. Nachdem er als erster Landes<lirckt()r seiner Heimatprovinz unti
hervorragender Organisator der neuen l'rovmzialverwaltung ein berechtigtes
Ansehai unter seinen Stande- und Parteigenossen gewonnen hatte, wurde er
bei der Wiederwahl 1877 der parlamentarische T^eiter der ganzen Körperschaft.
Freilich war er, um seine Kräfte ni( ht /u zersj>Iittern, nicht zugleich der
\'«)rsitzende im konservati\eii FIfer- Ausschuß . ein Amt, das einer Jüngeren,
aber nic ht minder l)e\vährten Kraft, seinem s|)ateren Nachfolger im Provinziul-
amt, K.xzellenz von Manteuffcl, bis zur Gegenwart übertragen blieb. Als
Parlamentarier wie als Mensch war er stets \*on gleich bleibender Liebens-
würdigkeit unter verbindlichsten Formen, ohne jedoch jemals seiner festen
Willensmeinung etwas zu ver<(eben. Kr konnte sogar sehr bestimmt trotz
aller persönlichen Freundlichkeit auf seinem Willen beharren, wenn er seine
Meitmng für die richtige hielt. Den Reichstag hat er mit fester Hand regiert,
ohne jemals zu starken Worten seine Hilfe zu nehmen. Freund und Feind
gehorchten ihm willig, so daß alte Parlamentarier die Ansicht vertreten, dafi
er bisher der beste Präsident des hohen Hauses gewesen ist. In seiner parla-
mentarischen Tätigkeil offenbarte sich auch der Krnst seines öftentlichen
Strebens und die I u te seiner Kenntnisse, sowie die Geschältsgewandtheit
des geschulten Beamten.
Trotz seiner hervorragetiden j>arlamentarischen Stellung war er daher
auch kein bloßer Berufspolitiker, sondern widmete seine Hauptkraft seinem
Amte. Die Stellung des Landesdirektors verbindet staatliche und kommunale
Aufgaben in glücklicher Weise mit einander und gestattet eine engere Fühlung
mit den Kingesessenen als sonstige Staatsämter. War L. auch nicht Schöpfer
der neuen Provin/ialselbstverwaltung, so war er <loch deren hervorragendster
Vertreter. Die F.inrichtung der Provinz Hrandenburg war keineswegs leicht,
da der volle Steuersackel der Hauptstadt der l'rovinz mi< hl untersteht, anderer-
seits die Residenzen des Hofes in Berlin und Potsdam gewisse Ansprüche an
die Provinzialverwaltung in der Wegehaltung stellen, die ein besonderes Ge-
schick erfordern. Sein sicherlich sachverständiger .Amtsnachfolger, der oben
erwähnte Frhr. v. Manteuffel , hat hestätigt, flali der (Jeschäftsl)ereich seines
X'orgängers so hervorrageni 1 au^grst.iltrt war, dalJ er nur in einer Richtung
an ihn ilie bessernile Hand aidegen muüte. Die Unterbringung der neuen und
Stetig wachsenden Behörden war so wenig vollkommen, dafi sich eine würdigere
Unterkunft erforderlich machte. Dem Neubau hatte L. tunlichst widerstanden,
da ihm der Sinn für eine sell)st notwendige .\uflerlichkeit völlig abging. Er
war eben ein vornehm bes» heidcner .Mann, dessen edle Gesinnung im Amt
und im I'arlanunt auch allseitig anerkannt wurde.
Daher betätigte er sich auch mit hervorragendem Kiicr auf dem Gebiete
eines ritterlichen Liebeswerks, indem er als Würdenträger des Johanniterordens
in den verschiedensten und wichtigsten Rhrenstellungen der ritterlichen Ver-
einigung seine Dienste in aufopfernder Weise lieh. Gleich Bismarck pflegte
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von Levetiow. Brugier.
221
er seine Reden mit einem lateinischen Spriiche zu schmürken , eine Ange-
wohnheit, tlie mit dem Sc hwimlen der ( l)er.s( luit/.uuLi Ininianistischer Bildinig im
Abnehmen begriffen ist. Doch zeigte diese fremdländische Würze deutschen
Wortes die Schärfe und Klarheit Löscher Gedanken. Seine Tätigkeit als
Parlamentarier und Beamter hat gezeigt« dafi er bei aller Vertretung konser-
vativer Parteiinteressen niemals die staatsmännischc \'oriirteiIslosigkeit ver-
gessen hat, die sich über die Parteien erhebt. Da aber die Pf^litik nur im
Rahmen der Fraktionen erf<>li;eii kann, mit denen auch die Ke^ierunu zu
rechnen hat, so glich er in hervorragender Weise allgenieine und partei-
politische Interessen aus. Kr gehörte zu den wirksamen Förderern der kon-
servativen Partei, die unter seinem Beistand erst die einflufireiche Stellung
trieder erlangt hat, die ihr in der Jugend des Reichs durch die Bekämpfung
des leitenden Staatsmannes abhanden gekommen war. Bei allem Preulientum
»les markischen Junkers wuüte er. was er seinem großen Vaterlanil schuldig
war und leitete die konservative Reichstagsfraktion in diesem Sinne, wie ja
aach ihr Name den preuftischen Partikularismus abgestreift bat
Den heroischen Augenblick in seinem öffentlichen Wirken bildet die
Niederlegung des Reichstagspräsidiums. Der Vorgang beruhte nicht auf einer
gewissen Amtsmüdigkeit, da er auch weiter dem l'arlament angeluirte unil
als Fraktion.svorsitzender tätig blieb, mag er aui h, wie den ein Jahr später
folgenden Rücktritt von seiner Provinzialstellung, bei zunehmendem Alter (he
Aa^be der Reichstagsleitung schon vorher erwogen haben. Ausschlaggebend
war die ehrliche Entrüstung über die Haltung des Zentrums, die er als eine
Kränkung für die Volksvertretung mit Recht empfand. Als ihn iler Kaiser
tlurrh einen berühmten Parlamentarier und JugiMidfreiind über sein \'erhalten
S)ci der etwaigen Ablehnung der parlamentarischen Khrung Bismarcks sondieren
iieü, antwortete er tlem Krager, dali er dann sofort das Präsidium niederlegen
würde, wie ja auch die konservativen Parteien es ablehnten, einen Nachfolger
aus ihren Reihen zu wählen. Der patriotische Zorn über die Undankbarkeit
der auss( h laggebenden Partei war also der Grund des dramatischen Auftritts
im Reichstag, obwohl er aus wirtschaftlichen Rücksichten doch das gemauserte
Zentrum nicht mehr als reichsfein<llich ansah.
Auch seine Tätigkeit auf den evangelischen Synoden nahm er ernst und
gehört der strengsten Richtung an, wie er überhaupt eine tief religiöse Natur
war, ohne seinen Glauben anderen aufdrängen zu wollen.
Er war das Ideal eines wahrhaft vornehmen und daher bescheidenen
Mannes, ein echter märkischer Junker, dessen Zerrbild in gegnerischer Be-
leuchtung die Welt sonst nur anerkennen will, ein Edelmann nach (k-burt
und Gesinnung. Kurd v. Strantz.
Brugier, Gustav, Münsterpfarrer in Konstanz, Literarhistoriker, *i 8. August
1829 zu Tauberbischofsheim, f 1$. September 1903 zu Konstanz. — B. studierte
Theologie zu Freiburg i. Br. und wurde am 10. August 1852 /.um Priester
tjeweiht. i8!;2— 60 war er Kaplan in Karlsruhe, tS6o 74 Klosterpfarrer in
Rastatt, zugleic h 1, i hrer an der höheren 'ITx hterschule ihiselbst, seit 1S74
Münsterpfarrer in Konstanz, wo er unter /.unäch.st sehr schwierigen Verhält-
nissen sehr segensreich wirkte; pä|)stlicher Hausprälat, erzbischöflicher geist-
licher Rat, ZV. fAeoi. h. c. (von der Universität Freiburg i. Br.). — B. verfaßte
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Bragier. Hoinmmer.
eine belichte »Geschichte der deutschen Xationalliteratur. Für Schule und
Sell)stbelelirung • (Freiburfi i. Rr. 1865, 11. Aufl. 1904; seit der 4. Aufl. 1S74
mit der Zugabe einer Kurzgetaliten Poetik«, die 1888 auch für sich erschien),
eine oft gedruckte »Kurze liturgische Erklärung der heiligen Messe« (Frei-
burg i.Br. 1S66, 17. Aufl. 1898) und die Festschrift: »Das ^oojShrige Jubiläum
des hl. Konrad, gefeiert zu Konstanz vom 25. November bis 3. Dezember 1876«
{Freiburg i. Br. 1877).
Vgl. »Kölnische Volkszeiuing« 1903, Nr. 773 vom 14. September. ■ »Literarischer
Handweiser« 1903, Nr. 780, Sp. 158. F. Laue he rt.
Holzammer, Johann Baptist» Domkapitular und Regens des Priester-
seniiMats in Mainz, * i. Mai 1828 zu Mainz, f 24. September 1903 daselbst. —
H. absoh RM tc das Gymnasium in seiner Vaterstadt Mainz, studierte dann
zwei StMiicstcr. 1.S48--49, in Gießen und drei Semester, 1849 — 31, iji 'I'ül)ingen
Theologie, vollendete seine Studien in dem wieder erciffneten Friesterseminar
in Mainz, in das er im Sommer 1851 eintrat, und empfing am 11. Juni 1852
die Priesterweihe. Wenige Tage darauf reiste er nach Mecklenburg ab, um
das Amt eines Hausgeistlichen bei dem eben konvertierten Freiherm von der
Kettenburg zu Matgendorf anzunehmen; aber schon Anfang September wurde
er, obwdhl er seine Tätigkeit dort auf Abhaltung des Gottesdienstes für die
katholischen Hausgenossen beschränkte, als Opfer der mecklenburgischen
Intoleranz gegen die Katholiken von der Regierung ausgewiesen, nachdem
die von dem Freiherm unternommenen Schritte, sich sein Recht auf freie
Religionsübung zu wahren, erfolglos geblieben waren (vgl. Ihück, (beschichte
der katholischen Kirche in Deutschland im 19. jahrh., Bd. III, S. 189 ff.).
Nach Mainz zurückgekehrt, wurde H. im Herbst 1H54 Dozent am Priester-
seminar für alttestamentliche F/Xegese und biblische Kinleitungswissenschaft;
am 20. August 1857 wurde er zum Professor ernannt. 1865 verlieh ihm die
theologische Fakultät der Universität Wien die theologische Doktorwürde
honoris causa. Seit 1865 war er auch Vorsitzender des Diözesankomitees für
den Verein vom heiligen Grabe und seit 1866 geistlicher Leiter der Kon-
gregation der Englischen Fräulein für die Diözese Mainz. Als nach den
Kulturkampfsjahren der bischöfliche Stuhl wieder besetzt war, ernannte ihn
Bischof Haffner am 29. September 1886 zum Domkapitular und nach dem
Tode Moufangs am 15. März 1890 zum Regens des bischöflichen Seminars. —
Seine wissenschaftlichen Hauptarbeiten sind die Ausgabe von •Gtälielm Esiü
in omnes D. Pauli lipistolas. item in catholicas Commentarii* (3 Bde., Mainz 1858 f.,
als 2. Auflage nach der Ausgabe von Sausen), und die Neubearbeitung von
|. Schusters Handbuch zur biblischen Geschichte. Für den L'nterricht in
Kirche und Schule, sowie zur Selbstbelehrung , das er von der 2. Auflage
an herausgab (2. Aufl. Freiburg i.Br. 187 1 — 75, 2 Bde.; 5. Aufl. 1890 — 91),
und das, schon in der 2. Auflage durchgreifend umgearbeitet, von der
3. Auflage (1877 f.) an vollständig sein eigenes Werk geworden war, dem im
den späteren Auflagen auch die auf einer Reise in das heilige Land 1881
gewonnene eigene .\nschauung zugute kam. Kleinere Schriften: -Passions-
büchlein. Betrachtungen über das Leiden des Herrn, nach dem heiligen
Rhabanus Maurus« (Mainz 1865); »Der biblische Schöpf ungsbericht und die
Ergebnisse der neueren Naturforschung« (Frankfurt a. M. 1867; Broschüren'
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Holttromer. Widiner.
223
verein, 3. Jahrg. Nr. 4); »Der Mensc h uiul seine Stellung unter den organischen
Wesen« (Frankfurt a. M. 1867; Broschürenverein, j?. Jahrg. \r. 10); Die Hiklung
des Klerus in kirchlichen Seminarien oder an Staat.suniver.sitäten . (Mainz 1900).
Daxa kommen Anfefttze im »Katholik« und in der Osterreichischen Viertel-
jahiessduift für kadiolische Theologie, und eine Reihe von Beiträgen zu den
fünf ersten Bänden der 2. .Auflage des Kirchenlcxikons von Wetzer und Welte,
ans dem Gebiete der bibli.schen Geschichte und Altertumskunde.
Vgl. Jak. Schäfer, Dr. Jnt\. Holzammcr, Domkanitular und fjcistlicher Kat, Kcpt'iis de--
ui<chöfl. Pncstcrscminars zu Mainz, l^^inc Lcbcnsskuzc ^Maioz 1903, mit Porträt). Dasselbe
Midi im »Kattiolikc 1903. Bd. II. — »Augsburger Pottsdtiing« 1903, Nr. ai6 vom 37. Sep>
tenber. — F. Falk, BibebUidien in Mainz (Mains 1901), S. 309 f. F. Lauchert.
Wichner, Jakob, O. S. ß., Historiker, * 22. Juli 1825 /.u Graz, f 21. Oktober
1903 im Stift Admont. — \V. absolvierte das (]ymna.sium und die philo-
sophischen Studien in seiner Vaterstadt Graz und trat dann am 7. September
1846 im Stift Admont in den Benediktinerorden. Die theologischen Studien
machte er im Stift, legte dann am 11. Juli 185 1 Profeß ab, wurde am 27. Juli
1851 zum Priester geweiht und feierte am 10. August seine Primiz. Hierauf
wirkte er bis 1870 in der Seelsorge, zuerst als .Aushilfspriester im Stift, von
Februar 1852 bis 1854 als Ka|)lan in St. Michael ob Leoben, dann zehn Jahre
als Kaplan in St. Lorenzen im Paltental; am 16. Juni 18O4 wurtie er Pfarrer
in Kleinsölk, von wo er auch die Pfarre Groflsölk mitprovidierte, 1866 Pfarrer
in Ardning. Im August 1870 kehrte er in das Stift zurück, wo er das Amt
des Archivars Qbemahm und die Neuordnung der dem Brande am 25. April
1865 entgangenen Reste des Archivs durchführte. Seit 1878 bekleidete er
auch das .Amt des Hibliothekars und erwarb sich um die Orrlnung und
Katalogisierung der mehr als 80000 Hände zählenden Sliftsbibliothek hervor-
ragende Verdienste. Nach der Rückkehr in das Stift beginnt auch seine
ausgedehnte, atif archivalische Forschungen gestutzte schriftstellerische Tätig-
keit insbesondere zur Geschichte des Stiftes. Seit 1883 war W. auch Korre-
^ndent der k. k. Zentralkommi.ssion für Erforschung und Erhaltimt: der
Kunst- und historischen Denkmale, seit 1SS6 Fhretmiitt,died des Museum
Franäsco-CaroUnum in Linz, seit 1900 Ehrenmitglied des historis( hen \'ereins
iür Steiermark (dessen Mitglied er seit 1858 war), seit '1901 Ehrenniitglied
des Geschichtsvereins für Kärnten in Klagenfurt Am 8. Juli 1889 ernannte
ihn die theologische Fakultät in Würzburg zum Dr* äkol. — W.s Haupt>
werk ist die vierbändige »Geschichte des Benediktinerstiftes Admont^ (Graz
1874 — 18S0). Selbständig in Buchform erschienen ferner die Schriften: Die
Stiftsbibliothek zu .Admont' (Graz iSSi; 2. Aufl. Brünn 1897); -Kloster
Admont in Steiermark und seine Beziehungen zur Kunst« (Wien 1888);
»Geschichte des Clarissenklosters Paradeis zu Judenburg in Steiermark« (Wien
1888; als Separatausgabe aus dem Archiv für österreichische Creschichte,
73. Bd. t888); Jagd und Fischerei des Stiftes Admont bis zur 2. Hälfte
des t8. Jahrhunderts (Graz i8()o); ^ Kloster -Admont und seine Beziehungen
zor Wissenschaft vuid zum l'nterricht (Graz 1892); "Die Pro[)stei Elsendort
und die Beziehungen des Klosters Admont zu Bayern« (München 1899;
Altbayerische Forschungen I); »C^bhard, Erzbischof von Salzburg« (Brünn 1900).
Aofierdem veröffentlichte er in verschiedenen Zeitschriften, insbesondere in
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224
Wichncr. Fnnzias.
den Mitteilungen des historisrlien Vereins für Steiermark 1873 — 1897, in den
Heiträ^rii zur Kunde steierniärkischer (k'schiclu^(|uellen 1874 — 1883, in den
Stuiiicii und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und dem Zisterzienserorden
1880 — 1894, und an anderen Orten, eine lange Reihe von historischen Studien
hauptsächlich zur Geschichte des Stiftes Admont, auch Ober dessen Bibliothek
und Archiv, urkundliche Mitteilungen aus Irin letzteren, dann auch verschiedene
andere Reiträ_L'e zur steiermärkisdien (ies( hu hte und Kulturgeschichte. Davon
seien nur einige größere Arbeiten hier genannt: In den Beitragen zur Kunde
steierniärkischer Geschichtsquellen: Über einige l ri)are aus dem 14, und
15. Jahriiundert im Admonter Archive« (13. Bd. 1876,8.33—109); »Materialien
2ur Geschichte verschiedener Pfarren und Kirchen in und aufier Steiermark«
(18. Bd. 1882, S. I — 42). In den Mitteilungen des historischen Vereins für
Steiermark: Hiitriige zu einer Geschichte des Heilwesens, der Volksmedizin,
der Bäder und Heilijuellen in Steiermark bis inkl. Jahr 1700 (33. Heft i<SS5,
S. 3 — 123); »Zur Musikgeschichte Admont.s ^40. Heft 1892, S. 3 — 57). In den
Blättern des Vereins fürLandeskunde in Niederttsterreich 1S94: »Das Benediktiner-
stift Admont in seinen Beziehungen zu Niederösterreich«. In den Mitteilungen
der Gesellschaft für Salzburgcr Landeskunde: Das Ikmediktinerstift Admc^nt
und seine Beziehungen zum Erzstifte und Lande Salzburg (36. Vercinsjahr
1896, S. 133— j^^i). Im 4. Beiheft zum Zentralblatt für biblinthekswcsen
erschien: »Zwei Bücherverzeichnisse des 14. Jahrhunderts in der Admonter
Siftsbibliothek« (Leipzig 1889). Für Sebastian Brunners »Benediktinerbuch«
(Würzburg 1880) schrieb W. die historische Skizze: »Abtei Admont in Steier-
mark« (S. 40 — 75).
Vgl. den Nekrolog von P. Florian Kinnast in den Studien und Mitteilungen aus dem
Benedik tiiiL-rordcn, 2-;. j:ihr<j. 1904, S. 429 — 440 mit W.s I'ortnit. fCibt ein voll>;t;iiKliij-cs
V ericichnis der in Zcitscbriltca crscbienenen und der im .Manuskript hiuterlassenen Arbeiten.^
— Seriptfres 0,S,B. pn ifjo—iSSo futruni in imperio Aiuirkte9'Hung0ric« {VhuMomtu
1881), S. 510. — Wurzbach, Biogiaphisches Lexikon des Kaiserturos Österreich, 55. Teil
(Wien 1889), S. 216—218. F. Lauchert
Franzius, Ludwig, ( )berbau<iirektor, * i . März 18,^2 /u Wittmund in Han-
nover, f 23. Juni 1903 in Bremen. — Nach Absolvierung seiner Studien ira
Jahre 1858 zum Wasserbau-Kondukteur und 1864 zum Wasserbau-Inspektor
in Hannover ernannt, war F. in verschiedenen Stellungen tätig, unter denen
besonders der Auftrag zum Bau der Papcnl)urger Seeschleuse hervorgehoben
zu werden verdient. Nach Kiiiverleibung Hannovers in Preußen erf(dgtc seine
Berufung als Hilfsarbeiter in das Ministerium der öffentlichen Arbeiten und
als Lehrer an die Bauukailemie nach Berlin, im Jahre 1876 leistete F. der
wiederholten Einladung Bremens Folge und übernahm den neu geschafienen
Oberbaudirektorposten dieser Stadt Nun beginnt für F. jene große, weit
umfassende Tätigkeit, welche ihn von Erfolg zu Erfolg führte und seinen
Namen weit über die (Irenzen Deutschlands hinaustrug. Der rechte Mann
— sagte Symi)her in seinem Nachrufe (s. u.) fand in Bremen den rechten
Ort für seinen Schaffensilrang. Hier löste er zunächst eine Reihe grober
wasserbautechnischer Fragen, wie die Umgestaltung Bremens zu einem See-
hafen durch die Korrektion der Unterweser, die Schaffung neuer Halenanlagen
in Bremerhaven, die Sicherung der Stadt gegen die verheerenden Hochwasser
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F^nushu. Sitte.
225
der Weser usw. Auch das staatliche Hochbauwesen unterstand seiner
Leitung; seine schöpferisch tätige Künstlernatur übte hierbei vielfach einen
bestimmenden Einfluü aus. Zahlreich sind die Gutachten, die F. über Kanal-
bauten, Hafenanlagen und dergleichen abzugeben hatte. F. war überdies
aoch schriftstellerisch tätig; weit bekannt ist seine Mitarbeiterschah am Hand-
buch der Ingenieurwissenschaften.
Aber damit ist die umfangreiche Tätigkeit dieses nimmer rastenden
Geistes nicht erschöpft! Als Mitglied des Hochwasserausschusses, der Akademie
des Bauwesens und des Reichsgesundheitsamtes stellte F. seine umfassenden
Kenntnisse bereitwillig in den Dienst seines weiteren Vaterlandes; in den
Wanderversammlungen des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-
Vereine, bei den internationalen Schiffahrtskongressen war er stets hervor^
ragend beteiligt. An äußeren Ehren fehlte es ihm nicht; F. war Besitzer
boher Orden, der preußischen großen goldenen Medaille für V'erdicnste um
das Bauwesen und der goldenen Pelford-Mcclailic der Itistitution of cw'il F.n-
gmeers in London; der Architektenverein zu Berlin und der Zentral verein
ter Hebung der deutschen Flufi- und Kanalschiffahrt ernannten ihn zu ihrem
Ehrenmitgliede und die Technische Hochschule zu Berlin verlidi ihm die
WQrde eines Ehren-Doktor-Ingenieurs.
Der tüchtige Fachmann war aber auch ein treuer Freund, ein heiterer
Gesellschafter, ein wohlwollender freundlicher Chef, ein sorgender Vater und
zärtlicher Gatte; Milde und Ernst liegen in dem vornehmen Antlitz, das sein
Bild zeigt und dessen hohe gefurchte Stirn und scharfblickende Augen den
Denker und Forscher verkünden.
Utentiir: SympliAr im »Zcntnlblatt der Bauvenriituqgc 1903, & 318, mit Bild.
A. Birk.
Sitte, Camillo, Regierungsrat, Direktor der Staatsgewerbcschule in Wien,
•17. April 1843 in Wien, f 16. November 1903 ebenda. — Eine eigenartige
Persönlichkeit, von mächtigem SchönheitsgefOhl, von echt gennanischem Geiste,
voll Freude an allem Großen und Erhabenen, reich an Idealen, dabei kampfes-
froh und stets kampfbereit, voll glänzender Heredtsamkeit und nie versagender
Schlagtertigkeit — so fesselte S. auch jene, die seine Ideen nicht zu den
ihrigen machen konnten oder denen seine Anschauungen nicht verständlich
erschienen. S., Sohn eines Wimer Architekten, hatte die Technische Hoch-
schule in Wien besucht, Vorlesungen an der Universität gehört und sich
dardi weite Reisen geliildet. Kr war Direktor der Salzburger und später der
Wiener Staat>~<iewerbes( hule ; außer dem Titel eines Regierungsrates war ihm
auch der eiserne Kronenorden III. Klasse verliehen worden. Die Mechitharisten-
kirche in Wien, die Pfarrkirche und das Rathaus in Privoz, das Jagdhaus in
Zbirow, viele Zinshäuser, Villen und Schulen, die Stadterweiteningspläne von
Reidienberg, Olmfltz und Privoz gehören zu seinen bedeutendsten kfinstle-
lischen Leistungen. Seine Haupttätigkeit entfaltete er auf dem Gebiete des
StädtelMues; sein großartiges Werk über den Städtebau nach künstlerischen
Grundsätzen wurde ins Französische und J-.nglische übersetzt. Das Werk:
»Der Städtebau nach seinen wirtschaftlichen Grundsätzen« blieb leider un-
vollendet Die von ihm gegründete Zeitschrift »Der Städtebau« eischien erst
nach seinem Tode. Von seinen anderen schriftstellerischen Arbeiten seien
Vhgt. Jilwbaeh o. Dratadier N«kiol«f . I. Bd. I e
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226
Sitte. Köhler. Stambke.
genannt: Richard Wagner und die deutsche Kunst", »(^ber österreichische
Bauenuiiajolikcn«' und »Neue kircliliclic Architektur in Österreich«. S. war
ein begeisterter Verehrer Wagners and es war sein Lieblingsthema, die Über-
einstimmung zwischen Musik und Baukunst su erläutern. Ein Schlaganfall
entrifi ihn uner\\'artet seiner vielseitigen schöpferischen Tätigkeit
»Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten^VereillS« 1903, S. 671, mit
Bild; Schweizerische Bauxcitung 1903, II, S. 249. A. Birk.
Köhler, Heinrieh, Geh. Regierungsrat, Professor an der Technischen Hoch-
schule in Hannover, * 12. Januar 1830 in Kassel, f 20. Februar 1903 in Han-
nover. — K. hatte seine Ausbildung im Architekturfache auf der höheren
GewcrtK schule und auf der Kunstakatlemie seiner Vaterstadt erhalten und
sich dann dem Eisenbahnbau zugewendet. Hier fand er natijrlich nicht die
lielriedigung, die er suchte, weslialb er gleicii vielen jüngeren Architekten
jener Zeit im Jahre 1856 nach Paris ging, welche Stadt damals durch ihre
künstlerische Entwicklung, ihre großen Kunstschätze und durch den Umfang
und die Bedeutung der in Ausführung begriffenen architektonischen Bauten
eine mächtige Anziehungskraft ausübte, und zwar um so mehr, als in Deutsch-
land wenig Regsanikeit auf diesem (iebiete herrschte. K. war viele Jahre
im Atelier des Arcliitekten Hittorf tätig, der u. a. den ersten modernen Bahn-
hofsbau — die Empfangshalle des Nordbahnhofs in Paris — ausführte. Im
Jahre 1863 folgte K. einem Ruf an die Technische Hochschule in Hannover,
wo er über Antike und Renaissance zu lehren hatte. In dieser Stellung ver-
blieb er bis zu seinem Tode. K.s Aufenthalt in Paris hat seine Kunstauf-
fa.ssung dauernd beeuitUiüt; sie hatte mehr oder weniger alles .Nationale
abgestreift und einen weiteren, internationalen Ausblick gewonnen. Gothik
und deutsche Renaissance blieben ihm ein fremdes Gebiet, während die
Antike, namentlich auch mit Berücksichtigung ihrer farbigen Erscheinung,
und die italienische Renaissance in ihrer klassischen Fassung für seine prak-
tische und lehramtlichc Tätigkeit jederzeit maßgebend waren. K. förderte
auch in erfolgreicher Weise das Kunstgewerbe und begruntlete als Vorstands-
mitglied des (jewerbevereins aus Vereinsmitteln die erste kunstgewerbliche
Lehranstalt in Hannover. Die Heiterkeit und Güte seines Gemütes erwarben
ihm zahlreiche Freunde und Verehrer. Veröffentlicht hat K. nur ein einziges
größeres Werk: »Polychrome Meisterwerke der monumentalen Kunst in Italien« ;
dasselbe — - ein Krgcbnis seiner Studienreisen in Italien — enthält prächtig
ausgeführte farbige Darstellungen italienischer Innenräunie.
Literatur: »ZcntraiblaU der Bauverwaitung« 1900, 6. 36 und 1903, S. I12 mit Bild.
Stambke, Moritz, Geheimer Oberbaurat, * 33. Februar 1830 zu Klein-
Lübars, f 18. Februar 1903 zu Berlin. — • Auch einer der alten Eisenbahn-
garde, der mit dem Eisenbahnwesen, das er kennen lernte, da es noch in
der Kindheit sich befand, groß geworden ist und sich entwickeln konnte —
einer von denen, die im Eisenbahnwesen lernten, schufen und lehrten. Fast
28 Jahre lang — von 1853 wirkte St. als Maschinenmeister, Ober-
maschinenmeister und Direktionsmitglied im Dienste der Bergisch-Märkischen
Eisenbahn; am 19. April i88x wurde er als Hilfsarbeiter in das Ministerium
A. Birk.
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Stambke. Hofimann.
227
der öffentlichen Arbeiten berufen, wenige Monate später zum (lelieimen Baurat
and 1887 zum Geheimen Oberbaurat ernannt. So unterstand ihm seit 1881
die gesamte Eisenbahnmaschinentechnik in Preufien, die unter seiner Leitung
eine tiefgehende Ausgestaltung erfuhr; es sei an den Ausbau der Nonnalien
fftr Betriebsmittel, Wasserstationen, Drehscheiben und Schiebebühnen erinnert.
Im Jahre 1895, '^1^*'' Neuorganisation des preußischen Eisenbahnwesens,
schied St. aus seiner Stellung im Ministerium; 1899 legte er auch sein Amt
als Vorsitzender der technischen Prüfungs- und Ober -Prüfungskommission
nieder. St. war auch Mitglied der Akademie des Bauwesens. Besondere
Titi^eit entfaltete er als Mitglied des Vereins deutscher Maschineningenieure.
Litcntnr: »Annalen für Gewerbe und Battwc«enc 1903, 1, S. 105: mit Bild.
A. Birk
Hoff mann, Otto, Professor Dr., Schulmann und Herderlorscher, * 9. Ok-
tober 1839 in Berlin, f az. Mai 1903 in Steglitz. — H. besuchte das Gjrmnasinm
zum grauen Kloster, studierte dann in Berlin, unterrichtete einige Zeit am
nymnasium in Potsdam und ist dann von 1866 bis Ostern 1903, wo er in
<len Rulicstaiid trat, am Köllnischen Gymnasium in Berlin als Lehrer tätig
Wesen. iJie in Herlm im Anfang der siel)/iger Jahre als Folge des plötz-
ii* hcn und mächtigen Aufschwunges eingetretene \\ ohnungsnot veranlalite ihn
1S73 sich In dem nahen Steglits niederzulassen, dessen damals noch ganz
lindliche Zustände durch den starken Zuflufi städtischer Bevölkerung rasch
verändert wurden. H. hat der Ordnung dieser Verhältnisse eine lebhafte
Tätigkeit gewidmet, anfangs oft im Konflikt mit der noch überwiegend bau(>r-
lichen Gemeindebehörde, später als angesehenes Mitglied derselben. Nament-
lich sei hervorgehoben die Gründung eines Fortbildungsvereins, einer Fort-
bildungsschule, einer volkstümlichen Bibliothek und die Anregung zur
Errichtung einer Realschule. Gegen Ende der achtziger Jahre nörigte ihn
Krankheit, seine kommunale und öffentliche Tätigkeit einzuschränken, er
wndmete nun seine Mussestunflen mehr ah liislier literarischen Studien. Er ver-
tiefte sich in die Literatur des 18. Jahrhunderts und beschäftigte sich liesonders
eingehend mit Herder. Aus diesem Herderstudium sind folgende Schriften her-
vorgegangen: Herders Briefwechsel mit Nicolai. 1887. — Herder-Funde aus
Xicolab allgemeiner deutscher Bibliothek. 1888. (Programm des Köllnischen
Gjrmnasiums.) — Herders liriefe an Johann Georg Hamann. 1889. — Der
Wortschätze des jungen Herder, ein lexikalischer Versuch. 1895. (Programm
des Köllnischen Gymnasiums.) Ferner hat er den 14. und den 32. Band der
Suphanschen Herderausgabe bearbeitet und war auch noch an dem jetzt im
Eischeinen begriffenen 33. Schluflbande beteiligt, dessen Nachwort nach der
Absicht des Herausgebers ein Ehrendenkmal ffir seinen Freund und treuesten
HeHer werden soll. H. hatte sich so vollständig in Herders Wesen hinein-
fiedacht, daß er die tiefste Wirkung hervorbrachte, als er bei einem Stiftungs-
feste der Gesellschaft für deutsche Literatur eine noch nngedruckte Kanzel-
rede aus Herders rigischer Zeit nicht vorlas, sondern wirklich predigte, so wie
ihr Stil und alles, was wir von Herders Art wissen, es fordern. Er gab den
vollen Eindruck einer lebendigen Reproduktion ohne die geringste Schau-
spielerei, aus den toten Lettern wehte der starke Odem des Sprechers, nicht
Schreibers, des »Redners Gottes«. (Mitteilung von Professor Erich Schmidt)
IS*
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328
Hoffinann. GtMMe.
Auch hei scheinharer Mikrologie seiner Studien bheh H. stets ein freier Geist,
er betrai htete che Ergebnisse seiner Arl)eit nur als kleine Hausteine und war
gern bereit, damit die Arbeit anderer zu unterstützen. Auüer den vorstellend
genannten Arbeiten hat H. noch zwei Schulbücher veröffentlicht, die sich
durch geschickte Auswahl des Stoffes und durch sachkundige Ericlftrung ans*
zeichnen: CarresfKmdance dt FridMc le Grand avtc Voltaire und Taine, Origmes
de In France eonten^orame. (Rengerscher Verlag in Leipsig, erste Auflagen
1889 u. 1891.)
Mehr noch als durch seine Schriften wirkte H. durch seine in hohem
Grade liebenswerte, herzhafte Persönlichkeit und durch den unversieglichen
Humor, der ihn auch in den schwersten Prüfungen und bei langer schmerz-
hafter Krankheit nicht verHeß. H. war zugleich musikalisch und poetisch
begabt. Was er (lachte und fühlte gestaltete sich ihm leicht zu diclitcrischer
Form. Seine sangbaren Lieder und die zahlreichen Gedichte, die zum Teil
scherzhafter Art waren, während sich in andern tiefes religiöses Gefühl aus-
sprach, hat er in bescheiden«' Auffiissung ihres Wertes niemals veröffentlicht,
sondern nur seinen Freunden zugänglich gemacht Einige Lieder aus seiner
Studentenzeit werden in der Landsmannschaft, welcher er damals angehörte,
noch jetzt alljährlich bei gröfieren Festlichkeiten gesungen.
Paul Goldschmidt.
Goose, Sophus, Dr., Justizrat, * 30. Juni 1839 in dem oldenburgischen
Städtchen Neuenburg, f 14. Mai 1903 in l^sen a. Ruhr. — G. studierte zuerst
in Herlin, dann ging er nach Heidelberg, wo er außer juristischen auch ge-
schichtliche Vorlesungen hörte und sich an Ludwig Haeussers historischen
Übungen beteiligte. Während der Ferien trieb er in München Kunstgeschichte
mit Alfred Woltmann, der damals selbst noch Student war, bald aber als
Kunstforscher und Kunsthistoriker sich einen großen Namen erwarb. Nachher
beschäftigte sich G. in Leipzig und dann wieder in Berlin mit juristischen
und volkwirtschaftlichen Studien.
Zwei wissenschaftliche Arbeiten seiner Jugendzeit fanden vielfachen Bei-
fall. Seine Doktor -Dissertation über die rechtlichen Wirkungen des Zufalls
(De casu quacdam obsen'ationes. Berlin 1866), wurde von ihm auf Iherings Wunsch
etwas erweitert in deutscher Sprache ausgearbeitet und so in die Jahrbücher
für Dogmatik des Rechts (Februar 1868) aufgenommen. Die zweite Schrift
ging aus der Praxis des Vorbereitungsdienstes an einem oldenburgischen Ge-
richtshofe hervor. G. hatte eine Sache zu bearbeiten, in welcher der Richter
nach dem oldenburgischen Strafgesetz auf Landesverweisung erkennen wollte.
G. machte indessen geltend, dali dies nach der el)en in Kraft getretenen V'er-
fassung des norddeutschen Bundes gegen Angehörige eines anderen Bundes-
staates nicht zulässig sei. Seine Ansicht fand die Zustimmung des obersten
Gerichtshofes und wurde dann, als G. sie auch in der Öffentlichkeit vertrat
(Holtzendorffs Allgemeine Deutsche Strafrechtszeitung, Juli 1868), von allen
Seiten als /utrettend anerkannt. Hervorragende Fachmänner rieteti ihm, sich
ganz der juristischen Wissenschaft zu widmen und sich an einer I niversiiat zu
habilitieren. G. aber zog die l'ra.xis vor. Kr glaubte, eine mehr praktische
als wissenschaftliche Begabung zu haben, wollte indessen nicht für sich selbst
als Kaufmann tätig sein, sein Ideal war vielmehr als Beirat grofier kauf-
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Goose.
229
männischer Unternehmungen, gewisscrmafien, wie er sich ausdrüclvte, als ihr
»jnristisdies Gewiasenc xu wirken.
Er wurde im Dezember 1868 Anwalt am Amtsgericht Oberstein im olden-
borgischen Fürstentum Birkenfeld, Ostern 1870 kehrte er nach Berlin zurück
als stellvertretender Direktor der von der Xe\v-\'orker Lcbensvcrsirhcninps-
Gesellschaft Germania neubegründeten europäischen Abteilung. Zwei Jahre
später, im April 1872, siedelte G. nach Essen über, um in die »Prokura« der
Finna Friedrich Krupp einzutreten. Herr Alfred Krui<p wünschte sich mit
Rücksicht auf sein Alter und auf den wachsenden Umfang seiner Unter-
nehmungen von der unmittelbaren Leitun^^ des Geschäftes zurückzuziehen
und übertrug diese einem aus Technikern, Kaufleuten und Juristen bestehenden
Kollegium, das damals »^Prokura«, später zutreffender I)irektorium< genannt
wurde. G. ist zehn Jahre lang ein bedeutendes Mitglied dieses Kollegiums
gewesen. Zunächst liandelte es sich, um den Austwu und die Durchführung
der neuen Einrichtung für die Verwaltung der Werke , um die Ausarbeitung
der dazu erforderlichen organisatorischen Bestimmu!, ' t. und Regulative. Seine
Kinwirkung beschränkte sich aber nicht auf das administrative und juristische
Gebiet, auch an der kaufmännisclien Leitung des l 'nternehmens ist er in
hervorragender Weise beteiligt gewesen. Namentli( h hat er die Verhand-
lungen über die Aufnahme einer Anleihe von 30 Millionen Mark, später über
die Umwandlung dieser Anleihe, ebenso wiederholt die wichtigsten Verhand-
inngen mit den Regierungen auswärtiger Staaten persönlich geführt. Zeit-
weiHg konnte er wohl als der Mittelpunkt der »Prokura»', als der eigentliche
Leiter des Unternehmens angesehen werden. Auf Krupps Vorschlag wurde
er 1877 vom Kaiser durch die Verleihung des Titels Justizrat ausgezeichnet.
Später stimmten seine Ansichten nicht ganz mit denen Krupps überein, er
sog sich deshalb etwas zurück und schied 1883 bei dem Ablauf seines zehn-
jährigen Kontraktes aus, um sich als Rechtsanwalt in Essen niederzulassen,
blieb aber sowohl mit der Familie wie mit dem- Geschäfte Krupps in naher
Verbindung. Noch 1890 wurde er von Herrn Krupp, der damals als einziger
Wähler erster Klasse in seiner Abteilung drei Mitglieder der Stadtverordneten-
Versammlung zu ernennen hatte, mit einem dieser Mandate betraut.
Auch als Rechtsanwalt fand G. sehr schnell ein ausgedehntes Arbeitsfeld,
sein Rat wurde von vielen Seiten in Anspruch genommen, er wurde jetzt in
der Tat, wie er in der Jugend gewünscht hatte, der Vertrauensmann zahl-
reicher gewerblicher Unternehmungen, der Syndikus großer wirtschaftlicher
Vereine.
Schon während seiner Tätigkeit bei Krupp war G. Mitglied der Essener
Handelskammer geworden und von dieser als ihr Vertreter zu den deutschen
Handelstagen geschickt worden, war er in den Vorstand des Vereins der
deutschen Eisen- und Stahlindustriellen, in den Ausschufl des \'ereins zur
Wahrung der gemein^^umcn wirtschaftlichen Interessen von Rheinland und
Westfalen gewählt worden. In diesen und vielen anderen wirtschaftlichen
Vereinigungen hat er mitgewirkt an den Bemühungen, die Regierung für den
Üb ergang zum Schutzzoll^stem zu gewinnen und ist er mit Erfolg für eine
sozialpolitische Gesetzgebung tatig gewesen.
Der gewinnende Eindruck seiner schlichten und liebenswürdigen Persön-
lichkeit wurde verstärkt durch seine vielseitige fachmännische Erfahrung, durch
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Goose. Wittstock.
rasche Auffassung sowohl kaufinännisihcr uikI juristischer als aurli technischer
Fragen, durch Klarheit im schrittlichen wie im mündlichen Ausdruck. Sein
auf seelischer Harmonie beruhender gesunder Humor, die ihm eigene ruhige
Sachlichkeit machten ihn ebenso zum gewandten Geschäftsmann wie auch
zum guten riese II schafter. Allerdings ist er in größeren Versammlungen
niemals als Redner aufgetreten, seine Einwirkung machte sich vornehmlich
geltend in den Heratungen der Ausschüsse, in der Formulierung von Antragen,
in den Verhandlungen mit den leitenden Männern der einzelnen Parteien.
Gerade im persönlichen Verkehr war sie oft von entscheidender Bedeutung.
Wittstock, Albert, Pädagog und Dichter, ♦ 20. August 1837 in Wuster-
hausen a. d. Dossc (Mark Brandenburg), f 16. Januar iqo^ in I>eipzig. — Seinen
Vater, einen l.andwiri, verlor er schon im Alter von sechs Jahren. Zwei Jahre .
später verkaufte die Mutter ihr Besitztum, zog nach Neuruppin und wurde
hier in zweiter Ehe die Gattin des Kaulmanns Wirth. Albert absolvierte das
dortige Gymnasium und stand nun vor der Wahl eines Berufs, die um so
schwerer war, da er inzwischen auch seine Mutter verloren hatte und die
Vermögenslage seines Stiefvaters iji bedenkliche Schwankungen geraten war.
Aber kurz entschlossen ging er nach Herlin. um sicli an der dortigen Univer-
sität erst theologischen, dann aber vorwiegend philologischen Studien zu
widmen. Als Frucht der ersteren kann seine größere Dichtung »Golgatha«
(1859) angesehen werden. Nachdem W. 1859 in Beriin vor der Prüfungs^
komraission sein Examen als Lehrer an höheren Schulen bestanden, folgte er
i.Söo einem Kufe als Lehrer am deutsch - evangelischen Gymnasium nach
Uedenburg in Ungarn, wo er ein Jahr blieb, ging dann als Hauslehrer nach
Wien, wo er auch an Schuselkas 'Reform ^ mitarbeitete und 1862 die Jahr-
bücher für das evangelische Schulwesen in Osterreich« herausgab. Darauf
kehrte er nach Deutschland zurück, erwarb sich die Würde eines Dr, pMl.,
wirkte zunächst als Gehilfe Gaspeys an dessen englischem Institut in Heidel-
berg und seit 1865 als Lehrer an einer höheren Hürgeiscluile in Frankfurt a. ^L
Da zu jener Zeit die neuere Philologie an den deutschen Ho( hs( hulen nur
sehr dürftig vertreten war, so falite W. den Entschluü, sich hicrm tüchtig
auszubilden, um dann die akademische Laufbahn einzuschlagen. Er ging
deshalb 1866 als Lehrer an die Insütutim intertuUumale in Genf, 1867 nach
London und 1868 nach Paris, wo er an der S( hule Sf. Thomas d'.l/i/in wirkte
und an der Universität eingehende Studien der französischen Sjirache betrieb.
Bei Ausbruch des deutsch-tranzosiM iien Krieges kehrte er nach I )eutschlanil
zurück, wurde 1870 Rektor in Pöüneck in Thüringen und 1872 Schuldirektor
in Reudnitz bei Leipzig. Trotz seiner großen Arbeitslast — er hatte mehrere
Jahre hindurch eine Realschule, eine Volks- und Bürgerschule und eine Fort-
bildungsschule gleichzeitig zu leiten — fand er doch Zeit, seine pädagogischen
Erfahrungen in einer Reihe wertvoller Werke und Schulschriften niederzulegen,
unter denen hervorzuheben sind: -Pädagogische Wanderungen (iSjc)), Ge-
schichte der deutschen Pätlagogik« (2. Auli. 1887), Lessings Erziehung des
Menschengeschlechts als pädagogisches System« (1887), »Die Erziehung im
Sprichwort« (1888), »Die grofie ethische Strömung in unseren Tagen« (1892),
»Das ästhetische Erziehungssystem« (1896), »Erziehungsaufgaben in unserer
Paul Goldschmidt.
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Wittstock. Zutfow.
231
Zeit (iSqq), Französisrlie Sprachlehre für den formal bildenden Triterricht«
(2. Aurt. 1S83), »tinluiuung in die englische Sprache«-^ (187S)', i> Th( Atutent
Ckusks, Englisches Lesebuch« (1880) u. a. Nebenher gingen dann auch
einige poetische Arbeiten, wie »Der Turm su Babel« (Drama 1875), »Die
Binc" (Idylle a. d. Mark Brandenburg, 1892) und Rcimspruchbuch der deut-
>rhcn Volksweisheit« (i89()). Im Jahre 18SS war W. in den Ruhestand getreten
und nach Leipzig übergesiedelt. Oer Herzog von Meiningen ehrte ihn iqoi
durch Verleihung des Titels »Hotrat.^^ Zwei Jahre nach seinem Tode (1905)
erschienen seine nachgelassenen Gedichte unt» dem Titel »Das Hohelied
der Natur«.
Pendnliche Mitteilungen. — Untttdialtiuigsblatt zum »Kreisblatt filr das WesUwvdland«
vom 4. Januar 1885. — Das literarische Leipdg 1897, S. 131.
Franz Brümmer.
Zastrow, Karl (w/lP Hermann), Jugentlschriftsteller, • 11. April 1836 in
Prenzlau, 79- Februar 1003 in Herlin. Sein \'ater, aus dem Militärstande
hervorgegangen, bekleidete spater ein kleines Amt hei der Post. Der talent-
volle Knabe erhielt den ersten Unterricht in der üarnisonschule zu l'renzlau
und trat nach seiner Konfirmation eine Beschäftigung in der dortigen Magistrats-
kanzlei an, wo er sich der besonderen Gunst des bekannten Oberbürger-
meisters Grabow zu erfreuen hatte. 1854 trat er als Freiwilliger in das
2. Garderegiment zu Fu(5 in Berlin ein, wurde nach zwei Jahren rnteroffizier
und Bataillonsschreiber und arbeitete, um sich für die Zahllnei'^terlaufl)ahn
vorzubereiten, in seinen dienstfreien Stunden beim Rechnungsfülirer oder er
nahm Unterricht in den fremden Sprachen und der Mathematik. Infolge
dniger Gelegenheitsgedichte erfreute er sich des besonderen Interesses der
Offiziere seines Bataillons und erlangte durch ihre Vermittelung Zutritt in
manchen gebildeten Kreis. Kr luirte Vorlesungen über Philosophie und
Geschichte und benutzte auch die Königlit he Bibliothek in Berlin. Nach
Beendigung seiner Militärdienstzeit hatte er vor, sich dem Lehrfacli zu widmen.
Doch entschlofi sich Z. später, eine Stellung bei der Niederschlesisch-Märkischen
Eisenbahn anzunehmen. 1863 gab er tmter dem Titel »Traum und Leben«
seine Poesien heraus. Das darin enthaltene Mfirchen »Arthur« ])ewou einen
angesehenen Buchhändler Berlins, Z. zur Abfassung eines Märrhenburhs für
die Jugend aufzufordern. Bald erschienen denn auch > Aus der Märchenwelt «
(1863) untl »Ernst und Scherz fürs Kinderherz« (1865), und damit war sein
Beruf als Jugendschriftsteller entschieden. An 100 Bücher hat er seitdem für
die Jugend geschrieben. Aufierdem auch Novellen (»Zwei Seelen«, 1868 —
»Xachtviole 1870 — Schneeglöckchen , 1869), Romane wie (»Mifiverständ-
nisse, II, 1873 — Die Klarinette als Talismann«, II, 1874 — Im gr.äflichen
Hause- , 1.S7S — Leidenschaftliche Herzen , 1870 — Min Familiendrania ,
'^79)» Schwanke, Lustspiele und Humoresken flössen aus seiner Feder, in
seinem Berufe, zuletzt als Eisenbahnbetriebssekretär, war Z. bis zu seinem
Tode tätig.
Persönliche Mittefluisen. — Adolf Himiehsen: Du literarische Deutschland, 1891,
S. 1415. — Wrede und Reinfrls: Das geistige Berlm. Bd. I, 1897, S. 584.
Franz BrOmmer.
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232
Schneider.
Schneider, Wilhelm, Königlich bayerischer Hofschauspieler und Regisseur,
* 19. September 1847 in St. Petersburg, f 17. Oktober 1903 auf Ludwigshöhe
bei München. — Sch. war der Sohn eines deutschen Buchhändlers, der, wie
nicht wenige seiner Bemisgenossen, nach Petersburg verschlagen worden war.
Als der Vater früh gestorben, kehrte die Mutter in die schlesische Heimat,
nach Neisse, zurück. Der junpc Srh. zeigte schon auf dem Gymnasium Bühnen-
talent, noc h mehr aber Begeisterung fürs Theater und spielte als Gymnasiast
dem gerade durchreisenden Dawison etwas vor. In Breslau, auf der Universität,
ist diese Neigung dann mächtig gewachsen und hat endlich cur Entscheidung
geführt An Alfred von Wolzogen, den damaligen Intendanten des Schweriner
Hoftheaters empfohlen, erhielt Sch. dort sein erstes Engagement, nachdem er
bei Kmil Xcumnnn, ficm Dramaturgen des Friedrich Wilhelmstädtischen
Theaters theoretische, auf einem Dilettanteiitheater I raiiia praktische Studien
getrieben hatte, zwei Monate in Liebau (Kurland) gespielt und aus dem
deutsch-französischen Kriege heil in die Heimat zurückgekehrt war. In Be>
nedix' Ascbenbriklel betrat er als jugendlicher Liebhaber zum erstenmal die
Schweriner Hofbühne. Die dort verlebten sieben Jahre zählte er zeitlebens
zu seinen glücklichsten. Herr von Wolzo<^en ward ihm ein hochverehrter
künstlerischer K.rzicher und Gönner. Kr und sein Schüler nnifiten aber bald
crkeinien, daÖ die imposante Erscheinung Sch.s ihn mehr zum Heldenvater
geeignet erscheinen lasse, und so machte er denn sehr früh schon (als Leopold
in Anna-Liese) den Obergang in dieses Fach, dem er nun treu blieb. Vonn
August 1871 bis zum i. Mai 1878 war er in Schwerin glücklich, um dann
nacli einem erfolgreichen Gastspiel als Odoardo in Fmilia Galotti unfl Alba
(Kjiimont) nach München zu ziehen, das er nicht mehr verlassen sollte. Schon
1881 wurde Sch. zum Regisseur des Ho^.^cllauspiels ernannt. Am 20. Mai 1903
feierte er unter grofien Ehren das Fest seiner 35 jährigen Zugehörigkeit zum
Münchener Hoftheater — als schwerkranker Mann. Von diesem Tage an,
der ihm viele Aufregungen, wenn auch der freudigsten Art, gebracht hatte,
ging es schlechter. Ein längerer Urlaub konnte nichts mehr hessern. Am
2.S. -August desselben Jahres spielte er zum letztenmal den Thoas, am i. Sep-
tenibcr trat er ahnungslos zum letztenmal als Stiftsherr in Philippis »GroÜein
Licht« auf — es war sein 4125. Abend — und am 17. sdilief er, nachdem
die Arzte durch alle möglichen Experimente seinem tückischen Leiden bei-
zukommen getrachtet hatten, mit den in Prosa übersetzten Schlußworten
seines Wallenstein: -Nun will ich noch ein bischen schlafen' still und für
immer ein. Seine Freunde hatten schon lange vorher mit Besorgnis den
rapiden Verfall .seiner stattlichen Gestalt, seine immer häutiger auftretenden
Gedächtnisschwächen, die sich in oftmaligem Versprechen äuflerten, mit ängst-
licher Sorge bemerkt. Sch. hatte schon in Schwerin die Schauspielerin Emilie
Hennies geheiratet und sich später in Ludwigshöhe, einem Vorort Münchens,
eine Villa gebaut, an der er mit verhängnisvoller Freude hing. In seiner
Doppeleigens( haft als vielbeschäftigter Schauspieler und als Regisseur war
er immer unterwegs und konnte sich wenig Ruhe gönnen, und als nun gar
seine Tochter Kiisabeth, sein einziges Kind, zum Theater ging und er es
glücklich durchgesetzt hatte, dafl sie nach einem Jahre schon von Schwerin,
wo auch sie debütiert hatte, ans Münchener Hoftheater kam, gingen seine
Sorgen nicht mehr aus: er hatte nun Ehrgeiz für zwei und litt unendlich
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Schneider. Bausewein.
unter der natOrUch minder allgemeinen Anerkennung, welche die weit weniger
begabte Anfängerin im der St&tte seiner Tätigkeit fend. Neben der gröBten
Freude, mit seiner Tochter zu spielen, standen hart diese Enttäus< innigen and
nur seltene Ruhepausen in seinem geliebten Familienheim. — S( h.war i in iiberaus
intelligenter und fleißiger Schauspieler. Mit einer wahren Heldentigur begabt,
war er eine uwleutsche Erscheinung, eine Eiche, die alle überragte und schon
deshalb unwillkürlich imponierte. Mehr von norddeutscher Kühle, ersetzte
er, was ihm an förtreifiendem heifiem Künstlertemperament mangelte, durch
fibeneugende Kraft and Bestimmtheit des Aasdnicks, der durch ein prächtiges
sonores, kaum zu ermüdendes Organ getragen war. Er verdarb nie eine Rolle,
erfreute selbst in humoristischen Chargen und ist stets eine wahre Stütze des
Repertoires gewesen. Seine besten Leistungen waren u. a.: (iötz, Wallenstein,
Lear, Odoardo Galotti, Verrina, Meister Anton und besonders der Erbförster,
ab welcher er noch kurz vor seinem Tode die Freude hatte, sich mit seiner
Tochter den Berlinern in einem Mttnchener Ensemblegastspiel zeigen zu
können.
Biographien Sch. sind in »I.udwip Eisenhcrp? Hiographiscbcm Lexikon der Deutschen
Bdnie« und im » I heater-Almanach der Deutschen iSUbnengenossenschatu (16. Jalirgaug 1905)
cnchienen.
München. Alfred Frhr. v. Mensi.
fiauaewein, Kaspar, Königlich bayerischer Hofopem- und Kammersänger,
* 15. November 1838 zu Aub bei Ochsenfurt in Hayorii, ■!■ iS. Xoveinber 1003
in Mianchen. — H. war der Sohn eines arineii Sclmcidcrs in dein fränkischen
Städtchen Aub, und Schneider sollte auch der kleine Kaspar werden. Aber
er wollte nicht. Er wollte hoch hinaus: er hätte studieren mögen. Schweren
Heizens schickten ihn die Eltern nach Würzburg ins Lehrerseminar, wo er
gar fleißig studierte und die besten Anlagen zeigte. Seine musikalischen
Fihigkeiten zogen aber die Aufmerksamkeit des Schulrats Marschall auf ihn,
und dieser vcranlalite ihn, sich in München von Kranz Lachner prüfen zu
lassen. Als mit der ersten Note absolvierter Seminarist, aber blutarmer Teufel
ging B. zu Lachner, der von seiner Baßstimme so überrascht und entzückt
war, dafi er ihn sofort dem Intendanten des Hoftheaters empfahl. B. kam
«0 in den Opernchor; er wollte aber Solosänger werden und so ging er zum
berühmten Tenor Dr. Härtinger, der sich von der I^idine zurückgezogen hatte,
aber als ( iesanglehrer sehr gesucht war. Am i. Oktober 185S war B. für die
Münchener Oper engagiert worden, und der Sarastro war seine erste Solo-
n>lle. Nun ging es rasch aufwärts. Musikalisch durch und durdi, bdierrschte
das ganze seriöse und Buffobafifach, war Meister im Contrapunkt, spielte
Klavier, Harmonium, Orgel, Cello, Violine und Guitarre und — blieb dabei
iIs das nützlichste Mitglied der Oper mit einer lächerlich kleinen (/age der
Muiichener Oper treu bis zum letzten Athemzuge: das Muster eines bescheidenen,
^elbstgenügsamen und ehrlichen Künstlers, der kernen l'eind hatte und an
innerem Wert die meisten seiner gefeierten und besser bezahlten Berufsge-
nossen weit übertraf. B. war der eiste Pogner in den Meistersingern, der
crtte Fahler im Rheingold, der erste Hunding in der Walküre. Die An-
strengungen tier großen Wagneraufführungen in den siebziger Jahren trugen
>iun zwar Ruhm, aber auch eine Stimmbändererkrankung ein, an der er fast
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234
Bftusewein. Stengldn.
zwei I;ihrc zu IciiIlii li.ittc. Kr ginji nun l;ulg'^alll ins Baßlniftof;ich über,
in dem er bis zuieut keinen Kivulcn hatte untl in ileni er auch heute noch
unersetzt geblieben ist. Ein schöner Charakterkopf auf einer derben guten
Figur, musterhafte Aussprache, großes Spieltalent und ein köstlicher, feiner
Humor prädestinierten ihn ganz besonders für diesen Rollenkreis. B. sprung
aber, stets liilfshorcit , immer noch in so^iö•^en Baßrnllen ein für 1)ourlaul)ie
oder kranke Kollegen und begehrte für si( h niemals einen besonderen I rlaiih.
Sein Bürgermeister in Zar und Zimmermann, sein Basilio im Barbier von
Sevilla, sein Leporello, Rocco, Kaspar und Marcell waren bis zuletzt einzig.
In Fra Diavolo nahm er — es war ein trauriges Familienfest — 1900 seinen
Abschied von der Bühne nach allgea»inem Urteil viel zu früh. Aber er
sah fast nichts mehr. Der bekannte Augenarzt Herzog Carl Theodor operierte
ihn in Tegernsee glücklich am Staar, und am Tegernsee hatte sich H. auch
ein kleines Landhäuschen erbaut. Es war ihm nicht lange vergönnt, es im
Kreise der Seinen zu genieflen: ein schweres Leberleiden riß diesen Pracht-
und Kemmenschen rasch auf die Bahre: am 18. November 1903 nahte ihm
der Tod als Erlöser aus schweren Leiden. Kr war lange vorher durch den
Kammersängertitel und durch die \'erleihung der Goldenen Medaille für
Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet worden.
Biographien: in »Ludwig Elbenbergs Biographischem Lexikon der Deutschen Buline«, im
16. Jahrgang, 1905, des »Theater-Almanachs der Deutscfaen BtthnengciMMienschaft« und im
Almanach der Ktfnigi. Hofdie«ter in Mttnchen (1904 mit Bild).
München. Alfred Frhr. v. Mensi.
Stengicin, Melchior, Keichsgeri< htsrat a. 1)., *4. Oktober 1825 zu Bam-
berg, f 8. Juli i()03 zu Tegernsee. — In St. verlor die deutsche Stratrechts-
wissenschaft einen ihrer tüchtigsten und freimütigsten Vertreter, einen Mann
von großem Scharfsinn nnd von Vielseitigkeit, von einer fast unbegrenzten
Arbeitskraft und Arbeitsfreude. Sein Vater war der in der Verwaltungskarriöre
schließlich zum Regierungspräsident von Oberfranken in Bayreuth empor-
gestiegene Staatsrat unil Ex/ellenz St., seine Mutter (die er schon im .\lter
von zwei Jahren verl(»r) eine gel), von Kanimerlohr, von der die einzige
Schwester stammte, verheiratet mit dem Appellationsgerichtsrat von Enhuber.
Nach zehnjährigem Witwerstande heiratete der Vater in zweiter Ehe Frei-
fräulein Marie von Rgloffstein, die bis zu ihrem Tode im Alter von 92 Jahren
einen großen, wohltätigen Einfluß auf den sie kindlich verehrenden Stiefsohn
ausübte. Der \'ater starb 08 Jahre alt. Der Sohn studierte in Heiden)erg
und Würzburg die Kechtswissenscliatt , trat i. Mai i84() in den lia\erischen
Justizdienst, wurile 1854 Slaatsanwaltssub>titut, 1857 zweiter Maatsanwalt in
Passau, 1864 erster in München, 1868 Appeilationsgerichtsrat und vortragender
Rat im Justizministerium, nahm 1872 seinen Abschied und amtierte bis 1879
als Rechtsanwalt in München. Von 1863 bis zum 30. September 1879 gehörte
er der baycrisrhen Abgeor<lnetenkammer an, und zwar Iiis iSOo aN Mitglied
der groLideutNchen liberalen Partei, von da an der vereinigten lil)eralen l'.trtei.
Er vertalite den ersten Entwurf des Gesetzes vom 30. Januar 1868 über die
Wehrverfassung, das in Bayern die allgemeine Wehrpflicht einfOhrte und war
Berichterstatter des Ausschusses über das Militärstrafgesetzbuch und die
Militärstrafgerichtsordnung. Auch war er 1873 bis i^T^ Mitglied des Reichs-
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Stenglein.
ta^s, in (k m er der nationalliberalcn Partei angehörte. Kür die von C V. Dnll-
niann herausgegebene »Gesetzgebung des Königreichs Bayern seit Maximilian U.«
gab er in Teil III Bd. I Heft 3 das Gesetz vom a8. März 1853 betr. die gewerbs-
mäfligen Gutszertrfimmerungen x86o heraus, sowie 1868 in Teil II Bd. V das
Gesetz vom 30. Januar 1868 betr. die Wehrverfassung und 1870 in Teil I
Bd. IV Heft 4 das Ciesetz vom 3.^. Februar i<S6.S betr. die Abhlsbarkeit der auf
Grund und Hoden haftenden oilcr mit einer ( ie\verl)srealität verbundenen Khe-
haftsverhältnis-se, sodann einen »Kommentar über das Stratgeset/.buth für
das Königrfich Bayern and das Gesetz über die Einführung des Strafgesetz-
buches und des Polizeistrafgesetebuches in 3 Teilen«, München x86i — 63, lieft
auch von 1862 bis 1879 eine Zeitschrift für die ricrichtspraxis und Rechts-
wis«;enM haft in Bayern« erscheinen, um für die durch die neue (iesetzgebung
über Strafrecht und Strafprozeß hervorgerufenen Fragen einen Sprcch.saal zu
eröfbien. Vorangegangen war eine wertvolle »Sammlung der deutschen Straf-
gesetzbücher« in 13 Bändchen, München 1857. Im Jahre 1855 heiratete er in
Bajrreuth Fräulein Emma von Regemann, Tochter des Rittergutsbesitzers und
Königlich bayeri.srhen Hauptmanns a. D. Herrn v. R. und .seiner Fdiefrau geb.
Freifräidein Kühle von Lilienstern. Aus dieser sehr gUu klii hen Khe stammen
zwei Söhne und eine Tochter Marie, seit iSSi verheiratet mit Prof. Dr. Kdni.
Leser in Halle. Vom 1. Oktober 1879 an war er bis Ende 1888 Keichsanwalt
unter von Seckendorff und Dr. Hermann Tessendotff, dann wurde er t. Januar
1889 Reichsgerichtsrat und amtierte bis Ende 1897, trat dann in den Ruhe-
stand und verlegte seinen Wohnsitz nach Halle. Er übernahm die Redaktion
des »Gericlitssaales« von Bd. XLII an und führte sie bis Hd. LXII; selbst
schrieb er darin die meisten Kritiken mit lebendigster Feder und ijueiiender
Frische wesentlich vom Boden der sogenannten klassischen Schule aus, doch
immerhin manchem Neuem größtes Interesse und Verständnis entgegen-
bringend. Von seinen vielen wertvollen Beiträgen für diese Zeitschrift (vgl.
das Verzeichnis von Dr. jur. Georg Maas, Bibliothekar im Reichsmilitärgcricht
S. los; .f. //. 7'.), sei nur der letzte grolle Beitrag genannt »Zur Reform der St. P. O.«
in Bd. LXII, 241—288, 321—361. Daneben war er vielfach tätig bei Heraus-
gabe der Deutschen Juristen-Zeitung«, die er mit Prof. Dr. Laband und Rechts-
anwalt Dr. Staub 1896 gegründet hatte, in Gutachten für die Verhandlungen
des Deutschen Juristentages (vgl. IX, 1 1— 15, XIV, I^ 89—98; XIX, U, 349—358;
XXn, I, 108—133; XXIV, I, 90—106; XXVI, I, 56—62), bei der Zeitschr. f. d.
pes. StRW. von v. Liszt (vgl. III, 1 1 1 — 143 Glücksspiel und Wette, IV, 487 - 498
Begünstigung und Beihilfe zur Selbstbefreiung). Nur seine fast unbegrenzte
Arbeitskraft und seine grosse Arbeitsfreude machten es möglich, dali er eine
Reihe großer Arbeiten bald aufeinander veröffentlichen konnte, so »Die Straf-
prozefi- Ordnung fQr das Deutsche Reich vom i. Februar 1897 nebst dem
Gerichtsverfossungs-Gesetz vom 37. Januar 1877 und den Einführungsgesetzen
7.n beiden Gesetzen,« Nördlingen 1885, 2. .\ufl. 1889; »Lehrbuch des Deutschen
Strafprozeßrechtes«, Stuttgart 1887; Rüiiorfls Kommentar zum Strafgeset/.bu» h
für das Deutsche Reich, 3. Aufl. Berlin 1881, 4. Aufl. 1892, Nachtrag 1873; die
große Arbeit »Die strafrechtlichen Nebengesetze des Deutschen Reichs« (mit
Dr. H. Appelius und Dr. G. Kleinfeller), Berlin 1893, 3. Aufl. von St. allein
1895—98, 3. Aufl. 1901—03; daraus iMsonders »Die Post-, Bahn- und Tele-
giaphengesetzgebnng des Deutschen Reichs«, 3. Aufl. und »Die Reichsgesetze
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236
zum Schutz lies geistigen und gewerblichen Eigentums«, 3. Aufl.; »Lexikon
des Deutschen Strafrechts nach den Entscheidungen des Reichsgerichts« in
3 Bänden, Berlin 1900, Nachtrag von Reichsgerichtsrat Galli 1904; »Kommentar
zvLT Militintrafgerichtsordnang vom i. Dezember 1898 nebst don EinfÜhnings-
gesetz, den Xebengesetzen und den Ausführungsvorschriften«, Berlin 1901. In
juristischen Tagesfragen, die die öffentliche Meinung erregten, nahm er frei-
mütig das Wort — und dies war oft recht scharf, so jugendfrisch, wie es bei
älteren Leuten nicht häutig angetroffen wird. So konzentrierte sich sein In-
grimm auf das Institut der Gerichtsherrn im Militärstrafprozeß,« für ihn ein
Überbleibsel der mittelalterlichen Landsknechte; daher auch seine leiden-
schaftliche Abneigung gegen die Hineinziehung militärischer Gesichtspunkte
in die Fragen objektiver Gerechtigkeit in mehreren Aufsitzen zum Krosigk-
prozeü gegen das Verhalten des (jeneralleutnants von Alten und den Geheimen
Kriegsrat C r. Romen, während er dann einen Aufsatz von Dr. A. Brückmann
ohne weiteres in den »Gerichtssaal« aufnahm und diesem allerdings eine lange
Entgegnung beifügte (Bd. 60 S. 131 fF.)* Für eine weise Beschränkung der An-
erkennung des Satses •ignoratt/ui juris nocet* trat er noch kurz vor seinem Tode
(»Dtsch. Jur.-Ztg.« 1903 S. 330) ein. Neben der Jurisprudenz zog ihn die Ge-
schichte der neueren Zeit und das Studium der Kunst am meisten an, wie er
denn in München viele Beziehungen 7,u befreundeten Künstlern eifrig pflog. Mit
dem russischen Hofmaler von Kotzebue war er besonders eng verbunden und
konnte unter dessen Führung tagelang sich an den Schätzen des Louvre
ergötze. Er war ein grofler Naturfreund und machte deshalb öfters Reisen
in Gemeinschaft mit seiner Gattin, auf denen er von den Strapazen der Schreib-
tist liatbeit sich erholte. Er ließ sein Licht nicht gern vor den Leuten leuchten;
im Stillen trat er für die heiligsten (iüter der Menschheit ein, wirkte an der
Spitze eines Vereins zur Bekämpfung der ünsittlichkeit; stets hilfsbereit, wußte
er doch Grenzen zu ziehen in seiner groflen Herzensgüte, so dafl Unwürdige
nicht an ihn herankamen. Seine letzten Lebensjahre wurden getrübt durch
die Fortschritte einer tückischen Krankheit, der er in Tegernsee erlag. Seine
Asche ruht in Jena. Seine Verdienste waren geehrt worden seitens der
Juristenfakultät in Erlangen durch Verleihung des Ehrendoktorats 1893, das
Comthurkreuz des K. sächs. Albrechtsordens 1892 und den Roten Adlerorden
II. Kl. mit Eichenlaub 1897.
Nekrolog^ von Otto Liebmann (»Deutsche Juristen-Zeitang« 1903 Nr. 15. vom i. Augmt
mit Bild, auch vor Nr. 17/18). f !cf. Mitteilungen der Witwe und des Herrn Prof. Dr. Edm.
Leser in Halle. — »Die ersten 25 Jahre des Reichsgenchts«f (Sonderlieft des Sächsischen Archivs
für Deutsches Bürgerliches Recht;. Leipzig 1904. S. 26, 42, 71, 109, iii, 137. — A, Brtlck-
mtsoi in der Zeiton; »Der Tag« vom i. Juli 1903. — »Leipiiger Tsgeblatt« (dessen
treuer Mitarbeiter St. lange Jahre hindurch war) vom 10. Juli 1903. — Dr. Ccoi^' Maas,
die .\rheit des Dciit-t hen Juristentages an der Reform des Strafrechts seit dem hikrafttreten
des Keichsstrafgesetzbuchs (\ erh. d. 27. J.-T. III, 1904, S. 210, 239, 24I, 243). — Thomsen,
Gesamtbericht fdr 1860 — 1885, Berlin 1885, S. 125, 129, 131, 157, 160, 162, 165, 166»
172, 17S, 181, 184, 192. — Krit, Viertelj.ihresschrift XLIV 226 — 232. ~ Zarnckes Lit
Centralhlatt 1902, Sp. 330, 4^S. — Zeit.schr. f. d. gcs. Strafrechtswissenschaft XXII, 430.
— Kürschners Literatur-Kalender auf das Jahr 1902, S. 1395. — Zeitschr. f. d. gcs. Staatv>
Wissenschaft L, 377 (Register fOr Bd. 1—60. Beilage zu Bd. 61, S. 60). — Zeilsdir. ttt
Deutsches BOrgediches Recht und fnnsOsisches Zivilrecht XXXV 126.
A. Teichmann.
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Statin. Ton Idanteaffel.
237
Starke, Wilhelm Gustav Karl, vortragender Rat im Justizministerium
fo Berlin, * 26. Februar 1824 in Lauban i. Schi., f 10. März 1903 zu Kerlin,
Scdui des Geheimen Justiz- und vortragenden Rats St. im Justizministerium
so Berlin, besachte die Universitäten Berlin und Heidelberg, um die Rechts-
vtssenschaften zu studieren, wurde am 21. März 1849 Assessor, 7. März 1851
Staatsanwalt in Lauban, 12. Januar 1870 Kammergerichtsrat, 6. Dezember 1873
Geheimer Justiz- und vortragender Rat im Justizministerium, 24. Dezember 1876
Geheimer Über-Justizrat, 1883 juristischerKhrendoktor der Fakultät in Göttingen,
leierte 2. Oktober 1893 sein Jubiläum und wurde am i. Oktober 1896 mit dem
Charakter als Wirklicher Geheimer Ober-Justizra^ Rat I. Kl. pensioniert. Er
wurde geehrt durch Verleihung des belgischen Leopoldordens (Kommandeur-
kreuz) 1877, des japanischen Ordens von der »Aufgehenden Sonne« II. Kl. 1882,
des Kointhurkreuzes mit dem Stern des Franz Josefsorricns 1883, mehrerer
preußischer Orden, zuletzt des Sterns zum Roten Acllerortlen II. Kl. mit Eichen-
laub 1893 und des Kommandeurkreuzes 11. Kl. mit Eichenlaub des Ordens
vom Zähringer Löwen und des Sterns zu demselben Ordoi. Als Dezernent
und aafieramtlich machte er sich verdient um die BesserungsfQisorge fQr ent-
lassene Stralgefuigene und das Gefängniswesen. Wertvoll ist sein auf eigenen
im Lande gemachten Studien beruhendes Werk ' Has belgisi he Gefängnis-
wesen. Ein Beitrag zu den Vorarbeiten für die ( iefängiiisretorm in Preufien,«
Berlin 1877. Weniger befriedigt das spätere Werk •> Verbrechen und Ver-
brecher in Preußen 1854 — 1878. Eine kulturgeschichtliche Studie,« Berlin 1884.
Unter seiner Leitung nahm das Heimathaus fQr Töchter höherer Stände einen
bedeutenden Aulschwung. Seine Vaterstadt hatte ihn zu ihrem Ehrenbürger
ernannt.
Gef. Mitteilung aus dem Kgl. Preuß. Justizministerium. — »Norddeutsche Allgemeine
Zeitung« 1903, Nr. 60 v. 12. Märr. — (Jerichlssaal .\.\X, 232 — 235, XX-\VI 388 — 390.
— ZeitMlir. von Lisst IV 333 — a4, 391— 414. — y. Holtscndorff und v. Jagemaim,
Handbuch des Gefängniswesens I71, 375; II 380. — l^itinmir du III. Cgmgrh ficnUmtiairt
mttmaiMuU, Rme 188s p, 34' A. Teichmann.
Manteuffel, Rudolf von, Generalleutnant, * 4. Juni 1817 zu Härwalde,
Kreis Neustettin, f 27. Februar 1903 zu Charlottenburg. — Nach dem Besuch
des Kadettenkorps wurde M. 1834 dem 30. Infonterie- Regiment überwiesen,
jedoch bereits am 10. Oktober 1836 zum 14. Infanterie-Regiment versetzt, wo
er 1837 zum Sekondeleutnant aufrückte. 1846 bi.s 1850 Adjutant und Rech-
nungsführer des 2. Bataillons (Hromberg) 14. Landwehr- Regiments wurde er
1851 Regimentsadjutant und iS|;2 zum Premierleutnant befördert. Zwei Jahre
später erhielt M. 1853 ein Konimantlo als Adjutant zur 8, Infanterie-Brigade,
wurde 1855 Hauptmann und 1856 als Adjutant zum General -Kommando
VI. Armeekorps kommandiert. In dieser Stellung wurde M. 1856 dem 33. In-
fanterie-Regiment aggregiert und 1857 in dieses eingereiht, kam 1S58 als
Kompagniechef in das 10. Infanterie-Regiment und stieg 1859 zum Major auf.
Rei der Reorganisation der Armee trat er zum 6. kombinierten Infantcrie-
kegimcnt, dem späteren i. niederschlcsischen Infanterie- Regiment Nr. 46 als
Bataillonskornniandeur über, stieg 1864 zum Oberstleutnant auf und ging als
solcher 1866 gegen Österreich, wo er an den Gefechten bei Nachod, Skalitz,
SchweinschAdel und Gradlitz sowie an der Schlacht bei Königgrfttz teilnahm.
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von Maateuffel. Senfft toh KUach.
bis er mit dem Kommando des zur Mainarmee gehörenden 5. westfälisc hen
Infanterie-Regiments Xr. 55 beauftragt wurde. Dieses konnte er noch im
Gefechte bei Gerchsheim sowie bei der Beschießung von Würzburg komman-
dieren. 1866 wurde M. zum Oberst befördert, erhielt 1868 das Kommando
des mecklenburgischen Füsilier- Regiments Xr. 90 und bei Ausbruch des
Krieges gegen Frankreich im Juli 1870 dasjenige der mecklenburgischen 34. In-
fanterie- lirigade, mit der er sich bei den Einschließungen von Metz, Toul
und Paris, den Ciefechten von Dreux, La Madeleine, 13ouvei und Helleme usw.,
in den Schlachten von Orleans, Beaugency und Le Mans vielfach auszeichnete.
Am 18. Januar 1871 zum Generalmajor aufgestiegen, mit dem Eisemen Kreuze
2. und I. Klasse und vielen anderen Orden geschmückt, trat M. 1876 zum
Generalleutnant befördert, an die Spitze der 6. Division und wurde 1879 in
Genehmigung seines Abschiedsgesuches zur Disposition gestellt.
Nach den Akten. Lorenzen.
Senlft von Pilsach, Hugo, Königlich Sächsischer General der Kavallerie
z. D., *2o. April 182 1 zu Dresden, fi?. Juni 1903 in Gönsdorf. — Nach be-
endigtiT Kr/iehung im Dresdener Kadettenkorps wurde S. am i. Januar 1839
dem dam.ilif^a'n 2. leit hten Reiterregiment Prinz Johann« zugeteilt, wo er noch
im seihen Jahre das I-eutnants[>atont erwarb. Von regstem Wissensdurst be-
seelt, machte er in den Jahren 1840 und 1847 eine größere Reise durch das
südliche Europa und nach dem Orient» rückte 1849 zum Oberleutnant auf
und nahm an den Strafienkampfen in seiner Vaterstaidt teil. 1853 zum Ritt-
meister befördert, wurde er zur Dienstleistung beim König Johann von Sachsen
kommandiert und kam 1860 als Kskadronschef in das flarde- Reiterregiment.
In (lifstT Dien'-t^tellung war S. un.iusgesetzt bemüht die Kavalk-rie aus den
schwerfälligen Verhaltnissen des langen Frieden.sdienstes herauszubringen,
frischen, fröhlichen Reitergeist zu fördern und nach allen Richtungen zu ver-
treten. Bei der Entwickelung neuer Verhältnisse wurde S. vielfach zu Rate
gezogen, 1861 nach Bayern und Osterreich und 1862 nach Ungarn zum An-
kauf vnn Remonten geschickt. Durc h sein Beispiel reiterli( lu r Tin hti^keit
biachie er in der Tat auch frischeres Leben in die heimische Kelterei un^l
konnte 1803, zum Major aufgerückt, mit seinem Regiment nach Holstein zu
den Exekutionstruppen kommandiert, die von ihm vertretene, auf rationeller
Kampagnereiterei beruhende, kriegsmäflige Ausbildung in der Prasus erproben.
1865 zum Oberstleutnant ernannt, zog er 1866 als Oberst und Kommandeur
des 2. Reiterregiments an der Seite der österreichischen Truppen gegen Preuficn
ins Feld und nahm an demdefec hte bei tlitschin sowie an der Schlacht bei
Königgrätz teil. Jvach der Rückkehr in die Heimat gründete S. den Groüen-
hainer Parforce- Jagdklub, wurde 1869 Kommandeur der 3. Kavallerie-Brigade
Nr. »4. und im Januar 1870 Generalmajor. In dieser Stellung zog er 1870
mit seiner Brigade über die französische Grenze und nahm an der Schlacht
von Gravelotte - St. Privat, dem Reitergefecht bei Husancv, dem (lefecht von
N'ouart, den Schlachten l)ei HeauniDiit und Sedan, der 15elagerung von Paris,
an der Schlacht von St. Quentin und vielen Gefechten und Treffen rühm-
lichsten Anteil. Mit dem Eisemen Kreuz 2. und i. Klasse dekoriert, wurde
S. drei Jahre nach der Rückkehr aus dem Felde 1874 zum Generalleutnant
und Kommandeur der sächsischen Kavalleriedivision ernannt und 1887 in
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$en£ft von PQsich. von NostHs-Dnewiecki. Fiidis von Bimbach.
239
Genehmipunp seines Abschiedsgesuches unter Beförderung zum r.cncral der
Kavallt-ric- und Stellung ä la ^///V< (les 2. Husaren-Regiments Kronprinz Friedrich
Wiihehn des DcutschenReiches und von PreuÜen Nr. 19 zur Disposition gestellt.
Kadi »MflittiwZcitungc. Lorenzen.
Nostitz-Drzewiecki, Hans Florian von, Königliih Sächsisclier (General-
leutnant, * tK. August 1837 zu I )i|>[)oldis\valde, f;. März 1903 zu Mentone. —
1854 als Fähnrich beim Garde -Reiterregiment eingetreten, rückte N. noch
in demselben Jahre zum Leutnant auf, wurde 1862 zum Oberleutnant befördert
und zum 3. Reiterregiment versetzt bezw. zum Generalstabe kommandiert.
Im Feldzuge von 1866 focht er an der Seite der österreichischen Truppen
iregon l'reulien und nahm mit Auszeichnung an dem Gefecht bei Gitschin
sowie an der Schlacht bei Königgrätz teil. Bei der Neuortinung der säch-
sischen Wehrmacht nach preußischem ^Iu^ler wurde N. zum Rittmeister und
Eskadronschef befördert, focht im Feldzuge von 1870/71 in Frankreich mit
seiner Truppe in den Schlachten bei Beaumont und Sedan und beteiligte
sich an der Einschließung von Paris. In ilie heimische Garnison zurück-
gekehrt, w urde er 1872 Direktor der Militär-Reitanstalt und rückte 1873 zum
Major auf. In iliesem Dienstgrade wurde N. 1876 mit (1er Führung des Garde-
Reiterregiments beauftragt, dessen Kommando er 1878 endgültig erhielt, in
▼elchem Jahre ihm auch ein Patent als Oberstleutnant verliehen wurde.
Weiterhin avancierte er am i. April 1887 zum Generalmajor und Komman-
deur der 2. Kavallerie-Brigade Nr. 34 und wurde 1890 als Generalleutnant
zur Disposition gestellt.
Nach den Akten. Lorenzen.
Fuchs von Bimbach und Domheim, Reinhold Frhr., Königlich Bayerischer
Kämmerer, Generalleutnant ä la sui/e der Bayerischen Armee und Präses der
Königlich Preußischen Artillerie-Prüfungskommission, * 2t. Mai 1845 zu Würz-
burg, f 27. Juni ic)03 zu Charlottenburg. — Nach Besuch derPagerie in München
trat F. in die bayerische .Artillerie ein und wurde am 2^. August 1863 zum
Unterleutnant im 2. Artillerie-Regiment ernaimt. In dieser Dienststellung zog
er 1866 mit gegen Preuften ins Feld, erhielt x868 die Oberleutnantssteme und
nahm in diesem Dienstgrade am Feldzuge von 1870/71 in Frankreich teil,
wo er sich das Kiserne Kreuz erwarb. Nach Beendigung des Krieges vcr-
bh'eh er bis 1877 bei seinem Truppenteil, in welchem Jahre F., zum Haupt-
mann avanciert, in das 2. FulJartillerie-Regiment kam. 1880 zum Referenten
bei der Inspektion der Artillerie und des Trains ernannt, wurde er 18S1 zur
preufiischen Artillerie-Prüfungs-Komroission kommandiert und am 10. Juli 1885
zam Major befördert. 1886 wurde er unter Belassung in seinem Kommando
nach Preußen etatsmäßiger Stabsoffizier im I. Fuflartillerie- Regiment vacant
Bothmer und 1887 <} hr suitc dieses Regiments gestellt. iSSS zum Oberst-
leutnant, auch iS8g mit dem Range eines Regiments-Koniuiaii(leiirs bekleidet.
1891, erhielt F. das Dberslpatent, 1895 den Rang eines Brigadekonunandeurs,
wurde am daiaufiolgenden i. April zum Präses der preufiischen Arrillerie-
PiQfttngs-Kommission ernannt, 1896 zum Generalmajor und 1899 zum General-
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Fudki TOD Bimbach, toh B«reiihoiit.
leutnant befördert. — V. war eine hdchbedeutende Persönlichkeit und auf dem
Gebiete der artilleristisclien Wissenschaft eine von allen Seiten rückhaltlos
anerkannte Autorität, ein Mann der goldenen Praxis, der nie der grauen
Theorie Untertan wurde. Beide Waffen, mit denen er tu arbeiten hatte —
Feldartillerie und FulJartillerie — sind ihm zu großem Dank verp)flichtet, denn
ganz besonders fruchtbringend war seine jahrelange Mitarbeit bei den Ver-
suchen der Artilleric-Prüfungs-Konimission. Mit den großen Fortschritten der
artilleristischen W affentechnik der Neuzeit wird sein Name dauernd verbunden
sein. An der Neubewaffnung der Feldartillerie mit dem Geschütz 96 sowie
mit dem Feldhaubitzmaterial 98 war er hervorragend beteiligt, ebenso bei
der Ausgestaltung der schweren Feldhaubitze für die Fussartillerie, durch
deren Kinführung die Verwendung der Fußartillerie im Feldkriege einen
mächtigen Schritt vorwärts getan hat. Mit dem gleichen Verständnis, welches
F. den Aufgaben der Artillerie im Feldkriege entgegenbrachte, widmete er
seine große Arbeitskraft der Ausgestaltung der Fußartillerie für den Belagerungs-
und Festnngskrieg. Ganz besonderes Interesse hatte der General auch für
die Entwickelung der artilleristischen Sprengstoffe. Auf diesem Gebiet der
artilleristischen Waffenti rhnick hat er bis zu seinem Tode mit ganz besonderer
Hingabe mit<icarl)t'itet F. war ein überaus üebenswürdigcr, ritterlicher Mann
von großer Herzensgute, der mit strengstem ( ierechtigkeitssinn das größte
Wühlwollen für seine Untergebenen verband, ein geistvoller Redner, der mit
wenig Worten stets den Nagel auf den Kopf traf. Sein Andenken wird in
der deutschen Artillerie fortleben.
Nach »Militär-Wochenblatt«. Lorenzen.
Berenhorst, Adolf von, Generalmajor a. D., herzoglich anhaltischer Ober-
stallmeister und Kammerherr, *am6. August 1820 zu Dessau, f am 18. April 1903
ebenda. — Der Verewigte war ein Nachkomme des Fürsten Leopold von
Anhalt-Dessau und der Tochter des Schultheißen Söldner zu Filrich, späteren
Ehefrau des fürstlich anhalt-dessauischen Hof- und .Xnitsrats Rode. Sein
Vater, Georg Hans v. 13., war herzoglich anhalt-dessauischer Kammerherr und
Kabinettsrat, sein Großvater, Sohn des Fürsten Leopold, Georg Heinrich v. B.,
herzoglich anhalt-dessauischer Hofmarschall, Schlofihauptmann und Präsident
der Rechnungskammer. — B. trat im Jahre 1 838 als Avantageur in das preuflische
12. Husarenregiment ein, avancierte hier bis zum Portcpccfähn rieh, wtirauf er
1840 seinen Ab>chierl aus preußischen Diensten erbat und im anhalti-t hon
Bataillon in Dessau als Unterleutnant Dienste nahm. 1846 zum Oberleutnant,
1848 zum Hauptmann und Kompagnieführer und 1S50, zunächst unter Bei-
behaltung der Kompagnie, zum persönlichen Adjutanten des Herzogs von
Anhalt-Dessau-Köthen ernannt, wurde B. später, unter Belassung in der Stellung
als Adjr.t int, seinem Bataillon aggregiert und weiterhin zum Kommandeur
der anhaliist hen Jäger-Brigade ernannt. 1S60 zum Major befördert und 1865
zum ( )berstleutnant aufgestiegen, trat er 1S67 in den Verband der preußischen
Armee über und wurde dem Herzog von Anhalt als Flüdeladjutant überwiesen.
1868 avancierte B. zum Oberst und nahm neun Jahre später als Generalmajor
seinen Abschied.
Nach »Militftr-ZeituDg«. Lorenzen«
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Ksbner.
241
Köbncr, Siegfried Ernst, Chefredakteur der Nutional/.eitun^^ * 15. Juni
1844 in Breslau, f 6. April 1903 in Berlin. — Über den Lebensgang und
die Lebensziele K.s gibt am besten der Selbstnekrolog Auskunft, den er
in einem verschlossenen Briefe bei der Redaktion der »Nationalzeitung«
hinterließ, als er sich am 28. März 1903 verabschiedete — unsicher, ob er
seine Kollef^en im Leben wietlersehen werde.
-Im Begriff, mich einer Operation zu unterziehen, die möglicherweise
meinen Tod herbeiführen kann, möchte ich ein paar Notizen über meinen
Ldiensgang niedeischreiben. Der Anfang meiner publizistisdien Tätigkeit liegt
schon so weit zurück, und ich habe es so wenig geliebt, von mir selbst zu
sprechen, daß diese Notizen vielleicht willkommen sein werden. Ich bin am
15. Juni 1844 in Breslau geboren. Ich verlor meine Kitern, als ich kaum
neun Jahre alt war, und bin in den beschranktesten Verhältnissen aufge-
wachsen. So mußte ich das Gymnasium verlassen, bevor ich es ganz durch-
gemacht hatte, und wurde gegen meinen Willen zum Kaufmann bestimmt;
aber ich war vom ersten Augenblick an entschlossen, es nicht zu bleiben.
Die Breslauer Universitätsbibliothek hat damals wohl wenige so eifrige Be-
nutzer gehabt wie mich. Jahrelang habe ich nur wenige Stunden in der Nacht
geschlafen und den Rest derselben und jede freie Tagesstunde wissenschaft-
lich gearbeitet. Ich hatte zuerst die Absicht, sobald ich mich aus dem auf-
gedrungenen Stande würde freimachen können, Geschichte zu studieren, und
mein lebhaftes Interesse ist ihr immer zugewandt geblieben. Aber die gewal-
tige politische Bewegung der ersten sechziger Jahre, der Verfassungsstreit
und die nationale Frage zogen mich in ihren Bannkreis, und ich entschlofl
mich. Journalist zu werden um politisch zu wirken.
Noch in Breslau, dann in Herlin, wohin ich 1S65 gekommen war, wandte
ich mich neben geschichtlichen Studien staatsrechtlichen und volkswirtschaft-
lichen zu. Ich hatte es im Besitz von lächerlich geringen Ersparnissen
gewagt, eine fflr mein Alter gut besoldete kaufmännische Stellung aufzu-
geben, um ganz diesen Studien leben zu können. Daneben hatte ich begon-
nen, politisclie Artikel für die (himals in Stettin erscheinende »()dcr-Zeitung'<
und für die noch jetzt eine geachtete Stellung einnehmende Ilildesheiiner
Allgemeine Zeitung« zu schreiben. Daß sie Anerkennung gefunden, ergab
sich, als das Jahr 1866 die Annexion Hannovers gebracht hatte: die Besitzer
des letztgenannten Blattes forderten mich auf, Redakteur desselben zu werden,
and ich nahm, 22 Jahre alt, an. Hildesheim war der Sitz der schärfsten
Opposition gegen das Welfenrcgiment gewesen. Ich kam in einen Kreis
bedeutender, politisch auf das lebhafteste angeregter Männer. Körner, das
spätere Reichstags-, Gerstenberg und Gotting, spätere Landtagsmitglieder
gehörten dazu. Es war eine praktische Schule der Politik für den jungen
Publizisten. -Aber ich kam bald in eine bedeutendere. Im Jahre 1868 wurde
ich mit 24 Jahren Chefredakteur der »Zeitung für Norddeutschland in Han-
nover. Sie war eines der angesehen'Jten damaligen deutschen Blätter. Ben-
nigsen hatte die nächsten Beziehungen zu ilir; mit ihm, Mi<|uel und tlen
anderen damaligen Führern der früheren hannoverschen Opposition, der nun-
mehrigen nationalliberalen Partei, knüpften sich dauernde politische und
peisönliche Bande.' 1872 wurde die »Zeitung für Norddeutschland«, um ein
gfOfieres Blatt herzustellen, mit dem bis dahin weniger ausgeprägt politischen
Wofr. Jahrivnch n. Deutscher Nelaoloz« Bd. l6
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242
Köbner.
»Hannoverschen Courier vereinijrt, und ich blieb Chefredakteur. 1873 wurde
in lireshiu, wo ciainals der Nationallibcralismus weit überwog, aber kein
eigenes Organ besafl, als solches die »Schlesische Presse« begründet. Mir
wurde die Leitung angeboten. Ich darf sagen, daß ich von 1868 bis 187 a
in Hannover im Kampfe gegen das Welfentum mit in der ersten Reihe ge-
standen habe, als dieser Kampf ein für die nationale Saclie bedeutsamer
war. In der Presse war ich dort der hauptsachliche \'orkampfer Preuliens
gegen eine gehässige Feindseligkeit, von der man sich heute keine Vorstellung
machen kann, darum auch einer der von den Weifen bestgehafiten Mflnner.
Diese Gegnerschaft konnte, als der Breslauer Ruf an mich erging, nach der
Begründung des Reiches zwar nicht als ausgetilgt — sie bestelu ja noch — ,
aber als nicht mehr {jefährlich j^^elten, unti so nahm ich in Breslau an: es
hatte etwas \"erlockendes für nii( h, in meiner Vaterstadt [)olitisch zu wirken.
Indes die »Schlesische Presse« konnte gegen die alten Breslauer Blätter nicht
aufkommen. Die Tätigkeit war deshalb unbefriedigend, und da man mich
von Hannover her wiederholt aufforderte, dorthin zurückzukehren, übernahm
ich 1876 (Alexander Meyer wurde in Breslau mein Nachfolger) wieder die
Leitung tles Hannoverschen Couriers , die ich bis 1878 dort, dann bis i88a
von Berlin aus, wohin es mich län^^st f^ezogen, führte. Meinungsverschieden-
heiten mit dem Verlag über die zollpolitische Wendung von 1879 führten
zur Trennung. Am i. April 1881 trat ich in die Redaktion der »National-
zeitung« ein, deren Leitung in bezug auf die innere Politik mir allmählich
immer vollständiger zufiel, schon bevor ich Chefredakteur wurde. Das geschah
im Mai 1890.
Ob ich in dieser nun fast 37 jährigen Tätigkeit etwas geleistet habe,
mögen andere beurteilen. Was ich wollte, war: durch die Presse politisch
wirken. Ich habe in der groUen Zeit der nationalliberalen Partei publi-
zistisch ihre Kämpfe in der ersten Reihe der gemäßigt liberalen und natio-
nalliberalen Presse mit durchgefochten. Die Ansichten, zu denen ich mich
damals bekannte, sind bis heute in allem Wandel des Fraktionswesens die
meinigen geblieben. Ich wollte dafür wirken, daß der I ,il)eralisinus in
Deutschland maügebenden Anteil an der Gestaltung des Staatswesens habe.
Als Mittel dazu habe ich immer die feste Vertretung gemäßigt liberaler
Prinzipien und die positive Beteiligung des Liberalismus an der Lösung
aller neu auftauchenden Aufgaben (Sozial-, Kotonialpolitik), wie an der Befrie-
digung aller Staatsnotwendigkeiten (Wehrfragen) betrachtet Ich habe, als
die nationalliberale Partei nach meiner .Ansieht einen abwärtsgehenden Ent-
wicklung.sgang einschlug, mich nicht ges( lu ut, Wiiierstand zu leisten, wie oft
ich dadurch auch den Zorn alter Gesinnungsgenossen erregte, so als ich
auf dem Parteitage von 1896, die seitdem eingetretenen Zustände als Folge
der damals eingeschlagenen Politik der Schwäche vorhersagend, der Führer
einer kleinen Opposition war, so zuletzt bei dem .\ntrage Kardorff. Idti liabe
immer geglaubt, durch soldie Haltung dem Liberalismus und dem V.iter-
lantle zu dienen. Als Leiter der Nationalzeitung ist es auliertleni mein
Bestreben gewesen, inmitten einer traurigen Entwicklung des Preliwesens
das Blatt als ein Muster emster Auffassung der Aufgaben der Presse sowohl
in politischer wie in allgemein kultureller Hinsicht aufrecht zu erhalten.«
Dieses »politische Testament« ist nach K.s Tode durch die »National-
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KObner.
Zeitung« veröffentlicht und von vielen Zeitungen iil)gedruckt worden; wir
können zur Vervollstäiuligung seinem Char;ikteil)i!(le> nur weniges hinzufügen.
Die Lebenstätigkeit eines Journalisten und Kedakteurs geht, auch bei der
xielbewufitesten Wirksamkeit, äußerlich naturgemäfi so völlig in der Arbeit
fOr den einzelnen Tag auf, dafi es kaum möglich ist, in einer kurzen Lebens-
skisze einzelnes herauszuheben, um es für die Dauer festzuhalten. So ist
Schillers Ausspruch über ilen Minien, dem die Nachwelt keine Kränze flicht,
auch auf den jxditischen 'ragesschriftsteller anwendbar: auch er muü geizen
mit der Gegenwart, den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen, l nd während
der Schauspieler wenigstens die Genugtuung hat, dafi seine Kunstleistungen
in engster Verknüplung mit seiner Persönlichkeit Tausenden öffentlich ent-
gegengebracht und von ihnen bejubelt werden, wird es nur wenigen bekannt,
wem ein bestimmter politischer Artikel zu verdanken ist; und gar die auf-
reibende Tätigkeit innerhalb der Redaktion, die Wahrnehmung der Bezie-
hungen zur eigenen Partei, zu maßgebenden Staatsmännern und Parlamen-
tariern sowie manches andere, das die Tätigkeit des Chefredakteurs einer •
großen Zeitung in Anspruch nimmt, bleibt dem Publikum verborgen. K.
hat dies freilich nie bedauert, denn neben der Liebe zu den Seinen erfüllte
ihn lediglich das Bedürfnis, seine Auffassung öffentlicher Angelegenheiten
schriftstellerisch zu betätigen und so dem Vaterlande nach bestem Wissen
und Können, aber ohne jedes Hervordrängen seiner Person, zu dienen. So
kam es auch, dafi er seine glänzende oratorische Begabung nur selten zur
Geltung brachte; seine poetische Veranlagung, die namentlich in seinen
langen Jahren schöne FrQchte zeitigte, haben wohl nur die ihm zunächst
Stehenden gekannt.
Für seine eigene Person ohne Bedürfnisse, widmete er von frühester
Jagend bis zu tlen letzten Lebenstagen seine ganze Zeit der Arbeit und dem
Studium; Reisen an die See, ins Hochgebirge, nach dem Süden gewährten
ihm die liebste Erholung. Im Frühjahr 1873 führte ihn eine kurze Reise
nach England, wo ihn Empfehlungen hervorragender deutscher Parlamentarier
in die Kreise der leitenden Staatsmänner einführten und er (Gelegenheit zu
mancherlei Einblicken in englische Verhältnisse erhielt. Ein .\ufsatz über
Thomas Babington Macaulay, den er 1876 im Julihcft der Preußischen Jahr-
bücherit veröffentlichte, zeigt, wie trefflich er, den das Studium der englischen
Staatseinrichtwigen immer besonders angezogen hatte, den kurzen AufenUialt
in ^i^and zu nützen verstand. Sein Essay über Macaulay dürfte auch heute
noch zu dem Besten geliören, was iQ Deutschland über den großen eng-
lischen Staatsmann und Hi^-toriker geschrieben worden ist; Mai avdays Be-
handlung öffentlicher Angelegenheiten entsprach so sehr K.s eigener Art. daß
tiie Veröftentlichung dieser Studie ihm selbst zur gröüten Befriedigung
gereichte. Es ist sehr bedauerlich, dafi die andauernde Inanspruchnahme
für den publizistischen Tagesdienst ihm nicht die Zeit ließ, eine Reihe der>
artiger größerer Au&Stze zu verfassen.
Im Jahre 1873 in seine Vaterstadt Breslau zurückgekehrt, vermählte er
sich 1874 mit einer Tochter Theodor Eobes, der damals als Direktor des
Wiener Stadtiheaters wirkte. Zu der Liebe zum Vaterlande gesellte sich von
<la an die aufopferndste Liebe zu Frau und Kindern.
Seit 1878 in Berlin wohnhaft, widmete er vom i. April 1881 ab, also
i6»
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244
Köbncr.
genau 22 Jahre lang, der > Nationalzcitung seine Tätigkeit, und er hat es
verstanden, den Einfluß dieser hochgeachteten V ertreterin der zugleich national
und liberal Gesinnten zu wahren und zu mehren. Als die »National-
zeitung« am I. April 1898 ihr fünfzigjähriges Jubiläum feiern konnte, gestal-
teten sich die persönlich und schriftlich dargebrachten Gratulationen gleich-
zeitig zu einer lebhaften uiul herzlichen Anerkennung der politischen und
journalistischen Leistungen ihres Chefredakteurs. Allseitig wurde die zugleich
vornehme und entschiedene Haltung des Blattes gepriesen. Einer der ange-
sehensten ehemaligen Mitbegründer der Zeitung schrieb ihrem Leiter: »Ich
bekenne mich durchaus zu dem gegenwärtig von Ihnen eingenommenen
Standpunkt und bin insbesondere für die freimütige Entschiedenheit dank-
bar, mit der Sie in den politischen und wirtschaftlichen Fragen das liberale
P'leinent zu stärken, das nationale unbedingt festzuhalten bestrebt sind. Ein
anderer hochgeachteter Parteigenosse wies darauf hin, wieviel die >National-
zeitung« mit dem Streben nach sachlicher Behandlung jeder Streitfrage und
.nach Ausscheidung aller persönlichen Polemik für die Erhaltung und Kräfti-
gung nationaler und liberaler Anschauungen in unserem Vaterlande gewirkt
habe.
Eine hervorragenclc, schon bei Beginn seiner journalistischen Laufbahn
hervortretende Eigenschaft K.s war es, daß er bei jedem neu auftauchenden
politischen Problem — mochte es die inneren oder die äußeren Angelegen-
heiten, kirchliche, militärische oder wirtschaftliche Sachen betreffen — sofort
den Punkt erkannte und bezeichnete, auf den es ankam, die Frage heraus-
schälte und scharf formulierte, deren Beantwortung entscheidend war. Die
Schnelligkeit und Sicherheit, mit der er diese Aufgabe vor der Öffentlichkeit
löste, die rnbestechlichkeit und Taplerkeit, mit der er dabei den l-~ingcr auf
die schlimme Stelle legte, war es auch, was ihm die Aufmerksamkeit und
Achtung politischer Gegner und die Anerkennung in allen Kreisen der Regie-
rung sicherte.
In den politischen Vorgängen des letzten Vierteljahrhunderts hat ihn
nichts so betrübt, als die in der Sezession zum Ausdruck gekommene Spal-
tung der nationalliberalen Partei, und bis zuletzt war sein unausge-
setztes Bemühen auf eine V erständigung zwischen den Getrennten gericiitet.
In diesem Sinne kämpfte er gegen den immer zunehmenden Einfluß der
wirtschaftlichen, materiellen Sonderinteressen auf unser politisches Leben.
Seine scharfe Verurteilung der agrarischen und hochschu tzzöl I ne-
rischen Strömung in der nationalliberalen l-'raktinn des Reichstags brachte
ihn zwar eine Zeitlang in Konllikt mit der oltiziellen Parteileitung, hat aber
doch wesentlich dazu beigetragen, daß die Partei vor einem gefahrlichen
Abgldten bewahrt wurde. Die Art aber, in der er für das kämpfte, was er für
recht und erstrebenswert erkannt hatte, kann wohl nicht besser und schOner
gescliililcrt werden, als durch Wiedergabe wenigstens eines Teiles der herr-
lichen Ansprache, welche Staatsminister Hobrecht an K.s Grab hielt: »Es ist
eine weite Gemeinde, welche, durch die so rasche, unerwartete Trennung
tief erschüttert, heute emplindet, wieviel sie verloren hat. Auch seine Gegner,
mit denen er lange und oft gestritten, fühlen heute mit uns. Denn er war
ein Kämpfer, und der Beruf, dem er sich mit Hingabe aller seiner Kräfte
gewidmet hatte, schafft Gegner. Hier aber, an dieser heiligen Stelle ist aller
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Kfibner. Pnnkes. 245
Streit um zeitliche Dinge vergessen, hier bleibt fürwahr das, was im Ange-
sichte der Ewigkeit Wert hat: die Liebe zu seinen Mitmenschen und das
Streben nach Wahrheit, und beides hatte tler entschlafene Freund in reichem
Mafie. Nicht nur seine Familie, nicht nur seine unmittelbaren Mitarbeiter
und nichsten Freunde haben seine Liebe gefanden, nein, die vielen Tansende,
welche die Frucht seiner unennüdlichen Arbeit täglich empfingen und hin-
nahmen, sie mufiten fühlen und sie haben gefühlt^ daß nur ernste, treue, feste
Liebe zu unserem Vaterland, zu unserem Volk seine Feder leitete. Und auch
da, wo sein Eifer für etwas, was er einmal als richtig erkannt hatte, ihnen
zu heftig erschienen sein sollte, auch da wirkte sie versöhnlich. Sein Streben
nach Wahrheit aber, verbunden mit dem reichen Wissen, das er sich früh
schon in aufreibenden Entbehrungen und Anstrengungen erworben hat, das
war es, was all seinen Betrachtungen, seinen Mahnungen, seinen Urteilen
eine so weit über die Grenze, über den Kreis der ihm gleich Denkenden
hinausreichende Wirkung gesichert hat.«
Am 30. März 1903 unterzog K. sich wegen eines alten Jiruchleidens
einer schweren Operation; er ging ihr mit auflerordentlicher Ruhe und Fassung
entgegen, und kaum war sie glücklich überstanden, so begannen seine CJe-
danken und Träume sich wieder seinem Berufe und der Politik zuzuwenden.
Aber es sollte ihm nicht mehr beschieden sein, seine Tätigkeit wieder auf-
zunehmen: die (Gesundung schien täglich fortzuschreiten, da setzte am Abend
des 6. April ein plötzlich eintretender Herzschlag seinem Leben ein allzu
frühes Ende. Am Karfreitag, den 10. April, wurde er auf dem alten Fried*
hof der ZwOlfapostelgemeinde unter Beteiligung zahlreicher politischer Freunde,
hoher Staatsbeamten und hervorragender Schriftsteller beerdigt In zahllosen
Nae hrufen und Zuschriften rühmten seine Kollegen, Parteigenossen, die deut-
sche Presse aller Schattierungen des Heimgegangenen Charakter, F'ähigkeiten
und Verdienste. Minister Möller schrieb: »Mit ihm ist einer unserer besten
and vornehmsten Literaten dahingegangen, dessen geistvolle, auf tiefetem
Wissen gegründete Urteile über die brennenden Tagesfragen kennen zu lernen,
mir zum Bedürfnis geworden war.« Auch der Reichskanzler Graf Bülow
sandte der Gattin K.s von Italien aus — ein tiefempfundenes Beileids-
telegramm, das mit den Worten schlofi: Dem zu früh Dahingeschiedenen,
in dem die deutsche Publizistik eine hervorragende Kraft verliert, bewahre
aus persönlicher Erinnerung ein ehrendes Andenken.«
Litentar: Thomas Babington Macaulay. Abhandlnng von S. E. Kttbner in den »Preufii-
schen Jahrbachem«, 1876, Juliheft, i I>li Kobncr enthalten die Nummern 220 bis 231
der »Nationalzeitun;^« zahlreiche Xachrulc und Stiinnien der Presse, snwie (in Nr. 227) den
Woidaat der bei seiner Beerdigung gehaltenen Ansprachen von Pastor Dross und Staats-
minister Hobrecht W. Köbner.
Paakes, Joseph, Professor der Theologie am Lyzeum zu Freising, * x6. Fe-
bruar 1835 zu Kck bei Isen (Bayern), f 23. Oktober 1903 zu ! i ing, — P.
absolvierte die Gymnasialstudien /.u Freising, die theologischen Studien zu
München und wurde am 29. Juni 1859 in l-reising zum Priester geweiht.
Hierauf wirkte er zunächst mehrere Jahre, 1859 — ^5» Seelsorge, als
Hilfepriester in Wolfratshausen, Schwabing und Velden. 1863 wurde er Dr.
MevA, 1865 Dozent am Klerihalseminar zu Freising, 1869 Subregens desselben,
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Punkct. Brack.
T2. Oktober 1S78 Profe<;sor der Moralthcologie am T.yzeum daselbst, als Nach-
folger Joihams, erzliischöflicher geistlicher Rat; im Herbst loo-^. nicht lange
vor seinem Tode, war er auf sein Ansuchen wegen Kranklieit in Ruhestand
versetzt worden. — Schriften: »Papst Vigilius und der Dreikapitelstreit« (als
Inauguralschrift, München 1864; im Buchhandel München 1865); »Preisings
höhere Lehranstalten zur Heranbildung von Geistlichen in der nachtrideiuini-
schen Zeit« (Programm, Kreising iR8^); Die Stuilien- Genossen des k, Ly-
zeums in Freising von 1834 1884. Mit Ang:d)e ihres späteren Lebensberufes
alphabetisch zusammengestellt (München 1887). In 2. AuHage gab P. heraus:
Wilh. Karl Reischl, »Missale, d. i. Meftbuch für das katholische Kirchenjahr.
Aus dem römisch-katholischen Missale übersetzt und herausgegeben. 2. Aufl.,
umgearbeitet und mit den neueren Festen versehen von Jos. Punkes« (München
x888).
VgL »Augsbuiger Fostceitung«, 1903, Nr. 240 vom a$.OkL F. Lauchert.
Brflek, Heinrich, Bischof von Mainz, Kirchenhistoriker, * 35. Oktober 1851
zu Bingen, f in der Nacht vom 4. 5. November 1903 kurz nach Mitternacht
zu Mainz. — Zuerst zum Küferhandwerk bestimmt, das er im Geschäft seines
Vaters erlernte, erwarb sich B. die ganze Gymnasialbildung durch Privat-
studium unter der Leitung des damaligen Ka|)lans, späteren Mainzer Pro-
fessors Dr. Joseph Hirschel und bestand im Frühjahr 185 1 vor der Prüfungs-
kommission in Darmstadt das Maturititsexamen. Er studierte hierauf 185 1
bis 1855 im Priesterseminar zu Mainz Theologie und empfing, da Bischof von
Ketteier zur Zeit durch längeren Aufenthalt in Rom verhindert war, mit
seinen Mitalumnen in Speyer durch Ki-^chof Weis am -^o. März 1855 die
Priesterweihe. }lierauf war er zunächst in der Seelsorge tätig :ils K;i]>hin in
Nicder-Ülm. Für das Lehramt in Aussicht genommen, wurde er zu weiteren
Studien für das Wintersemester 1856/57 an die Universität München gesandt,
brachte dann einen Teil des Jahres 1857 in Rom zu und wurde im Herbst
1857 Dozent der Kirch engeschichte am Priesterseminar in Mainz. Am 22. Juli
1861 wurtlc er zum Professor der Kirchengeschichte ernannt; 1863 /)r. thcol.
Nach der unfreiwilligen Pause in der Ausübung des Lehramtes in den Jahren
1878 — 87, in denen das Seminar geschlossen war, übernahm er, als dasselbe
im Herbst 1887 wieder eröffnet wurde, neben der Kirchengeschichte auch die
Vorlesungen über das Kirchenrecht bis 1894. Am 12. September 1888 wurde
er Geistlicher Rat, am 2, Dezember 1889 Domkapitular. Am 21. Dezember
1899 zum Bischof von Mainz gewählt, wurde er durch päpstliches Hreve vom
30. März 1900 bestätigt, im Konsistorium vom iq. April 1000 präkonisiert, am
20. Mai 1900 durch Erzbischof Norber von Freiburg im Mainzer Uome kon-
sekriert — Brucks Hauptwerke sind: „Die oberrheinische Kirchenprovinz von
ihrer Gründung bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung des Ver-
hältnisses der Kirche zur Staatsgewalt (Mainz 1S68); das beliebte, in acht
Auflagen verbreitete «Lehrbuch der Kirchengeschichte für akademische \'or-
lesungen und zum Sell)ststu<lium (Mainz 1874; 8. Aufl. Münster 1902; auch
ins Französische, Englische und Italienische übersetzt), und sein groß ange-
legtes Lebenswerk, die »Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland
im neunzehnten Jahrhundert« (bis jetzt Bd. I — IV erschienen, Mainz 1887 — 1901 ;
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BrBck.
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Bd. I — III in 2. Aurt. 1902 05; Rd. I geht vom Beginn des 19. Jahrh. bis zu
den Konkordatsverhandlungcn; Hd. II vom Abschluü der Konkordate bis zur
Bischofsversammlung in Würzburg 184$; Bd. HI von da bis 1870; Bd. IV
behandelt das Vatikanische Konzil und den sog. Kalturkampf in Preußen bis
Äur Anknüpfung von Verhandlungen mit Rom ; die Veröffentlichung des V.,
bis zur Gegenwart gehenden Srhlußbandcs, den B. zum großen Teil noch
tlrurkfertig hinttrlit.i'. steht bevor; als SondeicisLrahc aus dem IV. Bd. er-
schien: Die Rulturkamptbcwegung in Deutschland, lustorisch dargestellt«,
Münster 190 1); ein auf den gründlichsten Quellenstudien aufgebautes Werk,
das neben den äuSeren Ereignissen und den kirchenpolitischen Verhältnissen
auch die Geschirlite der katholischen Wissenschaft auf theologischem und
philo>ophis( hem Gebiete und des religiösen Lebens eingebend fiarstellt. Nach
dem urs])rvingli< hen Plane des X'erfasscrs sollte das grolle Werk nur einen
Bcbtiindteil einer in gleicher Weise ausgeführten umiabhenden »Geschichte der
katholischen Kirche im 19. Jahrhundert« bilden, wie der allen Bänden vor-
gesetzte zweite Titel noch andeutet Wertvolle Früchte seiner Quellen-
foischungen zur neueren Kirchengeschichte liegen auch noch in einer Reihe
von kleineren Arbeiten vor: Die rationalistischen Bestrelningen im katho-
lischen Deutschland, besonders in di-n drei rheinischen Krzbistümern in der
zweiten Hähte des achtzehnten Jahrhunderts« (Mainz 1Ö65); »Die Erzbischofs-
wahl in Freibufg und die badische Regierung« (Mainz 1869; audb im Katho-
lik 1869, I, S. 179 — 218); »Der religiöse Jugendunterricht in Deutschland in
tler zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts (Katholik 1876, I, S. 225
bis 24(k 364 — 382); Das irische \'eto (Mainz 1S79); Studien über flie Ka-
tholiken-l'^manzipation in Grolibritannieri, besonders über das sog. irische
Veto« (Katholik 1879, Ii, S. i 36, 113—135, 259—280, 337—366); *Die ge-
heimen Gesellschaften in Spanien und ihre Stellung zu Kirche und Staat von
ihrem Eindringen in das Königreich bis zum Tode Ferdinands VII.« (Mainz
i88i). Gehaltreich und für die Zeitgeschichte wie für die Geschichte der
katholischen Wissenschaft wertvoll sind ferner die Lebensbilder, die er seinen
ihm im Tode vorangegangenen Lehrern unil spätem Kollegen und Freunden
aus der Zahl der hervorragenden Mainzer Theologen j)ietätvoll gewidmet hat,
in erster Reihe das Buch über die bedeutende Persönlichkeit des Dotndekans
Lennig (f 1866), dessen Hausgenosse er als junger Professor jahrelang ge-
wesen war: Adam Franz Lennig, Generalvikar und Domdekan von Mainz,
in seinem Leben und Wirken (Mainz 1870; vorher eine kürzere Lebensskizze
desselben im Katholik 1867. 1, S. 257 — 302); ferner die Lebcnskiz/.en : > Jo-
hannes Josej)!) Hirschel (Katholik 1SS3, II, S. 528 — 547); Dr. Christoph
Moufang, Päpstl. Hausprälat, Domkapilular und Regens des bischöH. Senunars
ZU Mainz« (Katholik 1890, I, S. 481—493; II, S. 1—25); »Dr. J. B. Heinrich,
Päpstl. Hausprälat, Domdekan, Generalvikar der Diözese Mainz und Professor
der Theologie am bischöfl. Seminar (Katholik 1891,!, S. 2S0— 307, 403—425).
Von den zahlreichen kirrhenge-.( hichtlic hen und biographischen .Artikeln, die
It. für die 2. Auflage des Kir( hen-I ,e\ikons von Wet/.er und Welte lieferte,
seien als größere .Arbeiten hervorgehoben: Aufklärung^ {l, 1605 1615); Hund,
Deutscher« (II, 1496 1504); »Emser Kongreß« (IV, 484 496); »Englische
Ffüalein» (IV, 57«— 580); »Gallikanische Freiheiten« (V, 66—72); »Inquisition«
(H 765—783); »Leo X. bis Leo XIIL«, Päpste (VII, 1795—1807); »Pistoja,
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Brück. Samson.
Synode von« (X, 32 — 41). Unter seinen bischöflichen Hirtenbriefen fand eine
große Verbreitung auch durch den Buchhandel der zur Abwehr einer ge*
wissen kirchenfeindlichen Schmutzliteratur erlassene: »Die S3rstematische Ver-
unglimpfung der Sittenlehre des heiligen Alphons von Liguori und des Buft—
Sakramentes der Icatholischen Kirche. Clin Mahn- und Hirtenwort« (Mainzs
1901).
Vgl- J. Schäfer, Dr. Heinrich Brück, Bischof von Mainz. Eine Skizze seines Lebens
und litcfarischen Schaffens (Mains 1904, mit Porbtt; ancb im »Katholik« 1903, IQ. — >
Dr. Heinridk Brflck, Bischof von llaitts (1831 — 1903); «ine Gedenksdirift (Mains 1903).
F. Lauchert.
Samson, Heinrich, \'ikar in Darfeld (Westfalfii), Hagiolog und Liturgiker,
* I. September 1844 zu Beckum in \\ cstfalcn, f 18. November 1903 zu Dar-
feld. — S. absolvierte 186 1 das Gymnasium zu Warendorf , studierte Herbst
1861 — i86a Philosophie in Münster, dann 1862 — 1865 Theologie und Rechts-
wissenschaft in Bonn und ein Semester in München; im Herbst 1865 ging er
zu weiteren juristischen Studien nach Berlin und wurde daselbst am 21. August
tR66 zum Dr. jur. ittr. promoviert. Hierauf kehrte er zum Al)srlikiß seiner
theologischen Studien nach Münster zurück, wo er am 10. Oktober 1868 die
Priesterweihe empting. Er übernahm dann die Stelle eines Erziehers im
Hause des Geheimrats v. Savigny in Berlin. Am 26. November 1886 wurde
er Schlofivikar in Darfeld, welche Stelle er bis zu seinem Tode bekleidete. —
Seine juristische Dissertation: *D€ personarum a jmUcua^um tr^ßne ex sptculo
Saxonico cum co, qui sacciilo Xllf. f<rr Ctiic<;tphaUnm 7'i(^chnf. ciymparando* (Berlin
1866). Später arbeitete er mit groliem FleitJ und reiclier I )etailkenntniß auf
dem Gebiete der Hagiologie und Liturgik. Seine Hauptwerke sind hier:
»Die Schutzheiligen. Ein Beitrag zur Heiligenlegende und zur Kultur- und
Kunstgeschichte« (Paderborn 1889); »Die Heiligen als Kirchenpatrone und
ihre Auswahl für die Erzdiözese Köln und für die Bistümer Münster, Pader-
born, Trier, Hildesheim und Osnabrück« (Paderborn 1892); «Die Alierlieiügen-
Litanei, geschichtlich, liturgisch und asketisch erklart' (Paderborn 1S94). Als
Bestandteile der Frankfurter zeitgemäben Broschüren« erschienen die Schriften:
»Die Weihnachtszeit und ihre Feier im Christenvolk« (N. F. IX, 3; Frank-
furt a. M. 1887); »Die Aposteltage und ihre Feier im christlichen Volke«
(N. F. X\',3; Frankfurt a. M. 1894); Zur Geschichte und Synibolik der Glocken«
(X. F. XVIII, Ii; Frankfurt a. M. 1807). Ferner schriel) S. seit 1889 eine große
Menge von Beiträgen zu verschiedenen Zeitschriften (Katholik; Historisch-
politische Blätter; Der katholische Seelsorger; Pastor bonus\ Theologisch-
praktische Monatsschrift [Passau] ; Theologisch-praktische Quartalschrift [Linz]
u. a.), von denen als gröfiere Arbeiten genannt seien: »Allerheiligen und Aller-
seelen« (Katholik 18S9, II, S. 337— 372); > Die heil. Karwoche und ihre Feier
im christlichen \'olke' (Katholik 1890, I, S. 209 — 243); »Das heilige Oster-
fest (Katholik 1890, I, S. 289 — 320); Die Bedeutung des Sachsenspiegels
zur Lösung kirchlicher und kulturgeschichtlicher Fragen« (Historisch-politische
Blätter, 112. Bd. 1893, S. 305 — 323). Dazu kommen noch mehrere Andachts-
bücher: »Die Armen-Seelen-Andacht« (Dülmen 1895); »Fastenzeit und Kar-
woche< (Steyl 1898); »St. Ludgerus-Büchlein« (Kevelaer 1899); »Heilig-Kreuz-
Büchlein« (Dülmen 1900); »St. Michaels-Büchlein« (Dülmen 1901); »CSirist
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Samson. Rollett
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ist erstaiulenl« (Dülmen 1902); »Schutzengel-Büchlein« (Paderborn 1902);
»Fionleicfanams-Bücfalein« (Innsbruck 1903).
Vgl. cLiteiar. HandweUerc, 1903» Nr. 788, Sp. 573. — E. Rafimann, Nachrichten von
dem Leben und den Sdiriften MOnsterl&ndischer Schrifbteller, Neue Folge (Munster iSSi),
S. i8a. F. Lauchert
Rollett, Alexander, Dr., Professor der Physiologie und Histologie an der
Universität Graz, * 14. Juli 1834 zu Baden bei Wien, f i. Oktober 1903 in
Graz. — R. entstammt einer alten, bekannten, seit dem Beginne des 17. Jahr-
honderts in Baden ansässigen Bürgerfamilie, deren Stammvater aus Savoyen
eingewandert war. Großvater und Vater waren Arzte untl in «K ren Traditionen
wuchs R. auf. An der Wiener UnivL-rsität und am Joscfinuni hörte er die
Vorlesungen von Brücke, Ludwig, Rokitansky, Skoda, Schrötter u. a. , war
einige Zeit engerer Schüler (Jngers und arbeitete bereits als Student im La-
boratorium Brückes, dessen Assistent er im Jahre 1857 wurde. Im darauf-
folgenden Jahre erwarb er den Doktorsgrad. — In dem Kreise, der sich um
Brücke und Ludwig scharte, und dem unter anderen Cyon, Setschenow, Becker,
Kühne, Preyer, ("zcrniak angehörten, stets von neuem angeregt und citri tätig
vkirkte R. als Brückes Assistent bis in den Sommer 1863. In diesem Jahre
wurde er, eben 29 Jahre alt, auf die ausgezeichneten Empfehlungen Brückes
and Ludwigs hin unmittelbar zum ordentlichen Professor der Physiologie und
Histologie an der Grazer Universität ernannt, die in diesem Jahre durch die
Errichtung der medizinischen Fakultät vervollständigt wurde. Schon ein Jahr
nach seiner Berufung nach Graz wurde R. zum korrespondierenden und im
Jahre 1871 zum wirklichen Mitgliede der kaiserlic hen Akademie der Wissen-
schatten in Wien ernannt, im daraultolgendcn Jahre wurde er zum ersten-
male zum Rektor der Grazer Universität gewählt und bezog das neue, auf
Grund seiner Pläne und Vorschläge erbaute physiologische Institut. Durch
eine entsprechend hohe Dotation ward es möglich, dieses recht vollkommen
einzurichten und aurli weiterliin den mit reichen Hilfsmitteln erbauten und
eingerichteten Schwesteranstalten einigermallcn ebenl)ürtig 7ai erhalten. Im
Jahre 1875 hatte R. an der glänzenden Veranstaltung der 4Ö. Naturforscher-
Versammlung in Graz als erster GeschältsfQhrer derselben einen Hauptanteil.
1876 vermählte er sich; der Ehe entsprossen sechs Kinder, von denen sich
ein Sohn und eine Tochter dem Studium der Medizin widmeten. Im Jahre
1882 ernannte die Socletas Mcdicorum S^'ccana in Stoc kholm R. zum korrespon-
dierenden Mitgliede. Während des zweiten Rektorates im Jahre 1883—84 trat
R. gegen die geplante Wiedererrichtung der Chirurgenschulen und in schwerem
Kampfe für die ungeteilte Erhaltung des chemischen Universitätslaboratoriums
und gegen den abenteuerlichen Plan einer räumlichen Vereinigung von
Universität und Technik ein, was die endliche Inangriffnahme und \'ollendung
(ler Neubauten beider Grazer Hochschulen zur l'olge hatte. Ende i88c) er-
krankte R. schwer an einer .Nierenentzündunj^, die ihn dem Tode nahe brac hte.
Seme kräftige Natur überwand jedoch den schweren Insult und im Sommer-
semester 1890 konnte er seine Vorlesungen wieder aufnehmen. 1892 wurde
er zum korrespondierenden Mitgliede der königlichen bayrischen Akademie
der Wissenschaften in München ernannt. Zur Feier seines dreißigjährigen
Wirkens in Graz bereitete ihm die Universität eine grofle Ehrung und für
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RoUett.
das Jahr 1S94 — 95, in welchem die feierliche Eröffnung des Hauptbaues der
neuen Universität stattfand, wurde R., der »Vater der Universität«, wiederum
zum Rektor gewählt In dieselbe Zeit fällt auch seine Berufung nach Prag
an Herings Stelle. Schon 1871 war R. von Helmholtz als Nachfolger in
Heidelberg in Aussicht genommen gewesen: als es sich um die Nat hfol^or-
schaft Brüi kcs in Wien handelte, war er aiiffnlligerweisc übergangen worden.
Auch die \ erhandlungen wegen Prag zerschlugen sich und so blieb R. der
Grazer medizinischen Fakultät zu ihrer großen Genugtuung erhalten. Im April
190X nahm er als einer der Vertreter der Wiener Akademie der Wissenschaften
an der ersten Versammlung der internationalen Assoziation der Akademien
zu Paris teil und, nachdem er schon zuvor für Mareys Idee dir X t-reiidicit-
lichung der [physiologischen Meß- und Registricrai)|)arate lebhaft eingetreten
war, setzte er sich auch dort in der Kommissionssitzung warm dafür ein. Im
Jahre 1902 wurde R. zum vierten Male zum Rektor gewählt. Die bevor-
stehende Feier seines 70. Geburtstages sollte er nicht mehr erleben. Nach
kurzer, nicht ganz aufgekl&rter Krankheit starb er am Morgen des i. Oktobers
1903 an einer liinzugekotnmenen Lungenentzündung. —
R.s hervorragender wissenschaftlicher Ruf ist hauptsächlich auf seinen
ziihlreichen Arbeilen zur Physiologie und Histologie des Blutes und der Muskeln
begründet. Dazu kommen noch eine Reihe von Arbeiten zur Sinnesphysiologie,
im besonderen zur philologischen Optik, die grundlegenden histologischen
Untersuchungen über die Struktur und ilie Entwicklung des tibrillärLn ]?inde-
gewebes und des Hornhautgewebes, die Lal)drüsen und die Magenschleimhaut,
die Nervenenden in den Sehnen, die cheinisehen Arbeiten über die Eiweili-
körper des Hindegewebes und das Kalialbuminat u. a. Ausgezeit hnete Be-
obachtungsgabe, durch Fleiß und Ausdauer erworbene Geschicklichkeit, volle
Beherrschung der physikalischen und chemischen Untersuchungsmethoden und
zielbewußte experimentelle Technik auf der einen, klare Fragestellung, strengste
Selbstkritik und streng logische Schlußfolgerung auf der anderen Seite machten
R.S wissenschaftliche Arbeiten zu dem, als was sie von Klemensiewicz einmal
treffend gekennzeichnet worden sind: l-estungen von btnnbensiclierem Ge-
füge, aufgerichtet für kommende Zeiten als Stützpunkte für die Wissenschaft.« —
Die Arbeiten über das Blut fallen grOfitenteils in die Zeit von 1861— 1881.
Sie erstrecken sich hauptsächlich auf die Untersuchung der Struktur und Zu-
sammenset/ un^ der roten Blutkörperchen und den Blutfarbstoff. Von be-
sonderer Bedeutung sintl die Arbeiten über die Wirkungen von Kondcnsatorent-
ladungen auf das Mlut geworden, auf welche R. in einer ausgedehnten, für
die Auffassung der komplizierten und vielfach noch der Aufklärung bedürftigen
Struktur der roten Blutkörperchen wichtigen Untersuchung, in seiner letzten
Publikation (1900) noch einmal zurückkam. Am bekanntesten in weiten,
auch außerphysiologischen Kn i . n ist R. durch seine beiden monographischen
Arbeiten über das Blut, in Hermanns Handbuch der Physiologie und in
Strickers (lewebelehre, geworden.
Vierundzwanzig Jahre," 1874 bis 1898 hielten R. fast ausschließlich .seine aus-
gedehnten Arbeiten zur Histologie und Physiologie der (pi ergestreiften Muskeln,
besonders der Insektenmuskeln, gefangen. Die histologischen Muskelarbeiten,
wohl tlie wertvollste Errungenschaft seiner l'orschung, im besonderen die drei
grundlegenden Veröffentlichungen in den Denkschriften der Wiener Akademie,
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RoUett
können in ihrer ganzen Bedeutung; wohl nie ht besser gekennzeichnet werden,
als durch die Worte von G. ¥.. Müller: »Wir können uns der Einsicht nicht
verschließen, daß eine Theorie der Muskelkontraktion, welche sich auf halt->
bare Anschauungen hinsichtlich der Struktur der Muskelfasern stützen und
womöglich sogar neue Gesichtspunkte geben will, sich nicht in Widerspruch
zu den Resultaten um! Anschauungen setzen darf, zu denen R. bei seinen
Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskelfasern gelangt i>t.'<
R.s Erklärung und Nomenklatur des feineren Baues der quergestreiften Muskel-
faser hat heute bereits in allen bekannteren Lehr- und Schulbüchern der Histo-
logie Platz gegriffen und die hervorragendsten Histologen, an deren Spitze
KöUiker und Retzius, haben sich seinen Anschauungen in allim wesentlichen
Punkten vollinhaltlich angeschlossen. Das Gegenstück zu den histologischen
Muskelarbeiten bilden die physiologischen l'ntersuchungen R.s an den Muskeln,
in erster T-inie an Käferniuskein, die KeststeUung tles \'orkonimens von »Hinken«
und von trägen« Muskehi bei verschiedenen Käferarten und die genaue
Untersuchung der Eigenschaften derselben. Die zweitgrößte unter R.s physio-
logischen Muskelarbeiten stammt aus dem Jahre 1896. Sie behandelt die
Veränderlichkeit des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln bei fortgesetzter
periodischer Erregung und führt die Hegriffe der anpassenden und nicht an-
passenden Erholung ein. In einer weiteren L'ntersuchung aus dem Jahre 1S98
werden dann ähnliche Versuche auch an Muskeln von Warmblütern und vom
Menschen mitgeteilt. Die wichtigsten Ergebnisse von R.s Muskelarbeiten
sind von ihm selbst in den beiden mustergültigen Artikeln »Muskel (ph3rsio-
logisch und histologisch)« in Eulenburgs Realenzyklopädie zusammengestellt.
Nicht unerwähnt dürfen endlich R.s zahlreiche formvollendete und gehalt-
reiche Reden und Vorträge bleiben, welche in der Wiener Akademie, in ge-
lehrten Gesellschaften, als Rektoratsreden und populäre Vorlesungen gehalten
wurden und zum großen Teile im Druck erschienen sind.
Aus R.S Schule ist eine Reihe von Forschem hervorgegangen, wie die
mehr als 300 Arbeiten bezeugen, die in seinem Institute entstanden sind,
teils von seinen Assistenten und unmittelbaren Schülem, wie Maly, Ebner,
Klemcnsiewicz, Drasch, Heider, Kutschin, Boldyrew, Gla.x, Laker, H. F. Müller,
Sinreker, Pregl, Zoth, teils von Arbeitern im Institute, namentlich Russen,
herrührend, von denen seinerzeit eine ganze kleine Physiologen-Kolonie in
Graz lebte. Ein besonderes Merkmal der Schule R.s war die volle Wahrung
der Individualität jedes einzelnen; R. wirkte durch sein Beispiel anregend,
befruchtend und belehrend, ohne je einen Schüler gewaltsam in die Zwangs-
jacke einer besonderen, nicht von diesem selbst gewählten Richtung zu stecken.
So kam es, dali wir unter K.s Schülern solche finden, die Histologen ge-
worden sind, solche die Physiologen, physiologi.sche Chemiker, Zoologen oder
Pathologen geworden sind. — Der weitere Kreis von R.s Schülem zählt
etwa 3000 Namen, die in den 80 Semestern seiner Lehrtätigkeit seine Vor-
lesungen und praktischen Kurse mitmachten und nun als praktisclie Ärzte
hauptsächlich in Steiermark, dann in Siebenbürgen, Istrien, Dalmatien, Serbien,
Montenegro, Ungarn usw. tätig sind.
Ein eifriger Forscher, ein aufopfernder Lehrer, widmete R. sein Können
aber auch in hervorragendem Matte der Allgemeinheit, seinem Volke. Wo
es sich um größere, der Allgemeinheit dienende Unternehmungen im Lande,
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Rollett.
um schwierigere, namentlirh organisatorisrbe Tätigkeit handelte, ward viel-
fach R. entweder in die I.t-itunf,' berufen oder unmittelbar an die Si)itze ^<e-
stellt. Auch am politischen Leben nahm er in früheren Jahren, als es sich
in Oesterreich noch auf einer höheren Stufe befand, regen Anteil. Vor allem
ist sein Wirken im steiermftrkischen Landtage, im Grazer Gemeinderate, im
stcieimärkischen Volksbildungsvereine und besonders bei der Organisation
der Ärztekammern hervorzuheben. Die wichtigsten der R. im Laufe seines
tatenreichen Lebens zuteil gewordenen Ehrungen sind schon erwähnt worden;
von der österreichischen Regierung erhielt er im Jahre 1662 den Titel eines
Regierungsrates und im Jahre 1S94 den Titel eines Hofrates.
Klugheit und Milde, inniges Gefühl und Herzensgüte machten R. zum
sorgsamsten Familienoberhaupte, zum besten \'orgesetzten, zum gütigen Vater
für alle, die unter seiner Obhut standen; und als Vater verehren ihn seine
Studenten noch heute. Mut und Entschlossenheit, Tatkraft und Ausdauer,
Gemeinsinn und Opterwilligkeit, Unbeugsamkeit und Edelsinn bezeugen alle-
zeit, dafi R. nicht nur ein deutscher Gelehrter, sondern auch ein ganzer,
freier deutscher Mann gewesen ist
Verceichnis*) von Alexander Rollettü wissenschafUicben Arbeiten, Rektontsreden,
Berichten und Vorträgen in wis>cn=;ch.iftlichen und anderen Vereinen. ^In chronologri scher
Reihenfolge.) — 1856. Über freie Enden quergestreifter Muskelfaden im Innern der Muskeln,
Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, 21. Bd., S. 176. — 1857. Unter-
suchungen sur niUiei«n Kenntnis des Batues der quergestreiften Muskelfaser. Ebenda» Z4. Bd.,
S. 291. — 185S. Untcrsiicliunt^Lii über die Strxtktur des Rindegewebes. Kbenda. 30. Bd. —
1859. I ber das Gefüge der Sul>skiniia propt iu corticac. Ebenda. 33. Bd., S. 516. — iSbo.
Über die Eiweißkürper des Bindegewebes. Ebenda, 39. Bd., S. 30S. - 1S60. Über Lösungs-
gemenge aus Kalialbumtnat Ebenda, 39. Bd., S. 547. — 1861. Physiolt^isdie Versuche
Ui)er binokulares ScIien, angestellt mit Hilfe planparalleler Glasplatten. Ebenda, 42. Bd.,
S. 4SS. — iSOi. i<)!to Becker und iVlexander KoUett) Beitrage zur Lehre vom Sehen der
dritten Dimension. Ebenda, 43. Bd., ä. 667. — 1861. Ein „unanfechtbarer" Beweis gegen
die identischen Netihautstdlen. »Wiener med. Woehensdiriftc, Nr. 37. — 1861. Zur Kenntnis
der Verbreitung des Hftmatins, Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften,
44. Bd. — iS()2. \'er»uche und Hcol>:uhtunf^on am Blute, neli>t krist.illograpliischen und
opti:>chcn Milleilungen über die Blulkristalie von Dr. V. v. Lang. Ebenda, 4U. Bd., S. 92. —
1863. Über den Fleocbioismus der Hüminkristalle, nebst einer kurzen Anleitung sur Unter-
suchung des'ielbcn. »Wiener med. Wochenschrift«. — 1862. Dir .\rbeit durch Muskelkraft
in ihrer Entstchunf^. \'erein zur \'erbrcitung naturwis>enseh,iltlicbcr Kenntnisse in Wien.
— 1S62. l'bysiologie, zusammenfassender Bericht. >Wiencr med. Jahrbücher«, 1SO2. S. 130
bis 151. — 1863. Cber die Wirkung des Entladungsstromes auf das Blut Sitsungsberidite
der Wiener Akademie der Wissenschaften, 47. Bd., S. 356. 1S63. Kwie Mitteilung einiger
Resultate Uber die Farb>tufrkristallc, welche .sich unter dem Einflüsse von Sauren aus dem
Blute abscheiden. Ebenda, 47. Bd., S. 223. — 1S63. Die Zellenlehre und ihre Reform..
Verein cur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse. Wien, a6. pümer 1863. —
1864. Üljcr die sukzessiven Veränderungen, welche elektii-rhe Schlage an roten Blut-
körperchen hervorbringen. Sitzungsberichte der Wiener .Vkadcniic der Wissenschaften, f^o Bd.,
S. 178. — 1865. Über die Veränderungen, welche nach einseitiger Durchschneidung des
Nervus irigematus in der MundhUhle auftreten. Ebenda, 51. Bd. — 1865. Versuche Ober
tat<;uhlichf und vermeintliche Beziehungen des Blutsauerstoffes. Ebenda, 52. Bd., S. 246. —
1866. ( her die .\nderung der Farben durch den Kontrast. Ebenda, 55. Bd. — 1.S66. Zur
Lehre von den Kontrastfarben und dem Abklingen der Farben. Ebenda, 55. Bd. — 1S6G.
>) Nach der Zusammenstdlung von Klemensiewicz.
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Bollctt
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Zur Physiologie der Kontrastfarben. Khend.i , 55. 1S69. ( Alexander IwannfT \ind
Alexander KoUett) Bcuicrkujigcn zur Anatumie der Insanheltung und des Anuius ciiuins.
Aidkiv für Ophthalmologie 15, 1. — 187a Ober Zenetetmgsbader der roten Blutkörper.
Untersuchungen aus dem Institut für Physiologie und Histologie ia Graz. Leipzig, Engel-
mann, Heft I.) ~ 1H70. Über die blinddarmfömiigen DrUsen des Magens. »Zcntralblatt
f&r die med. Wissenschaft.«, Nr. 21 u. 22. — 1871. Von den Bindesubslaiueu. Kapitel II
ia Strickers »Ibndbadi der Lehre von den Geweben des Menschen und der Tiere« (erschien
als I. lieft. 186S.) — 1871. Vom Blut, Kapitel 13. Ebenda (erschien als 2. Heft, 1869.) —
1871. i'bcr Elemcntartcile und dewebe und deren Unterscheidung. Untersuchungen aus dem
Institut fUr Physiologie und Histologie in Graz. Heft 2. — 1871. Bemerkungen zur Kenntnis
der LAbdrItflcn und der ^lagensehleimhaut. Ebenda, Heft 3. — 1871. Ein kompendittser
Batterie -Umschalter. Ebenda, Heft 2. — 187 1. Über die Kontraktilität der Homhaut-
kCrperchen und die Honibautlnihlen. »Zcntralblatt für die med. Wissenschaft.«, Nr. 13. —
tS7I> Über die Verschiedenheit der menschlichen Augen in Bezug auf Einstellung und An-
passungsvermOgfen ftlr verschieden weit entfernte GegensOnde. Mitteil. d. Naturwissen-
schaftlichen V ereins für Steiermark, 2. Bd., 3- Heft, pag. CLXXXII. — 1S72. Cber die Horn-
haut. Strickers Handbuch (wie oben) Kapitol 34, 7. .\bschnitt. - 1872. ("her die Erschei-
nungsformen des Lebens und den beharrlichen Zeugen ihres Zusammenhanges. Feierliche
Sitzung der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, 15. Juni 1872. — 1873. Cber die
Bedeutung des Baues des menschlichen Körpers. Naturwissenschaftlicher \'erein fttr Steierl
mark. — 1S72. Über elektrische Fi>clK'. Ebenda. - 1S72. I ber Entzündung. Sitzungs-
berichte des Vereines der Arzte in Stetermark. — 1872. Über den Einfluß der Naturwissen-
sehaften auf andere Wssensdbaften. Rektoratsrede, 15. November 187a. — 1873. Über die
Entwicklung des (ibrillären Bindegewebes. Untersuchtmgen aus dem Institut fttr Physiologie
und Histologie in Graz, 3. Heft. — 1^7.^. Über eine neue Einrichtung der konst.inten Zink-
Kupferkette. Ebenda. — 1873 — 74. Drei Vorträge im Verein der Arzte in Steiermark: Über
{>hy:>iulogi$ehe Regeneration der Epithelien« — Cber FleischbrOhe und Fleischestrakt. —
Cber den Shock. — 1874. Über «Üe verschiedene Erregbarkeit funktionell verschiedener
Nervmuskel-Appar.ate. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, 70. Bd.
— 1874. Über leuchtende Tiere. Vortrag. Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines
ftbr Steieimark. 11. Bd., pag. LVil. — 1875. Über Puls- und Atembewegungen. Ebenda,
12. Bd., pag. XLIX. — 1875. Ober die verschiedene Eiregbariceit funktionell verschiedener
Nervmu^kel-Apparate. »Zentralbl. für die mcdiz, Wissenschaft.«, Nr. 22. — 1S75. ("ber die
verschiedene Erregbarkeit funktionell verschiedener Nervniuskel-Apparate. 3. Teil. Sitzungs-
berichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, 71. Bd. — 1875. Über die verschiedene
Emgbarkeit funktimell verschiedener Nervrouskel-Apparate. 3. Teil. Ebenda, 72. Bd. — 1875.
Zur Geschichte des wissenschaftlichen Lebens in Graz, Rede zur Eröffnung der 4S. \'cr-
sammlung deutscher N.aturforscher und .\rztc in Graz, am iS. September 1875. — 1876.
Geschichte der Entdeckung der von den Muskeln und Nerven abzuleitenden elektrischen
Sirttme. »Blitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines fOr Steiermark«, pag. LIX. —
1876. Bemerkungen über das Rhcrn-hord als NebenschlieOung. Sitzungsberichte der W^iener
Ak.-idemie der Wissenschaften, 73. Bd. -- 1X70. Über einen Nervenplexus und Nerven-
endigungen in emcr öchne. Ebenda, 73. Bd. — 1S70. über das Verhalten des Blutes zum
Kaliumhydroxyd mit Rflcdadeht auf die forensische Untersuchung von Blutflecken, »Mit-
teilungen des \'ercines der Arzte in Steiermark«. ~ 1877. Über die Bedeutung von Newtims
Küi»>truktion der K.irbciiordnunijen dünner Blättchen für die Spcktraliintcrsuchunfr der Inter-
terenzforben. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wisseiiachuiicn, 75. Bd. — 1S78.
Cber die Farben, welche in den Newtonschen Ringqrstemen aufeinander folgen. Ebenda,
77. Bd. — 1880. Physiologie des Blutes und der Blutbewegung. Hennanns Handbuch
d. Physiolog-ie, 4. Bd. iSSl. Über die Wirkung, welche Salze und Zucker auf die roten
Blutkörperchen ausüben. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der VVissenscli,iUen, N4. Bd. —
1881. Ober ein Polarispektromikroskop, mit Bemerkungen Uber das Spektrumokular. »Zeit-
löbifi fBr Instnimentenkunde«. — i88t. Über die als Azidalbumine uud Alkaltalbuminate
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RoUett
bezeichneten Eiwciüdcrivate. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften, S4. Bei.
— 18S2. Aus dem Zeitalter der Phrenologie, mit besonderen Beziehungen auf Goethes Verkehr
mit dem Phrenologen Gall. Fleischen »Deutsche Revaec, 7. Jahigang, 2. Bd. — 1883.
Lebensfragen. Rektoratsredc. Graz, fl.euschner und Lubensky.) — 1884. Zur Kenntnis des
Zuckungsverlaufis <juer}rcstreiftci Mückeln. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissen-
schaften, 89. Bd. — 18S5. Untersuchungen Uber den Bau der quergestreiften Muskelfa:>cm.
1. Teil. Denkschriften der Wiener Akademie der Wissensehaften, 49* Bd. — 1885. Dasselbe,
2. Teil, Ebenda, 51. Bd. — 18S5. Physiologische Bemerkungen über den Gedankenleser
("umbcrland. »Mitteilungen des \'ereiiics der Ar^te in Steiermark«, 22. Jahrgang. — 1SS7.
Beitrüge zur Physiologie der Muskeln. Denküchntt. der W lencr Akademie der Wissenschaften,
53. Bd. — 1887. Über neuere Ergebnisse der Muskelphysiologie. »Mitteilungen des Vereines
der Ärzte in Steiermark«, 24. Jahrgang. — iSSS. Muskel (Histologisch und physiologisch).
Eulenburgs »Kealcnzyklf.]\tdic der gc^nniteii Heilkunde«, 2. Aufl. — iSSS. Uber die Flossen-
muskeln des Seepferdchens (IJi/J>ocam/>us aiitiquorumj und über Muskclstruktur im allge-
meinen. »Archiv ftlr mikroskopische Anatomiec, 32. Bd. — 1889. Anatomische und physio-
logische Bemerkungen iiiier die Muskeln der Fledermäuse. Sitzungsberichte der Wietier
.\kademie der Wis^ci)>chatten, «»S, Bd. — iS,S<i, (^)ii.unitati ve Betrachtungen Uber Blut, Kreis-
lauf und Atmung. »Mitteilungen des \'ercine.s der Arzte in Steiermark«, 26. Jahrgang. —
1891. Zur Lehre von der Blutbtldung. Ebenda, a8. Jahrgang.- — 1891. Versuche Ober
subjektive Farben, »pflügers Archiv«, 49. Bd. — I891. Untersuchungen über Kontraktion
und Doppelbrechung der quergestreiften .^Iu^kcIfasern. Denkschriften der Wiener Akademie
der Wissenschaften, 58. Bd. — 1891. Über Wellenbewegung in den Muskeln. »Biologisches
ZentralUattc, 11. Bd., Nr. 5, 6. — 1891. Über den Streifen N (Kebenscheiben), das Sarko-
plasma und die Kontraktiim der quergestreiften Muskelfasern. »Archiv für mikroskopische
Anatomie«, 37. Bd. — 1S02. Über die Kontraktionswellen und ihre Beziehung zu der Einzel-
zuckung bei den quergestreiften Muskelfasern. »Pflügers Archiv«, 52. Bd. — »S93. Über
die Giemen des Hörens, in Rficksicht auf die höchsten und tiefsten hörbaren Töne. »Mit*
teilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines ftlr Steiermarkc. — 1894. Physiologisches
und rjeograiihisi-lie-- Uber das Blut. Kbcnda. — lS()4. Betrachtungen über die Mauscrung^
des Blutes. »Mitteilungen des Vereines der Arzte in Steiermark«. — 1894. Uber das Blut.
»Mitteilungen des NatorwissensehafUichen Vereines für Steiennaifc«. — 1895. Ober dns
Leuchten der Augen. Ebenda (1895 — 1896). — 1895. Ober Zweck und Freiheit des
akademischen Lebens. Rcktorat-rede. • - 1S95. Amtlicher Bericht über die nkademischc
Feier aus .\nlaU der feierlichen Schlußsteinlegung und Eröffnung des neuen Hauptgebäudes
der k. k. Karl Franzens-Universität in Graz am 4. Juni 1895. (Graz, Leuscbn« und Lubenskf,
189s, Verkge des Rektorats.) — 1896. Über die Verlnderlichkeit des ZuekungsveilMifes
quergestreifter Muskeln bei fortgesetzter perindischer F.rregung und bei der Krhidung nach
derselben. »Pflügers Archiv«, 64. Bd. 189O. Demonstration Röntgenscher bchattenbilder
und Erläuterung des Verfahrens. Verein der Arzte in Steiermark. — 1897. Ober Geruch
und Geschmack. »Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines ftlr Steieimarfc«. —
iSoS. Muskel (hi-stologisch). Fulcriburgs »Kealenzyklopiidie der gesamten Heilkunde«,
16. Bd. — 189S. Erinnerung an H. F. Nhillcr. Verein der .\rzte in Steiermark. — 1898.
Muskel (physiologisch;. Eulenburgs »Kealenzyklopiidie«, 3. AuiL, 8. Bd. — 1898. Zur
Kenntnis der physiologischen Verschiedenheit der quergestreiften Muskeln der Kalt- und
Warmblüter. »PflUgers Archiv«, 71. Bd. 1899. Beiträge zur Physiologie des Geruches,
des Geschmackes, der Haiit-iinnc niui der *>iiHic im allgemeinen. »Pflügers Archiv«, 74 Bd.
— 1899. Neue Anschauungen auf den» liebietc ilcr ."Munesphysiologic. Verein der Arzte in
Steiermark. — 1899. Über Emittdimg und Erholung. VolkstUmlicher Vortrag in Voitsbeig.
— 1900. Die I.(»kaIisation psychisdver Vorgänge im Gehirn (einige historisch-kritische Be-
nierkungen. »Pllüi,'ers Archiv e, 79. Bd. -- \<)c>(\. Über eine Aliwehr, die keine ist. Ebenda,
80. Bd. — 1900. Weitere Bemerkungen üiicr die physiologische \'erschiedenheit der Muskeln
der Kalt- und Warmblüter. »Zentralblatt für Physiologiec. — 190a Zur Erinnerung an
Franz Unger. Gedichtnisrede bei der Cnger-Feier des Naturwissenschaftlichen Vereines tta
RoUett. Schcibcxt von ScbSnbog.
Sieiennark am 29. November 1900. — 1900. Elektrische und thermische Emwtrkungeu auf
dtt BIttt tmd die Struktur der roten nu&tteperehen. »Pflagers Ardiiv«, 8«. Bd. — 1901.
Über die Mittel, welche zur Erkennuni^ von Blut dienen. »Mitteiltmgen des Naturwissen-
ichaftlichen Vereines für Steiermark«. — IQOI. Die Physiologie. Artikel in: »D.is goldene
Buch des deutschen Volkes aii der Jalirhundcrtwcnde«, S. 87 und 88. — 1901. Hermann
r. HdmholtK. Auftatz in der Gnoer »Tagespost«, i. November. — 1901. Entwicklan^
lehre und spezifische Sinnes-Energie. Verein der .\rztc in Steiermark. — 1902. Die wissen«
schaftliclie Medizin und iluc Widersacher vf)ri licuti.'. Rektoratsrede, 4. \oveni1icr. —
R. Klemensiewicz, Der Pliysiologe .\lexander Rollctt, Festrede 1893. (Jraz, Leykam.
— R. KlemeDsiewicc, Alexander Rollett. Gedichtnisrede , gehalten in der Aula bei der
RoUctt-Trauezfeier am 17. Oktober 1903. Mitteil. d. Ver. d. Arzte in Steiermark, 1904, Nr. i
'Separatabdruck im Verlage dc>. Verfassers). Mit P()rtr;lt. - K. Klemensiewicz, Nachnif für
Alexander Rollett. Mit Portrat. 1904. Graz, \'erlag des Natunvissenschal'tlichen \'ereines. —
V. r. Ebner, Alexander Rollett. 1903. »Wiener klinische VVochenschriftc, Nr. 48. — O. Zoth,
Zur Erinnerung an Alexander RolletL »PAUgers Archiv Air Phjrsiologie« , Bd. xoi, 1904.
Bonn, M. Hager. Mit Portrit.
Graz. O. Zoth.
Scheibcrt. Justus, Major z. I)., * 16. Mai 1831 zu Stettin. +4. Juli 1903
zu Groü- Lichterfeklc bei Ik-rliii. • - Nach bestandener RcifL-pnifunp an der
Friedrich W ilhelms- Schule seiner \'aterstadt trat S. 1Ü49 als Kinjaluig-Frei-
wiUiger bei den Pionieren ein, machte hier, da er aktiver Offizier werden
wollte, seine FähnrichsprOfung und wurde zur Artillerie- und Ingenieurschule
kommandiert, nach deren Verlassen er, inzwischen zum Sekondekutnant be-
fördert, der 5- Pic)nicrabteiliin<r in Glogau zugeteilt wurde. Naciukm Seh.
bei dieser 'I'rupi»c als Adjutant tungiert hatte, kam er iS-^S nac h Mag(k'burg,
1860 nach Silberberg, 1Ö61 nach Neisse und 1.S62 wieilerum nach Glogau
vm dort stehenden Pionierbataillon. Im Jahre 1863 ging er nach den Ver-
einigten Staaten, um als Zuschauer im Hauptquartier des Generals Lee den
Sezessionskrieg mitzumachen, war während des Feldzugs von 1864 gegen
Dänemark im Stabe des Generals von Wrangel tätig, zog 1866 gegen Öster-
reich und 1870 gegen Frankreich ins Feld. In diesem Kriege wurde S. in
der Schlacht bei Wörth sehr schwer am Unterschenkel verwundet, so dali er
erst 1872 wieder in den praktischen Dienst treten konnte. Er kam zunächst
nach Posen, darauf nach Minden, war während der Jahre 1876 und 1877 In-
genieur vom IMatz in Küstrin und trat darauf in den Ruhestand. Einen ein-
gehenden Bericht über seinen Lebenshiuf enthält das 1902 von ihm heraus-
gcgehene Buch Mit Schwert und Feder«, (h\s Beifall gefunden hat. Nach
meiner Verabschiedung widniete Seil, sich ganz der Schriftstellerei und gehörte
Als gläubiger Christ und warmer Patriot die letzten achtzehn Jahre seines
Lebens der Redaktion der Berliner Neuen Preußischen Kreuzzeitung als
Mitglied an. Daneben fand er noch Zeit, zahlreiche wertvolle Artikel für
andere Zeits( hriften, namentlich militärischer Richtung, zu verfassen.
Nach »Militär>Zeitung«. Lorenz en.
Schönberg, Caspar i' ricdrich von. Königlich säciisist her Cieneralleulnant,
• 27. April x8a6 zu Nieder-Reinsberg in Sachsen, f 13. März 1903 zu Dresden.
Nach Anstritt aus dem sächsischen Kadettenhause in Dresden wurde Sch.
184s Leutnant, nahm an den Strafienkämpfen von 1849 in der Hauptstadt
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von SchOnberg. von Blumenthal, von Oidtnum.
Sachsens teil, wurde als Oberleutnant in das 3. Reiterregiment versetzt
und am 31. Januar 1855 zum Adjutanten bei dem Kommando der Kavallerie
ernannt Hier avancierte Scb. 1860 zum Rittmeister, übernahm i86z die
4. Eskadron des Garde-Reiterregiments und zog mit dieser 1866 gegen Preuflen
ir l eid. Bei Umformung der sächsischen Truppen kam Sch. 1867 als Es-
kadronschef in das Ulancnrcf^imcnt Nr. 17 und wurde 1S68 unter l^eförderiinjjj
/.um Major in das 2. Reiterregiment versetzt. Als solcher machte er «len
deutsch-französischen Krieg von 1870/71, und in diesem namentlich die
Schlachten bei Beaumont und Sedan, die Einschlieflung von Paris, sowie die
Kämpfe bei Villers mit. Nach dem Feldzuge trat er im Jahre 1872 an die
Spitze des Ulanenregiments Nr. 18, wurde 1874 zum Obersten ernannt und 1880
mit der l'ührung di-r i. Kavalleriebrigade \r. 23 beauftragt, demi Kninmancfo
ihm im folgenden Se|>ti'inber endgültig übertragen wurde. 1881 zun» (ieiieral-
major aufgerückt, trat Sch. 18S3 in den Ruhestand; 1902 erhielt er den Cha-
rakter als Generalleutnant.
Nach den Akten. Lorenzen.
Blumcnthal, Louis von, (leneralmajor /. D., * i. August 181 1 zu Gatz im
Kreise Stul]», f .'5. Mai iqo,^ in Potsdam. — H., ein jüngerer liruder des
Feldmarschalls Grafen v. Blumenthal, wurde nach dem l'ode seines 1813 an
den bei Dennewitz erhaltenen Wunden verstorbenen Vaters zunächst von
seiner Mutter, und alsdann im Kadettenkorps erzogen, aus dem er 1829 als
Sekondeleutnant in das jetzige Garde -Füsilierregiment eingestellt wurde.
1832 — 1835 besuchte er die damalige Allgemeine Kriegsschule, jetzige Kriegs-
akademie, war 1837 — 1842 als Hataillonsadjutant beim i. Garde-I andwchr-
regimcnt tätig und 1843 -1846 zur topographischen Abteilung des Grolien
Generalstabes kommandiert, in welcher Zeit er auch vorübergehend bei der
8. Pionierabteilung Dienst tat 1846 rückte B. zum Premierleutnant auf, führte
während der Jahre 1849 und 1850 eine Kompagnie der Schulabteilung in
Potsdain, bis er im Juni letzteren Jahres das Hauptmannspatent, und 18:^7
als Major das Kommando des 2. l?ataillnns (Düsseldorf) des 17. Landwehr-
reginients erhielt, l'nterm 1. Juli 1860 erfolgte H.s V ersetzung als Hataiilons-
kommantleur zum spateren 8. westfälischen Infanterieregiment Nr. 57 und 1861
seine Beförderung zum Oberstleutnant. 1864 an die Spitze des 6. branden-
burgischen Infanterieregiments Nr. 52 gestellt, avancierte er am folgenden
25. Juni zum Obersten. Im Feldzuge von 1866 zog B. mit seinem Regiment
nach Bobinen, wo er sich insbesondere in den Gefechten bei Xachod, Ska-
litz und S( hweinschadel auszeichnete, wofür ihm der Kronenorden 2. Klasse
mit Schwertern verliehen wurde. 1867 zu den Offizieren von der Armee
versetzt, erhielt B. am 10. August jenes Jahres das Kommando der 26. In-
fanteriebrigade, wurde 1868 zum Generalmajor befördert und im Juni 1869
zur Disposition gestellt
Nach den Akten. Lorenzen.
OiUtman, Hugo von, General der Infanterie, * 20. August 1835 zu Trier,
1 22. März X903 zu Sondershausen. — O. trat 1855 in den Königlichen Dienst,
und zwar als Avantageur in das 7. J&ger-Bataillon ein, avancierte 1854 zum
Portepeefähnrich und wurde am 10. März 1855 Sekondeleutnant Nach dem
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von Oidtman. Mttller.
257
Besuch der damaligen Allgemeinen Kriegsschule, jetzigen Kriegsakademie, in
den Jahren 1858 — 1861 erhielt er 1863 die I'remierleutnantsstenie. Nach
einem Kommando beim Infanterie- Regiment Nr. 30 in demselben Jahre, nahm
er 1864 an dem Feldsuge gegen Dänemark in Schleswig mit seinem Jäger-
bataillon teil, sich insbesondere bei Missunde, der Erkundung von Sandberg
sovie bei der Erstürmung der Düppeler Schanzen auszeichnend. 1S65 aber-
mals zum 30. Infanterie-Regiment kommandiert, blieb er l)ei Ausbruch des
Krieges von 18O6 zunächst als Kommandeur der Ersat/.kompagnie M-iius
Bataillons zurück, wurde aber bereits am 21. Juni als Kompagnieführcr in
das an jenem l äge neuerrichtete 9. Jägerbataillon versetzt» mit dem er noch
am Mainfeldzuge teilnahm. 0.s BefOidening zum Hauptmann und Kompagnie-
chef erfolgte am 30. August 1866. Im Feldzuge gegen Frankreich 1870 71
wurde er in der S( hlacht bei Gravelotte schwer verwundet, konnte jedoch
wieder an tlcr Kinscidießung von Metz, den Schlachten von ()rlcans, Beau-
gency und Le Mans teilnehmen, wo er sich so auszeichnete, daß ihm beide
Klassen des Eisemen Kreuzes verlidien wurden. Im weiteren fQhrte O. vom
18. Januar bis 37. Februar 187 1 ein Bataillon des Infanterie-Regiments Nr. 85,
vMÜieb dann nach Beendigung des Kriege noch bis 1875 beim Bataillon,
zu welchem Zeitpunkt er unter Beförderung zum Major zum ( )ldenlHirgischen
2. Infanterie-Regiment Nr. 91 kam. 1880 trat ( ). als Kommandeur an die
Spitze des Ustpreußischen Jägerbataillons Nr. i, erhielt 1882 das Patent als
Oberstleutnant und wurde 1884 zum Mitglied derGewehr-PrOfungs-Kommission
in Spandau ernannt, zu deren Präses er 1885 unter Beförderung zum Obersten
aufrückte. 1889 wurde O. Generalmajor und am darauffolgenden 17. Juni
Kommandeur der ii. Infanterie-Brigade, jediM h bereits 1890 zum Inspekteur
der Jager und Schützen ernannt sowie mit Fiihrung der Geschiitte des Kom-
mandeurs des reitenden Feldjägerkorps beauftragt. 1892 zum Generalleutnant
und Kommandeur d&t 8. Division befördert, wurde O. 1895 zur Disposition
gestellt; 1898 wurde ihm der Charakter als General der Infanterie verliehen.
Nadi den Akten. Lorenzen.
Müller, Carl Friedrich Wilhelm, * 22. Februar 1830 in Magdeburg,
t I. Juni 1903. — M., promoviert 1854 in Königsberg, im selben Jahr l'robe-
kandidat in Magdeburg, 1855 Hilfslehrer in Stendal, 1856 ordentlicher Lehrer
in Königsberg, 1863 in Landsberg a. W., seit 1864 Professor am Joachims-
thalschen Gymnasium in Berlin, von 1872—1897 Direktor des Johannes-
?>'mnasiums in Breslau, 1896 ordentlicher Honorarprofessor für klassische
Philologie ebenda, f i.Juni 1903. Wer diese trockene Reihe von Daten liest,
mag denken, daii es sich um das Leben eines 1 )urchs( hnittsschulmanns handelt,
<iem, als er alt wird, Freunde an der Universität das V ergnügen machen ihn
nüt einem ziemlich bedeutungslosen Titel zu Qberraschen. In Wirklichkeit
stellen unsere Daten ein Stück Geschichte der klassischen Philologie dar und kein
erfreuliches — das schwere Ringen eines hervorragenden Gelehrten um eine
seinen Leistungen entsprechende Stellung und die endlich in späten Jahren
eriulgcnde Anerkennung. M., an der Krjuigsherger l'niversität durch Lobeck
und Lehrs vorgebildet, hat in früher Jünglingszeit schon die Erforschung der
hiteinischen Sprache sich zum Ziel gesetzt, und ehe er dreißig war, wußten
<lie ihn kannten, daß er mit seinen Kenntnissen auf diesem Gebiete jedem
Biogr. Jahrbodi o. DeutMAer Nekrolog. S. Bd. ly
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258
MttUer.
aiuicrn cbcnl)ürti<< sei. Die Köiii<(sl)erger Fakultät, der das durch I-ehrs am
genauesten bekannt war, schlug ihn .schon 1862, dann wieder 1864, als nocli
kein umfänglicheres Werk von ihm vorlag, fflr eine Professur vor. Aber die
Hoffnung, ihn so von dem Joch der Arbeit fOr die Schale zu befreien, schlag
fehl. Zu M.s geistigen Zügen gehörte außer eisernem Fleiß und durchdringen-
dem Scharfsinn auch eine unbedingte Offenheit und ein l'nabhängigkcits-
gefühl, die für iliii jedes Paktieren mit gegnerischen Ansichten unmöglich
machten und ihn zu mancher Schroffheit verleiteten. So ist es leicht be-
greiflich, dafl er nicht zu den Günstlingen des damals sehr einflufireichen
Moritz Haupt zahlte, begreiflicher aber noch, daß er — Zeit seines Lebens
ein entschiedener Anhänger der F'ortschrittspartei — dem Ministerium nicht
genehm war, mit dessen Köniusberger Organen er politische Konflikte ohne
Rücksicht auf die Person durchgefochten hatte.
Die Aussicht auf die akademische Laufbahn verschlechterte sich nur, als
1869 M.s erstes Hauptwerk, die bahnbrechende » Plautinische Prosodie« er-
schien. Wer auch nur den Umfang dieses mit den 1870 erschienenen Nach-
trägen 1000 Seiten umfassenden Werkes ansieht, wird über die geistige Kraft
des mit seiner Schultätigkeit allein fast vollbeladenen Mannes staunen. Die
wissenschaftb» he Hedeutunj^ tles Ruches aber sichert an sich schon M. für
immer einen Platz unter den hervorragenden Latinisten. Zum erstenmal sind
hier die Geheimnisse der plautinischen Versmessung erschlossen, an denen
die namhaftesten Philologen bis dahin ihre Kräfte vergeblich versucht hatten.
Und wenn wir heute in Plautus Komödien nicht bloß ein an sich höchst
merkwürdiges Literaturdenkmal und eine der wichtigsten Quellen des mo-
flernen Lustspiels crijlicken, sondern gleichzeitig ein Meisterwerk der \"ers-
kunst, so gebührt der Dank dafiir C F. W. Müller in erster Reihe. Leider
ist diese Erkenntnis erst spät durchgeilrungen; anfangs war die sachliche
Würdigung dadurch erschwert, ja unmöglich gemacht, dafl die Annahme der
M.schen Funde der Todesstofl für die Lieblingsideen des damals allmächtigen
Leipziger Philologen Ritsehl gewesen wäre. Selbst Haupt, der jet/t, da er
in M. einen Runflesgcnossen gegen Ritsehl zu erkennen glaubte, sirh ihm
freundücli zuwandte, konnte ihm l)ei diest-r Sac hlage durc h seine Kmj^fehlung
(1874) zu einer L'niversität.sprofessur nicht verhelfen, und M. muüte froh sein,
inzwischen (1872) in dem Direktorat des neugegründeten Breslauer Johannes-
gymnasiums eine immerhin seiner würdigere Stellung zu finden. Diese hat
er 2S Jfthre innegehabt und für seine Tätigkeit reichsten Dank seiner Schüler,
auf die seine tnensc hliclie und wissenschaftliche PersiMilichkeit ihren starken
Kindruc k niclii verfehlte, und wärmste .Anerkemnuig der Behörden geerntet.
iVuch ihm selbst war diese Stellung von allen, die er an Schulen innegehabt
hat, zweifellos die genehmste, und nur gegen das Ende hin, als die Schul-
reform ihren Druck auf die Anstalt und ihre Leistungen ausübte und das
Aktenwesen überhand zu nehmen anfing, enii)fand i r die l'nannehinlichkeiten
<les Schulaints für einen wissensc haftlic h Arbeitenden wieder sehr lebhaft.
So nahm er 1.S07 nach Hein Jubiläum der Anstalt, das ja auch das seines
l)irekiorate.s war, um so lieber seinen Abschied, als ein Jahr vorher ihm endlich
zuteil geworden war, was ihm ein langes Leben hindurch als ^el vorge-
schwebt hatte: der akademische Lehrstuhl. Seit 1890 etwa konnte der Erfolg
der »plautinischen Prosodie« als entschieden gelten, und schon seit 1876
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Malier. Rimpait.
259
hatte das zweite Hauptwerk M.s, das sich von vornherein allseitiger Aner-
kennung erfreuen durfte, zu ersclieinen begonnen: eine Gesamtausgabe Ciceros
nebst Kommentaren zu einzelnen Schriften (Lat'/ius 1876, o/fif/is 1882,
die Gesamtausgabe in acht Bänden von 1880 bis 1898). M.s Textgehtallung
ist nicht nur heate die mafigebende, sondern wird es im ganzen auch auf
lange hinaus bleiben; was er dem Text an sprachlichen Bemerkongen bei-
gegeben hat, zeigt ebensoviel Kenntnis der lateinischen Sprachdenkmäler
aller Zeiten und aller Srhit hten wie FüliiL'keit dem fremden Idiom auch seine
r^'instcn Niiancen nachzutuhlL-n. Die entsprechende Anerkennung war die
uniciuliche Honorarprofessur in der philosophischen Fakultät der Universität
Breslau, die NL noch sieben Jahr bekleiden konnte. Eine besonders um-
fassende Lehrtätigkeit war durch die gerade um 1896 hemm äuflerst geringe
Zahl [diilologischer Studierender ausgeschlossen. Dagegen hat auch die
Epoche der neuen Wirksamkeit außer einer Reihe von Autsätzen über Kritik
lateinisc her Schriftsteller und lateinischen Sprachgebr;iuch noch zwei große
.-Vrbeiten heranreifen sehen, eine Ausgabe der Briefe des jüngeren Plinius (1903)
und die Syntax des Nominativs und Akkusativs. Letztere hat M. nicht mehr
selbst zum Druck bringen können, ja sie ist insofern ein Fragment, als Ms
seit Dezennien gehegter Plan die gesammte Kasussyntax umfaßte. Aber die
min bald zu erhoffende Veröffentlichung wird doch die lateinische Philologie
mit einem Werke besc henken, das in der Vollständigkeit des Materials und
seiner s( harten Durchdringung nicht seinesgleichen hat und schwerlich je
seinesgleichen bekomm«i wird. Tragisch, dafi den bis zur Volloidung dieses
Stfickes geistig und körperlich durchaus rüstigen Gelehrten eine unerwartet
rasch verlaufende Krankheit am vollen Abschlufi seines letzten großen Werkes
hindern mußte - tragisch besonders, wenn man bedenkt, daß frühere He-
treiung aus dem Schulamt genügt hätte, um auch diesem, dem vielleicht
wichtigsten Werke M.s, die Vollendung zu sichern.
Wir müssen zufrieden sein mit dem, was ihm das Schicksal fertigzustellen
erlaubte. Reichlich genug ist es, um seinem Namen in unserer Wissenschaft
Fortdauer unter den besten zu sichern. Wer aber M. persönlich gekannt hat,
trägt ihn nicht nur als Gelehrten von einziger Art, sondern auch als einen
Menschen im Gedächtnis, wie man ihn nicht zweimal im Leben findet: es war
etwas Eisernes an ihm, eisern sein Fleiß, eisern seine Konse(}uenz, eisern die
Mannhaftigkeit, die das als wahr erkannte jederzeit und gegen jedermann vertrat.
Aber wer ihm Freund werden durfte, der wufite, welch warmes Herz unter
der bisweilen vielleicht rauhen HQlle schlug: unverbrüchlich war auch die
Tieue, die ihn seinen Freunden verband und die jeder, dem sie zuteil wurde,
als ein Köstlichstes in seinem Leben schätzte. S kutsch.
Rimpau, Wilhelm, Dr.. Amtsrat, * 29. August 1842 zu Schianstedt in der
Provinz Sadisen, f 20. Mai 1903 ebendaselbst — Als Sohn des Geheimen
Regieningsrates A. W. Rimpau, eines hervorragenden Landwirtes, wandte sich
R> nach Beendigung seiner Schulausbildung auf dem Gymnasium zu Braun-
''rhweig dem väterlichen Berufe zu und machte zu dem Kehufe zunächst eine
zweijährige praktisclic Lehrzeit in der W irtschaft des Amtsrats v. Hn[)])enstedt
M Liebenberg am Harz durch. Dann bezog er die landwirtschattiiciie Aka-
demie ZU Poppelsdorf bei Bonn, wo besonders die Vorlesungen des berühmten
17*
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2<S0
Rimp&u.
Pflanzenphysiologen Sachs auf die spätere praktisch- wissenschaftliche
Tätigkeit R.s von größtem Einfluß waren. Nachdem R. im Herbst 1863
das landwirtschaftliche Abschlußexamen der Akademie mit Auszeichnung ab-
gelegt hatte, bezog er noch ein Semester die Universität Berlin und machte
dann verschiedene gröfiere Studienreisen, die ihn auch nach England führten,
wo er die damals berühmtesten Landgüter zu seiner Information besuchte.
1865 trat er dann in die väterliche Wirtschaft auf der Domäne Schlanstodt
als Mitarbeiter ein, i86<S wurde er Miti)ächter und 1877 beim Tode sciiu-s
Vaters alleiniger Pächter, Gleichzeitig übernahm er das bis dahin seinem
Vater gehörende Gut Langenstein bei Halberstadt
Die wichtigste und bahnbrechendste Tätigkeit R.s liegt auf dem Gebiete
der Pflanzenzüchtung, der er auf der Domäne Schianstedt seine Hauptlebens-
arbeit gewidmet hat. Als R. in Schianstedt die Wirtschaftslcitunt: überiiahTn,
begann in vielen Clegenden ntnitschlands mit srhwercin Hoden und ganz
besonders in der Provinz Sacliscn nitolge des zunehmenden Rübenbaues die
Bewirtschaftung des Ackers gegenüber den vorhergdienden Dezennien einen
erheblich intensiveren Charakter anzunehmen, da die Zuckerrübe eine sorg-
fältige tiefe Bearbeitung des Bodens und eine starke Düngung für ein be-
friedigendes ( 'icdeilicii verlangt. Die alten zu der Zeit angebauten Landsorten
des (letreides verinocliten die intensivere Kultur des Bodens durch ent*
sprechende gesteigerte Erträge nicht auszunutzen, und so trat damals das
Bestreben hervor, Getreidesorten zu züchten, die zwar hohe Anforderungen
an die Kultur des Bodens stellten, andrerseits aber die gesteigerten Auf-
wendungen durch entsprechende ErtrüL'c lohnten. Außerdem bemühte man
sich, Riibensorten mit iK^herem Zuckergehalt als bisher zw züchten, da in-
folge der Steuerverhälinisse die Fabrikation fler /.uckerreichen Rüben von der
Steuer weniger empfindlich getroffen wurile als die Zuckerfabrikation mit
geringwertigerem Rohmaterial. Ausgerüstet mit seinen pflanzenphysiologi-
schen und biologischen Kenntnissen, zu denen er auf der Hochschule den
Grund gelegt hatte und die er später durch eigene Erfahrungen vertiefte, ist
CS R. vergönnt gewesen, auf dem Gebiete der Hochzüchtung landwirtschaft-
licher Kulturptlanzeii hahnbrechend vorzugehen, und Schianstedt nimmt iu)ch
heute, nachdem inzwischen in Deutschland eine große Zahl hervorragender
Siuitgutwir tschaften entstanden ist, unter diesen einen hervorragenden Rang
ein. Die großen Mengen von Saatgut der hochgezüchteten, ertragreichen land-
wirtschaftlichen Kulturpflanzen, welche Jahr für Jahr aus Schianstedt in alle
Teile Deutschlands gewandert sind, haben wesentlich dazu beigetragen, die
Produktivität des deutschen Ackerbaues und dadurch seine Rente zu erhöhen,
ein Fortst hritt, um den R. sich ein hohes \'erdienst erworben hat.
Trotzdem die Bewirtschaftung von Schianstedt und Langenstein, wozu
noch eine Reihe von Jahren infolge Testaments die Leitung der berühmten
bis dahin von seinem verstorbenen Onkel geleiteten Sand- und Moorwirtschaft
Kunrau kam, an R.s Kräfte die höchsten Anforderungen stellte, hat er noch
Zeit gefunden, literarisch tätig zu sein. Eine lange Reihe größerer und
kleinerer wissenschaftlicher Abhandlungen, deren Inhalt stets Neues uml
Interessantes brachte, sind aus der Feder R.s in der Zeit von 1875 ^^'^ '9°i
hervorgegangen. Diese literarischen Arbeiten R.s, es sind deren im ganzen
78 von Ministerialdirektor Thiel in einem Nachruf für R. aufgeführt, erstrecken
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Kimpau. Karrer.
261
sich naturgemäß in erster Linie auf das Gebiet der landwirtschaftlichen
Pflanzenproduktion, aber auch Abhandlungen Ober die sonstigen Zweige des
Landwirtschaftsbetriebes, ferner solche sozialpolitischen, kulturhistorischen
und ästhetischen Inhalts weist das stattliche Schriftenverzeichnis R.s auf.
Welch hohe Anerkennung die wissenschaftliche Tätigkeit R.s fand, geht dar-
aus hervor, daß ihm die philosophische Fakultät der Universität Halle die
höchste von ihr zu vergebende Ehrung zuteil werden ließ, indem sie ihm den
Doktortitel h/moris causa verlieh.
Auch im öffentlichen Leben, besonders im landwirtschaftlichen Vereins-
wesen, hat R. stets eine hervorragende Rolle gespielt; so gehört besonders er
zu den Gründern der heute weltberühmten »Deutschen Landwirtschafts-Gesell-
schaft«, und in verschiedenen Sonderausschüssen derselben ist er ein unermüd-
licher, treuer Mitarbeiter gewesen, bis eine im Laufe der Jahre zunehmende
Schwerhörigkeit ihn zwang, sich hiervon mehr zurQckzuziehen. Um so mehr
wandte er sidi seinen wissenschafdichen Arbeiten zu, bis ihn im 61. Lebens-
jahre eine infolge von Furunkulose entstandene Blutvergiftung dahinraffte.
Literatur: »Deutsche landwiltschaftliclie PreSSec Jahlgailf 1903. — »niustriertti land-
wirtschaftliche Zeitung« Jahrgang 1903. Dr. Qu ante.
Karrer, Felix, * xi. März 1815 in Venedig, f 19. April 1903 in Wien.
K.S Vater stand 1825 als Beamter in österreichischen Dienst«!. Derselbe
starb jedoch bereits vier Jahre nach der Geburt des Knaben und die hinter-
bliebene Witwe übersiedelte mit diesem nach Wien, wo sie Verwandte
besaß.
K. besuchte hier das Gymnasium, absolvierte den juridischen Kurs an
der Univeisitftt und trat sodann im Jahre 1847 als Konzeptspraktikant in
das k. k. Kriegsministerium ein.
Der einförmige Bureaudienst sagte ihm jedoch auf die Länge nicht zu,
und da seine Mutter ein kleines Vermögen besaß, er auch ihr einziges Kind
war, so verließ er seine Bcamtenstelle, um als freier Lrivatgclehrter Natur-
wissenschaften zu treiben, für die er von Jugend auf eine besondere Vor-
liebe gehegt hatte.
Durch E. Suess, der damals Kustos am k. k. Hof-Mineralienkabinett war
and eben um diese Zeit seine Lehrtätigkeit an der Universität begann, wurde
er der Geologie zugeführt, deren Betrieb von nun an sein ganzes Leben
erfüllte.
Durch Vermittlung seines Lehrers wurde ihm am Hot-Mineralienkabinett
ein eigener Arbeitsplatz eingeräumt und er gehörte von nun an zu den eifrigsten
Arbeitern dieses Instituts.
Seine Spezialität war das Studium der Foraminiferen, in welchem Fache
t^r in kurzer Zeit eine anerkannte Autorität wurde. Er veröffentlichte eine
Reihe wertvoller Arbeiten, stand mit fast allen Fachkollegen des In- und
Auslandes in regem Verkehr und erwarb sich auch um die Foraminiferen-
saounlung des Mineralienkabinetts daü größte Verdienst, ja man kann wohl
sagen, dafi diese erst durch ihn geschaffen wurde.
Nebenbei beschäftigte er sich auch mit geologischen Studien im Tertiär-
becken von Wien, namentlich mit den Aufschlüssen, welche durch die Ar-
beiten an der Wiener Wasserleitung hergestellt wurden, und veröffentlichte
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262
Kairer.
Ober dieselben im Jahre 1.S77 ein umfangreiches Werk unter dem Titel:
»(ieologie der Kaiser Franz Joseph-Hoch(|uellenwasserleitung, gewidmet Seiner
Kaiserlichen Hoheit Kronprinz Rudolph«.
Diese Arbeit, die einen selbständigen Band der Denkschriften der
Geologischen Reichsanstalt bildet, kann wohl als sein bedeutendstes Werk
bezeichnet werden, für dessen würdige Ausstattung er auch pekuniäre Opfer
brachte.
Durch (he Studien an der Wasserleitung war er vielfach mit den tech-
nischen Kreisen in Berührung gekommen und wurde dadurch veranlaßt, sich
mehr der praktischen Richtung su widmen, indem er eine Sammlung von
Baugestetnen anlegte.
Diese Sammlung nahm durch seine unermüdliche Tätigkeit im Verlaufe
weniger Jahre einen solchen l'mfang an, daß ihr bei der C'bersiedehing
der naturhistorischen Hofsammlungen in das neue Musealgebäude daselbst
ein eigener Saal eingeräumt wenlen nuilite.
Neben dieser der Wissenschaft und dem Museum gewidmeten Tätigkeit
bekleidete K. auch noch die Stelle eines Generalsekretärs des Wissenschaft-
lichen Klubs, und audi in dieser Sphäre entwickelte er eine so vielseitige,
geräuschlose, aber nachdrückliche Tätigkeit, dafi er in kurzer 2^it der wahre
Mittelpunkt, der spiritiis fcctor des Vereins wurde und es auch, vom allge-
meinen Vertrauen getragen, bis zu seinem Tode blieb.
K. hatte im Jahre 1Ü74 eine Erbschaft gemacht, durch welche seine bis
dahin aiemlich bescheidenen Veihältnisse sehr gehoben wurden. Er kaufte
sich in Döbling ein ansehnliches Haus mit grofiem Garten und pflegte von
da ab auch fast jährlich eine größere Reise ins Ausland zu unternehmen.
K. war zweimal verheiratet. Seine erste Khe blieb kinderlos, aus der
zweiten stammten drei Kinder, zwt-i 1 »u hter und ein Sohn.
K. erfreute sich durch sein ganzes Leben einer wie es schien unverwüst-
lichen Gesundheit. Er war niemals krank und besaß noch im vorgeschrittenen
Alter eine fast jugendliche Gelenkigkeit
Im Sommer 1902 zeigten sich bei ihm jedoch während seines Aufent-
haltes in St. Wolfgang Schwächezustände, die sich zunächst in chronischen
Verdauungsstörungen äußerten. Im X i-rlaufe des Winters nahm die S< luväche
immer mehr zu, er verfiel zusehendsj mußte sich zu Bett legen, es trat voll-
kommene Teilnahmlosigkeit ein und am 19. April 1903 verschied er schmerelos
und sanft. — Er hatte ein Alter von 78 Jahren erreicht.
K. erhielt für seine vielseitigen' Verdienste vielfache Ehrungen.
Kr war königlich ungarischer Rat, Ritter des Ordens der Kisernen Krone
und des Franz Josephs-Ordens, Besitzer der Goldenen Medaille für Kunst
und Wissenschaft, Mitglied der Geolox'unl Scrh-fy <>/ London, wirkliches Mit-
glied der Russischen Mineralogischen üesellschaft, Korrespondent der k. k.
Geologischen Reich.sanstalt etc.
Niheres Uber Kairer siehe: Th. Fuchs, Nachruf an Felix Karrer. (Monatsblfttter des
Wissensch. Klub in Wien, 1903, Nr. 9.) — F. v. Lemminier: Felix Karrer (Monatsbl. d.
Wiss. Klub. Wien 1903.) — K. Hcrwertli : Zur KriimtiiintT an Felix Knm-r. (.\mi,ilcti des
k. k. Naturbistor. Holmuseums 1903.) Eatbult ein vollständiges X'erzeichnis seiner Publi-
kationen.
Th. Fuchs.
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Meding.
263
Mcding, Johann Ferdinand Martin Oskar, Komaiix In iltstclK r, * 11. April
1829 in Königsberg i. Pr., f 11. Juli 1903 in Lharlottcnburg. — Kr war der
Sohn des Chefyrflsidenten der ostpreufiischen Regierung, erhielt die Grund-
lage seiner Erziehung im elterlichen Hause unter der Einwirkung Herbarts
and Dinters, der Freunde des Vaters, besuchte dann die Gsrmnasien in Marien-
werder und Köslin und studierte von 1X48 bis 1851 Jura und Kameralia in
Königsberg, Heidelberg und licrlin. In Heidelberg, wo er dem K()r]>!> der
Saxoborui>£>ia angehörte, trat zum erstenmale die politische Bewegung tier
Zeit an ihn heran, indem er dort die badische Revolution von 1849 erlebte,
zu der er allerdings mit den Genossen seines Korps unter der Studentenschaft
in schroffem Gegensatz stand. Kr hat später diese Zeit in seinem Roman
Die Saxnhorussen (1885) geschildert, der dann unmittelbar darauf von dem
Pseudonymen Schriftsteller S. (iregorow in dem Roman Die Sa.\o-Sa.\oncn<'
(1886, 25. Aufl. 1900) in trefflicher Weise parodiert wurde. Im Jahre 1851
vurde M. Auskultator bei dem Appellationsgericht in Marienwerder, trat später
bei der Regierung zu Minden in den Verwaltungsdienst und arbeitete nach-
mals bei den Regierungen in Liegnitz, Potsdam und Düsseldorf, wurde aber
zwischejiclnrch auch von dem Ministerpräsidenten von Manteuffcl in Preß-
angelegenheiten beschäftigt. In Düsseldorf war er besonders bei der (Iründung
des Handels- und (iewerbevereins für Rheinland und Westfalen tätig und
schrieb für diesen Verein mehrere Denk.schriften über damals vorliegende
gewerbliche Fragen. Da er sich nach Manteuffels RQcktritt vom Minister-
posten, unter dem Ministerium Auerswald — vielleicht mit Unrecht — für
zurückgesetzt hielt, verließ er Ende 1859 den preuflischen Staatsdienst und
trat in flie Dienste des Königs von Hannover. Er arbeitete zunächst als
Assessor bei der Lamldrostei in Hannover, wurde aVier bald mehrfach in be-
sonderen Aufträgen von dem Minister üraien von Bornes und dem Könige
selbst beschäftigt, der ihn durch besonderes Vertrauen auszeichnete. Unter
dem Ministerium Windthorst-Hammerstein wurde M. 1863 Regierungsrat und
Referent im Gesamtministerium mit persönlichem Vortrage beim Könige, und
in dieser schwierigen Stellung eröffnete sich ihm ein weites Feld politischer
Erfahrungen, da er die verschiedensten und heterogensten (legenstände '/u
bearbeiten hatte und zur Teilnahme an den Konseilsitzungen berufen wurde.
Er arbeitete besonders an der Herstellung einer Regieningspresse und war '
noch im Jahre 1865 unter dem Ministerium Bacmeister im Verein mit Miquel
and Albrecht an der neuen Gewerbeordnung tätig, welche den bis dahin
geltenden Zunftzwang beseitigte. Stets bemüht, die l nabhängigkeit unfl
Selbständigkeit Hannovers und gleichzeitig ein freundliches \\i!iältnis zu
I^rcußen zu erhalten, ging er noch unmittelbar vor dem Ausbruch des Krieges
t866 in einer Mission vonseiten des Königs zum Kurfürsten von Hessen,
um denselben zur gemeinsamen Annahme der von PreuBen gewünschten
Neutralität zu bestimmen. Als die schnell und verhängnisvoll iu re inbrechenden
Ereignisse jede Vermittelung unmöglich gemacht hatten, begleitete M. im
Juni 1866 den König zur Armee und später nach Wien, wo er bis zum April
1867 blieb. Dann ging er in Vertretung der Interessen des Königs nach
Paris und suchte dort besonders die Stellung der hannoverschen Emigranten,
der sogenannten Welfenlegion, zu erleichtem und mit den völkerrechtlichen
Beziehungen in Einklang zu bringen. Während seines dreijährigen Aufent-
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264
Medinff. Wittmann.
halts in der französischen Hauptstadt hatte er hinreichend Oelegenheit, jene
an Intrigen aller Art so reiche Zeit genau zu beobachten und zu studieren,
was schliefilich zu einer gründlichen Änderung seiner politischen Anschau-
ungen führen roufite. Er verlieft daher im Februar 1870 den Dienst des
Königs von Hannover und begab sich zunächst nach der Schweiz, eilte dann
aber bei Ausbruch des Krieges nach Merlin, uin seinen vollständigen Frieden
mit der preußischen Regierung zu machen, und gleichzeitig mit Erfolg für
die in so mißlicher Lage befindlichen hannoverschen Soldaten und üfliziere
zu wiricen. Nunmehr jeder aufr^benden politbchen Tätigkeit enthoben,
suchte M. Erholung in literarischer Arbeit Er begann eine Darstellung der
welthistorischen Zeit auszuarbeiten, welche er durchlebt hatte, und gab der-
selben die Form des Romans, um eine freiere Bewegung zu gewinnen und
dasjenige verschweigen zu können, was nach irgend einer Seite liätte ver-
letzen und seine Arbeit zu einem sogenannten Sensationswerk stempeln können.
Vorbilder waren ihm für die Form Walter Scott und Alexander Dumas. So
entstand zunächst sein sogenannter »Zdtroman« »Um Szepter und Kronen«
(III, 1872), den er in den Wintermonaten 1871—78 in der stillen Ruhe des
Bades Oynhausen schrieb, und den er dann unter dem Pseudonym Gregor
Samarow herausgab. Vier Fortsetzungen folgten ihm, «Europäische Minen
und (iegenminen« (IV% 1873 — 75)> »'^wt^' Kaiserkronen« (IV, 1875), »Kreuz
und Schwert» (IV, 1875 — 76) und »Held und Kaiser« (IV, 1876). Diese Zeit-
romane ibnden Oberall Anerkennung; selbst Fürst Bismarck und Kaiser Wil-
helm I. versagten ihnen dieselbe nicht, ja der letztere erwies dem Verfasser
die hohe Ehre, bei der Niederschrift der Biographie: »91 Jahre in Glaube,
Kampf und Sieg. Ein Mens( heiv und Heldenliild unseres unvergeßlichen
Kaisers Williehn I. (18SS), seine pcr>öiili( he Mitwirkung zu gewähren. Der
erste ivrfoig ermutigte den X'erlasser zu weiteren ähnlichen Arbeiten, und so
tragen denn die folgenden Romane mehr oder weniger einen historischen
Charakter. Leider verfiel er je länger je mehr in den Fehler der Vielschreiberei,
so daß er es für angezeigt hielt, sich andere Decknamen beizulegen, wie
Detlev von (leyern, Leo Warren, Walter Morgan, Kurt von Walfeld und als
Zeitungs})lau< lerer Paul von Weilen. Auf diese Weise brachte er es bis auf
66 Romane, welche 142 Bande füllten. Nachdem M. kurze Zeit in der Schweiz,
in Stuttgart, Cannstadt und seit 1873 in Berlin gelebt hatte, verlegte er 1879
seinen Wohnsitz nach Schlott W<^ldenberg, dem Sitz einer alten hannoverschen
Landdrostei, wo er bis 1900 blieb. Die letzten Jahre seines Lebens weilte
er in Charlottenburg.
Persönliche Mitteilungen. — »Deutsche Komanbibliodiekc, 23. Jahrg. 1894 05, .S. 571.
— »Über Land und Meer«, 46. Band, S. 967. Franz Brummer.
Wittmann, Karl Friedrich, Schauspieler und dramatischer Dichter,
•84. März iS,^9 in Koburg, f 17. (n. a. 18.) März 1903 in Berlin. — Nach Be-
such der lateinischen Schule seiner N'aterstadt trat er, 17 Jahre alt, in den
\'erband des Hoftheaters in Koburg ein, wo er unter Max von Wangenheims
Intendanz eine strenge theatralische Erziehung erhielt. Sein Talent entwickelte
sich so schnell, dafi er schon 1860 das Fach des ersten Helden und Lieb-
habers am Stadttheater in Königsberg i. Pr. ausfüllen konnte. Im folgenden
Jahre ging er an das Hoftheater in Hannover und 1862 als erster Bonvivant
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Wittmutn. Bellennaim.
265
nnd jugendlicher Held an das Hoftheater in Darmstadt, wo er sieben Jahre
blieb und sirh Pensionsrerhtc crwarV). \'on hier aus unternahm er auch in
der Ferienzeit seine unter der Bezeicimung Holtheater-Knsemble bekannten
Gesamtgastspiele, wodurch er der Schöpfer der Gesamtgastspielbewegung der
Gegenwart warde. Seit 1869 wirkte W. am Hoftheater in Oldenburg. Im
Jahre rSyo betraute ihn der Fürst Heimrich XIV. von Reuß mit der Reorgani-
sation seines Hoftheaters in Gera, ernannte ihn zum Chef tles Hnfthcaters
und der Hofniusik« und bei seinem Austritt aus dieser Stellung zum Ehren-
mitglied der Geraer Hofbühne. W. lieti sich nun (1872) in Koburg nieder
and leitete von hier aus 1876 — 92 das einst königliche, später landschaftlich
sobrentionierte deutsche Theater auf Helgoland. Seit 1884 war er auch Re-
dakteur und Herausgeber des dramatischen Teils von Philij^p Reclams Universal-
Riblinthek (Leipzig); er hat für dieselbe eine große Zahl von dramaturgischen
.\rbeitcn und Hühiieneinrichtungen dramatischer Stücke geliefert. \'on Erfolg
begleitet waren seine Sammlungen von Vorträgen und Spielen für Familien-
feste, z. B. für »Polterabend« (4 Bdchn.« 1880—93), für »Hochzeit« (a Bdchn.,
1891 — 96), IQr »Silberhochzeit« (1894), för »Goldhochzeit« (1896); femer seine
»Festspiele (6 Bdchn., 1890 — 98), seine »Solospiele« (8 Bdchn., 1889 — 1905)
und seine »Dramatischen Zwiegespräche« (5 Bdchn. 1892 — 1900). 1887 hatte
\V, seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt und dort ist er auch bis zu seinem
Tode geblieben.
PenOnllclie llfitteilimgen. — »Gtfrlitzer Anzeiger« 1882. — O. Flüggen: »Biographisches
BUmcifLexikon«, 189a, S. 332. Franz Brümmer.
Bellermann, Joh. Gottfried Heinrich, Professor der Musikwissenschaft
an der Universität und Gesanglehrer am grauen Kloster zu Berlin; seit
10. Mai 1875 Mitglied der Köinglichen Akademie der Künste, * 10. März 1832
in Berlin, f 10. April 1903. — Die musikalischen Anlagen des Vaters Friedrich
fiellermann, der sich als Praktiker durch Komposition einer Reihe von Lie-
dern sowie durch seine eifrige Pflege und Förderung des Schulgesanges und
als Theoretiker durch seine Forschungen über die griechische Musik einen
Namen gemacht hat, verpflanzten sich auf den Sohn und bestimmten ihn,
sich dem Musikerberufe zu widmen. Für seine Kiihtung vornehndich aus-
schlaggebend war der Unterricht bei August Eduard Grell, dessen Kampf
g^en die Vorherrschaft der Instrumentalmusik gegenüber der Vokalmusik
er fortsetzte. Auf die Pflege des Gesanges sollte das Schwergewicht der
musikalischen Erziehung gelegt werden. Dieses Prinzip vertrat Heinrich B.
sein Leben lang mit aller Schärfe. Reiche (Gelegenheit, seine Kunstnnschau-
ungen in die Praxis überzuführen, bot ihm sein Amt als Gcs.tnglchi er des
grauen Klosters, das er seit 1853 innehatte. In der nmsikalischen Erziehung
der Schuljugend erblickte er selbst seine Haupttätigkeit. FQr sie schuf er
die grOfite Zahl seiner Kompositionen, aus denen neben Choralgesftngen,
Motetten und fröhlichen Liedern zu Sängerfahrten besonders seine Kompo-
sitionen griechischer Tragödien hervorzuheben sind. Die .Anregung zu ihrer
Abfa.s.sung verdankte er seinem \'ater, in dem die Mendel>s(>hn'scfie .Musik
zu Sophokles' Antigene den Wunsch nach Vertonung der griechischen Dramen
in der Originalsprache rege gemacht hatte. 1855—56 kam seine Komposition
<lcs Ajax von Sophokles zur Aufführung, 1858 folgte König Odipus. Durch
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Bdlcmiaim.
seine Chöre, wie durch seine ein- und mein stimmigen Lieder geht ein
schlichter Zug. Große Momente wird man bei ihm vergeblich suchen.
Oberstes Gesetz ist ihm die gesangliche Führung der einzelnen Stimmen und
die Schönheit des Gesamtklanges. Besonders wertvoll sind seine Afänner-
chöre, die durch ihre kontrapunktische Faktur und ihren tieferen musikalischere
Gehalt aus der Mannergesangs-Literatiir hervorragen.
Bedeutende^ leistete als Theoretiker. Seme Lehrtätigkeit nalim einen
nicht unbedeutenden Umfang an, seitdem er auf warme ßefürwortung Fried-
rich Chrysanders am ii. September 1866 als Nachfolger Adolf Bernhard
Marx' zum aufierordentltchen Professor der Musikwissenschaft an die Uni-
versität Berlin berufen worden war. Wenige Monate nach seinem Amtsan-
tritt, am 15. Dezember 1866, wurde ihm die philosophische Doktorwürde
Jumoris causa verliehen.
An der Universität lag ihm der Unterricht in Musiktheorie und Musik-
geschichte, sowie die Leitung der Festmusiken ob. Seinen Ruf als Theore-
tiker hatte seine Schrift »Kontrapunkt oder Anleitung zur Stimmführung in
der musikalischen Komposition« begrimdet, ein Werk, welches 1862 erschien
und !)is iQoi vier Auflagen erlebte. Herausgewachsen aus dem GraJus nJ
J'arttassi/m des Joseph Kux (Wien 1725) stellt es einen leicht faßlichen Lehr-
gang der Kontrapunktik strengen Stils dar. Es blieb nicht unwidersprochen,
hat sich aber auch im Laufe der Zeit sehr viele Freunde erworben und
gehört mit seiner klaren Gruppierung des Stoffes und seiner feinen Schulung
an Meisterwerken des 16. Jahrhunderts zu den besten Kontrapunktlehren.
In der ziemlich umfangreichen Kiideitung des Kontrapunkts-, welche
einen Abriß der Notation gibt, lernen wir H. als Musikhistoriker kennen, als
welcher er sich schon i85tS durch seine "Mensuralnoten und Taktzeichen des
XV. und XVL Jahrhunderts* bewährt hatte. Aus ihrer Zeit heraus beurteilt,
sind beide Arbeiten ganz vortrefflich. Die letztangeführte Schrift hat sich,
wenn auch nicht für alle Fälle ausreichend, bis auf unsere Zeit unentbehr-
lieh gemacht und ist tler Schlüssel gewesen, mit Hilfe dessen ein großer
Teil der auf uns gekommenen Musikliteratur des 16. Jahrhunderts erst er-
schlossen und nutzbar gemacht werden konnte. Fs ist keine Fntwicklungs-
gcschichte, sondern ein Schulbuch. Das pädagogi.sche Talent B.s zeigt sich
wieder in der klaren Gruppierung des Stoffes und der Scheidung des Wesent-
lichen vom Unwesentlichen.
Weniger von Erfolg gekrönt war B.s Lehrtätigkeit auf dein (kbiete der
Musikgeschichte. So emsig er sieh in den ersten Jahren an dem Aufbau der
Musikwissenschaft beteiligt und so kräftig er hierin Friedrich Chrysander und
Philipp Spitta unterstützt hatte, so wenig kümmerte er sich später um die
weitere Entwicklung^. Seine Vorlesungen, ohne Frage bei ihrer Abfassung
auf der Höhe, hielten mit dem EmporblOhen der jungen Wissenschaft nicht
Schritt. Alle neue Forschung ließ B. nahezu unberücksichtigt. Ein Grund
für das abnehmende musikwissenschaftliche Interesse ist wohl einmal in dem
i bergewicht seiner i>raktischen Tätigkeit, andererseits in seinem nervösen (licht-
leiden zu suchen, das sich schon früh geltend machte. Wie frisch neben
dem stagnierenden Kolleg nahmen sich seine ersten Abhandlungen und seine
Kritiken in Chrysanders Jahrbüchern aus. Hier war B. durch und durch
Forscher, und scharfsichtiger Kritiker. Erwähnt sei nur die mit philolo-
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Bdleimaiui. Bnun. Horten. Elenx.
267
sisrhcr Akribie besorgte Xciiausgabe von Johannis Tinctoris Tcrmiiwrum
Musicae Dijßnitürium und vom 11. Kapitel der Ars cantus mctisurabUis des
Franco oder die Überarbeitung der Amoldschen Studie Ober das Lochamer
Liederbuch und das Fundamenttm on^amsanäi des Conrad Paumann, berührt
nur die voll und ganz berechtigte vernichtende Kritik der Reiümannschen
Musikgeschichte. Gerade diese Arbeiten lassen es bedauern, daß B. der
Musikforschung nicht weiter gedient hat. Seine Großtaten sind und bleiben
sein »Kontrajiunkt^ und seine »Mensuralnoten und Taktzeichen«, Schriften,
die ihn in die erste Reihe der älteren Musikforscher stellen.
Eine nahezu Tollsttndige AufsUiliuisf der Werke Heinrieb BeUermanns gibt Otto
Schneider in der Ccdiu-htnisrede, die unter dem Titel »Heinrich Bcllcnnann« 1903 bei
Julius Springer in Herlin erschien. \'on selbständigen Schriften seien hier nur genannt:
1858 Mensuralnoten und Taktzcicben des W. und XVI. Jahrhunderts. Herlin, Georg Reimer.
— 1862. Der Kontrapunkt Berlin, Julius Springer. 4. Aufl. 1901. — 1S73. GrOfle
der niuf jk.ilischen Intervalle als Griind!;ige der Harmonie. Berlin. — '874. Friedrich
Bellcrmann. Seine \Virk*;\iiikeit auf dem ( aliictc der Musik. I.ci(vi:; und Winterthur. — 1876.
Anfangsj^iinde der Mu!>ik lur den ersten hingunterricht uul Civuiuahicn und Realschulen.
Beilin, 7. Anfl. ~ 1887. Aufsttte und Gutachten Ober Musik von Friedridi Grell, Beriin. —
1893. Hilfsbflchlein beim Gesangunterricht. Berlin, 14. Aull. — 1899. August Eduard Grell.
Berlin. - — Eine eingehende WurdigunLf erfuhr das Wirken B.s von Hugo Riemann in
Max Besses Deutschem Musiker-Kalender 19U4.
Berlin. Johannes Wolf.
Braun, Karl Ludwig August, Reichsgerichtsrat, "'26. März 1832 zu Orb
(damals bayerisch), f ag. Oktober 1903 zu Leipzig. — 6. trat am 33. Oktober
1854 in den Justisdienst, wurde 1864 IL Staatsanwalt, 1870 Rat am Bezirks-
gericht, 1874 L Staatsanwalt, 1879 Oberlandesgerichtsrat, i. Januar 1893
Reichsgerichtsrat.
Die ersten 25 Jahre des Reichsgerichts (Sächs. Arch., Bcilageheft zu Bd. 14) S. 73.
— »Deutsche Juiliten*Zeitung« 1903 S. 516. A. Teichmann.
Horten, Anton Hubert, Reichsgerichtsrat, * 5. März 1838 zu Kempen
(Reg.-Bez. DüsseldoiQ, f 23. Oktober 1903 zu Leipzig. — H. trat am 30. Sep-
tember 1859 in den Justizdienst, wurde 1870 Staatsprokurator, 1879 Land-
gcrichtsrat, 1882 Oberlandesgerichtsrat, i. Januar 1891 Reichsgerichtsrat.
Die ersten 25 Jahre de? Rcieh>j^ari his Leipzig 1904 (Sftchs. Arch., Heilaj^eheft zu
M. 14) S. 72. — »Deutsche Juristen-Zeitung« 1903 S. 493. A. Teichinann.
Elenz, Ferdinand, Senatspräsident in KcUn, * 16. März 1844 in Wiesbaden
«Is Sohn des 1847 verstorbenen herzoglich niissauischen Aintsassessors Elenz,
fi. Februar 1903 in KOln. — £. trat am 4. März 1867 im Bezirke des
Appellationsgerichts Wiesbaden in den Justixdienst, wurde 187 1 Assessor und
am 30. Juli 1872 in den Bezirk des Rheinischen Appellationsgerichtshofes zu
Köln versetzt. Er wurde P'riedensrichtcr in Stinmern, dann I.andgerichts-
a.ssessor in Ri>blen/., am i. ()kt(^ber 1870 Landri« luer, im NovembiT 1885
Hilfsrichter beim Oberlandesgericht in Köln, 1891 Oberlandes^a^richtsrat.
Auf Gmnd seiner ausgezeichneten Leistungen wurde er am 23. September
1895 ab Geheimer Justizrat und vortragender Rat in das Justizministerium
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Elens. Petenscn. RocholL
nach Herlin berufen, wo er vorzu^fswi'ise die rheinischen Sachen und Perso-
nalien bearbeitete, demnächst Cieheimcr Ober-Justizrat und Mitglied der Imtne-
diatkommiäsion für die große juristische Staatsprüfung. Sein starkes Interesse
an der Rechtsprechung und vielleicht auch das Gefühl, dafi seine flbergrofie
Bescheidenheit ihn in Verwaltungssachen an der Durchsetzung seiner An-
sichten hindere, liefien ihn zur richterlichen Tätigkeit zurückkehren. Auf
seinen Wunscli trat er am i. Oktober 1899 als Senatspräsident wieder in das
Kollegium des Kölner Oberlandesgerichts, d;is den liebenswürdigen und
tüchtigen Kollegen auf das herzlichste willkommen hieß. Hier heiratete er
die Tochter des in Wiesbaden verstorbenen Oberrcgicrungsrates MoUier —
ein aus beiderseitiger inniger Neigung geschlossener Bund, der ihm den
Lebensabend zu einem überaus glücklichen gestaltete. Seiner hervorragend
tüchtigen \\'irksainkeit machte der Tod ein frühes Ende. Die Leiche wurde
nach Wiesbaden überführt.
»Kölnische Zeitung« 19U3 Nr. 9S. — Gütige Muteüung des llcrrn OberludesgerichtS-
plisidenlen Dr. Hamm in Ktfln — irDeittsche Juristen-Zeitungc 1903 S. 96.
Peterssen, George Rudolf, Dr., Wirklicher Geheimer- Rat, Exzellenz,
* 25. Marz 1826 zu ( )Miabrück, f 27. Februar 1903 zu Leipzig. — P. trat am
22. Februar 1850 als Amtsauditor bei dem Magistrate Osnabrück ein, wurde
im Mai 1853 Gerichtsassessor, im Oktober 1854 Hilfsarbeiter im hannover-
schen Justizministerium, im April 1860 Obergerichtsassessor in Verden, 1862
Sekretär i ler Deutschen Zivi Iprozefikommission in Hannover, 1863 an das
Obergericht berufen, 1S65 Obergcrichtsrnt und Vertreter Hannovers bei der
Deutschen Zivilpro/eükonimission, im Mai 1868 Oberappellationsgeri( htsrat
in Berlin, 1873 — 1879 Mitglied der Königl. Preuß. Justizprüfungskommission,
1874 Obertribunalstat in Beriin, am i. Oktober 1879 Rdchsgerichtsrat in
Leipzig, am i. Januar 1891 Senatspräsident, am i. Oktober 1895 Ehrendoktor
der riiiversitäi Leipzig, 1900 Kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rat mit dem
Prädikat Kxzellenz, trat am i. Juli 1902 in den Ruhestand. Als Arbeiten
sind zu nennen Folizeistr.itgesetz für Hannover« 1859, 2. Aufl. 1865; » Das
eheliche Güterrecht in den Städten und Klecken des Fürstentums Osnabrück«
1863; (mit J. Struckmann) »Entwurf einer allgemeinen deutschen Zivilprozefi-
Ordnung nach den Beschlüssen der i. Kommission«, Hannover 1864.
Die ersten 25 Jahre des Reichs^jerichts (Sächsisches Archiv für Deutsches Bllrger-
lifhcs Recht, Hcilaj^'cheft zu Hand 14) Leipzi/^ 11)04 59i Gef, Mitteilungen des
Herrn Prol'. Dr. Hans Stobbe in Leipzig. — Arch.Civ.Prax. 1AI,95.
RochoU, Carl, Wirklicher Geheimer Ober-Justizrat, * 2. Juni 1834 als
Sohn des Generalarztes Dr. Rocholl in Erfurt, f 14. Januar 1^3 zu Naum-
burg a. S. — R. besuc hte das (Gymnasium in Soest und trat na« h Studium
der Rechte auf den l 'nix ersitiiten in IJonn und Perlin 1.S46 in den Justiz-
dienst, wurde am 6. September 1851 Assessor, am 31. De/.ember 1853 Staats-
anwaltsgehilfe in Duisburg, am i. Oktober 185s nach Soest verseUt, wo er
die Nebenämter als Polizeianwalt und als Justitiarius des Westfälischen Land-
armenverbandes versah, am 28. Dezember 1857 zum Staatsanwalt ernannt,
A. Teichmann.
A. Teichmann.
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RochoO. von He(hef^Altcn«dc.
269
am I. April 1S64 Justizrat und Notar beim Appcllationspericht in Hamm,
1873 Appellatiünsgenchtsrat in Breslau, auch Mitglied der juristischen Prü-
fongskommission, am i. Oktober 1879 Senatspräsident in Posen, 1882 wieder
in Breslau, Vorsitzender der Prüfungskommission, 1890 Geheimer Ober-Justiz-
rat, vom I. Januar 1893 in Naumburg a. d. S., bcfiing am 30. Mai 1896 das
50 jährige Dienstjubiläum, von der Universität Halle zum Dr. jur. //. c. et'
nannt, nalim am i. Juli 1897 seinen Abschied. Er wurde mehrfach durch
Verleihung preuiiischer Orden ausgezeichnet, erhielt auch den Dessauer
Bären-Orden und das Schwarzburg-Sondershausener Ehrenkreuz I. Kl. Er
verfafite: »System d. preufi. Armenpflegerechts«, Hamm 1864; »System d. deut-
schen Armenpflegerechts«, Berlin 1873; »Reform des Armenwesens«, Breslau
1880; >Rechtsfälle aus der Praxis des Reichsgerichts«, 2 Bde. ebd. 1883 — 90;
(mit Xietlner) Vorschläge zur Ahändorunp des Entwurfes eines BGB. in
Form eines Gegen-Entwurfes«, Breslau 1890 — 91; Das Eherecht des BGB.
nebst d. preuß. Ausführungsgesetze v. 20. IX. 1899 , Berlin 1900.
Nach gef. Mitteilungen der Witwe "SSant Rocholl, geb. Grasshof. — »Deutsche Juristen-
Zeitung« 1903 S. 74. — Gruchot» Beitrige XXVI, 750; XXX, 473; XXXV, 107; XLV, 147,
— Kinrhenheims CentialbUtt X, 170 — 172. — Zamckes Lit. Centralblatt 1000, Sp. 1205.
A. Teichmann.
Hcfner-Aiteneck, Jakob Heinrich von, Dr.. Direktor des Nationalmuseums
in Mfinchen, Altertumsforscher, ^ 20. Mai 181 1 in Aschaffenburg, f 19. Mai
1903 zu München. — H. stammte aus einer alten, im Rheingau vielverzweigten
und begüterten Familie, welche dem kurmainzischen Staate manche Dienste
erwiesen hatte. Sein mit Marr^aretlia Gebhardt (der letzten l'^rbin jener ehe-
dem herühmten gleichnamigen Buch- und Kunsthandlung zu Hamberg und
Wur/burgJ verheirateter Vater Kranz Ignaz von H., welcher erst in großher-
zoglich £rank{urtischen, dann als Staatsrat in kgl. bayerischen Diensten stand,
war 181 4 in den erblichen Adel erhoben. Leichtbeweglich und geschäfts-
gewandt, verfügte derselbe über eine Fülle von Kenntnissen und Fähigkeiten,
die ^ich auf seinen Sohn vererbten, der n:irh (!:iina!igem Deutschgebi.uirh
kurzweg «Schackeri« (Jari)ues Henri) gerufen wurtle. Zu dessen ältesten VAn-
drficken gehörte der Kanonendonner der Schlacht von Hanau (30. Oktober
1813) wovon Verwundete in das väterliche Haus gebracht wurden, der nacht-
durchleuchtende Brand eines nahen Klosters und der befremdliche Anblick
von Kosaken und Baschkiren. Ein unglücklicher Ritt auf einem sonst lamm-
frommen Pferde, welches, phitzlich erschreckt, den unkundigen Reiter abwarf,
etidete mit einer Handverletzung, welche, milJachtet, die Amputation des
halben rechten Armes zur Folge hatte. In der Freude der Genesung wagte
der kaum sechsjährige Knabe ungewöhnliche Leistungen: grofie Lasten zu
heben, zu balancieren, zu klettern und mit Kugeln zu jonglieren; er gewann
eine unglaubliche Behendigkeit, vorerst im Schreiben und Zeichnen,
welche ihm den Mangel der Rechten oft völlig vergessen ließ. Der Vater
hatte ehedem bei Andreas Appiani gezeichnet und srlniite den Sohn, welcher
in dieser Kunst gründlichen Unterricht mit den älteren Schwestern erhielt,
die sich außerdem mit Shawltänzen ä /a l-riederich Horschelt (1793, f ii>76),
mit Tamburin und Castagnetten und bei der später als dramatische Dichterin
viel gefeierten Charlotte Pfeiffer (Birch-Pfeiffer), die damals im Aschaffen-
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von Hefher-Ahraedc.
burger Theati-i ti<furiortt'. in Deklamation übten. '^Schackeri« stolzierte in
dem seit den Hclreiiinf,'skric,i:cn üblichen »»altdeutsclien-' Rix klein, trug Kt-der-
barett und langes Haur, kam, siebenjährig, schon ins Theater und schwärmte
fUr »Ritterstücke« und anderweitige Zugehörigkeiten. In der schweren »teueren
Zeit« war es ihm hohe Freude, Brot verteilen zu dürfen. Gute Lehrer, darunter
dernachmalige Rektor Hocheder (f ^.Mai 1844 in München), förderten im Privat-
unterricht die klassisc he Hildung des Jungen, welcher leicht zu den Sammlunp:en
und Kunstschätzen des Fürst-Primas von Dalben; Zutritt erhielt und nach Tobias
Stimmer, Georg Pencz und Virgiiius Solis nicht nur zu kopieren, sondern
auch alle erreichbaren BIfttter, Werke und Bücher als Vorbilder zn sammeln
begann, wobei die Kollektionen des Freiherm von Mergenbaum auf seinem
Gute in Nilkeim und der Tk'such des l^\iiiberger Domes immer neuen Zuwachs
boten. Kein Wunder, daÜ ihn, wie H. selbst sagt, plötzlich das >Altertiims-
fieber * befiel und zeitleliens niniiner verließ. \'ielfache Reisen mit dem \'atcr
an den Rliein und nach Düsseldort, nach Nürnberg, Regensburg, Augsburg,
München und Wien mit den Galerien, der Besuch der Ambraser Sammlung
und der dortigen Waffenkammer, Abstecher nach Köln, Klostemeuburg, Baden,
Gutenstein machten unvergefilichen Kindruck und bereiteten das schon
ahnungsreich vorliegende Programm seiner kommenden Lebensfahrt, (^bemll
zeichnend, suchend, forschend, in unersättliciier l-'reude alle Erscheinungen
in sich aufnehmend, wurde er eine Art Wilhelm Meister« im Bereiche der
Baukunst, Plastik, Malerei und der schon ahnungsvoll aufdämmernden kunst'
gewerblichen Richtung. Eine weitere Reise brachte ihn 1832 über Darmstadt,
Freiburg und Straßburg, wo die Bilderhandschrift der Herrad von Landsperg
den Jüngling entzückte. Der Vater übernahm um diese Zeit eine Porzellanfabrik
bei Aschaffenburg, um eine Berufstätigkeit für den Sohn zu schatten, welcher
nebenbei <ien Zeichnungsunterricht an der Landwirtschafts- und (leuerbe-
schule und zwar ohne Entgelt, nach eigener Lehrmethode erteilte, die sich
alsbald der besonderen Anerkennung des Ministers von Wallerstein und einer
dringlichen Empfehlung als mustergültiges Vorbild erfreute, um so mehr, da
der junge feurige H. auch die Hebung des Kunsthandwerks ins Auge faflte*
Als besondere Anerkennung erfolgte iS.^^) der Ehrentitel eines Professors,
worauf H. mit cinein offiziellen Progranun als ; Beitrag zur Geschichte der
deutschen Goldschmiedekunst, besonders des XV'L Jahrhunderts« (Aschaffen-
burg 1838, mit 4 Tafelabbildungen) den ersten Schritt in die Öffentlichkeit
wagte. Die Folge davon war nicht nur ein Doktordiplom aus Giefien (1840),
sondern durch J. M. von Radowitz die Anregung, aus gleichseitigen Denk-
malen verscliiidene andere kulturhistorische X'orbilder zusammcn/aistellen.
I)a<lur(h gestaltete sich für II. vorläufig die zündende Idee, die M'rachten
des Mittelalters ' in einem ausführlichen, mit möglichst diplomatischen Kopien
ausgestatteten Prachtwerke vor Augen zn führen, ein durch die Schwierig-
keiten der Reproduktion weitläufiges, mühseliges und kostbares Unternehmen,
zu welchem sich Heinrich Hoff in Mannheim als Verleger bereitwillig erbot.
Die erste Lieferung erschien noch 1840 und brach sich langsam aber sicher
Bahn und zwar in ebendemselben Verhältnis, wie die anfangs l)ereitwilligen
Mitarbeiter von weiteren i^eiträgen zur großartigen Verwunderung H.s, der
hierbei ahnungslos den meisten Anlafi bot, sich zurückzogen. Darunter*
der edelmütige Graf Pocci (* 1807, f 1876), Ph. Veit, Eduard Steinle,
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von Hefner-AUeaeck.
271
Fr. Hoffstadt (* 1802, f 1846), der strengste Kenner des Spitzbogenstils, der
vielseitige, stets stilgerechte Karl Ballenberger (* 1801, f 1860) und Krieg
von Hochfelden. H. schied, um völlig unbeengt seinen weitvecstreuten Stoff
Aof Steten Reisen durch sichere Autopsie zusammenzutragen, aus der Fabrik
und seiner freiwilligen Stellung; er entwickelte auf unausgesetzten Studien-
fahrten immerdar sammelnd, zeichnend und Aufnahmen machend, eine Fülle
von Zeit, Mühe und Studium, bald in Konstanz, und Freil)urg, bei dem edlen
Freiherni von Lassberg auf der »Meersburg« , dann wieder in Aachen (bei
Ft. von Quast) und Zwimer in Köln in unennOdlicher Tätigkeit and wahrem
Kenenfleiße das köstlichste Material einheimsend und gegebenenfalls auch
aus eigenen Mitteln erwerbend und aufhäufend, wozu ihm der glückhafte
Zufall oft entgegenkommend die Hände bot. Freundliche Stimmen bahnten
dem damals nnvh uncriujrten rntenR-liiiu ii di-n \\'eg. so Franz Kuglcr durch
einen woblberedten Artikel im Stuttgarter Kunstblatt (1843), welchem in über-
raschender Anerkennung »7)1« Archaeologkal Journal* (London 1845) beistimmte.
Naturgemäß wurden nächst den Trachten zur weiteren Ergänzung auch die
Kunstwerke und Gerätschaften des Mittelalters und der Renaissance« in Ver-
bindung mit C. Becker (1847) in Angriff genommen, zwei gleich originelle
Sammlungen, welchen freilich das tc^llc Jahr 1848 gefährlich zu werden drohte,
da der in die folgenden Ereignisse verwickelte Mannheimer Verleger Heinrich
Hoü nach Amerika trerdaftete, wofür der gentile H. Keller zu Frankfurt a.
einsprang, welcher fast alle folgenden Publikationen H.s verlegte. In dieser
Zeit entstand das (handschriftliche) »Geschlechtsbuch der Freiherren von
Fechenbach-Laudenbach'^ {^00 Tafeln in A(|uarell) und der Bericht über die
Ausgrabungen der Burg Tannenbcr:: , welche, seit 130Q zerstört, im Auftrage
des (iroüherzogs von Hessen 1849 wieder erforscht wurde, wozu der Germanist
Dr. J. W. Wolf in Jugenheim (• 1817, f »855» vgl. Liliencrons »Allg. Deutsche
Biographie« 1898, 43, 76$ — 77) den historischen Teil und H. die Beschreibung
der zahlreichen I- iimlstücke lieferte (Frankfurt 1850). Unter den von H. ge-
zeichneten Tafeln befindet sich auch in sehr instruktiver Übersicht eine (Jc-
■^1 hichte des ritterlichen Helms von iioo — 1650 zusammengestellt. Als erste
Dekoration wurde ihm das Ritterkreuz I. Klasse vom Hausorden Philipp des
Großmütigen ; andere solcher Ehrenzeichen jeglichen Kalibers folgten. Nach-
dem H. in mehrfache Beziehungen zu der in Aschaffenburg zeitweilig domi-
zilierenden königlichen Familie (darunter auch König Otto von Griechenland)
gekommen war und unser Forscher die Grabsteine der Grafen von Hanau in
fler Kirche zu Babenhausen (zwischen A^c iiaftcnburg und Dannstadt) erhoben
und gezeichnet hatte (dabei auch ein l»uchstäl)lit:h als Gänsetrog verwen-
deter alter Taufstein), begann H. im Herbst 1850 eine längere Tournee, um
neuen Stoff zu sammeln, seinen Werken frische Freunde zu erwerben und
etwa gelegentlich weitere Umschau nach einem künftigen festen Wohnsitz
zu halten, da seit dem 1846 erfolgten Ableben des neunzigjährigen Vaters
und bei der steten Ausdehnung seiner Forschungen die stille Heimat zu
geringe Ressourcen bot. Der Weg führte über Marl)urg an den groÜherzog-
Uchen Hof von Weimar, wo eine huldvolle Aufnahme und die Bekanntschaft
mit Preller und Suchardt erfolgte, dann Ober Eisenach und die Wartburg
nach Erfurt und Berlin, wo er dem König zu Charlottenburg vorgestellt, zur
Tafel und einem Hofball befohlen wurde, nachdem H. neue Zeichnungen
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von Hefiwi^Altencck.
zum Kostüm der Herolde hei den bevorstehenden OrdensfcMcn entworfen
hatte, wofür er »ein rotes Vögelein am weiüen und orangegelben Bande«
bekam. Vielfach sah sich H. gehoben durch die Bekanntschaft mit einflufi-
reichen Persönlichkeiten, darunter der Generaldirektor sämtlicher Museen
Preuflens und weitblickende, geniale Schöpfer des Neuen Museums Kxzellmx
Ignaz von Olfers, aus dessen Vorbilde H. so glückliche Nutzanwendung zog,
dann der nachmalige ( )l)er/eremonienmeister Ignaz Rudolf Freiherr von Still-
fried und CIraf von AK äniara, ferner der Fürst Karl Anton von Hohenzollerii
und andere Koryphäen der Kunst und Wissenschaft wie A. von Humboldt,
W. von Waagen, Schorn, Adolf Menzel, Chr. Fr. Tieck, Chr. Rauch, Fr. von
Raumer, Karl Ritter und voraus Peter Cornelius dazu beitrugen, H.s Berliner
Aufenthalt möglichst ann ^cnd, nachwirkend und unvergeßlich zu gestalten. Der
Rückweg führte mit glci< h erfreulichen F^rfahrungen über Dresden, Leii)zig
und Ka>M'l. Noch im Hcri)sle desselben Jahres (1851) ging H. über Nurnberff
(dort wollten ihn 1 rhr. von Aufseü und Heideloff um jeden Preis fesseln) auf
weitere Rekognition nach München, wo ihm das Terrain so günstig schien,
daß H. nach dem Verkaufe seines Besitzes im Mai 1852 mit seiner Familie
übersiedelte. Der allzeit grunflLiiti^a- und aufrichtige Graf Pocci erwies ihm,
ein untrüglicher Mentor, wahre I icun(is< haft durch Aufhellung der gan/cn
damaligen Situation und treue Orientierung über die betreffenden l'ersönlich-
keiten. König Ma.\ II. trug sich mit großartigen Straiienanlagen und Bau-
projekten, mit neuen Aufgaben für Maler und Bildner, mit der überraschenden
Förderung schöngeistiger und wissenschaftlicher Forschungen, wobei natürlich
auch ein wohlberechtigtes mediceisch-dynastisches Interesse hervortrat H.,
welcher das unter l-"rie(lri( h Williebn hochgehende geistige Leben an der
frisch |)ulsierendcn (^)uelle studiert hatte, proponierte nach naheliegenden
Vorbildern den Plan eines Museums, welches alle in Bayern vorhandenen,
auf die Geschichte des Herrscherhauses und des Landes bezüglidien Kunst-
schätze und Altertümer vereinigen sollte. Der König ging mit Eifer auf diesen
Gedanken ein und übertrug die Realisierung den zwei sich wechselseitig er-
gänzenden, zwar von gleit hem F.hrgeiz erglühenden, in ihren Anlagen aber
weit voneinander getrennten Kräften: dem strikten Historiker Karl M. Frei-
herrn von Aretin (vgl. AUgem. Deutsche Biographie 1875, I, 519 ff.) und dem
Streng urkundlicher Forschung fernstehenden, dafür aber an künstlerischer
Gediegenheit seinen Kollegen weit Oberragenden intellektuellen Urheber dieser,
in ihren Radien noch ganz unübersehbaren Aufgabe. H. erhielt i8$2 die
seither durch Heinrich von Heü besetzte Stelle eines Konservators der sog.
■ \'ereinigten Sanmilungen , um für die Fortsetzung seiner bisherigen Arbeiten
und neuen Obliegenheiten freie Hand zu erhalten, während Aretin, reichlich
mit Mitteln und Vollmachten ausgestattet, seine ihm teilweise ganz fremd-
artige Tätigkeit begann. In unglaublich kurzer Zeit hatte Aretin auf unaus-
gesetzten, teilweise mit H. oder Graf Pocci und anderen unternommenen Reisen,
dann durch die Zufuhr von Häntllern und Antiquaren — welchen eine eigene
Blütezeit und ein bisher unerhörter Handel und Wandel erwuchs — den
ansehnlichen (Jrund zu <ler mit Ree ht so hoch l>cwundcrtcn Sannnlung gelegt.
Obwohl in Kunstsachen kurz vorher noch ein völliger Laie, entwickelte Aretin
einen verblüffenden Spürsinn und eine Treffsicherheit, wobei ihm zu statten
kam, dafi er beim Entheben und Einheimsen der Gegenstände nicht immer
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voa Hiefner-Alteneck.
273
sehr bedenklich war. Eine Menge von Kostbarkeiten Hogen ihm aus offenen
Händen oder /u unvergleichlich billigen Preisen zu. Mit den vcm ihm vor-
schuiähtcn Objekten bereicherten sich viele Andere; der Altertümcrh;uulel
faun in vordem unerhörte Blüte. Seine eigenen Sammlungen gab Aretin un-
eigamQtdg in das Museum und schofi, wenn die königlichen Quellen ver-
sagten, seine Mittel vorläufig vor, um l'reiswertes im Lande festzuhalten. Ihm
erwuchs eine dilettantische Sachkunde, die sirli nicht im Werte, nur in der
l'criüilentaxierung um etliche Saecula bisweilen irrte; d.iraus reifte eine ganz
unermüdlich vorschreitende Einsicht. Der naheliegende \\ unsch des könig-
lichen Maecen, historische Kostbarkeiten, in Auswahl reproduziert, in muster-
gültiger Sammlung herauszugeben und populär zu machen, führte zu der von
1855 bis 68 in 8 Heften edierten Prachtausgabe der > Altertümer und Denk-
male des bayrischen Herrscherhauses«, wobei If. die artistische und Aretin
die geschichtliche Kxegese zu leisten hätten. Aber s< hon über der ersten
Lieferung verfeindeten sich abermals die beitlen, >o dali H. sich tiir alle l"olge
feierlich von diesem Werke lossagte, worauf der gewissenhafte Zeichner und
artistische 1 > [)ograph Fr. Wolf {* 1826, f 1870) die Lücke füllte und die ge-
diegene Ausstattung besorgte. Da die mit Kostbarkeiten aller Art alsbald
planlos überfüllten provisorischen Räume der »Herzog-Max- Hnrg nie ht mehr
ausreichten, wurde ein eigenes Museum nötig, welches Hofbaurat l'.duaid
von Riedel (* 1813, f iS8:^) an der Stelle eines rase h begonnenen und noch
schneller wieder beseitigten, für die Zwecke einer raubstuumicaan.stalt durch-
aas unpassenden Baues mit grofier Hast in Angriff nahm. Der zum Nachteil
seiner Solidität in kürzester Frist aufgeführte Neubau wurde nach dem Hin-
gang des edlen Stifters bezogen und am 12. Oktober 1867 eröffnet. Gleich
nach seiner Ankunft in München war H. F.hrenmitglied des Iiistorischen
Vereins geworden, in dessen Monatssitzungen er regelmäßig erschien und
belehrende Vorträge hielt. Ebenso hatte die Akademie der Wissen.sc haften
ihn als aufierordentliches und seit 1858 als ordentliches Mitglied aufgenommen,
wo er mehr in aphoristischen Miszellen, selten mit größeren ausgearbeiteten
Vorträgen (über Melchior Lorch, 1876, oder Jobst Amman, 187S) hervortrat.
In gleicher Weise betätigte sich H. in iler (lesellschaft der Zwanglosen
mehr als kulturhistorischer Plauderer, flenn mit eigenen Klaboraten. Seit
1854 erhielt H., um sich vor vielfachen, übrigens teilweise sogar über das
Grab noch fortgesetzten Verwechslungen mit einer gllMchnamigen anderen
Gelehrtenfomilie zu schützen, den Beinamen von Alteneck, einer ehedem
seinen Vorfahren eigenen Besitzung.
^Inzwischen hatte H. sein dreibändiges Tr u htenhui h 1854 zum Abs( Iduß
[gebracht, die Waffenabteilung der »Vereinigten Sannnlungen wissenschaftlich
geordnet und durch einen handlichen Katalog 1856 /.iigangli( h gemacht, auf
vielen Reisen, 2. Ii. 1854 nach Jirüggc und i86i nach Roln, Antwerpen, Gent
und Paris, neues Material eingeheimst und zu künftigen Publikadonen vorbe-
reitet Grofie Dienste erwies er 1860 dem neuen Museum durch die billige
Erwerbung der reichhaltigen Sammlungen des seltsamen Bambergers Martin
von Reider (♦ 30. August 1793, t 5- I' t^bruar 1862), welcher gegcji eine höchst
geringfügige I.eibrcnte, die er obendrein nur 16 Monate genoß, alle seine
heute wohl drei Millionen werten Kostbarkeiten — darunter ein gerade/u
onschatzbares Elfenbeinkflstchen aus der Karolingerzeit — an den Staat ab-
' Kogr. JtIttAnth u. Dcutadiar Nekrolof. 8. Bd. ig
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von Hefner-Alteneck.
trat, rnzählifijc rnik;». wie (Irahstcino, lUicher usw., rettete H. vor unwieder-
bringlicher N'ersehleiiderimg und hr.K htc sie aus unwürdiger \ erlxirgenheit
zu gebührlichen El>rcn. Seit 1861 Kustos des Kupferstich- und Hand/eu h-
nungskabinettSi erhob H. zahlreiche, vordem ungeahnte Schätze aus dem ver-
gessenen »Depot« dieser Anstalt, darunter die erste Zeichnung Holbeins zu
desseii Bihlnissen König Heinrichs V'IIl. vDti England (leider gewann H. nie
<He U'iseste .\hnung, auf weh hein einfachen Wege dieses eminente Bhitt nacli
München gelangte!) und die ( )riginal7.eichn\ingen deutscher Meister zu Prachl-
rüstungen fran/osi.sc her Könige^ , die H. nach den meist von Holinalcrn der
Herzöge Wilhelm IV. und Albrecht V. stammenden Originalentwürfen Hans
Mielichs u.a. zuerst t86$ und 1889 in zweiter, vermehrter Prachtausgabc
(Frankfurt, bei H. Keller) der erstaunten Welt vorführte. Die meisten trugen
die gekrönten Initialen tles königlii hen Namens nebst dem Symbol des Sala-
matiders oder die Signatur Heinrichs II. und der Diana von l'oitiers (vgl. Lübke
in Heilage 200 Allgein. Ztg.'^ von» 26. Juli 1X64). Kcuiig Ludwig II. ehrte
H.s Verdienste durch Ernennung zum (ienerulkonservator der Kunstdenkinalc
Bayerns und nach Aretins Ableben (29. April 1868 in Berlin) zu dessen Nach-
folger als Direktor des bayerischen Nationalmuseums. Hiermit trat nun H.,
wi'l(-her sich in Wien uiul Merlin neuerdings umgetan hatte, als bahnbrei hender
Organisator auf, endlich imstande, seine längst geliegten Pläne durchgreifend
zur Austulirung zu bringi'u. Die vorgefundenen X'erhältnisse und die nach-
folgenden Ereignisse forderten wirklich seine volle Energie heraus, die teils
mit »baulichen und menschlichen Erbärmlichkeiten« (worüber H. seinen
»Lebenserinnerungen« einen langen Abschnitt einfügt) zu kämpfen hatte. Der
liaumeister des Museums verx huldete bei der drängenden Eile viele unerhörte
Kehler, die sich nur zu bald durch l'nsic herheit der Boden und l'euergefähr-
lichkeit drohend bekundeten. .\u< h ül)erkani II. von seinem Amtsvorgänger
einen oiler den anderen Beamten, der durch eigenwilliges, un<iualilizierbares
Treiben dem dagegen vergebens ankämpfenden Direktor viele böse Tage
bereitete. Andererseits litt H. an einer ängstlichen Begabung, welche nur
zu leicht Widersacher und Gegner witterte. Ebenso wie ehedem der hoch-
verdiente, leicht verletzl)are und argwöhnende Bibliothekar Bernhard Jos. Dören
(* lyS', f iSjS; Allg. Dtsch. Biogr.' 1877, V, 27.S ff.) von wirklichen und
imaginären Antagonisten sich bedraut wiihnte, immer besorgt, daÜ ihm eine
Entdeckung, ein glücklicher Fund vorweggenonunen werden könnte, ver-
schanzte sich H. in eine lauernde Gereizüieit, die dem unbefangensten Mit-
arbeiter jede teilnehmende Förderung der gemeinsamoi Sache erschwerte.
W.Shrend er sich verwundert über die geringe Zahl der bei seinen Werken
Mitwirkenden beklagte, welirte er jede unbefangen angel)Otene Beihilfe gleidi
einem gefährlichen F.indringling ab, zumal weini di-r andere auf einem für
11. fremden, bei.spielsweise historischen, Gebiet zur weiteren Erklärung der
Lebenserscheinungen beitragen wollte. Für seine Vorarbeiter und Bahnbrecher
hatte er nie ein anerkennendes oder dankbares Wort. Dazu zählten beispiels-
weise der edle, selbstlose Friedrich Hoffstadt, der neben seiner juristischen
Laufbahn die Clesetze des Spitzbogenstiles, gleichzeitig mit dem F.ngländer
Pugin, eilorsc lue und sein schöpferisches Genie in strengkomj)onierten Neujahrs-
blüttern betätigte für die von 1831 bis 1838 florierende >» Gesellschaft zu den
drei Schilden«, die gerade wegen ihrer universellen, nachmals doch durch-
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von llefner-AltenecL
schlagenden Tendenzen immer noch einer gründlichen Schilderung wert wäre.
Ho&tadt starb leider schon 1846 zu Aschaffenburg, wo er auf den jüngeren
H. einflufireich w irktr um\ für dessen Trachtenwerk das Titelblatt zeichnete.
Dazu gehörte der als Maler und Hildhauer in allen Sätteln gerechte Karl
iiaikiilierfier (iSm — iK6<i), welrlior mit fhiffstadt die ( Il.isnialcrei kultivierte,
die im Si:ldo.s.sc zu I.eui.stcttcn bclindiieiicn alltlcutschcn Kasten^ schnitzte
and Flügelaltäre baute und mit Tafelgemälden schmückte, die noch vor
nranzig Jahren als die Arbeiten eines »bisher völlig unbekannten, dem XV.
Jahrhundert angehörigen Meisters« in einer Augsburger Kunstauktion offiziell
aosgeboten wurden! Daran reihte sieh l-erdinand l ellner ( 1 7()() — 1850), der,
mfänglich Kerht.sanwalt und /)/>i/t>r J//ris, zur Kunst ül)er<,'ing, im I'"rai\kfurter
Kumer mit HuUenbcrger u. a. die Kuisergestaltcn niulle und im Ciebiete der
Kostümkunde einen solchen Schatz von Kenntnissen und Vorbildern sammelte,
daft Fellner während seines Münchener Aufenthaltes von allen Historienmalern,
tiarunter Comelius, Schnorr und Schwind (welcher überhaupt zeitlebens mit
Kellner in persönlichem und brieflichem Verkehr blieb) in Kostüm- und
Trachtenan^elegenheiten eifrigst konsultiert wurde, f lleichzeitig mit Schnorrs
Fresken arbeitete Kellner selbständig an einer ganzen Serie vi)n Kompositionen
zum Nibelungenlied und lieferte, abwechselnd mit Schwind, Illustrationen
zu Spindlers Erzählungen in dessen Taschenbuch »Vergiflmeinnicht« (Stutt-
1833, bei Hallberger). Fellner war es auch, der die Miniaturen der
Weingartner Liederhandschrift in mustergi\ltiger Wei^e für Franz Pfeiffers
Ausgabe reprotluzierte. Auch hatte lange vor \l. der l>i^her vr)Ilig vergessene
{noch 1851 in Naglers Lexikon XXI, 60 nur mit zehn /eik-ii bedachte) Maler
G. A. Heinricli Wagner mit einem von ihm selbst nach gleichzeitigen Denk-
mälern auf Stein gezeichneten »Trachtenbuch des Mittelalters« (München
1830—33, in 6 Lieferungen) begonnen, worin Kostüme, Waffen, Gerätschaften
u. dergl. in treuen Kopien abgebildet waren, ilarunter viele von H. nachmals
wieder entdeckte (irabsteine, Gefäße Und Miniaturen. H. hatte den X'orteil,
<laü durch soh he X'orgänger die Aufmerksamkeit auf alle diese bisher ver-
M:huilenen Dinge gerichtet war untl dali er dieselben nun mit gröliter i reue
und vordem unerhörter Ausstattung in kolorierten Stichen, in wahren Pracht-
werken durch einen Verleger reproduzierte, der mit gröfiter Umsicht und Opfer-
willigkeit die fördernde Hand bot. Dazu gehörten nächst den vorgenannten
Werken die Editionen: »Hans Burgkmaiers Turnierbuch (aus dem Ik-sitze
des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen) mit den vom alten und jüngeren
Burgkmaier gemachten Zeichnungen des ritterlichen Speerbrechens, welches
bei Vermählung des Grafen Jakob Mundtfortt (Montfort) mit Katharina Fuggerin
1553 zu Augsburg stattfand, in 35 trefflich von Regnier gestochenen und
kolorierten Tafeln (Frankfurt 1853, ^- Keller) mit der Dedikation des
Herausgebers an Kaiser Franz Josepli 'in Erinnerung an dessen Ahnherrn
Maximilian I.«. Daran reihten sich die Schätze aus der Kunstkammer des
Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen (München 1867, bei
Bruckmann, mit 60 kolorierten Stichen von H. Petersen, gr. Fol.) und 42 Seiten
Text, worin der Herausgeber u. a. lakonisch sein Programm entwickelte: »Wir
werden uns bemühen, unserem alten Grundsatze getreu, keine Kunstredens-
arten und keine Gelehrsamkeit da anzubringen, wo die Kunst selbst spricht,
und unser Verdienst nur in dem Streben suchen, das vorurteilsfrei Erkannte
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von Hefaer-AIteneck.
und (lefiihlte treu uml w.ihr <Iur» li Hilil uml Wort wiederzugeben • . Im Jahre
1877 erschien die >'SiUiiiiiiung der Kisenwerke« und die bunte Auswahl Kunst-
schätze aos dem bayrischen Nationalmuseum«, 1881 die köstlichen »Oraamente
der Holzskulptur von 1450 bis i8ao« (in Lichtdrucken von Obemetter), 1890
die Zusammenstellung der (^oldschmiedwerke«, worauf in neuer Ordnung und
Auswahl seiner sämtlichen l'ublikationen die in 10 Bänden mit 720 Tafeln
ausgestatteten Iraclrten, Kunstwerke und (ierätschaften vom frühen Mittel-
alter bis Ende des XVUI. Jahrhunderts ' (1879 — 89) den reichen Abs( hluli
seines außerordentlichen Sammeleifers bildeten. H. war »im kleinen groü ,
in allem aber, was er reproduzierte, im höchsten Grade diplomatisch zuver-
lässig und treu.
Wie der berühmte einarmige Klaviervirtuose Craf Zicliy mit fünf Fingern
die Tastiii meisterte, daß man ein vierhänch'ges Konzert zu hören wähnte,
sn iiuu ii kelte II. nut seiner Linken eine liherras» henth" Ik-hendigkeit, nicht
allein beim i.ssen und Ankleiden, sondern im Malen und Zeichnen. Immer
mit Skizzenbuch und Faberstift au.sgerüstct, welchen er blitzschnell zu spitzen
verstand, benützte er insbesondere auf Reisen jeden Augenblick, um inter-
r k illte Objekte festzuhalten. Bei mäßiger Kurzsichtigkeit auf ein etwaiges
Monokel, auf /.wi( ker oder Brille verzic htend, bediente er sich interimistisch
eines sou\ Halse herabhangeiulen, obendrein noch al)bieg!)aren Lorgnons, womit
er den betreffenden Gegenstand sc hart ins Auge faßte; das Glas sinken la.s.send,
packte er dann mit der Linken das in den rechten Annstumpf gesteckte
Skizzenbuch, welches bei stehender Stellung bisweilen durch das eine aufge-
zogene Knie gestützt wurde, machte die charakteristischen Striche aus seinem
geradezu i)hotographisch treuen ( lidac htnisse , bis er nach blitzschnellem
Wechsel von Glas und Stift das Pensum zuverlässig /u l*a]>ier brachte. So
skizzierte er bei einem .AusHuge des historischen \ ereins nach der Lands-
huter 'I rausnitz ein früher nicht bemerktes, an einem Brunnen befindliches
Eisenschraiedewerk in stürmischer Eile ganz genau zum Staunen seiner Be-
gleiter. Mit dieser immer stilgerechten Wiedergabe eines künstlerischen Gegen-
standes stand im schroffen Gegensatze, wenn H. zur Feder griff, um seine
Ideen in Schrift zu bringeti. Wie er, selbst na« h präziser \'orbereitung, init
großer Kunstlosigkeit s|)rat h, dazu not h mit seinem heimischen As» hatten-
burger Idiom — worüber ihn sein Widersacher und Namensvetter, der Genealog
und Heraldiker Dr. Otto Titan von Hefner (in seinem »Denkwürdigen und
nützlichen bayerischen Antiquarius« 1867, If, 386) mit hämischem Spott
karikierte — , so schrieb er auch mit unglaublicher Sorglosigkeit des Aus-
drucks. Daß ihm seine hochgebildete Galtin nach Möglichkeit glättende
Beihilfe geleistet habe, ist ziemlich glaubhaft. Wo solche fehlte, z. B. in dem
Beric hte über j^Entstehung, Zweck und Hinrichtung des Bayerischen National-
museums« (Bamberg 1890, im ix. Bändchen der durch Professor von Rein-
hardstöttner und Karl Trautmann herausgegebenen und leider viel zu früh
wieder verschwundenen 'I^ayrischen Bibliothek ) geberdete sich H. mit
rührender Hilflosigkeit. Hingegen soll ihm bei Redaktion seiner > Hundert
Denksprüche (München, im X'erlag der Gesellschaft für christliche Kunstl
und bei Abfassung der nur als Manuskript für Familie und l-'reunde bestinuuten
»Lebenserinnerungei\ < (München 1899, bei Kastner) Frau Louise von Kobell
(die übrigens mit bettinenhafter Kindlichkeit Entgleisungen machte, selbst
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▼on Hefner-Alteneck.
277
wenn sie sich mit ihres Gatten Namen deckte) assistiert haben. H. war
Autodifiakt im eigentlichen Sinne. Kr hatte nie eine wissens< haftli( lu' Si luilun<(
(iurt hf;cmarlu, kein (iyninasium. keino l iiivcrsität hii ilicnd bcsui ht und ah-
.soivicrt. Außer seiner Kunst blieb sein ganzes W'i.ssen dilcltanlis» h. Da er
mit Ausnahme einiger Titelblätter keine eigenen Schöpfungen in die Öffent-
lichkeit brachte, betrachteten ihn die ausübenden Künstler nicht als Kollegen,
obwohl ihm k*^'^ ><'^ <'i^ Historienmaler zu höchstem Dankt \ er|>t1i( luet ge-
wesen wären. .\u» h <lii' kunstgewerhlit lien Meister waren ilun nic ht immer
«"ohlfiesinnt , da er nur die ahen X'orliildcr betonte; (bi- jüngsten I'tlcuer
und I räger derselben mit ihren unrationellen, willkiirli« hen Kr7.eugni>^fn
kannten sein Streben nicht oder wendeten ihm gar den Rücken. — Indessen
erkannte eine groOe Anzahl seiner Zeitgenossen H.s wirkliche Verdienste und
erwiesen ihm aus Anlaß .seines 80. und 90. Geburtstages wohlverdiente Zeichen
der Anerkennung und Verehrung.
Daß über die sonnigsten Wege auch viele Schatten der bittersten Krtah-
rungen laufen, mulitc II. in seinem Leben imd \\ irken sattsam erfahren. Nacli-
dem er schon früher um den .schwer verdiei>ien Ruhestand gebeten liattc,
vurde derselbe erst 1885 im 75. Lebens- und 33. Dienstjahre, huldvollst und
unter ehrendster Anerkennung und Titelverleihung gewährt. Zwei Jahre darauf
folgte das Ableben seiner treuverbundenen Frau. Die Gatten mußten zweien
vieIver>^pr(.•( Ik-ikIcii S()linen ins (Irab M'hen. Ki-iner derselben hatte, vi(. llci< ht
nach Willen und Wunx-h des Vaters, eine anisti^^cho Tätigkeit erwählt: Kniil
von Hefner-.Mteneck trat in die militärische Laufbahn, bestand als Ober-
leutnant bei der 8. Batterie des 2. Artillerieregiments »von Brodesser« die
Strapazen des Feldzugs 1870/71, starb aber infolge derselben, nachdem er
noch auf dem Krankenlager das P'iserne Kreuz zweiter Klasse erhalten hatte,
am II. August 1871. Ihm folgte, gleichfalls unvermählt, der älteste Bruder
Franz v«)n Hefner-Alteneck, als Landgerichtsassessfu zu .\ibling, am 14. .Xpril
1874. Der dritte Sohn Friedrich von Hefner-Alteneck (geb. 27. April 1845
zn Aschaffenburg) widmete sich der Elektrotechnik und starb, mit einer Tochter
des Akaderoiedirektors und Historienmalers von Piloty vermählt, kurze Zeit
nach dem Vater, als Oberingenier an der Konstruktionsabteilung der Firma
Siemens & Halske und .seit 1901 Mitglied der preuO. Akademie zu Berlin,
am 7. Januar 1904.
H. wurde mit etlichen .nidereii /.eit^en()s>en der Schöpfer einer neuen
\Vi.sscn.s< h;ift, der Kobtümkunde, eines mä< hligen , wohlberedten und unent-
behrlichen Mithelfers und Abzweiges der Kulturgeschichte; ebenso arbeitete
er Epoche und Schule machend mit an der völlig neuen Disziplin der
Museumskunde. Seine reichen, wohldurchdachr I f l u m^en und [iraktischcn
Fiiuiehtungen wurden allgemein adoptiert und \ielfai li na( hi^eahmt. Mit
Kccht '^agte julien Solvav, <ler 187.S vom belgischen Ministeriuni als F.xperte
nach Deutschhmd und Österreich /.um Studium der Museumseinrichtungen
gesendet wurde über das Münchner Nationalmuseum: ^Cest m m^ik ^ordre^
^«rgtnüsatkm, d'instailaiwn^ de richesit; et il ne s'en tromt nulle part^ qui smt
Stusi cotnplet.<f Dafl seitdem die unausgCNetzte Forschung neue 1 'ortsciiritte
machte, aber immer noch in den seitherigen Bahnen, liegt in der Natur jeder
DiszipHn und Wissenschaft.
Da H. schon frühzeitig bestrebt war, die vom väterlichen Hesitz stam-
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278
von Hcfner-Alteneck. von Lossbeig.
roendeiii damals leicht zu erwerbenden Kuriositäten und Kunstschätze aller
Art zu vermehren, wozu I'ausch, Geschenke und Kauf beitrugen, brachte er
eine weit über den sonst ül)b( hen Privatbesitz reichende Kollektion vcm Waffen,
Skuljituren, Bildern, Schmuck, Stoffen und (iewändeni, Handzeichnungeii,
Stichen, Holzschnitte» und Kostbarkeiten zusammen, in deren unentbehrlicher
Mitte H. sich wohl befand. Alle Angebote wies er mit berechnender Klug-
heit ab, wohl wissend, dafi der Wert solcher Schätze von Tag zu Tag wachse.
Die im Juni 1904 durch Hugo Hclbing in zwei Abteilungen erfolgte viertägige
Auktion ergab aucli ein, wenigstens in München vordem ni( ht erreichtes, ganz
außeror(icntli( h überraschendes Resultat, da Liebhaber, Kenner, Fachmänner
und Museumsvorsliindc sich beteiligten und überboten. Der darüber edierte,
reich illustrierte Katalog bildet selbst wieder ein bleibendes Prachtwerk.
Vgl. R«gnet in Nr. 43 »Ober Land und Meere, 1879, 42. Bd. S. 846. W. Labke
Bd. 3 »Allg. Ztg«, 1880. Beil. 103 u. 113 »Allg. Ztg.c, 1901. Louise Kohcll Mlnutwicr
Portilits«. 1897, S. 33— 63 usw. Uy ac. Holland.
Lossberg, Viktor von, Generalmajor z. D., * 18. Januar 1835 zu Kassel,
f 24. Mai 1903 ebenda. — L. trat nach Beendigung seiner Erziehung beim
damaligen kurhessischen Leib-dartK Regiment in den aktiven Dienst, wurde
183,^ rorte|H>ef:dinrich und Sekondclciitnant. 1854 zum kurhessischen 2. In-
fanterie-Regiment versetzt, rü* kto er, n.u luicin er als Adjutant iles 2. liataillmis
fungiert hatte, 1859 zum l'remierleulnanl auf, wurde darauf 1865 Regimenis-
adjutant und zog im folgenden Jalire mit seinem Regiment gegen Preußen ins
Feld. Nach dem unglücklichen Kriege wurde L. bereits Oktober 1866 mit
seinem Dienstgrade in den Verband der preußischen Armee aufgenommen und
dem Infanterie-Regiment Nr. 82 zugeteilt. Seine Beförderung zum Hauptmann
und Kom|)agniechef erfolgte iS6q. L. nahm mit seiner K()m|>agnie an dem
Keldzuge von 1870 71 in Frankreit h und in tliesem an dem 1 reffen bei Wciücn-
burg, der Schlacht bei Wörth, der Beschießung von Pfalzburg und der Schlacht
bei Sedan teil. Ganz besonders tat er sich in der Schlacht bei Wörth hervor,
als sich in die.ser infolge des mörderischen Feuers der auf den Höhen bei
Fröschwciler stehendin I ranzosen führerlose Leute der verschiedensten Regi-
menter (etwa 500 Mann) in ein Waldstück zurückzogen uml des Kührers
liarrtiMi, dir sie wieilcr gegen den Kein«! führen sollte. L. ergriff die schon
von zwei Kugeln durchbohrte Kahne seines Bataillons, sammelte die Leute
unter Mithilfe einiger Offiziere zu einer geschlossenen Abteilung, ging mit
dieser in fester Ordnung mit schlagenden Tambours wieder aus dem Walde
heraus und den nun weichenden feindlichen Schützen entgegen. Nach dem
l'eldznge im September 1874 in das schlesische Füsilier-Regiment Nr, 38 ver-
setzt un<l 1875 zum Major beftirdert, kam I.. 1S78 in das 2. (5ar(le-l\e<ziment z. F.,
übernahm 1879 das Kommando des i. Halaillons und avancierte am 13. Sep-
tember 1882 zum Oberstleutnant. 1883 wurde er etatsmäßiger Stabsoffizier,
1886 mit der Führung und am 18. September gleichen Jahres unter Beförde-
rung zum Obersten mit dem Kommando des 3, Garde-Regiments z. F., 1889 mit
der Führung und dem Kommando der 36. Infanterie-Brigade betraut. 1890
erhielt I.. den erbetenen Abschied.
Nach »Militär-Zeitung«. Lorenzcn.
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von Carlowitz. von Graevenitz.
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Cwiowits» Oscar von» Königlich Sächsischer General der Kavallerie z, D.,
und Generaladjutant Sr. Maj. des Königs von Sachsen, *2o. Januar 1825 zu
Falkenhain bei Würzen, f 24. April 1903 zu Dresden. — C. kam aus dem
Kailcttcnk<irps in Dresden 1842 al^ !'< 'rft.>j>eciuiiker in (Iun (larde-Reiter-Rcgi-
lliciu. wo er iKirli oiiuMii jahro dir 1 .1 utnanti-pauk-ltivs crliiclt. 1.S48 uivl 1 S jo
war er /unäclist mit (U-in sär!isis( heu KoiitiuLicMit hei der l iiterdrih kun^' der
Inruhen in» I hüringcn und Sachscn-Altenburi^ tiii'i> "nd zog alsdann i;ej<cn
Dänemark ins Feld, wo er an dem Gefechte bei Aarhus teilnahm. Am 1. Fe-
bruar wurde C. als Oberleutnant in das 3. Reiter- Regiment versetzt und be-
kleidete in (liesein die Regiments-Adjutantenstellc bis er zur Dienstleistung
zum (lener iNtaln- kiMurnandiert, im l-'ehruar gleichen Jahres wieder in das
(iarde-Keitrr Regiment kam. Im seihen Jahr zum ( lener.dstah versetzt, wo er
im Dciembci ckus Riltnicistcrpatcnt erhielt, unternahm er 1.S5O eine Reise in
den Orient, wurde 1860 als Kskadronsführer zum 2. Reiter-Regiment komman-
diert und 1861 in diesen Trupi>enteil versetzt. 1862 zum persönlichen Ad-
jutanten des Kronprinzen Albert von Sachsen ernainit, avancierte C. 1866 zum
Major und etatsmäßigen Stabsoffizier im i. Reitt i Regiment, mit dem er im
KcUizuge von 1.S66 gegen -l'reuüen an den Geferlitr!! hei Miinchengrät/, (litschin
und an der Schlacht bei Königgrai/ sowie am Renkonlre bei Szenitz teihuihm,
bei weli hcr Gelegenheit er einen Lanzenstic h in die rechte Hand davontrug.
Nach dem Frieden rückte C. zum Oberstleutnant auf, wurde 1867 Chef des
Generalstabes, 1868 Oberst und 1869 Kommandeur des Gardc-Rcitcr-Regiments.
Mit diesem zog er 1870 über die französisc he Grenze, focht an dessen Spitze
in der Schlacht bei Gravelotte-St. Prix at und w iinie am 20. August zum Ghef
lies Stahes des s-ii h.sisi hen (Xll.) Armeekor|is ernannt. Nach der Teilnahme
an dem Ciefeclue bei Nouart, den Schlachten bei Beauniont und .Sedan er-
krankte C. vor Paris schwer am Typhus. 1871 übernahm er wieder das Kom-
mando seines alten Regiments, mit dem er bei St Quentin focht. Dekoriert
mit beiden Klassen des Kisernen Kreuzes wurde er nach dem Kriege 1872
Komniandenr der i. Kavallerie- Brigatle Nr. 23, (Jeneralmajor, 1S80 General-
leutnant und (Jeneraladjutant des Königs Albert von Sachsen, 1889 (icneral
der Kavallerie und erhielt 1890 unter Helasbung in den» \ erhältnis als General-
adjutant den nachgesuchten Abschied.
Nach »Mi!itar</citiuig«. Loren zen.
Graevenitz, Karl von, Königlich Württembergischer General der Infanterie,
*S. Jtmi iS.^o zu I udwigshurg, f i ^. März rqo.^ in Münc hen. G. wurden
184S die 1 .eiitnantsep.udetten \ erliehen, in welchem Dienstgrade er an dem
Feldzuge in Baden teilnahm. 1854 zum Oljcrleutnant und 1864 zum Haupt-
mann befördert, kommandierte er 1866 im Feldzuge gegen Preußen die 3. Kom-
pagnie des 3. Jagerbataillons im Gefecht bei Tauberbischofsheim. Im deutsch-
französischen Kriege befehligte er als Major das 2. Bataillon des 2. Wiirttem-
hcrgischen Infanterie- Regiments . wo er sich insbesondere vor der l estung
I.icluenherg, hei der Belagerung von l'aris, dem Gefecht am .\lont Mc>ly, in
der Schlacht von \ dliers sowie im Gefecht bei Le Plant au.szeichnete. Bei
der Beschiefinng der kleinen Festung Lichtenberg, kletterte G. mit den
vordersten Schützen der 7. und 8. Kompagnie seines Bataillons im heftigsten
Feuer der französischen Besatzung den steilen Felsabhang hinauf bis an die
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von Gracvenitz. Haberland. StUränger.
Pallisadcn der l-'estung, erhielt dann aber, da die völlig sturmfreie Festung^
nicht sogleich übergeben wurde, den Befehl sich mit seiner Kompagnie zurück-
zuziehen, was er unter dem heftigsten feindlichen Feuer auch ausführte. Nach
der Rüi kkehr in die Heimat wurde G. in das. 6. Infanterie- Regiment Köni^^
Wilhelm Nr. 24 versetzt, 1874 zum Oberstleutnant ernannt, 1875 als solcher
patentiert, und mit der Führung (K-s Infanterie- Regiments Kaiser Wilhelm,
König von l'reuüen Nr. 120 beauftragt, an dessen Spitze er 1876 cndgültif^
trat. 1878 zum Obersten ernannt, erfolgte seine Beförderung zum Generalmajor
und Kommandeur der 53. Infanterie-Brigade (3. Königlich WOrttembergischen)
1884. In dieser Stellung verblieb G. bis zum November x888, zu welcher
Zeit er, am 18. August (k^ i^kirben Jahres, zum Generalleutnant aufgerückt,
an die Spitze der prcuüiM hen u. Division in Neisse gestellt wurde. 1890 trat
(1. in den erbetenen Ruhestand und erhielt 1895 den Charakter als General
der Infanterie.
Nach »Müittr-Z«itung«. Lorenzen.
Haberland, Hermann, Königlich Sächsischer Generalleutnant, =^31. Juli 1837
zu Naundorf bei Groftenhain, f 21. Februar 1903. — Nach zweijährigem be-
such der Artillerieschule trat H. 1855 als Portepeefähnrich in das Königlich
Sächsische Fußartillorie-Regiment ein und erhielt im Jahre 1856 das Offiziers-
jHitent. I nicr Hcfordcrung zum Oberleutnant iSr)^ zur q. Batterie (Feldartilleric)
versetzt, nahm er, inz\vis( hen zur 4. Hatteric ktminiandiert , auf ()ster-
reichi.scher Seite am Kriege gegen i'reuüen bei tler Division Stieglitz teil,
sich im Gefecht bei Gitschin und in der Schlacht bei Königgrätz auszeichnend.
Bei der Neuordnung der sächsischen Armee nach preußischem Muster kam
H. wieder ins Fußartillerie- Regiment, wurde Adjutant und trat 1868, zum
Haui)tmann befördert, abermals zur I-cldartiilerie über. Nacli erfolgter Mobil-
machung im Jahre 1870 erhielt er die i. schwere Batterie, mit der er bei der
Belagerung von Strasburg Verwendung fand. In die Heimat zurückgekehrt,
zum 12. Fcidartillerie-Regiment versetzt und 1876 zum Major aufgestiegen, kam
er kurz darauf in das 2. Feldartillerie-Regiment Nr. 28, rückte 1882 zum Oberst»
leutnant auf und wutde 1887 mit der FQhrung'des i. Feldartillerie-Regiments
Nr. 12 beauftragt. Seine Beförderung zum Obersten und Regimentskomman-
deur erfolgte noch in demselben Jahre. iSoo trat H. als Gcnerahnajor an
die Spitze <ler 1 Fehlartillerie-Brigade, ein Kommando, das er iSq^ krank-
heitshalber niederlegen mußte, um in den erbetenen Ruhestand zu treten.
])ei der Verabschiedung erhielt er den Charakter als Generalleutnant.
Nach den Akten. Lorenzen.
StQrzinger, Johannes Jakob, Universitätsprofessor der romanischen
Philologie, * am 6. Dezember 1855 in Wylen Stammheim in der Schweiz,
f am 12. Juli 1903 in Würzburg. — St studierte in Marburg und Leipzig
deutsche Philologie, in Paris zwei Jahre romanische Philologie; er juomovierte
in Zürich i87() und habilitierte sich nicht lange darauf in Bonn für romanische
Philologie; 1885 folgte er einem Rufe nach Bryn Maur College in Pennsyl-
vanien, kehrte aber, da ihm die vorwiegend praJctische Tätigkeit in Amerika
nicht zusagte I 1890 nach Europa zurück. Er habilitierte sich wieder in
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München, folgte i8q2 einem Kufe als Iv\ti ;ioniinariuM na( Ii Tühinpeii. wo er
das Sommersemestcr über do/ierte, uml wunle im Herbst desselben Jahres
als Ordinarius für neuere Philologie, also auch mit der Verpflichtung, englisch
zu lesen, nach Würzburg bemfen. Bereits 1897 wurde er aber von einer
qualvollen Geisteskrankheit befallen und starb nach unsäglichem Leiden am
13. Juni 1903. — Eine eigentümliche Tragik durchzieht St.s ganzes Leben.
Er war von Haus aus eine stille (leKhrtennatur : seine gnHSte Freude wäre
es gewesen, stets in seiner liibliothck. hinter seinen geliebten Hü* liern und
Handsciuiiieji dem Wesen iler Spraelie, wie sie sieh im i.aule der Jahr-
hunderte entwickelte, als Privatgelehrter nachzuspüren. In seiner rührenden
Bescheidenheit hätte er es nicht gewagt, die Universitätskarriere einzuschlagen,
wenn nicht fler Bonner Romanist Wendelin Focrster, der gelegentlich eines
Besuches, den ihm St. abstattete, sein gewaltiges Wissen, clas er stille in sich
verschloß, gleichsam entdeckte, ihn ni( ht gerade/u aufgefordert hätte, sich
bei ihm zu habilitieren. Das Schicksal gönnte ihm aber nicht lange die
Mufie, die er für seine wissenschafdichen Pläne so dringend brsuichte; es
verschlug ihn von der Bonner Hochschule, wo er mehrere glückliche Jahre
nur der Wissenschaft gelebt hatte, an ferne Gestade, nach Amerika, in ein
Damencollegc. wo er in ein Milieu geriet, das von deutscher Wissens< haft
ni« hts verstand vnid nichts wissen wdllte. und wo es vor allen Dingen auf
den praktischen l nterricht in den neueren S|)ra( hen ankam. Iael)er als dort
zu verkümmern zog er es vor, nach Deutschland zurückzukehren und in der
Heimat nochmals von vorne anzufangen. Ein seltener Mut, als vermögens-
loser, verheirateter Mann und Familienvater die sichere Stellung aufzugeben
und sich einer unbekannten Zukunft in die Arme zu werfen.
Wenn St. daini au« h \ crhältnismälJig sclniell Professor wurde, so gab
ihm die so mutig erkainpfie Stellung doch ni( ht d.is, was er von ihr erhofft
hatte. Auch in Würzburg wurde er in Verhaltnisse hineingestellt, die es ihm
so wenig wie möglich gestatteten, sich seinen Studien hinzugeben. Während
sonst an den meisten deutschen Hochschulen romanische und englische
Philologie getrennt war, mußte er in Würzburg noch jahrelang unter der
Last dieser unnatürlichen \'erbindung seufzen, l'nd noch mehr. Obgleich
gerade in Bayern die rrüfungsordnung von den Kandidaten eine besonders
groüe Summe praktischer Kenntnisse verlaiigt, wurde ihm wetler für l""ran-
zGsisch noch für Englisch ein Lektor beigegeben — erst zuletzt erhielt er
eine Hil&kraft — und mufite er, der durch und durch Gelehrter war, auch
als Sprachmeister tätig sein. Das waren auf die Dauer unhaltliare Zustände.
Nlan vergegenwärtige sich nur, daß er, um den Bedürfnissen der Studenten
nur einigermaßen zu genügen, Semester für Semester ein neues Kolleg aus-
arbeiten mußte — nur historische Gr.unmatik wiederholte er einmal und
dabei stets mehrstündige neufranzösische und neuenglische Cbungen abhalten
mufite. St. versuchte sein Möglichstes, um in diesen Verhältnissen Wandel
zu schaffen. Mit seiner gewohnten Energie machte er sich ans Werk, mn
Landtag und Ministerium zu überzeugen, dafi eine Trennung der beiden
Fächer für die gedeihliche Kntwi( klung der neusjirachlichen Studien durchaus
erforderlith war. l'nd es gclanir ihm auch die Trennung durchzusetzen.
.\ber er konnte die I rüchte senies Schaftens und Strebens nicht piUicken.
Kaum war die Trennung beschlossen, kaum durfte er hoffen, sich nunmehr
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Stttninger.
ganz auf da-- Rcimanisc lu- In s« hriinkcn zu können, da brach er unter der Last,
die so lange auf ilin jicdiückt, zusammen,
Sts Arbeitsfeld liegt auf grammatischem und textkritischem Gebiet. Er
begann mit einer Arbeit »Uber die Konjugation im Rätoromanischen«, die
als Züricher Dissertation 1879 in Winterthur ersdiien. Auch später fuhr er
fort, sich mit d(.r rDinanisdien Sprache der .\l]KMU;ilcr zu beschäftigen; so
gab er iSSr \u der lunnaniti \ S. 246 ff. \vcrtvt)l]c Krgänzungen und lic*-
richtigungen zu dem von L Irich, Roiiuima Vlll iierausgegebenen engatbnischen
Mysterium Ober Abrahams Opfer. In seiner *Or{fu\^rap/tiii ^t^allka*, dem achten
Band der von Wendelin Foerster herausgegebenen Altfranzösischen Bibliothek
1884, wandte sith St. dem .Mtfranzösischfu /u. Auf (Irund von vier Hand-
schriften — eine fünfte in Dublin befindliche hatte er leitler übersehen —
gab der (lelehrlc einen l)is dahin nur sehr unvollkommen l»ekannten anglo-
normannis< hen Traktat über <lie franzosische Orthographie und Aussprache
heraus. In einer sehr interessanten Einleitung gab er eine Übersicht aller
im mittelalterlichen England dem Unterricht im Französischen gewidmeten
Schriften und zog aus dem von ihm herausgegebenen Text alle zu ziehenden
Konsequenzen. Die Kritik {Roman'ia XITI 1884 S. 488 G. Paris, JRePue Critique
1884, iS aniii't' II S. T^^tff. 1 )arnK'^telcr, ('ir)tt. gelehrte .\nzeigen iSS:; 470 2
(I. Willenberg) lobte dur« hweg die gewissenhafte, verstiindige und sorgfältige*
Arbeit. In verschiedenen Zeitschriften beschäftigte sich ferner St. mit dem
wallonischen Dialekt, so in seinen Rmarks oh the wall(mian Conjitf^ation^
Transactions of the Modem Ijinf^mge AssociaHon^ Baltimore 1. 1 204 — 215, wo er
namentlich auf Grund des Tatois von Malmedy den Untergang der starken
l' Ie.xion und die ganz bedeutende Vereinfaf hung der Konjugationen unrl 'I'empora
im Wallonischen nachweist, ii\ der Zs. f. rom. Phil. iS.S:?S. 5,1;^, mit der
wallonisch - lothringischen Präsensendung Andere kleinere Artikel über-
gehen wir. St.s Lebenswerk sollte aber seine kritische Ausgabe der Werke
des Gmlltutme de DiguUeinUe sein, des hervorragendsten Vertreters der religiös
allegorischen Romandichtung im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts in Frank-
reich. Es war eine gewaltige Arbeit, die er auf sich nahm, als er den Entschluß
falite, die l)i( htungen dieses Mannes, sein Pikniuii^e de v'ic ///////<//'//( ( 13 540 v.)
sein /'t'hrinnx't' de l'äme (11 161 v.) und l\lcrinti>^c de J,sus- i'/irist (11 416 v.),
welche den Wandel des Menschen im Diesseits uiul Jenseits sowie Christi
Lehre zu belehrenden und erbauenden Zwecken beschreiben, kritisch herauszu-
geben. Gewaltig war die Arbeitt, sowohl wegen der Länge derselben (im
ganzen 36 117 Verse) wie .auch wegen der ungemein großen Anzahl von Hand-
schriften. 180^5 — 1807 erschien «las Werk in »Irei grolJen Händen als l'ubli-
kation des A'i>\/'//rx// ('////>: <lie Einleitung aber, ilie ülu-r das N'erhältnis der
einzelnen Hantlschrilten iiälie Klarheit bringen .sollen und jedem ermöglicht
hatte, die kolossale Arbeit, die in seinem Werke verborgen war, zu verstehen,
konnte er nicht mehr schreiben. So hat er uns denn einen grofiartigen Torso
hinterlassen, den wir wohl bewundern und anstaunen, dessen Bedeutung und
W esen aber nur <\ot ganz begreifen kiitinte, der die riesenhafte Arbeit selbst
wieder in .Angriff nähnu\ Die jahrelange Beschäftigung mit den Werken
Digullevilles hatte St. eine so groUe Liebe zu seinen mit wunderbaren
Miniaturen geschmückten Handschriften eingeflößt, daß ihm keine Ausstattung
prächtig genug erschien für seine Ausgabe. So bot er denn sein Werk einer
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Stttrzinger. von Anzer.
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englischen Gesellschaft, dem Roxhurt^/i Cluby der es mit den Hildcrn auf
feinem Papier und in grolU-r Srlirift in tirei prärhfifien (,Hiattl»ändLMi licraus-
gab. Dadurch war aber das W erk für das j,'rolk' ( !t'lt.'lirti'iii>ul»likinn verloren.
Die Gesellschaft druckte es nur in 75 Kxcniplareu für ihre Mitglieder ab.
Nur wenige Bibliotheken und einige Gelehrte erhielten es als Geschenk.
In den Buchhandel kam es nicht. So erklärt es sich denn auch, daß keine
Zeitschrift — außer der A\mania üiWW, XXVI, XXXII in kurzen lobenden
Notizen das Werk besprechen konnte. Auch hier wiederum diese eigen-
tümliche Tragik in St.s Leben.
Wenn St. auch vor allem Gelehrter war, so hat er sich doch auch als
Lehrer sehr tätig erwiesen. In München las er namentlich über Spanisch,
in Tübingen brachte er das bis dahin vernachlässigte Studium der romanischen
Philologie, in dem kurzen Semester, wo er dort wirkte, wieder zu Ehren, und
las über Französisch und Spaniscli; in Würzburg entfaltete er eine sehr rege
Tätigkeit. las über (lest liii hte der ntniercn und altfran/<)sis( hen Literatur,
Über Metrik, Syntax, Phonetik, Aussprache, ebenso über Provengalisch. Er
hatte ferner das besondere Verdienst, das romanisch -englische Seminar ins
Leben zu rufen und den Grundstock zu dessen Bibliothek zu legen.
Der Grundzug von St.s Wesen war bescheidene Anspruchslosigkeit, bis
zur Peinlichkeit genaue Gewissenhaftigkeit und Treue, energische Ausflauer.
tr war ein Gelehrter alten Schlages, wie sie heutzutage immer seltener werden.
Würzburg. Heinrich Schneegans.
Anzer, Johann Baptist von, Bischof, Apostolischer Vikar von Süd-
Schantung, * 16. Mai 185 1 zu Weinrieth bei Pleystein (Oberpfalz), f 24. November
1903 zu Rom. — A. machte seine Gymnasialstudien im Gymnasium der Bene-
diktiner /.u Nfctten und studierte dann iSyj — 75 ilu-ologie im Priesterseminar
zu kegensburg. Im Herbst 1S75 trat er. um sicli auf den Beruf eines Missionars
vorzubereiten, in das neugegründete Missionshaus zu Sleyl ein. Am 5. .Vugust
1876 etiii)ting er ZU Utrecht die Priesterweihe und wirkte hierauf zunächst
als Lehrer im Missionshaus, bis er 1879 nach China abreiste. Im Jahre 1880
verhandelte er mit dem apostolischen Vikar Cosi über die Abtretung Süd-
Schantungs als Missionsgebict an die Gesellschaft des göttlichen Wortes zu
Steyl und wurde dadurch der Gründer der deutsciu-n Mission daselbst, die
er aus kleinen Anfängen in wenigen Jahren über das ganze Gebiet auslireitete.
Im Jahre 1882 wurde er zum Provikar dieses Missionsgebietes, 1886 zum
apostolischen Vikar und zum Bischof -von Telepte /. /. /. ernannt und am
18. Januar 1886 von Erzbischof Krementz von Köln im Missionshause zu Steyl
zum Bischof konsekriert. Der ruhige Fortgang des Missionswerkes wurde oft
durch \"erfolgungen gestört; schon iSSj^ erlitt A. auf einer Missionsreise beinahe
den Mürtyrertod. Von weittragender l'edeutung fin die Mission wie auch
für die deutschen Interessen in China war es, daß seine Mission im Jahre i8i)o
auf seinen Wunsch dem französischen Protektorat entzogen und unter den
Schutz des Deutschen Reiches gestellt wurde. Eine Erweiterung seines Missions-
gebietes erfolgte i8q7 dun h lic Uesetzung von Kiauts« hou seitens des Deutschen
Reiches; die darauffolgenden < hinesisclien Aufstünde brachten aber auch neue
gefährliche W-rfolgungen und Schädigungen iilier die Mission, bis zur erfolgten
Wiederherstellung friedlicher Verhaltnisse. Bischof A. war eine bedeutemle
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von Auer. Birck. Frants.
PtTsinili' hkeit vf>n f^rosser Knerpic unri opferwilligem Arbeitseifer; seine Ver-
dienste um <lie fleutscheii Iiiu-ic sscii in ("liin.i h;il)LMi aurli an den ma(jj,a'l »enden
politischen Stellen volle Anerkennung gefunden; in der (jcschiclue iler christ-
lichen Missionsarbeit in China wird sein Name anvergefilich bleiben.
Vgl. »Kölnische Volkszeitung« 1903, Nr. 988 vom 25. Noverober ; Nr. 997 B vom
28. No\'. — »AuK l'in>:ir Postxettiuig« 1903, Nr. 268 vom ay. Nov. - >» Illustrierte Ztg.«
1903. Nr. 3153, 3. Dwember. F. Lau eher t.
Birck. Maximilian, Kanonikus in Aachen, * 6. Februar 1^41 zu Köln,
f 25. November 190^^ zu Aat hen. — Ii. erhielt seine humanistische Bildung
am Marzellengymnasium in Köln, studierte dann Theologie in Bonn und
München, trat 1862 in das Priesterseminar in Köln ein und empfing am
September 1863 die Priesterweihe. Hierauf ging er zur Fortsetzung seiner
theologist hen Studien no» h zwei jähre nat h Rom und wurde dasell^st /)r.
thcol. Im 1 leihst 1865 wurde er Keligionslehrer an der höhen-n Sc hule, jetzt
Realgymnasium, zu Mülheim a. Rh. und erhielt als solcher später den Titel
Professor; 1902 Kanonikus am Kollegiatstift der Münsterkirche in Aachen,
5. Mai 1903 als solcher eingeführt. — Schriften: »Georg Cassanders Ideen
über die Wiedervereinigung der chrisilidien Konfessionen in Deutschland.
Kine Studie (Köln 1876); Der Kölner Erzbischof Dietrich Graf von Mörs
und l'apsf Kugen IV. Mit Benutzung archivalis( her Akten (Bonn iSSq);
»Nikolaus von Cusa auf dem Konzil zu Hasel (Historisi hes Jahrbut h, i ^. Bd.
1892, S. 770 — 782); Zu Nikolau.s von Cues Auftreten auf dem Basler
Konzil« (Theol. Quartalschrift 189t); »Nikolaus von Cues über den Primat«
(Theol. Quartalschrift 1893); »Enea Silvio de'Piccolomini als Geschicht-
schreiber des Basler Konzils« (Theol. Quartalschrift 1894).
Vgl. »Echo der Gegenwart« (Aachen) 1903, Nr. 318 vom 6. Mai; Nr. 84,9 vom 26. Nov.
Frantz, Erich, Professor an der katholi.sch-theologischen I'akultät in
Breslau, Kunsthistoriker, * 10. juli zu I.iegtiitz, i 27. Dezember io<\^ 7\\
Pasing bei München. — K. widmete si( h zuerst der Malerei, machte dann
seine philo.sophi.sehen und theologischen Studien an der Universität Breslau
und wurde am 28. Juni 1871 in Breslau zum Priester geweiht. Nach drei-
jährigem Studienaufenthalt in Italien wurde er am 26. April 1879 ^ ^'^^
theologischen Fakultät zu Freiburi; i üi /um Dr, thwl. promoviert. Am
3. Februar T887 wurde er zum or<lentli( hen nonorarpr(ifesi,()r für christliche
Archäologie und Kunstgeschichte an der Akademie Münster ernannt, am
24. Marz i88tS auf seinen Wunsch in gleicher Eigenschaft in die katholisch-
theologische Fakultät der Universität Breslau versetzt. Seit 1899 wegen
Krankheit beuriaubt, lebte er seitdem in Pasing. — Schriften: »Fra Barto-
lommeo della Porta. Studie über die Renaissance« (Regensburg 1879);
Sixtus IV. und die Republik Florenz (Regensburg 1880); ^Das heilige
.Abendmahl des Leonardo da \'inci ' (Freibuig i. Br. iSSj;); deschichte der
christlichen Malerei > (2 Bde; dazu 2 Teile -Bilder zur (leschic hte der christ-
lichen Malerei*; Freiburg i. Br. 1887 — 1894); »Handbuch der Kunstgeschichte«
F. Lauchert.
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Frantz. Gapp. Nagel.
(Freilnirfi i. Br. H)(H)); Kunst im iifiicii Jahrhundert« (Hamm i. VV. 1902,
traiikfuricr zcitgcinälie Broscljürcu, 22, Bd., 3. Hclt).
Vgl. Nttmberger in der Chronik der Unirersität Breslau fOr das Jahr 1903/4. — Vgl.
«ach »Hochland«, 1. Jahrg. 1903/4, Bd. I, S. 63a f. F. Lauchert
Gapp, Julius, Stadtpfarrer in Hagenau und Ehrendomherr» * 28. April
1845 zu Strafiburg, fji. Dezember 1903 zu Hagenau. — G. wurde 1867 zum
Priester geweiht, wirkte in der Seelsorge in Türkheim, Straflburg, Osthausen,
St Pilt, seit 1894 als Stadlpfarrer zu St. Georg in Hagenau; KhniK Ii )inherr
von Stralibur^; Dr. thfol. \\w seinen Schriften seien als die wii hti^'sten
jicnannt: Die Kirche Jesu (Rixheim 1X7^; ::. Aufl. Freiluir^ i. Hr. 1.S7.4;
neue Au.sgabe 1894 unter ileni i itel: Die kailioli.st he Kirche, die walire
Kirche Jesu Christi«); »Vollständige Katechesen für die Oberklassen der
Volksschulen unter besonderer Berücksichtigung des Strafiburger DiÖzesan-
katechisnius ( Bändchen, Kempten 1892 — 93); Das Lehen unseres Herrn
uikI Heilandes Jesu Christi, ,1,'enau nach <lem Wortlaut <ler heilij^en Kvan-
gelieii (lein christlichen \'«>lk er/iihlt. 4. Händtht-n: Das Leiden, der 'Tod, tlie
Auferstehung und tlie Hinuneilalirt tie.s Herrn (laniburg i^i99; 1—3 .sollten
später erscheinen). In der Zeitschrift für katholische Theologie veröffentlichte
G. die größeren wissenschaftlichen Abhandlungen: »Bossuet und die pfipst-
liehe UnfehlharkcM u^ Jahrg. 1S7S. S. 609 — 632); -Die Lehre der franzö-
sischen Kirche über ilie päpstliche Autorität < (4. Jahrg. 1880, S. 280 — 33.?)-
Ferner verfallte (i. einige Ciebetbüi her, darunter ein sehr verbreitetes Meil-
büchlein für Kintler, und religiöse Dramen. Journalistisch tälig war er tlurc h
Herausgabe des »St. Odilienblattes« 1878 — 84 (1884 durch den Statthalter
von Manteuffel unterdrückt) und in den letzten Jahren durch das »St. Arbo-
gastusblatt«, das er 1898 in Hagenau gründete.
Vgl. »Deutsch« Reichszeitung« 1904, Nr. 10 vom 8. Januar. — » \uj,'-l)urgcr Post-
z«itung« 1904, Nr. 3 vom S.Januar. f. Lauchert.
Nagel, Christian August, (leheinier Regierungsrat, l'rof., (ieoilät, * 17. Mai
1821 in Grünberg bei Kadebet«; in Sac hsen, f 23. Oktober 1903 in Dn-sdi-n. -
N. war das sechste und jüngste Kind seiner in bescheidenen Verhältnissen
lebenden Eltern. Der Vater, von Haus aus Stellmacher, fertigte mit Vorliebe
Uhren, Spritzen und landwirtschaftliche Maschinen; auch baute er einen
Mefitisch mit Diopterlineal. Die Mutter, eine Tochter des Gutsbesitzers
Kotte in Hermsdorf, war eine einfache, aber kluge Krau, <lie auf <lie geistige
Kntwickelung ihrer Kinder >elir Lzvmstig einwirkte. Vom vollendeten fünften
Jahre an besuchte N. die Dortscliule. Der Rechenunterricht war dort ver-
hiltnismftfiig gut ; freilich fehlte die D^simalbnichrechnung. In der Geschichte
und den Sprachen unterwies den Knaben Pastor BlOher. Der Plan, ihn
auf das Bautzener Gymnasium zu bringen, mißlang, da er wegen der Mittel-
losigkeit seiner Kltem nur als Alumne diese Schule hätte besut In n können,
aber als solcher nicht aufgenommen wurde. Schon hatte er sich ents( blossen,
Tischler zu werden und war bereits bei einem Meister angemeldet, da nahm
ihn der Geodät Wild bei der sächsisclien Landesverniessung als Meügehilfen
an. Bald danach meldete er sich zur Aufnahme in die Geodätenschule zu
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Nagel.
Hubertusburg. Im Spätherbst botaiul er die Auliiahint- prüfunj,' uiul im
Juni 1837 die Gcodaicnprülung. Bis 1841 war er als Geodät praktisch tätig.
Hierauf studierte er an der damaligen Technischen Bildungsanstalt (jetzigen
Technischen Hochschule) in Dresden, unterstatzt durch seinen Bruder, der
Kanzlist an di 1 dortigen König), öffentlichen Bibliothek war. Michaelis 1843
bestand N. die l'tiifiing der I cldiiicsser erster Klasse mit der Zensur ^ausge-
zei( liiu t . Alsdann naiim er bis 1^)4 rnierri( ht im Straßenbau. .\ni i. April
1.S44 erhielt er Anstellung als HillMngenieur und am i. September desselben
Jahres als Ingenieur- A.ssistent bei dem Bau der sächsisch-schlesischen Eisen-
bahn. Vom I. Januar 1846 an war er Sektionsingenicur beim Bau der Löbau-
Zittauer Kisenbahn und 1848 Vermessungsingenieur bei der Grenzregulierung
zwisthen Saeliscn und Hohmen. Am i.Mai i84() trat er seine Stellung als
Assistent für (ieodiisie l)ei l'rof. S( huhert an der 'l echnisi hen Hildungsanstalt
In Dresden an. Am i. Ajtril 1852 wurde er daselbst ordentlicher Lehrer «1er
Geodäsie und 1858 Professor und Mitglied des Senats. In diesem Amte ent-
faltete er lange Jahre hindurch eine reiche Tätigkeit. Dabei wurden ihm
von den vorgesetzten Helunden auch verschiedene wichtige Nebenämter über-
tragen. 1858- 1863 führte N. ein trigonotnetrisi hes Netz über das Krzge-
hirgisi lu- Ki>Idenb issiii mit einer l'bersichtskarte au'^. Daneben war er N'or-
sitzender »ier Konigl. Sächsischen Xürmal-.Xichungskümmission. Besonders
wichtig aber ist die von ihm als Kommis.sar für die mitteleuropäische Grad-
messung (internationale Erdmessung) mit vorzfiglicher Genauigkeit ausgeführte
Bearbeitung des trigonometrischen Netzes erster Ordnung für das Königreich
Sachsen. Danach vollendete N. das Landesnivellenient uihI die Basismessung
bei Grol5enhain. Am t,o. Mai 1874 würfle ihm der Titel eines Regierimgs-
rais. am ^o. lanuar 1SS4 <ler eines GelK inien Riuiei ungsrats verliehen. ,\ni
I. November 1S88 erfolgte seine Krnennung /um Direktor des Königliihen
Mathematischen Salons. Wegen Erkrankung ani grauen Star legte er 1893
dieses Amt und nach und nach seine Nebenämter nieder. Durch Ordensver-
leihungen, durch die Behörden und durch seine ihm dankbar anhängenden
S< hüler wurden N. vielfache I'lhrungen bereitet. So vor allem bei der Feier
seines 80. Geburt^tags, wo man auch eine Nagel-Stiftung für Studii rende
der Technischen H*Khschule begründete. — N. hinterlieli eine grolierc Reihe
von wissenschaftlichen Abhandlungen, wie das Programm »Die Messung der
Basis für die Triangulierung des Erzgebirgischen Kohlenbassins, Dresden
(1861)«, »Die Verine-.sungen im Königreich Sachsen, Dresden 1876 und viele
Aufsätze in verschietlenen Zeitschriften, besonders im > C'ivil-bigenieur . Vor
allem aber sind zu nennen die Astronomisch-geodätischen Arbeiten für die
europäische Gradmessung im Königreich Sachsen, Abt. i — 4, 1882 — 1890».
Hiervon bearbeitete N. die erste, zweite und vierte Abteilung ganz oder zum
Teil; zu der dritten schrieb er das Vorwort. Von N. ist auch seit 1891 der
astronomische Kalender im »Kalender und Statistischen Jahrbuch für das
Königreich Sachsen« bearbeitet.
DBerirht U!)cr die am 17. Mai 1901 st.ittgefundciie Feier des 80. Geburtsfestes
tlcü (icheimcn Kcgierungsrats A. .Nagel . . von K. Görke; Sundcrabzug der Zeitschrift fUi
Vennessungswesen, Heft »2, lid. 30 . . 1901« mit N.s eigener Lcbensskizze. — »Dmdner
Anteigerc 1903, No. 296 S. a ff. — »Dresdner Journal« 1903, Ko. 348 S. 1949.
A. Reichardt
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voll BiedcMinann.
287
mederoMUlii, Gustev Woldemar Freiherr v.. Geheimer Rat Dr, pML,
Staatsbeamter, hervorragender Goethe^Forscher, * 5. März 181 7 zu Marienberg
in Sachsen, f 6. Februar 1903 in Drescien. - v. 15. entstammte einer alten
sächsischen Familie. Sein Vater. (lu'-tav lieinri<h \. 1?., war Amt>hau]>tmann
und Besitzer des Ritterguts Niederfdrcliheim, seine Mutter, eine Tochter des
Marienberger Mä(Uiienschulieiirers 1 oU, eine berühmte Sclu)nheit. Iiis iS^o
wurde der Knabe auf dem väterlichen Gute von Hauslehrern unterrichtet.
Hierauf besuchte er anderthalb Jahre lang das Freibcrger Gymnasium. Aber-
mals durch einen Hauslehrer auf die Maturitätsprüfung vorbereitet, bezog
V.B. 1835 die Tniversität Leipzig, um die Rechte und Kanuraiwissenschaften
zn studieren. iS^6 ging er nach Heideliterg, wo er Thibaut, Zachariä und
Mitterniaier mit großem Interes>e h<")rte. Anf.uig i S kehrte er nach l.ei|)zig
zurück. Nadidem er 1840 die juristisi hen l'rülungen glänzend bestanden,
machte er 1841 zusammen mit dem nachmaligen OberlandesgerichtsprSsidentcn
V. Weber eine größere Reise nach Italien. Im folgenden Jahre ließ er sich
als Advokat in Dresden nieder, trat aber am 7. Januar 1845 als Referendar
in den Staatsdienst. iS j() wurde er Regierungskommissar im Direktorium der
( luMnnitz-Riesaer F.isenb.dingesellsc liaft. uS-^S stellvertretender X'orsit/endi'r bei
der Direktion der westlichen Staat.seisenbahnen Sachsens in Leipzig, i. Juli 1869
Geheimer Finanzrat und Vorstand der technischen Abteilung der General-
direktion der sächsischen Staatseisenbahnen. Von da an hatte er seinen
Wohnsitz in Dresden. Über 36 Jahre war v. B. im Dienste des sächsischen
Staatseisenbahnwesens mit großer l'flirhttrcue unermüdlich tätig und erwarb
sich bolu' \'erdienste um die Fntwii klung des sächsischen X'erkehrswesens.
Auf dem (Jebiete der K-xpropriation galt er als Autorität. Seiner Khe mit
Antonie von Trützschler entsprossen zahlreiche Kinder; überhaupt war sein
Familienleben ein glückliches. Als Geheimer Rat trat er am i. April 1887
in den Ruhestand. In seinen letzten Lebensjahren mußte er viel mit Krank-
heit kämpfen; die Gefahr einer Erblindung konnte durch Operation noch
beseitigt werden. Von Jugend an zeigte v. R. ein überaus reges Interesse
für die Kinist. Seine S|)rai listudien waren sehr wc itgeluMule, mit erstaun-
licher Leichtigkeit erfaßte er die (iranjUKitik unil lautliche Kigenart jeder
Sprache. Dazu versuchte er sich vielfach als Dichter. Von ihm erschien
1847 unter dem Pseudonym Ottomar Föhrau die Dichtung »Eine Sänger-
jugend« und 1864 unter dem Pseudonym »Einem« das Schauspiel >Dr. Goethe
in Weimar". Hauptsächlich aber übersetzte er fremde L\rik. Seine letzte
größere poetische Arbeit ist die iqoo erschienene .'Xusführung des doethe-
schen »Elpenor« (3. bis 5. Aufzug). Größere literarische Abhandlungen ver-
öffentlichte er erst seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, näm-
lich: »Goethes Beziehungen zum sächsischen Erzgebirge und zu Erzgebirgern«
(1862); »Goethe und Leipzig; (1865); Zu Cioethes Gedichten (1870);
Goctlie und Dresden« (1875); ^Goethe und das säclisische Erzgebirge«
(1877); doethe-Forschungen« Sammlungen, 187^, 1886, i8o()); Erläute-
rungen zu den Tag- und Jahresheften von (loethe (1894). Herausgegeben
sind von ihm: »Goethes Briefe an Eichstädt« (1872); Goethes Briefwechsel
mit Friedrich Rochlitz« (1887) ; Teile der Hempelschen Goethe-Ausgaben und
der Weimarer Ausgabe. 1889 bis 1898 erschien sein Hauptwerk, »Goethes
Gespräche«, in zehn Bänden. Außerdem rOhren viele Aufeätze im »Goethe-
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von Biedeimann. KnoUie.
JahrhiR'h von I'». her. Her ( l(»cthc-( k-sl-IIs» h^ift ^^rhottc er seit ihrer Gründung
an; 1894 wurde er einer ihrer beiden Vi/ej>räMdenlen. Auch war er Ehren-
präsident des Dresdener Goethe-Vereins und Vorsitzender der Dresdener
Serreschen Zweig-Schillerstiftung.
Vgl. Adolf Stein im »Goethe-Jahrbuch«, Rd. 24 S. 2S<) ff. und im »Dresdner
Juuiiial« iqo3, No. 31 S. 243 f. — »Dresdner Journal« ebenda S. 247. »I)rc-«Iner
Anzeiger« 1903, Nu. 38 S. 5. A. Reichardt.
Knothe, Hermann Friedrich, Geheimer Hofrat Professor Dr., Historiker,
*9. Oktober 182 1 in Hirschfelde bei Zittau, f 8. Februar 1903 in Dresden. —
K.S Vater, Karl Friedrich K., war Diakonu» und .seit 1836 Pastor in Hirsch-
fehle, seine Muttt r, Julie Karoline, eine Toc htcr des <l:unaligen Diakonus
1-eunhaitl in l.aiilian. Den ersten l'nterrieht erhielt K. fast in allo'n l-".T(^liern
durch seinni \'ater. Seine S|>ielkaineraden waren die Kinder annei lA-int'-
weher. Zehn Jahre alt wurde er in liie Quarui des ZiitauLr G)nuuiMuuis
aufgenommen. Ostern 1840 bezog er die Universität Leipzig. Sein Wunsch
war, Jura oder Philologie und Philosophie zu studieren. Aber seinen Kltem
zuliehe wandte er sii h dem theologischen Studium zu. Der Lausitzer
Pri'diiier^fevellschaft ^eliDrte er bis 1843 als Mitglied an; 1S44 wurde er ilir
Klueninitglie<l. Nat hdein er 1843 das erste thectlngis» he Ivxainen bestanden,
hieli er sich noch bis Ostern 1844 in Leipzig auf. Anfang des nächsten
Jahres wurde er Hauslehrer und war nacheinander in vier Familien tätig.
Später Heß er sich als Privatlehrer in Dresden nieder. Schon damals litt er
viel an katarrhalischen Heschwerden. promovierte er in Jena. Zu .seiner
l-reude erhielt er Ostern Anstellung als Oberlehrer an der vereinigten
Keal- und Gynnuisialanstalt in Zittau, l ni diese Zeit starb sein Vater. Kr
nahm nun seine Mutter zu sich bis zu ihrem Tode. Dies war wohl der
Hauptgrund dafür, daü er unverheiratet geblieben ist. 1861 wurde K. nach
Dresden berufen als Zivillehrer beim KOnigl. Kadettenkorps mit dem Titel
Professor. Hier wirkte er beinahe 2u Jahre lang als Lehrer der Geschichte,
Geographie und deutschen Sprache. Während der für ihn rec ht s( hmerz-
licheii Ereignisse <les Krieges von reiste er mit den nicht <li-r aktiven
Armee überwiesenen Kadetten nach Prag, Wien und l.ieljen.iu bei Graz.
Seine Lrlebni.sse besehrieb er in den • Kriegserlebnissen eines Soklalensehul-
meisters aus dem Jahre 1866« (in den »Bautzener Nachrichten«). Als die
Verlegung des Kadettenkorps nach Dresden-Albertstadt ihm seine Lehrtätig-
keit sehr erschwerte, bat er um seine Entlassung. Si. de verweigert.
Aber als ihn iSSo eine T .ungenentziinrlimg befiel, fand sein erneutes Ent-
lassungsgesuch Genehmigung. Kr erhielt damals das Ritterkreuz i. Klasse
vom Zivilverdienstorden. Die ihm 1882 angebotene Stelle eines Direktors
des königlich sächsischen Hauptstaatsarchivs lehnte er ab, weil er seine Ge-
sundheit sehr schonen muflte und seine Freiheit nicht hingeben wollte. Dank
seiner geregelten Lebensweise blieb er körperlich uiul geistig frisch bis ins
hohe Alter. i8i)8 erlitt er durch Überfahretiwcrden einen schweren Bein-
bruch; dadurch Idieb seine Bewegungsfreiheit stark beeinträchtigt. An seinem
80. (ieburtstage wurde K. zum Geh. Hofrat ernannt. Danac h ging es mit
seinen Kräften bergab. Ein Influenzaanfall führte in wenigen lagen sein
Ende herbei. K. war Ehrenmitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft der
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Knoihe. Dicstel.
289
Wissenschaften (seit 1879) und des Nordböhmischen Exkursionsklubs (seit
1887), korrespondierendes Mitglied des Königlich Sächsischen Vereins für
Erforschung der vaterländischen .Mtertümer (seit iB^g), der SchJesischen
(jesellschaft für vatt'rländischc Kultur (seit 1S78), fies Vereins fiir (le-
sohirhtc Brandenburgs (seit 1886) unil des \'erein> für ( lf^< hii htf und
Altertum Schlesiens (seit 1898). Auch wurde er 1898 zun\ Mitglied der
Königlich sächsischen Kommission für Geschichte ernannt, ohne jedoch an
deren Arbeiten teilnehmen zu können. K. war eine geborene Forschematur.
Er wurde von Karl Lamprecht unter den sächsischen Historikern am höchsten
gewürdigt. K s Studien bewegten sich freilich in engen Grenzen, fast nur
auf dem (icbietc der oberlausitzer Cleschichte. Aber in solcher Heschrän-
iwuiig leistete er Vorziigliches. Angeregt wurde er zu geschichtlicher For-
schung schon als Gymnasiast, als sein Geburtsort gegen die Stadt Zittau
einen Rechtsstreit führte. Aber nicht nur ein ausgezeichneter Gelehrter war
K., sondern auch ein trefflicher Mensch, von großer Bescheidenheit und Wahr-
heitsliebe und, wie besonders sein N'achlab erkennen lieü, allezeit hilfsbereit.
— K. veröffentlichte ca. 145 Hücher und Aufsätze. Zu nennen sind: (le-
schithte des Fleckens Hirschfelde in der königlich sächsischen Oberlausitz«
(1851); »Geschichte der Dörfer Rohnau, Rosenthai und Scharre in der könig-
lich sächsischen Oberlausitz« (1857); »Geschichte der Dörfer Burkersdorf und
Schlegel in der königl. sächsischen Oberlausitz (1862); Geschichte des so-
genannten Eigenschen Kreises in der königl. sachsischen Oberlausitz; Preis-
schnft' (1870); ' Urkundliche Geschichte des Jungfrauenklosters Marieiistern . .«
(1871); »L rkundlic he (Grundlagen zu einer Kechtsgeschichte iler Oberlausitz;
Preisschrift« (1877); »Geschichte des oberlausitzer Adels und seiner Güter. .
L D« (1879, 1887); »Der Anteil der Oberlausitz an den AnfSngen des dreiflig-
jährigen Krieges, 1618— 1623; Preisschrift« (1880); »Geschichte des Tuch-
mac herhandwerks in der Oberlausitz . .« (1882); • »Urkundenbuch der Städte
Kunienz und Löbau (Codex tüplom. Saxontae ret^iai- II 7)« (1883); »Die Stel-
lung der Gutsuntertanen in der Oberlausitz zu ihren (iutsherrs< haften« (1885);
»Die ältesten Siegel des oberlausitzischen Adels« (1891); «Karl Friedrich
Kretschmann (Der Barde Rhingulf) (1858). Die allermeisten Arbeiten K.s
sind in Zeittichriften ersduenen, besonders im »Neuen Lausitzischen Magazin«,
im »Archiv für die sächsische Geschichte« und Neuen .\rchiv für sächsische
Geschichte-, in den »Beiträgen 7\\v sächsischen Kirchengeschichte« und den
•Mitteilungen des Nordbölunisc hen Kxkursionskhibs «.
Vgl. Hubert Emiiach im »Neuen Archiv für sächsische Geschichte« Bd. 24, 1903,
S. 155 ff. — Woldemar Lippcit in den »Dresdner Gescbichtsblftttem Bd. 4c S. 150 ff. —
»Dresdner Anzeiger« 1903, No. 92 S. 3 ff. und Xo, 41 S. 5f. — »Amtskalcnder für evan-
freÜsch-lutheriscbf (»ei-itliclic im K' iiiijrri.Mch Sacliscn auf d.i* Jahr 1904« S. 207. — »Jahrcs-
kxricht der Lausiucr Prcdxger-Üescllschiift zu Ltipzi}j«, 28. Mitteilung, 1902 03 S. 40. —
»Haan, Sichsisches Schriftsteller-Lexikon, Leipzig i-Sjs« S. 166 f. A. Reichard t.
Diestel, Gustav, Konrektor Prof. Dr., Historiker, * 7. März 1830 zu Königs-
berg in Preußen, f 8. November 1903 in Dresden. — I). besuchte bis
Michaelis 1849 das Königsberger Friedrichs-Kollegium. Darauf studierte er in
meiner Vaterstadt anfangs iMiilologic, später aber allein ( ;esc hic:hte, (leoL'ra-
phie, deutsche Literatur und Philosophie. Im IJezeiuber 1Ü53 promovierte
Biofrr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 8. Kd. I9
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290
Diestd. Seyfikith.
er. Hereits vorher war er zum Gouverneur in dem v. d. Gröbenschen Stipen<iien-
hau.se berufen worden. In dieser Stellung blieb er bis i8öo. Nach bestan-
dener Oberlehrerprüfung wurde er wissenschaftlicher Hilfslehrer and Ostern
1859 ordentlicher Lehrer am Kneiphöfischen Stadtgymnasium zu Königsberg.
Ostern 1868 an das Vitzthumsche Gymnasium in Dresden berufen, wirkte er
fortan hier als Lehrer der Geschichte und deutschen Sprache mit großem
Erfolg. \'()n 1.SH9 an war er Konrektor. Ostern 1895 trat er in den Kulie-
stand. Zeitweilig war er Vorsitzender des Dresdener Litterarischen Vereins
und des Historischen Vereins. Er besafi ein reiches Wissen und eine her-
vorragende Unterrichtsgabe. — Von D. ist eine Programmabhandlung »Bau-
steine zur Geschichte der deutschen Fabel, Dresden 1S71 . Auc h übernahm
er (\\e Noubearbcitunc; dos zweiten Teils der »Illustrierten Geschichte des
Mittehdtcrs von ( ). KacinuKl .
V'gl. »l'rugTiunin des ViLztiiumüchcn üynmasiutns . . Dresden 1869«. S. iisf. ~-'
»Jihresbericht des Vinthumschen Gymnasiams . . Dresden 1904c, S. la. — »Dresdner
Anzeiger« 1903, No. 311 S. 6. — »Dresdner J<Nimal« t903rNo. 261 S. 2071.
A. Reichardt.
Seyffarth, Ludwig Wilhelm, Pä<lagog und SchrittstclK i. * 2 1 . Januar 1S29
in Naumburg a. S., 7 26. Oktober 1903 in Liegniiz. — Er entstammte einfachen
Verhältnissen; sein Vater war Nadlenneister und späterhin Gerichtsschreiber.
Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt absolviert, bezog er 1850 die
Universität Halle, an der er unter Jul. Müller, Tholuck, Thilo und Hupfeld
Theoh^gie und unter Ertlmann I^hilosophie studierte. I ntiThrochen würfle
sein Studium auf kurze Zeit durch seine Kinherufuiig zum Krsat/.haiailloii in
Erfurt, da ein Krieg mit Osterreich auszubrechen drohte. i^SS "i^bm S. eine
Hauslehrerstelle im Anhaltischen, nach Erstehung des ersten theologischen
Examens eine solche in Oberschlesien an, ging dann zur Leitung eines Privat-
instituts nach Frankenstein und wurde, na« lukni er in Münsterberg die Prüfung
/>ro nr/oni/u abgelegt hatte, 1856 Rektor in dem Städtchen Keml)erg (Provinz
Sachsen), von wo er 1863 in gleicher Eigenschaft nach Luckenwalde ging.
Ein beijuemes l'redigtamt in Delitzsch hatte er ausgeschlagen, da seine per-
sönliche Neigung ihn zur Schule und ihren Lehrern zog. Trotz der groOen
Arbeitslast, die in Luckenwalde auf seinen Schultern ruhte — er hatte au0er
Erteilung seiner l'nterrit htsstunden fünf Schulen und eine von ihm erst ge-
gründete lM)rtl>iI(lunj,'ss( huie zu leiten und das Amt eines Hilfspredigers zu
verschen -- fand er doi h noch Muße, sich als Schriftsteller zu betätigen, '/ai
jener Zeit lasteten die Uaumerschen Regulative» (v. J. 1S54) mit si Inverein
Druck auf der Volk.sschule, und die Erfalirungen, die S. mit ihrer Anwendung
in seinen Schulen machte, trieben ihn an, öffentlich gegen jene Bestimmungen
aufzutreten. So erschienen denn seine organisatorischen Schriften »Die Stadt-
schulen (1867), Die Dorfschulen« (1868), »Die Seminare der Volksschul-
lehrer (i.S(n)) und die Kampfschrift -Zur Vorlage des (Mühlerschen) L'nter-
richts- und 1 )otationsgeset/.es (1.S6.S). Sie sind mit einem für jene Zeit
unerhörten Freimut geschrieben uiul fanden auch später (unter dem Minister
Falk) die gebührende Würdigung vonseiten der Staatsbehörde. Wichtiger
noch ist S.s Herausgabe der »Sämtlichen Werke Pestalozzis« (XVin Bde.,
1869—73). Die Universität Zürich veriieh S. gelegentlich seines 70. Geburts-
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Seyffarth. Schmidt-Cabanis.
291
tages in Anerkennung dieses Verdienstes die \\ ürde eines Ehrendoktors der
Philosophie (1899). In engster Verbindung mit S.s literarischer Tätigkeit stand
seine Vereinstätigkeit Er war Mitbegründer des Brandenburgischen Provtnzial«
Lehrerverbandes, in dem er 1871 — 75 den Vorsitz führte, sowie auch des
Landesvereins preußischer \ olksschullehrer, dessen Organ, die Preußische
Schulzeitungc er von iSyi bis zu seinem Tode redigierte. 1875 ging S. :\ls
Diakonus an der Kirche »Unserer lieben Krauen« nach Liegnitz und rückte
nach wenigen Jahren zum Pastor Primarius an derselben auf, ein Beweis der
Zuneigung, die er sich in seiner Gemeinde erworben hatte. Aber auch daröber
hinaus fand er in der neuen Provinz Anerkennung, die sich besonders darin
kundgab, daß er in den Kreisen Liegnitz-CJoldbcrg 1879 zum Lan(ltagsal)ge-
ordneten gewählt wurde. Kr hat ilem Landtage als Mitglied der national-
liberalen Partei bis 1887 angehört; dann zwang ihn eine schleichende Krank-
heit, eine Wiederwahl abzulehnen. Seine Muße widmete er nun dem weiteren
Ausbau der »Sämtlichen Werke Pestalozzis«, und er hatte noch die Freude,
die neue Ausgabe derselben (XII, 1899—1902), vollendet zu sehen. Gegen
Ende des Jahres 1903 trat S. in den Ruhestand, den er indessen nicht lange
genießen sollte.
»Preußische Lehrer-Zeitung« vom 22. Januar 1899. — »Der deutsche Schulnuinn« vom
15. Januar 1S99. — »Schiilblatt der Provini Sacluea« vom 20. Januai 1904 u. a. pädagogische
Blätter. Franz Brümmer.
Schmidt- Cabanis, Otto Richard, Dichter, * 22. Juni 1838 in Berlin,
"f 12. November 1903 dasell)st. — Kr entstammte mütterlicherseits der durch
Wilibald Alexis berühmt gewordenen franzfisischen Familie Cabanis, welchen
Namen er später dem scinigen hinzufügte. Sein Vater war Kanzleirat in Berlin.
Nachdem er die Königliche Realschule und das Friedrich Wilhelms-Gymnasium
seiner Vaterstadt und später das Gymnasium in Dessau besucht hatte, trat
er mit 16 Jahren als Ldirling in eine Berliner Sortiment.sbuchhandlung ein,
übernahm aber schon im Oktober 1*^5; eim- Stelle als Volontär in einem
groüen Berliner Hankges{ häft, die ihm Mulie genug lielJ, Thalien und Mel-
pomenen zu huldigen, und setzte es endlich bei seinem Vater durch, sich unter
der Leitung des Hofschauspielers Bemdal für die Bühnenlaufbahn vorbereiten
zu dürfen. 1860 trat er sein erstes Engagement am Stadttheater in KOln an,
war dann bis 1862 an verschiedenen Bühnen (u. a. am Rostocker Stadttheater)
tätig, kehrte aber darauf zu dem P.erufe eines Buchhändlers zurück, um durch
ihn schneller zum Ziele eines geordneten eigenen Hausstandes zu gelangen,
und legte bereits im November 1862 in Herlin das damals noch vorgeschriebene
Bncbhandlerexamen ab. Aber schon 1864 trieb es ihn wieder zur Bühne zu-
rück. Da warf ihn 1865 ein schwerer Gelenkrheumatismus fast dreiviertel
Jahr anh Krankenlager, und da er an der rechten Hand völlig gelähmt war,
begann er nun mit der linken seine Tätigkeit als humoristischer Schriftsteller
durch Beiträge für die »Fliegenden Blätter« und die (llalJbrennersche Ber-
liner Montags-Zeitung«. 1866 ging Sch. an das Rostocker Stadttheater zurück,
wurde im Oktober nach Stralsund engagiert und empfing dort im Dezember
einen Engagementskontrakt an das Meininger Hoftheater. Bereits im Februar
1867 erkrankte er in Meiningen an seinem alten Leiden, er mußte um seine
Entlassung einkommen und auf Anraten der Ärzte nunmehr der Bühnenlauf-
19*
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Schmidt-Cabaius. Scule.
bahn gänzlich entsagen. N.ich Berlin zurückgekehrt, war er hier erst als
Gebilfe in einer Buchhandlung, seit dem MAn 1868 als Mitredaktear der
Damenseitang »Viktoria« tätig und trat Ende 1869 in die Redaktion der
Glaßbrennerschcn >' Montagszeitung« ein, die er als Chefredakteur auch nach
Glaßbrenners Tode {1876) im Interesse seiner Witwe noch neun Jahre leitete.
Nach Verschmelzung des Blattes mit dem Deutschen Montagsblatt (iS84)
beschränkte sich Sch. auf seine Mitarbeit an dem vUlk«, dem humorisiisclien
Beiblatt zum »Berliner Tageblatt«, doch übernahm er nach Sigmund Habers
Tode (1895) auch die Chc^edaktion desselben und führte sie bis zu seinem
Tode. — Sch. ist vorwiegend humoristischer Dichter und Novellist; er
zeichnet sich durch die Feinheit und Liebenswürdigkeit seines Witzes aus;
seihst seine rein politischen Gefliehte entbehren fast niemals der diesem Autor
eigenen Grazie. \'on seinen Werken seien hier erwähnt: 'Verstimmte Akkorde^
(Komische Gedichte 1868), »Was die Spottdrossel pfiff« (Politisch-satirische
Zeitgedichte, 1874), »Zoolyrische Ergüsse« (Komische Gedichte, 1876), »Auf
der Bazillenschau (Satiren, 1885), »Brummstimmen der Zeit« (Humor. Gedichte,
1886), Pessimistbeetblüten jüngstdeutscher Lyrik« (1887), »Lachende Bilder
(Nene l)i(htungen, 1802), »Geheimrats -Jettes Poesie- Album« (Sammlung
humoristisi her Dichtungen aus dem Ulk , iS()6), Humoristisch-satirischer
Krimskrams aus dem Biuar der Kunst und der Marktl)U(le des Lebens« (1896),
»Stechpalmenzweige« (Bewaffnete Friedens 'Dichtungen, 1899), »Wechselnde
Lichter« (Gesammelte unpolitische Gedichte, 1881), femer die Humoresken
und komisclii II Novellen Allerlei Humore (4 Bdchn., 1872, 3. Aufl. 1890),
''Veilchen und Meerrettich (1875), Huntes Nichts (1S75), Die Jungfern-
rede (iSSV), Die Krau von Mehreren (iS.So), Nervöse Humoresken - (i8Sq)
und die Lustspiele Nur aus Liebe» (iSyo) un<i Irren ist menschliclr (1S76).
Persönliche Mitteilungen. — Adolf Hiurichsen: Das literarische Deutschland, 1891,
S. 1173. — Wrede und Reinfels; Das geisdge B«Iin. 1898, S. 473. — »Allgemeine Budi-
htindler-Zcitung«, Jahrg. 1895, S. 260 tt. 376. — O. G. Flllggai: »mognpkiscbes Lexikon der
Deutschen Bühne«, 1893, S. 273. Franz Brümmer.
Searle, Richard, .S( haus|)ieler, ♦ i. Dezember 1860 in Dresden, f 29. März
1903 in Dösen bei Leipzig. — S. gehörte eine Reihe von Jahren dem Rcsi<
denztheater in Dresden an und trat am i. Mai 1890 in den Verband des
Leipziger Stadttheaters, wo er viele Jahre hindurch eine der festesten Stützen
des Operetten -Ensembles war und mit Anton Franck und Oskar Bauberger
jenes berühmte Komikertrio bildete, das der Hühne auf diesem Gebiete
hohen Ruf verschaffte. Während seiner zehnjährigen Tätigkeit daselbst ge-
lang es ihm, sich als' ausgezeichneter Charakterkomiker zu einem der be-
liebtesten und populärsten Darsteller emporzuschwingen. Searle verstand es
auch aus der unbedeutendsten Rolle noch etwas zu machen und selbst die
armseligsten Theaterfiguren mit Leben zu durchdringen, sodaß er über die
inneren Schwächen manches Slürkes hitnvcgtäus(lu<'. Seine Tätigkeit er-
streckte sich nicht nur auf das (iehiet der ( )i>eretteii, soiulern auch tles Lust-
spiels und der Po.sse. Besonders wurden seine Moliereschen l iguren als wahr-
haft klassische Muster des Stils der .französischen Komödie gerühmt Seine
künstlerische Tätigkeit wie die zahlreichen gesellschaftlichen Anforderungen,
denen er nur zu willig nachgab, zehrten an seinen geistigen und körper-
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Searle. Bflehel.
293
liehen Kräften und eine st hwcrc Ktkrunkung nervösen Ursf)rungs riß ihn
mitten aus seinem Wirken. Am 29. April 1900 trat Searle zum letzten Male
als Schwefelmann in Kyritz^Pyritz aik; ein unheilbares Nervenleiden zwang den
Künstler, seine BQhnent&tigkeit einzustellen. In geistiger Umnachtung ver*
schied er in einem Alter von kaum 40 Jahren in einer Heilanstalt.
>'Ncuer 'nic;\tcr;ilm:inachtf. Berlin 1004. Herausgegeben von der Cenossenschaft
deutscher BUbneoangehörit^cr. 13. Jahrg. S. 144/45. — »Sächsische Wochen« Zwickau.
I. Jahrg. Nr. 10, 4. April 1903, S. 5 und 2. Jalirg. Nr. lo, II. April 1903, S. 9. —
»Dresdener Kaehriclitenc. 4. April 1903. Nr. 94. S. 4> Richard Stiller.
Bfichel, Karl Eduard, Kupferstecher, • 22. April 1835 in Eisenberg im Her-
zogtum Sachsen-Altenburg, f 25. August 1903 in Dresden. — St h(in in frühester
Jugend fand H. in der Werkstatt seines Vaters, der ein (Geschäft für Hronze-
und Neusiiberarbeiten betrieb, Gelegenheit, den Stichel und die Nadel bei
der Omamentierung einzelner Arbeiten zu handhaben. Im Jahre 1851 bezog
er die Kunstakademie in Dresden und kam nach Absolvierung des Klassen-
unterrii lits im Jahre 1854 als Schüler in das Atelier Moritz Steinlas. Ein
Stich nach Schnorrs v. (?;iroIsfeld Christus mit der Samariterin am Baum er-
wies zuerst seine Begabung für den besonders das Zei< Imcrischc betonenden
Kartonstich. Die in dieser Manier ausgeführte Gruppe der Musik« nach
dem Gemälde Ed. Bendemanns im kgl. Schloß in Dresden, ein Blatt vom
Jahre 1855, zeigte dagegen schon eine Zunahme der Ausdrucksmittel. Nach
Steinlas Tode 1858 erbte er dessen künstlerischen Nachlaß und widmete sich
dem auf der Tradition des 18. Jahrhunderts bauenden Linienstich, in dem er
mit wachsender Sicherheit in licr Beherrschung des Grabstichels immer mehr
sein Talent im getreuen Nachscliaften entfaltete und in der trefflichen
Modellierung der Gestalten, in meisterhafter Wiedergabe des Ausdrucks, be-
sonders aber in der Farbigkeit und malerischen Wirkung wenige seinesgleichen
hatte. Seine ersten selbständigen Blätter waren die Brüder nach Chr. Seb.
Vogel und Murillos heiliger Rodriguez in der Dresdener Gemäldegalerie. Es
folijten Tizians -Madonna mit der ein Opfer bringenden Venetianerin« und
Frant eschinis »Magdalena von Frauen umgeben • ebendaselbst, sowie Heinrich
Hoffmanns »Othello und Desdemona« (in Münchener Privatbesitz). Nach
mehreren Jahren, in denen er sich mit Zeichnen und Malen in Ol- und
Wasserfarben beschäftigte, griff er von i874«~-75 wieder zum Stichel um
Boltraffinos Madonna in der Nationalgalerie in Pest fQr die Gesellschaft für
vervielfältigende Kunst auszuführen und unterzog in den folgenden Jahren
Steiidas Stich der Sixtinischcn Madonna vom Jahre 1S4S, um fiie abgenutzte
alte Platte wieder braut hbar zu machen, einer durchgreifenden und vorzüg-
lich gelungenen Überarbeitung. Nach einem kurzen Aufenthalt in Ittriien
erhielt er von der genannten Wiener Gesellschalt den Auftrag, Hans Holbeins
Bildnb der Liady Scymour in der kaiserlichen Galerie in Wien zu reprodu-
zieren, in dem er sich dem Gesclimack Holbeins willig unterordnete ohne
andrerseits in sklavischer Nachahnuing aufzugcheii. Ks wurde eins seiner
besten Blätter. Von anderen Arbeiten sind zu nennen das »Mädchen in
* altdeutscher Tracht« nach Fr. A. Kaulbach, »Ein Grufi aus der Welt« nach
G. A. Kuntz, »Christus im Tempel« nach Hofmann, das Mignonköpfchen
nach P. Kießling, das brieflesende M&dchen nach K. Bantzer (Radierung ffir
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Büchel. LcMse.
die Dresdner Kunstvereinsmappc) und die Madonna nach Anselm Feuerbach
(in der Dresdner Galerie). »B.s Zeichnung ist im höchsten Maße sorgfältig
und gewissenhaft, ohne Ängstlich zu sein, und seine Stichmanier zeichnet sich
gleithermaflen durch große Kraft in den Tiefen wie durch Zartheit in den
Lichtern aus. Wie er das Fleisch charakter\oll zu modeHlcrcn weiß, so steht
ihm für die Bczcichnuntr der Stoffe und Farbe eine nicht gcwöhnlic-hc
\ iclseitigkcit in der BehaiuMung der Taillen (Lagen) zu Oebote.« (»Kupfer-
stiche nach Werken neuerer Meister in der kgl. Gemäldegalerie zu Dresden.«
Biographischer Text von Wilhelm Rofimann. Erste Lieferung S. 20.) B. war
eine vornehme, bescheidene und liebenswürdige Künstlernatur und erkannte
bereitwillig die Verdienste anderer Künstler an, mochten sie in ihrer Weise
auch noch so sehr von seiner älteren Manier abweichen. Seine Blätter fanden
den Beifall des Publikums und verbreiteten seinen künstlerischen Ruf in den
Kreisen der Fachgenossen. Als Professor und Ehrenmitglied der Akademie
der bildenden Künste verschied er plötzlich am Herzschlag im 69. Lebens*
jähre.
Vgl. H. A. Mttller, »Allgem. KUnstltrkxikon« hgg. von Singer.— »Kunstchronik.«
Leipzig ic)02;t()0}. Neue Foljje. XIV'. Jahii,'. Nr. 33. S. s.lS. — »Die Kunst.« München
1903. \ . Jahrg. lieft I. S. 26. — »Jahrbuch der bildenden Kunst.« Dusüddorf 1904.
3. Jatarfif. S. loa Nekrolog. — »Die Diesdner Gesellschaft« L Jahrg. 30. Desember 1903
Nr. 15 S. 6f. — »Dresdner Rundschau.« VI. Jahrg. 27. Mär» 1897. Nr. i;> S. i u. 3. —
»Dresdner Anieiger.« 173. Jahig. Nr. 237. 27. Aug. 1903. Kichard Stiller.
Loose, Karl Wilhelm, Direktor der Realschule und des Progymnasiums
zu Meissen, Geschichtsforscher, ♦ am 14. ()ktol)er 1839 Chemnitz,
f atn 29. April 1903 in Meißen. — L. wurde als Sohn eines strebsamen
Schmiedemeisters, der sich aus* kleinen Verhältnissen zu einem gewissen
Wohlstand emporzuarbeiten verstand, in Chemnitz geboren. Nachdem er die
Volks- und Bürgerschule seiner Vaterstadt besucht hatte, hczo^j; er zu Mi>
rhaelis 1854 das Gymnjisium zu Freiberg i. S., an dem er zu Michaelis t86o
die Reifeprüfung bestand. Hierauf wandte er sich nach Leipzig, um 'riieo-
logie zu studieren. Indessen hatte er nur wenig Neigung für den geistlichen
Beruf. Ihn zog es mit Macht zu der Beschäftigung mit der Geschichte, in
welcher Neigung er durch die Vorlesungen des jugendlichen Treitschke noch
mehr bestärkt wnde. Am Schlufi des Sonimersemesters 1864 legte er das
erste theologische Kxamen ab und übernahm dann eine Hauslehrerstelle in
der Familie des Saüneninspektors (Jlenck in Schweizerhalle bei Basel. Die
Verhaknisse, in die er eintrat, waren die angenehmsten. Er hatte anregenden
Verkehr und ^d Gelegenheit, verschiedene Reisen in die Schweiz zu machen.
Noch ehe er sein zweites theologisches Examen in Leipzig bestanden hatte,
erhielt er im Jahre 1867 eine Lehrerstelle an dem Trivatinstitut des Doktor
Pietzsch in Hlasewitz bei Dresden. Kr gab nunmehr den Gedanken, Geist-
h'cher zu werden, ganz auf und trat im Jahre 1868 in lias Institut des
Direktor Böhme ein, dessen wissenschiiftliche Leitung ihm nach einiger Zeit
Obertragen wurde. Zu Michaelis 1874 wurde er von dem sächsis^en Kultus-
ministerium an das Gymnasium zu Zittau berufen. Zu seinem Bedauern war
seines Bleibens in dem ihm rasch lieb gewordenen Zittau nicht lange. Er
wurde schon zu Ostern 1876 an das Realgymnasium zu Döbeln versetzt, wo
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Loose. Bernstein.
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er nicht reclu lieiniisch zu werden vermochte. Mit um so größeren Genug-
tuungen begrülit er ^eiIu• Het()r(Ierung zum Direktor der Realst luilr und des
Progjinnasiunis in Meissen, wohin er im h'rühjalire 1879 über^.iedeltc. Ks
war ihm beschieden, zwanzig Jahre lang die ihm anvertraute Anstalt zu
leiten, bis ihn ein unheilbares Blasenleiden zu Anlang des Jahres 1902 zwang,
am seine Pensionierung einzukonunen. Kr erhielt bei seinem Rücktritt das
Ritterkreuz i. Klasse des Alhrei htsordens. Haid (hirauf starl) er am 2q. April
IQ03. — Mehr wie der Kehrerberut zogen L. die historischen Studien an,
für die er sich schon seit seiner hredjerger Zeit auf das lebhafteste inter-
essierte. Hand in Hand mit ihnen gingen die gennanistischen Studien, unter
denen die zu Hans Sachs am eifrigsten getrieben wurden.
Durch seine Doktorarbeit, welche das Leben der Äbtissin Charitas Pirk-
heimer b^umdelte, war L. nämlich in Beziehung 7.u Nürnberg getreten und
interessierte sich nun für alles, was mit der Geschichte und dem (leistes-
lehen dieser alten Reiehsstaiit zusammenhing. Dazu kam die enge l'reund-
schaft, die ihn nnt dem Nürnberger Studienrektor und Stadtarchivar (ieorg
Wolfgang Lochner verband, und die bis zu dem Tode dieses hervorragenden
Namberger Lokalhistorikers währte. L. kam damals jedes Jahr nach Nürn-
berg und wurde durch seine* eigenen Arbeiten immer vertrauter mit dortigen
Verhältnissen. Auch brachte er eine nicht unbedeutenric Sammlung von
Norica zusammen, die er testamentarisch der konigl. öffentlichen Hibliothek
in Dresden vermachte. Seit seiner Übersiedelung nach Meißen widmete er
sich mehr und mehr ausschliefilich der dortigen Lokalgeschichte. Er ordnete
das Meifiner Stadtarchiv und begründete den »Verein für Geschichte der
Stadt Meiften«, dessen wissenschaftlich auf hoher Stufe stehende »Mitteilungen«
er redigierte. Dem im Krühjahr 1896 l)egründetcn Meif^encr Dombauvercin
trat er von vornherein als Vorstandsmitglied bei. Seiner Initiative verdanken
die Meißener ferner die Erneuerung der Kreuzgänge im Kranziskanerkloster
und die einleitenden Schritte zur Begründung eines städtischen Museums,
dessen Eröffnung im Oktober 1901 er krankheitshalber nicht mehr beiwohnen
konnte. Ein Verzeichnis seiner 77 Nummern um^senden Schriften ver-
öffentlichte Alfred Leicht in seinem Nekrolog L.s.
Alfred Leicht in den »Mitteilungen des Verein für Geschichte der Stadt Meißen«.
Meiikn. 1903. 8°. Bd. VI, S. 324— 34S. — A. Pandlcr in den »Mitteilungen des Nord-
bfihmischen Exkursionsklubc. a6. Jahrg. l.eipa 1903. S. 378, 280. — P. Markos im
»Neocn ArchiT fllr Sichsische G««chichts- und Ahettumskunde«. Dresden 1 903. Hd. 34,
S. 3«4— 3*7. H. Ä. Li er.
Bernstein, Hugo, Buchdrucker und Verlagsbuchhändler, * 13. Dezember
1857 in Berlin, f 3. Juni 1903 ebenda. — B.s Vater war einst als ein-
facher Buchdruckergehilfe in Berlin eingewandert, hatte aber durch Fleiß
und Strebsamkeit ein im kleinsten begonnenes Geschäft zur BUite gebracht.
Hugo B. erlernte die Kunst Ciutenf)erg.s im väterlichen (leschäft und ging
dann auf die Wanderschaft nach in- und auslündischen Druckereien. 1878
trat er als Prokurist (bald nachher als Teilhaber, und nach des Vaters Tode,
1887, als alleiniger Besitzer) in das Geschäft ein, das er ganz nach neuzeitlichen
Prinzipien umgestaltete.
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Bernstein. Ackennann.
Dein Hu( hh;in(lt'l trat B. durcli Ankauf der 1808 zu Herlin l)egründeteii
Ferd. I )ünimlcr.s< hon Verlagsbuchhandlung, sowie durch den Erwerb der seit
1846 bestehenden Firma Gustav Hempel — welche beiden Geschäfte er ver-
einigte — n&her. Hier betätigte sich B. nach den verschiedensten Rich-
tungen; seiner besonderen Neigung folgend, pflegte er aber vor allem den
Verlag von Werken zur Förderung der ethischen Kulturbewegung, und ebenso
fand die Frauenfrage in ihm einen eifrigen Förderer. So rief U. 1900 das
bekannte Sammelorgan >I)ie Frauenbewegung (redig. von Dr. Anita Augs-
purg) ins Leben. Bei der Firma Dümmler wurden Philologie und Natur-
wissenschaften nach wie vor nicht vemachlAssigt.
Neben dieser umfangreichen geschäftlichen Tätigkeit war es B. ein
Lebensbedürfnis, an allen Bestrebungen zur Lösung der sozialen und wirt-
srliaftlichen .\ufga1)en, insbesondere im Buchdruckgew e!l)C, sich /u beteiligen.
In ganz hervorragender Weise und mit seltener Lielie zur ."^ai he liat er teil-
genonnnen an der Errichtung lier Buchdrucker- Tariforganisation, an der
Bearbeitung des Tarifs und an der Durchführung desselben. Daneben hat
er eine umfessende Wirksamkeit entfaltet im Deutschen Buchdrucker-Verein,
der Deutschen Huchdnicker-Berufsgenossenschaft und im Bunde der Berliner
Buchdruckereibesitzer. Auch als Handelsrichter war B. lange Jahre tätig.
Quellen: Schmidt, Deutsche BuchlKindler, II!. Raiul; Korpdritioii-lierioht der Berliner
Buchhändler pro 1903; Zeitschrift fUr Deutschlands Buchdrucker 11^03 Nr. 33.
Ackermann, Friedr. Adolf, Kunstverleger, * 1833 in Schwerin, ? Sep-
tember 1903 in München. — A. genoß eine humanistische Sciiulbildung, die
er jedoch sehr frühzeitig unterbrach, um den Buchhandel zu erlernen. Nach
seiner in Celle verbrachten Lehrzeit ging er als Gehilfe nach Neubranden-
burg, wo er in Beziehungen zu Fritz Reuter trat Längere Jahre in Wien
und Berlin tätig, trat A. 1862 als Geschäftsführer in die 1806 gegründete
.Münchener Ihichhandlung von 1". A. Fleischmann und erwarb das Geschäft
zehn Jahre später als alleiniges Kigeiitum, von nun ab unter eigenem Namen
Adolf A. firmierend. Seit 1874 widmete sich A. aufs eifrigste dem Kunst-
verlage, den er namentlich auf dem Gebiete der Prachtwerkliteratur in neue
Bahnen gelenkt hat In gröflerem Umfange führte er zum erstenmal den
Mattlichtdruck ein, was auf die Preisstellung nicht ohne Einfluß blieb. Eigen-
artigkeit und Billigkeit seiner Prachtwerke, von denen wohl die Bildmappe
Hofmanns (icflenkc mein über starke .Auflagen erlebt hat, sicherten
seinem Unternehmen eine kaum geahnte \'erbreitung. Mehr als 700 Einzel-
nummern wertvoller Kupferdrucke umfafit sein Verlag. Selbst ein Kunstver-
ständiger und scharfer Kunstkritiker, hatte er im Laufe der Jahre eine maß-
gebende Stellung im Kunstleben der bayerischen Hauptstadt erlangt. Nach
seinen eigenen Anga!)en hat er an iV'i Millionen Mark unter die Künstler
gebracht und in seinen Kunstsalon, tler stets nut wertvollen Originalen beschickt
war, einen künstlerisciien Mitteljunikt zu stempeln gewußt.
Eine völlige Neuheit auf dem Kunstmarkt war sein Mitte der neunziger
Jahre des vergangenen Jahrhunderts begründetes PostkartenhauSf durch das
er mehrere tausend Nummern von Reproduktionen berühmter Gemälde in
Rudolf Schmidt.
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Ackennaim. Rflckanf.
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feinstem Kupier-, Licht- and Aqnarelldruck mit bedeutendem Erfolg auf den
Markt brachte.
A hat -^irli aiirh aN Schriftsteller mit Erfolg versucht. Neben seiner
ausi^L'zcichnctiMi Mi moi^; apliie über den Kunsthaiulel iuit A. eine Keihe von
Novellen und Kr/ahlungen aus dein Künstlerleben verfaßt.
Überdies ist A. als der bedeutendste Vorkämpfer für die zwischen dem
Deutschen Reich und der nordamerikanischen Union abgeschlossene Literar-
konvention zu nennen und ihm ist auch der Anstofl zu dem 1891 in New York
begründeten buchhändlerischen Zentralbureau zuzuschreiben.
Quellen: Schnaidt, Deutsche Buchhindler, 1. Band. Rudolf Schmidt.
Rückauf, Anton, Komponist, * 13. März 1855 zu Prag, f 19. September
1903 auf Schloß Erlaa ho\ .Xtzgerstiorf {Niederr)sterreich). — Schon in früher
Jugend wandte sich R. der Musik zu. Mit zwölf Jahren l)egann er die ent-
sprechenden Studien; lernte Klavier im Institute des berühmten Pädagogen
Proksch in Prag, speziell bei dessen Tochter Marie. An der Orgelschule,
unter Skohersky und Blaiek, bildete er sich in den theoretischen Fächern
und im Orgelspiel. Bald zeigten sich Früchte seines Talentes, seines Fleißes.
Lieder, Klavierstücke entstaiulen, aurli eine Ccllosonate, die in Prag zur Auf-
führung gelangte. 1875 verlor R. seint' .Mutter. i87<S übeisieilelle er luuli
Wien, wo er seines vortrefflichen Klavierspiels wegen bald gesucht wurde.
Auch kam er in die adligen Kreise der Auersperg, Ffirstenberg, Kinsky,
Schwarzenberg, Waldstein, zu denen er als Lehrer bereits in Prag in Be-
ziehungen getreten war. Auf Brahms Rat studierte er in Wien gründlich
Kontrapunkt bei Xottebohtn und Dr. Xavratil, Klavier bei I .eschetitzky (1885).
Sehr bald nach seiner Übcrsie<lolung nach Wien war er mit (lustav Walter,
dem berühmten Tenoristen, bekannt geworden, der sich lim als Begleiter er-
wählte. i88a — 1884 machten die beiden längere Kunstreisen nach Deutsch-
land. Diese Reisen, bei denen Walter mit Vorliebe Lieder seines Akkom-
pagnateuis sang, mögen auch die Wirkung gehabt haben, daß deutsche
Verleger auf den jungen Komponisten aufmerksam wurden. Von 1883 an
erschienen alle Werke R.s in Deutschland.
Um sich in Wien einmal in aller Form der Öffentlichkeit vorzustellen,
gab R. am 2. April 1883 ein Kompositionskonzert, mit welchem er entschie-
denen Erfolg hatte.
Von da an bekam R.s Tätigkeit eine ganz bestimmte Richtung. Durch
Walter zur Liederkoniposition angeregt, verlegte er sich mit Glück auf die
Lyrik, in der praktischen Musikübung namentlich auf das Akkompagnement
hervorragender Gesangskünstler in ihren Konzerten. Nebenbei gab er Lek-
tionen, in seinen letzteren Lebensjahren namentlich im Gesang. Reiche Kr-
lahrung und feinster Geschmack befähigten ihn, gerade auf diesem von zahl-
losen Halb- und Nichtswissem so schlecht bestellten Boden sehr günstige
Resultate zu erzielen.
Hatte er sich als Schaffender in erster Linie als lyrischer Meister betätigt,
so pflegte er — wiewohl in zweiter Linie — auch die Komj)osition von
Chorwerken (deren eines, das 1890 in Wien aufgeführte slavische Liedcr.spiel,
ganz entzückende Stücke enthält), von Kammermusikstücken, versuchte sidl
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Rlickauf. Giese.
in tlcn Jahren iSSS und iSSq an zwei unseres Wissens unvollendet j^eblie-
beneii Symphonien und trat einmal aucli mit einer Oper — seinem Schmerzciis-
kinde — hervor. Dies Werk, »Die Rosentalerin«, wurde unter des genialen
Dirigenten v. Schuchs Leitung erstmalig auf der Bühne der Dresdener könig-
lichen Oper am 8. Mai 1897 und am 12. Januar 1899 in Straßburg aufgeführt.
Weitere Verbreitunj; war der <)i»er nicht bescliieden. Das Fchischhigen aller
auf den Erfolg der ()|)er gegründeten Hoffnungen ließ eine tiefe Verstimmung
in dem mädchenhaft sensiblen R. zurück, die ihn wohl bis an sein allzu
frühes Grab begleitete. Zwei Jahre schweren Leidens erschöpften vollends
seine Kraft Auf dem Schlosse Erlaa des Herzogs Elimar v. Oldenburg schlofi
er die Augen, bis zu seinem 1 ode treu behütet von seinen ihn verehrenden
Freunden, Schülern imd Srhiiierinnen.
Eine öffentliche Stellung hat R. nur einmal bekleidet. Er war vom
5. Oktober 1899 bis etwa zwei Jahre vor seinem Tode Dirigent des »Evan-
gelischen Singvereins« in Wien, in welcher Eigenschaft er sich als tempera-
mentvoller, geschickter Kapellmeister erwies und den Verein ungemein förderte.
Die großen Wiener Institute haben ihn aber weder als Dirigenten noch als
Lehrer zu finden gewußt.
In seinen Liedern, die R. weitliin bekannt machten, verbindet sich schöne
Begabung mit eminenter Technik. In die Tiefen gewaltiger Leidenschaft
steigt er eben so selten hinab, wie er sich zu echter Heiterkeit erhebt. Überall
aber erfreut sein inniges, poetisches Wesen, seine vornehme, allem Gewöhn-
lichen abgewandte Natur. Genaueste Kenntnis der Gesangskunst ermöglichte
ihm sanglich zu schreiben, seine Meisterschaft auf dem Klaviere befähigte
ihn, auch den Begleitungspart interessant und charakteristisch zu gestalten.
R. ist daher ein vielgesungener, beliebter Komponist gewortlen. Seine persön-
liche Ehrenhaftigkeit und Noblesse sichern ihm die Verehrung aller, die ihn
kannten.
Werke: Lieder u. GesSnge op. i, 2, 3, 6, 9, 12, 14, 15, 16, 17, 18, 21, 22, 23, 24.
25, 3t> 27 Duette op. 11, »Russ. N'olkspooicn« f. gem. Ch. <>\\ 8. Lieder f. ul-m!. Ch.
Op. ly. Prälud. f. Kluv. »p. 4, 6 Stücke i. Kl. op. b, » Tanzweisen« fUr Klav. vierhändig,
Sonale f. VI. u. Kl. op. 7, Klavicr-C^uintett op. 13. — (Nach Mitteilangen Fri. Anna Pessiaks,
Fnm Anna Praschs und eigenen Notizen.) R. Heuberger.
Giese, Emst Friedrich, Architekt, * 16. April 1832 in Bautzen, f 12. Okto-
ber 1903 in Charlottcnburg. — Kr erhielt seine Schulbildung auf dem Gym-
nasium seiner Valerstarlt und besuchte darauf die damalige ]*olytechnische
Schule in Dresilen, die er mit der Auszeichnung der silbernen Medaille ver-
lieli, sodann von 1851 bis 1S55 die Königliche Akademie der bildenden
Künste in Dresden, wo er Schüler Nikolais war. 1855 erhielt er das große
Reisestipendium. Nach seiner Rückkehr ans Italien im Jahre 1858 veiband
er sich mit dem Architekten I'ernhard Schreiber. Bei dem Preisausschreiben
zur Festhallc de> ersten deutschen Sängerbundesfestes in Dresden im Jalire 1S65
erhielt d.s Entwurf infolge seiner künstlerischen, dekorativen Form, der des
Baumeisters Eduard Müller um seuier konstruktiven Vorzüge willen den ersten
Preis. Nach erneuter Bearbeitung beider Pläne, die gemeinsam zur Anwen-
dung kommen sollten, erhielt G. die äuflere und innere Ausschmückung der
Festhalle, für die Müller eine ganz neue Konstruktion erfunden hatte, über-
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Giese. Friedlaender.
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tragen. Die schwungvolle Belebung tler starren Masse eines über 80 Kllen
weit gespannten Mittelschiffes fand damals die höchste Anerkennung. Im
Jahre 1866 wurde er als Professor der Architektur an die Akademie in Düssel-
dorf berufen. Zwei Jahre später erhielt er einen Ruf an die Akademie in
Wien, den er aber ablehnte. Im Jahre 1872 kehrte er nach Dresden zurück
und entfaltete hier mit dem Architekten Friodricli Hartmann eine leibhafte
Bautätigkeit. 1S74 trat Haurat Paul Weidner in die Hautinna ein, die von
da an die Namen E. Giese u. Paul VVeidner führte. Ihre Tätigkeit war sehr
frochttMT und hatte sich großer Erfolge und Ehren bei vielen bedeutenden
Wettbewerben, bei denen sie oft den Sieg errangen, zu erfreuen. Sie bauten
das Rathaus in Hamburg 1876, das Reich.stagshaus in Berlin 1882, das Reichs-
gericht in Leipzig 1885, das Ausstellungsgebäude in Dresden 1888, Im
Jahre 1888 erhielten (iiese und Weidner den ersten Preis bei dem Wettbewerb
um den Hauptbahnhof in Dresden und damit zugleich den Auftrag der Aus-
führung. G. baute femer das Stadttheater (1873) und die Kunsthalle (1878) in
Düsseldorf, mit Weidner zusammen die Martin Lutherkirche (1882) in Dresden,
das Gewandhaus in Bautzen und ein Bankhaus in Zittau nebst vielen Wohnhäusern
und Villen. Die technische Hochschule in Dresden berief G. im Jahre 1878
als Professor der Architektur, in welcher Stellung er bis 1901 verblieb.
1892 wurde er zum ordentlichen .Mitgliede der Akademie des Bauwesens in
Berlin ernannt. Inzwischen löste sich die Firma Giese und Weidner am
I. Januar 1891 auf und Emst Giese gründete mit seinem Sohne Fritz Giese
eine neue Firma E. Giese und Sohn. Auch diese hat zahlreiche wichtige
Bauten ausgeführt, wie die Lukaskirche und die Pfarrkirche in Chemnitz, die
Kirche in ( hiaditz, »^echs große Zigarrettenfabriken in Dresden. Indessen mußte
(/. noch in hohem Alter die Härte dos S< hirksals crtalnon. Infolge schwerer
geschäftlicher Verluste, hauptsächlich hervorgerulen durch seine Beteiligung
an verschiedenen groflen Bau- und Immobilienbanken als Aufsichtsrat und
durch den Zusammenbruch des Etablissements Kiystallpalast, erkrankte G.
Er lieft sich am i. Juli 1901 pensionieren und zog nach Charlottenburg,
wo er 1903 starb. C gehörte jener Richtung an, die mit Ferstel in Wien
begann, auf die Renaissance, auf Brunellesco und Bramante zurückgeht. Er
war ein her\'orragender Vertreter des Dresdner Renaissancestils, wie er durch
Semper und Nikolai dort heimisch geworden war.
Vgl. H. A. Müller, >Allgem. Künstlerlexikon«, bgg. von Singer. — »Das geistige
Deatschhmd am Ende des XIX. Jahrhunderts.« I^eipsig-Berlin 1898. 1. Bd. Die bildenden
Künstler. — »Jahrbuch der bildcn<k"n Kunst.« Düsseldorf 1004. 3. Jahrg. S. loi.
Nekrolot;. — »Dresdner Anzeiger.« 174. Jahrg. Nr. 2S5. 14. Oktober 1903. .S. 7 u. 29. —
»Sachsens technische l^Iochschulc in Dresden.« Siebzig Jahre ihrer Entwicklung (i. .Mai 1828
bb I. Mai 1898) anf Gmnd handscbrifUicher und gedruckter amtlicher Quellen. Daigvstdlt
»OB Wilhelm Scheffler. Zweite (durchgesehene), inj Bildwerk veinu'hrtc (Huch-;.\u-;g.i1.c.
Drcvdcn 1899. — »illustrierte Zeitung.« Leipcig, a2. Juli 1865. XIA . Bd. Nr. ii si. 58
und t>y- Richard Stiller.
Friedlaender, Ernst, * 28. August 1841 /.u Herlin, f i. j.inuur 1903 ebenda,
entstammte einer Familie, die, seitdem der noch heute bekannte Berliner
Stadtrat und Freund von Moses Mendelssohn, David Friedlaender, in der Stadt-
wie in der Staatsverwaltung Einflufi gewonnen hatte, eine angesehene Stellung
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300
F^dlaender.
in (IcT Ik'rlincr (lost- lls( haft einnahm. F. hat die Traditionen seiner Familie
stets hochf^ehaltcn, bcsontlcrs aber waren es die für den N'ater (iottheb (siehe
Allg. Deutsch. Biogr. Bd. 48) charakteristischen Züge einer ausgeprägt christ-
lidien und politisch konservativen Gesinnung, sowie einer antiquarisdi-histo-
rischen Neigung« die für das Leben des Sohnes maßgebend wurden. Seine
Vorbildung erhielt er auf dein 1- ranzösischen G)rmnasium in Berlin und studierte
in Heidelberg und Herlin Jurisjuudenz , womit er indessen von Anfang an
historische Studien liei Haeu(3er, Ranke, Droyscn und Wattenbaeh verband.
Namenllirh Wattenbaciis paläographische C bungen, für die er auch als Zeichner
Sinn hatte, zogen ihn an. Noch vor dem eigentlichen Abschluß der Univer-
sitätsstudien trat er auf Veranlassung und nach dem Beispiel des Vaters in
den preußischen Archivdienst und wurde seit dem Januar 1866 als Archiv-
assistent in MOnster beschäftigt. Hier hat R. Wilmans auf ihn — nachdem
er als T.andwchrleutnant im i. Westfälischen Infanterieregiment Nr. i ^ den
Mainfeldzug mitgemacht hatte — sowohl in archivalisch-tcchnischer wie in
wissenschaftlicher Hinsicht einen gewissen KintiuÜ gewonnen. In selbstloser
innerlicher Bescheidenheit sowie in unbefangener Würdigung der ihm eigen-
tümlichen Begabung strebte er nicht nach dem Ruhm des darstellenden
Schriftstellers und suchte er seine Tätigkeit nicht auf dem eigentlichen Ge-
biete der Historie, zumal nicht auf dem (lebiet der politischen Historie,
sonilern beschäftigte sich mit \'orliebe mit den liistoi i^ Inn Hilfswissen-
schafien, der Diplomatik, Heraldik und Sphragistik, für die ihn auch sein
künstlerisch geschultes Auge befähigte. Er suchte namentlich aber durch
Herausgabe derjenigen schriftlichen Denkmale der Vergangenheit der Wissen-
schaft zu dienen, von denen er teils durch seine amtliche Tätigkeit, teils ,
durch andere äulSere Umstätule Kenntnis erhielt, und von denen er nach
seinen ausgebreiteten Iiteraris< iien Kenntnissen annehmen durfte, daü weitere
Bearbeitungen ihnen trotz seujcr meist nur kurzen einleitenden Bemerkungen
den Platz anweisen würden, an dem sie als Bausteine dem Ganzen dienen
könnten. Dies geschah auch bei einem sehr großen Teil seiner Veröffent-
lichungen, und damit war die Richtigkeit seines Urteils über ihren Wert
bestätigt, '/n diesen Verriffentlichungeti aber war er durch die ihm eigene
Sicherheit itn Kntziffern alter Handsrhrilten, seine guten Sprachkenntnisse,
sowie durch die unbedmgte Zuverlä.ssigke»t, die gewissenhafte Genauigkeit
und treue Sorgfalt, mit der er jedem sachlichen und sprachlichen Zweifel
unermüdlich bis zur Lösung nachging, ungewöhnlich befähigt. Diese Grund-
züge seines Charakters traten wie im l .cben überliaupt so auch im Geistigen,
in seiner wissenschaftlichen wie amtlichen Tätigkeit leuchtend hervor. Seine
vielseitigen, immer mehr anti(|uarischen als historischen, sowie seine amtlichen
Interessen brachten es dabei ohne besonilere Absicht mit sich, daß seine
Arbeiten die verschiedenartigsten Gebiete betrafen, die mittelalterliche deutsche
Rechtsgeschichte, Kirchengeschichte, Kunst- insbesondere Musikgeschichte,
westfälische und rheinische Geschichte, ostfriesische, allgemeine preußische
Geschichte, und — ein Gebiet auf dem er vornehmlich zu Hause war — die
Topographie. S( hon die erste Schrift über das Kinlager, mit der er im Jahre 1868
zu Rostock promoviert wurde, zeigt F.s Eigenart sowohl in der Wahl des
Stoffes wie in der Behandlung. Mit glücklichem Griff hatte er ein Gebiet
bearbeitet, das damals noch etwas abseits vom Wege lag und hatte dafür
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Friedlaender.
301
ein erstaunlich großes gedrucktes wie ungedrucktes Material aus allen Ländern
deutscher wie auch etlicher französischer Zunge zasammengebracht und zum
grofien Teile abgedruckt, das der Schrift auch heute noch ihre Bedeutung
sichert. Nach mehr als einer Richtung hin entsprach es seinen Neigungen,
daß er der Erstlinfrssc hrift schon 1870 tlic Herausgabe der von R. Wilinans
aufgefundenen Kirchenordnung der (irafsrhaft 'I"e( klenburg von 1343 folgen
lassen durfte. Doch wurde die \orbereitung weiterer Arbeiten zunächst
durch den Feldzug von 1870/71 unterbrochen, bei dem er das Unglück
hatte, wegen eines hartnäckigen Fufiübels zum Adjutantendienst bei der
Etappe Trier kommandiert zu werden. Kin anstrengender Bureaudienst, später
beim Ersatzbataillon in Wesel, entschiidif^te dei^ ptli( hteifrigen preußischen
Offizier nicht für den Kumincr, die (icfahrcn der Kameraden nicht teilen zu
dürfen. Heimgekehrt widmete er sich der von ihm schon m die Wege ge-
leiteten weiteren Arbeit und gab dem Wilmansschen Plan einer vollständigen
Herausgabe aller Traditionsgflter und Heberegister der Provinz Westfalen die
erste Gestaltung durch Hcr iuNL' ibc des Heberegisters des Klosters Frecken-
horst nebst Stiftungsnrkunik-, l'fründrordiiung und Hofrecht (1872). Die
mittel, ilit'ii irlie ( jeo^'raphic eines groüen l'eils von Westfalen erhielt datlurch
ihr Fundament und der Forschung für die gesellschaftlichen Zustände und die
ländliche Bewirtschaftung jener Zeit und Gegend wurde reiches und wichtiges
Material zugeführt. Ebenfalls schon vor dem Kriege hatte er begonnen, Haus-
marken zu sammeln, er konnte auf besondere Anregung Homeyers noch im
Herbst 1S71 eine Sammlung von 600 westfälischen { /eitschr. f. vaterl. Gesch.
Westtalens . Bd. 30) und schon im Jahre darauf eine solche von 1600 ost-
iriesischen Hausmarken (»Jb. d. Ges. f. bild. Kunst zu Emden«, Heft 2) hcraus-
* geben. Das war ganz eine Arbeit nach seinem Sinn, es war aber zugleich
ein »bemerkenswertes Zeichen geschickten und sachkundigen Sammeleifers«,
das den Boden der Forschung erheblich erweiterte. Daneben fand er noch
Zeit, sich mit einem, seinem Arbeitsgebiet fern liegenden Gegenstand zu be-
schäftigen und in der »Zeitschr. f. preuß. Ges< hi( htc (Jahrg. 12) eine akten-
mäßige Darstellung der (Jeschichte derjenigen 1 rajipisten zu veröffentlichen,
die nach der Vertreibung aus Frankreich durch die Revolution erst nach der
Schweiz geflüchtet waren und dann im Münsterlande ein Asyl gefunden hatten,
aber auch aus diesem durch Jeröme vertrieben waren, deren Reste indessen
noch bis zum Jahre 1824 der preußischen Regierung manche Schwierigkeiten
machten.
Seit dem i. April 1872 als erster ])reußischer Archivbeamter, uiul zwar
als kommissarischer Vorstand, an das in Aurich neu errichtete Staatsarchiv
versetzt, begann er eine neue Periode seiner archivalischen Amts- und seiner
Editionstätigkeit. Die Hauptbestandteile des Archivs brachte er erst zusammen
und ordnete sie, so dafi er als der eigentliche Gründer des Archivs in Aurich
betrachtet wird. Neben einer sehr großen Zahl kleinerer Aufsätze meist kultur-
geschichtlichen Inhalts im ; ( )stlriesis( hen Monatsblatt und in der Zcitschr.
f. Kulturgesch. ^ veröffentlichte er aus den Beständen des Auricher Archivs
Briefe des Aggaeus de Albada aus den Jahren 157Q— 1584 (Leeuwarden 187 1),
eines schwärmerischen Anhängers Schwenkfelds, der auf dem, für die Trennung
der evatigcli sehen von den katholischen Provinzen der Niederlande bedeutungs-
vollen Kölner Pazifikationskongrefi von 1579 als Wortführer der staatiscben
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302
Friedlaender.
Gesandten die Hauptrolle spielte. Die Bedeutunf^ und den historischen Zu-
sammenhang dieser Briefe hat Max Lossen näher (Theol. Litbi. 1875 und
Raumers Taschenb. 1876) erläutert Vor allem aber begann er hier die
umfassende Publikation des Ostfriesischen Urkundenbuchs, in dem er von
1874 — 1887 in zwei Bänden mehr als 1800 Urkunden aus der Zeit von 787
bis i$oo veröffentlirlite, durch die er eine wissenschaftliche Bearbeitung der
ebenso reichen wie ci^cntuniiii heu niittelalterliclien Geschichte Ostfrieslands
überliaupt erst ermöglichte und sich dadurch ein hohes bleibendes V erdienst
erwarb, das friesische Geschichtsvereine in Deutschland und Holland durch
Verleihung der Ehrenmitgliedschaft gebQhrend anerkannten.
Diesem ihn nach jeder Richtung hin voll l)cfriedigenflen und glücklichen
Lehen wurde er schon im ()ktol>er iSy j duK h seine Berufung an das Ge-
heime Staatsarchiv in Berlin entzogen. Hier al>er fand er nun den Ort, wo
er durch seine allmälig erworbene genaue und gründliche Kenntnis der
Archivalien bei der immer zunehmenden Zahl der Benutzer jene unbegrenzte
und unermüdliche liebenswürdige Dienstbereitschaft und Gefälligkeit ausüben
konnte, die dem ihm als Grundsatz fiir den Beruf des Archivars geltenden Wort
.l/iis inscnücfuio comumor entsprach, die aber ihren rrs]>rung recht eigentlich
in seinem, aucli hierin religiös emi)tindenden Herzen hatte. Durch sie
erwarb er sich den Anspruch auf Dankbarkeit der weitesten Kreise, von
den Kor^'phäen der Wissenschaft und des Generalstabes bis zu dem jungen
Studenten, der Material für seine Dissertation suchte. Den früher bearbeiteten
Gebieten wurde er zwar keineswegs fremd, vielmehr fand er neben der um-
fassenden T.ntigkeit für das Ostfriesische l'rkundenbuch noch Zeit namentlich
mehrfach urkundliche Ikitrage zur Geschichte Rheinlands und Westfalens
(Picks, «Monatsschrift f. rhein. und westf. Gesch. I, II, Vn,> Zeitschr.d. Bergischen
Gesch.-Ver.« Jahrg. 32) herauszugeben. Doch dehnte er jetzt in natürlichem
Anschluß an die Berliner Archivalien sein Arbeitsgebiet auch aus auf neuere
preußische Geschichte, für die er früher nur mehr gelegentlich (Beriiner Gar^
nison-Ghronik für die Jahre 1727 — 39, Heftgder »Schriften des Berl. Gesch.-Ver.«
1873) hatti' tätig sein können. Indessen nennen wir hier nur das »Protokoll
über die Kontributionen und Kriegskosten des Oberl)arniinschen Kreises aus
den Jahren 1630—1634- (Miirk. Forsch., Bd. 17) und namentlich König Friedrich
Wilhelms I. Entwurf zu der »Instruktion für das Generaldirektorium und König
Friedrichs II Anmerkungen dazu«, deren Abdruck in der »Zeitschr. f. preufi.
Gesch.« 1880 auf lange Jahre hinaus und bis zum Neudruck in den Acta
Boru<.stca von der gröliten Bedeutung für die Forschung wurde. Von seinem
Interesse fi.ir die historischen HilfswisM iischaftcn zeugt ein .Aufsatz über die
Kntstehung des Wappens der Stadt l^renzlau (Mark. Forsch., Bd. 20). Dafür
wird auch, was besonders hervorzuheben ist, für lange Zeit die durch ihn mit
großer Neigung ausgeführte Pflege der sphragistischen Sammlung des Geheimen
Staatsarchivs zeugen,
Anfang der achtziger Jahre erhielt F. von der Berliner .\kadcmie den
Auftrag, für ilie Savignv-Sliftung mit dem Bologneser .Vrchivdirektor .\Ialagola
die Acta luithmis Gcrmanimc iiniversitath JSononictisis herauszugeben. Schon im
Jahre 1887 (Berlin, Reimer) erschien dieser stattliche Urkundenband, und war
damit »mit seltener Ausdauer, entsagungsvollem Fleiß und großer Geldirsam*
keit« ein Werk geschaffen, das hauptsftchlich in dem fost z'/x Jahrhunderte
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Ifriedlaender.
fortlautenden Verzeichnis der Mitglieder d^tx Aatio germanica an der Universität
Bologna der Forschung auf rechts-, kultur-, kirchen- und familiengeschicht-
Uchem Gebiet eine breite Grundlage gab und den Einflufl der italienischen
Bildung auf die deutsche zumal in der Renaissancczeit zeigte. In nicht weniger
als neu!Tiä1iriper Arbeit hat G. C. Knod (iSqq) (lur« h einen 70^ Seiten starken
erläuternden I)i()graj)hischen Index, den Moninisen vi-riiiilitc, naher erwieMii,
welche Bedeutung in der Ausgabe steckt und damit zugleich gezeigt, dali
es eine zu weit gehende Forderung war, auch diese Leistung vpn dem ersten
Herausgeber erfüllt zu sehen. Übrigens unterschätzte nach Luschin von Eben-
greuths Urteil, dem wir hier folgen, aucli Knod die Ausgabe sehr, obwohl
beispielsweise der von F. angelegte ausfülirliche (75 «Ireispaltige Seiten um-
fassende) Index auch nach iler Arbeit Knods dem Leser nicht überHüssig sei.
Hatte aber F. schon 1875 durch Arbeiten über die Rheinländer und
Westfalen auf der Untveisität Prag (Picks »Monatsschrift« I) und über ost-
friesische Studenten in Prag und Wittenberg (»Ostfries. Monatsblatt« 1875) sein
Interesse für dies Cn biet gezeigt, SO sollten ihn ähnliche ruljlikatiiMun noch
eine Reihe von Jahren beschäftigen. Es sind dies <iic Matrikeln der L'niver-
sitaten Frankfurt a. t). und Greifswald, die er unter Mitwirkung von Liebe,
Theuner, Granier und v. Petersdorff von 1887 bis 1895 in fünf umfangreichen
Bänden mit den mühseligsten Registern in den »Publikationen aus den
Königlich preufiischen Staatsarchiven« herausgab. Auch sie wurden alsbald
von der Lokalgeschichtsforschung zum Nachweise des Bildungsstandes in der
Mark und in Pommern, sowie der wissenschaftlichen Beziehungen dieser Länder
7-u anderen Landschaften, der Familiengeschichte u. a. reichlich ausgenutzt,
sie hatten aber vom Herausgeber eine so ungewöhnliche Entsagung er-
fordert, wie sie auf die Dauer einzusetzen eigentlich nur F. mit seiner An-
schauung von der Aufgabe des Archivars, für andere zu arbeiten, fähig war.
Er hatte sich ihr ebenso bereitwillig unterzogen, wie er für die »Allgemeine
deutsche Biographie eine sehr große Zahl und zwar hauptsächlich gerade
die Artikel schriel), die andere nicht übernehmen mochten. Eine große Freude
war es für ihn, als eine weitere gr()liere Publikation — es sollte seine letzte
sein — »Berliner geschriebene Zeitungen a. d. Jahren 1715— 17 17 (Heft 38
der »Schriften d. Ver. f. Berl. Gesch.« 1902. 172 S.), allseitig gleich günstig
und anerkennend begrüflt wurde. Entsprach sie doch ebenso seiner Neigung
für König Friedrich Wilhelm L wie seiner Liebe zu seinen Ostfriesen, da die
Nachrichten über den Berliner Hof handelten und an den Fürsten von Ost-
friesland gerichtet waren. ()bwohl er die westfälis( hen und ostfriesischen
Arbeiten auch jetzt noch nicht aus den Augen lieli, sogar für das üst-
friesische Urkundenbuch einen Ergänzungsband plante, hatte er inzwischen
überdies noch eine Anzahl kleinerer Arbeiten zur preuflischen Geschichte
veröffentlicht, von denen hier nur genannt sein mögen »Blüchers Austritt
aus dem Heere (Br.indenburgisch-jireußische I'orschungen XII) und nament-
lich die »Beiträge zur (ieschichte der Landesaufnahme in Brandenburg-
Preußen unter dem Grotten Kurfürsten« im Hohen/ol lern -Jahrbuch 1900,
bd deren Bearbeitung er seinen alten topographischen Neigungen erfolgreich
nachgehen konnte. Dem HohenzoUem-Jahrbuch war er überhaupt und von
Anzing an, wie der Herausgel)er ihm nachrühmt, ein warmer Freunil und För-
derer, da die hier vorliegende Verbindung exakter Forschung brandenburgisch-
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Friedlaender. StrauB.
preußischer Geschichte mit meisterhaft geübter Kunst seinem eigenen Wesen
voll entsprach. Denn er, der sich begnügte mit der oft trockenen Editions-
arbeit und es neidlos anderen überließ, aus ihnen das wissenschaftliche Krgebnis
zu ziehen, war zugleich ein feinsinniger und wohlgeschulter Kunstkenner. Nach
der Tradition seiner Familie Sammler mit ebensoviel Eifer wie Verständnis,
der rasch sah und kaum etwas übersah, zumal auf dem Gebiete des Kupfer-
stichs, war er zugleich musikalisch hoch gebildet, besuchte viele Jahre hin-
durch die Konzerte der Berliner Singakademie, spielte mit sicherem Takt
für die Intentionen des Tondichters und jede Freiheit der Interpretation ab-
lehnend vornehmlich Mozart, Bach und Händel, veröffentlichte auch mehrere
Beiträge für die Geschichte Mozarts, Händeis und Zelters (»Mitt. f. d. Mozart-
Gemeinde« 1897 u. 1902, »Voss. Ztg.« 1893 Sonntags-Beil. 26/28, »Monatsschrift
f. Musikgesch.« 1874), ebenso aber auch für die Dürers (»Jb. d. preuß. Kunst-
samml.« XII), Cranachs, (»Im neuen Reich« 1873), Leygebes (»Ztschrift für
Numismatik« XIV). — In allem zeichnete ihn der Vorzug der Einfachheit aus.
Verheiratet mit Sophie geb. v. Baurmeister seit dem 13. F"ebruar 1870, öffnete
er sein Haus gern für eine edle, harmonisch abgetönte Geselligkeit. Voll
zarter Schonung gegen Andersdenkende war er von reiner, echter, auch durch
trübe Lebenserfahrungen unerschütterter christlicher Frömmigkeit, und kirch-
lich rechtgläubig, sowie ein regelmäßiger Gast im Gotteshause stellte er seine
ganze Lebensführung unter die Vorschriften des Evangeliums, leistete aber
auch der Kirche nicht nur durch eine im Stillen geübte ausgedehnte Wohl-
tätigkeit, sondern auch durch zeitraubende Tätigkeit im Vorstande christ-
licher Vereine und als Mitglied des Gemeinilerats der Kirche, in deren
Sprengel er wohnte, wesentliche Dienste. — Mehrere Jahre am Herzen leidend,
wußte er, daß er einem hoffnungsvollen Sohn, den er in der Blüte der Jahre
dahinsterben sah, bald folgen werde. Am Neujahrsmorgen 1903 ist er zu
Berlin verschieden.
Nach Mitteilungen der Familie und von Alfred Dove, sowie nach Rezensionen und
persönlicher Kennuii^. Fernst Berner.
Strauß, Emil, Verlagsbuchhändler, ♦ 18. August 1845 in Köln, f $1. August
1903 in Bonn, — Im Gymnasium gebildet, begann St. seine buchhändlerische
Lehrzeit in der Buchhandlung von Adolf Marcus in Bonn, war später in
Frankfurt a. M. und Berlin tätig, kehrte aber am 1. Juli 1870 nach Bonn zurück,
um ilas 18 18 begründete Sortimentsgeschäft seines früheren Lehrherrn unter
der Firma Marcussche Sortimentsbuchhandlung zu übernehmen. 1873 begann
er durch die Übernahme der Werke seines geistesgewaltigen Verwandten
David Friedrich Strauß .seine verlegerische Selbständigkeit. Dazu kamen im
Laufe der Jahre, wie das die Verhältnisse der Universitätsstadt mit sich
brachten, fachwissenschaftliche Werke aus allen Disziplinen. Auch die
gelehrte Zeitschriftenliteratur wurde von St. begünstigt, wie das »Archiv für
gesamte Physiologie« und das Zentralblatt f. allgemeine Gesundheitspflege^ u. a.
beweisen. 1886 ging der ganze landwirtschaftliche Verlag an Gebrüder
Haering in Braunschweig über. Die Sortimentsabteilung erwarben 1891 Röhr-
scheid und Ebbecke, und 1892 trat St. seine 1889 errichtete Zweigstelle in
Godesberg an den Buchhändler Passarge ab.
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Strauü. Krause.
Seitdem erweiterte St. planmäfiig seinen Verlag und verband damit 1894
ein wissenschaftliches Antiquariat, für das er eine Ausliefeningszweigstelle in
Leipzig errichtete. Den Begriff des sogenannten modernen Großantiquariats
hat St. in den IUuhh;uuiel eingefülirt; aucli gab er (he .Anregung zu der
liainals bald allgemein werdenden Einführung der vt-rlegerischen Selhstan/eigen
ni l agesbhittern und Zeitschriften. In der letzten Zeit seiner \ erlagstätigkeit
wandte er sein Interesse besonders dem landschaftlichen Kunstverlag zu,
welches ihn u. a. die prächtigen Radierungen Mannfelds auf den Markt
bring«! ließ.
In buchhändlerischen Kreis- und Ortsvereinen, sowie im Börsenverein
der deutschen Buchhändler unil dessen Ausschüssen war St. lange Jahre als
Vorstandsmitglied tätig. .\uch im i)ffcntlichen Leben Bonns nahm er eine
hervorragende Stellung ein. Die Bonner Bücher- und Lesehalle in der
Quantiusstraße ist sein Werk; daneben war er unermOdlich tätig im Aufsichts»
rat der »Bonner Zeitung«, die er gelegentlich auch durch schriftstellerische
Erzeugnisse, wie z. B. seine packenden Alpcnschilderungen, unterstützte.
Nach seinem Tode ging der Verlag an Alfred Kröner in Stuttgart über.
Rudolf Schmi(i.t.
Krause, Ernst Ludwig, naturwissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher
Schriftsteller, weiteren Kreisen unter dem Pseudon3rm Carus Sterne bekannt,
♦ 22. November 1839 zu Zielenzig, f 24. August iqo.^ in Kljerswalde. —
.Nachdem K. die Schule seiner Vaterstailt durchlaufen hatte, bereitete er sich
füY den .Apothekerberuf \()r. Die Beschäftigung nn't der Chemie und I^otanik
erweckte sein lebhaftes Interesse, so daß er best hloli, sich ganz dem Stutlium
der Naturwisscnscluiften zu widmen. Als fleißiger Autodidakt benutzte er
jede freie Stunde, um die Werke der großen Naturforscher aller Zeiten zu
lesen. Unterstützt durch ein ausgezeichnetes Gedächtnis, eignete er sich im
Laufe der Jahre eine sehr vielseitige, wenn auch nicht überall tief eindringende
Bildung an. Naclidem er die staatliche .Xpothekerprüfung f)est.inden liatte,
hörte er an der P.erliner rniversitäl allerlei natur\vis>ens< liaftli» he \'or-
lesungen. Wertvolle .Anregungen empting er namenllii h, wenn aut h nur sehr
kurze Zeit, durch den großen Physiologen Johannes Müller, dem er stets ein
dankbares Andenken bewahrte. Gegen Ende der fttnfeiger Jahre geriet er in
die Kreise der Spiritisten, die damals auch in Deutschland durch verblüffende
Ex]ierimcnte viele Anhänger gewannen. Er vermochte sich indessen mit ihrer
Lehre nicht zu befreunden, sondern war bemüht, die von ihnen gezeigten an-
geblich wunderbaren Erscheinungen, besonders das l'ischrücken, auf natür-
lichem Wege zu erklären. Dieses Bestreben fOhrte ihn zur Veröffentlichung
seines ersten größeren Werkes: »Die Wahrsagung aus den Bewegungen leb-
lo.ser Körjier unter dem Einfluß iler menschlichen Hand (Daktylomantie).
Ein kulturgeschichtlicher Ver>uch« (Weimar i86.?). Dasselbe erregte viel
Aufsehen, so daß er bald darauf ein neues Buch ähnlichen Inhalts herausgab :
»Die Naturgeschichte der Gespenster. Physikalisch-physiologisch-psychologische
Studien« (Weimar 1863). In den nächsten Jahren beschäftigte er sich, ange-
regt durch die Schriften des großen Forschers Matthias Jakob Schleiden,
vorzugsweise mit botanischen Untersuchungen. Als deren reifste l'rucht er-
schien eine umfängliche Arbeit über »Die botanische Systematik in ihrem
Biagr- Jahrbadi o. DmrtMW Nckroloi;. t. Bd. ao
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306
Krause.
Verhältnis zur Morpliologie. Kritisclie Verglcichung der wichtigsten älteren
Pflanzensysteme nebst Vorschlägen zu einem natürlichen Pflanzensystem nach
morphologischen Grundsätzen« (Weimar 1866). Kurz nach der Vollendung
dieses Werkes siedelte er nach Berlin über, um die großartigen wissenschaft-
lichen Hilfsmittel der Rei( hsh;ni|)tst;ult be(]uem zur Hand zu haben. Nun
verfolgte er systeninliM Ii alle w ichtigen literarischen l'>rscheinungen aus <\cm
( les initiichietc det Naturwissenschaften. Was liotaniker und Zoologen,
Mineralogen umi (ieologen, Physiker und Chemiker, Physiologen und
Mediziner, Biolugen, Geographen, Astronomen und Gelehrte aus den ver«
wandten Wissensgebieten als Ergebnisse ihrer Forschungen veröffentlichten,
suchte er in sich aufzunehmen und für weitere Kreise der Gebildeten in
gemeinverständli<~her l''orin zu }>ehan<!eln, teils in unzähligen kleinen Auf-
sätzen für |)o|)uliire Zeitschriften und lagc^hlätter, teils in umfangreichen
Büchern. Das bekannteste unter diesen, das er selbst als ein Volksbuch
bezeichnete, führt den Titel »Werden und Vergehen. Eine Entwicklungs-
geschichte des Naturganzen in gemeinverständlicher Fassung« (Berlin 1876;
6. AuHage, neu bearbeitet und herausgegeben von Wilhelm Bölscbe, ebenda
1904). Das anregend geschriebene und durc h viele Abbildungen erläuterte,
wenn auch hier und da an der Oberfläche haftende Werk, das er seinem
Freunde Ernst Häckel widmete, fand weite Verbreitung und hat wesentlich
dazu beigetragen, den Darwinismus und die monistische Weltanschauung in
Kreise zu tragen, die sonst kaum etwas näheres darüber erfahren haben
würden. Von den Theologen aller Bekenntnisse wurde es stark angefeindet,
dagegen fand es den Beifall vieler Sachkundigen, namentlich auch Charles
Darwins. Mit dessen Lehren hatte sich K. schon seit dem Krscheinen des
grundlegenden Hiiclies über den rrspiting der Arten eingehend be-
schäftigt. Bald wurde er ein eifriger .\nlianger der neuen einheitlichen Welt-
anschauung, und er suchte sie in den weitesten Kreisen zu verbreiten, vor
allem durch die Zeitschrift Kosmos, die er von 1877 bis 1883 gemeinsam
mit Häckel herausgab. Aui h auf die Verdienste von Darwins Grofivater
Krasmus um die Mntwicklungslehre wies er hin durch die Schrift Erasmus
Darwin und seine Stellung in der (beschichte tler Deszendenz Theorie. .Mit
seinem lA-bens- und Charakterbilde von Charles Darwin (Leipzig 1880, neue
Ausgabe ebenda 1888, auch ins Englische übersetzt: Li/e of Erasmus Darmn
witk a preiitninary notkt of Charles Darwin, London 1883). Späteibin war er
noch vielfach für die Verbreitung des Darwinismus tätig, namentlich durch
seine Aliliandlung > Charles Darwin untl sein \'erhältnts zu Deutschland«
(T.eijizig 1.SS5) und durch eine ('l>ersetzimg der in Deutschland wenig be-
kannten kleineren Schriften Ch. Darwins (2 Bände, Leipzig 1885 — 1886, neue
Ausgabe ebenda 1888 — 1889). Die Theorie des großen englischen Natur-
forschers über die Abstammung des Menschen vertrat er in den Werken »Die
Krone der Schöpfung, Essays über die Stellung des Menschen in der Natura
(Tcschen i88.j), »Statistischer Beitrag zur Erblichkeitsfrage bei Geisteskrank-
heiten < (Jena 1885) und Plaudereien aus dem Paradiese. Der Naturzustand
der Menschen in Wahrheit und Dichtung« (Teschen 1880). Auch für seine
botanischen Studien empfing er durch die Werke des Meisters über insekten-
fressende Gewächse, über die Kreuz- und Selbstbefruchtung und über das
BewegungsvermOgen der Pflanzen neue Anregungen, die er dann in zwei mit
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Krause. Fränkel.
schönen Farbendrucktafeln geschmückten Büchern über »Sommerbluincn«
(Prag und Leipzig 1883— 1884) und »Herbst- und Winterblumen« (ebenda
1884 1885) verwertete. Die Folgerungen, welche sich aus dem Darwinismus
für die allgemeine Geisteskultur der Menschheit und insbesondere für die
Kunst ergaben, suchte er gleichfalls in zwei umfänglic htii Werken darzu-
legen: Die alte und die neue Weltanschauung. Studien iil)er die Kiitsi-l der
Welt und des l^eben.s (Stuttgart 1887 1889) und »Natur und Kunst. Studien
zur Entwicklungslehre der Kunst« (Berlin 1891). Minder erfolgreich
waren seine Bemühungen, auch historische und volkskundliche Probleme im
Lichte der F.ntwicklungsges( hichte zu behandeln. Kr begab sich hier auf
ein (iebiet, das er nicht als l-achinann heherrst hie. Di slialh wurde sein
phantastisches Werk Tuisko-Land, der arischen Stinnnie und (lötter l'r-
heiniat, Krläulerungen zum Sugcnscliatze der Veden, Edda, liias und Oilyssee«
(Glogau 1891), in dem er den Beweis erbringen wollte, dafi die nordischen
Sagen und Sagenformen viel ftlter und ursprünglicher sind als die indischen,
griechischen und römischen, \on der Kritik fast einstimmig abgelehnt. Er
ließ sicli indessen nicht absi lire( ken, sondern veröffentlichte zwei weitere
Schriften ahnlichen Inhalts: Die i rojaburgen Nordeuropii--. ihr Zusammen-
hang mit der indogermanischen Trojasage von der entführten uiui gefangenen
Sonnenfrau, den Trojaspielen, Schwert- und Labyrinthtänzen zur l eier ihrer
Lenzbefreiung. Nebst einem Vorwort über den deutschen Gelehrtendünkel«
(Glogau 1893) und »Die nordische Herkunft der Trojasage, bezeugt durch
den Krug von Tragliatella« (ebenda 1893), in denen er seine Gegner in
wenig ghicklicher und darum auch wirkungsloser Weise bekämpfte und zu
widerlegen suchte. Da er sich indessen bald (iberzeugte, daß er auf diesem
Gebiete zu keinen gesicherten Ergebnissen gelangen würde, wendete er sich
wieder ganz den Naturwissenschaften zu, denen auch sein letztes Werk
»Geschichte der biologischen Wissenschaften im 19. Jahrhundert« (Berlin 1901,
Band 12 der von Georg Stockhausen herausgegebenen Sammlung: Das deutsche
Jahrhundert in f-inzcl-i htiften) angehört. Neben diesen selliständigen Schriften
h.it er eine unühersehliare Zahl von kleinen Aufsätzen und Plaudereien
mannigfachsten Inhalts in verschiedenen Zeitschriften und Tagesblättern,
namentlich in der Gartenlaube, dem Prometheus und der Täglichen Rund-
schau veröffentlicht Auch viele Artikel in Meyers Konversationslexikon
rühren von ihm her. Wenn er auch auf keinem Gebiete selbständige
Forschungen von dauerndem Werte hinterließ, so dürfen dix h seine \'er-
dienste um die Popularisierung der Wissenschaft und damit um die \"er-
breitung der Volksbildung und Aufklärung nicht gering gesthätzt werden.
Auch war er einer der ersten, der die universelle Bedeutung der Entwicklungs-
lehre und ihre Anwendbarkeit auf alle Wissensgebiete erkannte.
ITnterhahimgsbeiliige zur Täglichen Rundschau Nr. 300 vom 27. August 1 903, S. 799.
— Ulostiierte Zeitung Nr. 3140 vom 3. September 1903, S. 335—337 (>>'<t Hildni^).
Viktor Kautzsch.
Fränkel, Max, Doktor, Professor, * am 11. März 1846 zu Landsberg an
der Warte, f am 10. Juni 1903 in Berlin. — Vorgebildet in seiner Vaterstadt,
war es ihm nur gegönnt, das dortige Realgynmasium bis zur Prima zu be-
suchen; 1863 wurde er nach Berlin geschickt, um im Buchhandel ausgebildet
20*
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zu werMen. Die Lifl)c' zur Kuiist utid der 'l'riih ikk h IJildunp aber licwo^a-ii
ihn, jede freie Sluiule /um Studium zu benutzen; er ver\ uUsiamligte seine
Kenntnisse in der lateinischen Sprache und lernte die griechische Sprache
ohne Lehrer. Sechs Jahre schwerer Arbeit, die er in seiner Vita mit Recht
annos, hcrckf haud bcatos nennt, verbrachte er in Berlin, bis er im Jahre 1868
ins Vaterhaus zurü< kkeliren durfte, um sirh für das Abiturienten-Examen vor-
zubereiten. Naclidem er dies am 11. September 1S69 bestanden, bezo^' er
die Universität Berlin, wo er sieben Semester Vorlesungen hörte un<l sich
besonders an Emst Curtius und Kirchhoff anschlofi. Diesen widmete er
seine Doktor-Dissertation: De verins pvHaribus, ^mlms apera stafuaria Graeci
nokidimt» auf Grund deren er am 2. Juli 1873 das Doktorat erhielt. Am i. April
1875 wurde er provisorisch, mit i. April 1876 definitiv bei der lUbliothek der
könijilirheii .Museen angestellt und l>lieb in dieser Stellung bis zu seiner am
I. Oktober 1890 erfolgten Pensionierung; durch Zuckerkrankheit war er ge-
zwungen, seine Stelle als Hibliothekar niederzulegen. Vom Jahre 1876 bis
1885 war er als Redakteur der Archäologischen Zeitung tätig und leitete
auch die Herausgabe der beiden ersten Bände des Jahrbuchs des kaiserlich
deutschen Archäologischen Instituts, das an die Stelle der Archäologischen
Zeitung getreten war. 'I'rotz meiner Krankheit widmete er sich der wissen-
schaftlichen .Arbeit und übeniahm iSo:; die .\ufgabe, die Inschriften de^
Peloponnes für das Corpus inscriptionion Unitnirum herauszugeben; er bereiste
1896 zweimal den Peloponnes und sammelte trotz der ungünstigen Witterung
reiches Material, von dem er nur einen Teil verarbeiten konnte, der 1902
als Band I der Jnscriptio/us Graccac Piloponnesi etc., nach der neuen Bezeich-
nung KilV, erschien, l^ber den Vorarbeiten zum 2. Bande raffte ihn der
Tod dahin. Daß er trotz der (luälenden Krankheit viele Jahre der Arbeit
widmen konnte, hatte er der liebenden Fürsorge seiner Gattin und Kinder
zu danken: eine Tochter bildete sich in der klassischen Philologie aus, die
jttngste begleitete ihn in den letzten Jahren auf seinen Reisen und folgte ihm
drei Monate später ins Grab.
Dies Lebensbild bietet uns eine Erklärung für manche Züge, die sich in
Fr.s Schriften finden oder wenigstens nach Anschauung mancher Kritiker finden
sollen. \'or allem anzuerkennen ist der FleilJ und die feste Willenskraft, die
es ihm ermöglichte, die Hindernisse zu überwinden, die seiner Ausbildung
entgegenstanden: erst als 23 jähriger Mann konnte er das Abiturienten-Examen
ablegen; das erscheint unserer jungen Generation, die sich in dem gleichen
Alter oft schon in Amt und Würde befindet, unverständlich. Was Fr. mit
solcher Mühe erreicht, darauf konnte er wahrhaft stolz sein und sich höhere
Ziele stecken, denn ihm erschienen sie erreichbar. Warum sollte ein solcher
Mann nicht selb.stbewulit sein? Unsere heuligen jungen Gelehrten sind es
nicht minder, ohne gleichen Fleifi und gleiches zu zeigen. Fr. selbst gönnte
sich keine Schonung; seine Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit werden all-
gemein anerkannt. Wenn er vielfach verkannt wurde, mußte es ihn verbittern.
Er selbst erkannte neidlos fremdes \'erdienst an und s( hatzte seine Mit-
arbeiter. Als Redakteur glaubte er in seiner Gewissenhaftigkeit für alles
einstehen zu müssen, wodurch gewiß manche Reibung entstand. Seine
Tätigkeit beschränkte sich nicht auf ein etiges Gebiet: Archäologie, Epi-
graphik und griechische StaatsaltertUmer waren sein weites Arbeitsfeld, auf
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Ffankel. Hartwig.
309
dem er Tüchtiges leistete. Der Schedenapparat der T^tuH Asiae mauris
ist ihm besonders dankbar für die Sammlung der Inschriften von Pergamon.
Anerkannt wirtl Fr.s Akribie auch in der Kleinarbeit, ohne die [gerade
auf seinem Arbeitsgebiete nichts geleistet werilen kann. Schon seine oben
genannte Doktor-Dissertation gibt Zeugnis davon. Im Jahre 1877 erschien:
»Die attischen Geschworenengerichte. Ein Beitrag zum attischen Staatsrecht.«
Darin wird das Wesen und die liedeutung der Heliaia klar gelegt. 1886 er-
schien die Neubearbeitung des lioeckhschen Staatshaushaltes, in rler Fr. einen
Beweis von Selbstverleugnung gibt: Schreiber dieser Zeilen hält es für die
undankbarste Aufgabe, eine sogenannte Neubearbeitung eines altbewährten
Buches vorzunehmen. Dafi Fr. sich dieser Aufgabe mit aller Gewissenhaftigkeit
unterzog, dalQr verdient er den Dank und die Anerkennung aller Fachgenossen.
Viele Jahre beschäftigte ihn die Herausgabe der Inschriften von Pergamon,
von denen Band I 1890, Hand II 1895 erschien. — Fr.s Verdienst beruht im
Kommentar, der überall gewissenhafte, sachkundige F'rwägung, reiclies Wissen
untl bis auf das Kleinste ausgedehnte Sorgfalt zeigt. Völlig unverdient sind die
X orwürfe Kaibels, Deutsche Literatur^. 1891, 1703!., wie U.scner, Rhein. .Mus.
XLVII 154 f. bemerkt; vgl Literar. Centralbl. 1891, 1400 und 1896, 624. —
Die Reise im Peloponnes 1896 hatte zwei Publikationen zur Folge, ehe noch
der Band der Inschriften selbst erschien: »Eine Inschrift aus .•Vrgos« in den
Sitzungsberichten der Berliner .\kademie 1808, 6^5 f. und Kpigraphisclies aus
Aegina- Abhandl. der l5erl. Akad. iSq; (.Anhang) 38 .S.: in beiden zeigt der
Verfasser sich als tüchtigen F)pigraphiker. Das gleiche Urteil läßt sich über
den I. Band der peloponnesischen Inschriften sagen. Aufier diesen Haupt-
verken hat Fr. eine lange Reihe von Aufsätzen veröffentlicht, die nicht alle
aufgeführt werden können: das Register der Archäologischen Zeitung weist
im .Xutorenverzeichnis 20 .Aufsätze Fr.s (6 eiiigraphische, 14 archäologische) in
den Bänden 31 — 43 auf; auch im jahrbuche des Instituts erschienen .Aufsätze
von ihm, unter denen der im VI. Band 49 f.: > Ciemäldesamndung und Cremälde-
forschung in Pergamon« erwähnt sei. Ebenso finden wir Beiträge Fr.s in der
Numismatischen Zeitschrift, in den Athenischen Mitteilungen, im Rheinischen
Museum und in anderen Zeitschriften.
Zum Schlüsse sei das l'^rteil angeführt, das Kirchhoff freundlichst mir
mitteilte: »er habe l-"r<änkel als Menschen stets geschätzt und seine wissen-
sch.aftlichcn Arbeiten über griechische Kpigraphik für wertvoll und aner-
kennenswert erachtet.«
Ein Nachruf encbien von F. Liebermaim »Max Frtnkd 1846 — 1903«, fttr dessen
Zasendung sowie für brieflictie Mitteilung ich der Witwe, Frau Professor Joh.mna Fränkel,
sttm Danke vevpOichtet bin. Dr. Johann Oehler.
Hartwig, Otto, Direktor der ktiniglichen rniversitätsbibliothek zu Halle,
• 16. November 1830 zu Wichmannshausen in Niederhessen, f 22. Dezember
1903 zu Marburg. — H. war der Sohn eines reformierten Pfarrers, eines
frommen, strenggläubigen, aber toleranten Mannes, von dem er stets mit der
größten Verehrung sprach. Ich habe , sagt er von ihm, 'keinen Menschen
gekannt, bei dem alles Mandeln so sittlich-religiös normiert war wie bei ilim.«
Durch Privatunterricht vorl>ereitet, kam er 1842 auf das l'roi,') tiniasiuin zu
Escbwcgc, 1844 auf das Gymnasium zu licrstcld. »Die (J) nmasiastenjahrc in
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310
Heisfeld sind för mein ganzes I^ben von Bedeutung; peworden, indem sie
mir neben meituMn Vater einen anderen ausge;^eirhneten Mann (den Direktor
Wilhelm Mühm licr) iKihclirarlitt-n, der die besten Ideale der Jugend, den
Glauben an die Wahrheit und die Gerct htigkcit der Macht, welche die Ge-
schicke der Welt schließlich doch regiert, die Liebe zum Vaterlande und
ehrliche Frömmigkeit in uns nährte.« Nach bestandenem Matnritätsexamen
bezog er Ostern 1850 die Universität Marburg, wo ihm sein Vater eine Stelle
in der Sti[»endiaten:iii^talt erwirkt hatte, um Theologie und Philologie zu
studieren. Dem Stuilivini der Theologie widmete er sieh eigentlieh mehr auf
Wunsch seines Vaters als aus eigener Neigung. Was alle Theologen damals
auf das lebhafteste erregte, war der Streit zwischen der Tübinger Schule und
der Orthodoxie; diesem Gegensatze, der in Marburg durch zwei so ausge-
zeichnete Männer wie Ed. Zeller und H. J. Thiersch vertreten wurde, wandte
auch der junge Student sogleich sein ganzes Interesse zu und suchte sie h
ein selbständiges Trteil über die strittigen I-'ragen zu erringen. '>Ich studierte
eben Theologie, nicht um Geistlicher zu werden, sondern um mich mit der
religiösen Frage auseinanderzusetzen«; und zwar wurde er in diesen Gegen-
sätzen stärker, als er ursprünglich gedacht hatte, auf der positiven Seite fest-
gehalten, was er selbst der Macht des väterlichen Vorbildes, außerdem aber
auch persönlichen Erfahrungen zuschreibt. 1852 siedelte er auf die Univer-
sität Halle über, wo er Tholuck, Jul. Müller, Hupfeld, J. Ed. Frdmann und
H. l.eo hörte, kehrte al>er schon im folgenden Jahre nach Marburg zurück.
Xa( hdem er im I rühjahr 1855 das theologische Examen bestanden hatte,
ging er zunächst nach Göttingen, um eine Dissertation auszuarbeiten, auf
Grund deren er im März 1857 in Marburg zum Dr. pkil. promoviert wurde;
die Arbeit erschien in erweiterter Form auch im Buchhandel unter dem Titel:
•'Hctiricus ik f.ant^i/iffiiti Jicfus dt- ffassid. Zwei Untersuchungen über das
Eeben und die Srhriften Heinrichs vf)n Langenstein < (Marburg 1857). Da
im Kirchenregiment zu Kassel die Vilmarianer herrschten, die ihm seiner
freieren Richtung wegen nicht gewogen waren, verspürte er wenig Neigung,
in den praktischen Kirchendienst einzutreten, und nahm daher mit Freuden
im April 1857 eine ihm angebotene Repetentenstelle an der Stipendiaten-
anstalt in Marl)urg an, wo er den Stipendiaten Repetitorien in alt- und neu-
testamenilicher l'.xegcse sowie in der Kirchengeschichte zu erteilen hatte. Zu
den Obliegenheiten der Repetenten gehörte es auch, täglich zwei Stunden
auf der Universitätsbibliothek zu arbeiten, und hier wurde er dann durch die
Bibliothekare Henke und Gildemeister in diejenige Tätigkeit eingeführt, die
später sein Eebensberuf werden sollte. Die Jahre als Repetent waren für H.
eine Zeit heiteren \'erkehrs und behaglichen Arbeitens, die er, von Pflichten
ni( ht stark in Anspruc h gi-nommen, ganz nach eigenem Geschmack seiner
wissens( haftli( hen .\u>l)ilclimg wichnen konnte. V.x beschäftigte sich damals
viel mit der deutschen (ieschichte des Mittelalters, besonders mit den Anfangen
des deutschen Stätltewesens und der Entstehungsgeschichte der Gilden; ein
Stück dieser Forschungen ist in den Untersuchungen über die ersten Anfänge
des Gildenwesens niedergelegt, die im ersten Hefte der von G. Waitz heraus-
gegebenen ' l-'orsf hungen zur deutschen dc-i hichte abgedruckt sind.
.\u^ diesen wi>senschaftlichen .Arbeiten wurde H. im Frühjahr 1S60 durch
eine Ikrufung gerissen, die eine totale Wendung in seinem Leben herbeiführte,
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Hartwig.
3»!
eine Berufung als Prediger der deutsch-evangelischen Gemeinde in Messina.
Er nahm diese unter pün^ti<:i'n Hedincuncren erfolgte Herufunf^ um so lieber
an, da sein ererbtes väteriiciics W-rmögen allmiddich auf die Neige ging.
Am 22. Mai 1860 landete er in Messina, das nun für fünf Jahre seine Heimat
werden sollte. Es waren aufgeregte, darum aber um so interessantere Ver-
hältnisse, die er dort vorfand: Sizilien war damals im Aufetand gegen das
bourbonische Königtum begriffen und Garibaldi mit seinen Truppen kurz
zuvor flort gelandet. Während die Stadt Messina in den Händen der Gari-
baldiancr war, hielten die Neapolitaner die Citadelle besetzt; wir lebten«,
erzählt er, »mehrere Monate lang in einer Art von eft'cktiveni Belagerungs-
zustand«. Dazu kamen die mannigfaltigen Eindrücke des neuen Amtes und
die neuen Pflichten. Und er nahm dieses Amt nicht leicht; »auf meine
Predigten habe ich mich sehr gewissenhaft vorbereitet und nie etwas gesagt,
von dessen Wahrheit ich nicht selbst überzeugt gewesen wäre.<i Diese Wahr-
haftigkeit gegen sich selb-^t war es wohl auch hau]itsäclilich, die in Messinn
allmählii h den Knts( hlulJ in ihm reifen ließ, in der Heimat kein geistliches
Amt mehr anzunehmen; als er 1865 seine Abschiedspredigt gehalten hatte,
war er entschlossen, keine Kanzel mehr zu besteigen. Während seines fQnf-
iährigen Aufenthaltes in Sizilien hatten zudem auch seine wissenschaftlichen
Neigungen eine andere Richtung genommen: die großartige Natur wie die
zahlreichen Denkmäler der N'ergangenheit, die ihn umgaben, weckten in ihm
das Interesse für die Geschichte des Landes, in die er sich mehr und mehr
vertiefte. Er fing an, an Ort und Stelle Bücher über Sizilien zu sammeln,
und brachte im Laufe der Jahre eine Bibliotheca Stu/a zusammen, wie in
Deutschland damals keine zweite bestand; erst geraume Zeit nach seiner
Rückkehr, als er den Plan, i ine Geschichte des mittelalterlichen Unteritaliens
zu schreiben, seiner schwachen Augen wegen hatte aufgel)eti müssen, trennte
er sich wieder von dieser Büchersannnlung, indem er einige Seltenheiten nach
Rom und Herlin, das meiste aber an die Bibliothek in Strasburg abgab. Die
durch zahlreiche Reisen in Sizilien gewonnene Kenntnis des Landes und
seiner Verhältnisse verwertete er in politischen Korrespondenzen und Auf-
sähen, die in deutschen Zeitungen, namentlich auch in den Preußischen
Jahrbüchern erschienen, sowie in einem Keisehandbuch für Sizilien, das er
im Sommer 1865 für die bekannte Bädekersche Sammlung verfaßte.
Am 28, August 1865 verlieü H. Sizilien, um in die Heimat zurückzukehren.
Nach einem längeren Aufenthalte in Rom und München traf er am i. De-
zember in Witzenhausen ein, wo er bei seiner verheirateten Schwester den
Winter verbrachte, mit der Sammlung und Ergänzung seiner Aufsätze über
Sizilien beschäftigt. Inzwischen hatte er sich um eine Stelle am Kasseler
Staatsarc hi\ beworben. Währeiul er noch auf einen Bes( heid wartete, brach
1866 der Krieg aus, der das Ende Kurhessens als eines selbständigen Staates
herbeiführte. So nahe ihm, dem Stockhessen, der verschuldete Zusammen-
bruch seines alten Staatswesens ging, als deutscher Patriot fand er sich damit
ab, weil durch Preufiens Sieg eben Deutschland gewann. Die Änderung der
politis« hen Verhältnisse führte bald auch eine Wendung in H.s persönlichen
Geschicken herbei; die gewünschte Stelle am Staatsarchiv erhielt er zwar
nicht, statt dessen aber die eines Hilfslehrers .im Gymnasium in Rinteln, die
er am i. August 1866 antrat. Während der zehn Monate, die er hier unter-
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Hartwig.
richtete, war er auch literarisch nicht untätig: er schrieb Artikel fiir die
Weser/eiiung, vei(')ffcntlichte in den Preußischen Jahrbüchern Briefe Wilhelm
von liumbuldis, die er in einem Privatarchiv gefunden hatte, und gab als
erstes Heft eines *C&dex /aris mmucipaßs StiHae« das älteste Stadtrecht von
Messina heraus (Rassel und Göttingen 1867). Der Codex wurde von H. nicht
fortgesetzt; (bis von ihm gesammelte Material überließ er später dem Rechts-
historiker W. von Brüiineck, der es in seinem Werke «Siziliens mittelalterliche
Stadtrechte« (Halle iSSi) verwertete. Schon 1867 trat abermals eine Wemiimf^
in H.s Leben ein: er wurde als Sekretär an tlie Marburger L niversitathbd)lu)tlick.
berufen und damit dauernd dem bibliothekarischen Berufe zugeführt. Da er
jetzt eine feste Position hatte, konnte er auch an die Gründung eines Haus-
standes denken und verheiratete sich bald darauf mit Marie Müller, der
Tochter eines in Marburg verstorbenen Obergerichtsdirektors.
Neun Jahre gehörte H., zunächst unter Henke, dann unter Caesar der
Marburger Bibliothek (seit 1874 als Unterbibliothekar) an. bis er im April
1876 als Leiter an die Universitätsbibliothek in Halle berufen wurde, tler er
als Bibliothekar, Oberbibliothekar, Direktor, 1889 durch den Titel Geheimer
Regierungsrat ausgezeichnet, 22 Jahre hindurch vorstand. Die bibliothekarische
Schulung, die er in Marburg erhalten hatte, sowie sein hervorragendes
( )rgnnisatioiistaIent fanden in Halle rei< bliche (ielegenheit zur Betätigung und
füiirten in den Wrlialtnissen der dortigen Bibliothek gründliche Verbe^'^erungeii
herbei. Zwei Hinge sind es besonders, die als hervorragentle Resultate seiner
Verwaltung bleibende Bedeutung für die Bibliothek besitzen: ihr Neubau und
ihre Neukatalogisierung. Zwar war ein Neubau schon vor H.s Berufung ge-
plant, aber seinem energischen Betreiben ist die rasche Förderung der An-
gelegenheit, seiner sachkundigen Unterstützung des Architekten die praktische
(ier>taltung des Werkes zu verdanken. 1S7S wurde der Bau begonnen und
im Herbste 1880 bezogen. W enn au( h die Hallische Bibliothek jetzt durch
neuere Bibliotheksbauten überholt ist, so war sie doch als die erste in
Deutschland, bei der das Magazinsystem in Anwendung kam, für derartige
Bauten längere Zeit vorbildlich. Die Neukatalogisierung der Bibliothek begann
H., da die vorhandenen Kataloge ganz veraltet waren, bereits im ersten Jahre
seiner Verwaltu?>g, nacluletn ihin die Regierung die zur Anwerbung von Hilfs-
kräften erforderlicben Mittel gern bewilligt hatte. I'ast zwei Jahrzehnte haben
die Beamten der Bibliothek nebst einem Stabe von Hillsarbeitern unter H.s
Leitung an dem Werke gearbeitet, das dann in einem doi>pelten alphabeti»
sehen Zettelkatalog und in einem systematischen Katalog in Bandform den-
ganzen Bücherbestand umfaßte. Mit welclier Umsicht und Sachkunde der neue
Realkatalog ausgearbeitet ist, <larüber können auch weitere Kreise sich ein
Urteil versrhatten, da das Schema dieses Katal(\ges von H. als drittes Beiheft
lies Zentralblatls für Bibliothekswesen (Leipzig 188S) veröffentlicht worden
ist; es hat inzwischen mancher anderen Bibliothek bei Ausarbeitung von
Katalogen zum Muster gedient. In der Verwaltung der Bibliothek betätigte
H. durchaus liberale (Irundsätze: er suchte die Benutzung möglichst zu er-
leichtern und stellte jedem, der seinen bibliothekarist hen Rat nachsuchte,
sein großes, durch ein hervorragendes Gedächtnis unterstütztes Wissen stets
gerne zur \'erlügung.
Neben seiner umfangreichen amtlichen Tätigkeit war H. beständig auch
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Hartwig.
mit wissenscilaftlichen Arbeiten beschäftigt und hat während seiner Marburger
nnd Hallischen Zeit eine große Reihe gediegener Bücher und Aufsätze ver-
öffentlicht. Die Geschichte Siziliens und Italiens überhaupt war das mit
N'orlic'be gepflegte (iebiet seiner Korscliung. Neben den schon oIkmi er-
wähnten Arbeiten seien — unter Übergehung der zahlreichen Zeitschriften-
ait£sfttEe — hier genannt: »Aus Sizilien. Kultur- und Geschichtsbilder.« Bd. i,
a (Kassel n. Güttingen 1S67 — 69). »Sizilianische Märchen. Aus dem Volks-
intind gesammelt von Laura Gonzenbach. Mit Anmerkungen Reinhold Köh>
leis und einer Kinleitung herausgegeben von O. H.«, Teil i, 2 (Leipzig 1870).
Die Sammlung ist auf ll.s Anregung entstanden und ilmi von der ihm be-
freundeten Sammlerin zur \'er()tfentli(liuiii; überlassen. I frner: 'Die t'l)er-
setzungsliteratur Unteritaliens in der norinannisch-staulischen Kpoche« (Leipzig
1886); nnd zur Geschichte von Florenz: »Quellen und Forschungen zur älte-
sten Geschichte der Stadt Florenz«, Teil i, 2 (Marburg u, Halle 1875—80);
»Eine Chronik von Florenz zu den Jahren 1300 — 1313« (Halle 1880); »Ein
Mensrhenalter l"lorentinis( her ncschii hte 1250 — t 20.^ < (Freiburg 1880 — qi).
Aui b auf IWographisi hcni (lebiete liegen mehrere Arbeiten von H. vor. So
gab er nach dem Totle von Reinhold Pauli dessen ' Aufsätze zur englischen
Geschichte«, Neue Folge, heraus (Leipzig 18S3), denen er eine ausführliche
Abhandlung: »Zur Erinnerung an Reinhold Pauli« voranschickte. Mit Auguste
Pidcrit zusammen gab er heraus: »Charlotte Diede, die Freundin von W. von
Humbohlt. Lebensbeschreibung und Briefe (Halle 1.S84V, seinem Freunde,
(lein Politiker Hamberger, setzte er ein Denkmal in der Schrift: ?^Luduig
Bamberger. Eine biographische Skizze^^ (Marburg 1900). Auch der Aufsatz:
•Zur Erinnerung an Louise von Frangois« in der Deutschen Rundschau vom
Dezember 1893 gehört hierher. Femer seien noch zwei Schriften erwähnt,
bei denen sich H. als Herausgeber betätigte: »Die Zukunft. Ein bisher un-
gedrucktes Gedicht des Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg aus den Jahren
1779 — 17S2 (Leipzig 1885); und die Festschrift zum fihifhundertjährigen Ge-
burtstage von Johann (iuttenberg , die als 27,. Heiheft zum Zentralblatt für
Bibliothekswesen (Leipzig 1900) auf H.s Anregung erschien uiul durch eine
aasfQhrlicbe Abhandlung aber Guttenbergs Leben von ihm eingeleitet wird.
Auf dem Gebiete der Bibliothekswissenschaft hat sich H. dadurch ein hervor-
ragendes Verdienst erworben, daß er 1884 das »Zentralblatt für Bibliotheks-
wesen« begründete, das er die ersten zwei Jahre zusammen mit Karl Schulz,
dann bis kurz vor seinem Tode allein herausgab. Alle bil)liothekswissen-
.schaftlichen wie technischen und organisatorischen I ragen einer allseitigen,
sachlichen und vorurteilsfreien Prüfung und Darstellung zu unterziehen, wird
die wichtigste Aufgabe unseres Zentralblattes sein . . . Dasselbe will sich
jedoch nicht auf das Bibliothekswesen im engeren Simie allein beschränken,
sondern sich au( h der Förderung iler Bibliographie und Literaturwissenschaft
widmen«, so charakterisiert er im ersten Heft die ZieU- des neuen l'nter-
nehmens. Indem er selbst viele Artikel für tlas Zentralblatt verfaüle und
zahlreiche Mitarbeiter zu gewinnen wufite, machte er es bald zum
Mittelpunkt der bibliothekswissenschaftlichen Bestrebungen in Deutschland
und verschaffte ihm auch im Auslande das höchste Ansehen; zu den
großen Fortschritten, die das deutsche Bibliothekswesen in den letzten zwei
Jahrzehnten gemacht hat, hat das Zentralblatt nicht wenig beigetragen,
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314
Hartwig.
und in der Geschichte dieses Bibliothekswesens wird H.s Name unvergessen
bleiben.
Ein Augenleiden, das ihm schon lange das Arbeiten erschwirte . vernn-
hilite II. iS()8 in den Ruhestand zu treten. Er siedelte aus AnlKin^IiChkeit
un seine hessische Heimat nach Marburg über, wo er die Redaktion des
Zentralblattes beibehielt und seine Mufle u. a. dazu benutzte, seine Selbst-
biographie zu schreiben, von der ein Teil — die Zeit bis zu seiner Anstellung
in Marburg enthaltend — unter dem Titel >Lchr- und Wanderjahre eines
alten deuts< hen Bibliothekars (Halle iqoo) als Manuskri|)t für seine Freunde
gedruckt ist; eine Fortsetzung, die leider die Hallische Zeit nicht mehr um-
faüt, fand sich in seinem Nachhisse vor und soll von der Familie heraus-
gegeben werden. Am Schlüsse des 20. Bandes, im Dezemberheft 1903 nahm
H. in wehmütigen Worten Abschied von den Mitarbeitern und Lesern des
Zentralblattes, dessen Redaktion er mit diesem Bande abgab, unil srhon
wenige Tage darauf, am 33. Dezember machte ein Gehirnschlag seinem Leben
unerwartet ein Ende.
H. war eine scharf ausgeprägte Perscinlichkeit, energisch und tempera-
mentvoll, nicht ohne harte Ecken und Kanten, die im Verkehr, zumal bei
nur oberflächlicher Bekanntschalt, leicht anstieflen und verletzten. Er war
nicht das, was man eine liebenswürdige Natur zu nennen pflegt: dazu besafi
er zu wenig Schmiegsamkeit und zu viel Wahrhaftigkeit. Seinem etwas
spröden, zunächst zurückhaltenden Wesen war ein hoher Grad von Kritik
beigeniisclit ; sein scharfer N'erstand und sein immenses Wissen entdeckte bei
anderen schnell die vorhandenen Blößen, und es war seine Art, diese dann
auch rückhaltlos und schonungslos aufzudecken, überhaupt das, was er für
wahr hielt, ohne Furcht auch auszusprechen. Aber gerade diese Offenheit
und Wahrhaftigkeit machte ihn seinen Freunden lieb. Wer ihn näher kannte,
der wuflte, daß hinter der rauhen Schale ein edler Kern war, ein warmes,
liebevolles Herz, das sich denen, die sein Vertrauen besaßen, ganz hingab
und unerschütterlich an ihnen festhielt. Mit Recht wurde von den beiden
Rednern, die an seinem Grabe sprachen, Pfarrer Scheffer und Professor Varren-
trapp, hervorgehoben, dafi Treue der hervorstechende Charakterzug seines
ganzen Wesens war: »Treu war er seinen Pflichten, treu seiner Weltanschau-
ung und seinem Gottesglauben, treu den Menschen, an denen sein Herz hing,
bis über das Grab hinaus.' •)
Literatur: O. Ilirtwi;;, I.olir- luul \\':iii(!<.ri.ilirc eines ;iltcn deutsohcii BihÜDtlK'k.irs.
Halle 1900. Zur Kiiniieruiii; an Üttu Hartwig. Marliurg 1904 (enthält die zwei an .seinem
Grabe gehaltenen Reden). Nekrologe von A. Graesel im Zentralblatt flir Bibliodiekswesen
1904, Heft 3, S. 97 — 103; von A. IlortzscUansky in Blätter für \'()lk>il.ibliothcken und Lese-
h:illt"ii i')04. S. 33—36; von F. Kiclilcr in den Mitteilungen tlcs < )>terroicli. W-rtins für
biblioihekswc.sen, Jahrg. 8 (.1904) S. 48— 51; von F. Neumann in The Library Journal 1904,
s. 57-59.
Halle a. S. K. Gerhard.
1) Unser »Biographisches Jahrbuchc und insbesondere der »Deutsche Nekrologe bleibt
Ottu Hartwig dauernd verpflichtet für die spontane Förderung, die er dem Unternehmen
durch f.Khkurulige Wiirdiguii<;cr] im »Zentralblatt fOr Bibliothekswesen« und in der
»Deutschen Kundbchau« angcdeibcn lieO. A. d. H.
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KtfUer.
Köhler, Ulrich Leopold, Professor der alten Geschichte an der Uni-
versität Berlin, * 5. November 1838, f Oktober iqo^,. Der \'ater
C. G. \V. Köhler, war Pfarrer zu Klein-Neuhausen in Sachsen-Weimar, seit
1853 zu Orleshausen, wo er bereits 1855 gestorben ist; er besaß philologische
Kenntnisse, die weit über das Mafi eines Geistlichen hinausgingen, und
seinen Söhnen in den jüngeren Jahren, wo er sie in seinem Pfarrhause zu
unterrichten hatte, sehr zustatten gekommen sind; aus der zahlreichen Kinder-
schar hatte er drei seiner Söhne für den Gelehrtenberuf bestimmt. IMrich
war der älteste unter ihnen, sein Bruder Franz wurde Direktor am ritter-
sch;Uilichen Domgyninasiuin in Reval, und lebt, seit die deutschen Schulen
dort angehoben sind, in Wolfenbüttel, Walther (f 1904) wurde Professor am
Gymnasium zu Weimar. Ulrich besuchte das Weimarer Gymnasium und
w ar dort schon einer der Lieltüni^ssc hüler Herrn. Sauppes, der bis 1856 als
Direktor der Schule vorstand. ( )>tern 1S57 wurde er zur Universität ent-
lassen, um sich dem Studium ik-r klassischen I'hilnI(i<^io zu widmen. Die
beiden ersten Semester verbrachte er auf der heimatlit hen Lniversitiit Jena,
und wandte sich dann, seinem Lehrer Sanppe folgend, nach Göttingen.
Dieser ist es denn auch gewesen, der auf seinen Studiengang, soweit auf eine
selbständig angelegte Natur wie K. c-^ w.n. ein Kinf^uß möglich ist, am
meisten eingewirkt hat, und dem er als (lankl)arer Schüler zeitlebens die
Freundschaft bewahrt hat. Neben ihm gehörten auch E. Curtius, F'. v. Leutsch
und H. Uotze zu K.s Lehrern. Seine ersten wissenschaftlichen Versuche
waren den römischen Historikern gewidmet Qua rathne Titi Lh'ii Atmalüus
tat sint khiwid Laüm atque Gram lautet der Titel der von Leutsch gestellten
Preisarbeit, die K. im Sommer 1860 der Göttinger philosophischen Fakultät
einreichen konnte, und mit der er dann auch zum Doktor promoviert wurde.
Unmittelbar nach Beendigung der l^niversitätsstudien im Dezember 1860
begab er sich nach Italien, um in l'isa bei einem griechischen Bankier Tossitza,
an den ihn v. Leutsch empfohlen hatte, eine Hauslehrerstelle anzunehmen.
Seinen Zögling begleitete er auch auf einer Reise nach Frankreich und England.
Es folgte ein mehrjähriger Aufenthalt in Rom (seit Spätherbst 1862), während
dessen er mit Arbeiten am Archäologischen Ii»titttt und auf <ler Vatic ana ein
sehr bescheidenes .Auskommen hatte; zeitweise war er auch auf Reisen, die er
für das um jene Zeit in Ausarbeitung begriffene Baedckersche Reisehandbuch
in Mittel- und Oberitalien zu unternehmen hatte. Von beiden Sekretären des
Instituts, W. Henzen und H. Brunn, wurde er sehr geschätzt Sie betrauten
ihn 1863 mit der Veröffentlichung der neu gefundenen Statue des Augustus
von Prima Porta und der älteren Faustina in der Villa Negroni {Atmali delF Inst,
di corr. anluol. XXXV; Mon. IiicJ. VI, VIT t. 84). Diese und verwandte
.Arbeiten aus dem Gebiet der römischen Religionsgeschit hte, zu denen ihn
L. Preller angeregt hatte, lagen ihm im Sinn, wenn er in seiner Antritts-
rede vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften von sich sagen mußte :
»Nicht allein die Bücher haben ihre Fata, nicht Jedem ist es vergönnt
seinen wissenschaftlichen Neigungen bis zu Ende zu folgen.« K. ist in
späteren Jahren immer verschlossener geworden, damals in Rom war er noch
zu haben für geselligen Verkehr. Heinr. Hirzel (aus Leipzig), sein Studien-
freund von Göttingen, starb nach kurzem Aufenthalt in Rom. A. Michaelis
und A. Conze hatten ihn in Pisa kennen gelernt; in Rom stand er im Verkehr
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Köhlen
mit (). Benndorf, R. Kekule, R. Schöne, hier fand er zuerst A. Wilmanns, der
später in der Berliner Zeit ihm am nächsten getreten ist. Henzen, dem
K.s Wesen während seines römischen Aufenthalts offenbar besonders zusagte,
schilderte ihn damals als »eine ernste, sinnige, sehr ideal angelegte Natur«.
Es waren die Eigenschaften des Jünglings, die in dem Manne später sich
fortentwickelt haben.
Entscheidend für den ganzen weiteren l^cbensgnnp: K.s wurde seine IJe-
rufung als Sirn'taiir inicrprctt' an die I'reuliisciu' Gesandtschaft in Athen.
Wahrenil in Rom bereits seit 1829 ilas von E. Gerhard begründete Archäo-
logische Institut bestand, hatte man für Athen, wie es scheint auf Anregung
von E. Curtius, die Einrichtung getroffen, der dortigeif Gesandtschaft einen
jungen Gelehrten bei/uj^a^ben, der neben seiner amtlichen Beschäftigung die
vorkommenden Kunde der Altertumswissenschaft M^rfolgen sollte. A. von
X'elsen war der erste, der in solcher Stellung nach Athen geschickt wurde;
nach seinem frühzeitigen l'ode trat für ein Jahr C. Wachsmutli ein (1861).
Sein Nachfolger wurde K. im Frühjahr 1865.
In Griechenland war die dänische Dynastie damals noch sehr neu. Die
Hauptstadt hatte nodi das Aussehen, wie unter König Otto. Um die Alter«
tümcr Athens hatte einst unser Landsmann L. Ross sich hoch verdient
gemacht, dann hatte mehr als zwei Jahrzehnte Pitiakis darüber geschaltet:
nun erst vermochte die jüngere Srliule der griechischen Gelehrten, A. R. Kan-
gabe, St. Kumanidis, A. Rhusopulos, sich Geltung zu verschaffen, P. Evstra-
tiadis wurde Generalephoros der Altertümer, A. Postolakka Direktor des
Münzkabinetts; die älteren unter diesen waren einst noch Schüler von L. Ross
und N. ririchs gewesen. Vorsitzender der Griechischen Archäologischen
Gesellschaft war IMiilippos Joannu, ein tüchtiger Philologe, der im Verlauf
iler sechziger Jahre es alhnahlig dahin geliracht hat, daß die Gesellschaft an
größere Ausgrabungsarbeiten sich gewagt hat. Klein war die Zahl der in
Athen wohnhaften fremden Gelehrten. An die Bcok franfaise d'Athhus kamen
zeitweise tüchtige junge Männer, doch scheint K. mit ihnen nicht in Be-
ziehung gekonnnen zu sein. \ou deutschen Gelehrten war um jene Zeit in
Athen bereits ansäßig der Botaniker Iheod. v. Heldreich, in flcssen Hause
so viele unserer I.andsleute Wohnung genommen haben. An der von Baron
Sina erbauten Sternwarte war Julius Schmidt, ein Mann von ungemein viel-
seitigen Kenntnissen im Gebiete der Naturwissenschaften. Karl Wilberg, der
spätere deutsche Konsul in Athen, hatte bereits seine Buchhandlung, ihm und
seinem Hause ist K. stets befreundet geblieben.
.Athen lag damals abseits vom Weltverkehr, die großen Dampferlinien
fuhren meist über Syra nach Konstantino])el, den \'erkehr nach dem Piraeus
den Nebenlinien ül)erlassend. Klein war die Zahl iler Gelehrten, <iic zu vor-
übergehendem Aulenthalt doidiin kamen; bieten heute stattliche Museen eine
Anziehung für jeden Archäologen, so waren damals kaum Anfänge dafür vor-
handen, die groOe Masse der Antiken zerstreut im Privatbesitz, dem Kunst-
handel zugänglich, dem die Gesetzgebung zu wehren suchte. Auf der Burg
standen und lagen Skulpturen und Inschrif loii umher, andere waren cinge-
niaui-rt in grollen liol/tatcln aufgestellt. l-'ür einen jungen Gelehrten, der
wenig Neigung hatte zu geselligem Verkehr, aber ganz in seinen Studien auf-
gehen wollte, soweit ihn nicht sein Amt bei der Gesandtschaft in Anspruch
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Köhler.
tiahin, war hier der pccifrnetc Boden, und K, hat sich nach seiner Weise
hier bald luMuiisch j^cmat lit.
lici einem der ersten Besuche der Akropolis fiel K. ein Fragment der
Quotenlisten ans der Zeit des ersten attischen Seebundes ins Auge, das erst
ein Jahr zuvor ausgegraben worden war; es sind 14 Zeilen einer einfachen
Mannorplatte, nur oben und rechts unverletzt, aber so klein das Bruchstück
ist, es enthält den Schlüssel zum Verständnis der langen Reihe der attischen
Bundesinschriften. Was uns erhalten ist an Slcinurkundeii über die attische
Seeherrschaft des 5. Jahrhunderts, enthält nicht etwa rlie Rechnungslegung
ober die von den Bundesstädten beim Vorort eingegangenen Geldleistungen,
sondern lediglich die Verzeichnisse des aus diesen Leistungen an den Tempel-
schatz der Athene Parthenos abgelieferten Anteils. Wie dieser letztere berechnet
ist, war steitig geblieben; nun ergab sich aus dem von K. gefundenen Stein,
daß die Stadtgöttin eine Mine vom Talent, also ein Sechzigste! der Tribut-
gelder erhielt. Damit war denn zugleich die Höhe der eingegangenen Tribut-
summen urkundlich sicher gestellt. Zugleich war aber auch der Unsicherheit
über die Zeitbestimmung dieser Urkunden ein Ende gemacht, denn hier war
<1>^ 54' Jahresrechnung datiert nach dem eponymen Archon des Jahres 421
(Ol. 89, 4); .sie hatten mithin 454 begonnen, und damit war für die Kenntnis
der Machtstellung Athens im Jahrhundert einer der wirlitigsten Marksteine
gewonnen. Denn die Kinlührung der (^uotenangabe an den St liatz der
Athene Parthenos steht im Zusammenhang mit der Überführung des Bundes-
schatzes von Delos nach Athen. Kaum zwei Monate nach seiner Ankunft
in Athen konnte K. von seinem Funde A. Kirchhoff Mitteilung machen, der
ihn der Preußischen Akademie der Wis.senschaften vorlegte (Sitzungsberichte
der Preußischen .Akademie der Wissenschaften 1865 S. 209 ff.). Was A. Rangab^
und A. Böckh versucht hatten, die auf den Seebuntl bezüglic hen Inschriften
historisch zu verwerten, konnte jetzt auf gesicherter Grundlage unternonnnen
Werden. Am 25. Oktober 1869 konnte Kirchhoff der Akademie die von K.
bearbeiteten »Urkunden und Untersuchungen zur Geschichte des delisch-
attischen Bundes« vorlegen (Abhandlungen der Preußischen Akademie der
Wissenschaftee 1869). Es war die reife Frucht fünfjähriger Arbeit, mit (K r er
sich als Meister der griechischen Epigraphik eingeführt hat. Die Si hrift war
entstanden in stetem Verkehr mit dem hier behandelten urkundlichen Material,
befinden sich doch die l rüjullisten alle in Athen. Seine epigrajthische
Methode, in der er von nun an stets gearbeitet hat, erscheint hier schon voll
ausgebildet: vor dem Stein mufi das Verständnis des Textes gewonnen
werden, mufi sich das Urteil bilden über Zusammengehörigkeit der heute in
Fragmenten vorliegen<len l'rkuiiden. Die den InschTiften beigegebenen Unter-
suchungen enthalten eine Darstellung der (Jeschichte <les attischen Seebunds
von seiner Entstehung bin zu seinem Untergang. Hier werden die aus den
Lisdiriften gewonnenen neuen Ergebnisse verwertet unter Heranziehung der
Oberlieferung bei den Historikern, mit stetem Eingehen auf die innere Ge-
schichte Athens. Für den hier behandelten Zeitraum haben inzwischen die
Inschriftfunde wenig, die Papyrusfunde etwas mehr .Aufschluß gegeben. Die
daran anschließende Forschung würde gut getan haben, an K.'s Aufstellungen
festzuhalten, statt ihre eigenen Wege zu gehen.
Bereits im Jahre 1866 hatte die Preußische Akademie K. den Auftrag
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3f8
KShler.
erteilt, für die in Aussicht j^eiioinniene Neubearheiluni; des Corpus htsrrif*-
tionum Gniecarum den Hestund der in Athen bezw. in Atlika belindlicheii
Inschriften zu revidieren oder neu abzuschreiben. Sein Vorgänger im Sekre-
tariat bei der Gesandtschaft, v. Velsen, hatte hier fleißig vorgearbeitet, aber
K. hat seinerseits no( h einmal alles, was er an Inschriften in Athen zu sehen
bekam, neu al)<;es( hriehen. nur ein kleiner Teil in die Kaiser/eit ^eliöiif^er
Inschriften war, als er 1S72 Athen verließ, noch nicht kopiert. Diest- j^^e-
waltige Arbeit, die er in verhältnisniäliig kurzer Zeit bewältigt hat, ist es
gewesen, die ihm seine erstaunliche Übung und Sicherheit in der Lesung
griechischer Inschriften verschafft hat. Was in den sechs Foliobftnden des
Corpus Inscriptionum Attkarum (Berlin 1873 — 1895) erschienen ist, beruht zum
allergrößten Teil auf Abschriften, die K. von den Originalen in Athen an-
gefertigt hat. In die Ausgabe hatten sich drei Epigrai)hiker geteilt : A. Kirch-
hüff hatte die Inschriften der älteren Zeit vor Einführung des genieingriechi-
schen Alphabets unter Archun Kukieides übernummen, K. die Inschriften bis
auf die Zeit des Augustus, W. Dittenberger die der Kaiserzeit. Damit war
ihm das umfänglichste Pensum zugefallen, und diese Arbeit hat denn auch
seinen Forschungen fortan die Ri( htung gewiesen.
Sieben Jahre lang hat K. das Amt des Si'iiitairc intcrpfHc l)ei der (lesanclt-
schaft in Athen bekleidet, seit 1.S67 hatte er, wenn der (icNandte v. Wagner
auf Urlaub ging, diesen zu vertreten, da Bismarck einen diplomatischen Ver-
treter zu senden nicht für nötig fand. Für die preußische Politik hatte der
Gesandtschaftsposten in Athen nur sehr untergeordnete Bedeutung; nachdem
die. dänische Dynvistic einmal gefestigt war, galt es dort nur das Ränkespiel
der antlern Großmächte zu beobachten, das zeitweise im kleinen wiedergab,
was sich unter größeren \'erhältnissen am (loklenen Horn vollzog. C'ber-
raschend schnell hat K. sich in das Parteigetriebe der griechischen Kammer
eingelebt, wie schon Berichte erkennen lassen, die er 1865 ^™ Sommer an
V. Wagner schickte, der mit den übrigen Diplomaten dem König Georg nach
seinem Sommersitz Korfu gefolgt war. Als der preußische Kronprinz im
Herbst 1869 zur Eröffnung des Suezkanals nach dem Orient reiste, war K.
ihm nac h Kalanaki entgegen gesandt worden, um dann auch während seines
Aulcnthalts in Athen bei der Hesi( htigung der Altertümer ihm als Führer zu
dienen. Daß K.s Wesen Eindruck machte auf den Kronprinzen, ergibt sich
aus einem Brief des letzteren an Bismarck (a. Dezember 1869), worin er ihn
schildert als »einen gelehrten Mann und Altertumsforscher, ungemein zurück-
haltend mit si i;u ii Kenntnissen und Urteilen, aber außerordentlich präzise
in seinen (ledanken untl klar in der .\uffassung der dortigen Verliältnisse«.
War Wagner auf l'rlaub, so hatte K. den i)olitischen Bericht an den Minister-
präsidenten in Berlin einzusenden. Handelt es sich hier um Vorgänge des
Tages, die von verschiedenen Seiten verschieden wiedergegeben werden, so
unterscheidet er scharf die vorliegenden Nachrichten, stets sie abwägend auf
ihre Zuverläßigkeit und auf die Motive, die die Gegner geleitet haben.
Bismarck ist die eigenartige Besonnenheit, die der Secrctaire inferprcte in Athen
zeigte, nicht entgangen; er hat an ihn das Anerbieten richten lassen, ganz in
den diplomatischen Dienst überzutreten. Das Anerbieten war ehrenvoll;
K. hat sich für die Gelehrtenlaufbahn entschieden.
Als im wiedergewonnenen Strafiburg die Universität neugestaltet werden
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Köhler.
mußte, berief ihn Herr v. Roggenbach zur Übernahme des Lehrstuhls eines
DrdcnlHehen Professors für alte tieschichte und Altertumskunde; eine Berufung
nach Göttingen zwei Jahre zuvor hatte er ausgeschlagen. Im Februar 1872
veriieft er Athen, um nach einährigem Aufenthalt im Süden in die deutsche
Heimat zurückzukehren. Der Obergang aus dem Bureau der Gesandtschaft
und der stillen Gelehrtenstube zu Athen in die akademis( he Tiitigkeit ist K.
nicht leicht geworden. Aber der frisch aufstrebende (leist, der damals das
neue Deutsche Keit h durchdrang und der auch in der verjüngten Hochschule
Strasburgs seinen Ausdruck gefunden hatte, hat auf ihn gewirkt. In dem
Kreise der jungen dorthin gezogenen Dozenten fand er auch einige seiner
römischen Bekannten, andere wurden neu gewonnen. So kam es, dafi, als
im Juni 1874 die Zentraldirektion des Archäologischen Instituts ihn einmQtig
«um Sekretär für das zu gründende Institut in Athen vorgesrblai^a'n hatte, er
ablehnte. Krst als sich ergeben hatte, dali für das inzwischen eröffnete Institut
eine andere zu dessen Leitung geeignete Persönlichkeil nicht vorhanden war,
hat er sich im Juli 1875 entschlossen, wiederum nadi Athen zu gehen.
Mit der Begründung der Zweiganstalt des Archäologischen Instituts in
Athen war ein Lieblingswuns» h von E. Curtius in Erfüllung gegangen, der
seit Jahren dabin gestrebt hatte, der archäologischen Forschung in Athen
einen Sammelpunkt zu schaffen, von tlem aus verfolgt werden könne, was an
Denkmälerfunden auf dem Boden Griechenlands und Klemasiens zum \'or-
schein komme, wie es von Rom aus für Italien und Sizilien geschehen war.
Da K., wie kein anderer unter den deutschen Gelehrten damals, mit den
Verhftitnissen in Griechenland vertraut war, hatte man, als die Vorarbeiten
zur Begründung der Anstalt im gang waren, auch von ihm ein Gutachten
eingefordert; es stammt schon aus der Zeit, da er mit seiner (""bersiedelnng
nach Straüburg umging. Kr verlangt für die Leitung des Instituts einen
deutschen Gelehrten von Ruf, dessen Studien sich auf der breitesten Basis
historischer Forschung bewegten, und der im Stande wäre, die' Anstalt auch
nach auSen w&rdig zu vertreten Der Posten des Institutsleiters wird
seiner Natur nach ein Vertrauensposti n sein, wie mehr oder weniger die-
jenigen aller im Ausland residierenden scll)stäii<iigen Beamten«. Nun hatte
er selber die Leitung des Instituts zu übcrnelnncn.
In den ersten Tagen des November 1875 traf er wieder in Athen ein.
Nahe der Universität an der Akademtestrafle, in einem neuen, dem Bankier
Kordellas gehörigen Hause, dem Lykabettos gegenüber war der Sitz des
Instituts; hier war die Wohnung des Sekretärs, Räume für die abzuhaltenden
wissenschaftlichen Versammlungen und die Bibliothek, sowie ein paar Zimmer
für Stipendiaten. Am Winckelmannstage (9. Dezember) hielt K. die erste
Versammlung im Institut ab; Ȇber Unionsversuche in der griechischen Ge-
schichte« handelte sein (ungedruckt gebliebener) Eröffnungsvortrag. Mit den
von einheimischen wie fremden Gelehrten stets stark besuchten Sitzungen des
Archäologischen Instituts in Rom verglichen, war die Zahl derer, die gewöhn-
lich in Athen an den Sitzungen teil nahmen, klein ; aber K. hat es verstanden,
aus den in Athen dauernd oder vorübergehend anwesenden deutschen und
aiißerdeutschen Gelehrten einen Kreis luranzuziehen, dem auch stets einige
der griechischen Archäologen angehört haben. Im Sommer 1876 konnte
das neu geschaflene Organ, die »Mitteilungen des Archäologischen Instituts
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320
Ktfhler.
in Athen 7.11 ersdu'iiicn beginnen ; bei flem damaligen Zustand der dortigen
Druckereien keine leichte Aufgabe, muliten tloch die Typen erst aus Paris
kommen, die zu veröffentlichenden Tafeln großenteils in Deutschland ange-
fertigt werden. Durch seine persönlichen Beziehungen wufite K. in den
ersten Jahren eine Anzahl iler namhaftesten deutschen Archäologen, wie
O.Benndorf, K. (urtius, R. Kekul6, A. Michaelis als Mitarbeiter zu gewinnen.
Jüngere nach Athen kommende Archäologen l)etraute er zunäch>t damit,
einzelne 'l'eile des griechischen Königtcii hs auf ihren 1 )c nkmalcrvoriat gL-nauer
zu untersuchen, so bereiste R. Weil die Kykladen und Kyihera, A. Milchhoter
und H. Drusel Lakonien, G. Körte Böotien, um zugleich auch den Bestand
der neu geschaffenen I^okalmuseen aufzunehmen. Ein weiterer von Milchhöfer
erstatteter Antikenbericht über Arkadien hat zur Grabung am Athene-Tem{)el von
Tegea geführt, der ersten derartigen rntersuchung von ^circn des Instituts,
auf welche dann die von I.olling geleitete Ausgrabung de> Kui)i)elgrabes von
Menidi (1880) gefolgt ist. A. hurtwängler und G. Lüschcke hatten die Vasen-
funde aus Schltemanns Mykenischen Ausgrabungen untersucht, und als 1879
das Römische Archäologische Institut sein fünfzigjähriges Besteben feierte,
konnte ihm eine stattliche Publikation Mykenische Thongefäße« als Festgabe
dargereicht werden. Wie zu den Ausgrabungen in Olympia (1875 — 1881)
wiederholt Mitglieder des Instituts mit herangezogen wurden, so seit 187c)
zu denjenigen in Pergamon. V on nun an griffen die Arbeiten des Instituts
auch hinüber nach Kleinasien. R. Koldewey konnte 1880 mit Ausgrabungen
auf Lesbos beginnen, E. Fabricius in Samos die Wasserleitung des Eupalinos
untersuchen, und brachte dann aus Kreta 1884 den Text des Gesetzeskodex von
Gortyn mit. K. Dümmler wurde nach K^ pros gesandt, die dortigen Gräberfunde
zu untersuchen. \'on Jahr zu Jahr wuchs das Arbeitsgebiet des Instituts, die
reichen P>get>iiisse der Reisen kamen der Institutszeitschritt zugute. Aber die
besten und gediegensten Beiträge für dieselbe rühren von K. selb.st her. »Die
griechische Politik Dionysios des Alteren« behandelt der Aufsatz, mit dem er
den ersten Band der Athenischen »Mitteilungen« eröfhiet hat Dieser und
noch eine stattliche Reihe ähnlicher Arbeiten entstanden, während er mit
rlem Cmfus fnunpinvium Attharum beschäftigt war. Vor allem an den
athenischen \'o| ksl)e>( hlüssen hat er gezeigt, wie sie als historisches Urkunden-
material zu verwenden sind, um die literarische Überlieferung zu erganzen.
Die Jahre, die er als Secrihtire mkrprUe an der Gesandtschaft verlebt hatte,
waren für ihn eine gute Schulung gewesen zur Behandlung historischer Fragen.
Findet sich doch in so manchem seiner politischen Berichte, die er damals
na( Ii Berlin zu setiden hatte, auf Vorgänge der jüngsten Tagesereignisse an-
gewendet genau (iicNelbe Methode, die wir ihn anwenden sehen, wenn er
Ereignisse der l'entekontaetie oder des 4. Jahrhunderts an der Hand lite-
rarischer oder epigraphischer Überlieferung zu behandeln hat.
Seit 1879 fügte er den »Mitteilungen« auch kleinere numismatische
Arbeiten ein; er hat es später bedauert, die antiken Münzen nicht zeitiger
in seinen Studienkreis gezogen zu haben. Was er danach in Athen, und
später in Herlin aus diesem Gebiete veroffentlii ht hat, beruht im wesent-
lichen auf seiner eigenen damals angelegten Sammlung, die vorzugsweise
den Münzen Adiena sich zuwendete. Auf diesem Spezialgebiet hatte er, ob-
wohl er nur bescheidene Mittel aufgewendet ha^ Seltenheiten erworben, um
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Köhler.
321
(\\c ihn manch reicher Sammler beneidet hätte, l-'.r hat als (lelehrter <re-
sanunelt; Ott von scheinbar geringfügigen Tatüachen ausgehend, zeigt er auch
in seinen numianatischen Aibeiten den weiten historischen Blick, der nie
hängen geblieben ist bei der Einzelerscheinung. Für die griechische Mfinz«
geschichte von besonderem Interesse {geworden ist seine Entdeckung des
alten peloponnesischen Kisengeldes (Athen. Mitt. 1882 S. i). K. war in erster
Linie Fpif^raphiker, die antiken Münzen hat er zur I'>pänzunf; seiner epi-
graplii.schen Stuchen herangezof^en. Wohl verständlich ist es daiier, daß im
Angesicht der Schliemannschen i unde von Troja und von Mykene, ihm
die Attflerang entfallen konnte: »Das wird uns keine Geschichte liefern
können für die IZeit, da es noch keine Schrift gab«. Aber beim Anblick der
Kuppeigräber von Spata unfl Menidi hat er seine Anschauung geändert, und
bereits beim Winckelmannsfest 187Q hat er clen V ersuch gemacht, den merk-
würdigen (Jrabbauten, wie sie um jene Zeil aus dt-in ganzen tistlichen
Griechenland bekannt wurden, ihre universalgeschichtliche .Stellung anzu-
weisen. Schon sehr frühe hat er auf Kreta als den Ausgangspunkt für jene
frühgeschichtiiche Kultur hingewiesen, an die Mitwirkung der Karier bei der
alten Inselkultur immer von neuem erinnert. Als später die von A. Evans
entdeckten Pi< tographv in der .\rchäo|(igischen Cesellsc halt zu Berlin
vorgelegt wurden, hat er sich auch einmal entschlossen zur Sitzung zu
kommen.
Der lange Aufenthalt in Athen hat ihn dazu geführt, seine Lebensgewohn-
heiten dem Klima anzupassen. Hatte er im Sommer auf der Akropolis oder
in Museen Inschriften zu kopieren, so war er der Erste, der im Institut auf-
brach. Oft genug hat er die alten Invaliden auf der Hurg in der Frühe aus
dem Schlafe geweckt, um dann gegen 8 l'hr nach vollenfletcr Arbeit wieder
nach seiner Wohnung zu kommen. P^s war das nur die Fortsetzung der
Arbeitsweise, die er bereits an der Gesandtschaft geübt hatte. Sein Sommer-
urlaub hat ihn stets nach Deutschland geführt, und niemals sind dann seine
Angehörigen in der Thüringer Heimat übergangen worden.
Schon in den ersten Jahren seiner Amtsführung am Institut hat si« h für
K. das Rediirtnis herausgestellt, einen wi<scn-.rhaft!iclT(.'n Hilfsarbeiter bei
sich zu haben; 1-. v. Duhn, (J. Körte, .A. .MiKliholer hat er der Reihe nach
herangezogen, zuletzt den als Kenner der griechischen Landeskunde wie als
Epigraphiker von ihm gleichgeschätzten H. G. Lolling. Diesen dem Institut
zu erhalten, hat er sich allerdings vergeblich bemüht. Ihm hatte er die
.\ufgabe zugedacht, der er selbst, so lange er in Athen gewesen ist, mit
stets gleich unermüdlichem Fifer sich gcwiflnu-t hat, f(»rt(lauern(l zu über-
wachen, was an inschrittlichen l'imden vor allem in Athen zutage konnne,
ähnlich wie in Rom dem einen Sekretär des Instituts wesentlich die Kpigra-
phik zugewiesen ist. Der Entwicklungsgang des Instituts ist dann ein anderer
geworden. W. Dörpfeld, der nach dem Abschluß der Ausgrabungen von
Olympia dem Institut beigegeben worden ist, seit 1883 als zweiter Sekretär
nchen K. in Athen, hat, als er K s Nachfolger wurde, den \'erhä!tnissen
Rechnung tragend, die .Xrbeiten des Instituts nach anderen Seiten geleitet.
Im Sommer 1886 scheidet K. von Athen. J. G. Droysen war in Herlin
gestorben, er sollte als Lehrer der alten Geschichte sein Nachfolger an der
dortigen Hochschule werden. Zu Beginn des Wintersemesters 1886 hat er
BiofT. Jahrbaeh a. Deutselicr Nekrolc«. 8. Bd. 21
322
Köhler.
die akademisc he Lehrtätigkeit wieder aufgenommen. F!r las Geschichte der
orientah'schen Völker un<l, auf drei Semester verteilt, Ges( hirhte ( Iricc henlaru is
bis in die Zeit der hellenistischen Reiche; der Abschnitt über die l'ente-
kontactie fand am meisten Beifall bei der studierenden Jugend. Seine Vor-
lesung (vierstündig) hielt er frOh von 8—9, um den Tag zu eigener Arbeit
SU behalten. Am meisten zur Geltung gekommen ist seine Gabe als Lehrer
in ilen Übungen im Institut für Altertumskunde, wo er seine Schüler in eine
methodische Behandlung der Geschii htscjuellen, der literarischen wie der
epigraphischen, einzufiihren gewußt hat. Schule zu machen, war bei K.s in
sich gekehrtem, verschlossenem Wesen nicht möglich; aber es haben sich jeiler-
zeit gerade aus der Zahl der tüchtigsten jungen Leute solche gefunden, die
dankbar zu schätzen gewußt haben, was hier ihnen geboten wurde.
Als die Arbeit am Corpus Inscript'tonum Atticarum ihrem Ende entgegen
ging, sehen wir K. an einer andern Aufgabe wieder einsetzen, die ihn schon
in Straüburg beschäftigt hatte, an einer Geschithte .Makedoniens und der
makedoniM-hen Reiche. Zeitwei.se hat er auch einmal eine Reise nach
Maketlonien geplant, sie ist so wenig zur Ausführung gekommen, wie die
andern vielen Reisepläne, die er im Laufe seines zweiten Aufenthalts in
Athen und später in Berlin gefaßt hatte. Was er bei einer Geschichte Make-
doniens zur Darstellung bringen wollte, zeigt der Aufsatz über König .Archelaos
(Sitzungsberichte der Prcul5i^(■hon .Akademie 1S93 S. 487 ff.) und über Das
asiatische Reich des .Antigonos (ebenda 1S9H S. 824ff.) am (lcutlich>ten. So hat
nach Droysen kein anderer die verworrenen Zeitverhaltnisse der hellenistischen
Reiche durchgearbeitet, und sie aufzuhellen verstanden. Seine Vorlagen
für die Sitzungen der Akademie, der er seit ^1870 als korrespondierendes,
seit 1888 als ordentliches Mitglied angehört hat, sind zum grOßten Teil
seinen Forschungen über makedonisc he Gc-^i hii hte entnommen. .Auf
E. Curtius hat er in der .\kademie am i. Juli iSi); die Gcdärhtnisredc ge-
halten, die dem Verewigten volle Gerechtigkeit widerfahren läüt; aber seine
eigene Auffassung der griechischen Geschichte war eine andere, die ihn von
selbst auf G. Grote und J. G. Droysen hingefOhrt hat. Sein feines Verständ-
nis für die Behandlung politischer Fragen ist es, was seinen historischen
Forschungen ihren bleibeiulen Wert verleiht, was ihn auch bei trüniinerhafter
Überlieferung befähigt in verfassungsgeschichtlichen l ntersuchungen zu greif-
baren Resultaten zu gelangen. Blendend ist seine Arbeitswei.se nicht, die
Ergebnisse aber sind um so wertvoller.
In seine Wirksamkeit in Berlin hat ein Vorgang tief eingegriffen, der
sich in der Akademie abK' -^l'i'-'lt hat. Während er an dem von ihm über-
nommenen Teil der attischen Inschriften drucken lieÜ, hatten die großen, von
der Griechischen .\rchäologischen GeseIK( haft unternommenen .Ausgrabungen
auf der Akropolis, in Eleusis und anderwärts eine solche Fülle wichtiger In-
schriften zutage gefordert, wie nie zuvor, so daß es als ein vollauf berechtigter
Wunsch K.s erscheinen mußte, wenn er nun nicht mehr Supplmunta und
Addenda drucken lassen wollte, sondern sich zu einer zweiten Bearbeitung
erbot. Betrachtete er doch das Inschriftenwerk als seine Lebensaufgabe,
einmal altgcs« hiossen, sollte es Generationen hindurch tlienen. Daß ihm die
Neubearbeitung, die in absehbarer Zeit gar nicht zu umgehen sein wird,
versagt worden ist, hat seinen berechtigten Gelehrtenstolz schwer verletzt
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Ktthltt. 323
und ihn dem damaligen verdienten Leiter des Inschriftenwerks in der Akademie
für immer cntfrciiulet. Einern aht-n Bekannten, der sich mit einer Auskunft
über Insciiriften diiinals an ihn wandte, schrieb er, daß ihm epipraphische
Dinge jetzt fern lägen. Das oben zitierte Wort aus seiner in der Akademie
gehaltenen Antrittsrede hat sich nochmals, aber in ganz anderer Weise als
dereinst in Athen, an ihm erfüllen sollen. In den letzten Jahren hat er sich
vom geselligen Verkehr immer mehr abgeschlossen, kaum dafi er bei seinem
nächsten Freunde noch in den Ferien sich sehen ließ. Am 1 7. Oktober 1901
las er zum letzten mal in der Akademie >^^Über die Korrespondenz zwischen
dem asiatischen Herrscher Antigonos und der Stadtgemeinde der Skepsier«,
die in einer neugefundenen Inschrift zum Vorschein gekommen war (Sitzungs-
berichte 1901 S. 1057 ff.). An der Universität hatte er sich für das Winter-
semester beurlauben lassen; er hat das Katheder nie wieder betreten. Die
gesuchte Erholung blieb aus; ein Gehimleiden hat allmählich zu geistiger
l'mnachtung geführt. Finsam, wie er gelebt, ist er auch dahingegangen.
Am 24. Oktober 1903 hat ihn ein kleiner Kreis von l- reunden auf dem Luisen-
kirchhof in Charlottenburg zur letzten Ruhe geleitet.
Literatar: Köhler« umfangreichere Publikationen sind im Obigen bcreit> genannt;
seine wnsemchafälehe Aibeie ist aber sum groBen Teil in Zeitschriftaufsäticn nieder-
gelegt. Hier k.mn darum nur das Wichtigste daraus aufpc/:lhlt werden. Base esistcntt
nella l'illa ramfili- Dorüi : Annali d. Inst, archtol. 1863 S. 195; Monumeuti VI,
t. 76. Suuua di Cesarc Aufrusto: AnnaH 1863 S. 432; Mo», it. 84. Siaäut di
lHm$äi$a: ÄMnaU 1863 S. 459; J/m. Staiua di Brc»lt im irn*» del pal, ISghtiA:
Bulidt. 1S64 S, 227. l'aso di Altainura con rappresentazionc in/iTnalc Annali 1S64
S. 283; Monum. VIII, t. 9, Andchihi della Cincia: JUilUlt. 1S65 S. 134. 1S66 S. 104.
Frammento tt uh rendiconio Attico sopra l'erezionc di due statuet AhhcH 1865 S. 315. —
Über ein neu entdecktes Fragment der sog. Tribodisten: Sitxungsberichte der Preufiisdien
Akademie 1865, 209. Cl)cr zwei neu entdeckte Bruchstücke von Poletenurkunden, ebenda
541. Über die Zeit der Archiiresicii, cViciul.» 1S66, .^43. ^'orliluflger Bericht Uber eine
neue Bearbeitung der attischen Iributlistcn, ebenda 1S09, 149. Über zwei Inschriften aus
dem SuBeren Kenuneikos von Athen: 1870, ayi. — Ein neues Aktenstflck aus der Finans-
verwaltung des Lykurg: »Hermese, Zeitschr. f. klass. Phil, i (1866), 312. .\ttische Inschriften,
2. 16. ( trcr die l'raiskripte einiger .ittischer Pscphismen, 2, 321. 5, i. 5,328. 7, 159.
Studien zu den attischen Psephismen, 3, 456. Aus der Finanzverwultuiig Lykurgs, 5, 223.
Der Areopag in Athen. Ein Beitrag zur Topographie und Stadtgeschichte, 6, 93. Ein
Verschollener, 7, i. - Die griechische Politik Dionysios des .\ltercn: Mitteilungen des
Deutschen Archii4>l()gischen Instituts in Athen i (i876\ i. Bronzc-t.ntuette :\us Chalkis, i. 97.
Ein griechisches Gesetz über lodtenbcslaitung (Keos), 1. 139. I ber zwei athenische Ver-
tragsorkunden, 1, 184. Ober den auswirtigen Besitzstand Athens im zweiten Jahrhundert,
I, J57. Zur Geschichte des Nikiasfriedens, i 171. Torso eines Apoxyomenos, 3, 57.
Attische Psephismen aus der ersten Hälfte des 4. Jahrh.. 2, 138. Dei Sudabhang der
Akropolis zu Athen nach den AuT'grabungen der Archäologischen Gesellschaft, 2, 171.
Drei Hypottiekensteine aus Spata a, 277. über die Zeit und den Ursprung der Grab-
anlagen in Mjkeoe und Spata, 3, i. Mauerbauinschiifken aus dem Piraeus und Athen, 3, 49.
Dokumente zur Geschichte des atheiii-< licn Thontcis. t,, 104. Die Lage des Thesmothesion
in Athen, 3, 144. Hailcnanlage am .SüdfuU der Akropolis, 3, 147. '^\d).n iit}x j%t[AX7i, 3, 172.
Epigraphische MHteilungen, 4. 30. Eine attische Marineurkunde, 4, 79. Attische Pr)'tanen-
nr künden, 4, 97. Die Münzen von Salamis, Elcusis und Oropos, 4, 250. Attische Ephebenstele,
4. 324. Geflfle aus Aegina, 4. 366. Heitrage zur Pcriegese der Akropoli-. 5, S<). Attische
Schauurkunde aus dem Ende des 4. Jahrb., 5, 26S. Die von R. Bohn auf der Akropolis ge-
fuidenen Inschriften, 5, 317. Torso aus Athen, 5, 368. Aus den attischen Seeutfcunden, 6, 21.
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KtfUer. Gegenbaur.
Die Münzen der Kleruchcn auf Dclos, 6, 238. Der Plutos des Kcphisodot, 6, 363. Zur Ge-
schichte des griechischen MUnzwcscus, 7, l. Aus den attiscbea Inschriften, j, 96. Zu den
Manzen von Imbros, 7, 149. Mykenische Schwerter, 7, 241. Das Zwuuttgstel de« Thrasj'bul,
7f 313- Inschrift der Klerucbett auf Samos, 7, 367. Peloponnesisches Eisengeld, 7, 377.
Mykenische Silbcrßfcfäße, 8, 1. Chort'geninschrift aus Athen, S, 31. loschriftcn der Erj^astineri.
8, 57. Aus den attischen Marineiuschriften, S, iSl. Attische l'sephismcn aus den Jahren der
Teuerung, 8, an. ftuchstttdce elnei altra I.iAuf»udu der Onunmatik (Inschr.) 8, 359.
Eine Illustration su Theognis, 9, i. Inschrift des Glaukon, 9, 49. Praxiteles der Altere,
9,7s. Attischer Volk-licschliiß ans dem 6. Jahrb., 9, 1 1 7. Prähistorisches von den gricrhi-
schen Inseln, 9, 156. Proxeneuliste von Keos, 9, 271. Die («enossenschaft der Dionysistcn
im Piraeus, 9, 288. Numismatische Beiträge, 9, 354; 10, 151. Inschrift aus Samos, 10, 32.
Potanos, ein Beitia|f lur Topofrtapbie der attischen Demen, 10, 105. Die chore|rische In>
Schrift des Nikias, 10, 231. Die attischen Grabsteine des 5, Jahrb., lo, 359. — Über die
Archäologie des lluik\didc>: Coutnunt. philol. i. h. Th. Mommscni. Jitroi. 1877. — I3ie
Gründung des Künigrcich» Pergaiuun: Sybels »Hist. Zeitschr.« 47, i. — Numismatische Bci-
trftge: »Zeitschr. f. Numismatikc la (1885), 103. Über die attische Goldprigung, ai, i. —
Hemiokopideninschriften : »Hermes« 23 (iSSS), 392. Die Grabstätte bei der Hagia Tri.'is,
ebenda 474. Beiträge /mt (lt'>chichtc der Fentekontaetie, 24, 85. Zur < u>chichte de«
amptiüuchischen Krieges, 20, 43. Hcraldeidcs der Kliuumcnier, 37, 68. Alti!>che Inschriften
des 5. Jahrb. 31, 137. — Über die auf das Bild der Parthenos besflglichen Rechnungfs-
urkuiulcii: Sitzungsberichte der Preafiiscben Akademie der Wissenschaften 1889, 223. Cber
die Diadochengeschichte Arrians, 1890, 557- I ber einige Fragmente zur DiadDchcn-
geschichte, 1891, 207. Philipp II. und die cbalkidischen >tadtc, ebenda 473. Die Zeit
der Rede des Hypereidcs gegen Philippides» ebenda 931. Die Zeit der Heirschaft des
Peisistratos in der imKmCa 'ABT,va(a)v, 1892, 339. Über das Verhältnis Alexanders de^ ( iioßen
zu seinem Vater Philipp, 1S92, 497. Makedonien unter K ^iüg Archelaos, 1S93. 4S<>. Ülicr
eine neue C^uelle zur Geschichte des dritten syrischen Krieges, 1894, .^5. Die athenische
Oligarchie des Jahres 411 v. Chr., 1895, 451. Zur Geschichte Ptolemaios II. Philadelphos,
citcnd.i <>65. I ber die Ht^.r.vi A-r/so'jtjAOvuüv Xcnophons, 1896, 361. Zur Geschichte
des athenischen Mün/uescns, cheiul i loS'). I ber Probleme der griechischen Vor/.eit, 1S07,
258. — Die Eroberung Asiens durch ^Vlexandcr d. Gr. und der korinthische Bund, 1898,
120. Das asiatische Reich des Antigonos, ebenda 824. -Der thukydideische Bericht Uber
die oligarchische Umwidzung in Athen im Jahre 411, 1900,803. Über die Korrespondenz,
zwischen dem asiati^chcn Herrsciier Antigonos und der Stadtgemeinde der Skep?.ier aus dem
Jahre 311 V. Chr., 1901, 1057. — Gediicbtnisrcdc auf Ernst Curtius: Abbandlungen der
Preufiischen Akademie, 1897.
Nekrolog: Mitteilungen des Arcb&ol. Inst, in Athen Bd. 24. Außer den Akten
«Ics Archäologischen Instituts konnten im obigen auch die auf K. hezüf,diclicn .\ktcn des
Auswärtigen Amts benutzt werden, die der Reichskanzler Fürst v. BUlow mir zur Verfügung
SU stellen die Freundlichkeit gehabt bat R. Weil.
Gegenbaur, Karl, vergleichender Anatom, Pnif ^Mir in Heidelberg, * am
21. August iS2f) zu Würzburg. + 14. Juni IQ03 zu I U idelberg. — Über G.s
Kindheit sind wir dun ]j die ersten Absclmilte seiner Selbstbiograjihie unter-
richtet und können die bezeichnendsten Züge seines Wesens bis zu ihren
Wurzeln verfolgen (Erlebtes und Erstrebtes, Leipzig 1901).
Von väterlicher und mütterlicher Seite stammte G. von Familien ab, in
denen geistige Interessen die Herrschaft führten und ein tatkräftiges Wesen
sich von (leschlecht auf Geschlecht vererbte. Des l ebens ernstes Führen
w.ir Faniilienart, ibe auch auf G. überging. Im besonderen war aber offen-
bar der Linliuli der Mutter initbestinunend für die Richtung, die seine Ent-
wicklung nahm. So verdankte er der Mutter die erste Anregung zur Be>
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Gegenbawr.
325
sohäftigung mit naturwissenschaftlichen Dingen, namcntlirh mit der heimischen
Pflanzenwelt. Während der ganzen Schulzeit füllten dann auch botanische
und zoologische Bestrebungen seine ganze freie Zeit aus, und frühzeitig wurde
die Beobachtungsgabe geObt und der Blick geschftrft Auf weiten Streifzfigen
durch Feld und Wald sammelte er die Gegenstände seines Interesses und
erwarb sich gleichzeitig in der lieblichen Umgebung der Orte, in denen er
seine Kinderjahre verlebte, auch ein tiefes Verständnis für die Schönheiten
der Natur.
Die historischen Erinnerungen seiner fränkischen Heimat weckten früh
den Sinn fQr die Geschichte des Vaterlandes und bereiteten den Boden
für den warmen echten Patriotismus des Mannes, der mit Begeisterung dem
großen Schöpfer des Reiches anhing. Das 1845 in Würzburg abgehaltene
erste deutsche Sängerfest hatte schon dem Jüngling die geistige Zusammen-
gehörigkeit aller deutschen Stämme vor die Seele geführt.
Aus der Jugend brachte (i. als einen S( hatz für das ganze Leben eine
tiefgehende klassische Bildung mit, so viel auch an dera Würzburger Gym-
nasium, das er nach der Lateinschule in Weifienburg in Mittelfranken be-
suchte, auszusetzen war. Er blieb ein warmer Freund der humanistischen
Bildung. Die klassische Literatur blieb mir eine treue Freundin, die in
allen Lebenslagen mir nahe stand sagt er selbst in seinen Tugenderinnerungen.
Der Verfasser wird nie vergessen, welche W-rklärung sitli nach einer Auf-
führung des Oedipus Ke.\ in Heidelberg auf dem Antlitz G.s ausprägte.
Ungewollterweise förderte aber andererseits das ultramontan geleitete
Wfirzburger Gymnasium die schärfste Abneigung gegen jeden geistigen Zwang
und jede geistige Bevormundung auch kirchlicher Art.
Im Jahre 1845, mit iq Jahren, bezog (1. die Universität seiner Heimat-
stadt, um zunächst das allen Studierenden vorgeschriebene sogenamite Hitnnhini
philosophkum zu erledigen, das bei semesterweisen Prüfungen den Studenten
eine allgemeine Grundlage in Philosophie und Geschichte geben sollte. Die
Studenten wurden bestimmten Dozenten zugewiesen, von Hörfreiheit war
keine Rede und G. hatte allen Grund, mit den Lehrern, deren Vorlesungen
er hören mußte, unzufrieden zu sein. Mit Freuden begrüßte er den Abschluß
dieser Zeit. Sein eigentliches Ziel war ihm längst klar, ihn fesselten die
Naturwissenschaften. Wenn er sich als Mediziner immatrikulieren ließ, so
war es die Absicht, Naturforscher zu werden, die ihm über das Fachstudium
hinaus vorschwebte. Mit Widerstreben gab der Vater seine Einwilligung.
Er hätte es lieber gesehen, wenn sein Sohn in die in seiner Familie herkömm-
liche Beamtenlaufbahn eingetreten wäre. Die Mutter erwirkte in vollem Ver-
ständnis des Wesens ihres Sohnes die Zustimmung des Vaters.
Wenn G. durch seine naturwissenschaftlichen Neigungen in die medi-
zinische Fakultät geführt wurde, so ist dies verständlich durch die glänzende
Vertretung, besonders der anatomischen Fächer. Es war die Zeit, in der
Albert KOlliker, von Zürich berufen, in WArzburg soeben seine ausgedehnte
Lehr- und Forschertätigkeit begonnen hatte, die ihn zu einer Hauptzierde der
Universität machen sollte. Dort wirkte als Vertreter der mikroskopischen
.Anatomie fler später auf seinein Gebiet so l)erühmt gewordene Franz Leydig,
auch als Charakter von G. hoch geschätzt und mit ihm bald innig befreundet,
ferner Heinrich Müller, der, wie G. hervorhebt, sich durch seine Unter-
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326
GegenbBiir.
suchungen über die Netzhaut ein bleibendes Denkmal geschaffen hat. \'on
be'^on<lerer Bedeutung für Wür/burg und den jvnigcn (}. war endlich die
ßerulung Rudolf Virchows von Berlin, des bahnbrechenden llegründers der
neueren pathologischen Anatomie und Förderers des Gesamtgebietes der Ana-
tomie. Auf anatomisch-zoologischem Gebiet also ein irisches jugendliches
Streben. Überall Fortschritt. Die Lehrer selbst noch in der Entwicklung be-
griffen und dadurch dein strebenden Sinn des Schülers verwandt. Vor allem
von X'irchow betont G., daß man von Semester zu Semester das Fortschreiten
seiner Krkenntnis in der Voriesung beobachten konnte. GewiÜ nicht ohne
fördernden Einflufl war auch die Teilnahme an den Sitzungen der physi-
kalisch>medizinischen Gesellschaft, in denen auch die bedeutendsten seiner
Lehrer Ober ihre Forschungsergebnisse vortrugen. So war es also wohl be-
rechtigt, daß G. während seiner ganzen Studienzeit \Vürzl)urg treu blieb.
Die Stürme der Revolutionszeit gingen fast spurlos an fler Universität
vorüber. Im \'erkehr mit einer Anzahl näherer Freunde, von denen Nicolaus
Friedreich aus Weifienburg, der spätere berühmte Heidelberger Kliniker,
besonders hervorzuheben ist, hielt G. sich auch von dem üblichen studenti-
schen Treiben fern.
Auf Friedreichs .Anregung hin trat G. gegen Fnde seiner Studienzeit in
das Juliusspital als Assistent ein, wo er auf verschiedenen Abteilungen ein-
gehender mit medizinischen Disziplinen vertraut wurde und Erfahrungen
sammelte, die ai|ch dem künftigen Lehrer der Anatomie dereinst von Wert
sein mufiten.
Sein Herz gehörte aber den Naturwissenschaften, denen er jetzt nur die
Abend* und Nachtstunden widmen konnte. Als er am 15. April 1851 zur
Promotion zugelassen wurde, sehen wir auch, daß e r l)ei d<;x ()if(us/ii> f'romcrt'nJi,
einem Vortrag, den der Examinand außer der \ erteidigung seiner Thesen zu
halten hatte, ein botanisches Problem erwählte, die Veränderungen der
Pflanzenwelt In diesem für die Gedankenrichtung G.s außerordentlich
wichtigen Vortrag, ging er aus von der Variabilität der Pflanzenarten und
die hierauf beruhende Unbeständigkeit der Art. .Vus ihr ergäbe sich die
Möglichkeit einer Entwicklung des Pflanzenreiches. Der FiUwicklungsgedankc
gelte auch für die Tiere, auf welche sich der Promovend jedoch, wie er
.sagte, nicht einlassen wollte, da seine Kenntni.sse ihm hierzu nicht auszu-
reichen schienen.
Der genetische Zusammenhang der Organismen kommt also hier in
diesen Darlegungen G.s, mehrere Jahre vor dem Auftreten Darwins, klar zum
Ausdruck. Gleichzeitig zeigte sich jetzt schon glänzend tlie Fähigkeit, die
Ergebnisse der urunittelbaren Beobachtung geistig zu durchdringen und zu
allgemeinen Schlußfolgerungen zu verwerten. Seine Dissertation handelte:
De limads evolutume.
Den jungen Doktor hielt es nun nicht mehr länger in Wttrzburg, er
nahm l'rlaub vom Juliusspital, um Xorddeutschland zu durchwandern. Das,
was ihn dorthin trieb, war nicht nur der Wunsch, seine Kenntnis des Vater-
landes zu erweitern. \'or allein zog ihn die Person des Physiologen und
Anatomen Johannes .Müller, des bedeutendsten V ertreters seiner Wissenschaft,
nach Berlin. Hier fand er freundlichstes Entgegenkommen und Anteilnahme
an seinem Streben. Auf Anregung Johannes Müllers ging er nach Helgoland,
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Gegenbaar.
um sich durch eigene Anschauung mit der Fauna des Meeres vertraut zu
mar}u'n. Es war eine Rekognoszierung in einem großen, an neuem über-
reichen Gebiet. Sie hinterließ in G. die ( herzcugung, daß das Stutlium der
marinen Organismen für seine zoologisilu' l'ortbildung eine Notwendigkeit
war und daß hier noch die wichtigsten Fragen ihrer Losung iiarrten.
Der Wunsch, seine Studien am Meere fortsetzen zu können, sollte G.
bald in Erfüllung gehen. Nach der Rfickkehr in die Heimat waren die zwei
Jahre, für welche er sich dem Juliusspital verpflichtet hatte, vorüber, er war
frei nnd konnte nun, dem Rat KöUikers folgend, ans Mittelmeer ziehen, nach
Messina, wohin Kölliker und H. Müller ihm vorangingen (1852). Ks gab
keinen geeigneteren Platz für seine Zwecke. Ein ungeheurer Reichtum an
Formen trat ihm hier entgegen, die jeden, der zum erstenmd als Zoologe
an jene Orte kommt, mit staunender Bewunderung erfüllt. Gewifi fand er in
Kölliker einen kundigen Berater, bemerkenswert bleilit es rioch, wie schnell
er sich mit dem gewaltigen Stoff vertraut machte und mit sicherem Blick
eigene Forschungsziele fand.
Die ganze nächste Zeit seines Lebens ist wissenschaftlich befruchtet durch
die mit größter Anspannung betriebenen Studien während jenes glücklichen
Jahres im Süden. Wenn G. auch frühzeitig, schon als Student zum Teil
gemeinsam mit seinem Freunde Friedrei( h l'ntersurhungen auf dem Gebiete
fler Wirbeltieranatomie (Der Schädel des Axolotl, beschrieben und abgebildet
(mit X. Friedreich), Fkrif ht der Königl. Zoologischen Anstalt, Würzburg 1840;
Untersuc hungen ül)fr die I asthaare einiger Säugetiere, Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zook)gie, III. 1851) vorgenommen hatte, so beherrschen doch
bis etwa zum Jahre 1858 die Wirbellosen sein Interesse. Durch eine grofie
Reihe von Arbeiten förderte er die Kenntnis des Baues und der Entwicklungs-
geschichte aller Abteilangai d«r Evertebraten. Wie es die Zusammensetzung
der Fauna von Messina mit sich brachte, waren es hauptsachlich die
srhwinimcmlen Formen, die er untersuchte. Einen besonders gr(^ßon Ranni
nehmen unter den Veröh'entlichungen jener Jahre die Untersuc liungen über
Coelenteraten ein, aber auch über Protozoen, Würmer, Arthropolen, Echino-
dermen, Mollusken erschienen Untersuchungen. Ganz besonders sei hier auch
das im Jahre 1855; erschienene große Werk über die Heteropoden und
Pteropoden hervorgehoben, das als ein Muster zootomischer Forschung gelten
muß, und noch heute jedcin, der sich mit jener wundervollen 'l'iergruppe
beschäftigt, eine unentbehrliche ürumilage ist (Untersuchungen über Ptero-
poden und Heteropoden. Ein Beitrag zur Anatomie und Entwicklungs-
geschichte dieser Tiere. Leipzig 1855). Bedeutsam müssen auch seine Unter-
suchungen über die Tunicaten genannt werden, nicht nur wegen ihrer
unmittelbaren Frgebnissc, sondern auch mit Hinblick auf tlie zweite Epoche
seines wissenschaftlichen Lebens, in deren Mittelpunkt die Wirbeltiere stehen.
Handelt es sich doch hier um Formen, die als nahe Verwandte der Vertebraten
zu betrachten sind.
Die Bigebnissse der an den Aufenthalt in Messina sich anschlieBenden
Jahre, die G. in die Reihe der ersten Zoologen jener Zeit stellten, erscheinen
uns, die wir sein ganzes Leben überblicken, doch nur als Vorarbeiten für
sein eigentliches Lebenswerk, das in der vergleichenden Anatomie der Wirbel-
tiere gipfelt. Die tiefgründige Kenntnis der tierischen Organisation von
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328
Gcgenbaur.
den einfachsten Anfängen an, machte ihn wie keinen anderen fähig, auch
den Organismus der Wirbeltiere geistig zu durchdringen.
Damit sind w ir aber der c hronolotrisrhen Darstellung der Lebensschirksale
(».s weit vorausgeeilt uiul iiuissen wieder zum Jahre 1852 zurückkehren, liei
der Besprechung seiner l ätigkeit in Messina dürfen wir nicht übergehen, daü
G. mit offenen Augen alles aufaiabm, was sich ihm SchOnes in Kunst und Natur,
Interessantes in historischer und kultureller Beiiehung in Sizilien und auf
seiner Hin- und Rückreise durch Italien bot. Eingehende Kenntnisse der Geo-
logie und <lt'r Motaiiik boten ihm dabei vielseitigste Anregung und (lemiß.
Nach melir als einjäluiner Abwesenlieit kehrte G. in das Klteriihaus
zurück und stand nunmeiir vor der definitiven Entscheidung über sein Leben.
Ihm war, wie wir seinen jugenderinnerungen entnehmen, klar bewufit, daß
ihm die wissenschaftliche Laufbahn beschieden, dafl das Lehrfach die einzige
ihn fesselnde und mit Freuden ausgeübte Tätigkeit sei. Sein nächstes Ziel
war die Hal)ilitation, die Ende des Winterseinesters 1^53 ^4 erreicht wurde.
Zur Habilitationsschritt nahm er eine l ntersui hun«^: Zur I,ehre vom Gene-
rationswechsel und der KortpHanzung bei Medusen und l'olypen (\'erhand-
lungen der physikalisch- medizinischen Gesellschaft in Würzburg 1\ , 1854).
In den drei Semestern, in denen er als Dozent dem Würzburger Lehrkörper
angehörte, las er ein Kolleg über Zoologie, einmal auch eine populäre \'or-
lesung über Anatomie und Physiolo<,dc' für Juristen auf vielfachen Wunst h,
denn das neue Gerichtsverfahren mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit machte
auch medizinische Kenntnisse wünschenswert.«
Einen Fortschritt in seiner äußeren Stellung versprach das Freiwerden
der zootomischen Prosectur, aus der Franz Leydig schied. Seine Bewerbung,
die mit einem bei Kölliker abzulegenden Examen verknüpft war, wurde je-
doch gegenstandslos, da inzwischen, Sommer 1855, seine Berufung als
an, I'rofessor für Zoolo[;ie nach Jena etfolute. Kr entschloß sich dem Ruf
zu folgen, so sciiwer ihm au( Ii der Abschied vom Elternhaus wurde. Es
war wenig Fhitz für ihn in Würzburg, dazu schien es ihm vortheilhaft in
jungen Jahren den Ort zu wechseln, so lange noch neue Eindrücke zur
eigenen Entwicklung fruchtbar werden konnten. In dieser Hinsicht war
seine Berufung gerade nach Jena ein besonders glückliches Ereignis. "Wir
werden sehen, wie G.. \ <)n der geistigen Atmosphäre Jenas umweht, bald die
Höhe seiner wissen^ liaftlichen Bedeutung erstieg.
G. wurde in Jena der Nachfolger Uskar Schmidts und übernahm den
Unterricht auf zoologischem, vergleichend-anatomischem, histologischem und
entwicklungsgeschichtlichem Gebiet. Schon 1858 trat aber ein neuer Wechsel
seil, ( I Stellung ein. Emil Huschke, der in seiner Hand Anatomie und
Physiologie vereinigte, starb, und G. wurde in erster Linie zur Nachfolge in
Aussicht genommen. Er lehnte die Cbernahme auch der Physiologie ab, in
klarer Erkenntnis, daü nur die Anatomie .sein eigenstes Gebiet sei, während
ihm die Physiologie femer lag. Dies führte in Jena, als einer der ersten Uni-
versitäten Deutschlands, zur Trennung der beiden, bisher durch Personalunion
vereinigten I'ädier, G. wurde Professor der Anatomie und Leiter des ana-
tomischen Instituts, während die Physiologie A. v. Hezold übertragen wurde.
Ich konnte mit aller Ruhe der .\natomie mich widmen, deren Ausbildung
mir am Herzen lag' , sagt er in seinen Lebenserinnerungen.
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Gegcnbattr.
329
Die neue Stellung brachte G. eine ausgedehnte Lehrtätigkeit im Gesamt-
gebiete der Anatomie. Ruhte doch fast der ganze Unterricht allein auf seinen
Sdiultem. Daxu kam ein erstaunlich fruchtbares literarisches Schaffen, auf
das wir spftter noch genauer zu spreche kommen mttssen. Der Gegenstand
seines wissenschaftlichen Strebens wurde nun aber immer ausschließlicher die
Morphologie der Wirbeltiere.
G. fand 1855 bei seiner Übersiedelung nach Jena daselbst ein geistiges
Leben» wie es wohl an keiner anderen deutschen Universität sich regen
konnte. Noch lag auf der Stadt der Glanz aus der groflen Zeit unserer
Literatur. Noch lebten manche, die Schiller gekannt hatten. Die Erinne-
rungen an Goethe waren vor allem noch lebendig. Aurh sein Wirken auf
naturwissenschaftlichem Gebiet übte seinen Einfluß. Ein guter Geist be-
herrschte die Universität und schuf eine treiheit, die G. in Würz bürg, wie
er schreibt, venniflt hatte. Ein anregender Verkehr brachte die Vertreter der
verschiedensten Fächer, ältere und junge Dozenten miteinander in Ver-
bindung. Von den damaligen I cluern der Hochschule nennt G. besonders
Dietrich Kieser, der als innerer Kliniker und Psychiater wirkte, der sicii aber
auch auf naturwissenschaftlichem Gebiet einen Namen gemacht hatte, lerner
den Philologen Göttling, den Theologen Carl Hase, Matthias Schleiden, den
Botaniker, den Chirurgen Ried, endlich den Anatomen und Physiologen
Httschke, von dem G. mit besonderer Verehrung spricht. Nur wenig später
traf Kuno Fischer in Jena ein und trat zu G. in ein Freundschaftsverhältnis,
das erst der Tod G.s gelöst hat. Mit Dankbarkeit und \'crehrung spricht
G. von dem Freunde, von dem geistvollen Mann, mit welchem die Gemein-
samkeit vieler Anschauungen über ilie Dinge ihn verband. Auch K. Fischer
hat oft seine hohe Einschätzung der wissenschaftlichen Bedeutung G.s öffent-
lich bekannt Noch bei der Zentenarfeier der Ruperte Carola im Jahre 1903
nannte Kuno Fischer in einer Ansprache unter den Größen der Universität
auch den »großen vergleichenden Anatomen Karl Gegenbaur.
In Jena wurde aber auc h die Frcund.^chaft zwischen Ernst Haerkel und
G. begründet. HeicK' vv;iren schon in Würzburg mit einander bekannt
geworden. Gleiche Emptanglichkeii für den Naturgenuli, gleiche Begeisterung
fOr die Naturwissenschaft, gleiche Liebe fttr die Naturwahrheit hatten die
innigen Beziehungen zwischen Ihnen vorbereitet, die beide verknüpften, nach-
dem Haeckel auf G.s Rat sich in Jena 1861 habilitiert hatte, wo er 1862
Extraordinarius, 1863 ()rdinarius für Zoologie geworden war. Ihre Vereinigung
in Jena fiel in die Zeit des großartigen .Xufschwungs der biologischen Wissen-
schäften, die sich an das Auftreten Darwins knüpfte. In regem gemeinsamem
Verkehr tauschten beide ihre reichen Gedanken aus. Einen Einblick in dieses
ideale Freundschaftsband gewährt die Vorrede zu dem Hauptwerke Haeckels,
zu seiner Generellen Morphologie der Organismen (1866), ein Vorwort, das
ein F^hrendenkina! au( h für seinen Verfasser bedeutet. Haeckel schreibt
hier: >Wie wir in dem harten Kanipfe des Lebens Glück und Inglück
brüderlich miteinander geteilt, so haben sich auch unsere wissenschaftlichen
Bestrebungen in so inniger und beständiger Wechselwirkung entwickelt und
befestigt, in täglicher Mitteilung und Besprechung so gegenseitig durchdrungen
und geläutert, daß es uns wohl beiden unmöglich sein würde, den speziellen
Anteil eines jeden an unserer geistigen GOtergemeinschaft zu bestimmen.
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330
Gegenbaur.
Nur im allgemeinen kann ich sagen, dafi das Wenige, was meine ra>>che und
rastlose Jugend hie und da Dir bieten konnte, nicht im Verhältnis steht zu
dem Vielen, was ich von Dir, dem acht Jahre älteren, erfahrneren und
reiferen Manne emi)fanjTen habe. So ist denn Vieles, was in dem vorliegenden
Werke als meine Leistung erscheint, von Dir gewerkt und genälirt. Vieles,
von (lern ich Ftirderung unserer Wissenschaft hoffe, ist die gemeinsame Frucht
des Ideenaustausches, der uns ebenso daheim in unserer stillen Werkslatte
erfreute, wie er uns draußen auf unseren erfrischenden Wanderungen durch
die felsigen Schluchten und Ober die waldigen Höhen des reizenden Saale-
tales begleitete«.
Wenn noch im späten Alter (1. auf den Freund seiner Jugend zu
sprechen kam, so merkte der Hörer den Ton einer warmen, fast vaterlichen
Liebe heraus, mochten auch die späteren populären Darstellungen Haeckels,
seine Welträtsel, nicht mehr die Billigung G.s finden.
Aus der Jenenser Zeit stammten auch die freundschaftlichen Beziehungen
zu dem späteren bedeutenden Kliniker Karl Gerhardt, einem Nfann, der
gewisse verwandtschaftliche Züge im Wesen und Charakter mit G. erkennen
ließ. Von seinen Kollegen und Freunden, die mit der Zeit in die medizinische
Fakultät der Universität eintraten und an ihrer Blüte beteiligt waren, seien
noch der Gynäkologe Bernhard Sigismund Schnitze und der pathologische
Anatom Wilhelm Müller genannt
In Jena gründete 1863 G. sein eigenes Heim, dessen Hausfrau Anna
Margarete Emma geb. Streng wurde. Aber schon im folgenden Jahre verlor
er seine junge Gattin nach der Gehurt eines Töchterchens. Lange dauerte
es, bis G. den Schmerz um die Kntschlafene so weit verwunden hatte, daß
in ihm der Gedanke einer neuen Vermählung Platz greifen konnte. Erst das
Jahr 1869 brachte ihm das GlQck einer zweiten Ehe mit Ida Arnold, der
Tochter des Heidelberger Anatomen Friedrich Arnold. Sie nahm sich in
treuester I i ehe seines jungen Töchterchens aus der ersten Ehe, Emma, an
und wurde selbst die Mutter eines Geschwisterpaares Else und Friedrich.
Bald nach dem l ode seiner ersten Frau traf G. noch ein zweiter Schlag,
der Tod seiner Mutter. Wir wissen, wie innig diis Verhältnis zwischen beiden
war und verstehen die Schwere des Verlustes. Noch bis zum Jahre 1872
hatte er aber das Glück seinen Vater am Leben zu sehen.
Nachdem ein Ruf nach Straflburg (1872) abgelehnt worden war, endete
ein Ruf nach Heidelberg im Jahre 1873 die Jenenser Zeit, (leren Bedeutung
G. selbst mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: Jena war für mich
in jeder Hinsicht eine hohe Schule, aus der ich vielfach belehrt hervorging,
und alles, was ich in späterer Zeit geleistet, hat dort seine Quelle und gibt
mir Ursache zu dauerndem Dank. Ich betrachte es als ein grofles Glück,
lange in Jena gewesen zu sein, in jungen Jahren, welche die Eindrücke tiefer
aufnehmen und gründliclier in Vorstellungen umsetzen. Zur IJeohachtung
geneigt, fand ich dort in jeder Hinsicht ein reiches l*'eld der Erfahrung,
welches ein Leben zu füllen vermag. Ich habe sie zu benutzen versucht,
wie and wo ich vermochte, und das ist mein Gewinn«.
Im Herbst 1873 trat G. seine neue Stellung als Ordinarius für Anatomie
und Direktor der anatomischen Anstalt in Heidelberg an. F> wurde der Nach-
folger Friedrich Arnolds, den er als Mensch und Gelehrten besonders hoch
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Gegenbaor.
schätzte, er kam in ein Land, das ihn doch heimatlicher anmutete als Mittel-
deutschlantl und dessen Schönheit ihm eine Quelle steten Genusses wurde,
and fand eine seinen Neigungen entsprechende amtliche Betätigung
im Ausbau des anatomischen Unterrichts, dabei aber Zeit zur Förderung
seiner wissenschaftlichen Probleme durch eigene Arbeit und Anregung
jüngerer Kräfte.
In Jona hatte ihn die l'niversität, eine namentlich unter seinem Kintluß
begründete naturwissenschaftlich-medizinische (le'^ellsi haft sowie die Redaktion
der von ihr herausgegebenen Zeitschrift vielfach in Anspruch genommen.
Nunmehr verwertete er seine ungeheure Arbeitskraft ganz auf seinem eigensten
Gebiet. Er schuf sich und seiner Schule, sowie gleichstrebenden Forschem
eine besondere Zeitschrift, das Morphologische Jahrbuch, dessen Hauptzierden
>;eine eigenen \'err)ffentlichungen wurden. Daneben erschien selbständig eine
kcdie von Untersuchungen. Durch Herausgal)e eines Lehrbuchs der Anatomie
des Menschen erwarb er sich die größten Verdienste um den Unterricht.
Endlich legte er die ganze Summe seiner Kenntnisse und Anschauungen in
einem grofien Werke nieder: Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere mit
Berücksichtigung der Wirbellosen betitelt. Wir werden auf seine wissen-
schaftlichen Leistungen noch näher einzugehen hal)en.
Ik'denkt man, daß zu alledem die Lehrtätigkeit, die (leschätte des
Direktors einer sich fortgesetzt vergrößernden Anstalt hinzukamen, so be-
wundert man auf das Höchste die Arbeitsleistung eines Mannes, der doch
niemals fiberhastet oder überarbeitet schien, der stets Zeit für seine Familie
und für seine Schüler fand. Möglich war eine derartige Tätigkeit aber auch
bei einem Manne wie G. nur durch die Konzentrierung aller Kräfte auf das,
was ihm im Leben bedeutungsvoll war. Kr führte ein äußerst regelmäßiges,
ruhiges Leben und pflegte nur mit wenigen Freunden näheren Verkehr. Zu
ihnen gehörten sein Schwiegervater und Vorgänger Friedrich Arnold, sein
Schwager, der Professor der pathologischen Anatomie Julius Arnold, sein
Jugendfreund Friedreich und vor allen Kuno Fischer, der ihm nach Heidelberg
vorangegangen war. In gastlichster Weise öffnete er aber sein Haus seinen
jüngeren Arbeitsgefährten und Schülern.
Die Stellung, die sich (L in der anatomischen Wissenschaft im Laufe
der Jahre erobert hatte, fand ihren klarsten Ausdruck bei der Feier seines
siebzigsten Geburtstages im Jahre 1896. Jeder ftufieren Ehrung hatte sich
der Jubilar durch Abreise von Heidelberg entzogen. Die Huldigung seiner
Schüler und Freunde fand ihren Ausdruck in der Widmung einer aus drei
Bänden bestehenden Festschrift, in der G. gar manches von ihm gepflanzte
Samenkorn zur Hlüte entfaltet f.md.
Wer ihn damals erblickte, in sein so außerordentlich kluges und leb-
haftes Auge schaute, oder die hohe imponierende Erscheinung straff auf-
gerichtet den Lieblingsweg zum Heidelberger Schlofi empor steigen sah,
der konnte nicht ahnen, daS sobald schon nach jenem Festtage sich Er-
scheinungen schwerer Erkrankung einstellen würden, die ihn zwangen, seine
Tätigkeit einzustellen und im Jahre iqoi seinen Abschied zu nehmen. Kr
hatte die i reude, noch seinen treuesten Schüler Max Fürbringer, der bereits
in Jena den Lehrstuhl G.s innegehabt hatte, als Nachfolger in Heidelberg
zu sehen.
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332
Gegenbaur.
Nach langein, heldenhaft ertragenem Leiden, in dem er von seiner Frau
und seiner zweiten Tochter aufoi>fernde Pflege fand, starb er am 14. Juni 1903.
Die Beschränkung des Raumes läßt uns davon absehen auf das reiche
Mafi äuflerer Ehren, das G. zuteil wurde, hier einzugehen. Wir handeln
damit sicher nur im Sinne des Entschlafenen. Dagegen müssen vir auf seine
w issenschaftliclien Leistungen seit seiner Übersiedelung nach Jena noch aus-
führlich zu sprechen kommen.
Wir unterschieden eine bis etwa zum Jahre 185.S reichende Periode seiner
Forschertätigkeit, in der wir ihn, von den Früchten seines Aufenthalts in
Messina zehrend, überwiegend mit zootomischen und entwicklungsgeschicht*
liehen Arbeiten über Wirbellose beschäftigt fanden. Mit dem Jahre 1858,
etwa gleichzeitig mit der Übernahme des Lehrstuhls der Anatomie, beginnt
eine zweite Periode, in der die Wirbeltiere im X'nrdergrund seines Interesses
stehen. Der Charakter seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit ist in erster
Linie durch die Arbeiten dieser zweiten Kpoche gegeben, mit der wir uns
nun vertraut zu machen haben.
Es ist gewifi statthaft, auch bei einem Manne von der Originalität G.s,
sich zu fragen, welche Einflüsse auf den noch jugendlichen Forscher i^'ewirkt
haben können. Sicher ist, daß johannes Müller einen tiefen Kindruck auf
ihn maclite. \'on Kölliker empfing' er, wie er dankbar anerkannte, reiche
Anregung im Unterricht und im per.sönlichen Verkehr, doch würde niemand
aus seinen wissenschaftlichen Afbeiten, namentlich jener zweiten und größten
Periode seines Lebens, schließen können, daß er Köllikers Schüler gewesen.
Von einem Lehrer, dessen Spuren er folgte, kann man bei ihm nicht sprechen.
Wohl aber sieht man. wie seine Gedanken«,'rinL:e denen verwandt sind, welche
Goethes morpliologische Studien durchdringen und die in allerdings phan-
tastischen Formen in den naturphilosophischen Spekulationen Okens (1779 bis
185 1) auslaufen. Die Beurteilung, die beide in seinem Vorwort zur zweiten
Auflage der »Grundzttge der vergleichenden Anatomie« (1870) erfahren, weist
darauf hin. In einem besonderen Fall wird uns sogleich ein bestimmtes Bei-
spiel entgegentreten. .Aber diese Vorstellungen sind erleuchtet und geklärt
durch den Kntwicklunusf^edanken, die sichere t'ber^euijung von flcr stammes-
geschichtlichen Einheit des Pierreiches. Schon zur Zeit seiner Promotion zum
Doctor tnedicinat beschäftigten ihn, wie wir sahen, jene Grundanschauungen,
die nun seit dem Jahre 1859 Darwins Auftreten sofort bei ihm Ver-
wertung fanden.
Was seit jener Zeit die Wissenschaft G. zu danken hat, kann hier auf
engem Raum auch nur einigermaßen erschöjifend nicht daruestellt werden.
Wir müssen auf die ansfiihrliche Würdigung seiner Lebensarbeit in der von
M. Fürbringer ( Karl Gegenbaur« in: Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahr-
hundert. Festschrift der Universität zur Zentenarfeier ihrer Erneuerung durch
Karl Friedrich, 3 Bd. 1903) verfaßten Biographie verweisen und uns mit einer
Skizze begnügen. Einen Begriff von seiner Arbeitsweise möge zunächst der
Versuch geben, seine Lösung des Kopfproblenis darzustellen (K. Gegenbaur,
L'nlersuchungen zur ver^deK iienden Anatoinii- der Wirlteltiere, IIP Das Kopf-
skelelt der Selachier, ein Beitrag zur Erkenntnis der Genese des Kopiskeleits
der Wirbeltiere, Leipzig 1872).
Ein Problem, dessen Gegenstand der Kopf oder besser gesagt der Schftdel
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Gegenbaur.
333
bildete, bestand, seitdem GoeÜie und unabhängig von ihm Oken diirc h zu-
fällige Beobachtungen zu der Vorstellung geführt wunlcii, dali die Ver-
schiedenheit zwischen dem Ropfskelett und der \\ n!)clNaule keine tyi>ische
sei, sondern daß der knöcherne Schädel sich aus W irbeln aufbaue. So ent-
stand, von Goethe im allgemeinen erfaßt, von Oken im einzelnen durchgeführt,
die älteste Form der »Wirbeltheorie des Schädels«, deren Vertreter nur in
der Vorstellung über die Zahl der Wirbel, die in den Schädel eingegangen
sind, differierten. Diese Theorie fand aber keineswegs allgemeine Annahme.
Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte sogar Kr^a-bnisse, die ihr den
Boden zu entziehen schienen. Es stellte sich bei einbr\ ulogischen Unter-
suchungen heraus, dall überall einem knöchernen Kopfskelett ein knorpeliger
Zustand vorausging, wie er zeidebens bei niederen Tieren bestehen bleibt.
Dieses primitive Kopfekelet^ das Primordialcranium, schien nun aber keinerlei
Übereinstimmung mit der Wirbelsäule zu besitzen. Auch wenn es an ihm
zu Knochenbildungen kam, zcitrtcn dioe tat*^ä«li]irli t\]iisrhe Verschieden-
heiten gegenüber den knöchernen I cik-n der \\ iil)cisäulc. Die alle \Virl)el-
theorie des Schädels wurde zu Grabe getragen. Hier setzte nun G. ein. Kr
sah, dafi die Kenntnis des Primordialskeletts des Kopfes der niederen Wirbel-
tiere keineswegs genügte und erkannte in den Haien (Selachiem) die Tier«
gr i;>]'L. in welcher die Untersuchung auf Erff)lg zu rechnen hatte. Die
Sclachier stellte er in den Mittelpunkt iler Diskussion und wies damit auf
die außerordentliche Bedeutung gerade dieser Können für morpholoi,ds( he
Fragen hin. Er untersuchte zunächst an einer möglichst groüen Anzahl von
Alten mit peinlichster Genauigkeit den Teil des Kopfskeletts, der als HOlle
fOr das Gehirn und die Hauptsinnesorgane des Kopfes dient, das Cranium,
dann den Teil, der, unterhalb des ersteren gelegen, in Form einzelner Bogen
flie von den Kiemenspalten durchbrochene \V;ind des vorderen Darm-
abschniites stützen, das sog. \'isceralskelett. Ks ergab sich ihm hierbei, daß
die untereinander äußerst verschiedenen Visceralbogen ursprünglich gleich-
artig gewesen sein müssen und femer daß ihre Verschiedenheit sich als Folge
verschiedenartiger Funktion eingestellt hat. Er bewies, daß die Visceral-
bogen ursprünglich in inniger Beziehung zum Cranium gestanden haben
müssen, aus dessen Bereich sie zum Teil in der Kit litung nach dem Schwanz
hin verlagert worden sind und zeigte tianiit, dali ein wichtiger Teil des
Kopfskeletts eine Glie<lerung aufweist, wie sie auch im Bereich der Wirbel-
säule durch die Anhänge derselben, die Rippen, numilest wird, eine Metamerie.
Indem G. nun auch die Weichteile des Kopfes prüfte, fand er aber auch im
Bereich des Cranium die Spuren einer metameren Gliederung, erkennbar an
dem Verhalten der Kopfnerven, und diese Metamerie stimmte mit der
Metamerie im Bereich des Visceralskeletts ilberein. Sie betraf jedoch nur
den hinteren Teil des Koj^fes. soweit derselbe an seiner Basis \ on der
Rückensaite [CJiorda dorsalis) dun hzogen wird, einem primitiven Slüt/gebilde,
das in gleicher Weise auch die Wirbelsäule durchsetzt. Nur dieser »chordale«
Teil des Schädels ei^ab Vergleichspunkte mit der metamer gegliederten
Wirbelsäule. Soli !u- fehlten dagegen völlig im vorderen, das Auge und
üeruchsorgan umschließenden Teil des St hädels.
So srhloli (I., daß der ganze hintere (caudalel Teil <les Schädels als
daü Produkt einer \'erschmelzung einer größeren Reihe wirbelartiger Segmente
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Gegenbaur.
aufzufassen sei und ursprünglich Gleichheit zwischen ihm und dem primitiven
Zustand des übrigen Aciiscnskelctts bestand, während der vordere |)rarhordale
Teil eine Bildung eigener Art darstellt, entstanden zum Schutze wichtiger
Sinnesorgane. Der Schwund der Gliederung des chordalen Schädelteils ist
zu verstehen durch seine Bedeutung als schüttende HQUe für das Gehirn und
durch die Beziehungen zu den mächtigen, vom entspringenden, die Wirbel-
säule beherrschenden Muskelmassen, die einer festen Ursprungsfläche bedurften.
Damit schuf G. eine moderne Wirbeltheorie des Schädels oder liesser
die nnideriic Auffassuiitr von der Gliederung des ganzen Kopfes mit Kin-
schluli aller Weichteile und iielerle die sichere Basis, auf der nun eine außer-
ordentlich grofle Zahl von Forschem welter bauen konnten.
Die Schädelarbeit ist aber auch deswegen fQr uns von grofiem Interesse,
weil sich an sie nach allen Richtungen neue Gedanken und Fragestellungen
anschlössen. Mit ihr Stehen u. a. in innigem Zusammenhang G.s Darstellungen
der Kopfnerven.
Mit besonderer Vorliebe hat G. auch andere Teile des Skeletts bearbeitet,
so die Wirbelsäule von Amphibien und Reptilien, von Lepidosteus, nament-
lich aber das Gliedmafien (Flößen-) skelett. Von den 23 hierhergehörigen
Abhandlungen erwähne ich vor allen aus seinen rntersuchungen zur ver-
gleichenden Anatomie der Wirbeltiere: »Carpus und 'rarsus<' (Leipzig 1864)
und Brustflosse der i ischc (Leipzig 1S65) sowie den im Jahre 1894 im
Morphologischen Jahrbuch erschienenen zusammenfassenden Aufsatz: Das
Flossaisl^Iett der Crossopterygier und das Archipterygium der Fische. Er
zeigte, dafi die so unendlich mannigfachen Zustände des Skeletts der paarigen
Flossen der Fische sämtlich auf einen Ausgangspunkt zurückzuführen und
von ihm aus zu verstehen sind, einer l'rflolie, dem Archipterygium. Es gelang
ihm aber aucli das Gliedmalienskelett der landlehenden Wirbeltiere (1865)
von den priiniti\en Zustäntlen des Floiienskeletts abzuleiten. Auf diesem
Punkt blieb ci jedoch nicht stehen, sondern fragte weiter nach der Herkunft
des Flossenskeletts selbst und hier verhalfen ihm seine Untersuchungen über
das Kopfskelett zu einer bestimmten Vorstellung. Kr stellte die Hypothese
auf, daß das Skelett der vorderen wie hinteren Gliedmafien nicht in loco
entstanden ist, sondern unter weitgehenden Verlagerungen, die als möglii h
erwiesen werden komiten, vom Kiemenskelett abstammt, aus Kiemenbogeii
entstanden ist. Diese Kiemenbogenhypothese ist der Gegenstand heftigster
Angriffe geworden. Nachdem nun aber unsere Kenntnisse nach allen
Richtungen erheblich erweitert und vertieft worden sind, stellt sie sich immer
mehr als die allein lebensfähige Auffassung der Genese des Extremitäten-
skeletts heraus.
Eine weitere Cirupiie \-on Ail)eiten hehaiidelt das Eingeweidesystem. An
erster Stelle, was Reichtum an Gedanken und Vollendung der Methodik an-
langt, steht die in die Entstehungsgeschichte des Kehlkopfs eindringende
Arbeit: »Die Epiglottis. Vergleichend» anatomische Studie (Leipzig 1893).
Albert Kölliker zum 70. Geburtstag gewidmet.« Auch hier sind die Spuren
des Hauptgedankens auf G.s Bcschättiirnncr mit dem Ko))fprohlem zurück-
zuverfolgen. Die Ableitung der \virhti_^stcn Knorjiel des Kehlkopfes von
dem visceralen Bogensystem am Kopf hschartiger (.Organismen ist das Grund-
thema, von dem nach verschiedensten Richtungen hin Fragen angeschnitten
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Gcgenbaur.
335
werden, die selbst wieder größere Forschungsgebiete eröffneten und zur Be-
arbeitung reizen mußten. Mustergültig ist überall die Verwertung der
Funktion zur Aufklärung des Baues und die eingehendste Berücksichtigung
der Beziehungen des den Mittelponkt der Darstellung bildenden Organs zn
seiner Nachbarschaft.
Hervorzuheben sind ferner Untersuchungen über die Zunge. Wenn eine
muskulöse Zunge nur den höheren Tieren zukommt, bei den Fischen die
Zunge dagegen einer Muskulatur gänzlich entljehrt, so ergab sich für (r.
daraus die Frage nach den Umständen, welche die »Muskuiahsicrung« der
Zange aller höherer Formen bedingten (Zur Phylogenese der Zunge. Morpho-
logisches Jahrbuch Bd. 21. 1894). Nach seinen Gnindanschauungen konnte
ein Eindringen von Muskelfasern in einen ursprQnglich muskelfreien Zungen-
wulst im Laufe der Phylogenese nur dann stattfinden, wenn schon der
geringste Anfang eines solchen Prozesses von funktioneller Bedeutung war.
Seine Untersuchung brachte das Ergebnis, daß die ersten Muskelfasern tier
Zunge im Dienst von Drüsen standen, deren Entleerung durch sie befördert
vorde. Nachdem die Fasern in dieser funktionellen Beziehung verstärkt und
vennehrt waren, konnten sie auf die Bewegungen der ganzen Zunge Einflufl
gewinnen und in dieser neuen Leistung eine immer weitergehende Ausbildung
erfahren. Kin früher muskelfreier Wulst wurde auf diesem Wege zu dem
äußerst beweglichen Organ, wie wir es bei den Säugetieren kennen.
Auch auf die Untersuchungen über die Unterzunge sei besonders hin-
gewiesen. (Ober die Unterzunge des Menschen und der Säugetiere. Morph.
Jahrb. Bd. 9» 1884. Beiträge zur Morphologie der Zunge. Ibid. Bd. ii| 1886.)
Im Gebiet des Hautsystems betreffen die wicht ^^Nt -n Arbeiten die
Moq^hologie fier Mammarorgane und damit für die vergleichende .Anatomie
der Saugetiere besonders wichtige 'i'eile. Beachtenswert ist ferner seine
Untersuchung über die Nägel (Zur Morphologie des Nagels. Ibid. Bd. 10, 1885).
Die Kenntnis des Gefäflsystems wurde bereichert durch Untersuchungen
Ober das Herz von Fischen (Ober den Conus arieriastts der Fische. Ibid.
Bd. 17, 189 1), Krokodilen, Vögeln, Ornithorhynchus (Zur vergleichenden
Anatomie der Herzen. Jen. Zeitschrift f. Xaturw. u. Med. J^d. 2, 1866). Auf
dein (iebiet der Sinnesorgane beschäftigte sich (I. speziell mit dem Geruchs-
organ (Über die Nasenmuscheln der Vögel. Ibid. Bd. 7, 1873). Aus der
kleinen Anzahl von das Muskelsystem betreffenden Arbeiten seien die Mit-
teilungen Ober den Musculus omokyoideus und Uber die Systematik der
Rüi kennniskeln besonders hervorgehoben. (Morphol, Jahrb. Bd. i, 1875.
ibid. Bd. 24, 1896.)
In einem Auszug aus den G. sehen .Arbeiten müssen aber auch seine
grundlegenden Forschungen, über die Entstehung des Knochengewebes einen
Ehrenplatz erhalten, Forschungen die einer richtigen Beurteilung des ge-
samten knöchernen Skeletts die Grundlagen schufen. Er stellte fest, daß
das Knochengewebe das Produkt bestimmter Zellen ist, die er Osteoblasten
nannte, und daß alle Knochenzellen in jüngeren Stadien des betreffenden
Organismus einmal ()steol)lasten waren, (lie ihre abscheidende Tätigkeit
eingestellt hatten und dadurch passiv von dem Abscheidungsprodukt der
Nachbarzellen umschlossen worden waren. (Über die Bildung des Knochen-
gewebes. Jen. Zeitschrift f. Katurw. u. Med. Bd. i, 1864.)
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336
Gegenbanr.
Außer den nur zum Teil soeben erwähnten Spezialuntersuchungen, zu
denen noch eine frro(k' Zahl von Kritiken und Referaten kommt, veröffent-
lichte G. zusa^lmcnta^scn(k' Darstclluiif^eii des gesamten Wissensf^ebietes
der vergleichenden Anatomie, die auf dem Wege seiner geistigen Entwicklung
wichtige Marksteine bilden, aber auch in eindringlichster Weise vor Augen
führen, welche doch zum gröflten Teil ihm oder seiner Anregung zu dankenden
Fortschritte die Morphologie gemacht hat.
Im Jahre erschienen seine ("iriindzüge der vergleichenden Anatonn'e«,
eine knappe Darstellung, welche Wirbellose und Wirbeltiere umtaiit. Der
Stoff ist in Kapitel verteilt, die den einzelnen Typen tierischer ürganisaiioii
entsprechen. Protozoen, Coelenteraten, Kchinodermen, Vermes, Arthropoden,
Mollusken, Vertetraten werden nacheinander besprochen. Das Ziel war eine
Darstellung der Wandelungen der Organe und Organsysteme, wie sie vom
jeweiligen Typus beherrscht wird. Aber schon erschienen G. diese Typen
ni( lu in dem alten Cuvicrschen Sinne voneinander streng geschieden. > Es
bestehen Zwischenglieder, die sich wie Brücken über die Kluft der Grund-
typen hinüber bauen und für die im Tierreiche waltende Einheitsidee Zeugniü
ablegen.« Der hierin enthaltene, aber noch verschleierte Deszendenzgedanke
gelangt zur vollen Durchführung in der im Jahre 1870 erschienenen zweiten
Auflage der »Grundzüge«, die au( h in größerem l'mfang dem Wachsen
der Krkenntnis Rechnung trug. Im der l'.iiileitung, die einen ungemein
interessanten, historischen .\brili enthalt, bekennt er sich offen zur Des-
zendenzlehre. Das Werk durchzieht als (Grundgedanke, daß die Verwandt-
schaft« der Organismen ihre bildliche Bedeutung verloren hat, daß nunmehr
die Aufgabe der vergleichenden Anatomie darin zu suchen ist, die mannig^
fachen, aus der Anpassung erworbenen Umwandlungen der Organe Schritt
für Schritt zu verfolgen. Das Ziel der vergleichenden Anatomie ist aiso die
Geschichte des Organismus und semer Teile.
Schon bei seiner Übersiedelung nach Heidelberg trug sich G. mit dem
Plane einer Darstellung der vergleichenden Anatomie gröfieren Urnings und
ließ daher, als neue Auflagen seines Buches notwendig wurden, vorerst eine
kürzer gefaßte Umarbeitung der »Grundzüge« in dem »Grundriß der vergleichen-
den Aiintoniie 1S74 und 1878 erscheinen. T)as geplante größere Werk staml
nun im Hintergrund seiner Arbeit wahrend der ganzen Heulelberger Jahre.
X'erzögert wurde sein Erscheinen durch die Herau.sgabe des Lehrbuches der
Anatomie des Menschen und ihrer zahlreichen Auflagen. So ist es als ein
großes Glück zu betrachten, daß es G. noch vergönnt war, im Jahre 1898
und 1901 in zwei Bänden: Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, mit
Berücksichtigung der Wirbellosen, die Ergebnisse und l'.rfahrungen seiner
Lebensarbeit und der Arbeiten .aus seiner Schule darzustellen. Die Wirbel-
tiere bilden den Kern des Werkes, die OrganisatifMisverhältnisse der Wirbel-
losen werden aber noch überall zur Beleuchtung der Zusammenhänge und
Beziehungen herangeholt. Es liegt hier ein Werk vor, das ganz den
Stempel G.scher Eigenart trägt und gerade auch dadurch von höchstem
Wert ist. Die ganze Größe seiner Auffassung, gegründet auf umfassendster
Sathkenntnis und eine seltene Fähigkeit das Wesentliche zu erkennen und
herauszuhel)en, tritt uns überall entgegen und jeder, der für morphologische
Fragen Interes.se und Verständnis besitzt, wird auf das stärkste gefesselt
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Gcifenbaur.
337
Verden. Die Darstellung ist durchaus subjektiv, die einzelnen i eile sehr
verschieden eingehend behandelt, manches mag beim Fortschreiten der
Kenntnisse sich als nicht haltbar erweisen, die Art der Beurteilung ist aber
flberall meisterhaft und durchaus vorliildlich. Der stetige Hinweis auf neue
Frap'en ist ein woitcri*^ Moment, dixs die Bedeutung des Werkes für die Weiter-
entwicklung der vergleichenden Anatomie noch steigert.
So hat G. die Wissenschati niii einer ungeheuren Menge neuer Er-
fahrungen und Gedanken beschenkt, und es dOrfte sich wohl verlohnen, noch
kurz das, was für seine Arbeitsweise charakteristisch war, darzulegen.
Wenn G. ein bestimmtes Arbeitsgebiet in Angriff nahm, so geschah es
nicht, um bloß Lücken unseres positiven Wissens auszufüllen, sondern um
, ein scharf formuliertes ProblcTn zu lösen, und seine Probleme betrafen in
erster Linie die stammesgebchichtliche Entwicklung des Organismus. Er
ging abo von bestimmten Fragestellungen aus. Wenn er den Schädel der
Selachier untersuchte, so forschte er hier nach Instanzen zur Lösung des
Kopfproblems. Er ging an die UiUersuchung der Zunge heran, um die Frage
zu beantworten, wie die Kntwicklung einer muskulösen Zunge aus einem
niuskelfreien Wulst möglich war usw. Eine genaue Kenntnis der Tier-
formen und ihrer Stellung zueinander, setzte ihn instand bei denjenigen
Arten die Antwort auf seine Frage zu suchen, die sie ihm geben konnten.
Eine außerordentlich genaue Untersuchung bot ihm das Material, auf dem er
seine Schlüsse in scharfsinnigster Weise klar und logisch aufbaute.
Als eine besonders wichtige Instanz zur Beurteilung der Organisation
benutzte er stets die Entwicklungsgeschichte. Niemand war mehr von ihrer
Bedeutung für die Beurteilung aller Organisation durchdrungen wie er. Sie
muß auch bei allen die Phylogenese betreffenden Fragen zu Rate gezogen
werden. Die Ergebnisse der ontogenetischen Forschung mufiten aber mit
Vorsicht Verwertung finden, weil überall mit der Möglichkeit zu rechnen ist,
dafi die Ontogenese Abweichungen von der Phylogenese zeigt, wenn sie sie
auch in den Hauptpunkten wiederholt. Als solche Abwcichimgen (Känogenie
im Gegensatz zur Palingenie) mußten alle Vorkommnisse gelten, welche
als Besitz ausgebildeter i'iere nicht gedacht werden konnten. Die zweite
Instanz bildete die vergleichende Erforschung der fertigen Formen. Sie ist
der Ontogenese insofern übergeordnet, als sie die Organe in ihrer Bedeutung
für den Körper, in voller Funktion erkennen läßt, die Beziehungen zwischen
Leistung und Bau enthüllt. Je ausgiebiger das Material für die \'ergleichung
herangezogen wird, desto klarer wird sich Wesentliches und I nwesentliches
trennen lassen. Das G. ganz besonderen Wert auf die vergleichende Be-
rücksichtigung des fertigen Körpers legte, entspringt seiner Oberzeugung von
einer direkten Bedeutung der Funktion für die Struktur. Die Funktions-
fihigkeit ist daher das erste Postulat, das G. an einen Zustat^l stellte, der
als phylogenetischer Vorläufer eines anderen angesehen werden sollte.
G. war in den Schlüssen, die er aus seinen weitumfassenden Unter-
suchungen zog, stets von größter Vorsicht, und gar manches, was ein
anderer als bestimmtes Ergebnis angesehen hätte, wird von ihm nur als
Problem aufgestellt« ..
.. So sind die Cschen Werke auch nach ihrer wissenschaftlichen Methodik
von gröfitem Interesse, ebenso vorbildlich ist aber auch seine Art der Frage-
Blogr. Jahrbuch u. I>entMh«r Nekrolog. 9. Bd. 22
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338
Gegenbaur.
Stellung. Durch sie hat er seiner \\ i.s.>>enschaft für lange hinaus die Pfade
gewiesen.
Eine andere noch zu berührende Seite der Lebensarbeit G.s bildet seine
Tätigkeit als akademischer Lehrer. Er war kein Lehrer, der durch glänzen-
den Vortrag seine Hörer fesselte, und so ging ein Teil der Studierenden ohne
richtiges Verständnis an den Schätzen vorbei, die ihnen in den Stunden
G.scher V orlesungen geboten . wurden. Kr wirkte nicht auf die Masse, um so
tiefer aber auf diejenigen, die Form und Inhalt zu trennen verstanden, hin
fand sich stets unter den Studierenden jeden Semesters eine »Gegenbaur
Gemeinde« zusammen.
Was sein Tnlerricht bedeutete, ergibt aber auf das klarste die Betrach-
tung seines Lehrbuches der Anatomie des Menschen, das im Jahre 1.SS3 zuerst «
ersclüen unrl bereits im Jahre iSqS in siebenter Auflage herausgegeben wurde
Wiederum ist dieser Erfolg nicht an die Form gebunden. Die Sprache ist
außerordentlich konzentriert,' die Darstellung stark komprimiert und dadurch
dem Anfänger nicht ohne angespannte Aufmerksamkeit verständlich. Inhalt-
lich bedeutet das Buch aber eine völlige Reformation des anatomischen
Unterrichts. Nichts kaim liier lehrreicher -^ein, als eine Vergleichung mit
den älteren Lehrbüchern. In früherer Zeit fand (he Darstelhmg der Anatomie
fast allein durch physiologische Betrat htungen Belebung Die l-'unktion der /ii
beschreibenden Organe ward fast stets vorangestellt und stand auch für die
Darstellung der Bauverhältnisse im Mittelpunkt des Interesses. Nur in ge-
ringem Mafie wurde, etwa zur Erklärung von Varietäten, die Entwicklungs-
geschichte herangezogen. Didaktische Gründe führten auch zu wissenschaft-
lich nicht begründbaren Anordnungen des Stoffes. Demgegenüber bildet den
Mittelpunkt der Ci. sehen Darstellung der Anatomie des Menschen der Satz,
daß der Organismus des Menschen nicht isoliert in der Natur dasteht, sondern
»nur ein Glied einer unendlichen Reihe bildet, in welcher durch die Er-
kenntnis des Zusammenhangs auch das einzelne erleuchtet wird«. Die Er-
kenntnis des Zusammenhangs brachte aber die Entwicklungsgeschichte und
die vergleic hende Anatomie. Der Physiologie ihre wohlerworbenen Rechte
lassend'' stellte G. an den .\nfang jeden Kajiitels eine kurze Darstellung der
Ent\vi( kiung des betreffenden Organsystems und beleuchtete in knapper Form
die Stellung, welche der in Frage stehende Organisationsteil in der starames-
geschichtlichen Reihe einnimmt. In doppeltem Sinne führte er so die gene-
tische Methode durch. Lehren heiflt entwickeln, sagte er in dem Vorwort
zur vierten Auflage. Gerade die Einleitungen der gröfieren Kapitel seiner
Lehrbücher bihlen ilen Glanzpunkt des Werkes und zeigen den großen Meister.
Der Frfolg de> Lehrt)uches äulierte sich aber nicht nur in der raschen Auf-
einanderfolge der AuHugen, sondern auch in der Tatsache, daü die genetische
Methode allgemein in den später erscheinenden Werken anderer Autoren
Eingang gefunden hat.
Eine beachtenswerte Bereicherung gab G. der vierten Auflage seines Lehr-
buches mit, eine ausgezeichnete, auf eigenstem Quellenstudium beruhende
Darstellung der Geschit lite seiner Wissenschaft. P'r sagt hierzu: Es erschien
mir als Pflicht, den Studierenden auch auf die \ ergangenheit der Anatomie
einen Blick zu eröffnen, durch die das Interesse an einer Disziplin nur ge-
winnen kann, welche die Spuren einer langen Geschichte allenthalben an sich
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Geg«nb«ur. Zeller-Werdmflller.
339
trä^t. Die Wandlungen, die sie erfahren, erwecken Teilnahme und Hölien
Achtung vor dem allmählig (iewordeiicn ein, und, indem sieh der histori'^< lien
Betrachtung auch die Gegenwart nur als eine Phase des großen Entwicklungs-
ganges darstellt, bildet sich fQr das Alte ein billiges Urteil, und das Neue
bleibt vor Überschätzung bewahrt.« Diese Pietät fOr das historisch Gewordene,
eine Pietät, die in den Erfahrungen seiner frühesten Jugend wurzelt, hinderte
ihn auch der Beseitigung der Namen bedeutender Entdecker aus den Be-
zeichnungen der anatomischen Wissenschaft, wie sie die neue NomenUatur
verschlägt, zuzustimmen.
Mit dem, was wir bisher berichteten, haben wir aber noch nicht das
ganze Mafi der Bedeutung seiner Persönlichkeit erschöpft. Wir däifen nicht
vergessen, welcher Strom von Anr^ungen von ihm selbst und von seinen
Werken ausging. Allein schon die Zahl seiner speziellen Schüler ist eine
g^roße. Bestimmte Themata hat er ihnen selten gestellt, .\nregungen mehr
allgemeiner Natur führten wenigstens die meisten unter ihnen auf ergebnis-
reiche Wege. Selbständigkeit des Denkens war das, was er an dem Schüler
am höchsten schätzte, nicht das /tttnre m verba magistri. So haben sich die-
jenigen, die sich dankbar als seine Schüler bekennen, in verschiedenster
Weise entwickelt. Was sie \crbindet, ist die Verwandtschaft der Probleme,
nicht bestimmte Dogmen. In diesem Sinne spricht man von einer G. sehen
Schule, sie umfaßt keineswegs nur diejenigen, welche unter seiner persön-
lichen Leitung gestanden.
So wird sein Lebenswerk und werden seine Gedanken für lange seinen
Tod überdauern. Jeder aber, der in ihm den Lehrer und Freund fand, wird
im Gedenken an ihn sich die Worte in Eckermanns Gesprächen mit Goethe
zu eigen machen: »Ich weifi in meiner tieisten Seele das Cdück zu ericennen,
was es sagen will, wenn man einmal mit einem rechten Meister zusammen-
trifft.« Er war ein rechter Meister in Wissenschaft und Leben.
E. Göppert-Heidelberg.
ZcIler-\Verdmüller, Heinrich, Historiker, • 2. April 1844 in Zürich,
f 27. Februar 1903 ebendaselbst — Media vita in mortf siimusl Wieder einmal
mit ganzer Herbe hat sich die.se Mahnung erfüllt. Voller Pläne und schein-
bar voller Kraft hat uns der Freund verlassen, aul der Höhe des Tagewerkes
ist seine Arbeit stille gestanden. Als ob er sie wieder suchte oder in raschem
Tempo, leicht hüpfend und etwas vorgebeugt, den Heimweg machte, so
zeichnet die Erinnerung sein leibliches Bild, den stattlichen Fünfziger mit
dem voll-ovalen Gesichte, dem tier starke, graue Schnurrbart etwas Martia-
lisches verlieh, mit oftmals zerstreuter Miene, die den mit Arbeitsgedanken
und Plänen Beschäftigten verriet. Er wollte angerufen sein, um mit freund-
lichem Blick und einem >Ah«, das wie erwadiend klang, des Begegnenden
gewahr zu werden. Dann hat es selten an einem Geleite gefehlt, bei dem
er stets etwas Neues und Anregendes zur Sprache brachte.
Z. ist am 2. April 1S44, von vier Kindern das älteste, geboren.
Sein Vater Johann Heinrich war Inhaber der ^Walke«, einer Rotfärberei, die
auf der Stelle des jetzigen Schlachthauses an der Limmat lag. Als eifriger
.Militär war er bis zum Range eines Oberstleutnants der Artillerie vorgerückt,
2a*
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340
ZeUer-WerdmttUer.
derb geartet, aber wohlwollenden, geraden Sinnes, gegen die Seinen liebevoll
und den Freunden mit Treue zugetan.
Dem Vater war die Gattin im Tode vorausgegangen, Rosalie, geborene
Meyer, eine feinsinnige, geistvolle Frau, von der die Familie anmutige Ge-
dichte bewahrt. Auch im Zeichnen und Malen war sie geübt. Von ihr hat
sich die Begabung, Gesehenes rasch und sicher wiederzugeben, auf den Sohn
vererbt.
Nachdem der Fünfzehnjährige auch den Vater verloren hatte, wurile er
dem Helfer zu St. Peter, Heinrich Hirzel, in Obhut und Pflege gegeben.
Schon damals kündigten sich die besonderen Neigungen und Flhigkditen an
in Richtun^^en, die freilich öfters zu Konflikten mit dem Schulplane fOhrten
und die den manchmal Zerstreuten in die hinteren Reihen verwiesen. So
kam es, daß er das (Jynmasiuni in den untersten Klassen quittierte. Es war
der Wille seiner Beschützer, dem er folgte, und damaliger Anschauung ent-
sprach das weitere, daß, wer in den Humaniora nicht prosperiert^ eben nur
gut genug zum künftigen Kaufmanne sei. Als Lehrling wurde Z. in ein
zürcherisches Rohscidengeschäft getan, worauf er sich zur weiteren Ausbildung
nach Mailand begab. Den Forderungen des Berufes hat er sich tapfer gefügt
und dabei den (irund zu Kenntnissen, Erfahrungen und einer Pünktlichkeit
gelegt, die nicht zum mindesten seinen späteren Rang bestimmten. Daneben
gingen archäologische und geschichtliche Studien einher. Bei einer Begeg-
nung in Mailand, die in den Sommer 1867 fiel, wies er sich über Kenntnisse
aus, die ich eben nur dem Fachmann zugetraut haben würde. Endlich nach
kurzem Aufenthalte in England fand 1S69 die Rückkehr in die Heimat statt,
wo Z. zunächst bei dem ergriffenen Berufe verblieb, aber ebenso standhaft
auch weitere Interes.sen vertrat.
Von dem \'ater hatte er den Zug zum Mihtärwcbcn geerbt. Es gingen
aus diesen Neigungen die Arbeiten hervor, die er in den Neujahrsblftttem
der Zürcherischen Feuerwerker-Gesellschaft veröffentlichte, über Burgen-
bau und Waffenkunde des Mittelalters, deren Kenntnisse ihn zur Autorität
erhoben.
Der vollen Hingabc an die Wissenschaft stand nun freilich noch immer
der Geschäftsmann entgegen. Was jener diente, muüte an Feierabenden und
in sonntäglichen Nachmittagsstunden verrichtet werden, und doch hat schon
damaligen Arbeiten die Anerkennung auch in fachmännischen Kreisen des
Auslandes gegolten. Ein deutscher Universitätsprofessor der Geschichte, den
Z. 1886 auf die Habsburg führte, war dermaßen erstaunt über die Fülle und
Sicherheit seines Wissens, dafi er sich erkundigte, wer denn dieser »Kollege«
gewesen sei. Ein Professor? Nein, — wurde er belehrt — das ist Z. nicht,
sondern ein Geschäftsmann und Papierfabrikant,« worauf jener meinte: »Isun,
wenn Sie noch mehr solcher Kaufleute haben, dann darf ich den Zflrchem
schon dazu gratulieren.«
Endlich, 1896, war Z, ein freier Biann geworden und nun folgten Werk
auf Werk, zunächst in den »Mitteilungen der Antitjuarischen Gesellschaft in
Zürich*. Jedes Heft — es sind auüer solchen, an denen er sich als Mit-
arbeiter betätigte, deren sieben — bot Neues dar, auf selbständiger Auffassung
mit gründlichster Kenntnis gebaut. Erweiterte Beobachtungen, Schlüsse und
Fundberichte legte er im »Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde«, im
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Zeller-WerdmUller.
»Zürcher Tasdienburh^ und im »Jahrbuch für Schweizerische Geschichte • nieder,
das zwei seiner bedeutendsten Arbeiten enthält, die Geschichte der Herrschaft
Grießenberg im Thurgau (1881) und die Studie über Johann Philipp von
Hohensax (1878), die grundlegend für die Forschungen über die Geschichte
der Manesseschen Liederhandschrift geworden ist. Im Jahr z888 sodann
hatte die Heraasgabe des Urkundenbuches der Stadt und Landschaft Zürich
begonnen, an der er bis ans Lebensende als Berater und Mitarbeiter einen
gewichtigen Anteil nahm, und allein hat er die musterhafte Kommentierung
der »Ziirrhfr Stadthücher' besorgt. Seinen grundsatzlichen Standpunkt zu
der seit Huttinger und Bluntschli gangbaren Auffassung von der zürcherischen
Geschichte hatte er schon 1890 in einem Beitrag zum zweiten Bande von
Vögelins »Altem Zürich« dargelegt; dann folgten die Abhandlungen über
»Uetliburg und die Freien von Regensberg«, »diu zürcherische Verfassungs-
änderung von 13361 und noch ein Weiteres, die Grundzüge einer Darstellung
der zürcherischen Politik waren in einem Vortrag gezeichnet, den er 1901
in der Antiquarischen Gesellschaft gehalten hatte. Aber den Ausbau fort-
zuführen und mit dem Meisterschlage zu vollenden, war ihm nicht mehr
vergönnt
In Kunstgeschichte hat Z. sich ostentativ als »Laie« erklärt und doch
ist in baugeschichtlichen Fragen sein Urteil so oft ein ausschlaggebendes
gewesen; er war auch stilkritisch geschult, und was er, lag es ihm nur ein-
mal daran, zu geben vermochte, hat in der »Festgabe auf die Eröffnung des
Schweizerischen Landmuseums« seine Abhandlung über die Geschichte des
Zürcher Goldschmiedehandwerkes gezeigt Andere Beiträge sind hier nur zu
streifen: für die »Zwingliana«, die »Deutsche Biographie«, die »Neue Zürcher
Zeitung« die »Historische Zeitschrift« von Sybel, den »Anzeiger für Schweize-
rische Geschichte«, wo er neben Besprechungen hervorragender Erscheinungen
auf dem Gebiete der historischen Literatur mit grininiigcm Hohn die An-
sprüche zerpflückte, die Dilettantismus und pseudowissenschaftlicher Hochmut
stellten. Seine Darlegungen endlich, die einem hftmtschen Angriff galten,
haben den Nachweis erbracht, dafl gerade ein halbes Jahrhundert vor dem
in der Gründungslegende angegebenen Zeitpunkt schon eine »Gesellschaft
der Schildner auf flem Schneggen« in Zürich bestand.
Aber rloch nur einen Teil seiner unermüdlichen Betriebsamkeit machte
diese Betätigung auf dem literarischen Gebiete aus. Fast ihm allein kam
die Leitung der Ausgrabungen zu, die auf Kosten der Antiquarischen Gresell-
Schaft in Zürich und der Schweizerischen Gesellschaft für Ertialtung histo-
rischer Kunstdenkmäier unternommen wurden, die der Moosburg, Schnabel-
^urg, der Schloßruinen von Alt-Wädenswil, Fridberg bei Meilen, Hohen-
lägern usw. In andern Fällen nahm er als Mitarbeiter teil, im Kastell
von Irgenhauscn, bei der Wicilerauftindung der Fraumünstcr - Krypta in
Zürich und zuletzt noch, als die Trümmer einer römischen Anlage im wel-
schen Dörfli in Chur zum Vorschein gekommen waren. Bei solchen Ar-
beiten hat sich in gleichem Bftafie wie der Spürsinn und ein erfahrenes
Wissen sein klar und ruhig überlegendes Wesen bewährt Wie oft es schien,
daß seine Schlüsse getroffen seien, er rückte erst heraus, wenn der endgültige
Befund sie bestätigt hatte. Zwei Entdeckungen sind von besonderer Be-
deutung geworden, die der ausgedehnten, schon im zehnten Jahrhundert
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342
Zdler-WeidmOUer.
zerstörten Burg bei Stammheiin, der Aufschlüsse wegen, die sich hierbei
über die Struktur der ältesten Wehrbauten ergaben, und der Nachweis einer
»Pfahlburg«, der Schiterburg im Sagentobel bei Zürich. Gern kam Z. auf
die Moosburg zu sprechen. Dort hatten die Grabungen lange gewährt, viel
Geld und Mühe gekostet und doch aufler dem Nachweis des Planes nichts
von Belang erbracht. Endlich in letzter Stunde ward noch der Sodbrunnen
gefutideii. Das hob den Mut; denn Z. wußte, wie oft solche Schächte Wich-
tiges bergen. Und wirklich aus dem Grunde kam es herauf, es sei ein
Kessel da. Das war nun eni Fund, aber wichtiger, als ihn der Mann ge-
meldet hatte, nimlich der eines Eisenhutes, den jetzt das Landesmuseum
als eines der seltensten Stücke seiner Waffensammlung bewahrt
Den Sitzungen der Antiquarischen Gesellschaft, der er schon seit 1862
angehörte, hat Z. nicht regelmäßig, aber wenn es geschah, mit aktiver Teil-
nahme beigewohnt. Oft, wenn nach beendigtem Vortrag ein Eiip;el durchs
Zimmer ging« und kein Votant sich stellen wollte, da wandten sich des
Präsidenten und vieler Blicke auf ihn, der immer etwas au sagen und auch
an Entlegenes anzuknüpfen wufite. Wie er schrieb, ohne Phrasen, schlicht
und klar, so trat er nach solchen Winken als Redner auf, sicher, bundig
und laut; man merkte den soldatisch Gerichteten lunuis.
Der »Schweizerischen Oesellschaft für Krhaltung historischer Kunstdenk-
mäler« trat er bei ihrer (Jründung bei. Eine Menge von Expertenberichten,
die er über Ausgrabungen, den Befund von Denkmälern und ihre Wieder-
herstellung verfafite, belegen die Hingebung, die er auch diesen Bestrebungen
widmete. Das Amt des QuSstors, das er zuletzt noch führte, bot ihm die
Gelegenheit, seine Erfahrungen und das Gewicht seiner PeisOnlichkeit in den
verschiedensten Riclitungen geltend zu machen, in den verwickeltsten Situa-
tionen zuweilen, die er mit ruhiger ( bersichtlichkeit beherrschte und durch sein
Votum klärte. Die gleiche Besonnenheit hat sich gegenüber zu weitgehenden
Ansprüchen in Subventionsfragen bewährt. Da blieb er dann fest, ohne
Rücksicht und Menschenfurcht, und wieder so, wenn kritiklos oder voreilig
restauriert werden wollte. Zumal in den letzten Jahren ist er oft und scharf
ins Treffen geraten, mit zuviel Stoßkraft vielleicht; aber den Nagel hat er
doch meistens auf den Kopf getroffen. Niemand ist von Schwächen frei,
die Zellers sind seine explosiven Tendenzen und ein Hang zu V erstärkungen
gewesen, der sich in gewissen Sachen bis zum Unfaßbaren steifte. Seine
Wallungen waren leicht zu beschwichtigen, in seinen Antipathien und ein-
mal vorgefaflten Meinungen dagegen blieb er intransigent, so daB er oft, wie
man sagt, das Kind mit dem Rade ausgeschüttet hat »Ich verstehe nichts
von Kunst«, war ein geflügeltes Wort, und ebenso wies er jede Affinität
mit akademischem Wesen zurück. Als ihn die »Gelehrte (Gesellschaft« in
Zürich zu ihrem Mitglied ernannte, da weigerte er rundweg die Annahme
der Wahl; erst als sie nach Jahren zum zweitenmal erfolgte, modite er
fühlen, dafi so aufrichtige Anerkennung auch Rücksicht erheische. Er hat
sich noch kurz vor seinem Ableben der Gesellschaft zur Herausgabe eines
Neujahrsblattes verpflichtet, ihren Sitzungen aber meines Wissens nie bei-
gewohnt. Als einer der Würdigsten durfte er die Auszeichnung empfangen,
die ihm Ende 1892 die philosophische Fakultät der Hochschule Zürich durch
die Ernennung zum Doctor honoris causa verlieh. Er hat sie geziemend ver-
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Zeller -Wcrdniüller.
343
dankt und auch sicher im innersten Grunde sich darüber gefreut; aber sein
Name ist nie anders als "Hch. Zeller-Werdmüller < von ihm geschrieben
worden. Nie war es ihm überhaupt um äuÜern Krfolg zu tun; nur der
Wissenschaft wollte er dienen, und dafür war ihm kein Opfer zu groll. Wie
er den Vereinen, denen er angehörte, seine Zeit und seine Kenntnisse
schenkte, so dienstfertig stand er dem einzelnen bereit. Frcilii li war auch
nur er imstande, in solchem Maße zu schenken. Schon die Art der Arbeit
brachte es mit, ob er in der Studierstube schrieb, in Hibliotheken oder Ar-
chiven forschte oder im (ietriebe einer Fundstätte notierte, gleich ruhig unti
flüssig ging alles von statten. Und sodann war ihm ein (Gedächtnis eigen,
das, was er einmal gesehen, gelesen oder vernommen hatte, ihm bleibend zu
eigen machte. Es war ein phänomenales Wissen, über das er verfügte, in
manchen Richtungen über den Bereich ««eines Faches hinaus und mit einer
Sicherheit, die niemals fehlte. Es kamen die Jahre, wo jeder Tag ihm An-
liegen und F'ragen brachte; denn ein FuntI, eine Aufstellung koimten nur
dann als gehoben und sicher gelten, wenn Z. gejirüft und seine Meinung
abgegeben hatte. Im Staatsarchiv, in der Siatltbibliothek und dem Landes-
museum war er im hintersten Winkel daheim und dadurch imstande, jeden
Fragenden auf eine sichere Fährte zu leiten. Führten uns Studien- oder Er-
holungsreisen über Land, er war das lebendige Lexikon, das über jede Stadt,
jedes Stift, jede Burg Auskunft erteilte.
Neben den vielen Obliegenheiten, die ilin aulier tien Fa< hstudien be-
schäftigten, hat er seine Wirksamkeit während iler letzten Lebensjahre vor-
nehmlich dem Schweizerischen Landesinuseum gewidmet. Schon bei den
Installationsarbeiten erwies sich, welche Kraft dem Institut gewonnen war.
In kritiklosester Ordnung war die Waffensannnlung aus dem kantonalen Zeug-
hause übernommen worden, Z., ohne von Hause aus ein Waffenkenner zu
sein, übernahm es, den Transport, die Katalogisierung und Aufstellung /u
leiten, wobei er mit Hülfe einschlägiger Studien und vergleichender Um-
schau in anderen Sammlungen zu einem Systeme gelangte, dem tlas ungeteilte
Lob der F'achmänner galt. In gleicher Weise reiften andere Kenntnisse sich
aus, in der Numismatik, auf die ihn die Katalogisierung der .Münzsammlung
führte, und die der prähistorischen .Altertümer. Da war ein Gebiet, das er
ganz als ein Neuling betreten hatte, aber bald in einem Umfange beherrschte,
daö er auch hier die Sicherheit eines maßgebenden Urteils gewann. Dazu
trugen einmal die Erfahrungen bei, die er bei der .Ausbeutung der tessinischen
Gräberfelder gesammelt hatte, und sodann haben sich eben in dem Ver-
hältnisse zu der prähistorischen Forschung aufs bestimmteste tlie Bedingungen
seiner Kraft bewährt: tlie klare Besonnenheit, weiter Blick und ein medio-
disches Wissen, das ihn befähigte, die großen Züge zu überschauen und die
Fäden klarzulegen, die Cieschehnisse und Sachen verbinden.
Wie er im Dienste dieser Forschungen keine Anstrengung und Unbill
kannte und unter allen Bedingungen auf den ersten Apell sich auf tlie Fund-
stätten verfügte, so willig fand er sich zu andern E.xpeditionen bereit. Kr
hat im F'rühling 1894 den Direktor des Landesmuseums nach (iröditzberg
begleitet und mit ihm Martin Usteris köstliche Sammlung von Glasgemälden
zurückgebracht und bald darauf in Gesellschaft desselben Freundes eine be-
schwerliche Winterreise nach Leipzig gemacht. In Frankreich, am Rhein
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Zdler-WerdmUller. Mflhlbadier.
und ül)cr.tll in der Schweiz ist er berumgereist, und tioch wenige Wochen
vor dem Hiiisrhied hat er, seine Abneigung gegen l^aris überwindend, si<-h
dazu bereden lassen, daselbst eine Sammlung schweizerischer Glasgeiiiälcle
zu k&talogisieren.
Persönlich ist Z. kein Sammler gewesen. Wie er an das Leben die be-
scheidensten Ansprüche stellte, so ließ er sich für Studienzwecke an dem
genügen, was zu dem unerläßlichen Bedarf gehörte. Entbehrliches von
Blättern und Büchern wies er der Stadtbibhothek oder dem Landesmuscum
zu, und das letztere hat er auch sonst noch mit reichen Spenden bedacht.
Alles Überschwengliche und Sentimentale war Z. zuwider und fremd.
Er selber beherrschte die Gefühle und kehrte, wenn sie sich regen wollten,
eine überlegene und trockene Ruhe heraus. Das hinderte ihn aber nicht,
ein inneres Leiten zu führen Und, wie \x'enig er davon sprach, mit Wärme
und Festigkeit (l.itin einzustehen. Den Seinen ist er ein liebender \';\ter,
ein siclierer Berater und wohlwollender Führer gewesen: seine ganze Hin-
gebung hat der Familie gegolten. F;ist nur auf die engere Verwandt-schuft
blieb sein geselliger Verkehr beschränkt, und bei solchen Familienanlässen
schlofl sich dann auch der erstaunliche Reichtum der Erinnerungen auf, in
Trinksprüchen, die sich an die Entwicklung der weitläufigsten und konnpli-
ziertesten Verwandtschaftsverhältnisse knüpften und in Krzälilungen, die alle
Geschichtrhen und Beziehungen aus dem alten Zürich berührten.
Hart war er nur gegen sich selber. In späteren Jahren hat er sich keine
Ferien, nicht einmal eine kurze Ausspannung gegönnt. Er brauche das nicht,
pflegte er lächelnd zu erwidern, wenn die Seinen und Freunde ihn dazu
mahnten. Erst in vorgerückter Jahreszeit gab er die täglichen Bäder im
Zürichsee auf, und wenn er sich nicht unwohl fühlte, vermochten nur grimmi-
ger N'ordwind oder eisige Kälte ihn zum Ciebrauc he de^ C'herrorks zu bewegen.
DaiJ innere Leiden sehoii weit entwickelt waren, ahnte er nicht und bestritt
es, daß die Pariser Reise ihn erschöpft haben möchte. Die Gänge ins
Landesmuseum setzte er täglich fort, uiid dort hat er am Abend des 94. Fe-
bruar zum letzten Mal sein Arbeitszimmer geschlossen. »So, jetzt habe ich
das Inhaltsregister zu den Stadtbüchem geschrieben; ich mufi ja immer be-
sorgen, was andere ungern machen,« äußerte er sich dem befreundeten
Vizedirektor \)v. Lehmann gegenüber. Dann haben die beiden iliren gewohn-
ten Abendspaziergang gemacht, worauf Z., kaum heimgekommen, zwei rasch
aufeinanderfolgende Schtaganfälle erlitt Nach dreitägigem Ringen, in dem
nur seltene Zeichen ein dämmerndes Bewufltsein verrieten, ist er am 37.,
nachmittags, verschieden.
Es heißt wohl, daß keines Menschen Verlust ein unersetzlicher sei. Das
mag die Regel sein; aber eine Ausnahme, die sie bestätigt, stellt der unseres
Freundes dar; tienn wer vermöchte es, für ihn einzustehen und Ersatz zu
bieten für den Ausfall von su viel Hingebung und Kraft? J. R. Rahn.
Mflhlbacher, Engelbert, Professor der Geschichte an der Universität
Wien, • 24. Oktober 1843 zu Gresten in Niederösterreich, f 17. Juli 1903 in
Wien. — M. gehört zu rlen vielen ( )sterreirhern. welche, aus niedrigen Ver-
hältnissen sich einporarheiteiul, ledighch der eigenen Kraft und lüel^tigkeit
eine hervorragende Stellung verdanken. Er wurde als Sohn eines Schmiedes
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Mülilbaclier.
345
geboren, welcher aus Oberösterrcich übersiedelt war. Für Land und Leute
ob der Enns bewahrte der Sohn jederzeit fl;i.s lel)hafteste Heimatsfrefühl, er
verriet sieh scint-n Lantlskniten auch am I)ialektkh\ng der Sprache. Früh
herN'ortretcndc Begabung eröffnete ihm trotz der Mittellosigkeit seiner Familie
den Besuch des GTHUiasiums in Linz (1854 bis 1863). In Uenis- und kloster-
veichen Gegenden erschien damals noch viel mehr als heute als das natür*
liehe Ziel des »armen« Studenten, den geistlichen Stand zu ergreifen;
namentlich war das der sehnlichste, immer wieder ausgesjirochene Wunsch
der Mutter, welche M. bis an sein Lebensende zärtlich verehrte. So trat er
denn nach Ablegung der Maturitätsprüfung 1862 in das Chorherrenstift
S. Florian bei Enns; wie man aus seinen späteren Aufierungen abnehmen
miifl, ohne einen nachhaltigen Drang zu fQhlen.
Unter den großen österreichischen KlOstem, welche mit ausgedehntem
herrschaftlichem Besitz auch vornehme, tolerante Gesinnung und feinen Ton
festhielten, war S. Florian wohl (himals <lasjenipe, welches die meiste geistige
Regsamkeit insbesondere auf dem Hoden der deschichtst hreibung aufwies:
dem Geschichtschreiber der österreichischen Herzöge, Kurz, reihten sich der
Vizedirektor des Staatsarchivs, Chmel, und der damalige Probst Jodok Stülz
als namhafte Historiker an. Durch letzteren wurde M. auf solche Studien
gelenkt. Von umfänglicher Lektüre, welche die in historic'ts reich ausgestattete
Klostcrbihliothck ermöglichte, ging M., nachdem er 1867 zum Priester geweiht
war. bald auch zu jiroduktiver Tätigkeit über. Er versucht sich zunächst mit
Beiträgen zur ältesten Kirchengeschichte Österreichs und mit der Kritik der
Acta s. Flonaut seines Klosterpatrons (Theologische praktische Quartalschrift,
Linz 1868), dann beschäftigte er sich gleich seinem Prälaten mit den
Schriften des oberösterreichischen Probstes Gerhoch von Reichersberg und
gibt dessen Brief an die Kardinäle im Archiv f. österr. Geschichte (47. Bd.)
heraus. An Gerhoch reihen sich über das landschaftliche Interesse hinaus
viel gröüere Probleme an: die kirchlichen Strömungen des 12. Jahrhunderts;
das Selbständige, Grundehrliche, zum Teil gegen die herrschende kuriale
Richtung Oppositionelle in Gerhoch machte ihn zum dauernden Liebling M.s.
In der 2^it, in welcher die Dogmattsierung der Unfdilbarkeit alle geistlichen
Kreise tief erregte, befaßte sich M. mit Studien über Abälard und Arnold
von Bresria, die aber liegen blieben, dann geriet er auf die skandalöse Doppel-
wahl von Anaklet und Innocei\z II. In innerem Kampf und Drang hatte sich
für ^L ein selbständiges wissenschaftliches Arbeitsgebiet ergeben, nicht ohne
Zasammenhaiig mit seinen kirchlichen Anschauungen, welche ihn in ent-
schiedene Opposition gegen die KonzilsbeschlUsse brachten, wenn er auch
den Beitritt zu den Altkatholiken ablehnte. Er suchte die Freiheit sich
methodisch für die (»es^hichts\visscn'^chaft ausbilden, sich ihr ganz widmen
zu dürfen. Nach mehrjährigem Harren erzwang er sich im Herbst 1872 die
Erlaubnis, die Universität Innsbruck zu besuchen. Ks war Kicker, der ihn
dahin zog; er hatte mit ihm schon von S. Florian aus Beziehungen ange-
knQirft iMd'TiMid in ihm den Führer, wie er ihn suchte. In der scharfen
kritischet)' Ader, in der Abneigung gegen Schein und Phrase, wie in Auf-
richtigkeit nnd in Unbeugsamkeit des Charakters und in Selbstlosigkeit stimmten
sie überein, also wissenschaftlich wie persöidich, und so erwuchs aus dem
engen Schülerverhältnis eine ungetrübte Kreundschait für das ganze Leben.
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346
Middbadier.
M. kam als gereifter Mann auf die Hochschule; festen Auges steuerte er
auf sein Ziel zu. Während seiner zweijährigen l'niversitätsstudien arbeitete
er »Die streitige Papstwahl des Jaiires 1130« (Innsbruck 1876) aus, welche
er Julius Ficker widmete. Ihre starke Seite ist die mustergiltige Quellen-
anal3rse, welche dauernden Wert behalten hat und gleich der Klarheit und
Knappheit in Sprache und Darlegung schon die charakteristischen Vorsfige
von M.s Forschung aufweist. Als M. diesem Thema bereits näher getreten
war, erschien 1872 Zöpffels Huch über die Pai)stwahlen, welches dieser
Doppelwahl gleichfalls einen ausgedehnten Exkurs widmete. Da M. die
kritischen Schwächen seines Gegners mit jugendlicher Schärfe angriff, wurde
er mit ihm in eine peinliche Polemik verwickelt, in welcher er sogar ganz
grundlose Angriffe auf seine persönliche Ehre abzuweisen hatte.
Neben dieser Hauptarbeit nahm M. 1872 eine Literaturgeschichte seines
Stiftes von dessen erster wissenschaftlicher Betätigung bis auf die bedeutenden
Mitglieder des iq. Jahrhumtctts in Angriff und vermochte auf Cirund der
reichen Briefschaften des Archivs insbesondere von den Historikern Kurz,
Chmel und Stülx interessante Bilder su entwerfen. Obwohl der Druck schon
1876 begann, konnte sie doch erst nach seinem Tode (Die literarischen
Leistungen des Stifts S. Florian, Innsbruck 1Q04) und ohne ganz vollendet
zu werden, erscheinen. Sie war «i:lei( hs;ini der Dank, welchen er dem Kloster
abstattete. Denn die Wege und Anschauungen teilten sich. Ohne förmlich mit
seinem Stifte zu brechen, kehrte er doch nicht mehr dauernd nach S. Florian
zurück, die Stärke seiner persönlichen Uberzeugung und die stets nach obem
geriditete Unbeugsamkeit seines Charakters stimmten überhaupt nicht zu
solchem Berufe.
Im Juli 1874 erlangte M. den philosophischen Doktorgrad und warf die
Würfel seines Lebens. Er entschloß sich selbständig und in den Bahnen
der Wissenschaft seinen Weg zu suchen. Ficker hatte die Bedeutung dieses
seines Schülers alsbald erkannt und griff entscheidend ein. Er übertrug ihm
eine Abteilung der von ihm geleiteten Neubearbeitung von Böhmers Rfgesta
m^ern und ermt^lichte es damit dem bedaifoislosen Wesen M.s in seiner
Unabhängigkeit bis sur Gewinnung einer entsprechenden Stellung auszuharren.
Noch l)edeutsamer war, daß er ihn zur weiteren Ausbildung gerade für die
Regestenarbeit an den großen Meister der historischen Hilfswissenschaften,
Sickel, nach Wien wies. M. war 1874 bis 1876 außerordentliches Mitglied
des Instituts für österreichische Geschichtsfoisdiung und wurde alsbald das
Mittelglied, welches die Schulen und Schttler der beiden gröflten öster-
reichischen Geschichtsforscher verband. Da Sickel sich entschloß, seine
Ausgabe der Kaiserurkunden in den Monumenta Germaniae mit dem zehnten
Jahrhundert zu beginnen, setzte M. im Einvernehmen mit seinen beiden
Lehrern mit den Regesten der Karolinger ein. Trotz der khissischen Vor-
arbeiten Sickels war diese Abteilung der Rtgesta imperii mit Rücksicht auf
die zeitliche Ausdehnung, die Verstreutheit des Materials auch über ganz
Frankreich und halb Spanien, die gewaltige Masse der einschlägigen Literatur
und endlich auf die Unzahl der Fälschungen eine der schwierigsten, SO recht
geeignet, ein Vorbild der Regestentechnik auch für die folgenden Abteilungen
zu liefern, eine Aufgabe, wekhe M. glänzend gelöst hat. Nachdem sein
akademischer Aufsau über die Urkunden Karls III. (Wien 1S79) ersten
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MflhUMehcr.
347
Male die durch Fickcrs Beiträge zur l'rkuiuleiilelire gegebenen Gesichtspunkte
und Anregungen mit der Methode Sickels harnionisch verbunden hatte, er-
schien 1880 bis 1889 Heferungsweise der erste Band der Regesten, welcher
erschöpfende Auszüge von den Urkunden der älteren Karolinger bis auf
Ludwig den Frommen, dann von jenen des lothringischen und deutschen
Zweiges bis zu deren Erlöschen enthält. Damit sind alle chronologisch genau
fesdegbaien Nachrichten der gleichzeitigen Schriftsteller über Regierung»-
handlungen dieser Könige vcrbunrlen, c-; i-^t also das volle quellenmäßige
Cicrippe der Königsgeschic hte gegeben. Diese Regesten erweisen M.s ennnente
kritische Begabung auf einem weiten telde, sie ist vereint mit selten ver-
sagender Zuverlässigkeit und bewunderungswerter Beherrschung des viel-
gestaltigen Stoffes; das Werk ist für die politische Geschichte, die Urkunden-
lehre und die Rechtsgeschichte der Karolingerzeit grundlegend, zu einem
unentbehrlichen Führer geworden. Wenige Ehrungen freuten denn auch den
\'erfasser so sehr, als daü ihn die juridische Fakultät in Bern ob dieser Leistung
1903 zum Ehrendoktor promovierte. Und nicht weniger bezeichnend ist, daß
der Band schon nach drei Jahren vergriffen war. Im Jahre 1899 erschien
der erste Teil der zweiten Auflage; die Fertigstellung des Manuskriptes für
den Schluß beschäftigte ihn mit Übereifer in den letzten Wochen seines
Lebens, als hätte er sein baldiges Ende geahnt! Da ihm in der Zwischen-
zeit bei der Herausgabe der Karolingerdiplome die Originale und die ganze
handschriftliche ( berlieferung bis auf Ludwig den Frommen, teilweise auch
für die späteren Karolinger bekannt geworden war, so bedeutet die neue
Auflage auch einen unleugbaren Fortschritt in der Urkundenkritik; nament-
lich hatte er noch tiefer in die Werkstätten der Fälscher schauen, ihre
Fabrikmarken noch schärfer von den Formlosigkeiten nicht streng geregelten
Kanzleibrauches scheiden gelernt. Auch für die französischen und italie-
nischen Karolinger hatte M. das NLaterial gesammelt, aber \'erwcrtung fand
es nur mehr im ersten Band; die Ausarbeitung des zweiten unterblieb, seitdem
•idi die Aussicht «Öffnete, dafl die Franzosen und Italiener diese Vorarbeiten
für ihre Länder selbst leisten würden und wichtigere Aufgaben an ihn her^
aalraten.
Als die Zentraldirektion der Momintenta Gcnnaiiiac historica im Jahre 189a
die Herausgabe der karolingischen Königsurkunden beschloü, war M. der
berufenste .Mann hierfür und es war ihm dies Anerbieten hochwillkommen
sowohl für seine unmittelbaren literarischen Arbeiten, für welche sie die
Erweiterung und Krönung bildete, als in seiner Eigenschaft als Professor
der historischen Hilfswissenschaften. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens war
vornehmlich diesem monumentalen Werke gewidmet. Ein grofier Teil der
Vorstudien und Vorarbeiten war bereits in seinen Regesten geleistet, mit
auserlesenen Mitarbeitern sanunelte er tlie durch ganz Europa zerstreuten
Originale; an der kritischen Bearbeitung legte er vor allem selber Hand an,
so dafi, wie seine Genossen Tangl und Lechner in ihren Nachrufen äufierten,
kaum ein Stück war, bei welchem nicht Regest, Erläuterung und Textge-
staltung den Stempel seines Geistes und umfassenden Wissens trüge. Den
in jeder Hinsicht schwierigsten ersten Band bis zum Tode Karls des Grolien
hat er noch im wesentlichen fertigstellen können, hoffentlich wird das
posthume Werk in den nächsten Tagen erscheinen können.
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348
MnUbaeber.
Vor a!U ::i Gest liichtsforscher, hat er sich doch auch als Gescliicht-
schreibcr bewahrt. Fr. der wohl als der intimste Kenner der Karolinger-
zeit angesprochen werden durfte, lieli sich gewinnen, für v. Zwiedinecks
Bibliothek deutscher Geschichte die »Deutsche Geschichte unter den Karo-
lingern« za schreiben (Stuttgart 1896). Vollste Beherrschung der Quellen
ermöglicht ihm souveränes Schalten mit seinem Stoff, der Gresamtvertdlun^^
wie den Einzelheiten, und trießt über die plastische Darstellung einen eigen-
artigen Reiz, welcher durch die körnige, individuelle Sprache noch wesentlii h
gehoben wird. Die Arbeit erwuchs aus den Kegesten und verleugnet diesen
Ursprung nicht. Die Staatsgeschichte und hier wieder jene des Königtums,
ja der Könige steht im Mittelpunkt. Von den Gestalten der Herrscher aus,
deren Charakteristiken zu den Glanzpunkten des Werkes zahlen, werden die
großen Einrichtungen Karls um! der \'erfall unter seinen Söhnen projiziert.
Auch in der politischen Geschichte bleibt er bei dem quellenmäßig Sicheren
stehen; wie er das Geschichtemachen im \"orföhren grofJer, aber nicht voll-
beweisbarer Zusammenhänge bei andern tadelte, so widerstand er solcher
Versuchung bei sich selbst. Neben hohem Lob hat seine Karolinger-
geschichte ab Ausläufer einer älteren Richtung auch Tadel empfangen.
BerQcksichtigt er Faktoren, welche wie die Wirtschaftsgeschichte heute im
Vordergrund der Betrachtung stehen, nur wenig, so muß doch auch betont
werden, daO diese Darstellung in ihrer Sell)stbeschränkimg ein durchaus
zuverlässiges, gesichertes, historisches Bild gibt, welches dem Wechsel der
wissenschaftlichen Strömungen entrückt ist.
Die Karolingerzeit ist M.s gelehrtes Lebenswerk geworden; in seiner
literarischen Produktion ist er ' Über sie nur selten mehr hinausgegangen.
Doch sei auf den allseitig mit Beifall begrüßten Aufsatz in der Festschrift für
l'icker (im IV. Ergänzungsband der Mitteilungen des Inst. f. öst. (ieschit hts-
forschunsr) Kaiserurkunde und Papsturkunde hingewiesen, in welchem er
den Einliuli, welchen zuerst die Kaiserurkunde auf die Papsturkunde und
dann umgekehrt die Papsturkunde übte, sowie die Einwirkung beider auf die
FQrstenurkunde parallel mit der gesamten politischen Entwicklung allerdings
nur skizziert, aber mit einer Fülle zutreffender fruchtbarer Ausblicke aus-
stattet. Dieser Aufsatz entstand aus seiner Lehrtätigkeit. M. erlangte im
Jahre 1878 an der philos. P'akultät zu Innsbruck die venin für historische
Hilfswissenschaften, iSSn auch für Geschichte des Mittelalters; im Jahre 18S1
wurde er über einstimmigen \ or>chlag der Wiener Fakultät zum außeror-
dentlichen Professor dieser Fächer an der ersten Hochschule des Reiches
mit speziellem Lehrauftrag in dem Institut für österreichische Geschichts-
forschung ernannt und trug hier namentlich Paläographie und Uricunden-
Ichre zuerst neben Sickel, dann an dessen Stelle vor. An glänzendem
Vortrag hinderte ihn auüer dem Organ auch sein Hang, sich forndos
gehen zu lassen und seine Abneigung gegen alle Pose; seine lebhafte
Einwirkung beruhte auf Klarheit, Schlichtheit, Gründlichkeit und indem
er wie in die Schriften, so auch in die Vorlesungen seine originelle
Individualität mit all ihren Ecken hineinlegte. Diese Eigenschaften kamen
stärker im seminaristischen Betrieb und in der Besprechung unter vier
Augen zur Geltung, für welche er seinen Hörern den ganzen Tag in
seinem Institutszimmer zugänglich war, er nahm sich ihres wissenschattiichen.
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MttUbacher.
349
aber nicht weniger ihres materiellen i-ortkonuaeni. mit väterlicher Für-
sorge an.
Seine Stellung im Institut f. dsterr. Geschichtsforschung besafi außer der
Lehrtätigkeit noch eine zweite kräftige Wurzel. Als die alten Mitglieder
dieser Anstalt im Jahre 1878 ein eigenes Kachorgan, die Mitteilungen des
Institutes' zu schatten beschlossen, übernahm M. die Leitung und hat in
24 jähriger Arbeit diese erste streng wissenschaftliche historische Zeitschrift,
welche sich in Osterreich dauernd hielt, zu hoher Blüte gebracht. Neigung
zu journalistischer Tätigkeit, welcher er als junger Geistlicher in Agitation
für Begründung von Feuerwehren näher getreten war, selbstlose Begeisterung
für das Unternehmen, die ihm eigne lähe Ausdauer und gewaltige Arbeits-
kraft, nicht am wenitrstcn das Vertrauen, welches er durch seine Zuverlässig-
keit überall erwarb, liclkn ihn alle Hindernisse überwinden. Das ausführliche
Kcduklionsjournal, welches er anfangs führte, wird einmal enien sehr merk-
würdigen Beitrag zur Geschichte des gelehrten Wesms in Österreich bilden,
aber auch prächtige und zum Teil belustigende Beispiele von M.s Meister-
schaft im Briefstil gewähren.
Als Gelehrter, Lehrer und Redakteur der Mitteilungen ^(•huf sich M.
eine überaus geac htete Stellung. 1885 wählte ihn die kaiserl. Akademie der
Wissenschaften 2um korrespondierenden, 1891 zum wirklichen Mitglied und
entsendete ihn in die Zentraldirektion der Mommaiia Germamaey 1895 über-
trug ihm Ficker die Oberleitung der Regesta mpern^ 1896 wurde er korre-
spondierendes Mitglied der bayerischen Akademie. Aber durch ein fotales
Zusammentreffen von persönlichen Verhältnissen und von Zeitströmungen
wurde er trotz wiederholten \'orschlages der Fakultät erst im Jahre i8q6 zum
ordentlichen Professor ernannt. Noch im gleichen Jahr trat er als Nach
folger Zeißbergs an die Spitze des Instituts für österreichische Geschichts-
forschung, dessen belebender Mittelpunkt er schon seit Sickels Rücktritt
1891 gewesen war. Das lange Harren auf das Ordinariat und andere schwere
Widerwärtigkeiten, welche übor ihn gekommen waren, hatten ihn tief verbittert;
die Schroffheit, mit welcher er schon früher sein warmfühlende.s Herz zu
decken liel)te, steigerte sich und auch seine Arbeitskraft drohte zu erlahmen.
Die Erreichung des wohlverdienten Zieles verjüngte ihn, mit gewaltigem
Schwünge förderte er seine gelehrten Arbeiten, fruchtbringend erweiterte er
auf den von Sickel meisterhaft gelegten Grundlagen die Wirksamkeit des
Institutes, das er mit der Neuordnung des staatlichen Archivwesens \\\\^ mit
der Kommission für neuere Geschichte Österreichs verband. Da er auch bei
den historiographischen Arbeiten der Akademie der Wissenschaften eine
führende Rolle spielte, so liefen die meisten Fäden im Betrieb der mittel-
alterlichen Geschichte auf dem Boden Österreichs in seiner Hand zusammen.
Mitten in diesem Wirken brach er jäh zusammen. Ein heftiges Unwohlsein
glaubte er im Vertrauen auf seine zähe Natur mit eisernem Willen nieder-
kämpfen zu können; in Fieberschauern führte er noch die Staatsprüfungen
in seiner Anstalt durch. Als ihn seine Freunde enfilich bewogen, ärztliche
Hilfe zu suchen, war es zu spät, am 17. Juli 1903 machte eine Lungen-
entzündung semem Leben ein Ende. Freund und Gegner sprachen von der
gefallenen knorrigen Eiche.
E. V. Ottenthai.
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Wolf.
Wolf, Hugo, Toiulit hier . * am i;^. März 1860 zu Wiiidischgraz, f am
22. Februar 1903 zu Wien. — Am 13. Marz 18O0 wurde in dem bieirischen
Stfidtchen Windischgraz dem Sattlermeister Philipp Wolf und seiner Gattin
Katharinai geb. Nufibaumer» als viertes Kind ein Sohn geboren, der den Namen
Hugo erhielt. Philipp Wolf, der, seinem Handwerk innerlich fremd, von seinem
Vater gezwungen worden war. das Geschäft zu übernehmen. {)flegte in seinen
Mußestunden mit leidenschaftlicher Liebe die Musik, und der kleine Hu^ci
wurde bald ein geschätztes Mitglied des Hausorchesters, das der Vater mit
Unterstützung einiger Freunde gegründet hatte. Das früh hervortretende, aufier-
gewöhnliche Talent des Knaben verblendete den Vater durchaus nicht, der
wollte, daß seine Söhne eine ordentliche Schulbildung erhalten und womöglich
studieren sollten. Hier aber machte Hugo dem Vater sehr bald einen Strich
durch die Rechnung. Zwar die ersten Jahre auf <ler Volksschule in Windisrh-
graz ließen gutes hoffen; aber auf ileni Ciyninasium, zuerst in Graz, dann hei
den Benediktinern in St. Paul, zuletzt in Marburg a. d. Drau, versagte Hugo
vollständig. Er hat mir gegenüber später geäußert, er habe kein Talent für
fremde Sprachen; ich meine aber, sein Mißerfolg auf der Schule lag in seiner
Natur beirründet. Unsere Schulen mit ihrem glättenden, nivellierenden Wesen
siml nicht der richtige Hoden für Naturen von so ausgesprochener Eigeiiart.
Seine ungewöhnlich hohe allgemeine Bildung hat W. sich selber zu verdanken
gehabt, ebenso wie seine musikalische Erziehung. Und er hatte seinen besten
Erzieher an sich selbst, dem jede Halbheit, jede Lüge, jede Selbstgenügsam-
keit gegen die innerste Natur ging. Und so kam es, dafl er im Jahre 1875
dem Vater erklärte, er wolle Musiker werden. Dieser hatte an sich selber
erfahren, was es heißt, gegen die eigene Neigung zu einem fremden Berufe
gezwungen zu werden; daher setzte er dem Sohne keinen größeren Wider-
stand entgegen, als ihm seine Sorge für die Zukunft gebot. Aber W. hätte
jeden Widerstand überwunden — er hat stets im Leben durchgesetzt was er
wollte — , denn hier lag keine freie Wahl, sondern ein innerer Zwang vor.
Er hatte die Musik während der ganzen Gymnasiastenjabre eifrig gepflegt :
nun aber hieß es, »der Regeln Gebot« zu lernen. Er kam an das Konser-
vatorium nach Wien, vmi hei dem alten Krenn Harmonielehre und l)ei Wilhelm
Schenner, einer feinen Künstlernatur, Klavier zu stu<lieren; aber auch hier
gab es ein Ende mit Schrecken. Nach zwei Jahren wurde er wegen eines
Disziplinarvergehens entlassen. Und nun stand der 17 jährige auf derStrafie,
mittellos, deim von Hause konnte er bei der zahlreichen Familie des Vaters,
dessen Wohlstand seit einem Brande im Jahre 1867 zurückgegangen war, auf
Unterstützung nur wenig rechnen, und sein ungewöhnlich reizbarer Stolz verbot
ihm, Hilfe da anzunehmen, wo er seine künstlerische Daseinsberechtigung noch
nicht erwiesen hatte.
So lag eine Zeit schwerer Entbehrungen vor ihm, in der es oft sogar
am nötigsten Handweiksmaterial fehlte. Als ich in Wien bei einem Besuche
im Jahre 1897 einen ganz auseinanderfallenden Band Beethovenscher Sonaten
aus dem Schrank nahm, erzählte er mir, er habe, in einer Dachkammer wohnend,
wo er kein Klavier zur Verfügung hatte, die einzelnen Sonaten aus dem
Bande genommen, um sie im Prater zu studieren. Denn, nachdem er von
der Zunft weggewiesen war, da ging er in die Schule, die ihm die nötige
Achtung abzwang und die nur den zurückweist, der ihr als ein Unwürdiger
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Wolf.
351
naht: er ging bei unsern großen Meistern in die Lehre. W. war eine durch-
aus ehrfürchtige Natur, aber der Meister mulite danach sein. Beethoven und
Wagner waren die Leitsterne in jenen !ttr seine künstlerische Entwicklung
entscheidenden Jahren.
Von den künstlerischen Erzeugnissen jener Jahre hat W. nur wenige Stücke
selber veröffentlicht in den beiden Liederheften, die er 1887 herausgab. Über
den Nachlaß jener ersten Jahre vgl. Decsey, Hugo W., Bd. i S. 68 ff. F.r-
wähnen will ich nur die sechs geistlichen Lieder für gemischten a capelia-Oior
nach Gedichten von Eichendorff.
Äußerlich ging es W. herzlich schlecht. Seinen Unterhalt mufite er sich
durch Stundengeben verdienen: und wie sollte man von dieser vulkanischen
Xatur erwarten, daß sie es ertrug, unbegabten Srhülern das A B C des Klavier*
oder Violinspiels beizubringen. Fi 11 humoristisches Aquarell, das ich in seiner
Wohnung sah, stellte W.s l'nterri( ht.sniethode dar: an einem Flügel sitzt ein
kleines Madchen, daneben der Lehrer, der zum Schlage ausholt; unter dem
Instmoient ein Knabe, der schon das Opfer der radikalen Lehrmethode ge-
worden ist Wie oft mag sich W. da gesagt haben : lieber hungern als solche
Martern ausstehen, l^nd er hat oft genug gehungert im ganz gemeinen Sinne
des Wortes. Ich glaube nicht /.w irren, wenn ich den frühen Zusammenbrui h
seiner Kräfte zum großen Teil zurückführe auf die Entbehrungen jener Ent-
wicklungsjahre. Freilich, wäre \V. eine weniger schwerlebige Natur gewesen,
CT hätte es besser haben können. Aber der bloße Gedanke, von der Wohl-
tStigkeit anderer, selbst der besten Freunde su leben, vermochte ihn aus
Häusern zu vertreiben, wo man ihm herzlich wohlwollte.
Im Jahre 1881 trat vorübergehend eine Änderung seiner T^age ein. W,
kam im November als zweiter Kapellmeister an das Stadttheater nach Salz-
burg. Aber auch damit war es nichts. Es fehlte ihm an der nötigen Routine;
seinem künstlerischen Wesen konnte es keine Befriedigung gewähren, mit den
Choristen Snpp^he Operetten zu studieren, und zu Anfang 1889 finden wir
ihn wieder in Wien. Im Sommer dieses Jahres pilgert er mit Mottl nach
Bayreuth und hört dort »mit grenzenloser Begeisterung« den P arsifal. An
Uedem entstehen 1882 das geniale »Mausfallensprüchlein und die beiden
Wiegenlieder von Rob. Reinick, 1883 das herrliche > Zur Ruh« nach J. Kerner.
Aber größere Pläne reiften damals in der Brust des werdenden Meisters.
Zwar eine dichterische Schöpfung, der Text zu einer komischen Oper, blieb
uivolkndet liegen, aber ein grofies Orchesterwerk wurde zum vorläufigen
Abschlufl gebracht: die symphonische Dichtung Penthesilea, nach dem Drama
Heinrichs von Kleist. Dieses Gedicht, als Kraftprobe eine der stärksten
Leistungen der ganzen Weltliteratur, hatte es W. völlig angetan, bis in die
Tage der geistigen l'mnachtung hinein hat ihn der (k'danke an eine Umar-
beitung und Erweiterung seiner Symphonie besLhaiiigt. Wenn man bedenkt,
mit welcher inbrünstigen Hingabe W. dieses Werk gescha^n hatte, so wird
■nan die namenlose Wut erklärlich finden, in die er geriet, als Hans Richter
in einer Probe der Philharmoniker das Werk herunterfiedeln ließ, um daran
eine wegwerfende Bemerkung z.u knüpfen über den Mann, der »SO« über
Meister Brahms zu schreiben wagte. (\ gl- Decsey 1, 140 f.)
Denn W. war unter die Rezensenten gegangen. In den Jahren 1884 bis
1S87 war er musikalischer Berichterstatter des Wiener Salonblatts. Die Proben
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Wolf.
dieser kritischen Tätigkeit, die Decsey in seinem Buche gibt (Band i, 78 f.),
erwecken den Wunsch, dftfl das Ganze gesammelt werden möge. Denn hier
handelt es sich m'cht nur um inhaltlich wertvolle Besprechungen, sondern nm
wahrhafte Herzensergießungen eines Kunstjüngers, der auch als Schriftsteller
ein Künstler ist. Mit jugendlicher Leidenschaftlichkeit, die aus seiner tiefen
Verehrung für die großen Meister hervorging, besprach er die Aufführungen
in der Oper und im Konzertsaal, nur auf die Sache bedacht und ohne die
geringste Rücksicht auf wohlakkreditierte Musikleiter und herkömmlichen
Bühnenschlendrian. Brachte er so manche einfluflreiche Persönlichkeit gegen
sich auf, so verdarb er es vollends mit einer ganzen Richtung durch sein
Auftreten gegen Brahms. Ich teile W.s Stellungnahme diesem Meister gegen-
über ganz und trar nicht, aber man darf ni< ht vergessen, das die Art, wie
Brahms von seiner (Gemeinde auf eine Höhe neben Bach und Beethoven hin-
aufgeschraubt, wie er als Gegenkonig gegen Richard Wagner austrompetet
wurde, den Widerspruch herausfordern muflte. Dafi ein leidenschaftlicher
Jfingling dabei oft das Mafi von Achtung vermissen liefi, daß er selbst einem
ihm wesensfremden Meister schuldig war, ist zu bedauern, aber schliefilich
begreiflich. W. aber verdarb es dadurch nicht nur mit einflußreichen, weil
seichten Feuilletonisten von dem Schlage eines Kduard Hanslick, sondern auch
mit ernst zu nehmenden Männern, wie Hans Richter und Hans von Bülow.
Er hatte damals noch nicht den Berechtigungsnachweis geführt, selber mit-
reden zu dürfen. Das Schlimme war, dafi die Antipathie, die er durch seine
Kritiken hervorgerufen hatte, die genannten Männer hinderte, seine Si höpfungen
mit ungetrübtem Auge zu betrachten. (Vgl. H. v. Bfllows Brief an Detlev
V. Liliencron bei Dct scy 1,05 )
Ein aiiliorcs I^reignis machte W.s 'i'ätigkeit als Kritiker im Frühjahr 1887
ein Ende: der Tod seines inniggeliebten Vaters. Seinem Andenken ist das
eine der beiden 1887 erschienenen Uederhefte gewidmet, das andere, die Lieder
für eine Frauenstimme enthaltende, der Mutter. Diese beiden Hefte enthalten
das, was W. aus seiner Entwicklungszeit der Veröffendichung würdig erachtete,
eine .Auswahl, die beweist, daß er gegen sich scllier nicht weniger streng war
als gegen andere. Nur etwas mehr als die Hälfte dieser I.ieder gehören der
Entwicklungszeit an, die anderen (Wächterlied auf der Wartburg, der König
bei der Krönung, Biterolf im Lager vor Accon, Beherzigung) zeigen den
reifen Künstler. Die letztgenannten Stücke gehören den Jahren 1886 und
1887 an und ])i1(lt.-n mit einigen Gesingen nach Eichendorff, unter denen der
zweite »Soldat« als eine der stärksten Offenbarungen seines Genius hervor-
gehoben sei, die Vorboten des Liederfrühlings, der nun triumphierend seinen
Einzug hielt. Das herrliche Frühlingslied Mörikes Er ists spiegelt mit seinen .
von leiser Ahnung bis zum brausenden Sturm anschwellenden Jubelklängen
das selige Gefühl wieder, das unseren Tondichter beglückte, als der Strom
in seinem Herzen die Schleusen brach.
Eduard Mörike, der innerlichste unter den Dichtern der schwäbischen
Schule, war seit Jahren W.s Liel)lingspoet, rlcn er überall mit sich herum-
schleppte, vorlas uiul um liebsten von Anfang bis zu Knde komponiert hätte.
Das ging nun freilich nicht, aber es ist nicht zuviel gesagt, daß er diesen
Dichter dem deutschen Volk zum zweitenmal geschenkt hat. Etwa den
vierten Teil von seinen Gedichten hat W. vertont; am 16. Februar beginnt
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Wolf.
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er mit dem Tambour, bis zum i8. Mai, also in einem Vierteljahr, sind
43 Gedichte beendet, dann kommt eine Pause bis zum Oktober, (lann neun
Stücke in der Zeit vom 4. bis 10. Oktober, und endlich als Nachzügler schließt
am 26. November die zweite Christblume den Band ab. Eine geistige Kraftprobe,
die an Mozart gemahnt. Haberlandt hat in seinem Büchlein > Erinnerungen
und Gedanken« Proben aus W.s Briefen jener Zeit veröffentlicht, tlie geradezu
crschütterntl W.s Seelenzustand in jener Blütezeit wiederspiegeln; erschütternd,
denn man fragt sich bange: wie soll ein Mensch, der kein Riese ist, diesem
Ansturm widerstehen.^ Eine Frage, auf die die Zukunft eine furchtbare
Antwort gab, deim in eben solcher I.age, als er an seinem »Manuel V'enega«
arbeitete, brach W. zusammen.
Diesmal aber rauschte <lcr Born der Erfindung schier unerschöpflich
weiter. Schon in früheren Jahren (1880, 1886, 1887) hatte \V. einige Gedichte
von Eichendorff in Musik gesetzt; jetzt in der Sommerpause, die die beiden
Mörike-Abteilungcn trennt, entstehen in der Zeit vom 31. August bis 29. Sep-
tember 13 Gesänge nach Kichendorff, die mit den sieben früher komponierten
zusammen als Band erschienen.
Und kaum ist die zweite .Abteilung der Mörike-Gedichte abgeschlossen, so
stürzt sich \V. auf Cloethc; am 27. Oktober beginnt er mit dem ersten Gesänge
des Harfenspielers; am 12. Februar iSSt) sind mit der »Bekehrten« 50 Stücke
geschaffen; und auch hier ein Nachzügler, »Die Spröde«, vom 21. Oktober 1889.
In gleichem Tempo folgen dann im Winter 1889 auf 1890 die 44 Gesänge
des spanischen Liederbuchs nach (ieihel und Heyse, vom 28. Oktober 1889
bis zum 27. .April 1890; vom 25. .Mai bis 16. Juni entstehen die alten Weisen
nach (jottfried Keller; und zum Schluß der erste Band des italienischen
Liederbuchs, von dem sieben Nunimern noch in diis Jahr 1890 fallen; der
Rest gehört dem Ende des Jahres 1891 an.
Diese Daten geben eine Vorstellung von der unglaublichen Schaffens-
kraft, die W. in jenen Jahren entwi( kelt hat, und die um .so erstaunlicher ist,
als wir hier, um F. Hauseggers Bezeichnung zu gebrauchen, überall Musik
als »Ausdruck« und zwar intensivsten .Ausdruck vor uns haben. Etwas weniger
rätselhaft wird uns diese Scluj[>ferkraft erscheinen, wenn wir bedenken, daß
\V. seine Lieblingsdichter seit Jahren innerlich so verarbeitet hatte, daß er
nur zu schütteln brauchte, um die reifen Früchte sich in den Schoß fallen
zu lassen. W.s erste Nietlcrschriften machen den F^indruck sorgfältiger Rein-
schriften. Höchst selten eine Korrektur, keine Spuren von Stockungen, keine
äulieren Anzeichen der tiefen Erregung geistiger F-mpfängnis. Er setzte sich
nicht hin, um zu komponieren, das Work war fertig, wenn er es aufschrieb.
So sind diese Schöpfungen der Jahre 1888 bis 1891 der Niederschlag zehn-
jähriger Entwicklung zu tiefstem Erfassen kongenialer Naturen und zu unfehl-
barer Treffsicherheit in der Neuschaffung dichterischer Schöpfungen aus dem
Gci.ste der Musik.
l'nd nun die Aufnahme bei der Kritik, den Sängern und dem Publikum?
Die Wiener Kritiker (sie waren doch die nächsten rlazu), »angeführt vom
flachen Hanslick<', schwiegen oder gaben Besprechungen, in denen Borniert-
heil der Anschauung und Brutalität der Form sich innig vermählten (Proben
bei Dccsey, dem für diese Festnagelungen aufrichtiger Dank gebührt); die
Sänger, denen freilich dieser Komponist nicht die Türen einlief, kümmerten
BiogT. Jalirbuch u. Deutscher NekroloK-. 3. ßd. 23
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Wolt
sich um »die Sachen« nicht, mit denen nichts zu ni:i( hen' war; das liehe
Publikum, ja wo hätte denn das je so etwas wie Initiative gezeigt? Dazu
kam, daß W.s erste Verleger nichts taten für eine weitere Verbreitung der
Lieder, die sie ja nur in Kommission hatten; ehe Schott in Mainz den Ver-
lag der W.schen Werke übernahm, war es ein aussichtsloses Bemühen für
einen Reichsdeutschen, etwas davon zu Gesicht zu bekommen. Ein erstes
Asyl fanden W.s Gesänge im Wiener akademischen Richard Wagner -Verein,
wo Josef S< halk, der zu früh (ieschiedeiie, mit Wort und Tat für W. eintrat.
Schalks Aufsätze über W. gehören zu dem Feinsten, was über ihn geschrieben
worden ist. Neben ihm ist als Sänger Ferdinand Jäger zu nennen, der große
Wagnerdarsteller, der, eine echte Siegfriedsnatur, dem Lindwurm schlafeüch»
tigen, besitzesträgen Philisteriums kräftig auf den Leih rückte. Aber der Erfolg
war, äußerlich betrachtet, doch beschränkt; ja im Wagner-Verein selbst kam
es zu Reibereien, wodurch W. veranlaßt wurde, die Stätte seiner ersten Er-
folge längere Zeit zu meiden.
So sehen wir ihn denn in den nächsten Jahren auf der Wanderschaft,
neue Freunde zu gewinnen. Das sogenannte Publikum war ihm »Hekuba«,
aber im traulichen Zimmer mit zwei, drei Menschen, aus deren .\ugcn ihm
echtes Mitempfinden entgegenleuchtete, da taute sein Herz auf, da gab er mit
vollen Händen. Und hier hat er auch Freundschaften fürs Leben geschlossen.
Seine Reisen in (h'esen Jahren führten ihn nach .München, Tübingen, Stutt-
gart, Mannheim, Mainz, Köln, Frankturi a. M. ; 1891 nach Bayreuth, 1892
nach Berlin. Überall findet er alte und gewinnt- neue Freunde, in München
M. G. Conrad und Detlev v. Liliencron, in Tübingen Emil Kaufhnann, in Mann-
heim Weingartner und Dr. O. Grohe, in Köln .\rnold Mendelssohn und P'.mil
W'ette, in Frankfurt Engelljert Humperdinck. Ganz besonders Iiat es \V. das
Schwabenland angetan, die Heimat seines heißgeliebten Kduard .Mörike, und
konnte er nun gar in Kauttmanns Hause, dessen Vater mit Mörike eng be-
freundet gewesen war, aus alten Papieren den Geist seines Lieblings herauf-
beschwören, so schwelgte er noch lange nachher in der Einnerung an diese
köstlichen Stunden. In Schwaben ist W. zuerst populär geworden, und er
nannte es gern seine zweite Heimat. Von Aufführungen jener Zeit i.st
besonders die der Christnacht« (Gedicht von Platcn) für Chor, Soli und
C)rchester zu erwähnen, die Weingartner in Mannheim am 9. April 1891 auf-
führte. Das Jahr 1892 führte \V. nach Berlin. Das Konzert, das er am 5. März
dort gab, hatte trotz der Unzulänglichkeit der mitwirkenden Sänger einen
grofien künstlerischen Erfolg; was abar das Wichtigere war, W. gewann auch
hier neue IVeunde, die für seine Sache wirkten. In erster Linie ist hier die
Freifrau Frieda von Fipperheide zu nennen, die geniale, rastlose Hegründertn
der Berliner Modenzeitung, mit der W. bis zu ihrem frühen Tode (1S96) in
herzlicher Freundschaft verbunden geblieben ist. Sie ist eine der wenigen
Persönlichkeiten, die W. einer Widmung gewürdigt hat; das Elienlied aus
Shakespeares Sommernachtstraum, für Solo, Chor und Orchester, das damals
erschien, trägt ihren Xamen. .\uf der Besitzung ihres Gemahls, des Freiherm
Franz von Fipperheide, Schloß Matzen bei Brixlegg in Tirol, hat W. einen
großen Teil seiner Oper -Der Corregidor« geschaffen. Auch die spätere
Gründung des Berliner Hugo Woli-\ereins (1893) ist auf die Wirkung jener
Tage zurückzuführen.
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Aber so viel ihm herzlich Wohltuendes W. damals erlebte, innerlic Ii w:ir
er nicht befriedif^t. Für ihn war Leben Schaffen, und in jener Zeit trat bei
ihm ein Stillstand in der Produktion ein, der ihn oft zur hellen \\T7,\\eiflun<r
brachte. Das Jahr 1891 hatte freilich noch die Musik zu Ibsens »Fest auf
Solhaag« entstehen sehen, die einzige Arbeit, die W. auf Bestellung geliefert
hat, und die zweite Hälfte des ersten italienischen Liederbaches; dann aber
kommt eine lange Zeit fast völliger l'nfruclitbarkeit. Der W., der vorher in
einem Vierteljahr einen ganzen T,ic(U'rl)an(l geschaffen hat, der nachher in
derselben S|)anne Zeit den C orrcgidor schrieb, kam in mehreren Jahren nicht
über einen Orchestersatz, den ersten Teil einer italienischen Serenade und
Über die Bearbeitung des . Feaerreiters als Chort>allade hinaas. Der Grand
lag in W.s Sehnsucht nach der Oper. Seit Jahren lebte der Wunsch in
ihm, seine Kräfte an der größten musikalischen Form, dem Drama, zu
erproben. Aber für den Mann, dem nur Mörike, Goethe, Keller und solche
Dichter den Mund öffneten, für ihn einen Opernstoff und einen würdigen
Text zu finden, das war keine Kleinigkeit. Und so sucht er denn wie ein
Verzweifelter jahrelang. Liliencron, Wette, Hauptmann, Ernst Rosmer, Scribe,
Grillparzer, Otto Ludwig, sollen hei^n, aber nirgends ein Krgebnis. Eine
Zeitlang fesselt ihn Alarcons Manuel Venegas, aber immer scheitert er am Stoff
oder an der Behandlung. Endlich hat er seinen Stoff und die Bearbeitung
gefunden. Alarcons Novelle Der Drcisj^it/, , von W.s Freundin Rosa
Mayreder zum Operntext umgestaltet, nimmt ihn ])lötzlich gefangen, nach-
dem er dasselbe Buch früher abgelehnt hatte, und nun ist alle Seelennot ver-
gessen. Mit dem alten unheimlichen Feuereifer fällt er am i. April über
seinen Text her und am 9. Juli ist der Klavierauszug, am 18. Dezember die
Partitur des Corregidor vollendet. Das Mannheimer Theater nahm das Werk
an, im Mai 1896 sollte die .Vufführung stattfinden. I'nd jetzt, wo die Sehn-
sucht nach (lern Drama gestillt war, kehrte auch die l-'rciulc an der Lieder-
komposition wieder. In der unglaublich kurzen Zeit von vier Wochen ent-
stehen im April 1896 die 24 Gesänge des zweiten Italienischen Liederbandes.
Dann ging es nach Mannheim. Hier gab es freilich neue Nöte. Die Orchester^
stimmen des »Corregidor« waren durchaus nicht fehlerfrei; die Sänger hatten
ihre Partien aus den ausgeschriebenen Rollen lernen müssen, denn der Klavier-
auszug war noch nicht erschienen; Geduld war nie W.s starke Seite gewesen;
kurz, das N'erhältnis war nicht erfreulich. Na( h mehrfachem \*erschicl)en fand
die erste Aufführung am 7. Juni 1896 statt, kurz vor Schluß der Saison. W.
war nicht zu bewegen gewesen, an der Seite des Intendanten der Aufführung
beizuwohnen; in seinem hellgrauen Anzug safi er irgendwo versteckt und
hörte, im Innersten erschüttert, sein Werk. Mit größter Mühe wurde er nach
dem dritten Akt vor den Vorhang gebracht. Die Aufführung war nicht glän-
zend, aber anständig. \'on dem Krfolge ließ sich ungefähr tlasselbe sagen.
Von allen Seiten waren W.s Freunde herbeigeströmt, die ja für ihn das
Publikum bildeten. Was gingen ihn die andern an? Einige Tage darauf
wurde die Oper noch einmal aufgeführt, dann war die Saison zu Ende. Kapell-
meister Röhr ging nach München, einige Sänger verließen das Theater —
der »Corregidor« verschwand vom Repertoire. Seitdem ist der »Corregidor«
über die Bühnen von Stuttgart, Straöburg, München, Wien, Prag, Graz
gegangen. Das Berliner Hoftheater, die rückständigste aller großen Opern-
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Wolf.
bühnen, hat es bis jetzt nicht für nötig gehalten, diese Ehrenpflicht zu
erfüllen.
Der Sommer führte W. in die Alpen. Als er zum Herbst nach Wien
zurückkehrtCi trat in seinem äußeren Leben eine wichtige Änderung ein.
W. hatte zum erstenmal — er war jetzt 36 Jahre alt — eine ganz richtige
eigene Wohnung: Schwindgasse 3, 3 Treppen hoch» eine sogenannte Garten-
wohnunp, kein Mieter über ihm, das Haus vornehm und ruhig. Seine
Freunde hatten, jeder nach seiner Art, dazu beigetragen, sein Henn zu
schmüciien. \V. war glückselig. Wie wollte er hier schaffen und genielien,
Freunde empfangen, mit dem Bewußtsein, wirklich Herr im Hause zu sein.
Der Schreiber dieser Zeilen hat zu Ostern 1897 W.s Gastfreundschaft genossen:
unvergeßliche Tage. Als er später in seiner Krankheit wähnte, ein reicher
Mann zu sein — er wurde es erst nach seinem Tode — , da war ein Lieb-
linpsgetlanke von ihm, den Seinen, besonders seiner Mutter, ein sorgenfreies
Dasein in seinem Hause zu schaffen. — —
Der Winter — der letzte, den er in Gesundheit verleben sollte — brachte
mannigfache Arbeit. Zunächst sollten im »Corregidor« im dritten und vierten
Akt Änderungen im dramatischen Interesse vorgenommen werden; dann mußten
Partituren fertiggestellt werden zur Verschickung an die Bühnen; ein Lieder-
abend in Wien war in Aiissirht genommen, und endlich sollten einige Hefte
Lieder herausgegel)en weiden. Zu Anfang iSqy erschienen die drei (ledichte
von Robert Reinick, von denen das mittlere, »Morgenstmunung , im Oktober
1896 entstanden war, femer die drei Gesänge aus dem »Fest auf Solhaug«,
gegen Ostern kam ein Heft heraus, das von älteren Stöcken Heines wunder-
bares »Wo?« und das »Lied des transferierten Zettels« aus dem Sommer-
nachtstraum enthielt; neu waren die zwei Gedichte von Hyron, Sonne der
Schlummerlosen und Keine gleicht von allen Schönen«, in das Frühjahr
1897 gehört schließlich W.s letztes Liederheft, die drei Gesänge Michel
Angelos fQr Baß (Obersetzung von Walter Roberttornow), die aber erst im
Herbst 1898 erschienen: das letzte Werk, das W. zu veröffentlichen ver-
gönnt war.
Die letzte kurze Spanne Zeit seines künstlerischen Lebens wurde ausge-
füllt durch den Plan, Alarcons gewaltige Erzählung » Manuel Venegas«, für
die er seit Jahren begeistert war, als tragische Oper zu komponieren. Eine
erste Bearbeitung des Stoffes durch die Dichterin des Textbuches zum »'Cor-
regidor« sagte ihm nicht zu; dagegen erfüllte ihn die dramatische Gestalt,
die M. Hoemes dem Stoffe gab, mit höchster Schaffenslust; früher als sonst
ging er im Spätsommer nach Wien; in 14 Tagen waren die ersten 50 Seiten
de^ Klavicrauszuges, die schon das ganze motivische Material des Werkes
einhalten, niedergest liriehen ; da — mitten in tler großen Krzahiung des
Manuel, mitten im Satz — bricht das Fragment ab; das Furchtbare war
geschehen; der Wahnsinn trat hinter seinen Stuhl und schlug ihm die Feder
aus der Hand. Wohl hat der Arme noch einmal, was man so seinen Ver^
stand nennt, wiedererlangt; seine Schöpferkraft war für immer dahin. Nicht
eine Spur von Ermattung zeigte das Fragment des Manuel Venegas; im (iegen-
tcil, höchste künstlerische Reife, wahrhaft klassische, monumentale Einfachheit
und dabei tiefste Innerlichkeit kennzeichnen diese letzte Schöpfung W.s. In
voller Kraft ist der Künstler Hugo W. von uns gegangen.
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Wolf.
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In einer (jesellschaft, wo er den Manuel \'enep;as vorspielte, erkannten
die Anwesenden mit Entsetzen, wie es um ihn stand ; sein Frt'un<i Michael
Haberlandt mufite ihm den traurigen Liebesdienst erweisen, ihn unter dem
Vorwande einer Vorstellung beim Hofintendanten — W. bildete sich ein»
tarn. Hoftapellmeister ernannt zu sein — in die Anstalt des Dr. Svetlin in
Wien XU bringen. Seine Krankheit wurde als progressive Paralyse erkannt.
Bis zum 24. Januar 1898 blieb W. hier; dann trat die vorübergehende Besse-
rung ein, die für diese furchtbare Krankheit charakteristisch ist; aus der
Anstalt entlassen, reiste er über den Semmering nach (Iraz, Triest und Lussin-
piccolo im adriatischen Meer. Anfang März war er wieder in Wien. Ende
Mai ging er nach Traunkirchen, wo ihm von der Familie Köchert, die seit
länger als einem Jahrzehnt ihm in treuer Fürsorge beigestanden hatte, ein
Bauemhäuschen in der Nähe ihrer Besitzung gemietet worden war. Hier
blieb er den Sommer über; er trug sirh mit Gedanken an künstlerische
Schüjifungen; so wollte er Nietzsches Gedicht ».\n den .Mistral« für Chor
und Orchester komponieren. Das Einzige, was er in jener Zeit wirklich
leistete, war die Drucklegung der drei Gesänge nach Michelangelo, die im
September 1898 erschienen. Kurze ^eit darauf, Anfang Oktober, brach die
Krankheit von neuem aus. Nach einem vergeblichen Selbstmordversuch
wurde \V. auf seinen eigenen Wunsch in die Landesirrenanstalt in Wien über-
führt, wo er nach unsäglichen, seelischen not h mehr als körperlichen Leiden
am 22. Februar 1903 durch den Tod erlöst wurde.
TV.s Persönlichkeit spiegelt sich am klarsten in seinen Briefen wieder,
von denen eine grofie Anzahl (er war ein fleißiger Brie&chreiber) erhalten
und zum Teil erschienen ist Von Anfang an treten uns zwei Züge entgegen:
eine eiserne Willenskraft, die auf dem unbeirrbaren Gefühl beruht, daO er zu
etwas Großem berufen ist und ein heißes Verlangen, das (iroße zu lieben und
seine \'erehrung zu betätigen. .Mle seine Liederbände und Hefte sind Huldi-
gungen, den Meistern dargebracht, die er verehrte. Und hat er eine Persön-
lichkeit gefunden, die er so lieben kann, so sollen auch andere diese Ver-
dimng mit ilmi teilen: er trägt seinen Mörike, seinen Kleist in der Tasche
mit sich herum, er liest seinen Freunden die Pendiesilea vor und wenn später
bei seinen eigenen Schöpfungen einem unter ihnen das Wasser in die Augen
kommt, so ist er durch sokh ein wortloses Zeichen für immer gewonnen.
Wo ihm aber die Lüge als Konvention, als banale Phrase entgegentritt, da
ballt er sich zum Igel zusammen und der andere mag seine Finger hüten;
denn W. war eine durchaus wahrhafte Natur, die zwar ungerecht werden
konnte, da, wo ihr der Schlüssel zur fremden Wesenheit fehlte, die aber in
jedem Augenblick wirklich empfand, was sie aussprach. In ihm war nichts
von jener Weltklugheit, die mit Rechenpfennigen zahlt; er gab immer das
echte Gold seines Innern; aber wie oft emi)ting er dagegen das Blech der
Phrase. Und eine vornehme, mit dem stärksten Gefühl für physische wie
sittliche Reinlichkeit ausgestattete Natur, widert ihn der Kulturpöbel an; er
■idMe aeiiic Lieblinge wie seine Geisteskinder vor den entweihenden Blicken
der stumpfen Menge, vor dem hämischen Grinsen kraftlo.ser, selbstgefälliger
.Afterweisheit schützen, und was im (irunde gem^minen künstlerische Keusch-
heit ist, das erscheint nach autJen als .Xnniaüung und Selbstüberschätzung.
£s soll gar nicht geleugnet werden, daß in jüngeren Jahren auch sein Most
35Ö
Wolf.
sich zuweilen absurd gebärdete; wer aber auf das Wesen, auf die Gesinnung
sieht, der muß fühlen, daß auch alle Absonderiii Ii k ei tcn, alle Ungerechtig-
keiten auf edelstem Fruchtboden gewachsen sind. Und schließlich: »An
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
Ks ist eine ebenso häufige wie verkehrte, wo nicht niederträchtige Manier
der Beweisführung, die aus dem Zusammenbruch einer physischen zurück-
schließen will auf Ungesundheit der geistigen Natur. Wenn ein brausender
Strom die Dämme durchbricht, so wird man die Dämme dafür verantwortlich
machen. Und dies ist der Fall bei W. Nicht geistige Krankhaftigkeit hat
den Körper zerstört, sondern der Körper vermochte den Anforderungen des
(icistes nicht standzuhalten. W'.s letzte Schöpfungen, die Gesänge nach
Michel Angelo und das Fragment des Manuel Venegas, zeigen ihn auf der
Höhe ausgereifter, abgekl&rter, klassischer Kunst; nicht nur die schöpferische
Potenz erscheint in voller IlCraft, sondern das künstlerische Ebenmafl, das
instinktive zugleich und doch erst durch strengste Kunstübung erreichte Ver-
hältnis zwischen Ausdruck und .Ausgedrücktem, das, was der Antike, was
Mozart untl Goethe, was Nietzsche und Maupassaiit die Dauer gewährleistet,
das erscheint in W.s letzten Werken als dii-s Ergebnis einer stetigen Ent-
wicklung. Und darüber sind wir doch wohl einig: nicht das Talent ent-
scheidet, sondern das, was einer aus seinem Talent zu machen weifi; was
freilich auch wieder ein »'I'alent ist. Was einer aus seinem Talent- zu
machen weiß' Freilich muß ihm (be Zeit gelassen werden und VV, war es
nicht vergönnt, als Dramatiker die entscheidende Probe abzulegen. Denn
bei aller Genialität der muMkalischen Erfindung halte ich die Probe, die er
im Korregidor abgelegt hat, für nicht gelungen. Natürlich, wenn man, wie
man ihm das schuldig ist, den höchsten Maßstab anlegt. Die Schuld lag am
Stoff, oder, wenn man will, an W.s Neigung, in die Tiefe zu gehen. Hätte
er sich entschließen können, die Figur des Korregidor als rein komische zu
gestalten, so würden wir nicht dur( Ii den Widerspruch gepeinigt, der zwischen
dem obwaltet, was wir mit Augen sehen und dem, was uns tler Komi>oiii>t
zu empfinden zumutet. Ebenso empfinden wir Tio Lukas' Eifersucht als eine
Torheit und so herrlich sein Monolog im dritten Akt ist, wir werden das
Gefühl des: /an/ de brtdi pmtr tau omUtte nicht los.
Ganz anders beim Manuel Venegas. Dies Fragment gehört zu denen,
die, wie Schillers Demetrius oder Kleists Guiskard, uns jedesmal mit neuer
Trauer darüber erfüllen, daß sie niclit vollendet worden sind. Ganz wunder-
voll, wie W. hier den Ton getrotten hat. Vor allem die Charakteristik
Manuels in ihrer schlichten Größe, ihrer selbstsicheren und doch wieder ver-
haltenen Kraft, die tiefe, innige und so gar nicht rhetorische Empfindung —
all das ist so groß und neu, daß man sagen kann: hier hat W. einen
neuen Typus geschaffen, der sich einem Don Juan, einer Carmen, einem Hans
Sachs ebenbürtig anreiht. Und dies Werk hat er nicht vollenden dürfen!
Er ist nicht über die Exposition hinausgekommen; wenn man aber das
motivische Material betrachtet, das er in diesen 50 Seiten des ersten Auszugs
angehäuft hat, so ahnt, wer W.s Gestaltungskraft aus anderen Werken kennt,
was er daraus gemacht bitte. Wir begreifen, daß er gerade bei diesem Werke
zusammenbrach; denn dagegen gehalten, erscheint die Erschütterung bei der
Schaffung der ersten Oper gering.
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Wolf.
359
W. als Dramatiker steht für uns da, wie Beethoven als Symphoniker
dastehen würtie, wenn wir von der Eroica nur Ski^zen hätten.
W.S andere Schöpfungen, abgesehen von seinen Liedern, sind Talent-
proben; Ansätze, die keine Fortsetzung erlebt haben, Werke, die er selbst
nicht fikr abgeschlossen angesehen hat, die als Material für die Beurteilung
seiner künstlerischen Persönlichkeit wichtig, aber für seine Stellung in der
Geschichte der Musik untergeordnete Bedeutung haben.
Hugo W.S Lieder und Gesänge sind Neusi höpfungen der Gedichte aus
dem Geiste der Musik. Die beiden Kigenschaften des Menschen W., die ich
oben erw&hnte, das Bedürfnis zu verehren und die eiserne Willenskraft, die
sich als kflnstlerisch schaffende Potenz kundgibt, im Vereine, haben ihn zum
Schöpfer des neuen deutschen Liedes gemacht. Was es mit der Verehrung
auf sich hnt, niöchtt- ich an einem Beispiel erläutern. Jcdcnnatin kennt
Schuberts Erlkönig. Ein wundervolles Stück, als Kraftprobe betracluet, über-
reich an Erfindung und fortrciUend in seinem Duhinstürraen, aber — eine
verfehlte Wiedergabe des Goetheschen Gedichtes. Die ratternde Triolen-
begleitung, die an einen Ober Steinpflaster dahinfahrenden Kohlenwagen
gemahnt, aber keineswegs die Vorstellung eines in weichem Sande gallop-
pierenden Pferdes erweckt, die italienische, sonnenbeschienene Kantilene des
Erlkönigs, rlie auch so gar nichts Unheimliches hat, bei der man nicht be-
greift, warum das Kind sich davor fürchtet, dies sind Verst()lie gegen die
Seele des Gedichtes. Nun vergleiche man damit die Komposition Karl
Loewes. Ich weifi nicht, ob Loewe Schuberts Erlkönig gekannt hat, als er
den seinen komponierte; jedenfalls wirkt er wie ein Protest. Betrachtet man
den Loeweschen Erlkönig irein als Musikstück, so erscheint er äußerlich arm,
oder sagen wir lieber sp)arsam in der Erfindung gegen Schubert; aber gerade
das, was bei Schubert gegen den (ieist <lor Dichtung versttilJt, das ist bei
Loewe aufs feinste dem Gediclite nachgefühlt. Die flimmernde, unbestimmte
Beleuchtung (Tremolo im g-moll-Dreiklang auf d-cis), das Galloppieren des
Pferdes, die konturenlose Weise des Erlkönigs (g-dur-Dreiklang, nur durch
den Wechsel von moll in dur von den andern Partien abgehoben), das ist
aus der Stimmung des Gefliehtes herausgeschaffen.
Das verstehe ich unter Elirfurcht gegen den Dichter und die besaß W.
im höchsten Grade. Als er seinen Mörikeband iS88 komponierte, war ihm
der Dichter seit Jahren in Fleisch und Blut übergegangen. Damals fuhr er
nur eine Ernte in die Scheuem, die lange in seinem Innern gediehen war.
Ich möchte sagen, er schlürft dem Gedichte die Seele aus, er destilliert sie
zum musikalischen Motiv. Auf dies Motiv kommt alles an. Wie der fran-
zösische Dichter Haubert die Überzeugung hatte, dali alles, was man als
Künstler auszusprechen habe, nur auf eine .\rt auszusjirecheii sei und daß
man eben diese eine Art finden müsse und dali sie sich, weim sie gefunden,
durch ihre Selbstverständlichkeit legitimiere, so war fQr W. das Motiv das
Kriterium jeder musikalischen Schöpfung. Und der Wert des Motivs zeigt
sich in seiner Fruchtbarkeit. Es gibt eine ganze Anzahl W. scher Gesänge,
in denen ein einziges Motiv das nnisikalische Material bildet, l'nd viele der
stärksten. Gerade in der, dem unbefangenen Hörer gar nicht zum Bewußtsein
kommenden Ausnutzung des Motivs liegt die unwiderstehliche suggestive
Kraft dieser Stücke. Seine Sparsamkeit ist die eines Mozart oder Beethoven.
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3Ö0
Wolf.
Ich erinnere an Stücke wie »In der Frühe«, »Auf ein altes Bild > , »So lang'
man nüchtern ist«, »Wie soll ich heiter bleiben«, »Erstes Liebeslied eines
Mädchens«, »Lebe wohl«. Wie nun ein solches Motiv melodisch, rhythmisch
und harmonisch ausgebeutet wird, dies mag der Leser an dem zuletzt ge-
nannten Licde als einem klassisclien Hcispiole studieren. Die t^[)ersrhrift
»Lebe wohl - gibt hier das Motiv ab, das das ganze Stück durchtrankt, das
von schmerzlicher Resignation bis zu verzweifeltem Aufschrei sich dem Hörer
unvergefllich einbohrt. Alles, was da im Liede gesagt wird, es ist ja doch
nur eine Umschreibung dieser einen Empfindung. Und diese Empfindung
schließt auch das Ganze als das W^esentliche musikalisch ab.
Diese Behandlung des Motivs hat W. von Wagner gelernt. Ich erinnere
nur an das zwcitönige Motiv im »Ring des Nibelungen«, das, im Halb- oder
Ganzton fortschreitentl, für den Bau des ganzen Werkes von grundlegender
Bedeutung ist. Wenn man aber von einigen Anklängen absieht, die als be-
wußte Reminiszenzen (Gesellenlied), ja fast als Zitate wirken (Grenzen der
Menschheit), so mufi W. völlige UrsprQnglichkeit zugestanden werden.
Erstens ist die breite Pinselführung des Dramatikers für den Lyriker nur in
seltenen Fällen, eben da, wo er sirh dem rlramatischen Stil nähert, an-
wendbar. Dann aber liegt die Emptiiulungswclt z. B. der Divanlieder Goetht-s
oder des italienischen Liederbuches so unendlich von der Wagners ab, daü
eine Anlehnung wie sie z. B. Jensen oft recht glücklich in sein«i Grandeamus-
Uedem an die Meistersinger zeigt, eine Stilwidrigkeit schlimmster Art wäre.
Hier zeigt W. seine unendliche Überlegenheit Epigonen wie Jensen gegen-
über. Ich glaube, wenn Fr. Nietzsche W.s Divanlieder kennen gelernt hätte,
er würde darin das gefunden haben, was er an Wagner vermißte : den leicht-
beschwingten Tanz, die Kühle und Dünnigkeit der Luft, den hohen Barometer-
stand, der ihm Bedürfnis war. Diese Musik »schwitzt« nicht; hier hat W.
wirklich jene *gcr^a sdeiua*, die Nietzsche beladen Deutschen vermiete. Hier
hat er die GrenzpfiÜile des musikalischen Ausdrucks weit hinausgerückt Aber
nicht nur hier. Jeder neue Band, jedes neue Heft war eine Eroberung. Wo
vorher sind denn Töne erkhintren, wie die der geistlichen Gesänge aus dem
spanischen Liederbuch.^ Ist nieht in einem Stückchen wie: »Geselle, wolln
wir uns in Kutten kleiden« der Geist Boccaccios wieder auterstanden? So ein
einziges Stück ist doch mehr wert als das ganze Lebenswerk mancher »ge-
schätzten« Komponisten. Oder erscheinen nicht alle Kompositionen, in denen
die Nichtigkeit des Lebens dargestellt vrird, harmlos gegen W.s »Alles endet
was entstehet' . Man hört jetzt öfter davon reden, W. werde Oberschcätzt, er
sei nun durrhgedrungeii« und — was weiß ich? Da erlaube ich mir die
Frage: wie viel Menschen gibt es denn, die solchen Stücken wie den genannten
auf den Grund kommen? Selten ist mir die Oberflfichlichkeit des Kunstpttbels
widerwärtiger erschienen, als in diesem: »W., den haben wir nun mhtSf jetzt
was Neues, z. B. — «, doch ich kehre zur Sache zurück.
Das Motiv wird, wie gesagt, bei W. aus der Seele des Gedichtes heraus-
geschaffen. Und das Gedicht bestimmt die musikalische Form überhaupt. Es
bestimmt das \ erhältnis der Singstimnic zum Klavierpart. Dieser tritt auf als
einfache Begleitung (Verborgenheit, .\nakreons Grab); er übernimnU die Rolle
der Harfe, die die Göttin schlägt (Weylas Gesang) oder der Aolsharfe oder
der Querpfeife des Rattenfängers, er stellt das Weben der Natur, das Rauschen
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Wolf.
361
der Quellen (Nachtzauber), das Schlagen des Herzens dar (Alle gingen, Herz,
zur Ruh); er wirkt fonn- und stirainunggebend in den so mannigfaltig
gestalteten Wanderliedern (Fufireise, Auf einer Wanderung, die beiden »Heim-
weh«, Sie blasen zum Abmarsch, die beiden Soldaten Eichendorffs, Epi-
phanias usw.) er wird endlich zum dramatischen Faktor (z. B. die geniale
Darstelluiu' (k r Migräne, in Pre7.ios;»s Sprüchlein' 1, \n Kichendorffs Ständchen,
in der Storchenbotschaft und ganz besonders im 'Prometheus«, wo das Klavier
(hier ein unvollkommener Vertreter des Orchesters) die Rolle des donnernden
Zeus übernimmt Nie aber sinkt der Klavierpart zur blofien Illustration
herab. Darin beweist W., daß er echter Musiker ist.
Ebenso richtet sich die Behandlung der Singstimme nach dem Pulsschlag
des Gedichtes. Melos und Rhythmus stehen ganz im Dienste fies Ausdrucks.
Und wie beherrscht er auch hier die ganze Skala der Empfindungen: wie
versteht er zu jubeln, zu klagen, zu beten, zu trösten, zu drohen, zu fluchen,
zu segnen, zu necken, zu kosen, zu lachen und zu schluchzen. Ein aussichts-
loses BemOhen, dies auf engem Räume weiter auszuführen. FUr jede, für die
feinste seelische Regung findet er mit einer Sicherheit ohne gleichen den
erschöpfenden Ausdruck.
Und so hat er uns <\\c herrlichsten Schöpfungen lyrischer Dichtung zum
zweitenmal ^'oschenkt, hat sie uns gedeutet wie keiner vor ihm. Gleich
groß im Schatten wie im Verehren, hat er nicht bloli die Grenzen seiner
Kunst erweitert, sondern er ist seinem Volke ein Erzieher geworden, ein
Führer zu den Höhen menschlicher Bildung. Mügen sich die Deutschen
eines solchen FOhrers würdig erweisen I '
Literatur: Hugo VVolf, Briefe an Emil Kauffmann, Berlin 1903; an Hugo Faisst, Stutt-
gart 1904; an Paul Müller, Leipzig 1905; an Oscar Grohe, Berlin if)0$. — Dccsoy, Hugo
Wolf, 4 Bande, 1903 — 1905. — Hugo Wolf-Heft der »Musik«. — Haberlandt, Erinnerungen
und Gedanken, Ldpri; 1903. — Aufsitse aber Hugo Wolf, 3 Hefte, Beilin. — P. Mttller,
Hugo Wolf, Berlin 1904. — G. Kühl, Hugo Wolf. Zukunft 12. September 1903. — H. WeW,
Hugo Wolf, in Graf Hoensbrochs Zeitschrift »Deutschlaadc 1904.
Paul Müller.
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Ergänzungen und Nachträge.
Stern, Margarethe, Pianistin, * 25. November 1855 zu Dresden, + .4. Ok-
tober i8c)9 ebenda. — St. wurde als die zweite Tochter des K. S. Kamnicr-
musikus und ausgezeichneten Fagottisten Ernst Herr zu Dresden geboren.
Schon als siebenjähriges Mädchen durch eine höchste Feinheit des musika«
lischen Gehörs und eine nicht zu stillende Lust an der Musik ihre Gaben
verratend, aber vor der bedenk liehen Dressur als Wunderkind bewahrt, durch den
frühen 'I'od ilires Vaters (1863) ihres ersten musikalisi hen Führers beraubt,
empfing sie nacheinander von Musikern wie Adolf Reichel (der 186S na( h liern
Übersiedelte) und dem sächsischen Hotpianisten Karl Krägcn, einem Freunde
Robert Schumanns und altem Genossen der »Davidsbündler«, Klavierunter-
richt, sowie bedeutende künstlerische Anregungen in dem kunstsinnigen Hause
des ehemaligen hannoverschen (lesandten in Paris um! Wien, Freiherm von
Stockhausen. Ihr pianistisches Talent wurde in diesem Hause und in anderen
nuisikalisdien Kreisen Dresdens erkannt und hinreichend gewürdigt, um ihr
weitere Förderung zu sichern. Im Jahre 1875 trat sie in den Schülerkreis
Franz Liszts in Weimar ein, in den sie auch im Sommer 1877 zurückkehrte,
1876 erfreute sie sich des Unterrichts Clara Schumanns, die damals in Berlin
lebte. Nachdem sie im Oktober 1875 ihr erstes größeres selbständiges Kon-
zert in Dresden mit bestem Erfolge gegeben hatte und im Herbst 1877 von
dem zweiten Aufenthalt bei I.iszt heimgekehrt war, sah sie sich den harten
Prüfungen junger künstlerisclier ialente: dem verzehrenden Warten auf Ge-
legenheit zu üflentlichem Auftreten, tlen leeren Ver.sprcchungcn, den zahllosen
vergeblichen Bemühungen preisgegeben und mufite die ganze Elastizität ihres
Wesens aufbieten, um im Kampf mit der Gleichgiltigkeit, die eine natürliche
Folge der geistigen Überproduktion ist, nicht zu erlahmen. Sie war bald in
ihrer \'aterstadt eine geschät/te Lehrerin ilirer Kunst, erhielt auch gelegent-
lich Einladungen zu kleinen Konzerten, fühlte aber, dali sie in (iefahr stehe,
in enge Verhältnisse und einen vorzeitigen Verzicht auf Entfaltung ihres
Talents und ihrer leidenschaftlichen Sehnsucht nach künstlerischer Vollendung
hineingedrängt zu werden. So entschloß sie sich zu einem entscheidenden
Schritt und ging Anfang 1879 nach London, wohin sie auch, nach kurzem
Winteraufenthalt in der Heimat, im Frühling 1880 zum zweitenmal kam. Die
Schwierigkeiten, die sich dem noch so viclverheißenden, aber namenlosen
Talent in der Weltstadt entgegenstellten, überwand sie siegreich, eroberte
sich Beziehungen in maßgebenden Krei.sen, Unterrichtsstunden in aristokra-
tischen Häusern, trat in einer Anzahl von Konzerten mit immer wachsendem
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Stcro.
ik'ilall aul und hätte auf eine glüt kliche Fortsetzung dieses verhciüenden
Beginns ttm so sicherer slhlen können, als im Herbst und Winter von 1880
bis 1881 eine erfolgreiche Konzertreise in den baltischen Ostseeprovinzen
und ihr erstes Auftreten in mehreren großen deutschen Konzertinstituten die
Wechselwirkung verstärkte, die zwischen den en^h'schen und den deutschen
Alifangen ernsterer TeiinalHiie und verdienter Gehung stattfantl. Allein Mai
i&Si verlobte und 5. September des gleichen Jahres verheiratete sich Marga-
rete Herr mit dem Dichter und Literarhistoriker Adolf Stern in Dresden,
der damals schon eine Reihe von Jahren als Professor an der Technischen
Hochschule und vieltätiger Schriftsteller wirkte. Die Möglichkeit, aus dem
öffentlichen völlig ins Privatleben zurückzutreten, war gegeben. Aber weder
wünschte der (]atte der jungen Künstlerin, noch dachte diese selbst daran,
sie ihrer Kunst zu entziehen. In den Jahren von 1881 — 1883 begann sich
der Ruf Margarete Sterns einigermaßen zu mehren, ihre Mitwirkung bei
mehreren Musikfesten des »Allgemeinen Deutschen Musikvereins« lenkte
die Aufmerksamkeit der Könstler und des ernsteren musikalischen Publikums
auf sie. Aber erst seit sie im Herbst 1885 erfolgreich in Kopenhagen kon-
zertierte un<l sicli im Januar iS86 in Herlin, im ersten Konzert Marcella
Sembrichs in der Singakademie, neben der gefeierten Sängerin einen glänzen-
den Erfolg bei der gesamten Berliner musikalischen Kritik eroberte, wurde
sie in weiteren Kreisen bekannt. Eine durch und durch poetische und lein
musikalische Natur blieb sie, obschon ihre »Technik« der virtuosesten völlig
gleichkam, doch der öden Virtuosität im engeren und schlimmeren Wort-
sinne völlig fremd. Ihre Interpretationen musikalischer Werke galten fast
auss( hlieülit h nur den wertvollsten Schöpfungen der Klavierliteratur und der
Kammermusik, von Chopin und R. Schumann gelangte sie, in wachsender
Vertiefung, zu Beethoven und J. Brahms, ihre Spielprogramme verdienten
mustergültig geheifien zu werden und zeugten von der unablässigen musika-
lischen Arbeit, mit der St den Kreis der von ihr gespielten Werke erweiterte.
Zwischen 1886 und 1898 spielte sie in fast allen größeren Konzertinstituten
und Konzertvereinen Deutschlands, Dänemarks, Schwedens, feierte mehr als
einmal wirkliclie Triumphe und erwarb, was ihr hoher stand, den bleiljcn-
den Anteil mehr als eines Publikums, die ernste .Anerkennung gerade der
strengsten und Höchstes fordernden musikalischen Kritik. In ihrer schlicht
liebenswürdigen Natur freute sie sich ihrer Erfolge, ohne je von der nervösen
Ruhmsucht und dem neidischen Erfolgliunger des modernen Virtuosentums
berührt zu werden. Die äußeren Auszeichnungen, die ihr zuteil wurden —
der König von Schweden verlieh ihr die groüe goldene Medaille für Wissen-
schaft und Kunst, König Albert von Sachsen ernannte sie zur königlichen
Kammervirtuosin und so weiter — galten ihr durchaus nur als Begleiterschei-
nungen, nicht als Preise künstlerischer Leistungen. Diese Leistungen selbst
immer höher zu steigern, blieb ihr einziger Ehrgeiz und obschon sie bis an ihr
Lebensende fortfuhr in großen Orchesterkonzerten mitzuwirken — sie spielte
u. a. die drei letzten Beethovcnschen Klavierkonzerte, das Schumannschc
Klavierkonzert in A-molI, das große IJrahmsx he H-dur Konzert, Konzerte
von Saint-Saöns, Grieg, Bronsart, Dräseke, die Chopinschen beiden Konzerte
so bevorzugte sie im letzten Jahrzehnt ihres Lebens die Kammermusik.
1890 begründete sie im Verein mit Henri Petri, dem ausgezeichneten Geiger,
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3^4
Stern.
eine Kammeiinusik\ crcinigung, deren vier bis sechs Abende in jedem Winter
die Elite des Dresdener musikalischen Publikums vereinigten und deren Pro-
gramme den klassischen Karomermusikwerken Wie den neueren Schöpfungen
dieses Prodnktionsgebietes mit lebendigem Gefühl für alles Wertvolle gleich
gerecht wurden. In sorgfältiger Vorbereitung und Ausgestaltung dieser
Abende wetteiferten der Primgeiger und die Pianistin, die Dresdener musi-
kalische Kritik gab den meisterhaften Darbietungen der Stern-Petrischen
Kannnermusikabende anerkennenden Nachhall und der Ruf der Vereinigung
drang auch nach auswärts. Mit immer neuer Hingebung und Spielfireudig^
keit widmete sich St. den Aufgaben, die ihr hieraus erwuchsen und den Kreis
ihrc■^ Wirkens beständig erweiterten. Erholung von den Anstrengungen ihres
Berufs fand sie auf den großen Ferienreisen, die sie mit ihrem Gatten all-
jährlich unternahm. Sie nahm die Naturwunder und Schönheiten der Ali)eii,
Italiens und Skandinaviens mit kindlichem Entzücken in eine schönheits-
durstige Seele auf, in der sie sich geheimnisvoll mit den tickten Gemüts-
regungen und ihren musikalischen Trftumen verwoben. Unter allen sie be-
glückenden Stätten gab sie dem Gießbach über Brienz im Berner Oberlande
den Vorzug, fast jedes Jahr kehrte sie auf Wochen dort wieder; an einer
Lieblingsstelle dieses schönen Stücks Erde haben ihr zwei Freunde nach
ihrem Tode einen schlichten Denkstein mit einem Porträtrelief errichtet.
Die Jahre 1890 — 1898 wurden die bewegtesten ihres Lebens, insofern sich
die Aufforderungen und Anlftsse zum öffentlichen Auftreten als Klavier-
spielerin unablässig mehrten. Auch die Ansprüche an die ausgezeichnete
Lehrerin wuchsen und da sie über ihre eigene Kunst hinaus den lebendigsten
Anteil an aller Kunst, den trcuestcn und verständnisvollsten an den litera-
rischen und poetischen Bestrebungen ihres (iatten nahm, so lebte sie recht
eigentlich ein volles reiches Dasein, dem, bei schlichter Bescheidung in
ftufleren Dingen, kein wertvoller Eindruck gebrach und das unter dem be-
glückenden Bann eines grofien Zieles stand. Die Künstlerin wufite gut
genug, daß die Meisterschaft in jeder ausübenden Kunst an den rastlosesten
Fleiß gebunden ist und widmete mit einer Art Ihierbittlichkeit, wenige Ferien-
wochen ausgenommen, den größten Teil des Tages ihrem Studium. Und
doch unterlag es keinem Zweifel, daß der eigentliche sichtbare und von Jahr
zu Jahr sieghaftere Fortschritt in ihrem Spiel einem von ihrem Fleiß unab-
hängigen SchOnheitsleben im Innersten ihrer Natur entstammte, das immer
freier hervortrat. Erst in ihrem letzten Jahrzehnt machte sich das undefinir-
bare Etwas geltend, das der einsichtigeren Kritik Anlaß gab, sie als die
poetischste tler deutschen Klavierspielerinnen ihrer Tage zu bezeichnen. Und
es war sicher nicht zufällig, daü sich dies Etwas, der beseligende Einklang
von Phantasie und musikalischem Ausdruck, vor allem bei ihrer Wiedergabc
der Schöpfungen von Beethoven und Brahms entfaltete.
Eine solche Natur und eine solche Leistungskraft wären es wert gewesen,
noch eine Reihe von Jahren und Jahrzehnten dem Leben und der Kunst an-
zugehören. Im Jahre i^q~ und im Winter von iSpy zu 1898 trat die Künst-
lerin mit immer gleichem Erfolg noch in einer Reihe von Orchesterkonzerten
und Kammernmsikabenden auf, feierte ein letztesmal Triumi^he in Städten,
wo sie seit Jahren willkommen war: in Kopenhagen, Kassel, Leipzig, Frank-
furt a. M., Baden-Baden, spielte zuerst auch in Mannheim, Darmstadt, Wien,
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Stern. Hflbner.
3<55
Miinrhen. Gegen den Herbst 189S begann ein tückiM lu-s Cbel, deni sie um-
sonst die freudigste Lebenskraft und den entschlossensten Willen zum Wirken
entgegensetzte, ihre Gesundheit zu untergraben, sie muiite im Winter von
1898 m 1899 alle Konzerteinladungen ablehnen und rang der Krankheit nur
Oire Dresdener Kammennusikabende ab. Am 37. Februar 1899 spielte sie
zum letztenmal öffentlich, der Vortrag von Beethovens grofiem Trio Op. 97
war ihr Schwanengesang. Eine Frühjahrskur in Bozen konnte ihr keine Ge-
nesung bringen. Nach einem schweren leidvollen Sommer scliied sie aus
dem Leben, ihre Bestattung gab Zeugnis, welcher Liebe, welcher Bewunde-
rung sie sich in allen musikliebenden Kreisen ihrer Vaterstadt erfreut hatte.
Unter den sahlietdien Nachrufen und literarischen Zeugnissen f&r ihre Kunst
zeichnete sich namentlich das Gedenkblatt Hans Poppes (Westermanns Ula-
strierte Deutsche Monatshefte, Mai 1900; Se|)aratdruck, Giefibach 1902) aus.
Der flatte setzte ihr ein literarisches Denkmal: Margarete Stern, ein Künst-
lerinnenleben (Dresden 1902), das jede Erinnerung an die Anmut ihrer Er-
scheinung und die Eigenart ihrer Künstlerschaft, wie an den Kampf eines
hochstrebenden Talents mit den Kunstzuständen der Zeit lebendig zu er-
halten sudit. Zwei Bildnisse der KOnstlerin finden sich in diesem Boche.
Adolf Stern.
Hübner, Emil,') Universitäts|uofessor der klassischen l^hilologie, * 7. Juli
1834 in Düsseldorf, f 21. Februar 1901 in Berlin. — Sohn des Historienmalers
Julius Hübner, erhielt er seine erste Erziehung in Dresden, wo sein Vater
seit 184X als Professor an der Akademie der Kttnste wirkte. Ostern 185 1
verließ er das Vitzthumsche Gymnasium mit dem Zeugnis der Reife und
studierte zunächst ein Semester in Berlin, wo er hauptsächlich geschichtliche
Kollegien bei Boeckh, Curtius, Lepsius, Ranke hörte. Doch schon im Herbste
desselben Jahres vertauschte er die Berliner Hochsc hule mit der Bonner, um
sich dort ganz der Philologie zu wulmen. Besonders Welcker und Ritsehl
gewannen dort einen entscheidenden Einflufl auf seine Studien: dafi ihm
schon damals neben der Sprach- auch die Sachphilologie nahe trat, verdankte
er zum Teile Otto Jahn. Er promovierte am 4. August 1854 mit einer
Dissertation ^guaesfiones o/totnnfofix^icm la/inac^'- die .Anregung zu derselben war
von Welcker ausgegangen, mancherlei Material dazu hatte er, durch Jahns
Vermittelung, von Theodor Mommsen erhalten.
Anregungen aus dem künstlerischen Eltemhause wie von selten seiner
akademischen Lehrer wiesen den jungen Philologen darauf hin, die klassischen
Länder des Südens bald aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Im
Herbste 1855 überschritt der Einundzwanzigjährige zum ersten Male die Alpen
und kam Ende Xovember nach Rom. Hier fand er Förderung vor allem in .An-
schluÜ an das archäologische Institut, besontlers bei dem damaligen zweiten Sekre-
tär desselben, Wilhelm Henzen. Henzen, zu dem H. auch bald in ein näheres
persönliches Verhältnis trat, gewann ihn ganz für die römische Epigraphik,
für weldie er bereits in Bonn einen guten Grund gelegt hatte. Es war damals
die Zeit, in welcher unter Leitung des Triumvirats Mommscn-Henzen-de Rossi
die Vorarbeiten für das grofle Werk der lateinischen Inschriftensammlung
>) Toten] iste 1901 Band VI 50*.
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366
Hfibner.
mit Energie betrieben wurden. Einen wichtigen Teil dieser Vorarbeiten
bildete die Ausnutzung und kritische Behandlung der handschriftlichen In-
schriftensammlungen des 15. — 17. Jahrhunderts; Henzen erkannte in dem
wohlgeschulten jungen Bonner Philologen eine hervorragend geeignete Kraft
für derartige Arbeiten» und Ubertrug ihm eine Reihe einschlägiger Aufgaben
zunächst auf der Bibliothek zu Neapel, welche H. im Sommer x8s6 trotz
mancher Schwierigkeiten, die die illiberale bourbonische Verwaltung dem
Werke L-ntgegenstelltc, glücklich zu Ende führte. Daneben gab er eitie
tüc htige Probe si-iner Begabung auch für die mehr praktische Seile der I'. |>i-
grapliik durch Xeröhentlichung einer grölieren Arbeit- über die Inschrittcn
auf den Sitzstufen antiker Theater und Amphitheater, welche in den Atmaii
äelf IstiitUo von 1856 erschien. Nachdem er dann im Herbste 1856 weiter
südlich bis nach Si/.iiien gegangen war, kehrte er im Anfange des folgenden
Jahres über Florenz in die Heimat zurück.
Unter den für das große Inschriftenwerk der Berliner Akademie zu hin-
arbeitenden Gebieten bot Spanien besondere Schwierigkeiten, welche die
Bereisung des Landes durch einen eigenen Bearbeiter unerläßlich machten.
Den geeigneten Mann für diese schwierige Spezialaufgabe erkannten die
Leiter des akademischen Unternehmens in H., der seit Anfeuig 1858 mit
den in Berlin zu machentlen literarischen Vorarbeiten betraut wurde. Nach-
dem sich H. Ende des Jahres 1850 niit einer .Abhandlung tic scnatus ptTpulique
Romani actis als l'rivatdozent an der Berliner Tniversität habilitiert hatte, trat
er im Kebruar 1860 seine Reise nach Spanien an. Sein Weg führte ihn über
Paris, wo er in mehrwöchentiichem Aufenthalt noch mancherlei epigraphische
Arbeiten erledigte und persönliche Beziehungen zu Noel des Vergers, Renier
und anderen französischen Gelehrten anknüpfte. Mitte März 1S61 l)etrat er
zum ersten Male Spanien und durcliforschte im T.aiife der folgenden zwei
Jahre die ganze Hall)insel. Seine Reise, üt)er deren wissenschaftliche Erträge
er mehrmals m tlen Monatsberichten der Berliner Akademie und den Schriften
des archäologischen Instituts berichtet hat, wurde nicht nur für das Corpus
und die lateinische Epigraphik, sondern auch für die archäologischen Studien
in Spanien überliaupt von einschneidender Wichtigkeit. Wie einerseits die
Akademie und das Institut durch H.s Vermittelung zahlreiche Korrespon-
denten erhielten, so kamen flie spanisc^hen Eokalgelehrten durch H. in leben-
digere Beziehung zur wissensehattli( hen Forst hung des übrigen Europas und
namentlich Deutschlands. H.s persönliches Auftreten »die offene und freie
Art, mit der er seine bedeutenden Kenntnisse, ohne damit zu prunken, voll
gröftter Natürlichkeit und Liebenswürdigkeit mitteilte« (wie ihm Berlanga in
seiner biographischen Skizze nachrühmt) erwarben ihm aller Orten Achtung
und Sympathie. Als er im September 1861 von di-r Ha]l)insel schied, hinter-
lieli er in fast allen wichtigen Städten wissenschaftliche Anknüpfungen, in
nicht wenigen Bewunderer und Freunde, unter denen M. R. de Berlanga in
Malaga durch mehr als vierzig Jahre ihm und seinen Arbeiten treu verbunden
geblieben ist.
Nach Berlin zurückgekehrt, widmete er sich mit Eifer der Bearbeitung
der auf seiner Reise gewonnenen Materialien. Außer den epigraphischen
Sammlungen brachte er den Stoff mit für ein archäologisches Werk: »Die
antiken Bildwerke in Madrid, nebst einem Anhange, enthaltend die übrigen
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Hllbner.
367
antiken Bildwerke in Spanien untl Portugah' (Berlin i<S62); auch zwei größere
Aufeatze in den Annali ädC htituto von 1863 (über antike Denkmäler in.
Barcelona und Uber die Römerbrücke von Alcantara) waren Frucht seiner
spanischen Reise. Daneben nahm er seine akademische Tätigkeit wieder
auf, im Jahre 1863 wurde ci in außerordentlirhen Professor an der Berliner
Universität befördert. In ilciuNclIjcn Jaliro vcrhihte er sich mit der Tochter
des I^l^t<1rikers J. G. Droysen, mit der er in langjähriger glücklicher the
gelebt hat.
Zu seinen Arbeiten Uber die spanischen Inschriften fiel ihm im n&chsten
Jahre eine andere Aufgabe zu: er hatte in Mommsens Abwesenheit die Druck*
legung der zweiten Hälfte des ersten Bandes dt.^ Corpus Inscriptionum
{Jnscript'ionis C. ('<7rsttr/s morf<- anti(/uiorr<\ sowie die Ausarbeitung der umfang-
reichen Iriditis zu dem ganzen Bande zu leiten. Als dann im Jahre 1S66
Mommsen im Verein mit Moritz Haupt eine neue philologisch-historische
Zeitschrift, den Hermes, begründete, wurden die Redaktionsgeschäfte zum
grOfiten Teile H. fibertragen: er hat sie sechzehn Jahre lang zum Gedeihen
des Unternehmens geführt. Eifrig beteiligte er sich femer an den Sitzungen
der Berliner Archäologischen Gesellschaft, für welche er damals zwei Winckel-
mannsprogramme ((Irabstcin eines römischen Kriegers, 1866, und Statue des
.•\ugustus, 186.S) verfaßte. Auch übernahm er im Jahre i<S6.S die diirrh F.d.
Gerhards Tod verwaiste Redaktion der Archäologischen Zeitung. Die Aka-
demie aber betraute ihn, noch vor Abschlufl seines spanischen Inschriften-
werkes, mit einer zweiten ähnlichen, wenn auch minder umfangreichen Auf-
gabe, der Sammlung der römischen Inschriften Britanniens. Eine längere
Reise nach En*:l;>nd im Winter 1866 67 gab ihm (ielegenheit nicht nur die
röniisi hen Inschriften und Baudenkmäler, soiulern auch die Runstschätze des
Britischen Museum und privater Kunstsammlungen genauer kennen zu lernen:
er hat darüber zweimal in den Schriften der Akademie Bericht erstattet.
Es war bei dieser vielfachen wissenschaftlichen und amtlichen Tätigkeit
(seit 1S68 war H. auch Mitglied der wissenschaftlichen Prüfungskommission)
eine bedeutende Leistung, daß im Sommer 1869 der Band der Inscripttones
Hispantac zur Ausgabe fertig wurde; ein statth'cher Fobant von fast 900 Seiten
mit zwei von Kieperts Meisterhand gezeichneten Karten. Das groüe Unter-
nehmen der Berliner Akademie, 1863 durch den Band der antiquissimae
glänzend begonnen, wurde durch diesen würdig fortgeführt Und doch lagen
die Vorzüge des zweiten Bandes auf einer ganz anderen Seite als die des
ersten. Während an der Sammlung der antiquissimae das Philologisch-Histo-
rische, die Zusammenstellung einer großen Reihe sprachlich und inhaltlich
ho< hl)edentender Urkunden und deren Interpretation, namentlic h Mommsens
Kommentare zu den großen Gesetzen und Kalendern, imponiert hatten, reprä-
sentierte der spanische Band zum ersten Male die neue Technik der Inschriften-
Edition, zu der Mommsens Inscr^thnes Nu^litmae den Weg gewiesen,
und die nun, in immer weiterer Vervollkommnung, für das akademische
Corpus niaßgebenrl geblieben ist. Bei ilen spanischen Inschriften war ein
seit Jahrhunderten im Argen liegendes, durch grobe und feine Fälschungen
gänzlich in Mißkredit gekommenes (iebiet kritisch ilurchforscht und systema-
tisch dargestellt, so dafi die weitere Untersuchung ein gesichertes Fundament
hatte. Hier war zu gleicher Zeit in glänzender Weise der Beweis gefObit,
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Hobner.
(laö für die Herstellung' des Corpus der von Mommsen angegebene Weg —
Reisen und Bibliothek.sforschungen im Lande selbst — der einzig richtige
sei. Die Anerkennung für H.s Werk blieb auch nicht aus, indem er im
Jahre 1870 zum ordentlichen Professor an der Berliner Universität ernannt
wurde.
Schon während seiner Beschäftigung mit den spanischen Inschriften aus
der klassischen Periode hatte H. sein Augenmerk auch auf die christlichen
Ins( liritten gerichtet, welche die dem Corpus gesteckte untere Zeitgrenze —
zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts — überschritten. Als Ergänzung zu
dem großen akademisdien Werke lieft er 1871 seine fnscr^tumes Hispaniae
christumae ersehenen. Er hat in diesem Bande 288 echte Inschriften des
sechsten und siebenten Jahrhunderts, soweit als möglich in sfir<^f;iltii:en Faksi-
miles herausgegeben, denen sie h ( liarakteristisrherwcise 101 falsche zur Seite
stellen. Die formelle und paläograiihische Seite <ler Kpigraphik wurde über-
haupt von H. mit besonderer Sorgfalt berücksichtigt, er halte von seiner
Spanischen Reise dafür ein wertvolles Material an PapierabdrUcken gesammelt.
Die Technik des Papierabklatsches anzuwenden und zu lehren hatte er sich
bei seinen vielfachen Reisen im Lande stets angelegen sein lassen; eine
praktische Anleitung dazu veröffentli( hte er 1870 im 49. Hefte der Bonner
Jahrbücher, und in erweiterter (lestall elf Jahre später als selbständige Bro-
schüre (L ber mechanische Kopien von Inschriften, Berlin 1881). Auf Grund
der von ihm selbst, teils auf seine Veranlassung gefertigten Abdrücke begann
H. um diese Zeit ein großes Werk über die Paläographie der lateinischen
Inschriften der Kaiserzeit, welches gewissermafien eine Fortsetzung zu Ritschis
JPriscae Laänitatis Mmumenta epigraphica bilden sollte. Eine im Jahre 1875
für dieses Werk unternommene Reise führte ihn nach Oberitalien und Rom,
wo er von Uenzen, mit dem er dauernd in freundschaftlichen Beziehungen
geblieben war, mancherlei L nierstützung für seinen Plan erhielt.
Bereits im Jahre 1873 konnte H. den Band der Jnscriptiomcs BrUtmiuae
latituu als siebenten Band des Ccrptts InuripHemm veröffentlichen; stand die
Sammlung an Umfang auch bedeutend unter derjenigen der spanischen, so
hatte sie doch ihre eigentümlichen Schwierigkeiten, namentlich durch das
massenhafte klein-e|»igraphische Material (A'aseninschriften u. <lgl.) gehabt.
Wie bei Spanien, so sammelte H. auch für Britannien die der nachromischen
Zeit resp. dem frühen Mittelalter angehörigen Inschriften in einem besonderen
Werke: Inur^Hmes BrUatmiae ckHsHanae (1876). Eine Frucht seiner archäo-
logischen Studien in England war das Winckelmannsprogramm der Berliner
Archäologischen Gesellschaft für 187^^ (Hihlnis einer Römerin — die soge-
nannte Clytia — , .Marniorbüste des British Mi/scum).
Die akademische Tätigkeit, welche H. in dieser Zeit entfaltete, war aus-
gedehnt und vielseitig. Im Vordergrunde standen natürlich die lateinischen
Gebiete: exegetische Kollegien über römische Schriftsteller, andere über Ge-
schichte der lateinischen Literatur, lateinische Grammatik und Epigraphik.
Aber auch griechische Grammatik und Enzyklopädie der klassischen Philo-
logie nahm er in den Kreis seiner Vorlesungen auf. Zu mehreren dieser
Vorlesungen hat er Grundrisse erscheinen lassen, welche sich durch klare
Disposition und reiche Literaturangaben auszeichnen. (Enzyklopädie der
klassischen Philologie 1876, 2. Aufl. 1884; Römische Literaturgeschichte,
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Hubner.
369
4. Aufl. 1878; Lateinische (Grammatik 1876; Griechische Syntax 1883). In
seinen philologischen Übungen behandelte er abwechselnd griechische und
latdnische Schriftsteller, die er meist in elegantem und flfissigem Latein inter-
pretierte.
Als im Jahre 1872 die Ephemcris epijs;raphica als periodisches Supplement
zum Corpus Inscriptloniim i,'cf:rün(let wurde, war H. sofort einer ihrer eifrigsten
Mitarbeiter: die quaestioncs imomatolo}^u'ae latinac, welche im ersten Hai\de
stehen, setzten seine 18 Jalire früher erschienene Dissertation mit sehr ver-
mehrtem und kritisch gesichtetem Material fort. Für die Ephamris konnte
er auch, dank seiner zahlreichen Verbindungen in Spanien und Portugal,
mehrmals umfangreiche Supplemente zum zweiten Bande des Corpus liefern.
.Auch den römischen Altertümern auf deutschem Hoden wandte er dauernd
seine Aufmerksamkeit zu, wovon zahlreiche größere und kleinere Aufsätze in
der Archäologischen Zeitung und dem Jahrbuche lies Vereins von Altertums-
freunden im Rheinlande Zeugnis ablegen. Namentlich die ausführliche Mono-
gnq>hie über den römischen Grenzwall in Deutschland (Bonner Jahrbücher
UÖn. l.XTV) war eine wichtige Vorarbeit für die im folgenden Dezennium
mit soviel Eifer und Erfolg aufgenommene Eimes-Korschung.
Als sich zu Th. Mommscns 60. Cicliurtstag ( 1877) seine zahlreichen Freunde
und Arbeitsgenossen vereinigten, um ihm mit dem gewichtigen Sammelbande
der Commentatunus Mommstnianac zu gratulieren, stand H. mit in erster Reihe
anter den Veranstaltern: die Leitung des Druckes des umfangreichen Bandes
fiel hauptsächlich ihm zu, auch steuerte er selbst einen Beitrag »Zu Propertius«
bei. In den folgenden Jahren trat leider eine Trübung des Verhältnisses
zwischen beiden Forschern ein, welrhcs auch dazu führte, dafi H. im Jahre
1881 die Redaktion des Hermes niederlegte.
Für Ergänzung der spanischen Inscliriftensanunlung durch eine zweite
methodische Bereisung des Landes zu sorgen, erwies sich schon jetzt, zwölf
Jahre nach der Publikation des Bandes als notwendig; im Herbste 1881 trat
H. seine zweite Reise nach der Hall)insel an. Seit dem Erscheinen seiner
In<rnpf!<>ni-< Tlt^pantae als einer der berufensten Vertreter deutsclier Wis^cn-
Haft für Spanien betrachtet, wurde er überall mit gröliter Zuvorkommenheit
aufgenommen und brachte reiche Ausbeute heim, deren Bearbeitung ihn in
den folgenden Jahren beschäftigte. Aufierdem vollendete er nunmehr das
grofle Werk zur inschriftlichen Paläographie der Kaiserzeit, welches 1885
unter dem Tiid: Excmpla scrtpturae ipigr^hieae (LXXXIV und 458 S. fol.)
erschien. Am h bearbeitete er für das von Iwan Müller begründete Hand-
buch der Altertumswissenschaft einen Grundriß der lateinischen Ejiigraphik,
an dem die — freilich im Verhältnis zum Ganzen etwas ausgedehnten —
Abschnitte über Geschichte der Inschriftenforschung und über römisches
Namenwesen besonders inhaltreich sind.
Eine dritte Reise nach Spanien, 1890, vervollständigte das Material für
den Supplementband zum CIL. II, der im Jahre 1892 ans Licht trat, an
Tnifang der ursprünglirlien Sanmilung fast gk-ichkommend, reich an neuen
Funden ersten Ranges, unter denen die von 11. x hon früher in der l'.piununs
(pigraphua veröffentlichten Lex colontac luitae Gcncttvac und die Lex tnetaUi
Vipaumm besonders hervorragen. Wie sehr sich unsere Kenntnis des römi-
sdien Hispaniens namentlich auch dank der epigraphischen Forschung in den
Bioffr. Jabfbadi u. Deutrafaer Nekrologe. 8. Bd. 34
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370
Hubner. von Wideihofer.
verflossenen zwei Dezennien gemehrt hatte, zeigen augenfällig die neuen
Karten, mit denen Kiepert auch diesmal den Band geschmückt hatte.
Von diesen Fortschritten hat H. auch weitem Kreisen Mitteilung gemacht,
namentlich durch Aufsätze in der »Deutschen Rundschau«. Eine Reihe sol-
cher Aufsätze über römische Monumente auf spanischem, engHschem und
deutsrhetn Hoden ließ er gesammelt iSqo unter <lem Titel »Römische Herr-
schaft in Westeurojia erNcheinen. Durch zahlreiche Hospreclningen und An-
zeigen spanischer Publikationen, die er besonders für die v Deutsche Litera-
tUTzeitung« lieferte, suchte er dem deutschen Publikum die Kenntnis der
wichtigsten wissenschaftlichen — nicht ausschliefilich archäologischen —
Erscheinungen der spanischen und portugiesischen Literatur zu vermitteln.
Seit seiner ersten Rcive hatte H. sich eiiigi-liend mit den rätselhaften
Denkmälern der vorrömischen Hewohner Spaniens l)cs( häfn'ut. Kin zusammen-
fassendes Werk darüber * Moiiununta linguae Iberkae* publizierte er im Jahre
1893. In demselben wird das gesamte Material, nicht nur das literarisch
und inschriftlich Überlieferte, sondern namentlich auch das wichtige numis-
matische, zusammengestellt und kritisch gesichtet, so daß das Buch noch auf
lange hinaus die (Irundlage weiterer Forschung bilden wird. Spanien galt
auch die letzte größere .Arbeit H.s, das im Jahre iqoo erschienene Supjilenicnt
zu den Inu riptiona H'ispan'uie christianae. Am Anfang des folgenden Jahres
verschied er nach kurzem Leiden.
H. war einer der ersten und ausdauerndsten Mitarbeiter an dem grofien
Inschriftenwerke Mommsens, danebran vielseitig und mit Erfolg auch auf
archäologischem Gebiete tätig. Als akademischer Lehrer hat er zahlreiche
Arl leiten seiner Schüler gefördert, die ihm ein dankbares Andenken bewahren.
Namentlich aber seine Tätigkeit in und für Spanien, wo er länger als ein
Menschenalter in glücklicher und geschickter Weise die deutsche Forschung
vertreten hat, sichern ihm in der Geschichte seiner Wissenschaft einen ehren-
vollen Platz.
Rom. Ch. Hülsen.
Widerhofcr, Hermann Freiherr von,') Hofrat, F*rofessor, Mitglied des
österreichischen Herrenhau.ses, ♦ 24. Miirz 1S32 zu Weyer in Oberösterreich,
f 28. Juli 1901 zu Ischl. — W. war der Sohn eines Landarztes. Die schöne
Singstimme des Knaben veranlafite den Prälaten von Seitenstetten denselben
unter die Sängerknaben des Stiftes au&unehmen, wofQr ihm gänzliche Ver>
pflegung und Ausbildung verbürgt wurde. Dann ging der unbemittelte
Jüngling nach W'ien, um >redizin zu studieren. Die Mittel dazu verschaffte
er sich durch Unterrichtsstunden; im Jahre 1856 promovierte W. an der
Wiener Universität.
Er widmete sich der Kinderheilkunde, weldie sich danoals gerade als
selbständige Wissenschaft zu entwickeln begann, und wirkte 1856 — 1859 als
Sekundararzt an der Wiener Findelanstalt. Franz Mayr, Professor der Kinder-
heilkimdc nn der Wiener Universität, berief ihn zu seinem Assistenten und
führte ihn auch in seine den höchsten Kreisen angehörige Privatpraxis ein.
Nach dem frühen Tode seines Lehrers (1863) wurde er sein Nachfolger,
>) Totenliste 1901 B*nd VI 116*.
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von Widerhofer. Hansen.
sowohl in der Leitung des Spitales, als auf dem klinischen Lehrstuhle. Im
Jahre 1S84 wurrlc er zum ordentlichi'ii 1'rnto*;';or der Kintlerheilkuiule und
1871 zum Hotrat ernannt. Er verblieb in liieser Stellung durch fast 40 Jahre,
bis er, 69 Jahre alt, in seinem Landhause bei Ischl der Wiederholung eines
Schlaganfeilles erlag.
W. war durch seine fast ein Menschenalter wfthrende Amtsführung, durch
seine markante, bei hoch und nieiler beliebte und verehrte Persönlichkeit sowie
^eine Beziehuiiffen zu den maßgebenden Kreisen von bestimmendem Einfluß auf
die P'ntwicklung der Kinderheilkunde, die in Österreich sehr viel rascher als an
(ien reichsdeutschen Universitäten Anerkennung und Berücksichtigung im Lehr-
plane gefunden hat. Seine wissenschaftliche Tätigkeit fällt in die glanzvolle
Zeit der grofien Wiener Schule und empfing wie diese ihre Anregung von der
durch Rokitansky neu belebten pathologischen Anatomie und von dem großen
nach Wien zusammenströmenden Krankenmaterial, das man erst in dieser
Zeit mit dem Auge und den Meihnden des Naturforschers beachten lernte.
W. war begabt mit einem •seltenen Auffassungs- und Erinnerungsvermögen;
er las in der Xatur wie in einem otlenen Buche und seinem lein beobachten-
den Auge entging auch nicht die kleinste Nuance. Daher seine intuitive
Art der Diagnose, die sich mehr auf ein künstlerisches Erfassen stützte, als
auf die Anwendung aufgestapelter Bücherweisheit. Er war ein überaus ge-
wissenhafter, teilnehmender .Arzt, ein trefflicher Lehrer und verstand es die
Symptome in luigekünstclter, plastischer Darstellung zu charakteristischen,
natürlichen Krankhcitsbildcrn zusammenzufassen, tlie allen Wechsel der theo-
retischen Anschauungen überdauerten. Es gilt dies insbesondere von seinem
Hauptwerk, der Bearbeitung der Magen-Darmkrankheiten im Gerhardtschen
Handbuche. Seit 1863 war er Redakteur des angesehensten deutschen Fach-
blattes, des Jahrbuches für Kinderheilkunde.
Seine Publikationen sind ausschlii-ßlich klinischen Inhaltes und stammen
aas den früheren Jahren, da er s[)äter durch seine Stellung als Arzt der
Kaiserlichen Familie und Leibarzt des Kaisers, der ihn auch (iSqo) in den
erblichen Adelstand erhob, sehr in Anspruch genommen war. Erst die Ent-
deckung der Serumbehandlung bei Dtphtheritis und die Einführung der Intu-
bation, für die er mit jugendlichem Eifer eintrat, veranlafiten ihn noch einmal
zu literarischer Tätigkeit. Dem St. .Anna-Kinderhospitale konnte er im Jahre
1892 einen neuen, mit den modernsten Kinri» hiungen versehenen Pavillon
für Diphtherie, einige Jahre später einen solchen für Scharlach anfügen.
Seine hanptsicUichsten Publikationen sind: Die Krankheiten am Nabel der Neu-
geborenen, i'ber Syphilis hcrcditaria (rusamiiifn mit Mayr). Beides im »Jahrhuch fÄr
Kindcrheilkunflf.ir Alte keilie. — Krankheiten der Hronrhialdrlisen. Krankheiten dc^ Magen^
und Darmes, in Gerhardts »Handbuch der Kinderkrankheiten« ib8o. — O'Dwyers Intubaüon
ud die Tiacbeotoniie bei der dipbdierischen Lacynxstenose. 1890. — 100 mit Behrings Heil-
Mtta behandelte FBlle von Diphtherie. 1895. Escherich.
Hansen, Georg Thomas,') Dr. phil., bayer. Reichsarchi\ rat, N'ational-
Okonom, Statistiker und Historiker, * 21. Februar 1852 zu Husum in Schleswig,
1 6. Mai 1901 in München. — H. war der Sohn des Stadtrates Christian
Hansen. Seine Mutter verlor er im zartesten Kindesalter. Nach dem .
') Totenlisie 1901 Band VI 39*.
a4*
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Hansen.
Besurbe vcrx hicdcncr Privatschulen, sowie der Volksschule bezog er 1864 die
ncubci^ründctc (Jelohrtcuschule in seiner Vaterstadt und zwar ziinäclT^t die
Realklaüben des kombinierten Kealgyninaüiums. Aber der Drang nach huma-
nistischer Bildung wurde immer lebhafter, und so entschlofi er sich im Jahre
1869 zum Übertritt in das humanistische Gymnasium, welches er Ostern 1874
absolvierte. Hierauf begab er sich an die Universität Jena, um sich dem
Stu(h*um der Philologie zu widmen. Doch schon im folgenden Jahre wurden
seine Studien durch den Tod seines Vaters unterbrochen. \'om 1. Oktober
1875 bis dahin 1876 genügte er der Militärptlicht als Kinjährig-Freiwilliger
im holsteinischen Feldartilleriereginient Nr. 24 zu Mölln in Lauenburg. Mit
der Qualifikation zum Reserveoffizier entlassen, wandte er sich von jetzt ab
ausschliefilich der Historik zu und zwar zunächst im Wintersemester 1876/77
in Berlin bei Droysen und Nitzsch, dann wä! • : d zweier Semester in Bonn
bei Maurenbrecher, Ritter und Menzel, scliließlu Ii >cit Herbst 1878 in München
bei C'ornelius, ( lie>cl)rc( ht, L«»her und Ro< kinu'cr. Hier begann er bald nach
seiner Ankunft die von der i>!iilos(jphischen Fakultät gestellte l'rei'>aufgabe
»Darlegung des Anteils Aug>[>urgs an der evangelischen Bewegung bis zum
Schlüsse des Jahres 1527« £u bearbeiten, wurde Ende Juni 1880 mit dem Preise
gekrönt und am 29. Juli 1881 zum Dcc/or /»/li/osofiAiof promoviert. Noch im selben
Jahre, am 2. Sejitembcr trat er als Hilfsarbeiter in das Ktd. bayer. Allgemeine
Reichsarchi\ ein. wurde am i. August 1SS5 zum Sekretär am Münchener Krei^-
archiv ernannt und am 23.September 1S89 zum Vorstande des Kgl. Kreisarchives
Nettburg a. D. befördert. In der zweite Hälfte des Jahres 1893 siedelte er
wieder nach München als Reichsarchivassessor fiber, stieg unterm 7. Juli 1900
noch zum Reichsarchivrat auf, starb aber schon im nächsten Jahre an einem
ererbten I aingenleiden.
Der ganze Studiengang wie die Berufswahl ließen eigentlich erwarten,
daß H. als (ieschichtstorschcr sich einen Namen machen werde, denn über
seine außerordentliche Befähigung hierzu hegte kein Kenner Zweifel. Um so
gröfier war die Überraschung, als er im Jahre 1889 auf ganz anderem Gebiete
schöpferisch hervortrat mit dem Werke »Die drei Bevölkerungsstufen. Ein
Versuch, die Ursachen für das Blühen und Altem der Völker nachzuweisen«.
Hier wird eine neue, durchaus eigenartige Bevölkerungstheorie geboten. Aus
den drei Kinkommcnszu eigen : den freiwirkeiulen Kräften der Natur, der in-
dividuellen geistigen und der lediglich cjuanlilativ zu bewertenden körj)erlichen
Arbeit, leiten sich als verschiedene Entwicklungsstufen der Bevölkerung eines
Landes die Klassen der Grundbesitzer, Bauemstand und Grundadel um-
fassend, des Mittelstandes mit den Vertretern der bürgerlichen Gewerbe,
den Beamten und CJelclirten, endlich des Standes iler besitzlosen Arbeiter
und l'roletarier her. Dauernrl ist allein der Stand der Grundbesitzer,
während im städtischen Mittelstande eine fortwährende Erneuerung und Er-
setzung aus dem Überschüsse der ländlichen Bevölkerung stattfindet und die
im Wettbewerbe erlegenen Glieder der Mittelstufe in den Arbeiterstand hin-
ttbergedrängt werden. Auf der ungestörten Wirksamkeit eines solchen Be-
völkcrungsstrnmcs beruht die Gesundheit des ganzen Volkes. Die.se zugrunde
gelegte These wird nun in glänzenden, ebenso geistvollen wie kenntnisreichen
Erörterungen über die Entstehung der einzelnen Bevolkerungsklassen, über
ihre jeweiligen Ubergänge und ihre sozialen Funktionen, über ihre gegen-
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Hansen. KttsthardU
373
seicigen Kämpfe und namentlich die Tendenz der städtischen Bevölkerung,
den Mutterboden, die erste Stufe, au&ulOsen und dadurch den Zei&ll des
Ganren herbeizufQhren, über die mannigfachen Erscheinungsformen dieser
K.äm{)fc bei den einzelnen Kulturvölkern, endli( Ii ül)er die ans SOl< heni Sach-
verhalte sich ergebenilen regulierenden Aufgaben der Staatsgewalt allseitig
abgewandelt. Das Buch erregte durch seine urwüchsige Gedankenführung
und die naturfrische reizvolle Darstellung bald allgemeines Aufsehen und
veckte in den damaligen sozialpolitischen Kämpfen lauten Wiederhall. Wurde
auch von der Kritik die statistische Grundlegung da und dort zu leicht be-
funden und die albsu schematische Durchführung des Themas in einigen
Punkten bemängelt, so hat sich der Grundgedanke doch wohl im Ganzen
siegreich behaujnet, jedenfalls aber außerordentlich anregend und befruchtend
gewirkt. Schon vermöge seiner Form wird das Werk immerdar zu den Schatz-
stücken der deutschen Literatur gerechnet werden.
In diesem einzigen Buche spiegelt sich das ganze geistige Gehaben des
Verfassers in merkwürdiger Treue wieder. Geniale Ursprünglichkeit, ein durch-
dringend scharfer Verstand, blitzartig-intuitives Erfassen des Kernes der um-
gebenden Menschen und Dinge, damit zusammenhängend Befähigung und
Neigung zur Satire, eine unbeugsame Selbständigkeit und Eigenrichtigkeit
waren die Hauptzüge, welche ihm überall, wo er auftrat, Beachtung erzwangen
und den Verkehr mit ihm stets, auch wo er irrte, zu einem ungemein anziehen-
den und anregenden gestalteten. Ruhig und gemessen ging er seinen Weg,
kohl und stille um sich blickend, abhold allem Scheinwesen, wenigen sich
ganz erschließend. Äufierlich herb, ja schroff erscheinend, barg dieser
reiche Geist innen feinstes, sinniges Xaturempfinden . verst.nndnisvolle Liebe
zu den W erken klassisc lier Kunst; und gegen seine Mitmenschen war er, der
arge Spötter, da, wo es ihm angezeigt erschien, hilfreich in groüem rshiüstabe
bis zur völligen Erschöpfung seines nicht unbeträchtlichen Vermögens.
In seinen letzten Lebensjahren zog sich H. mehr und mehr zurück, ver-
senkte sich immer tiefer in das Studium altgriechischer Literatur, sammelte
fortL'cset/t Material für <!en .Ausbau seiner Theorie auf der Grundlage der
(ieschii lite des Altertumes und bildete si( h daneben als vortrettlicher Beobachter
auf seinen weitausgedehnten Spaziergängen auch noch zu einem der besten
Kenner der Flora in Münchens Umgebung. Zu fertigen Leistungen aber ist
er wegen zunehmender Kränklichkeit nicht mehr gelangt. So starb er, zuletzt
fast ganz vereinsamt, in den wenigen, welchen es vergönnt war, ihm näher
zu treten, das unverlöschbare Bild eines hohen Genius, eines starken Charakters
und eines edlen, liebenswerten Menschen hinterlassend. J. Petz.
KfisUiardt, Erwin,') Maler, * 23. Januar 1867, f 6. Juli 1901. — K. war als
der vierte Sohn des ausgezeichneten Professors Fr. Küsthardt zu Hiidesheim
geboren, in dessen Atelier schon der Knabe seine ersten künstlerischen Ein-
flrücke erhielt und die Kunst liebgewann, als er unter Leitung seines Vaters die
ersten kindlichen Studien l)egann, 7,ei( hnete und modellierte. So im frühesten
Knabenalter schon hingewiesen auf Schiuiheiten der Natur und Kunst, ange-
halten zum frühen Studium der reichen Kunstsammlungen des \ aters, waren
0 Totenlisle 1901 Band VI 60^.
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KUsthardt
es vor allem die Werke Meister Schwinds, Carstens', Cornelius', Prellers und
Richters, die das reiche Gemüt des Knaben empfänglich machten und dem
Schönen erschlossen. Nach Absolvierung des Gymnasiums seiner Vater-
stadt ging K. nach Düsseldorf zum Besuch der dortigen Kunstakademie, wo
zuerst die Professoren T.auenstein und Schill seine Lelirer wurden. Später,
als er nach rasch voUentlctem Studium des Pensums der Klementarfächer in
die Meisterklasse eintrat, wurde er Schüler des bedeutenden Historienmalers
Professor Janssen, der, dem jungen K. auch als Mensch nahestehend, wohl
mit den meisten Einflufl auf die weitere Entwicklung und die künstlerische
Richtung seines späteren Schaffens ausübte, 1890 91 konnte K., wenn auch
nur als reproduzierender Künstler, in ih'e Öffentlichkeit treten, indem er nach
den Entwürfen Professor Prelis die westliciie !• eiisterwand des Hildesheimer
Rathauses malte. Schon d;is nächste Jahr brachte K. eine Zeit freudigen
Schaffens, als ihm der Marscfaendichter Hermann AUmers, der dem Künstler
in herzlicher Freundschaft zugetan war, den Auftrag gab, den Marschensaal
in seinem Wohnhause in Rechtenfleth bei Bremen, für welchen schon Fitger,
Knille und von Dörnberg Werke geschaffen, mit anderen Bildern, cificncn
Kompositionen, zu schmücken, die die Märchenstoffe AschenbriKlel und Dorn-
röschen zum N'orwurf hatten, und denen später ein IJild l aust und (iretchen,
weiter eine Kopie des Knilleschen Bildes Tannhäuser und Venus folgten.
Aus der Zeit 1892/93, die K. seines leidenden Zustandes wegen im
Eltemhause zubrachte, datieren viele vortreffliche Portraits, auch sehr reiz-
volle Aquarelle, Zeichnungen und Olstudien entstanden hier, zu denen die
landschaftlichen S( hönheiten seiner \':iterstadt interessante und willkommene
Motive boten. Zahllose Skizzenbücher des verschiedensten Inhalts geben
Zeugnis von dem rastlosen Eifer, den der Künstler entfaltet, um vollendetes
Können auf jedem Gebiet seiner Kunst anzustreben. Sicher gezeichnete Akte,
Tierstudien, landschaftliche und architektonische Skizzen und Entwürfe ent-
stehen, nichts erscheint ihm zu nüchtern, das scheinbar geringste wird mit
dem Stifte in äußerst charakteristischen Linien festgehalten, wobei eine
glänzende Beobachtungsgabe den Künstler unterstützt und gerade die tech-
nische Seite seiner Begabung und Ausbildung ist es, was wir bei K. in her-
vorragendem Maße bewundem müssen; er kann seine Bilder nicht nur dichten,
sondern auch malen.
Exaktes Zeichnen, sowie fleißige architektonische Studien kamen K. zu-
statten, als ihm von der Stadt Hildesheim der Auftrag wurde, für die Welt-
ausstellung in Chicago ein großes Aquarell des Hildesheimer Rathaussaales
zu malen, das in malerischer wie perspektivischer Durcharbeitung eine prächtige
Leistung darstellt.
Nach Düsseldorf zurückgekehrt, schuf K. einen Konkurrenzentwurf für
die Ausmalung des Rathauses in Bochum, der mit dem II. Preise gekrönt
wurde. Das Bild zeigt uns eine frühmittelalterliche Gerichtssitzung des Gatt-
grafen unter freiem Himmel. ?,ntstanden ist das Bild unter dem sichtbaren
tintluß des greisen Dichters Hermann Allmers.
Gelegentliche Mitwirkung in der »Matthäus-Passion« hinterläßt in der
regen Phantasie K.s einen derart tiefen Eindruck, dafi er in der Leidens-
geschichte Christi reichen Stoff zu zahlreichen Entwürfen findet und in rascher
Folge, ohne sich Zeit zum Essen und Schlafen zu gönnen, entwirft er einen
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Kllsüuurdt.
375
Zyklus von Bildern, in denen er mit überzeugemlcr Kr.Ut das Leben und
Leiden Christi zum Aasdruck bringt. Dieser Stoff beherrscht des Künstlers
ganzes religiöses Empfinden und Denken, und sich mehr und mehr in die
Gestalt des Erlösers vertiefend, wendet der Achtundzwanzig]'ähri<:e sich in
dieser Epoche der biblischen Malerei zu, ohne darin, wie das leider un-
vollendet gebliebene, in späteren Jahren begonnene Bikl »Urteil des Paris«
zeigt» ein Ziel zu erblicken. Wie er selbst seine Kunst im reinsten Sinne
priesterlich auffaßte, so erreicht er gerade in seinen Bildern aus der Leidens-
geschichte Christi seine tiefeten und ergreifendsten Wirkungen. Sein erhabenes
religiöses Denken, seine wahrhalt hohe Auffassung von Gott und Gottesdienst,
wie sie in von ihm hinterlassenen Hriefcn zum Ausdruck kommt, lassen
>eine Hihelgestalten zum religiös menschlichen l.mpfinden aller Konfessionen
eine ergreitende, zu Herzen gehende Sprache reden.
1895 vollendet K. eine Pietä (»Ausgerungen«) und bald danach erringt er
den grofien Staatspreis mit dem fOr die Kirche in Eikel (Westfalen) bestimmten
Altarbild »Friede sei mit euch«, das, noch einmal gemalt, vom Römermuseum
in Hildesheim gekauft wurde.
Es sei hier gestattet, die Worte anzuführen, mit <lenen Professor
Dr. Vogeler Ijci der ersten Ausstellung das Bild »Ausgerungen ^ schildert:
Aüi mit schwachem Grün überwachsener Halde, die links von mächtigen,
dunklen Felsen eingeschlossen ist, liegt vom der Leichnam Christi, von einon
letzten Strahl des den Hintergrund ausfüllenden Abendhimmels beleuchtet.
Vor ihm sitzt, wundervoll gegen den weiten Himmel sich abhebend, die
gebeugte Gestalt einer früh gealterten Frau mit zartem Gesicht und zarten
Köqierformcn und über sie hingegossen, sie Icidctist haftlic Ii umklammernd,
das Antlitz in ihrem Schoß liegend, der geschnieiilige Körper eines jungen
Weibes: Es ist Maria Magdalena vor der Leiche des Herrn. Es gibt einen
Grad des Schmerzes, der an Wahnsinn grenzt, wo die Träne versiegt, der
Wille die Herrschaft über die Gedanken verliert, wo der Mensch so namen-
los elend ist, daß sein Verständnis für das Geschehene aufhört. Er klagt
nicht mehr, er denkt nicht melir, er stiert nur noch wie abwesend auf die
l rsachc seines l'nglücks, wie auf etwas Unfaßbares hin. In diesem Zustande
ist Maria auf unserem Bilde dargestellt. Nicht als würdige Matrone liat sie
der Künstler aufgefaflt, sondern als Frau in mittleren Jahren, in deren feinem
dvrcbgeistigtem Gesicht man den Ausdruck entsagender, hilfloser Mutterliebe
ausgeprägt findet Jetzt ist sie am Ende, vornübergebeugt sitzt sie da, die
Glieder hängen schlaff herab, selbst die heftige Umarmung der Magdalena
erwidert sie nicht mehr. Und über sie hingegossen, vms nur die Rückseite
des Hauptes mit dem herabhängenden Haare zukehrenil , das junge leiden-
schaftliche Weib, das sich ganz dem wilden Schmerz überläßt, welch ein
Kontrast.«
Immer lebhafter wird der Wunsch in K., Italien, das Land der Kunst
wd der Schönheit, zu sehen, und im F'rühjahr 1897 wird ihm mit Hilfe der
*Aders-Stiftung« Erfüllung seines Begehrens. ¥Anc dreimonatige Reise, die
>lin nach Rom, Neapel, Florenz untl X'enedig führt, bringt ihm neue, mannig-
fache Anregung, nicht sowohl die Kunstschatze des Landes wie das Land
^Ibst in seiner Schönheit, die Natur ist es, die ihn begeistert und ihm
dauernden Aufenthalt dort als lockendes Ziel erscheinen läflt.
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37Ö
KfisthardL
Nach meiner Rückkehr beginnt er die Studien 2U einem großen Gemälde
fGr die Aola des Gymnasium& zu Erfurt, »Bismarck, dem aus Ems heimge-
kehrten König Wilhelm im Beisein der Generäle und Hofchargen die Krie^^s-
erklärung vorlesend«, ein Gegenstand, der dem vom Schönheitssinn erfüllten
Künstler fernh»}^. Nur zögernd war K. an die große Aufgabe herangetreten,
ein anderes Sujet hätte ihn droficrc-s, rk'fknitcndercs schaffen hissen.
1899 läßt er sich, dem läng>l gehegten Wunsch folgend, dauernd in Rom
nieder. Hier gibt es glückliche, sonnige Tage für ihn, als er die Mappe,
das Malgerät unter dem Arm, die Campagna, das Albaner Gebirge durch-
streift, als er das malen kann, was sein schönheitstrunkenes Auge nun in
greifbarer Wiriclichkeit vor sich sieht und nicht das malen mufi, was ver-
langt wird.
In zahllosen Skizzen, Olstudien und Hihlerii sehen wir die hügeli<^e,
weit gedehnte Campagna, prächtige Motive aus der \'illa IJ'Este naturwahr
und stimmungsvoll wiedergegeben
Ein neues religiöses Bild, »Lasset die Kindlein zu mir kommen«, ent-
steht in dieser Periode und geht in Privatbesitz über. Unter den größeren
hindsciiaftUchen (ieniäklen aus (h'eser Zeit finden wir her\'orragend Schtmes,
ein Waldtal bei der \'ill,i Doria Panitdi, ein Liehesinorgen- betiteltes Hilci.
Untet dem Zauber südlicher Farbenpracht beginnt K. das bereits oben
genannte große Bild »Das Urteil des Paris«, um hier sein Ideal weiblicher
Schönheit zu verkörpern.
Der Schmerz über den Tod des von ihm über alles geliebten Vaters, ja
vielleicht ein Ahnen eigenen frühzeitigen Todes ist es, was den Maler zwingt,
sein begonnenes W erk zu verlassen und ihn sein ganzes tiefes Gefühlsleben
in ilem Hilde ( ietliseniane verkiirpern läßt.
Trotz der Bitten Hekannter, trotz des ernstlich wohlwollenden Rates des
Bildhauers Professor Gerhardt, sich zu schonen, war K. im Hochsommer 1901
in der heifien Fieberluft Roms geblieben. Er will sein Werk vollenden. —
l'nd so finden ihn jüngere FKUnde, die in ihm nicht nur den gereiften,
h()( hheL'abten Künstler verehren, sondern auch dem khitren. lieben'^würdigcn
Mensi lu n treu ergeben sind, und denen seine Zurürkgezogenheit, sein welt-
entrücktes Wesen aultällt, bewußtlos in seinem Atelier vor dem vollendeten
Bilde.
Welche Pein, welches tiefe seelische Leid der Todkranke empfunden
haben mag, als sich in seiner Kinsanikeit schon die Schatten des Todes auf
ihn herabsenkten, das zeigen flie Züge dieses betenden, ringenden, zum Tode
erschöi>ften Christus, ein ergreifender Ausdruck tiefster, eigenster Seelenqual,
ein selbst vollbrachtes Cethscmane.
Selbst treueste Pflege und alle Kunst des Arztes vermag das fliehende
Leben nicht zu halten, eine rapid auftretende Gehirnentzündung macht dem
jungen, noch so viel versprechenden Leben ein rasches Ende und der jüngere,
aus Deutschland herbeigeeilte Bruder vermag nur noch von dem in der
Bahre ruhenden geliebten Tdten schmerzliehen Abschied zu nehmen.
Nun ruht der KntNchlafene auf dem Campo >anto te>laccio in Rom, einem
herrlichen, Ruhe und Frieden atmenden Heck dieser Erde, unter rauschenden
Pinien und leis flüsternden Zjrpressen. Ein in schönen Linien gehaltenes
Denkmal mit dem Portrait des Verstorbenen schmückt sein Grab.
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Ktlstliaidt Gro6. Lersch.
377
Auch Hildeshcim ehrt chis Andenken seines früh verstorbenen Sohnes,
zwei Säle im Koniennuseum hat man den von der Stadt und von Freunden
erworbenen Werken K.s gewidmet. F. u. H. Küsthardt.
Gro0, Jakob Hubert» Pfarrer, * 6. September 1840 zu Aachen, f 23. Juni
1902 in Thenhoven bei Worringen. — Nach erfolgreichem Besuche des Gym>
nasiums seiner Vaterstadt bezog G. 1858 die Universität Bonn, um sich dem
Studium der Theolofrio zu widmen und entsprechend der schon früh in ihm
erwachten Xei^unji jihilolo^'ische und historische X'orlesungen zu liören. 1862
trat er in da-s Krzbischöfliche Priesterseminar in Köhl ein, wo er im folgen-
den Jahre die Priesterweihe empfing. Seine erste Anstellung erhielt er 1863
als Vikar und Rektor der höheren Schule zu Eitorf an der Sieg. 1868 wurde
er als Pfarrvikar nach Laurensberg bei Richterich berufen, wo er dann 18 Jahre
als eifriger Seelsorger wirkte.
Die Muße, die seine seelsorgerische Tätigkeit ilim bot, beimtzte er, um
sich in das Studium des klassischen Altertums und der Dramen Shakespeares
zu vertiefen. Die vollkommenste dichterische Offenbarung der Menschcnsecle
aber fand er wie überhaupt in Goethes Schöpfungen, namentlich im »Faust«.
Mit ganzer Kraft vaterstädtischer Begeisterung widmete er sich der Er-
forschung der Geschichte Aachens im weiteren und im engeren Sinne. Wie
er sich überall, wo er wirkte und lebte, mit rastlosem F.ifer für die Lokal-
geschichte begeisterte, so schrieb er während seines Auienthalts in l.aurens-
berg handschriftlich erhaltene >> Beiträge zur Geschichte der alten Pfarre Lau-
rensberg bei Aachen von der ältesten Zeit bis zu ihrer Zersplitterung im Jahre
1804« und als deren Fortsetzung die »Chronik der Pfarre Laurensberg bei
Aachen vom Jahre 1804 an. Nach mihKlIichcn und schriftlichen Quellen,
auch eigenen Erlebnissen'-. .\ls 1.S79 der Aachener Geschichtsverein gegründet
wurde, beteiligte er sich sofort lebhaft an den Bestrebungen desselben.
Auch bei der Gründung des jüngeren »Vereins für Kunde der Aachener
Vorzeit« war er mit regem Eifer tätig.
Als G. 1896 als Pfarrer nach Kalk und im März 1891 nach Osteradi
versetzt wurde, gewann er auch an diesen Orten besonderes Interesse für
deren Lokalgeschichtc.
Auszug aus dem Lebensbild G.s von Dr. H. Savelsberg in der Zeitschr. Aus Aachens
Voricit- Aachen 1902.
Lersch, Bernhard Maximilian,*) Dr. med., Badeinspektor, * 15. Oktober
1817 zu Aachen, f 22. Februar 1902 ebenda. — L. absolvierte das Gymnasium
seiner Vaterstadt und w iihnete sich 4 Jahre in Bonn, i " j Jahr in Berlin und
8 Monate in Paris dem Stiubuni der .Medizin. Nachdem er iS^S (He grolie
Preisautgabc der Bonner medizinischen Fakultät gelöst hatte, promovierte er
am 25. März 1840 mit einem Teile dieser Preisschrift: »Über den mikrosko-
pischen Bau der Netzhaut des Auges« zum Doktor der Medizin. 1841 zur
Ausübung är/.tlicher Tätigkeit zugelassen, ließ er sich in seiner Vaterstadt
Aachen aN Arzt nieder. Neben ausgedehnter ärztlicher Tätigkeit wußte er
noch Zeit für ächriftstelierische Arbeiten zu finden.
*) TotenUste 190a B«nd VII 70*.
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378
Lench.
Naclidem er 1849 im ;>Ncucn Nekrolog der Deutschen^ seinem älteren
Bruder, dem Bonner Philologen und Archäologen, Professor Laurenz Lersch,
einen ausführlichen Nachruf gewidmet hatte, schrieb er 185 1 seine »Beiträge
'ur Arznciverordnungskhro und rhemischen Nomenklatur . 1862 folgte seine
M()Mogra])hie »Cber die Buits( iKiik r Thermen bei Aac hen' . In den folgen-
den Jahren erschienen seine GcM hichte der Halnfi)h);,'ic • , sowie zahlreiche
kleinere Schriften balneoiogischcn Inhaltes. 1868 übernahm er das Amt eines
Badeinspektors von Aachen und Burtscheid, das er bis zum 5. Mai 1893 be-
kleidete. Auf einen kleineren Aufeatz in Göschens medizinischer Zeitschrift
»Deutsche Klinik« über die Thermalkur zu Aachen und Burtscheid folgte
dann 1870 seine »Geschichte des Hades Aachen«, in der er mit großem
Fleiß alle die zerstreuten Xachri( htcn sammelte, die man bis dahin über die
Aachener Bäder überhaupt kannte. 1873 gab er den »Neuesten Führer in
und um Aachen für Kurgäste und Touristen*' heraus.
Aufmerksamkeit verdient femer seine Schrift »Die Ruinen des Römer-
bades zu Aachen«. Als im Jahre 1877 das Eckhaus von Büchel und Edel-
strafle abgerissen wurde, um einem Nebenbau zu dem in der Edelstrafle ge-
legenen Bade Zur Königin von Ungarn Plat?: tu machen, grub man auf
den Antraft des Museunisvereins in beträchtli< her l iefe nach einer Fortsetzung
der in den sechziger Jahren beim Bau des genannten Badehauses gefundenen
Römennauem und ^d dann auch bald eine ausgedehnte römische Bade-
anlage mit einer Piszine, einem grofien, gemeinsamen Bad, und einem teil-
weise noch gut erhaltenem Hypokaustum, einem kleineren Badegemach mit
Hohlbodcn. L. fiel die Aufgabe zu, in einer auf Kosten des Aat hencr
Museumsvereins herausgegebenen Abhandlung jene wichtigen Römerfunde
wissenschaftlich darzustellen.
Leider war es ihm nicht vergönnt, sein bedeutendstes Werk, seine
»Chronik der Erdbeben«, woran er jahrelang mit emsigem Fleiß gearbeitet
hatte, herauszugeben. Dieser nur handschriftlich vorliegende Erdbebenkatalog,
welcher den Zeitraum von mehreren Jahrhunderten vor Christi Geburt bis in
die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein umfaßt, ist, wie es in
Nr. 147 des »Echo der Gegenwart (27. l'eltruar iQoi, 2. Blatt) heißt, das
hervorragendste von allen Werken des \ erewigten, was wohl am besten dar-
aus hervorgehen dürfte, dafl die im April 1901 auf Veranlassung des Reichs-
amtes des Innern zu Strafiburg abgehaltene Internationale Seismologische
Konferenz, an der die berufensten Fachgelehrten der ganzen zivilisierten Welt
teilnahmen, L. ihre Bewunderung für dieses Werk schriftlich ausilrückten.
Lange Jahre war L. Mitglied des Schulvorstandes und Präsident der Ge-
meindevertretung in der Peterspfarre, lange Jahre auch Mitglied der städti-
schen Ausschüsse für Kur- und Badewesen, sowie für Archiv- und Bibliothek-
angelegenheiten. Als Badeinspektor widmete er sich stets mit lebhaftem
Eifer den Bestrebungen des Vereins zur Unterstützung auswärtiger unbe-
mittelter Brunnenbadekurbedürftiger. 1870-1871 verdiente er sich durch
Lazarettpfli'iie die Kriegsdenkmünze für Xichtkonibattantcn. L. war ein
musterhafter llürger, ein tüchtiger Arzt, ein ausgezeichneter, überzeugungs-
treuer Katholik und ein hervorragender Gelehrter.
Auszug aus dem Lebensbild L.S von Dr. H. Savdsbcrg in der Zcitsdu'. »Ant Aachens
Vorzeit«. Aachen 190a. Ebendort Schriftenverzeichnis S. 6.
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Axendt
379
Arendt, Rudolf Friedrich Eugen, i) Prof. Dr., Redakteur am ^Che-
inischen Zciitralbkilt^^ uiul Lehrer für Naturwissenschaften, Technologie und
Warenkunde an der Öffentlichen Handelslehranstalt zu Leipzig, * i. April 1828
in Frankfurt a. O., f 15. Mai 1902 in Leipzig. — Bei Beginn des vorigen
Jahrhunderts war es in Deutsc hland um den Chcmieunterricht selbst auf den
Tniversitäten noch recht schleclU bestellt. Dank Justus von Liebi«,' eroberte die
Chemie allmählich ihre Gleichberechtifiuiig an den Universitäten und ihre Aner-
kennung als Wissenschaft. Im Schulunterricht war aber und blieb sie noch das
Stiefkind. Man behauptete, ihre Erscheinungen und Gesetze überschreiten das
Fassungsvermögen des jugendlichen Geistes, war sich aber nicht bewußt, dafl es
nur- ui der Art des chemischen Unterrichtens, an dem Mangel einer Methodik
liege, wenn sich die Chemie dem Lchrplan, selbst der höheren Lehranstalten,
nicht so recht einfügen lassen wollte. Hier setzte A. ein. In seinen vor-
trefflichen pädagogischen Schriften legte er dar, daß die Chemie sicli aller-
dings in einem gewissen Nachteil gegenüber allen anderen Schuldisziplinen
befinde. Die chemischen Vorgänge, die sich am Stoff selbst vollziehen, ent-
behren der direkten Anschaulichkeit An einer brennenden Stearinkerze
erkennt der naive Beobachter nur das Leuchten und die erzeugte \Värme;
aber über die eigentlichen chemisclien Vorgänge, was aus dem Material des
Lichts wird, woher die Flamme entsteht, wo der Docht hinkommt, kann man
nicht durch die einfache Beobachtung erfahren. Die Anschauung lehrt nieist
nur physikalische Veränderungen, die auch dem Kinde bereits zum Bewußt-
sein kommen. Die Chemie kann an keine derartigen, wenn auch nur un-
bewußt schlummernden Vorstellungen ankntii»fen; gerade darum muß der
Chemieunterricht auch von Anfang an methodisch und systematisch erteilt
werden, um etwas leisten zu können. Diese Methodik und rationelle Grund-
lage eines elementaren Chemieunterrichts hat A. geschaffen. In seinen Lehr-
büchern, die noch nach seinem Tode in Neuauflagen und neuer Bearbeitung
erscheinen und weite Verbreitung auch im Ausland gefunden, hat A. muster-
gültige Werke geschaffen, die mit dazu beigetragen haben, chemische Kennt-
nisse zu verbreiten und zu verallgemeinern. Aus t ii^c !^cr Exfahning wußte
A. den Wert eines methodischen und systematischen Lehrganges zu schätzen,
den er selbst hatte entbehren müssen. Frühzeitig, kaum drei Jahre alt, hatte
A. seinen Vater, einen Buchbindermei.ster, verloren. Zwar lieüen ihn Ver-
wandte eine höhere Schule besuchen, er trat auch in eine Apodieke als
Lehrling ein, mit dem Wunsche, sich mit Chemie und Naturwissenschaften
näher beschäftigen zu können. Aber die Notwendigkeit, möglichst schnell
voru'ärts zu kommen, ließ ihn in die Hu( libinderei seines Onkels Schröder
in Leipzig eintreten. Die neu aufkommende Stenographie bot A. einen
Nebenerwerb und gestattete ihm schlielilich, die Buchbinderei aufzugeben.
Er wollte jetzt seinen Neigungen folgen, Naturwissenschaften zu studieren,
bestand 1853 das Rektoratsexamen, wodurch ihm erlaubt wurde, sine maturtUUe
Vorlesungen an der Universität zu hören. Das Jahr darauf machte A. schon
das Maturitätsexamen und erlangte so die Rechte eines ordentlichen Hörers.
Diese Energie, mit der A. allen widrigen Verhältnissen zum Trotz - er hatte
nicht nur für sich, sundern auch für seine Mutter und seinen jüngeren Bruder
0 Totenliste 190a Band VII 7*.
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380
Arendt.
zu sorgen — seine Ziele verfolgte, wurde jetzt bald von Erfolg gekrönt.
A. wurde Assistent zunächst am chemischen Universitätslaboratorium von
Prof. Otto Linnö Erdmaniii sodann zwei Jahre später, 1856, an der land-
wirtschaftlichen Versuchsstation Möckern bei Leipdg. Die Leitung dieser
Anstalt ging bald darauf an den Privatdozenten Dr. Wilhelm Knop, Lehrer
der Xaturwissenschaftt-n an der ( )ffentli( lu'ii Handelslehranstalt Leipzig und
Redakteur des oCheniischen Zentralblattes^ , über. In Knop fand A. einen
Freund, Berater und Förderer, der ihn an seinen hervorragenden agrikultur-
chemischen Untersuchungen teilnehmen liefl. 1859 promovierte A. in Leipzig
mit einer Arbeit »Das Wachstum der Haferpflanze. Pflanzenphysiologische
Untersuchungen über Aufnahme, Verteilung und Wanderung der Nahrungs-
stoffe , in der er zeigte, wie die der Pflanze notwendigen Nahrungsstoffe an
ihrem Autbau und ihrer Entwicklung teilnehmen, und wie z. B. die l'hos|-»hor-
säure zunächst in die jungen Triebe, dann in den Stengel, die Blätter und
Blüten wandert und sich schließlich in den Samen ablagert. — A. trat i86x
als Lehrer für Naturwissenschaften, Technologie und Warenkunde bei der
öffentlichen Handelslehranstalt zu Leipzig ein und entfaltete hier 36 Jahre
lang eine Lehrtätigkeit, die ganz seiner Neigung entsprach und in der er
auch sein großes pädagogis<'hes (beschick zur CieltunL: bringen konnte. —
1862 übergab Knop, der inzwischen zum Professor der landwirtschaftlichen
Chemie an der Universität Leipzig ernamit war, A. die Redaktion des
»Chemischen Zentralblattes«, das damals 31 Jahre, bestand, ohne indes eine
größere Bedeutung in der chemischen Literatur zu besitzen. Aus diesem
»Blättchen« schuf A. mit bewundernswertem Organisationstalent eine über
die ganze Erde verbreitete Zeitschrift, wie sie keine andere naturwissenschaft-
liche Disziplin aufzuweisen hat. Das Chemische Zentralbiatt" stellt es sich
zur Aufgabe, über alle Arbeiten chemischen Inhalts, die in Deutschland und
den andern Hauptkulturländem in Zeitsdiriften veröffentlicht werden, sofort
nach ihrem Erscheinen ausführlich in objektiver Weise zu referieren, so dafi
die gerade für die Chemie so unentbehrliche Übersicht über die Neuer-
scheinungen in der Literatur jedermann ermöglicht wird. Mit Geschick ver-
stand A., weim er einen neuen Mitarbeiter für sein Journal gewonnen, das
Gebiet herauszufinden, was dem Neuling am l)esten lag, und ihn allmählich
an eine regelmäßige Tätigkeit heranzuziehen. So konnte A. im Gespräche
zu dem Verfasser dieser Zeilen voll berechtigten Stolzes äufiem, »dafi jeder
Mitarbeiter gern und freudig fOr das Chemische Zentralblatt tätig sei, und dafi
mancher unter ihnen aus dieser Tätigkeit oft Anregung und entscheidenden Kin-
fluß auf seine sp.ätcre wissenschaftliche Ri< htung gewonnen habe, und daß die
vielfachen Zuschriften an die Redaktion ihm den Beweis lieferten, daß wohl fast
jeder Autor das Referat über seine Arbeit im Zentralblatt lese«. A. ließ sich auch
keine Mühe verdriefien, durch Rundschreiben an die Mitarbeiter — das letzte
vom Jahre 1900 umfafite über 200 Paragraphen — den Referaten eine ein-
heitliche Prägung zu gel)en und vor allem für Raschheit und schnelles Er-
scheinen zu sorgen, damit jede irf^endwo veröffentlichte chemische Arbeit
auch etwa vier bis fünf Wochen spater durch das allwöchentlich erscheinentle
Chemische Zentralblatt bekannt werde. 1897 übernahm die Deutsche Che-
mische Gesellschaft aus Privathänden die Herausgabe des Zentraiblattes,
überlieft aber die Redaktion natürlich A., der mit Freude sah, dafi dadurch
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Arendt von Löhner.
381
das wissenschaftliche Anselien des Zentrall »lattes und seine \ erbrcitunp stieg.
Betrufi der l'mfang des ersten von A. hearlieitcten Jahrgangs des Ciietnischen
Zentralbiatts 1862 etwa 1000 Seiten, so war der Jahrgang 1002, der von A.
begonnen und von seinem Nachfolger in seinem Sinne fortgeführt wurde, auf
fisist das Doppelte gestiegen, trotzdem die Einzelreferate weit knapper als
früher gehalten waren. Bis kurz vor seinem Tode war A. für das Zentralblatt
mit gewohntem Eifer tätig, trotz eines Herzleidens, das ihm viele Beschwerden
in der letzten Zeit bereitete. A. war eine einfach-vornehme, gesellige Natur,
eine l'ersonlu hki it, die auch durch ihre äuliere Erscheinung •-i<di Achtung und
Sympathie erwarb. Nur mit zielbewußter Energie und in ernster und niühsanier
Arbeit hat A. die hohe angesehene Stellung sich errungen, die ihm Anerkennung
der Regierungen und Auszeichnungen gelehrter Gesellschaften brachte. Mit
seiner Gattin Henriette geb. Hentschel verknüpften ihn zärtliche Bande der Liebe;
elf Jahre hatten sie treu aufeinander gewartet, bis sie 1861 einen eigenen
Herd gründen konnten. Fast 40 Jahre waren sie glücklich vereint, bis im
Juni 1900 der Tod sie ihm entrili. Zwei Jahre später folgte ihr A., betrauert
von seinem Sohne und seiner Tochter, von Schülern, Freunden und Kollegen.
Werke Arendts: Das Wachstam der Haferpflanxe. Leipcii^ 1859. — Über den natur-
'.vi'ssLnschaftliclK'n Unterricht an niederen ur.d höheren Schulen. Leipzig 1.S63. t'ber den
InUrrricht in der Chemie an huheren und niederen >iluilcn: in »Pädagogische Vorträge
und Abhandlungen«, herauügegebcD von Wilhelm Werner, l. Band, S. 205 — 254. Leipzig
1868. — Orgranisation, Technik und Apparat des Unterrichts in der Chemie. Leipxiff 1868. —
Der Anschaiiun^jsunterricht in der Naturlehre. Leipzig 1S6S. Materialien für den An-
schauungsvmteri K ht in der NiiUirlehre. Leipzig iSbS. 4. Aufl. 18S3. — Lclirlnuh der
anorganischen Chemie. Leipzig 1868. 3. Aufl. 1S75. — Grundriß der anorganischen Chemie.
Ldpng 1876. 2. Aufl. 1881. — Technik der Experimentalchemie, Anleitung car AusAlhrung
chemischer Kxperimente beim Unterricht. 2 Bände. Leipxigi88i. 2. Aufl. 1892. 3. Aufl.
1900. — Hildung>eU'mente und er/ichlifher Wert des L iiterriohts in der Chemie, zuer-t iSSi)
als Einleitung zu »Technik der Experimentalchemie« und später (1894^ ab besonderer
Abdruck daraus erschienen. — CSrundiflge der Chemie. Leipzig 1884. 6. Aufl. 1897. — -
Leitfaden für den Unterricht in der Chemie. Leipsif 1884. 6. Aufl. iSqy. — Methodischer
Lehrgang der Chemie. Durch eine Reihe ziisammonhängcnder Lchrprohcii dartje-tellt für
uigchende Lehrer und Lehramtskandidaten. Halle 1887. — Didaktik und .Methodik des
Chemieonterrichts. Sonderausgabe aus Dr. A. Baumeisters »Handbuch der Ersiehungs»
utid Unterrichtslehre für höhere Schulenc. MUnchen 1895. — Bi(>grai)hie: Fr. Etzold,
Rudolf .\rcndt. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft Bd. 35 S. 4542—4549
0902) mit Büdnis. Walter Koth.
Löhner, Hermaim von,') * 27. April 1842 in Wien, f 19. Mai 1902 ebenda.
~ In der Sitzung vom 23. Mai 1902 hat im Gemeinderat der Stadt Modena
der Gnl(i()!iiff)rsrhcr Spinclli «Icii MancMi Hermann von T,öhnt'rs ein ehrendes
Denkzeiehen errichtet, indem er die X erdieiiste I,.s um .uanz Italien durch
dessen Dante-Studien und im besonderen um die Madt Modena durch die
Goldoni-Kommentierung hervorhob. Diese dem Ausländer gezollte Anerkennung
vird dadurch noch bedeutsamer, dafl L. seine Forschungen in Italien als
Privatmann betrieben und Privatmann bis zu seinem Todr m l »heben ist*
Als Sohn des berühmten Reiciistagsabgcordneten JA,/. Dr. Ludwig von
Löhner in Wien geboren, wanfhe sich L. nach Absolvierung des juristischen
^uadricnniums, eines Studiums, das er wider seine Neigung ergritten liatie,
») Totenliste 1902 Band VII 73*.
382
von Löhner.
nach Deutschland, in der Absicht sich da dauernd niederzuhissen. I>amit
beginnt eine 14 Jahre wahrende Periode inannigfaltif,' bewegter Tätigkeit in
den verschiedensten Berufskreisen. Zuerst als Journalist bei der >' Süddeutschen
Zeitung« in Frankfurt a. M., dann in einer Berliner Buchhandlung tätig, über-
nimmt L. — nach schwerer Krankheit in die Vaterstadt zurückgekehrt —
zuerst eine Stelle als Sekretär der Unionbank, später bei der Agentur und
Kreditbank in Wien an. Nachdem er endlich unter l.aul)c die Sekretärstelle
an dein Wiener Stadttheater einige Zeit innegehabt, geht er 1876 wieder als
Journalist nach München ( Süddeutsche Fresse-). Aber schon im folgentlcn
Jahre finden wir ihn wieder in Wien als Korrespondenten der Berliner »National-
zeitung tätig. Ende des Jahres 1878 tritt endlich eine entscheidende Wendung
in L.S Bestrebungen ein. In Venedig, wohin er sich zunächst nur in der
Absicht eine Kräftigung seiner geschwächten Nerven zu finden, begibt, findet
er ein ihm zusagendes Arbeitsfeld. Die venetianische (iesc hic hte des 18. Jalir-
hunderts ist es, auf die er seinen l'"ors< hereifer konzentriert. Nachdem diese
auf ganz Überitalien ausgedehnten Studien in der Herausgabe der Memoiren
Goldonis mit fortlaufenden historischen Anmerkungen einen gewissen Abschlufi
gefunden, kehrt L. 1884 nach Wien zurück, um seiner Vaterstadt dauernd nicht
mehr den Rücken zu kehren. Bis 1889 großenteils mit Übersetzungen und
Bühnenbearbeitungen französischer Schauspiele beschäftigt, hat L. den Rest seines
Lebens, tl. i. volle 12 Jahre, de?ii eindringenden Studium von Dantes Divina Com-
media und ihrer Übersetzung gewidmet. Leider ist seine metrische ("t)ertraiiung
der »Hölle« ein Torso geblieben, da ihn der Tod mitten in seiner Arbeit ereilte.
Von L.S literarischen Leistungen mögen die folgenden hervorgehoben
werden : Aufler zahlreichen dichterischen Produkten, insbesondere Lustspielen
und Schwänken, wie »Ein Frühstück bei Klytcmnestra« von C. F. Scherz,
187.^ in Wien (Kesiilenzlheatcr), Alte Liebe rostet nicht in Hern (1882) und
Mannheim (1S83), »Das Recht des Künstlers und x Das .%Liskenfest , bcitlc
in Ischl (1S94) aufgeführt, die Herausgabe des schon genannten Goldoni-
Kommentars (Memoiren Goldonis 1883, i. Band), welchem eine Reihe von
Arbeiten im »Venetian. Archiv« voraufging. Femer die meisterhaften Über«
Setzungswerke: V. Hugo, Königslaune« (Le rot s'amusc) und »Ruy Blas«,
Leipzig 1881, Moliere, I.e Tartuffc^ 1882 für das Wiener Rurgtheater über-
setzt, ebenso wie Feuillet, ^ l'oxaj^ciir^^ 1884, Sardou > Theodora 1885 und
^Gforgetk* 1886 (1893 in Keclams Universal -Bibliothek erschienen). End-
lich Musset, »Mariannens Launen«, »Kastanien aus dem Feuer«, »Si)ielt nicht
mit der Liebe« und »Eine venetianische Nacht«, sämtlich Ende der achtziger Jahre
überset/t. Die letzten zwei mit einer kleinen Biographie Mussets in der
Hendel'schen Hibliothek der Gesamtliteratur des In- und Auslandes erschienen.
Erst nach L.s 1'od wurde seine metrische Übertragung der ersten 25 Gesänge
der Divina Commcdia mit einem biographischen Nachwort herausgegeben.
(Wien, C. Gerold 1903.)
Zum Schlüsse verdient noch erwähnt zu werden, dafl L. als erster Ibsens
»Jugendbund« ins Deutsche übertragen hat, wie ein höchst schmeichelhaftes
Ancrl II ningsschreiben des großen nordischen Dramatikers vom 31. November
1S71 tu /t ugt. Ein Verzug in der \'eröffentlichung hatte es aber ermöglicht,
dali Untenlessen eine andere t'bersetzung des gleichen Stückes im Buchhandel
erschien, worauf L. seine Arbeit unveröffentlicht ließ. C. Siegel.
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KufimRul.
Kußmaul, Adolf,') * 22. IV-bruar 1822 in Grahcn hei Karlsruhe, f 28. Mai
IQ02 in Hcidelbcrf^. — K. entschlief am frühen Moi^^'n des 28. Mai 1002 in
seiner Behausung zu Heidelberg nach kurzem Todeskampf an \'erkalkung der
Schlagadern und des Herzens. Obgleich er sich bis zum letzten Abend der
vollen Geistesfrische erfreuen durfte, machte sich doch die Last seiner achtzig
Jahre in mehrfacher Weise fühlbar und seinen Wunsch verständlich, es möge
ein sanfter Tod ihn vor langem Siechtum bewahren.
Der Heimgegangene wurde zu (iraben, einem badischen Marktflecken
geboren, wo M-in \'atcr als Assistenzarzt mit dem Titel eines grdliherzogliclien
Stabsarztes wuhnic. Die Mutter war Luise, geborene Behringer. Da K.s
Vater 1823 als Amtschirurg nach Emendingen bei Freiburg und 1829 als
Physikus (Bezirksarzt) nach Boxberg im Taubergrund und 1854 in gleicher
Eigenschaft nach Wiesloch bei Heidelberg versetzt wurde, empfing sein Sohn
Adolf seinen ersten Unterricht in der Volksschule zu Emmendingen und Box-
berg und wurde neun Jalirc alt einem würdigen Pfarrer namens (]ans in Buch
am Ahorn zur Erziehung übergeben. Der verständigen Führung dieses
Mannes verdankt K., wie er selbst stets mit aller \ crehrung versicherte,
einen sein ganzes Leben entscheidenden, segensreichen Einflufl. Im Jahre
trat R. in das G3rmnasium zu Werüieim, 1854 in das zu Mannheim und
1838 in das zu Heidelberg. Es ist bezeichnend für den elfjährigen Jungen
wie für den späteren Mann, daß Adolf, als er am Main zu Wertheim einen
Knaben vom Ertrinken gerettet hatte, nur schwer dazu zu bringen war, seinem
Lehrer über den \ ortall Kechen.schaft zu geben. Er zählte an diesen Anstalten
ztt den besten SchQlem und zeichnete sich früh durch einen festen Charakter
aus. Wenn er auch beim Lesen der lateinischen und griechischen Klassiker von
der Grammatik weniger angezogen wurde, so war ihm doch das Übersetzen eine
Leichtigkeit und im geistigen E^rfassen des Inhaltes war er geradezu hervor-
ragend. Unter den Realien war von frühe her Botanik seine Lieblingswissen-
schaft, und diese Zuneigung hat ihn durch sein ganzes Leben begleitet. Wir
lesen mit wahrem Genuß, wie K. in seinen »Jugenderinnerungen eines alten
Arztes« seine Lehrer im Gynmasium zu Mannheim und Heidelberg mit warmer
Pietät, aber auch mit köstlichem Humor gezeichnet hat
Im Oktober 1840 bezog er die L^niversität Heidelberg. Mit großem
Eifer verlegte er sich auf sein Studium, schloß sich unbescha(let seiner
Studien noch vor Ende des Jahres 1840 dem Schwabenkori)s an, unter
dessen Angehörigen er sich bald durch sein geistiges Talent, biederen
Charakter, ritterlichen Sinn und siegreiche Bestehung so manchen Ehren-
handels grofles Ansehen erwarb, und leitete schliefilich dies Korps als Senior.
Vieler seiner Korpsbrüder und sonstiger Studenten von Heidelberg aus seiner
Zeit gedenkt K. mit Wftrme in seinen Erinnerungen. Wir wollen nicht
unerwähnt lassen, daß er in seinen letzten Semestern bei kühlerer und kritischerer
Heurteilung des Korpswesens sich ihm gegenüber etwas ableluiend verhalten
und sich unter dem Eintiuü der damaligen politischen Verhältnisse in Deutsch-
land wie in dem übrigen Europa, aufgemuntert durch gleichgesinnte, ehren-
werte Freunde (unter diesen audi mehrere frühere Koipsbrüder) einem
») Totenliste 1902 Band VI 66*.
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384
Kufimaul.
Refonnprograniiii ans( hloji und mit noch vier anderen Genossen eine Reforni-
verbindung, Alemannia, gründete, die sich die Ausarbeitung einer Verfassung
der allgemeinen Studentenschaft zur Aulgabe gestellt hat. Hier trat K. mit
V. V. Scheffel in nahe Beziehung. Hat sich K. auch der liberalen Opposition
angeschlossen, so blieb er doch jetzt und immer jedem Radikalismus fern,
und war er jedem Kanatismu*^ frctnd. so wartMi ihm die Fanatiker des Atheis-
mus, die damals auch in Heideiberg eine eigene Verbindung gebildet, die
Widerwärtigsten.
Bei seinen akademischen Studien war er aus dem anatomischen Präparier-
saal in die klinischen Säle zum Auskultanten und Praktikanten und schlieSlich
zum Assistenten vorgerückt. Im Jahre 1843 '4 beteiligte er sich ander Lösung
der Preisfrage, welche von der medizinisc hen Fakultät gestellt war; die Aut-
gabe war der Augenheilkunde entnommen und verlangte eine anatomisc h-
physiologische und pathologische l ntersuchung der verschiedenen Farben,
die unabhängig von den durchsichtigen Medien im Grunde des Auges er-
scheinen.« Chelius hatte dieses Thema ausgewählt und ermunterte unseren
Freund, dasselbe zu bearbeiten. K. hatte in den Ferien das Handbuch der
Augenheilkunde von Chelius gut einstudiert und sali sich veranlaßt, in der Klinik
weitere Forschungen anzustellen, und hat dabei Fehler im Auge festgestellt, die
bisher nicht lieobachtet worden waren. Auf die Antrage bei Chelius, worauf es
eigentlich ilie Preisfrage absehe, bemerkte dieser, daß eine kritische Zu-
sammenstellung der zahlreichen bestehenden Theorien über das Wesen des
Glaukoms gewünscht werde. K. bearbeitete das Thema and die Fakultät
erteilte ihm mit einer sehr ehrenden Begründung den Preis. Man erkannte
an, daß tlie Frage mit solchem Aufwände von Clelehrsamkeif , Scharfsinn und
Versuchen bearbeitet sei, daß fast jeder Punkt erschö))fend behandelt worden.
K. sagte sich jedoch selbst, daß er gerade am Angelpunkt ge.scheitert sei;
der Schlüssel des Geheimnisses steckte in der Optik, in der seine Kenntnisse
nicht ausreichten. Er fragte sich, warum ist die Pupille schwarz ^ und war über-
rascht, daß diese Frage bisher noch nirgends aufgestellt worden ist. Ein Augen-
spiegel schien ihm ein Hauptbedürfnis zu sein; er suchte einen solchen zu
konstruieren und war sehr nahe daran, das richtige Problem zu lösen, wenn
ihm nicht das eigentliche Pufutum salirns entgangen wäre, das Loch in
der Mitte des Spiegels. Er beriet sich mit dem Physiker Jolly; dieser fragte,
ob denn die Sache so wichtig sei? worauf K. meinte: »So wichtig, dafi die
Erfindung des Instruments, das mich beschäftigt, eine neue Augenheilkunde
schaffen wird.« Die Geschichte des Augenspiegels bis /um Jahr 1854, welche
von Tright, unter Donders Leitung verfaßt wurde, erkennt K. ein doppeltes
\'erdienst zu; einmal habe dieser als der erste die Frage aufgeworfen, warum
das innere Auge dunkel erscheine; sodann hat er sich zuerst bemüht, aus
Marys Versuchen Nutzen für die Praxis zu ziehen. K. hat in der Ta^
den ersten Versuch gemacht, einen Augenspiegel zu konstruieren, aber wie
eben schon angedeutet, ohne den erwünschten Erfolg. Vor seinem Abgang
von der Universität gab K. seine Abhandlung heraus unter dem Titel: ^Die
l'arbcnerscheinungen im (irunde des mensc hlichen Auges« (Heidelberg, Karl
Groos, 1845). Darin ist der von ihm konstruierte Augenspiegel beschrieben
mit Voraussetzung des Nutzens, den es haben müsse, wenn es gelänge, den
Augengrund sichtbar zu machen.
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Im Jahre 1846 erwarb sich K. nach einer sehr gut bestandenen Prüfung
vor der Prüfungskommission in Karlsruhe den ärztlithen I-izenzschein ; in
demselben Jahre verlobte er sich mit seiner nac hinaligcn Gattin, Luise Wolf,
der Tochter des von Gemmingenschen Hauptrendanten Wolf in Treschklingen,
einem badischen Dorfe im Amt Sinsheim. Im folgenden Jahre machte K.
mit seinem Freunde Bronner eine Reise Ober München, Tegernsee und den
Schandl, durt h Tirol, das Salzkammergut, nach Wien und Prag, wo sich die
beiden Freuntle besonders in den Krankenhäusern eingehend umsahen, und
fleißig Rokitansky, Semmelweis und Opfiolzer freciuontiert haben. Die Heim-
kehr erfolgte im März 1848, einer auch in Baden politisch sehr aufgeregten
Zeit Auf besonderen Wunsch seines Vaters folgte K. einer Aufforderung
des badischen Kriegsministerium an die Arzte des Landes zum Eintritt ins
Heer und verzichtete auf den Plan, sich in Heidelberg niederzulassen. P'r
wurde nach einigen Wochen einberufen, hatte sich in Rastatt zu melden und
machte dann mit einem Bataillon des ersten Infanterieregiments einige Züge
durch Baden, ohne jedoch mit den Aufständischen in Berührung zu kommen.
Im Sommer 1848 wurde der deutschen Armee, die unter General von
Wrangel in Schleswig-Holstein stand, eine aus Abteilungen des achten Bundes*
anneekorps zusammengesetzte Division unter dem Befehl des württembergi-
^chen Generalleutnants von Miller zugewiesen, darunter von der badischen
Abteilung fünf Hutaillone, wobei auch das Bataillon Mol/, dem K. angehörte.
Aus den geträuintcn Lorbeeren in den ineeruinschlniK'cncn Herzogtümern ist
nichts geworden; die Brigade bekam keinen einzigen Danske Landsoldaten«
zu Gesicht; doch hatte sie den gröflten Teil des holsteinschen Landes durch-
zogen. Im Monat September kam Befehl, nach Baden heimzumarschieren;
nur ein Bataillon mußte zurückbleiben, dessen Arzt gerne heimgezogen wäre;
K. l)ot diesem an mit ihm zu tauschen, mußte aber, ehe von Karlsruhe dazu
( iciiehinigung eintraf, abziehen und hatte hei diesem l'eld/uge im wesent-
lichen nur mit Brecliruhr und Cholera zu kämpfen, im Oktober 1848 wurde
K. vom Feldarzt zam Oberarat befördert; er war damals mit seinem Bataillon
nach dem badischen Oberland kommandiert, wo er durch den ganzen Winter
bfa Mitte April hauptsächlich in Lörrach und Kandcrn einquartiert war. Am
14. Ai)ri! 1849 erhielt er Befehl, sofort nach Schleswig aufzubrechen, um den
< 'berarzt, mit dem er seiner Zeil zu tauschen bereit war, zu ersetzen. Kr
brach alsbald auf und erreichte sein Bataillon bei Eckernförde, wo er zum
erstenmal den Anblick des Meeres hatte; am 5. April hatte das bekannte
Seegefecht stattgefunden. Von dem Bataillonskommandierenden erhielt er
den Auftrag, die Feldspitäler in Rendsburg, Schleswig, Flensburg und Eckem-
förde zu besuchen, und sich nach den badischen kranken imd veru'undeten
Soldaten umzusehen, und über tias Ergebnis einen Bericht für das Kriegs-
ministerium zu erstatten. K. hebt die großen Verdienste von Langenbeck und
Stromeyer um den Sanitätsdienst in den Herzogtümern 1848 und 1849 und
nm die Rriegschirurgie rUhmend hervor.
Zu jener Zeit war in Baden die Revolution 1849 ausgebrochen, der durch
die Niederlage der Aufständischen bei Waghäusel, 21. Juni, und die Über-
gabe der Festung Rastatt an die Preußen, 25. Juli, ein Knde bereitet worden
i^t. Ein Dr. Welker, den K. wohl von den Kliniken in Heidelberg kannte,
der ihm jedoch nie näher stand, war in der aufständischen Armee Cieneralstabs-
BiogT. Jahrbuch u. Dcuucher Nekrolog, i. Ud. 25
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386
Kttflmattl.
arzt geworden, hatte ohne alles Vorwisseii unseres Freundes für K. ein Patent
als Kegimcntsarzt ausfertigen lassen und dies an das Romniando des Bataillons
in Schleswig amtlich abgeschickt. All das erfuhr K. erst später, als er beim
Dienst in Rastatt mit dem kriegsgefangenen, obengenannten Dr. Welker zu-
sammentraf. Einstweilen aber bekam er eine kalte Zurückhaltung der Offiziere
seines Bataillons zu kosten, und als das Bataillon heimkehrte und in Preußisch-
Minfien angelangt war, trafen Befehle des Kriegsministers ein und unter
dicken auch der, daß sich K. unverzüglich nach Hause zu begeben und bei dem
Kriegsminisieriuni zu melden habe. Beim Minister erfuhr K.., daß jener
entschlossen gewesen sei, ihm den Abschied zu geben, habe aber Erkundigungen
eingezogen, die alle zu des Doktors Gunsten lauteten, so dafi er seinen Ent-
schluß geändert hätte und K. im Dienste belasse. Nicht ohne Mitgefühl für
die Gefangenen diente K. in der Festung Rastatt unter vielen \V'iderwärti!:;keiteTi
und manchen Gefahren; er >uchte um seinen Abschied nach, der ihm am 2-. De-
zember gewahrt wurden ist, nachdem er am 16. Dezember die Großherzog-
Uch Badische Felddienstmedaille för treuen Dienst im Kriege erhalten hatte.
Der Aufenthalt in Kandem (März und April 1849) hatte auf K. s. Zt.
einen dauernden Eindruck gemacht; er war besonders von dem Landschafts-
bild angezogen, und so entschloß er sich im März 1850, sich hier als prak-
tischer Arzt niederzulassen. Er gedachte nun sofort einen eigenen Herd zu
gründen; doch der plötzliche 'i od seines Vaters nötigte ihn, die Hochzeit zu
verschieben, und so konnte er erst im Herbste 1850 seine Braut als Gattin
heimführen. So folgte für den treuen Mann auf seine bish^gen unruhigen
Fahrten ein friedliches Idyll häuslichen Glacks. Die ärztliche Tätigkeit ge-
währte ihm volle Befriedigung und ausreichendes Einkommen. Es wurden
ihm hier zwei Töchter geboren, Helene, jetzt Witwe des Oberstleutnants ( )ster
in Berlin, und Luise, die (ieniahiiii Sr. Exzellenz des Gi-heimrats Professor
Dr. Czerny in Heidelberg. Eine dritte Tochter Ida, in Ereiburg geboren, ist
die Gattin des Majors Ilse, z. Zt. in Koblenz. Ein TOchterchen von 12 Jahren
ist zu Strafiburg gestorben und ein Sohn, Student der Technischen Hochschule,
ist auf dem Rhein bei Maxau verunglückt.
Hier in Kandem lernte K. die Bedeutung und die großen Schwieriu^eiten
des Berufs eines Landarztes im Gebirge reichlich kennen. Diesen Erfahrungen
ist es wohl auch zu danken, daß er .später als akademischer Lehrer diesen
Beruf so hoch in Ehren hielt, das auch je und je seinen Schülern zu erkennen
gab und sie begeisterte, sich auch auf dem Lande in den Dienst der leidenden
Menschen zu stellen, in einen Dienst, der allerdings ein ganz besonderes
Maß von Selbständigkeit, Sicherheit und Entschlossenheit verlangt. Hier war
es auch, wo ihn die Vorsehung vor eine ernste, für seinen ganzen künftigen
Lebensgang so einflußreiche Entscheidung gestellt hat. Nach besonders an-
strengenden l agen im Eebruar 1853 wurde K. von einer Meningitis lunibaris
rheumatischen Ursprungs befallen; die Beine waren taub; es stellten sich
Wadenkrämpfe und gänzliche Lähmung der Blase ein. Die Entzündung der
Rückenmarkshäute im untersten Teile des Wirbelkanals breite te sie h glück-
licherwcise nicht weiter aus. Nach seiner Genesung war es K. klar, dafJ sein
Körper den Strapazen einer Landpraxis nicht gewachsen sei; er faßte den
schweren Entschluß, noch einmal Schüler zu werden, um sich noch weiter
auf die akademische Laufbahn vorzubereiten.
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KufimauL
387
Wie Billroth s. Zt. und Czerny heute noch neben ihrer ernsten Arbeit in
Blut und Eisen in fler Kenntnis und IMle^u^ der edlen Musica Erfrischung
und Erquickung gefunden, so dürfen wir nicht unerwähnt lassen, daß dem
trefflichen Manne bei seiner mühevollen Gebirgsi)raxis neben den reichen
Gaben des Geistes und Herzens auch eine besondere Himmelstochter an die
Seite gestellt war, die Poesie. Seine poetische Ader ist hauptsächlich in
Kandem geflossen und die Schöpfungen auf diesem Gebiete, durchweht von
hohem Ernst, meist aber von großartigem Humor, meist lyrisch, teilweise in
Balladenform, wie der verlorene Sohn ( In dem Land Mesopotamien, frucht-
bar durch des Kuj^hrats Sclilainien-), sind von hier aus in die Welt geuanu'cn;
ihrer viele sind Eigentum des deutschen Volks, doch vorzugsweise der aka-
demischen Jugend geworden. Als K. während seines Aufenthaltes in Kandem
die Sammlung der Gedichte des VolksschuUehrers Sauter von Zaisenhausen
zufällig in die Hände gekommci^ war und er sich an der köstlichen, gemüt-
lichen Naivität dieser Verse ergötzt halte, faßte er alsbald den Plan, in Geist
und Manier dieser (letlichte eine Gestalt zu schaffen, die bisher dem deutschen
Dichterwalde gefehlt hatte; er schuf diese Gestalt und ließ dieselbe unter
dem Namen »Biedermaier« in die Welt hinausgehen zur großen Freude aller,
die für fröhlichen, harmlosen Humor Sinn und Verständnis hatten.
I m seine Genesung zu fördern, besuchte K. ein Seebad an der Nordkfiste
Frankreichs und bezog dann im Herbste 1853 die Universität Würzburg, wo
er, nochmals immatrikuliert, zwei Semester verblieb, Vorlesungen und Kurse
bei Virchow, Kölliker und Scherer hörte und im Winter täglich mehrere
Stunden im Präpariersaal und im Sommer im chemischen Laboratorium
arbeitete. Gegen Ende des Sommersemesters 1854 hat er promoviert. Seine
Dissertation behandelte den Einfluß, welchen die Blutströmung auf die Be-
wegungen der Iris und anderer Teile des Kopfes ausübt (Band 6, Seite i — 42
der \'erhandlungen der }>h\ sikalis(di-medizinischen Gesellschaft in Wür/.burg).
Um eine schmerzlich empfundene Lücke seines arztlichen Wissens aus-
zufüllen, ging er im Herbst 1854 von Würzburg nach der Badischen Landes-
irrenheilanstalt Illenau, wo er den größten Teil des Herbstes unter Direktor
Roller und den Ärzten Horst und Fischer und dem Hilfsarzt Gudden mit
pqrchiatrischen Studien verbrachte. Zu Beginn des Winters siedelte K. mit
Seiner Familie nach Heidelberg über, wo er sich im folgenden Jahre habi-
litierte. Das Wagnis, bei noch siechctn Körj)er und beschränkten äuUern
Mitteln die akademische Laufbahn einzuschlagen, ist über Erwarten gelungen.
Bei seiner Habilitierung zu Heidelberg war mit dem Würzburger Doktor-
diplom, das mit summa cum laude zensiert war, von dem Heidelbei^er Kollegium
die erste Bedingung erfQlIt; da aber K. seine Doktorprüfung nicht in Heidel-
berg bestanden hatte, mußte er sich einem Kolloquium unterziehen, das
bestens ausgefallen ist. Eine besondere Hal)ilitationss( hrift wurde ihm im
Hinblick darauf erlassen, daü er s. Zt., 1844, die Preisfrage über die Farben- _
erscheinungen im Grunde des menschlichen Auges gelöst und im Druck
herausgegeben hatte. Ebenso bestand er die Probevorlesung und die Dis-
paution.
Schon als praktischer Arzt 1847 hatte K. einen Fall von spontanen, an-
hält enden Hämorrhagien in dem Brustfellsack mit Bildung von Geschwülsten
literarisch behandelt; »Zeitschr. für rationelle Med.« Band 6 S. 92 — loi.
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Kttflmaul.
Femer: Zur patholoj^ischcn Anatomie des Rheumatismus ac. articulorum ; »Arch. für
physiolog. Heilkunde« Band 1 1 und zwei Falle von Polyoätiüs bei Knaben (wohl die er^tc
Beschreibang der akuten Osteomyelitis). 1853. — Ferner 1853; Bdlge sur Kontagiositftt der
Ruhr nebst einigen Bemerkungen Uber ihre Therapie. >Mittei!ung:cn des Bad. ärztl. Vereins«
Jahrp. 7. Nr. 2. — l^^S.V Fromatilis scptica, el)cnda \r. S. — l^^53. Krf:i]min;jcn ühc-r den
Abdominaltyphus in der Umgebung von Kandern, ebenda Nr. 13. — 1854. Ucincrkungen
aber die Bedeutung des Nasenblutens, besonders im Tj^us, ebenda Jalug. 8 Nr. 33.
K. hätte nun in Heidelberg gerne über Anatomie gelesen, mufite jedoch
bei der damaligen Besetzung der Lehrfächer darauf verzichten. Chelius riet
ihm, über Ileilmittellehre zu lesen, für welches Fach es an einer tüchtigen
Kraft fohlf. Da zu jener Zeit gerade die Stelle eines Assistenzarztes erledigt
worden war, bewarb si(>h K. um diese u!ul erhielt solciie am 30. April 18^5.
Seine erste Vorlesung hielt er im Wintersemester 1856/57 vor gut behetzten
Bänken fiber Arzneimittellehre; in den folgenden Semestern las er außer
Heilmittellehre noch Toxikologie, Psychiatrie, gerichtliche Medizin fOr Me-
diziner und Juristen, sowie Anthropologie, auch ein gut besuchtes Publikum
über die Hauptfragen der Biologie, l-'ür (^bung im freien Vortrag hat sich
K., der sich ursprünglich keiner gewandten Suada /u ertreuen hatte, energisch
und systematisch in Selbstzucht genommen, und erreichte so in seinem Vor-
trag eine Klarheit, die ihresgleichen suchte. Nach seiner eigenen Aufierung
hat er es nicht, wie andere glücklicher angelegte Kollegen, zu einem Impro*
visator auf dem Katheder gebracht. So lange er lehrte, fast 43 Jahre, hat
er sich auf jede Vorlesung vorbereitet. Neben seinen Vorlesungen h.at er
fleißig im chemischen Laboratorium gearbeitet und auf dem (lebictc fler
Physiologie und Anatomie Untersuchungen angestellt, deren Ergebnisse er in
literarischen Arbeiten niedergelegt hat.
1856. Cber die Totenstarre und die ihr nahe verwandten Zustande von Muskelstwre
mit besonderer ROcksicht auf die Staatsanneikunde. »Prager Vierteljahrsschr.c Bd. 13 S. 3. —
1S57. f'licr den Kiiiflüß litr Hlut^trömung in den großen ncfiifJcn des Halses, des Ohrs
beim Kaninchen und ihr Verhältnis zu den Wärmeveränderungen, welche durch I.Ähmung
und Reizung des Sympathikus bedingt werden. »Moiesdiotts Untersuchungen rar Natwtlebre
des Menschen und der Tierec, Bd. 1 S. 90. — 1857. Untersuchungen Aber Ursprung und
Wesen der fallsuchtartigcn Zurkunijeii hei der \'cr1)lutung. Ebenda Bd. 3 S. i. iSsT-
Kin Fall von wahrscheinlicher Morphiumvergiftung. »Deutsche Zeitschr. für btaatsarznei-
kunde« Bd. 9 S. 2. — i^57* Ober einige Bestandteile des Fliegenschwannns. »\'erhandl.
des natnrhistorisch-mediaintschen Vereins in Heidelbergc Bd. i S. 18. — 1858. Über die
Zerreißung der inneren Häute der Halsarterien bei Erhängten. »Virchows Archiv« Bd. 13
S. 60. - 185S. Über die Krtuturifj der Glic(hnaßcn durch Einspritzung von ("hlornfnrni in
die Schl.agadern. Ebenda Bd. 13 S. 2S9. — 1859. Von dem Mangel, der Vcrküinnierung
und Verdoppelung der Geb&nnntter, von der Nacbempftngnis und der Überwanderung des
Eis. Würzburg, Stahcl S», V'III und 3S4 S. — 1859. Untersuchungen ü1)cr das Seelenleben
des ncuj^cborenen .Menschen. Winter, Hcidclberfj. — iSs;«. Zwei Kalle von Paraplegic mit
tödlichem Ausgange ohne anatomisch nachweisbare oder toxische Ursache. »Programm zum Em-
tritt in die medidnische Fakultit der Universitftt Erlangen.« Heidelbeig, Druck G. ReicbanL
Auf der Naturforscherversammlung in Bonn 1857 erregte K. durch seine
wohlgelungenen E.xperimente in der Sektion für Anatomie und Physiologie
bei Unterbindung der Hauptschlagadern am Halse des Kaninchens bei dorn
Anatometi Gerlach aus Krlangen lebhaftes Interesse. Auch der persönliche
Umgang mag mit beigetragen haben, daü K. durch Gerlachs Einfluß bald darauf
an die innere Klinik zu Erlangen berufen worden ist als Nachfolger Dittrichs.
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KttSmauI.
Von da an nahm K.s Lebensganp: einen ruhigeren Lauf mit weniger
Sorgen und Erlebnissen, aber immer reich an innerer Arbeit und Merksteinen
seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Die Arbeiter der Fürther Spiegclfabrik
haben ihm in der Erlanger Klinik wohl Anlafi gegeben zu den »Unter-
suchungen über den konstitutionellen Merkurialismus und sein Verhältnis zu
konstitutioneller Syphilis. 1861. Würzburg, Stahel. S. 434. Von hier aus
weitere Arbeiten:
1S63. Über geschlechtliche Frühreife. WQnburg, »Medizinische Zeitschr.« Bd. 3
8.321. — 1S63. Beitrage zur Anatomie und Pathologie des Hamapparatcs : i. Über die
Diagnose der J^ktkitis ittttreuhm der Hamwege; a. Marloeliwanim der linken Niere bei
einem Knaben von 3'/i Jahren; 3. Hydronephrosis durch Kreuzung des rechten Urether mit
einer überzähligen Nicrenartcrie; 4. Pynnophrosis mit großer Ausdehnung der Niere;
S. Morbus Brightti mit zehnjähriger Dauer; 6. Zur Lehre vun der ParapUgia urinaria;
7. Zellen mit kemUinlichen und schleinkttrperiihnlichen GebOden in Qurem Innern bei
Blasenkatarrh einer Ikterischen. Gallenfarbstoffkrystalle in diesen Zellen und den Schleim-
kitrperchen tics Sediments. Anhang .lA'r/'f/r Addisnnii. \Vür/hiirg, »Modiz. Zcitsclir.« Hd. 4
^. 44^'. — 1862. Rheumatismus articuiaris init fubcrcuiosü miiiaris. Ebenda Bd. 5 S. 61.
Schon 1863 wurde K. von Erlangen in sein badisches Heimatland zurück-
berufen und zwar an die Universität Freiburg, wo er im Frühjahre 1863 die
Übernahme des Lehrstuhls für innere Medizin und der Klinik durch eine
akademische -Antrittsretle einweihte ül)er: nlie Entwicklungsphasen der exakten
Medizin (1866 bei Wagner in Freiburg im Druck erschienen); gleichsam als
>£inlcitung für die ruhmreichen klinischen, diagnostischen und therapeutischen
Arbeiten aus der Freiburger Zeit«.
Neben seinen Vorlesungen und literarischen Arbeiten wurde K. hier mehr
iin<l mehr durch Konsultationspraxis in Anspruch genommen; es war besonders
das badische Markgräfler Land mit seiner wohlhabenden Bevölkerung, das
ihn um Rat und Hilfe anging; mehr und immer reicher entwickelte sich K.
als der so geistreiche Arzt, so gediegene Forscher und vortreffliche klinische
Lehrer.
Seine erste Publikation zu Freibarg: 1864 erschien in der »WQrzburgrer Medizinischen
Zeitschrift« Bd. 5 S. 310: Zur Diagnose der Erabolie Agx Arttriae ni^ .u n(, r:\-<ii-. — 1865. Ober
den Schnupfen der Säuglinge. »Zeitschr. für ration. Med.«, von Henlc und Pfeufcr, Bd. 23
S. 235. — 1865. Über angeborene Enge und Verschluß der Lungenarterienbalm. Ebenda
Bd. 26 S. 99— 1 79. — 1866. über eine bisher nicht beschriebene eigentamliche Arterien-
eikrankung {JWiarUriiit nodosa) die mit Morbus bri^htii und rapid fortschreitender, allge-
meiner Muskellähmung cinhcrgolit. »Deutsches An hiv f. klin. .Nlcdizin« Bd. 1 H. 5 S. 448
und flf. — 1867. L'ugewöhjilich grolic vereiterte Echinokokken-Geschwulst der Leber durch
Punktion geheilt mit ZorOcklassung einer Fistel. »Berl. Min. Wochenschr. Nr. 52 S. 543. —
1868. Zwei seltene Beobachtungen von tödlich verlaufenen Leberabszessen. Ebenda Nr. la
S. 129. - iSTjS. Eitrige BliTi' rrhfie mit sarkiger F'rwiittTung der Zellcngilnj^e der Leber
ui zahllosen iloblräumen, hervorgerufen durch ein Konkrement im Ductus fupaticus.
»Klin. Wocheiuchr.« Nr. 20 S. 213. — 1868. Sechzehn Beobachtungen von Thoraco<»ntesis
bei Pleuritis Empyem und Ptoeumofhomx. »Deutsche« Ardiiv flir Uin. Med.€ Bd. 4 H. i S. 1
und 173. — 186S. Epidemie diir. h \'ergiftung mit Schwartcnmagcn in Lahr und Umgehung.
ISbenda H. 5 und 6 S. 455. — 1868. 21. Juli \ ortrag in der naturforschendcn Gesellschaft
m Freiburg »Uber Magenspiegelung«. — 1869. Ober die Behandlung der Magenerweiterung
durch eine neue Metiiode mittelst der Magenpumpe. Freiburger Prorektonitsprogramm zur
nc^urt-itagsfcier des Croßhcrzdgs Friedrich von Baden. Im wesentlichen bereits vorge-
tiagcn auf der \'ersammlung deutscher Naturforscher und Är/.tc in rrnnkfurt a. M. 1867.
»Arch. f. klit). Med.« Bd. 6 S. 455fl". — 1870. Zwanzig Briefe über .Menschenpocken- und
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S90
KuBmaul.
Kubpockcnimpfung. Gemeinverständliche Dax:>tcllung der Iinpffrage. Freiburg i. Ii., Wagner.
VIII and 117 S. — 1871. Ober rheumatischeii Tetanus und rhenmatisciie KrSmpre, welche
mit Albuminurie verlaufen. »Herl. klin. Wochenschr.« S. 485, 497, 5l3tind5a5. — 1872.
Zur I^elire vun der Tct.-inii;. Khcntla S. 441. — 1S72. Zwei F;ilk' von spontaner allmäh-
licher Verschließung groücr Halüarterienstämute. »Deutsche Klinik« Nr. 50, 51. — 1S72.
Zur pttdiologUchen Anatomie des cbioniscben Satumismus. »Deutsch. Arch. f. klin. Med.«
Bd. 9 S. 283. — 1S73. Über fortschieitende Bu]bitr])aralyse und ihr Verhältnis zur pro-
gressiven Muskcl:itrophie »\'ulkmanns Samiiiluiig; klinischer Vortrüpe, innere Med.« Nr. 20. —
1873. Über schwielige Mediiistiou-Perikarditis und den paradoxen Puls. »Berl. klinische
Woehensebr.« S. 433, 445, 461. — 1.S73. I ber eine abortive Fonn des Tetanus. »Deutsch.
Aich, t klin. Med.« Bd. 11 S. 1. — 1874. Zur Lehre vom Diabeiea mdliitu. Über eine
cij^L-Mtiiniürhc 'IVidc^art bei Di.ibctischcn. Ütier Aoetonämie. Über Glyzerinbchnndlungf des
Diabetes und llin>[)ritzungcn von Diastase ins Blut bei dieser Krankheit. »Deutsch. Arch.
für klin. Med.« lid. 14 S. i und ff. — 1877. Die Störungen der Sprache. Versuch einer
Pathologie der Sprache. Anhang Bd. la, »Handbuch der spesiellen Pathologie von Ziemssen«
1885 S. 299.
Mit allen Kenntnissen des medizinischen Wissens, der Gesundheitspflege
wie der Heilkunde auf ihren s.nintli« licn Gebieten ausgerüstet, hat sich K. mehr
und mehr mit inneren Krankheiten befaßt, dabei jedoch alle neuen Krtrcb-
nissc der Forschung mit dem größten Interesse verfolgt. Von alten bewahrten
Heilmitteln hat er sich nicht vornehm abgewendet, ist aber durchaus modern
geblieben und war völlig auf dem laufenden. Als Arst am Krankenbette war
er an Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit ein vollendetes Muster für seine
Schüler.
K. kannte keine Grenze zwischen innerer Medizin und Chirurgie; beide
sollen nicht neben-, sondern miteinander wirken; und so hat er stets mit den
Chirurgen an den Hochschulen das schönste \'erhältnis gesucht, gepflegt und
aufrecht erhalten, so in Freiburg mit Czerny, der in diesen Jahren dorthin
berufen worden war, und in StraOburg mit Lücke. Mit Czerny wurde und
blieb er noch dadurch aufe innigste verbunden, dafi Czerny in Freiburg K.s
zweite Tochter als Gattin heimgeführt hat. Wenn ein klinischer Lehrer immer
ein Forscher sein soll, so ist K. dieser Anforderung in vollem Sinne gerecht
geworden; dabei war er ein guter Beobachter der Natur, wobei er ohne vor-
gefaßte Meinung die Erscheinungen der Außenwelt sorgfältig prüfte. lk*i
seiner großen Sicherheit in der Diagnose und Prognose, sowie bei seinem
sorgfältigen dkerapeutischen Verfahren unterstützte ihn sein gesunder Optimis»
mus. Im Jahre 1878 folgte K. einem Ruf an die Universität Stiaflburg an
Leydens Stelle. Auch hier entfaltete er eine reiche Wirksamkeit und hat bei
seinen Kollegen wie bei seinen Schülern in hohem Ansehen gestanden. \\'ohl
seilen ist ein Lehrer von seinen Schulern so dankbar verelirt worden, wie
K.; eine große Anzahl von Ärzten und Lehrern an Hochschulen gedenken
fort und fort mit besonderer Liebe ihres berühmten, treuen Lehrers. Als
Vorsitzender des Verwaltungsrats des sehr reichen Spitalfonds, als Lehrer und
Forscher war K. auch hier eine gewaltige Arbeitslast auf die Schultern gelegt.
Zudem hatte sich bei Zunahme seines Rufs auch die konsultative Pra.xis sehr
ausgedehnt; nicht nur, daß sein Rat in .Straüburg viel aufgesucht wurde; er
sah sich zu vielen Reisen nach allen ieilen Deutschlands, nach Frankreich,
der Schweiz, Oberitalien veranlafit und wurde viel von Russen und Ameri-
kanem konsultiert. Von hier aus ist er auch dem Großherzog Friedrich von
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Kufinuiul.
Baden und ebenso dem Erbgroüherzog in schwerer Erkrankung liiltreic h beige-
standen, von wo K. als besonderes Zeichen der Anerkennung einen hohen
Orden and den Titel »Geheimrat« erhielt. Auch vom Fürsten von Montenegro
ist er In Heidelberg mit dem höchsten dordgen Orden ausgezeichnet worden,
nachdem er die Fürstin in Fleidelberg behandelt hatte und diese nach einer
von Czemy ausgeführten Gallensteinoperation glücklich genesen war.
Aus der Straßburgcr Zeit datieren die Publikationen:
1878. Über direkte Faradisierung des Magens. »Aich. f. Psychiatrie und Nerven»
knmkheitenc Bd. 8 S. ^5. — 1S79. Anfallsweise anftreteikle Speicbdgeschwulst infolge
nm chronischer eitrig-fihrinttser EntzOndung des Stenonschen Gangs. »Berl. klin. Wochen-
schrift« S. 209. — 1879. Dr. Hcnedikt Stillinfj, < Icdiu litni^redc, gehalten zu Baden-Baden,
18. September 1879. K, J. TrUbncr, StraOburg. — 1880. Ein Fall von multiplen Gliomen
in der Ceiebrospinalaidise vntcifaalb der GroBstimschenkel. »Archiv f. Psychiatrie« Bd. 11
S. 261. — 18S0. XKaparistalltisdie Unruhe des Magens, nebst Bemerkungen Uber Tiefstand
und Erweiterung desselben. Klatsch <.:ir;ni> Ii i:n<! Galle im Magen. »VoUonanns Sammlung
klin. Vortrüge« Nr. j8i S. 1637 — 1074. — 18.S2. Cber die Regulierung der Lautsprache
durch den l'astsinn. »Arch. f. Psychiatrie« Bd. 13 S. 712. — 1883. Erinnerungen an Nikol.
Friedreich, f 6. Juli 1883. »Deutsch. Arch. f. klin. Med.« Bd. 32 S. 191. — 1887. Auf der
Wandervcrsammlung der Neurologen in Straßbujg, Demonstration von Nervenkranken,
Anjjeljorcne Athclose bei einem zehnjährigen Mädchen. Kontraktur und Atrophie beider
Cnterschenkcl nach Typhus. »Arch. f. Psychiatric« Bd. 12 S. 2S9.
Das fortüchreitende Leiden seiner Frau, wtjlil auch das Bedürfnis nach
etwas Ruhe hat K. veranlafit^ seine Zuruhesetzung nachzusuchen, die ihm
auf Ostern 1888 gewahrt worden ist Eine alte Anhänglichkeit an diese Stadt,
sowie iler Umstand, daß inzwischen sein Schwiegersohn Czemy an die Uni-
versität Heidelberg berufen worden war, zog ihn nach Heidelberg, wo er sirh
schon zuvor das Haus von Kuno I i.s< her gekauft hatte. Kr hatte das Haus
herrichten und durch Anbau bedeutend erweitern lassen; und das war nun
seine Heimat für seine letzten vierzehn Lebens] alue; er fühlte steh in der
schönen Wohnung recht behaglich. Der Blick in seinen schönen Garten und
nach dem nahe gegenüberliegenden waldigen Geisberg gewährte ihm den
vollen Genuß des ewig jungen Wechsels der Jahreszeiten. Der Besuch alter
Freunde und dankbarer Schüler schenkte ilim so manche glückliche Stunde.
Der berühmte Arzt wurde auch hier von Leidenden aller Herreidänder auf-
gesucht und zu häutigen Reisen veranlaßt. In den letzten Jahren freilich
konnte er sich wegen eines Leidens auf keine Reisen mehr einlassen, die ihn
genötigt hatten, mehr als einen halben Tag vom eigenen Hause fem zu sein.
1890 machte er mit seinem Freund Kammacher i Vergnügungsreise nach
Athen und Konstantinopel; wenige Jahre später leinte er Agvpten kennen.
Kaum in Alpxandria angekommen, ist er zum Kriegsminister und in den
i^alast des Khedive zu Kairo beschieden worden. Die Reise zu Schiff den
Nil hinauf bis zu den Katarakten hat K. aufierordentlich interessiert.
Der Grofiherzog von Baden war kaum je einmal in Heidelberg, ohne
K. einen Besuch zu machen; er ernannte ihn auch anfangs der 90er Jahre
zum Geheimrat erster Klasse, I-xzellenz, und hat ihm das Gro&kreuz des
Ordens vom Zähringer Ltiwen verliehen.
Unser Freund ist, von einem lästigen, im Alter häuüg vorkommenden
Leiden abgesehen, körperlich kaum, geistig und gemütlich gar nicht alt
geworden; sein Auge blickte so lebendig und klar wie in der Jugend, der
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392
KuOmauJ.
Humor war kein seltener Gast und sein Gedächtnis für frühere Jahre wie für
Dinge der Neuzeit ist ungeschwftcht geblieben. Seine Schfiler, deren er auch
in Heidelberg nachzog, waren jeweils voll Bewunderung, wie er sich bei
jedem Falle, um den es sich eben handelte, aller Ähnlichen Fälle erinnerte,
die ihm je vorfrekoirimen waren. Wir führen hier an, daß K. längere Jalire
Patienten, die ihn hier aufsuchten, in einer Privatklinik unterbrachte und
solche unter der Assistenz jüngerer Arzte behandelte.
Als Professor emerit in Heidelberg vcröfientlichte K. 1897 Über den
kommissarischen Entwurf zur Revision der deutschen medizinischen Prüfungs-
ordnung (K. Winter, Heidelberg); 1900 Über lange fortgesetzte Anwendung
kleiner Digitaüsdoscn. (Therapie der Gegenwart.) Zwei Abhandlungen von
Prof. l'lciner sind Kurtnethoden gewi(hiiet, die K. in praxi in Aiuvenduno^
brachte und zu deren genauerer physiologixlier Begründung und Ver()tfent-
lichung er Fleiner aufforderte: 1893 Über die Behandlung der Konstipation
und einer Dickdarmaffektion; 1893 Über Behandlung des Ulcus tfeniriaiü mit
grofien Wifimutdosen.
Ks sei noch erwähnt, dafi 96 Abhandlungen in Zeitschriften und Inaugural-
dissertationen auf K s Anregung und unter seiner Mitlieteiligung von seinen
Assistenzärzten und St hülern geschrict)cn worden sind.
Nicht nur die \\ issenschaft, das ganze Kulturleben hat er mit Aufmerk-
samkeit verfolgt, auch in den Erscheinungen der sogenannten »schönen
Literatur« hat er sich völlig auf dem laufenden eriialten Ja seine alte
Liebe zur Poesie ist bei ihm in seinen letzten Lebensjahren wieder schöpferisch
erwacht. Sprechendes Zeugnis hierfür sind seine '>Jugcnderinnerunpcn eines
alten Arztes (Stuttgart, Bonz u. Komp.), die von iHqq bis 1902 fünf .Auflagen
erlebt h.Ujcn, ein Buch von 496 Seiten, das sich viele aufrichtige Freuinie
gewonnen hat. Kine Fortsetzung dieses Werks, »Aus meiner Dozentenzeit",
hat 1903 Czemy herausgegeben (Bonz u. Komp., Stuttgart). Am 25. Januar
1898 ist K.s Gattin von ihrem langen Leiden erlöst worden. K. hat diese
treue Lebensgefilhrtin, diese in glücklichen Tagen so fröhliche, in sor^ren-
vollen Zeiten so entscldossene, mutige Frau durc h das ganze Leben dankbar
verehrt und in ihren Leidensjahren mit einer wahrhaft groüartigen Sorgfalt
gepüegt. Der Gedanke an das Leiden und den Heinigang seiner guten Frau,
wohl auch an die eine und andere Sorge, hatte in den letzten Jahren eine
gewisse Wehmut in ihm wachgerufen, neben der jedoch immer auch eine
wohltuende, abgeklärte Heiterkeit zu wohnen vermochte. In dieser Stimmung
hat er wohl seinen Jugenderinnerungen als Motto die Worte an die Stime
geschrieben:
»MuBt du Gnun im Henen tragen
L'nd des .Mtcrs scliwere Last,
Lade dir aus alten I nfren
Die Erinncruug zu Gast.«
Alle, die R. kennen zu lernen das Glück gehabt, stimmen in voller
Überzeugung darin überein: Klarheit des Geistes, Fnergie des Willens, Güte,
Treue und Wärme des Herzens, — Noblesse der Gesinnung, biedere Wahr-
haftigkeit, selbstlose Bescheidenheit, — dazu rastlose Arbeit, unermüdlicher
Fleifl und unvergleichliche Gewissenhaftigkeit sind die Signatur seines ganzen
Lebens gewesen. H. Strübe.
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Huendever.
393
Hasenclcver, Robert, Dr. Ing. honoris tuusa, Kgl. preußischer Komnurzicn-
rat, Generaldirektor der Chemischen Fabrik »Rhenania«, Aktiengesellschaft,
* 28. Mai 1841 zu Burtscheid bei Aachen, f 23. Juni 1903 in Aachen. — An
dem gewaltigen Au&chwung, den Deutschlands chemische Industrie in dem
verganpeiu-n Jahrliundert genommen, hat H. ganz hervorragenden Anteil.
Galt H.s J.cbcn uiul Wirken vor allem der von ihm geleiteten Falirik, so ist
(loch seine Tätigkeit auch der Allgeineinlieit zugute geknnnnen und hat dazu
beigetragen, Deutüchlands (irolJindustrie vom Ausland unabhängig zu machen.
Als Mitbegründer und langjähriges Vorstandsmitglied des »Vereins zur Wah-
rung der Interessen der chemischen Industrie Deutschlands« hat H. an den
Verhandlungen desselben stets lebhaften Anteil genommen und seine Sach-
kenntnis, besonders in Patent- und Zollfragen, in den Dienst der Allgemein-
heit gestellt. In der Vereinszeitschrift »Die chemische Industrie veröffent-
lichte H. regelmäßige Berichte und Rückblicke über einzelne Zweige der
chemischen Grofiindustrie, die die große Erfahrung und den praktischen Sinn
ihres Verhissers verrieten. — H. hatte seine wissenschaftliche Ausbildung an
der Technischen Hochschule Karlsruhe, seine praktische in verschiedenen
clicmischen Fabriken und Hüttenwerken empfangen. Bereits 1864 trat H.
aU Betriebsleiter in die chemische Fabrik »Rhenania«, Aktien-Cesellsrhaft, ein,
die von seinem \'ater, dem Apotheker Dr. Friedrich Wilhelm Hasenclever
1852 unter der Firma Hasenclever u. Komp. gegründet und vier Jahre darauf
in eine Aktiengesellschaft verwandelt worden war. Nach dem Tode seines Vaters
übernahm H. Dezember 1874 die Generaldirektion der »Rhenania«, die sich
unter sc iiicr Leitung alsbald zu einem Großbetriebe ersten Ranges entwickelte.
Die Fabrik war ursprünglich als Sodafabrik tkk h tk-ni I .eblancschen X'erfahren
angelegt und gewann auch als sojt he einen für die damalige Zeit ganz l)e-
deutcnden Umfang (Hochstproduktion 1888 : loooo t Leblancsodaj; infolge der
zunehmraden Konkurrenz der Ammoniaksodafabrikation in Deutschland legte
die Fabrik aber bald den Hauptnachdruck auf die von ihr zuerst unter*
nommene Gewinnung von Schwefelsäure als Nebenprodukt beim Rösten von
Zinkblenden. Dieses Problem, den Schwefel der Zinkblenden in nutzbringender
Weise als Schwefelsäure zu verwerten, ist erst durch H. in der Rhenania«
dadurch gelöst worden, daß die Apparatur bis ins einzelne vervollkommnet
wurde. Überhaupt kann die »Rhenania« das Verdienst für sich in Anspruch
nehmen, unter H. und seinen Mitarbeitern eine Reihe von chemischen Fabrikations-
prozessen, die in Deutschland nicht lohnend schienen, wie der Hargreaves-
prozeß zur Gewinnung von Sulfat, der mechanisclie englische Drehofen und
das Dea< ()n-("hlorverfahren, in großem Maßstabe durchgeführt und rentabel
g^estaltet zu haben. In Würdigung dieser hervorragenden \'erdienste um
Deutschlands chemische Industrie wurde H. 1895 vom "Verein zur Beförde-
rung des Gewerbefleifies« die Delbrück-Medaille verliehen, als dieselbe zum
ersten Male einem Vertreter der Chemie zuerkannt werden sollte. Beim Ober-
reichen der Medaille hob der Staatsminister Delbrück vor allem anerkennend
her^'0^, daß H. sich stets l)emüht habe, Konflikte zwischen der Technik und
dem Leben zu heilen und durch seine l'ntersuchungen und \'eröffentlichungen
über »Beschädigung der Vegetation durch saure Giise >, »Rauchschäden ' etc.
dazu beigetragen hat, widerstrebende Interessen miteinander auszusöhnen.
1903 erhielt H. von französischen Chemikern die Berthelot-Medaille, doch
394
Hasenclever. DUminler.
schätzte H. voti all den vielen Ehrenbezeugungen, die ihm zuteil gewordeti,
am höchsten seine Ernennung zum Dr. ing. honoris fouse durch die Karls-
ruher Hochschule, bei der er seine wissenschaftliche Ausbildung einst er-
halten hatte. Seit Ende der achtziger Jahre las H. an der Technischen Hoch-
schule zu Aachen »Über kaufmänniche Buchführung für Techniker«; seine
W-röffentlichungen in Dinglers ».Polytechnischem Journur , in Die chemische
Industrie , Zeitschrift Dcutsrhor Ingenieure und anderen Fachjournalcn,
beziehen si( h zumeibi auf teiii tci hai>che Fragen, Verbesserungen an Röstöfen,
£indan)|>i|it.iunen, Vergasungsapparaten, Salpetersfiure&fen usw.; in andern Ab-
handlungen beschäftigte sich H. mit der Ausbildung der Chemiker, mit kauf-
männischen und zollpolitischen Fragen, mit Rauchschäden, den Gefahren für
Arbeiter und dergleichen. — H. war persönlich eine liebenswürdige, ange-
nehme Pers()nlic hkeit ; Industrie und \ creine suchten und fanden in H. einen
höchst geeigneten, gewichtigen \ ertreter ihrer Interessen bei Konferenzen
und Kongressen. Ein Hersleiden zwang H. in der letzten Zeit manchmal
zur Ausspannung, bis ihn ein plötzlicher Tod mitten aus wieder aufge-
nommener Arbeit seinem großen Wirkungskreis entrifi.
Biof^raphien: »Die chemische Industrie« iQo;, \r. 25. S. 34I — 343 und »Zeitschrift für
angewmndte Chemie« 1902, S. 797 — Soi, von K. Quincke (mit Poitiit). W. Roth.
Dümmlcr, Ernst Ludwig, >) Vorsitzender der Zentraldirektion der Mtmw
mittta Germamat Aisüfrica in Berlin (seit x888), Geheimer Oberregierungsrat
II. Klasse (1898), Inhaber des Roten Adlerordens IV. Klasse (1879), III. Klasse
(1887), des königlich preußischen Kronen-Ordens II. Klasse (iqoi), des
krMu;:li(h bayerischen \'erdienstor(lens des heiligen Michael II. K lasse ( 1902) ;
Khit'iidoktor der Rechte in Wür/lmru der Philosophie in Krakau
(1900); Mitglied der historischen Kommission bei der Königlich bayerischen
Akademie der Wissenschaften in München (außerordentliches 1863, ordent-
liches 187 1), des Verwaltungsrates für das Germanische Museum in Nürnberg
(1875) ; Ehrenmitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien
(1902, korres]>ondierendes 1S75); Mitglied der Königlichen Gesellschaft der
Wissenschaften in (löttingen (1.S67), der Königlich bayerischen Akademie der
Wissenschaften (1871), der Königlich preuliischen Akademie der W issenschaften
in Berlin (korrespondierendes 1882, wirkliches 1889), der AcatUtme Royale des
Sciences, des Lettres et des Beaux Arts de Belgique (1891), der Accadema dei Lmcei
in Rom (1896), Correspondmt de V Institut de France (1900); Mitglied (oder
Ehrenmitglied): des Vereins für südslavische Geschichte und Altertümer in
Agram {1855), des thüringisch-sächsischen descliichts- und Altertumsvereins
(1856, PLhrenmitglied seit 18.S8), des Künstlervereins für Bremische Cieschichle
(1867), des historischen Vereins für St. Gallen (1868), des Harzvereins für Ge-
schichts- und Altertumskunde in Wernigerode (1868), des Vereins für Geschichts-
und Altertumskunde Erfurts (1875)» des historischen Vereins für Steiermark
(1876) , der allgemeinen geschichtsforschendcn Gesellschaft der Schweiz (1875),
des Königli( h sächsischen Altertumsvereins (iSSs;), der Gesellschaft für lothrin-
gische Geschii hte (iSq^I, des Vereins für siebenbürgische Lantleskunde (i8q8);
* am 2. Januar 1830 in Berlin, f am n. September 190J in Friedrichroda.
0) Totenlifte 1902 Band VII 25*.
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Dflminlcr.
395
D.s Vater, Ferdinand, der Besitzer der nach ihm benannten Berliner Buch-
handlung, stammte aus Battgendorf bei Kölleda in Thüringen, die Mutter,
Karoline Friederike, war die Tochter des Pastors Reinhardt in Krakau bei
Magdeburg, die Schwester der Gemahlin Georg Andreas Reimers. Dem Vater
war es gelungen, sich zu angesehener Stellung und festbegrfindetem Wohl-
stande emporzuarbeiten. In eng geschlossenem Familienkreise wuchs der
etwas schwächliche Knabe heran, zuerst von den älteren (»esclnvistern, s{)äter
von einem Privatlehrer unterrichtet. Nach tlem Beispiele der Mutter las er
viel und ohne Wahl, wodurch er allerdings den ihn\ innewohnenden Hang
zu Träumereien und romantischen Phantasien nährte, aber auch das stets
lebendig erhaltene Gefühl für alles Gute und Schöne erweckte. Auf der von
F. Zinnow geleiteten Stadtschule, die er von seinem elften Jahie an besuchte,
fesselte den Knaben namentlich der von dem Vorsteher selbst erteilte l^nter-
richt in Religion und Mathematik, ferner der iti der (ieschichte, endlich er-
warb er sich schon in dieser Zeit die Herrschaft über den schriftlichen Aus-
druck, in der Muttersprache. Wie diese Anfänge zeigen, wurde D. keineswegs
für den Gelehrtenstand vorbereitet, für den er auch keine besondere Neigung
bekundete; nur dem Zufalle, dafi er an der Gewerbeschule, die er zunächst
besuchen sollte, keinen Platz fand, war es zuzuschreiben, daß er in die Ober-
tertia dos unter Bonnells Leitung stehenden Friedrichs- W'erderschen Gymna-
siums eintrat. Mit rastlosem Eifer holte er nach, was ihm an X'orkenntnissen
fehlte, bei allen» Meiße aber stand er dem, was er aufzunelunen hatte, mit
voller Selbständigkeit gegenüber; namentlich suchte er, ein wohlerwogenes
Urteil über die klassischen Autoren zu gewinnen, weder an Cäsar noch an
Livius, eher an Ovid, vor allem aber an Xenophon fand er Geschmack. Der
Emst seines Wesens wurde durch das häusliche Unglück, das er in diesen
Jahren zu ertragen hatte, verstärkt. V ier seiner Geschwister waren gestor!)en,
zwei andere hatten schwere Krankheiten zu überstehen gehabt, am 30. Dezember
1845 schied die ihm besonders teure Mutter, am 15. März des folgende
Jahres der Vater aus dem Leben. Nach dessen Tode fand D. Aufnahme bei
den Verwandten der Mutter in Krakau um! von hier aus besuchte er das
Magdeburger Domgymnasium, das ihn chirch den fast ausschließlichen Betrieb
der klassischen Sprachen abschreckte und wegen der Rückschritte, die er in
den anderen Gegenständen, namentlich im Französischen zu machen glaubte,
besorgt machte, ihm aber doch zu einer besseren Würdigung Vergils und
Homers veriuüf. So fühlte er sich wieder wohler und freier, als er, an die
Berliner Anstalt zurückgekehrt, bei gleichmäfitgerer Berücksichtigung aller
Wissensfächer die Früchte des Magdeburger Humanistenfleißes verwerten
konnte. Bei allem Frnste, mit dem er das Wesen der antiken Schriftst<'ller
zu erfassen suchte, wandte er die größte Sorgfalt, eine fast leidenschaftliche
Liebe der deutschen Sprache zu, die wie einst die griechische, die Größe
and Macht des eigenen Volkes zu verbürgen schien, strenge war er darauf
bedacht, sich keine latinisierenden Wendungen anzugewöhnen, und unab-
lässig bemüht, zu erreichen, w:is ihm als dn^ Ii u liNtr galt, gut deutsch zu
schreiben, wobei er sich als Muster die Sprache CJoetlies vor Augen hielt.
Mit warmem Dankj^efühl hebt er die nachhaltige FörLleriuiL; hervor, welche
ihm durch den Unterricht in der Philosophie zuteil wurde, die er allerdings
nicht so sehr von der historischen oder technischen als vielmehr von der
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39Ö
DUmmler.
ethischen Seite erfaßte, als die Fähigkeit von deni Wechsel der Dinj^e unab-
hängig zu werden, die l-eidenscliaf'teii zu überwinden, sich zu jener auf
wissenschaftlicher Erkenntnis des Allgemeinen gegründeten Seelenruhe empor-
zuringen, die ihm mehr Bewunderung zu verdienen schien als der kühn zu-
greifende Mut großer Helden. Diese Auffassung, aus einer Vereinigung
antiker und Goethescher Ideen entstanden, bestimmte auch sein Verhältnis zur
Religion, das jedoch trotz seiner Neigung zur Selhstbetrachtiing und f'.rübeici
nicht so sehr einen mystischen als vielmehr einen stark ratii)nalistis< iicn Kio-
schlag erhielt. Den tiefaliren, die in der rein vernunftmaliigen Beurteilung
der Religion lagen und die ihm keineswegs entgangen waren, suchte er, hierin
vielleicht doch von Piaton, der im übrigen keine Saite seines inneren Wesens
erklingen liefl, beeinflußt, durch rias Bestreben zu begegnen, mit allen Kräften
der Allgemeinheit zu nützen. Äußert sich in der unablässigen, geistigen
Selbstzucht ernste männliche Kraft, so auch darin, daß der Jüngling sfinen
schwächlichen, zarten Körper durch Leibesübungen, geregelte Leben>weise
und Abhärtung zu stfihlen verstand. Am 21. März 1849 erhielt er das Zeug-
nis der Reife, das, ungleich verständiger angelegt und viel aufschluflreicher
als die mechanischen, nichtssagenden Klassenlisten unserer Zeit, durchaus
den Richtungen entspricht, in denen sich sein ( leisiesleben bewegte, und die
er mit klarer Objektivität in einem damals abgefaßten, aber erst nach dem
Jahre 1888 neuer{lings niedergeschriebenen und mit Zusätzen versehenen
Lebenslauf umrissen hat. Am 27. April wurde er in Bonn immatrikuliert,
noch im selben Jahre starb sein letzter Bruder in Berlin an der Cholera, so
dafi er jetet ganz allein stand. Nach Bonn war D. allerdings mit dem Voi^
haben, Philosophie und Geschichte zu studieren, gegangen, aber tatsächlich
schien er sich noch kein l)estimmtes Ziel gesteckt zu haben, da er vorerst
Jura. i>hiloIogische und historische Studien betriel». Erst an der berliner
l niversität, die er im Winterhalbjahr 1850 bezog, kam die bisher verhüllte
Neigung zur Geschichte zum Durchbruch und von da an richtete er dement-
sprechend seinen Studiengang ein. Im ersten Halbjahre wog noch die Rich-
tung auf das Allgemeine vor, er hörte Vorlesungen bei Curtius, C. Ritter,
Homeyer, aber auch bei Ranke, vom zweiten Halbjahre an beschränkte er
sich mehr auf die historischen Studien. Namentlich an Wilhelm Wattenbach,
der im Jahre 1851 seine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität eröffnete,
schloß er sich eng an; neben dessen Vorlesungen hatte er auch die Trende-
lenburgs, Böckhs und Rankes belegt, sich an des letzteren Übungen beteiligt.
Schon in dieser Zeit hat D. sich das wissenschaftliche Ziel gesetzt, dem er
fortan seine ganze Kraft widmete, die Erforschung des karolingischen Zeit-
alters. Von vornherein kam es ihm auf möglichste Sicherheit der wissen-
schaftlichen Erkenntnis, die allseitige Durchforschung des gewählten (iel)ietes,
die besondere Beachtung der geistigen Kultur an. Ein starkes, geläutertes,
bei aller Selbstbescheidung stolzes Nation algefühl, verbunden mit einem
scharfen Blicke für die Ertragfähigkeit des zu bearbeitenden Gebietes, veran-
laßte ihn. sich zuerst den deutschen Karolingern zuzuwenden. Mit einer
gewöhnlii he Dissertationen weit überragenden Arbeit, der Ranke gewidmeten
Commcittatio histor'ua de Arnulfo, I-raih i>rtini nxc in der er nanientlic h auch
den Wert der Urkunden für die Ergänzung und Sicherung der erzählenden
Berichte betonte, erwarb er im Jahre 1852 den Doktoi^prad. Sein Vorhaben,
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Dttmmler.
397
durch sor^f^ainste Feststellung der Einzelheiten, (hir( h Zurückgehen auf die
beste Überlieferung urkundlicher und erzahlender (^)uellen die unerliUJliche
Grundlage für die geschichtliche Darstellung zu gewinnen, führte ihn eigentlich
gegen seine innere Neigung denn doch zu vorw'iegend philologischer Arbeit
und sollte gleich anfangs seinen Lebensgang gans unerwartet beeinflussen.
Auf einer Reise nach Rom, die ihm neue Quellen erschließen sollte, nahm
er in Wien Aufenthalt und hier lernte er im Hause des Vizepräsidenten der
Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Theodor von Karajan, Kniilie
Gruber, die in Gmunden geborene Nichte der I rau Rarajans, kennen. Die
beiden fanden sich rasch, der ganz unabhängig gestelhe junge Doktor gab
die Romfedurt auf, schon im Jahre 1855 fand die Hochzeit statt Und noch
in anderem Betracht wurde der Wiener Aufenthalt für ihn folgenreich.
Durch die persönliche Verbindung mit ilem österreichischen Boden und den
Rat Wattenbachs angeregt, widmete sich I). der (Ieschi< hte der österreichi-
schen Landschaften in der Zeit der Karolinger und wurde im Verein mit
dem JLehrer und Freunde einer der Begründer wissenschaftlicher Erforschung
der älteren österreichischen Geschichte. Aus der Reihe der Studien, die
diesem Gegenstande gewidmet sind, ragt das Buch über Piligrim v. Passau
hervor, in dem er als einer der ersten eine Gruppe inhaltreicher Fälschungen
aufdeckte, ein Muster für die Behandlung derartiger Fragen aufstellte unti
flie wichtigsten Aufschlüsse über das \'erhalten fies deutschen Reiches und
der deutschen Kirche gegenüber dem neu entstehenden ungarischen Staats-
wesen darbot. Die an W. Wattenbach gerichtete Widmung ist bedeutungs-
voll durch die scharfe Hervorhebung des Gegensatzes zwischen der an die
Überlieferung im allgemeinen sich haltenden Richtung und dem kritischen
(»efühle. ^welches derjenige sich wohl zutrauen mag, der mit unbefangenem
Sinne nach Wahrheit forscht und die echte (M)erlieter\uig hei/.iistellen sucht <,
sowie durch den darin ausgesprochenen Wunsch, daü die Münze, in der er
und Wattenbach Osterreich ihren Dank entrichten, auch dort als gültig und
▼ollgewichtig in Umlauf komme«. Auf Grund einer Darstellung der Geschichte
Böhmens im karolingischen Zeitalter habilitierte er sich am 18. Dezember
1854 in Halle. Von nun an verbindet sich mit tier unablässig geförderten
wissenschaftlichen Arbeit eine wohlüberlegte, sehr ersprieliliche Lehrtätigkeit.
Als er im Jahre 1857 den Vorschlag Sybels, im Auftrage der historischen
Kommission bei der Königlich bayerischen Akademie die Herausgabe der
Reichstagsakten zu übernehmen, wobei ihm eine Honorarprofessur an der
Münchener Universität zugesichert wurde, ablehnte, wurde er im folgenden
Jahre zum außerordentlichen Professor ernannt. Zugleich übertrug Ranke
dem ihm in treuer Verehrung ergebenen Schüler die Bearbeitung der (be-
schichte der deutschen Karolinger für tlie Jahrlnicher deutscher (Icm hichte,
welchem Auftrage D. in glänzender Weise durch die Geschichte des ostfrän-
kischen Reiches entsprach, deren zwei Bände in den Jahren 1863 und iSü^
erschienen. Meisterhaft hat D. es verstanden, in diesem Werke, für das es
vielfach an entsprechenden Vorarbeiten fehlte, zu zeigen, was er wollte und
konnte, wie viel neue Aufklärung und gesi( herte Frgebnisse auf dem von ihm
eingeschlagenen W ege zu erreichen seien. Mit Recht wurde die (les( hi( lue
des ostfränkischen Reiches, die Ranke als eines von den Büchern rühmt, «aus
welchen man in der Tat etwas lernt; durchaus gründlich, dem Stoff an>
^ 398
DOmmler.
gemessen geschrieben, eine wahre Bereicherung unserer Literatur«, am 14. März
1866 fhin h den Wedckindscheii Preis für DcuIm he (ieschi( lite, am 27. Januar
1870 durch den Verdunprcis ausgezeichnet, der Verfasser im Jahre 1866 durch
die Ernennung zum ordentlichen Professor geehrt.
Mit diesem Werke war die Grundlage geschaffen, von der aus D. seine
Studien fortsetzte und erweiterte, jetzt treten mit aller Deutlichkeit die Rich-
tungen hervor, in denen si( h fortan seine wissenschaftliche Tätigkeit bewe-
gen sollte. Vor allem war sein Abschen auf die zerstreuten, in ihrer Bedcvi-
tung für die Personengeschii lue und die Geschichte des geistigen Lebens zu
wenig gewürdigten Schriftstücke, Briefe, Gedichte, Formelsammlungen, Toten-
bücher und kirchlich-politischen Streitschriften gerichtet Es entsprach seiner
gewissenhaften Art, dafi er tastend und versuchend von kleinen Anfängen zu
griVfieren Aufgaben vonlrang. Wie sehr sich die mühsame, entsagungsvolle
Arbeit lohnen könne, hat i-r in dem Buche über Auxilius und Vulgarius
(1866), in dem er den Streit über die Rechtniaiiigkeit des l'ap.stes Forniosus
und der von ihm erteilten Weihen mit Zuhilfenahme neuer Quellen beleuch-
tete und den die wissenschaftliche Erkenntnis verhüllenden Versuchen ultra-
montaner Apologetik entgegentrat, in der Ausgabe der Gesto Bereigani im-
peratoris (1871), endlich in der für die Geschichte des Betriebes klassis« her
Studien und des geistigen Lebens zu Anfang des elften Jahrhunderts belang-
reichen Schrift über Anselm den Perij»atetiker (1872) gezeigt. Mit \Vatten}»arh
zusammen boorgte er die von Jaffe vorbereitete Ausgabe der Monuminia
Akmmana (1873) und mit gleich opferwilliger Bereitschaft vollendete er die
von R. Köpke begonnenen Jahrbücher Ottos des Grofien (1876).
Xai hdem Theodor Sickel sich dem Rufe an die in Berlin neu zu errich-
tende Lehrkanzel für mittelalterliche (lest hic lue und historische Hilfswissen-
schaften versagt hatte, war der mit ihm vorgeschlagene I). lüule cles Jahres
1872 ernstlich in Aussicht genommen worden, doch lehnte auch er ab und
empfahl Wattenbach als den hierfür geeignetsten Mann. Schon bei diesem
Anlasse hatten sich in Halle die Gefühle treuer AnhAnglichkeit an ihn geltend
gemacht; als er aber im Frühjahr 1875 als Nachfolger des zum Leiter der
Monumenta Gcrmaniae histonca erwählten Georg Waitz nach Göttingen berufen
wurde, wandten sich die Kollegen, denen sein Abgang als ein unersetzlicher
Verlust erschien, in einem Schreiben voll herzlicher Anerkennung an ihn und
D. gab dieser freundschaftli( hen Vorstellung Gehör. Durch die Wahl zum
Rektor für das Jahr 1876/77 brachte die Universität ihren Dank zum Aus-
druck. Wenn er auch in Halle verblieb, sollte doch seine wissenschaftliche
Kraft durch die im Jahre 1875 erfolgte Berufung in die neu eingerichtete
/.entraldirektioii der Monumenta Gertnaniae histonca und die f^bernahme der
Abteilung .Int'ujuitates dem nationalen Unternehmen dienstbar gemacht wer-
den. Dadurch war ihm Gelegenheit geboten, seit langem Begonnenes und
Vorbereitetes in grofiem Maflstabe zur Ausführung zu bringen. Mit regstem
Eifer, dessen erste Früchte eine Anzahl kleinerer Mitteilungen und die grund-
legende Abhandlung über die handschriftliche Überlieferung der lateinischen
Dichtungen aus der Zeit der Karolinger (1879) waren, widmete er sich der
Ausgabe der Poetac latin't aa'i Citrolint, deren erste Bände in den Jahren 1881
und 1884 erschienen. Daran schloü sich die Neubearbeitung der (ieschichte
des ostfränkischen Reiches. Es war für ihn eine freudige Genugtuung, daß
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Dttminler.
399
dies Buch eine zweite Auflage erlebte, und daO er für diese trotz der in-
zwischen nachhaltig geförderten Kinzelforschung die hauptsächlichen Ergeb-
nisse der ersten beibehalten konnte.
Neben der wissenschaftlichen und akademischen Tätigkeit hatte D. Zeit
gefunden, in volkstümlichen Vortragen weitere Kreise über geschichtliche
Fragen aufzuklären und sich den Angelegenheiten des thüringisch-sächsischen
Geschichtsvereins zu widmen, dessen Geschäfte er seit dem Jahre 1860 als
Vizepräsident und Schriftführer, dann als X'orsitzcnder leitete. Im Verein mit
Opel und Zacher gelang es ihm, den Verein auf neue Orundlagen zu stellen,
ihn in jene Bahnen zu lenken, in denen er sich bis zur Gegenwart mit rühm-
lichem Erfolge entwickelt hat. Auch auf dem Gebiete landeskundlicher
Forschung konnte D. zu höheren Aufgaben fortschreiten, als er den Vorsitz
der im Jahre 1876 errichteten historischen Kommission für die Provinz
Sachsen ül)ernahm. Diese Arbeiten und die \'or!es»mgen, die sich über alte,
mittlere und neuere (ieschichle ausdehnten, l)(»tcn den l)esten Schutz gegen
die (iefahr, die in der Beschränkung der Haupttätigkeii auf einen verhalinis-
inäßig kurzen Zeitabschnitt liegen konnte.
Die nach freier Wahl gestaltete wissenschaftliche Tätigkeit, ein glück-
liches Familienleben, der feste Zusammenhang mit einem gewählten Kreise
treuer Freunde, tlas auf der sichersten Grundlage, der Arbeit, ruhende und
sich stetig mehrende Ansehen, all das machte tlen Aufenthalt in Halle für
D. zum denkbar angenehmsten, und mit Recht sah er sich vor eine schwere
Entscheidung gesteilt, als an ihn die Aufforderung herantrat, die Leitung der
Monumenia Germuüae zu übernehmen, womit die Übersiedelung nach Berlin
verbunden war.
Am 25. Mai 1886 war Georg Waitz gestorben, am 18. Juni zunächst
Wattenbach, den D. schon im Jahre 1863 iH'l)en jenem zum Leiter der
Mtmunufila vorgeschlagen hatte, mit dem zeitweiligen X'orsitz in der Zentral-
direktion bcaultragt worden. Diese vorläuhge Einrichtung lieü sich aber,
trotzdem D. sich eifrig in diesem Sinne bemühte, nicht in eine dauernde
umwandeln; nachdem am 14. November 1887 die Verfassung der Zentral-
direktion dahin umgeändert worden war, dafi der Vorsitzende nicht mehr
von ihr gewählt, sondern nacli Präsentation auf Vorschlag des Hundesrates
vom Kaiser ernannt werden solle, wurde am q. Mai 1888 1). zum \'or-
sitzcnden ernannt. Mit dieser Würde übernahm D. auch die von Watten-
bach aufgegebene Leitung der Abteilung Epistolae.
In der Antrittsrede, die er in der Berliner Akademie, zu deren wirk-
lichem Mitgliede er im Jahre 1888 erwählt worden war, hielt, hat D. sich
über die Schwere seines Entschlusses, über die Bedenken, die er zu über-
winden hatte, ausgcsiirochen. Mochte es ihm zur Freude und zum Stolze
gereichen, in die gelehrte (Gemeinschaft einzutreten, zu der s< hon sein Vater
Wenigstens in geschäftlicher Beziehung gestanden hat, und in der er von
seinen Lehrern Ranke, Wattenbach und Curtius wiederfand, das eine hat er
doch aufs tiefste gefühlt und mit schlichten, ergreifenden Worten geäußert,
dafi er jetzt endgültig dem idealen Ziele seiner Jugend, das er noch nicht
erreicht zu haben glaubte, entsagen inüsse. Wir erinnern uns, welche hohe
Anschauung von dem Werte deutscher Sprache der junge Student gehegt hat,
ihr ist er stets treu geblieben und bei der Bearbeitung der zweiten Auflage
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Dttminlcr.
der (icschichte des ostfränkisihcn Kt'ichcs liattc er sich bemüht, den Stil
»von allen entbehrlichen Fremdwörtern möglichst zu reinigen, wie es die
Pflicht jedes vaterlandsliebenden Schriftstellers erheischt«. Und jetzt hob er
neuerdings hervor, daß ihm als höchste Aufgabe vorschwebte, deutsch zu
schreiben, deutsche Geschichte in deutscher Sprache darzustellen, nicht blofi
FofM her, sondern auch Schriftsteller zu sein. Diesem Wunsche gegenüber
beilcuttte es eine schwere Entsagung, sich dauernd philologischer Arbeit
zuzuwenden, was ihm nur als Vorarbeit galt, ein für allemal zur Hauptsache
zu inachen. Aber über diese Erwägung siegte das Pflichtgefühl des Gelehr-
ten, der sich seines Wertes wohl bewuflt der Ericenntnis nicht verschloß, dafi
an der Spitze der Monumenta ein mit dem ihnen zugewiesenen Gebiete durch
eigene Arbeit innig vertrauter Historiker von anerkanntem Rufe stehen müsse.
Und das Opfer war nicht umsonst gebracht, voll ging der \Vuns( h in Erfül-
lung, den iluii Theodor Monimsen mit auf den Weg gab, daü ihm für flio
Fortführung und für die Reorganisation des groüen l iiternehmens der gute
Geist unseres Volkes und die volle Kraft wissenschaftlidien Strebens sur
Seite stehen möge«.
Mit strenger Gewissenhaftigkeit, aber auch mit steter Rücksichtnahme
auf fremde Eigenart, die er ebenso zu achten, wie die eigene zu wahren
verstand, hat D. die vielverzweigten Gest hafte der immer weiteren Umfang
gewinnenden Mimumenta geführt und die (jcfahren vermieden, die selbstherr-
liche Leitung nicht weniger als zu leichte Handhabung der Oberaufsicht
heraufbeschwören konnten. Die Sachlichkeit seines Wesens, die Verehning,
die ihm niemand weigern konnte, halfen über manche Schwierigkeiten hin-
weg. Von groflcm Werte war es, dafi für sein eigenes Arbeitsgebiet an seiner
Hand, jüngere Gelehrte von hervorragender Bedeutung heranwuchsen, die
Monumenta überhaupt eine Schule kritischer Forschung blieben, der gelehrte
und nationale Charakter dieses kostbaren V erniachmisses unserer Vorfahren
gewahrt wurde.
Vieles wurde unter seiner Leitung vollendet, neues begonnen. Die Folio-
reihe der Scrip/ons, die Auctorcs anfii/uissinii, die Sammlung der Streitschriften
über den Investiturstreit wurden dem Afjschlusse entgegengeführt, die deut-
schen Chrt)niken durch wichtige \'eröffenilic hungen bereichert, die Abtei-
lungen der Lt'i^es und der Diplomata, die für die Quellenbenützung in
weiteren Kreisen so förderlichen Handausgaben rüstig vorwärts gebracht Mit
nicht geringem Erfolge war D. auch bemüht, die innere Einrichtung und
Verfassung der Monumenta auszubauen. Schon im Jahre 1889 war durch die
Schaffung einer zweiten etatsmäßigen Stelle für die Festhaltung der Über-
lieferung vorgesorgt worden, zwei Jahre später erfolgte eine ausgiebige F'.r-
höhung der Gchlmittel, die eine wesentliche Erweiterung und raschere För-
derung der Arbeiten ermöglichte, unter einem wurde die Verbindung mit der
Wiener Akademie, die Beteiligung österreichischer Forscher auf die Dauer
gesichert Im Jahre 1894 erhielt die Zentraldirektion eigene Räumlichkeiten
in dem Gebäude eines Reichsamtes.
Unermüdlich hnt D. nicht allein die Arbeiten der Monumenta geleitet,
sondern auch selbst sii Ii aii ihnen beteiligt. Zu den Antiquitatcs, innerhalb
deren er die l'oetae fortführte und ein verheißungsvoller Anfang mit der
Bearbeitung der Nekrologien und Verbrüderungsbüdier gemacht wurde, und
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DBrnmler.
401
*ien Ef>isfo/oi' übernahm er die Leitung der (,)uartrcihe der S<'n/>/on:<!. Zu
dem ersten Bande di^x /^pisf^/ac nci'i KamUni (iS(}2) hatte er die Ausgabe der
Bonifatiusbriefe beigetragen, den zweiten (1895), der als Hauptsache die
Briefe Alcuins enthält, hat er vollständig bearbeitet, für den dritten (1899)
wichtiges beigesteuert. Neben diesen grofien Veröffentlichungen lief die
ununterbrochene Reihe kleinerer Abhandlungen und Mitti üungen, in denen
er jetzt wiederum das geistige Leben und che kirchlidien Verhältnisse, zu
deren Betrachtung ihn die Arbeit für die Libdli de Ute von neuem angeregt
hatte, mit Vorliebe behandelte.
In den letzten Jahren seines Lebens mußte ihm die Arbeit nicht allein
zur Befriedigung des gelehrten Triebes, sondern auch als Spenderin edelsten
Trostes dienen. Die Wahrheit der Worte, die er einst Ranke zugerufen
hatte: ^ Viele Menschen überlebet, wem zu leben lang beschieden, doch wen
S< haffensdrang umwehet, lachet einsam nie hiniedenc<, sollte er jetzt an sich
selbst <.rprol)en. lüner der alten Kreunde und (lenossen nach dem amiem
war aus dem Leben geschieden, am nächsten war ihm wohl der Tod Watten-
bachs gegangen, mit dem ihn, nachdem anfängliche Verstimmung beseitigt
worden war, wieder die alte Treue verband. Wie er dem Lehrer und Freunde
beim Eintritte in die Akademie feinfühligen Dank abgestattet hatte, so
sicherte er sein (iedächtnis durch einen \a<-hruf, imd mit einer bei seinem
hohen Alter doppelt rühmlichen ( )pterwilligkeit übernahm er es, (his Haupt-
werk des Verstorbenen, die Geschichlsqucllen, für ilie siebente Auflage vor-
zubereiten. Schmerzlicher noch als der Hingang der Freunde mufiten ihn
die Todesfälle berühren, die mit grausamer Härte den Kreis seiner nächsten
Angehörigen lichteten. Schon im Jahre 1895 war der jüngere Sohn /u Halle
im Alter von 31 Jahren gestorben, am 15. November 1896 entriß der Tod
den älteren, Ferdinand, ganz unerwartet einer fruchtbaren, vielversprechenden
Tätigkeit, 15 Tage später starb nach langem Siechtum die geliebte Gattin.
All den Schmerz, der einst des Jünglings Seele vor der Zeit gereift hatte,
mufite der Greis in verstärktem Maße über sich ergehen lassen. In der Not
dieser Jahre konnte nur die Herrschaft, die er über sich gewonnen hatte,
festen Halt gewähren, mehr als früher kam jetzt die innere MiMc seines
Wesens zum Ausdruck. Es war kein Ersatz für das Verlorene, daÜ in flie
Einsamkeit seines Alters, die nur durch die innigen Bezicluingen zu seinen
beiden Töchtern, die allein ihm geblieben waren, erhellt wurde, Zeichen
ättfterer Anerkennung in rasch sich mehrender Fülle eindrangen. Als aber
bei der Feier seines fünfzigjährigen Doktorjubiläums am 5. August 1902 von
allen Seiten her sich die Äußerungen herzlichster Verehrung kundgaben, hat
er das aufs dankbarste cmi>futulen. Sie trafen ihn zu einer Zeit, da der Tod
schon seine Hand auf ihn gelegt hatte. Noch hatte 1). im Jahre 1902 die
von ihm bearbeitete Abteilung des vierten Bandes der Epistolac acvi Karoitni
ausgegeben, die Arbdten für die neue Auflage des ersten Bandes von Watten-
bacbs Geschichtsquellen zum Abschluß gebracht und am 3. Juli in der Aka-
demie die Gedächtnisrede auf Paul Scheffer-Boichorst gehalten, von dem er
als erstes rühmte, daß seine wärmsten Empfindungen der Vaterlandsliebe
gehörten. Endlich zwang ihn seine erschütterte (iesundheit, sich von der
Arbeit zu trennen und in Kissingen Lrholung zu suchen. Nachdem er die
Glückwünsche zu seinem Doktorjubiläum empfangen hatte, ging er am
BiogT. Jahibadi n. Deutidier Nekiolof. 8. Bd. 26
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DUmnüer.
25. August nach Friedrichroda und hier erlag er, geistig frisch und angeregt
wie in seinen besten Zeiten, dem todbringendem Leiden, das, ohne dafi er
sich dessen bewufit geworden war, seit Monaten seinen Körper verheert hatte,
am Morgen des 11. September, seines fünfzigsten Hochzeitstages.
Ein Leben voll Arbeit war zu Knde gegangen. Blendende, mit einem
S( hl;\^' ins Weite dringende Erfolge zu erreichen, hat die vom Kleinen zvnn
(iröüeien sich durchringende Art meines W esens ausgest blossen. Aber indem
er die induktive Anlage seiner i^ersönlichkeit erkannte und ausbildete, ist er
ein Hüter jener geldirten Überlieferung, auf die nicht zum geringsten Gröfle
und Erfolg deutscher Wissenschaft sich gründet, wie wenig andere ein Lehrer
und Vorbild für die wissenschaftliche Welt geworden, nicht allmn durch
den Scharfsinn, die Unbesie< hli( hkeit und Richtigkeit seines Denkens, sondern
vor allem auch durch den sittlichen Ernst, das Bewuütsein hoher Verantwort-
lichkeit, die aus jeder seiner Schriften sprechen. In der durch rastlose Arbeit
erworbenen und gefestigten Vereinigung dieser Eigenschaften liegt die weit
über die deutsche Gelehrtenwelt hinausreichende Bedeutung seines Wirkens.
Veneiehnis der Schriften DUnuDlers nach der Folge ihres Encbeinens. (Unbedingte
Vollständigkeit zu erreichen, war niclit miiglich. doch dürfte Wichtigeres nicht übersehen
sein.) Abkürzungen: .\bh. — Abli;m(ilunt,'cii; Ati"(;. — ^ Archiv für Kunde östcrr. Gcschicht^^-
qucllcn (lür oslcrr. Geschichtej, herausgegeben von der Kais. Akademie der Wissenschaften
in Wien; BA. =>Ktfnig]. Akademie der Wiss. in Beiiin; Forsch. » Forschung«! tur deut«
sehen Geschichte; "iAG. — Monumenta Germanicu historica\ NA. — Neues Archiv der Ge-
sell'^ch.ift für ältere deutsche f Icscliiclitskunde; .SB. • Siizuiijj^berichte; WA. = Kais. Aka-
demie der Wissensch.ilten in Wien; ZfdA. — Zeit:>chrilt für deutsche» Altertuin.
De Arnul/o Francorum regt commeniaUo kistorico. Berolini 1852. Über die sttd-
itofliehen Marken des fränkischen Reiches unter den Karolingern (795 — 907), 1853
(.VföG, X). Piligrim v. P.issau und das Krzbistuni Lorch. Leipzig 1854. De Dok^miac
conditione. Carotis imperantibus {jSS—i^2S), disscrt. hist, Lipsiae 1854. Über die älteste
Geschichte der Slawen in Dalraatien (549— 928J, 1856 (\VA. SB. XXj. Ein Brief des köl-
nischen Priesters Winand Aber den Kreuxsug gegen Lissabon i. J. 1147, Wien o. J.
SU Gallische Denkmale, Mitt. der antiqu. (k^ellsch. in Zürich XII (185S •1S64). Beitrage
tur r.fschiclite dt-, Krzb. .Salzburg im IX. -.\IL Jh., 1S59 (AföG. XXIi). (iesohichte des
ostirankischcn Reiches, 2 Bde., Leipzig 1862, 1S65. Magdeburger 'iotenbucb. Neue Mit-
teilungen aus dem Gebiete hist.>antiqu. Forsch. X (1864), 359 — 265. Refonnatton und
Gegenreformation in Au<^>burg, Vortrag, geh. am 29. Januar 1864. Gedichte aus dem Hof-
kreise Karls des (jr. Zf'tlA. XII (1865), 446 460; XI\', 73. l'ersus tu Aquisi^raui palatio,
ebenda 461 — 470. Über eine verschollene fuldische Briefsamnilung des IX. Jh., Forsch. V.
(1865), 371 — 395; XXIV, 431 — 425. Karolingische Miseellen, ebenda VI, 361—389; IX,
651. Auxilius und Vulgarius, (^>uellcn und Forsch, zur Gl ; . des P.ipsttums im Anfinge
des X. Jh. Leip/ijj iSbö. Merseburger Totenbuch, Neue Mitteil. XI (1867), 223 — 264.
Opusculum Jlerimanni äiverso metro conpositum, ZfdA. Xlll (1867), 385 — 434. Die
Wittenberger Universitits- und Fakulttts-Statutett (mit Theodor Muther), Halle 1867. Zwei
Briefe zur Geschichte des XI. und XII. Jh. (mit \V. Studemund). Forsch. VIII (1868), 387
bis 394: IX. 651. Zur WUrdijjung des Benzo (von Alba), r.ir^ch. IX (1869), 378 — 3S2.
St. Galler Totenbuch und VcrbrUderung»buch (mit H. Wartmann), St. Gallen 1869 (Mitteil,
zur Vaterland. Geschichte XI). Ekkehart IV. St Gallen, ZfdA. XIV (1869), 1—73.
Kolner und Würzburger Glossen, ebenda 189. Gedichte aus hrea, ebenda 245—264.
Herzog Ernst, ebenda 265 271, 559. Die Legende vom hl. ( vrilliis (mit Miklosich),
Wien 1870 (Denkschr. der WA. Phil.-hist. Klasse XIX». Lrkundcn der ilal. und bürg.
Könige aus den Jahren 888—947, Forsch. X (1870), 275—324. Radegunde von Hiflringen,
Vofttag, Im Neuen Reich 1871, II, 641 — 656^ Qaia Berti^arü imp*ratorit, BcHiflge zur
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403
Gesch. Italiens iiu Anhiugc deü X. Jb., Halle 187 1. Zn Ruotgcrs Lebcu Brunus, Forsch.
Xn (187a), 445. D» pr»eiHCiH Rvmam milUie, ZfdA. XV (1873), 443—451. Zum
Saceräos ei lupus, ebenda 452. Anselm, der Peripatetiker. Nebst anderen Beiträgen zur
Literaturgescli. Italiens im XI. Jh. Halle 1S72. Monumenta Alcuiniana a Philippo Jnß'co
pracparcUa cdiderunt IVatttnbach et DümmUr, Bcrolini 1873 (liüiiot/uca rerum üermani-
carum tomus VF), JSrmmriei £/momftt$Hs eptatola ad GrimoUtum iMaUm tx etdice
5. G€Uli cJUa. Programm der L'niversität Halle. 1S7.?. Grabschrift .lus dem VIU. Jh.,
ZfdA. XVI (1S73), 279, 436. Zur Tierfabcl. ebenda 4S0. Zu den (Jcsta Bercn^arti imp.,
Fotsch. Xlil {.1873), 4' 5 — 507» Cber Ermenrich von Ellwangeu und seine Üchriften,
ebenda 475—485; XIV, 403. HandsehnfUiches (Meteer Totenbuch), Forsch. XIII, 596
bis 602. Gedichte vom Hofe Karls des Gr., ZfdA. XVII (1874), 141 — 146. Gedichte des
Naso, ZfdA. XV'III (1.^75"^, 5S — 70, 280. Grabschrift des Grafen Scncbnbi. ebenda 306
bis 308. Freisinger Totenhuch, Forsch. XV (1875), 163 — 166. Italicnische Künigsurkunden
des X. Jahr., ebenda 363—370. Kaiser Otto der Gfofle. Begonnen von Rudolf Köpke,
roUendet von E. D. Lcipiig 1876 (Jabrbttelicr der deutschen. Geschichte). Über die Ent^
stehung der Mcmimenia Gcrmariiiu, Im Neuen Reich 1876. Die Gefjenreforniation in
Oberüsterreich, ebenda 1876, I, 3S6 — 40O. Grabschrift des Abtes Walahfiid, ZfdA. XIX
(1876), 113. Weißenburger Gedichte, ebenda 115— 118. Zu der Schrift von der Herkunft
der Schwaben, ebenda 130 — 13a. GedichteaufGewinder, ebenda 146b SangaUerRitsdgedIcht,
ebenda 3X6. J'.rsus Ratiodi, ebenda 388. Gedicht Walahfrids an Kaiser Lothar, ebenda
402 — 465. Kölner BUcberkatalog, ebenda 466. Glossen zu Walahfrids Gedichten, ZfdA.
X.\ (1S76), 114; XXII, 256. iUtdeutsche Namen, ZfdA. XX, 115. Zur Ticrfabel, ebenda
213. Ans einer F^dischen Hds. (Fuldaer Totenbnch), Forsch. XVI (1876), 168 — 177.
Gedichte aus dem XII. Jh., ebenda 576; XVII, 639. Gedichte aus dem XI. Jh., NA. I,
(1S76), 175 — 185; III, 659. Aus Handschriften, N.\. I, 584 — 586; III. 187 — 191, 405 bis
4H, 660; IV, 170—183, 397—400; V, 427—437, 621— 63O; X, 610; XI, 4U4 412,
45S— 4^> Gtita ApoUomiit regü Tyrn, BeroUiri 1877. Gedichte AIcuins an Kail den Gr.
ZfdA. XXI (1877), 68—71. Gedichte an Prudentius, ebenda 77—84. Gedichte des Paulus
Diaconus, ebenda 470 — 473. Gedichte aus Frankreich, N.\. II (1S77), 222 — 23«. l'nge-
druckte Grubschrift, ebenda Oui — 604. Zur Sittengeschichte des NL\., ZtdA. X.\.I1
(1878) . 256. Lorscher Ritsel, ebenda 158. Lateinische Rätsel, ebenda 4a 1. Lateinische
Sprichwörter, ebenda 422. Gedicht Uber die secJlS Weltalter, ebenda 423. Das Reich der
Schatten. Ein t'herhlick der antiken Vorstellungen des Jenseits. Deutschevaiitrcl. Uliitter IV
(1879) . Übet die Gedichte De cuculo, ZfdA. XXill (1879), 67—70. K^ihmen aus der
karoling. Zeit, ebenda 261. Der Dichter Theodofiridus, ebenda aSo. Die handschrifUiche
Cberliefemnf der lateinischen Dichtungen aus der Zeit der Karolinger, NA. IV (1879), 87
his 159, 239 — 322, 511— -582. 633, G33. Weitere karolingische Kythmen, Zfd.V. XXIV
(18S0), 151 — 156. Ein Schreiben Meiiuos vuu Konstanz an Hermann den Lahmen, NA. V
(1880) , aoa — ^206. Ifyikmtrmm tertniatücprmm a*vi Car^itti sptcimmt Berolini 1881.
PotUu taümi 4Uoi Carolini (MG.) I (1881), II (1884). Mittelalterliches Rnderlicd, NA. VI
(1881) , 190. Verse des XI. Jh., ebenda 443 — 446. Walahfrid Strabus über deutsche
Sprache, Zfd/V. XXV (1881), 99. Karl d. Gr., Allgcm. d. Biographie XV (1882), 127 bis
■Sa> Ungedmckte Briefe, NA. Vn (i 88a), 191 — 194. Zu den karoling. Formelsammlungen,
ebenda 401 — ^403. Gedidite aus IfBnehencr Hds., ebenda 60s— 613. Ludwig d. Fromme,
Zts. für allgcm. Gesch. 18S4. Nochmals die (irabschrift des Erzb. Lul, Forsch. XXV
(18S5), ^77» Martyrologium Notkers, ebenda 195 — 220. Zum Paulus Diaconus, NA. X
(1885), 165. Lateinische Gedichte des IX. — XI. Jh., ebenda 331—357, 610. Gedicht an
Lei^ld Ranke (Th. Tflche, Leopold v. Ranke an seinem 90. Geburtstage, S. 35). Nasos
fModoins) Gedichte an K.irl den Gr., NA. XI (18S6). 75- 91. Zur Geschichte des In-
Testiturstreitcs im Bistume LUttich, ebenda 175 — 194. Ein Nachtrag zu Einli.ird> Werken
ebenda 231 — 238. Geschichte des ostfränkischen Reiches, 2. Aufl., 3 Ude., Leipzig 1887,
1888. Ermahnnngsschreiben an einen Kanlinser, NA. XIII (1888), 191 — 196. Briefe und
Verse des DC. J^i,, ebenda 343, 363, 648; XV, 627. Tragische Momente in der deutschen
a6*
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Daimnler.
Geschichte. Xortrag, geb. am 8. März iJ>88 in Halle (Deulscheviingel. Blätter Xlll). An-
trittarede ia der Berliner Akademie mit Antwort Mommsens (BA. SB. 1889). LibeUi de lUe
iniperatoruvi et fontißcuMf iom, I — III, 1891 — 1897 ( .J/6'.). Legenden vom h. Nicolaus,
ZfdA. XXW (iSoi), 401 — 406. Epistolac Mcrcivitti;ici et Karolini uin'i, t,'»i. I. 1802
[aMG.). Zu den Mirakeln des hJ. Nicolaus, ebenda XXXV'I (1892), 23S. Zu den Gc-
diditen de» Paulus Diaconus, NA. XVII (1892), 397—401. Ans dem Reisetagebucbe
eines jungen Zürichers (Joh. Heinrich l.andnh) in den Jahren 1782 — «784, Neujahrsblatt,
hrspp. von der hist. Komm, der Provinz Sichren, Heft 16, i.Sg2. Au- dem Briefwechsel
Wilhelm VVattenbacbs, o. O. u. J. Zur Lebensgeschichte Alchuins, NA. XV'Ili (1895^, 5'
bis 70. Sigeberts von Gembloux Push s. Imciae virginis, Berlin 1893 Abb.). Zm
Abstammung Heinrich I. von den Karolingern, Deutsche Zts. flir Gesehichtsw. IX (1893).
319 Zu Udalrich v. H;iljcnhcrfj. NA. XIX ^1^94). 222 — 227. 720. Waitz und Pert/,
NA. XIX, 269 — 282. Cber Lcbeu und Schriften des Munchcs Theoderich v. Amorbach,
Berlin 1894 (BA. Abb.). Eine Schilderung Kaiser Joseph II. und seines Hofes (von
J. H. Landolt), Deutsche Zti. für Geschichtswissensdi. XI (1894), 165—176. EpisUia*
Karolini <uvi, tom. II, 1895 (Md.). Zu Petrus v. Riga, NA. XX ('1S95), 231. I hcr den
Mönch Otloh v. S. Emmeram, Berlin 1895 (B.\. SB.). Cber Leben und Lehren des
Bischofs Claudius von Turin, Berlin 1895 (BA. SB.). P'ersus de Jacob et Jos<ph, ZfdA.
XL (1896), 37s; XLII, 121. Zu den formulae Augimtes, NA. XXI (1896), 301. Eine
Aufzcicliiiung aus Lorsch, NA. XXII (1S97), 2S9. Cber den Furor Tcutonicus, Berlin 1897
(HA. SB.). X'crsc und Satirc auf Rom, NA. XXIM (i8o'<), 204. Cber die Ent>tehun^ der
Lorcher I'älschungeu, Berlin 189S (BA. SB.). Gedächtnisrede auf W. Wattenbacb, Berlin
1898 (BA. Abb.). Hrabanstudien, Berlin 1898 (BA. SB.). Ober eine Synodalrede des Papstes
Hadrian II, Berlin 1899 (BA. SB.). Epistolac Karolini aa'i, tom. III, 1899 Theodor
Sickcl, Ducafus Purgundiae , quo modo et tjuo iure delattis est ad j^etitern l'alesiam ■
Dissen, zunt 16. August 1900, hrsg. von K. D. Berlin 1900. Briefe aus der Zeit Karls de.«
Kahlen, NA. XXV (1900), 189. Ein Brief an Kitnig Heinrich IV., ebenda 205. Gedicht
auf die Simonie, ebenda 820. Zum ersten Bekanntwerden Otfrid-. Zfd.\. XLIV (1900),
316. R.adl>erts Epitaphium Arsenii, Berlin 1900 (BA. Ahli.). Über den Dialog Z^^ j.
(cclcsiat, Berlin 1901 (BA. SB.). Zu Remigius von Auxerrc, NA. XXVI (1901), 565. Zu
Heriger von Lobbes, ebenda 755. Das Glaubensbekenntnis des Schulmeisters Kihkarius,
NA. XX\ II (1902). 503. Eine Streitschrift ftlr die P rieNterehe, Berlin I902 (B.\. SB.).
Epistolae K<trol:ni aex'i, tomi //'. pars prior, 1902 (Mii.\. Deutschlands Geschichtsquellcn
im Mittelalter bis /.ur Mitte des Xlll. Jb. von W. Wattenbacb, 1. Bd., siebente von E. D.
umgearbeitete Auflage. Stuttgart u. Berlin 1904.
Quellen: Zur eigenen Lebensgeschichte, von Leopold v. Ranke, hrsg. von Alfred
Dove, Leipzig 1X90 (Werke 53. u. 54. Bd., 424, 437. 5<»4). .Angelt) de (äihcrnatis, Dic-
iiomnaire international des ccrivains du Jour J (1888), S70. Hinrichsen, Das literarische
Deutschland, a. Aufl. (1891), 297. Herrn Emst OOmmler zum fünfzigjährigen Doktorjubi*
l&uro am 5. August 190a. Die k. preufl. Akademie der Wiss. Festschrift des thttring.*
Sichs. Geschichtsvereins . . . Kmst Dlimmlcr dargebracht zu der Feier seines fünfzigjährigen
I Doktoijubiläums, Halle a. S. 1902. Rodenberg in der Hist, Viertelj.ahrsschrift (1902J, 587.
H. Brefllau im Neuen Archiv XXVIII (1903), 521. Redlich im .^Vlmanach der kais. Aka-
demie der Wiss. LIII (1903), 315. J. Friedrich in den SB. der k. bayr. Akademie der
Wiss. Phil, hist. Kl. 1903. 252. J. P. in der Leipziger lllustr. Zeitung 1902, Nr. 3091
(Bd. CIX, 472). mit Bild. - - Cber seinen Vater Allg. d. Biogr. ^'. 4(>o und die Artikel in
Brockhaus und in Mevers Groüem Kouver^alionslexikon : über den Sohn Ferdinand Stud-
niczka in der Allg. d. Biogr., XI..VIU, 163 und Karl JoSI in der Sonntagsbeilage Nr. 38
der Allg. Schweizerzeitung in Basel vom 20. Dezember 1896. — Die »Mitteilungen aus
dem Literaturarchive in Berlin i'|04. Historikerbriete« waren mir nicht zugänglich. - >Fit
besonderem Dank habe ich der L nterstutzung zu gedenken, die mir die Tochter Dümn)ler>.
Frau Professor Hildegard Behrcnd in Kiel, und sein Schwiegersohn, Herr Hofrat Dr. Adolf
Y. Liebenberg de Zsittin in Wien, zuteil werden liefien. Karl Uhlirz.
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Byr.
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Byr, Robert,') Schriftstellername für von Bayer, Karl Robert Emanuel,
k. k. Rittmeister und Schriftsteller, * i -;. April iSj^^ in Bregenz, f 30. Juni 1902
in Baden bei Wien. — B. war der Sohn eines deut^chböhmischen Feldarztes
und der Deutächungarin Elisabeth Neupauer aus Raab. Die Kindheit ver-
brachte er gröfitenteils (1836— 1845) in ödenburg, besuchte dann durch sieben
Jahre die Militärakademie in Wiener Neustadt» in der er sich stets als einer
der besten Zöglinge bewährte, und trat 1852 als Leutnant in das Regiment
der Radotzkx-Husarcn. Dieses lag damals in Mailand und wurde i-S-^^ in
der gegen Tt-ssin autgestellten Postenkette vi-i wt-mk-t. Im folgcmien Jahre
kam es nach Wien, 1855 — 1S57 nach Salzburg und Uberösterreich und hier-
anf nach Prag. 1859 rückte B., der vier Jahre vorher Oberleutnant geworden
war, zum Rittmeister vor und wurde dem Generalstab des Reitereikorps zu*
geteilt, welches an den Rhein bestimmt war. Der rasch geschlossene Friede
verhinderte eine Bi täti^'ung in (liescr Stellung. 1862 wurde das Regiment
nach Ungarn versetzt, B. aber trat damals in den Ruhestand und wählte
seinen Geburtsort als Aufenthalt, dem er bis zu seinem Tode treu blieb. Er
vermählte sich dort im November 1862 mit Antonie Begg von Albansberg,
der Tochter eines Osterreichischen Majors, welche am 31. Januar 1898 starb.
B.S Neigung zur Dichtkunst entfaltete sich schon früh und er versuchte
sich spätestens seit 1852 in zahlreichen Gedichten. Heine scheint auf ihn
maehtig eingewirkt zu haben, wenigstens hatte er »das Buch der Lieder mit
heiücr Gier \ers( hlungen . In tlie Öffentlichkeit trat er 1858 in der Prager
Zeitschrift »Erinnerungen« mit den Erzählungen: »Der Raritätensammler« und
»Tschau«, denen bald andere folgten. Die frische und anspruchslose, mit
reichlichem Humor gewürzte Bearbdtung der Stolfe, welche der Veiibuser
aus Erlebnissen schöpfte, ließ von ihm ursprüngliche Leistungen erwarten,
wenn auch Hackländer. Winterfeld und selbst Kbersberg ihn einigermaßen
becinHuliten. Kin Pseudonym wählte der junge Schriftsteller, weil die .Ar-
beiten der Offiziere vor der Drucklegung einer Zensur unterlagen; den einmal
gewählten Namen setzte er aber auch später seinen Werken vor. Das erste,
welches ihn in weiteren Kreisen bekannt machte, waren die »Kantonierungs-
bildcr^ (1860), ein Militärroman, der das österreichische Soldatenleben, zumal
«las der Offiziere, keck und richtig zeichnete und zugleich eine gute Schule
für den Stil des Vi-rfassers bildete. B. stand in Prag auch in Beziehungen
zum Theater. Im Februar 1861 wurde dort mit günstigem Erfolg sein kleines
Lustspiel aufgeführt, das den seltsamen Titel: x=a*-f-l<Jgb trug. Der
hübsche Gedanke des Stückes, nach welchem ein Student, der die Ferien im
elterlichen Hause verbringt, sich so lebhaft mit der Lösung der obigen alge-
braischen Aufgabe beschäftigt, daß er durch sein nachdenkliches Wesen in
den Verdacht der Verliebtheit gerät und seine Angehörigen sich teils für,
teils gegen seine \'erbindung mit dem nur vermuteten Gegenstande seiner
Neigung erklären, bis endlich das Mißverständnis sich aufhellt, war zwar
etwas zu weit ausgesponnen; dagegen rühmte man die scharfe Charakteristik
der Personen und den glatten Fluft des Dialogs, der mit Schlag- und Witz-
voiten aus dem neuesten politischen Leben gewürzt war. B. hatte aljcr auch
'schon ein fünfaktiges Drama: »Herzog Adelgar von Bayern« vollendet, mit
») Totenliste 1902 Band Vil lo*.
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Byr.
dem er sich, wie es scheint, 1868 iioclunals l)c.s(häftigtc. Er verfaßte niu^li
den Prolog, welcher am 6. April 1861 vor der Fcstvorslcllung zur Feier der
Eröffnung des wiedererweckten böhmischen Landtags im ständischen Theater
gesprochen wurde. Damals hoffte man noch, dafi das freie li(ann^woit
nicht trennen, sondern einigen und versöhnen werde. Endlich sei noch das
1860 erschienene Gedicht > Alpröslein« erwähnt, eigentlich eine Ansahl von
Romanzen, welche die Liebe einer hübschen Försterstochter zu einem braven
Burschen sehildcrn; dieser wird in der Waldschänke zu I ruiik, Spiel und
Wildschützenleben verführt und endet auf der Flucht vor den Jägern durch
einen Sturz vom Felsen. Den Höhepunkt bildet der Todcslauf des Schützen.
Es findet sich aber auch viel Sflflliches in den Versen. Die Sprache leidet
stellenweise an Härten und unstatthafter Abwerfung von Biegungsendungen.
Fassen wir das Ergebnis dieser Prager Periode zusammen, so sehen wir in
ihr Vorläufer der Schöpfungen B.s auf allen ( icbieten der Dichtkunst , auf
denen er sich später betätigte: des Romans, der Novelle, der dramatischen
und lyrischen Poesie.
Die Übersiedelung nach Bregenz hatte fQr B. ihre Licht- und ihre
Schattenseite. Die kleine Stadt bot wenig Anregung und noch weniger Ge-
legenheit zu Zerstreuung; um so leichter konnte sich B. mit größtem Eifer
der Schriftstellerci widmen. Im Winter war er gewiß der fleißigste Mann im
Städtchen; da spann er sich förmlich ein in die Welt seiner Romane, formte
deren Gestalten und webte den bunten Teppich ihrer meist vielverschlungencn
Handlungen. Ein trautes Heim in der stattlichen alten Rentei mit ihren
ritterlich geschmückten Vorhallen und schönen Gemächern gewährte einen
weiten Blick auf den herrlichen See und die stolzen Berge und umhegte ein
stilles Familiengltick. Unter solchen Umständen floß die rauhe Jahreszeit
meist rasch vorüber, und im Sommer bietet Bregenz ja so viele landschaft-
liche Reize. Fafrig verfolgte B. die Weiterentwicklung der schönen Literatur
und studierte philosophische, geschichtliche und naturwissenschaftliche Werke.
Auch entbehrte er nicht anregenden Verkehrs. Sein Schwager Alfred Meifiner
lebte durch Jahre mit ihm unter einem Dache, und Karl Gutzkow hielt sich
längere Zeit in Bregenz auf, so dafi man mit Recht von einem »Poetenwinkel
am schwäbischen Meere« sprach; am häufigsten aber wanderte B. zu A. W.
Grube, dem bekannten Pädagogen und Jugendschriftsteller. Das waren freilich
insgesamt »Fremtle«; doch auch unter der Bürgerschaft und den Beamten gab
es gebildete und strebsame Männer, mit denen er gerne allerlei besprach.
Allein es drängte ihn zeitweilig hinaus in die weite Welt. Die Osterreichi-
schen Alpenländer, Böhmen und Ungarn, hatte er zum Teil schon früher
kennen gelernt, ebenso die Loml)ar(lei; allmählich führten ihn seine Reihen
nun nach Deutschland und der Silnveiz , nach Siebenbürgen, Rumänien,
Serbien, Italien bis in den Süden, nach England, Schweden und Norwegen
und zweimal nach Paris. Nach Wien kam er jährlich und in den späteren
Jahren gebrauchte er regelmäßig eine Kur in Baden in Niederösterreich. Er
war ein scharfer Beobachter der Natur und der Menschen, der Trachten und
Sitten, ein Freund der Kunst und der Geschichte, ein sorgfältiger F.rwägcr
der sozialen Verhältnisse und politischen Schwankungen. Was er in den
verschiedenen Ländern sah und lernte, wußte er in seinen Romanen wohl
ZU verwerten. Er schrieb auch Rciscbilder und Schilderungen. Wir erwähnen
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nur das Büchlein: >Paris al fresco«, eines der Kr^aUiiisNC der Reise zur Welt-
ausstellung von 1867. Es erlebte alsbald eine zweite Auflage, verkündete
mit kühner Sicherheit den Sturz des Kaisertums und schilderte die Ausartungen
der Weltstadt. Bezeichnend für B.s Ansichten ist der Satz: »Wo der Grund-
stein der Gesellschaft, die Familie, in Schlamm versinkt und der Zerstörung
preisgegeben ist, dort weichen mit ihr auch die Anregungen und Prinzipien,
welche die Interessenverbindung einer ganzen Nation, eines Staates veran-
lassen, konsolidieren und heiligen. Wer nicht für die Familie, die er hat
oder grtinden will, arbeitet, der arbeitet schlecht oder gar nicht.« B.s Reisen
verfolgten auch den Zweck, Verbindungen mit hervorragenden Schriftstellern
anzuknüpfen oder zu erneuem. Von Österreichern, die ihm nahe standen,
nennen wir Jos. Bayer, Franzos, Grasberger. Kümberger, Ed. Mauthner. Saar,
Silberstein und Josef Weilen; in der beii u hl)arten Schweiz und am B<>iU iisi. e
verkehrte er mit J. J. Honegger, Johanne^ Sdierr, I.ingg und Scheffel ; andere
Süddeutsche, die er zumeist in München kennen lernte, waren Auerbach,
Greif, Heigel, Hopfen, Hermann von Scbmid und Steub; unter den Nord-
deutschen seien Frenzel, Jensen, Kaden, Laube, Rodenberg, Spielhagen und
Wilbrandt genannt.
B. trat auch in Beziehung zu wichtigen Zeitschriften und Zeitungen in
Deutschland und Österreich, und sie ()ffiieten gerne ihre Spalten seinen Reise-
bildern, Kritiken, Skizzen, Romanen und Novellen. Denn auch die grölieren
Arbeiten erschienen vor der Buchausgabe zumeist in Zeitschtiflen, so beson-
ders in der »Deutschen Romanzeitung«, in der »Gartenlaube«, in »Vom Fels
zum Meer«, in der »Illustrierten Welt«, in »Über Land und Meer« usw. und
fanden lebhaften Beifall. Schon aus diesem Umstände allein könnte man
schließen, daß H. die Technik des Romans vollkommen beherrschte und daß
er fesselnd und spannend zu erzählen verstand. Allein mit einem solchen
Urteile kann B. nicht abgetan werden. Man muß vielmehr zugestehen, daß
er einen hochgebildeten Geist besafl, der mit scharfem Blicke die mannig-
faltigen Richtungen seiner Zeit, die leidenschaftlichen Kämpfe auf den Ge-
bieten des religiösen, staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, die mächtigen
Fortschritte der Wissensrliaft und die durch diese bedingte Förderung des
Verkehrs und der Industrie beobaclitete ; daß es ihm aber au( h gelang, lebens-
wahre Gestalten zu schaffen, in welchen sich gleichsam die leitenden Gedanken
der Gegenwart verkörperten. So hielt er seiner Zeit einen Spiegel vor, der
ihr weder schmeichelte, noch ihre Zöge verzerrte. Er zeigt die guten und
schlimmen Folgen der verschiedenen Strömungen ohne vordringliche Lehr-
haftigkeit, aber klar und anschaulich, über die Stellung des Dichters zu
den brennenden I-ragen bleiben ie(k)ch die Leser niilit im Zweifel; darüber
unterrichtet sie der Gang der Handlung, die Charakten.->lik der Personen, der
Gedankengehalt der Gespräche und Witz und Satire, die in der Darstellung
nicht selten hervorbrechen. Es ist kein Zweifel, dafi Spielhagen einen grol^n
Einfluß auf B. ausübte. Hermann Eth^ nennt ihn geradezu einen österreichi-
'^chen Spielhagen« und verteidigt diese Bezeichnung, wenn auch im einzelnen
^itii vieles dagegen einwenden lasse, im großen und ganzen als zutreffeiul,
*da beide Autoren Streiter für dieselben Prinzipien, el)enl>ürtige Ringer nach
demselben künstlerischen Ziel und gleich epochemachende Vertreter einer
neuen, sich mehr und mehr bahnbrechenden Richtung in der deutschen
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Romanlitcratur sind«. Erreicht er auch sein Vorbild nicht ganz in der zaabe-
rischen Schönheit der Sprache und in der vollen Gewalt epischer Schildeningr,
»so ist er ihm doch völlig ebenbürtig in Gedankenreichtum und Tiefe der
Charakteristik«. Auch (lottschall nennt ihn einen geistreichen Autor, der
vieh n Lieblingen des Tages durch künstlerische Gliederung seiner 'A'erke
übcrlegLMi sei. H. hat jedocli durch seine außerordentliche Frucht')arkei t
seinem Ruhm geschadet; denn es ist selbstverständlich, daß von ungefähr
40 Romanen nicht alle auf gleicher Höhe stehen, nicht alle ausgereift sein
können; die schwächeren Schöpfungen aber warfen einen Schatten auf die
besseren und gewährten den nachrückenden stürmischen Neuerem dieMöglich-
lichkeit, den Dichter durch Stillschweigen zur Seite zu drücken, oder ihn zu
verkleinern und lediglich unter die - rnterhaltungsschriftsteller < zu reihen.
Wir müssen uns darauf beschränken, aus der Menge der Wer^ie H.s nur
einige hervorzuheben. Der erste Roman, in dem sich Spielhagtns EintluÜ
geltend macht, sind die »Osterreichischen Garnisonen« (1863), ein buntes
Gemälde des Lebens der kaiserlichen Offiziere zu Beginn der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrlunulerts. Dieser Roman und Ein deutsches Grafenhaus«
(1S66) fallen in die l hergangsperiode zwischen den früher erwähnten eigent-
lichen Jugendwerken und denen der Zeit der Reife.
An der Spitze dieser Schöpfungen steht j^Mit eherner Stirn<^ (1868). Sie
entnimmt ihren Stoff der adeligen Gesellschaft. Die Moral des Werkes ließe
sich etwa in den Worten wiedergeben: Das in seinem innersten Wesen An-
gefaulte ist der Vernichtung preisgegeben und kann selbst durch die Anwen-
dung der stärksten und ruchlosesten Mittel nicht erhalten werden; aber auch
die Keime frischen Lebens können nur gedeihen ilurch kriiitigen inid fort-
gesetzten Kampf um das Dasein. »Der Kampf ums Dasein (US69) heilit
denn auch B.s nächster, umfangreichster und geistig gehaltvollster Roman.
Er fand viele Anerkennung sowohl bei der Kritik als beim Lesepublikum.
Johannes Scherr behauptete in einer Besprechung, daß von allen den fQr
»klassisch« ausgeschriencn Romanen der Motlenovellisten kein einziger auch
nur entfernt mit diesem sich messen kTinne. Cdeichwohl wuchern in ihm
eine Menge Gespräche üljcr die verschiedensten Lebensfragen, welche wohl
besser gekürzt und teilweise ganz beseitigt worden wären; dadurch hätte der
Verfasser einen rascheren Gang der Handlung und eine gröfiere Wirkung der
geistreich aufgestellten Gegensätze erzielt. Es hat in dieser Hinsicht vielleicht
Gutzkow mit seinen neunbändigen Romanen einen ungünstigen Einfluß auf
unsern Dichter geübt. Jedenfalls stehen vom künstlerischen Standpunkte aus
betrachtet einige spätere Werke H.s unbedii\gt hölier. Auber Forestier (MilJ
Woodwardj ließ dem Roman eine Übersetzung oder vielmehr eine gekürzte
Bearbeitung in englischer Sprache angedeihen, wie sie das auch mit »Sphinx«
(1870) tat. Dieser Roman ist kein philosophischer, sondern gehört zu den
psychologischen, in denen uns alle die Empfindungen der Seele und ihre
oft rätselhaften Entwicklungen und Wandlungen dargestellt werrlen. Aber
freilich läßt sich auch ein i)hiIos()phischer Roman nicht ohne psychologischen
Einschlag denken, und B. liebt selbst in den Erzählungen, in denen die
psychologische Führung die Hauptsache ist, die Hereinziehung der großen
Fragen des Lebens. Das beweist z. B. »Gita« (1877). Von seiner »höheren
Warte« aus betrachtet hier der Dichter das bunte Getriebe der Welt, das
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Gewoge der niannigf;ilti<rcn Leboiiskrcis«.', den Wettstreit der selbstsüchtigen
Interessen, die Offenbarung ewiger Gesetze im Zufall der Erscheinungen, alle
die Schattierungen des menschlichen Empfindens und Wollens. Die Haupt-
handlnng ist verflochten mit einer Rette von Nebenaktionen und überdies
fehlt es nicht an Episodtn, die manchmal scheinbar etwas fernab liegen,
dann aber doch ihre treibenile Kraft offenbaren. Der Meister der Technik
zeigt sich in der Sicherheit, mit der er den Stoff gruj^piert. (lieicinvohi packt
uns noch mehr die Vertiefung der Charaktere, die Welt der Innerlichkeit,
die bestimmend auf die äußeren Ereignisse einwirkt und wieder von diesen
beeinflußt wird. Der Wechsel der Szene wird übertroffen durch die Mannig-
faltigkeit der Persönlichkeiten, doch fehlt es auch keineswegs an stimmungs-
vollen Landschaftsbildem.
Auch unter den späteren Romanen finden wir solche, die den früheren
gewiß nicht nacli^telieii. Wir nennen »Dora« (1886), »Rutschepeter^ (i<H92)
und »Sternschn Uppen (^i>97)- i>ehr hübsches Buch ist: »Ein Reiter-
schwert« (1894), ein vortrefflicher geschichtlicher Roman. Er ersfthlt die
Geschichte eines pflichttreuen, ruhmvollen Soldaten, des späteren Freiherm
von Pforzheim, der es im Regimente de Ligne (später Latour, jetzt Windisch-
grätz-I")ragoner) vom jungen Volontär bis zum Major und nach Unterbre( hung
tler Dienstzeit bis zum Obersten brachte und als solcher in der Schlacht an
der Roer (i. März 1793) den Heldentod fand. Der Aufstand Belgiens gegen
Josef II. und der Kampf gegen Frankreich ziehen hier an uns vorüber, während
die bewunderungswürdigen Taten des Regiments im siebenjährigen Kriege, zumal
seine entscheidende Leistung in derSchlacht von Kollin, uns nurinderErinnerung
des Helden, aber deshalb nicht minder anschaulich vorgeführt werden. Die leb-
liafie Schilderung iler Kämpfe, das farbenreiche Bild soldatischen Lebens, die
treffliche Zeichnung der militärischen Tugenden, die vaterländische (icsinnung,
die ohne Vordringlichkeit und deshalb eben um so wirksamer aus jeder Seite
des Buches spricht, reifien den Leser hin. Das alles ist künstlerisch vei^
flochten mit der Liebesgeschichte Justinens, der Nichte Pforzheims und des
Barons La Marriie, eines Anhängers der Revolutionspartei, dem es gelang,
bei fletn schönen Mädchen dem bescheidenen, edeln und tapfi-ren Offizier
Meseniacre tlen Rang abzulaufen. Pforzheim, Meseniacre untl seine Mutter
sind denn auch die anziehendsten und mit Meisterschaft gezeichneten Cha-
raktere der Dichtung. Diese verdiente ein Volksbuch zu werden; es sollten
nur die französischen Stellen des Textes — das Regiment war ja ein wal-
lonisches — verdeutscht werden.
Unter den Novellen B.s finden sich die besten in den Sammlungen:
»Quatuor« (1875) und Acpiarelle (1892). In jene sind der ^ Roiienhof« und
»l riter der Asche« aufgenommen, die schon bei ihrem ersten Erscheinen
vielen Beifall fanden, in dieser scheinen uns »Vertrackte Leute« und die »Spat-
lauber« am bedeutendsten. Beide sind von durchaus origineller Erfindung
und die »Spatlauber« zugleich voll des gesundesten Humors.
Von dramatischen Dichtungen B.s erlebte das Trauerspiel »Lady Gloster<
(1869) im Burgtheater vier, (his Schauspiel »Der wunde Fleck<^ (1872) ebendort
fünf Auffiihrungen; beide erschienen im Buchhandel (1872 und 1885). Ks fehlte
ihnen nicht an schonen Szenen, aber im ganzen erwiesen sie sich auf der
Bühne nicht wirksam. Andere Versuche auf diesem Gebiete blieben Manuskripte.
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Byr.
Um sein Heimatland Vorarlberg hat sich B. noch besondere Verdienste
erworben. Kaum hatte er sich in Bregcnz niedergelassen, so studierte er eifrig
die Geschichte des Landes und schon 1865 veröffentlichte er als ein sehr
erfreuliches Ergebnis seiner Forschungen das wertvolle Buch: »Anno Neun und
Dreizehn«. Es behandelt in der Form des historischen Romans die Kämpfe
der Vnrarlber^er im Jahre Neun unter besonderer Hervorhebung der Ver-
tlicnsic des klugen ständischen Gcneralkommissärs und r;n)feren ( )berl)efehls-
habers Dr. Anton Schneider und seiner Schicksale bis zu seinem 1820 erfolgten
Tode. Alle irgendwie bedeutenden Vorgänge und alle angeführten Schrift-
stücke sind den verläßlichsten Quellen entnommen. Dieses »biographische
r.cdcnkblatt aus den deutschen Freiheit^kämi)fen« vertritt denn auch bis heute
in Vorarlberg die Stelle eines annoc h fehlenden geschichtlichen Buches über
das Jahr Neun und das an \Ve( hselfallen so reiche T-eben Dr. Schneiders.
Die Charakteristik der Hauptpersonen: des Helden, seiner Frau, der Majore
Nachbauer, Müller u. a. ist vortrefflich gelungen, die Gefechte sind klar,
anschaulich und sachgemäß dargestellt, die Gefangenschaft Schneiders auf dem
Hohen Asperg, in Lindau und auf dem Spielberg wird ergreifend geschildert.
Das Buch hätte in alle Dörfer, ja in alle Häuser des Landes dringen sollen.
Es fand jedoch bei weitem nicht die verdiente Würdigung. Aber wenigstens
der Landtag von Vorarlberg erklärte in der Sitzung vom 25. November 1865
durch Erhebung der Mitglieder von ihren Sitzen, daß er dem Verfasser »für
dieses Zeichen vaterländischer Gesinnung zu grofiem Danke verpflichtet
bleibe«.
B. wandte seine Aufaierksamkeit auch den nicht minder ruhmvollen
Kämpfen der Vorarlberger in den Jahren 1796 — 1800 zu und wählte den
merkwürdigsten Mann des Landes in jener Epoche, Job. Jos. Batlogg, der
in noch höherem Grade ein Märtyrer seiner Vaterlandsliebe wurde als
Schneider, zum Helden der Erzählung: »Der Landammann von Montavon«
(Illustrierte Welt, 1874). Obu^ohl Batlogg und seine Frau ebenso treu und
trefflich gezei< Inu t sind als Dr. Schneider und seine Marie und das Haupt-
gerüste der H nullung gleichfalls nach verläßlichen Angaben gezimmert ist,
so war der \'erfasser doch in diesem Falle, namentlich betreffs der Ermor-
dung des Kreishauptmanns Indermauer, nicht so gut unterrichtet als in den
Ereignissen von 1809; besonders verfehlte er die Charakteristik des Kreis-
hauptmannes und des Hauptanstifters des Mordes, welchen er in einer Weise
idealisierte, deren er durchaus nicht würdig ist. B. gab deshalb diese Er*
Zählung, als ihm seirf Irrtum bekannt wurde, nicht mehr gesondert heraus,
war aber zu einer Umarbeitung nicht zu bewegen.
B. war stets ein eifriges .Mitglied des Vorarlberger Museumsvereines urul
des »Vereines für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung«. In den
Schriften des letzteren veröffentlichte er »Die Einnahme der Stadt, des Passes
und Schlosses Bregens durch die Schweden im Jahre 1647« (1873) und »Hexen-
prosesse in Bregens« (1887). Die Jahresl)erichte des ersteren brachten von
ihm: ''Die Tierennung von Bregenz im Jahre 17-14^ (1S06), »Die St. Martins-
kapelle in der ( )berstadt Hregenz« (1895) und die Beschreibung der Lebens-
läufe August Wilhelm Grubcs (1884) und Dr. Samuel Jennys (1900). Es sind
dies historische Studien, die Ulen AnspTQcfaen genügen. Schon in den sieb-
ziger Jahren hatte B. die Ordnung der Bücherei des Museums durchgefOhrt
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und einen Katalog derselben angelegt. Für seine vielen Verdienste um den
Verein ernannte ihn dieser rS()S zu seinem Ehrenmitglicde.
Überhaupt hegte H. lebhafte Teihiahme für alle geistigen Regungen insfinein
Heimatiande und stand mit den meisten Schriftstellern desselben in Verkehr.
Diese widmeten ihm zu seinem 60. Geburtstage die »Dichterstimmen aus Vorarl-
berg«, wie er dem Lande einige seiner besten lyrischen Gedichte geweiht hatte.
B. war sehr groß und kräftig gebaut; er besafi einen interessanten Kopf
mit dunkeln geistvollen Augen und behielt seine aufrechte militärische Hal-
tung und seinen geraden (iang auch in den vierzig Jahren seines »Ruhe-
standes« bei. Gerade und aufrecht schritt er auch in anderem Sinne durch
das Leben und gewann durch seine vornehme Gesinnung die Achtung aller,
die ihn näher kannt«i.
Werke Ba ; Kantooieiungtbilder, 2 Binde (Prag, Bellmaiui, 1860); AljnOslein, Gedicht
(ebenda t86o); Österreichische Garnisonen, 4 Bftnde (Hamburg;, Hoffmann und Campe, 1863);
Anno Neun und Dreizehn (Innsbruck, Wagner, 1865); Auf der Station, Ski/.zen und No-
vellen aus dem Soldatenleben, 3 bändchen (Berlin, Gerschel, 1865 und i8b6); Ein deut-
fcbes Giafenbaus, 3 Bändt (Berlhi, Janke, 1866); Mit ebener Stirn, 4 Binde (ebenda,
1S68); Schlachten tmd Kimpfe (Wien, »Kamerad«, 1868); Paris al frcsco, 2. Aufl. (Berlini
J.mkc, 1868); I.ts ammtrs de Paris (cbciu!:i, 1S6S:: Der Kaiii|if unis l);isciii, 5 Hände 1 Jena,
Costenoble, iSbg); Sphinx, 3 Bände (Berlin, Janke, liSjo); Zwischen zwei Nationen, 3 Bände
(ebenda, 1871); Nomaden, 5 BKnde (Leipzig, Günther, 1871); Auf abscbUssi|;er Bahn, 4BSnde
(Berlin, Grätz, 1872); Lady Glostef, Trauerspiel (Leipzig, Reclam, 1S72); Wrack, Zwei
Erzählungen ( TrUinincr, Der Tuwan von Panawnnp), 4 Bände (Leipzig, Günther, i?>73);
Der Landammann von Montavon (»Illustrierte Wclt<(. Stuttgart, Hallbcrger, 1874); Nachrulim,
a Binde (Beilin, Wedddnd und Schwieger, 1875;; ^^uatuor, Novellen, 4 Bftnde (Leipzig,
GlinÜier, 187$); Larven, 4 Binde (ebenda, 1876); Gita, 4 Bftnde (ebenda, 1877); Eine
geheime Depesche, 4 Bände (Jena, ("ostenolile iSSiO; Am Wendepunkt des Lebens, 3 Bände
(ebenda, 1881); Der Weg zum Herzen (Leipzig, ReiOner, 1881); Sesam, 3 Bände (Stutt-
gait, Hallbergei, i8bi); Unversöhnlich, 3 Bände (Jena, Costenoble, i88a); Andor, 3 Bftnde
(ebenda, 1883); LydU (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1883); Der heimliche Gast (Stutt-
gart, SpeTii.inn , 1S83); Soll ich? 2 Bände Qena, Costenoble. 1884); Der wunde Fleck,
Schauspiel (i'SS5); Castcll L'rsani, 3 Bände (Jena, Costenoble, 1885); Dora, 2 Bände,
(ebenda, i8S6j: Villa Mirafior (ebenda, 1S86); Irrwische, 2 Bände (ebenda, 1887); Ed-
wiesen, a Binde (Stuttgart, Hallberger, 1887); VVie es weiter nodi kam (Jena, Co«tenoble,
1888); Waldidyll (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt. 1889): Die Antwort Alfred Meißners
(München, Franz, 1889); Der Wctj zum Glück. 3 Bünde fStiitttjart. Deutsclie \'erlagsanstalt,
1890); 24 Stunden Hausarrest (Berlin, Eckstein, Humorist. Bibliothek Nr. 39, 1S90;; Wozu?
a Bftnde (Stuttgart, Deutache Veilagsanstalt, 1891); Ein stolses Hers Qena, Costenoble, 1891);
Waiseninädchenhaar, 2 Bände (Berlin, Dominik, 1891); Aquarelle, Novellen, 2 Bände (Jena,
Costenf)l)le, 1.S92); Rutschepeter, 2 Bande (Stiittg^art, Deutsrhe Verlagsanstalt, 1892); Der
Eisenwunu, 2 Bunde (ebenda, 1894); Ein Keitcrachwcrt Jena, Costenoble, 1894); Stern-
schnuppen, a Binde (ebenda, 1897}.
Als Qudlen mr Biographie führen wir ant Robert Byr. Von Hermann Eth6, in »Illustr.
Fr.iucn-Zeitung«, VII. Jahrgang (1880) Nr. 6, zweites Hlalt, S. iiif. Mit dem Bildnisse des
Dichters (Berlin, I.ipperheidc). - r)r. Srhinid, Karl v. Bayer. Kin Nachruf. Im »41. Jahres-
bericht des Vororiberger Museum-Vereins Uber das Jahr 1902/3«, S. 5 — 9 (Bregcnz, Selbst-
verlag). — Dr. Schmid>Bregenz, Karl v. Bayer. In den »Schriften des Vereins filr Geschichte
des Bodensee»«, 3a. Heft, S. V — VH. Mit dem Bildnisse des Dichters (Lintiau i. B., Kom-
missionsverlag von Job. Thom. Stcttner). — Gottschall , Die deutsche Nationalliteratur des
neunzehnten Jahrhunderts. 7. Aufl., 4. Band, S. 249 — 352, 315.
Innsbruck. Hermann Sander.
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von Kaniti. v. Landsbei;g -Velen.
Kanitz, Rudolf Graf von,') Generalleutnant a /a si/ih' der Armee, * 14. Au gust
1822 zu Stettin, f 25. Dezember 1902 auf Schmugfierovv im Kreise Anklam.
1840 als Avantageur in das i. üarderegiment zu Kuli eingetreten, wurde K.
August 1841 Sekondeleutnant und nach vielfachen Abkommandierungen in
Adjutantenstellen 1853 zum Premierleutnant befördert. 1856 zum Haupt>
mann aufgerückt und im Oktober 1857 zum Kompafrniechef ernannt, nahm
er 1860 mit nu-luort-n Offizieren unter Führung des damaligen ( )l)erst von Goeben
an dem Kriege zwischen Spanien und Marokko, namentlich an der Schlacht
bei Wad el Ras teil, wurde nach seiner Rückkehr Kompagnieführer im
I. kombinierten Garde-Infanterieregiment 1860 zur Dienstleistung beim K5ni|r
Friedrich Wilhelm IV. kommandiert und zum Flügeladjutanten des KOnigs
ernannt, nahm K. wiederum am spanisch-marokkanischen Krieg teil, avancierte
1860 unter Ikdassung in der Stelhmg als Flügeladjutant zum Major und 1864
zum Oberstleutnant, in welchem Dienstgrade er den Krieg von 1866 im Könitr-
lichen Haupt(|uartier mitmachte. 1S66 trat er an die Spitze des 2. Gard«.'-
regiments zu Fuß, erhielt am Jahresschluß ein Patent als Oberst und führte 1870
sein Regiment nach Frankreich. Er wurde indes bereits in der Schlacht bei
St. Privat durch einen Schuß in die rechte Seite des Halses schwer verwundet,
nachdem unmittelbar vorher sein Pferd von einem Granatsplitter getroffen
war. Mit flem eisernen Kreuz 2. Klasse und dem meckleiihm LM^fhen Milit.'ir-
verdicnstorden 2. Klasse dekoriert, wurde ihm nach seiner W u tlerherstellung
1871 die Führung der 3. Garde-Infanierie-Jirigaile ubertragen. In dieser Stellung
nahm er an der ersten Erstürmung von Le Bourget sowie an dem Gefecht bei
Le Bourget am 21. Dezember teil und wurde für seine Verdienste bei ersterer
mit dem eisernen Kreuz i. Klasse, dem mecklenburgischen Militärverdicnst-
kreuz i. Klasse sowie dem Kointurkreuz i. Klasse des sächsischen Albrechts»
Ordens mit der Kriegsdekoration geschmüi kt.
Nach dem Kriege 1871 zum Führer und Kommandeur der 1. Garde-In-
ianteriebrigade ernannt sowie gleichzeitig mit Wahrnehmung der Geschäfte als
Kommandant von Potsdam beauftragt, erhielt K. 187 1 unter Entbindung von
seiner Stellung als Königlicher Flügeladjutant das Patent als Generalmajor.
1874 wurde er in Genehmigung seines Abschiedsgesuches zur Disposition ge-
stellt, mit der Hestinmiung, daß er fortan a in sr/itc der Armee zu führen
sei. 1875 erhielt er den Charakter als Generalleutnant, 1895 die Erlaubnis
zum Tragen der Uniform des 2. Garderegiments zu Fuß.
Nach den Akten. Lorenzen.
Landsberg- Velen, Graf Maximilian Franz v.,») Dr. jur., * 17. Januar 1847
zu Schloß Velen in Westfalen, f^i. Dezember 1002 ebendaselbst. — Nachdem
L. das Gymnasium zu Mün>ter absolviert hatte, bezog er von Ostern 1S66
ab die L'niversitäten iionn und Heidelberg, um sich dem juristischen Studium
zu widmen, welches er mit der Doktorpromotion abschloO. Dem Universitäts^
Studium folgten eine Ausbildungszeit für den staatlichen Verwaltungsdienst
auf dem Landratsamt in Borken und dann längere Reisen im Ausland. Aus
dem Kriege 1870/71 zurückgekehrt, den er als Delegierter des Maltheserordens
*) Totenliätc 1902 Band Vll 10*.
•) Totenlute 190a Band VII 68*.
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V. Landsbeig-Velen. v. MendeUSteinfels.
mitjjemarht hatte, wurde er 1872 als Al)<feor(lneter für den Wahlkreis Borken
in den Reichstag gewählt. Dort schloli er sich der Zentru inspar tei an, ist
aber nie als Redner hervorgetreten.
Nach seiner im Jahre 1874 erfolgten Vermählung mit Maria Reichsfreiin
V. Vittinghofi-Schell bezog v. L. dauernd das Schloß Velen. 1887 wurde er
in den Provinziallandtag und 1890 in tlen Provinzialausschufi gewählt, und
in dieser seiner Eigenschaft hat er eifrig für das Wohl der Provinz: Westfalen
und besonders deren ländlichen Hevtilkerung gewirkt. .Ms im Jahre 1895 der
Grunder und Vorsitzende des »Westfälischen Bauernvereins« v. Schorlemer
gestorben war, wurde v. L., welcher sich das Vertrauen der bäuerlichen Be-
völkerung, speziell des Regierungsbezirks Münster, in hohem Mafie erworben
hatte, an die K itnulL Stelle des genannten Vereins berufen, und er hat dieses
Amt mit Hingabe und Geschick bekleidet. Beim Tode seines Vaters im
Jahre i8qS ging dessen Grafentitel und (ler umfangreiche l"ideikommißl)esitz,
zu dem eine große Anzahl von Gütern gehört, auf v. L. über. Auch als
praktischer Landwirt ist v. L. stets bemüht gewesen, bahnbrechend und vor-
bildlich zu wirken, indem er sein besonderes Augenmerk auf die Urbarmachung
der im Regierungsbezirk Münster noch viel&ch als Ödland daliegenden weiten
Moor- und Heidefiächen richtete. Auf seinen Gütern hat er viele di r irtigen
bis dahin unbenutzt daliegende Ländereien zu urbarem, der Landwirtschaft
dienlichem Acker-, Wiesen- und Weideland umgewandelt.
Aus seinem arbeitsamen, erfolgreichen Leben wurde v. L. im Alter von
55 Jahren unerwartet durch einen Herzschlag dahingerafft.
Lttemütr: »Deutsche landwirtschaiUicbe Pressec, Jabrgangf 1903. Dr. Quante.
Mendel- Stcinf eis, Heinrich v.,') Landesökonomierat, * i. Januar 1849,
t 25. August 1902 zu Griesbach in Niederbayern. — Nach Beendigung
seines Schulbesuches wandte sich v. M. an der Universität München dem
Studium der Nationalökonomie und Naturwissenschaften zu und später auf
der Akademie Weihenstephan dem Studium der Landwirtschaft. Darauf war
V. M. einige Jahre als praktischer Landwirt tätig, um dann nach Amerika
überzusiedeln, wo er sich in erster Linie mit der Erforschung der \'erhält-
nisse des Ackerbaues und der \ iehzucht im Westen beschäftigte. \ on Amerika
zurückgekehrt wurde er x88o zum Generalsekretär der Oldenburgischen Land-
wirtschaftsgesellschaft ernannt, und nachdem er 7 Jahre lang dieses Amt mit
Geschick und Erfolg bekleidet hatte, erhielt er 1887 einen Ruf nach Halle
als Generalsekretär des landwirtschaftlichen Zentralvereins der Provinz Sachsen.
Als im Jahre 1896 der landwirtschaftliche Zentral verein aufgelöst wurde und
die Landwirtschaftskammer an seine Stelle trat, wurde v. M. zum Vorstands-
mitglied und geschäftsführenden Direktor der Kammer gewählt, in welcher
Stellung er bis zu seinem Tode verblieb. Infolge seines hervorragenden
organisatorischen Talents verbunden mit einer glänzenden Rednergabe ist es
V. M. gelungen, das landwirtschaftliche Vereinswesen der Provinz Sachsen zu
höchster Blüte zu bringen und dadurch für die gesamte sächsische Land-
wirtschaft viel Segen zu stiften.
Von dem richtigen Gesichtspunkte geleitet, daß für den gedeihlichen
Fortschritt im landwirtschaftlichen Gewerbe besonders der Zusammenschluß
>) Totenliste 1902 Band VII 78*.
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V. Mendel-SteinfeU. Wisliceniu.
der Landwirte aus bäuerlichen Kreisen erfortlcrlich sei, suchte er zunächst
diese für das landwirtschaftliche Korporationswesen zu gewinnen. Der Erfolg
blieb nicht aus, denn wahrend seiner Tätigkeit in Halle stieg die Zahl der
landwirtschafdichen Verein^ von loo auf 225, während sich die Zahl der
Mitglieder von 10000 auf 30000 erhöhte. Trotxdem ihm beim Antritt seines
Amtes der Zcntralvercin nur frerincrc iieknniäre Mittel zur \'erfügung stellen
konnte, hat er damit eine Mlii^c wu liti^'cr I".iiiri<'htungen geschaffen, die sich
auf alle Gebiete des landwirtsclialtiichen lietriebes erstrecken. So schuf er
Organisationen fQr Ackerbau, Viehzucht und Buchführung und yeranlafite die
Anstellung von Wanderlehrern. Aber erst mit der Errichtung der Kammer
war es v. M. vergönnt, im großen Mafistabe gemeinnützige l'nternehmungen
für die Landwirtschaft ins Lehen zu rufen, da nun chirch die Beitragspflicht
sämtlicher Landwirte der Provinz größere Summen aufgebracht wurden.
Trotz der großen Arbeitslast, welche ihm sein Posten als Direktor der
Kammer auferlegte, war v. M. noch in verschiedenen anderen Ämtern tätig,
so unter anderem als Lektor für Handelswissenschaften an der Universität
Halle und als Mitglied des deutschen Landwirtschaftsrats und des Landes-
ökonomiekollegiums. Ganz besonders ist aber hier noch seiner Tätigkeit als
Verbandsdirektor der landwirtschaftlichen Genossenschaften der Provinz Sachsen
Krwähnung zu tun, da er in dieser seiner Kigenschaft vielleicht gerade
die größten und dauerndsten Erfolge seiner Lebensarbeit aufzuweisen hat.
Schließlich gehörte er seit 1893 dem Preuflischen Abgeordnetenhause ab Vertreter
des Kreises Salzwedel-Gardelegen an, und mit Energie und Schäfre hat er als
Abgeordneter die Interessen der Landwirte vertreten, wobei er oft in Gegensatz
zu den damaligen wirtsrhaftspolitischen Anschauungen (U-r Regierung trat.
Daß die ertolgreiche Tätigkeit v. M.s nicht nur in ilen Kreisen der Land-
wirte hohe Anerkennung fand, sondern auch an maßgebender Stelle gebührend
gewürdigt wurde, zeigte sich in den vielseitigen äußeren Ehrungen, welche
dem tüchtigen Vorkämpfer der deutschen landwirtschaftlichen Interessen zuteil
wurden; er war blhaber einer größeren Ansahl von Orden verschiedener
deutscher Bundesstaaten, \iii(l im Jahre 1893 wurde ihm der Titel eines preußi>
sehen Landesökonomierates verliehen.
Nachdem v. M. auf diese Weise eine Reihe von Jahren im Dienste der
Landwirtschaft unermüdlich gewirkt hatte, wurde er Ende der neunziger Jalire
leidend, ohne sich dadurch von der Erfüllung seiner Berufspflichten abhalten
zu lassen. Nachdem er sich im Sommer 1902 zur Wiederiierstellung seiner
Gesundheit nach Griesbach in Niedcrbayern begeben hatte, starb er daselbst
plötzlich infolge eines Schlaganfalles.
Literatur: »Deutsche landwirtschaftliche Pressec, Jahrgang 1902. Dr. Qu ante.
Wislicentts, Johannes,') Proi Dr., * 24. Juni 1835 in Klein-Eichstedt bei
Querfurt, f 5. Dezember 190s in Leipzig. — W. genofi seine Schulbildung in
Halle und begann auch dort seine Universitätsstudien, die ihn in nähere
Beziehungen zu dem Professor <ler Chemie W. Heintz (1817— i.SSo) {)rachten.
Al)er bald mußte er seine .Stutlien unterbrechen. Sein Vater hatte bereits
1846 wegen seiner freisinnigen Gesinnung sein Pfarramt an der Neumarki
>) Tolenliste 1902 Band VII ia6*.
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Widioenos.
kirche in Halle aufgeben müssen, ernährte sich und seine Familie mühselig
durch literarische Arbeiten; sein Buch »Die Bibel im Lichte der Bildung
unserer Zeit« (1853) erregte aber derart Anstofi, dafl er zu zwei Jahren
Gefiingnis verurteilt wurde. Er entzog sich der drohenden Kerkerhaft durch
schleunige Flucht nach Amerika und dem jungen W. fiel die nicht lei( lue
Aufgabe /u, die Familie dem Vater nachzubringen. In Amerika nahm \V.
seine Studien wieder auf, trat als Assistent bei Professor Hoistnrd in Cam-
bridge bei Boston ein und errichtete sich dann, um zur Unterhaltung seiner
AngehGrigen besser beitragen zu können, ein eigenes Handelslaboratorium in
New York. Als aber sein Vater 1856 nach Europa zurückkehrte, folgte ihm
auch der junge \V. zunächst nach Zürich, ging aber bald zu seinem früheren
Lehrer Heintz nach Halle, dessen Privatassistent er wurde (i856--iS5()). Fr
nahm an dessen experimentellen Arbeiten bald lebhaften Anteil; als er al)er sieh
an der Universität Halle habilitieren wollte, sollte er sich verpflichten, sich jeder
politischen öffentlichen Tätigkeit zu enthalten. W. konnte sich einem solchen
Zwange nicht unterweifen; er habilitierte sich x86o für Chemie an der Universität
Zürich, übernahm das Jahr darauf auch den Chemieunterricht an der kantonalen
Industrieschule, ward 1864 außerordentlic her, 1867 ordentlicher Professor an der
Universität und drei Jahre später auch am eidgenössischen Polytechnikum, zu
dessen Direktor er 1871 ernannt wurde. Im Herbst 1872 berief ihn die Universität
Würzburg auf den durch Streckers Tod erledigten Lehrstuhl der Chemie und von
dort ging W. 1885 als Nachfolger Kolbes an die Universität Leipzig. So kehrte
W. schliefllich wieder in seine engere, ihm so teure Heimat zurück, in die Nähe
der Stätte, wo er einst seine akademische Laufbahn beginnen wollte. Die Grün-
dung des Deutschen Reiches hatte ihn, wie so viele andere, mit den Kränkungen,
die er und die Seinen früher erlitten, ausges()hnt; \V. nahm an den i)olitischen
Ereignissen stets lebhaften Anteil, war ein begeisterter Verehrer Bismarcks
und Mitgrflnder des Alldeutschen Verbandes. Ein ihm von der national-
liberalen Partei angebotenes Reichstagsmandat schlug er aber aus, da er sich
seinen Pflichten als Leiter eines großen Universitätsinstituts nicht regelmäßig
auf längere Zeit entziehen mochte. W.s Bedeutung liegt vor allem in seiner
P'orscher- und Lehrtätigkeit. Als er seine wissenschaftlichen Arbeiten begann,
war die organische Chemie, d. h. die Lehre von den Verbindungen des Ele-
mentes »Kohlenstoff«, eben erst als eigene Wissenschaft durch die Liebigsche
Schule begründet worden. Noch gingen die Anschauungen weit auseinander,
wie man die so mannigfachen organischen Verbindungen mit den Gesetzen
und Tatsachen der weit einfacheren anorganischen Verbindungen in Einklang
bringen könne. Die ältere Anschauung nahm »Radikale« in den organischen
\'erbindungen an, Radikaie, die den Atomen bezw. Atomgruppen in den
anorganischen Körpern entsprechen sollten, die neuere Auffassung stellte ein-
fache »Typen« auf, denen auch die organischen Verbindungen sich unter-
ordnen liefien. In diesen Kampf griff nun W. mit seiner Schrift über die
»Theorie der gemischten Typen« (Berlin 1859) ein und trug dazu bei, da6
die Zusammensetzung und die Eigenschaften der organischen Verbindungen
einzig und allein durch die in ihnen enthaltenen Elementaratome und ihre
Verkettung erklärt wurde. Aber alle die bislang aufgestellten chemischen
Formeln und Symbole reichten nicht aus, die immer häuhger werdenden
Fälle zu verstehen, in denen Körper von ganz gleicher chemischer
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Wislicenus.
Zusammensetzung, »Isomere^ genannt, verschiedene Kigenschaften zeigten.
Da sprach \V. als erster 1873 ^^^^ "^'^ chemische Forschung so wertvoll
gewordenen Gedanken aus, diese Verschiedenheit beruhe auf der verschieden-
artigen Lagerung der Atome im Räume. Als dieser Gedanke dann später
von I.e Bei und mit noch gröflerem Nachdruck, völlig unabhängig, von
van't Hoff ausgesprochen wurde, trat W. sogleich für diese i hcorie, '^Stereo-
isonicrie< (Raumchemie) genannt, mit allem Nachdruck ein, vertiefte und ver-
vollkommnete sie und zog sie Ijesonders zur Erklärung ungesättigter chemi-
scher Verbindungen (»geometrische Isomerie«) heran. Die diesbezüglichen
Untersuchungsergebnisse, Ansichten und Theorien hat W. dann 1887 in seiner
berühmt gewordenen Abhandlung »Über die räumliche Anordnung der Atome
in organischen Molekülen und ihre Bestimmung in geometrisch-isomeren
ungesättigten Verbinflungen -i zusammengefaßt. Zahlreiche Fxporimental Unter-
suchungen, besonders über die Milchsäuren, gaben die (Irundlage zu liie^eti
theore.tischen Anschauungen, während Arbeiten besonders über den Acet-
essigester überaus wichtige Beiträge zum Ausbau der synthetischen Qiemie,
zu Darstellungen kohlenstoffreicherer aus kohlenstoffärmeren Verbindungen
lieferten. (Ein Verzeichnis dieser, zum 'I'eil gemeinsatn mit Schülern aus-
geführten Untersuchungen findet sich in Poggendorffs biographisch-literari-
sches Handwörterbuch zur Geschichte tler exakten Wissenschaften Bd. II, III
und I\\ in dem auch die Gelegenheitsreden und -schriften von W. ange-
geben sind, sowie in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft
1904, 37, 4928 — 4946). — W. war eine ungewöhnlich stattliche Erscheinung,
seine Gestalt ist von Professor Schilling am Niederwalddcnkmal in dem
deutschen Mann verewigt worden, der seinen Sohn segnend in den Krieg entläßt.
\V. war ein gewandter Redner und durch seine nie versagende Ruhe inid Geistes-
gegenwart wie geboren zur Leitung größerer W reinigungen. So zeigte er sein
großes Geschick, als ihn im Jubiläumsjahr 1882 die Universität Würzburg
bereits zum zweiten Male zu ihrem Rektor wählte. Diese Würde bekleidete
er auch in Leipzig; 1893 — 1901 war W. 1. Sekretär in der naturwissenschaft-
lich-mathematischen Klasse der königlich sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften und trat als solcher eifrig für die Gründung der Assoziation der
Akademien ein. W. wirkte mit an der festeren ( )iganisation der (iesells( hatt
Deutscher Naturforscher und Ärzte, deren Versammlung er 1895 in Lübeck
leitete; war MitgrOnder und späteres Ehrenmitglied des Vereins Deutscher Chemi-
ker, Vorstandsmitglied der Deutschen Chemischen Gesellschaft und anderer Gesell-
schaften und Vereine. »Suchen wir schliefilich die Summe zu ziehen, so werden
wir in W. einen der begnadeten Männer erkeimen, deren Wesen seinen Schwer-
punkt in der unmittelbaren Wirkung der Persönlichkeit hat. Nicht die Bildung
und Durchführung abstrakter Gedanken, sondern die Betätigung von Mensch zu
Mensch ist auch in der Wissenschaft seine Gabe und seine Größe gewesen.«
W. gab noch eine Neubearbeitung; des »Re^^ault-Streckerschcn Lehrbuclis der Chemie«
1876 — i88x heraus. Ausführlichere Bioi;raphieen finden sich Uber W. in »Zeitschrift ftir
angewandte Qiemie« 1902, S. isSi (mit Porträt) und 1903, S. 1—4 von Flof. Dr. B. Rassow-
Ltiit/i;,', in den Berichten der lvi">nij:;lich sächsisclien Cesellschaft der Wi-^enschaftcn,
inatheni.-physik. Klas>c, 1903, S. 409 — 420 von Prof. Dr. \V. ( )>t\vald-Lcii)zit; uiul m den
Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft 1904, 37, 5. 4S61 — 4946 (mit PortrSt)
von Prof. Dr. E. Beckmann-Leipag. W. Roth.
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Ro^sbach. ^ij
Rossbach, Arwed,») Architekt, * 24. November 1844 in IMauen im Voigt-
land, t 31. Dezemher 1002 in Leipzig. — R.s Vater war Direktor der liau-
schulc in Plauen und der Sohn kam daher von früh auf mit der Kunst in
nahe Verbindung, zu der ihm sein bedeutendes Zeichentalcnt den Weg wies.
N'ach dem Besuch des Gymnasiums seiner Vaterstadt arbeitete er zunächst
ein halbes Jahr praktisch im Bauhandwerke und ging darauf auf die Dresdner
Akademie, um sich unter Nikolai zum Architekten auszubilden. Nach Be-
endigung seiner Studien begann R. in Berlin unter F.anf^hans seine erste
Tätiiikeit als Arciiitekt und war als zweiter Bauführer bei der Krbauunj^ tles
neuen Leipziger Stadttheaters mittätig, im Jahre 1S70 siedelte er dann ganz
nach Leipzig über und lieft sich dort als selbständiger Architekt nieder.
Schon bei seinen ersten Bauaufträgen verstand er es, seine kfinstlerische An-
schauung voll zur Geltung zu bringen und unter Beobachtung des Zweckes
des jeweiligen Bauwerks dieses zugleich den oft schwierigen räumlichen Ver-
hältnissen und der Eigentünilichkeit des Ortes geschickt anzui)assen. So
entstanden Bauten in den \ erst hiedeivsicn Stilarten, bei deren \'erwendung
er indes seinen persönlichen Geschmack und seine gestaltende Phantasie
betätigte. Eine Reihe Privatbauten machten den Anfang. Genannt seien
das Hotel Stadt London in Leipzig, die Villen Hiersche (187 1), von Holstein,
Holsteinstift (1879), Seyffarth, Davignon, Ciruner, Wandt, Rcjiwold, Gebhardt, •
das Geschäftshaus Pohlieh, zwei Villen in Jena und zwei in Kisenberg, das
Schloß Kötteritzsch. In seinem eigenen Landhaus Sonnenkopfel auf {lern
übersalzberg bei Berchtesgaden hat sich R. ein modern anmutendes und
doch durchaus der Gegend angcpafites Berghaus errichtet. Der Flüchtigkeit
schnell vorüberrauschender Festfreuden hatte seine KQnstlerphantasie im Jahre
1884 zum achten deutschen BundesschieBen in Leipzig die Anlage des Kest-
platzes und verschiedene Bauten, vor allem einen mächtigen 'l'riutnphbogen
<iesrhaffen. Im jalne iSKh/K; führte er die Alberllialle. einen groüartigen Kr-
wcitcrungsbau des groliten W rgnügungsetablissements von Leipzig, des Rrystall-
palastes, aus. Der Zirkus allein erhielt eine lichte Weite von 41 Metern und
Raum für 3000 Sitz« und Stehplätze. Ein Jahr zuvor, 1885, war das Klub-
haus der Harmoniegesellschaft entstanden, dessen Bau 400000 Mark kostete.
Es folgte der l'mbau des königlichen Schlosses in Leipzig, der auch als geglückt
gelten darf. I'nd der Stadt 1 .eipzig sollte ferner seine Künstlertätigkeit in noch
erhrilitem Malie dienen. Der Bau, der besonders seinen XauK-n bekannt inat hte,
war der Umbau und teilweise Neubau tler Leipziger Universität mit den
dazu gehörigen Gebäuden. Der Neubau der Universitätsbibliothek nach
seinem Entwurf, der im Wettbewerb 1885 den ersten Preis erhalten hatte,
nahm die Jahre 1887 bis iSqr in Anspruch und konnte 1891 bezogen werden.
Die (Iröße des Bücherspeichers ist auf eine Bibliothek von 800000 Bänden
berechnet, kann aber durch Anbauten vermehrt w i rden. iSSS war der Bau
des Kuulerkrankenhau.ses begonnen worden, 1889 bis 1891 folgte der Bau der
UniversitäLs-Frauenklinik, ein Ziegelbau auf einem Untergeschoß aus Rochlitzcr
Porphyr, von 1891 bis 1892 die Neuaufführung des sogenannten »roten Kolle-
gium«, bei dem er den alten gotischen Bau vom Jahre 1503 in gotischen Formen
wiederherstellte. Den Neubau der gesamten Universität führte er den Jahren
■1 'I(.ti-n!iste 1902 Band VII 96*.
Uiogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. S. Bd. 37
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418
Rossbach. Ktthne.
1891 bis i8q7 (lurcli. Die rciclij^'c^Iit'dt'rte l-'ass;ule (lesH:uij)tl)auos des Aut^ustt-ums
zeigt in Saiidstcinverhlendung ein niedriges Kidgeschoü und zwei UbergcscliObse.
Über Erwarten gut gelang es ihm, den alten Hauptbau mit dem neuen Gebäude-
komplex zu verbinden. Rühmenswert ist sein künstlerischer Geschmack in den
architektonischen Formen, in der monumentalen Ausbildung der Fassade, in
den Innendekorationen und der wirkungsvollen Anordnung der Räume 7,11
einander. Von iSqK bis 1899 baute er dann die alte gotisc he Paulinerkirche
in voller Wahrung ihres Stilcharakters um. Indosen enistaiidi'n in diesen
arbeitsvollen Jahren noch antlere Hauten, wie tlie Deutsche liank in Leipzig
von 1898 bis 1901 auf Grund gewonnener Konkurrenz, das Amtsgericht in
Dresden von 1890 bis 1893, »das vermöge seiner schönen Treppenanlage und
seiner vornehmen AulJeiiseite zu den gelungenstei^ ii< ueren öffentlichen Bau-
werken Dresdens ^rhtnt ((). Richter in seiner (lesclnchte der Stadt Dresden
in den lahrcn iK;i i()<)j , Dresden i()o.; S. 202), ferner das Rathau^ in
Crimuulschau 1891 bis 1892, <lie \ olkslcsehalle in Jena 1S9S bis H)u2, das
Theater in Plauen 1898 bis 1899, das Museum in Freiberg 1902. Aus einer
Reihe von Preisbcwerbungen ging er als Sieger, aus anderen mit zweiten
Preisen hervor. So gehörte er auch zu den Bewerbern um den Bau des
Dresdner Hauptbahnhofs. Au( h sein Kntwurf war, wie der der Kirma Giesc
' im<l Weidner, mit dem ersten I'reise [lekrönt worden, indessen erhielt (lic
Dre^thier Haufirma die .Ausfiihrung. X'iele jähre war R. Mitglied des Stadt-
verordnctenkollegiums von Leipzig; 1891 wurde er zum kgl. sächsischen Bau-
rat ernannt und im gleichen Jahre Stadtrat. Bei der Einweihung der neuen
Universität verlieh ihm die philosophische Fakultät der Universität Leipzig
den Doktortitel /lonaris causa. Nicht lange konnte er sich der Früchte seines
arbeitsreichen l,el)ens erfreuen. Er starb nach längerem Leiden in der
Silvi '-te! na< ht U)i»2.
\ ^,'1. »Arwcd kossbacli untl seine liautcti.« Icxt von Dr. Kobeit liruck. Berlin \V.
1904. - »Illustrierte Zeitung.« Leipzig und Berlin. 16. März 1895. '^O^* 104. Kd.
$.286 und 17. Juni 1897. Ni. 2S16. loS. Bd. S. 7.S1. »Drcsfliier An/.ci>,'er.« 173. Jahi;^.
Nr. 3. 3. Januar. S. 5. — »Illustriertes L'niversumojahrbuch. Leipzig i<>oj. ."-i. 12.
Kühne, Willy,') Physiolog, * 28. März 1837 in Hamburg, f 10. Juni 1900
zu Heidelberg. — Friedrich Wilhelm Kühne wurde als das fünfte von sieben
(icsrhwistem geboren. Seine Eltern nannten ihn mit Vorliebe Willy und so
er auch si« h Ihst, sogar in seinen wisscnsehaftliehen Werken. Sein Vater war
ein wohlhabender Kaufmann, seine Mutter, Toehter eines en^^lischen Reeders
(Hlo( kei l und einer Hamburgerin. K. war ein sehwachliehes Kind uiul wurde
deshalb in seinem zehnten Jahre nach Kirchwarder, einem Dorfe in den \ ler-
landen geschickt, wo er in der Familie des Pastor Lüders vortrefflich gedieh.
Als kräftiger Jüngling siedelte er in seinem 14. Jahr^ nach Lüneburg
über, weil das dortige Gymnasium bessere Bildungsmittel bot als das Ham-
burger und Herr Pastor Lüders der Familie des Rechtsanwalts Dr. Heitmann
bcfretmdet war. Dieser und dessen geistig Ihx hstehende (lattin — ■ Toehter
des Göttinger Juristen Mühlenbruch — weckten und entwickelten in dem
») Totenlistc 1900 Band V 102*.
Richard Stiller.
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Kühne.
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lebhaften Geiste den Sinn für Kunst und schöne Liiciatui. Wenig inter-
essierten ihn dagegen die hauptsftchlichsten UDterrichtsgegenstände in der
t'ntersekunda des dortigen Gymnasiums, so daß ihn sein pedantischer Klassen-
lehrer erst nach zwei Jahren, nur mit Vorbehalt, in die Obersekunda entließ.
Der Vater riet soim-ni Sohne Ma^chiiu-nbauer zu werden. Willy aber
widersetzte sich energiscli. Sein Siiuicn und Streben war, wie mir sein
älterer Bruder Herr Julius Ruhne mitzuteilen die Güte hatte, fast ausschließ-
lich auf die Chemie gerichtet. Schon als Knabe hörte er während der Ferien
die Experimentalvorlesungen des Optikers Christeinecke in Hamburg. In
seinem 17. Jahre wanderte er kurz entschlossen nach Götdngen zu dem
berühmten Chemiker Wöhler.
Woehlcr liatte im Jahre 1.S2S den Harnstoff aus cyansaurem Ammonium
dar^iestellt und damit zum eisten Male gezeigt, daß organische K<"")rjH r deren
Bildung man spezihschen Krallen iles Lebens zuschrieb, auch außerhalb des
Organismus dargestellt werden können.
Diese epochemachende Entdeckung b»chte die Chemie und Physiologie
in engen Kontakt und es ist verständlich, dafi der junge Chemiker sogleich
für die T.eb cns vorgä n ge Interesse gewaTin.
Der 19 jährige Doktor trat als Asssistcat von Rudolph Wagner in dessen
physiologisches Institut.
Als Lehmann, der sich ebenfalls mit dem Studium der Zuckerharnruhr
beschäftigte 1857 von Leipzig nach Jena berufen worden war, zog K. dahin,
suchte aber schon nach einem Semester in Berlin seine Erfahrungen zu
eru'eitern.
Dort war E. du Bois-Reymond mit rntersurhungen über die Reaktion
des MuskclHeisches beschäftigt. K. wies s( lion 1.S5S n;u h, daß die durch
Zuckerlösung blutleer gemachten lebenden l rosclunuskein beim Auspressen
einen neutral reagierenden Saft geben, die totenstarren einen sauren. Durch
diese Untersuchungen gewann er Interesse an der Muskelphysiologie und auf
du Bois' Rat experimentierte er mit dem Sartorius (Schneidermuskel) des
Fros( lie>. Dieser Muskel samt seinen Nerven wurde (hu< h ihn ein klassisches
Präparat, mit dessen Hilfe er die wichtigsten Kntdeckungen machte.
Er sah, wenn er einen Zipfel des gespaltenen Sartoriusendes reizte, in
welchem sich Nerven verzweigten, dafl der ganze Muskel sich zusammen-
zog. Hiermit war das »doppelsinnige Leitungsvermögen« der Nerven ein-
wandtei bewiesen. Natürlic h prüfte er auch mit chemischen Reizmethoden
Nerven und Muskeln und fand, daß z. B. Glyzerin nur erstere, Ammoniak
nur letztere erregen.
Sein Wunsch, zu erforschen, wie weit sich die Nerven in dem Sartorius-
muskel erstrecken, führte ihn zu mikroskopischen l'ntersuchungcn über die
letzten Nervenendigungen, wobei er in vielen Muskeln eigentümliche »End-
platten« entdeckte.
Im Jahre x8$8 siedelte er nach Paris über, wo Claude Bemard, der
Renialc pApcrimcntalphysioh^e einige Jahre zuvor die Kntdec kung gemadjt
hatte, daß Kaninchen, denen eine Hirnstcllc gestochen worden zuckerhaltigen
Harn absondern.
In Paris vollendete er (1859) sein entes Buch »Myologische Unter-
suchungen«, das er seinem »hochverehrten Lehrer« F. Woehler widmet, in
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Kahne.
dc.s.scn Vorwort er >dcn beiden ausge/eiciineten Männern, welche er seine
Lehrer nennen darf«, »Herrn Claude Bemard in Paris und Herrn £. du Bois-
Reymond in Berlin, aufrichtigsten Dank« ausspricht.
Es gelang ihm nachzuweisen, daß auch der lebende Muskel, welcher so
fest erscheint in seinen Hüllen einen dickflüssigen Hrei enthält.
»In dem Streben, die bisher an den Muskeln der Wirbeltiere beobachtete
Bewegung auch bei solchen Organismen kennen zu lernen, welche eigener
muskulöser Apparate entbehren, richtete er seine Aufmerksamkeit sogleich
auf den kleinen Organismus, den man sich gewöhnt hat als eine der niedrigsten
Stufen tierischer Organisation anzusehen. Er untersuchte die Amöben, jene
mikroskopisch kleinen Gallertklümi>chen, deren ganze Körpermasse scheinbar
aus einem allen notwendiu'cn Verri( htungcn dienenden Brei besteht.« (UntCT-
suchunt^t-n über das Pr()tn|)I.isina, Leipzig i<S64, S. 2<S.)
Mit genialer Kühnheit wies er nach, tlali ilie niedrigsten l'rütoplasina-
arten, die Plasmodien der Schleimpilze, reizbar sind gleich Muskeln.
Es gelang ihm sogar zu zeigen, daß die fixen Zellen der Hornhaut vom
Froschauge ihre (lestalt verändern, wenn man die Hornhautnerven reizt.
Vorwiegend aber blieb stets sein Interesse an den chemischen Vorgängen
im Tierkörper. Als er das Myosin untcr-^ucbte. verfolgte er die Zerfallpro-
duktc desselben. Licl)ig hatte durch verdvinnte Salzsäure den größten Teil
der Kiweißkörper aus dem Heische ausziehen können. Wenn er die Säure
durch Sodalösung band, fiel ein weifies Pulver. Dieses nannte er Syntonin,
d. h« den Zusammenzichungsstoff, weil er meinte, dafl er den Muskel befiUiige,
sich zu verkürzen. — K. fand aber den gleichen Stoff in verdauten Eiweifi*
lösungen und wandte sich den Verdanungsvnrgängen zu.
Im unterwarf hierzu (li<- Kiwcillkorpcr der X'crtlauung und entdei kte eine
ganze Reihe von wohlcharaklerisierien Zwischenstufen bis zur Bildung des
Pepton.
Man nahm an, dafi der Magen darum sich nicht selbst verdaue, weil das
alkalische Blut in den Wandungen dieses Organs das Ferment unwirksam
mache. K. zeigte, daß die Drüsen sich nicht selbst verdauen, weil in den
Zellen nicht die l*"erinente (Enzyme), sondern nur deren Vorstufi-n (Zs inogene)
lagern und diese erst außerhalb der Drüsen in den Lösungen wirksam werden.
Das starke Ferment des Pankreas, »Trypsin«, vermöge nicht nur Pepton zu
bilden, sondern einfachere sogenannte Amidokörper. Seinem Schüfblicke
entging es auch nicht, ^afl einzelne Läppchen der Pankreasdrüse keine Blut-
gefäße besitzen, also, wie dies C. Ludwig an der Speicheldrüse gezeigt, durch
eigne Drüsenenergie sczornieren.
Kr vermochte, na< h Heidcnhains X'organg niikroskopisrhe Veränderungen
sogar an den lebenden Zellen des Pankreas von Kaninchen nachzuweisen.
Die Fermente dienten ihm auch dazu, die Strukturverhlltnisse der Nerven
aufzuklären. Er entdeckte mit Chittenden ein Gerüst von Homstoff (Neuro-
keratin), das die davon eingehüllten Ncrvenat hscnzylinder vor Druck schützt.
Im Jahre 1.S76 wurde er von der Kntdcfckung l-ranz Bolls begeistert
(W. K s Untersuchungen Bd. I, Heidelberg KS78, S. i. Zur Photochemie der
Netzhaut.), »daß die Stäbchenschicht der Retina aller Geschöpfe im lebenden
Zustande nicht farblos sei, wie man bisher meinte, sondern purpurrot. Im
Leben,« sagt Boll, »werde die Eigenfarbe der Netzhaut beständig durch das
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Ktthne.
421
ins Auge lallrnflc Licht verzehrt, in der Dunkelheit wieder hergestellt und
im Tode huile hie sich nur einige Augenblicke.«
Auch frühere Forscher hatten schon den rötlichen Schimmer von Netz-
häuten verschiedener Tiere beschrieben und, wie Boll, den frischen Zustand
der Netzhaut hierfür wesentlich gehalten.
K. schreibt begeistert: >\V;is früher übersehen worden, dürfte nichts
Geringeres als den Schlüssel zum tleheininis der Xervenene<;uiig durch Lirht
enthalten, oder die erste Tatsache, welche in der Retina photochemische
Prozesse aufdeckt«.
Mit Feuereifer verfolgt er die Farbenverinderungen in der Retina und
fand zunächst, daß der Sehpurpur ganz unabhängig vom physiologisch
frischen Zustande der Netzhaut besteht und auch nach dem Tode nur durch
Liebt gebleicht wird.
Er fand die Netzhäute der Augen von Menschen, die im Dunkeln ge-
storben und gehalten waren, noch tagelang purpurfarben. Im Lichte wurden
sie 2U blassem Chamois gebleicht.
Im Scheine den Natronflamme hält sich der Farbstoff tagelang. — Das
Retinacpithcl vermag im Dunkeln den Farbstoff zu regenerieren.
liaUl aber veröffentlichte er eine- Abhatullung mit dem Titel > I)a< Sehen
ohne Sehpurpur«. Er beginnt (iiesell)e mit folgenden Sätzen: ^Die juirpur-
freien Netzhäute vieler Vögel und Reptilien bezeugen die Möglichkeit des
Sehens ohne Sehpurpur, und dafl Teile der Netzhaut ohne Purpur sehen,
beweist das Sehvermögen der Zapfen, welche nirgends purpuihaltig sind.
Daß wir außerdem alles Sichtbare ohne Beteiligung unseres Net/:hautpurpurs
sehen können und gewohnt sind zu sehen, beweist die gänzliche Abwesenheit
des Purpurs in der Fin'ca ccnlralis und in deren näclister Umgebung im
gelben Flecke des menschlichen Auges, und da wir diese Teile zum Fi.xieren
gebrauchen, wobei bekanntlich nicht nur Lichtintensitäten fein unterschieden
und in der Empfindung lokalisiert werden, sondern auch in sämtlichen Farben
mit Einschluß von Schwarz und Weiß zur Wahrnehmung kommen, so wissen
wir, daß allen Anforderungen, welche wir an ein Sehorgan stellen können,
genfigt wird ohne Purpur.«
Er kommt zu dem Schlüsse, daU der ;Zai)fenerregung die \'ermittlung
sämtlicher Empfindungsqualitäten, der Erregung der Stäbchen durch irgend
welche objektive Reize, nur die des Hell und Dunkel« zukomme (S. 137).
Unerschöpflich ist der Reichtum von Beobachtungen K.s und seiner
SchQler über die Eigenschaften der Netzhaut. Er sah das Wandern der
Pigmentschichte unter dem Einflüsse des Lichtes, übersah aber merkwürdiger-
weise die von Engelmann und van üendcren-Stort entdeckte Zusammenziehung
belichteter Retinazapfen.
Mit Steiner untersuchte er die elektrischen Ströme welche vom Seh-
nerven und der Retina bei Licht und Farbenwechsel erzeugt werden und
erkennt sie »als physikalisches Zeichen jenes Zustamles der Erregung, welcher
der unmittelbare Vorläufer der Erregung in der zugehörigen Nervenfaser ist«.
(Untersuchungen aus dem physiol. Inst, zu Heidelberg, 18S1. S. 105.)
Der große Biologe wendet sich am Ende seines fruchtbaren Lebens wieder
dem Gegenstande seiner ersten physiologischen Neigung zu.
Im Jahre 1858 begann er seine Untersuchungen über Bewegungen und
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422
Kohne.
Veräiulerungen der kontraktik-n Substanzen (Reicherts und du Hois-Reyinonds
Arrli. 1S59, S. 564), im Jalirc iScjS veröffentlichte er seine letzte Arbeit i ber
die Bedeutung des Sauerstoffes für die vitale Bewegung Verhalten des Proto-
plasmas in Gegenwart von Chlorophyll«.
Die Abhandlung erschien in der Zeitschrift für Biologie, welche er seit
1883 mit Karl Voigt herausgegeben hatte.
K.S biologisches Genie förderte auch die Medizin. Dies eiluuinte schon
1863 die Universität Jena an, indem sie ihm die medizinische Doktorwürde
honoris causa verlieh.
ObwoliI er nicht i)raktis( lier Arzt war, hat er den Kliniken der Charitc
in Ik'rlin als Assistent ik's chemischen l.ai)()ratorium in X'irchows palhdlo-
gischeni Institute wertvolle Dienste geleistet. Während der Chok'raepideniic
des Jahres 1866 zeigte er, dafi die Stuhlentleerungen von Cholerakranken, in
den Darm von Affen gebracht, diese nicht infizieren.
Zugleich untersuchte er wirksame Desinfektionssubstanzen und wurde
während des preußisch-österreichischen Krieges auf die Etappenstationen nach
Tlölimen imd Mäliron geschickt, um die Sj>itäk'r und lY-ldlazarette mit den
erforderlichen X'orrätcn von Kiscnchamaeleon zu versehen.
Nach seiner Heimkehr begann er in Herlin sein Lehrbuch der physio-
logisdien Chemie zu verfassen. Dies berühmte Werk wurde im Jahre 1S6S
herausgegeben, war um seines originellen Inhaltes und seiner klaren Dar-
stellung willen in kurzer Zeit vergriffen. Zu einer neuen Auflage aber konnte
sich K. nicht entschlicfien.
In seinem Berliner Freundeskreise entstand 1863 das Zentralblatt für die
medizinischen Wissenschaften, unter Mitwirkung von W. Kühne, Ph. Münk
und V. V. Recklingluiusen, redigiert von L. Hermann. Die ersten Referenten
waren Klebs, Rosenthal, Kühne, Lücke, v. Recklinghausen, Leyden, Westphal,
Gusserow, Hermann, Ph. Münk: Namen, deren Träger damals noch wenig
bekannt, dann berühmt wurden.
Im Jahre 1868 folgte er einem Rufe als Professor der Physiologie an
der Universität Amsterdam. Gustav Schwalbe 7jv^ als Astistent filr Histologie
mit ihm in fias alte auf eine Gracht schauende (k-haude, worin das jihysio-
logische Institut provisorisch eingerichtet wurde. Der liebenswürdige Kliniker
Stokvis erleichterte K. das Einleben in die sehr gemessenen Formen des
holländischen Lebens.
Nachdem Helmholtz im Jahre 1871 als Physiker nach Berlin gezogen
war, wurde K. als sein Nachfolger nach Heidelberg berufen, wo er bis an
sein Lebensende wirkte.
An der ehrwürdigen Ruperte-Carolina, im blühenden Neckartale schuf
er der Wissenschaft des Jüchens ein trefflich originell eingerichtetes Institut,
in welchem er eine Reihe ausgezeichneter Physiologen heranbildete.
Dort gewann er die iochter des Heidelberger Mineralogen, Helene
Blum, zu seiner Lebensgefährtin, die ihm sein Leben verschönte und eine
Tochter schenkte, welche der ausgezeichnete Pharmakologe Rudolf Gottlieb
heiratete. Zwei Enkelsöhne vervollständigten sein Familienglück.
Nach E. du Bois-Reymonds Tode wurde ihm der Lehrstuhl für Physiologie
in Berlin angeboten. Er lehnte ab.
-lü • '-^ -^'^J
Klihne. Zusltxe und Berichtigungen. ^23
Seine Briefe sind reiche Fundgruben von hohen Ideen, treffenden Urteilen
und tiefen edlen Kmplindimgen. Als vorurteilsfreier Bürger suchte er seine
Freunde nicht unter den ointluüreichen Männern an maßgLboiiden Stellen.
Nicht würdiger wüüte ich die Bedeutung K.s am Orte st-incr letzten Wirk-
samkeit zu kennzeichnen, als durch ein Zitat aus der herrlichen Rede,
welche am 13. Juni 1900 der damalige Pforektor der Universität Heidelberg,
der berühmte Geologe Rosenbusch, am Sarge K.s gehalten hat:
^. . . Willy K. war ein Günstling d. Srhicksals: eine wissenschaftliche
Laufbahn vdll '-eltener Erfolge .und reit Ii 1. 1 Anerkennung, ein gesundes und
schaffensfreiidiges Leben im glücklichstLMi !• aniilicnkieisc, die herzlichste Nei-
gung aufrichtiger Freunde und dankbarer Schüler, hohe Daseinsfreudigkeit,
Entschiedenheit im Wollen, Klarheit im Denken waren ihm beschieden bis
ans Ende. Aber wo hätte je ein Sterblicher gelebt, dem nicht auch die
UnglQcksmächte des Lebens ein Los w ürfen? Willy K. hat mit offenem .\uge
und mutigem Herzen den bitteren Kelch getrunken und ist wie ein Held
den schmerzensreichen letzten Abschnitt seines Lebensweges gewandelt. Nun
aber ruht er in Frieden, und im Namen der Universität, die ihn mit Stolz
den Ihren nannte und nennen wird, lege ich, in dankbarer Erinnerung dessen,
vas er uns allen war, diesen Kranz am Fufie seines Sarges nieder.«
Bern. Hugo Kronecker.
Bruns, Ivo, (UJ \'I 76 — 77) vyl, noch: \'intra';u und Aiifsiitzc von Ivo Bruns. (Hrsg.
von i licodur Hirt.) München 1905. Im Vorwort S. III — \X %'on der Hand des Heraus«
geben eine ausführliche Biographie und ein 61 Nummern umfassendes Veneichnis der
Schrifken ron Bruns. Joh. Sass.
Fickcr, Julius v., (VII 299) wurde nicht 30. August, sondern 30. April i8a6 gc-
boren; in der Totcnlistc VII 29* ist diese«: f;uicli in Professor v. VoltcHnts Manuskript
richtig eingesetzte) GeburtsdatUfn angegeben; im Druck dc^ Biogiaphischeu Jahrbuches
wnide das Versehen bei der Korrektur nicht rechtseitig bemerkt
Knutii« Paul, (yi 500 u. 501) der Band IV 250 von Joh. .Süss behandelt worden
war, erscheint nochniaN von M. Rikli, dem weitere (^)uellen zu Gebote standen, gewürdigt;
liabci gab Kikli (wie die »Berichte der deutschen botiuiischen Gesellschaft« Ud. 18, 162 ff.)
als Todesjahr 1900 an; Knuth starb jedoch, wie Sass und unsere Totenliste 19^9» Bd. tV
154* richtig feststellten, 1899.
Hinschius, Paul, illl 32) hinzuzusetzen: U. -Stutz in (ier ADB. Bd. 30 (Sonder-
abdruck, Leipzig 1903) und U. Stutz, Die kirchliche Kechtsgeschicbte, Stuttgart 1905
8.5-13.
Martens, Wilhelm, (VII S. 134) zu berichtigen: Nach gefl. Mitteilung de- Herrn
Prof. Dr. Meyer von Knonau (Zürich) war M. nicht .Seelsorgoi^ciHtli -her in Klo^ter-
wald, lebte vielmehr dort der Wissenschaft als ganz unabhängiger .Mann. \'gl. dessen
Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich IV und Heinrich V. Band IV, 539.
Maurer, Konrad, (VII .S. 141) hinzuzusetzen: G. Blondel in der Xouv. A\v. hlst. XXVI
(1902) 762 -764; Charpentier in der Tidskrift af Jurid, förenmg, i Fitüand XL,
Heft 4, 1904.
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1. Alphabetisches Namenverzeichnis
ZUEEI
I^fiiitschcn Nßkralofy vom
ff lanuar bis Dezember
1903.
Name
Verfasser
Scit(
Ackeren, Joseph van
F. LtMck€rt
•4
Ackermann, Adolf
Rudolf Schmidt
Albu, Isidor
60
Anzcr, Johiinn Hapti'«t v.
/•". Lauchert
■•s ?
AUinann, Johann Uaittist
/•'. /.auchtrt
84
Bartsch, Max
j4. TeicJkmatm
IAO
Bauer, Georg v.
213
Uauscwein, K:i>|i.ir
. U/rcJ Fnikerr v. A/ctui
l^cllcnnaiin, 1 Iciiirith
7o/i. Wolf
26«;
Ik-llingr.itli. l-AV.ild
A. Hirk
Benfcy->chupi>c, Anna
t\ Jirümmcr
10^
Beidrow, Otto
F, Brümmer
1S6
Berenhorst, Adolf v.
LorenuH
Bernstein, Hugo
Rudo^ Sekmidi
«95
Ikt/, Philipp Friedrich
Pagd
61
Beyscblajj, Kuhcrt
//. Holland
74
Biedermann, Gustav Woldcniar Frcib. v.
. /. Kcichardt
287
Birck, Maximilian
F. l.aitc/urt
2S4
BischofF V. Uammstcin, Friedrich
A. JXrJk
'47
Blumenthal, Louis v.
Lormu»
Bocddinghaus, Carl
/•'. lauchert
«3
Bokelmnnn, Wilhelm
Joh. Sass
•75
Borsdorf, Wilhelm
Ciirl Micliitclis
148
Braun, Karl Ludwig August
A. Tcicluuann
207
Breidenbach, Emilie v.
F, ßrütHmcr
186
Brack, Heinrich
F, Lauchert
346
Bnigier, Gustav
F, Lauchert
aai
Brüll, Andrea«?
F. Lauchert
193
Büchel, Karl Eduard
R. atUter
293
-•'ü • '-i ^J^-'-'
Namenveiteidiais.
425
Name Verfasser Seile
Budaker, Gotdieb F. SchulUr 201
Bunkcj Juliiif v. LoreHtCH 143
Bamm, Anton , 63
BHigd, Hugo H, I/ciUutä * 75
Culandrclli, Alexander ////(,'-t> Schmtrlf(r 85
Lirlpwiu, Oskar (vielmehr: Oswakl^ v. Larensen 279
Coroelitts, Cid MaHia fHütr 15
Cnuncr, Wilhelm F, Lauckeri 69
Cicnwr, Hcfnumn Koklsckmidi 134
Curtse, Maiimtliiin Merita Camior 90
D.iudcrt, Ern-t Williclui /•". Prüiiinur Jl6
Dcnncrlein, l lu>iuas //. JloUand 76
Oiestd, Gustav A, ReicJkardt 289
Dietlein, Rudolf Srümmtr 217
Diffen^, Philipp v. IVeecA 50
Ottboc, Julius yak, Sau 63
Eberlc, Melchior F. Lauchert 192
Ebcrle, Syrius //. Holland 76
Heinrich Joh, Söst 63
Eiscnhnt, Ferencs //. //al/aHd 78
Elenz, Ferdinand TcichmoHH 367
Kngelien, Augiist /•". /Gümmer 217
Estorff, Eggert v. I^rcnuH "S^
Fiinkel, Max Dr. Johann Oehkr 307
FranU, Erich * F. Lauckeri 285
Fnuwus, Ludwig A, Birk 224
Fried ländcr, Emst F.. Ferner 299
Fuchs, SicgTinind J\tg<l 80
Fuchs von Rituliacli und Donihcim,
Reinhold l-reih. v. I.orcnuH 339
Gacdeita. Theodor AT. Th, Gatderta 27
Gapp, Julius F. Lauchert 285
Bebele, F.ugen /•'. I <-!nr}tert 195
Gebhard, Karl Fagcl So
Gcgenbaur, Karl F. (iopp^rt 324
Geibel, Stephan Rudolf Schmidt 189
Geraniingcn, Julius Freih. v. Loreuwen 142
Geouningen, Wilhelm Freih. v. Lcrenun 189
Gesaner, Adolf Piagel .79
^'icse, F.mst Friedrich R. Stiller 29S
Gitlbauer, Michael R, v. Kralik 137
Guecke, Franz Friedricli A. TeichmanH 150
426
Namenveneichiiis.
Nnmc Verfasser Seite
Goldschmicit, Albert (viclmcbr: Albert) Lorcnun 2o8
Göll, Friedrich ragd 8o
Goose, Sophus PoMä Gvldithmidt aaS
GiMsaaer, Ferdinand 5. f^amk/urier 180
Graevenite, Karl t. Lart$um 279
Crimmicli, Virgil F. T.auchert 196
(IroschiitV, Alhirt ./. 'l\ichmanH 150
Uussenbnucr, Kurl O. v. J-risch 8
llaberland, Ilemtami I orcnuH 2Sf>
Madra, Sally /^V^V So
liigctucistcr, Williclin Pyl 190
Hartlieb (Wallspom) Maximilian v. Lortmen 211
Hartwig, Otto K. Gerhard 309
Hasse, Wilhelm l^rMut» 206
Ilautmann, Johann //. Holland 94
Ilcfner-Altciic< k. Jakob v. //. Holland 269
Heuser, Ak-xaufkr v. I.orcnzcn 207
Hirscbfelder, Salumon //. Holland 95
Hochapfel, Reinhard 1%. Lasch 144
Hodenberg, Gottlob Fieih. v. l^emsm 211
Hofdicb. Ludwig //. IloUand 96
liofTinann, Karl Ritter V. I^rotzen 142
Hofi'mann, Otto Paul Coldichmidt 227
I lolstein, Au^just v. Lorcnzcn 209
Hül/.ammcr, Job. bapt. F. Lauchcri 222
Horten, Anton Hubert ^, Teithmamn 267
Huhn, Adalbert F, LaMchert 195
Jaltob, Georg F. Lauchcri 193
JOrgens, Rudolf Pßgcl 81
Kahlden, ("Icniens v. /''A'*'' 83
Knrrer, Felix ///. Fucht 261
Kast, Alfred J'agcl 102
Kaulbaeh, Friedrich litig« Schmcricr 86
Kiem, Maitin P, Lauehert 191
Kifchbach, Hans Adolf v. ijmrtmm 155
Kirchner, Tlicodor Joh. Sass 157
Klingclhoefcr, Frit« PA. Losch 145
KÜDgelhüfTer, Otto Ph. Losch 215
Klopp, Onno //'. Klopp 117
Knothe, Hermann Friedrich A. Rnehardt 388
Koebner, Emst W. KficbMcr 24I
Koehler, Heinrich A. Birk 326
Köhler, Ulrich Leopold X, IVcU 3IS
NamenvoseiduiM.
Name
Kolliiig, Wilhelm
Kopf, Joseph V.
KSppen, Theodor
Knme, Emst Ludwig
l.aib, Friedrich
Larisch, Karl v.
I.azaru-, Moritz
Leipziger, Emst T.
Lcopddine FOntinxti Hohenlohe-LtuiKenburg
Letetwir, Albeit v.
Uebcit, Nikcissuf;
Li«big, Georj^ Krt ih. V.
Lindhamer, Karl Kiiicr v.
Loose, Karl Wilhelm
Lossberg, V'iktor
Lnnlz, Viktor
M.inteufTel, Rudolf v.
Marchtaler, Anton V.
Mayer, Friedrich Karl
Meiling, Oskar (Gregor Saniarow)
Hdnedte, Gustav
Hdkd, Walter
MOdihoefier, Arthur
Mittcrrutzner, Job. Chrysostomus
Mühl, Heinrich
Moot/, Johann CJcorg
Uflhlbacber, Engelbert
MflllcT, Wilhelm
Vbak, Immanuel
Nagel, Christ. August
Nasse, Otto ,
Neckeimann, Skjold
Nchmls. Hugo
Ncomano, Friedrich Emil
Nokk, Wilhelm
Kostift-Drsewiechi, Hans Florian v.
Oidtman, Hugo v.
Oppcl, Karl
Osvald. Heinrich
Piäsini, Ludwig
l*ccht, Friedrich
l'crels, Ferdinand
Verfasser Seite
Kohlschmidt 135
Hugo Schmerbcr 87
iloUond 97
Viktor HtmHtch 305 •
/•'. I.auchert 6ft '
Lorcnzcn 188
L. Stein • t»4
Lprenge» 154
F, V. tVeeck 49
K. V, StroHia ai8
/. I aucbcrt 70
Pagd 103
Lorcnzcn 2o8
H. A. Licr 294
Lortntin 278
A. Birk 146
Lormu» 237
T.orenztn 212
//. Holland 97
ßr Ummer 263
V. HttHttsch 28'
J^. iMCh ■ 14s
y^A. Sass 177
F. Lauclurt 71
Ph, Losch 204
Lorcnzcn 208
L. V. OMmihtU 344
SkuUek 257
82
•
A. Rcickardt 285
Pagd 82
Joh. Sass 169
ATMckmidi 136
/ü. Lotck 203
F, V, Wuek 3
ZtffMiMW 239
Lorcnzcn 256
Br Ummer ' 2l8
/l LamcktrI 194
//«^■o Schmcrb» • *5
//. ILolland ■ 5t '
y^. Ttithmann \$i
428
Nnmenvendcfanis.
Name Verfasser Seite
Petcr-idorff, Ernst v. Lorenun ^05
Pctcrsscii, (jcorjjc Kudulf A, Ttichmann 26S
Pfitzner, Wilhelm Pagd 82
PflÜger, Emst P^agd 104
Przewloka, Thomas Ttickmtmm 149
Puakes, Josepb P, Laauhert 24$
Radde, Gustav I Luit „seh 39
Rcichmann, Ihcodor A'. Ilcubcrgir 209
Kimpau, Wilhelm Quanie 259
RochoU, Carl A. Ttulmanm 268
RoUett, Alexander O. Zoik 249
Rocsicke, Richard Tft. Barth ' 6
RUckauf, Anton K. llcuhcrger 207
Rüge, Sophus /'*. Uantach 34
Salffluth, Ludwig Frcih. v. Lorenten I40
Samson, Heinrich P, lumekeri 248
Saengcr, Max /b.C''' io4
Sartori, August jfoh. Sass 179
Snul. Daniel Ph. Losch 213
Schäflrie, Albert E. //'. Lan^ 106
Scheiben, Justus . Lerenum 255
Scheppig, Richard Joh» Sats 177
Schener, Karl v. P. MȤn 172
Schmid, Theodor F. luiuehtrt 71
Schiiiid-Monnard, Karl Alexander P*ig<l 105
Sclnnidt, Adolf A. TeichmaHH 152
Schmidt, Ultü LcfrcHiett 1 5 5
Schmidt-Cabanis, Richard P» Brummer 291
Schneider, Oskar V, Hamiueh 45
Schneider, Wilhelm A. Prk. v, Me$ui 232
SchHnau-Wehr, Max Krcih. V. Lorimen aio
Schünbcrp, ("a-par Friedrich v. Lorenten 255
Schröder, |o>cpli F. Lauchert 197
Schulenburg, Werner v. d. Lorenun 141
Schutts, Hennann K^klschmiäi 137
Schurls, Heinrich V* HamHtch ya
Seaile, Richard A\ Stiller 292
Seeger, Hermann v. A. Tcichnann 198
SenfTt V, Pilsach. Hujjo Lorcnzcn 238
Scyflfarth, Ludwig Wilhelm ßrümnur ' 290
Siltard, Joseph J«h, Sau 171
Sitte. Camillo A. Birk 225
Souchay, Theodor Sass 170
Stambkc, Moritz A. Birk 226
Starlte, Wilhelm A, Teuhaumm 337
Naiuenver^eiclkiiiä.
429
Name Verfasser Seite
Steiner, Kilian
Stcnglein, Melchior
A. Tcichmann
Steub, Fritz
99
Stcudel, Wilhelm
1 1 )(i
Stiegele, Paul
F. Laudiert
69
Scnnfl, Erna
Riuhlf Schmidt
304
Stoninser» Jakob
H. Sektuegams
280
Trotlia, Emst v.
188
Wall], Alexander v.
II. Holland
200
Weinnch, Karl v.
"54
Weis«. Olea
MI U^tljmatJ
H, nowutm
199
Wiitmann, Karl
•
F. Brünmtr
264
Werner, Karl
A, Tnchmmm
«49
Wctzcl. Fr.inz Xaver
F. Laucherl
84
W lehnet, Jakol)
F. I.auc/urt
223
Wittstock, Albert
F. Brummer
230
Wolf, Hugo
F^l miUr
350
Zastrow, Karl
F, Brammer
231
Zeller, l".<hi.\ul
F. I^riinuner
i«5
Zeller-\\ crdinüllcr, HeiDrich
7. A". h'ahn
339
Zotlmayr, Nina
rii. Loach
204
Zumpe, Hermann
M. Schtllitif^s
■4
II. Alphabetisches Namenverzeichnis
zu den
Nachträgen und Kr|j;an/.ungcn.
V'o r f a 4 * p r
Seite
Arendt, Kudulf
379
Bjrr, Robert
HtTmann Sander
405
DUmmler, Emst
Karl Uhih-s
394
Gross, Jakob Hubert
377
ManKD, Georg
y. Pet&
37«
Hascnclever, Robert
//'. Roth
393
Hubner, Emil
Ch. UülsM
365
Kanits, Rudolf Graf von
41a
Kühne, Willy
Huf^o Kroticckcr
418
KtNilianlt, lirwin
F. u. II. Küsthardt
373
Kutintuul, Adolf
IL Sii übc
. 3«3
I^andsbcrgoVelcn, Graf Maximilian Franz v.
Dr. QuanU
412
Lorsch, Hernhard Maximilian
.^77
Lohner, Hermann von
C. Hügel
MendeUSteinfels, Heinricli v.
Dr. QmaitU
413
Kossbacb, Arwed
Richard SHller
4>7
Stern, Margarethe
Adolf Sttrm
36a
Widerbofer, Hermann Frbr. v.
Esckerieh
370
VVi)>licenus, Johannes
;/'. Koih
4«4
TOTENLISTE
1903
Jdirbndi «. DmitMittr Nekrolog. S. Bd.
F.in Slivn f) vor dun Xatiun bucichnct, daß diis /'!i\::^r,i/'.'iisrhr yahrbuch dc'/i
Toten einen eigenen Aekrolug gcwiäiiui hat, auj den mit BJ unter .Ingaöe von Jiunä- und
SeUmuakl vertriesm üi; du am ScJUnsu jtdtM Är^kds tmgefuhrte UUrttiur vennekiut
Quelkm dts Bearbdttr* und gibt attch weitert, sitm Teil aus sweüer Hand gescAöffU Himveiu,
aier nur towtii sie micAt hereiis die Verfasser der Nekrologe selbst gebraeki
hatten; L deutet dabei an, daß an der ziHerten Steile sich weitere Literatur über den
Verstorbenen findet, W, daß dort ein l'erzeichnis seiner Werkt, P, daß rin Porträt
beigegeben ist. A'ei der Sammiung des Materials unterstütäie den Uttttneic kneten /ur dieses
Jtthr Herr Kurt Michaelis tn München.
Em Vermchuis der MIdimtngen jiudet sich im JSy 111, M6^ff,\ von den besamders
häufig gebrauchte» seien hier wiederholt:
Brammer a F. Brammer, Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten des neunzehnten
Jahrhunderts — BZ — Dietrich, Bibliographie der Zeitschriftenliteratur — KT- — Kürschner,
Literaturk.ilender — Pagel — J. PapL-1, Biographisches Lexikon hervorrajjendcr Arzte des
neunzehnten Jahrhunderts - Poggendurft" = J. ('. Poggt-ndorfT, Biographisch-literarisches
Handwörterbuch zur Geschichte der exakten Wissenschaften — Riemann — H. Rieroann,
Musiklexikon.
München. Dr, Georg iVolff.
4^
-lü • '-^ ^J^-'
Achenbadl, Adolf, k. pieafl. WirM. Geheimer
Rat, HcTg;hauptmann a.D., bis 1899 Direktor
d. UbcrbcrgamU KJaustal ; f Klaustal 13.VI.,
78 Jahre alt. — lUustr. Ztg. in>, 973 ; Vom.
Ztg. 1903 Nr. 608.
*Ackeren, joscf vao, Ebrendumkapitular u.
Deehant in Kerelaer; * Nfliterden b.Craneii-
Inirp (Nifderrhcin) 4. VII. 1S30; f Kevelaer
2. V. — BJ Vm, 84 (F. Lauchtfrt).
*Aclc«niiaiui, Friedrich Adolf, Verii^- u.
KonstbuL-hliändler in München, auch Kunst-
sckriftetellcr u. Dichter; * Schwerin 1833;
t Manchen s* IX. — BJ VIII, 296 (R.
Schmidt) ; Bönenblatt L d. Deutschen Buch-
bände! 70, 6850.
Ackermann, Karl, Dr. phil., emeritierter
Direktor der Oberrealschiilc in Kassel,
Mathematiker, Naturforscher und l.okal-
historiker; * Fulda 2. III. 1841; f Kassel
23. IV. — KD 24. 5. 26, 37*; Poggcndorff
3,8. 4,7 (mit W); Hinrichten. D. litt-rar.
Di ulschlaiid» 3 (mit Wj; BZ 13, 56 ;/t>chr.
f. d. mathemat u. naturwissenschaftl. Unter-
richt 24, 5,21 : 1,. I\ rini-1: Tle^senland 1903,
aoo: E.Bank; Ztschr. d. Vereins 1. bcss.
Gesch. und Landeskunde N. F. 97,279:
Knabe).
Ackermann-Teubner, Albin, Seniorchef
d. Verlagsbuchhandlung u. Buchdruckerei
B. G. Tcubner in Leipzig; * Elstcrberg
(Vogtl.) 14. 11. 1826; t Leipzig 23. III. —
Börsenblatt f. d. Deutschen Buchhandel
70, 23«/). 2498. 2530. 2636.
Adelon» Heinrich, Geheimer Uofriu, Inten-
dant a. D. des KSnigl. Theaters in Wies-
baden; * Hahn 14. XII. 1822; f Wiesbaden
24. \'II. — Monatshefte f. Musikgeschichte
3<j. 125 (Lüstner); Neuer Theateralmanach
«5. »53-
Adorjan, Eugen, Violinvirtuo«, Schüler Jo-
achims, Konzertmeister d. städt. Orchesters
in Düsseldorf; * Nagy lUroly (Ungarn)
1S73; f (;r.d('.ll() iS. IX. — lllustr. Ztg.
121, 4^6; Monatshefte f. Musikgeschichte
36, 125 (Lfistner, mit L).
Aistermann, J. Heinrich, Rektor der städt.
Rektoratschule in Calcar (Rheinl.), pädagog.
SchriftsteUer; «Veri (Westlaien) 27. X. 1846;
t Cöln 13. V. — KL 96, 9. 27, 39*; Keitei^
Jörg, Kathol. Literaturkalender 5, 3. 6, 3
(mit VV).
Albert, Paul, Ingenieur, Amateurfahrcr im
Automobil; f Wiesbaden 1$. V. — Woche
5, 020.
Albes, Liiiüe, geb. Volkmer, Schauspielerin
und Sängerin, Mitglied der Ferenczyschen
(^perettengesellschaft am Zcntralthcater
in Uerlin; * Cbarlottcnbrunn 7. X. 1864;
t Berlin 1 1. VIII. — Neuer Theateralmanach
15. 154-
Albtn, J. M., Besitzer einer Buchhandlung
gleichen Namens in Luzern; f daselbst,
55 Jjihrc alt, 4. XIl. -- Börsenblatt f. d.
Deutschen Buchhandel 70, 10436.
Albrecht, Carl Friedrich Hermann, /V./A//.,
Professor, tlyninasialdberlchrer in Colmar,
Historiker; ♦'l.Ul.eck 3. I. 1846; + 17. XII.
■ — Hinrichsen, D. literar. Deutschland' 15
(mit W): KD 25. II ( W). 26, 37»; Ztschr.
f. d. (;e>chichte des Oberrheins 58, 570
(Kaiser, L: Deutsche Cieschicht^blättcr 4,
319: Sorgenfrey).
*Albu, Isidor, Dr. tthul., Sanitatsrat, früher
Professor an d. Medizin. Landesschulc in
Teheran, deutscher Gesandtschaftsarxt da-
selbst und Leibarzt des Schah v. Pcrsien,
zuletzt Augenarzt in Berlin; * Ficht werder
(nicht Fiehtberger) b. Landsberg a. d. W.
20. I. 1837; t CroO-I.ichterfelde b. Berlin
5. 1. — BJ VUI, 60 (Pagel); Biograph.
Lexikon der hervorragenden Ärzte i, 96
(mit W) ; \ irchows Jahresberichte 38, 1, 409
(Pagel, mit L); Verzeichnis der Berliner
CniversitfttS'Sehriften 1810—1885 (Berlin
1899) Nr. 5818; Allgemeine Ztg. 1903
Beil. Nr. 6.
Allescher, Andreas, Hauptlehrcr a. D., Bo-
taniker; * München 182S; t ebenda lo.
IV. — Leopoldina 39, 84; Berichte d. bayr.
botan. (icsellscbaft 9, 15 ((i. Schnabl, mit
P. W u. L).
Amberger, Hermann, Hurhluindler, früher
Inhaber der Schweighauserschen Hucli-
handlung in Basel, 1884—89 Direktor des
»Frankfurter lournnls«, später in Zürich
lebend, Achtundvierziger; * Solingen 1823
Q)\ t Zürich, 80 Jahre alt, 31. 1. — Bttosen«
bÜtttt f. d. deutschen Buchhandel 70, 5240.
a»
ü • ' / ^j^'-'^lc
7*
Totenliste X903: Amelang — Bade.
8*
Amelang, l'mn/, N'ioloncellist <1. Großhcrzogl.
Hof kapelle in K;irlsruhc ; t duselbät.Oi Jahre
alt, 2.VIII. — Monatshefte f. Musikgeschichte
36, 125 fI,Ustner, mit L).
Ammon, Siegfried voji, Ciebcimcr Oberberg-
rat, k. preuB. Derghauptmann u. Direktor
des 01)crl)crf^r>nit< in Honii. vortragender
Kat im tiandelsininistcrium; j Ltuiin, 6S
Jahre alt, 13. XII. — Illttstr.Ztg. 121, 1014;
Voss. Ztg. 1903 Nr. 608; BZ 13,61 (Glück-
auf 1903 Nr. 51).
Andne-Roman, A., Rittergutsbesitzer in
Roman (HinterponinurirK 7 13. III. —
Die Reformation 1903 Nr. 323 (Trummers-
hausen); Andrae^Roman, Aus lingst ver*
gangcncn Tagen. Krinncrungen eines
alten Mannes. Bielefeld 1899.
Andre, Wilhelm, Dr., k. sSchs. Geheimer
Regierangsrat, 1S74 9^ Oberbürgermeister
V. Chemnitz ; * QuakenbrUck 1827 ; f Chem-
nitz 12. VI. — Illustr. Ztg. 420,972.
Antonius (Pseudon.), Schriftsteller: s. Pauly,
Tony.
*Anzer, Johann H.iptist v., apostolischer Vikar
für Siidsiliantiing in China und Titular-
bischof V. rele()te. Missionar; * Weinrietli
b. Fleystein (bayr. Oberpfalz) 16. \'. 1S51;
fRom 24. XI. — BJ VIII, 283(F.Laiichert);
Illustr. Ztg. 121, S41 CR. ScIp'Iut. mit P);
Woche S, 2135 (Pj; Gcügraphcn-Kiüendcr
2, 181; BZ 13,63. 14, 58 (L); Theolog.
J.ihre>bcricht 23, 1 1()4 (Nestle, mit L\
Arndt, Joh.-\nn Adolf, Dr. fhii., Professor,
Oberlehrer am König!. Priedrichs-Gymna-
sium 7.U Frankfurt a. O., kla^s, Philolog u.
Germanist; * llammclst.ill bei Kriedeberg
(Neumark) 11. Vit. 1S39; f Berlin 24. II.
— Jahresbericht über das K. Friedrichs-
Gymnasiums zu Frankfurt a. O. 1903, 25
und 26.
Arnim, Georg Karl .\ Ihr echt firaf v., Herr
auf Mellcnau, Arnimshain u. Hiesterfelde,
k. prcuQ. Major a. D., Khrenritter des Jo-
hanniterordcns , .Stiftshauptmann v. Zeh-
denick, Mitglied d. preuß. Herrenhauses;
• 17. I. iS4t; f Herlin 3. XII. — Illustr.
Ztg. 121,913; Woche 5, 22 2S (P); Goth.
Genealog. Taschenbuch d. Gräfl. Häuser
78. 35-
Arnim, Friedrich Emst Abraham Heinrich
Karl Oskar v., Stifter tmd erster Fidei-
koninüüherr auf Kröchlendorf f (Ucker-
mark), k. preuB. Geheimer Regierungsmt,
T.andrat a. I)., Kamnicrherr, Mitglied des
preuÜ. Herrenhauses, früher d. Deutschen
Reichstags (Reichspartei); * Berlin 16. VI.
1S13; t daselbst 18. Xil. Illustr. Ztg.
121, 1014; Schocnfelds Notizbuch f.Keichs-
tagswthlerS 46; Goth. Genealog. Taschen-
buch d. Adeligen Ittuser 6, 42.
Arnsburg, Marie, geb. Fiohtner, ehemalige
Schauspielerin am Hurgtheater in Wien
(junge Mädchen) ; t Wien, im 74. J.. 25. IX.
— Kiseiit)cri,'^ Großes Biograph. Le.vikon
d. Deutschen Huhne 35; Flüggen, Biograph.
Btthnenlexikon 1,83; Neuer Theatendma-
nach 15, 157.
AnisCtdt, Arthur v., Oberst u. Kommandeur
der I. preufl. Kavalleriebrigade, vorher
Kiimmandeur d. Ostasiat. Reiterregiments;
t Königsberg i. Pr., 51 Jahre alt, 15. X. •—
Illustr. Ztg. 121, 607; Woche 5, 1916; Voss.
Ztg. i')o\ Nr. 3.
Ascher, Minna, geb. Zechbaucr, ehemalige
Schauspielerin u. Theaterdirektorin ; f Erfurt
26. XI. — Neuer Theateralnianach 16, 173.
Aselmeycr, Julius, Großindustrieller in Ne-
apel, Senior der deotsohen Kolonie und
deutscher Generalkonsul daselbst; + ebenda,
80 Jahre alt, im Juli (?). — Woche 5, 1544
(mit P): BZ 13, 69 ( l'Hgliche Rundschau
1903 Juli 7).
Askcnasy, Fugen. Dr. ])hil., Honorariirofe<??or
f. Botanik an d. Lnivcrsitat Heidelberg;
• 5. V, 1845; t Sulden 27. VIII. Illustr.
Ztg. 121,334; .Ascher'son, l'niv.-Kalender
63, 143; Kukula, Bibliograph. Jahrbuch d.
Deutschen Hochschulen' 12. Erganzungs-
heft I. 6 (W): HZ 14, 63 (Berichte Her
deutschen botan. Gesellschaft 1904, 47:
M. Moebius).
*A0mann, J o h n n n B a p t i <; t Maria, Dr. ilu ol.,
kathol. Feldpropst d. preuU. .«Vrmee, Titular-
bischof von Philadelphia in Kletnasien;
• Branitz (Schlesien) 26. VIII. 1S33 ; t Ahr-
weiler 27. V. — BJ VIII, 84 (F. Lauchert);
Woche 5, 964 (P) ; BZ 1 2, 7o(Mnitirwochen-
bl.itt 1903, 13S7; Germania 1903 Mai 28).
Asten, Anna Scbultzcnv., Konzert&iiogerin :
s. Schnitzen v. Asten.
AuguKtus (Pseudonym), Schriftsteller: s.
Pohl er, Armand.
Bachler, Otto, Dr. phll., Chefredakteur der
)>St latsbUrgerztg.« in Berlin; *9.lX.l845:
f Herlin 3. VII. — Woche I903, I336;
KI, 25,34. 26,38».
Bachmann, Friedrich, Dr. phil.. Direktor
der k. F.lisabethschiilc in Berlin, verdienter
Schulmann; * Berlin 5. IV. 1839; f liampel-
baude (Riesengebirge) 2. V. — Woche 5,
82S: \'oss. Ztg. 1904 Nr. 5; Verzeichnb
der Berliner Univ.-Schrilten 1810 — 1885
(Berlin 1899) Nr. 8770.
Bäckers, Anna, Schauspielerin, früher am
Adolph Ernst- 1 hcater in Berlin; f , 44 Jahre
alt, I S. I. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 1 3.
Rade, Wilhelm, KapitHn a. D., Norilpolfahrcr;
^ Rostock 27. VII. — Geograph. Jahrbuch
26, 424 (mit L); Geographen -Kalender
2, 181; Ulttstr. Ztg. 121, 245.
Totenlisle 1903: Bad«n — Beck. 10*
9*
Sitdcn, I.copoldine Prinzc>:>in v., Für«;tin zu
Hobcnlohc-L.ingcnburg: s. Kcopo i d i nc.
Bandelow, Carl, k. preuO. Rittmeister a. D.,
Landwirt, Mitglied d. prcuß. Abgeordneten-
hauses; * Tressow (Mecklenburg-Schwerin)
31. VIII. 1834; t Berlin 26. II. — Woche
5,418; Kürschner, PreuO. Abgeordneten*
haus 1894, 156 (mit P).
Buse, Karl, k. k. Oberstabsarzt in Wien,
ehenial. Kassierer am Militär-Witwen- uiul
Waiseninstitut der k. k. Fcldürzte, Mitglied
d. Kuratofittms d. Vereins zur Errichtung
V. Sceliospizcn; t, 71 Jahre alt, 27. IX. —
Virchows Jahresberichte 38, 1, 410 (Pagcl,
mit L).
Barkhausen, Friedrich Wilhelm, Dr. theol.
et fhil., k. preufi. Wirkt. Geheimer Rat,
Präsident des Oberkirchenrat« in Berlin,
Kunitor des Klosters Loccum; • Misburg
b. Hannover 24. IV. 1831 ; f Breslau 3 1. VIII,
— III. Ztg. 121,334; W<»che 5, 1607 (P);
Theoloj,'. Jahresbericht 23. ii<)4 (Nestle,
mit L); HZ 13. 75 (Kirchl. Monatsschrift
t. ev.ingel. Christen iyo3 Nr. 37).
Baerlocher, Kantmisgerichtspriisident v. St.
<Jdlen; f daselbst 12. I. — Woche 5,f)S.
Barsis, Albrecht, Dr. med., Arit, frülicr Ke-
dakteur der »Wiener Medidn. Pressec;
Mcran, 3S J.ihre alt, 29. X. - \'irchows
J.ihrcsbcricbte 38, I, 410 (Pagcl, mit L).
Barfhel, Oskar, ehemaliff. Schauspieler am
K<iiii^l. llicatcr in Hannover; * Hraun-
scbwcig 11. II. 1845; f Lauterberg (Harz)
12. IV. Neuer Theatcralmanach 15, 146;
l lü^'ijcn, Hiogr.iph. Hiihncnlexikon i, 13.
*Bart8Ch, Max, Geheimer Dberjustizrat, Land-
• gerichtspfftsident in Breslau; * Sprottau
1833: t Hreslau 30. VIII. — BJ VIII. 149
(A. Teichmann).
Baste, Friedrich Wilhelm v. (Bestenbostel).
Schauspieler; • H.imburg 25. III. 1S43;
-i- Celle 20. XI. — Neuer Theateralmanach
16, 172.
Bastincller, Rudolf \.. k. ywwW. General-
major a. I).; t. So jidire alt, Anfang Mai.
— \ oss. Ztg. 1904 Nr. 3.
Bauer, Adolf, eheujal. Chorsänger; • Hohen-
Neuendorf 12. NM. 1S30; f Merlin I.X. —
Neuer 1 hcatcralmanach ib, itj/.
Bauer, Bernhard (Marie «Bemard), ehemni.
Ahbe u. piipstl. Prntonot.ir, .uich Heichl-
vater d. Kaiserin Eugenie v. Frankreich,
Konvertit, mehrfach politisch titig, Pabli»
zist; • Hiuiapol 1S29: f Paris 14. V.
Woche 5, 920; \ apereau, Dictionnaire
nniverstt des contonporains 5 1 48 ; De Gu«
bemalis, Didiofinairc iHlcrnaliotiiil des
ierwaims du jour 201; Neue freie Presse
1903 Mai 24.
BaneTi Caroline, geb. Sack, frflher Opem-
sängcrln, /iilcf/'t < ">c-ati!jlc1ii crin in Wien;
■}■ daselbst im .M.ii. — Neuer llieater-
almanach 15, 150; Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 12^) ri tistner, mit L).
Bauer, Ferdinand, Komponist in Berlin; f da-
selbst, 67 Jahre alt, a8. II. — Monatshefte
f. Musikgeschichte 36, 126 (I.üstncr, mit L).
Bauer, Franz, Dr. phii., Privatdozeut für
Geologie tmd Paläontologie in der Chem.
.Mtteiluny (i.Tcchii. I Id'-li-chulc in MUnchcn ;
* Dolinstcin (Mittcllranken) 28. 1870;
f durch Absturz auf dem Risserkogel bei
regern>ec 21. \ I. — Leopoldina 39, 100;
Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 139; Bericht
Ob. d. K. Techn. Hochsch. zu Manchen
1902/3 Nekrologe S. 6 (M. Weber, mit W),
•Bauer, Georg v., k. preuB. Cener.almajor
1. I).; " Kassel 12. VIII. 1823; f daselbst
I. I. — BJ VIII, 212 (Lorenzen).
Baumgartner, Adolf, ehemals Direktor der
I. andcs-Ackerhauschulc ( Irottenhof b. (Jraz
III: ! I lierer Sekrcl;ii der Obenlsicrreich.
L.uuiwiriscli.irt'>;4esellscli.ift ; f Neulengbach
(Niederiisterreieli), 77 Jalire alt, 22. V. —
Ulli Str. Ztg. 120, 858.
Bauque, .Vmand Louis, Architekt in Wien;
• I*aris 5. .XL 1851 ; f Wien 7. 1. — Woche
5, 98; Rheinhardt, Biogmphien d. Wiener
Kunstler u. .Schriftsteller i, 2.
Baureis, Jean, deutsch-auierikan. Schauspieler
u. Theaterdirektor; * Mannheim 10. X. 1849;
t HufTalc) im November. Neuer Tlie.nter-
almanach 16, 173; FlUggcn, Uiugraph.
Bahnenlexikon 1, t6.
•Bauscwcin , Kaspar, k. b.ayer. Kammer-
sänger, Mitglied der k. Hofoper in München
(Baritonisi); *Aub b. Ochsenfurt 15. XL
1838: t München 18. XL — BJ VIII, 233
(A. Freih. v. Mensi) ; Eisenberg, (iroQcs
biograph. I^'xikon d. Deutschen Huhne 64;
Neuer 'rheateralmatiach 16, 17a u. Illustra-
tionsbogen (I*); Woche 5, 2138 (P); Mo-
natshefte f. Musikgcsch. 36, 126 ( Lü!>tner);
A. Hägen, Almanach d. k. Iloftheater u.
d. Prin/regententheaters in München 1903,
Bayern, Irmengard Prinzessin v.; s. Irmen-
f^ard.
Bcau, j«)»er, eliemal. Miniiker u. läiuer am
Hoft>pemtheatcr in W' ien, Sltcstes Mitglied
desselben; f l in/, im S4. Jalirc. 1. II. -
Woche S» 282; .Neuer 1 heatcralnianach
15. »40.
Beck, Josejih, früher Milj,'1te<I <!. k. Oper in
Berlin, zuletzt am Metropulitantheater in
Newyork, Baritonist; * Mainz (Budapest
II. VII. 1S50 , iS4S:): f Preßburg 15. II.
— Eisenberg, Grolicä biograph. Lexikon
d. Deutschen BOhne 69; Flüggen, Biograph.
Btthnenlesikon i, 18; Illustr. Ztg. 120, 310:
Ü ^J^'-'^lC
11*
Totenliste 1903: Bede — Beigen.
Monatshefte fUr Musikgeschichte 36, 126
(LUstncr, mit L).
Beck, Martin Eugen, Paramcntikcr; * lierm-
hut 24. XI. 1833: t (i isclb^t 6. VI. —
Ursprlinglicli Töpfer und etwa seit d. Jahre
1865 aus eigenem Antrieb u. unter dem
Kinlluß Mcurers und AiidrcHs protcritant.
Paramentikcr. — Kleine Chronik d. evang.-
luthcr. Dialtonissenanstah su Dresden 39
(i904\ I. Vierteljahr, S. 3 — 5, 3. Viertel-
jahr, S. I, 3 — 6. 4. Vierteljahr, S. 3—5;
Dresdner Anieiger ^903 Juni 10 Nr. 159,
S. io. - - Mitteilung des Prof. Dr. H, A.
Lier in Dresden.
Beeker, Grast, k. preuS. Generalmajor t. D.,
zuletzt Kommandeur des l-and\vchrbezirk$
Frankfurt a. M.; f, 5S Jahre alt, 8. IV. —
Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
Becker, Fritz, früher I lof kapellmeister am
OroBherzoglichen lioftheater in Schwerin;
• Hamburg; f Schwerin 12. 1. — Neuer
Theateralmanach 1 5, 138; BZ 12, 80 ( Uam-
burgcr] Frcmdenblatt 1 903 Nr. 1 4 : K.Krausc).
Beckh-Widmanstettcr, Leopold k. u. k.
Hauptmann a. 1)., Archivar d. Deutschen
Kitterordens in Wien, Kulturhi-toriker;
• Ur.iz 15. \l. 1S41 ; t 5. III. — Kl. 23,68
(W). 26,38*; Hinrichsen,D.litenir.I)eutsch-
]anda84 (initW) ; P. G. Rheinhardt, Bio-
graphien iler W iener Künstler u. Schrift-
Steller I, 230.
Beetz, Felix, />r. ///<•</., Hofr.U, prakt. .\rzt
in München; * Berlin 2. II. 1849; t Mün-
chen II, IV. — Virchows Jahretberidite
38, I, 410 (Pagd, mit L); Leopoldina
39. »«>•
Behrens, Wilhelm Julius, Dr. phU., Bo-
taiiiker \\. Mikroskopiker, Herau^jjchcr d.
Ztscbr. f. wi$$en!>chaftl. NLkroskupic und
mikroskopische Technik; * ßraunschweig;
■f fliittingcn 24. Xir. Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 296; BZ 14, 71 iZtschr. f.
wissenschaftl. Mikroskopie 20, 273 und
Natur u. Schule 1902, 209: K. ()(>permann;
Ztscbr. f. Schulgeographie 25, 193).
*Bellermann, Johann Gottfried Heinrich,
Dr. phil. honoris causa, außerordentlicher
Professor f. Musikwisserisehaft an d. Uni-
versität Herlin, .Mitglied der Akademie d.
Künste daselbst, ^Iusiker u. Musikschrift-
steller; • Herlin 10. III. 1S32; f Potsdam
10. IV. -- HJ VIll, 265 (J. WoU); Kie-
mann 5 98 (mit W); Mendel - ReiBmann,
Musikal. Konversationslexikon i, 532; KL
25, 74 (W} ; Monatshefte f. Musikgeschichte
36, ia6 (LUstner, mit L); Chronik der k.
Friedr.-Wilh.-Univ. zu Herlin 17, 1003,8.
*Belltngrath, Kwald, Dr.-Ing., Förderer d.
Binnenschiffahrt; * Barmen 18. IV. 1838;
t Dresden aa. VIII. — BJ VIII, 146 (A. Birk).
Below, Werner Friedrich Louis Gustav v.,
k. preuO. Generalmajor z. D., bis 1901
Kommandeur v. Kiistrin; * Astrawischkcn
1. III. 1S41: t Swinemünde 6. IV, —
Illustr. Ztg. 120, 586; Voss. Ztg. 1904 Nr. 3;
Goth. Genealog. Taschenbuch d. Adeligen
Häuser 6, 72.
Bclrupt-Tissac, K:ul Graf, k. u. k. Kammer-
herr u. Geheimer Rat, Mitglied d. Herren-
hauscs d. östcrrcicli. Reicli'^rats auf T.ebcns-
zeit, Präsident d. Landwirtschaftsgesellschaft
in Vorarlberg, früher Landeshauptmann von
N'orarlherj^; * PIctcrnioa (Slavonien) I4.XIL
1S26; f Brcgenz 31. V. — Illustr. Ztg.
120,897; Goth. Genealog. Taschenbuch
d. Gräfl. Häuser 77, 76.
Bendel, Josef, Schauspieler am Kolosseum-
theater in Maimheim; f daselbst 17. V. —
Neuer Theateralmanach 15, 150.
*Benfcy, Anna, geb. Schuppe (auch
B c n f e y - S c h u p p c) , Musikschrifbtellcrin
und Tonkünstlerin; • Ljindeck (Solilesicn)
etwa 1830; fWeinm 27. V. — HJ VIll, 1S5
(F. Hrümmer); KL 25, 77 (W); Hinrichscn,
I>. literar.Deutschland '97 ( .\utohiographic);
Monatshefte für Musikgeschichte 36, 126
(LUstner, mit L).
Benger, Gottlieb, k. württendierg. Kommer-
jcienmt, rumiVn. Generalkonsul, Besitzer d.
Fabrik Jägerscher WoUwarcn in Stuttgart,
auch ethnograph. Schriftsteller; f Ublbacfa
bei Cannstatt, 52 Jahre alt, 19. VIIL —
Illustr. Ztg. 121,301; Geographtiukalender
2, 182; BZ 13,78 (SchwKb. Merkur 1903
Aufjust 27).
Benzinger, k. Württemberg. Kommerzienrat,
Direktor der Wartlembeig. Vereinsbank;
t Stuttgart, im 64, Jahre, 2a VIII. —
Woche 5, 1554,
•Berdrow, Otto, Lehrer in Stralsund, ]}t.
Dichter, Romanschriftsteller und 1 .iterar-
historiker; * Stralsund 26. V. 1862; f da-
selbst 6. IL — BJ Vlll, 186 (F. Brttmmer);
KL 25, 81 (W).
Bercndt, Martin, Dr. f'hil., philosoph. und
nationaltikonom. Schriftsteller in Berlin ;
* Gnoien 30. VIII. 1849; f Berlin 31. 1. —
Illustr. Ztg. 120, 237; KL 25. 81 iW).
26, 38*.
*B«reil]lor8t, Adolf v., k. preuß. General-
major a. D., herzog], anhaltin. (")l)crstall-
meister und Kammerherr, ein Enkel des
alten Dessauer; * Desuu 6. VIII. 1820;
t daselbst 18. IV. — BJ Vm, 240 (Lo-
renzen).
Betg, Salomon, Budibindler in Blltiow
(Mecklenburj,'' ; ^ daselbst, im 86. Jahre,
6. III. — Börsenblatt f. d. Deutschen Buch-
handel 70, 1939. 7636.
Beigeiii Eugen, katserl. russ. Staatsrat in
Totenliste 1903: Berger — BlUi.
14*
St. Petersburg, Ordinator emcrit. d. Marine-
hcwpitals in Wladiwostok; • Fdlin (Liv
lamn; f, 65 Jahre alt, 26. I. — \*irchows
Jahresberichte 3S, I, 410 (Pagcl, mit L).
Berger» Nationalrat, dienul. achweixer. Staa»-
Schreiber; fLnngMa, 76J«lu«alt,3.VIL —
Woche 5, 1236.
Bernhard, Prinz zu Sehattinburg-Lippe.
Solln des Ptisscn Maximilian aus der Ehe
mit Olga Henogia v. Württemberg; * Lud-
wigsburg 18» XII. 1903; f dbsdbst 24. VI.
— Golh. Genealogisdier Hofkalender 14t»
86.
Bernhard, L. (Pseudonym), Schriftsteller: s.
Thiele, Luise.
Bernstein, Hmno, Hühncnvcrlc^icr; f Berlin
25. III. — Neuer 1 heateralinanach 15,
«44.
•Bernstein, Hugo, Buchdrucker u. Verleger
in Berlin; * daselbst 13. XII. 1857; f ebenda
2. VI. — BJ VIII, 995 (K* Schmidt); Börsen-
bl.iit f. d. Deutschen Bttchbandd 79i45l4>
4576. 4672. 9743-
Bertram, Heinrieb, Hofopemsftnger a. D. und
Profcisor d. Ccsang-ikunst am K. Konser-
vatorium d. Musik in Stuttgart, üaritonist;
* Bramucbweig t4. III. 1825; f Stuttgart
15. XI, - Illu^tr. Zt>,'. 121,795: Kiscnberi;,
Großes biograph. Lexikon der Deutseben
Bahne 88; Flüggen, Biograph. Btlbnen-
lezikon i, 3$; Monatshefte f. Mosikgcseb.
36, 126 (Lastner, mit L).
Beraerer von ThaUlngen, Maximilian
Joseph Alois FMh. V., k. bayr. Kämmerer
u. Generalmajor a. D. ; • Oettingcn 3. IX.
1S20; t München 10. II. — Goth. Genealog.
Tasdienbueh d. Freiherrlichcn Hiuser 1904,
Bestenbostel (Pseudon.), Schauspieler: s.
Baste, Friedrich Wilhelm v.
Bettelheim -n.il.i Hon, Heinrich; • Wien
5. VlI. 1887; t 24. VJ. — Zur Er-
innerung an H. B.*G. Von seiner Mutter.
Ah Handschrift Ihr Freunde gedruckt
(Wien 1905.)
•Bets, Philipp Friedrich, Dr. mid., k. wörttem-
bcrg. Sanitätsrat, prakt. Arzt in Hcilhronn,
medizin. Schriftsteller, auch Politiker;
* Weinsberg 15. II. 1819; t Heilbronn
24. IX. — BJ VIII, 61 (Pa^'cl).
Beyer, Karl, chemal. Hoftbeatcrmaler in
Dainttadt; * 21. IV. i8a6; f Darmttadt
18. VII. — Neuer Theateralnanach 15,
«53-
*Beyschlag, Julius Robert, Genremaler;
* Nördlingen i. V'H. 1838; f München
5. XII. — BJ Vin, 74 (Hyazinth Hol-
land); Müller-Singer, Allgemeines KUnstler-
lcxilM>n3 I, 122; Jahrbuch der bildenden
Knast I, Iii, 61.
Bichel, Theodor, Erfinder der l uUspiUe;
f Bozen, im 6$. Jahre, S* IV. — Illustr.
Ztp;. 12n, 5S6.
Biedermann, Albert, Mitglied des Stadt-
theaterorchesters in Hambiug; * Rötha 18.
XI. 1S51 ; f November. — Neuer Theater*
almanach 16, 173.
•Biedermann, Gustav Wo! dem ar Freih. t.,
Dr. phil. honivis causa, k. sächs. Geheimer
Rat, bis 1887 Vorstand d. techn. Abteilung
d. Generaldirekrion d. sichs. Staatseisen-
bahnen, Goethefurscher; * .Marienberg (Eix*
gebirge) 5, III. 1837; f Dresden 6. II. —
BJ VlI 1,287 (A. Reichardt) ; Goth. Geneal.
Taschenbuch d. Freiherr!. Häuser 55» 54t
Woche 5. 2SS (P); Allgemeine Z^, 1903
Beil. 31; Illustr. Ztg. 120, 237.
Bienemann, Friedrich Gustav, Dr. phil.,
Honorarprofessor für (»eschichtc an «ler
Universität Freiburg i. B., Historiker und
Publizist; «Riga 19. (7. ahen Stils) II. 1838;
t Freiburg i. B. 22. IX. — KL 25. 104
(W). 26,38*; Allgemeine Ztg. 1903 Beil.
2 16; Illustr. Ztg. 121, 486.
Bienert, Hermann, St i<Itinu^ikdircktor in
üemburg; f dai>elbst, 46 Jahre alt, 10. III.
— Monatshefte f. Mnsikgeschicbte 36, 126
(I.Ustncr, mit L).
*Birck, Maximilian, Dr. iheol., Kanonikus in
Aachen, Kirchenhistoriker; • Cöln 6. II.
1841; t Aachen 25. XI. — BJ VIII, 284
(F. Lauchert).
Birrenkovcn, Anna, geb. Slach, Gattin d.
Heldentenors Wilhelm B., chcmal. Opcrn-
s&ngerin; f Hamburg 12. (oder 20.?) IV.
— Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 127
(Lastner, mit Li; Ki-en!.crg, Grofies bio-
graph. Lexikon li. I )ciit-Mlien Bühne IOO;
Neuer 1 hcateralmanacii 15, 146.
*Bischolf von Klammstein, Friedrich, k. k.
Sektionschef im F-isenbahnministerium,
Erbauer d. Wiener Stadtbahn; * Graz 14.
XI. 1832: t Wien 26. IL — BJ VIII, 147
(A. Birk\
Bittncr, Georg, Schauspieler am böhm.
Landestheater in Prag; f daselbst 7. V. —
Neuer Theateralm.inach 13. 147.
Bittrieb, Kommerzicnrat, bcniorchcf d. Kolo-
nial -GroShandlung J. C Biltridi & Söhne
in K<">nigsberg i. Pr. ; f daselbst 24. X.
Illustr. Ztg. 121, 648.
Blaae, Louis v., Admind z. D. d. Deutschen
Flotte, zuletzt bis 18S9 ( lief d. Marine-
Station an d. Ostsee; f Weimar, 70 Jahre
alt, 9. (oder 1 1 . ») I. — Voss. Ztg. 1 904 N r. 3 ;
Woche 5, 98.
Bläsi, Mitglied und öfters \'ursitzender des
Schweizer. Bundesgerichts zu L a us a nn e ;
f daselbst, 70 Jahre alt, 24. XI. — Dlustr.
Ztg. 121, 841.
15*
Totenliste 1903: Blech — Breidenbach.
16»
Blech, Charles, 1826—1905. — Ztschr. f. d.
Geschichte d. Oberrheins 58, 721 (Kaiser,
L: Le Messager des Vo$ge$ illustre i, 113).
BIQcher, Knrl Louis Franz Amalrich Ulrich
V., k. preuO. Generalmajor z. D. ; * Falken»
berjj 17. III. 1816: t Berlin 28. VI. ^
Ulustr. Ztg. 121, 67; Goth. Genealog.
Tasdienbuch d. Adeligen Hinser $• 99*
Blum, Alcuin, Opern- und Oratonensänger
(Baritonist), zuletzt Leiter deutscher Gesang-
vereine in Ncwyork; * Salmünster 1846;
f Newvork 17. III. - Woche 5, 556; Mo-
natshefte fUr Musikgeschichte 36, 127
(Liistner, mit L); Flflggeii, Biogmpliisehes
Huhncnk'xikon 1,98; Neuer Thcatcralnw»
nach 15, 142.
Blum, J., Zoologe; f Frankfurt a. M. 24. IV.
— Lcopoldina 39, 100; BZ 14, 84 (Der
zoolog. Garten 44, 334: A. Knoblauch;
Bericht d. Senckenbci^. Gesellschaft in
Frankfurt a. M. 1903, 160*: H. Reichen-
baeh).
Blumauer, Karl, Landschaftsmaler in Liiu;
f daselbst, 77 Jahre all, a6. XII. — Voss.
Ztjf. 1903 Nr. II.
*Blumenthal, Ludwig v., k. preuO. General-
major z. D.; • Gatz (Kreis Stolp) i. \'III.
181 1 ; t Potsdam aj. V. — BJ Vlll, 256
(Lorenzen).
Bock, Waldemar v., ehcmal. Vizepräsident
d. livhind. Hnfgerichts, auch literarisch
tätig; f Hamberg, 86 Jahre alt, l. II. —
Voss. Ztg. 1903 Nr. 9.
Bockel, früher Bürgermeister d. Bades Pyr-
mont; f daselbst, im 68. Jahre, 15. 1. —
Woche 5, 144.
*Boeddinf^hauN , Karl, Kaplan, Puhli/ist,
früher Verleger und Leiter d. »Westfäl.
Merkarc ; * Camen b. Dortmund 2$. X. 1 83 5 ;
t 17. — BJ Vin, 83 (F. Lauchen i
BSbl, Eduard, Dr. theol. et J>hU., k. k. Hofrat.
cmerit. ordend. Professor d. alttestamentl.
Theologie an d. Evangel. -theolog. Fakultät
in Wien; • Hamburg 18. XI. 1836; f ^Vien
34. 1. — KL 25, 128 (W). 26, 39*: Schaff
and Jackson, Encyclofedia 0/ living dwints
21 (mit W); Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 22;
Theolog. Jahresbericht 23, 1194 (Nestle,
mit L).
Böhnckc, Kranz Hermann, Superintendent io
Lotzen; * Goldap 25. I, 1837; t Lotzen
2. III. - Rindfleisch, AltpreuO. Bibliogr.
f. d. I. 1003. 43 (L: Kvangel. Gemeinde»
blatt 58, 78 [Trinker]).
*BokelmAnn, Wilhelm Hieronymus, Ge-
heimer Ke^^icnmgsrat, Land- u. Volkswirt;
• Hamburg 21. V. 1822; f Kiel 3. XU. —
BJ VIII, 175 Ooh. Sass).
Bolley, Wilhelm, ehemal. Mitgl. d. Hof-
orchesters in Stuttgart; * 8. XII. 1S49;
t Stuttgart im sweiten Vieitel d. Jahres.
— Neuer Theatcr.tlmanach 16, 166.
Boraet zu Meautry, Fraru Karl August,
k. bayer. Generalmajor z. D.; • Kreuth
3. VI.'iS46; t Staud.ach 10. XII. - Goth.
Genealog. Taschenbuch d. FreiherrL HftttSer
55, 09; Woche 5, 2272.
Boretfns, Oskar Kduard Annin Bogidav,
Dr. nu\i., k. preuO. Gcner.ilstahsarzt a, D.
in Daiuig, verdient um freiwillige Armen-
pflege u. Samariterwesen; * Rauscbnick b.
Königsberg i. Fr. 26. I. 1830; t Danzig im
Juni. — Virchows Jahresberichte 38, 1, 410
(Pagel); Illustr. Ztg. Mo, 97a; VUa in B.s
Dis^^ertaiion: De kidok ekimica teUtocu.
Berolini iSj2,
•Borvdolf , Alfred Theodor Wt 1 h el m (WiU y).
/'r. phiL, Professor t!. rDttian. Sprachen
und Dozent für altdeutsche Philologie an
Universiiv College zu Abcrystwith; * Pots-
dam <). IV. 1865; t Capri laVI. — BJ
VHI, 148 (C. Michaelis).
Bttrsmaim, Martin, Maler und efaemal. Re-
dakteur; •Elfershude 1851; f Hannover
21. II. — Illustr. Ztg. 120, 347; HZ 12, 89
(Hannoversche Geschichtsblätter 1903, 241).
Bösenberg, Friedrich Wilhelm, Arch&olog;
t .'Stuttgart, 62 Jahre alt, 2. II. — Leo-
poldina 39, 84.
Bottstein, Wilhelmine, geb. Schradicck,
ehemal. Schauspielerin; • Hamburg 27. III.
1831 ; t daselbst 29. XI, — Neuer Thcatcr-
almanach 16, 173.
Brackel, Engelbert Wilhelm Otto Jo-eph
Frcih. V., früher Major in d. päpstl. G.-irde,
dann mezikan.ObcTstIevtnant, suIetstSchrift-
■-teller in Kassel; • Welda bei W.irburg
^Westfalen) 16. VL 1830; f Kassel 23. XI.
— Goth. Genealog. Taschenbuch d. Fret-
herrl. Häuser 54,70. 55,936.
Braun, Karl, Mitglied d. Hofopemorchcsters
in Wien; f daselbst, $8 Jahre alt, 19. IV. —
Monatshefte für Musikgcsdlicllte 36, 137
(Ltlstner, mit L).
^Braun, Karl Ludwig August, Reichsgerichts-
rat in Leipzig: *Orb 26. III. 1832; f Leipzig
29. X. — BJ VIII, 267 (A. Teichm.inn).
Braune, Geheimer Oberpostrat, Obcrpost-
direktor a. D.; f Halle 8. X. — Illustr. Ztg.
121, 753; \ oss. Ztg. 1903 Nr. lüS.
Braune, Kranz, techn. Direktor der Stumm-
schen Werke in Neunkirchen ; f daselbst
4. IV. HZ 13,90 (Ztschr. d. \ ercins deut-
scher Ingenieure 47 Nr. 19, mit P^.
Breden, Adalmar, k. k. Rittmeister a. D..
Militiirschriftstcllerj f Wien lOwL — lUustr.
Ztg. 120, 166.
*BreidenbMb, Emilie ▼., geb. Freiin von
Eisendecker, Dichterin u. Schriftstellerin ;
* Konsunz 7. 1. 1838; f daselbst 16. IV.
Totenlnte 1903: BrdtbMipt — ▼. BOlow.
— BJ VIII, 186 (F. Brüinmcr); BrUmmcrS
I, 177. 495 (mit W); KL 25. 163 (W).
Breithaupt, Dr., Wirk!. Geheimer Rat, Ober-
landesgerichtspräsident a.D., früher Mitglied
dpreufi. Abgeordnetenluiuses; f Naumburg
15. IV. — Illiutr. Ztg. 120,633; Voss. Ztg.
1904 Nr. 3.
Bretzl, Josef (Pscudon.: J. Reginas), lyr.
Dichter zu Str:\ßburg i. E.; • Regen (Bayr.
WaUn 29- VIII. 1845; 1 15. II. — KL «5,
109 (W). 26, 39*.
Brill, Wilhelm, Dr. med., Kieisant u. Mcdi-
2in.-ilrat in Eschwege; •Bergen 1835; f Km Ii-
wcge 28. Vill. — \ irchows Jahresberichte
3S, 1, 410 (Pügel, mit L); BZ 13, 88 (Cone-
spnndenzblatt d. Ä«te d. Ptov, Nassau
1903, 409: Hartmann).
BriokmanB, Erich, kgl. sftchs. Genendmajor
a. D., früher in kgl. Ii inn(»\ ersclien Diensten,
xuletzt bis 1877 Kommandeur d. kgl. sächs.
loa. Infanterieregiments; f, 80 Jahre alt,
27. VII. - Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
*Br&ck, Heinrich, Dr. thcol.^ Bischof v. Mainz,
Kircboihistoriker und KÜionist; * Bingen
15. X. 1S31; t Mainz 5. XI. — BJ VIII,
246 (F. Lauchert); ITicolog. Jahresbericht
23, 1193 (Nestle) u. BZ 14. 89 (L); Woche
5.2052 (P).
Bruckner, Karl, Vize-Hof kapellmci^^tcr an
d. Hofoper u, Dom-Subkantor an St. .Stephan
in Wien, auch Dichter; * dasellist 13. X.
1848; f Mildlirig 7. X. — Neuer Tiieater-
almanach ib, ibj; Monatshcüc f. Musik-
gesch. 36, 127 (Lllstner, mit L); BrUmmcrS
1, 186 (mit W^.
Brückner, Joseph v., kgl. baycr. Generalmajor
a. D., zuletzt bis 1899 Kommandeur der
3. Infanterie -Brig.ide; f Arco lOw IV. —
lllustr. Ztg. I20, 623.
BfttggMi, Emst Freih. von der, Publixist u.
Historiker; f Riga 30. XIL — Voss. Ztg.
1904 Nr. 9.
*Bragier, Gustav, Dr, iheot. homtris causa,
päpstl. I'rähit, erzbischöfl. Geistlicher Rat,
MUnstcrpfarrer in Konstanz,Literarhistoriker ;
*TatiberlH8ehorsheim 18. VIIL 1829 ; f Kon-
stanz 13. IX. — BJ VIII, 221 (F. Lauchert) ;
lllustr. Ztg. 121, 486; Allgemeine Ztg. 1903
Beil. 208; Keiter-Jörg, Kathol. Literatur-
kalcnder 6, 34 (W); Ztschr. f. d. (Jeschicluc
d. Oberrheins 58, 542 (Fr.-iiikliauser, L:
Oberrhein. Fasttiralblatt 5. 337).
Brühl, Gustav (Gustavus, Pseudon.: Kara
Giorg). Dr. med., prakt. Arzt in ( "in< innati,
Schriftsteller, Publizist u. Dichter; * llerdorf
(KheinpreuBen) 31. V. 1826; f Cincinnatt
.■\nfang d. Jahres. — Ck'ogr. Jahrbut-h 2(1,
425 (Wolkenhauer, mit W u. L); BrUmnierS
1, 188. 500 (mit W)\ Appleton, Cydoptudia
^Amtrieam Bi^a^y f , 419 (mit W).
*Brüll, Andreas, Dr, thcoL, kalhol. Pfarrer
zu Plittersdorf b. Godesberg (RheinpreuBen),
P;»tristikcr 11. .Sozialixilitikcr; * Boslar b.
Jülich 5. VI. 1845; t Kissingen 24. VII.
— BJ Vlll, 193 (F. Laucbert^
Brüning, Ida, geb. WohlbrUck, Opemsin-
gerin: s. Schuselka-Brlining, Ida.
Brünings, Ihcodor, Oberlandesgerichsrat
a. 1).. Laiidt.-igsabgeordneter; f Herrenalb
8. III. — Woche 5, 1464.
Brünn, J. v. (Pseudonym), Dichterin: s.
Po/, orny, luny.
Brunner, Kduard, Komponist u. Keekens chori
zu Bruck a. d. Mur; f daselbst 15. II. —
Monatshefte für Musikgeschichte 36, 127
(LiUtncr, mit L); BZ i3, 92 (Gregorianische
Rundschau 1903, 45).
Brunner, Robert, Oberst im Eidgenttss.
Gencral<t;»b, Chef d. Eisenbahnsektion d.
MUilärdcpartements; f Bern, im 43. Jahre,
»4. II. — lllustr. Ztg. I30, 347; BZ 13, 92
(Neue Zürcher Ztg. 1903 Nr. 56).
^Büchel, Karl Eduard, Professor, Ehren-
mitglied der KunstaKademie in Dresden,
Kupfcrsteelur; * Ki^eiiberg (Sachs.- Alten-
burg) 21. IV. 1S35; I Dresden 25. VIII.
— BJ VIII, 293 (R. Slielcr).
Buchheister, Max JUrgen, Wasserbaudircktor
in Hamburg; • daselbst 2. VI. 1S42; f Nervi
im Marz. — Woche 5, 817 (mit P); BZ
i3> 93 (Hamburger Korrespondent 1903
März 29).
Buchner, Otto, Dr.phil,, Assistent d. Kiinst-
gewerbl. Ausstellung in Krfurt, Kunst-
historiker; ♦Krefeld 25. Vlll. 1869; f Krfurt
25. Vlll. — lUustr.Ztg. 121,334; Lebens-
lauf in B.s Disscitaüon: D. mittelalterL
Grabplastik in Nordthttringen, Stnfiburg
1902.
Bude, Porstmeister. — Ztschr. f. d. Geschichte
d. < »berrheins 3S, 542 (Fraukhauscr, L: Der
Schwarzwald 15 Nr. 21).
^Budaker, Georg Gottlieb, Schulmann u.
Pfarrer in Bistritz (Siebenbürgen); * daselbst
I. V, 1825; t ebenda 21. VL — BJ VIU,
aoi (F. Schuller).
Bührig, Heinrich Johann Julius, Dr. med..
Geheimer Sanitätsrat, prakt. Arzt in Berlin;
•daselbst 17. VII. 1823; t ebenda 19. Vm.
— \ircho\vs Jahresberichte 38, I, 411
(Pagel); Voss. Ztg. 1904 Nr. 7; Verzeichnis
d. Berliner Univ. -Schriften i8io 85 (Berlin
1S99) Nr. 3931.
Bülow, Luise V., loehtcr des Grafen von
BUlow-Dennewilz, Gemahlin d. Dichters
Karl Eduard v. B., Stiefmutter des Kom-
|vinisten Hans v. H.; * Berlin 27. X. 1813;
T Homburg 27. \ . — lllustr. Ztg. I20,
958; Allgemeine Deutsche Biographie 3,
S«7.
Totenli»te 1903: v. Bumke — v. Cbarpentier.
20*
*Bumkc, Julius v.. kgl. preuß. Gencmlleutnant
t, D., Ingenicuroffizier; ♦ Zchdenick (Kreis
Tcinplin) 21. 1832; f Herlin 31. I. —
BJ VIII, 143 (Lorenzen); lllustr. Ztg. 120,
«37; Woche 5. 366 (P).
•Bumm.A nton Ktii>prcclu,/^r.w/<'t/.,kgl.V)aycr.
Mcdizinalrat, ordeatl. Professor f. Psychiatric
a. Direktor d. Fsychiatr. Klinik an d. Uni>
vcrsitiit München: •WUrzburg 27. III. 1.S49;
t München 13. IV. — HJ Vi 11, 62 (Pagci);
Virehows Jahresbericht 38, I, 411 (Paßel,
mit L); Allgemeine Ztg. njoj Beil. 83;
Leopoldina 39, 84; BZ 13,91 (Allgemeine
Ztschr. f. Prjrdiiatrie und psych.-gcrichtl.
Medizin 60,790 : Vockc ; Psych iatr.-ncurolog;.
Wochenschrift 1903, 153: Neupcrt).
Bunsen, Emst v., kgl. prcuO. Hauptmann a. I).
u. Kammcrlierr, Schriftsteller auf bibl. u.
religi<isem Gebiete; * 1S19; f Regents Park
b. London 14. V. — Illu^tr. Ztg. 120, 765;
Ztg. 1904 Nr. 9.
•Bürgel, I Ingo, I,andso!i:\ft-;m.iler in Münclicn,
MilbcgrUnder d. Luitpoldgruppc dasclbj^t;
• Landshut 14. IV.* 185 3; f Manchen 3. VII.
— HI VIII, 75 (H. Holhujd); BZ 13,94
. (Kunst f. Alle 18, 211;.
Butger, Leopold, Sitten- a. Dekorationsmaler
in Wien; • daselbst 9. X. 1S61; + J^rixcn.
— lllustr. Ztg. 1 2 1 , 795 ; D. geistige Deutsch-
land I, 98; MttUei^ingerS i, 200.
Büdcel, Ludwig V., kgl. bayer.Ministerialdirckt,
tu D., früher Vorstand d. tlof kassc König
I^udwigs II., Musikfreund ; * Manchen 8. V.
1S41; f d.^selbst 9. VII. — Augsburger
Abendztg. 1903 Nr. 188; BZ 13, 91 (Bay«
reuther BiStter 1903, 302; Münchner All-
gemeine Ztg. 1903 Juli 24).
Burkhardt, Arthur Guido, Missionsdirektor
a. D., Redakteur d. »Mitteilungen an d.
BrOdergemeindec; * Nie>k\ 14. I. 1832.
— KL 25, 194. 26, 39*; }{Z 12,94 (Mit-
teilungen aus d. Brütlcrgciueinde 1903,
222: P. Marx).
Burkhardt, Gustav Knill, /)r.. Superintendent
n. D., Herausgeber d. »Kleinen Missions-
bibliothek«; * Menehttfif 20. VI. 1820;
t Halle t.XII. — Theolog. Jahresbericht
23* 1195 (Nestle, mitL).
Bttscb, Walther, Gymnasialoberlehrer in Steg-
litz b. Berlin; verunglückt 19. 1. — Jahres-
bericht d. Gymn. Stegliu 17 (1902/3), iS
(mit L).
Bttttner, Karl Julius, /)r. med., Ophthal-
molog, Senior d. Ärzte in Libau; * Bautzen
etwa 1833; f Libau 25. VIII. — Virehows
Jahresberichte 3S, I, 411 (Pagel, mitL);
C. J. Büttner, De ossium sclo/>ctis vulncra-
torum ItKSwnibus. Diss. l.ipsiae i8_^j.
Buz, Karl A u g u s t , kgl. baycr. Kommerzienr.tt,
Generaldirektor d. Aktiengesellschaft Union
(Zündhölzer) in Augsburg; * daselbst 13.
XL 1841; t ebenda 15. X. -~ lUvstr. Ztff.
121, 607; KZ 13,9t (D. ehem. Industrie
1903 Nr. 21).
*CaIaiidrelli, Alexander, Professor, Bildhauer
in Berlin; • daselbst 9. V. 1834; f ebenda
26. V. — BJ VllI, 85 (R Schmerbcr);
niostr. Ztg. 120, 899 (L. P. mit F); D.
geistige Deutschland t, 102; Woche 5,
964 (P).
*Carlowits, Owald [nicht Oskar] Rudolf v.,
kgl. sächs. General der Kavallerie z. D.,
Generaladjutant des Königs von Sachsen;
*Falkenhain b. Würzen 20. 1. 182 5 ; f Dresden
24. IV. — BJ Vin, 279 (Lorenzen); lllustr.
Ztg. 120, 639; Woche 5, 782 (P); Goth.
Gcne.nlog. Taschenbuch d. Adeligen Häuser
5. '79-
Carus, Idliiis \'iktt<r, /'r. med., phil. et für.,
außiTordentl. l'rolessor in der medizin.
Fakultät d. Univ. Leipzig, Zoolog u. Zootom ;
• Leipzig 25. VIII. 1S23; t dn-olbvt 10. III.
— KL 24, 209. 26, 39*; Leopoldina 39, 50
(O. Taschenberg, mit W); Wodie Si 5*'
(P); Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 57; Hin-
ricbsen* 220 (mit W); D. literar. l„eipzig
214 (mit W); Haan, Sichs. Schriftatelier-
lexikon 37 (mit W); Gefigraphcn-Kalcndcr
2, 183; Virehows Jahresberichte 38, I, 411
(Pagel, L); BZ 12,95. «3.92. 14,85 (In-
sektenbiirse 1Q03, 97, mit P; Zoolog. An-
zeiger 1903, 473; ü. Taschenberg; Natur-
wissenschaft]. Rundschau 1903, 245: P. v.
Hanstein; Anatom. Anzeiger 1903, iii:
K. V. Bardclcbcn; Berichte üb. d. Ver-
handlungen d. kgl. sächs. Gesellschaft d.
Wissenschaften, Math. -Pliys. Klasse, 53, 42 1 :
riiun; Ahn.inach d. kaiscrl. Akademie d.
W isbcn^chalt. m Wien 1903,281: Grobben).
Castell-Rüdenhausen, Siegfried Friedrich
K.i>imir Adolf Kuno Erbgraf zu, Kaiserl.
deutscher Legalionsrat, außcrordentl. Ge-
sandter und bevollmächtigter Minister d.
Dcutsclien Reichs bei d. Republik Chile:
* Küdenliausen (Kreis ünterfrankcn, Bayern)
17. IIL 1860; t Chüe 2. IL — Goth.
Genealog. Hofkalendcr ^41, 1 14; Woche
Caator (Pseudonym), Reiseschriftsteller: s.
Dl- gen mann, P. Alex.
Chandon, Joseph, ehcni.xl. Opernsänger
(B.ossist); • St. Ingbert 183S; f Cöln 1 5.VII.
— Neuer Thcateralmanach 13, 153; Mo-
natshefte für Musikgeschichte 36, 127
(Lttstner, mit L).
Charpenticr,K. R. T. v., kgl. sächs. Wirklicher
Geheimer Rat, bis 1897 Abteilungsdirektor
im sächs. Ministerium d. Innern; f Dresden,
80 Jahre ah, 15. XIL — Voss. Zt|r. 1903
Nr. 608.
--'ü • '-i ^J^-'-'
21*
Totenliste 1903: de la Chevallerie
Dalmer.
22*
Chevallerie, Auguste de la, geb. v. Riimer,
Sthriltstcilerin und Dichterin; • Kittergut
VVirchwitz b. Zeitz (Prov. Sachsen) 22. II.
1835; f Naunhof b. Leipzig im September
(?). — Illustr. Ztg. 121,411; Pataky.Deutsche
Fnnen d. Feder i, 126. a, 201 (mit W);
D. literar. Leipzig ii6 (mit P); BrOmmerS
I, 217 (mit W).
Colis, Moses, Nestor d. deotschen Veterinftre;
'Schwerin 1806; t Parchim im Oktober.
— Virdunrs Jahresberichte 3S, 1, 41 1 (Pagel).
Cohtt-Antenorid, W., Sinologfe u. Kultur-
historikcr in Herlin -Sch«>neberg; • 3» VL
1807. - KL 25, 215. 26,39*.
Colui-Oppenheim, Julie Freifrau t., Men-
schcnfrcundin ; f Berlin 5. I. — Illustr.
Ztg. I2U, 132 (mitP); BZ 12,99 ((Jnser
Anbaltland 1903, 49; Anhalt. Sta.nt*anzciger
1903 Nr. 6).
Conndy, Wilhelm, Kreisrichter a. I)., Limes-
forscber; f Miltenberg, 74 Jahre alt, i. XII.
<— Leopoldina 40, 35; Allgemeine Ztg.
I')03 V.cl]. 270.
•Cornelius, Karl -Adolf Wenzeslaus v., Dr.
pAi/., kgl. bayer. Geheimer Rat, ordentl.
Professor d. (IcsL-hiohte an d. Universität
Manchen, 1848/49 Mitglied d. Natiooal-
▼crsammlnng in Frankfoit a. M. ; * Wlln>
bürg 12. III. 1819; + München 10. H.
BJ Vlil, 15 (M. Ritter); Chronik d.Ludwig-
Mazimilians-Unirersitit Manchen 1902/03,
12 14; Woche 5, 334 (P^\ Almanach d.
kaiserl. Akademie der Wissenschaften in
Wien 1903, 320 (Redlich).
CofteBe,Minnie(eigcntlichIIennincKracf ft),
ehemaL Opernsängerin; * Chicago ca, 1862;
t Wien 7. VII. — Neuer Theateralmanach
15. 152.
Cramer, Friedrich, I>r. med., Sanitätsrat und
Chirurg in Wiesbaden ; • daselbst 19. X.
1S47; f ebenda 20. H. — Virchows Jahres-
berichte 38,1,412 (Pagel. initL); BZ 12, 100
(Berliner klinische Wochenschrift 1903, 208:
B. Laquer; DeottdieMediain. Wodieuichiift
1903, 1S4).
•Cramer, Wilhelm, /Jr., papstl. Hausprälat
mid Thronassistent, Bischof v. Lykopolis
i. p, /., Domdechant u. Weihbischof von
Monster i. W., Erbauungs- und Volks-
sehriftsteller; * Oelde (Westfiden) 3. III.
1815: t Münster i.W. 15. III. - Rj VIII, 69
(F.Lauchert); Keiter-Jörg, Katliol. Literatur-
kalender 6, 41 (W); BZ 12, 100 (Germania,
Berlin, 1903 Nr. 62).
Crayenberg, Marie Luise Elisabeth (Klly)
Gräfin T., Terwitw. Marchesa Lucchesini ,
geb. Brockmüller, seit 1900 Gattin d.
Prinzen Bernhard v. Sachsen*Weimar (seit
1901 : Gmf T. Crayenbeig); * LObedc 6w V.
1863; t Hannover 11. HL — Illustr. IXg*
120. 413; notli. Cciicalog. Taschenbuch
d. Gratl. Häuser 1905, i8ü.
*Creiiier, August Hermann, Dr. theol, et
ftir. ulr. honoris causa, Konsistorialrnt,
ordentl. Professor f. Theologie an d. Lui-
versitit Greifswald, Dirigent d. theoi.-piakt.
Instituts an derselhen. stellvertretender Vor-
sitsender des Provinziai-Synodalvorstandes
Pommem; * Unna (Westfalen) 18. X.
1S34; t Greifsw.tld 4. X. — HJ VlII, 134
(Kohlschmidt); KL 25, 222 (W); Chronik
d. Universitit Greifswald 18 (1903/04), 6 (V.
.Schultze); BZ 13. 07. 14. Sq (Die Kefoniia-
tion 1903 Nr. 48 — 50: M. Kählcr; Reich
Christi 1903, 475: D. Ltitgcrt; Akadem.
Blätter 18, 237: W. Zctzsche: Neue Preußi-
sche [Krcuz-jZtg. 1903 Oktober 17: Oettli;
Zukunft 1904 Januar 23; W. Hcllpach);
Theolog. Jahresbericht 23, 1 195 (Nestle, L).
Croy, Eleonore Prinzessin v,, verehel. Fürstin
zu Salm-Salm: s. .Salm -Salm, Eleonore
Fürstin zu.
♦CurtzcErnst I -udwig Wilhelm M a x i m i I i a n ,
Professor, Gymnasial-Oberlehrer ;u 1). in
Thom, Mathematiker; * Ballenstedt 4- V'III.
1837; t Thom 3. 1. — BJ VIII, 00 fM.
Cantor); KL 25, 227 (W); Leopoldma
39. 39; Foggendofff 3, 317. 4. 288 (W);
Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 5; BZ 12, 100.
14,98 (Altpreuß. Monatsschrift 40,304 u.
Weltall 3, 100 ! M. Jacobi; BHihftkeea
mathematica III. Folge Bd. 4, 65 : S.Cünthcr;
Jahresbericht d. Mathematiker -Vereinigung
12, 3S7: M. Cantor); Rindfleisch, Altpreufi.
Bibliographie f. d. J. 1903, 43 (L); Oricntal.
Bibliographie 17, 14 (Scherman, L).
CyrOhis (I^don.), Sdirifbteller; s. Pauly ,
Tony.
Czim, Hans (Pseudonym), Schriftsteller: s.
Pauly, Tony.
DaehettX,Leo,TituIardomkapitulard.MOnsters
zu Straßburg i. E., Historiker; • .StraOburg
i. E. I. III. 1835; t ebenda 7. III. —
KL 23, 231 (W). 26, 39*; Ztschr. f. d. Ce-
schichte tl. Oberrhcins 58, 722 (Kai'-er. L:
I). Goldschmidt in Chronique d' Alsticc
I-orraim 1903, 38).
Dallmer, Louis, Theatermeister u. Maschinen-
Inspektor am herzogl. Hoftheater in iVlten-
burg; *l>aniig 4. VI. 1841; f Altenburg
(Sachs.-Altcnb.) 12. II. — Netier Theater-
ahnanach 15, 140.
Dnimer» Johannes, Ut. tkeel., Pastor in
Gu(!ersIeV)en hei Ellrith (l'rov. Sachsen),
chemal. Professor f.nuutestamentl. l'heologic
an d. Univ. Greifiswald; * Brandshagen
20. X. 1861 ; f Gudersleben im Mii. —
KL 25,281 (W). 26,39*; Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 118; Theolog.. Jahresbericht
23t >I9S (Nestle, L).
ü '-j
»3*
Totenliste 1903: Danert — Diedcerhoff.
24'
Danert, \\ illiclm. Inhaber d. Buch- u. Kunst-
handlung Koek 8t Cie. in Braunschweig ;
• 30. VIII. 1854; t Hraunschwcig 6. IV. —
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel
1903. 2944. 3079 (B. (Joeritz).
Dapprich, Kmil, Direktor d. dcutschamerikan.
1a lircr-^eminars in Milwaukce; t li.i^cllist.
bi Jahre alt, 25. XI. — Illustr. Zt><. wi^wjO.
Daettwyler, Fritz, Dr. med,, Insclarzt;
• Ch^nix de Fonds S, M. 1848; t 30. VI. —
\'irch«)Ws Jahresberichte 38, I, 412 (Pajjcl,
mit L); BZ 13, 100 (Konrespondenzblatt
f. Schweizer Ar/tc 1903, (>('>7: Dubni>;l.
*Daudertf Ernst Wilhelm (^l'scudun. : Krnst
Wildau), früher Handels- u. Ratsherr in
Ki<^a, Ivr. Dichter; ♦ Ki^ja 22. (a. St. lo.)
11. 1829; t Freiburg i. B. 5. 1. — BJ VIII,
216 (F. BrOmmer); BrQmmerS i, 242; KL
25. 2.15 (W). a6,39*.
David, Ludwig, Dr.mtä., Geheimer Sanitats-
rat, prakt Arzt in Berlin, Mitglied der
Ärztekammer, ehemal. Ar/t an d. jüdischen
Veisorsungsanstalt daselbst; * Neuenburg
an d. Weichsel 1 1. IIL 1 836 ; f Berlin i. VlL
— Virchows Jahresberichte 38, 1,412 (Paget,
mit L); Viia in ü.s Dissertation: De cht-
rurgiM plasticae methodis, Ikrotini 1859.
Oecarli, Eduard (eigentlich Eduard Johann
Schmidt;, Opernsänger 11. l?a>;si->t an d.
Drestlner llnfopcr; • Olmül/. 9. 1. 184O;
f Radcbeiil b. Dresden 23. X. — A. Kohut,
i). Dresdner Hnfthcater in d. (^-gcnwarl
^Dresden 188S), 2851.; Dresdener Rund-
schau 3 (1894) Nr. 5a. 13 (1903) Nr. 46;
Tagebu<-li d.k;,'l.'i;i> hs. Hoftheater S7 (1903),
107; Dresdener Nachrichten 1903 November
24; Eisenberg, Großes Biograph. I<exikon
d. Deut>.clien HUhnc I7<): Neuer Theater-
almanach ib, 169; Huggen, Biograph.
Bahnenlexikon t, 54; Monatshefte f. Musik-
ßc-chiobte V, 128 (l.üstner. mit L). —
Mit Beiträgen v. Prof. 1 1. A.Licr in Dresden.
Deeher, Otto, Ih-. phil., Professor f. Topo-
grapliie u. Cieodasie .im ludgennss, Poly-
technikum in Zürich; * 1843; f >^iiri(^h
19. IX. — Geographenkalender 2, 184;
lUustr. Ztg. 121, 486; BZ 14 " ' Virhand-
lungen d. schweizer, naturiursch. Gesell-
schaft 86, XV: F. Becker).
Degenmann, P. Alex. (Fseudon.: Castor),
Hil)li<>thekar im rumiin. Ministerium des
.\utiern, Herausgeber der yJiiblioi^rajia
romana*, auch Rciseschriftsteller; * Kaden-
Baden 27. MI. 1843; t 25. U. — KL2S,
239 ( W>, 20, 39*.
Deichmüller, Friedrich, Dr. phil., auOer-
ordentl. Professor an d. I niversitat Honn
und Observatur an d. Sternwarte daselbst,
Astnmom; * Stadtilin (Schwarzburg-Rudol-
Stadt) 25. IL 185s; t Bonn 6. V. — Leo-
poldina 39, 84: Poggcndortr 3, 342. 4. 308
(W); Chronik d. ünir. Bonn 29 119031,
5 — 7; HZ 12, 103. 13, IOC (Astronom.
Nachrichten 1903 Nr. 3S09 — 70: F. KUstner;
Vierteljahrsschrift d. .\stronom. Gesellschaft
38, 172: II. Sceliger; Weltall 3, 280 mit P).
Dekret, Rudolf K«ller v.. Hr., Präsident d.
Wiener Handelsgerichts i.K.; f Wien I4.\ 11.
— Allgemeine Ztg. 1903 Beit 161 ; Woche
Delbrück, .Martin Friedrich Rudolf v.,
Dr.jur, hoHcrU cauia, Staatsminister a. D.,
früher Mitglied d. preuß. Ab-ieordncten-
hauses u. Deutschen Reichstags, deutscher
Staatsmann; * Berlin 16. IV. 1817; f da-
selbst I. II. — Illustr. Ztg. r2o. lou ( j. 1'.,
mitP); BZ 13, 103. 14, loo {JL)\ R. Del-
brflek, Lebenserinnerungen, i. 3. Leipzig
i<)<i5.
Deila Monti, Kouzcrlsiingerin in Hannover;
t Leipzig 8. II. — Mbnatshefte f. Musik-
ge-v-hichte 36, 134 (Lüstiier. mit L\
Deack, Gottlieb Hermann, Hof buchbinde*'
u. VcrlagsbuchUndler, Mitinhaber d. kg!«
baycr. Hofbuehbinderei Iliibel Dcnck in
Leipzig, eines der größten ßuchbinderei-
betriebe Deutschlands ; f Wttrzburg, 54 Jahtc
alt, 16. II. — BtfnenUatt f. d. deutschen
Hii.-ldi.iiidc! 1903, 1454.
^Dcnnerlcin, Thomas, Bildhauer in München;
•Mittertcich (« )berpral/.» 1847; t Manchen
24. T. - HJ VIII, 76 (H. Mollandi.
Detcr, .\ugust, Zigarrenfabrikant, .Mteater d.
Kaufmannschaft in Berlin; f Neubabelsberg
13. VIII. - Voss. Ztg. I9«H Nr. 13.
Deutsch, Joseph, Herausgeber d. »ArzU.
Zentralztg.c in Wien ; * daselbst 2. IX. f 854 ;
•j" im M;ir/. - Virohows jahres?)crichtc
38, 1, 412 ^Pagclj; Rheinhardt, Biographien
d. Wiener KOnstler u. Schriftsteller 1, 259.
Deym : Kranz de Paula Severin Wenzel
Maria Philipp Bcuitius Graf v. Stritei,
Herr auf Amau usw., k. u. k. Kimmerer,
Geheimer Rat u. außerordentlicher Ijcvoll-
mächtigter Botschafter am k. großbritann.
Hof, lebenslftngl. Mitglied d. Herrenhauses
d. Österreich. Reichsrats und Mi^Iied d.
Abgeordnetenhauses; • Neuschloß (Bezirks-
hauptmannschaft Hohenelbe, Böhmen^ 23.
VIIL 1838; f Kekersdorf ( Grafschaft Gl.1t/.)
3. IX. — Goth. Genealog. Taschenbuch
d. (Jr.itl. Ilau-er 78, 21 1 ; S. Hahn, Reichs-
r;it-- Aliu.ui.ich 1S91 92, 30.
Dicckcrhoft", Wilhelm, Dr. phil., kgl. preuß.
Geheimer Regicrungsrat, Professor an d.
Ticrärztl. Hochschule in Berlin ; * Lichten-
dorf b. Horde iS. X. 1S35: t Berlin 14. XII.
— Virchuws Jahresberichte 38,l,4l2(^Pagd);
BZ 13, 103. 1 4, 9S (Beriiner ticifnd. Wodien-
schrift 1903, 283: SdimaItz,mitP; Deutsche
25*
Totenliste 1903: Dieckmum — Drade.
26*
landwiftschafU. Presse 1903 Nr. 102 ; Zuchr.
f. Vcterinirkande 16, 37: Peters; Ardhir
f. wissenschaftl. und prakt. Tierheilkunde
3<^I: J. Schütz; Schweizer. Archiv f. Tier-
beOknnde 46, 50: Zschokke; Deutsche ticr-
ärztl. Wochenschrift 12,1: Malkmus, mit P).
Dieckmann, Wilhelm, Superintendent, er>tcr
Geistlicher am Dom in V' erden, lange Zeit
Herausgeber des »Stader Sonntagsblutt« ;
• OcikI (Herzogt. Bremen -Vcnlcni 1S2S;
f 4. XII. — Tlieolog. Jahrcslicncht 23,
1 195 (Nestle, mit L).
Diedicke, Ferdinand, Geheimer intendanzrat
d. hcrzogl. Hoflheatcrs in Dessau; * duselbst
30. Vni. 1836: f ebenda 17. Xt. — Neuer
rheateralm inach i6, 171 ; HZ 13. 103 1 l'nser
Aohaltland 1903,552: E. Kcubke); Monats-
hefte f. MtMikgesehichte 36, 128 (LBstner,
mit L).
Diehlf Emil, kaiserl. deutscher üezirksrichtcr
au Dualla in Kameran, auch Alpintot;
t an Rord auf der HiSkt V. Lagos 22. IX. —
Leopoldina 40, 35.
DMll, Peter, Lehrer a. D. in Frankfurt a. M.,
Jogendschrirtstcller; * Medenbach b. Dillen»
hing 3. X. 1831 ; t im Sommer. — KL 25,
253 ("Mt 26, 39*.
Diepolder, Johann Michael, Z>r./«r.,kgl.baycr.
Ministerialrat a. D., früher vortragender Kat
im Ministerium d. Innern, Abteilung für
Handel u. öfTentl. Arbeiten, auch Mitglied
d. bayer. I..indt.igs (Patrioten partcii u. d.
deutschen Zollparlamcnts in Kegensburg;
* Lachen b. Memmingen 1820; f Regens-
burg 7. V. — Augsburger Abendf^. 1903
Nr. 126 S. 1$. Nr. 128 S. 5.
*DiMtel, Gustav. Dr.pIM., Professor, Kon-
rektor in Dresden, Historiker; * Königsberg
i. Pr. 7. III. 1830; t I^resden 8. XI. —
Bj VIII, 289 (A. Rdchardt).
Dicterichs, Georg, Dr. j'ur.. Geheimer Re-
gierungsrat, 1865 — 66 letzter Kinanzminister
d. Kgr. Hannover, dann preu6. Landrat}
f Göttingen 26. \'. - Voss. Ztg. I903
Nr. 608; lUusU. Ztg. 120, 858.
Dieteriei, Friedrich Heinrich, Dr. pTkil.,
Geheimer Regieningsrat, ordentl. Honorar-
professor in der philosoph. Fakultät der
L'niversität Berlin, Arabist; * Berlin 6. VII.
1821 ; t Charlottenburg 18. V III. — Chronik
der Univ. Berlin 17 (1903), 8.
*Dietlein, Hermann Rudolf, Rektor a. D.
in Halle a. S., .Schulschriftsteller; * Delitz
am Berge (Prov. Sacliscn) 3. III, 1823;
t Halle a. S. 16. VII. — HJ VIII, 217
(BTflmmer);BZ 1 3,103 (AI Igemeine Deutsche
I .elirer/tg. 1903 Nr. JO: Schmeel); KL 25,
Dtelricta, Edmund Gustav, Archidiakonus in
Allcnbuig (Sachs. - Altenb.), Fretmanret ;
* Altenburg 20. VII. 1844: f 30. IX. —
KL 25, 256 (W). 26, 39»
Dietzsch, Otto, kgl. sHrhs. Rechnungsrat, ehe-
mal. Rendant am Hoftheater in Dresden;
* Zerbst 30. I. 1840; f Kötzschenbroda b.
Dresden 19. VII. — Neuer Theaterslmanach
15. 153-
*DiflFenc, Philipp, Gelieimer Kommerzienrat,
Vizepräsident d. bad. Kammer, IVäsident
d. Handelskammer in Mannlieim, 1S87 90
auch Mitglied des Deutsi lien Reichstags
(nationalliberal); * Mannheim 27. XI. 1833;
f daselbst 4. I.^ 1?) VIII, 50 (v. Weech).
Dilger, Ludwig, eheuial. Chorsänger; * 30.
XI. 1827; f Wiesbaden im eisten Viertel
d. Jahres. — Neuer Theatcralmanach \ 166.
Dimmler, Hermann, Musikdirektor u. Klavier-
virtuose SU Freibivg L Br.; * 1844; f
])urg i. Rr. 18. IV. Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 128 (Lüstner, mit L).
Dinklage, Ludwig Eduard, Vorstand der
I. Abteilung der .'^ccwirtc in Hamburg-,
Meteorolog; * Ostcruinirg (Oldenburg)
26. IV. 1837; f Hamburg 24. III. — Pog-
gendorir 3, 364. 4, 331. 1705 (W).
Disselhof, August, evangcl. Geistlicher,
froher lediger an d. St. Jakobikirche in
Berlin, auch lyr. Dichter; fAUstedt (Sachsen-
Weimar), 73 J.ahre .ilt, 9. III. — lllustr.
Ztg. 1 20, 413; Thcolog. Jahresbericht 23,
1195 (Nestle).
Dittmar, Gu^tJiv, kfjl. preuß. Geheimer Ohcr-
regierun-^^rat a. 1)., frülier \ orsit/entler d.
Eisenbahnkommissariate in Koblenz und
Breslau; f, 84 Jahre alt, aow I. — Voss.
Ztg. 1903 Nr. 608.
Draenert, Friedrich, Direktor d. Ackerbau-
schule in Cnmpinas Brasilien). — lllustr.
Ztg. 121,41 1.
Dretter, Adolf, Opernsänger (Bassist);
f Rcichenberjj (Biihint n), 42 J.nhre alt, i. X.
— Neuer I beateralroanach 16, 167 ; Flüggen,
Biograph. Blihnenlezikon i, 65; Monats-
hefte f. Musikgeschichte 36, 128 ^Ustner,
mit L).
Dronke, F., Dr. phil., Fharmakolog in Otln;
f daselbst 5. IV. - Virchou's Jahresberichte
38. I. 4»3 (i'ag*^^!. mit L).
DroSbaCh, Georg, Paul, Dr. phil., Che-
miker; ♦ Friedl.nnd (Mähren) 27. II. 1S66;
f Krciberg (Sachsen) 18. VII. — Leopoldina
39, 129; BZ 14, 855 (Ztschr. f. angewandte
Chemie 16, 855: O. Brunck); Lebenslauf
in D.s Dissertition : (^ber <1. I'.inwirkung
V. Dinitrobrombcnzol auf d. Natriumver-
bindungen d. Malonsiurecsters tte, Bres-
hu-iSSo.
Drude, Maximilian Karl Friedrich, Huf-
schauspteler (Charakterdarsteller) in Schwe-
rin; * Bunilau (Schlesien) 3. IV. 1845;
27*
Tolenliste 1903: Dubler — Euendecker.
28^
f Gries b. Bozen 27. IV. — Neuer Theater-
almanaeh 15, 146 (W. Schneider); Eisen-
beig, (Iroßcs biogniph. Lexikon d. Deutschen
Bohne 214; KlUggen, Biograph. Buhnen-
lexikon I, 66.
Dubler, Albert, Dr. med., chenial. nußer-
ordentl. Professor f. patbolog. Histologie
u. Bakteriologie an d. Universität Basel;
• Wohles ( Aargau) 3. I. 1S57: f Paris 21. V,
— Virchows Jahresberichte 38, 1, 4 1 3 (Pagel,
mit L); Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 117;
BZ 14, 106 (Korrespondenzblatt f. Schweizer
Ärzte 1903, 5S2: M. Roth).
*Dllboc, Karl Julius, Dr. phil.. Philosoph
und Ästhetiker; * llamhurp 10. X. 1829;
+ Dresden ii. \ I. - 1^ VIII, 63 1 J. Sa^sV
Dubois de Luchct, Karl, chcnial. Opeiu-
stoger; f Kassel 33. VIEL — Neuer Theateiw
almanach 15, 154.
Durlacher» Hermann, k. bayer. Generalmajor
s. D., niletzt Kommandeur d. 4. Infanterie-
brigade in Ingolstadt; * i^.V»: t München
19. VI. — Augsburger Abendztg. 1903
Nr. 169 S. 15. Nr. 170 S. 6.
Duttenhofcr, M. \ ., (lehciiner Konuncr/.ien-
ral, Groliindustricllcr; f Tübingen, im 61.
Jahre, 14. VIII. — Woche 5. 1510; BZ 13,
107 (Die cheui. Industrie 26 Nr. 17. iS;
Ztschr. d. Vereins deutscher Ingenieure
1903, 1437 mit P; Schwftb. Merkur 190.?
August 18).
Duysen, Jes Leve. Kommerzienrat u. Piano-
foctefabrikant in Berlin; *Flensl)urg 1 . VIII.
l8ao; f Berlin 30. VIII. — lUustr. Ztg.
121, 388; Monatshefte f. Musikgeschichte
36, Ii8 (Lüstner, mit L); BZ 13. 107
(Ztschr. f. Instrumentenkunde 1,13 069 ;
Der Tag 1903 Sept. 31 : C Krebs; Kcicbs-
bote 1903 Sept. 5: 1 h. Krause).
Dziatzko, Karl, Dr. phil., k. prcuß. Geheimer
Regierungsrnt, Direktor der l'ni\ er-ifäts-
bibliothek u. urdentl. Professor 1. Bibliotheks-
wissenschaften an der UniversiUlt in Göt-
tingen; • Neustadt (Schlesien) 27. I. 1S42;
•j- Güttingen 13. i. — Allgemeine Ztg. 1903
Beil. it; Zentralblatt f. Bibliothekswesen
1903, 133 (P. Schwenke); Ztsclir. f. HUrhcr-
freunde 6, 498 (ti. Berger) ; Mitteilungen
d. Österreich. Vereins fJ Bibliothekswesen
1003, 42 (F. Eichler); R. Pietschmann, Karl
Dziatzko (auch englisch v. L. Nachmann
abers. in : Library yommal 39 Nr. 13 S. 87) ;
BZ 13, 110 (Grenzboten 1903 Nr. 5); KL
25, 285 (W) ; Börsenblatt f. d. Deutschen
Buchhandel 1903, 470. 5041.
Ebeling, Hennann, Schauspieler: s. Rhode-
Ebeling, Hermann.
Eberl, llierese, ehemal. Chorsängerin ; * Prag
3. II. 1826; t Dresden u.V. — - Neuer
llieateralmanach 15, 148.
*Eberle, Melchior, Benediktiner, Subprior
V. St. Bonifaz in Mttnchen; * Grofikissen-
dorf b. GUnzburg 27. III. 182S; f München
10. Vll. — BJ \ III, 193 {Je. Lauchen).
*Eberle, Syrius, k. bayr. Professor, Bildluuier,
Lehrer an der Akademie der bildenden
Künste in München; * Pfronten (Allgäu)
9. XII. 1844; t Bozen f2. IV. — BJ VIII,
76 (II. Holland).
Ebersold» Elise, schweizer. Schriftsiellcrm ;
* Niederfisch b. Bcm I3. VII. 1837; f Bö-
singen b. Biel 6. IX. — Illustr. Ztg. 121,
411.
Eble, Michael, Reallehrern. D. in Ellwangen,
Astronom; • Weil (Württemberg) 30. 1\.
1810; t KU Wangen 5. V, — Poggendorff
3. .^'>7- 4. »70t» (W).
Ebner, Ludwig, Kom|>onist und Chorregent
in Degendorf; f daselbst, 43 Jahre alt.
25. \'ill. — Monatshefte f. Musikgeschichte
36, 139 (Lttstner, mit L).
Eckart, J. F. H., Geheimer Oberpostrat in
Konstanz. — Ztschr. f. d. Geschichte d.
Obeirheins 58. 543 (Frankhanser, L: Karls-
ruher Ztg. 1903 Nr. 71).
Eggers, Ernst, Professor an d. Staatsunivcr-
sitiit in Columbtts (Ohio, Vereinigte Staaten
V. N<Kd.inierika); * 1S55. — Wo^e $»874;
11. K. Eggers, Stammtafeln d. Eggersscben
Pamiliensdftung (Lttbeck 1904), 10.
•Eggers, Heinrich FranzAlexanderFrcih. v.,
k. dänischer Kapitän a. I)., Botaniker;
• Schleswig 4. XII. 1844; t Leipzig 14. V.
— BJ VIII, 63 (J. Sass).
Eggers, Marie, geb. Kestner, Gemahlin des
k. preuß. Amtshauptmanns Konrad Eggers,
Enkelin v. Werthers Lotte; • 23. V. 1826;
t 28. l.\. — Illustr. Ztg. 121. 641 (mit P);
II. K. Kggers, Stammtateln d. F.ggersschen
Familienstiftung 10. 18 (mit P).
Ehrcnthal, Mathilde v., gel). LofTler, Open-
bängerin: s. Löltler, Mathilde.
Ehrlich, Leopold, Besitzer d. Buchhandlung
u. Btichdruckerei Jonas Alexanders Witwe
in Rogasen (Posen); f daselbst 10. 111. —
Börsenblatt f. den Deutschen Buchhandd
1003, 2396.
Eichberg, Leonie, Schauspielerin: s. Reut er-
Eichberg.
Eichheim, Walburga (Wally), ehcmal. Hof-
opcrnsängerin in München ; * daselbst 3a
1. 1835 ; t ebenda 13.XL — Neuer Theater-
almanach it», 170; Flüggen, Biograph.
lUdiiicnlexikon 1,69; Monatshefte f. Musik-
gc.sc-liiciite 36, 129 (Lüstner, mit L).
Eichler, Hanns, Inhaber der A. Kunzschen
Buchhandlung in Brüx; f daselbst, im
51. Jahre, 18. V. — Börsenblatt fttr den
Deutschen Buchhandel 1903, 5582.
Eiseadecker, Emilie Freiin y., yerehcL v.
29*
Totenliste 1903: Eisenhut — Faber.
Breidenbach, Schriftstelleria: s. Breiden-
bach, Emilie v.
*Eisenhutf Franz, Genremalcr in München;
• Dcutsch-Palanka 26. 1. 1S57; + München
2. VI. — BJ Vlll, 78 (H. Holland); Jahr-
bndi d. bildenden Kunst 3, 100; BZ 13, 1 15
iPc^tcr Lloyd igOji Juni 0; A. Roes^lerl.
Elbers» Eduard, Kommerzienrat, Kassierer
des Vereins Deutscher Eisenhflttenleute;
t Hagen i. W., 73 Jahre alt, 5. II, — Illustr.
Ztg. 120, 238; BZ 13, 115 (Stahl u. Eisen
«903. 234>-
*Elenz, Ferdinand, Jurist, Senatspräsident in
Köln; * Wiesbaden 16. Hl. 1844; f Köln
I. II. — BJ VIII, 267 (A. Teichmann).
Eleonore Prinzessin KeuO j. L., geh. Gräfin
zu Stolberg-Wernigerode, Witwe d.
Prinzen Heinrich l.X>ilV'., Dichterin und
Schriftstellerin; * Gedern im Vogclsherge
20. II. 1H35; t llscnburg am Harz iS. I\.
— Goth. Hof kalender 141,71. 213; illustr.
Ztg. 121, 500 (mit P); Woche 5. 1818 (P);
KI. 25. 305 (W). 26, 39»; Krümmers I.317
(mit W). 538; HZ 14, 255 (Monatsschrift
f. Stadt u. Land 1903, 1096: M. v. Nathusius).
Elcm, Julius V., k. preuß. ( u iuTalmajor z. IX;
•Stode 18. IV. 1824; t Lübeck 30. VI. —
Illaalr. Ztg. Iii, 67.
Elisabeth Marie Alice X'iktnria Prinzessin
von Hessen und bei Rhein, Tochter des
GroShercogs Emst Ludwig und seiner
ersten (jetzt gcscliiodenen) Gemahlin Alice
geb. Prinzessin v. GroUbritannien u. Irland;
• Dannstadt 11. III. 1895; f Skiemiewicse
if). XI. Illustr.Ztg. 121, 705 (J.P.,mitP);
Woche 5, 1S75. 1921. 2095 (I'); Goth. Hof-
Italender 142, 29; BZ 13, 159. 160 (L).
Elisabeth Franziska Maria Erzherzogin von
Osterreich, Tochter d. Erzherzogs Joseph
(1776 — 1847) aus seiner Ehe mit Marie
HCROgin von Württemberg (1797 iS.S5)t
in erster Ehe vermählt mit Ferdinand Erz-
henog V. Österreich-Estc-Modena (+ 1S49),
in zweiter Ehe mit Karl Ferdinand, Kaiserl.
Prinzen 11. Krzherzop v. O-iterreich (t lS74>;
•Ofen 17. 1. ivS3i ; f Wien 14. 11. — Goth.
Hofkalcnder 141, 56.
Elsner, Wilhelm, Opernsänger (Tenorist) am
Deutschen Landestheater in P^g; * Brünn
10. XI. 1869; fPng a6. Vm. — Neuer
Thcateralmanach 15.154; Eiscnbcrg.Großcs
biograph. Btthnenlexikon 23 1 ; Monatshefte
f. Musikgeschichte 36. 139 (Lllstner, mit L).
Emmcrt, Karl Friedrich, Dr. med., ordcntl.
Professor der Staatsarzneikunde in der
medixiB. Fakultit der Universitlt Bern;
• daselbst iS. IV. 1813; f cbeml i XII.
— Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 293; \ ir-
diows Jabiesberidite 38, 1, 413 (Pagcl,
mit L).
Engel Edler v. J.^nosi, .\d()lf, Großindu-
strieller, Begründer d. gleichnamigen Firma
in FUnfkirchen: + Dohling b. Wien 10. 1.,
im I.ihre. — illustr. /fL^ 120, 166.
^Engclicn, August Karl ileiin.mn. Rektor
in Berlin, Sehulmann u. pädagog. Schrill«
steiler: ♦ Landsberg a. W. 24.\ III. 1S32;
t Berlin 2 1 . V 1. — BJ V 1 1 1 , 2 1 7 (F. Brümmer) ;
KL »5, 31« (W>. 36, 39*; BZ 14, HS
(Pädagog.Bliitterf.lA-lircrbildung 1903,392).
Enlce, k. prcuÜ. Geheimer Oberfinanzrat,
vortragender Rat in der III. Abteiltmg d.
preuß. Finanzministeriums; f Berlin, 44jahre
alt, 2. IV. \ ()ss. Ztg. 1903 Nr. 608.
Ensenspcrgcr, Jo-cph. Dr. phit., Meteorolog
und Alpinist, Leiter der v«)n der Deutschen
SUdpolarexpcdition errichteten Kerguelen-
station; • Rosenheim 8. II. 1S73; t Ker»
guelenland 2. II. — Geographen-Kalender
2, 186; Geographi.sches Jahrbuch 2«), 42S
( Wolkcnhauer, mit L u. W); Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. S6; Woche 5, 744 (P);
BZ 12, 119 (Bayerlaml 14 Nr. 34; Mit-
teilungen des Deutschen und Österreich.
Alpenvereins 1903, 98; M. Madiener;
Deutsche Alpetut),'. 1003, 7('>. mit P: Augs-
burger Abendztg. 1903 Sammler Nr. 47:
K. Ctteamus); J. Enaensperger, ein Berg-
steigerleben. Hrsir. V. Akad. Alpenverein
München. München 1 905.
Erdmann, Eduard, ehemal. Orchestermitgtied ;
• 22. IV. 1841 ; f Hamburg im ersten Viertel
d. Jahres. — Neuer Theateralraanach 16, 16b.
Erdnaan, Paul, Baurat, Stadtbauinspektor
a. D. in Westend b. Berlin; f dasclh^t,
72 Jahre alt, 15. XL — Voss. Ztg. 1904
Nr. 13.
•Estorff, Eggert v.. k. preuß. Generalmajor
a- D.; * Verden i. ,\I. 1S31; f Eldingen
b. Celle 10. II. - BJ Vlll, '156 (Eorenzen);
BZ 13, 122 (Militarwochenblatt 19<}3 Nr. 14).
Ewald, AIl>ert Ludwig, Dr. phil., außcr-
ordentl. Prnfessor d. Ge-i-liichte u. St.iats-
wissenschaften an d. Universität HaIlea..S.;
• Oppiln ü. \\\\. 1S32; T II.iIIl .i. S. 2. XII.
— Chrunik d. Iniv. Halle -Wittenberg f.
1903/4, 12 (Perlbach u. Rrode).
Eyb, Hans I.ndwit^ Heinrich Gustav Freih. v.,
FideikommiUherr auf Dorzbach, Dr. jur.,
kaiseil. Legationssekretir bei d. deutschen
f Iisaniltsrhift in Bern; 'Stuttgart 4. Vlll.
1869; \ Nizza 8. IL — Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Freiherrl. Hftuser 1904, 184.
Faber, Friederike .Mbertine Supliic Ottilie
Freifrau v., geb. Richter, Besitzerin der
Faberschen Bleistiftfabrik in Stein b. Nam-
berg, Witwe Lothars Freihcnn n. I il 1 :
• Dinkelsbuhl 14. 1. 1831; | Stein 27. 1.
— Illustr. Ztg. 120, 199; Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Fireiheiri. ittuser 190$, 178.
31*
TotenlUte 1903: Falb — Fianzius.
32*
Falb, Rudolf, Professor, Metcorolog und
Seismoloff, auchLhiffuist; * Obdach (Steier-
mark) 13. IV. 1838; f Berlin-Schöncberg
29. IX. — KL 25,329 (Wj. a6, 39*; lllustr.
Ztg. lai, 534 (A. O. KlaaBmann, mit P);
f K-<tjjr.i|>h. Jahrlmcli 2t\. 42S ( \V(ilkeiili;iucr,
mit L u. W); Lcupoldina 39, 129; Allge-
meine Ztg. 1903 Beil. 33a; Wodie 5, 183a
(P); BZ 14, 120. 15, III (L); Poggendorff
3, 436. 4, 403 (W).
Fanta, Vnaa, Dr. /'hil., licrau>(^ebeT des
»Roinanleser« und des > l'r.i^'cr Börsen-
Courier« in Prag; f 18. Vll. — KL 35, 33a.
26, 39*.
Faust, Johannes, Entomologe; * Stettin
etwa 1S32; T l'ima iS. I. — Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 21; HZ 13, 125. 14, 121
(Insektenbörse 1903,49 mit P; Deutsche
cntomolog. Ztachr. 1903, 435: IC. M. Heller,
mit P).
Pehlinf , Wilhelm, ehemal. preuS. KtMtttil
in Lübeck; f dasdbst 34. IIL — Woche
5. 556.
Fdir, Friedrich Eugen, Bachhindler (Fehrsehe
Buclilmndliini;, vunnal? Hiibcr iV in
St. Gallen; * daselbst i. X. 1842; f ebenda
17. VL — Bfirtenblatt f. d. Deutschen
Buchhandel 1903, 4903. 4906. 565$ (A.
Francke).
Feindt, Otto, bis 1899 Geschftftsftihrer der
Beslcllanstalt f. d. Berliner Huchhündlcr;
f Rheinsberg (Mark), 59 Jahre alt, 21. I.
— Börsenblatt f. d. Deutschen Buchhandd
1903. 716. 9743.
Fell, Michael, Sekretär an d. kgl. L'niver-
sitätsbibliothek in WUrzburg; * Stadt-
schwarxach (Untcrfranken) 26. III. 1S5C);
t Kcdwitr an d. Kodach 17. MI. — All-
gemeine Ztg. 1903 Heil. 60; Jahrbuch d.
Deutschen Bibliotheken i, 76. 2, 109.
Fellinger, Kiclianl, /V., k. k. Baurat, Direktor
und (Jeneralreprü:>entant d. Wiener Hauses
der Firma Siemens & Halske; * Elberfeld
II. in. 1848; f Wien 13. X. — llluslr.
Ztg. 121, 607.
Fereacsy, Lucie, geb. Verdi er, 'ehemal.
OpcrtttensHn^jerin, ( lattin d. Dirckttirs d.
Berliner Zentralthcaters; *Klz 22. XIL 1802;
t Berlin Ii. V. — ülustr. Ztg. 120, 765;
Neuer TheateraJmanach 15, 148; Monats-
hefte f. Musikgeschichte 36, 129 (LUstner,
mit L).
Fichtner, Marie, verehel. Arnsburg, Schao>
Spielerin: s. Arnsburg, Marie.
Fiedler, Julius August, kgl. sächs. General-
major z. D., bis 1896 Vorstand d. Genie-
direktion u. Direktor d. Topograph. Bureau«;;
f Chemnitz, im 62. Jahre, 10. 1\'. lllustr.
Ztg. 120, 623.
Fierz, Theodor, Oberst d. cidgen<(ss. Armee.
— BZ 13, 123 (Neue Zürcher Ztg. 1903,
Fischer, Krnst, ehemal. Professor f. Linear-,
Situatiuns- und topographisches Zeichnen
an der Teehn. Hochschule in Mttnchen;
•Berlin 23. I. 1S39; f München 17. VII.
— Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 160; Geo>
graphen-Kalender 3, 188; Beiiclit dcrk^.
Tcchn. Hochschule Manchen 1903/03,
Nekrologe (Locwe).
Fischer, Leopold, Dr. mtd., Medidnabat,
Privatdozent ftlr Psychiatric und gcrichil.
Medizin an der Universität Heidelberg-,
Fuhrer der Zentrumspartei in Heidelberg;
* Karisruhe 34. V. 1831; f Heidelberg 3a
VII. — I.copoldina 39, loi ; Allp^cmeine
Ztg. 19113 Heil. 172; Virchows jalucs-
berichte 38,1,413 (Pagel); Ztschr. f. d.
Geschichte d. Oberrheins 58, 542 (Frank-
hauser, L: Bad. Beobachter 1903 Nr. 170
bis 178).
Flickel, Paul Franz, Professor ii. Mitglied
d. Akademie d. Künste in Berlin, I.and-
schaftsmaler daselbst; * ebenda 8. IV. 1853;
t Nervi 18. III. jahitmcli d. l.iKlcnden
Kunst 3, 101; .Muller-öinger, Allgemeines
KUnsderlezikon 3 i, 453; Ulustr. Ztg. 130,
465; Woche 5, 563 (P); BZ 13, 139 (Voss.
Ztg. 1903 März 21 ).
Plorpehfitz, Albert, kgl. preuB. Geheimer
Regierungs- u. Schulrat a. D., früher Mit-
glied d.preufi. Abgeordnetenhauses; *i8i9;
t Köln 27. X. — lllustr. Ztg. I3I, 710.
Frank, Johann, Präsident des Vereins Wiener
Zahnärzte, Vizepräsident der Fedcraiion
Dentaire Internationale \ f 3. X., 59 Jahre
alt. — N'irchows Jahresb«id»te j8, I, 413
(Pagel. n)it L); BZ 13, 127 (Österreich.
Ztschr, f. Stomatologie 1903, 383).
•Fränkel, Max, Dr.phil., Professor, PhUoIor
iwd Archäolog, früher Bibliothekar am
Ktfnigl. Museum in Berlin; * Landsberg
a.W. Ii. III. 1846; t Beriin 10. VI. —
BJ Vni. 307 (Dehler); Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 130; KL 35, 365 (W). a6, 39*.
*FratttB, Erich, Dr. Mm/., oidentl. Honoiar-
profcs^yr f. christl. Archäologie u. KttllSt*
geschichtc an der L'niversitkt Bresiatt;
*Liegniu 19. VII. 1842; f Pasing b. Mttndien
27. X II. - BJ VIII, 285 (F. Lauchen).
*Franzius, Ludwig, Dr.'Img., Wasserbau-
ingenieur, Wasseibandirektor a. Leiter d.
gesamten .Staatsbauwesens in Bremen, aufler-
ordentl. Mitglied d. Akademie d. Kfinste
in Berlin, Mitglied d. preuB. Immediat-
kommis'iion z. Abwendung d. Hochwasser-
gefahren, auch literarisch tatig; • Wittmund
(Hannover) 1. III. 1832; -j- Bremen 23. VI.
— BJ VIII, 224 (A. Birk); Illnstr. Ztg.
131, 36 (mit P>; Woche Sr II44 (F): Geo-
33'
Totenliste 1903: Frese — Fuhrer.
34«
grapb. Jahrbuch 26, 439 (Wolkenhauer,
mitL): BZ 12, 131. 13, laS (Ztschr.- d.
Vereins deutscher Ingenieure 1903, 1061
mit P; Ztschr. f. Architektur- u. Ingenieur-
Wesen 1903, S6i: Launhardt; Tcdtn. Ge-
neindeblatt 1903, 93: R. Krüger, P ctO.
FreWt Karl, ehemal. Kapellmeister im Garde-
fttilierregiroent in Bcriin; f Friedenau b.
Berlin 6. X., 77 J.\hre alt. NTnn it-;hcfte
C Musikgeschichte 36, 129 (LUsUker,mitL).
F«MMd«s> Hermann JuIinsRichard »Marine-
und Landschaftsmaler, Mitglied der Cron-
bcq[erKUnstlerkolonie (im Taunus); *Frank-
fnrt a.11 t8. VL 1844, f Montecarlo I3. 1.
— Ilhjstr. Ztg. 120, it>(): MuUer-Singer,
Allgemeines Künstlcrlexikon 3 1, 477; D.
geistige Deutschland i, 195 (Autubiogra-
phie).
Frey, Otto, groOhcrzogl. bad. (Jeheiraer Obcr-
regicrungsrat a. D. — Ztschr. f. d. Geschichte
des Oberrheins 58, 542 (Frankhauser, L:
KarUruher Ztg. 1003 \r. 45").
Freyn, Josef F., Uaurat in Smichuw b. Prag,
Botaniker. — Leopoldina 39, 85 ; BZ 1 3, 1 34.
13, 130 (Österrcii li. bntan. Ztschr. 1903,99:
E. Haeckel ; Deutsche botan. Monatsschrift
1903. 44).
Fricke, Richard, herzogl. anhaltin. Ballct-
meister a. D.; * Leipzig 10. III. 1818;
t Dessau 39. III. — Neuer Theateralmanach
15, 145; Monatshefte für Musikgeschichte
36, 129 (LUstner, mit L); BZ 12, 134 (Unser
AnhaWand 1903, 225).
Friedberger, Franz, Dr. med. honoris causa,
früher ordentl. Professor an der Tierärztl.
Hochschule zu Manchen ; * daselbst 3. II.
«839; tcbt-nda 1 7. XII. n»« 2. BZ 12, 134
( Monat<ihcfte f. prakt. Tierheilkunde 14,290:
Tb. Kitt, mit P; Ztschr. f. Tiermedizin
7, ISS: Stoß, mit P; Ztschr. f. Vctcrinär-
wesen 1903, 85: Grnmnilicli ; .\rcliiv für
wisscnschaftl. u. prakt. Tu rlicilkundc 29, I :
Albrecht; Medizin. Kundschau 1903, 40:
Cmeiner; Berliner ticriirztl. Wochenschrift
1903, 30: Schwarzmaicr; Deutsche tier-
Inlliche Wochenschrift 1903, 39: Albrecht,
mit Pl: KI. 25, 380 (W).
*Friedländer, Ernst, Dr. Jur., kgl. preuü.
Gebeimer Arehivrat und Geheimer Staats-
archivar; •Berlin 2S. VIII. 1S41; f ebenda
1. 1. — BJ \ III, 299 (E. Berner).
Friedliader, Ernst Heinrieh, Dr. phiL,
Direktor d. I.cibnizgymnasiuni-; in Herlin,
klass. Philolug u. Schulmann; * Elberfeld
4. III. 1837; t 13. XI. — Voss. Ztg. 1904
Nr. 5 ; Verzeichnis d. Berlin. Univ.-Scbriften
1810—85 S705.
Fritx, Otto, Genremaler; f Giefien 16. \'.,
im 38. Jahre. — Woche 5, 920.
Apombetg, Konrad, Direktor, Geschäftsinhab.
Blsgr. Jahrbuch e. Deuucher Nekrolog. 8. Bd.
d. Scbles. Bankverein», Verwaltuugsrats-
mitglied der Dentscbcn Bank; f Breslau
13. VIII., 53 Jahre alt. — Voss.Zt8r* IS)04
Nr. 13. •
PuellS, Karl, Dr. iheei., bis 1897 General-
superintendent f. i!. linierte Kiri heni;eniein-
schaft bei dem Konsistorium in Kassel ;
t Fdda 8. XII., 76 Jahre alt. — Voss. Ztg.
1904 Nr. 5.
*Fuchs, Öiegmund, Dr. med., ordentl. Pro-
fessor f. Anatomie u. Physiologie d. Haus-
tiere u. Vorstand d. Tierphysiolog. Instituts
an d. Hochschule f. Bodenkultur in Wien,
Privatdozent an der Universitftt daselbst;
• Kcusiedl am See (Ungarn) 9, VIII. 1859;
f Vorderbrülü bei Müdling 30. VII. —
BJ VIII, So (Pagel); I.eopoldina 39, loi;
Allgemeine Zt},'. 1^03 Heil, 171 ; BZ 13,131
(Zt-^chr. 1. ti. landwirtschaftl. N'ersuchswesen
in Osterreich 6, 7S3 : L. Adametz; Zentral-
blatt f. Physiologie 1903, 250: Exner).
Fuchs, Wilhelm, Schauspieler (Helden und
Vater), Regisseur am Stadttheater zu Königs-
berg i. Pr. ; * Bremen 3$. IV. 1846; f Kttnigs»
bcrg i. Pr. 27. I. — Neuer Theateralmanach
'3> '39! 1" Püggen, Biographisches Bühncn-
Icxikon I, 9S.
•Fuchs von Bimbach und Dornheim, Otto
Kcinolü Michael Dietrich Freib., kgl.
bayer. Kümmerer u. Generalleutnant, Pitses
d. kf^'l. [iteiiü. Artillerieprüfunpfskommission ;
• Wurzburg 21. V. 1845; f Charlotten bürg
27. VII. (nicht VI.). — BJ VHI. 239 (Lo-
renzen); Woche 5, 1418; Coth. Genealog,
l'aschenbuch d. Freiherrl. Häuser 1 904, 212;
BZ 13, 131 (MUitlrwochenblatt 1903 Au-
gUiit 1 1 ).
Fugger-Babenhausen, Anna Marie Leo-
poldine Fürstin, Witwe d. Fürsten Leopold
( 1827- 1885), geb. (Jriifin v. Gatterburg,
F.hrendaine d. •M'nveiiincn Malteserorden'«
u. d. kgl. iiayer. I liere>ienordens, Stern-
kreuzordcnsdamc ; 'Retz 30. 1. i838;tKaIks-
btir«,' l)ei Wien 14. VII. — Goth. Hof-
k.ileuder 1904, 126; Goth. Genealogisches
Taschenbuch d. GrU. Hiuser 1904, 391.
Fugger von Glött, Joseph Max Karl
Christian Maria, kaiserl. deutscher Ober-
leutnant in d. Schutitittppe f. Kamerun;
• Blumcnthal 30. X. 1869; f (gefallen)
Marrua (^Kamerun) 5. 11. — Goth. Hof-
kalender 1904, 125; IllttStT. Ztg. I30, 507.
Führer, Joseph, Pr. p/til., auüercirdentlicher
Professor am Lyzeum in Bamberg, christl.
Archltolog u. Katakombenforscher; 'Mün-
chen 20. I. 1858; t Bamberg 8. II. — KL
25» 39' 39* ! Allgemeine Ztg. 1903
Beil. 33; Blitter r. d. Gymnasialschutwesen
'9o3i 365: Ortner; BZ 12, 135 (Christi.
Kunstblatt 1903, 81: Viktor Schulue);
b
35*
Totenliittc 1903: Y. Für:>tcnbcrg-Lggcrii)gliauscn — GcUtingcr.
36*
Keiter>Jtfr|r, Katholischer Lftenturkdender
6, 80 (Wi.
Fürstenberg-Eggeringhausen, Lotbar Kreih.
V. , k^I. preufl. Gcneralleutnuit f . D.; *si.
VI. 1840; t Kastel 8. IX. — Illu^itr. Ztg.
la 1,411; Uotb. Genealog. Taschenbuch
d. Freiherri. Hiuser 1904, 316.
*GaedertZt Theodor, Dr. Jur., ».iiict. erster
Oberbeamter des St.idt- u. I^daintes in
Lübeck, Direktor d. Kunstvereins daselbst,
Mitbegründer des Norddeutschen (Jesanit-
kiinstvcreins.Kunstforscher; •Lübeck 6. XII.
1815; tdxselbst 22. XI. — BJ VIII, 27
(K.Th.Gacdcrtz); KL 25,39s (W». 26, 39*;
Woche 5, 213.S iP\; Allgemeine /.tp. 1001
Beil. 267; H«»rscnl)latt I. d. Deutschen Huch-
b.indcl 1903. 9688.
•Gapp, lulius, /'r. thiol., k.ithol. Stndtpfarrcr
und Ehrcnduuilterr in Hagenau im ElsaÜ,
theolof. Schriftsteller u. Publittst; * Stras-
burg i. K. 28. IV, 1845; f Hajrcnau 31. XII.
— HJ VIII, 2S5 (K. I.AUchertj; KL 25, 402
(W); Keiter-Jörg, Kathol. Literaturkalender
6, S2 (W); HrUmiiierS i, 567 (mit W).
Gassert, Adolf, cbenial. Chorsänger; *bcrlin
10. IV. 1823; t Oels im September. —
Neuer Theatcralmanach 15, 157.
G*tterbnrg, Leopoldine Gräfin v., vcrA^ itw.
Fürstin Kugger-Babenhausen: s. Fugger«
Babenhausen, Leopoldine Fürstin.
•Gebele, Eugen ( Taufname: Ernst), Dr. phil.,
Benediktiner, .\bt v. ."^t. Stephan in .\ugs-
burg, Prtlses der haycr. lieiiedikliner-
konfxrt'JJ-iti"». '«^'^l» liter.irisch auf d. Ge-
biete d. (icschiclitc tiitip; • Osterbuch b.
Wcrlingen 10. IV. iS^f.; + Au};>l.urg8.VIII.
— HJ Vm, 195 (K. Lauchett).
Gebeschus, Ida Maria, Kunst- u. Musik-
schriftstellcrin; * Pölitz (Pommern) 9, X.
1848; t Weimar 9. V. — KL 25, 406 (W).
26,39*; lllustr. Ztg. 120,859 (IL Haupt,
mit V)\ Pataky, Lexikon deutscher Frauen
d. Feder 1, 246 (mit W); Monatshefte für
Musikgeschichte 36, 129 (LUstuer, mit L).
*Gebliaiä« Karl, Dr, med., Professor der
Gynäkologie u. Geburtshilfe an d. Univer-
sität Berlin, Frauenarzt daselbst; * Karls-
ruhe 26. X. 1861; t Berlin 27. XII. —
BJVIII. Sm iP.i^'cl); l.copoldina 40, 35.
Geldes, Leonhard, Buchhändler (Firma:
Feiler & Gecks) In Wiesbaden; f daselbst
26. I. - Börsenblatt für den Deutschen
Buchhandel 1903, 806. 1556 (NL Abend-
roth}.
Gcgtabftuer, Leopold, Dr. phil. honoris
causa, ordentl. Professor der Mathematik
u. Direktor d. Proseminars u. d. Seminars
für Mathematik an der l ihm. rsil ii W ien,
korrcspond. Mitglied der k. k. Akademie
der Wissenschaften, Mitglied des Ver-
slchenmgsbeiratcs Im Minlstefram d. bncm
und des niederristcrreich. L.mdcsscbulrat«
• Asperbofen (Nicderbsteneich) 2, 11. 184'j;
t HinteibrfiM b. Mödling 3. VI. - Poggen
dorff 4, 485 (mit W ) ; AII;:emeine V.Xg. i'>
Heil. 125; lllustr. Ztg. 120,897; Leo|>oIdua
39, 85; HZ 14, 126 (Monatshefte llidl^
matik u. Physik 1903, 3. 119: B.Kobald.
J. Gmeiner, O. .Stolz).
*Gegenbaur, Karl, Dr. med.. Geheimer Rai,
ordentl. Professor d. Anatomie u. Direktor
d. Anatom. Institute; in Heidelberg; 'Wör:-
bürg 21. \ I1I. 1S26: + Heidelberg 14. Vi.
~ Hl \ III, 324 (V.. Göppert): I^opolüini
39, 7.S; F..-cl 5SS rmit P u. L); H:.- j
graph. Lexikon der hervornigenden Arni !
2, SiSt Allgemeine Zeitg. 1903 Beil. 133:
lllustr. Ztg. 120, 971 (mit P): Vircho««
Jahresberichte 38, 1, 414 (i'agel, mitLj; '
BZ la, t4Ck. 13, 136 und Frankbansa is
Ztschr. f. d. Ccichichtc d. Ohcrrheins 5S. 1
542 (L: Medizin. Woche 1903, 280; Heidcl« '
berger Professoren aus dem 19* Jahthundcrt: '
FUrbrinper; \at\ir\vi<senschaftl. Wochen-
schrift 1903, 103: Derselbe; NaturwisscD-
schaftl. Rundschau 1903,478. 400: ItHiB- '
stein; An.itora. Anzeiger 23, 5S9, mit P
Das rote Kreuz 1903, 435, mit P; Deutsche
Medizin. Presse 1903. 103; Deutsche Me- I
dizin. Wochenschrift 1903, 525: O.Hertwig,
mit P; Berliner Tageblatt 1903 Zeitgeist
Nr. 32: W. Bamberger; Frankfurter Ztg.
ii>o3 Nr. 171 Morgcnblatt: M. Flesch;
Akadem. Mitteilungen für die l'niversität
Heidelberg, Sommerhalbjahr 1903 Nr. to).
•Geibel, Stephan, Vcriagsbuchhaiidler, leiten-
der Mitbesitzer der Pierer^clieii liofbuoh-
druckcrei u. Iksit/.er d. \ erlagsbuchhand-
Utvg St. G. zu Altenburg (S.-A.); • Buda-
pest 15. VII. 1S47; + Altenlmr^' 6. I. —
BJ VIII, 189 (k. Schmidt); Börsenblatt für
d. Deutschen Buchhandel 1903, 226.
Geist (eigentlich H e i Ii jr ei s t) , Karl v..
cbemal. (Opernsänger ( l enorist); •F"rankcn-
beig 2$. XII. 1835; t Dresden 28. VI. —
Neuer Thcatcralmatuuh 15, 152; Flüggen.
Biograph. Buhnenlexikon i, 100; Monau-
hefte f. Musikgeschichte 36, 129 (Lusfner,
mit L).
Geistinger, Marie, chemal. Opemsoubretie
tt. Schauspielerin (Heroine) ; * Graz 26. Vif.
1828; f Klagenfurt 28. — Flüggen,
Biograph. Babnenlexikon 1,100; Kisenberg,
GroBes biograph. Lexikon d. Deutschen
Buhne 312; Illustr. Ztg. 121, 532 (H. S.,
mit P); Woche 5, 1780 (J. Lorm, mit P);
Neuer Thcitcralmanach 15, 157 (mit P);
Monatshefte für Musikgescliichte 36, 1 29
(Lüstner, mit L); BZ 13, 13S (Die Musik
1903 November S. 201 : M. Steuer; Bübne
I
37*
Totenliste 1903: Gelbkc — Glctfienberff.
38*
und Welt 190.^,011: J. Horovitz-Barnay ;
Tägliche Rundschau 1903 (Oktober 5: M.
Maitersteig; Neue Freie Presse 1903 Sept.
30; Münchner Neueste Nachrichten 190^
Oktober 2: Fr. J. Brakl; Zeit [WienJ 1903
November i ; Wiener Abendpoat 1903
September 30: Friednumn).
Gelbkc, Johannes, Komponist von Männer-
^Oren ; * Radebeif (Kfrr. Sadisen) 19. VII.
1845; t Buffalo I. III. ^ Monntsheftc f.
Mu&ikgcschichte 36, 129 (LUstner, mit L);
lUiiftr. Ztg. IM, 465.
•Gemmiqgen, Julius Frcih. v., kgl. preuO.
Gcncnl d. Infanterie u. Präsident d. Reichs-
mtlitiügerichts, Bevollmlehtigter z. Bundes-
rat ; • Grünau (NVestpreuOen") 1 5. (nach
Fretherrl. Taschenbuch) VlI. 1843 ; f Berlin
73. X. — BJ VIII, 142 (Lorenzen); Woche
5. 1962 (P): Goth. Geneslog. Tasebenbnch
d. Freihcrrl, Häuser 1904, 231.
*Geminingen, Wilhelm I)ietricl\ Kreih. von
a. zu der, kgl. preuB. General d. Kavallerie
r, D. : ♦ Gemmingen (Baden) 17. IV. 1827;
t Karlsruhe 18. X. — BJ VIII, 189 (Lo-
reiuen); Goth. Genealog. Taschenbuch d.
Freiherrl. Häuser 1904, 233. 896.
Gemmingen, Wilhelm Ludwig Pleikardt
FlreÜi. Ton u. au, Grandhcnr r. Gemmingen
und Iniingen, großherzogl. bad. Oberst-
kanunerherr ,£x2elletu ; * 20. V. 1 823 ; f Karls-
rabe 39. Vit. — Gotii. Genealog. Taschen-
buch d. Freiherrl. Häuser 1904, 232.
Gemfi, Wilhelm Gustav, />r. phil., Pro-
fessor, Oberlehrer am kgl. Luisengymnasium
in Berlin, klas-;. Philolog u. Scliulmann;
* Glogau 20. VIÜ. 1846: t Berlin i. III. —
^üucsbericht des Luiseni^nas. in Berlin
1903. 24; Viia in G.s Dissertation: De
kfwtno im Cerertm homerico. Berol. 1S72.
Genelin, Placidus, Dr. fkil., Prolessor an
d. Obeirealschule u. Lektor f. französische
Spfudie an der Universität in Innsbruck,
Literarhistoriker u. Neuphilolog ; * Disentis
15. V. 1851; f Innsbruck im Mai. — All-
gemeine Ztg. 1003 Beil. 119; Kl, 2^,412
(W). 26, ^9*; Keitcr-Jörg, Kathol. Litcratur-
kalender 6, 84 (W).
Georg, William, Mitinhaber u. Leiter d. Buch-
u. Kunsthandlung Georg Jic Cie. in Basel;
t daselbst, 47 Jahre ah, 9. XI. — Börsen-
blatt f.d. Deutschen Buchliniulil 1003,^860.
Georgi, Laura, ehemal. 1 bcaterdirckturin ;
t Sehweidnitz, 73 Jahre alt, 18. V. — Neuer
ITieateralmanach 15, 150.
Gerhard, SimUde (Pseudon.: S.J.Milde),
Scfaiiftstellerin, Mitbegrflnderin d. Albert-
vereins in Sacli>cn; * Leipzig 9. VII. 1830;
t daselbst 15. III. — lllustr. Ztg. 120, 465;
Pttaly, Lcsikon deutsdier Fnnen d. Feder
«. «53. «. 47 (W>
Gcsenius, I-ran/, kgl. prcuO. nilieimcr Re-
gierungsrat und Stadtältester in Berlin,
Direktor des Berliner Pfandbriefamtes ;
t Berlin 2. IIL, 80 Jahre alt. — Woche
5, 418.
*Ge0iier, Adolf, Dr. med., ordentl. Professor
f. Geburtshilfe u. Gynäkologie u. Direktor
d. Frauenklinik an d. Universität Erlangen;
* FHedberg (Obeihessen) 4. II. 1864; f Er-
langen 24. I. — BJ VIII. 7Q (Pngel); BZ
12, 146 (Monatsschrift f. Geburtshilfe u.
Gynäkologie 1903, 374: C Gebhard).
Giehlen, .Mfred, Sujicrintendent a. I)., lang-
jähr, erster Pfarrer an d. St. Jobanniskirche
zu Moabit in Berlin; f daselbst 16. V.,
61 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 5.
Gienanth, Max Karl Freiherr v., kgl. preu8.
Kommerzienrat, Eisenhuttenwerkbesitzer u.
Gutsherr zu Hochstein in d. Pfalz; * Lud-
wigshafen 29. XI. 1849; t Hochstein i 5. XII.
— lUustr. Ztg. 121, 1014; Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Freiherrl. lOuser l90S,a38.
Gier, August. ~ BZ 13, 144 (Baustg. 1903
Nr. 92 : j. Bousset).
*Gie8e, Ernst Friedrich, kgl. sidis. Geheimer
Hofrat, früher ordentl. Professor u. Leiter
d. Ateliers f. Baukunst an d. Technischen
Hochsdittle m Dresden, seit 1901 in Char-
lottenburg lebend ; • Bautzen 16. IV. 1832;
t Charloltenburg 12. X. — BJ VIll, 298
(Stiller).
Gisevius, Heinrich, k^l. prcnO. Generalmajor
t, D., zuietst bis 1897 Inspekteur d. Tcchn.
Instituts in Beilin; f daselbst 9. L, 58 Jahre
.ilt. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
«GttlbMier, Michael, Dr,phü., Cborhen d.
SHftes St. Florian, aufle r otde n tl. Professor
f. klass. Philologie u. I^iter d. philolog.
Proseminars an der Universität Wien;
• Leonding b. Linz 31. X. 1847; f Wien
31. V. — BJ VIII. 137 (R. V. Kralik); KL
25. 426 (Wl. 26, 39*; .MIgemcineZtg. 1903
Beil. 125; BZ 14, 133 (Kurrespundenzblatt.
Amt]. Ztschr. d. kgl. Stenograph. Instituts
7\\ nri<(len 1004. 170: ,\. Mtntz).
Glaser, i heodor Edler v., Impresario; j Paris
19. IL, 4$ Jahre alt. — Neuer Theater-
almanach 1 5, 140.
Glebocki, Joseph v., Gutsbesitzer zu Czerlejno
(Kreis Schroda), Mitglied des Deutschen
Reichstags (Pok-) ; • Barskin (Posen) 19.
III. 1856 ; t Posen 27. Xi. — Illustr. Ztg.
I3f, 841; KOrschners Reichstag 1898 —
1 ')<>,"!, 77 (mit P).
Glcifienberg, Karl, pension. Verwaltungs-
direktord.GenossenschaftdeutscherBnhnen-
angehöriger, vordem ,'>chauspieler; * Crossen
2. X. 1830; t Berlin 17. Xll. — Neuer
Theateralraanach 16, 174 (mit P auf dem
Hlustrationsbogen).
b*
39*
Totenliste 1903: Glo0 — Goets.
GI06, Ludwig, Bildbauer u. Maler in Wien;
• Wiener Neustadt 20. i. 1851 ; f Mödling
b. Wien 23. II. — lUustr. Ztg. 120, 347;
Müllcr-Singcr, Allgemein. KUnstlerlcxikon 3
2,63; I). geistige J)eutschland 1, 233.
Gmeliti, Max, Dr.pkU. (in Erlangen 1S94),
Assistent am "^tädt. ehem. I.nhoratorium in
Stuttgart, Chcnuker; f zu Gaiidorl, seinem
Geburtsort, 36 Jahre «lt. — Leopoldina
v>. 102.
(iübel, Otto Julius, Landschaftsmaler, früher
in Ttfls (Oberbayem); f Sonnenstein bei
Pirna 36. II. — Worhc 5, 418; Jahrbuch
d. bildenden Kunst 1, loo.
«Goeck«, Franz Friedrich Wilhelm, kgl.
preuß. Geheimer Justizrat, Not u in ( Hin,
Voreitiender des deutschen Notar x ereins;
• Paderborn 30. 1. 1834; f Cöln 31. V. —
BJ VIII, 1 50 (.\. Teichmann) ; BZ 13. 145
(Ztschr. d. deutschen Notarvercins 1903,
335)-
Goldbaum, Heinrich, Dr. med., prakt. Arzt
in Wien; * l.cmberg 23. IV. 1846; f 2. V.
— KL 25,437. 26, 39*.
G51dUa von Tleftnau, Robert, ( )l>er^t der
schweizer. Armee u. Instriikior d. Sanitäts-
offiziere im eidgcnöss. Heer; * Lu/.ern 10.
X. 1S32; t I^ascl 28. X. — lllustr. Ztg.
121, 681; Voss. Z^. 38, I, 414 (P^el,
mit
Goldnuuui, Julius, kgl. preuß. Wirkl. Geheimer
Kriegsrat, bis 1S93 Intend.-int d. VIII. Armee-
korps; f Koblenz 3. IV., 72 Jahre alt. —
Voss. Ztff. 1903 Nr. 608.
Goidschmidt, Kreil, Verlagsbuchhändler in
Berlin; * d.aselbst 33. V. 1843; f ebenda
3. II. — BKrsenblatt f. d. Deutschen Buch-
li:intlcl 1903, 1034. 9742.
*Goldschmtdt, Georg ( so stets, nicht Albert
wie oben S. >o8), kgl. preuß. Musilcdirektor
II. lAutn.uit V. I).. früher Kapellmeistor d.
7. Infanterieregiments; * Herrnschwenda
(Kreis WeiSensee) 16. IX. 1823; t Liegnitz
11. XL — BJ VIII, 208 (Lorenzen); lllustr.
Ztg. lai, 753 u. Nr. 2601 (v. 6. Mai 1893,
mit P); Monatshefte fOr Musikgeschichte
36, 130 (I'üstner, mit L).
Goldstein, Irma, vereheLGolz, Opernsängerin:
s. Golz, Irma.
*Goll, Krietlrich. Dr. med.^ chemal. ordentl.
Professor d. Pharmakologie .in d. Univer-
sität Zürich; * daselbst i.lU. 1S29; f ebenda
12. XI. — BJ VIII, 80 (Pagel); Biograph.
Lexikon d. herv(»rrngcnden .\rzte 2, 595 ;
Leopoldina 40, 36; BZ «4, 134 (Viertel-
jahrsschrift d. naturforsch. Gesellschaft in
Zürich 48,481 : Rheiner; Deutsche Medizin.
Wochenschrift 1904,71: Eicbhorst; Ver-
handlungen d. schweizer, naturforsch. Ge-
sellschaft, 86.Vcrsanimlung XCV: P. Rodau).
Golz, Irma, geb. Goldstein, ehcnial.Opero-
sängerin; f Wien 5. VI., 29 Jahre ah. —
Neuer I hc.iteralmanach 15, 151; Monat»-
hefte f. Musiligeschichte 36, 130 (Lastner,
mit L),
*Goose, Sophus, Dr.jur^ Justizrat, Mitglied
d. Direktoriums d. Kirmn Friedrich Krupp
in Essen; • Neuenburg m Oldenburg 30.
I. 1839; t Essen 14. V. — BJ VIII, 338
fP. G<»ldschmidt).
Gocring, Philipp Jakob Ritter v., Ober-
regieiungsrat, kgl. bayer. Landestierant
a. D., Fachschriftstcller; • Wfirth ;iin Rhein
15. III. 1832; t Seefeld 4. IX. — BZ 13,
145 (Ztschr. f. Veterinirkunde 15, 459:
Granjmlich; Berliner tienirztl. Wochenschrift
1903 Nr. 35. 36; Attinger; Deutsche ticr-
ürttl. Wodienschrift 1903, 367: Göbd);
Wochenschrift f. Tierheilkunde u. Viehzucht
47, 413. 426 (iUbrccht, mit P).
Goseh, August, Professor, Lehrer an d. kgl.
Kunstschule in Berlin, Porträtmaler; f Groß-
Lichtcrfelde 8. IV., im 83. Jahr. — lllustr.
Ztg. 120, 623.
GoBsinger, Franz v., früher Regicrungsdirduor
u. Direktor d. protestant. Konsistoriums in
Bayreuth; f München 24. XI. — Augs- j
bu'rger Abendstg. 1903 Nr. 335 S.
Nr. 327 S. 7.
GötSCh, Paul, Dr. rncJ., kgl. prcuB.- Geheimer
Sanitätsrat, Tuberkuloseforscher; * Colbeig
21. IX. 1838; T Slawentzitz 25. 1\. —
Leopoldina 39, 129; Woche 5, 190Ö (P);
Virchows Jahresberiehta 38, 1, 414 (Pagel):
Vita in G.s Dissertation : Symholac ad
rescctiotus in manu et J>edc /acicndas.
BerotUn tS6i,
Gottburg, Landgerichtsrat in Flensburg,
Förderer d. Deutschtums in Schleswig:
t Flensburg «6. VIII. — Woche 5, i6oa
Gottheil, Gustav. Dr. phil., Rabbiner am
TtmpU Emanuel in Newyork, Vorkämpfer
d. Reformjudentimis, früher Assistent «m
RcfomUempel in Berlin; f Anfang Mai.
— Voss. Ztg. ic>o4 Nr. 5; Leonard, Who's
wk» im jlmeHea 1901/02, 447.
GottodUlId» Julius Otto, Kunstsammk-r, Be-
sitzer einer Gemäldesammlung holliind. u.
vliimischer Meister des 17. Jahrhunderts,
die er durch Ictztwillige X'erfUgung dem
Muscinn f. liild. Künste in Leipzig ver-
in;uhtc; j d.isdlist 27. III. — Kunstchronik,
Neue Folge 14. 338; U. Thieme, Sammlung
J. O. Gottsch.nUl. Leipzig 1901. - Mit-
teilung von Prof. Dr. Lier in Dresden.
Gottschalk, Ottilie, Schauspielerin : s. Lang»
h o f f- S c h :i e f f e r , C^ttilie.
GoetZ, Johann Karl Leopold, Pfarrer am
Kranken- u. Diakonissenmutterhause der
Barmherzigkeit zu KOfdgsbetg i. Pr.; * da-
41*
Totalliste 1903: Graeb — Gftfbncr.
42»
-clhvt 36. \'U\. iS^.^; + cl.cnda 10. I. —
KindHcisch, Altpreuß. Bibliographie f. d.
J. 1903 (L: Pfaner Goetz f* Erinnemng»-
hlati. KanigsherjT i. Pr. 1903; EvangeL
Gcmeindeblatt 58, 13).
Graeb» Adolf, ehemal. kgL TSnzer am Hof>
ihcaler in Berlin; •daselbst 10. I\. 1847;
f ebenda 16. VI, — Neuer Tbcateralina-
nadk 15. 152.
Graf» Theodor, Importeur u. Exporteur nach
dem Orient, Erwerber agypt. Altertümer
(u. a. des Papyrus Rainer) ; f Rodaun (Nieder-
ttstcrrcicb) 25. XI., im 64. Jahre. — All-
gemeine Ztg. 1903 Beil. 274; lliustr. Ztg.
121, 84 1.
Grahl, Hugo, früher Opernsänger (Tenor-
buffo) am GroOhgl. Hof- u, Nationaltheater
in Mannheim; * Potsdam iS. \I. 1845;
f Mannheim I. XU. — Neuer The.iter-
almanach !7,>: Monatshefte f. Musik-
geschichte 30, 1 30 ^^Lüsiner, mit L); Flüggen,
Biograph. Btthnenlexikon i, 110.
Graad>Ry, Andreas v.. Kittergutsbesitzer in
Bona, Mitglied des Deutschen Keichstagä
a. preuB. Abgeordnetenhauses (Zentmm),
sowie <1. Kreistags u. Provinziallandtags
der Kheinproviiu; * Eupcn 4. V. 1837;
f Kettenis b. Eupen 9$. IX. — lliustr. Ztg.
121,486; Kür-l-!uK•r■^ Deutscher T\ciohst;ifT
1898 — 1903,224 ^^nutP); Kürschners PrcuU.
Ab^eordnctenhaiis 1894,429 (mitP); l:iirth,
Deutscher Fsrlamentsalmanach 12 (iS77)>
»59.
Graattsch, Ocorg, Dr. jur., Advokat and
Publizist, Schöpfer d. Land^-hv luitheken-
bank in Wien u. Organisator d. KaitTeisen-
kassen in Niedcrösterrcich, Mitgl. d. Hauses
d. Abgeordneten d. Österreich. Rcichsrats
u. d. niederösterreich. Landtags ; f Haders-
dorf b. Wcidlingen 18. IX., im 71. Jahre.
— lliustr. Ztg. 121, 486.
Grasbergcr, Lorenz (Laurentiu-;), Pr. Miil.,
kgl. baycr. Geheimer Kat, ordentl. Prulessor
f. Mass. Philologie n. Pidagogik an d.
l'niversitat Wur/hurg; * Hart penuiii",' (Ohcr-
bayern) 9. VUl. 1830; f Würzburg 22. I.
— KL 35, 450. *6, 39*; Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 18; HZ 12, 152 ( Körper u. Geist.
Ztschr. r. i'umcn u. Jagdsport 12, 389:
GoebelV
Graser, Hermann, früher Verlagsbuohhiindler
(G. Schönfelds Buchhandlung) in Anna«
berg i. S,, Förderer d. TmiristenTerkehrs im
Erzgebirge; t Berlin 5. II. - Börsenblatt
f. d. Deutschen Ruchhandel 1903, 1104.
n66. 1320. 738S; R, BrSuninger, I^ebens-
abrifl des + Bin hhändlers H. Q. in Anna-
berg (Zwickau, (»ebr. Thost, 1903, mit P,
aus: Mitteilungen aus d. Buchhändlcrver-
band f. d. Kgr. Sachsen I Nr. 3).
♦Grassauer, Ferdinand, Dr. phil., k. k. Hof-
rat, Bibliothekar, cbemal. Vorstand d. Uni-
versititsbibliothek in Wien, Ge<^ph;
• Sallingstadt (Niedcrösterrcich) 26. \'I.
XS40; t Klosterneuburg 25. X. — BJ VIII,
180 (S. Frankfurter).
Gratzcr, Johann Hujjo [alias Treu), Schau«
Spieler: s. Treu, Johann Hugo.
*Gnievetilts, Karl ▼., k. wflrttemberg. General
d. Infanterie /. D.; *Lud\vigsburg 8. L 1830;
t München 13. III. — BJ VIU, 279 (Lo-
lenzen).
Gregor, Konr.ad, Dr. med., erster Assistent
an d. Universitätsklinik u. Poliklinik f.
kranke Kinder in Breslau; * Freiburg
(Schlesien) 5. XII. 1870; t Breslau i. Vlll.
— Leo[)oIdina 30, 102; Virchows Jahres-
berichte 38, I, 415 (^Pagel, mit L); BZ 13,
147 (Archiv f. Kinderheilkunde 37,491:
Baginskyi; Lel)en>lauf in G.s Dissertation;
Untersuchungen über \'erdauungsleukocyten
b. magendarmkranken SAaglingen. Breslau
1897; Leopoldina 30, 102.
Groiner, Frau Emeline, Koman- u. Novellcn-
schriftsteUerin in Rudolstadt; * daselbst
5.V. i837;t2o. XI. KI, 25,454. 20 v)*:
Pataky, Lexikon deutscher Frauen d. Feder
I, 381.
Grimm, Julius Otto, /V. /////. hoih^ris diiisa,
Professor, akad. Musikdirektor an d. Aka-
demie in Mflnster i. W., Direktor d. Cicilien-
Vereins da^clli-^t. Komponi^t; * Pernau
(Livland)6.III.i827: fMUnsteri.W. 7.XII.
— Raßmann, Nachrichten v. d. I.eben u.
d. Sehriften Münsterländ. .'^ehriftsteller.
N. F. 80; Monatshefte f. Musikgesehichtc
36, 130 ^^Lüstner, mit L); BZ 14, 136 (Mo-
natsschrift f. (^tottesdienst u. kirchl. Kunst
1904. 79: J. .smendK
• Grimmich, \ irgil, Benediktiner, Dr. phil.,
ordentl. Professor f. Moraltheologic an d.
deutschen Universität Prag; * Kaaden
^Böhmen) iv •'^l. i8t»l; f Prag 14. \ III.
— BJ VIII, 196 (F. Lauchert).
Grobli, Walter, />r. phil., Professor, Lehrer
d. Mathematik um Ciymnasiuni in Zürich;
* Obeiutzwil (St. Gallen) ra. 1853; f am
Piz Bla- (lur> Ii rngUlcksfal! 27. VI.. 50 J.-ihre
alt. — Woche 5, H90 (Pj; BZ 13, 148.
14, 137 (Schweiser Lehrerztg. 1903 Nr. 34;
.\lpina 1903, 8. 9: Lüniiig um! Nr. 12;
Neue Zürcher Ztg. 1903 Juli 16; Viertcl-
jahrsschrift der naluribisch. Gesellschaft
in Ztlrich 48, 478; Verhandlungen der
schweicererischen naturforschenden Gesell-
schaft, Versammlung 86, XXIII: A. Lü- •
ning).
Gröbner, Johann, Chorsänger am k. k. Hof-
opemtheatcr in Wien; f daselbst 24. V.
— Neuer Theateralmanach 15, 151.
43*
Totenlutc 1903: Grcmau ▼. Ha.ckdhag-Lukdui.
Gronau, Wilhelm, \'erlAgsbucbhändler in
Berlin, Vorstand d. CntCfStOtcungSTcreins
Dciitvi her Hiichhändler U. Buchhandlungs-
gcbilfeo ; t 1 7. XI 1., im 40 Jahre. — Börsen-
blatt für den Deutschen Buchhandel 1903,
1061 7.
Gröning, Albert Wilhelm von, Dr, j'mr.,
Rechtsanwalt, «weiter Bllr^ermeittcr von
Bremen; •daselbst 26. I. 1839; f ebenda
33. VL — lUustT. Ztg. lai, 3$; G.s Disser-
tation: Ik JidH cM Mrinii fm^im mglwü».
Gottimg, tS6o; BZ la, 153 (Wcaentg. 1903
Juni 24").
*Groschuff, Albert, kgl. preu6. Geheimer
Obeijustiirat, Vorsitxendcr lic Strafsenat-,
am Kammerpcricht in Berlin; •daselbst
I. IV. 1835; t ebenda 26. II. — BJ VUl, 150
(A. Teicbmann).
Grube, August Wilhelm (oder lulius?),
Hofschauspieler (Helden und Hons ivants),
Direktor d. Belle-Alliance-Theaters in Berlin ;
•daselbst 17. IX. 1S45; t chcnd:i 12. XII.
— Neuer Theateralmanach 16, 174; lllu&tr.
Ztg. tat, 1014; Eisenberg, GroBes bio-
;:r:ii)h. I-cxik'in d l>c(itschen Bühne 358;
i luggen, Biograph. Buhnenlcxikon i, 115.
Grtttiniaeher, Friedrich Wilhelm Ludwifp.
kgl. -iicli-. Hofrat u. Professor, Konzert-
meister und Kammervirtuose in Dresden,
Cellist; * Dessau 1. III. 1832; f Dresden
22. (oder 23.-) II, ^ B. Wildberg, D.
Dresdner Hofiheater in der Gegenwart.
Dresden n. I^pzig 1902. S. 338 — 243;
A. Kohut, D. Dresdner Hoftheater d. Gegen-
wart. Ebenda 1888. S. 417— 425; Tage-
buch d.kgl.sächs. HolUieater 1903,97 — 99;
Neuer 1 hcatcralmanadl 1$, I40; Dresdener
Ruiui-chau 9 Nr. 25. 12 \r. lo; Illustr.
/ij^. 120,310; Monalshcüc f. Mu-sikgcsch.
36, 130 (Ltistner, mit L): B/ 12, 154
(Musikwoilic 1903 Nr. 10: H. Flatzbccker).
— Mit bibliograph. Beitragen v. Prolessor
H. A. Lier in Dresden.
(>ude, H ;ui ^ Krctirik, Professor, LandschaTts-
malcr, Leiter eines Meisterateliers an der
Akademie d. Kttntte in Berlin; * Christiania
13. III. 1825: + Berlin iS. VIII. — Jahr-
buch d. bildenden Kunst 3, 10 1 ; Illustr.
Z^. 131, 301; Woche 5, ISI4 (P); Mflllerw
Singer, Allgemeines KUnstlerlexikun 3 2,09;
Das geistige Berlin i, ISS: ^^^'^ geistige
Deutschland 1, 253 (Autobiographie); BZ
13. 148 (Voss. Ztg. 1903 Aug. 26).
GucitAy V., Geheimer Kommertienrat, Präsident
der Frankfurter Handelskammer, Mitglied
des preuß. Herrenhauses ; f Cronberg
(Taunus) 13. Xll. — Illustr. Ztg. lai,
1014.
Gumpl, Robert, k. k. Hofrat, Direktor des
iiauptpunzieramtes in Wien; f daselbst
12. X., 63 Jahre alt. — Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 334.
Gurau, Sophie, geb.SGhloft,KoiiiCflalngCfm:
s. Schloß, Sophie.
*GttMeabn«er, Kail, Dr. mtd., k. k. Hofrat,
ordentl. Professor f. Chirurgie an d. Uni-
versität Wien, Leiter d. zweiten Chirurg;.
Klinik im Allgemeinen Krankenhause da-
selbst; • Ober\ ellach (Kärnten) 30. X. 1842;
t Wien 19. VI. — Bj VIII, 8 (O. v. Frisch);
' Leopoldina 39, 102; Biograph. Lexikon d.
hervorragenden Arzte 2, 705 (mit W);
Pagel 659 (mit P); Illustr. Ztg. 121, 28
(mit P); W'oche 5, 11 48 (mit P); AUge-
meinc Ztg. 1903 Beil. 136; Virchows
|ahre<herichte 38, I, 4IS (Pagel, mit L);
B/ 1 2, 1 54. 1 3, 149 (Deutsche McdizinaUtg.
1903, S79' Prager Medizin. Wochensc hrift
1903, 321 : K. Bayer, u. 363: A. Wulf 1er;
Wiener klin. Wochenschrift 1903, 757:
A. Fraenkel, u. 903. 930: A. Eiselaberg;
A1!>T. Wiener Medizin. Ztg. H)03. 2S5;
D. medizin. Woche 1903, 296; Monats-
schrift Ar Geburtshilfe und GyaMkologie
I9<i3, 96: A. Rosthom; Deutsche Ztscbr.
f. Chirurgie 69, I: D. Pupovac, mit P;
Deutsche medidn. Presse 1903, 103; BIvm-
her^'; ('.irinthi:i i')03, 1S4: L. Wenger;
Zentralblatt f. Chirurgie 1903, 777: Ger-
sung; Berliner Min. Wochensdirift 1903,
677: A. V. Winiwarter; Deutsche Ifediain*
Wochenschrift 1 903, 536, mit P)*
Guthery stnior, John Robert, ehemal.
Schauspieler (Komiker); * Hamburg 6. II.
1824; t Berlin $. III. — Eisenberg, Großes
biograph. Lexikon d. Deutschen Bahne 373;
Neuer Theateralmanach 15, 141.
Gutschow, Hermann, Pr. ///<•«/., General-
stabsarzt d. deutsclicn Marine, Chef d.
Sanitätskorps d. Marine u. Vorstand d.
Medizinal.ibteilung d. Keichsmarineamtes;
* Brandenburg a. II. 20. VI II. 1843; f Berlin
23. IV. — lUttstr. Ztg. I30, 741 (F. R,
mit P); Woche 5. 785 (P); Virchows Jahf«$>
berichte 38, I, 415 (Pagel, mit L).
Hude«, Heinrieh (Henry), Sehulmann und
Journalist in Cincinnati, Herausgeber des
»VoJksfreund« daselbst, auch Dichter;
* Hagenow (Mecklenburg) aa. X. 183a;
t 26. XII. Vos.,. Ztjj. 1904 Nr. 9; Leo-
nard, H'k«'s who in Amtrita jf/oj/a, 474.
H»M> Emannel, Komponist u. Mnsikprofessor
in Oedenburg; f daselbst im August, 64
Jahre alt. — Monatshefte f. Muaikg^chichte
36, 130 (LUstner, mit L).
*Haberland, Hermann, k. siichs. General-
leutnant; • Naundorf b. Großenhain 31. VII.
1837; t 21. 11. — BJ VIII. 280 (Lorenzen).
Hnckelberg-Laadmi, Rudolf Adam Freih.
V., k.u.k.Kiinmerer, Besitser d. Gute« Prag-
45*
Totenliste 1903: Hsdr» Haiti.
4«'
wald b. Cilli (Untcrsteierniark), Mitglied
d. Abgeordnetenhauses d. Österreich. KcMchs-
nits sowie d. «tehr. Luidlaget (Vertreter
d. steir. Großjirundbcsitzcs) ; • S. IX. 1S27;
t Su Peter a. VI. — Illusir. Ztg. 120, 897;
Goth. Genealoer. TaschenlKicli d. FreilieiTL
Häuser 1905, 275; S. Hahn, Rcichsnts-
Almanach 1891/2, 17a.
*Hftdra, Sally, /V. tuet/., Chirurg in Berlin;
• daselbst 24. II. 1856; f «bend« ao. V.
— BJ VIII, 80 (Pagel).
HMfeli, Emil, Dr. med., ftrztl. Direktor d.
Heilstätte in Davos-Dorf; »8. XI. 1868:
T Luzern 4. VI. — Virchows Jahresberichte
J8, I, 415 (Pagcl, mit L); BZ 13, 149
(Konespondcnzblatt für Sciiweiscr Ante
1903, 522 : Trcchsol).
Haffher, I raugoit, St-idlichultliciß von Mar-
bach a. N., Schöpfer d. SchiHermuseums
daselbst, \'or>;tand d. Marbacher u. Schrift-
führer des Scliwabisclien Schillervereins;
t Marbach 34. VI., 50 Jahre alt — Illustr.
Ztg. 121, 25; BZ la, 155 (Schwftb. Merkur
1903 Juni 27).
HngtniMiii, Gtwfgt Dr. pkil., ordentl. Pro<
fcssor d. Philosophie an d. Akademie zu
Muustcr i. W.; * Beckum (\Ve:itfalen) 17.
XI. 1832; t Mttnsteri. W. 6. XII.
*Ha^cmcistcr, Johann Carl Paul Wilhelm,
kgl. preuU. Justixrat, Kecbtsanwalt u. Land-
syndikus in Stralsund, Jurist u. Historiker;
*Stralsttnd 13.VI. 1826; fGreibwald a?.!!!.
— BJ Vin, 190 (Pyl).
Hahn, Georg Ludwig, Dr. tkeel. ei pkil.,
ordentiL Professor f. neutestamentl.'i'heologie
in d. evanp. - theolog. Fakultät d. Univer-
sität Breslau u. Senior derselben; •Königs-
berg i. Pr. 26. IV. 1823; t Breslau 14. VII.
— Allgemeine Zt^;. 1903 Heil. Chronik
d. Univ. Breslau 18 (1903/4), 156— 104
(Juncker) : Theolog. Jahresbericht «3, 1 196
(Nestle, mit L).
Haimasy, Johannes Evangelista, Frole^sor,
Cboivegent a.D. in Gras, MnsikschriftsteUer;
• ludcnliiirg lo. X. 1847; + Graz I. V. ^
Monatshefte für Musikgeschichte 36, 130
(Lllstner, mit L); BZ la, 156 (Gregorian.
Kntut-chau 1 00 03).
Hallwachs, Ludwig, Dr. thcol. honoris causa^
Wirkl. Gdicimrat in Darmstadt, Begründer
d.cvangel. Kirchengesangvereins f. Deutsch-
land; t 9« — Thcolog. Jahresbericht
23, 1196 (Nestle, mit L); BZ 12, 156
(Monatsschrift für Gottesdienst und kirchl.
Kunst 1903.43: K.Sell; Korrespondenxblatt
d.evangel.Kirchengesang\xrcins 1903 Nr.2).
Halter, Nikolaus, schweiser. Alt-Rcgicrongs-
rat. — Woche 5. 874.
Hamburger, Meyer, Dr. phil., Professor,
anflerctetsmlfliger Dosent fBr AnalysiSj
Algebra, Potentialtheoric, Variationsrech-
nung u. Funktionentheorie an d. Tecbn.
Hochschule in Charlottenburg; * Pos<n
S. IV. iSvS; + Berlin 9. \ I. Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 130; Lcopoldina 39, 78;
Poggendorflf 4, 575 ('»'t ^ «7to; BZ 14,
140 (Verhandlungen d. Gesellschaft deut-
scher Naturforscher und Ärzte 7$, II, 5:
E. Lampe; Jahresbericht der dentsdien
Mathematiker -W'icinigung 13, 40).
Händler, Paul, Professor, Historienmaler;
* Altcnwcddingen b. Magdeburg 16. III.
+ Bethel b. Bielefeld 15. VIH. —
Illustr. Ztg. 121, 335.
Haenschke, Kmst, Bildhauer in Herlin;
+ I. \ — Voss. Ztg. 1904 Nr. II.
HancI, Joseph, /';., Dompropst in OlmUtz;
+ daselbst 16. IV., 80 Jahre alt. — Woche
5. 7.^6.
Hänsel, Heinrich, 'rhoatormoistcr d. Alten
Theaters zu Leipzig; * Gräfenhain 27. 1.
185s ; t Leipsig la. VII. — Neuer Theater-
almanach 15, 152.
Hansemann, Adolf v.. Geheimer Kommer-
zienrat, Bankier in Berlin; * Aachen a7.Vn.
1S26; f Berlin 9. XII. Illustr. Ztg. 121,
956 (J. P., mit P); Woche 5, 2226 (P);
BZ 14, 14 t ((^roBbetrieb. Jahrg. 3. Beriln
i<hi4. S. 147, mit P).
Hantice, Emst, Dr., Begründer u. Direktor
d. Brauschttle in Milwaukee, Herausgeber
der itl.ctlcrs cn braviHg'X f, 40 J.ahre alt.
— Illustr. Ztg. 121, 486; BZ 13, 152
(Zlschr. f. angew.indte Chenüe 16, 1095).
llardcland, Julius, Dr. thcol., langjähriger
Direktor d. evangel. Mission in Leipzig,
dann Su|>crintcndent v. Doberan: * Han-
nover 7. i. iS>8; t daselbst 11. X. -
Theolog. Jalirc-iberiolit 23. iioö (Nestle,
mit L): Perthes' Handlexikon I. evangel.
'Ilieologcn 2, 19.
Harpke, Anton Kdler v., chcmal. Pra.-ident
d. niederösterreich. Gewerbevereins; f Wien
16. IV., 63 Jahre alt. — Woche 5, 736;
BZ 12, 159 I MiffL-ihmgcn d. k, k. tcchn.
Gcwerbeniuseums in Wien 1903, 131).
Hnerter, Gustav Wilhelm, Pfarrer im ElsaB.
Ztschr. f. d, Geschichte d. Oberrheins
58, 724 (^Kaiser, L: Elsäss. Evangel. Sonn-
tagsblatt 40, 296. 302 T. F. D.[ietz|; Zum
Andenken an Pfarrer G. W. H. Strafiburg
1903).
Hartig, Frans Gabriel Graf, Herr auf Niemes
mit Wartenberg in Böhmen, k. und k.
Kämmerer, Mitglied d. Abgeordnetenhauses
d. ttsterreich. Reichsrats; * Wien 15. VIII.
iSv»; + NicmoN \ !l!. — Goth. Genea-
log, l asclienbuch d. Gran. Häuser 1905,343.
Haiti, Heinrich Joseph Franz, Dr. phit.
k*moris camsa^ ordentL Professor d. Geo-
47*
dftsie an d. Universität Wien, Kartograph,
froher Oberst; ♦ Brünn 23. 1. 1840; f Wien
. 4. IV. — Leopuldina 39, 102; PoRgcndorff
3,59' (W). 4,589 (W). 17 10; Geographen-
Kalender 2, 190 (L); Geograph. Jahrbuch
36, 431 (Wolkenhauer, mitL); Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 77; BZ 12, 159. 13, 153
(Etscbr, f. Vcrniessungswesen 1903, 337:
Truck; Zeit i«>o3 Juli 10: A. Penck).
Hartlüben-Sarkhäza, Franz Adolf v., Mit-
besitzer d. \'erlagsbuchhandluiig A. Hart-
lebcn in Wien u. Lciprig; * Nea43nuiiska
(rngarn) 15. XII. 1835; + Bl.iscwitz b. Dres-
den 1 8. XI. — Börsenblatt f. d. Deutschen
Buchhandel 1903, 10078. 10374. 10525.
*HnrtIicb genannt Wallq>Oni, Maximilian
V., kgl. baycr. Generalmajor z. D. ; * Zus«
marshausen (Bayern) 9. 1. 1840; f Mttnchen
iS. III. HJ VIII. 211 (Loronzcn).
Hartmann, Nina, verehcl. Zuttmayr, Opern-
sftngerin: s. Zottmayr, Nina.
^Hartwig, Otto, Dr. /////., kpl. prcuO. Ge-
heimer Kegieruogsrat, Hibliothcksdirektur
a. D., auch literarisch auf d. Gebiete d.
Gc^t-hichte u. Hibliothekswissenschaft tätig;
* Wichiiiannshausen (Niederhessen) 16. XI.
J830; T M.irLurg i. II. 22. XII. — BJ VIII,
30«^ (K. Gcrhai'd); KL »$, 511 (W), *6,
40*; Allgeuieine Ztj». 1903 Heil. 294;
O. Hartwig, Stammbaum der nicdcrhcss.
Familie Hartwig 1902.
*Hassc, Wilhelm, kj,'l. prcuß. Oberst, aus-
gezeichneter Fuhrer in der Öchlacht bei
Gravelotte; * Minden (Wettfalcn) is. HI.
1830; t Berlin 5. II. — HJ VIII, 206 (I,o-
renzen); BZ 12, 160 (Schweizer, mililär.
Blltter 1903, 113).
Hassclbach, Kriidrirli O-kar v., ki^l. preuß.
Landrat im Kreise Wulmirstedt (Reg.-Bez.
Magdeburg), ehemal. Mitglied d. Deutschen
Rciehstags u. prcuü. Abgeordnetenhauses;
• Minden (Westfalen) 3. IV. 1846; f Wol-
mirstedt 8. I. — Sehoenfdds Notizbach
fUr Reichstagswablcr 5, 131; KUrschnen
PrcuO. Abgeordnetenbaus 1894, 228 (mit
P).
Haupt, kgl. sächs. Geheimer Finanzrat, Reich»,
bevollmächtigter für Zölle und .Steuern in
Breslau; f daselbst 30. XI. — Illustr. Ztf,'.
121,913; Voss. Ztg. 1903 Nr. 608.
Hauptmann, l ina, Süngerin am ( Imßlierzogl.
Hottlie.iter in Ncustrelitz; • Karlsruhe 15.
VII. 1862; t Ncustrelitx 26. XII. — Neuer
riieaterahnaiiach 16, 176.
Hausdorf, Gabriele, Sängerin aui .Stadttheater
zu Breslau; *Leipclg lOb XI. 1862; f Bres-
lau 29. III. — Neuer Theateralmanach
«5. 145.
Häuser, Joseph Pftul, groflherzogl. bad.
KammersKoger, Ehrenmitglied des Hof*
48*
theaters io Karlsruhe, Professor f. Gesangs- j
kuiist am Konservatorium daselbst, früher
Opernsänger (Bariton); * Frankfurt a. M.
29. IX. 1828; t Karlsruhe 2. V. — Eisen- |
berg, Großes biograph.Lexikon d. Deutschen
Bahne 403; Flttggen, Biograph. BOhnen-
lexikon I, 131: Neuer Thcateralmanach
15, 147; Monatshefte lür Musikgeschichte
36, 130 (LUstner, mit L). |
Hausmann, Adolf, kgl. jireiiß. Geheimer '
Koinmissionsrat, DruckereibesiLzer in Berlin,
Menschenfreund; f Berlin la I., 62 Jahie
alt. Voss. Ztg. 1904 Nr. 13.
Haufiknecht, Karl, Hofrat, Professor in ;
Weimar, Vorsitzender d. Thilring. botiin.
Verci::'-, Botaniker und Oricntreisender;
* Bennungen bei KoÜla 30. XI. 1838;
f Weimar 7. VH. — Leopoldina 39, 102;
Allgemeine Ztg. 1903 Reil. 153; Geograph.
Jahrbuch 26, 432 (Wolkenhauer, mit L).
Hmülmniin, David, Dr. med., Gynäkolog in
Berlin; • Ratibor 22. VII. 1839; t Berlin
26. V, — Pagcl 697 (mit W) ; Biograph.
Lexikon der hervorragenden Ärzte 3, 86
(mit W); D. geistige Herlin 3,75 (mitW);
\'irchows Jahresberichte 38, 1, 415 (Pagel, i
mit L). {
*Hautmann, Johann, Bildhauer in München;
♦ dase]b--t 2 1. W . iSjo; t ebciuia 30. I.
— HJ \ lll, 94 \^\. Holhuidj; Aug>burgcr
Abendztg. 1903 Sammler 21.
Hawelka, Karl, Dr. nnd., k. k. ü'iterreich.-
ungar. Genernistab.sarzt ; f Doblmg, 77 Jahre
ah. — Woche 5, 1784.
Hedemann, Wilhelm v.,MikroIepidopter(i|..q^c
in Oberlößnitz b. Dresden. — Leo{>oldiua
39. «02.
Heerdt, .\ugust, Kendant d. vereinigten .Stadt-
theater in Frankfurt a. M. ; f daselbst 1 5.
XI., 49 Jahre alt. — Neuer Theateralmanadi
16, 171.
Heercman van Zuydwyk, Klemens August
Antonius Fteih., Dr. Jur., kgl. prcuB.
Regienmgsrat a. D., Kittergutsbesitzer, Par-
lamentarier, Mitglied d. Deutschen Reichs-
tags, I. Vizepräsident d. preuB. Abgeord-
netenhauses (Zentrum), auch Kunst^chrift-
>-teller; * .Surenburg b. Riesenbeek (West-
falen) 16. VIII. 1832; t Berlin 23. III. —
Illustr. Ztg. 120, 496 (P. Eisner, mit P);
Woche 5,.S()0 (P); KL 25,525 (W). 26,40*;
Keiter-Jörg, Kathol.l.itcraturkalender b, iii
(W): Goth. Genealog. Taschenbuch d.
Freiherrl. Häuser I905, 295: Kürschners
Preuü. Abgeordnetenhaus 1 894, 3 1 6 (mit P) ;
Karschners Deutscher Reidkstag 1898 bis
1903. 171 (mit P); BZ 12, 161 1 Ahe und
neue Welt 37, 567: K. Hochwart; Akadcm.
Monatsbl&tter 1903, 143: K* Hoeber; Ger-
mania 1903 Nr. 68).
Totenliste 1903 : Hatdeben-Sarkhaza — Heereman van Zuydwyfc.
40*
Totcnliate 1903: v. Hcfocr-AIteneck — Herrich-Schlffer.
♦Hcfhcr-Altencck, Jacob Heinrich v.. Dr.
phil., friilicr Gcncralkonservator d. Kunst-
dcnkmale Bayerns u. Direktor d. l>ayer.
Nation. iliiiuscums in Nrünchcn, Kultur- 11.
Kunstbi^turikcr; *AschatTcnburg2ü.V.i8i i ;
t München 19. V. — BJ VIII, 369 (H.
Holland^; lllustr. Ztfj. 120,847 (Th. Hampe,
mit P); Allgemeine Ztg. 1903 Beil. jia;
BZ la, 163. 13, 156. 14« 145 (Praidcftirter
Zig. IQ03 Mai i\ \ Berliner Neueste Nach-
richten 1903 Juni 7; Ztschr. f. historische
Wappenkunde 3, 57: H. Koctschau; Ztschr.
d. Münchener Altertumsvereins 14^15, 36:
J. Bauer).
Heijfl, Ferdinand, frOher Reelitsanwalt und
Magistratsr.at in Bamberg, zuletzt in München
lebend, ein Fuhrer d. deutschen Volkspartci
in Bayern, Schriftsteller auf Jurist, u. sozial-
polit. (Icl)iet, auch Popularphiloso])h und
lyr. Dii htir: * Kepcnsburg \y. XII. iSv);
f München y. i\. — K.L 25, 529 (W).
36,40*; lUustr. Ztg. 121,411; BrUmmcrS
2. 118. 49S: BZ 13, 156 (Das freie Wort
1903, 594).
IMIiggdst (genannt Geist), Karl v., Openi-
siuifjcr: 5. (Jci-<t. Karl v.
Hein, Wilhelm, Dr. phU., Kustos-Adjunkt
an Naturbistor. Hofmuseum in Wien, Privat-
doxent f. allgemeine Kthnographic an d,
Universität u. l. Sekretär d. Anthropolog.
(3esellsc1iaft daselbst, Mitherausgeber d.
»Internationalen Aiehixs für Kthnograplu'e«,
Ethnograph u. Orientalist; *VVien 7.1. 1861;
t daselbst 19. XI. — KL 25, 532 (W).
26, 40*; I.copoldina 40, 36; Geograph.
Jahrbuch 26, 432 (W. Wolkenbauer, mit L);
Geographen-Kalender 2, 191 (mit L); BZ
14, 145 (Deutsche Kundschau f. Geographie
und .Statistik 1903, 182: Sieger, mit P);
Oriental. Bibliographie 17, 15 (Schernian,
L).
Heinrich, Clara, Chorsängerin am kgl. Hof-
theater zu Dresden; * da.selbst 25. X. 1863;
t Radebcttl 28. VIII. — Neuer Theater>
almanach 15, 15 5.
Heinrich, Johanna, verw. Stöizcl, geb. von
der Se«, ehemalige Theateidteektoifai;
• Memel s. IX. 1S25; f Berlin 8. X. —
Neuer Iheateralmanach 16, 167.
Heinrich» 1 <udwig, ehemal. Orchesterroitglied ;
* 26. V. 1830; f Hcriin im letzten X'iertel
d. Jahres. — Neuer rheateralmaiiach 16, lOO.
Heiacel, Karl, Augenant in Tiiest. —
\'irchows Jahictbericfate 38, 1, 415 (P!^;el,
mit L).
Held, Leo, Konipomsta.TheateilEapellmeister
in Wien; + d.aselbst 16. V'., 36 Jahre alt.
— Illustr. Ztg. 120, 805; Neuer Theatcr-
almanach 15, 148; Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 130 (Lttstncr, mit L).
Heller, kgl. prcuO. Wirklicher Geheimer
I'inanzrat, vortragender Kat in d. Etats-
abteilung d. prenB. Ftnansminbteriums,
Mitglied der Hauptverwaltung der Staats-
schulden; f Berlin 3. III., 55 Jahre alt. —
Voss. Ztg. 1903 Nr. 608.
Hcllmann, Marie, fVutin des Bankier H. in
Pari!>, Wagncr:>iuigerin ; f Paris 17. IX.,
50 Jahre dt. — Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 130.
Helmerding, Anna, Witwe des Berliner
Komikers Karl H.; f Berlin 29. V., 72 Jahre
alt. - Woche 5. loio.
Hcmpel, Karl Otto Friedrich, Dr. phit.,
Gymnasialdircktor in Gro6- Lichterfelde,
klass. Philolog u. Schulmann; • Wittstock
(Priegnitz) 16. IX. 1858; t 25, I. — Voss.
Ztg. 1904 Nr. 5; V'iia in H. Dissertation:
Qucustioncs '{'hcocritctn-. Kiliac iSSt.
Henning, Theodor, Musikdirektor d. Stadt-
kapellc in Nordhausen, Dirigent, V iolin-
virtuos u. Komponist; * Langensalza 11.
X. i^^7; + Nordluiusen im Juli. — P.Frank,
TaächenbUcblein des Musikers 29, 102;
Mmiatshefte flir Musikgeschichte 36, 130
(! iistncr, mit L).
Hcnrion, Marie, vcrebel. Schweitzer, Souf-
fleuse: s. Schweitzer, Marie.
Hcnscl, Julius, Privatgclehrtcr in Hermsdorf
u. Kynast, Naturforscher; * KUstrin 1 1. VII.
1833; t Hermsdorf i». VL — KL 24, 562.
40*.
Hcnze, Max (von Starorypinski), Schau-
spieler am Schilleitheater in Berlin; *Mos-
gau (Westprcuüen) 2<S. I, 1871; f Berlin
25. XI. — Neuer Thcatcralmanach 16, 173.
Hergenhahn, August (?) von, ebemni. Polizei-
präsident von Frankfurt a. M.; f daselbst
8. VII., im 74. Jahre. — Woche 5, 1282.
Hermann, Karl August Freih. v., kgl.
Württemberg. Kammerherr u. Hofkammer-
priisident a. D,, Herr auf Schorn (Hezirks-
amt Neuburg a. d. I). in Hävern); * Lud-
wigsburg 6. X. 1842; f Assu.-in in Ägypten
1.IM. - Kreihcrrl. Taschenbucli 1905.308.
Herr, Arthur, (icheimcr Kcgierungsrat, vor-
tragender Rat im preuB. Ministerium d.
Offentl. Arbeiten; + Berlin 20. VII., 50 Jahre
alt. — Voss. Ztg. 1903 Nr. 608.
Herr, Georg, Inspisient d. vereinigten Rtadt-
theater in Köln; • WUr^burjj i. MI. 1S39;
j Köln 12. IX. — Neuer Iheateralmanach
»5. '57-
Herrich-SchäfTcr, Gustav Adolf, Dr. imd.,
kgl. bayer. tiofrat, prakt. Arzt in Kegens-
burg, Botaniker; • daselbst 24. VIII. 1836 ;
t ebenda 2I. I. — I.copoldina 39, 85;
Berichte d. naturwissenschaftl. Vereins zu
Regensburg 9, 129 (H. Fümrohr. mit P);
BZ 14, 147 (Denkschrift d. kgl> IxMan.
51'
GcseUschafi tu Rcgcnsburg 8, XL: ^Um>
rolir).
Herrlich, Karl, Geheimer Hofrat, Bureau-
voratehcr d. kgl. prcuB. Johann itcrord^ns,
Schriftsteller; f Berlin i8. V., S2 Jahre alt.
— Illustr. Ztg. 120, 805.
Herzer, August, Huchhändler in WUrzburg,
früher Inhaber <J. B. Schmidschcn Buch-
handlung in Augsburg ; f Würzburg 3. II.,
im 51. Jnhri-. Börsenblatt f. cl. deutschen
Buchhandel 1903, 1004. 5626.
Henmuiaky, Theodor, k. k. Bau rat, Architekt
(Arbeitcrwdhnungswesen); f Wien 5, XII.1
53 Jahre alt. — Woche 5, 2226.
Hess, Adolph Edmund, Dr, phil., ordentl.
Prnfo--or d. Mathematik u. Mitdircktor d.
mathetiiat. Seminars an der Universität
Marburg; * Marburg 17. II. 1843; f da-
»•clbst J4. XII. - Chronik d. Universität
Marburg 17 (1903/04), 3—5 (mit W);
IH>recndorff 3, 624. 4,630. 1710 (W);
1 copoldina 39, 134.
Hess, Johann Gottfried, Inspektor der Ab-
teilung f. Rechnutigswcsen u. Statistik beim
eidgenössischen ICiscnbahndepartement ;
* Trachselwald 1845; f Bern 14. XI. —
Illustr. Ztg. 121, 841.
Hess, Sigmund, rcilli.iber der Buch« und
Antiquariat^tiandliin«! |. Hess in Kllwangen;
f daselbst 27. II., 7S Jahre alt. - Börsen-
blatt f. d. deutschen Buchhandel 1903, I77('.
Hessen und hei Rhein, Elisabeth Prinzessin
V.: s. Elisabeth.
*H«ttser-Pascha, Alexander v., kaiserl. otto-
man. Divisinnsgeiieral, kgl. preuG. Major
a. D.; • Schwedt a. O. 12. VIII. 1839;
t Konstantinopel 11. XI. — BJ VIII, 207
(I.oren/eti").
Heusinger, Rcchnimgsr.it, Vorsteher d. \'er-
sendungsabteilung d. Postzeitungsamtes in
Berlin; f daselbst jo. IV%, im 67. Jahre.
— Illustr. Ztg. 12U, 659.
H«y, Johann Friedrich Emst, Musikdirektor
in Cutha; f daselbst Ii. III., 71 Jahre alt.
— Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 130
(Lastner, mit L).
HJlleprand von Prandau, Paula Freifrau,
geb. Bcdik-s v. Tarodfa u. 'l'elekcs, Witwe
d. Kreiherrn Rudolf, .Sternkreuzordensdame ;
f Wien 6. \'II.. 54 Jahre alt. - Woehe
5, 1282; ( iuth. (icnealog. Taschenbuch
d. I rciherrl. Ilauser l<)04, 897. 1905,
3^t'.
Hirsch, M irie, verchei. Kothnann, cheniai.
Possen»oubrette am Münchner \'olkstheater ;
t Leitmeritz 7. Hl., 45 jähre alt. — Neuer
Thcateralnianach 15, 142.
Hirschfcld, Paul v., Obcrhofmarschall am
Hofe in Mecklenburg-Sehwerin; f Schwerin
6. X. — Woche 5, 1828,
5»*
*Hir8Chfelder, Solomon, Genreroaler in
Manchen; *Detteniceb. Horb 16. V. 1832;
fMUnchen 10.V. — BjVIII,95(H.noll.and.)
*Hochnpfel, Helwig Reinhard, Maler;
• Kassel 28. IV, 1823; f daselbst 7. VI.
— BJ VIII, 144 (Ph. Losch).
Hocke, Luise, ehemal. Schauspielerin; * Zeitz
14. VII. 1823; t Hamburg 16. VI. — Neuer
Theateralmanach 15, 152.
•Hodenberg, Ceorj^ Friedrich Gottlob
Hoiio Kreih. v., kj;l. sachs. General der
Infanterie z. D. ; * Harburg (Hannover)
II. X. 1838; t Klein-Zsolu)cher b. Leipzig
1. IV. — BJ VllI, 2(1 (^Lorcnxen); Goth.
Genealog. Taschenbuch d. Freihenl. Hluscr
1004, 324.
•Hofelich, Ludwig, .\ylograph und Land-
schaftsmaler; * Leipzig 30. X. 184»; fMBn-
eben 12. I. — BJ VIII. 96 (H. Holland).
Hofer, Karoline geb. Edle v., Enkelin
Andreas Hofers: s. Seyfried, Karoltne
i:dic V.
Hoeffel, Pfarrer im Elsaß. — Ztschr. i. d.
Geschichte d. Oberrheins 58, 725 (Kaiser,
L: i:vangel.-hiih. Friedensbote ans Elsa8*
L..th ringen 33, 447).
HofTmann, Karl .\Ifred , Dr. med,, Kantonal«
arzt zu Wasselnhein» im Elsaß. — Ztschr.
f. d. ( lesellichte d. Oberrheins 5S, 725
(Kaiser, L: .\rehiv f. öflentl. Gesundheits-
pflege in Elsaß-Lothringen 22, 25S : Martin).
Hoffmann, Ferdinand, ehenial. Theater-
direktor; f Wilhelnisburg 14. VI., 71 Jahre
alt. — Neuer llieateralmanach 15, 15s.
HoflTmann, Hans, Musikkritiker, Referent d.
Barmer Ztg.; f Bimnen 12. IV., im 58.
Jahre. — Monatshefte f. Musikgeschichte
V'. < .^ • ( T.iistncr. jnit L").
*Hoifmann, Karl Ritter v., Dr,phii. honoris
causa, kgl. bayer. Genend d. Infanterie
i. I)., ('hef d. Generalstabs d. bayer. Armee
u. Inspekteur d. Militärbildungsanstalten;
* Regensburg a. XIL 1832; f Manchen
3. 11. - BJ VIII, 142 (Lorenzen).
Hoffmann, Ludwig Gottfried Hermann,
Schauspieler (Bonvivants, Helden) u. dram.
Dichter, Direktor d. Stadttheaters in Nord-
hausen; • daselbst 3. VII. 1865; t ebenda
18. 1, — Flüggen, Biograph. BUhnenlcxikon
I, 147 (mit W); Neuer I lie.iteralmanacb
15, 1.^8: Monat-^lieite I. Musikgeschichte
36, 131 (Liibtner, um Lj.
*HoiniMIUI, Otto, Dr. fihil., Gymnasial-
professor in Berlin, Schulmann u. Literar-
historiker, insbcs. Herderforscher; * Berlin
9b X. 1839; t Stegliu b. Berlin ai. V. —
BJ VIII. 227 (P.Goldschniidt); KLas>S89
(W). 26, 40*.
Htt^fsa, Christoph (aliat Tillmann), Schau-
spieler: s. Tillmann, Christoph.
Totenliste 1903} Herrlich — Höfgen.
53*
Totcnliste 1903: Hofinumn — Hnot
54*
Hofmann, Franz Hermann Theodor, Zi-
garrenfahrikant in Chcmnit/, Politiker,
Mitglied des Deutschen Kciclistags (Sozial-
demokrat); * Str.ttcrit/ 1). Leipzig: 26. II.
1852; f Chemnitz 4. \l. — lUustr. Ztg.
121, 710; KOrschners Deutscber Reicbstag
1S98 -1903, 306 (mit P).
Hofmann von Donnersberg, k. k. Feld-
marscbanentnant; f Krems 17. IX., im
56. Jahre. - Woche 5, IJ.^S
Hohenlohe-Langenburg, Leopoldinc Fürstin
m, geb. PrinzesstD von Baden: s. Leo-
p o 1 d i n c.
*Holstein, August Georg Ulrich Eroil v.,
kg]. preaB. Genendleiitnant z. D.; * Wis-
mar 31. y. 1847; t Ostorf b. Schwerin
19. VIII. — BJ VIII, 209 (Lorenzen);
Uhistr. Ztg. 121, 335: GoA. Genealog.
Tascbenbueli d. Adeligen Himer 1904,
375.
Holtxstamm, Augaste Sabine, geb. Schtilz
(oder Scholz:), ehemal. Opemsängerin;
•Berlin 9. V. 1826; t Neustrelitz 24. V.
— Monatshefte f. Musikgeschichte 30, 131
(Lustner,milL);Flaggen,Biograpb.Btlhnen-
levikrm I, 150; Neuer Theatenlmanadi
«5. «5«-
•Holzammer, Johann Baptist, Dr. thtol.
honoris causa, Proft s-nr, Dnniknpitular u.
Regens d.Priesteräcmin.'irs in Mainz, theolog.
Scbriflsteller; * Mains 1. V. i8a8; t da-
selbst 24. IX. - HJ Vm, 222 (F, I.aih licrt);
KL 25, 598 ^^W); Keiter-Jörg, Ivathol.
Literanirkalender 6, taS (W).
Holsmann, Adolph, Lehrer am Konser-
vatorium d. Musik in Genf, Cellist; f Genf
33. f., 50 Jahre «It — MoMlshene ftr
Musikgeschichte 36, 131 (LUstncr, mit L).
Homeyer, Alezander v., kgl. preuß. Major
a. D., QmidMdqg u. Lepidopterolog, Mit-
glied d. Intematlonalcn permanenten orni-
diolog. Komitees; • Vorland b. Grimmen
(Neu Vorpommern) 19. I. 1834; fCreifswald
14. VU. — lllustr. Ztg. 121, 139: Allge-
meine Ztg. 1903 Beil. 159; Geograph.
Jabrbuch 26, 433 (^W. Wolkenhauer, mit L);
BZ 13, 16a. 14. ISO (Ornitbolog. Monats-
berichte II. 144; Omitholog. Monatsschrift
28, 404 u. Ztbchr. f. Ornithologie 1904, 1 :
R. Blasius; Aqutla lO, 305t O. Hermann).
Höne, Samuel. kj^I. j'rcuß. Kammermusiker ;i, IX,
Fagottist; * Birnbaum 18Ö9; f Schlacbtcnsee
b. Berlin i. IV. — Monatshefte f. 'Musik-
geschichte ,^6, 131 (LUstncr, mit L).
Horn, Wilhelm, cheraal. Chorsänger; •Stutt-
gart 13. VI. 1833; f Esslingen 19. XII. —
NeuL-r Theateralmanach 16, 175.
Horner, Johann, Mitbegründer u. langjsihr.
Zcntnlvonteber d. Mosarteuns inSalsburg ;
t daselbst i8. 1. — Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 131 (Lttstner, mitL); lUustr.
Ztg. 120, 166.
•Horten, Anton Hubert, Reichsgerichsrat in
Leipzig; * Kempen am Rhein III. 1S3S;
f Leipzig 23. X. — BJ Vlll, 207 ^^A. Teich-
mann).
Horwitz, Willibald, chcmal. Silngcr (Bari-
tonist) an d. tiüfoper in Wien ; • Teplitz
34. XI. 1843; t Inscisdorf 9. XL — Neuer
nieatcralmnnach 16, 170; Monatslicfte für
Musikgeschichte 36, 131 (LUstner, mit L) ;
Eisenberg, Grofies biograph. Lexikon d.
Deutschen Bühne 454.
Höfi, Max Ritter v., kgl. bayer. Geheimer Rat,
Vorstand der kgl. Rechnungskammer und
Kegierungsdircktor a. D. ; * 24. L l8a3;
f München 12. IV. — Augsburger Abend-
Ztg. 1903 Nr. 104.
Hoyos-Sprinzcnstein, Ernst Karl Graf,
FideikommiOherr, erbl. Mitglied u. Vize-
präsident d. Herrenhauses d. Österreich.
Keichsrats, k. u. k. Kämmerer u. Wirklicher
Cieheinier Kat, Vi/.cprasideiit d. osterreich.
Gesellschaft vom Roten Kreuz; • Wien
18. VL 1830; t Stixenstein 21. VIII. —
lllustr. Ztg. 121, 301: Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Gräd. Häuser 1904, 371.
HQbbenet, Adolph v., Opernsänger (Tenorist);
t Koblenz 7. II., 44 jnhre alt. FHij^tjen,
Biograph. Buhncnlcxikon i, 152; Neuec
11ieatenümanach 15, 140; Monatshefte ftlr
Musikgc^' hiclitc _\6, 131 (LUstner, mit L").
Huber» Anton, Musiker u. Musikschriftsteller,
Inhaber einer Musiklehranstalt in Wien;
•daselbst 9. XII. 1845; f ebenda i.^. I\'.
— KL 35, 604 (W). 26, 40*; Monatshelte
f. Musikgeschichte 36. 131 (Lllstner, mit L);
Rheinhardt. Rio^'r.ipluen d. Wiener Kfinsder
u. Schriftsteller 1, 553.
Hubert, Konrad. — Ztsehr. f. d. Geschichte
d. Oberrheins 58, 725 (Kaiser. L; Kvangel.i-
protest. Kirchenblatt für Elsaß-Lothringen
32,350: A. Ernst); BZ 13, 163 (Monats-
schrift ftlr Gottesdimst und kirchJ. Kunst
1903, 232. 261. 301. 358: F. Spitta).
Hücking, Werner, Geheimer Oberjustizrat,
bis 1902 Landgerichtspittsident in Koblenz;
f 30. V. — \ oss. Ztg. 1904 Nr. 5.
•Huhn, Georg Adalbert, päpstl. iiausprälat,
Gdsüidier Rat, Stadtpfarrer v. hl. Geist
ii» München, früher auch Mitglied d. l>ayer.
Landtags, Kanzelredner u. theolog. Schrift-
stellfer; *Oib (Unterfranken) 19. IV. 1839;
f Aussec (Steiermark) 11. Vlll. BJ VI II,
195 (F. Lauchert); Woche 5, 1514 (P);
Keiter- J»rg, Kathol. Literaturkalender 6, 1 33
miit W).
Huot, Paul, Dr., Direktor d. N'iklurtaschule
in Berlin; f 13. III., 65 Jahre alt. — Voss.
Ztg. 1904 Nr. s*
55*
Huyfien, August, Dr. phil,, kgl. preuß.
Wirklicher Geh. Rat, Oberberghauptmiuin
a. D., Ministerialdirektor im prcuß. Mini-
sterium d. ütTentl. Arbeiten a. D. : t Bonn
3. XII., 79 Jahre alt. — fflustr. Zt>,'. 121,
913; BZ 1.^, 164. 14, 151 (Glück;uif it)03
Nr. 50; Ztsrhr. d. deutschen geolog. Gesell-
schaft 55 Monatsberichte l: Branco).
JftOOb, Eugen, Dr. med., kgl. b.iycr. Hofrat,
|»r;)kt. u. Spitalarzt in Kaiserslautern; • da-
sei l>-<t 13. \'1II. itS47; f ebenda ib. \I. —
X iti hows Jahresberichte 38,1.416 (P.-igcl,
mit Li; H/ 13, 165 (Münchner Medi/in.
W oehcnschrilt 190.^,3264: Deniuth; Ver-
einsblatt d. pRils. Ante 1903. 282).
Jacobi, Karl, K^^I. pn uß. Generalmajor z. D.,
zuletzt bis 1901 Inspekteur d. Train-Dcput-
Inspektion: t 19. II., 63 Jahre alt. — Voss.
Zl^'. I1104 Nr.
Jacobi, Karl Kudolt v., Dr., Wirkt. Geheimer
Rat. 1886—1888 Staatssekretär d. Reichs»
sehatzamts, Mitj^lied des Kolonialrat.s u. d.
Bcirat-s f. Auswandcrerwcscn, vorher Präsi-
dent der Zentralbodenkrediti^ellschaft;
• S. IX. 1S28; t Zinnowitz 24. VII. —
Vo».Ztg. i903Nr.6o8;Ulustr.Ztg. 121,245.
Jäger, Albert, Vorsitzender d. Handelskammer
in Nordhausen. 1S74 1S77 u. 1S7S -1881
Mitglied tle^ Deiit^rlien keielisiags (national-
liberal) f. Nonlluiiiseti ; * Hanau 5. I. 1834;
t Nordhausen 6. X.*— Illii-tr, Ztg. 151,571 «
Sehoenfeld, Notizbuch f. Rcichstagswihler
5. U3.
*Jakob, Georg. Dr. thecLt bischöfl. geist«
IioherK:it, Honidekan in Regcnshurg, Lehrer
an d. Kirchcnmusiioichuic daselbst. Kunst-
und Kirchenhistoriker: * Straubing 16. 1.
1S25; t Regensliurg 12. VII. HJ VIII,
192 v^'Aucliert); Kciter-jörg, Kathol. Lite-
raturkalender 6, 136 (W); Monatshefte f.
\Iii-ik',u--rliislite v>, t^i (l.ü^tnir. mit L).
Jänecke, Georg, Geheimer Kommerzienrat,
Seniorchef d. Hofbucbdruckerei Gebrttder
Jftneeke und der l'"arbenfal»rik Janecke
Schncvmanu in Hannover, Verleger des
»Hannoverschen Courier«; • Hannover 10.
IX. 1837; t daselbst 20. XII. Illustr.
Ztg. 121, 1014; Börsenblatt f. d. Deutsehen
Buchhandel 1903, 10648 (nach »H.-innov.
Courier«).
Jänickc, Karl, /'r., Zweiter H 11 rgcrm eistet
d. Stallt Breslau, dram. Dielitcr u. Koman«
schriltsteller; * Kopojno in Rußland 13.
XI. 1840; + Hre-lau lo. X. KI. 24. 640
(W); Ailgemeuje Ztg. 1903 Beil. 233;
Nord u. Sttd 108, lot (O. Wilda): Woche
5, 148 (Pt: Hr(inii)ier5 2, 225 imit Wl.
Jänicke, Karl, ebemal. Dpernsäuger; * 31.
V. 1834; f Beriin 9. IV. — Neuer Theater-
almanach 16, 166.
5«*
Jänosi, Adolf Engel Edler v.: a. Engel.
Jastrow, Marfcnfl M., Dr., Talmudist; ^Gtt-
mantown b. Philadelphia 10. (oder 14?) X.,
74 Jahre alt. — Illustr. Ztg. 121, 648;
Theolog. Jahresbericht 23, 11 96 (Nestle).
Jaworski, Ritter v., k. u. k. Oberst, Kom-
mandant d. Militärheilanstalt in Karisbad;
+ 26. II. - Illustr. Ztg. 120, 383.
Ibach, Richard Paul, Inhaber der Firma
Richard Ibach, Orjjelbauaiist.ilt u. Piano-
fortehandlung in Barmen ; t dasell>st 1 1. IV.
- - Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 131
(I.üstner, mit Li; Riemann* 5<)S.
Ihssen, Henriette, ehemal. Schauspielerin ;
* Strasburg 33. I. 1837; f Dessau 3. IX.
N\i;er Thentcralninnach 15,
Illing, \ ilnia, Schauspielerin am Stadttheater
in Breslau: * Villach 35. VI. 1871 ; f Breslau
31. I. Neuer The.itcralm.mach 15. 138;
Eisenberg, tiroUes biograph. Lexikon d.
Deutschen Bahne 464; BZ 12, 172 (Uabne
u. Welt 5. 411 : E. FKund, mit P); Woche
5. »90 ^P)-
Ingenhetm, Julius Ferdinand Maria I.auren-
tius Gr.if V., Kiikel Friedrich Wilhelms II.,
Königs V. Preuüen, kgl. prcuO. Oberleutnant
a. U., Khrcnritter d. souveränen Malteser-
ordens; • 10. VIII. 1827; t Wiesbaden 28.
III. - Woche 5. 64S: Goth. Genealog,
'laschenbueh d. Gräfl. Häuser 1904, 3.S1.
Johannes» Alexander, kgl. preuU. General-
leutnant z. !>.. /u!el/t Iiis 1S91 Kommandeur
d. 24. Intanleriebrigade; f Berlin 27. XII.,
69 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 3;
l!!ii-fi. Ztg. 122, 23.
Johnson, Eduard, Dr,^ Professor, früher
Chefredakteur d. »Vogdind. Anzeigers«.;
t Plauen «Vofjtl.) 7. IX., 63 Jahre alt. —
Illustr. Ztg. 121, 411.
Jordan, Wilhelm, Wirkl. Geheimer Rat,
bi» I S07 deut<cherGencralkonsuI in I .ondoii.
vorher Direktor im • Auswärtigen .\mt in
Beriin ; f Baden-Baden Ende Januar, 75 Jahre
alt. — Woche 5, 336; Voss. Ztg. 1903
Nr. 608.
Ipscher, Georg, Dr. med., Sanitiltsrat, Arzt
in Wusterhausen; * Berlin 26. XI. 1833;
t 8. 1. — Virchows Jahresberichte 38, 1,416
(Pagel, mit L».
Irmengard, Marie Therese Jose Gäcilie Adel-
heid Miguela .Antonie Adelgunde, Prinzessin
V. Bayern, Tochter d. Prinzen Rupprechi;
♦Bad Kreuth 21. IX. 1902; f T^cmtee
21. Gotfi. Ilofkalender 1904. 7.
Juda, .\lbm, Generalm.ajor, k. k. Beie>tigungs-
baudirektor v. Tirol, Lehrer d. Fortifikatioo ;
■V Ini) -brück 7. VI., $5 alt. — Illustr.
Ztg. 1 20, 972.
JolittS Priiu zu Schleswig-Holstein*
Sonderburg-Glflcksburg, kg^. din.
Totenliste 1903: Huyfien — Julius Prinz zu Schleswig usw.
-•'ü • '-j -^'^J^'
57*
Totenliste 1903: jungdaus — Kaufmann.
58*
Ot-neral major h l<i suitc d. Arnioe. Bruder
dc:> Königs Christian IX. vun Dünctnark;
* Goltörp 14. X. 1834; t lUehoe 1. VI. —
Illustr. y.\^. i3(), 858; Woche 5, 1010 (P):
Guth. Gcncaiug. Hofkalender 1901, 34.
Jimfclaiu, kgl. preuB. Navigatiomschul-
dircktor f. d. Provinz Hannover u. Leiter
der Navigationsschule in Geestemünde;
t daselbst 8. IX., 66 Jahre alt — Ulttstr.
/ts;, \2: 411.
Jungermann, Friedrich Alhert, Hildbauer in
. Berlin; f daselbst 4. 75 Jahre alt. —
Wocho 5, 1236; Jahrbuch der bildenden
Kunst 3, 101.
J&ngling, Friedrich, Opernsänger; * KUnger
21. II. 1846; f (Güttingen 14. XI. — Neuer-
Theateralmanach 16, 171.
Jungmann, A., Organist an St. Martin in
Kassel ; f daselbst im Mai. — BSmatshefte
f. Mii-iikgc<chirlite ,^6, 131 t T (Utncr. mit L >.
Jungk, O., Professor, Leiter d. herzogl. 1 aub-
Sturomenanstalt in Koburg; f Berlin la X.,
87 Jahre alt. — Illustr. Ztp. 131.607.
* Jürgens, Rudolf, Dr. med., Professor, Privat-
dozent in d. medisin. FakultBt u. Kustos
am Patholog. Institut d. Universität Hcrlin;
' * Tengshausen b. Jeverland (^Oldenburg)
19. 1. 1843; t Holländer b. Berlin-Hoppe-
gaiten 1 1. VL — BJ Vllf. Si (Pagel) ; Lco-
poldina 39, 103; Chronik d. Universität
Berlin 17 (1903), 8.
KagCf Karl, Chorsänger am Hoftheater zu
Berlin; * Wolgast etwa 1847: f Herhn 4.
XII. — Neuer Theateralmanach 16, 173.
*Kahlden, Clemens v. , Dr. med., auOer-
ordcntl. Professor d. patholog. Anatomie
, an der Universität Freiburg i. B.; • Coblenz
39. V. 1859: t Froiburg i. B. 2.^. (nicht 13.)
Iir. _ BJ \'IIL S.i (Pagel); Leopoldina
39, So; AllK'enuiiii.- /tg. 1903 Heil. GS;
BZ 13, 178 (Beitrüge 7.. patholog. Anatomie
Heft S: K. Zic>jlcr; Zentralblatt f. all-
gemeine l'athologie u. jiatholog. ;\naloiiiic
1903, 209).
Kalckstcin, Walter v., kg), jireiiß. General-
major z. D., zuletzt bis 1895 Kommandeur
d.TrappcnabungspliitKCs Loburg; f Königs-
berg 5. Pr. 4. XIL, im 63. Jahre, — Woche
5, 2226; Voss. Zig. 1904 Nr. 3.
KMdler, Daniel, Instmmentenmacher, ehemal.
Trompeter beim Theater in d. Joseplistadt
in Wien; f Wien 25. VI., 81 Jahre alt. —
Monatshefte ftlr Musikgeschichte 36, 131
(LUstner, mit L).
Kanzki, Albcit, kgl. preuO. Geheimer Ilofrat
u. Hobtaatssekretir a. D., froher MilitRr*
instmktor in Ägypten, Leiter (1er Kei-ten
Kaiser Wilhelm.« I. von 1 )eutsehlan(! ; ♦ i Sj 3 ;
t Berlin 22. VI. — illustr. Ztg. 121, 25.
KardMr» Emil, Domkustos. — Zlschr. f. d.
Gesrliiehtc d. Oberrhein« 5S, 543 (Frank-
hauscr, L: Frciburger Bote 1903 Nr. 231;
Bad. Beobachter 1903 Nr. 333).
Kacrgcr. Karl, Dr., Privatdozent an d. I.aruL
wirtschaftl. Hochschule in Berlin, land-
wirtschafU. Sachverständiger im Dienste
d. Auswärtigen .\mtes d. Dcut-^chen Reiches,
Fachschriftsteller; * Breslau 2. \. 1858;
f Schtfneberg bei Berlin (oder Breslau ?)
30. X. — Geograph. Jahrbucli 26, 434
(^Wolkenhauer, mit W u. L); Illustr. Ztg.
121,523; BZ 13, 174 (Deutsche Kolonialstg.
1903 \r. 42: M. Sering).
Karichs, Therese, ehemal. Schauspielerin u.
Theaterdirektorin; f Hain b. Zittau 24. XI.,
77 Jahre alt — Neuer Theateralmanach
16, 173.
Karolus, Julius, k. u. k. Hufmusikalienhiindler
in Wien; f daselbst 21. IX., 69 Jahre alt
Mi>i!at>hefto f. Musikgeschichte 36. 131
(Lüstner mit L); Börsenblatt f. d. Deutschen
Buchhandel 1903, 7428. 8175.
•Karrer, Felix, k. imgar. Rat, Generalsekretär
d. Wissenschaftl. Clubs in Wien, VolontiLr
am k. k. NatuAistor. Hofmuseums daselbst
Geolog; • Venedig 11. HI. 1825; t Wien
19. IV. — BJ Vlll, 261 (Tb. Fuchs); Geo-
graphen-Kalender 3, 192 (mit L); Leo-
poldina 39, 86.
Kaschka, jobaim Baptist, ehcmal. Schau-
Spieler in Wien, Zeitgenosse v. Raimund
u. Nestroy; f Wien im Dezember, 82 Jahre
alt. — Neuer Theateralmanach 16, 176.
*Kast, Alfred, Dr. med., k. preuB. Gehenner
Medizinalrnt, ordentl. Professor f. innere
Medizin u. Direktor der medisin. Klinik
an d. Universitltt Breslau; • lllenau bei
Achem (Baden) 25. VII. iSs<>; t Nizza 6. 1.
(nicht 7. I.). — " BJ Vlll, 102 ( Pagen ;
Chronik d. Universität Breslau 17 (i<>o2 3),
154 (W. Filehne); Woche 5, 98 (mit P);
BZ 12. iS> (Münchner Medizin. Wochen-
schrift 1903, 383: Weigel).
Katseher, Berta (Pseudon.: Ludwig Ungar,
Albert Kellner, Ludwig Koelle. Lud-
milla Kuellc), Gemahlin d. Schriftstellers
Leopold Katscher, Romanschriftstellerin;
• Irenczin (Oberungarn) 12. 1\'. iS6n;
f Budapest 17. IX. — KL 25, 683 (mit Wj.
26, 40*: Pataky, Lexikon deutscher Frauen
d. Feder i, 412 (mit W); BrttmmerS 2,
363. 544 (mit Wj.
Katser, Friedrich Xaver, deutscher En-
bisohof v. Milwaukee, auch dtamat. Dichter ;
^Ebensee (Oberösterreich) 7. II. 1844;
f Milwaukee 21. VII. — Woche 5, 1328;
BrUmmerS 2. 263. 344 tmit W); Keiter»
Jörg, Katliol. Literaturkalender 6, 144.
Kaufmann, Alfred, Dr. fhil., Erforscher d.
Osttacodenluma d. Schweis; * St Gallen
59*
Totenliste 1903: Kaolbach — Kirchner.
60»
1857; f liascl im Marz. — Lcopuldina
39, 103; BZ 14, 164 (Verhandlungen d.
schweizerischen nalurft»rsch. Gesellschaft,
\'or>jinmhing 85, XXXI: F. Kaufiiuiui,
J. 1 )iiT.uicr).
*Kaulbach, Friedrich, Professor an d. Techn.
Hochschule in Hannover, Mitfrlii-d dt-r
Akademie der KUnste in Berlin, Pt>nnit-
maler; * Arolsen 8. VlI. 1822; f Hannover
5. 1\. — BJ VIII, 86 ;n. Schnierber);
Woche 5, 1649 (P); BZ 13, 176 (^Hannovcr.
Courier 1903 Sept. 9: A. Haupt).
Kcilmann, Phili|)p, Dr. «/-./., k.iiscrl. russ.
Staatsrat, Arzt in Riga; \ daselbst 18. IV.,
74 Jahre alt — Virchowt Jahresberichte
3S, I, 416 (Pagcl, mit L).
Keller, Eduard Graf v., kaiserl. russ. Kammer-
berr. Geheimer Rat u. Senator; * 23. 1. 1819;
f \Vie>ljadcn 35. IX. — Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Grftfl. Häuser 1904, 400;
Woche 5, 1784.
Keller, Johann Jakob, schweizer. Altnntional-
rat, SchHpfer d. Zürcher Kantonalbank;
f SU Gibswil Mitte des Jahres. — Woche 5,
1190; BZ 13, 177 (Neue Zürcher Ztg.
1903 Juli 7"),
Keller, Philipp, Dr. phil., ordcntl. Honorar-
professor der Physik an der Pharmaceut.
Schule in Rom; • Nürnberg 27. I. 1S30;
t Rom 21. V. — Allgemeine Ztg. 1903
Beil. ti6; Poggcndorff 4, 737 (W); BZ
13, 177 (Kränk isolier Courier 1903 Unter-
baltung»beil. Nr. 65: S. Gunther); Leo-
poldiim 39, 103; Geographen-Kalender
2, 192 (mit L).
Kellner, Albert (Pseudon.), Schriftsteller ;
s. Katscher, Berts.
Kcrkhoff, Fritz van tk-n, Musikdirektor in
Kisenach; f daselbst 32. XII. — Monats-
hefte f. Musikgeschichte 36, 132 (LOstner,
- mit L).
Kern« Leopold, Dr.» Mitglied d. Abgeord-
netenhauses d. (tsterr. Reichsrats; t Linz-
Aigen 8. IX. — Woche 5, i69«>.
Kefller, Heinrich, Spielleiter u. .Schauspieler;
• Weimar 4. V. 1839; f Kreyburg a. d.
Unstrot 4. II. — Neuer TheatendmaiMch
15.
Keudell, Felix Max Leopold Robert v.,
Herrauf Honslack (Krei> Wehlau) u. Hohen-
l.übbichow (Kreis Königsberg, Neumark\
k. preuU. Wirkl. Geheimer Rat, vormals
kaiserl. deutscher Botschafter am Italien.
Hofe, früher Mitglied <I. Deutschen Reichs-
tags u. prcuU. Abgeordnetenhauses (Reichs-
partei); * Königsberg i. Pr. %%, II. 1824;
t Hohen-I.Ubbifhiiw Genealog.
Taschenbuch d. Adeligen Häuser 5, 444;
Woche 5, 785 (P); SchOnfeld, Notisbuch
f. Reichstagswihlcr Si 55* 7S: BZ la, 184
(Burschenschaft!. Blätter 1903, 101 : A.
Langguth; Der Tag 1903 Mai 29: Becher;
Pester Lloyd 1903 Mai 19: A. Kohnt;
Neue Freie Presse 1903 Mai 2'.
Kewitsch, I heodor, k. i)reuß. Seminarobcr-
lehrer a. L)., Komponist u. Musikschrift-
steller, Redakteur d. »Deutschen Militär-
Musiker-Ztg.€ ; * Posilgc (Kreis Stubm,
WestpreuBen) 3. II. 1834; f Berlin 18. VII.
— Rieniann* 632; KI. 25, 703; Monats-
hefte f. Musikgeschichte 36, 132 (LUstner,
mit L); BJ 13, 178 (KathoL Schulztg. f.
Norddeutschland 1903 Nr. 33): D. geistige
Berlin 1, 239 (Autobiographie).
Key^serlingk, Hugo Otto Julius, Herr auf
Poniewez (russ. (JouverncmLiit Kowno),
kaiserl. russ. Kanmierherr, Hofmeister u.
Wirkl. Staatsrat, LandesberoUmlchtigter
V. Kurland; * 20. IX. 1833; f Mitau
38. III. — Goth. Genealog. Taschenbuch
d. Adeligen HSuser 1904, 406.
Kiehaupt, Heinrich, erster Kapellmeister d.
Stadttheaters zu Danzig; f daselbst 21. IV.,
63 Jahre alt. — Neuer Theateralmanach
15, 152: Monatshefte für MusikgCMhichte
36. 132 (FUstncr, mit L).
Kiel, Fritz, Iromiietcnv irtuosc in Weimar;
f daselbst im Februar, 70 Jahre alt —
Monatshefte f« Musikgeschichte 13, 13s
(LUstner).
*KIem, Uulin, Benediktiner, Subprior and
Bibliothekar in Muri-Cries bei Bozen,
Historiker; * Aigund (lirol) 8. 11. 1839;
t Gries 13. VL — BJ VIII, 191 <P. Lau-
chert),
Kiesel, Karl, Dr. pkU., k. preufi. Geheimer
Regierungsrat, G3rmnMialdirektor a. D.,
Historiker u. Schulschrift<;tellcr ; • f'oblenz
28. X. 181 2; t Dösseldorf 2. (oder 3.?) IX.
— KL 25, 706 (W). *6. 40*; lllmtr. Ztg.
121, 710; Keiter-Jtirg, Kjidiol. Lilentttr^
kalender 6. 151 (W).
Kieweg, Anselm, Bencdilctiiierin Michelbeuren
(Salzburg). Rciseschriftsteller; f 26. VlIL
— KL 25, 707 (W). 26, 40* ; Keiter>Jilig,
Kathol. Literaturk.-ilender 6, 152.
Kilian, Emst Heinricli, Dr., deutsch-ungar.
Publizist; t Budapest 33. IV., 89 Jahre
alt. — Woche 5, 782.
Kink, Jacob, Rendant d. vereinigten Theater
in Graz; • dascili-t 1. \". 1853; t ebenda
16. \'l. — Neuer 1 heateralmanach 15, 152.
*Kirchbach, Hans Adolf v., k. sichs. General-
major; • Dresden 26. X. 1S34; f dasdbst
9. II. — BJ VllI, 155 (Lorenzen).
*R]rdin«r, Theodor, Komponist; * Neu-
kirchcn b. Chemnitz 10. XII. 1813; f Ham-
burg i8. IX. — BJ Vlli, 157 (J. Sass);
Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 132
(Lttitner, mit L).
Totcnliste 1903: Riss de AITiila — Koffd.
62»
Um de Alfttla, Joseph, themal. I^itcr der
Kupferstichabteiliinp li. k. k. Militärgco-
gTaphii»chen Instituts in Wien; f Dörnbach
b. Wien 2. VI., 87 Jahre alt — Geograph.
Jahrhuch 26. 435; HZ 14, 168 (D. littctnr.
Kcho 6, 1549: K. Kuvais).
Klammstein, Friedrich Bisehoff Edler v.t
s. Hisi-lioff.
Klatscher, ^Vitred, Schauspieler (Komiker)
am Theater an 'der Wien in Wien; * da-
selbst 10. VF!!. 1S5S: t ebenda 11. VI. —
Neuer iheatenümanach 15, 145; Flöggen,
ffiographt Btthnenlexikon i, 198.
KlinckowstrSm, Karl Ludwig Kriedricli
Graf V., k. preuQ. Gcneraimajor z. D.;
* 4. III. 1848: t Berlin 20. XI. — Woche
5. 2136; lllustr. Ztg. 121. 795; Goth.
Genealog. Taschenbuch d. Gräfl. Häuser
1904, 421. 1905, 432.
*Klingelhöfer, Fritz, Maler; * Marburg i. II.
4. V. 1832; t daselbst. 9. XI. — BJ VlU.
145 CFh. Losch),
*Klingelhöffer, Otto, k. preuß. Regicrungs-
rat, Publizist; • Dorhein b. Nauheim
fWetterau) il.l. 1S12; t Darmstadt l.I. —
HJ VIII, 215 (Ph. Losch).
Klingen, Carola, ehcinal. Scliauspielcrin,
Gattin d. Schauspielers Hubert Dietzsch
in FVeiburg i. B.; f daselbst »9. 1., 94 Jahre
.ilt. — Neuer Thc:iternlm;ui;ich 15, 139.
Klobuüchitzky, Johann Ncpotuuk, Schau«
Spider u. Singer; f Baden b. Wien 7. IV.
Neuer Theatcralmanaoh 15. 145.
Klockmann, Ernst, k. prcuü. Generalmajor
I. D., taletct bis 1900 Kommandeur der
10. Infanteriebrigadi-, t 25. \'., 57 Jahre
alt. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
Klöpfer, Christian, Chorsftnger in Stuttgart;
• Denkendorf 22. V. 1842; f Stuttgart
15. ,\I. — Neuer Theatenümaaach 16, 171.
•Klopp, Onno, Dr. phil., k. hannoverscher
Hofrat, Historiker imd Publizist; • Leer
(Ostfriesland) 9. X. 1822; f Wien 9. Yiil.
— BJ Vlll, 117 (W. Klopp); BZ 13, 181
(Kftln. VoUuztg. 1903 Augwt 1 1 ; Germania
1903 August 1 1 ).
Klothilde Maria Philomena Kaiiuii.i .Xmalia
EndietXOgin v. Österreich, Tdchter d. Erz-
henogs Josef; * Kiunie 9. \'. I.SS4; t Ale
snth (Ungarn) 14. XU. — Goth. Hof-
kalender 1905, 57; lllustr. Zig. 121, 956.
Kluge, Johann, Großindustrieller in Pr;ig.
Hauptbeförderer der protestunt. Bewegung
in Btthmen; f 4. VIII., 70 Jahre alt —
\'osv. /tg. 1004 Nr. 13.
Klutachak, Robert, Professor, Nuturhistoriker,
Kenner d. bohm. Mittelgebirges; f Leit-
meritz 31. (oder \'H.?i. — Gengiaphen-
Raleuder 2, 193; Leopoldina 39, 129.
Kmentt, Beatrix, geborene Kratochwill
(Theatemame : T h a 1 b o r n), Schauspielerin ;
t Maiernig 27. \'1I. — Neuer Theater«
almanach 15, 153.
Knobelsdorif-Brenkenhofr, August Aurel
Gustav Louis Kunibert Franr v., k. preufl.
Major, aggregiert d. bad. Inlanterieregiment
Nr. 1 13 zu Freiburg i. B., Gemahl d. .Schrift-
stellerin Nataly v. Eschstruth; * Nakcl
I. IX. 1857; t Freiburg i. B. 27. VI. —
lllustr. Ztg. Kl, 67; Goth. Genealog.
'I i-rlicntim li d. Adeligen Häuser 1905, 374.
Knörcke, Gustav, emeritierter protest. Pre-
diger, Standesbeamter in Berlin, früher
Mitglied d. Diutschen Keiclistag- 11. ]>rcuß.
Abgeordnetenhauses (dcutichfrcisinntgj,
Autorität auf d. Gebiete d. Volkssdiul-
wcsens; *Hohen-LUbbichow (Kreis Königs-
berg, Neumark} 38. VII. 1836; f Zehlen-
dorf b. Berlin 31. III. — lllustr. Ztg. 120,
536; Woche 5, 602 (P); Kürschner> Preuß.
Abgeordnetenhaus 1894, 61 (mit P); KZ
12, 189 (Padagog. Ztg. 1903 Nr. 15),
*Knothe, Hermann Friedrich, Dr. phil.^
k. Siirhs. Geheimer Ilofrat, Profe->si>r a. D.,
Historiker; * Hirschfelde b. Zittau 9. .\.
1S21; t Dresden 8. II. — BJ VIII. 288
(.\. keirh irtlti; HZ 12, 189. 13, 1S2 (Korre-
spondenzblati des Gesamtvereins der
deutschen Altertumsvereine 1903, 93 und
Deutsche Geschichtsbliittcr 4, 150: W.
Lippcrt; Neues Lausitz. Magazin 79, 161:
R. Jecht, mit P); KL »5, 733 <W).
KnUpflTer, Wilhelm, />r. med., Gynäkolog
in Keval; * in Esthland; f Keval 3. X.
40 Jahre alt — Virchows Jahresberichte
38, I, 417 iF'agcI, mit L': W. KnUpffer,
i b. d. Ursache d. Geburtscintrittes. Diss.
Dorpat 1892.
Kobel, Albert, Schauspieler; + Berlin 22. VIII.,
47 Jahre alt. — Neuer Tbeateralmanach
»5. «54-
Kobler, Kranz. Balletmeister a. D.; f Buda-
l>est 20. im 78 Jahre. — Neuer
Theateralm.inach 15, 157.
•Köbner, Siegfried Ernst, Publizist, Chef-
redakteur d. »Nationalztg.« in Berlin;
• Breslau 15. VI. 1844; f Berlin 6. iV. -
BJ VIII, 241 (\V. KMbner); BZ 12. 189
(Kcho 1903 Nr, i6h
Koch, Philipp, k. preuß. Regierungspiasident
a. D., zuletzt N'izepräsident in Schleswig;
\ 17. \'lll., 89 Jahre alt — Voss. Ztg.
1903 Nr. 608.
KochtaMiii, Heinrich, Stadtftitester Berlin,
18S4 91 daselbst Stadtrat; + cbmdi
31. III., 72 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1904
Nr. I.
KofTcI, Ludwig, k. k St iatsrealscludprnfessor,
Lektor f. franz. Sprache an der Deutschen
Techn. Hochschule in Prag ; f daselbst 22. L,
63*
Totenlist* 1903: KöUer — Knuifier.
64*
im 63. Jahre. — Allgemeine Ztg. 1903
Beil. 3t.
Köhler, Johann Au^nist Ernst, Ih-. p/iil..
Seminaroberlehrer a. D., Schriftsteller auf
dem Gebiete d. Volkskunde u. Naturwissen*
Schäften, Begründer d. Kr/pcVjirgsvereins;
• Bautzen 5. VJI. 1829; f Schneeberg»
Neustädte! (Kttnijfr. Sachsen) 19. XII. —
ninstr. Ztg. 12 1. 1014; Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 2gi ; HZ 13, 1S3. 14. 170 (Chem-
nitzer lageblatt 1903 Dezember 22; Unsere
Heimat Monatssclirift f. Erzgebirge u. Um«
pcbiinp 3, 105); KI. 42, 73S |\V\
•Köhler, lliinrii l), k. preuü. Geheimer Ke-
gierun);srat, Professor f. Architektur (Antike
u. Kcnaissnnrc) an d. Tt-chn. Hochschule
in Hannover, Architekt; * Kassel 12. 1. 1830;
t Hannover aa II. — BJ VIII, ttt (A.Birk);
BZ 12, i<)o /tschr. f. Architektur^ und
Ingenieurwesen 1903, 183).
•Köhler, Ulrich Leopold, Dr. pkU., Pro-
fessor d. alten dc'schiohte an d. l iiiviTvitiit
Berlin ; *Klein-N euhauscu(Sach$en-\Veimar)
5. XI. 1838: t Berlin 11. X. — BJ VIII,
315 <K. Wcili; BZ 14, 170 (Ztsdir. f.
Numismatik 24, 377: (R. Weil).
Koelie, Ludmilla, auch Ludwig (Bscudon.),
Schriftstellerin; s. Kat scher, Berta.
*K511ing, Wilhelm. Dr. tfuol., Superintendent
lu PIeß (Oberschlesien), Kirchenhistoriker,
DogmaGker u. Homilet; * Pitschcn (Ober-
Schlesien^ 11. IX. 1836: f PIeß 21. II. —
BJ VIII, 135 (Kohlschmidt); Ihcolog.
Jahresbericht 23, 1196 (Nestle).
Kollmann, ki^l. württimlicr^,'. < »hiTkirchcn-
rat, ültester k.ithul. iJek.^n Württembergs;
* Wsilchcsreute b. Tettnang 16. II. iSao;
t I nterkochcn 23, 1 196 (Nestle).
*Kopf, Josef von, Bildhauer; * Unlingen
(Wflrttemberf) 10. III. 1827; f Rom 2. II.
- BJ VIll. S7 ni. Schmerlnrl: Illustr. Zik-
12, 263 (K. Scbüner, mit P); BZ 12, 192
(Neue freie Prene 1903 April 25:8. MBnx;
HamburtJi.T Nachrichten 1003 Nr. 61;
Münchner Allgemeine Ztg. 1903 Febr. 6;
Berliner Tageblatt 1903 Nr. 83 u. 135:
H. Barth; Neues TagbLatt [Stuttgart] i<)<>3
Nr. 27; Norddeutsche Allgemeine Ztg. 1903
Febr. 5 Beil).
Kopp, Custav Adolf, Dr. fAU., Hofrat, Di-
rektor d. Realgymnasiums in Eisenach,
Mathematiker, Vorkämpfer d. Realschul-
bildung; * Braunschweig 7. 11. iSig;
t Eisenach 15. X. — Illustr. Ztg. 121, (14S;
Allgemeine Ztg. I9<»3 Beil. 237; Foggcn-
dorft" I, 1296.
•Koppen, Theodor, llistoricnnialfr; • Brake
a. d. Wcsei 27. V II. 1828; f Nvmphenburg
b. München 3. III. — BJ VlU, 97 (H.
Holland).
Korff, Emanucl Karl Heinrich Freiherr v.,
k. preuB. Generalmajor c. D.; * Schocn-
})riich 31. \'. i.S2('>; t Könnebeck 5. II.
Goth. Genealog. Taschenbuch d. Freibenl.
Hittser 1904, 390.
Koser, Heinrich, kaiscri. deutscher General-
konsul a. D., Chef d. Zentralausktinftsstclle
f. Auswanderungswesen in Beriin, frflher
Konsul in Porto Alegre; f Berlin 8. V. —
Illustr. Ztg. 120, 735; 'Voss. Ztg. 1903
Nr. 608.
Kotsebue, Charlotte v., Witwe d. russ. Hof-
malers Alexander v. Kotzebuc; + Tnns-
stein 12. 11. — Woche 5, 374.
Krmfll» Kommeizienrat, Präsident d. Handels*
kammer v. Lörrach in Baden; f ao. X. —
Woche 5, i960.
KiWIlt Hermine, Opern- 11. Konaettalngeiin:
^. Cnrte^e, Mimmy.
Kraft, Josef, Schauspieler am Stadttheater in
Danzig; f daselbst 94. Vit. — Neuer
Thcatcralnianarh 133.
KratochwUl, Beatrix, Schauspielerin: s.
Kmentt, Beatrix.
Kraus, Han-i, />r.. Berit htcrstattor d. »Voss.
Ztg.« und anderer Zeitungen in Bukarest,
früher Redakteur d. Wiener »Deutschen
Ztg.«; + 26. I. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 9.
*Kmu8C, Ernst Ludwig (Pseudon. : Carus
Sterne), Naturforscher und Folklorist;
• Zielenzig 22. XI. 18^9; f Eberswalde
24. VIll. BJ Vlll. 305 (V. Har^tzsch);
Woche 5, 1O07 (P); KL 25, 767 (W):
I.eopüldina 39, 139.
Krause, Robert. Portrat- u. Historienmaler
(besonders bibl. Cicgenstände); f L.eipzig
8. XI., 69 Jahre alt — Voss. Zfg, 1904
Nr. 1 1.
Kraufi, Gabriele, k. k. Kammersängerin,
1860—1867 Mi^ied d. Hofopemtheatefs
in Wion, bis 1S87 Primadonna d. Großen
Oper in Paris; * Wien 24. Iii. 1842;
f Paris im September. — Eisenbei|r> Gro6es
biograph. Lexikon d. Deutschen Bühne 545;
Neuer i hcateralmanach 15, 159; Flüggen,
Biograph. Btlhnenlexikon i, 179; Monat«-
hcfto t Musikgesdkidite 36, 13a (Lttstner,
mit L).
Krmufler, Georg, Dr., Obermedixinalnt.
vortragender Rat u. Referent f. Fragen d.
Pharmazie in der Ministerialabteilun^ für
üflTentl. Gesundheitspflege im groüherzogl.
hess. Mini>tcrium d. Innern, auOerordentl.
Lehrer d. Pharmakognosie an d. techn.
Hochschule in Darmstadt; * Büdingen
a. n. 1849; t Darmst.idt 28. IV. — Lco>
pnldina 30. .S6; .MIgemeinc Ztg. IO03
Heil. 99; \'irchows Jahresberichte 78, 1,417
(Pagel, mit L); BZ la, 194 (Apottiekcfstf.
«903. »94)-
Totenibte 1903: KrauBnick — Latonr von Thuimbwg. 66*
Krauflnick, HcriDann, chcmal. ■I'cnnihiilT')
am Stadtthcaicr in Erfurt; f üa.<>ellist
30. VIII. — Neuer Thcatendmanach 15. 155;
Mon.itvhcfte f. Musikgeschidite 36, 133
(Lüstner, mit L).
KnywUatht Joseph, Dr. med., k. k. Refie-
lUDgarat, Direktor ilcr nicdcröstcrrcich.
LandesincDbcil- u. Pflegeanstalt in Maucr-
Öhling b. Amstetten; * Iglau 1849;
f Maaer-<')tilinfi 22. III. - Illu-tr. Ztg.
120, 507; \ irchows Jahrcslicrii htf 3S, 1,417
(Pagel, mit L); HZ 12, 194 ( I'-.ychiatr.-
neurolog. Wochenschrift i<) ^;, 309).
Kretzschmar, Klara, geb. Meiler, ( lattin
d. Musikschriftstellers Piolessor 1 lermaimK.,
Pianistin; * Bristol 3. II. 1855. ^ Jena
6. V. Kicinanii* 712; Münat>!ieite f(ir
Mu.sikgcächichtc 36, 132 (LUstner, mit L).
Krtofsmaiin, Kaspar Rudolph, Musiklehrer
in Sidney; * Haurjover 1830; + Sidney
im MaL — Monatshefte f. Musikgeschichte
36, 133 fLflstner, mit L).
Krictc, Fritz, Hilfsrc^M>>ciir ti. lUlhnen-In-
s[>ektor am Lessingtbcater in Berlin; * Nie-
mes 29. XI. 1844 ; f Warmbninn 3. VII. —
Neuer rheateralnianach 15, 152.
Kronenber^;, Eugen, Opernsänger (Tenorist)
am Stadttheater in Elberfeld; * Bonn 1854 ;
t Elberfeld 30, VIII. — Neuer Theater-
alinanach 15, 155; Flüggen, Biograph.
Btthnenlexikon t, 181; Monatshefte flir
Musikgeschichte 36, 132 (l.Ustncr, mit L).
Krosch, Gustav, Schauspieler; * Reichen-
berg (Böhmen) 3. VI. 1868; f Kempen
(Posen) 38. X. — Neuer Theateralmanach
16, 170.
Krug, Hermann, Ilufopernsiinger (Ileldeii-
tenor) in Mannheim; • Windehausen (Keg.-
Hcr. Mer-ieliurg) 1 1. Vlll. iS()6 (nacli
anderen: Bindtelde b. Magdeburg Ii. Vlll.
1868); t Mannheim 8. III. — Eisenberg,
(iroßcs biograph. I-cxik»)n d. Deutschen
Hahne 556; Neuer 1 beateraimanach 15, 142 ;
Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 133
(Lüstner. mit L).
Kuhn, Emst, Koinmcrzienrat, Chef d. Ma-
schinenfabrik G. Kuhn in Stuttgar^Berg,
früher \'(jrstand d. deutschen Ingenieur-
Vereins; f Winnenden 23. X., 50 Jahre
alt. — lUustr. Ztg. I3i, 648; BZ 13, 1725
(Ztschr. d. \'ereins deutscher Ingoiietire
1903, 1725).
Koaert, Hennine, geb. Liebhardt, Opern-
Sängerin; • PrzemysI 28. X. 1868; f Wien
7. II. — Neuer Theateralmanach 15. 140;
Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 132
(Lüstner, mit L).
Künzcl, Friedrich, Mofopern^iingcr f Pcnorist
a. D. in Darmstadt; * selbitz (Obcrlranken)
13. V. 1835; f Daimstadt 19. VII. — Neuer
lll«tr. Jahfbaeh «. Deatidier Nekrolog. 8. Bd.
'I'luatcrnlmanach 15, 153; Monatshefte f.
Musikgeschichte 36, 132 (LUstner mit L),
Woche S, 1328.
KupelwiCfler, Fran^. k. k. ILifiat, früher
Professor an d. Bergakademie in Leoben;
t Pttrtschach 5. VIII. — Woche 5, 1464.
Kurz, August, früher Regisseur 11. I hcatcr-
direktor; * Oschatz 4. III. 1828, f München
30. XII. — Neuer Theateralmanach 16,
175: Flaggen, Biograph. Btthnenlexikon i,
185.
Labhart-Hildcbrandt, Jakob H., Altstaats-
archivar in Zürich ; • 1823: t Zürich 13. 1.
— Allgeniciiic Ztg. i')o3, Beil. \ ^\ HZ 12,
lyy. 13, 193 (Schweiber. Ztschr. I. tieuiein-
nUtzigkeit 1903,81; Neue Zttrdier Ztg. 1903
August 2 1).
Labitzky, August, Komponist, Dirigent d.
Kurkapelle in Karlsbad; * Petschau 23. X.
1832; t Reichenhall 29. VIII. Riemann*
727; Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 132
(Lttstner mit L); III. Z^. I3I, 33S-
*Laih, Friedrich, katbol. Pfiwrera. D., Kunst-
historiker; * Ubemdorf a. N. 21. l.\. 1819;
t Rottenburg 30. I. — BJ \'III, 68
fl'. 1 :iu.-hcrt).
Lamczan-Salins» Eduard Graf v., k. k. Se-
natsprftsidentii. erster Landgerichtsprilsident
a. 1). in Wien, Begründer d. Freiwilligen
Rettungsgesellschaft ; * Lemberg 2S. VIII.
'835; t Wien 15. in. — Itlustr. Ztg. 120,
465; Goth. Genealog. Tasdienbuch d.
Cirafl. Hiiuser 1905, 470.
Landau, Richard, Dr. med., 5?chular/.t in
Nürnberg, Schriftsteller auf d. Gebiete d.
.Schulhygiene u. d. Gesrltichte d. Medi/in,
auch lyr. u. dram.it. Dichter; * Dresden
4. VII. 1864; t Namberg 20. IX. —
Virchows Jahresberichte 38, 1,417 (Pagel,
mit L); KL 25, 802 (W). 26,40*; Lco-
poldina 39, 130; BrflmmerS 3, 369. 576;
BZ 13, 193 (Ztschr. f. Schulgesundheitspflege
1903. 7«*>
Laaglioir-SdiMffiBr, Ottilie, geb. Gott-
srli alk , ehemal. Srhau>|>ielerin u-Theali r-
direktorin; \ Lübeck 24. V. — Neuer
Theateralmanach 15, 151.
Lany, Karl F^duard, Protestant. Pfarrer in
Cemilow, Superintendent d. östl. Diözese
Böhmens; * Ratihor 1838, f 8. II. —
riicolog. Jahresbericht 23, 1196 (Nestle).
*Larisch, Karl v., k. preuB. General d. Ka-
vallerie z. D.; *KUmmritz (Kreis Luckau)
3. VIIL 1824; Haus Boeckey b. Gläsers-
dorf (Kreis Lüben, Sclilesien) 3. X. —
BJ VIH. 18S (Lorenzen); Goth. Genealog.
1 asrhcnbui li d. Adeligen Häuser 1903. 486.
Latour von Thurmburg, Josoph. k. k. Feld-
uiarschalleutn. u. Geheimrat, .Mitglied d.
Herrenhauses d. Osterreich. Reichsrats, einst
0
67*
Totenliste 1903: Laudien — Lieber.
68*
Ei'ziehcr d. Kronprinzen Rudolf; * Wien
a. X. i8ao; f daselbst a8. XII. — III. Ztj».
122. 27,; S. Hahn, Kciclisrats-Almanacli
1891/92, 63 j_ Wurzbach, Hiu^raph. Lexikon
d. Kftisert. Osterreich. 14, 183.
Laudtcn, Minna, Malerin und Schriftslollcrin ;
* Gumbinncn 25. II. 1840; f Ende des
Jahres. — Woche 5, 2272 ; NiOller-Singerl a,
455; Pataky, Lexikon deutscher Frau«k d.
Feder i, 4S0 (W), 2, 526.
Laufer, Ernst, ehcmal. Direktor d. St. Gallcn-
schcii Heil- und Prtefife.-uistalt St. Pirniin>-
bcrn, Psyiliialcr; * Klf)ten (Zürich) 2S. \ I.
1851 ; f 24. III. — \ irclKiws Jahresberichte
38, I, 417 (l'ak'cl. mit L); 15Z 13, 195
(Korrespondenz! >latt (. S. liwt i/t r.Uztc 1903,
547; Ztschr. f. ( )hr(.iihLilkunde 1903, 665:
Schiller).
^Lazarus, Moritz, />r. tluol., jur. et phil.
k. preuU. Geheimer Kegierungsrat, ordcntl.
Honorarprofessor d. Philosophie nn d. Uni-
versität Perlin; * Filchne (Prov. Posen)
15. L\. 1824; f Meran 13. IV. — ÜJ Vlll,
ia4 (L. Stein).
Lechler, Karl Johann Friculricli v., Dr. phil.,
Dr. theol. honoris causa, Prälat, k. Württem-
berg'. Generalsuperintendent a. D., theoloff.
Schrift>t(.Ikr, auch dramal. Dichter; • Groß-
bottwar 28. VI. 1.S20: t I.udwigsburg 25. V.
— Allgemeine Zig. i<)().i Beil. 119; Theo!.
Jahresbericht 23 (19031, 1 1 96 ( Nestle, mit L);
HZ 12,203 (Schwäb. Merkur 1903 Mai 26).
Lecreux, Kranz, kgl. Tänzer am Hoftheater
. zu Berlin; * daselbst 21. I. 1852; f Saß-
nitz auf Rü^'en 26. Vlll. — Neuer Tbcatcr-
almanach 15, 155.
Leddihn, Adolf Kiitcr v., k. k. Feldmarschall-
Icutnant i. R,; * Wien 20. XI F. 1S30; f da-
selbst 25. IV. — III. Ztg. 120, 725.
Ledebur- Wichein, Johann Graf v., Herr auf
Ko-teiililat, Krzeiuusch u. Mieleschau mit
Nedwiedi«:: (Bülunen), k. u. k. Kämmerer u.
Geheimer Rat, unter tiadeni Ackerbau»
mir^i^ter, Mitjflied d. Herrenhauses cl. "-^terr.
Keiehsratj»; * Prag 30. V. 1842; f daselbst
I4*V. — lU.Zti;. 130,764; Goth.Geneal«^.
Taschcnl)uoh d. Grüfl. H.'iuscr 1904, 473;
S. Hahn, Keichsrats-Almanach 1891/92, 66.
Lederer, Alexander Ritter t., Prilsident der
ungarisch. SchiflTahrtsgeselKchaft »Adria« ;
f Aussee aa. VI., 6u Jahre alt. — III. Ztg.
121, 25.
Lein, juh.mnette, Volksdichterin; * Gieflen
II. VI. 1S19; f daselbst im April? —
Woche 5, 692 ; Pataky, Lexikon deutscher
Frauen d. Feder 2, 527; BrUmmerS 2, 5S6.
^Leipziger, Wilhelm Ernst v., k. prcuü.
General d. Kavallerie; * Niemegk (Kreis
Bitterfeld, Prov. Sachsen) 31. I. 1S37;
t Berlin ai.XI. — BJ Vlll, i54(Lorenxen);
Iii. Ztg. 1 2 1 , 841 ; Gotb. Genealog. Taschen-
buch d. Adeli^n Hftuscr 1905, 418.
Lcland, ("harlcs Godfrcy fP^eudon.: Hnr«
Breitmann), deutsch-amerikan. Dichter
u. Gelehrter. Keltist; • PUladelphia 15. Vlll.
1834; f Florenz im April. — Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 83 (Ad. AJbrecht); Leonard,
Pf^ko*t who im America 1901/02, 674: BZ
12, 205 ( Nationalztg. 1903 Maii4: E.Kngelt.
Le Maistre, Rudolf, Wirk!. Geheimer Rat,
frflher kaiserl. deutscher Gesandter in Rio de
Janeiro u. in Athen, bis 1S69 in kgl. siichs.
Diensten; t Dresden 1. IV., 6S Jahre .ilt.
— III. Ztg. 120, 536; Voss. Ztg. 1903
Nr. 608.
Lemaitrc, Gustav, Schauspieler u. Ke>,'issciir;
* 12. XII. l«39; t Drcsiku 25. X. —
Neuer Tbeateralnianach ib. 170.
Leo, Hermann, .Stadtpfarrer in kenchen. —
Ztschr. f. d. Geschichte d. Oberrheins 58,
543 ^lanldiauser, L: Oberrbein. Pastoral-
blatt 5, 385)
*Leopoldine VVilhelmine Pauline Amalie
Maximiliane Fürstin tu Hohenlohe-Lan*
genhurg, geb. I'riii7c--in v Baden, 'Ge-
mahlin d. Fürsten Hermann, btattbaltcrs v.
Elsafi-Lodiringen; * Karlsruhe aa. IL 1837;
t StraOburg i. E. 23. XII. — BJ Vlll,
49 (v. Weech); Gotli. Hof kalender 1905,6.
'3S; Woche6, 14 (P); Ztschr. f. d.Gescfaichte
des Oberrheins 58, 542 (Frankhauser, L:
Karlsruher Ztg. 1903 Nr. 355-357).
Leuenbcrgcr, Adolf, Musikdirektor in Rhein-
felden (.Schwei-s); * Wiedlisbacb (Kanton
Bern) 6. V. 1S72; t Kheinfelden 13. VHl.
— Monatslicfte f. Musikgeschichte 36, 132.
(LUstncr, mit L).
•Levetzow, \ 1 bc rt Krdmann Karl Gerliard \ .,
Dr. Jur. lioHoris causa, kgl. preuß. \\ irkl.
Geheimer Rat, Mitglied d. Deutschen Reichs-
tags (öfters dessen erster Präsident), d, preuß.
Herrenhauses u. d. Provinualsynode d. Prov.
Brandenburg, Landesdirelmr dieser Pro vins;
• Gossow (N'cumark) 12. vX. 1S28; t da-
selbst 12. VllL— BJ Vm,2l8(K.v.Stranti);
HL Ztg. lat, 373 (J. P. mit P); Wodw s»
1463. 151 1 (P); Goth. Genealog. Taschen-
buch d. Adeligen Häuser 1905, 435; BZ 13,
198 (Evangel. Kirchenctg. 1903 Nr. 84:
WolfT; Tiii^l. Rundschau 1903 Aug. 13;
Neue Preuß. Ztg. 1903 Aug. 13; Das rote
Kreuz 1903, 451).
Lieber, Johann K.arl Otto, Dr. med., kgl.
preuß. Generalarzt a. D., Generalsekretär d.
preuß. Landesvereine vom Roten Kreut;
♦ Ztlllichau II. V. iS^q; t Ncubahelsberg
15. III. — Virchows Jahresberichte 38, 1,
418 (Pagel); Verzeichnis d. Berliner Uni-
verdtatsschriften 1810—85 J^'« 5979?
13, 306 (Archiv f. üffentL Gesundheitspflege
-•'ü • '-i ^J^-'-'
69*
Totenliste 1903: Licbeit — Loffler.
70*
in Elsaß-I.othrinffcn 190^, 354: Weifjand;
Das Rote Kreuz 190^, lüi, mit F); W oche 5,
512 (P).
*Llebert, Narzissus, Ik-ncdiktincr, Ih-. phi!.,
kgl. bayer. Lyzeal- u. Gymnasialrcktur /.u
St. Stephan in Augsburfir, klass. Philologe.
Patristiker u. Kirchcnliistoriker, auch SIliio-
graph; * Augsburg 18. III. 1844, f daselbst
35. III. — 6J VIII, 70 (F. Laochett).
Liebhardt, ilermine, verchcl. Kuncrt, Opern»
Sängerin: s. Kunert, Hennine.
*UeUilf, Georg- Freiherr v., Dr. med., kgl.
bayer. u. fj^roßhcr/ogl. hcss. Hofrat, Privat-
do«ent f. Klimatologie u. Balneologie an d.
Uni versitit München; * CHeften 17. II. 1817;
t München 31. XII. — BJ Vni,I03{P)«e1);
Chronik d. Universität München 1903 04;
Leopoldina 40, 37; Goth. Gencalcigisch.
Taschcnhucli d. Krciherrl. Hiiuscr 1905, 447.
Liedcrwald, k. prcuO. (J!)Li>t /.. I)., 1S64 aus
d. Unteroffizierstand f. hcrvorrag. l apfcrkcit
zum Offizier befördert, zuletzt bis 1SS9 He-
zirkskonimandeur v. Braunsberg; f daselbst
17. XI. — 111. Ztg. 121, 795; Voss. Ztg.
1904 Nr. 3.
Licdtkc, Johann Adolf, erster Prcdiper <kr
evaiigel. - deutschrelunniertcu Burgkircheu-
gemeinde EU Königsbergf i. Fr.; * Mflhl-
hausen (Ostpreußen) 27. XI. 1 83S ;+ Königs-
berg 30. VII. — Theol. Jahresbericht 23,
X 197 (Nestle, mit L); Rindfleisch, Al^iieafl.
Bibliographie f. 1903 (L :Evang. Gemeinde-
blattsS, i^).
Linde, Pa^, Senior d. Geistlichkeit ScUes-
wig-Holtleins: t Bofby i.IV., 98 Jahre alt.
— Woche 5, 648.
Linden, Fanz Joseph Heinrich Eberhard
Graf k. Württemberg. Kammerherr, Ge-
heimer Legationsrat u. Gesandter a. D.,
1884—91 wtirttemberg. Gesandter in Peters-
burg; * Berlin 13. IL 1836; f Nizza 6, XL
— Illustr. Ztg. 121, 753; \'ons. Ztj^. 1903
Nr. 608; Goth. Genealog, l aschcnbuch d.
(iriifl. Häuser 1905, 499.
Lindequist, Olaf v., k. preuß. Gener.nlmajor
z. I)., zuletzt bis 1895 Kommandeur d.
Infanterieregiments Nr. 83; f Kassel 28. XL,
58 Jahre alt. — Wochc $, ai8o; Voss. Ztg.
1904 Nr. 3.
•Liadhamer, Kail Ritter v., k. bayer. Gene-
ralleutnant z. D.; * München 19. VIII. 1828;
t daselbst 21. 1. — BJ Vlll, 208 (Lorenzen).
Liadaer, bis 1899 Lmdgerichtsprlsident in
ILilberstadt; f Bifuit 6. II. — Voss. Ztg.
1904 Nr. 5.
Lingg, .Seraphine v., Gattin d. Dicbters
Hermann L ; f München 3. II., im 86. Jahre.
— III. Ztg. 120, 238.
Unk, Georg, Mitglied d. k. Sehauspidhauses
in Beriin ^tunor. u. ernste Charaterrollen);
* Nüinlierg 25. IX. 1S43; f Berlin 9. V. —
III. /tg. 120,765; Eisenberg, Großes bio-
graphisches Lexikon d. Deutsdien Buhne
61 j; Neuer I heaterahnanach 1 5, 147;
Müggen, Biograph. Bühenle.\ikon 1, 2uu.
Linnartz, W., Direktor d. Frovinzial-Taub«
stumnicnanstalt zu Aachen; ^ daselbst
23. Vlll. — III. Ztg. 121, 335.
Lipp, Alban, Chordirektor in Kolbermoor
(Bayern), T<chrer und Gesangskomponist;
•Freisiiig9. VIIL i866;t B.^d Aibling 6. 1\.
— Monatshefte f. Musikgesch. 36, 132
iLUstner, mit L); BZ 13, 300 (PildagOg.
Blätter 1903, 717).
Lippmann, Friedrich, Direktor d. k. Kupfer-
stichkabinetts in Berlin; •Prag 6. III. 1838;
t Berlin 2. X. — Allgemeine Ztg. 1903
Beil. 224; III. Ztg. 121, 523; Woche 5,
393 (P); BZ 13. 200. 14, 1S6 (Kunst«
Chronik N.K. 15, Si: W.Bode; Kunst u.
Künstler 2, 57: J. Springer; Jahrbuch d.
preuß. Kunstsammlg. 1904, III: R. Schöne;
National/tg. 1903 Okt. 2).
Lipschitz, Rudolph Otto Sigmund, Dr.
fkU., k. preufl. Geheimer Regierungsrat,
ordentl. Professor d. Mathematik an der
Universität Bonn; * Königsberg i.Pr. 14. V.
183a; t Bonn 7. X. — Leopoldina 39,
130; Clironik d. L'niversiUlt Bonn 29 (1903),
7; Poggendorff 1, I475. 3, 830. 4, 897
(W).
Lobkowitz, Morit- AIo;,^ J<KCi)h Murcclli-
nus FUrst v., Herzog zu Kaudnitz (^Böhmen),
gefflrsteter Graf zu Stemstetn, erbl. Mitglied
d, Herrenhauses d. Österreich. Reichsrats
(konservativ), k.u.k. Kämmerer u. Geheimer
Rat; * Insersdorf b. Wien 3. VL 1831;
f Raudnitz 4. II. — GotluHcAalender 1903,
154. 1904, 155; III. Ztg. lao, 238; Woche
5, 28S (P); S. Hahn, Reichsrnts-Almanach
1891/92, 71.
Löff ler, JohannHeinrich,.Stadtkirchenürganist
u. Lehrer zu Pößnek (Sachsen-Meiningen),
Kompoafa* u. Musikkritiker, auch Roman-
dichter u. thürinijisch. X'olkssrhriftsteller ;
• Oberwind (^Sachsen-Meiningen) i. III.
»833; t Pößnek 15. IV. — Brtlmroers 2,
597 (mit Wi; KI. 25, 862: Monatshefte f.
Musikgeselüchte 36, 133 (LUstner, mit L);
BZ 13, soa 14, 187 (Bayreuther Bluter
1903, 222; D, liter.ar. Echo 5, 1557 und
Magdeburger Ztg. 1903 Juli 23: Danneil;
T%gl. Rundschau 1903 Juli 31; Thttringer
W'artc 1904. 105: \V. Greiner).
Löffler, Mathilde, vcrehel. v. Ehrenthal,
früher Opemälngerin an den Hofttieatem in
Wien U.Dresden; * Dannstadt 12. I\'. 1S47
(nach Eisenberg 1852): f Heidelberg
I s. VIII. — Neuer Tbeateralmanach 1 5. 1 54 ;
Eisenbeig, Grofies biograph. Leiikim d.
c«
71*
Totenliste 1903: Lohmeyer — Manii.
Deut- lull Hillinc 6 1 5 ; Mi iii,i;^ln.ftc f.Musik»-
gcsfhiclitc 133 (lAi-tiicr, mit L).
Lohmeyer, Julius, Dr. phiL, leichter und
Srliriftstcllcr; * NcilJe 6. X. t ('!):)r-
luUcMl>urg 24. V. — KL 25, S70 ^W).
36, 40*; III. Ztg. 1 20, 857 (P. Dehn, mit P):
Wdi'Jic 5, 968 iP); AIlj^fiiK-inc Zl-^'. i <)<•;,
Beil. 117; Hinrich>cn, D. literar. Deutsch-
land» 835 ; Brammers a, 437- 597 (mit W);
\\7. 12, 2()S. 13. 3(K>. 14, 1S7 (I). literar.
Echo 5, 1297: J. i rojan; l ag). Rundschau
1903 Mai 38 : O. v. I^ixner; Deutsche Ztg.
1903 Beil. Deutsche Welt Nr. 36: F. Lien-
hard; Deutsche Tngesztg. 1903 Mai. 25;
Heimat 1903 Heft 42: H. v. Blomberg;
Mouatsbliitter f. tleutsi he Literatur 7, 3S4:
Tristan, mit P; Deutsche Moi»al>--chrift f.
d. gesamte I^bcn der (»egenwart 2, 505:
V. Hlüthgen).
•Loose, Karl Wilhelm, Dr. phiL, Direktor
d. Kealscliule u. d. l'rojjymnasiums in
Meißen, ( Ie>ehirl»t?.f()rsclier; * ("licimntr.
14 X r Meißen 29. IV. — BJ VIII,
294 1- A. Lier).
Löper, Ludwig v., hi> 1901 kaiserl. deutscher
Gener;Ukonsul in Valparaiso; f Anfang
Ai)ril, 45 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1903
Nr. 608.
•Loßberg, \'iktor v., k. preuO. CJencral-
major z. D.; * Kassel 18. I. 1S35; y da-
selbst 24. V. — BJ VIII, 278 (Lorenzen).
Löwcnhach, Ceorg, Dr. med., er«.ter As>;is-
tcnt an d. Klinik f. Syphilis u. Dermatologie
in Wien; • daselbst 27. IX. 1872 ; f ebenda
21. XI. \'iroIu)\vs Jahresliericlite 'S, I,
418 (Pagel, mit L); B/. 13. 201 (Wiener
medizinische Blatter 1903, S13: Porias).
Löwengard, Adolf, früherer Theaterdircktor;
t Hamburg im August, 56 Jahre alt. —
Neuer Thentenümamich 15, 153.
Löwcnstamm, Franz Josef, Komponist, früher
Kapellmeister, zuletzt Gesangsprofessor in
Wien; • Budapest 18. VII F. 1843; f Wien
31. \'II. — Monatslieftc f. Musikgeschichte
36, 133 (Lü'^tner): Rheinhardt, Biographien
d. Wiener Künstler u. .Schriftsteller i, 563,
Löwer, Emil Leopold, Dr. med., k. preuß.
General- u. Korpsarzt a.D.; * Hall.erstadt
2. II. »832; f Eberswalde im Mar/.. —
Ul. Ztg. 120, 507; Virchows Jahresberichte
3S, I, 41S (Pa^jel:; Verzeichnis d. Berliner
Lniversitutsschritten 1810 — 85 Nr. 5045.
Lttbe, Max, Sdiauspider (Komiker) an d.
dcutscli -amerikan. Bühne in Ncw-Vork;
* Berlin 9. XL 1843; f New-Vork 16. XI.
— Neuer Theateralmanach t6, 171 ; Flüggen,
Biograph. Bühnenlexikon i, 205.
Ludiüi Eugen, Dr, phiL, Mitbesitzer d.
Höchster Farbwerke ; f Frankfuita. M. 14. V.
— Woche 3, 920 (P); BZ 12, 209. 13, 201
(Clieniiker/tg. 1093, 495; Ztschr. für an-
gewandte Chemie 16, 687 mit P; Ztschr.
r. Karben- u. Textilchemie 1903, 289 mit P).
Lüders, flustav K., ehemal. Orchestcrmitj^lii.<!
d. htadlthciters in Riga; * Peruau 10. X.
1828; t Majorenhol b. Riga im Jnli. —
Neuer TheateridtiiaiKuli IS. 152.
Ludwig, Emilie, W itwe des Dichters OttoL.;
t Dresden 10. II. — III. Ztg. 120, 31a
Lührsen, Johanne';, /'r., kaiserl. deutscher
Ge&aiidtcr bei d. Ke(>ublik Kolumbien;
t Terlan 3. XL, 65 Jahre alt — Voss. Ztg.
1903 Nr. 6()S; III. Ztg. 121. 710.
*LuntX, Viktor, k. k. Uaurat, Professor an d.
Akademie d. bildenden Ktlnste in Wien,
Architekt; * Vhl>s a. d. Donau (Nieder»
Jisterreich) S. Iii, 1840; f Wien 12. X. —
BJ VIII, 146 (A. Birk); Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 234; III. Ztg. 121,607; Khein-
bardt, Biographien d. Wiener KUnstier u.
Schriftsteller 1, 19.
Lüpkc. Robert Theodor Wilhelm. Dr. pkit^
( >)>i !l( liror nni I )orotheenst;i<lt. Kealgyiii-
n.i^tuiiii II) Berlin u. Dozent an d. kaiserl.
Post- u. Telegraphenschule daselbst, Elektro-
cheiuilMT; * Ascherslebcn 17. Xf. 1857;
f Berlin 10. IV. — Lcopoldina 39, 103;
PoggendorflT 4, 922 (mit W); BZ 12, 212
f/t-i.-lir. f. Klektruohcinie 1903, 37S).
Luethi, A., Glasmciler, Direktor d. Kunst-
gewerbeschule in Zarieh; f Frankfurt k. M.
13. XII. WocliL' 5, 2272.
Lutz-Meyer, Wilhelm, Komponist u. Kax>ell-
meister am Gaieiy-Tkeaire in I^ondon;
• Münnerstadt f rnterfranken) 1830; + Lon-
don 31. I. — Woche 5, 236; Monatshefte
f. Musikgesch. 36, 133 (l.tistncr, mit L);
III. Ztg. 120, 238.
Maag, Joltann Jakob, Dr. med., Bezirksarzt
».Kinderarrt in Rosengarten b. Liehtenstetg;
• Feuerthalen b.'Schaffhausen 1S26; f 9. XI.
— Virchows J.ihrcsberichtc 38, 1,418 (Pagel,
mitL); BZ 14, 191 (Korrespondenzblatt f.
Siliwci/ei Ar/te 74, I79).
Machts, Karl, Musikdirektor fl. Kurorchcstcrs
in Bad Nauheim; • Weimar i6. \ 1. 1846;
t HauiK-u cr im Febru.ir. — Monatshefte f.
Mii-ikiTL -rh. 36. 133 (Lüstner, mit L
Mahr, Josctine, ehemalige Schau^plelc^in;
• Teschen 6. VL 1834; f Wien ao.XI. —
Neuer Thonteralmanach 16, 172.
Malachowski, v., Oberstleutnant a. D., Mit-
arbeiter an den »Mlinchner Neaesten
Nachrichten« ; f Konstanz 35. XII. — Voss.
Ztg. 1904 Nr. 9.
Mally, Janex, Zweigkomiker; f Undi 18. V.,
im 45. Jahre. — Neuer Theateralmanach
»5» «50-
Maan, Kari Ritter r., k. bayer. Hofrat, redits-
kundiger BOigermeister d. Stadt Hof i. E;
-•'ü • '-j -^'^J^'
73*
Totenltste 1903: v. Manteuffel — Mcifiner.
f daselbst 3 1 . N I F. — AugsbuigerAbencUtg.
1904 Nr. 2 S. II.
«Manteuffel, Karl Rudolf Heinrich Engelhard
Emil Tlicixlor v., k, prcuß. ( Icnenillcutnant
I.D.; * iiärwaldc (Kreis Ncustcitin) 4. VI.
1817; t CharlottcnburK 27, II. — BJ VIII,
237 (I-orcnrcn); Colli. Geiietilog. Taschea-
Inicl» tl. .\<kli;,'ci» Ilaii>or 1005, 4S7.
March, Paul, lidhcr C litld. I honwaroiifabrik
Ernst March Söhne; t rii.nloncnburg ao,
\ 7.^ Jahre alt. — Voss. Zti,'. i')04 Nr. 13.
Marchand, Ludwig Leopold, Pfarrer in See-
burg; * Wischwill (Kreis Rafnit) 16. IV.
i<Sv>; + Znpjiot 27. Riiulfleiscli,
Altpreuü. Monalsschrilt J. 1903, 50 (L:
Eransfel. Gemeindeblatt 58, 245).
•Marchtalcr, Anton v., k. wtitttcniljer«». Ge-
neralleutnant z.U.; * 21. IV. 1S21 ; f Stutt-
gart 12. VII. — BJ VIII, 312 (Loreiucn);
l'.Z 13. 208 (Schvrt&bischer Merkus 1903
Juli 13).
MareiiB, Emanuel, Dr. med., k. preuO. Sani-
tttsnt, Arst in Frankfurt a. M., Mit^rlled d.
Stadtvefordnetenvenammlung daselbst, Re-
dakteur d. Korrespondenzblatt d. Ärste d.
Prov. Nassau; ♦ Ortenberj» (Hessen) 1834;
f Frankfurt a. M. 12. — Virchows
Jahresberichte 38, I, 419 (Pagel, mit L);
iiZ 13, 308 (Korrespondenzblatt d. Arzte d.
Prov. Nassau 1903, 411: Mübnc-rX
Marschalk von Osthcitn, Emil I reih, v.,
Altertums- u. Geschiclitslorscher u. Sanin»lcr
in Hamberg; * Wien 16. I\'. 1S41; f Ham-
berg 7. VII. — llUistr. Ztg. 121, 9u; ü2. Ile-
richt tib. d. Bestand u. Wirken d. histor.
Wrciiis zu Hniiihcrg f. d. |. 1903.
Marstrand, Wilhelntiuc, Pianistin u. Lehrerin
am Konservatorium d. Musik in Hamburg;
• Donaueschingcn (>. fnni-h Kicinann 4.) X'III.
1843; f Spie/, am Thuiier See i6. Vlll. —
Riemann* 818; Monatshefte f. Musikgesdi.
36, 133 (LUstncr mit L).
Hartia, Ch. A., österreich.-ungar. Konsul ia
Baltimore ; f d.iselbst 28. II. — Woche 5,418.
Martini, Karl, Dr. tiuti., k. preuü. Geheimer
SanitiUsrat in Breslau ; f daselbst 1 7. X. —
Virdiow« Jahresberichte 38, I, 419 (Pagel,
mit L).
Martins, Heinrich, < )berbUrgermeister a. I).
von Glogau, k. prcuß. Geheimer Rcgicrungs-
rat, Mitglied d. preuO. Htrunh uises, d.
Prn\ in/ialrats u. Provinzinl ui- -> liu<-;es v.
Schlesien; "f Glogau 21. \ I., 74 J.iliic alt.
III. Ztg. 121, 25.
Matthias, Karl. Dichter u. Scluift-telkr. früher
Openisunger u. Schauspieler; * Oanzig
18. IV. 1838; t Leipzig 23. II. — KL 25,
OK) (W). 26, 40* ; Neuer 1 heator.dmanach
15, 141 ; Flüggen, Biograph. Hilhneulexikon
I, 211.
^Mayer, l iinlrich Karl, groOherzogl. weimar.
Hofrat, Professor an d. Kunstgewerbeschulc
in Nürnberg, Architekturmaler; * Tölz, 3. I.
1824; t München 24. I. — BJ VIII, 97
(H. Holland).
Mayer, Gustav, k. prcuß. Geheimer Ober-
baurat, vortniL^'ciiiK T Rat im preuO. Ministe-
rium (I. r.rüiitliih. Arbeiten, l)is 1901 in
groüher/.ogl. he>s. Diensten; f 17. II.,
51 Jahre alt. Voss. Ztg. 1903 Nr. 608.
Mayer, M. L., deutscher Thcaterunternehnier
in Ltmdon; f daselbst 4. VIII., 71 Jahre
alt — Monatshefte fUr Musikgesch. 36, 133
(T.dstner, mit L).
Mayers, Karl, Kedaktionsniitglied d. Wiener
»Neuen freien Presse«, uispranglich Genc-
ralstal>M'((]/ic r. -^cit 1S76 Kriegs-, ManTtver-
u. Sportberiehterstattcr; f Abbazia 19. IV.,
61 Jahre alt. — Voss. 25tg. 1904 "Nr. 9.
Mayr, Jn^cf, I lul/>cli nitzer, Bflrgermei-ter v.
Oberammergau in Oberbayem, Christus-
darstellerin den Passionsspielen v. 1870 71.
i.SSo u. 1S90; * Oberamraerga« 25. III.
1843; t München 1. Ml. — Augsburger
Abcndztg. 1903 Nr. 332 S. 2; MUnchcnur
Neueste Nachrichten I903 DCS.4 (H.Roth);
II. Diemer, Oberammergatt 11. s. Passions-
spiele, München 1900.
•Mcding, Oskar (Pseudon. : Gregor Sa m aro w,
Detlev V. Geyern, l.en Waren, Walter
Morgan, Kurt v. Wal leid), k. hannov.
Regiemngsrat, Romanschrirtsteller; * Kö-
nigsberg i. Pr. II. IV. 1S29; f ( h irloften-
burg 11. VII. — BJ VIÜ 263 (I". Hrünnner);
III. Ztg. 121, 132 (mit P); Woche 2, 1405
(P); KL 25,919 (W); Brammers 3,41. 478
(mit W>
Meflfert, Robert, frflher OpemsKnger (Helden-
tenor") am Iloftheatcr in Dresden; f Gobienz
16. III., 54 Jahre alt. — Neuer Thcatcr-
almanach 142; Flaggen, Biographisches
Hiihnenle.xikon 1,213; Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 134 (LUstncr, mit L).
*Melnecke, Gustav Hermann, Kolonialpoli-
tikei und Koldnialschrift^teller ; * Stendal
15.11. 1S54; t Hwl'" J' IV. — BJ VHI.
28 (V. Hwitzsch) ; Geographen-Kalender 2,
194 (mitW); KL 2 (W); Woche 5,
820 (P); Geographisches Jahrbuch 26, 436
(\V. Wolkcnhauer, mit W 11. Li; Börsenblatt
für d. deutschen Buchhandel 1903, 3nS.
Meinkc, Karl, eheni d. 1 »pern^ant^^er; * 26. X.
1830: im lct/.ien \ ieilel d. Jahren. — Neuer
Tlicateralmanach i(>, 166.
Meifincr, August, Kapellmeister in Stockholm ;
♦ Grabow (Mecklenburg) 1833; t Stock-
holm 13. IX. — Monatshefte f. Musikgesch.
36, 133 (Lttstner, mit L); illustr. Ztg.
•2«, 533-
MeiftnM'f Bernhard, ehemal. Souffleur u. Sdiau-
75*
Totenliste 1903: Meißner — Mitterrutzner.
Spieler; • Dresden 9. XII. 1823; f dn<ell>st
21.11. — Neuer Thcatcralmanach 15, 140.
Melfiaer, Henriette, frühere Schauspielerin;
Jahre-;. Neuer Thenteralniniiarh 16, 166.
* 25.x. 1S24; t Hamburg im zweit. Vierteid.
Melier, Klnra, geb. Kretzschmar, Pianistin:
Kretzschmar, Klara.
Mendel, Heinrich, Buchhändler, Mitinhaber
d. Firma Modes & Mendel in Rom; f da-
sellist 31. I. — Börsenblatt Air d.deutsdien
Buchhandel 1903, 1068.
«Merkel, Waltlier Emil, Maler; * Kassel
12. VII. + Wehlheiden 7. XII. —
BJ VIII, 145 (l'b. Losch).
Mcrrcttig, Karl , Maschinenmeiäter d. gruUhzgl.
Hoftheaters in ( »deiihur;.^ ; t da8elb8t24.VlI.
Ncult riKater;tlman,iili 15, 153.
Merz, Heinrich, J^r. imd,, prakt. Ar/.t in
Menzikon (Schweiz. Kanton Aargau); * da-
selbst 17. V. 1S24; t ebenda 16. II. —
Virchows Jahresbericlite 3S, I, 419 (Patfel,
mit L); BZ 14, 198 (Korrespondenzblatt f.
Schweizer Arzte 34, 137: Kichcnbcr<Tcr).
Messerschmidt, Gcurg, Geheimer Baurat u.
Elbstrombaudirektor in Magdebuf|r; f da-
selbst 29. 50 jähre alt. — Woche 5,
828; Voss. Ztg. 1904 Nr. 13.
Menbaeher, Eugen, Dr, fhit., Numismatiker
u. Hibli<)|ihile, früher Vcrlajisbuchhiindlcr;
* München 4. \ II. 1845; f daselbst 18. iX.
— Woche 5, 173H; Börsenblatt fllr d. deut>
sehen Buchhandel 1903, 3918. 4334. S552;
Verzeichnis d. Berliner Lniversitätsschriftcn
1810—85 Nr. 9034.
Mey, Karl Ernst, Seniorchefu. Mitbegründer
des \'ersandhauses u. d. Papierwäschefabrik
Me\ \ Kdlich in l'lajjwitz-I.eipzi'^ ; * Nieder-
schmicdebcr};(Sächs.Krzgebir)je) 5. IX. 1844;
+ I.eipzig-Plat^witz 30. 1. — llj. Ztg. 120,
I«,»7 (V. Müller, mit P).
Meyer, Kmst, Dr., Besitzer d. »OsnabrOcker
/ti:.«: T 10. I. — \'n<>. Ztp. 1904 Nr. 9.
Mcycr, Konr.-id(Pscudon.: Julius Krcimund),
Inspektor d. Scbweiser Mobil iar*Assekuninz
in Zürich, schweizer. Picliter und Schrift-
steller; * Winkel b. Bulach (Kant. Zürich)
3. IX. 1824; t Zürich 31. III. — KL 25,
942 (W); 26,41*; IkümnierS 03; BZ 12,
222 (Neue Zürcher Ztg. 1903 April 7).
Me]rer, Raimund, kaiserl. deutscher Geheimer
AdroiralitiU-rat, Intendant d. Marinestation
Nordsee; f Wilhelmshaven 19. X. — Voss.
Ztg. 1903 Nr. 608.
Meyer- Brenner , lanma, Schriftstellerin;
f Basel 20. IX., 56 Jahre alt. — III. Ztg.
121, 323.
Meysenbug, Malvida v., Freundin der .leht»
undvienciger Bewegung, Schrift>tellerin u.
Dichterin; * Cassel 28. X. 1816; f Rom
26. IV. — KL 24, 946 (W). 26, 41*;
BrümmerS 2, 4S5 (mit W); III. Ztg. 120,
70Ü (K. Schöner, mitP); Woche 5, 782 (Pi;
Allgero. Ztg. 1903 BcO. 94. 96 (R. v.Scala);
^l()nat^hcfte f. Musikjje^ch. 36, 134 (I.üstncr,
mit L); BZ 12, 222. 13, 214 (Nation 20
Nr. 32. Wissen f. Alle 1903 Nr. 24, Nene
Freie Presse 1903 Nr. 24, Der Bund 100;,
Mai 16 u. 17: S. MUnz; — W'estermanns
lIlustr.DeutscIieMonatshefte 1903 Mtrz 794
u. Krauenrundschau I9<:'3 485: A. Brunnc-
mann; — Hamburger Correspondcnt 1903
Mai 3: C. MSbling; Frankfurter Ztg. 1903
Mai l6: M. Herzfcld; Krlnischc Ztj,'. i<x)3
Juni 7 : H. Stiicker; N.ilionalztg. 1 903 Mai 17;
Wiener Frenidenblatt 1903 April 30: A. v.
Falke; Zeit 1903 Mai 6: F. Birkenrieth;
K.bcnda Juni 27: G. Monov; Magazin f.
Literatur 1903 Mai 74 : M. G. Conrad: Neue
Musikztg. 1903 173: S.Reis; Zukunft 43,
223: J. Diiboc; Die Frau 10, 516: H. Wid-
mann; Tägl. Kundschau 1903 Beil. v. 13. u.
14. Mai: P. Wiegler; I^ehierin in Schule u.
Haus 19« 13 Nr. 36: M. Locper-Housselle;
Bayreuther Blätter 1903, 220; Neue Balmen
1903 Nr. 16: M. Hecht; Voss. Ztg. 1903
I?: Basier Naihrichtcn I«)o3 |idi 6).
Michaelis-Nimbs, Eugenic, frühere Opero*
sKngerin am Hoftheater in Darmstadt; f da-
sellist II. V., 70 Jahre alt. Neuer Iii c.iter«
almanach 15, 14S; Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 134 (LUstner, mitL); BZ 13,
214 (Leipziger Tageblatt 1903 Des. 14:
W. .Benzen).
*Hnehhoefer, Arthur, Dr. phiL, ordentl.
ProffsNor der Archäologie an d. L'niversität
Kiel; • Schirwindt (OstpreuOen) 21. III.
1852; t Kiel 7. XH. — BJ VIII, 177
(Joh. Sass).
Milde, S. J. (Pseudonym), Schriftstellerin: s.
Gerhard, .Siuiilde.
Mises, Felix Edler v., Dr. tiicd., Arzt in Wien,
Schriftsteller; + (iisell)st im Juli, 56 1 ihre
alt. — \ irchowb Jahresberichte 38, 1, 419
(Lflstner, mit L).
Mistcli, Franz, /V. /////., früher ordentl.
Professor f. vergleichende Sprachwisscu-
schaff an d. Universitftt Basel; * Solothum
II. III. 1S41; t Fallenbacli b. Brunnen
(Schweiz) 6. X. — Allgemeine Ztg. 1903
Beil. 230; III. Ztg. 121, 607; BZ 13, 217
(Neue Zürcher Zti^. 1903 OktoI>cr 24 u. 25:
M. Niedermaim; Basler Nachrichten 1903
Oktober 12); Gubematis, IHcthmnah't Jet
tcrivatns du jour 1 490.
*Mitterrutzaer, Johannes Chr}-sostomus,
Augustinerrhorherr, Gymnasialdirektora. D.,
.Spracl : ' 1 ncr, Sprachforscher, Kirchen-
historiker u.Hagiogra]>h; * auf d.Höllerhofe
zu Tils b. Brixen; f im Stift Neustift b.
Brixen. — BJ VllI, 71 (F. Uuchert).
^ Nj ^ ^a by GüOgl
Modcrsohn, Hoinridi, Hili!ni<- ti. ricnrcmalcr;
* Lippstudt 2b. 18^5; f llohcnhoimef
31. VIII. — Woche 5, 1644; Mflller-SingrerS
*Moehlf Heinrich, Dr.phil.^ Professor, Ober-
lehrer an d. Gewerbe» tt. hilh. Handelsschnlc
in Kassel, Leiter der meteorolog. Station
daselbst: * Kaii^chcnhcr}; 31. XU. 1832;
t Kassel 14. \. — lij \ III, 204 (Ph.Losch).
Mohr, Theodor, erster Chordircktor des
Pfoizhcimer (Jcsanj^vcrcins, Bundeschor-
meistcr d.RadiscIieiiSiingcrbiindes; Karls«
ruhe 12. X., 77 Jahre alt. — Monatshefte
f. .\hisik}j«.sch. 36, 134 (LUstiKT, mit L).
Möllendorf, Otto v., Dr., Dozent 1. I laiulels-
geographie, Warcnkuiule 11. Kou-ularwesea
an d. Akademie f. Sozial- u. Haiidelswissen-
schaftcn in Frankfurt a. M.; f dn^clbüt
17. VIH., 5S Jahre alt — Geographen-
Kalender 2. 105; III. Ztg. 121, 335.
Möller, Arthur, Kapellmeister d. Kurorchesters
in Baden b. ZUrich; f dasdbst 9. XII. —
MonatshefteCMtisikgesch. 36, 134 ^ttstner,
mit L).
M5Iler, Wilhelm, Direktor d. Stadlflieaters in
Lahr; • I-übe.k 30. VIII. 1.S43; f I,ahr
18. III. — Neuer Theateralinanacli 15, 144.
MoniBMn, Theodor, Dr. jur. et fhil^oxAtxA.
Professor in d. pliüosoph. I'akiilt;it d. Uni-
versität Herlin, urdcntl. Mitglied d. preuß.
Akademie d. Wissenschaften in Herlin, Vize-
kaniler d. preuO. Ordens pour Ic niiriu f.
Wissenschaft u.Kun«t, Ehrenbürger d. Stadt
kom usw., Jurist u. Historiker, Politiker u.
deutscher Dichter; * (lardiji^' Scli!e>.\\ ig-
Holstein) 30. XI. 1S17; f C liarlottciihurg
I. XI. — Clironik d. Universität Herlin 17
(1903), 7-
Monti, Deila, Konzertstogerin : s. Deila
Monti.
*M<H>ts, Johann Geor;, groShemig). hcss.
Geneiallcatnant alasuttc; * 1S07; f Dann-
stadt 15. X. — HJ Vm, 20S (^Lorenzen).
Morgan, Walter (Pseudon.), Schriftsteller: s.
M c «1 i M g, < )skar.
Mocrikc, Klara, Schwester des Dichter;»
Eduard M.; * TiUdwigsbnriK 10. XII. 1S16;
t Xeuenstadt am Kocher 10. VIII. — All-
gemeine Ztg. 1903 Nr. 175; III. Ztg. 121.
345; BZ 13, 2 IQ (,'lägl. Rundschau 1903
August 28; Nationalxig. 1903 SonntagsbeiL
34—37: Mayne).
Moerike, Margareta, geb. v. Speth, Witwe
des Dichters Edu.ird M.; * 10. VI. 18 18;
+ Neu-ulm 8. 1. — Wr)che 5, 9S. 226 (P);
BZ 13, 219. 14, 204 (Hochland 1903 Okt.
Not. n. 1904 Juni: E. Kggert; Allgemeine
Ztg. 1904 Heil. 7'): K. Waltlier).
Moritzfeld. — HZ 13, 219 (Ztschr. f. Forst-
und Jagdwesen 1903, 497: W. Boden).
78»
Moser, G'nst.iv V., 1k'I7<(^1. sacii-icii-kciliurg.
Hufrat, Lustspieldichter; * Spandau u.V.
1825; t tJnrlitz 23. .\. — KL 25, 923 (W).
41*; Neuer Thcateralm.marh i<>. ifnj
(mit 1* auf lUu-strationsbogen); III. Ztg. 12 J,
643 (L. S., mit P); Woche 5, 1956 (Th.v.
Trotlia, mit P); Brammers 97. 4<)i ;W);
BZ 13, 220 (Universum 1903, Wcltrundschau
S. 505; Neue Freie Presse 1903 Okt. 26;
R. Misch; Ebencia Okt. 29: P. Lindau;
Der Tag 1903 Okt. 25: L. Schiinhofl";
Augsl>urger Abdztg. 1903 S.amnder Nr. 12S.
129; Berliner Tageblatt 1903 Okt. 26:
A. Hahn; Münchiier Neueste Nachrichten
1903 Nov. 4: Klara /ie},'ler).
Moser, Julius Leopold, Cellist am kaiscrl.
Hofon hcster in Wien; t daselbst 15. III.,
50 Jahre alt. — Monatshefte f. Musikgesch.
.16, 134 (I.ttstner, mit L).
Mossc, Salomnn, Grnßkaufmann u. llanHels-
richtcr in Berlin, Inhaber d. Wäschefabrik
S. Mosse, Vontandsmitglied der Textil-
bt nif-tyenDSsenscliaft; f Kissingen iS. Vi.,
66 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 13.
Mothes, Oskar, Dr. phü., k. sUchs. Baurat,
Ari hitekt und Kunsthistoriker; * Leipzig
27. Xll. iS2,S; t Dresden 4.X. — III. Ztg.
121,571; KL 24. <»i>9. 26,41*; Müller^
Singer, Allgemeines Künstlerlexikon 3 3, 256;
D. geistige Deutschland i, 474.
*Mfihlbacher, Engelbert, Dr. phil., ordentl.
Professor d. (»e--Lliielite an d. UniversttSt
Wien u. Mitglied d. Akademie d. Wissen-
sclialtcnda<ell>st, Redakteur d. »Mitteilungen
des Instituts für dstcnreich. < leseliiehts-
forschung«; * Grcsten 4. X. 1 S4 3 ; t Wien
17. VII. — BJ VUl, 344 (K. V. ottenthal);
BZ 13, 220. 14, 205 (Neues Arcidv d.
Oesellsehatt f. iiltere deutsi-Iie < lescluclits-
kunde 29, 26O: M. l angl; Monatsblulter d.
Vereins f. I^andeskunde v. NiederKsterreich
I')n3, 231: Mitteihmgen ti. Instituts f.
Österreich. Cicsehichtsior.schung 25, 201:
O. Redlich; Histor. Vierteljahrsschrift 1904,
133: j. Leehner; Wiener Abendpost 1903
Okt. 29 : A. Dopsch).
MQhldoffer, Julius, groOhzgl. hcss. Hoftheater»
maier; • (Jörlitz 1S59; f Bremen 26, X. —
Neuer Tbeateralmanach, 16, 170.
MOIler, Karl Konrad, Dr. phil., groOherzogl.
sächsisch. Hofrat, DircktMi .1. Uinversiiiits-
bibliothek in Jena, auch Lurschcr auf d.
Gebiete d. klass. u. deutschen Philologie;
• WUrzburg 7. VII. 1S54: f Jena 15. VI.
— Allgemeine Ztg. 1903 Heil. 33; KL 25,
936 (VV); Zentralblatt f. Bibliothekswesen
30, 356; Jahrbuch der Deutschen Biblto-
thcken 1 , 04. 3, 1 10.
Mililer, Karl Hermann, Huchdruckcr u. \'er-
lagibiichhftndler in Berlin; * Niederwerbig
Totenliste 1903 t Modersoha — MuUer.
Ü
79*
Totenliste 1903: Müller — Naumann.
b. TrcuenbricUeii 2 I.V. 1824. — Ilürscnblalt
f. d. deutschen Buchhandel 1903, 9743.
Müller, Minnn, verebel. Wollrabe, Schau«
Spielerin: s. Wollr.ibe, Minna.
Müller, Otto, Dr./Iiil., l'mfessor, Oberlehrer
a. I). d. Louisenstädt. ( iv innasiuins in Berlin ;
t Krcihiiffj i. Br. tS. II., (iq Jahn- alt. -
Jahresbericht d. Louisenstädt. G\ inna-<iuins
in Berlin 38 (1903), 18.
Müller, Therese, Opernsanjjorin ; * Oravitza
(Ungarn) 27. IX. 1S33; j Brandenburg a. H.
II. IV. — Neuer Thcatendmanacb 15, 146.
•Müller, Karl Friedrich W i I h el m , Dr. f/til.,
ordentl. lluiiurarprofessor f. klass. Philologie
an d. Universität Breslau, frOherGymnas^-
direktor,Latinist ; * Magdeburg 22. II. 1 8 ',0;
t Breslau I. VI. ~ BJ VlU, 257. (Skutsch).
Muller-Hartung, Walter, Opernsänger in
Halle .n. S. ; v Baden-Baden 6. X. — Mo-
natshertc f. Musikgescb. 36, 134 (Lttstner,
mit L).
Mttllcr-Kentz, Friedrich August, Schriftsteller
in Frankfurt a. M.; • 2. XI. 1830; f Frank-
furt a. M. 3. XI. — III. Ztg. 121, 710.
Müller-Simonis, Paul, Dr. thcoL, Domherr
in Str ißburg i. F.., Kci-fsrhrift'^teller und
Geograph; * Mühluai h ntcr-KI>aÖ) 9. VII.
1862; + II. II. — KL 25. 939 (W). 26,
41*; Keiter-Jorg, KathoL Literaturkalender
6, 212 ^W).
Münch, Friedrich Wilhelm, k. preuO. Musik-
dirL-ktor, frlilier KapellnK-i^ter d. 80. In-
fanterieregiuienta ; f Wiesbaden i. X.,
66 Jahre alt. — Monatshefte f. Musikgesch.
36, i_^4 (l.üstner).
Munckel, ICirl August, k. preuß. Justizrat,
Rechtsanwalt u. Notar in Beifia, Mitglied
d. Deutschen Reu h-tags u. preuß. Al)geord»
netcnhauses (Freisinn. Volkspartci), ferner
Mitglied d. brandenburg.ProTinziallandtags
u. 1S82 — 95 Vorstand d. Stadtv crordneicn-
kollegiums in Cbarlottenburg; * Pyrit«
(Ponunem) 23. I. 1837; f Berlin 10. IV.
— III. Ztg. 120, 5St>; Wt)che 5, 698 (P);
Kürschners Preuß. Al)gcordnctenhaus 1894,
63 (mit P); Kürschners Deutscher Reichstag
1898—1903, III, (mit P): BZ 12, 228
(Vo«JS. Ztg. 1903 .\pril 17: E. Seile.)
*Munk, Iintnaniicl, Dr. med., außerordcntl.
Professor d. Physiologie u. Vorsteher d*
>pc/icll-ph\ -ii'ldi;. Abteihing im Physiolog.
Institut an d. Lniversitat Berlin; * Posen
30. V. 1852; t Berlin i. Vlll. — BJ VIII,
82 (Pagcl); Lcopoldina 30, 103; BZ 13,
221 (^Zentralblatt f. Physiologie 1903, 251 :
P. Schult«; Deutsche Medicinalztg. 1903,
702 : ( Jros-cr; Berliner klin. Wi>clicit-«inift
»903» 770= du Büis-keymond; Deutsche
Mediitin. Wochenschrift 1903, 616: H. Bo-
mttau, mit P).
Münster, llieodor, Dr.phil., Stadtbibliothekar
in Stettin; • Plan (Mecklenburg) 1. VI.
1860: T Stettin 21. I. --- Allgemeine Ztg.
1003 Beil. 21; Zcntralblatt f. Bibliotheks-
wesen 20, 160; Jahrbuch d. Deutschen
Bibliotheken 1, 95. 2, iio.
Musiol, Robert Paul johanii (P-.eud(>n.:
M. Lo u i sj, Musikschriftsteller u. Koinpuiu>t,
früher Kantor in ROhrsdorf 1». Fraustadt
(Posen); * Breslau 14. L 1846: f kohrs-
dorf 19. X. — KL 25, 943 (W). 26, 41*;
Keiter*J«rg, Kathol. Litemturkalcnder 6,
213 (W); Riemann* 902; Monatshefte f.
Musikgesch. 36, 134 (LUstner, mit L) ; BZ
13, 233 (Kathol. Schulztg. f. Norddeutsch«
l ind i<)<)3 Nr. 461.
*>iagcl, Christi;ui August, k. sächs. Geheimer
Regierungsrat, früher Professor d. Geodäsie
an d. TecliM. llocli-rhule u. Direktor d.
Matheniat.- Pliysikal. Salons in Dresden;
• GrBnberg b. Radeberg (Kgr. Sachsen)
17. V. 1821 ; t Dresden 23. X. — BJ Vlll,
285 (A. Rcichardt); Leopoldina 39, 131;
Geograph. Jahrbuch 26, 437 (W. Wolken-
hauer, mit L).
Nagel, Leopold (eigcntl.: Martin) Theatcr-
uiei^ter am Stadttheater in Bremen; * Bruch-
sal 31. VII 1841; t Bremen 19. III. —
Neuer Theatcralmanach 15, 144.
Nanitz, Minna, früher llofopernsungenn in
Dresden; * Seehausen (Altmark) 8. X. 1842;
t Karlsbad 19. VII. — Neuer nicater-
almaiiach 15, 153; Monatshefte f. .Musik-
gcschidite 36, 135 (I^stncr, mitL); Tage»
buch d. k. ^hs. Hoftheaters 87 (iqo^^.
105. — Mit bibliograpb. Beitrag von l'rol.
H. A. Lier.
•Nasse, Otto Johann Friedrich, Dr. tiuJ..
• früher ordentl, Professor f. Pharmakologie
und physiolog. Chemie an der Universitftt
Rostock; * MiU-burg 2. \. iSv); Freiburg
i. B. 26. X. — BJ VIII, S2 (Pagel); Leo-
poldina 39, 131; PoggcndortT 057. 4,
1055 (W); BZ 13, 225. 14. 2<n) (/t-,elir.
f. Krankenpflege 1903,504: Kobert; Archiv
f. d. gesamte Physiologie lOl, ItO.Langcn-
dorflf).
Nassen, Josef, Gymnasialoberlchrer in Jülich,
Philosoph und Literathistoriker (lleine-
forscher); * WaUlbieitbach (Kheinlande)
29. XII. 1S61 ; t Jülich 20. \i. - KL 25.
947 (^W). 26, 41*; lü. Ztg. 121, 913;
Keiter-Jörg, Kathol. Literaturkalender 6,
213 (W).
Natter, Dagobert, Sänger u. Komponist,
BegrOnder der SSngergesellichaft »Die
Vogclweider« in Bn/eii: t daselbst 8. V.,
55 Jahre alt. — Monatshelte für Musik-
geschichte 36, 135 (Lttstner).
Nmimann, Brano, k. steh«. Gdidmer Kom-
-•'ü • '-i ^J^-'-'
Totenliste 1903: Ncckelmann — Oheimb.
82*
meuienrat, Großindustrieller (Fahrräder,
Nihmaschinen) in Dresden; * dasdbst
10. X. 1S44; + ebenda 23. I. — III. Ztg.
120, 196 (M. Dittrich, mit P).
^Neckelmann, Skjold, ordcntl. Professor f.
Bauentwürfe in <1. AI )t eil iing f. Architektur
an d. Tcchn. Hochschule in Stuttgart;
♦ Hainburg 24. XI. 1S54; f NcckargemUnd
b. Heidelberg 13. V. — BJ VIII, 169
(j. -a^-^l.
Nc^cndank, Otto, chcnial. Schauspieler;
* Brandenburg a. H. 31. X. 1835 ; f Bcigard
(Pomniern) 7. I. - Neuer Theateralmauach
>5» '38 (F. V. Schünthan).
*NcÄu»te, Hugo, Protest Geistlicher, General-
superintendcnt in l^n-sl ui; * Sagan (Schle-
sien) 6. XI. 1S45; t Breslau 28. Vill. —
BJ VIII. 136 (Kohlscbroidt); BZ 13, 226
(Kciih<b()to i<»o,^, Sept. 15); 'l*heolojj.
Jahresbericht 23 (1903J, 1197 (Nestle).
Nentwidi, Josef, Dichter u. Komponist in
Wien, auch Numismatiker ; • daselbst
4. H. 1S51 ; t ebenda 4. II. — Rheitihardt,
H i og raphien Wiener Künstler u. Schriftsteller
I, 398; Monatshefte f. Mttsilcgesch. 36, 135
(Lüstner, mit L).
Neumann, kaiserl. deutscher Konsul in
I^ch; t daselbst 7. VIII. — Woche 5,
1464.
Neumann, Karl, fürstl. K;inuiier\ irtuos ju D.
in Siindershaoscn; * Pest 16. II. 1839;
f Soiidcrshausen 12. 1\. — Neuer Thcater-
aliuanach 15, 157; Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 135 (Lttstner, mit L).
•Neumann, K.niil, Professor an d. k. Kunst-
akademie in Kassel, Landschafts- u. Marine-
maler; * Pojerstiten (Kreis Ftschhansen,
Ostiireußcn) 7. VII. 1842; f Kassel 4. L
— BJ VI II, 203 (Ph. Losch).
Nieriker, Josef, Kunstzeichner; f Baden
(Schweiz) 21. IV., 75 Jahre alt. — IIU Ztg.
120, 725.
Nikolaus Herzog v. WOrttemberg, k. u.
k. Feldzciit^iiKistcr u. k. Württemberg. Gene-
ral d. Infanterie a la suUe d. Inf.-Kegim.
Alt-Württemberg Nr. 121; * Karlsruh
(Schlesien) i. III. 1S33; f daselbst .»j. II.
— Goth. ilofkalender 1904, 99; III. Ztg.
120, 310 (vgl. Nr. 2791 vom 26. Dcü. 1896
mit Pi; Wuclie 5, 377 P).
Niquct, J. P., lieiitsch-hnlur. (Jeistiicher in
Adelaide (^Austr.iJienj; *tierliu; f Adelaide
30W III., 9t Jahre tdt. — Voss. Ztg. 1904
Nr. 5.
Nitschc, i. tili. 11(1 V., k. preulJ. ( ieneralleut-
nant u D., xtdctzt bis 1880 Kommandant
d. 19. Infaiu.-Hrigade; r 26. XII., 78 Jahre
alL — Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
•Nokk, WUhelro, gio6heixogl. bad. Wirkl.
Geheimer Rat und Staatsminisler a. D.;
* Bruchsal 30. iS{2; f Kiulsruhe
13. II. — BJ VMI, 3 (v. Wcech); Ztschr.
f. d. Geschichte d. Obci ilu in- 58, 540. 543
(Fmnkhauser, L: K.irlsruher Ztg. 1903
Nr. 360: V. Weech; Bad. I*resse 1903
Nr. 38; Bad. Landcsztg. 1903 Nr. 73;
Deutsche Schulwelt d. 19. Jahrhdts., hr>g.
V. O. \V. Beyer Xcipz. u. Wien i«>ü3j,
S. 21S).
Nöll, Ferdinand, k. jtrcuß. Wirkl. Geheimer
Überregierungsrat, bis i8y8 vortnig. Rat
im Ministerium des Innern, Mitglied d.
Prüfungskommission f. hiihcrc \'erw;iltiings.
bciuute u. stellvertretender Priisidcut d.
Kuratorium d. preuB. Rentenversicherungs-
anstalt, auch juristi-dier Schriftsteller;
t 27. VII., 73 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1903
Nr. fio8.
Nolopp, Werner, \'iilk>sclndlehrer u. Kantor
(zuletzt in Aken a. L.) a. D., Münnergesangs-
komponist in Magdeburg; * Stendal 5. VI.
1S35; t Magdeburg 12. VIII. — Kiemann^'
929; Monatshefte f. Musikgesch. 36, 135
(Lüstner, mit L).
Nordenflycht, Gustav Adolf Freiherr v.,
großhzgl. mecklenb.-strelitz. < )bcrlandforst-
meister, 2. Kanimer|)t;isident; • Minden
27. VIII. 1825; t Neu>trcltt/. 2. IX. —
Woche 5, ■''144; < ;<)lli. ( iencaiog. Taschen-
buch d. I icilK-ril. Hiiiiser 1905, 541.
Norncck, Marie, W iiwe des 1897 7 k. k.
l'in.in/rats />r.;ii>\ Jo^cf Kon neck, frühere
Schauspielerin (An>i.indsdanie) am Hof-
borgtheater in Wien; f daselbst 20. II.,
63 Jahre alt. — Klüggen. Bioi^rnjib. Hülinen-
lexikon I, 232; Neuer i heaieridmanach 15,
140.
•NoBtiz-Drzewiecki. Han- Florian V., k.
sftchs. Generalleutnant z. D.; * Dippoldis-
walde 18.VIÜ. 1837; t Mentone 17. III. —
BJ VIII, 239 (T.orenzen); Goth. Genealog.
Taschenbuch d. .\<leligen iiauser 1905,
560; BZ 12, 23S Leipziger Neueste Nach-
richten 1903 Heiblatt Nr. Ii).
Oberdick, Johann, J)r.phU, hawtris coHsa^
Gyronasiudirektaf' a.D. in Breslau, klass.
Philolog u. Historiker; * Herdringen 27. VI.
1835; t 26. VIII. - KL 25, 975 (W).
26, 41 ♦.
Ochs, Friedrich, Bildhauer in Berlin; f II. I.,
77 Jaluc alt. — \ o-s. Ztg. 1004 Nr. II.
Ockler, Alfred, Dr. l>hiL, Bibliothekar an li.
Universitätsbibliothek in Halle 1. S.. Natur-
forscher; • 21. III. iSGc; t Halle f». XII.
— .fVllgemeine Ztg. 1903 Beil. 296; KI. 25,
977 (W). 26,4i»
Oheimb, .\le\ander Wilhelm Heinrich
August, Herr auf Ilolzhausen b. Hausberge,
Mitbesitzer von Stadthagen (Ftfrstentum
Scbaumburg'Lippc), k. prcuO. Wirklicher
83*
Toteidiste 1903: v. Oidkman — Plngenstecher.
Ccluinicr Rat u. l.^imlrat a.D., füistliili
lippc^clicr kabiiicliMiiiiii^tcr.i. 1)., Vorsitzen-
der d. ProvinritüUndtajirs d. I'rov. Westfalen,
1 S7 1 — 74 II. I SS r 84 Mitjjlictl (l.I)cm>;i-hcn
Keichstags f. Miiulcii-Lübbccke (koiiscrv.j,
EbrenbOrger d. Stadt Minden; * Ensen
(Schaunibiirg-Lii>i)c) 19. I. 1S20; t Hol/-
hauscn 8. VIII. — Illustr. Ztg. 121, 279;
Schoenfeld, Noticbuch f. Reichstagswftbler
5, iNo; Coth. r.cnoalog. Taschenbuch d.
Adeligen Häuser 1904, 569.
*Oidtraaii, Hugo v., k. preuB. Oeneral d.
Infanterie z. I). ; * I iiLP 20. \ 1835;
t Sondershausen 22. III. — ÜJ VllI, 256
(I^renxen).
Olbrich, Irin^^nrd, Schau!;|>iclcrtn.'im Rcsidcnz-
Ihcatcr in Dresden; f Dresden 5. IX. —
^'lU^I^en, Hio^raph. BUhnonIcxikon l, 233;
lCisenln.1;;, (iioßes biograph. Lexikon d.
Deiitselien Huhne 737; Neuer Theater»
.ilnianach 15,1 56.
Oldcnbourg, Kutlulf, Verlag'sbuchhiindler in
München; * Leipzig 1 5. XII. 181 1 ; f M«»-
ehen 10. X. — Hl. Ztg. 121, 607; Woche
S, 1924 (P); Bi'irsenbl.itt f. d. deutschen
Huchhandel ic)<>^ S0S6. 8174. S30S; W/.
■ 3» 232 (Deutsclic HuchhandeUblütter 4, 23).
Oelhafen, Karl v., k. bayer. Gcncmlmajor
I.D.; t Uamnielbiirg 17. XI., 5S Jalire
alL — III. Ztg. 121, 84 1; Voss. Ztg. 19U4
Nr. 3.
Ocmisch, Walter, lyr. Dichter ii. Scliriftstcllir;
• H.iUc a. S. 10. \ I. 1S7S; j daselbst im
Januar. — KL 25, 979 (W). 26,41*.
•Oppel, Karl, Dr. p'hil., l'ildagog u. Frei-
maurer, auch Novellcudichtcr; * Frankfurt
a.M. 9. VIII. 1816; t daselbst 12. V. —
BJ VI II, 218 (Brammer); KL 25, 987 (W);
BrUtnmorS 170.
Oppen, Hans .\ lex ander Konstantin v.,
k. preuß. Cencrahnajor /. D. ; • Kieckbusoh
17. VI. iS/yS; + Schöiicl)crg 1). Berlin 7. VI.
— Voss. /tg. 11H14 \r, j; Goth. Genealog.
I ,i-> liLii!iui h (1. .\deligen Häuser 1905, 594.
Oppenheim, Amalie Aurelic Freifrau v.,
Gemahlin d. liankiers u. KennsLillbcsit/ers
Eduard Freiherm t. O., k. u. k. General«
konsnls a.D. in Ktiln; • 29, V. 1835;
•f Ki-ssingcn 5. VI. — Woche 5, «054;
Goth. Genealog. Taschenbuch d. Freiherrl.
I irniscr I (JOS. 550.
Oppenheimer, Ludwig, Musik.schriftstellcr in
Wien; f daselbst 24. I., 75 Jahre alt. —
M<'nat!>hefkef.Musikgesch. 36. 1 35 (Lüstner).
Omy, r. (Pseudonym), Dichterin: s. Po-
zorny, Tony.
Orth, Philipp, Lehrer in Darin-itadt, Liedei^
Komponist; f Darmstadt 30. XII. —
Monatshefte f. Musikgesch. 36, 135 (Llistner,
mit L).
Oertzcn, Otto, />/-./>/;//., flymnasialnberlehrer
in Schwerin, .Nuinisiuatiker; * daselbst 9. II.
««55? t 5- VIII. — KL 25, 981 (W>. 26,
Oschmann, Adolf, Geistlicher. — Ztschr. f.
d. Geschichte d.(M>eRheins $8. 729 (Kaiser,
L: Evang.-hither. Friedensbote v. Elsafl»
Lothringen 33, 367).
OBterloh, G. Ed., k. sichs. Genendmajor z. D.,
zuletzt Kommandeur d. FuOartillcric-Reg.
Nr. 12; t IG. VI II., 61 Jahre alt. — Voss.
Ztg. 1904 Nr. 3.
Ostcrmaycr, l'.ugen, />;-./////., i'hciniker,
Entdecker d. .Sozojodols, Jodopyrins u. a.;
t Erfurt 7. III., 53 Jahre alt. — Leo»
poMina 39, 86.
Oesterreich: Elisabeth Ershersogin v., s.
Elisabeth.
— Klothilde Maria Endxenogin ■. Klo-
thilde Maria.
Ostheim, Emil Kreih. Marschalk v., Altcr-
tum<«forschcr: s. Marschalk v. Osthetm,
Emil Freih.
*Oswalil, Heinrich, /-'r. Mt.v/., pilpstl. Hau!>-
prllat, ordentl. Professor f. Dogfmatik am
I.ycctim Nosiiimim in Braunsln r;^ ; * Dorsten
(Westfalen) 3. VI. 1817; f brauasbcrg
1, VIII. — BJ VIII, 194 (F. Lauchert);
Keiter-Jörg. Kathol. Litt r.itnrkali lulcr d,
225 (W; ; I heolog. J.il)resbericht 23 (1903^,
1 197 (Nestle, mit L).
Ott, Karl, Sänger 11. Schauspieler am Stadt*
theatcr in BrUnn; * l'reOburg 1843; \ Bffinn
30. Vni. — Flüggen, Biograph. Btthnen-
lexikon 1,234; Neuer Theateralmanadi 15,
155.
Ott Edler von Ottenkampf, Theodor,
k. k. FcUIniarschalleutnant; f Wien I. I.,
im 72. Jahre. — Woche 3, 54.
Otto, Anton, Hnfbuchhündler in Neustadt a. H.,
Musikfreuiui : t 3. Xii. — Börsen*
hiatt f. d. Deul>i h. Hucldiandel i<)03, 10346.
Oven, V,, Dr., Senator, clieuial. i. Bürgcr-
meiittcr von Frankfurt a. M.; f daselbst
27. X!., S7 Jahre .-Ut. — Wo. ho 5, ?t8a
Paalzow, Felix v., Dr. med., S.nm.itsrat,
Mi^ied d. Direktoriums d. Versicherungs-
kammer f. d. Arzte Deutschl.inds; * Pl.iue
15. V. 1844; f Berlin 5. IV. — Lcopol-
dina 39, 103; Vita in P.s Dissertation:
über d. EinHuß d. liautieize auf d. StoiT-
wcchscl. Bonn 1871.
Piaar, Alfons Graf, k. u. k. Kimmerer;
• Kaidiir Kcrir 14. V. 186S; + L.liL 1»
22. L\. — Goth. Hofkalcndcr 1904, 380.
Pagenstecher, Rudolf, k. preuO. General-
major z. D., zuletzt bis 1892 Inspektor d,
3. Festungs-Inspektion: * 8. Vll. 1838;
t Wiesbaden 23. VIL — Voss. Ztg. 1904
Nr. 3; III. Ztg. 121, 24s.
-•'ü • '-i ^J^-'-'
T4»teiiliste 1905: Pankow — Petsch. 86*
85*
Pankow, Mario, Souffleuse ; + 1 l.mil.urj? 5.VIII.
— Neuer Thcateraliuanach 15, 154.
PappeiiCz, Robert Benjamin, Dr. phiL,
Prorcflsor, Organist an d. Nikolaikirche zu
Leipzig u. Lehrer f. Harmonie u. Kontra-
punkt nni k. Konservatorium d. Musik da>
selbst, Komponist; * Pirna 4. XII. i8a6;
t T.ci[vi£r 20. IX. — ■ Riemann'' 075;
Moniit^hclu- 1. .Mii>ikf^e>cli. 36, 1 ^5 (l.ü>tner,
mit L)
Panvicini, Emil, Hc>it7er d. Kaltwasserheil-
anstalt Albiübrunn (Kanton Zürich, Ge-
meinde Hausen); * ICnnenda (Scbweiz,
Kantnn filnrus"! 1840; f im Januar. —
Virchows Jahresberichte 38, 1,43 1 ^LUstner,
mit L); BZ I3, 285 (Korrespondenzblatt f.
Schweizer Arzte i'KW 304 : Walter).
Pasqualati von Osterberg, Amaiia Kreiin v.,
Ifeb. Vogl, verdient um d. Dilettanten»
Schauspiel in Wien, später auch Leiterin d.
Harmonictheatcrs daselbst; * 19. V. 1823;
f Wien 21. III. — Neuer Theatefahnanach
IS* >44' ^"tl). Geneal(>[>[. T.oscllCIlbuch d.
Freihcrrl. Häuser 1897, 722; VVurzbach,
Biograph. Lexikon des Kaisert. Österreich
21, 3i<;.
*Passini, Ludwig, Professor u. ordentl. Mit-
glied d. Akademie d. Künste in Berlin,
Aquarellmaler; * W ien <). \'l I. 1S32 ; t \ enc-
dig 6. XI. — BJ Vlll. 25 (II. Schmerl.er);
Das geistij^c Deutschland 1, 510; BZ 13,
«37 (Voss. Ztg. 1903 Nov. 7; Berliner
Neueste Nadirichten 1903 Nov. 7: G. Büß).
Paster, Clvuicns, Dr. med., prakt. Arzt in
Mflnchen, frflher in den Tropen titig u.
Kenner ihrer Medi/in; + München im Fe-
bruar. — Münchner Mcdiz. Wochcnachiift
1903, 36a
Pauling, Adolf, ehemal. OR-hcsti'rmit<,'lifd ;
• 14. IV. 1835; t Oldenburg im erst. Viertel
d. Jahres. — Neuer Theateralmanach 16,
t66.
Paulyi Frau Tony (Pseudon.: Antoinctte,
Cyrillus, Antonias, Hans Czirn),
Dichterin u. Ju^^endschriftstellerin in Berlin;
• LiebcmUbl (Ostprcuü.) 13. IV. 1842;
t 8. VI!. — Pataky, Lexikon deutscher
Frauen d. Feder i, 119. 2, 153 (mit W);
KL 25, 1005 (W). 26, 4i».
*Pccht, Friedrich, Maler u. Kimstschriftstellcr;
• Konstanz 2. X. 1S14; f München 24. IV.
— . BJ VIII, 51 (H. Holland); 111. Zt- 120,
660 (H. Steinbach, mit P); Ztschr. f. d.
Geschichte d. Obenbeins 58, $43 (Frank-
hauscr) u. BZ 12, 247. 13, 23S (Kunst f.
Alle 18, 369; Kunstcbronik 1903 Nr. 26
u. Zeit 1903 Nr. 449: F. v. Reber; Mflnchn.
Allgemeine Zt5». 1903 Nr. 1 14 .Vbendblatt:
K. Voll; ebenda Nr. 117 Abendblatt:
O. Moialt; Bad. Landesttg. 1903 Nr. 190;
Frankfurter Z«,'. 1903 Nr. 121 Mori^ciiM.itt:
G. Uabicb; Neue Zürcher Ztg. 1903 Mai 1 1 ;
Hannov. Courier 1903 .April 28; Berliner
Tajjeblatt 1903 April 27 ; Augsbuiger
Abendztg. 1903 Sammler Nr. 53).
Peiser, Karl, Musikalien- u. Instrumentcn-
häiidlcr ((lebrüder Hug & Cic.) in Leipzig,
auch .Musikhistoriker; + Leipzig iS. IV, -
KL 25. i(X)7 (W); Börsenblatt für d.
Deutschen Buchhandel 1903, 3118. 3210;
Monatshefte f. Musikgesch. 36, 136 (LUst-
ner, mit L).
*Perels, Ferdinand, k. preufl. Wirkl. Geheimer
Rat, Direktor d. X'erwaltunfjsdepaitcim'iits
der Kcichämarineanits u. stellvertretender
BevoUmftchtigter zum Bundesrat, ordentl.
Honorarpnifcssor d. Rechte an d. Universität
Berlin; * y>. VI. 1836; f ebenda 34. XII.
— BJ VIII, 151 CA. Teichmann).
Persius, Konrad, Prediger an d. Heiligciigcist-
kirche in Potsdam, ehcmal. liausgcisUichcr
Kaiser Friedrichs III.; f Potsdam 13. VII.,
66 Jahre alt — Woche St 1372; Voss. Ztg.
1904 Nr. 5.
Peschka, Gustav Adolf v., Dr. phiL, k. k.
llofrat, ordentl. Professor an d. Techn.
Hochschule in Wien, Mitglied d. Akademie
d. Wissenschaften daselbst; * Joachinist.il
(Böhmen) 30. VIII. 1830; f Wien 29. VIII.
- I.copoldina 39, 132; KL 25, IOI2 (W);
Poggendurff 3, 1024. 4, 1043.
Peters, Pieter Fnuicis, Lan<l$chaftsmaler;
* Nijmwcgcn 1818; t Stuttgart 2 ^ II. -
Muller-Singer, Allgemeines KUnstlerlexikonS
3, 414; IH. 25tR. 1», 347.
Peters, Wilhelm, Historienmaler in Berlin;
\ 14. 85 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1904
Nr. II.
*Pctcrsdorfr, Kmst v.. k. ]>rcu(3. Gtucr.d-
Icutnant z. D. ; * Friedeberg (^Ncumark)
»2. VIII. 1841; t Berlin 25. II. — BJ VIII,
203 ( I orenzen).
*Petersseii, George Rudolf, Dr.jur. honoris
etmtOt kaiserl. deutscher Wirk!. Geheimer
Rat, Senatsprftsidcnt am Keich^gcHcht in
Leipzig;* Osnabrück 25. III. 1826; f Leip-
zig 37.11. — BJ VIII, 268 (A. Teichmann).
Petrenz, Rudolf, W-rlagsbuchhamller in Neu-
ruppin; !• d isflbst 24. I., 74 Jalirc alt. ^
BHrscnhlait f. d. Deutschen lluolihaiukl 1903,
776.
Pctri, 1 hcotlnr Hennann. latigjidir. Hürger-
nieister v. Detmold; f dasell>st 13. I., im
55. Jahre. — Voss. Ztg. 1904 Nr. i ; Woche
5. 144 (mit P).
Petry, Charlotte, vcrehcl. Wilhelmy, Pianistin
0. ^gerin: s. Wilhelmy, Charlotte.
Petsch, Franz. Maiinc-Ohcrhattrat a. D., zu-
letzt Maschinenbetrielisdircktor in Wilhelms-
haven; t Chatlottenburg 8. XIL, 59 Jahre
1 j vjoogle
if
Totcnliste 1903; Pctsch — v. Prcysing-Lichtencgg-Moos.
88*
nit. III. Ztg. 121, 753; Voss. Ztg. 1904
Nr. ij.
Petsch, Walter, 1879—92 Rat am Reichs-
jjcri.lit in l.cip/.ij,'; + 22. VIII., 77 Jahre
alt. — \ oss. Ztg. 1903 Nr. 5.
Peucer, Karoline, geb. Wieland, letzte
Enkelin d. Dichltrs; f Weimar 6. XU.,
SVjalirc alt. — Hl. Ztg. 121,956.
Pfaff, Albert, Kommerzienrat, Chef d. großen
M..htirirm.i J. C. Pfair in Ikilin; f 24. 1.,
61 J;»hrc alt. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 13.
*Plitzner, Wilhelm, Dr. med., auOerordentl.
Professor f.toiwjjraph. Anatomie u. I'nxtktor
an «I. ^nivc^^^ität StrafJbiirff i. K. ; * ( jUIc-n-
burji (^Il«»I>tLin) 22.\1II. iSc;;?; f StraUbiir;;
I. I. Hj Vlir. 82 (P>-il : l.copoldina
39,44; Ztsclii. f. il. flc-^lis. htc (I. (»l.tr-
rhcins 58, 729 (^Kaiser, L_) u. WA 12,
(Archiv f. {iflfentl. Gesimdhcitspflcge in KUali*
l.ntliiiiif^'cn 22, 256: H. Freund; Ztschr. f.
Morplicilogic und Aiilbrupologic 5, \' :
G. Schwalbe).
•Pflügcr, Km^t, /'r. tit:,f.. ordenll. l'r<»fes-;()r
d. Augenheilkunde an d. L niversitht Uem;
* Bttren a. d. Aare i. VII. 1846; t Bern
30. I\, Hl VIII. 104 d'a-cl:: WA i.^,
242 (Klin. Monat>blatter f. .\iigenlKil künde
1903, 549: A. Sieprist; Deutsche Medizin.
W'oi'luMi^chrirt l'n'.v ■^.V: I'"- StdCLjcr. mit
P ; DerUiind 1903 ( >ktuber 5 u. 6 : \ .lieiitinj.
Philippovich von Philippsberg, Kranz Krcih.
V., k. k. Wiik!. Gelicinier Rat u. Fcltl/ouj^-
nieistcr i. K. ; • Guspio (Kroaliin) 12. X.
1820: t Wien 7. VI. — III. 7.X\r. 120, 025;
(lotb. Genealog. Tasclu Iii u i: I. I iciluiil.
liaiiscr 1905, 582; Wurzbacli, IJiojjrapli.
Lexikon <I. Kai-;crt. Österreich 22, 20S.
Platte, Augu-t, Gencialdircktionsrat «I. lUter-
reirli. Slaat-~l»ahncn, l-'ach-i-litiU-tclkr. ,niol»
>( h ach-puler; t Wien 4. \., 7.5 Jalne alt.
III. Ztg. 121, 571.
Pochmann, Kdiiard, Regisseur am Thalia-
iheater in li.iuiburg; • Dre>den 17. .\1.
1839; t Hamburg 20. XI. — Neuer Theater-
aiiuanach l6, 17;; Ki-cn!icr>j. < irnßi-s bio-
graph. Lexikon d. Deutschen Kühne 773.
Pohler» Armand (Pseudon.: Augustus),
Regisseur des Kai>er- |ubi!iiutn>theater in
Wien, auch Dichter u. .Schriftsteller; * Wien
24. I. 1852; r im Dezember. — KL 24,
1094 (W). 2b, 41 *; I5Z 1 3, 24G Ostdeutsche
Kundschau 1903 De/.ember 12).
Pohlschrttder, Philifip, ()rg.Tnist u. Musik-
IlIult in Ali.iu«. 1 Westfalen) ; f daselbst
3. .\1., 82 Jahre alt. — Monatshefte für
Musikgesch. .?6, i.;6 (LUstncr, mit L).
Polenz, Wilhelm v.. Rittcrgutsboitzer auf
.SchlolJ < )ber-t"unewalde (Königr. Sachsen),
Dichter; * Uber-Cunewalde 14. I. 1861;
t Dresden 13. XI. — lU. Ztg. 121, 800
rM.W.dlbers,'. mit P»; HZ 13, 246. 14, 22S
^ticgcnwait 1903 Nr. 48 u. 1904 Nr. 2ü:
H. Ilgenstein; Neue preuS. Ztg. 1903 Dezem-
ber 10: Derselbe; I^as Land 12, 6<) u.
Kbein.-wcstfal. Ztg. 1903 Dezember 0:
E. Kalk<<chmidt: Zeit 1903 Nr. 477:
M. Cj. Ciinrad; I ,ei]). ;i^er Ztg. i^o_^ Wi>>en-
sehaftliche Beilage Nr. 139; Ernstes Wollen
15, 237: H. Driesmans; Frankfurter Ztg.
1903 Nr. 18: J. l\ttlinger; Leipziger Neuotc
Nachrichten 1903 Heil. Nr. 29; Der Kunst-
wart 1904 Heft 7, 444; Deutsche Rundschau
1904 Februar S. 303: (.). I'rr>mmel); Brttm-
n'cr* 3. 237. 527 (mit W>; KL 25, 1041
(W).
Pollhammer, Josef, Dr.Jur., Notar in Krems,
»»l>mann d. Allgemeinen Niedcriistcrreich.
\ i»lksbildung>vercins, Dichter; * Aus^ie
(Steiermark) 20. II. 1832; f Krem^ 2. \.
III. AA't. I 2 1 , 571 ; kl 25. to.j ? W ). 2(>, 41*;
Brummers 3, 239. 527 (^mit : Wurzbacb,
Biograph. Lexikon d. Katsert. Österreich 23,
86 (mit L ; HZ 13, 246 (Voiksbtldungs-
bhttter 1903, 102).
Pommer-Esche, Albeit v., k. preuO. Wirkl.
Geheimer Rat, 1S90 — 97 Olicrpra-ideiit d.
Prov. S.nchscn; * Berlin 14. \ L 1S36;
t Berlin 6. Xtl. — III. Ztg. 121. 956.
Pott, l'.iul V., k. k. Kontreadmiral, Komman-
dant d. Seearsenals in Pula; f daselbst
14. I. -- Woche 5, 144.
Pott, Hermann, RichartI, /V. ///««/., Professor
f. Kinderheilkunde an d. L'nivcrsitat Il.xllc
a. S., Direktor d. Kinderheü- u. Pflegestätte
d. \'.iterländ. FrauenTeietns ; • Halle a. S.
22. X. 1840; f Wernigerode 26. IX. —
Virchows Jahresberichte 38, I. 421 (P.igel,
L); Pagel 1319; Lexikon d. hervorragend.
Ar/te 4. 618; HZ 13,247 l Arcliiv f. K'uder-
heilkunde 37, 491 : Ha^insky; j.dubuch f.
Kinderheilkunde 5S, Soo: O. Heubner).
Pozomy, Tiinv (Pseudon.: T. <>rnv, J. v.
Hriinnj, Dichterin u. Jugeiuiscluiltstellcrin;
• Brtinn 8. II. 184 1; f 16. IX. ~ KL
25. 1049 fW). 26. 41*; l'at ikv, 1 e\iknn
Deutscher Frauen d. Feder 2, 151 iimlW;.
Prenxlau, K. v. (Pseudonym), SchriRsteller:
». Zastrow, Karl.
Preuti, Georg, Oberlehrer f. Ciriecbisch u.
Latein am k. G>-mnasium u. Realschule in
Thorn; • Schroop Kieis Siuluni 13. VII.
l8üO; f Thorn 29. 1. — Jahresbericht d.
Gymnas. in Thorn 1902/03, 33 (H.K.anter).
Prcysing-Lichtenegg-Moos, Johann Koii-
rad Friedrich Franz Leopold Konstantin
Heribert Graf v., Fideikommifiherr auf Moos
(Oberbayern) u. erbl. Reichsrat d. Krone
Bayern, k. bayer. Kämmerer, Kapitular-
Groflkomtur u. GroOkanzler des k. bayer.
St. Georg-Ordens, mehimals Mi^Iicd des
Totenliste 1903: Priebatsdi — Reditem.
90*
Diut>i hen Reichstags (Zentrum); * Zeil
(WurUcmbcrg) 16. III. 1843; f MUiich«;n
6. VI. — Goth. Genealog. Taschenbuch d.
(jräfl. Hilu<er l«>o4, 636; Woche 5, 1054
(P); BZ 12, 257. »3, 248 (Histor.-polit.
, Blltter 131, 926; Germania 1903 Juni 9;
.Aufj^hiirgcr Ahcnd/t^. 190; Juni 7 u. 9;
Baycrlaitd 14, Nr. 47; iJeuticher Haus«
schätz 39 Nr. 41): ^* Haiti) Zum Ge-
dSchtni-S (1. Grafen |. K. F. v. 1\-T,.-M.
MOnchcn, Oldcnbourg, 1905 (mit Pj.
Priebatsch, Leopold, Mitinhaber der von
iliin 1S61 in IJresI.ui liej^ründcten Kun^^t-
u. Landkartenhandlung; f daselbst 5. XI.
— Börsenblatt f. d. Deutschen Buchliandcl
1903, 9063.
Primbs, Karl Johann Nepomuk, k. bayr.
Reicbsarchivrat in München, Historiker u.
Henüdiker; • Passau 25. III. 1S26: t .Mün-
chen 19. XI. — Archival. Ztg. X. I". 11,
303 ((). Kietler, mit W); W'rhanillunyen
d. histor. Vereins d. Oberpfalz 55, 395
rH/ugo" f.. r it W. aldcrdorfT.]).
Prott, Hans Ihcodor Anton v., Dr, phil.,
Mi^lied d. Devlsclien Archftoloir- Instituts
in .\then, .\rchäolog; • Hannn%er 4. VIII.
1869; f Athen 14. iX. — Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 314; VUa P.s in seiner
Dissertation : Fasti Graecorum stterL IJpS,
1893; III. Ztg. 121, 523.
*Pnewloka, Thomas, Geheimer Oberjnstis-
rat u. Vortrag. Kat im preiiß. Jtisti/niinisic-
rium; * Nicderkuiuendorf 7. XII. \^%2\
t Berlin 36. IX, — BJ Vlll, 149 (A.Teich-
minn).
Puchta, Anton, Dr. phil., ordenti. Professor
d. M.nthematik an d. Uni%'ersitftt Czcmo-
witz; * Altsattl b. Haid 4. III. 1851;
+ Czcriio>vitz iS. II. — Lcopoldina 39, 48 ;
l'oggendorfl" 4, 1199 (W); Allgemeine Ztg.
|i»<'3 Heil. 45.
Pückler und Limpurg, Eduard Karl Kurt
Graf, kaiserl. deutscher Stationsrliel in
Kamerun; • München 28. .\. 1S75; t Hasso
f Kamerun). — 'Inth. fJene.ilog. Taschen-
buch d. Gräfl. Häuäcr 1904, 173; III. Ztg.
133, 218.
•Punkes, Josef, Dr. ihcol., CeistÜcher Rat,
Professor d. Theologie am Lyzeuni in
FVeising-; * Eck b. Isen (Obcrbayem) 16. II.
1S35: + Freising »3. X. — BJ VIII, 445
(F. Lauchcrtj.
Pntiger, EraO, ehemal. Orchesterroitglied;
• Nciumburg 10. IV. 1S3S; t Lübeck 29. XU.
— Neuer Theateralmanach 16, 176.
Raab, Franz, Dr. pkil., Gj^nnasialprofessor
in Wien, lyr. u. dramat. Dichter u. philosoph.
Schriftsteller; • Ried i«. .\. 1836; t4.V.
— KL 34, 1116 (W). 26, 41».
lUud» von Rabeaau» Karl, Chefredakteur
d. » Tage-ipd-t« in Gr.iz; *NassenfuÜ 25. IX.
•J>49; t ^J^'-^- 28. I. — KL 25, 1062. 26,
41*; BZ 12, 260 (PKdagog. Ztschr. 1903
Nr. 4: M. Camiizri).
Kadcliffc-Grotc, .\ugust, Professor, Kntonio-
log; f Hildesheim I3. IX., im 63 Jahre.
- Woche 5, i6<)o; WA 13, 351 (Insekten-
börse 1903, 305 mit P).
*Radde, Gustav Ferdinand Richard, Dr.
phil., kaiserl. ru>>. Wirk). Staatsr.it, Direktor
d. Kaukas. Museums in Ullis, Reisender
u. Naturforscher; • Danzig 27. XI. 183 1;
t Tiflis 15./16. III. — BJ Vin, 39
(V. Hantzsch); Leopoldina 39, 121. 135
(O. Drude u. O. Taschenberg, mit W);
BZ 12, 260. 13, 251. 14, 23-' <;aea 1903,
197: Btittger; Ornitholog. Monatsschrift
1903, 61; Naturwissenschaft!. Rundschau
1903» 309* A. Jacobi; Ztschr. f.Omithologic
'903, 49; Nation.alztg. 1903 Marz 20:
E. Zabel; Schlcs. Ztg. 1903 .Nr. 202; Inter-
nationales Archiv f. Ethnographie 16, 78;
Ornitliolog. Monatsschrift 28. 390 u. Journal
f. Ornithologie 1904, 1 : R. Blasius, mit P);
Aquila 1903, 308: O. Henman; Ztschr. fUr
Ornithologie 28, 18).
Kapp, Adam, Dr. nud., Hofrat, Arzt in
Reichenhall, besirksirstl. Stellvertreter, Vor»
sitzender tl. ärztl. Hezirks\ crcins TraunstLin-
Reichenhall, Delegierter d.oberbayer. Ärzte-
kammer fär den Obeimedixinalausschufl;
* 29. XI. 1S43; t l'-^'"- - \'irtho\vs
jaliresbcrichte 38, 1, 421 (Pagel, mit L).
Kappoldi, Edimrd, k. sKchs. Hofrat, k. preuO.
Professor, Konzertmeister bei d. k. Kapelle
u. erster Lehrer cL Violinspiels a. D. am k.
Konservatorium der Musik in Dresden,
Violinist; • Wien 12. II, iS^c r Dresden
16. V. — Riemann^ 1067; Dresdener Kunst
3 (1898). 1027; Dresdener Kundschau 3
I 1S04) 29. 7 (1898) Nr. 51; Tagebuch
d. k. siii-lis. Huftheater 87 (iq()3\ ino:
A. Koliut : D. Dresdener Hoftheater (Leipzig
1888) .S. 410; Neuer Theateralmanach 15,
148; III. Ztg. 120, 858; Woche 5, 920 (P);
Monatshefte f. Musikgesch. 36, 136 (LUst-
ner, mit L). — Mit bibliograph. Beitittgen
V. Professor H. A. Licr.
Kathenau, Erich, Direktor d. Kabelwerke d.
Allgemeinen Elektrisitiltsgesellschaft, her-
vorragender Elcktroterhniker ; + in Ägypten
19. 1. — Voss. Ztg. 1904 Nr. 13.
Redlberg und Rothenittwen zu Hohen-
rechbcrg, Walpurga Marie Julie, Witwe
d. Grafen Albert (1803— 1 885); * München
16. 1. 1809; fDonzdCKrf(Wttrttemb., Donau-
kreis) 6. IV. — Goth. Hof kalender 1904,
176.
Reehteni, Emil, kaiserl. deutscher Geheimer
Admiialitltsrat u. vortrug. Rat im Reichs-
Totenliste 1903: Reginus — Riditer.
92*
mnrincatnt; f GroO - Licbtcrfclde 3. V.,
64 Jahre alt. — Hl. Ztg. 120,
Reginus, J. (Pscudon.), Dichter: s. Bretzl,
Jos.
Refchenheim, Georg, Dr., Mitinhaber der
Kirina N. Kcicbcnhcini »K; Sühne, Kutist-
saiiiDilcr 2. Xll., 61 Jahre alu — Voss.
Ztg. 1904 Nr. 13.
Reich, Kudoir, Inhaber d. \'orlags- u. Sorti-
mentsbuchhandlung C. DctlofT in Basel;
• Offcnbacb a. M. 30. IX. 1849; t Hamburg
2. I. — Hörsenblatt f. d. Deutschen Buch»
liiindcl 190J. 112. 2063. 52.^9. 5626.
Reichl, Kduiud, Dr. Jnr., Justizrat, Landcs-
advokai in Kger, Lokalhistortker; * Amons-
j^Tün iS. I. 1S40; t I-'gcr 10. IX. III.
/tK- 121, 52.1; KL 25, 1079 (^W). 26, 41*.
*Reichmann, Theodor, k. k. Kammersänger
(Hnritnni-t) \\\ Wien; * Rostock iS. III.
1S49; f Mülbach am Uudeusee 22. V. —
Bj VIII, «19 (R. Heuberger); Rienann^
107S: l'iscnln'rp. Crnlk's hinfjraph. I-c\ik(>n
der Dcut>chcu Bühne äio; III. Ztg. 120,
858 (u. Nr. 3029 vom 18. Juli 1901, mitP);
WocIiL- 5, <|'>S 1P1; Ncuci '1 lu'atei.diü.ui.u h
15, 58 (mitl*); HUggcu, Biograph. Buhnen-
lexikon I, 253; Monatshefte f. Musikgesch.
36, 1.^6 (l.ll>tner, mit Li; HZ 12, 2(>^ 13,
'54 ( f ägl. Kundschau 1 903 Mai 26 ; Ham-
burger Nachrichten 1903 Mai 26: M. Graf;
Aup^Iniij^cr Abcndztg. 1903 Sammler Nr. 66;
BayreutUer Blätter 1903,224; Bühne u. Welt
5. 923.
Reifcnkugel, Karl, Dr. phil., k. k. Regierungs-
r.it u. Hihlioihfkar, N'orstatui d. l'nivcrsitäts-
bibliotluk in C/L'rnowit^; •Lemberg 31. XII.
1S46; T C/emowitz 20. X. — III. Ztg. 121,
6S1; All;,'<.nicine Ztg. 1903 Reil. 243.
Kclilmann, .\ugust, Dr. phil., Nbisikschrilt-
stelkr II. Komponist in Berlin; * Franken«
stein (Schlesien) 14. 1S25: r Wiesbaden
I. XU. — Kieniann^ 10S3 (mit W); RL 25,
1068 (W). 26, 41*; Neuer Theateralmanach
16, 173; Monatshefte f.MusikgCSCh. 36, 136
ü.üstner, mit L).
Reite, Alfred, Inhaber d. Sortiments- u. Ver-
laj^slnichliarHÜiing Keitz & Köhler in Frank-
furt a.M. ; * Landäberg(Ostpreußen) ; j* Frank-
ftirta.M. 27.!. — Börsenblatt f. d. deutschen
Buchhandel i')03. (,06.
Renner, Ludwig, Ur. thcol. et phä.. Ober»
konsistorialrat u. Hufprediger in Hasserode
b. Wernigerode, Superintendent u. erstes
gcistl. Mitglied d. fUrstL Stol bergischen
Konsistoriums; • 10. IV. 1834; f Wernige-
rode 2(). XI. — V'oss. Ztg. 1904 Nr. 5;
1 heulug. Jahresbericht 1903, 1 197 (Nestle,
mit L).
Resch, Eduard, Dr. med., Kanti)nalarzt in
Saanmion, Begrtlnder d. Deutschen Uebam-
mcnvercins ; * Durstel (Elsali) i S58 ; f 20. 1 V.
— Virckows Jahresberichte 38, I, 421
(l'a.ircl.roitL): HZ 12, 265(.\rrliiv f. ..fli'entl.
Gesundheitspflege in Ehali-lA)thringen 22,
380: Köster; Allgemeine deutsehe Hebam-
imn/tg. 1903,203: Ch. HammK
KcuÜ jüngere Linie, Eleonore I'rinzessin,
gel». GrSfin «i Stolberg- Wernigerode,
Schriftstellerin: s. Eleunorc.
— , Marie Prinzessin, vcrw. Oräfm zu Stol-
berg -Wernigerode: 8. Stolberg-Werni-
gerode, .Marie Gräfin zu.
Reuter, Llisabeth, Land^^chaftsmalerin in
Lübeck; * daselbst 21. IX. 1853: + Heidel-
berg um die Mitte des Jahre-. III. /\^.
120, 725; Mullcr-'^inger, Allgetn. Künstler-
Icxikon 3 4, 47; Das geistige Heutscbland
Reuter, Karl, cheinal. Schauspieler; f Berlin
im Februar, Uber So Jahre alt — Neuer
Theateralmanach 15. 140^
Reuter -Kichberg, Leonie, Schauspielerin;
* 2. XL I S85 ; ertrunken im Bodensce 1 8. V.
— Neuer Theateralmanadi iSi 150.
Reyher, Gustav, Dr. med., kaiserl. russ. Staats-
rat, früher Dozent f. klinische Medizin ao
der UniversitSt Dorpat; * Riga um 1831;
f Hoipat 31. X. - - Virchows Jahresberichte
3S, I, 42 1 (Fagcl, mit L) ; Allgemeine Ztg.
1903 Beil. 294.
Reinhardt, Karl, Dr., kaiserlich deutsdier
Konsul in Buschir (Fersien); hervorragen-
der Sammler; f München 25. XL — Voss.
Ztf^. I 'ji '4 Nr. 1 i .
Rcitz, Martin, Beamter d. Vereinigten Stadt-
theater i\\ Frankfurt a.M.; • daselbst 3. VlU.
1827; t ebenda 19. XIL — Neuer Theater-
almanach 16, 172.
Rheinau, Eugen, bad. Oberst. — Ztschr. f.
d. Geschichte d. Oberrheins 58, $43 (Frank-
hauser. L: \. Dämmert im Bad. MUitlr*
vcreittskalendcr 1904, 80 — SS).
RheinfeMcr, Friedrich, Tier- u. Genremaler,
vormals Mitglied d, österr. Gesandtsch.ift
in Hannover; • Wien 19. IV. 1838; \ Götz
21. VIH. — III. Ztg. 121, 175.
Rhodc-Kbclinsr, HcMiiiiin, ^ -liausi.icler u.
Oberregisseui am Luisentheatcr in Berlin;
* Hamburg 30. VIII. 1843: t Berlin 30. 1.
— Flüggen, Biograph. Hühncnlexikon I,
255; Neuer Theateralmanach 15, 139.
Riehter, Ferdinand, Dr., emeritierter Prediger,
Mitglied des preufl. Abgeordnetenh.iuses;
* 25.11. 1822; f Martendorf b. Berlin I2.X.
— III. Ztg. 121, 607; Theolog. Jahres-
bericht 1903, 1197 (Nestle).
Richter, Gustav Keinhold, ehemal. Tischler-
meister, früher Alterspräsident d. Hamburger
Bürgerschaft u. wiederholt deren Vizepräsi-
dent, 1881—84 Mitglied d. Deutschen
93*
Totenliile 1903: Richter von Steinbaeh — v. Rothe.
94*
Reichstags f. Tondem — Husum — Eiderstedt
(fortschrittl.); *NoBtiib.L«bftu(«icbs.Obei^
lausitt) 10. X. 1817; f Hamburg 23. IX. —
IIL Ztg. 131, Voss. Ztg. 1904 Nr. i ;
Schocmfeld, Notizbudi f. Reichstagswahler5
I 50.
Richter von Steinbach, ottokar, k. prcuß.
Generalmajor z. 1)., zuletzt bis 18S9 Kom*
mandcur des 22. Fcldartillcricrcgiments;
t ^. XII., 73 Jahre alt. — Voss. Ztg. 1904
Nr. 3.
*Rinp«ii, Wilhelm, Dr,, k. preufi. Amtstat,
I-and\virt; • Schlanstedt (Prov. Sachsen)
29. Vül. 1842; t daselbst 2a V. — BJ
VIII, 259 (Quante); BZ 13, 261 (Land«
wirtschaftl. Jahrbtteher 33, 483: H. Thiel,
mit P).
«Rocholl, Kari. k. preufl. Wiiltl. Geheimer
< )berjustizrat, früher Senat-jniUident am
Oberlandesgericht in Naumburg a. S.;
* Erfurt 3. VI. 1824; f Naumbuig a. S.
14. I. — HJ VIH, 268 (A. Icichmann).
Ro4de wig (K o d ö w i c k) , Karl, Schauspieler
n. Singer in Solothum; * Grand a.H. 5. X.
1878; f Solothum I. II. — Neuer Theatcr-
almanach 15, 140; Munntshcfte für Musik-
gesch. 36, 136 (LUstner, mit L).
Rohde, William Ottoniar, Dr.phiL, Direktor
d. l.aiidwirtschaftsschule inKldena b, Greifs-
waltl; * Eldena 19. X. 1847 ; f (^reifswald
im Juni. — Allgemeine Zt}^. 1903 Beil. 141 ;
III. Ztg. 121. 25; Vita in R.s Dissertation :
Über die Pjroschleinisäure. Grcifswald
1872.
R5hrs, Christoph, ehemal. Konzertmeister in
Bremen; * SchamcbacU 13. V. 1829;
t Bremen i. VI. — Neuer Thealeralmanach
15, 151: Monatshefte Hlr Musikgesch. 36,
137 (Liistner, mit L).
*Rollett, Alezander, Dr.med.^ k. k. Hofiat,
ordcntl. Professor d. Physiologie u. Histo-
logie a. D. an d. Universität Graz; * Baden
b. Wien 14. VII, 1834; t Gra« i. X. —
BJ VIII, 24«) (<). Zoth; ; Leopoldina 40. 3.S;
Poßgcndorff 3, 1138. 4, 1266 (Wj; Wura-
bach, l^iograph. Lexikon d. Kaisert Öster-
reich 26, 301; Allgemeine Ztg. 1903 Beil.
322; BZ 13,258. 14, 239 (Mitteilungen d.
Vereins d. Arzte in Steiermark 1903, 269
u. 1 904 . I : Kraydl ; Deutsche Medizin.
Wochenschrift 1903, 910: J. Kraus; FoUa
hacmatologcia \, 1 1 : F. Müller).
Kolopp, Werner, Liederkomponist in Magde-
burg; f daselbst im August, 68 Jahre alt.
— III. Ztg. 121, 279; Voss. Ztg. 1904
Nr. II.
Roepell, Max, Präsident der k. Eisenbahn-
dizeklion in Posen; f 2. 111. — Voss. Ztg.
1903 Nr. 608.
Si5m«r» Angnste ▼., ycrehel. de laChcvallerie,
Dichterin u. Schriftstellerin: s. Cbevalle-
rie, Auguste de la.
Ronneck, Marie, geb. Norneck, firtthere
Schauspielerin: s. Norneck, Iklarie.
Rose, Finanmt, Präsident der Kobiuger
Handelskammer; f 12. XI. — Voss. Ztg.
1904 Xr. 13.
Rose, Bernhard, ehemal. Kammermusiker an
d. kgl. Kapelle in Berlin; + Friedenau b.
T.crlm 22. \'., 62 Jahre alt. — Neuer Theater»
ajiuanach 15, 151.
Rosenkranz, Friedrich Christian, Komponist,
kgl. u. städt. Musikdirektor in Heidelberg;
* HaUe 21. IV. 1818; f Heidelberg 18. I.
— Woche 5, 190; Monatsheite f. Musik*
gcsch. 36, 137 (Lüstner, mit L).
*Roe8icke, Richard, herzogl. anhaltin. Kom-
merzienrat, Generaldirektor d. SchnItiietB-
brauerei in P>ciiin, Mitglied tl. Dtutx-lien
Reichstags, preuü. Handelsrichter, Mitglied
d. ReichsTersicherungsamtes, Vorsitzender
d. N'crbanties d. deutschen Beruf>gcnossen-
scha/ten. Industrieller u. Soxialpolitiker;
• Berlin 34. VII. 184s; f Berlin 21. VII.
— BJ VIII, 6 (Th. B.arth); BZ 13, 259.
14, 240 (Die Hilfe 1903 Nr. 32: H. v. Gcr-
lach; Nation 20 Nr. 43: K. Schräder;
Soziale Praxis 1903 Nr. 44: E. Francke;
V'olkstUml. Zt^chr. f. prakt. Arheiterversiche-
rung 1903 Nr, lO: S. P. Altmann; Laser
Anhaltland 1903, 337; G. Partheil; Ethische
Kultur 1903 Nr. 31; \'olks\vohl i903Nr.32;
Frankfurter Ztg. 1903 Juli 26; Berliner
Tageblatt 1903 Juli 29u. 30: F. Neubörger ;
Jahrbuch d. \'ersuchsanstalt f. Brauerei 6,
215: M. DelbrUckJ.
Römer» Gustav, pensionierter Kapellmeister
in Breslau; f daselbst 12. XL, 71 Jahre
alt. — Monatshefte f. Muüikgeiich. 36, 1 37
(Lflstner, mit L).
Rosner, Len|>f>ld i Pseudon.: Hohen in a rkt).
Schriftsteller u. \'erlagsbuchbändler (frUlier
auch Sdtanspielcr) in Wien; * Budapest
31. V. 1838; \ Wien 13. VII. — KL 25,
1127 (W). 26, 4I«; Woche 5, 1372;
Brammers 352. 552 (mit W).
RoOmann, Marie, geb. Hirsch, ehemal. Sou-
brette: s. Hirsch, Marie.
Roth, Alfred, schweizer. Oberst, Chef d. eid-
genöss. \ 1 1 M K h -.Station f. Artillerie- u. Hand-
feuerwaffen ; * Rheineck 1845; ^ Thun
26. III. — III. Ztg. 120, 507.
Roth, Georg, Großindustrieller (Metallwalz-
werke u. Munitionsfabriken^ in Wien, persi-
scher Generalkonsul daselbst; f Hietzing
b. Wien 33. XI., 68 Jahre alt — Hl. tAg.
121, 9'3-
Rothe, Adolf Nikolaus v., Dr. med., kaiserl.
rass. Staatsrat, P^ehiater in Warschau,
MItaibeiter an saUteichcn deutschen medis.
95*
Totenliste 1903: Rocthig — Salomon.
96*
Zcitschrifti.'n ; * Zgicrzb.Lodz 6. XII. 1X32;
f 6. II. — Lexikon hcrvorrag. Arzte 5, 92 ;
Virclinw- l-ihrcsberichtc 3S, 1, 422 (l'ajfel,
mitWu.Lj: HZ I2,26<) ( Allgemeine Ztschr.
f. Psvchialrie 60, 302: A. K«)scnthiil).
Roethig, Johann Willuhn Oskar. Dr.fhil.,
bis I'jtK) Professur f. NLitlioinntih an (i.
Friedrich Werder-Obcrrcalschule in lierlni;
* daselbst 31. X. 1834; f Cbarlottenbui]g
I }. VI. — Leopoldina 103; Poggen-
dorlT 2, 677. 3, 1133. 4, 1262 (W).
Ronvray, Julius v., k. s&chs. Major a. D., im
Kricj,'e von 1S70 »der Stiinnfalincntriiger
von St. Privat«; f Dresden, 64 Jahre alt.
— lU. Ztff. lao, 413.
*Ruckauf, Anton, Koniponist; * Praji 13. III.
1855; f Krlaa b. Atzjjersdorf (Nieder<isterr.)
19. IX. — BJ VIII, 297 (K. Hellberger);
Neuer The.iteralmarKuh 15, 153; Monats-
hefte f.MusikgescIi. 36, 137 (LUstner, mit L);
BZ 13, 260 (Deutsche Arbeit 3, 147:
H. Rictsch).
Rüdiger, Krdinann, clicmal. Kammennusikus
d. kgl. Hofkapelle zu Dresden; t d.iselbst
iS.\ ll. Nener riieateralinanach 15.153;
Monat-liLlie f. Musikgesch. 36, 137 (Last-
ner, nut L).
Rudolph, Karl, früherer ftirstl. Kammervirtuose
in Si>iiilcr^li;ui-en ; * Doriiljurg S. \'. 1S40;
f 6onder»liausen 15. .\1. — Neuer I hcater-
ahnanach 16, 171; Monatsherte f. Musik-
L[r-fhifhte 36, 137 fLü->tiRr. mit \.^.
Kucf, Marie, Schaüspiclerin u. 1 beaterdirek*
torin in Daves, Glarus u. St. Gallen ; f Heiden
(Schwei/ ^ 13. XL, 70 Jahre alt. — Neuer
'riicatcralinait.ich 16, 170.
RQetschl, Albert, Rudolf, Dr., Honorar-
professor an d. ihcolog. rakultät in Bern,
ehemals Pfarrer u. Priu>ideiit d.Synodalrates
daselbst, theolo^. Schriftsteller; * Bern
3. XII. 1S20; t da-elbst 30. 1. - Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 26; Hoit7.m.inn u. Zopffel,
Lexikon f. Theologen» 932; Schafft: Jack-
son, l.ncvclopciiiü 0/ living divines 183.
*Ruge, .Sophus Dr. phil., k. sächs. Geheimer
Hofrat, ordentl. Professor d. (Geographie u.
Ethnographie an d. Techn, Hochschule in
Dresden ; * Dorum ( l lannover) 26. III. 1S31 ;
t Klotzsche b. Dresden 23. XII. — BJ VHI,
34 (V. Hantzsch); Lcopoldina 40, 3iS; Geo-
grajiliisrh. Jalirbuch 26, 440 (W. Wolken-
hauer, mit W u. Lj; PoggendorlT 4, 1284
(W); BZ 13, 260. 14, 341 (Dresdener
Anzeiger 1903 De/embcr 24; Dresdener
Journal 1903 Dezember 24: H. Gebauer).
RuBChhaupt, Waltber, Dr. med. ei pkü.,
Assistent nin pharin.iki >lng. Institut d. Uni-
versität Breslau, Chemiker; * Bielefeld
14. IV. 1874; t 7- III. — Allgemeine Ztg.
1903 BeiL 60; Lebenslauf in. Disser-
tation: Über d. Abkömmlinge des m-Bis-
cyclohcxans cU. Bonn 1897.
Rfitgers, Julius, Großindustrieller in Berlin
(Impirii^niening von ICisenbahnscbwellen);
t lieiliäi 0. L\., 73 Jahre alt. — III. Ztg.
121. 411; BZ 13, 261. 14,242 (D. ehem.
Industrie i'X>3 Nr. 20; Berichted. Deutschen
ehem. Gesellschaft 37, 4582: C». Kraemer).
Rutar, Gymnasialprofessor inLaibaeb, Histo-
riker; T l.aibach im Mai. — Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 101.
Rtttte, A. V., 1835— 1903. — BZ 14, 342
(Verhandlungen d. schweizer naturforsdi.
Gesellschaft 86, V: F. Anderegg).
Saare, Oskar, Dr. phil., Professor, Vorsteber
d. analyt. l.abor.itoriuujs im Institut für
Giirungsgcwebe u. Stärkefabrikatiun an d.
Landwirtschaft!. Hochschule in Beilin; f da-
selbst im Mai (oder Juni 1. Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 198; BZ 13, 261. 14, 242
Z^ichr, i, angewandte Chemie 16, 663:
S. Parow, mit P; Jahrbuch d. Versuchs-
anstalt f. Brauerei 6, 21g: M. Delbrück;
Jahrb. d. Spiritusfabri kanten Deutschland»
i<)04, 247: K. Parow); Leopoldina 39. 87.
Sachs, Milan, Dr. med., Bakteriologe; * .Agram
1S77; t 5. \'l. — X'irchüws Jahresberichte
38, I, 422 (Pagel. mit W u. L); BZ 12, 271
(Wiener kl in. Wochenschrift 1903, 744:
Weichselbaum).
Sachse, Adolf, kaiserl. deutscher WiHcI. Ge-
heimer Rat, Direktor D. im Reichspostamt,
Mitglied d. Kolonialrates; f Berlin 25. I.,
68 Jahre alt. — IlL Ztg. 120, 199; BZ 12,
271 (Archiv f. Post u. Telegraphie 1903,
125).
Sack, Caroline, verehel. Bauer, Sftngerin: s.
Bauer, ( ",n : iliiic.
Salm-Reiifcrscheid-Kaitz, Hugo Leopold
Franz Karl Hippolx-t, 5. Fdrst u. Altgraf ni,
k. u. k. Kämmerer, erbl. Mitglied d. Herren-
hauses d. Österreich. Reichsrats; * Wien
2. XII. 1863; t daselbst 31. XIL •— Goth.
Hofk.ilentler 1904 u. i«>o5; S.Hahn, Reichs-
ratsalmanach 1891/92, 88; III. Ztg. 122,
59.
Salm-Salm, Eleonore Leopoldine Alexia
Fürstin 7.11, geb. Prinzessin v. Croy, Ge-
rn ihlin d. Fürsten Leopold; * Dülmen
13. V. 1855; t Berlin 27. V. — Goth.Hof-
kalender 1O04, Ii 8. 181.
*SaImuth, Ludwig t reib, v., k. preuÜ. Gene-
ral d. Kavallerie z. D. ; * Ballenstedt a. H.
I. VIII. 1S21 ; t Schöneberg b. Berlin 19. 1.
— BJ Vlll 140 (^Lorenzen).
Salomen, Rudolf Heinrich, k. preuB. Hof-
Opernsänger a. D., früher Sauger (Bassist)
u. 2. Regisseur an d. Hofuper in Berlin;
* Leipzig 3. IX. 1835 ; t Bertin $. (od. 4.) XI.
— EisenbciUTi Grofles biogvaph. Lemoo
97*
Totenlute 1903: Salnuann — Schlmadc
98*
der deutschen Rülinc 862; Woche 1903,
2056 (P); Neuer I hcateralnianach 16, 170;
Monatshefte r. Musikgesch. 36, 137 (LOst-
ncr, mit L): Floggen, Biogiapb. BOhneii-
lesikon i, 265.
Salxauuui, Eridi, Journalist, Redakteur am
»Tag« u. »Berliner Lokalanzcifi IT C : * Frank-
furt a.O. 7. IV. 1840; t 13. IX. — KL 25,
1150. 36, 41*.
Samarow, Creji^or 1 Pseudon.), Romanschiift*
steller: s. Mediiig, Uskar.
*SaiiiB<m, Heinrich ^seudon.: Dr. Drei-
bach), Dr. jur. utr., Vikar in Darfcld
(VVestfal.), Magiologu.Liturgiker; * Heckum
(Westfalen); 1. IX. 1844; f Darfeld 18. XI.
— - HJ VII I, 248 (F. Lauchen); KL 25,
II 50 (W); Keiter-Jörg, Kathol. Literatur-
kniender 6, 261 (W).
Sander, Hermann, Doniprediger in Güstrow,
Krzieher d. mecklenburtj. Prinzen ; t 18. IX.,
47 Jahre alt — Voss. /a<^. 1904 Nr. 5.
Sandersleben, Friedrich v., k. aichs. Gene-
ralmajor z. D., zuletzt Kommandeur des
Infanterieregiments Nr. 102; f 24. V.,
8s Jahre alt — Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
•Saenger, Max, Dr. med., k.sächs. Medizinal-
rat, ordentl. Professor d. Gynäkologie u.
Vorstand d. Oeburtsliiia.>gynikolog. Klinik
an.d. deutschen Universität Prag ; * Bjiyreuth
14. III. 1853; t Bubentsch b. Prag 12. 1.
— BJ vor, 104 (Pagcl); Leopoldina 39,
86; HZ 12, 273 (Monatsschrift f. Cehurts-
hilfe u. Gynäkologie 1903, 131 mit P:
A. Martin; Zentralblatt f. (Gynäkologie 1903,
161 : Fritsch ; ebenda 643 : Piskacek ; Wiener
Min. Rundschau 1903, 67 : A. Hink; Berliner
klin. Wochenschrift 1903, 139: O.Boden*
stein; Deutsche medizinische Wodieittchrif^
1903,90: Ph. Jung mit P; Prager medizin.
Wochenschrift 1903, 37; Wiener klinische
W^ochenschrift 1903, 130: R. Chr()l)ak).
*Sartori, Auf^'ust .Vnton Heinrich, (Geheimer
Komnierzienrat, SclulVsreedcr u. Kaufmann
in Kiel, Vorsitzender d. Handelskammer u.
d. Nautischen Vereins daselbst; * Lübeck
16. VI. 1837; t daselbst 15. X. — HJ Vlll,
179 0' Sass).
Sasse, Hugo, k. prcuO. Generalmajor z. D.,
bis März 1903 Kommandeur d. Infanterie-
regiments Nr. 95; t ^ IH<> SS Joltve
— Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
*Saul, Daniel Jobannes, Dr.phil., Dichter
o. Sprachforscher, Politiker 11. Joomalist,
Kone^^pondcnt d. »Frankfurter Ztg.c ; • Bal-
horn (Niederhessen) 2. XII. 1854; f Ingen-
heim an d. BergstraBe 8. X. — BJ VIII, 2 1 3
(Ph. Losch).
SaviUe, Louis v., ehemaL Schauspieler,
Dnunatttig a. llieaterdirektor; \ Berlin
16. IV. — Nenet Theatoalmanach 15,146.
BiflffT. Johrboefc a. Dctttseber Nakroloff. 8. Bd.
Saxer, Franz, Dr. tu ed., außerord, Professor
u. Prosektor am Patholog. Institut bei d.
Unirersitftt Leiprig; * Goslar 23. 1. 1864:
f Leipzig 2. VI. Allgemeine Ztg. 1903
Beil. 124; Leopoldina 39, 87; Vircbows
Jahresberichte 38, I, 423 (Pagel, L); BZ
M. 274 (Zentralblatt f. allcciiKinc i'atho-
logic 1903, 417: F. Marchand; Deutsche
medizinische Wochenschrift 1903, 485).
Schady, Eugen, Sch.auspieler (Charakter-
darsteller) u. Regisseur; * GroOenbain
TO. V. 1856; f Berlin 32. V. — Eisenberg,
Großes biograph. Lexikon d. deutschen
Bühne 872; Neuer Theateralmanach 15, 150.
Schablin, Alfred, Theatersekretär am Stadt-
theatcr in Karlsbad; t d.iselbst 9. VI. —
Neuer Theateralmanach 15, 152.
Schachten, Adolf Georg Heinrich von und
zu, k. preuB. Generalmajor z. !>., zuletzt
bis 1S91 Kommandeur der I9. Kav allerie-
biigadc; • Paris 24. 1. 1839; j Kassel
II. V. — Goth. Genealog. Taschenbuch
d. Adeligen Hiiuser 1904, 733; lU. Ztg.
120, 765; Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
«SdiUrie, Albert Eberhard Friedrich, Dr.
sehnt. f'oHt., Volkswirt und Staatsmann;
* Nürtingen (Württemberg) 24. 11. 1S31;
t Stattgart 3$. XII. — BJ Vlll, 106
(W.Lang); Ill.Zt<r. 122.26 (P.' :iur DAhir,
mit P); Allgemeine Ztg. 1903 Heil. 294;
BZ 13, 265. 14, 245 (Voss. Ztg. 1903 De-
zember 28; Wiener Frcnidcnhlatt IU03
Dezember 27; Deutsches Tageblatt f. Un-
garn 1903 Dezember 30; Der Türmer 1904
Februar 262: H. Sieveking; Die neue Zeit
1904 Nr. 14: F. Mehring).
Schaffner, Friedrich, Postbeamter in München,
Liederkomponist ; t Neu-Pasing b. München
20. VII. — Woche 5, «372; Monatsliefte
f. Musikgeschichte 36, 137 (LUstner, mit L).
Schally, Anton, Dr. med., Frauenarzt in Saaz;
• Banffyhunyad 186S; f Saaz 26. IX. —
Virchows Jahresberichte 38, I, 423 (Pagel,
mit L); BZ 13, 26$ (Prager medizinische
Wochenschrift 1903,530: 1'. Fischer).
Scharif, Anton, k. u. k. Kainnicrnietlailleur,
Direldtor d. Graveurakademic d. k. k. Haupt-
münzarats in Wien, Klirenmitglicd d. k. k.
Akademie der bildenden Künste daselbst,
Mitglied d. Kuratoriums d. Österr. Museums
f. Kunst u. Industrie; * Wien 10. VI. 1845;
f Brünn 6. VII. — K.Domanig, A. ScharfF,
k. k. KammermedaUleur 1845— 9S • MtUler-
.Singer, Allgemeines Künstlerlexikon 3 4 .1 85 ;
III. Ztg. 121, 91; D. geistige Deutschland
I, 594; BZ 13, 265 (Berliner MBnzblUter
iQo^. u V K. Bahrfeldt; Zeit 1903 Juli 8:
IL Üaberfeld).
Sdllnack, Friu, grofiherzogl. Kapellmeister
a. D. in Oldenburg; f daselbst 3. IX.,
Totenliste 1903: Scbasler — Sehloemp. - lod*
99*
75 Jahre nlt. — MonnUheftv f. Musikgescb.
36, 137 (Lastner, mit L).
Schasler, Max Alexander Fricdricli,/V. //;//.,
Philosoph, Ästhetiker u. Dichter; * Üeutsch-
Kione 26. VIII. 181 9; f Jena 13. VI. —
KL 24, 1221 (W). 26, 41*; AllK'eracinc
Ztg. 1904 Beil. 1 18 ( K. Euckcn); llinrichsen,
D. literarische Deutschland» 1150; BZ 14,
243 (Zeit 1904 Nr. 509: K. Reise).
Schnumhur;{-Lippe, Bernhard Prinz su: s.
Hei 11 hiirti.
Scheffers, Wilhelm, Herausgeber d. »Rig.acr
Tageblatt«; f Kiga 24. IV., 62 Jahre alt
— Voss. Ztg. 1904 Nr. 9,
Sdieffler, Augiut Christian Wilhelm Her<
mann. /^r. /////., bis lJ^<»5 ( 'Itcrltaurat in
d. Direktion d. braunschweig. Eisenbahnen,
Msthematiker n. Phvsiker; * BraunM:hwetf
10. X. rS29; f daselbst 14. VIII. KI,
24, 1224. 26,41*; PoggcnduriV 2, 781. 3,
1180. 4, 1317 (W).
•Schcibert, Ju>tus, k. pmiß. M.x'yn /.. D.,
Militärschriftj>tclier; * btetlin 16. V. iS^^i;
t Grofiltchterfeldeb. Berlin 4. VH. — i^J
VIII, 255 (l.nrcn/.en); BZ 13, 266 (Neue
PreuB. Ztg. 1903 Juli 4); KL 2 5, 1169 (W).
Schele-Schelenburg, Balduin Georg Edu>
ard Friedrich Wilhelm Arthur Freih. v.,
Herr auf Schelcnburg b. Schledehausen
(ll.innovcr), Mitglied d. Deutschen Reichs*
tajjs (H()-.i)it;int d. Zentrum); * Schelenburg
IK IX. 1.S36; t d.iselbst 4. Xll, - Cnth.
( lenealog. l aNrhcnbiich d. Freilierrl. IliUiser
1904, 659. 1905, 941 ; 1)1. Ztg. 121, 913;
Woclic 6, 222S (Pt: Kiirxliiiei-i Deutscher
Reichstag 1898 1903, 154 ^^luit l'j.
Schenkel, Theodor, Eisenbabningenieur in
firaz, Krbauer zahlreicher Bahnen in Oster-
reich u. d. Schweiz; f Graz 6. VIII., im
42. Jahre. — Allgemeine Ztg. 1903 Bell.
*Scheppig, Richard, JJr. phU., Oberlehrer am
Reformgymnasium in Kiel, Direktor de«
Museums f. V.ilkcrkunde d-isL-ib-t ; * Sonden-
hausen 17. XI. 1.S45; f Kiel 24. XII. —
BJ VIII, 177 (J. Sass); Allgemeine Ztg.
i',':'4 Heil. 1.
Schcrer, Hermann, Dr., Publizist, Historiker
des Welthandels, 1854 81 Leiter des
»Konfcktioniir«, frülur Advokat in Stutt-
gart; • diisclbst 8. X. i8l6; f Rom 15. I.
— III. Ztg. 120, 166; BZ 12, 275 (Köln.
Ztg. 1903 Nr. 53).
Scherllng, Christian, Professor a. D. für
Mathematik am Katharincum in Lübeck,
früher Mitglied d. Deutschen Sängerbundes
ti. Hundessprecher d. Nieder-'iiclis. Siinger-
bundes; ♦ 12. Xll, lSi2;| Lübeck 28. XU.
— III. Ztg. 122, 23; Monatshefte f. Musik-
geschichte 36, 137 (LOstner, mit L).
*Scherzer, Karl Heinrich Ritter v., Dr,pkä^
k. u. k. auflerordentl. Gesandter n. beirdk
mächtigter Minister a. D., Staatsmann und
Gelehrter; • Wien i. V. 1821; t Gön
19. II. — BJ VIII 172 (B. Münz); KL 25,
''75 (W); Geograph. J.-ihrbuch 26, 441
( \V. Wolkenhauer, mit W u, L) ; Poggendorff
3, 1 184. 4, 1323 (W); Wurzbach, Biograph.
Lexikon d. Kaisert. Österreich 29, 227 (mit
W u. Li; AlJ>,'emcine Ztg. 1903 Beil. 51
(B. .Mün/.;; Ulustr. Ztg. 120. 311 (vgl. Nr.
301S vom 2.Mai i(>oi mit Biographie U. P);
Woche 5, 3S0 (Pi; Lcopoldina 39, 45:
BZ 12, 275. 13, 266. 14, 246 (Globus 1903,
229 [mit P] u. Deutsche Rundschau für
Geogra]iliie u. Statistik 25, 518: W. Wolken-
bauer; .Mitteilungen d. k. k. geographisch.
Gesellschaft in Wien 1903, i6i:K.Kniipitt:
Statist. Monatsschrift [Wien] 1O03, »03:
V. Juraschek; Fremdenblatt [Hamburg] 1903
Nr. 46: M.Neifler; Wiener Abendpost 1903
Nr. 101; .Sitzungsberichte der k. Bayer.
Akademie d. Wissenschaften 1903 Math.-
phys. Klasse ss6: C. Voit; Deutsche Erde
2, 42: \V. Götz; Almanacl) d. k.aiserl. Aka-
demie d. Wissenschaften in Wien 1903, 321).
Sdiiel, Adolf, ehemal. Oberst d. deutschen
Freiwilligenkorps auf seilen der Buren im
sttdafrikan. Kriege, auch schriftstellerisch
tätig; * Frankfurt a. M 19. XII. 1858;
t Reichenhall 28. VII. — Geographen-
kalender 2, 203; III. Ztg. 121. 245 <'vgl.
III. Ztg. Nr. 2041 von> 9. November 1S99,
mit P); Woche 5. 1470 (P).
Schilf, Frederil-, l'innist u. Koni|ionist in
Brüssel; • Frank! urt n.M. 1S40; f lirUssel
.16, 137 (Lastner, mit L).
Schifftnacher, Johann, chenial. Opernsänger,
• Stock.ich 20. IV. 1860; f KatUrubc
im November. — Neuer Tbeetenlmanach
16, 170; Monatshefte für MusikgCsch. 36,
138 (LUstner, mit L).
SdiiUlag von CaastaCt, Heinrich Freth.
k. preuO. Hauptmann a. D., Niturf(n«cher,
insbcs. Entomologe; * Heidelbeiig %%, VII.
1849; t Hirsau (Warttemberg) 18. V. —
Leopoidina 39, 103; Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Frciherrl. Häuser 1904, 676;
KL 25, 1180 (W).
Schimmer, Mathilde, ehem. Obergardcrobicre
d. Huftheaters in Darmstadt; * Sachsen-
hausen 6. VIII. 1848; t Darmstadt 25. XI.
— Neuer Theateralm anach 16, 173.
Schleswig- Holstein - Sonderburg - Glikcks-
burg, Julius Prinz zu: s. Julius.
Schlocmp, Kdwin Hugo Viktor (Pseudon.:
Hu},'o \ iktnr). Scliriftsteller u. Dichter,
früher Buchhundler; * Schliewc (OstpreuU.)
22. VII. 1838; t 7. XU. — KL 15, 1189
(W). 26. 43*; Brammers 3, 57 t.
^ ^ .d by Google.
lOl* TotenÜste 1903: Scblofl — Schnelle. I02*
Schloß, Sophie, venvitw. Curau, Konzcrt-
sangcrin; * Frechen b. Köln 12. XII. 1812;
t Dllsseldolf 15. V. — Monatshefte tttr
Musik|To-oh. 13*^ ; I,ü.tncr, mit L'): 1'./
la, 220 (BerliiKT 1 af,al)latt 1903 Mai 26:
A.Kohtit); m. /Ag. I20, .S58; Woche 5,
964.
Schlüter, Gustav, k. preuß. Generalleutnant
z. D., znletzt bis 1903 Kommandeur der
60. Infantericbrignde ; f Frankfurt a. M.
22. XII., 66 Jahre alt. — Voss. Ztf. 1904
Nr. 3.
Schmelz, Alexander. Dr. med., Frauenarzt
in Pilsen; • Mährisch-Ostrau 26. XII. 1864;
f Wien 6. IX. — Virchows Jahresberichte
38. I, 423 (Pagcl, L); BZ 13, 269 (Prager
Mcdi/in. Wochenschrift 1003. 269: I,öwy).
Schmid, Rudolf, schweizer. Nationalrat und
GroSrat; f Bur^dorf (Schweb) 19. I. —
Woche 5, 190.
«Schmid, Theodor, Mitglied d. Ordens S.Jesu,
LiCiter d. KIrcfaencfaores der Sulla wuHmtimi
inFeldkirch (Vorarlberg"); • Dillirifjin 0. XI.
««37; 1 9. IV. — BJ VIIl, 71 (F. Lauchen);
Mooalshefte f. Mvsikgescii. 36, 138 (Lflst^
ner, mit L\
*Schmid-Moaiiard, Karl Alexander, I)r.
»ttd., Arst tt. Schtdhygieniker in Halle a. S. ;
• Leipzig II. VIII. 1858; f Halle a. S.
10. XL — BJ Vm, 105 (Pagel); BZ 14,
248 (Ztschr.f.Schulgesundhehspflege 1904,
I : F. Erismann; Gesunde Jugend 1904, i).
*Schmidt, Karl Adolf, Dr, Jur. et phU,»
Geheimer Rat. früher ordend. Professor d.
römisch. Rechts an d. Universität Leipzig,
Ehrenbürger d. Stadt Leipzig; • /Ulstedt
(Sachsen-Weimar) 4. XI. 181 5; f Baden-
Baden 34. X. — BJ VIII, isa (A. Tekh-
mann).
Schmidt, Alexis, Dr. phil., Schriftsteller auf
d. Gebiete d. Philosophie and Journalist,
früher Chefredakteur d. Spcnerschen Ztg.
in Berlin; * Langensalza 5. VII. 1818;
t Friedenau b. Berlin 24. II. — Woehe 5,
418 (mit P); D. geistige Herlin i, 469
(Autobiographie ) ; Literar. Zentralblatt 1 903,
37».
Schmidt, Bertha, (Jcsanglchrerin in Wolfen-
battel; f Basel im Mai. — Monatshefte f.
Mtwil^eMh. 36, 138 (Lttstner, mitL).
Schmidt, Friedrich Wilhelm, Gesangslehrer
am Sophien •Realgymnasium in Berlin;
f Qiarlottcnbttrgf la. V. — Monatshefte f.
Musikgeschichte 36, 138 (LUstner, mit L).
Schmidt, Hermann, Landschaftsmaler, Mit-
glied d. Vereins berliner Künstler; f 29. IX.
— Voss. Ztg. 1904 Nr. II.
Schmidt, Ottmar, Dr., Geheimer Hofrat, Pro-
fessor f. Chemie, Physik u. Pharmaxie an
d«r Tieiind. n. Tcehn. Hoehschnle in
Stuttgart, Referent im Medizinalkollegium
f. Württemberg; • .Schwäbisch Hall 1S35;
t Stm^art 28. XI. — I^eopoldina 40, 39;
Allgenu'ine Ztg. 1903 Beil. 274; Virchows
Jahresberichte 38, I, 423 (Pagel); BZ 13,
269. 14, 249 (Berliner tierilRtl.WocheDschr.
1903, 77'); Herirlite d. Deutschen ehem.
Gesellschaft 36, 4585: O. Hesse).
*Sdimidt, Otto, k. pretifl. Generalleutnant;
• Kassel 16. IV. 1845; t daseibat 5. II.
— BJ VIII, 155 (Lorenxen).
*Schmidt-Cabanis, Otto Richard, Chef.
redakteur des »Ulk« in Berlin, Dichter u.
Schriftsteller, früher auch Schauspieler;
• Beriin 22. VI. 1838; f daselbst 12. XI.
— BJ VIII, 29 1 (V. Brümmer); III. Ztg. 121,
757 (F. E., mit P); Woche 5, 2098 (P);
KL 25, X202 (W). 26,42*; BZ 13, 269
(Berliner Tageblatt 1903 November 12:
F. Engel).
Schmitten, Georg, Landschafts- u. Marine-
naler in Potsdam; * Bernkastel 9. III. 1856;
f Potsdam 8. VI. — Jahrbuch d. bildenden
Kunst I, 203. 3, 102; D. geistige Berlin i,
47S; D. geistige Deutschland 1,614? III.
Ztg. 120,925; Woche 5, 1054.
Schneider, Josef, Klaviervirtuos in W.irschau ;
f daselbst 2. 1. — Monatshefte f. Musikgesch.
36, 13S (I,üstner, mit L).
«Schneider, Oskar, Dr. phil., früher Professor
an d. Annenfealschnle in Dresden, Natura
forscher, Geograph u. Schulmann; * Lübau
(Kgr. Sachsen, Oberlausitz) 18. IV. 1841 ;
t Blasewitz b. Dresden 8. IX. — BJVIII,
45 (V. Hantzsch) ; Geographen-Kalender 2,
203 (mit L); Leopoldina 40, 39; Geogr.
Jahrbuch 26, 442 (W. Wolkenhauer, mitW
u. L); KL25, 121 2 (W). 26,42*; Allgem.
Ztg. 1903 Beil. 20S; BZ 13, 270 (Insekten-
börse 1903,313, mit P; Deutsche Kund-
schau f. Geographie u. Statistik a6, 135 u.
Zeitschr. für Schulgeographie 1904, 97:
W. Wolkenhauer, mit P).
*Seliaeider, Withdm, kgl. bayer. Hofiehin-
spielcr (Hcldcnd:\r>itc!!er) u. Regisseur in
München; * St. Petersburg 19. IX. 1847;
t LadwigshOhe b. Mflnchen 17. X. — BJ
VIII. 232 (A. Freih. v. Mcnsi); Ilagen.
Almanach d. k. Hoftheater in München f.
1903, 60 (mit P); BZ 12, 279. 13, 270
(Buhne u. Welt 5, 693: G. Schauniberg;
Freistatt 1903 Nr. 43: £. Steiger; M<.deme
Kunst 17, 309: Alex Braun); Flüijgeii, Bio-
grapli. Bllhncnlexikon i, 276.
Sohnelle, Paul, ehem. Operettentenor an d.
Vereinigten Stadttheatem in Leipzig; f da-
selbst 14. I., 47 Jahre alt. — Monatsliefte
f. Musikgesch. 36, 138 (LUslner, mit LV,
Flüggen, Biograph. Btthnenlexikon i, 270;
Neuer Theateralmanach 15, 138.
d*
Totenliste 1903: Scimetter — Schaler. 104*
103*
Schnetter, Joseph, Dr, med., Begründer d.
German Hospital- and Dispensary in New
York ; • Gcrol/.hofcn (Baycni) ; f \ lerrcnalb
iin Sihwarzwald im September, 82 Jahre
alt. — \ irchows Jahresberichte 38, 1. 423
(Pagel, mit L).
Schoder, Güstin- \.. frUlicr Landpcrichls-
prttsident u. Mitglied d. Württemberg. Staats*
g;erichls1io&; f Reutlingfen aa. I. — Woche
5, M)<^; Vo>c;. Zt}j. 1904 Nr. 5.
Schöller, Karl, k. ba) er. Generalmajor z. D.,
Chef d. Abteilung f. Invalidenwesen im
Kriegsministcrium ; * Neuburg a. d. Don.iu
15.4. 1842; t München 7. II. — Woche 5,
382; Voss. Ztg. 1904 Nr. 3; Augsburger
A1>LiuI/tg. 1903 Nr. 40 S. 5 u. 8 (Todes-
anzeige).
Sdiols, Auguste Sabine, verehel. Holzstamm,
Openi'^an'^LTiri : >. Iloizstamni, A. S.
*Schönau-Wehr, Max, Joseph Freiherr v.,
k. preuB. Generallcutnnnt u. Kommandant
von Karlsruhe; * ci i I . t n.. IV. 1847;
f Freiburg i. B. [nach Frcth. l aschenbuch]
21. III. — BJ VIII, aio (lAirenzcn); III.
Ztg. 1 20, 507 : Goth. Genealog. T.-ischenbuch
d. Freiherrl. HiUiser 1904, 690; Ztschr. für
die Geschichte des Oberrheins 58, 543
(Frankhauser, L: Sterne u. Blumen 1903
Nr. 16).
*Schönberg, Friedrich, Kaspar Christoph
r., Herr auf Krummenhennersdorf b.Flreiberg
in Sachsen, k. sächs. Gencr.alleutnant z.
* Nieder-Keinsberg 27. IV. 1S26; f Dresden
13. III. — BJ VIII, 255 (Loienien); HI.
Ztg. 120. 413; Goth. (Jencalog. Taschen»
budi d. adeligen Häuser 1904, 746.
SehSnboni-Bttdiliefaii, Srwin Friedrich
Karl Graf v., ( >1 icr^rLTMandlruchscO in
Österreich ob u. unter d. Enns, Erbober-
gespan d. KomitatsBeregh, k. u. k. Kinunerer
u. Gelicimcr K.it; * Schloß Schiinbom 7, XI.
1842; t da.>clbst 2I.I. — Goth. Hofkalender
«903. 193- «904. 193; III- Ztg. 120, 166;
Woche 5, 238 (P); BZ 12, 279 (Wiener
Fiemdenblatt 1903 Nr. 21; Pestcr Lloyd
1903 Nr. IQ: A. v. Lönyay _/«».).
Schönburg-Waldenburg, Lucie Franziska
EiiphrosyneAnna Alexaiulrine Georgine Krb-
piinzessin zu, Witwe d. Erbprinzen \ iktor,
geb. Prinxessin zu SayA-Wittgcnstein-
Berleburg; • Darmstadt 18. Iii. 1S59;
f Dresden 24. IX. — Goth. Hoi kalender
1904, 187. 196.
Schönfcld, Luise, geb. Krauth, frühere
Schauspielerin am Hofburgtheatcr in Wien;
* KarisTuhe 1817; f Tulln 16. V. — III.
Ztg. 120, S05; Eisenberg, Groflcs biograph.
Lexikon d. Deutschen Bühne 907 ; Neuer
Theateralnanadi 15, 149 (mit P).
Sdioefllnr, Adolf v., Geheimer Justiziat ia
Rostock; t daselbst 27.VIII., im 82. Jahre.
— Woche 5, 1600.
Sdiradteck, Wilhelminc, verehel. Hottstein,
Schauspielerin: s. Bott stei n, Wilhelminc.
Schreiber, August, Dr., Inspektor der Rhein. '
Missionsgesellschaft in Barmen; * Bielefeld <
8. XI. 1839; f Härmen 23. H. Geograph. j
Jahrbuch 26, 442 (W. Wolkenhauer, nut W |
u. L) : Geographen-Kalender 2, 204 ; BZ 13, |
280. 13, 270 (.Allgemeine Missionsztschr.
1903, 220: Warneck; Berichte d. Rhein.
Missionsgesellschaft 1903, 13$: ^ Fries;
I). cwangel. Missionen 1903, 169: W. Schrei-
ber); iheolog. Jahresbericht 1903, 1198
(Nestle, mit L).
Schröder, Karl Heinrich, Pfarrer in F.iscn-
berg; * Gumbiimen 22. IV. 1826; f Königs-
berg i. Pr. 10. X. — Rindfleisch, AltprcuB. I
Bibliographie 1903, 52 (L: Evangel. Ge-
meindeblatt 58, 259).
^Stihrftder, Josef( Faufname: Peter), Dr.theot,
9i phil., päpstl. Hausprälat u. Ehrendomherr
V. Lüttich, ordentl. Professor f. Dogmatik
an d. Universität Münster i. W.; • Beek,
Pfarre Würm (Rheinland) 26. IV. 1849;
t Kll.ctfeld 5. IX. — BJ VIII, 197
(F. LauchertJ.
Scitrttder, Octavio Hermann, Dr. jur., Senator
a.D. in Hamburg; f daselbst 30. VII., im
80. Jahre. • Woche 5, 1418.
SohrOder, Theodor Dr. mtA, leab. nisi.
Wirklicher Staatsrat. Direktor der Augen-
heilanstait in St. Petersburg; *Dorpat 3. III.
1853; t — Virehows Jahres-
berichte 38, 1,423 (Pa},'cl, mit L); HZ 13,
271 (St. Petersburger Mediz. Wocbcnscbr.
1903, 475)- I
StihrOder-Krlholz, J«>hanna, frühere Schau- I
Spielerin; * 21. XII. 1853; f Wiesbaden {
26. XII. — Neuer Theaferalinanach 16, 175.
Schiicking, Fräulein Theo, Tochter Levin
Öchückings, Novellendichterin u. Schrift-
stellerin in Berlin; * Cöln 19. IV. 1850;
f Rom im Juni. — KL 25, 124I (W).
26, 42*; III. Ztg. I20, 897.
Schuld, Heinrich, Dr. phil., Lehrer an der
Hoheiucollemschule in Schöneberg b. BeHin,
Romanist: * Stettin 27. I. 1S66; + Schone-
berg 7. III. — Jahresbericht d. HohcnzoUern-
schule in Schöneberg 1902/3, 24 (Pohlens).
•Schulenhurg, Werner von der, k. prcuB.
Gcnerallcutnimt z.D.; * Glogau 30. 1. 1836;
t Potsdam 9. X. — BJ VIII, 141 (Loren-
/cn\
Schuler, Fridolin, Dr, med., früher Arzt,
. dann eidgenöss. FabrikinspekM»- in Zürich,
Urheber des ersten .\rbeiterschutzgesctzes in
d. Schweis, Publizist; * Bilten (Kanton
Glams) I. IV. 1832; f Aarburg 8. V. ~
Virehows Jahresberichte 38, 1, 423 (Pagel,
Toteidiste 1903: Schulu — Scliwanitz. 106*
105*
mit L); BZ 13, 271. 141250 (Korrc^spon-
dcfublattf. d. Schweizer Arzte i9<>o> 474:
Scitz; Schweizer Uliiltcr f. WirUchafts- 11.
Sozialpolitik 1903, 36i:K. Tschudy; Deut-
sclie Medixinische Wochenschrift 1 903 , 4c>o :
Erismann; Schweizer Ztschr. f. (k-nic-in-
nUtzigkeit 1903, 311; Soziale Praxis 13
Nr. 32: H. llcrkncr; Ztschr. f. Schwoi/cr
Statistik 1903, 167; Xcrhaiidliiiij^cu der
S» li\vi i?( r. N,iturf»)rsoh. ( Ic^cllschaft, 86.
Wr->.miiniiin>; S. I,\ I: J. Scitz).
•Schultz, Heinrich Hermann, Dr. theol, ei
plii!., k. prciiß. Konsistorialrat, Alit von
liurstcldc, urdentJ. Professur d. alttestanientl.
Exegfese, B3rstem(it Theologie u. Homiletik
an d. rni\ crsit:it Güttingen: * I.Uchnw 1>.
Lüneburg (Hanno V.) 30. 1836; f (iiittia-
15.V.— BJ Vlir. 137 (Kohlschmidt);
KI- 25, 1249 (W); Allgemeine Ztg. i<)o3
Beil. Iii; BZ 12, 281. 13, 272 (Ba-slcr
Nachrichten 1903 Nr. 19; Kirch]. Gegen-
wart 1903, 191): Alfred I.orentz. Anti<|.-
Buchhandlung in Leipzig, Katalog Nr. 151
(mit Nekrolog nach Basler Nachrichten,
Verzeichnis d. Bibliothek u. P); ScImflT &
Jnckson, Encych^dia 0/ Iwing äroines'.
Theolog. Jahresbericht 1903, 1198 (Nestle
mit L).
Schultze-Dcnhard, l'aul, Dr. jur., Rechts-
anwalt u. Professor d. |uris[)riulenz an d.
chinesischen l'niversitikt in Tientsin; * Wick-
rath l). Düsseldorf; t jw Tientsin im letzten
Viertel d. Jahres, 29 Jahre alt. — Allge-
meine Ztg. 1903 Beil. 355 ; III. Ztg. 1 ai , 7 la
Sdudtsen von Asten, Anna, Lehrerin an
d. Kgl. Hochschule für Musik in Kerl in,
Konxertsingerin (hoher Sopran); * Wien
I I. III. 184S; + ('Iiarlottcnl.nr;: 7'^. MI. -
Kicmann^ 1201 ; W oche5, ooO i^Pj: Monats-
hefte fSr Musikgeschichte 36, 138 (Lastner,
mit L).
Schulz, Auguste Sabine, vcrclicl. i loltzmann,
Opeinrtngerin: s. Holtzmann, A. S.
Schulz, Hermann, kgl. Kammemui>iker in
Berlin; * Petzow 14. Vlll. 1856; f Bcriin
30. Vllt. — Netter Theateralmanach 15,
155; Monatshefte fBr Mttsikgesch. 36, 138
(LUstner, mit L).
Schulze, (Jeorg August Fr., Dr. med., Arzt
f. di&tetisch-physikalisches Heilverfaliren in
Bcriin; • Stendal 2^ 1S17; + Herlin
14. 1. — Virchows Jahre-<licriohte 38, I.423
(Pagel, L); Verzeichnis der Berliner l'ni-
versitätsschriften iSio S5 Nr. 3500; BZ
12, 282 (Archiv f. ph\ sikal.-diatet. Therapie
5, 65 mit P).
Schulzweida, Franziska, Mitglied des kgl.
C)pcrnchores in Dresden; * Braunsehwcig
38. IV. i86a; f Dresden 10. V. — Neuer
Theatcnümanadi 15, 148.
SchuppCf ^\nna, verchel. Bcnfey, Dichterin
tt. Tonkünsderin: s. Benfcy, Anna.
•Schurtz, ( amillo Heinrieh, /)r. pkit.^
As>istenl f. Kthnograpliie am Stadt. Museum
f. Natur-, Volker- u. I landelskunde in Bremen ;
* Zwickau (S.achsen) ii.XlI. iS63;t Bremen
2. V. — HJ Vlll. 30 (V. Ilant/scli): (leo-
graphen-Kalender 2, 204; ( Icograph. Jahr-
buch 26, 442 (Wülkenhauer, mit W u. L);
Allgemeine Ztg. I9<»3 Heil. 102; Leoixtldina
39, 87; KL 25, 1258 (VV); HZ 13, 272
(Deutsche Monatsschrift f. d. gesamte Leben
li. (5i Ulli wart i<K»3 .\ugust 673: 1". Kal/ol).
Schuselka-Brüning, Ida, geb. Wohlbrüek,
frühere Opemsfingcrin u. Schauspielerin,
auch Si-liriftstellerin : * Königsberg 15. I.
1S17; j- Baden b. Wien 15. XL — Ki.sen-
berg, GroBesbiograph. Lexikon d. deutschen
Huhne 940; \Vur/l>afh, Hi«igraph. Lexikon
d. Kaisert. Österreich 32, 233 (.sehr ein-
gehend); Neuer Theateralmanach 16, 171;
Monatshefte für .Musiki^c^« In litc 36, 13S
(LUstner, mit L); BZ 13, 272 (Zeit 1903
Nr. 47V
Schlitze, l.utlwig, Kunsthändler in Düsseldorf,
Kimstreferent der Köln. Ztg. u. III. Ztg.:
* Braunschweig 13. X. 1841; f Düsseldorf
*2. IV. — KL 25, 1244; 36, 43*; III. Ztg.
t20, 650.
Schützenbcrgcr, Ludwig (Louis) Friedrieh,
elsiiss. Maler; • Straühurg 8. IX. 1825;
t daselbst 17. Müller-Sir.ger. .\II-
gcmeines KUnstlerlexikon } 4, 232; III. Ztg.
120, 659; Ztschr. f. d. Geschichte d. Ober»
rheins 5S. 731 TKniser, L).
Schwab, (ioltfried, Dichter u. Schriftsteller;
* Darmstadt 26. VI. 1851; f Mttnchen
2. III. KL 23, 123') (W). 26, 42*;
BrümnierS 4, 441 ; Münchner Neueste .Nach-
richten 1905 Nr. 287; G. Schwab, Wolken-
schatten u. Hohengl.ii)/ w. ( Icdichtc ans d.
Nachlaß. 2. Aufl. (1904: mit Biographie u.
PI; BZ tj, 283 (Hcssenland 1903, 91:
AI. l^iirgcrl.
Schwackhöfcr, Franz, ordcntl, Professor f.
land« u. forstwirtschaftl. Technologie an d.
Hochschule f. Bodenkultur in Wien: * da-
selbst 15. IV. 1843; t ebenda iS. VII. —
Allgemeine Ztg. 1903 Heil. 164; Leop<ildina
39, 104; Poggendorir 4, 136«) (W); HZ 13,
273 (Ztsdir. f. d. landwirt>ch.itll. \\r-«uchs-
we>en in Österreich 1903, 631 ; Chemiker-
ztg. i')'»3, 747; Mitteilungen des k. k.
teehnolog. Gcwerbemuseums in Wien 1903,
i8y).
Schwalb, Jakob, Theatermeister am Stadt-
theater zu Frankfurt a. M. ; * daseMct 5. III.
1839; t ebenda im Dezember. — Neuer
Theateralmanach 16, 176.
Sohwaalts» Karl, Gebeimer Justiznt, Ober>
107*
Toteidiste 1903: v. Schwan — Scyfbrth.
amtsrichtcr in Ilmenau, Freund d. Dichters
Viktor V. Scheffel; f Weimar 30. IV.,
80 Jahre alt. — III. Ztg. l2o. 725; BZ 12,
28.^ (I'fiih.. Presse 1903 Beiblatt Feierstun-
den Nr. 37).
Schwan, Frans Xaver v., kaiserl. mss. Staats-
rat, Obsenrator an d. erdmagnet. Station
bei d. Sternwarte in München, Astronom u.
Geoffraph, Erforscher l'urkestans; * Bäm-
slcin 1). Grafenau (Bayer. Wald) 8. XII.
I S47 ; f München 20. 1. — Lcopoldina 39,
87 ; Geographen-Kalender a, 304 ; Geograph.
Jalirhurli 26, 443 (W. Wolkenhaucr, mit
W u. L); Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 98:
C. Dukineyer v. KienifaE.
Schwarz, J., Kamnicnnusikcr in Sunders-
hausen; f daselbst im September, 48 Jahre
alt. — Monatshefte f. Musikgcäch. 36, 13S
(LUstner, mit L).
Schwarz, Leo, jür. med., erster Assistent d.
Klinik f. innere Medizin an d. deutschen
Universität Prag; • 1872, f Prag 30. V. —
l.eopoldina 39,87; Virchows Jahresberichte
38, 1, 423 (I'agcl, mit W u. L).
Schwarz von Senbom, Wilhelm Freih. v.,
Dr. für., k. 11. k. Ochciiner Rat u. außcr-
ordeiitl. (ie>aiidter u. bevulhnächt. Minister,
Generaldirektor d. Wiener Weltausstellung
1873, 1874/75 (Jcsandter in Washington;
• Wien 12. VI. i8i6; f Müdling b. Wien
4. Vllt. — HI. Ztg. 1 3 1 , 345 ; Goth. Genealog.
Taschenbuch d. Kreilicrrl. Häuser 1905,737;
Wurzbach, Biograph. Lexikon des Kaisertum
Österreich 33, 309; BZ 13, 373 (Statist.
Mon.atsschrift 'Wien] 1903.808: Kiemer).
Schwarzkopfi Oskar Achilles GusUv v.,
PHÜat tt. Oberhofprediger in Stut^fait;
•Aalen 18. XI. 1S03; f 30. V. - Theol.
Jahresbericht 1903, 1 198 (Nestle, L: Kirchl.
Anzeiger f. WOrtteroberg 1903, 25).
Schweikert, Jobann Gustav, Dr. med.^ Sa-
nitiltsrat in Breslau; | daselbst 31. Iii. —
Leopoldina 39, 49.
Schweitzer, Marie, geb. H e n r i o n, SoufBeiue;
• Weimar 7. II. 1852; f Kiel i6. VIL —
Neuer Theateralmanach 16, 166.
Scbwerin, \ iktor Friedrich Wilhelm Her-
mann Lutlier Cruf v., Kidcikommißherr auf
Schwerinsbuig mit Wusscken u. Sarnow mit
Wendfeld (Kreis Anklam), Krbküchcnmeister
V. AltvfirpomnuTn. k. prcuß. Kammerherr,
Landschafisrat u. Mitglied d. preuü. Herren-
hauses auf Lebenszeit; * Schwerinsburg
22. XII. 1814; t Berlin 18.XI. — Ul. Ztg.
1 2 1 , 795 ; BZ 1 3, 275 (Neue preuö. Ztg. 1903
Dezember 1 1 : Leonhard Gmf v. Sdiwerin);
Ccth. (niiealng. Taschenbuch d. GiSfl.
liauäer 1904, 783.
*Smrle, Richard, froher Schauspieler (Cha-
rakterfcomikei) am Stadttheatcr in Leipzig;
♦ Dresden 1. XU. 1S60; f in d. Nerven-
hcilanst-ilt Dösen b. Leipzig 29. III. —
BJ VIII, 292 (R. Stiller); Neuer Tbcaier^
almanach 15, 144.
Sccchi, Paul, Dr. mtd.. Geheimer Sanitftts-
rat, Badearzt in Reinerz; • Breshiu 22. V.
1844; ■'■ Remo 4. III. — Wiichc 5.
462; Vucliuws Jahresberichte 38, 1, 423
(Pagel); Lebenslauf in S.S Dissertation:
Über die durch Nervenverlctzungen beding-
ten Funktionsstörungen u. troph. Hautver-
inderangen. Breslau 1869.
See, Johanna von der, verw. Stölrel, vcrchcl.
Heinrich, Theaterdirektorin: s. Heinrich,
Johanna.
^SeegSTf Hermann v., l'>r. j'ur., ordentl.
i^ofessor d. Strafrechts an d. Universität
Tübingen : * Stuttgart 18. VIII. 1839:
t Tübingen 12. VL — BJ VUl, 198
(A. Teichm.-mn).
Seibert, Louis, Komponist u. Musikdirelctor
in Wiesbaden; * Klecbcrg (Nassau) 22. V,
1833; t Altenberg b. Wetzlar 29. VII. —
Monatshefte f. Musikgesch. 36, 138 (LUst-
ner, mit L).
Seidel, Kduard, Ked.akteur d. »IHustr. Wiener
Extrablatt«; f lO. XII. — KL 25, 1275.
26, 42*.
Seidelmeycr, Loui- Jcurn.alist u. Publizist
in Leipzig; * Kaltwa:>ser (Kreis l^Ubcn)
3a VII. 1860; 1 1. xn. — KL 3$, 1376.
26, 42*.
Seidl, Fraiu, Opern-Inspizient d. Deutschen
Landestheaters in Prag; * Iglan i. X. 1843;
t Prag I s. X. — Neuer 'Diealeialnaanadi
16, 167.
Seiflnaim, Peter, Dr., MSmt Direktor d.
Tierärztl. Hochschule in T.cnil>crg; f Krak.iu
im Januar. — Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 23.
SeiMSfEmil, k. Württemberg. Kammennunker
a. D. u. T-ehrcr am k. Kon>crvatorium d.
Musik in Stuttgart; * Rottweil 19.IX. 1833;
t Stuttgart 18.X. — Neuer Theateralmanaeh
16, 168.
Selig, Siegmund, Schauspieler u. Theater-
direkter; * Hamburg 27. II. 1840; f Mil-
waukee 36. X. — Neuer Theateralmanach
i6, 170.
Seligmann, Julius, Klavier- u. Violinvirtuose
in Glasgow; * Hamburg 1817; f Glasgow
4. V. — Monatshefte f . Musikgcschidlte 36,
138 (LUstner, mit L).
*8enm von Pilsaeh, Wilhelm Hugo, k.
s&chs. General d. Kavallerie z.D. ; * Dresden
29. [nach Adel. Taschenbuch] IV. 1821;
t Gönnsdorf b. Dresden 37. VL — BJ VUl,
23S ( I oroii/cn) ; Got1>. Genealog. Taschen-
buch d. Adeligen Hiiuscr 1905, 758.
*Seyftartb, Lad wig Wilhelm, B»st«r Pri-
marius in Licgniti, Ptdagog u. Sdirifksteller
lOy* Tolcnlibtc 1903: V.
(iasbc«. Peülalozsiforscher), 1879 — 88 Mit-
glied d. prcuß. Abgeordiietenliauso (frei-
sinnig); • Naumburg a. S. :? 1 . I. 1829;
t Liegnitz 26. X. — BJ VI i I, j<>o (F.BrUm-
incri; Allgemeine Zig. igoj BdL 947;
Wüclie 5, 20S4 (V); WA 13, 277. 14, 256
(Aus d. Schule f. d. Schule 1 5, 549 : C.Zicglcr ;
Schweizer, pädagog. Blätter 1904 Beiblatt
Fot.iloz/.iblatter 46 ; P;idapo<^'. Ztg. 1004,
36: II. Ko.sin; l'eMalo/zi-Suidien 8, 189).
Seyfried, Karolinc, Edle v., geb. Edle v. H o f e r,
Enkelin .Vndreas llofers. W itwe d. k. k.
Staatsbeamten Alexander Kitter v. Scyfricd
in Wien; f Wien 17. 1., 89 Jabte alt —
]||ll.<(tr. Ztg. 120, 166; Wiir^barh, Mioj^rapl).
I^ikoo des Kaiücrtums Österreich 9, 1 50.
Siebertt Vincent, Dr. mtä., kaiserl. niss.
f .'c hcitnrat, früher Oberar/t des Mariiie-
bus|)italä u. Medizinaltnspektur d. tiafen^
in Sewastopol; * Riga etwa 1835; f Bala-
klawa 19. V. — Lcopüldina 39, 104;
Biograph. Lexiltou der bcrvorragenden Arzte
5. .389; Virehows Jahresberichte 38, 1, 423
inil L),
Siede, Julius, Flotenvirluos, elienial. Dirigent
d. Liedertafel in Melbourne, geb. Deutscher;
t Melbourne im Mai, 78 Jahre alt. — Monats-
hefte für Miisikf^estli. (I.üstncr, mit L\
Siegfried, K.irl Gu>tav Adolf, J>r. tluoL it
phil.. Geheimer Kirchourat, ord. Professor
f. alttestamcntl. Exegese u. Mitdirektor d.
'I bculog. beniinars an d. Universität Jena;
* Magdeburg 22. I. 1830; f Jena 9. I. —
KI. 25. 1290 fW i. 26, 42*: AIfre<l Lorenti',
Antitjuiuiat in Leipzig, Katalog Nr. 151
(mit Lebenslauf nach d. Ecced. kgl.f^andes-
schule Pforta 1903 u. P 11. W); S. ltafT &
Jackson, lincycloptdia 0/ living dtvitus
soi; BZ 13, 278 (Ztschr. f. Wissenschaft].
Tlicologie 1903, SO": K.I5aent>ch); Theolog.
Jahresbericht 1 903, 1 1 98 (Nestle, mit L).
Simont I^ouis, k. preuB. Geheimer Kom-
merzienrat, Großindustrieller, Seniorchef d.
Textillimia GebrUder Simon in Berlin;
f in Nauheim (oder Wildungen?) 15. IX.,
74 Jahre alt — Woche 1864 (mit P);
Vo-is. Zl^. 1904 Nr. 13.
Simonis, J akob Ignatius, Dr. thcol., Ka-
nonikiM, Superior des Frauen klosters der
Schwestern ti. götti. IvrliUors v. Niederljronn
zu Oberbrunn b. Niederl>ronn i. Eis., ehenial.
Mitglied d. Deutschen Reichstags ( EKsässcr);
• .Vnimersrhwcier 1?. III. 1S31: t Nieder-
bronn im Februar. — \\ oche 5, 328 ; Kürsch-
ners Reichstag 1898. 387 (mit ¥)\ Ztschr.
für d. Geschichte d. Oberrtieins 58, 731
(Kaiser, L).
Simons, Paul, Ingenleiur, Erbauer v. Bracken
in d. Schweiz; t Bern SO. I., 49 Jahre alt.
— Woche 5, 190.
Se^fried — Springer. I lü*
*Slttard, Joseph, herzogl. sachsen-koburg.
Profe-^sttr, Musikscliriflsteller in Hamburg;
• Aaclien 4. 1846; f Mamburg 24. XI.
BJVIII, 171 (Job. Sass); Riemann 6 1238;
KL 25, 1297 (W). 26, 42*; Monatshefte f.
Musikgesch. 36, 13S (LUstncr, mit L).
•Sitte, Camillo, k. k. Kegierung^rut, Direktor
d. Staatsgcwcrbcschule in Wien, Architekt
u. Kiin-.tsclirirtstellei ; * \\\^\\ 17. I\'. 184^;
t da-selbst 16. XL - lij Vill, 225 (A.Birk);
Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 263 ; Wunbach,
Biograph. Lexikon d. Kaiscrt. Osterreich 35,
35; BZ 13, 378. 14, 257 (Zeit 1903
Deiembcr 3; F.T.Peldegg; Deutsche Kunst
u. Dekoration 1004, 30S: II. Schmidkunz;
Deutsche Hnuztg. 1904 Nr. 6: 1 h. Fischer;
Der Baumeister 2, 44 : O. v. Leisner; Stftdte-
1) iti 191 '4. Henrici).
Skorzewzki, Leon Friedrich Valentin Arnold
Graf, Herr auf Labisxin mit Oporowo etc.
(Kreis Schubin in Po^en), früher Mitglied
d. Deutschen Reichstags; * Posen 28. VI.
1845; t daselbst 2. UL — lU. Ztg. I30,
383; Goth. Genealog. Taschenbuch d.Giftfl.
HUu>er i<)04, 812.
Skriwanck, Heinrich, Theaterdirektor in
Znaim ; f < )IIersbach 7. X. — Neuer Theater-
almanai h 16, it)7.
Slach, Anna, \ereiiel. Hirrenkoven, Opern-
sängerin: s. Birrenkoven. Anna.
Sommerbrodt, Julius. /';•. /////., k. |>reuß.
Geheimer Kegierungsrat, rn»lessor, l'rovin-
zialschulrat a. D., klass. Philoing u. Archio-
lo},'; • I.iegnitx 6. XII. if^i3; t Breslau
6. 1. — KL 24, 1365 (W). 2b, 43*; All-
gemeine Ztg. 1903 Beil. 8.
•Souchay, Konrad Theodor, Dichter;
• Lübeck 30. XI 1 . 1 833 ; y C-musttidt 26. X 1 1.
— BJ Vill. 170 (Job. Sass).
Sperber, Emil V i kto r V.. . Rittergutsbesitzer
auf Adl. Klcszowcn (Ost]>reuOen), Ehren»
ritter d. Johanniterordens, Mitglied des
Dcut^i hon Reichstags (deulschkonservaliv);
• Adl. Kleszowen 27. IV. 184S: f Berlin
17. X. — Kürschners Reichstag 1S98, 14
(mit P); III. Ztg. 121. 648.
Sperling, l'aul (Jotthold, Ih\ med., Olier-
stabsar/t /. D., \'orstand d. Sammlungen
d. Kaiser Willielms-Akademie; • Sampohl
(Kreis Schlochau, Kcg.-Ikv. Mai ienwerdcr)
12. II. 1849; f 5. I, \ ircti(<\vs Jahres-
berichte 38, I, 424 (Pagel); Lebenslauf in
Sp.s I )j-<iTt:)tion : l'bcr Embolien bei Endo-
carditis. Kerlin 1872.
Speteler, Oberinspektor des Norddeutschen
. Lloyd, I .eiter d. techn. Betriebes in Bremer-
haven; f Bremen 17. .\11. — Hl. Ztg. 121,
1015.
Springer, Anton I'ilKr %., Koniuvindant d.
10. loiiinteriebrig.ide in iioppau, .Militiir-
ü ' / ^j^'-'^lc
III*
Totenlute 1903: Stihiiisch — Stolbcig'Stolbeig,
112*
Schriftsteller; f 1 roppau 1. IV.» im 58. Jahre.
— III. Ztg, 120, 536.
Stähnisch, Gustav, Schauspieler; • 12. XI.
1877; + NiAumhiirg a. s. 2.^ Vlli. — Neuer
Theatcralinanach 13, '54-
*StMnbke, Moritz, k. prcuü. Gclieimcr Obef^
bäumt, Ki^cnhahniiiRt. iiiLur ; * Klein-Lübars
23. U. 1830; t Ucrlin 18. 11. — BJ VIII,
3a6 (A. Birk).
•Starke, Wilhelm Gustav Karl, Wirkl. Ge-
heimer Oberjustizrat, Kcforinator d. Gefilng-
niswesens; * Lauban 26. IL 1824; f Berlin
10. III. — HJ VIII, 237 (A. Teichmann).
Starorypinski, M. v., Schauspieler : s. H e n z e,
Max.
Steidlc, Johann Gcorj; v.. rrdhcTer Bürger
meistcr von Wurzburg; f daselbst 23. XI.
— III. Ztg. 121, 913.
Stein, Hermann, chenial, Orclicstermit^icd;
* Meuselwitz i. II. 1834; f Frankfurt a. M.
I. XII. — Neuer llieaternimanach 16, 173.
Stcinbcrgcr, rhilij [ , / Imarzt u. Dozent d.
Zahnlu ilkiuuie im d. Universität in Wien;
•j" Blcilicrg (^Kärnten) im September. —
Virchuws Jahresberichte 38, I, 434 (Pagel,
mit L i.
•Steiner, Kilian v., /)r., k. Württemberg^.
Geheimer Kommerzienrat, Finanzmann u.
Ptilitiker, Kunst- und 1 .iteraturfreund ;
• Lauphcim (Württemberg) 9. X. 1833;
t Staltgart 25. IX. — BJ VIU, 162
<G. Schmnller); HZ 13, 285 (Nationalztg.
1903 Sonntagsbeil. Nr. 42: G. Weisätein;
[Stuttgarter] Neues Tageblatt 1903 Oktober
lu: A. l'.ilni\
Steinkopf, Fritz, k. Württemberg. Kommer-
zienrat, Chef der Verlagsbuchhandlung
I. I'. '^tciiikopf in Stuttj,'art; f Stuttgart
24. III. — III. Ztg. 120, 507; BZ 12, 295.
14, 203 (SchwSb. Merkur 1903 Nr. 139;
M(>nat>s«-hrirt f. innere Mi$si<ni 1904, 161.
201, 241: A. Schultze).
Steinmetz, Hermann, Dr. ikeol , Konsistorial-
rat, Gener.nlsupcriuteiulcnt d. Konsisturiums
inSt.ide u. auUcrordentl. Mitglied d.hannov.
I.amlc";kon>istoriums; 25. V'III., 72 Jahre
;»lt. - \ <i-.v. Ztg. 1904 Nr. 5.
Steiler, W ilhelm, ( liinareisendcr, jjeog^raph.
Sciirilt-t(.llcr, zuletzt Kaufiiiaiiii in -^ciner
Gcburt-^stadt Biberaeh; t ilaselbst 10. IX.
— - Iii. Ztg. 121. 411; ( leoj^raph. Jahiliuoli
26, 444 (W. Wolkenbauer, mit W u. L.)\
Voss. Ztg. 1904 Nr. 9.
*Stcnglein, Melchior, fr. Jur. honoris causa,
Keichsgcrichthrat a. Ii., früher Mitglied d.
bayer. Karomer d. Abgeordneten und d.
Deutsflien Kci. h'^iafjs (nationaIIil»eraI), Kri-
minalist; * Ha\ reuth [nicht Bamberg?] 4. X.
182s; t Tegernsee 8. VII. — BJ VIII,
234 (A. Teichmann); KL 25, 1334 (W).
26, 42*; ÜZ 13, 285 (Deutsche Juristenztg.
I903> 349* O. Liebmann; Der Tag 1903
Juli 1 1 : A. BrQckmann).
Sterne, Carus (Pseudon.), Naturforscher: s.
Krauüc, Emst.
*Steub, Fritz. Maler u. Illustrator in München,
Mitarbeiter d. »Fliegenden Bliittcr« : * Lindau
II. -XL 1844: f Tartcnkirchen 5. \ III. —
BJ VIII, 99 (II. Holland).
*Steudel, Wilhelm, Dr. med., Sanitätsrat,
prakt. Arzt in Stuttgart, Vorsitzender d.
wtirttembeifir. Irxdichen Landesausschusses,
auch Schmctterlingssamniler; • Oberurbach
(Württemberg, Oberaiut SchorodorfJ 4. IV.
1829; t Stuttgart 23. VII. — BJ VIII,
106 (Papel); Le(>]ioldina 30, 132; BZ 13.
386 (Medizinisches Korrcspundcnzblatt d.
Wü rttemberg, »ntl. Landesvereins 1903, 286;
Gerok. mit P).
*Stiegele, Paul, Domkapitular in Rottenburg,
dieolog. Schriftsteller; * Ravensburg 3. XII.
1847; t Rottenburg 34. IL — BJ VIH,
69 ( F. Lauchert).
Stiin, Daniel, Pianofortefabrikant in Mil-
waukce, Begründer d. jetzigen Kohltängschen
Klavierfabrik dasclb-t; • Biedenkopf (Hess.)
1818; t Milwaukee im Dezember. — III.
Ztg. 122,23; Monatshefte f. Musikgesch. 36,
139 (LUstner. mit L).
Stock, Otto lOmil, Dr, phil., Privatdozent
d. Philosophie an d. Universitit Greifswald
u. (^hcrlelirer an d. Landwirtschaft!. Scliulc
zu Eldena; * Stargard (Pommern) 16. 1.
1867; t Greifswald 17. IV. — Allgemeine
Ztp. l<)o3 Beil. 93; Chronik d. Tnivcrsität
Greitswald 17 (»902/3), 12 (J. Kehmkc);
Lebenslauf in St.s Dissertation: Descaites'
Grundlegung d. Philosophie. Greifnrald
1888; KL 25, 1343 (W). 26, 42*.
Stockmaiui, Fritz, Dr. med., Urolog; * Ma-
rienburg 3. XI. 1862; t im März. —
Vircbows Jahresberichte 38, I, 424 (Pagcl,
mit L); Lebenslauf in St.s Dissertation:
Cber d. zeitl. Verhältnis d. Dauer d. Sv>t<)lc
z. Dauer d.Di.istole. Königsberg i. Pr. iSS<>.
Stolberg-Stolberg, Albrecht liger Prinz
zu; ♦ Stolherg 16. I. iSOi; f Schloß Eul-
bach b. Kibacl» 29. VII. — Goth. Genealog.
Hofkalcnder 1904,217.
— : AI f r e d Fürst u. regier. Graf lu Stolbetg,
Kr>iii>;>tein ffc.\ * Stolbcrg 23. XL 1S20;
f daselbst 24. 1. — Goth. Genealog. Hol-
kalender 1903, 216. 1904, 317; III. Ztg.
120, 166 (P u. Biogr. in Nr. 3054 vom
9. Januar 1902); Woche 5, 238 (Pj; BZ 12,
397 (Hamburg. Korrespondent 1903 Jamur
2S; [H iiiibiirp.' Frenidenblatt 1903, Nr. 3$«
Tägl. Rundschau 1903 Nr. 46).
— : Wol ff gang Georg FBrst u. regierender
GrafsuStolbeig, Königstein * Stolbetg
Totenliste 1903: Stolberg«Wcmigerode Thiele.
114'
15. IV. 1849; Kottlchcmdc 27. I. - III.
Ztg. 120, 199; Woche 5, 238 (P); Goth.
Genealog. Hofkalender 1904, 216.
Stolbcrg-Wcrnigerode, Marie Wilhdminc
Johanne, geb. Prinzessin ReuB j. L., Witwe
d. Grafen Eberhard (f 1872); ♦ Kleinziji
34. V 1 . 1 8 2 2 ; t Giersdorf (Schlesien) 1 6. X 1 1.
— III. Ztg. 121, 1015; Goth. Genealog.
Ilork.-ilender 1904, 71. 217.
Stölxel, Johanna« Theaterdiiektorin: cHein-
ricli, lohinnn.
Storm, J)urothea, zweite Gattin d. Dichters
Theodor St.; f Demu 4. II., im 75. Jahre.
— Hl. Ztg. 120, 259.
' Straub, J., Maler in Bonn, einer d. letzten
»Natarenei« ; f Bonn 18. V., 54 Jahre alt.
in. Ztp. 120, 85S.
*Strauli, Emil, Verlagsbuchhändlcr in Honn;
• Cöln 18. Vin. t84s; + Bonn 31. VIII.
— BJ VIII. 304 ( R. S. Imiidt i.
Straufl und Torney, Lothar v., General-
major s. D., 1864—93 FlUgeladjatant d.
Fürsten v. Scli.numhurg-Lipjio: t BUckehiirjf
30. VIII.. 68 Jahre alt. — Woche 5, 1644;
Voss. Ztg. 1904 Nr. 3.
Stritt, Robert, chemal. Schau<;picler; * Graz
2. X- 1837; f Darnistadt 21. III. — Neuer
Thealcralmanach 15, 144; l'lUgjjcn, Biogr.
BUhncnlexikon 13, 144.
Strube, Frau Marie, frühere Schauspielerin:
• 23. VIII. 1832; f .Magdeburg nii drillen
Viertel d.Jalurcs. — Neuer Theatemlmanach
16. 166.
Stückelberg, Johann Mciclüor Ernst, Dr.
pkil» Aanoris causa, Maler in Basel ; * da>
selbst 22. H. 1831: f cliend;^ 14. IX. —
III. Ztg. 1 2 1 , 46 i (vgl. Nr. 301U vom 7. März
1901 mit Biogr. u. P); D. geistige Deutsch-
land I, 686 (.\utobioi,rr.); BZ 13, 289. 14,
267 (Alte u. neue Welt 38, 183: A. Geöler;
Nene freie Presse 1903 Sept. aa; Frank-
furter Zt<j. 1903 Sept. 16; Neue ZLircl.tr
Ztg. 1903 Sept. 15; Basier Nachrichten 1903
Sept. 16; Schweizer. Rundschau 4, 46:
I». A. Stückelber-,'; Schweiler. Archiv fbr
Hcnildik 1903, 173).
Stndnleka, Frans Josef, Dr. fhii., ordentl.
Professor d. Mathematik an d. tschechisch.
Uoiversitit in Prag (bediente :sich in seinen
Schriften meist der deutschen Sprache);
• Janov b. Sobe^v 27. VI. 1836; + Pr^r
21. II. — Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 44;
Poggendorff 3, 131 1. 4, 1459 (^W;; Würz-,
bach, Mograph. Lexikon d. Kaiseit Öster*
reich 40, 136.
Stummer, Joseph v., k. u. k. Geheimrat u.
Sektionschef a. D., im Kabinett Wittek
Ministt-r d. Innern, früher Mitglied d. biihin.
I-andtags; f Eger 14. Vll., im 69. Jahre.
— Ul. Ztg. 131, 139.
•Stürzinger, Johannes j a k o 1> , Dr. phiL,
ordentl. Profesi>or f. romau. u. engl. Philo-
logie an d. Universiölt WBrzburg; • Wylcn-
Slanimheini (Sohweiz) 6. XII. 1S55; t WUrz-
burg 1 2. V I. — BJ VI 1 1, 280 ( 1 1. Schneegans);
Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 132; BZ 12,
289 (Neue Zürcher Ztg. 190 ; Juli 17).
Sttblc, Simon, Dr. phil., auOerordentl. Pro-
fessor d. Physik .an d. Universität Gnu;
• Broden in d. Pfarre Bischoflaak (Krain)
2S. X. I.S30; + Gniz 27. \'ll. — Allgemeine
Ztg. 1903 Beil. 173; Poggcndorir 3, 1313.
4, 1462 (W]) ; Wurzbach, Biograph. Lexikon
d. Kaisen. Österreich 40, 262 (mitWu.L);
l.eupoldina 39, 104.
Snadltelm, Wilhelm, spanischer Industrieller,
Gründer d, Riotinto-Bergwerk<;,'i.sell«<haft
und d. Eisenbahnen Sevilla — iluelva und
• Zafra — Haelva; f Haelva im August. —
III. Ztg. 121, 279; Voss. Ztg. lf)<>4 \r. 13.
Szeps, Leo, Herausgeber d. Wiener Ztschr.
»D. Wissen f. Allee ; t Wien 7. IV.. 38 Jahre
ah. III. /ti,^. I ^o, (>23.
Täglichsbeck, Otto, k. preufi. Berghauptniann,
Direktor des Oberbeigamts in Dortmund,
1881—84 Mitglied d. deutschen Keiclist.igs
(nationallibcral); * Brandenburg a.H. 14. VII.
1838; t Wiesbaden 19. IV. — III. Ztg.
120, 659; Schoenfeld, Notixbudi f. Reichs-
tags Wähler 5, 236.
Taubert, Otto, Dr. phil., Professor, Musik-
direktor, Überlehrer an» (lymnasiuni in
Torgaii, Kantor d. -Stadtkirclic u. Dirigent
d. städt. Gesangvereins daselbst, Lieder-
komponist und Musikschriftstellcr, auch
Dichter: • Nainnbiirg a. S. 26. VI. 1S33;
f Torgau l. Vlll. — .Monatsliefte f. .Musik-
gesch. 36, 139 (LQstaer, mit L); Riemann ^
I y I o.
Teindl, N'iktor, Dr. med., k. k. Generalstabs-
arzt d. R. in Wien; * Neu.<ttadt (Mlihrcn)
1S4I ; t 19. IX. — Virchows JahreslK-richte
38, I, 424 (Pagcl, L); BZ 13. 292 (Wiener
Medizin. Wochenschrift 1 903 M ilttftniTzt i6o:
Steiner).
TetenS) Alfred fUedrich, Hamburger Wasser-
schout, Vorsitzender d. Seemannsamtes d.
Freien u. Hansestadt Hamburg; • Wil>ter
(Holstein) i. Vll. 1835; t Eppendorf b.
Hamburg 13. I. — III. Ztg. 120, i32(raitP);
BZ 13, 294 (Internationales Archiv f. Ethno-
graphie 16, 7S: SchnieltzK
Thalborn, Schauspielerin: s. Knientt,
Beatrix.
Theus, Peter, schweizerisch. < ilockengießer;
f Kelsberg am Calanda, 60 Jahre all, —
Woche 5, 736.
Thiele, l''raii 1 tiisc. geb. Zarnack (I'studon. :
L. Bernliard und Bernhardt), Schrift-
stellerin (cbristl. Erzählungen) in Potsdam;
Totcnliste 1903: Thide — Uttner. i i(S^
115*
• Ik'cskow (M.uk Brandciibiirjr'; 31. I. 1832
(iMlcr 1834?); t 26. \'. — KL 25, 144J
(W). 26. 4>*; Brammers 4. 203 (W). 476;
Patnky, Lexikon deutscher Frauen d. Feder
2, 366.
Thiele, Felix Richard, ehem. Kapellmeister,
<>rixitii-.t iiinl Knin])onist (»Das deutsche
Flottciilicd« j in Berlin; * daselbst 29. X.
1847; t ebenda 25. IV. — Neuer Theater-
almanach 15, 14(1; MonatslKTtc f. Mti^ik-
gcsch. 36, 139 (LUstncr, mit L); Kiemann ^
W-
lllicm, Ciistav. Musikdirektor in RudoUtadt;
f diii^dhst 3. Vlli., 58 Jahre alt. — M<»natsli,
für Musikgcsch. 36, 139 (Lüstnor, mit L).
Thomas, Friedlich Willtclm, Hildhauer;
t Charluttcnhurg 29. 72 Jahre alt. —
Voss. Ztfj. 1904 Nr. II.
Thomas, ULmiann Adolf, Pfarrer in ()[)pach,
1 ok.iIlii-tDrikiT: * Bautzen 17. X. iSio;
t Hlasewitz b. Dresden lO, VIII. — Amts-
kaleiuler f. eTang.-lothcr. Geintlicbe im
Köniffr- Sachsen 1904, 205: Inhrfsl.crii-lit
d. I.ausitzer Predigergcsellachait zu l^*ipzig
1902/3, 40. — Mitteilung v. Prof.H.A.Lier
in 11r(.sdcn.
Thum und Taxis, La m oral Kricdrich
Wilhelm Maximilian Vincenc Georg Prinz zu,
k. u. k. Kiinimorcr 11. ( Jclit iiiicr Rat. Kcld-
marsehallleutnant d. K., Oberstiiiliaber d.
k. k. Husarcnroginients Nr. 9; • Maria-
Thcrc>iu|)Ll i.vI V. i.S ^2; + PrcUburg 9.XII.
— III. Ztg. 121, 75(3; (Joth. Genealog.
Hofkalender 1904, 224. 1905, 226; Würz*
bach. Biograph. I^exikon d. Kaiscrt Öster>
reich 45, 77.
Tillmann, (rtc/t Hüfgen) Christof, Mit-
glied d. Stadttfaeater» in Metz; f Ronsecours
14. X. — Neuer 'I'heator;iIni:in:». I( 16, 167.
Toldt, Kricdri. Ii, /;/•. ///;/.. l'rn atdozent f.
KiscnhüttctuvLscn an d. l echn. Hochschule
in ( Ira/, (.'heiiiiker; t ( Iraz 15. Ifl. —
I.eopoldina 39, SS; III. /tg. 120, 405.
Tradt, Wilhelm, Freund d. Dichters Martin
Greif:tMiin.henS. VI. .\!.(; reif, Gedichte.
7. Au/l. Leipzig 1903. 8.411.
Trauner, Friedrich, Buchhindler in Wels;
tda>el!.st <). II. - Hr.rscnblatt f.d. Deutschen
Huehhandel 1903, 1206.
Trausch von Trauschenfel«, Johann Karl
F. u en , k.k. ! lofi it, I !i~tntii''n,i|ili, deutsch-
siebenbUrg. l'arl.iment.iricr und Publizist;
• Kronstadt 3. III. 1S33; f daselbst im
Feljfuar. — III. Ztg. 120. 465; AUj^cmeinc
Xlg. 1903 Heil. 45; Wurzbach, Hiograph.
Lexikon d. Kaisert. Österreich 47, 36; BZ
12. 30S (Jahrbuch li. f Icsellscliaft für d.
Geschichte d. Protestantismus in Ostcneicli
24, 129: G. Frank; Lvang. Kirchen/:tg. f.
Österreich 1903, 99).
Trautmann, Wilhelm, k. preuß. Justizrat,
Kcchtsanw.-ilt u. .Notar in Halle a. b., 1878
— 81 Mitglied des Deutschen Reichstags
(nationalliberal, spaterÜlieralc Verciniijurig);
* Uittcrfeld 29. Vil. 1846; f Halle a. S.
6. II. — Woche s, 383-; Schoenfeld, Notiz-
buch f. Rcichstaji^wühler 5, 132.
Treu {rect< G ratzer), Johiinn Hugo, cbcm.
Theaterdirektor; tDeutsch-Liebau29.VIII.,
76 Jahre alt — Neuer Theateralmanach 15,
155.
Troaikm, Richard, frBhererChorsänger; * Dip-
poldiswalde (Kj,'r. Sachsen) 12. V. 1850;
t Reutlingen 29. -\. — Neuer Theater-
almanach 16, 170.
Trost, Karl. Kulturhistoi ik>. r u. Publi/.ist in
Heiliii; ♦ Calw iS. Iii. 1839; f lierlin
<). V. ^ KL 25, 1460 (W). 26,42*: III.
/Air. 120, 765.
Trost, Louis, Orchcsterniiti^'licd am l'hali.i-
thcater in Hainburg; * daselbst 3«. XII.
1870; t ebenda 20. XII. — Neuer Theater*
almanach 16, 175.
^Trotha, Ernst Otto v., k. prcu6. General-
leutnant a. D.; * Neubeesen (Pror. Sachsen.
S;\:ilckrcis) 24. VI. 1819: t Schkopau (nicht
.Skojiau) b. Merseburg 29. 1. — BJ \ II1,
188 (Ix»renzen); Goth. Genealog. Taschen-
buch d.Adel. Mauser 1903, Sii.
Tschirscbky und Boegendorff, Otto, Julius
V., k. sftchs. Wirkl. Geheimer Rat, ehemal.
Generaldirektor d. sächs. Staatseisenbahnen,
zuletzt Vorsiucnder d. Verwaltungsrats d.
Dresdner Bank; * 12. III. 18 iS; f Dresden
8. X. — Woche 5, 1872 ; Oettinger, Monteur
des dates S, 259.
Tymowski, J., Dr. nud., Arzt u. Schriftsteller
in Wien; f Nizza im Juni. — Virchows
Jahresberichte 38, 425 (Pagel, L").
L'brich, Ludwijj. Schauspieler (Charakter-
rollen) u. Theaterdirektor ; • Darmstadt
7. I. 1S2S: f Weimar 20. Xll. — Neuer
Theateralmanach lO, 175; Flüjjgen, Hio-
graphiscbes Buhnenlexikon l, 310.
l'hl, Marie, vereheL Weyr, Schriftstellerin:
s. Weyr, Marie.
UUmann, k. k. Hofrat, Direktor d. Donau-
dampfschiffahrtsgeselischaft in Wien; f da-
selbst 30. XL — Woche 5, 2180.
Ungar, Ludwig (Pseudonym), Schriftsteller:
K l 1 5 eher, Bertha.
Ungcr, Margit, Ballctmeistcrin und Solo-
tanzerin am Stadttheater in DOsseldotf;
• Beriin 5. VI. iSSo; + I)ü>scl,Iorf 16. X.
— Neuer Theateralmanach 16, 167.
Ungnad, Otto, ehemal. Schauspieler und
Theaterdirektor; f Hrond>erg 21. VIII.,
72 Jahre alt. — Neuer Theateralmanach
«5. «54-
Uttaer, Adolf, Gesanglehrer in Weimar, fillher
-•'ü • '-i ^J^-'-'
11^* TotetüJste 1903: Vamht^gen — Waldmann. 1 18*
Upcriuängcr (tiasüiät), Kegiäscur; * Koblenz
i.XII. iS^B; t Locanio 4. VII. — FlOgi^en,
Biograph. ßUhncnlcxtkoil I, 3II; Neuer
Tbealeralnianach 15, t$2i Monattliefte fUr
Musikgeseh. 36, 139 (Lastner, mit L).
Varnhagen, Geheimrat, ehenial. fiir>tl. lipp.
Kammer- u. Konsistorialpräsidcnt in Arolsen ;
fEnded. Jahres, 86 Jahre alt. — Allgemeine
Ztg. 1904 Beil. 3.
Veit, Aloys Konst.intin Konrad Gustav v.,
Dr. med., k. preuü. Geheimer Obcrmcdizinal-
rat, früher Direktor d. Gyn&kolog. Klinik
u.Verwaltungsdircktor d. klinisch. An«;ta!ten,
sowie ordentl. Professor d. Gyniikolopie an
d. Lniversitiit Bonn; • Lcoij>chütz (< )bcr-
schlesicn) ,1. \ l. i.Si4; t Deyclsdorf h.
Grimmen (Foinmernj 20. IV. — Chronik
d. Universität Bonn 29 (1903), 2; Leopol-
dina 39, 88; Pagel 175^ (mit P); Hiofjraph.
Lexikon d. hervorrag. Arzte 6, 79 (mit W;;
Virebows Jahresberichte. 38, I, 48$ (Pfeirel.
L); BZ 12.115 (Monatsschrift f. Geburtshilfe
u. Gynäkologie 1903, 1223: A. Martin).
VeUh, GeoTfr, Infrenieur, Professor fttr
Maschincnl>aii : f Stuttgart 2. \'![.. Si Jahre
alt. — Woche 5, 1236; BZ 13, 305
(Schweiler Battztg. 42 Nr. 2).
Vcrdier, Lucie, verchel. Ferenczy, frühere
Operettensiingcrin : s. Ferenczy, Lucie.
Viktor, Hugo (Pseudonym), Schriftsteller; s.
Schi o cm p, Edwin.
Voigt, August, Professor, Vorstand d. Gothaer
Liedertafel u. Vorsitzender d. Deutschen
S&ngerbundes; f zu Gotha. — Woche 5,
736; BZ 12,320 (ThQringer Schulblatt 1903
Nr. 8.
Volkmann, Diederidi, Dr. phil., k. prcu6.
Geheimer Rcgicrungsrat, 1S7S (jS Rektor
d. Landesschule Pforta, Schulmann u. klass.
Philolog; • Bremen 13. IX. 1838; f 13. VII.
— Voss. Ztg. 1904 Nr. 5: Eckstein, Ai^ffW»-
clator phiiologorum 596.
VoOnaar, Antonie, Genre- u. PbrUtmalerin
in Berlin; + 21. XII., 76 Jahre alt. —
Voss. Ztg. 1904 Nr. II.
Volkmer, Luise, verehel. Albes, Schauspielerin
II. Sängerin: Albes, Luise.
Vucobrancovits, Willi v., Opernsänger: s.
Willem, Willi
Wachsmuth, Franz Rudolf, Geheimer Justix-
rat, früher Mitglied d. Frankfurter National-
versammlung, d. prcuB. Abgeordnetenhauses
u. Norddeutschen Reichstags, einst (»efährtc
Fritz Reuters auf d. Festung Silberberg;
* Zttllichau 31. XI. 1810; f Crossen a. d. O.
29. V. — III, Ztg. 120, 897; OettiDger,
Afonitcur des dah-s 5, 164.
Wagener, Hermann, Major a.D., Konserv.ttor
d. tlldt. Museums in Hraunsi. hweig; da-
selbst 4. 1., 74 Jahre alt. — ili. Ztg. 120, 79.
Wagner, Arthur, iJr. nud., kaiä. russ. Staats-
rat, Obcrant des von ihm in St. Petersbui^
untcrhalteiKii Privnt1ir>spita!s ; * .\rensburg
18. 1. 1842; f St. Petersburg 28. X. —
Virchows Jahresberichte 38, t, 425 (Pagel,
mit L),
Wagner, Bernhard Ludwig, Dr. med., vex-
antword. Redakteur d. Jahrbuchs f. Kinder-
heilkunde; • Dclit/ b. Weißenfels 12. VIII.
183«); t iS. III. — Virchows Jahresberichte
38,' I, 425 (Pagel, L); BZ 12, 322 (Jahr-
buch f. Kinderheilkunde $7,519: A. Steffen).
Wagner, Georg Gcorgicwitsch (Jegorjegoro-
witsch), Professor d. Chemie an> Polytech-
nikum in Warschau, Mitarbeiter cleiit scher
ehem. Zeil>chriftcii ; * Kasan 29. .\I. i.S4<);
t 27. XI. — Allgcmcine/tg. 1903 Beil. 279;
Poggendorff4, 1586 (mit W); BZ 14, 289
(Berichte d. Deutschen ehem. Gesellschaft
36, 4591 : G. Wagner yw»).
Wagner, Wilhelm, Dichter, Schriftsteller u.
Journalistin Bad Nauheim; * 24. V. 1S62.
— KL 25, 1503 (W). 26,42*; BZ 12, 322
(Hessenland 1903, 90: A. Bürger) ;Brttmmer 5
4, 270 (mit W I.
*Wahl, Alexander v., Bildhauer u. .Maler in
München; * Aflfidc (Livland) 22. XII. 1839;
t München 2. XII. — BJ VIII, 200 (H.
Holland).
Waicker, Heinrich, I ioforgelbauerin Ludwigs-
burg; • 10. X. 1828; t Kirehheim u. T.
24. XI. — Monatshefte f. Musikgesch. 36,
139 (LUstner, mit L); Riemann* 1430.
Waicker, Karl, Inhaber d.VerlagsbuctthandIg.
Chr. Belscr in Stuttgart; f daselbst 18. IV.
— Biirsenblatl f. d. Deutschen Buchhandel
1903.
Waidburg-Zcil-Wurzach, Eberhard II. Franz
Leopold Maria Fürst v., Senior d. fürstl.
Gesamthauses Waldburg u. als solcher
Rcichserb-( )bcrhofmeister d. Kt;r. Württem-
berg, Mitglied d. Württemberg. Kammer d.
Standesherren, k. u.k. Major a. D. ; * Wumch
17. V. 1828; t KißlegjT (Württemb., Donau-
kreis I. VIIl.— Goth.Genealog.Hof kalender
«903» 231. 1904, 232.
Waldersee, Franz George .Vdolf Gr.af v.,
kaiserL deutscher Vizcidmiral <> /n suiic d.
Marine; * Potsdam 17. IX. 1835 ; t Meesen-
dorfb. R.iclv-chUtz (Kreis Neumarkt, Schles.)
23. Xi. — Goth. Genealog. Taschenbuch
der Gfifl. itttiser 1904, 925; Jll. Ztg. 14.
290; BZ 14, 290 (Hilitarwocbenblatt 1904
Nr. 51).
Waldmann, l'ranz, Dr. phil., Renllehrer,
Lehrer an d. Tiichtersehule in Schnffhausen,
Historiker u. Literaturforsdicr: * .\rbon am
Bodensee (Kanton I hurgau) 26. IV, 1847;
t .Schaffhausen 14, V. — KI. 25, 1507
(W). 26,43*; UL Ztg. 130,805; Lcopoldina
Totenliste 1903: v. W«ld8tem — Weininger.
39, 104; HZ 12, 323 (Schweizer Lehrerxtg.
1903 Nr. 24).
Wmldstein, Joseph Emst Graf v.. Ik-r
auf Wartenberg, Scnioratsherr, k. u. k.
Geheimer Rat u. Kcldmnrsch.-illcutnniit a.D.,
MitjjUcd d. Herrenhauses d. l'stcrr. Kcichsrnts
•Ulf 1 .ebciiszcit(Vcrfassungsp.irtci 1; • I'crsfcin
1). Juiitibunzlau 22. IX. 1S24; f Schloß
Trcl>itsL-h (Mahren) 2t.\ II. — Goth. Ge-
nealog. I';>-eliciil)Uol) i\. (Jräfl. Hiiuscr 1903,
939. «904. ysü; ilL /Ag. 121, 175; S.Hahn,
Keichsrats-Almanach f. d. Session 1891/93,
1 1 1.
Walfcld, Kurt V. (Pseudonym), Schriftsteller:
s. Med in g, Oskar.
Walter. Emil ( "hefn. «lakteiir u. Direktor d.
Königsberger Uartungschen Ztg.; * Neu-
stadt'Magdcburg i. III. 1860; f Kreux 29.
\'. III. Ztj,'. I30, Sg;; KI. 25, 1510. a6,
42*; Kindlleisch, AltpreiiO. Bibhographie
loov 52 (L; Kflnig>berjjer Hartungsche
/ti;. i<K).> Nr. 24S. 249. 2-;o. 2^}).
Walther, Gustav, Dr., bis Piiisident
d. anhält. Regienmg in Dessau ; f 23. XII.,
76 J.ihre alt. — \ oss. /tg. 1903 Nr. 608.
Wangcnheim, Walther Christian Krcih. v.,
kais. deutscher Legationsrat u. außerordentl.
' i' .»ndtcr 11. be\ ollmiiclitigter Minister bei
d. .\rgeritin. Ke|)ublik in Huenos .Vires;
• .\en-l.ubitz 16. \ . 1S47; t Huenos Aires
10. VIII. — III. Ztg. 121, 279; Goth.
Genealog. Taschenbuch d. Gr&fl. Häuser
1904, 826.
Wuigeria, Carl Albert, Dr.pkü., Assistent
am ehem. Institut in I Lille a. S. ; * Herlin i
VI. 1873; t Halle a.S. 19. X. — l-eopol-
dina 39, 132; Lebenslauf in W.s Disser»
tation: Über d. Titration d. IndigOS mit
Hydrosulfit. Halle 1S92.
Wanschaif, Julius, Prüzisionsmechaniker in
Potsdam; f daselbst im •»September. -
lUustr. Ztg. 121, 523; Virchows J.ihresbe-
richtc 38, !, 425 (Pagel, mit L); BZ 13,
314 (Weltnil 4, t)9: Arehenhohl).
Waren, I.eo i Pseudonym), Schriftsteller: s.
Mcding, Oskar.
Washington, Maximilian Emaniiel Willi-
bald Kcrnh.ard Johann Gcl)hard, Herr auf
IViU (Steiermark), k. u. k. Wirkl. Geheimer
Kat, Mitglied d. Herrenhauses d. osterreich.
Keichsrats a»t lebcns/oit (WrfassungS"
p;irtei), Präsident d. k. k Eandwirtschafts-
gesellsehaft f. Steiermark, hervorragender
Landwirt; • Notzing (Oberbayern) 2. VIII.
1S29; + Graz 3. VII. — lllustr. Ztg. 121,
67 : Goth. Genealog. Taschenbuch d. Frei-
herrl. Ilatiscr 1905, .S75; Wur^'bach. Pin-
graph. Lexikon d. Kaisert. t)sterreich 53,
130; S. Hahn, Reichsrats-Almanach fdr
1891/92, 113.
Wasserburger, Paul v., k. k. Baurat, ehe*
mals Mitglied d. Baukommission im Öster-
reich. Ministerium d. Innern: * Wicn4. \I.
1S24; f daselbst 23. XI. — lllustr. Ztg.
121, 913; Rheinhardt, Biographien d.
Wiener Küii-tler u. Schfiftsteller 1, 32.
Weber I-'dler v. Webenau, \iktor, k. k.
Österreich. Trucliseß; t München 7. HL,
S2 Jahre alt. — Woche 5, 462.
Weber, Hertha, k. sächs. Hofopernsängerin
a. 1). (Soubrette); f Kadebeul 9. HL, im
68. Jahre. — Neuer Hieatvralmanach 15,
142; Monatshefte f. Musikgeschichte 36,
139 (LUstner, mit L); Flüggen, Biograph.
BUhnenlezikon 1, 320.
Wcckbcckcr, Hugo I^reiherr v., k. u. k. Feld-
marschalUeutnant, chemal. ElUgeladjutant
des Kaisers Österreich; • Wien 14- II.
«820; f Helenenthal b. Raden b. Wien
26. Vll,, im 84. Jahre. — Woche 5, 1372;
Goth. Genealog. Taschenbuch d. Preihcrrl.
Hiuiser 1905, 879.
Wehl, Paul. Violinist, frtiher Koiuertgeiger
d. (Quartetts Wehle in W'icn, dann Direktor
ein. Musikschide daselbst; t ebenda 21. VI.,
im 40. J.ahrc. — lllustr. Ztg. 121, 67:
Monatshefte f. Musikgeschichte 36, 139
(LUstner, nnt Li.
Wchrmann, 1 lieoilor, Szencricinspcktor d.
künigl. Schauspielhauses in Berlin; f Ahl-
beck 27. VII. — Neuer Thenteralnoanach
>5. 153-
Weidemann, Albert, l>r. />hH., Geheimer
Rat, Obersehulrat a. D., einst Vorstand d.
gesamten ^ huhvescns inj Herzog-tuin
Sachsen-Meiuiogen i * Kehmsdorf b. Zeitz
94. IX. 1S06; f Meiningen 24. VI. —
Illuslr. Ztg. 1 2(t, Sq7.
Weil, Heinrich Ritter v., Dr. med., k- k.
Regierungsrat, Leiter eines Orthopäd. In-
stituts in Widiring b. Wien; t daselbst
5, I., im 69. Jahre. — Allgemeine Ztg.
1903 Heil. 6; Virchows Jahresberichte 38,
I. 425 (Pagel, mit L).
Weinberg, Ljuba, .Schwester de? Musikus
.Anton Rubinstein; f St. Petersburg 14. L,
70 Jahre alt. — Woche 5, 144; Monats-
hefte f. Musikgcsch. 36, 139 (LUstner, mit L).
Weiner, Eugen, Flötist, Gründer <Ies Xao
York Hüharmonic Cluh\ f New York
27. IL — Monat^luftc f. Musikgescluchte
3^». '39 (Llistiier, mit L).
Weininger. Otto, Dr. phii., Philosoph; f
Wien 4. X. III. Ztg. 121, 64S; N. Wiener
Journal 1903 Okt. 25 (F. Jodl); BZ 13, 316
(Berl. Tagehf. 1903 Okt. 13; Bund 1903
Okt. if): V. Widm.inn; Neue üahnen 1904,
214: W. Freih. v. Appel); O. Weininger,
über die letzten IMnge. M. e. biogr. Vorw.
V. M. Rappapoit. Wien 1904.
121*
Totcnliste 1903: Weinridi — Widemann.
122*
Wcinrich, jo-cf, f >hcriji.>pizicnt am Stndt-
tlic.ucr III Kig.i; f liasclbst 30. 1., 35 Jahre
alt. — Neuer Tbeateralmnn.ich 15, 139.
•Wcinrich, Karl v., k. l):iycr. Coneral der
Kavallerie z. D.; * Ascbalieuburg 22. IX.
1815; fMUnchcn 19. X. — BJ VIII, 154
(I.orenzen).
Weifi, Marcus, Dr. med.^ iVrzt in Prag, Schrift-
Steiler; • Rokitsnik 19. XL 1829; f 16. II.
— Virchows Jahiesberidite 38, I, 436
(Pagel, mit L).
Weifi» Misi, Schauspielerin am kOnifltcben
Schauspidhaus in Potsdam: + daselbst
ao. III., 18 Jahre alt. — Neuer Theater-
almanach 15, 144.
*W«I6, Olga, Malerin (Blumen 11. Stilleben)
inMUnchen; * daselbst 18. IX. i853:f eben-
da 30. VI. — BJ VIII, 199 (H. Holland).
Wclck, Kurt Magnus Richard Freiherr r.,
k. sächs. Geheimer Regierungsrat, vor-
tragen(lcr Rat im Kiiltusministcrium, Hono-
r.nrpmfeüsor f. allj^cincinc Kcolitskunde an
d. Iccliii. Hocliscbule in Dresden; * Riesa
26. 1\. 1S64; t Buhlau b. Dresden 8. VII.
— Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 154; Goth.
Generildij. raschcnbuch d. Kreiherrl. HittSCr
1905, 886; lUustr. Ztg. 121, 139.
Wdeker, Karl, henogl sachsen-altenburg.
Konzertmeister u. ehemal. Stadtmusikdirekt.
. in Altenburg i. S.; * Meuselwitz (Sachs.-
Ahenb.) 1827; f Altenburg la II. — Mo-
n itshefte f. Musikgeschichte 36, 139 (LOst-
ner, mit L).
Wendt, Karl Hubert Maria Freiherr r., Fidet-
kdinniiOhcrr, k. prcuß. Kejjierungsasscssor
u. Oberleutnant a. D., Mitglied d. preufl.
Herrenhauses auf Lebenszeit, frOher auch
Mitglied d. Deutsch. Keielistags (Zentrum);
• Schloß Hovestadt 21. I. 1832; f Geve-
linghausen b. Olsberg (Westfalen) 1 1. XII.
— Goth. Genealog. Taschenbuch d. Frei-
herr!. Häuser 1904, 844. 1905, 942; Woche
5, 2272; Schönfcld, Notizbuch f. Reichs-
tagswahler 5. '■'^4-
WWIge-Wulffcn, Lud (»Ii Klemens Fried-
rich Maximilian Walpurgis Freiherr v., k.
preuO. Kammerherr, AltersprSsident des
Rhein. Provinziallandtags; • Wenge 16, IV.
1819; t Overbach (Kreis Jülich) 13. III.
— Woche 5, 510; Godi. GencaL Taschen-
buch d. Frciherrl. Hiiuser 1904, 845.
Wenzel, Karl Rudolf, Dr. med., General-
arzt a. D. b. d. Kaiseil. deutschen Marine;
• Ziegenrück (ThUrinR-cn) 21. X. 1831;
f Weimar 9. I. — Virchows Jahresberichte
38, 1, 426 (Pagel, mit W u. L); Veneidmis
d. berliner UniirersitUs-SchrifteD 1810—85
Nr. 4843*
*WCTiier, Kad Friedridi Heinrich Eugen,
k. preufl. Geheimer Justixrat, Desement f.
Hau- n. GeHunTni-wesen im preuß. Justiz-
mimsteriuni; * Jierlin 8. IV. 11^49; f da-
selbst la VI. — BJ VIII. 149 (A. Teich-
mmui").
Westerburg, Albert, ehemal. (Oberbürger-
meister V. Kassel u. Mitglied d. preu6.
Herrenhauses; + Godesberg 4. VII. — ■
W'ochc 5, 1236; Voss. Ztg. 1904 Nr. l.
Westermair, Maximilian, Dr. pMi., ordentl.
I'riifesNor der Hotnnik an der l'niversitiit
Freiburg i. Schw.; * Kauf beuren 6. V. 1852;
f Freiburg i. Schw. I. V. — Leopoldina
39, 88; Keiter-Jörg, Kathol. I.iteraturkal.
6, 344 (W): Allgemeine Ztg. 1903 Beil.
101; BZ 12, 328. 14, 294 (Kttln. Volks-
zeitung 1903 Juni 6; \'erhandlungen der
schweizer, naturforsch. Gesellsch., 86. Ver-
sammlung S. I.XXXII: A. Ursprung).
Wcstcrmuier, Henedikt, Musikdirektor in
MUnehen: + d.i^elbst 311. VIII. — Monats-
hefte f. Mu-ikgescliiohte l 26 (1 .üstner,
n>it L).
*Wetzel, Franz Xaver, Stadtpfarrer u. Dekan
von Lichtensteig (Schweiz, Kant. St. Gallen),
Kanonikus, Jugend- u. Volksschriftsteller
u. geistl. Dichter; * Rorschach 25. XI. 1S40;
t Ingenbohl 31. V. — BJ Vm,"84 iX- Lau-
chert); Keiter-J{kg, Kathol. Literaturkalen-
der 6, 84 (W); KI, 25, 1556 {VT).
Weyert, Ferdinand, Dr. mtd., kaiserl. russ.
Wirkl. Staatsrat, Ophthalmolog in St. Peters-
buig; ♦ daselbst 13. II. 1S36; t 3. II. —
Virchows Jahresberichte 38, I, 426 (Pagel,
mit L).
Weyr, Eduard, Dr.phil., k. k. Hofrat, ordentl.
Professor der Mathematik an der tscbcch.
techn. Hochschule u. supplicrender Ftof.
d. synthet. Geometrie an d. tschech. Uni-
versität in Prag; • daselbst 21. VI. 1852;
t Zabor b. Kuttcnbcr? 23. VIL — AIl-
gemei;;c /i.,' i'i'i^ Ikil. 1G6; Wurzb.ich,
Biograph. Lexikon d. Kaisert. r)sterreieh
55, 205 (mit W); Pog>,'en(loitT 1435.
4, 162 ^ (W'); Leopoldina 39, 104.
Weyr, .Marie, i^eb. Uhl, Gattin d. wiener
Bildhauers Rudolf W., Schriftstellerin; f
Wien 20. (oder 19.?) IV. — Woche 5, 736;
Pataky, Lexikon deutscher Frauen d. Feder
2, 429; BZ 12, 328 (Wiener Fremdenblau
1903 April aa); Voss. Ztg. 1904 Nr. 9.
•Wichner, Jakob, Benediktiner, Dr. ihcd.
honoris causa, Archivar u. Bibliothekar d.
Stiftes Admont in Steiermark, Kirchen-
historiker; • Graz 22. VII. 1S2S: Adraoot
21. X. — BJ vm, 223 (F. Laudiert).
Wiek, Joseph Laurentius, Dr., firöher Privat-
dozent .an d. Universität Breslau; f da-
selbst 9. IL — Allgem. Ztg. 1903 Beil. 33.
WMemMUi, Karl Theodor, Gesanglehrer,
ehemal. OpcmdUiger (Heldentenor) am
--'Ü
123*
Totcoliste 1903: y. Wiedebach — Wittitock.
134*
Staduhcatcr zu Leipzig; * 29. IX. 1821;
f Gohlis bei Leipzig 31. (oder 3.?) l. —
Flii<,r^cn. Hiogrnph. Hühnenlezikon I, 398;
Neuer Thcateralinaiiacli 15, ij^y; Monats-
hefte f. Musikgeschichte 3O, 139 (LUstner,
mit L).
Wiedebach, Johann Friedrich v., k. sächü.
Kammerherr, Rittergutsbesitzer, Mitglied d.
sftchs. I. Sttndekainmer; * B«utzeti 9i. IV.
1S41 ; f Wohla 17. XI. - llhi>tr. '/Ap;. 121,
G48; Goth. Genealog. Tasclienbuch der
Adeligen Hftuser 1905, 876.
Wiedemann, Friedrich, chemal, Direktor d.
Residenztlieaters in Hannover; f daselbst
6. II. — Neuer Theatenlmansch 15, 140;
Monalsliefte f. Musikgeschichte 36, 140
(LDstner, mit L).
Wieden, Karl, Klavierbauer in Wien: f I cipa
im Juni, 74 Jahre alt. — Monatshefte f.
Musikgeschichte 36, 140 (LUstner, mit L).
Wieland, Karoline, verehel. Peucer, letzte
Enkel d. Dichters Christoph Martin W.,
s. : Peurcr, Karolinc.
Wigandt, Eduard, Dr. /«<•«/., Mitglied tier
Mcdizinalvcrwaltung u. Oberarzt d. Gewehr-
fabrik in Tula, Begründer d. Medizin. Ge-
sellschaft daselbst; * Livland um 1826;
f 36. X. — V^irchows Jahresberiditc 38,
I, 436 (Hagel, mit L).
Wilcke, August, langjähr. Präsident d. Gruß.
Cnlner Kamevatsgescnschaft 1 1
Ho Jahre alt. Illiistr. Ztg. i 20, 347.
Wildau, Krnst (Pseudonym), Dichter, s.:
D ändert, Wilhelm.
Wilhelinj, Charlotte, geb. Pctry, Mutter d.
Geigers August \V., ehemal. Sängerin u.
PianisHn; f Wiesbaden aa. IV. — Woche
5, 7H2; Monatshefte f. Musikgeschichte 36,
140 (LUstner, mit L).
Wille, Karl, ehcmal. Chorsinger am Stadt-
thealer zu Hamburg; • dt-tsclbst 12. III.
I S28 ; t daselbst 27. VUl. — Neuer 'l*heater-
almanach 15, 15 s.
Willem (fi-cU Vucoliranc(ivit"i) , Willi V.,
cheni.il. groOhgl. niecklenburg. Hofopem-
sanger; * Wien 1838; f daselbst 6. IV. —
Neuer Theateralmanach 15, 145; Monats-
hefte f. Musikgeschichte 36, 140 ^Lttstneri
mit L).
WUlich, V., Dr., k. preuB. Landrat, eifriger
Förderer d. Dcutschtutns in d. Ostmarkcn
d. Deutschen Reichs; f Birnbaum 21. 1.
— Woche 5, 190.
Wilmersdörffer, Max Ritter v., Geheimer
Kommcrzienrat, Bankier in München, kgl.
tächs. Generalkonsul daselbst, auch Mflnz-
s.ammlcr; • Bayreuth 1824; t München
26. XII. — lllustr. Ztg. 122, 23; BZ 14,
295 (Der Numismatiker 3, 15: Kahane).
Wlmmer, Josef, Theaterdichter (Possen),
Schriftsteller u. Journalist, auch Dramaturg;
* Wien 23. I. 1S34; t daselbst 9. XII. —
KL 24, 1566 (W). 2h, 42*; BrUmmer5 4,
356 (mit Wi; Rheinhardt. Biographien
wiener Künstler u. Schriftsteller i, 513;
Wurzbach, Biograph. Lexikon d. Kaiscrt.
Asterreich 56, 217— 22<) (mit W tt. L);
Neuer Theateralmanach 16, 172.
Windcelmaan, Theodor, erster KapeUmeister
am Stadttheater in Magdeburg; • Braun-
schweig I. XII. 1851 ; f Magdeburg 4. IV.
— Neuer Theateralmanadi 15, 145
(W. Förth ); Mnn.atshefte f. MttsikgMChichte
36, 140 (Lüstner, mit L).
Wittkler, August Emil, /V. pAi/,, Proliessor,
Lehrer f. Deutsch u. klass. Sprachen am
Realprogymn. in Spremberg; * Eilcnbuig
14. V, 1845; t Spremberg 3, IV. — Jahres-
bericht d. Proiffmn, in Sprembeig 1902/3,
18.
Winkler, Joseph, Superintendent d. wiener
Dirtzese augsburg. Bekenntnisses; + Arriacb
b. Villach 22. (oder 23.?) X. — lllustr.
Ztg. 121, 648; Voss. Ztg. 1904 Nr. 5.
Winter, Karl Heinrich, Antiquar (C Winter)
in Dresden, Mitj^licd d. Stadtverordneten»
koUegiums daselbst; f ebenda 30. IV. —
BUrsenblatt f. den Deutschen Bvchhandel
Wintterlin, Hermann v., Präsident a. D. d.
k. wUrttemberg. SpnicUrall^itins d. Ah- .
teilung für Zölle und indirekte Stcvcm;
* Stuttgart 14. II. 1834; I dasdbct 95. VI.
— lllustr. Ztg. lai, 67.
Witte, Hinricus Johann, Dr. phil., Lehrer
am Lyceum in StraQburg i. £., Historiker;
•Leer 13. II. 1854; t »5- H. — KL «5.
1585 (W). 26, 42»; Ztsrhr. f. d. Geschichte
des Ohcrrheins 57, 565 (W. Wiegand);
BZ 12, 330 (Neue Zürcher Ztg. 1903
April 4).
Wittenbecher, Emst, ehemal. Kammermusik,
am Hoftheater in Kassel; * Freiburg (?)
14. II. 1853; f Haina 12. I. — Neuer
Theateralmanach 15, 138; Monatshefte für
Musikgeschichte 36, 140 (Lttstner, mit L).
•Wittmann, Carl Friedrich, Hoftheaterdirek-
tor a. D., Schauspieler u. dramat. Dichter;
* Coburg 24. III. 1839; t Berlin 17. III.
— BJ VUl, 264 (K. BrUmmer); BrtimmcrS
4, 366. 510 (mit W); KL 25, 15SS (W).
26, 43*; Riemann 6 '470; Neuer I hcater-
almanach 15, 143 (mit P); Woche 5, 563
(P): Monatshefte f. Mttsi]q[eschiehte 3^
140 (LUsmer, mit L).
«Wittstook, Albert FHcdrich. Dr. ^
k. sSchs. Ilofrat, Schlddiffdctor a. D., {jlda-
gog. Schriftsteller, andi Dichter ; * Wustei^
hausen a. d. Dowe (Mark Brandenhuil)
2a VUL 1837; t Leipcig 16. L — BJ VUl,
-•'ü • '-j -^'^J^'
125*
Totenliste 1903: Wohl — Zierer.
126*
230 (Brtimiuer); ürUmmer$ 4, 368. 510
(mit W); Allgrenieine Ztg. 1903 Beil. 15;
KL 25, 1589 (W).
Wohl, Julius, /)r. med., k. prcuß. Geheimer
Sanitiit-srat, prakt. Ar/t in Berlin ; • ditsclbst
27. III. 1822; f cUcnd.n 22. Vil. — Virch.
Jahresberichte 3S, I, 426 (Pagcl, L); Ver-
zeichnis der berliner Lniv.-Schriftcn 1810
bis 85 Nr. 3888; BZ 13, 330 (Berliner
Ar^tckoi rcspondciiz iO'>,\. 137: J.Becher).
Wohlbrück, Ida, Upernsungcrin, s. : Schu-
selka-Brllningr, Ida.
Woisch, Ferdiniindine, ehemal. Schnuspitl.
(Anstandsdamen, Mütter) am herzog], llot*
thcater in Cobiirgr; * Gendersheim 5. XII.
1814; f Coburg 24. I. - Neuer Theater
almanacli 15, 139; Flüggen, Biograph.
Bttlmenlexikon 15, 139.
•Wolf, Hugo, Koinjjonist; • Windischgra/
(Steiermark) 13. III. 1860; f Wien 22. II.
— BJ Vni, 350 (Paul Malier); Illustr. Ztg.
120, 345 (C. Droste, mit P) ; Woche 5,
3S0 (P); Monatshefte f. Musikgeschichte
36, 140 (Lflstner, L) ; BZ 12, 232. 13,
321. 14. 297 (L).
Wolf, Otto, k. preuß. Generalmajor z. D.,
bis 1897 Kommandeur d. 68. Infanterie-
brigade; f 39. IX., 60 Jahre alt — Voss.
y.\;i. 1004, Nr. 3.
Wolti", Kw.dd, Dr. med., k. prcuü. Geheimer
Medizinjilrat bei d. Regierung in Breslau,
Chirurg u. Ophthalmolog; * Traclienberg
29. XII. 1815; \ Breslau im iJczcmber. —
Allgemeine Ztgf. 1904 Beil. i ; Leopoldina
40, 40; Biograph. Lexikon d. hervorragend.
Arzte 6, 318 (mit W u. L); Virchows
Jahresberichte 38, 1, 436 (Pagel).
WoUTi Josef, ehem. Opernsänger (Ivr. Tenor) :
* Speier 18. V. 1841 (nach Flüggen und
Eisenberf 1843); f daselbst 33. VI. —
Flüggen, Biograph. BUlinciilexiknn 1,334;
Kisenberg, Großes biograph. Lexikon der
Deutschen Bühne 114«; Neuer Theater-
almanach 15, 152: Mdiiat-hefte flir Musik-
grcsch. 36, 140 (LUstner, mit L).
Wolff, Karl, Mitinhaber d. Konzertdirektion
I lermann Wölfl* in Berlin ; f daselbst 23. IX.,
48 Jahre alt. — Mouatsheiftc f. Musikgesch.
36, 140 (LUstner, mit L).
Wolfram, William, Dr. med., Gynäkolog,
Inhaber einer Privatklinik in Riga; • Gum-
binnen ; t Riga 17. XII. ■ — Virchows
Jahresberichte 38, 1, 426 (Pagel, mit L).
Wollrabe, Minna, gcti. Müller, chemal.
Schauspielerin (jugendl.Fac)i,i.püter Mutter);
• Leipsig 26. V. 1830: f Berlin 23. VIII.
— Flüggen, Biograph. Bithnenlexikon i,
334; Eisenberg, Großes Biograph. Lexikon
d. Deitlschen Bohne 1146; Neuer Theater-
almanach 15, 154.
Wurmbrand-Stuppach, Leo Graf v., k. u. k.
Kimmerer u. Geheimer Rat, Feldmarsehall-
leutnant u. ehemal« Kammervorsteher d.
Erzherzogs Franz Ferdinand, Oberleutnant
u. Hauskommandant in d. Arciereng^rdc ;
• Liblin 12. IX. 1840; f .Steinach-lrding
39. VIII. — Goth. Genealog. Uofkalendcr
1904, 237.
Würtcnberger, Thomas, Geolog; f Emmis»
hofen b. Konstanz 27. VII. — Leopoldina
40, 40.
WOrfh, Fidelis, Dr. med., Medisinalrat zu
Freiburg i.Br., im dortigen Corps Kheiiania
seit 1822; * 14. IV. 1805; f Freiburg i.Br.
24. IX. — HI. Ztg. 121, 523; Virchows
f \liresberiolite 38, 1, 426 (Pagcl, mit L).
Ysenburg und Büdingen, Ferdinand Maxi-
milian Fttrst zu, eibl. Mitglied d. preuG.
Herrenhauses n. d. Kisten Kammer d.
Großhgt. Hessen; • Wiicbtersbach 34. X.
1824 ; t daselbst 5. VI. — Goth. Genealog-.
Hofkalender 1903, 145. 1904, 145.
Zabel, Wilhelm, Geheimer Justizrat, Acbt->
undvicrziger ; * 31.V. i8o2; f Seelow b.
Frankfurt a.O. i. lU. — III. Ztg. 120, 383
(Biogr. u. P in Nr. 3079 vom 3. Juli 1902).
Zarnack, Luise, vcrehel. Thiele, Schriftstelle-
rin : s. Th i cl e . I .ui>e,
•Zastrow, Karl (Pseudon.: K. v. Prenzlau),
Eisenbahnbetriebssckretiir in Berlin, Ver-
fasser von Romanen u. Novellen und
Jugend- u. Volksschriftsteiler; • Pren/lau
II. IV. 1836; t Hcrlin 9. II. — BJ Vlll,
331 (Briiromcr); BrUmmerS 4, 401. 517
(mit W): KI, 25, 1616 (W).
Zechbauer, Luise, chemal. Schauspielerin;
t Erfurt 26. XI. — Neuer Theateralmanach
173-
Zechbauer, Minna, verchcl. Ascher, Schau-
spielerin: 9. Ascher, Minna.
Zeidler, Paul, ChoiNÜngcr; • 24. II!. 1846;
1 Berlin 14. XI. — Neuer Theateralmanach
t6, 171.
*ZeIler, Edu ud Maximilian, Rcchtsanw.alt
a.D. in Stuttgart, geistl. Dichter; * Stuttgart
28. in. 1822; t daselbst 7. IX. ^ BJ VIII,
185 (Briininier); BrQmmerS 4. 408 (mitW);
KL 25, 1620 (W).
*ZelIer-Werdmailer, Heinrich, Dr. phiL
honoris causa, Historiker; * Zürich 2. IV.
1844; t daselbst 27. II. ^ BJ VIII, 339
(J.R. Kahn); Allgemeine Ztg. 1903 Beil. 50;
M/ 12. 335. 13, 325 (Die Schweiz 1903,
1.S5: J. K. Kahn; Neue Zürcher Ztg. 1003
Nr. 60; B.isler Nachrichten 1903 Nr. t>i;
An;:eiger f. Schweizer. Geschichte 1903, 180:
E. Hahn).
Zierer, Franz Joseph, Kirchenkomponist, früher
Mitglied d. Wiener Hofkapclle; * Wien
27. X. 1822; t Trattenbach (Niederöslerr.)
127*
Totenltste 1903: Zillmaim — Zumpe.
128*
30. V. — Mt)natähefte fttr Musikgeschichte
36, 140 (I.ttstner, mit L).
Zillmann, Karl, Musikdirektor in WfiÖensoc
( rhUringcii); f daselbst 1. IX., 72 Jahre nit.
— MoTuitshcfife f. Musikgeschichte 36, 140
' I ,u-l11l r, mit L).
Zimmermann, (Justav, bis 1901 Kc|^ieruni^s.
Präsident in Schleswig ; f 12. XII., 74 Jahre
alt. — \ (>ss. Zig. 1903 Nr. 60S.
Zünmennann, Gu>>tav, Buchhändler, vormals
Inhaber v. August Ilcsscs Buchhandlung in
Graz; t Braunsohwcig S. \I., im 7<>. Jahre.
- Börsenblatt f. cU Deutschen Buchhandel
1903, 9'72-
Zimmermann, Gustav A., Dr.fAi/., Super-
intendent d. nindcrncn Sprachunterrichts in
d. üfi'enü. Schiden vim (Chicago, Schulmann
und Schriftsteller; * Basel so. II. 1850;
f Chic.igo 5. I. - Woche 5, 144; KL 25,
1627 (W). 26, 44».
*Zo<taia3rr, Nina, geb. Hartmann, ehemal.
Opcmsftngerin (Altistin); * Aachen 30. VIII.
1836; t Kassel 24. 11. — BJ Vill, 204
(Pb. Losch) ; Flagi^en, Biograph. Bahnen»
Icxikon I, N euer Thcatcrahnanach 15,
141; Monatshclte lür Musikgesch. 36, 140
(Lllstner, mit L).
Zschau, Max. Inhaber d. Buchhandlung Ed.
Anton in Halle a. S.; f daselbst 7. L
42 Jahre alt. — BItesenblatt f. d. Deutschen
lUi. hhnndel 1903t 330.
*Zumpe, Hermann, k. bayer. Generalmusik-
direktor, Dirigent u. Komponist; * in d.
Buschniühlc2uOppach (Kgr. Sachsen, Obcr-
lausitz) 9. IV. 1850; + München 4. IX- —
BJ VIII, 14 (M. Schillings): III. Ztg. 121,
388 (A. Braun, mit P); Woche 5, 1640
(M. S-liillings, mit P); Neuer 'I hcatcr-
almanach 15, 155 (mitP); Kieniann'« 1504;
A. Hagen, Almanach d. k. I loftheater f. 1903
(München 1904). 62, mit F; H. '/.um\>c,
Persönl. Erinnerungen (^Münchcri 1905, nut
P); BZ 13, 317 (L)i Monatshefte f. Musik-
gesch. 36, 140 (Lttstn«*, mit L).
BIOGRAPHISCHES JAHRBUCH
DEUTSCHER NEKROLOG
M
UNTER STiiNDIGER MITWIRKUNG
VON
GUIDO ADLER, F. VON BEZOLD, ALOIS BRANDL, ERNST ELSTER, AUGUST
FOLTRNIER, ADOLF FREY, HEINRICH FRIEDJUNG, LUDWIG GEIGER,
KARL GLOSSY, MAX GRUBER. SIGMLTND GÜNTHER, EUGEN GUGLIA,
ALFRED FREIHERRN VON MENSI, JACOB MINOR. PAUL SCHLENTHER,
ERICH SCHMIDT, ANTON E. SCHÖNBACH, GEORG WOLFF U. A.
HERAUSGEGEBEN
VON
ANTON BETTELHEIM
IX. BAND
VOM \. JANUAR BIS 31. DEZEMBER 1904
BILDNIS VON FRIEDRICH RATZEL IN HELIOGRAVÜRE
ERLAG VON GEORG REIMER. BERLIN
1906. .4^lh.
I
BIOGRAPHISCHLS JAHRBUCH
UND
DEUTSCHER NEKROLOG
UNTER STÄNDIGER MITWIRKUNG
VON
GUIDO AOLKK, F. VOX BK/OM), ALOIS HRANDl , KRNST ELSTER,
AUGUST FOURNIKR, ADOLF FRF:Y, HEINRU H FRIKDJUNO, LUDWIG
GEUiER, KARL GLOSSY, MAX GRUHER, SIGMUND GUNTHER,
EUGEN GUGLL\, ALFRED FRFIHERRN VON MENSI, JACOH MINOR,
PAUL SCHLENTHER, ERICH SCHMIDT, ANTON E. SCHÜNBACH,
GEORG WOLFE U. A.
HERAUSGEGEBEN
VON
ANTON BETTELHEIM
JX. BAND. E-i
VOM I. JANUAR BIS 31. DEZEMBER 1904
MIT DEM BILDNIS VON PRIEDRICH RATZEL IN HELIOGRAVÜRE
B E R L 1 N
DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER
1906.
1 HE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
ASTON. LENOX AHO
TILDEN FOUNMTIONa.
R 1906 L
In halt.
Seite
Vorrede v—vi
Deutscher Nekrolog vom i. Janaar bis 31. Janaar 1904 i — 347
Ergänzungen and Nachträge 348 — 5^7
Alphabetisches Namenverzeichnis I S'^
Alphal>etische8 Namenverzeichnis II 5^°
Ü ^J^'-'^lC
Vorwort.
Band IX ist wiederum die Gunst berufenster Mitarbeiter zugute
gekommen. Die Biographien Waldersees und Herbert Bismarcks
hat Hugo Jacobi übernommen. Stremayr würdigt sein namhaftester
vertrauter Unterstaatssekretär Lemayer. Den badischen Finanzminister
Buchenberger charakterisiert Nicolai. Lenbach fand einen un>
befangenen Richter in Bredt. Von Naturforschem wurden His durch
Spalteholz, Seegen durch J. Mauthner porträtiert. Den Nekrolog
von üttokar Lorenz sclirieb Aut^ust l'ournier. Das (ieclcnkblatt
für Alexander Meyer Cohn überlieli Krich Schmidt, Kduard
Hanslicks Lebenslauf wird von (iuido Adler gezeichnet, Katzen-
hofers Wirken von Ludwig Stein dargestellt.
Ebenso reich, als der Text für das Berichtsjahr 1904 sind die
Nachträge ausgefallen. Ludo M. Hartmann hat sich mit der Biographie
Mommsens, Helfferich mit der Würdigung Delbrücks, Spiro mit
dem Bildnis Malvida von Meysenbugs, Alfred Klaar mit dem
Nekrolog von Hieronymus Lorm eingestellt.
Das Ebenmaß in der Raunn ertciliing ein/ulialten, bleibt ein l laupt-
gebot ; dessen Kinlnsung wird dem 1 Icrausgcber wesentlich erleichtert
durch die von (ieorg Wolt'f mit liebreicher, treuer Sorgfalt gearbeiteten
Totenlisten, die das feste Rückgrat des j.dirbuclies bilden und mit
ihren zuverlässigen lebensgeschichtlichen .Angaben und Quellennach-
weisen auch in Fällen Ersatz bieten, in denen es dem Herausgeber
trotz mannigfaltiger Bemühungen nicht oder noch nicht gelang, selb-
ständige Nekrologe zu erhalten. Die Totenliste filr 1904 hat Dr. Wolflf
leider trotz allem Zuwarten nicht mehr vor dem Erscheinen dieses
Bandes der Druckerei vollständig zu Gebote stellen können; sie folgt
mit der Tütenliste für 1905 im X. Band.
VI
Vorwort.
Die Winke wohlwollender Beurteiler, die dem Unternehmen seit
seinem Het^inn treu geblieben sind, werden ebensowohl erwoj^en, wie die
neuerer Kritiker, unter denen mit besonderem Dank Georg Kaufmanns
jüngste Anzeige in Sybels Historischer Zeitschrift sowie die beherzigens-
werten Fingerseige im Literarischen Centraiblatt hervorzuheben sind
Wieviel trotz alledem noch zu lernen und zu bessern bleibt, ist dem
Herausgeber wohl bewußt, der biographische Kunst und Forschung
in der unscheinbarsten Lebensbeschreibung gepflegt sehen möchte.
Wünsche und Gedanken, die mit Immermanns »Tagebuchblättem
über Goethes Haus und Goethes Grab vielfach zusammentreffen: »Wir
sind weit mehr in Andern vorhanden, als in dem, was wir unser Selbst
nennen. Die ganze Bedeutung des höheren Lebens ist aber, aus uns
herauszugelangen und in Anderen eine verklärte Persönlichkeit zu ge-
winnen. Denkt man dies recht durch, so verliert der Tod den gr5fiten
Teil seiner Schaurigkeit, selbst wenn man die Ho0hung persönlicher
Fortdauer auf sich beruhen läßt« »Nur veriiert sich alle angstliche
und ausmalende Betrachtung dieses Punktes an den Särgen so hoher
Menschen, wo man mit einem Blicke ihre verstäubende Asche und ihr
ewiges wesenhaftes Fortleben auf der Ohei weit umfaßt. Dann erscheint
ein unvergängliches Leben schon hieniedcn verbürgt.«
Wien. Anton Bettelheim.
Nachschrift. Wiederum hat das Biographische Jahrbuch den
Heimgang eines seiner wärmsten Fürsprecher und treuesten Mitarbeiter
zu beklai^en: Friedrich von Weeci) ist i^eschieden. Nicht zum
wenigsten seiner Tatkraft war es zuzuschreiben, daü unser Unternehmen
in seinem Bestände erhalten und befestigt wurde. Seinem gütigen
Entgegenkommen war es auch zu danken, daß sein Name das Titelblatt
des Biographischen Jahrbuchs zieren durfte.
Der Herausgeber.
DEUTSCHER NEKROLOG
VOM I. JANUAR BIS 3i. DEZEMBER
1904
llomn liher du niill:i rc minus (|Uain
de iiiiiiie i-(>}>it;it et (.'jus sapicntia not»
murtis, scd vitac mcdiUitio t'>t.
Spinosa. £thicc!i pars IV. Propot.
LXVII.
Biogr. Jahrbuch u. Dcatidur Mekrolog^ 9. Bd I
^ Nj ^ by Google
Deutscher Nekrolog vom i. Januar bis 31. Dezember 1904.
Waldersee, Alfred Ludwig Heinrich Karl Graf von, Gencralfoldiiiarschall,
• 8. April 1832 zu Potsdam, f Hannover 5. Mai 1904. — Sein \ 'ater war
der ventorbene General der Kavallerie und Chef des 4. Di agoner-Rcgimoits
Graf Franz Waldersee, seine Mutter eine geborene von HQnerbein, eine
Tochter des bekannten Ka\ allcrieführers der Befreiungskriege und späteren
kommandierenden Generals des VI. Armeekorps. Seine erste Erziehung genoß
der Knabe im elterlichen Hause und in den Kadettctihäusern von Potsdam
und Berlin; er gehört somit zu tleiijenigen Führern des preulJischen Heeres,
die ihre Tüchtigkeit zum wesentlichen Teil diesen Anstalten verdanken, aus
welchen dem Heere so viele hervorragende Minner zugewachsen sind. Mit
achtzehn Jahren trat er als Leutnant in das damalige Garde-Artillerie-Regiment
zu Berlin ein, wurde 1852, nach absolviertem Besuch der Artillerie- und
Ingenieurschule, zum Artillerieofti/.ier ernannt und le<j;te während der folgenden
sechs Jahre seine dienstliche Laufbahn als Abteilungsadjutant und als Feuer-
wcrksleutnant zurück. Im Jahre 1858 wurde er Adjutant der i. Artillerie-
Inspektion und bald darauf als Begleiter des Generalleutnants von Hermann,
Kommandeurs der 3. Division, kommandiert, der mit der Inspektion des
wurttembergischen Bundeskontingents beauftragt war. Als Generalf^ldmarschall
ist Graf Waldersee dann am Abend seines Lebens zu den württembergischen
Truppen abermals in dienstliche Beziehungen, und 7\vnr als Generalinspekteur,
jjctreten. Itn Jahre 1860 wurde er als I'remierleutnant auf zwei Jahre zum
Gouverneur des Prinzen Albert von Sachsen -Altenburg ernannt. Während
dieses Kommandos tat er neun Monate lang Dienst bei dem 5. Ulanen-Regi-
ment. 1862 wurde er Hauptmann, 1864, wahrend der damaligen Kriegsbereit-
schaft, Kommandeur der sechsten reitenden Gardebatterie, später Chef der
Garde -Handwerks -Kompagnie, im folgenden Jahre Adjutant beim General-
fcUlzeugmeister, dem Prinzen Karl von Preußen, in dieser Stellung auch
bereits zum Mitglied der Artillerie-Prüfungskommission ernannt. Er begleitete
den Prinzen in den Feldzug von 1866 und in die Schlacht von Königgräiz.
W&hrend des weiteren Vormarsches der Armee auf Wien wurde er von
diesem Verhältnis entbunden und am 16. Juli dem großen Generalstab zu-
geteilt; am 28. Juli wurde er Major und wenige Tage später, am i. Auj,aist,
als Generalstabsoffizier zum damaligen Generalgouvernement des Kiniigreit Iis
Hannover kommandiert. Bei der bald darauf erfolgten Formierung des
IG. Armeekorps trat er als erster Generalstabsoffizier zum Generalkommando
4
von Waldersee.
über. Mit dirscr Koininandiorunff nach Hannover hat die Laufl)ahn des
Grafen Waldersee ihre eigenthche Richtung erhahen. In seiner Eigenschaft
als erster Generalstabsoffizier üel ihm die Ordnung der Angelegenheiten
der ehemaligen Hannoverschen Offtisiere zu, und es zeugte fQr ein hohes
Maß von Takt und Gewandtheit, daß der damals 34jährige Major diese
schwierige Aufgabe zn voller Zufriedenheit löste. König Wilhehn hatte seine
hervorragende Eigensi haft, sich für jede Aufgabe den richtigen Mann heraus-
zusuchen, auch in diesem Kalle betätigt, wo an die Tnisicht des Betreffen-
den, seinen Charakter, seine Fälligkeiten, Menschen zu beurteilen unil zu
behandeln, große Ansprüche gestellt werden mußten. Dieses Kommando
knOpfte den Grafen Waldersee auch zuerst an die Provinz Hannover, mit
der er in vielfachen Stellungen verbunden bleiben sollte, und in deren
Hauptstadt er hoc hgeehrt seine Tage beschlossen hat. Im Jahre 1.S67 ward
er dann in den (leneralstab der Armee einrangiert. .Auf seiner damaligeil
Dienstleistung in Hannover, die ihn mit so vielen Menschen in Berührung
gebracht hatte, auf seinem dabei bekundeten Billigkeitssinn, seiner vornehmen
Denkungsart und seiner Geschicklichkeit, beruhen zum nicht geringen Teil
das Ansehen und die Popularität, deren er bb an sein Lebensende in
Hannover sich erfreut hat. Gleichzeitig bot die ihm gestellte Aufgabe mannig-
fache Gelegenheit, mit dem Ministerpräsiflcnten und Hundeskanzler, (trafen
Bismarck, in Verbindung zu treten, ebenso wie sie auch zu vielfachen Ein-
blicken in die Zivilverwaltung und zugleich in die weifischen Bestrebungen führte,
deren entschiedener Gegner er bis an sein Lebensende geblieben ist. Durch
seine Tätigkeit erwarb er sich die Anerkennung des Königs und des Minister-
präsidenten sowie die seines kommandierenden Generals, des sonst so gefürch-
teten Voigts -Rhetz, der vor der Berufung Moltkcs allgemein als der künftige
Chef des Generalstabes der Armee gegolten hatte. Dem General v. N'oigts-
Rlu'tz war Waldersee auch nienschli( h näher getreten und hatte sich sein
volle.s \ ertrauen erworben. Der spätere Briefwechsel zwischen beiden spricht
dafür.
Ks konnte unter diesen Umständen nicht weiter auffallen, dafi Graf
Waldersee im Januar 1870 zur Botschaft in Paris kommandiert und in dieser
Stellung am 2. Mai zum Flügeladjutanten des Königs ernannt wurde. In
Paris hatte er von neuem Gelegenheit, in dieser, dem Kriege unmittelbar
vorangehenden Periode wertvolle Dienste zu leisten. Mit grolier Umsicht
luitte er sich sehr bald Einblicke in die französischen Armeeverhältnisse ver-
schafft, und als im Anfang Juli die ersten Rüstungen Frankreichs begannen,
war Graf Waldersee in der Lage, sie von Schritt zu Schritt auhnerksam
überwachen zu kOnnen. Das im Herbst 1904 vom preufiischen Kriegs-
ministerium herausgegebene Werk über die Mobilmachung von 1870 enthält
wertvolle .Aufschlüsse über Waldersees Berichterstattung aus jener Zeit,
die wesentlich dazu beitrug, daß die deutschen Gegenmaüregeln rechtzeitig
und umfassend getroffen wurden. Bereits am 9. Juli hatte er in einem Bericht
an den König ausgesprochen, dafi er den Krieg für eine beschlossene
Sache halte und am 11. Juli traf in Ems ein tags zuvor von ihm abge-
sandter T^cric ht ein, der in zwölf Punkten die begonnenen Rüstungen fest-
stellte. Auüerdcm verfaßte Graf Waldersee eine populäre Zusammenstellung
über die Marsch- und Gefechtsweise der französischen Armee, die Handhabung
-lü • ^-j -^'^J
Ton Waldersce.
5
des Lagerdienstes usw., die in den Tagen nach der Kricg$erklärung vom 19. Juli
in Berlin 7A\r Vcröffontlicluiiif^ j^olatigte und dann in vielen Tausenden von
Kxeniplarcn als J.cittadcn fur den Sieg mit nach Iraiikrcich ffcwantlert ist.
Von Waldersecs Berichten aus l'aris, die .sich alle tlureh besonnene Klarheit
ausseichneten, sind diejenigen von besonderer Wichtigkeit gewesen, welche
sich auf die Bewaffnung der französischen Infanterie bezogen. An höherer Stelle
in Berlin bestand vor dem Kriege geringe Neigung, an die Überlegenheit
des Chassepotgewehres zu glauben, wiewohl Warnungen von einsichtigen
Leuten nicht ausgeblieben waren. (Iraf Waldersee machte clarauf aufmerksam,
daß und wie die Fechtweise unserer Infanterie sich na( h der Wirkung des
ChassepoLs einzurichten habe, seine .\ngaben haben sich als richtig und wert-
voll erwiesen. Bei der Mobilmachung wurde Graf Waldersee in das große
Hauptquartier zur Dienstleistung bei dem Könige kommandiert und gleich-
zeitig zum Oberstleutnant befördert. Während des langen Aufenthalts in
Versailles trat er in häufige Verbindung mit Bismarck, an dessen Tisch er,
wie die .\uf/.ei(dinungen von Busch ergeben, ein häutiger Gast war, im
Gefolge des Königs hatte er an den .Schlachten von Gravelotte, Beaumont
und Sedan teilgenommen. Als im November 1870 die Verhältnisse an der
Loire schwierig wurden, ward Graf Waldersee im speziellen Auftrage des
Königs zum Prinzen Friedrich Karl kommandiert Er nahm in dieser Stellung
an allen Schlachten und größeren (icfec hten der 2. Armee teil. Der Krieg
war deutscherseits dort nicht mit dem Grade von Umsicht und Energie be-
trieben worden, den die Kriegslage verlangte. In i-inem .Aufsatz der »Grenz-
boten«, Märzheft 1904, finden wir darüber folgende Darstellung:
»Man begann in Vensailles wegen der weiteren Entwicklung der Dinge
Besorgnis zu empfinden, und der König, der den Optimismus seiner mili-
tärischen Umgebung seit Sedan ohnehin nicht zu teilen vermochte, mit
der einlaufenden Beri( hterstattung des Oberkommandos der 2. Armee sowie
der .Arniceabteihing des ( Ii < ȟherzogs von Mecklenl)urg auch wem'g zufrieden
war, beschloß, einen Olli/ier dorthin zu entsenden, der in unabhängiger
Stellung die Sachlage prüfen, ihm Bericht erstatten unil zumal bei dem
Prinzen Friedrich Karl die Anschauungen des Königs vertreten sollte. Die
Wahl war nicht leicht za treffen. Ks mußte die Empfindlichkeit des Prinzen
geschont, auf die souveraine Stellung des Großherzogs, nicht minder auf
Moltke und den großen Generalstab Rücksicht genommen, dennoch im Sinne
rles Königs mit Knerpiic gehandelt werden. Schließlich fiel die Wahl auf den
Grafen Waldersee, dem der König mit der ihm eigenen, ruhigen Klarheit
auseinandersetzte, um was es sich hanilelte, ihm auch ein Schreiben an den
Prinzen behflndigte, worin die Ansichten des Königs entwickelt waren, die
Waldersee seinerseits mfindlich erläutern sollte. Die Abreise mußte ohne
vorherige Meldung oder Rücksprache bei Moltke oder dem Gener.dstab er-
folgen, damit Graf Waldersee die Anschauungen des Königs in voller l n-
abhängigkeit und unbeeintlulit vertreten koinite. Kr erhielt zudem den Hefehl,
bi.s zu seiner Abberufung bei dem Prinzen zu bleiben und dem König täglich
zu berichten.«
Fritz Königs Buch »Der Volkskrieg an der Loire« enthält Ober diese
Mission sehr eingehende und interessante Einzelheiten, namentlich auch die
mündlichen Instruktionen des Königs. Prinz Friedrich Karl, dem Waldersee
--'ü '-j ^J^-'-'
6
von Waldenee.
schon als Adjutant >eiiu*s Vaters bekannt gewesen war, empfing ihn sehr
freundlich und erleichterte ihm seine delikate Mission auf jede Weise, indem
er ihn zugleich für Unterkunft und Verpflegung seinem HaupKjuartierattachierte.
Graf Waldersee erfüllte auch diese schwierige Aufgabe mit Anszeidmung und
unter wiederhohen Beweisen großer persönlicher Bravour. Er fBhrtebei Beaane
la Rohmde als aher Artillerist« auf Wunsch des kommandierenden Generals
die erste auffahrende Batterie des 3. Armeekorps in Stellung, nachdem er,
das im X'ormarsch begriffene Korps durrh einen schnellen Ritt von drei
Meilen überholend, dem im verzweifelten Ringen begrittenen lu. Armeekorps
die Kunde überbracht hatte, dafi die Ankunft der Brandenburger binnen drei
Stunden zu erwarten sei. Er hat dadurch nicht wenig dazu beigetragen, die
braven Truppen des 10. Anneekorps zum Ausharren zu ermuntern, auch konnte
er den anrückenden Truppen der 5. und 6. Division die geeignetste Richtung
zum Angriff geben. In der Schlacht bei Loigny sprang er vom Pferde und
ging mit einer Pionierkompagnie zur Besetzung der entblößten Südspitze des
Ortes vor, sich persönlich an dem dort erforderlichen Schnellfeuer beteili-
gend. Sein Aufenthalt beim Prinzen Friedrich Karl und dem Grofiherzog
von Mecklenburg brachte ihn an 14 verschiedenen Gefechtstagen ins Feuer.
Nach Versailles zurückgekehrt, empfing er aus der Hand des Königs das
Eiserne Kreuz i. Klasse, das der Monarch ihm selbst an den Rock heftete.
Vom 2. bis 7,1. Januar 1S70 wurde er als Chef des Generalstabes beim Großherzog
von Mecklenburg kommandiert. Seine Tätigkeit in dieser Stellung ist eine sehr
ersprießliche gewesen und brachte ihm die Anerkennung und Zuneigung dieses
vortrefflichen Fürsten ein. Mit Eintritt des Waffenstillstandes trat Waldersee in
das grofle Hauptquartier zurück» und als vor dem Kinzug in Paris General von
Kamecke zum Kommandanten des von den Deutschen zu besetzenden Teiles
der französischen Hauptstadt ernannt worden war, wurde Graf Waldersee zu
ihm, zur Kommandanturin Paris« kotninandiert, das er sechs Monate zu\<»r .i!s
prcußisciier Miliiärbevollmächtigter verlassen hatte. In dem zahlreichen SiaLte
des Generals von Kamecke war er der einzige Generalstabsoffizier und der
Chef des Stabes. Über dieses Kommando berichten die »Grenzboten« : »Bevor
er sich nach Paris begab, meldete Graf Waldersee sich bei Bismarck. Avi
die Krage über das Verhalten bei eintretenden l'nruhen entgegnete der
Kanzler, daß Schreien. Srhim{ifen und einzelne Steinwürfe von Straßenjungen
ignoriert werden sollten, würden dagegen die deutschen Truppen ernstlich
angegrifien, »so schießen Sie dazwischen, dafi die Knochen fliegen«. —
Bekanntlich dauerte die Besetzung von Paris nur drei Tage. Als bei dem
grofien Zapfenstreich am Abend des dritten Tages das Kommando »Helm
ab zum Gebet!« gegeben wurde, entblöfiten mit den Truppen auch viele
Pariser das Hauj)t, und Graf Waldersec hörte aus ihren Reihen das Wort:
^rd/d (c ijui ni>us inatiL]ii(> . Ahnlich berichtet auch Graf Fred Frankenberg in
seinem Kriegstagcbuthe über die Äußerung: »^d a unc Ifoniu k^m (Hfur mus'.<
Alsbald nach dem Friedensschlufi ergab sich das Bedürfnis, die diplomatischen
Beziehungen zur französischen Regierung wieder aufzunehmen, Graf Waldersee
wurde am 12. Juni zum Geschäftsträger bei der französischen Republik ernannt,
wiederum ein Meweis für das X'ertrauen in seine vielseitige Befähigung. Er
trat damit vorübergehend in den diplomatischen Dienst und wurde so der
Untergebene Bismarcks. Von dem amerikanischen Gesandten Washburne,
von Waldenee.
7
der während des Krieges sich der in Paris zurückgebliebenen Deutschen mit
großer Hingebung angenommen hatte, übernahm er mit Überreichung eines
Schreibens des Bundeskanzlers das Bots( liaftsarchiv.
Es waren zu jener Zeit mancherlei Schwierigkeiten durch die Stellung
des Oberbefehlshabers der Okkupationsarmee, Generals von Manteuffel, und
dessen eigenmächtige Verhandlungen mit der französischen Regierang ent-
standen. Waldersees Ernennung zum Geschäftsträger beruhte wesentlich
darauf, diese Situation vom Standpunkt des deutschen iliplomatischen Inter-
esses aus zu überwachen, und er kam in die Lage, dem Oberbefehlshaber
der Okkupations- Armee gegenüber ziemlich bestimmt Stellung zu nehmen.
Manteuffel trieb damals seine eigene Politik, der amtlichen Politik Bismarcks
entgegengesetzt, die bei den Franzosen zu befehden er keinen Anstand
nahm.') Waldersee trat, obwohl nur Oberstleutnant, dem General hierbei
mit Takt und Energie entgegen und beantwortete dessen Aufforderung,
ihn in seiner militärischen Eigenschaft zu unterstützen, mit einem entschie-
denen Hinweis auf seine diplomatische Stellung. Selbstverständlic h ging das
nicht ohne Reibungen ab. Die Stellung war somit eine sehr interessante,
ab«r audi — wie Waldersee selbst sagte — eine der anstrengendsten Tätig-
keiten seines Lebens. Es leuchtet ein. dafl schon die Wiederanknüpfung der
Beziehungen in Paris keine leichte und das Leben mühsam war. Mit den
maßgebenden Persönlichkeiten der französischen Regierung stellte er jedoch
— soweit (las bei den eigenartigen \'erhältnisscn möglich war — bald die
besten Beziehungen lier, namentlich zu den Herren Thiers und Pouyer-Quertier,
dem Kinanzminister.
Die Veriiältnisse brachten für Waldersee eine ziemlich rege diplomatische
Berichterstattung mit sich. Bei Busch (»Bismarck und seine Leute«) findet
sich aus einem Erlaß Bismarcks an Waldcrsee vom 2$. Juli 187 1 der Satz
wiedergegeben: Die Krhaltung der (lesandtschaften von Bundesstaaten im
Auslande liegt nicht im Interesse des Reichs. Wir können aber ihr allmäh-
liches Verschwinden von der Zeit vind den Budget -Debatten der Einzel-
staaten erwarten«. — Am ersten Jahrestage von Gravelotte war Waldersee
zum Oberst befördert worden. Wenige Tage später wurde er von seinen
Kommando nach Paris unter ehrender Anerkennung des Kaisers ent-
bunden, nachdem sich namentlich den Manteuffelschen Seitensprüngen
gegenüber die Xotwendigkeit ergeben hatte, die dortige diploinatisc lie
\'ertretung des Deutschen Reiches wieder endgültig durch Ernennung eines
Botschafters zu besetzen. Graf Waldersee wurde zum Kommandeur des
13. Ulanen-Regiments in Hannover, den heutigen Königsulanen, ernannt und
verblieb in dieser Stellung bis zum 9. Dezember 1873, ^ welchem Tage
sdne Ernennung zum Chef des Generalstabes des 10. Armeekorps unter Ver-
setzung in den Generalstab erfolgte. In der Stellung als Chef des General-
stabes des 10. Armeekorps in Hannover, dessen kommandierender General
Prinz Albrecht von Preußen (der jetzige Regent von Braunschweig) war, ist
Waldersce auch als General bis zum Dezember 1881 verblieben. Zuvor war
er sowohl während' der Berliner Drei-Kaiser-Zusammenkunft als auch für die
') Thiers' hinterLisscnc, von seiner Nidite Fräulein Dosne vcrnfTcntlichte Aufzeichnungen
Tobieilen hiertlber volle Klarheit. Vgl, auch Keudell, Fttnt und Fürstin Bismarck S. 4&>/83.
8
TOD Waldertee.
Reise des Kaisers ikk Ii St. Peteishiir^ im Frühjahr 187;^ zur I)ienstleistiin<.'
I(ci dem Monar» lieii befohlen worden. Das (Jleiehe war im Jahre 1S75 während
der grolien Hcrbstübuiigen der Fall, am 10. August 1876 erfolgte die Beför-
derung Aüm Generalmajor. Das Jahr 1879 bradite zwei neue Kommandos,
zum Ehrendienst zunächst vom 9. bis 14. Juni bei dem Prinzen Arnulf von
Bayern und vom 16. Sei>tember bis 14. Oktober zur Beiwohnung der Manöver
des 3. und 12. französischen Armeekorps. Im Jahre 1880 lag ihm die Leitung
der (''l)ungen im Festungskriege bei Konigsiierg ob, im Se])te!nber hatte er
abermals ein Ehrentlienstkommando l)ei der l'erson des Herzogs von Connaught,
dem Schwiegersohn des Prinzen Friedrich Karl, am 18. September erfolgte
die Ernennung zum Greneral ä /a suite. Im Januar 1881 ward General Graf
Waldersee zunächst mit einer Mission bei dem Herzog von Braunschweig
beauftragt, sodann vom 23. Februar bis 2. März zum Dienst beim Kaiser
während der damaligen Vermählungsfeierliehkeiten am licrliner Hofe befohlen,
ebenso im September zur Flottenrevue in Kiel. (legen Ende des Jahres
wurdi' er zum (ieneralquartiermeister ernannt, er trat damit als Adlatus des
Feldmarschalls v. Moltke in den großen Generalstab nach iierlin zurück.
Am IX. Juni 1882 zum Generalleutnant befördert — im Alter von 50 Jahren
— trat er während der nun folgenden Zeit der Person des Prinzen Wilhelm,
des jetzigen Kaisers, näher, den er auch im Mai 1884 auf einer Reise nach
]*etersl)urg anläßlieh der (Iroßjährigkeitserklärung des (Iroßfürsten Thron-
folgers, des heutigen Kaisers von Rußland, begleitete. Am 22. März 1.SS5
wurde er zum General-Adjutanten des Kaisers ernannt, im August 1887 zur
Beiw'ohnung der österreichischen Manöver bei Olmütz und im Novemb^
zum Ehrendienst beim Groflffirsten Thronfolger von Rußland kommandiert
Im Jahre 1S88 erfolgte im Juni seine Entsendung nach Pest, um dem Kaiser
Franz Josel die NotifikaticM^ dt r Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II, zu
überbringen, Kaiser Frieihicii hatte zuvor während seiner kurzen Regierung
den tJrafen W'aldcrsee unterm 23. April zum Cieneral der Kavallerie liefördert.
In Hutkreisen hatte damals die Absicht bestanden, den General aus iierlin
zu entfernen. Der Plan scheiterte aber an dem entschlossenen Widerspruch
des Feldmarschalls Moltke, der mit aller Entschiedenheit seinen Abschied in
Aussicht stellte, falls man ihm diesen seinen Mitarbeiter entziehen würde. Als
Moltke dann am 10. August 1888 seinen Abschied nahm, wurde Waldersee
sein Nachfolger unter Rehissung in seinem Verliältnis als Generaladjutant und
unter Stellung t'r la suite des IManenregiments Nr. 13. An der Spitze des
Generalstabes verblieb Graf Waldcrsee bis zum 2. Februar 1891. Wenn man
von der Leitung der chinesischen Expedition absieht, so bezeichnen diese
Jahre für den Grafen Waldersee den eigentlichen Höhepunkt seines Wiricens.
Durch ihn wurde der grofie Generalstab auf eine Höhe gehoben, die er selbst
unter Moltke nicht erreicht hatte und die ihm ein Ansehen wie in keiner
anderen euroj)äischen Armee gab. Auf Wunsch Italiens hatten die Dreibund-
mächte besondere militärische Verabredungen für tlen Fall beschlossen, daß
ihre politischen Bündnisse in praktische Wirksamkeit zu treten hätten. Es
wurden damals italienische und österreichische Offiziere in den Generalstab
nach Berlin kommandiert, Verabredung«! über Mobilmachung und Aufmarsch
getroffen, die seitdem, unter wesentlich veränderten V^erhältnissen, freilich
längst hinfällig geworden sind. Die Gestaltung der Beziehungen zu Kufiland
r
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von WaldcTsee.
9
erforderte damals inam lierloi X'orbercitun^L'n. S( hon die russisclicn Droluiniien
im Jahre 1879 hatten die niilitärisehe Aufmerksamkeit auf die Ostyienze
gelenkt. Ks ist behauptet worden, duQ nanientlieh Moltke die damalige
militärische Überlegenheit Deutschlands über Rußland habe ausgenutzt wissen
wollen. Bei dem hohen Lebensalter Kaiser Wilhelms I. und der schweren
Erkrankung des Kronprinzen hätte aber für Deutschhind nichts unerwünschter
sein können als ein Krie^ mit einer curopäisclien (Iroßmadit oder gar
mehreren Clroüniächten, wobei der kaiserliche Oberljefehl gefehlt haben würde.
Audi ist Bismarck bekanntlich ein entschiedener (Jegner von Präventivkriegen
gewesen; er hat sich im Jahre 1888 in seiner damaligen berühmten Reichstags'
rede mit großer Bestimmtheit darüber ausgesprochen. Im Laufe des Jahres 1890
geriet Graf Waldersee gelegentlich der schicsischen Manöver durch seine
am Schluß derselben gehaltene Kritik sowie auch noch bei späteren An-
lässen in militärische Differenzen mit dem Kaiser und reichte infolgedessen
Ende Januar 1S91 seine Entlassung ein. Unter dem 2. Februar wurde er,
nach Ablehnung seines wiederholten Abschiedsgesuchs, zum kommandierenden
General des 9. Armeekorps ernannt. Eine sehr schmeichelhafte Kabinetsordre
sprach ans, daß er im Kriegsfalle zur Führung einer Armee ausersehen sei,
und aus diesem Grunde, da er bisher ein Armeekorps noch nicht geführt
habe, ein solches kommandieren solle. Graf Waldersee hat das Korps dann
sieben Jahre lang geführt und ist unermüdlich darauf bethu ht gewesen, es
in allen Waffen auf die höchste Höhe der Ausbildung und \'er\ ollkomm-
nung zu heben, sich auch das Wohlergehen von Offizieren und Mannschaften
nach jeder Richtung hin angelegen sein zu lassen. Was er dem Korps
gewesen ist, hat dieses im Nachrufe beim Hinscheiden des Feldmarschalls
dankbar anerkannt. Auch in dieser neuen Stellung ward er wiederholt zu
Ehrendiensten berufen, so im Se|)tember beim König Albert von Sachsen und
im Juni folgenden Jahres beim König l'mberto von Italien. Am 12. September
1895 erfolgte na( h den damaligen Manövern in l'ommern seine Beförderung
zum Cleneraloberst mit dem Range eines Generalfeldmarschalls. Im Jahre 1896
führte er den Oberbefehl über das 5. und 6. Armeekorps während der großen
Manöver bei Bautzen; nach dem Abschlüsse erfolgte seine Ernennung zum
Chef des 9. Feld-Artillerie-Regiments, in beiden Fällen hatte er ils Ober-
befehlshaber einer Armee eine bedeutende Geschicklichkeit in der Führung
großer Truppenmassen bewiesen. In iler Stellung als kommandierender General
verblieb Graf Waldersee bis zum Jahre 1898. Aus seiner Wirksamkeit in Altona
ist noch das Cholerajahr 1892 hervorzuheben. Der ruhigen Entschlossenheit
des Generals ist es zu danken, daß der gesamte Behördenapparat kaltes
Blut bewahrte und der Verbreitung der Seuche ein Riegel vorgeschoben
wurde. Eine besondere kaiserliche Ordre erkannte diese Haltung in warmen
Ausdrücken an. Am i. April jenes Jahres erfolgte die Ernennung zum
deneralinspekteur der Armee-Inspektion niit .\nweisung des Wohnsitzes in
Hannover. Im Mai wurde er mit der Besichtigung tler württembergischen
Truppen und des 7. Armeekorps für den Herbst beauftragt, während der
Kaisermanöver des 7. und 10. Armeekorps fungierte er als Schiedsrichter.
Im folgenden Jahre war er gleichfalls mit Besichtigungen, diesmal des
8. Armeekorps und da württembergischen Truppen beauftragt, bei den
großen Herbstmanövem des 13., 14. und 15. Armeekorps bekleidete er
10
von Wtldenee.
wiederum das Schicflsrichtcramt. Im Jahre 1900 ward ihm die Besirhtigunp;
ilo iS. und des 11. Arnuikorps übertragen. Unter dem 6. Mai erfolgte seine
Lrnennung zum Gcneralleldmarschall. Als bakl darauf die Wirren in China
die Entsendung eines Expeditionskorps erforderlich machten, welchem Truppen
dreier Weltteile angehörten, wurde Graf Waldersee unter dem 6. August zum
Oberbefehlshaber ernannt. Nach der Heimkehr im Sommer des folgenden
Jahres trat er wieder in seine Stellung als Generalinspekteur der 3. Armee-
Inspektion zurück, in welcher SteMung er aus <lein l.el»en ges< hiedcn ist.
Seine lnspektionen in Süddeulst hland brachten ihn in liautige Ik-rührung mit
den Hufen von Württemberg und Baden und führten namentlich zur Wieder-
aufnahme alter vertraulicher Beziehungen zum Grofiherzog Friedrich, dessen
Gast er auch nach der Rückkehr aus China noch wiederholt gewesen ist.
Vorübergehende Verstimmungen zwischen den Höfen von Karlsruhe und
Berlin, die in Vorgängen militärischer Natur wurzelten, sind dabei wohl
durch ihn begliclu-n worden.
Graf Waldei^cc geh<)rt der Kategorie der preuiiischen Generale an,
denen neben hohen militärischen Würden gleichzeitig große politische Ver-
trauensstellungen übertragen worden sind. Am nächsten läge der Vergleich
mit dem Fcidmarschall Edwin Manteuffel, aber Graf Waldersee hat diesen
an militärischem Urteil, an l'msicht und Bedeutung in der praktischen Be-
urteilung von Mens(-hen und Dingen sowie an Dienstkenntnis weit über-
raL;t Der l'nterschied in den> l'nterbau der militärischen Laiifbalin beider
Generale erklärt neben den Cliarakterver.schiedenheiten diesen Umstand zur
Genüge. Waldersec hat in seinem Dienstleben den Truppen ungleich näher
gestanden als Manteuffel, war mehr Praktiker, jener mehr Theoretiker; auch
hatte Waldersee namentlich während seines Kommandos zum Prinzen Friedrich
Karl im Jahre 1870 auf den Schlachtfeldern im feindlichen Feuer Studien ge-
macht, zu denen Manteuffel keine Gelegcnlieit gehabt hatte, und woran ihn
auch als l-eldiierrn seine Kur/.sichtigkeit behinderte. Dazu kam, dafi Graf
Waldersee einen stählernen, abgehärteten, unermüdlichen Körper besaÜ, ein vor-
trefflicher Reiter war und sich namentlich im schnellen £rfe»en von Situationen
und durch einen großen Überblick auszeichnete, so dafi er jede ihm zugewiesene
Stellung bald aus eigenem Wissen und Können beherrschte und ihr neue und
wertvolle Gc-ic lit-^iiuiikte al)zugewinneti wußte. Waldersce war weit mehr wie
Manteuffel mit Leib und Seele Soldat. Kigen war ihm auch die Fähigkeit,
sich in alles hineinzudenken, sowie die Mi>tive iler Menschen zu ergründen
und zu würdigen. Seine Interessen waren sehr umfassende, aber in allem,
was an ihn herantrat, verstand er sehr schnell das Unwesentliche vom Wesent-
lichen zu unterscheiden. Wo immer er zur Wirksamkeit berufen war, hat
sich das betätigt, und die zahlreichen und wertvollen persönlichen Beziehungen
seines vielseitigen Dienstlebens leisteten ihm dabei groüen Vorschub. So war
er währeml seiner Stellung als kommandierender General des q. Arnieekori)>
auch in engere Beziehungen zur Marine und zu den Hansestädten, nanientlicii
zu Hamburg getreten, wo er eine durchaus populäre I'ersönlichkeit geworden
ist, ebenso wie in Hannover; die Hamburg- Amerika-Linie taufte einen ibxtr
neueren Schnelldampfer auf seinen Namen. Die Reise nach China brachte
ihn gleichfalls mit dem Seewesen in enge Berüluung, mit der Flotte in
unmittelbar dienstliche Beziehungen. Obwohl es für die letztere sicherlich
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von Waldenee.
II
nichts Geringes war, be i ilirer ersten überseeischen größeren Tätigkeit unter den
Oberbefehl eines Lan(lsol(i;iten «gestellt zu sein, hat Graf Waklersees große (Ic-
schicklichkcit dennoch nicht nur jede Friktion, (he sich aus soh Ikmii Verhältnis
leicht hätte ergeben können, vermieden, sondern es haben zwischen ihm und
der Marine in China unausgesetzt stets die allerbesten persönlichen und dienst»
liehen Beziehungen bestanden. — Der Umstand, daß er die verschiedensten
Teile des Heeres auf den Schlachtfeldern persönlich kennen gelernt hatte,
in den Kämpfen an der Loire sich wiederholt mit Erfolg an der Führung
beteiligen konnte, sich dort auch in einer Stellung befand, die ihm einen
i:rnßcii (""berblick und einen Einblick in den Ziisanimcnhaiig der I)iii<fc gc-
walirte, ist ihm für die Schärfung seines Verständnisses für die praktischen
Verhältnisse und Bedüifoisse des Feldlebens von ganz außerordentlichem
Vorteil gewesen und hat ihn namentlich die Grenze des Erreichbaren in den
Anforderungen an die Truppen überall mit Sicherheit finden gelehrt. So konnte
er während der chinesischen Expedition namentlich an die deutschen Regimenter
selbst sehr wt'itL'chendc Zumutungen mit der vollsten Sicherheit ihrer Ausführ-
barkeit stellen. Er erwarb sich daflurch sowie durch das Heispiel, das die
Deutschen gaben, zugleich das Vertrauen der fremden Kommandanten, zumal
der Franzosen, die freilich aus politischen Gründen ftuflerlich eine gewisse
Zurückhaltung beobacüiten mufiten, innerlich ihm jedoch mit vollstem Ver-
trauen anhingen. Seine Stellung in China war neben der militärischen zu-
gleich eine politische und dijilomatische in einem Umfange und von einer
Bedeutung, wie sie vordem in der Geschichte vielleicht noch nicht bestanden
hat, und dennoch war es ihm gelungen, sowohl mit der heimatlichen Leitung
der Politik als auch mit den militärischen und politischen Vertretern der
anderen Nationen im besten Einvernehmen zu bleiben. Jedenfeüls war er
fQr diese Stellung wie geschaffen. Es hätte vielleicht keinen zweiten Lebenden
gegeben, der sie erfolgreicher wahrgenommen und trotz aller bestehenden
Schwierigkeiten das Ansehen Deutschlands in solcher Weise zu wahren gewußt
hätte. Es fällt dabei in lietracht, daß die erste der ihm gestellten Aufgaben
für China, die Wegnahme von Peking und die Befreiung der Gesandtschaften,
schon bald nach Beginn setner Ausreise zur Lösung gelangt war, so dafl die
Frage entstehen konnte, ob seine Weiterreise sowie der Antritt des Ober-
befehlshaberpostens überhaupt noch nötig .sei. Waldersee hat durch seine
Leistungen diese Frage in der ausgiebigsten Weise bejaht. Nur durch die
von ihm mit großer Mühe aufrecht erhaltene Einheitlichkeit der Interessen
der Mächte gelang es ihm, auf den chinesischen Hof den für dessen Nach-
giebigkeit erforderlichen Druck zu üben.
Auf innerpolitischem Gebiet ist Graf Waldersee äufierlich wenig hervoi>
getreten. Als Mitglied des Herrenhauses, in welches er in den neunziger
Jahren berufen worden, hat er nur in seltenen Fällen das Wort ergriffen.
Bekannt war, daß er der Kreuz-Zeitung näherstand, ohne die von ihr ver-
tretenen Anschauunf^'cn durchweg zu teilen. Xamentlich mißbilligte er — im
Gegensatz zur Kreuz-Zeitung — die verunglückten politischen K.xperimente,
die in der Provinz Hannover seitens der altpreußischen Konservativen unter-
nommen wurden. Er hatte diese Provinz seit ihrem Eintritt in den preußischen
Staatsverband eingehend kennen gelernt, kannte die meisten bedeutenderen
Persönlichkeiten und wuflte genau, daß die Versuche, das feindliche Welfentum
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▼on Waldenec.
auf Kostrn der n.itionallibcralLMi Partei in das altpreuliisrhe k(in>>cr\ iitive l,ager
ühei/.iifuhren, niiÜglürken imdSieii. Solclie Experimente konnten nur dem
WcUcntum, dem ihm naliestchendcn Zentrum oder den Sozialdemokraten zu-
gute kommen. Nach Waldersees oft ausge.si>rochener Überzeugung hatte der
preu Bische Staat in der Provinas Hannover noch auf lange Zeit hinaus nur auf
die nationallibcrale Partei und mit dieser zn rechnen.
In einer ihm sehr unerwünschten Weise war im Jahre 18S7 sein Name
und seine IV-r-^nn mit der sogenannten W'aMtTseev orsammlung in Herlin
in \erl)iii(lung j^a'hrarlit worden. Wie bereits erwähnt, war (Iraf Walder-
see seit tlem Jahre 1884 dem damaligen i'rinzcn Wilhelm, dem heutigen
Deutschen Kaiser, näher getreten. Ein Gleiches war mit der Gräfin Waldeisee
und der Prinzeß Wilhelm der Fall, zu welcher die Gräfin durch ihren ersten
Gemahl, einen Prinzen zu Schleswig-Holstein-Noer, in einem entfernten ver-
wandtschaftlichen Verhältnis steht. Prinz und Prinzessin Wilhelm interessierten
sich damals fiir die vom Hofprediger Stcu ker geleitete Herliner Stadtmission,
ebenso die (Irafin Waldetsee, die von jeher allen Werken fronnner Wohl-
tätigkeit um derer selbst willen groüe Opfer an Zeit und (ield widmet. In
diesem Kreise war beschlossen worden, eine Veranstaltung zugunsten der
Berliner Stadtmission zu arrangieren, das Nähere sollte Gegenstand einer
Besprechung sein, zu der absichtlich Personen der verschiedensten politischen
und konfessionellen Richtungen eingeladen wurden. Diese Besprechung sollte
urspnmglich bei dem prin/.lichen Paare statttin<len. es stellten sich aber
Schwierigkeiten infolge von Renovierungsarbeiten heraus und der Hofmarschall
bat den Grafen Waldersee seine Wohnräume für diesen Zweck zur Verfügung
zu stellen. Da hierauf die Versammlung in seiner Wohnung abgehalten wurde,
erschien selbstverständlich Graf Waldersee als Hausherr und begrufite die
Anwesenden. Daß ihm dabei irgendweh he kirchlichen oder politischen Ziele
vorgeschwebt hätten, hat er später auf das entschiedenste in Abrede gestellt.
Die Sache machte jedoi h, wescntlii h durch die l bertreibungen in der Presse,
ein sehr unliebsames Autsehen. Dem Fürsten Bismarck war es vom Stand-
punkte des Staatsinteresses nicht erwünscht, einen dem Thron damals sdion so
nahe stehenden Prinzen mit einer bestimmten kirchlichen Richtung verquickt
zu sehen, das Gleiche war in bezug auf einen so hochgestellten Militär wie
Graf Waldersee der Fall. Es entspann sich eine heftige Preßpolemik, auch
die kegierungsorgane beteiligten sich an einer scharfen Kritik der X'ersammlung.
Bei Beurteilung jener Periode und ihrer Strömungen ilail ni( ht auUer-
acht gelassen werden, chiü infolge der unheilbaren Erkrankung des damaligen
Kronprinzen und des schnell sinkenden Kräftezustandes des 90jährigen
Kaisers schon im Spätherbst 1887 in den Berliner politischen Kreisen dne
Art Tbergangszustand Platz zu greifen begann, wobei allerlei Elemente sich
in den Vordergrund drängten, die davon zu profitieren hofften, wenn Prinz
Wilhelm in naher Zeit der Nachfoli^er seines (jroßvaters würde. Es begatm ein
Intriguenspiel in groln-m L infange, dessen Fäden schwer zu entwirren sind.
Vielen galt die Nachfolge des i ursten Bismarck schon damals als eröffnet,
wenigstens geschah das Mögliche, um ihre Eröffnung herbeizuführen oder
doch vorzubereiten. Der Umstand, dafi Kaiser Friedrich wider Erwarten, wenn
auch nur auf kurze Zeit, zur Regierung kam, hat viele dieser Bestrebungen
durchkreuzt, vereitelt oder doch aufgeschoben, aber die Jahre 1888/89
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von Walderaee.
13
daran kaum minder roirh j^ewcscn. So ist es zu verstehen, wenn Kaiserin
Auirnsta nach dem TikIc ihres (lemahls es al>Iehnte, Herlin zu verhissen,
viehiiehr solchen Kaischlägen den Ausspruch entgegensetzte: »es ist notwendig,
daß jetzt ein jeder auf seinem Posten bleibe«, ebenso wie sie in ihrem letzten
dankerfüllten Briefe an den Fürsten Bismarck vom 24. Dezember 1888 von
den »Widerwärtigkeiten einer vielbewegten Zeit« sprach. — Was die Be-
ziehungen zwischen Waldersee und Bismarck anbelangt, die in den Jahren
1887/90 starke Spannungen aufwiesen, so ist (Iraf Waldersee s] »fiter von Altona
aus dem im Ruhestande ])etin( llichen l-iiisten wieder niilier getreten, er
überbrachte ihm u. a, im Jahre 1892 auch (irüüe Kaiser Alexanders Iii, von
Rußland, die dieser ihm bei der Anwesenheit in Kiel aufgetragen hatte.
Persönlich hat Waldersee seinen Einilufl beim Kaiser während dieser Jahre im
Sinne einer wenigstens ättfleren Aussöhnung mit dem Kanzler zur Geltung
gebracht.
Neben der tlurch die Waldersee-Versammhing erzeugten Zeitungspoleinik
ging noch eine andere Strömung einher, die sii h auf militärisch-i)(>litis( hcm
Gebiet geltend zu machen suchte und nanientlu h bestrebt war, militärische
Anschauung»! bei politischen Entsdiliefiungcn zur Mitwirkung oder zum
Ausschlag zu bringen. Während der achtziger Jahre entstand wiedertiolt ein
ziemlich lebhafter publizistischer Kriegslärm, bei welchem eine militärische
Mitwirkung unverkennbar war und der durch die Houlanger-Periode, durch
die Häufung von landesverräterischen Vorgängen in Elsali- Lothringen, den
Scliiiäbelefall usw. einen ernsteren Hintergrund erhalten hatte. Die eigent-
liciien Vorgänge, um die es sich dabei handelte, sind bis heute vor der
Öffentlichkeit nicht klar gestellt. Bismarck war bekanntlich kein Freund
militärischer Nebenströmungen in der Politik, weil aus solchen leicht
Konsequenzen entstehen, die auf die verantwortliche Leitung der Politik
drücken und die Ziele weiter stecken als im Interesse der Erhaltung des
Friedens wünschenswert ist. Schon die auf Crispis Verlangen getroffenen
militärischen Dreibundabmachungen waren aus diesem Grunde ni( ht nach
seinem Geschmack gewesen. Die Erfahrung gab ihm darin recht. Heim
Besuch des Kaisers in Petersburg im Frühjahr 1873 war von russischer Seite
eine Abmachung vorgeschlagen worden, an der Bismarck sich nicht zu be-
teiligen wünschte, um sich nicht politisch die Hände zu binden. So war
ein rein militärisches Abkommen zustande gekommen, das von Moltke und
dem russischen Keldmars( hall Kürsti-n naiiaiinski unterzeichnet worden war
und das auch die Ratifikation beider Kaiser empfangen hatte. Dieses Ab-
kommen war es hauptsächlich gewesen, das dem Kaiser Wilhelm I. bei Ab-
schlufi des Bündnisses mit Österreich im Jahre 1879 so schwere Gewissens-
bedrängnis verursacht hatte, wie sich denn auch wohl Kaiser Alexander II.
auf Grund jener Abmachungen im Sommer 1879 zu seiner fast drohenden
Sprache berechtigt geglaubt hatte. Doch das nebenbei. — Die auf publi-
zistischem (icbiet l)ei der Wende fler achtziger Jahre in Zeitungsartikeln und
Broschüren ausgefochtenen Kämpfe waren Symptome tiefer liegender Span-
nungen und haben gleich diesen selbst heute nur noch historisdies Interesse.
Wenden wir uns nunmehr zu der Tätigkeit Waldersees in China.
Wie bereits erwähnt, hatte die Notwendigkeit, der internationalen Expedition
eine einheitliche Spitze zu geben, zu seiner Ernennung zum Oberbefehls-
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14
von Waldersce.
haber j^cführt. Kaiser Willu-lin hatte diese Notwendigkeit zuerst erkannt,
sie beim Kaiser Nikolaus vertreten und diesen ersucht, den Überbefehl
nissischerseits in die Hand zu nehmen. Kaiser Nikolaus stimmte der Richtig-
keit des Gedankens zu, lehnte jedoch den Oberbefehl fOr Rußland sowohl
um der Beziehungen zu China willen als auch mit Rücksicht darauf ab, dafi
England in einen russischen Oberbefehl schwerlich willigen würde. Er
braclite den ( )bcrl)cfelil für Deutschland, als der an der Exjiedition am
stärksten beteiligten Macht, in Vorschlag und da war Graf Waldersee die
gegebene Persönlichkeit.
Auf Einzelheiten der chinesischen Expedition einzugehen, wurde hier zu
weit fahren und den Rahmen der Aufgabe überschreiten. Bei der Formierung
der internationalen Streitkräfte und der Berufung Waldersees an ihre Spitze, war
der Gedanke maßgebend gewesen, daß Peking nicht nur zu erobern, sondern
möglicher Weise ein Krieg mit ("hina zu führen sein werde. Graf Waldersee
hatte am 22. August 1 ()()() in Neapel den Reirhsi)()stilami)fer 'Sachsen*
bestiegen, der ihn und das Armee-Oberkommando nach Ostasien bringen sollte.
Inzwischen war Peking am 15. August bereits besetzt worden, die dort be-
lagerten Gesandtschaften waren befreit, die Expedition erhielt damit gewisser-
maßen einen anderen Charakter. Die Ausreise von Berlin über Leipzig und
München nach Rom uiul Neapel hatte Anlaß zu lebhaften Ovationen der
Bevölkerungen gegeben, an denen Waldersee selbstverständlich unscluiKlig
war und die zum größten Teil auf die Initiative der Behörden zurückzuführen
waren, denen die Bevölkerung sich dann in warmer Teilnahme anschloß.
So war der Feldmarschall in Leipzig vom kommandierenden General von
Treitachke im Namen des Königs von Sachsen begrüßt worden, in München
von allen daselbst anwesenden Königlichen Prinzen, dem Offizierkorps und
einer ungezählten Volksmenge. .An der österreichischen Grenze cm]ifing ihn
der kommandierende General von Tyrol und begleitete ihn bis Innsbruck,
wo noch um Mitternacht das Offizierkorps der Garnison zu seinem Kmpfange
bereit stand. Auf allen italienischen Stationen fand ebenfalls großer offizieller
Empfang mit daran anschließenden Ovationen der Bevölkerung statt. Graf
Waldersee reiste mit wenigen Offizieren über Rom, weil König Viktor Emanuel
ihn dort zu empfangen gewünscht hatte, das Oberkommando ging direkt
nach Genua auf dem Dampfer "Sachsen«. Auch in Rom fehlte es nicht an
stiirniisc lu-n Begrüßungen, die bis Ni*ai)el anhielten, und, wie der Kehl-
marschali in einem 1 elegrauun an den Kaiser hervorhob, Zeugnis von dem
internationalen Verständnis der weitesten Volksschichten der drei verbündeten
Nationen für die hohe politische Bedeutung dieser Expedition und die deutsche
Oberleitung ablegten. Es bedarf, wie gesagt, keines Hervorhebms, daß Graf
Waldersee persönlich den Ovationen, die ihm bei seinem Auszuge in drei
Ländern bereitet wurden, völlig fern stand. Wenn die (M)crsrhwänglichkeit
dieser Kundgebungen zum Teil mit Recht eine scharfe Kritik erfahren hat,
so konnte diese nicht den Feldmarschall treffen, der die Kundgebungen über
sich ergehen lassen mufite und persönlich sehr froh war, als er endlich, mit dem
Betreten des Dan^pfers »Sachsen«, die ersehnte Ruhe fand. Es war einerseits
gewifi viel von ihm, daß er im Alter von 68 Jahren dem Rufe noch gefolgt
war, andererseits ist es das ehrenvollste Zeugnis des Vertrauens, das in seine
Leistungsfähigkeit gesetzt wurde, wenn sein Souverän ihn unter Zustimmung
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von Waldenee.
15
der andern Regirrunpcn in diesem Lebensalter vor eine durch Schwierigkeiten
aller Art so sehr komplizierte Aufgabe stellte. Vor der Abreise hatte der
Kaiser den Feldmarschall auf Wilhelmshöhe empfangen und ihm dort den
Maischallsstab mit einer Ansprache überreicht
Mit der Einnahme von Peking am 14. August war der erste Abschnitt der
Expedition beendigt. Es kam nun darauf an, den chinesischen Hof dem
Willen der verbündeten Mächte zu unterwerfen, oder, wenn man dit* Aufgabe
in diplomatische Form kleiden will, ihm fliese Unterwerfung zu ermöglichen.
In Hongkong übernahm Graf Waldersce, der Bestimmung des Kaisers gemäß,
den Oberbefehl über die deutschen Land- und Seestreitkräfte und begab sich
zu diesem Zweck dort auf den Kreuzer »Hertha«, der die Kommandoflagge
des Feldmarschalls hifite. Auf der Reede von Wusung besichtigte er am
21. September das vor der Yangtscmündung liegende deutsdie Panser-
geschwader und begab sich unterm Salut der Kriegsschiffe alier Nationen
nach Shanghai, woselbst großer Kmpfang durch Khrctnvachen der deutschen,
französischen, englischen und japanischen Truppen stattfand. Eine groüe
Parade der in Sianghai anwesenden Truppen aller Nationen vor dem Feld-
marschall bezeichnete am nächsten Tage auch iufierlich die Übernahme des
Oberbefehls. Die Ausschiffung des allmählich auf der Reede von Taku ein-
treffenden deutschen Expeditionskorps bot außerordentliche Schwierigkeiten,
die auch unter Mitwirkung fler Flotte nur sehr allmählich gehohen werden
konnten. Die Ausschiffung war im vollen (lange, als der Keldmarschall am
25. September an Bord der »Hertha« auf Taku-Reede eintraf, woselbst General
von Schwaizhoff sich zur Übernahme der Geschäfte als Chef des Generalstabes
meldete.
Der Gang der Ereignisse bis zur BÜnnahme von Peking hatte es mit
sich gebracht, daü der Machtbereich der verbündeten Trupi>en sich auf den
unmittelbaren Hesitz der Straße von Peking bis Tschungtschu und weiter bis
\ angtson längs des Peiho sowie der Eisenbahn über Tientsin nach der Küste
beschränkte. Die rückwärtige Verbindung knüpfte an der See nur an den
einzigen Punkt Tongku an, der zunächst von den durch die chinesischen
Truppen noch besetzten Peitang-Forts bedroht wurde. Bereits am la September
hatte der die deutschen Seestreitkräfte kommandierende Vizeadmiral Bende-
mann dem I cldinarsf hall nach Singapore telegraphiert, daß die Peitang-Forts
sowie die Befestigungen bei Peitaho und Shanhaikwan als nächstes Angriffs-
ziel anzusehen seien, um den Zugang von der See nach Peking auch während
der Frostzeit frei zu bekommen. Auch in einer an den Kaiser übersandten
und dem Feldmarschall bei seiner Ankunft in Hongkong abschriftlich be-
bändigten Denkschrift waren diese Ziele klar gelegt mit dem Hinzufügen,
daß die Operationen nach einstimmiger Ansicht der verbündeten Admirale
nicht über den Anfang November hinaus verschoben werden dürften. Oraf
Waldersee antwortete aus Singapore, daß er mit den Plänen einverstanden
sei, indes bäte, wenn keine anderen Befehle aus Berlin vorlägen, mit der
Aosflihrung der Operationen bis zu seiner Ankunft zu warten. Nach seinem
Eintreffen fanden Ende September Beratungen der verbündeten Admirale
über dieses Vorgehen statt, das im Laufe der ersten Oktobertage in un-
blutiger Weise durchgeführt wurde.
Die letzte militärische Stellung der Chinesen zwischen der Küste und
i6
von Waldersee.
Pclcinpf war damit beseitirrt, für die deutsche Armee-OI)erleituiig zufik'irh der
Hafen von 'I si hingwangtaii als Ausschiffungspunkt für das deutsche Kxpe-
ditionskorp.s gewonnen. Die Peitang-Forts waren bereits am 21. September
vor der Ankunft des Feldmarschalls in die Hände der Verbündeten gefallen.
Die Wegnahme wurde hauptsächlich von russischer Seite betrieben, deutscher-
seits beteiligte sich namentlich die i. Batterie schwerer Haubitzen, Haupt-
mann Kremkow, in hervorragender Weise. Deutsche Infanterie-Abteilungen
drangen gemeinsam mit den Russen in die Forts ein, die von der chinesi-
schen Besatzung ohne erheblichen Widerstand unter dem Eindruck der
Beschießung geräumt wurden. Deutscherseits war als poHtisdies Ziel von
Anlang an ins Auge gefafit, die Wiederherstellung geordneter Zustände
durchzusetzen, die Bestrafung der Hauptübeltäter herbeizuführen und eine
bestimmte Garantie dafür zu erhalten, daß ähnlichen Vorkommnissen für die
Zukunft vorgebeugt werde. Den Gedanken an Landerwerb lehnte man ab,
weil damit die anderen Mächte zu einem gk i( hen Vorgehen veranlafit worden
wären und die Einigkeit notwendigerweise darunter gelitten hätte. Nur wenn
die Mächte einig blieben, durfte man hoffen, den Aufstand auf die Provinz
Tschili zu beschränken und die chinesische Regierung, der nichts erwünschter
sein konnte als ein Zerwürfnis innerhalb der Mächte, zur baldigen Annahme
der ihr gemeinsam aufzuerlegenden Bedingungen zu bringen. Letzteres konnte
aber nur geschehen durch einen starken militärischen Druck, der dem Ränke-
s])iel der chinesiscliL-n Dipltinntrn gegenüber von einer Stelle aus einheitlich
geleitet werden und in der ilaud eme^ Mannes liegen mußte, der fähig war,
die Forderungen nötigenfalls mit dem Schwert durchzusetzen. Der Initiative
Kaiser Wilhelms war es zu verdanken, dafi dieser einheitliche Oberbefehl,
die unerläßliche Vorbedingung jedes jiolitischen Erfolges, geschaffen worden,
ebenso daß die Leitung in die Hände des Grafen Waldersee gelegt worden war.
Letzterer hatte, das Kommando über Trujipen aus drei Weltteilen, deren
Untersiellung jedoch zum Teil eine Örtlich begrenzte, zum anderen Teil
ein rechtlose war. Nur reiches militärisches Können, verbunden mit
hohem staatsmännischem Geschick, zielbewuflter Energie des Willens, mit
Menschenkenntnis, feinem Takt und weltmännischen Formen vereinigt, konnten
die Durchführung der eigenartigen Aufgabe sicheni. Diese war nach der
]>olitischen Seite hin einerseits erleichtert, andererseits aber auch erschwert
durch den Umstand, daß Deutschland für sich nichts erreichen wollte, sondern
daß das Ziel der deutschen Politik dahin ging, das Ansehen Deutschlands
zu heben, zugleich aber zu verhindern, daß irgend eine Nation sich aiis-
schliefiliche Vorteile sichere. Dies galt namentlich mit bezug auf den Yangtse.
Aufier den deutschen Land- und Seestreitkräften waren dem Feldmarschall
nur die ca. 2500 Mann starken Italiener und das kaum 300 Mann starke
österreichische Landungsdetachement völlig unterstellt; die Japaner, Engländer
und Russen nur für ( Jj^erationen in der Provinz Tschili, die Amerikaner
lediglich bei gemeinsamen Operationen, an denen sich amerikanische Truppen
beteiligen würden, und für die Franzosen war nur vorgesehen, dafi ihr Komman-
deur, General Voyron, die Autorität des Feldmarschalls im Kriegsrat der
Generale anzuerkennen hätte. Da ein solcher Kriegsrat vom Feldmarschall
begreiflicherweise niemals berufen wurde, so blieb nichts übrig als sich
in jedem einzelnen Falle mit dem amerikanischen und dem französischen
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von Waldcrscc.
>7
Befehlshaber besonders zu verständigen. Den zeitweise sogar bedrohlichen
Meinungsverschiedenheiten oder Ansprüchen der Mächte Iconnte Graf Waider-
sce nur da<lurc Ii entgegentreten, daß er an dem Standpunkt festhielt, für den
( Micrhefchlshaber bei seinen Entscheidungen lediglich die rein militärischen
(iesichtspunkte den Ausschlag geben zu htssen, alle |>()litischen und jirivaten
Ansprüche oder Wünsche dagegen an die Dijilomaten zu verweisen. Auf
diese Weise erlangte er über sämtliche Kontingente eine solche Autorität,
dafl seine Vermittlung von der englischen und der russischen Regierung,
ebenso vom General Voyron bei einem zwischen französischen und englischen
Truppen in Tientsin ausgebrochenen Konflikt in Ansjiruch genommen wurde.
Voyron erklärte dabei ausdrücklich, die Autorität des l-eldmarschalls sei so
groß und von allen Kontingenten so anerkannt, daß ein jeder sich gern
seinen Faitscheidungen unterwerten werde. Bereits nacli der Kimiahnie von
Peking war erkennbar, dafi volle Übereinstimmung unter den Mächten nicht
mehr bestand, Rußland machte sehr bald den Vorschlag, die chinesische
Hauptstadt wieder zu räumen. Um diese verwirrende Lage mehr zu klären
und den Sonderbestrebungen der Diplomaten ein Knde zu machen, war es
wichtig, die völlig ins Stocken geratenen militärischen ( )i)erationen bald
wieder in (lang /u bringen und Trujjpen m()glichst vieler Mächte dazu
heranzuziehen, um den Chinesen gegenüber ilen einmütigen Willen der Ver-
bfindeten zum Ausdruck zu bringen. Nach eingehender Erwägung der Sachlage
mit den Land- und Seeb^ehlshabem der verschiedenen Kontingente stellte
Graf Waldersee sich folgende Aufgaben: i. Erweitern tu ler Operationsbasis und
Sichenmg der Verbindung mit der Heimat; 2. Ausdeinunig des Okkupations-
gebietes; 3. Feststellung des \'erbleibens der chinesischen 'rru]>pen und Ver-
drängung derselben mit oder ohne Kampf aus der Provinz Tschili; 4, Be-
ruhigung des insurgicrten Landes, Schutz der friedlichen Bevölkerung, strenge
Bestrafung der Boxer und Räuber. Nachdem das bis zum Dezember im
wesentlichen erreicht war, gesellte sich hierzu die Beschleunigung der
Friedensverhandlungen unter steter Ausübung eines militärischen Druckes,
sobald die Korderungen der verbündeten Mächte von den Chinesen nicht
unverzüglich angenommen und erfidit wurden. Das Bedürfnis, Klarheit über
den Verbleib und das weitere Verhalten der regulären chinesischen Truppen
zu schaffen, führte zu den beiden internationalen Expeditionen auf Poatingfu
und Kaigan, zu der Einteilung des erweiterten Okkupationgebietes in be-
stimmte Abschnitte, die einzelnen Kontingenten zur Aufrechthaltung der
Sicherheit und Ordnung überwiesen wurden, sowie zur Einsetzung von Zivil-
verwaltungcn in den drei großen Städten Peking, Tientsin und Poatingfu,
wohin deutscherseits je eine gemischte Hrigade verlegt wurde, draf Walder-
see hatte am 17. Oktober seinen Einzug in Peking gehalten und im Winter-
palast sein Haupt([uartier genommen. Letzteres war notwendig, um damit
den Chinesen gegenüber die Macht und die Autorität des Oberbefehlshabers
der Verbündeten zum Ausdruck zu bringen. Beim Einzug in Peking wurde
der Feldmarsciial! von den Generalen aller Nationen und allen dienstfreien
«ieutichen Oftizieren begrülit; eine Kskadron indischer Reiter eröffnete den
Zug, eine Eskadron japanischer Kavallerie schloß ihn. Deutsche Artillerie
schoß aus chinesischen Geschützen Salut, beim Eintritt in den Winterpalast
leistete eine japanische Batterie diesen Dienst; daselbst standen auch Ehren-
Mop. JaliilMMh 11. Doatadier Ntkrokc; 9. Bd. a
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von Waldenee.
kompagnicn aller Kontingente, mit Ausnahme des rubsii.clien, aufgestellt. Graf
Waldcrsee bezug zunächst die Zimmer der Kaiserinwitwe, die allerdings in-
folge ihrer durchbrochenen Holzschnitzereiwände so unwohnlich wurden, dafi
mit zunehmender Kälte nichts übrig blieb, als auf dem Hofe das von der
Hamburg -Amerika -Linie dem Feldmarschall zur Verfügung gestellte Asbest-
haus zu l)cziehcn, das bis zu dem großen Branrlc behagliche Unterkunft bot.
Eine Arbeit von großer Hetleutung für den KeUlmarschall war die Bericht-
erstattung an den Kaiser, die nicht nur den Gang der Ereignisse, sondern
auch die Erfohrungen, Beobachtungen und Urteile Ober die Entwicklung der
Dinge in Ostasien betraf, sowohl militärischer als politischer Art Es sind
nicht weniger als 64 solcher Berichte und 270 Telegramme abgesandt worden.
Der telegraphische Verkehr wurde schließlich zu einer solchen Vollendung
gebracht, daß zwischen Abscntlung der Anfrage in Peking und Absendung
tlcr Antwort von Kerlin nur sechs Stunden Zwischenraum lagen. Ein besonderer
Tag war der 26. Dezember 1900, als Ciraf Waldersee den deutschen Truppen
die ihnen verliehenen Fahnen fibergab, den Reichsadler im weiften Felde.
Es war das erste Mal, dafi deutschen Landtruppen Fahnen mit den Reichs-
insignien verliehen wurden. Am 15. November waren die chinesischen Friedens-
untorhändlcr im \\'intcip;ilast empfangen worden, nachdem sie allerlei Ver-
suche ^ema( Iit hatten, eine 15c<,'egnung an einer anderen Stelle herbeizuführen.
Von einer schweren Katastrophe war das Überkommando bei dem Brande
des Winterpalastcs in der Nacht vom 17. zum 18. April 1901 bedroht Be-
kanntlich fiel der Chef des Generalstabes, Generalmajor von Schwarzhoff, der
Katastrophe zum Opfer; mit der Bergung von Papieren beschäftigt, erstickte
und verbrannte er. Graf Waldersee hatte bei dem Brande nur mit Not und
Mühe die notwciuligsten Papiere und sonst nic hts retten können, als was er
auf dem Leihe tru^, so daß für seine Bekleidung die Seebataillone, die
deutschen Reiter, die Amerikaner mit Stiefeln und die Inder mit Kakistoff
ffir Anfertigujig neuer Uniformen in Anspruch genommen werden muftten.
Somit war an der Neueinkleidung des Oberbefehlshabers in Ostasien huchstäb-
lich beinahe die ganze Welt beteiligt. Einen zweiten größeren Verlust erlitt
das Expeditionskorps bekanntlich dadurch, daß der Führer der Expedition
narh Kaltjan, Oberst (Iraf Vorck von Wartenburg, infolge des Heizens mit
glühenden Kohlen im offenen Hecken in Hualai erstickte. Alle Rettungs-
versuche waren erfolglos geblieben.
Die Friedensverhandlungen hatten teils infolge der chinesischen Ränke,
teils infolge der Uneinigkeit der Mächte nur sehr langsame Fortschritte ge-
macht Als eine der wichtigsten Friedensbedingungen, die Bestrafung der
an dem Aufstande und der He<lrohung der (lesandten hauptsächlich schuldigen
Würdenträger, nicht zur Ausführung zu kommen schien, ordnete Graf Walder-
see zum I. März Marschbereitschaft aller ihm zur Verfügung stehenden
Truppen an und lieft Vorbereitungen zu einem Einmarsch in die Provinz
Tschansi treffen, wohin der Hof sich zurfickgezogen hatte. Damit verbunden
werden sollte eine Demonstration längs des Kaiser-Kanals gegen die Provins
Schantung und ein Einlaufen von Kriegsschiffen in den Yangtse. Der deutsche
Gesandte machte Mitte Februar dem Führer der chinesischen Verhandlungen,
Lihungt^chanp, davon amtlich Mitteilung, der dann den Feldmarschall sofort
beschwor, zu warten, und nach drei Tagen die amtliche Mitteilung muclicu
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von Waldeisee.
19
konnte, daß die Bestrafung der tneiston Tlieltäter verfügt, /um l't'il aurli
schon vollstreckt sei Für alle Fälle lieli (Jrut Waldersec sämtliche über das
Gebifge fahrende Pfade rekognoszieren, so dafi die Meinung der Chinesen,
dafl eine einheitliche Verbindung von Truppen sieben verschiedener Staaten
andenkbar sei und bald zu Konflikten fuhren wflrde, schließlich hinfällig
wurde, ein Umstand, der vielleicht am meisten dazu beigetragen hat, sie
zum Frieden geneigt zu machen. Mit der grundsätzlichen Annahme der
Friedensbedingungen, zu denen die Zalilung der Expeditionskosien und der
Entschädigung an die Missionare usw. gehörten, war nach Waldcrsees Ansicht
die Grundlage fOr den Frieden geschaffen, China bewies damit, daft es tat-
sächlich den Frieden herbeifOhren wolle. Militärische Operationen größeren
Stils waren somit fortan nicht mehr in Aussicht zu nehmen. Nunmehr konnte
an die Reduktion der in Tschili versammelten 60000 Mann Trupjien heran-
getreten werden. Graf Waldersee veranlaiite eine gemeinsame Besprechung
dieser Frage mit den Befehlshabern der verschiedenen Kontingente und setzte
mit diesen die Zahl der Truppen fest, die in der Provinz Tschili zurfickzu-
lassen seien, um den Fortgang der Friedensverhandlungen zu verbürgen.
Die Haaptschwierigkeiten ergaben sich bei der Festsetzung des Zahlungs-
modus, so daß es oft kaum möglich war, eine Einigung der Mächte unter
einander über die von jeder einzelnen zu fordernde Summe herbeizuführen,
während die chiiusischen rntcrhändler inständigst l)aten und auch wieder-
holt den Feldmarschall angingen, ihnen doch nur zu sagen, was sie zahlen
sollten. Die Räumung von Peking wurde notwendig, um die Rückkehr des
Hofes dorthin zu ermöglichen, der wiederum das Einrücken zuverlässiger
chinesischer Truppen vorangehen mußte. Die Befestigung des (}esandtschafls-
viertels war in Angriff genommen und speziell für die deutsche Gesandt-
schaft die Unterbringung einer 300 Mann starken Schutzwache durchgeführt.
Die ausgezeichneten Anlagen erregten die Bewunderung der anderen Mächte,
von denen mehrere noch keinen Spatenstich getan hatten, als die deutsche
Anlage, zu der auch eine angemessene Erweiterung der deutschen Gesandt-
schaft gehörte, bereits fertig geworden war. Von der Mauer über der Gesandt-
schaft blickte eine Batterie 12 cm-Schnellfeuergeschütze in i : ht mißzuver-
stehender Deutlichkeit nacli dem Winterj^aiast. Mit der Abnahme der euro-
päischen Besatzung nahte der Augenblick, in welchem auch Graf Wahlcrvcc
an seine Abreise denken mußte. Es hätte der Würde seiner Stellung nicht
entsprochen, an der Spitze eines kleinen Truppenteils in Peking zu bleiben.
Die dort anwesenden Diplomaten, auch die Chinesen, wünschten freilich
seine Anwesenheit zu verlängern. Einer der in Peking wohnenden fremden
Bischöfe äußerte zu ihm: »Schicken Sie 30000 Mann nach Hause, aber
bleiben Sie bei uns«. F.ndc Mai traf vom Kriegsministerium die Mitteihmg
ein, daß der Kaiser die Rückkehr des Armee-Oberkommandos in die Heimat
befohlen habe und gleichzeitig dem Feldmarschall gestatte, einer Einladung
des Kaisers von Japan Folge zu leisten. Am 3. Juni verließ der Oberb^ehls-
haber Peking, bis zum Bahnhof geleitet von je einer Eskadron deutscher
Reiter und bengalischer Lancers. Am Bahnliof selbst waren die deutschen,
japanischen, italienischen und indischen Truj)pen der Garnison aufgestellt.
Das gesamte diplomatische Korps einschließlich des Personals der deutschen
Gesandtschaft, die Generalität und hohen Oiliziere aller Nationen, die
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von Waldersee.
kiitholisclie Clcistlichkcit uiul chiiu sisc hcii W üniciiträger waren zum Abschiede
versammelt. Der englische General Ghiiselee brachte auf den Scheidenden
ein Hoch aus, und unter dem Salut einer japanischen Batterie verließ der
Zug Peking. In Ticntsin, wo tags zuvor ein blutiger Zusammenstoß zwischen
englischen und französischen Maniisc haften stattgefunden hatte, bei dem auch
japanische I'atrcniillen iK-teili^t und »hiHsrlie Soldaten verwundet worden
waren, wurde der l-'el(hiiars( hall von den beteiligten (Jener den mit der Bitte
cini)taiigcn, zum letzten .Male -seine Autorität geltend zu machen. Kr konnte
SO am letzten Tage seines Aufendialts in China in der mehrfach ausgeübten
Tätigkeit als Friedensstifter zur Befriedigung aller Beteiligten wirksam sein.
Der Feldmarschall wohnte dem Begräbnis der getöteten fian/ösischen
Soldaten bei, eine französische Khrenkompagnie erwies ihm daini den Ab-
schiedsgruß. Am Hahnhof stand eine englische 1 luenkompagnic und dort, um
den (leneralleutnant von Lessei versammelt, die (ienerale aller Kontingente,
mit «.lern (ieneral Voyron auch ilas gesamte französische üfl'izierkorps. Zuvor
hatte sich der Feldmarschall noch von der aufgestellten deutschen Garnison
verabschiedet. Am 8. Juni landete Graf Waldersee mit der »Hertha« im
japanischen Hafen von Kobe, traf am lo. Juni in Tokio ein, wurde dort
mit fürstlichen Khren empfangen und von <ler Hevolkerun^^ besonders von
den dort ansässigen Fremden aller Nationen, niit urotk-m Jubel begrülJt.
Ciraf Wakiersee blieb zehn Tage als (last des Kaisers in Japan, wobei ihn»
reiche Gelegenheit gegeben wurile, die Errungenschaften dieses aufstrebenden
Volkes kennen zu lernen. Bei Ausbruch des russisch -japanischen Krieges
hat infolge dessen Graf Waldersee über den voraussicbtlichen Verlauf des-
selben ein sehr richtiges I rteil gefällt Reich beschenkt verließ der Feld-
marschall das Kaiserliche Hotlager in Tokio und kam nach weiteren .\us-
flügen durch das Land am 21. Juni in Nagasaki an, wo sich inzwischen
Vizeadmiral Hendemann mit seinem Llaggschiff S. M. S. »Kürst Bismarck«
eingefunden hatte. Nach herzlicher Verabschiedung von den Deutschen in
Nagasaki, dem Admiral Bendemann, den Offizieren und Mannschaften des
»Fürst Bismarck« und des Kreuzers »Hertha<^ verließ Graf Waldersee am 23. Juni
unter dem Salut der deuts( hen, amerikanischen, französischen und italienischen
K riegsst hiffe den Hafen von Nagasaki, um auf der > ('fera« die Heimreise über
Hatavia anzutreten. Kurz vor der Al>fahrt erreichte ihn not h ein Telegramm
des Kaisers, worin er in den anerkeiuiendsten \\ orten um! in L bereinstimmunj^
mit den verbündeten Souveränen des Oberbefehls enthoben wurde. Am 25. Juli
wurde Algier angelaufen, woselbst seitens der französischen Behörden großer
Empfang stattfand, am 6. August kam Helgoland in Sicht, am Nachmittag
lief die dera« in den dortigen Hafen ein. Am 8. August erfolgte die An-
kunft in Hamburg. Dort wurde Graf Waldersee im Auftrage des durch den
Tod seiner Mutter fern gehaltenen Kaisers durch (ieneral von Wittich an der
Spitze eines zahlreichen Oftizierkorps und einer Abordnung des Hamburger
Senats begrüßt. General von Wittich überreichte eine kaiserliche Kabinetts*
Order, die den Dank für alle Leistungen aussprach. Außerdem wurde dem
Feldmarschall der Orden pot4r Je incrite mit Eichenlaub verliehen, das
9. Fekl-Artillerie - Regiment, dessen Chef er seit i.So^'» war. erhielt seinen
Namen. \'on Hamburg aus begab der Feldmarschall sich nach Homburg,
dort vom Kaiser auf das herzlichste empfangen. Von den heimkehrenden
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von Waldenc«.
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Truppen ging ein Bataillon unter Major von Foerster auf Wunsch des Kaisers
Franz Josef über Triest und Wien nach Hause und hatte die Auszeichnung^,
nach fcicrli( heni Einzüge in Wien dort von Kaiser Franz Josef in Parade
besichtigt zu werden.
Graf Waldersee war fast neun Monate in China gewesen. Bei seiner
Landung betrat er den chinesischen Boden mit dem Bewußtsein, vor
einer dornenvollen Aufgabe voller unberechenbarer Schwierigkeiten zu
stehen, bei seinem Scheiden konnte er die Überzeugung mitnehmen, dafi
ihm sein "Werk gelungen war, sowohl im Hinbh'ck auf die den Clnnesen
pef^cnfiber erreichbaren militärischen und diplomatisclien Mrfolge als aucli
im Hinblick auf die l!c/iehun<ien zu den l?etehlshabern der verst hiedenen
Kontingente, iatsächlich ist auch nicht einmal \on irgendeiner der be-
teiligten Mächte eine Beschwerde nach Berlin gelangt; im Gegenteil haben
sich diese im hohen Maße anerkennend über seine Tätigkeit geäufiert. Von
(len ChiiKsen als Vertreter der höchsten Gewalt zunächst gefürchtet, wurde
draf Waldersee seiner (ieret htigkeitsliebe wegen bald geschätzt, so daß sie
ihn, wie erwähnt, ungern schei<len sahen. In gleiclier Weise waren auch alle
Deutschen in ()>tasien davt)n durchdrun^'en, daü sie dem Ansehen, das der
Fcldmarschall dem deutschen Namen gegeben, viel zu danken hatten. Was
die militärischen Leistungen anbelangt, so haben nach dem Eintreffen des
deutschen Expeditionskorps noch achtzehn Gefechte oder Scharmützel gegen
Boxer stattgefunden, an denen deutsche Truppen beteiligt waren. Die Zahl
der nach tieni Kintreffi-n des I'eldn\ars( halls und meist auf seine Anregung
aus<,'eführten I'xpeditionen l)eläuft sicii auf 76; an 51 davon haben deutsche
Truppen teilgenonnnen. Die deutsihe Infanterie bewies dabei eine Marsch-
fähigkeit, die geradezu her\'orragend war. Es sind tägliche Marschleistungen
von 40 bis 50 Kilometer wochenlang hintereinander in einem Gebirge auf-
zuweisen, dessen Pafihöhe 1300 Meter und mehr betrug. Dabei waren Tag
und Nacht die größten Hindernisse aller Art, auch hinsichtlich der Witterung,
z-.i überwinden. Die Kavallerie hatte die großartiir^ten Leistungen auf dem
Gebiete des Aufklärun<isdienstes aufzuweisen, Otii/.iere und Mannschaften
haben darin in einer Weise fiewetteitert, die ihrem Reilergeist, ihrem Wage-
mut und ihrer Ausbildung gi aße Ehre macht Es sind Patrouillenritte aus-
geführt worden, die sich den kühnsten Aufklärungsritten aller Zeiten würdig
zur Seite stellen. Ahnlidi bei den anderen Waffen; den deutschen Eisenbahn-
trnppen ist die unbedingte Anerkennung aller Nationen zuteil geworden.
Die Deutschen haben nn't allen K(nitingenten gute Kameradschaft gehalten,
mit den Kursen in trailitioneller Waffetibrüders«-haft gelebt, bei den Franzosen
waren es namentlich ilie Mannschallen, tlie mit uiiscien Soldaten harmo-
nierten, zumal beiderseits viele vorhanden waren, die sich auch sprachlich ver-
ständigen konnten. Es ist in der ganzen Zeit zwischen deutschen Offizieren un<l
Mannschaften und denen anderer Kontingente fast niemals zu irgendwelchen
ernstercji Reibungen oder Zerwürfm'ssen gekommen; in Peking und lientsin
hatte sich durch die Gastli» Iikeit des (Irafen Waldersee sowie der ( iciierale
von Lessei und Trotha bald ein internationaler X'erkehr von geradezu herz-
lichem Charakter entwickelt. Offiziere und Mannschaften der fremden Nationen
sind von ihrem deutschen Oberbefehlshaber und den deutschen Truppen
jedenfalls mit der höchsten Achtung geschieden.
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von Waldersee.
Einem Soldaten leben wie dem des Grafen Walderscc, wäre es wohl zu
gönnen gewesen, daß es seinen Abschluß unter volkr Kinsct/ung aller in
ihm ruhenden Kräfte, in einem großen Kriege gefunden hätte. Das war (lern
Fcldmarschall nicht bcht hieilen. Aber er hat in China so hervorragende
Eigenschaften betätigt, daß die Anerkennung, die er dafür nicht nur an
berufener Stelle in der eigenen Heimat, sondern in allen beteiligten Ländern
erntete, immerhin als ein ehrenvoller Ausgang eines an Ehren so reidien
Lebens angesehen werden darf; auch war der deutsche Oberbefehl in China
eine so eigenartige Stellung, wie die Geschichte sie bisher uoch nicht auf-
zuweisen hatte. Ks kam auf den Mann an, der sich die Stellung, zu tlcr
er eigentlich nichts mitbrachte als den Titel, erst schaffen mußte und das
hat Graf Waldersee innerhalb des gegebenen Rahmens nach Möglichkeit
getan. In späteren Zeiten wird das, wie so vieles andere ans seinem viel*
bewegten Dienstleben, klarer werden. Jedenfalls war er die gegebene Persön-
lichkeit, der großen Schwierigkeiten Herr zu werden, die mit dem deutschen
( )berl)efelil in ('hina verknüpft waren. Die damit verbundene Gefahr schreckte
seinen tapfern Mut nicht, den klimatischen Verhältnissen hoffte er mit seinem,
ungeachtet seiner 68 Jahre noch rüstigen und gestählten Körper gewachsen
zu sein. Gerade diese Zuversicht ist die einzige gewesen, die ihn getäuscht
hat Schwere Dysenterien, von denen er in China wiederholt heimgesucht
wurde, haben wohl den Grund zu dem Leiden gelegt, das ihn unerwartet
mit 72 Jahren schnell hinwegraffte, obwohl er sich seine große Rüstigkeit
und Frische bis in seine letzten Lebenstage bewahrt hatte. Nach der Heim-
kehr aus China hatte er seine (Jeschäfte als Armeeinspekteur wieder auf-
genommen, am 8. April 1902 beging er seinen 70, Geburtstag, erfreut
durch zahlreiche Sympathiebeweise aus allen Teilen des Heeres und des
Vaterlandes.
Deutschland hat in dem Grafen Waldersee einen hochbegabten Soldaten
verloren, auf den die Armee mit berechtigter Zuversicht blickte. Sein stetes
liestreben war es, als Soldat das Höchste zu leisten und für die Armee die
größtmogli» he Leistungsfähigkeit zu erreichen. Daneben hat es eine Zeit
des politischen Ehrgeizes gegeben, wie dies bei anderen, mit politischen
Aufgaben befafiten Generalen auch der Fall gewesen ist, eine Zeit, in der
er sich für berechtigt und befiihigt genug gehalten hat, nach dem höchsten
politischen Amt zu trachten. Die Ernennung des Generals von Caprivi zum
Rcichsknnzler hat er als eine Zurücksetzung empfunden, umsomehr als sein
\'crl)k'il)cn an der Spitze des Gcneralstahes neben dem General v. (^iprivi
als Kanzler bei dem seit langen Jahren zwischen beiden Männern bestandenen
Gegensatze auf die Dauer ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Auf allerlei
Enthfillungen von zweifelhaftem Wert, die in jüngster Zeit Ober seine politi-
schen Bestrebungen an die Öffentlichkeit gebracht worden sind, braucht
hier nicht weiter eingegangen zu werden. Nach seinem A!)leben ist berichtet
worden, er habe im Jahre 1R80 zu dem nationalliberalen Abgeordneten
Bürgermeister Fischer von Augsburg geäußert, als dieser ihn auf die Nach-
folge Bismarcks ansprach: »Wer einmal Nachfolger des toten Bismarck wird|
ist schon nicht zu beneiden, aber Nachfolger des lebendigen Bismarck werden
zu wollen, für so dumm werden Sie mich nicht halten.« Je höher Graf Waldersee
später in Rang und Ehren stieg, desto demutsvoller ist er geworden. Seine
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ron Waldenee. Georg yon Sadisen.
23
Ehe war kinderlos. Um so hingebender widmete er sich dem engen Kreise
der Seinen. Den ihm nahestehenden Freunden hat er sie Ii in guten und in
bösen Tagen in erprobter Treue und unbedingter Zuverlässigkeit, auch auf
die Gefahr persönlicher Unannehmlichkeiten hin, voll bewährt. Mit Rut und
Tat hat er vielen beigestanden, sein im Stillen reich betätigter Wohltätig-
keitssinn, in welchem ihm seine Gemahlin wetteifernd zur Seite stand, fügt
sich harmonisch dem Bilde eines seltenen, glücklichen Lebensganges ein.
Wenn diesem, wie allem Menschlichen, auch Schatten und Irrtümer nicht
gefehlt haben, so überstrahlt hier doch bei weitem das helle Licht seiner
grollen Begabung und seiner her\'orragenden Leistungen, die ihn, auch ohne
die ihm reichlich zuteil gewordenen äu&eren Ehren, den bedeutendsten Männern
des jungen Rdches beigesellen.
Qa eilen: Penonalbogen, sowie persönliche Mitteitun^A des Feldmaiscfaalls «1 den
Verfasser liiul im Freundeskreise. — Hünig, »Volkskrieg an der Loire«. Berlin, B«S. Mittler
& Sohl). Bd. I S. 336fr. — »Crcnzboten«. Lcipzijj. F. W. Grunow. 63 TiT-. >o<)4, H. 11.
— »Dcutscliland in China.« Aug. Hagel. lJUsseUlorf 1903. — »Die Kaiserliche Marine
vihicnd der Wirren in China.« Heniasgegeben vom Admiralstabe der Marine. Berlin.
E. S. Mittler & Sohn. — Keudell, »Fürst und Fürstin Bismarck«. Rcrlin und Stat^;arL
W. Spemann. 1901. — Moritz Busch, »Tagebuchblitter«. Leipzig. F. W . Grunow.
Hugo Jacobi.
Georg Friedrich Angust, König von Sachsen, ♦ 8. August 1832 in
Pillnitz, t I S- Oktober 1904 in Schloß Pillnitz, der dritte Sohn seiner Eltern,
des Prinzen Johann umi der Prinzessin Amalia von Bayern, wuchs in tleni-
selben innig verbundenen Familienkreise auf, wie .sein älterer Bruder Albert
(s. Bd. Vn, S. 3 ff.) und wurde nach denselben Grundsätzen erzogen. Sein
Erzieher war seit 1839 Albert von Langenn, derselbe, der schon die Jugend-
entwicklung Alberts geleitet hatte, sein militärischer Begleiter erst August
von Minckwitz, seit 1843 der Oberstleutnant Ma.ximilian von Engel, der den
Prinzen zu strengster Pt^ichterfüllung anhielt. Seit 9. Juni 1S36 formell der
.\rmcc anpehörip, trat er im März 1846 als Leutnant im 2. Infanterieregiment
Priiu Ma.\iiniiian ein, ging aber schon 1847 zum Gartlerciierrcguncnt über.
Doch seine Neigung richtete sich mehr auf wissenschaftliche und künst-
lerische Interessen, und früh entwickelte sich bei ihm eine ernste, innige,
&st stir M]rstik neigende Religiosität. Sein eigener Vater nannte ihn eine
ernst angelegte Natur mit einer starken Neigung zum kontemplativen Leben,
auch wohl einen »Träumer«. Welche Einflüsse die politische Entwicklung
dieser Jahre auf den Knaben uiul den angehenden Jüngling ausübten, ist
schwer zu sagen; er war in Dresden, als der Maiaufstand 1S49 ausbrach, und
maflte mit seiner Familie erst nach Schlofi Weesenstein im Müglitztale, aber
schon am Abend des 3. Mai nach der Festung Königstein flüchten, wo er
mit den Seinen bis zum 5. Juli blieb. Im Herbst desselben Jahres l)ezog er
die Tniversität Bonn und hörte dieselben Professoren wie sein Bruder ein
Jahr zuvor unter der Oberleitung des Professors Clemens Theodor PerUies;
von den damals dort anwesenden Prinzen erschien er dem Begleiter des
künftigen Kronprinzen von Prcufien, Ernst Curtius, als der begabteste, »leicht
beweglich und gewandt, von sehr angenehmem Äußern, viel fragend und
wohl unterrichtet«. Mit dem Ende des Sommersemesters 1850 in die FL imat
zurückgekehrt, erlebte er den Abfall Sachsens von dem Dreikönigsbündnis
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24 Georg von Saclis«ii.
und die MoljiliNiornnu der särhsivclu n Armee gfL^ n rreulkii. die im Nrn emher
;iuf der Linie (irdlJenluiiii Medien Dresden — l'iina /.us;iminen<^'e/(i<4en wurde,
um die Vorluit der Österreicher beim Marsche auf JJerlin zu Inlden; i'rinz
Ge<)i|^ stand damals bei der reitenden Artillerie. Nur die Demütigung Preußens
in Olmütz wandte damals den Bruderkrieg ab; aber die Politik Beusts setzte
seitdem das gefährliche Spiel fort, durch den Zollverein in der engsten wirt-
schafthchen Verbindung mit Preuflen zu stehen und politisch im Bunde mit
Österreich zu gehen, eine widerspruchsvolle Politik, die Sachsen iS66 heinahe
seine st.iatliche Existenz gekostet hat. Das X'erhältnis des sächsischen zum
prcuüischen Hofe blieb trotzdem ungestört; doch enger gestalteten sich die
Beziehungen zum österreichischen Hofe. Albert war in enger Freundschaft mit
seinem wenig jüngeren Vetter Kaiser Franz Joseph verbunden, Georg stand
dessen Bruder, dem Erzherzog Maximilian, dem späteren unglücklichen Kaiser
von Mexiko (f 1867), näher. Eine längere italienische Reise Herbst 1853 bis
Mai 1S54 erfüllte einen Herzenswunsch Georgs. Nat h seiner Rückkehr ü})er-
nahni er aK Major das Kommando des 3. Jagerhataillons. Mit dem 'Jtxle
König i-riedrich August II. am 9. August 1854 und der Thronbesteigung
seines Vaters Johann trat Georg dem Thron um so näher, als die Ehe seines
Bruders Albert kinderlos blieb, und kam in den Besitz der Sekundogenitur,
die ihm ein Einkommen von 85000 Talern gewährte. Am 3. März 1857 zum
Obersten des Clarderciterregiments beförrlert, hatte er jetzt auch nach außen
seinen Hof gelegentli( h zu vertreten, so im März 1858 in Paris bei Na])o-
Icon III. in Erwiderung eines Besuchs, den dessen Vetter Prinz Jeronie
Napoleon im März 1856 in Dresden abgestattet hatte. Von Paris ging er
im April Ober London nach Lissabon zum Besuche des portugiesischen
Hofes. Hier verlobte er sich am 17. April mit der jugendlichen Prinzessin
Maria Anna (* 21. Juli 1843), der Tochter König Ferdinands (von Sachsen-
Koburg) untl der Königin Maria da (lloria; am ii. Mai 1830 feierte er in
Lissabon seine W-nnählung, am 26. Mai zog das junge Paar in Dresden ein.
Der italienische Krieg 1859 brachte auch für (K-n sächsisc hen Hof groÜe
Aufregung, noch größere die folgende Zeit, in der die i rage der Bundesreform
wieder aufgerollt wurde und die Mittclstaaten, an ihrer Spitze Sachsen, im
schleswig-holsteinischen Kriege ihren Versuch zu einer selbständigen Politik
in einer groüen, zugleich europäischen Frage mit einer empfindlichen Nieder-
lage biUjten. l);dl deorg mit der l'olitik seines Vaters einverstanden war.
darf man voraussetzen; er hat auch mit seinem Bruder .Albert in der ersten
Kammer im Juni 1862 für den französischen Handelsvertrag gestimmt und
damit die Erneuerung des Zollvereins herbeiführen helfen, über die dann
der Vertrag mit Preußen am 11. Mai 1864 für Sachsen entschied. Wie ge-
deihlich die sächsisclie Industrie im Zollverein sich entwickelt hatte, das zeigte
beiden Prüdem der Besuch der Londoner Weltau.sstellung im Juli 1862.
nu)i trotz dieses engen wirtschaftlichen .Xnschlusses der politische (Jegensau
Sachsen 1866 aut die Seite ( )sterreichs trieb, da zog unter dem ( )berbefeliie
des Kronprinzen Albert auch Prinz Georg als Cieneralmajor und Konunandeur
der I. sächsischen Rciterbrigade mit ins Feld, und auch er hat in diesem
unglttcklichen Feldzuge, der die Tüchtigkeit und Ausdauer der Trappen in
fortgesetzten Niederlagen und Rückzügen auf die schwerste Probe stellte,
bei liwöniggrätz am 3. Juli wie auf dem schwierigen Marsche durch das
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Georg von Sachsen.
2$
un^.irisrlie Waa^lal nach der J)oii;iu die Ehre iler sächsischen Waffen uni-
siclilig und tapfer ^ewalirt und alle l*aul>elirungen und Strapazen getramn
wie jeder andere. Eine sc hiinere unil luhnendcre Aufgabe stellte ihm der
Krieg gegen Frankreich 1870/71. Als Generalleutnant und Kommandeur der
I. sächsischen Division Nr. 23 ging er am 38. Juli nach Mains ab, über-
schritt am II. August von der l)ayrischen Pfalz aus die französische Grenze
und nahm ain iS. August rulunvollen Anteil an dem Siege von St. Privat,
das seine Division zusammen mit der (larde erstürmte; am folgenden Tage
ging auf dem SchluchU'elde der Oberbefehl über das ganze XII. Armeekorps
auf ihn über, nachdem Kronprinz Albert das Kommando über die neuge-
bildete Maasarmee erhalten hatte, und er hat es seitdem während des ganzen
Feldzages geführt, bei Sedan am i. September, wo dicht neben ihm der
englische Oberst Pemberton fiel, und während der langen Einschließung von
Paris, wo er seit dem iq. Sei)tember sein Hauptipiartier in T.c \'ert-galant
bei Livry hatte und wo die Sachsen in den blutigen Tagen des 30. November
und des 2. Dezember bei Brie und Champigny dem Andrängen der l'ranzosen
widerstanden. Nach dem Abschluß des Präliminarfriedens nahm er sein Quartier
für längere 2^it in Laon; als Führer seines Korps ist er dann am 16. Juni
1871 im Triumphznge mit in Berlin eingeritten und am 11. Juli in Dresden.
Dann übernahm er wieder das Kommando seiner Division, bis er es
nach der Thronbesteigung seines Bruders 1873 mit dem ()bcrl)i.fchl des
ganzen Korps vertauschte. Zugleich wurtle er vom Kaiser zum (iencral-
inspekteur des V. und VI. Armeekorps ernannt, eine Aufgabe, die ihn all-
jährlich nach Schlesien und Posen führte. Genau und streng im Dienst, ein
scharfer Kritiker, dem keine Einzelheit entging und der auch für die einzelnen
Persönlichkeiten ein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte — noch nach Jahren
pflegte er einzelne Leute wiederzuerkennen — , hat er für die sorgfältigste
Ausbildung der Armee bei einer in fortwährender l'mwandlung begriffenen
Hewaffnunt; und Taktik das Trefflichste geleistet und wurde vom Kaiser iSSS
zum Generaheldmarschall befördert, wie er tlenn auch Chef des berühmten
altmärkischen Ulanenregiments Nr. 16 war. Proben seines Könnens hat er
noch bei dem grofien Kaisermanöver in der Oberlausitz 1896 abgelegt, wo
er die zwei Anneekori>s der Westarmee gegen den I'eldmarschall Grafen
Waldersce kommandierte. .Auf die Zusammengehörigkeit mit der Armee legte
er allezeit großen Wert; er blieb auch als König Chef der Regimenter, bei
denen er als Prinz gewesen war.
Dieselbe peinliche Gewissenhaftigkeit wie im militärischen Dienst zeigte
er in der politischen Arbeit. Seit 1858 war er Mitglied des Staatsrats, am
21. Mai 1862 trat er nach den Bestimmungen der sächsischen Verfassung
in die Erste Kammer ein. Er hat ihr mehr als vierzig Jahre hindurch
angehört und an allen den gesetzgeberischen Arbeiten, die seit den fünfziger
Jahren die < )ri:;inisation der Gerichte, der Hehörden. der Landeskirche, der
Schule gründlich umgestalteten, eifrigen Anteil genommen, vor allem, als er
1873 Vorsitzender der Finanzdeputation der Ersten Kammer geworden war,
an der neuen Ordnung des Steuerwesens 1878, die von der Einführung einer
Einkommensteuer ausging, indem er für diese als die gerechteste und den
morlernen Verhiihn! scn am meisten entsprechende persönlich eintrat Er tat
auch hier, obwohl er selten als Redner auftrat, gründliche und gewissenhafte
26
Geolg von Sadisen.
Arbeit. Von der modernen Gesetzmarhcrci, die oft niclit srhncll Reniig ein-
s(hiui(kn(lc Hestimniungen erlassen kann, wenn es ein neu aufsieigciules
Beilürfnih zu fordern scheint, war er gar kein Freund; er bemerkte einmal,
früher habe man die Dinge gründlicher erwogen als heute and deshalb auch
bessere Gesetze gemacht, womit er wohl recht gehabt haben wird. Im regen,
ungezwungenen persönlichen Verkehr mit den Landtagsmitgliedem lernte er
auch Anschauungen und die Bedürfnisse der Bevölkerung in allen Kreisen
und Schit hten kennen, und er erwarb si( h durch das alles eine Vertrautheit
mit den N'erhältnissen und mit der Staatsverwaltung, wie sie selten gefunden
werden wird und wie sie die beste Vorbereitung für seine leider so kurze
Regierung gewesen ist So konnte er bei seiner Thronbesteigung am 19. Juni
1902 mit gutem Gewissen versprechen, daft er im Sinne und Geiste seines
Bruders regieren werde, und er hat das treulich gehalten, auch auf den l)ciden
Gebieten, die heute zu den schwierigsten gehQren, der Schule und der Kirche.
Die oft so hart und ungerecht angegriffenen humanistixhen ('rvmnasien
haben an ihm denselben gütigen und ver>tän(lnisvollcn Schirinlu rm LTt funtlen
wie an König Albert; er hat allen seinen Söhnen die volle huuuuu^tischc
Bildung geben lassen, er hat auch noch bei seinen Enkeln dafür gesorgt,
und ein neugegründetes humanistisches Gymnasium in Dresden trägt seinen
Namen. In kirchlicher Beziehung hielt er sich sehr zurück. Er war ein
strenggläubiger katholischer Christ, der seine Konfession ernst und ge-
wissenhaft nahm wie alles andere, tler auch nach katholischer Auffassung
dem Staate keinen Kiiitluli auf die Kirche verstatten wollte, und er stand
deshalb wohl im Rufe der Bigotterie. Aber wenn man unter Bigotterie
Frömmelei und Unduldsamkeit versteht, so war dieser Vorwurf ungerecht,
ebenso wie bei seinem Vater, dem König Johann, dem er auch in dieser
Beziehung besonders ähnelte. Er hat niemals vergessen, daß er ein ganz
überwiegend protestantisches Land beherrschte, er hat bei seinem Regierungs-
antritt der evangelischen Landeskirche versprochen, sie solle es unter ihm
nicht anders haben wie unter seinem Vorgänger, und die sächsischen Stimmen
im Bundesrate hat er 1903 gegen die teilweise Aufhebung des Jesuiten-
gesetzes von 1872 abgeben lassen. Er war eben ein viel zu fein und viel-
seitig gebildeter Mann, als dafi er nicht die historische Berechtigung der
verschiedenen Konfessionen rückhaltlos anerkaimt hätte. In so regem geistigem
Interesse nahm er aurh die engen persönlichen Beziehungen seines Bruders
zur Universität l.cip/.ig wieder auf. Kr wurde ihr Rdtor mni^nificcnfissunNs wie
dieser es gewesen war, er besuchte sie wie dieser 1903 und würde das sicher
ebenso regelmäßig wiederholt haben wie König Albert, wenn ihm eine längere
Regierung vergönnt gewesen wäre. Als Prinz führte er seit 185$ das Protek-
torat des Königl. sächsischen Altertumsverein in Dresden, und zwar nicht nur
dem Namen nach; er wohnte vielmehr den Sitzungen fast regelmäßig bei und
war auch Protektor der Königl. sächsis( l)en Ciesellschaft der \\ i«;-<enschaften in
Leipzig. Ebenso brachte er der Akademie der bildenden Künste in Dresden,
deren Kurator er war, reges, vorurteilsfreies Interesse entgegen, und bei großen
wissenschaftlichen Versammlungen, wie z. B. 1897 bei der Dresdner Ver^
Sammlung der deutschen Philologen und Schulmänner, erschien er gern selbst
Sein besonderes Interesse galt der Musik; er spielte vortrefflich Klavier und
hatte eine schöne Baritonstimme; selten versäumte er während des Winters
Georg von Sachsen. 27
ilcii Besuch der Symphoniekonzerte in Dresden. Bei seiner Sachkenntnis und
Pflichttreue hatte er über die verschiedensten Din^je ein festes und begründetes
l'rteil, das er als König auch .seinen Ministern gegenüber energisch vertrat;
nur besseren Gründen war er zugänghch. Da er sich bevvuüt war, daÜ er
das Beste, was er war und besaß, seinem Volke gab, so war es ihm ein
lebhaft empfundenes Bedürfnis, sich mit ihm in Harmonie zu ftthlen. Gerade
aber das ist ihm auch als König versagt geblieben. Er ubernahm eine schlimme
Erbschaft in der schlechten Finanzlage, die durch eine Überspannung
unrentabler Eisenbahnbauten, kolossale ( bersclireitungen der Voranschlage hei
Siaatsbauten und che gewaltige Konkurrenz der preulJischen Staatseisenbahnen
herbeigeführt worden war, und er sali sich trotzdem gezwungen, eine
Erhöhung seiner Zivilliste zu fordern. Der Wahlsieg der Sozialdemokratie
bei den Reichstagswahlen von 1903 erschien vielen geradezu als Ausdruck
der dadurch veranlaflten Mißstimmung.
Wenn sein Volk etwas mehr in sein eigenes Familienleben hätte hinein-
sehen können, so würde es doch mit einiger Beschämung erkannt haben, daß es
geradezu musterhaft und vorbildlich im schönsten Sinne war. Seine Khe war
glücklich und gesegnet, einfach und an.spruchslos das Familienleben in dem
schlichten, von einem Schüler des grofien Gottfried Semper, Nicolai, um-
gebauten Palais an der Langen Gasse mit seinem prachtvollen, ausgedehnten,
parkartigen Garten, im Sommer in der bürgerlich einfachen Villa im idylli-
schen Hosterwitz bei Pillnitz, wo Georg noch als König am liebsten verweilte.
Vier Söhne und zwei Töchter erblühten ihm; liebevoll, aber einfach und
streng sind sie alle erzogen worden, auch sein ältester Sohn, König Kriedric h
August III. Aber wie er in seiner Familie das beste Glück fand, so hat er
an ihr auch das' schwerste Herzeleid erfahren. Wenige Monate vor der
silbernen Hochzeit, am 5. Februar 1884, wurde seine Gemahlin vom Typhus
hinweggerafft; sein jüngster Sohn, Prinz Albert, der immer das ängstlich
gehütete Sorgenkind der Mutter gewesen war, für den sie in der Angst ilues
Herzens, wie andere arme Mütter ihres Claubens, einmal sogar eine Wallfahrt
nach dem böhmischen Gnadenorte Philippsdorf gewagt hatte, verunglückte wäh-
rend der Herbstmanöver am 17. September 1900 durch einen Sturz aus dem Wagen
im blühenden Jünglingsalter von 25 Jahren; seine ältere Schwiegertochter,
die höchst populäre Kronprinzessin, Luise von Toskana (seit 1892), brachte
schweren Kummer über sein Haus, als sie in unbegreiflicher Verblendung
im Dezember 1902 ihre Familie j>lötz!ic]i verließ, so daß die Fhe am 11. Februar
iqo3 gerichtli( h geschieden werden mußte und die unverhohlenen Sym|K\thien,
die namentlich in Dresden dieser »längst tiefgefailenen Frau« entgegengebracht
wurden, verletzten den gebeugten König aufs tiefste. Die jüngere Schwieger-
tochter (seit 1894), die Gemahlin seines zweiten Sohnes, des Prinzen Johann
Georg, Isabella von Württemberg, starb am 24. Mai 1904. Er hatte alle diese
Schicksalsschläge mit der Ergebenheit des wahren Christen getragen, so
schwer sie waren. Als ihn die furchtbare Kunde vom jähen l'ode seines
jüngsten Sohnes traf, wenige .Stunden, na( hdem er ihn gesund und fröhlich
hatte scheiden .sehen, da schrieb er an einen Vertrauten: ^Ich war wie vom
Schlage getroffen und meinte es nicht überleben zu können«, aber er über-
wand auch datf, und er fand in einer aufblühenden Rnkelschar, deren ältester,
der gegenwärtige Kronprinz, den Namen des Groflvaters erhielt, so manchen
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Georg von Snchscii.
Ersatz für die herben Verluste, aber er wurde doch mehr und nulir zvi einem
innerlich einsamen Manne. Die (lemahh'n seiner Jugcnrl hatte ihn aK Witwer
zm iiekgehissen, sein dritter S^hn, l'riii/. Mav, trat in chn f^eisliirlien
Stund und enlfrenuiete sich der Heimat; auch seine zweite Tochter, Joscpha,
war als Gemahlin des Erzherzogs Otto 1886 in die Fremde gezogen. Da ist
CS wohl erklärlich, dafi er allmählich noch ernster, stiller, zurückhaltender,
resignierter wurde, als es ohnehin in seinem Wesen h\g. Zeit seines Lebens
hatte er an zweiter Stelle f(estanden; jetzt, als sich die Königskrone auf das
Haupt des fast Siebzigjährigen senkte, war es ergraut, und er hatte das
Ciefiihi. (las er au<li aussprach: Ks ist zu spät . Kr konnte in vertrautem
Kreise leutselig sein, und es fehlte ihm auch keineswegs an Humor, aber
das trat fOr Femerstehende nicht hervor, und das war seiner Popularität
hinderlich. Auch diesen Mangel an Popularität hat er bitter empfunden.
»Warum können mi< h die Leute eigentlich nicht leiden?« hat er einmal noch
als Prinz gefragt. Kr geh()rte eben zu den tiefangelegten Naturen, die man
näher kennen mulJ, um sie zu würdigen, und wie wenige konnten da.s! (lewiß,
er war voll fürstlichen Selbstgefühls, das zuweilen etwas Herbes hatte, aber
er war vor allem ein reiner, durch und durch wahrhaftiger iMensch voll
tiefer und feiner Empfindung und von makelloser Pflichttreue. Das gilt auch
von seinem Verhältnis zum Reiche, indem er ganz und gar den Bahnen
seines Bruders folgte. Mit Kaiser \\ ilhelm II. verbanden ihn die herzlichsten
beziehungen. K(")nig Cienrg machte ihm l)al(l nach seinem Regierungsantritte
seinen Mesuch, eni|>ting im .März 1903 den Gegenbesiu h und hatte nt^ch
die l'ieude, ihn bei den Kaisermanövern des Jahres 1903 in Dresden zu
begrüßen und ihm in glänzender Parade bei Leipzig am 5. September das
neugebildete XIX. Armeekorps vorzuführen.
Er war als fester Soldat und passionierter Jäger bis ins Alter hinein
rüstig und beweglich, aber schon vor seinem Regierungsantritt traten die
ersten .Anzeichen eines Herzleidens (.\rterienverkalkung) auf, dem auch sein
Vater, Konig Joliann, erlegen war, und in vertrauten Kreisen wußte man. rlafJ
er st liwerer leidend sei als König Albert. Die tiefen seelischen KrschüLte-
rungen konnten diesen Zustand nur ungünstig beeinflussen. Zur Erholung
ging er im Frühjahr 1903 nach Gardone am Gardasee und fühlte sich da-
nach so weit gekräftigt, daü er auf der Rückreise über V^enedig die Höfe
von Wien und München Ite- H lien konnte; auch den Anstrengungen der
Paraden und Nfamner im Heri)st 1003 zeigte er sich noch gewaclisen. Aber
von einem InlUienzaanfall im Januar 101)4 erholte er sich nicht wieder trotz
einer Kur in Kms unil (iastein, vielmehr quälten ihn nach iler Rückkehr
ein nervöser Husten und zunehmende Atemnot. Seinen 7a. Geburtstag, den
man überall im I/ande mit dem Gefühle emster Sorge beging, verbrachte er
selbst n orli leidlich, und er konnte in Pillnitz noch oft im Freien sein oder
kurze .Ausfahrten machen. Aber er selbst wußte genau, wie es mit ihm stand,
und er forderte auch vom .\rzte die ganze Wahrheit. Seinen Pflichten genügte
er mit s( hwindenden Kräften bis zum 14. Oktober; erst an diesem Tage, als
er d;us Knde nahen fühlte, üliertrug er dem Kronprinzen die Regentschaft.
An demselben Abend gegen acht Uhr empfmg er die Sterbesakramente, all-
mählich aber schlummerte er in Bewufitlosigkeit hinüber, und in den ersten
Morgenstunden des 15. Oktober, 2 Uhr 25 Minuten, entschlief er sanft. Am
Georg von Sachsen. liuckcnbcrgcr.
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.\l)ciul des 17. Oktober trug ein sclnvar/ vcrhaiificncr DainpftT die Lciihe
nach Dresden; hier wurde sie in der Schloßkirche aufgebahrt und am 19. Oktober
inmitten einer glänzenden Trauerversammlung beigesetzt.
Vgl. V. Falkenstein, Johann, König von Sachsen. — v. SchimpfT, Prinz Georg von
Sachsen. ■ — 1*. Hassel, König Albert von S;uli>on. — Kinc zusalnmcnf:^•^>endc Darstellung
de- goiamfen Lcbensgangcs gibt Konrad Stiirnihocfcl, Zu Kiniij^ (Icorgs ( kd^ichtnis (mit
rorliiit), lJre:>dcn 1903. Eine ktirzerc Lharakteriatik. habe icli verficht in meiner Ciedäcbtnis-
rede am 19. Oktober 1904, abgedruckt im Jahresbericht des Nikolaigyinnasiuras in Leipzig
1905, der ein Teil des vorstehenden Abrisses mit einigen Zus&tzen und anderen X'eriindc»
rangen entnommen ist Otto Kacinmel.
Buchenbcrger, Adolf, Gi^oßh. Haflisrh. Kinanzininister und Nationalökonom,
/)r. f>/:iio$. hon. causa, Dr. jur. hon. causa, * iS. \\.\\ iSjS in Mosbach (Baden),
t 20. Februar 1904 in Karlsruhe. — Kin icirlir^ I.lIku ist mit dem \'er-
storbcnen d:üiingegangen, reich an Arbeit und Erfolgen auf politisch-staats-
mftnnischem Gebiete wie dem der Wissenschaft, eine selten harmonische
Verbindung in sich schließend zwischen politischem Geschick und strenger
Gelehrtenarbeit.
Als das vierte Kind von sechs Abkömmlingen eines praktischen, später
auch im Staatstlienste tätigen Arztes in einem kleineren Landstädtchen ge-
boren, muUte H. dali elterliche Haus schon frühzeitig verlassen, um eine
Mittelschule zu besuchen. £r fand liebevolle Aufnahme in der anmutig
gelegenen alten Mainstadt Wertheim bei seinen Grofieltern mütterlicherseits,
einer hier alteingesessenen Fürstlich Löwensteinschen Beamtenlamilie. Wert-
heim wurde ihm zur zweiten, ja zur eigentlichen Heimat. Er verlebte hier
eine sehr glückliche Jugendzeit, auf die nur der frühe Verlust beider Eltern
trübe Schatten warf. Der Vater starb 1859, als H. erst elf Jahre alt war, die
Mutter, die nach dem 1 ode ihres .Mannes mit ihren fünf anderen Kiiulern
in die alte Heimatstadt Wertheim gezogen war, im Jahre 1866, kurz bevor B.
das Reifezeugnis des dortigen Gsrmnasiums erlangte. Mit zahlreichen Wert-
heimer Jugendgenossen verband B. innige Freundschaft bis an sein Lebens-
ende. Aus ihren Berichten wissen wir, daß er schon von früher Jugend an
ein heiterer und sehr umgänglicher, auf alle Interessen der Freunde gerne
eingehender .Mensch gewesen ist, kein Spaßverderber, <labei «loch stets
ruhig und besoi\nen, von großem Wissensdrang beseelt und deshalb mit
seiner Zeit immer rechnend. Sehr fühlte er sich von früher Jugend an zur
Natur hingezogen durch ihre landschaftliche Schönheit wie durch ihre natur-
wissensi haftliche Wunderbarkeit. Aber von allen diesen Neigungen hat sich
nach dem Berichte eines Jugendfreundes doch nur eine bis zur Leitlenschaft
gesteigert, die Freude am Lesen. Ganze Herge von Büc hern soll schon der
Gymnasiiist B. hinter sich gebracht haben, und wo er nur wieder eines hab-
haft werden konnte, habe er sich mit regem Eifer daraufgesiürzt. Sein Lesen
war nicht durch dunkle Triebe oder um einer Schülereitelkeit zu fröhncn
eingegeben, sondern entsprang wahrer Lembegierde, und diesem Beweggrund
entsprach auch der Erfolg. Mit einer selten leichten Auffassung vnl.and
R. eine hervorragende Kr.ift des ( ;cdächtniNv;cs, so daß er kein Buch ohne
dauernden Nutzen aus der Hand gelegt hat. Früh zeigten <i( h auch die
ersten Regungen der V'aterlandsfreude. in den Jahren der Reaktion, die den
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Buchenberger.
Bewegungen seines Geburtsjahres folgten, mag er, sobald Kmpfinden und
Erkenntnis in dem ziemlich frühreifen Knaben sich regten, manch stillen
Traum von politischer Freiheit und einem grofien deutschen Vaterlande mit-
geträumt haben. Er hat beim Abschluß einer vortrefflichen humanistischen
Bildung den zur Neugestahuni: tlcs Vaterlandes notwendig gewordenen
dentsrhen Hrudcrkrieg miterlebt, nicht nur zeitlich, sondern in Krkenntnis
seiner Ursachen und Folgen. Und als junger hoffnungsvoller Staatsbeamter
war er verständnisvoller Zeuge des grofien deutsch-französischen Krieges und
der Begründung des heutigen Deutschen Reiches. Hell lodernde patriotische
Begeisterung hat auch ihn in diesen Jünglings- und ersten Mannesjahren
beseelt, aber frühzeitig zeigte sich in ihm schon ein stark ausgeprägtes
Clefühl für das in Wirklichkeit Erreichbare, und, so hat er bald in strenger
Selbstzucht seiner leichtbeschwingten Einbildungskraft die Zügel praktischer
Erwägungen angelegt. Alle diese Eigenschaften des Knaben und Jünglings
sind B. in der mit den zunehmenden Jahren gegebenen reicheren Entwicklung
treu geblieben bis an sein Lebensende.
Im Spätherbst 1866 bezog B. zusammen mit seinem um ein Jahr älteren
Bruder die Universität Freiburg. Recht eigentlich seinen Neigungen folgend
crwäldte er das Kaiiieralfach. eine badische Spezialität. Den Rückgrat dieses
Studiums bihleteii die volkswirtschaftlichen Fächer (Allgemeine oder theo-
retische und spezielle Nationalökonomie — Volkswirtschaftslehre und -pflege
— sowie Finanzwissenschaft). Zu ihnen traten hinzu einige juristische Haupt-
disziplinen des öffentlichen und des Privatrechtes, einige mathematische
Fächer, insbesondere politische .Arithmetik, und als Hilfswissenschaften einige
technische Disziplinen (Landwirtschaftslehre, Technologie und einige F'ächer
aus der F-rdkunde). Von diesem neben dem juristischen eingerichteten
besonderen kameralistischen Studium versprach man sich in Baden die Heran-
ziehung eines tüchtigen Stammes von brauchbaren Beamten für die F^nanz-
und volkswirtschaftiiche Verwaltung, und dafi diese Hoffnungen nicht ganz
unbegründete waren, dafür lieferte gerade die Tätigkeit B.s den besten Beweis.
Das besondere kameral istische Studium ist denn auch unter verschiedenen
Wantllungen, stärkerer Betonung des juristischen Elementes und einem Zurück-
tretenlassen der mathematischen und technischen Fächer in Baden bis zum
heutigen Tage aufrecht erhalten geblieben. Und als Ende der neunziger
Jahre mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich
die Frage erneut zur Erörterung stand, ob das kameralistische Studium nicht
mit dem juristischen verschmolzen werden solle, da ist es der Finanzminister
B. gewesen, der in entscheidender Weise seine Stimme für die fernere Aufrecht-
erhaltung des Sonderstudiums abgab. — Dem studentischen Treiben mit
seinem jugendlichen Frohsinn und seiner guten erzieherischen Wirkung für
die Charakterbildung »im Strom der Welt* blieb B. durchaus nicht fern. Er
gehörte die zwei ersten Semester in Freiburg dem Korps Rhenania und
die zwei folgenden in München den Korps Franconia an und soll hier in
allen Lagen, insbesondere auch auf dem Fechtboden, nach dem Zeugnis von
.Mtersgenossen seinen Mann vortrefflich gestellt haben. Auch sind zu den
Wertheimer Jugendgenossen während der Universitätszeit, die mit zwei weiteren
Semestern in Heidelberg, also im ganzen schon mit sechs Semestern abschloß,
zahlreiche ihm treu ergebene Freunde hinzugetreten, die er sich durch seine
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Bochenberger.
31
geistige Bedeutung, sein leutseliY'es Wesen und seine angenehmen Umgangs-
formen spielend i^'ewunn. Bei alletlein wurde aber ni( hts versäumt zur Jiildung
»des Talenten in der Stille«. Nach den noch vorhandenen Kollegienheften
hat B. alle belegten Vorlesungen ohne Unterschied mit nie versagendem
Fleifte gehOrt und su Hause verarbeitet Nach Art und Umfang dieser Lern*
tttigkeit hat er damit ofonbar nicht nur bezweckt, das bevorstehende Staats-
examen ablegen zu können, sondern er war dabei geleitet von äußerst regem
Wissensdrang in dem von ihm erwählten Fache. Bei solch ernster und wahr-
haft wissenschaftlicher Arbeit konnte es nicht ausbleilicii, daü H. sclu^n na< h
dreijähriger Universitätszeit das kameralistische Staatsexamen mit gutem
Erfolge als der eiste s&mtlidier Prüflinge bestand.
Gleich darauf, im November 1869, fand B., 31 Jahre alt, seine erste Ver-
wendung im staatlichen Dienste, und zwar als Gehilfe bei der Bezirksdomänen-
und Steuerverwaltung in Müllheim und Lörrach im badischen Oberland. Kr
ging auch nicht nur vorübergehend, wie so mancher junge Beamte, seiner akade-
mischen .Studien ganz vergessend, in der l'ülle der /u erli riiciiden praktischen
Kinzelhciten unter, sondern trat an alles von der höheren Warte wissen-
schaftlicher Ergründung und Kritik heran. Trotz der mühsamen und spröden
Rechnungsführung, die er zunächst zu übernehmen hatte, fsmd er Lust und
Zeit zu einer aus eigenem Antrieb abgefaßten domänenpolitisc hen Denkschrift
über die schädlichen Wirkungen des staatlichen Farzellenbesitzes auf die
heimische Landwirtsrhaft, einer .Vrheit, der er viel später, als cr-^te gr()ßere
Tat seiner Finanzministersi haft praktische l olgen gab. \ oii dieser ersten
nidit erhalten gebliebenen Schrift an faflte er die große V'orliebe für das
Studium de( Landwirtschaft und die öffentliche Landwirtschaftspilege, denen
er spater durch lange Jahre seine Hauptkraft widmen sollte.
Kein Wunder, daß man bei den Zentralsteilen bald auf den befähigten
und strebsamen Praktikanten aufmerksam wurde. Am i. Januar 1R72 wurde
der Kameralpraktikant B. in das Sekretariat des Handelsministeriums in
Karlsruhe einberufen, in welcher Stadt er von da an ohne Unterbrechung
bis zu seinem Tode beamtet war. Das Handelsministerium, das 1881 infolge
einer Änderung in der Behördenorganisation unter Verteilung seiner Geschäfte
auf die Ministerien des Innern und der Finanzen aufgehoben worden ist,
hatte zur Geschäftsaufgabe die öffentliche Pflege von Landwirtschaft, Handel
und Gewerl)e, den Wasser- und Straßenbau, die Eisenbahn Verwaltung sowie
djis Post- und Telegraphenwesen. Dieses Ministerium der volkswirtschaftlichen
Verwaltung umfaßte also recht eigentlich das Gebiet, auf dem B. seine haupt-
sädilichsten Studien gemacht hatte und dem seine vorzugsweisen Neigungen
zugewendet waren. Er hatte somit hier die beste Gelegenheit, seine Studien
im Lichte der praktischen Staatsverwaltung nachzuprüfen und sie dadurch
zu erweitern und zu vertiefen. Schon zweieinhalb Jahre später (August 1874)
wurde der Kameraljtraktikant B. unter etatmäßiger Anstellung mit dem Titel
Kegierungsassessor als vortragender Rat in die Oberdirektion des Wasser-
und Strafienbaues berufen, einer dem damaligen Handelsministerium, jetzt
dem Ministerium des Innern, unmittelbar unterstellten 2^ntralmittelbehörde.
Hier waren es wiederum die in engem Zusammenhang mit der Landwirtschaft
stehenden Geschäfte, die sein ganz besonderes Interesse in .Anspruch nahmen;
die Aufgaben der Landeskultur, so insbesondere die Durchführung einer
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52
iiucbenbcrger.
zwcckniäÜigcn I cldbcrcini^ung, Aufhebung tlcr Gemengelage, Uurchlührung
von Ent- und Bewfisserungcn. usw. Hierbei kamen ihm seine gründlichen
theoretischen Kenntnisse sehr zustatten ; aber auch in der praktischen Durch»
führung dieser Regierungsmaßnahincn legte er ein bemerkenswertes Geschick
an den Tag. Mit seinem Kintritt in d i- Kolk-^jinin der ()l)erdirektion des
Wasser- und Stralien}):\ucs hetiinnt auch die unitaNM-ndi- journalistische und
schrifisti-lkM Im he Tati^fkcit, die |{. fast dhne rmcrtuci Hühl: bis an soine-
Lebens Ziel auf den verschietlensten volkswirtschaftlichen Gebieten fortgCNCt/i
hat Kr führte eine ungemein leichte Feder und besafl die seltene Gabe, alle
seine Gedanken sofort zutreffend und in gefälliger Form zu Papier zu bringen.
So allein ist es zu erklären, wie ein durch seinen Beruf sein ganzes I^ben
hiiulur( h in ungewöhnli( hem Maße in Anspruch genommener Heatnter neben-
her eine so umfassende schriftstellerische Betätigung entwickeln konnte. In
den siel)zigor Jahren waren es hauptsiu lilirh volkswirtschaftliche 'l'agesfragen
aller Art, denen er seine Feder lieh, und entsprechend der aktuellen licdeutung
seiner Darlegungen liefl er diese Aufsätze in der Tagespresse (zumeist der
in Karlsruhe herausgegebenen »Badischen Landeszeitung«) erscheinen. Diese
journalistische Tätigkeit set/.te er auch späterhin, nachdem er sich der Ab-
fassung von Kommentaren, Lehrbüchern, Kompendien usw. zugewendet hatte,
nebenher ständig fort, l'nd noch als l"inanzminister bediente er sich häutig
und gerne der Tagespre.sse, um auf die öffentliche Meinung aufklärend zu
wirken.
Bald nach seinem Kintritt bei der Oberdirektion (Oktober 1874) trat für
ihn in seinem persönlichen Leben eine sehr erfreuliche und Um hocfabe-
glückende Wendung ein. Er führte die Tochter des damaligen Bezirksförsters
in IM'or/lieim, späteren l'orsttneisters Hoffniann, Klara, als (Gattin heim, mit
der er bis zu seinem Toile in glücklichster Khv verbunden blieb. Was ihm
<liese treue Lebensgefährtin gewesen ist, welches behagliche Heim sie ihm
geschaffen' hat, das kann man am besten an dem außerordentlichen Umfang
seiner Berufsarbeit und sonstigen öffentlichen Tätigkeit ermessen, die auch
dem fähigsten und leistungsfähigsten Manne ohne ein glückliches Heim, in
dem er auszuruhen und Kräfte zu sammeln vermag, nicht möglich gewesen
wäre. Mit gerechtem Stolze darf diese vortrcfllirhe deutsche l'Vau auf die
h'.rfolge ihres Gatten blirkcn; sie hat auch ihren guten Anteil daran. Drei
Töchter entsprossen cieni Khebunde, an denen der V ater mit zärtlicher Liebe
hing und mit denen er, als sie herangewachsen waren, dank ihrer sehr
guten Befähigung und dem erwachenden Verständnis für die geistigen Inter-
essen des Vaters mehr in kameradschaftlicher Weise über Gegenstände der
s( honen Literatur, des öffentlichen Lebens und der Wissenschalt sich unter-
halten konnte.
Die amtliche Lautl)ahn li.s hatte sehr günstig l)egonnen und in glänzender
Weise setzte sie sich fort. Dreieinhalb Jahre nach seinem Eintritt bei der
Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaues wurde B. (März 1878) mit dem
Titel Ministerialassessor als Rat in das Handelsministerium selbst berufen
und erhielt hier das Landwirtschaftsrespiziat. In dieser Stellung verblieb er
gerade fünfzehn Jahre bis zu seiner Berufung an die Sj>itze des Finanzmini-
steriums, i.SSi mit der .Xufhebvuig des Handelsministeriums in gleicher Stellung
zum Ministerium des Innern übertretend (s. o.) und seit diesem Jahre mit
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Buchenbcrger.
33
dem Titel Ministerialrat bedacht. Auf diesem Posten schuf t r sein Haupt-
lebenswerk. Ks würde für den hier beabsichtigten kurzen Lebensriß viel zu
weit führen, auf die Tätigkeit H.s als 1 .uidwirtschaftsreferent im einzelnen
näher einzugehen. Ks müßte sonst die deschichte der badisch-deutschen
Agraipolitik in ihrer wichtigsten Entwicklungsepoche hier Aufnahme finden.
Mit seinem tiefgründigen und lückenlosen nationalökonomischen Wissen
besondeis auf dem Gebiete der Agrarpolitik verband B. eine ganz hervor-
ragende Initiative. Die Wissenschaft blieb für ihn kein toter Buchstabe,
sondern er wußte seine Kenntnisse und Krfahrungen mit feinem Verständnis
für die Produktionsbedürfnisse der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung
in die lebendige Tat umzusetzen. So erwuchsen durch seine schöpferische
Kraft nach und nach eine Fülle von Anordnungen staatlicher Fürsorge für
die badische landwirtschaftiiche Produktion, bei denen der Kenner des
Landes das intime Eingehen auf die Lage und Bedürfnisse der einzelnen
Produktionszweige und ihre Verteilung auf die einzelnen Landesteile nicht
genug bewundern kann. Dabei wollte B. die Staatsfürsorge, insbesondere die
Unterstützung der landwirtschaftlichen Produktion mit staatlichen Mitteln
keineswegs als eine dauernde Einrichtung angeschen wissen; sie sollte nur
als ein erzieherisches Mittel vorübergehend bis zur Erstarkung des gepflegten
Produktionszweiges zur Anwendung kommen. Er, der sich in der Neuein-
fOhrung von Akten staatlicher Landwirtschaftspflege nicht genugtun konnte und
damit besonders die bäuerlii he Bevölkerung verwöhnt hat, rief in einer seiner
mit recht gerühmten (lelegenheitsreden später seinen Hörern ermahnend zu,
sie sollten bei Notlagen zunächst auf Selbsthilfe bedacht sein und nicht gleich
den bequemen Ruf nach staatlichem Eingreifen ertönen lassen. B. war in
seiner Landwirtschaftspflege vorzugsweise der Mann der »kleinen Mittel«,
die aber bei ihrer großen Mannigfaltigkeit und systematisch richtigen Zu-
sammensetzung in ihrer Gesamtwirkung doch sehr erheblich waren und reichen
Scuen besonders über die kleinbäuerliche Bevölkerung ausgegossen haben.
l)ie kleinen Mittel waren auch für das Großherzogtum Badi-n bei seiner Be-
sicdlungswcise mit einer sehr weitgehenden Bodenparzeliierung und ganz
voifaerrschendem bäuerlichem Kleinbesitz offenbar das Nächstliegende und
sur Förderung der Volkswohlfahrt Wirksamste. Aber auch den sog. groflen
Mitteln, insonderheit der P'rage des Zollschutzes für Getreide, Vieh, Holz
usw. ist er in sarhlicher Würdigung der zeitlit h gegebenen Verhältnisse gerecht
geworden. Den in der Jugendzeit mit ihrem übersch.'iunienden Kraltgefühl
aufs lebhafteste mitempfundenen Freiheitsdrang, an dem er sich dem Zuge
der Zeit folgend auch berauscht hatte, und die damit zumeist verbundene
Huldigung vor der unbedingten Freihandelslehre hatte der gereifte Beamte
wesentlich modifiziert Die Kinderschuhe des laissez faire laissa passer waren
für den gewiegten, statistisch wie wirtsrhaftsgcsrhirhtlich wohlunterrichteten
Nationalökonomen ausgetreten. Die dun h gün>tigere Produktionsbeilingungen
und P>rniäßigung der Fraehts:itze mehr und mehr erdrückend gewordene
Konkurrenz der transatlantischen und osteuropäischen BruUruchi halte dun
reichlich zu denken gegeben und ihm einen mäßigen Zollschutz für die
heimische Erzeugung angezeigt erscheinen lassen. In das extrem schutzzöllne-
rische Lager der ostelbischen Agrarier ist er freilich nie abgeschwenkt.
Davor schützte ihn, so sehr er auch vom nationalen Standpunkt für eine
Biogr. Jakibueh u. Deutscher Melcfolog. 9. Bd. 3
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Bachenbcfger.
niöj,'lichst zureichende Getrcicleproduktion im eigenen \'aterlaiule und für die
hohe i)olitische Hedeutung iler Erhaltung eines lebensfähigen konservati\ en
Bevölkerungsteils eingenommen war, die durch eingehende naiionalökono-
mische Studien und reiche Erfahrungen gewonnene, über die Tageskänipfe
hinaushebende Objektivität des Urteils verbunden mit einem ausgeprägten
Gerechtigkeitsgefühl. Die gebotene Rücksichtsnahme auf die Lebensvcrliält-
nisse der nicht ackerbautreihn. !- n lU'völkerung, insbesondere der breiten
Massen der Industriearbeiter lieli der l-andwirtscliaftrefereiit bei IknirteilunL'
der angemessenen Höhe des ZolKchutzes nie auücr Betracht. H. ver-
kannte nicht, dali an dem höheren Zoilschutze der gerade in Baden nur
sehr wenig vertretene Grofigrundbesitz ganz vorzugsweise interessiert sei, da
der Kleinbauer nur wenig Getreide über den eigenen Bedarf hinaus zu bauen
vermag. Immerhin hat er in den letzten Zolltarifkämpfen von 1902 .sowohl
im badischen Landtage wie im Reichstage hervorheben können, daß der
Nutzen an einem ilurch Schutzzoll gehobenen (letreidepreis schon bei Land-
wirtschaftsbetrieben von etwa fünf Hektar einsetze.-
Die beste und zuverlässigste Grundlage für alle agrarpolitischen Mali-
nahmen des Staates hatte B. wenige Jahre nach seiner Übernahme des Land-
wirtschaftsdezemats geschaffen, nachdem er mit dem Gegenstand völlig ver>
traut gewonK :i v, ir. Eine drückende Notlage mancher Kreise der landwirt-
schafttreilicnilcii I5e\ ölkerung, wie sie in Haden nach langer anrlanernder
Aufwärtsbewegung i-'.mle der siebenziger und Anfang der achtziger Jahre de»
vorigen Jahrhunderts in die Erscheinung trat, gaben in Regierungskreisen wie
auch bei der Volksvertretung zu dem Gedanken Anlafi, Erhebungen zu ver-
anstalten insbesondere über die Höhe der Verschuldung des kleinen und
mittleren Grundbesitzes, um danach die Wege zu fintlen, die zu einer Hesse-
ning führen könnten. In beiden Kammern der Landstände hatten sich iliese
En\'ägungen im Jahre 1882 zu einer Interpellation verdichtet. H. nahm diesen
ihm selbst vertrauten (iedanken freudig auf und führte ihn mit wesentlich
weiter gesteckten Zielen und in gröUtem Stile durch. Er veranstaltete die
geradezu klassischen, für manche Staaten vorbildlich gewordenen Erhebungen
nicht nur über die Verschuldung, sondern über die Gesamtlage der land-
wirtschaftlichen Hcvolkerung. Da diese Kncjuete ein Findringen bis in alle
Einzelheiten der W'irtschaftsverhältnisse der ländlichen HeviUkerung erforderte,
sah er voraus, daß das Werk, wenn es überhaupt in befriedigender Weise
vollendet werden konnte, jedenfalls nicht vor Umlauf mehrerer Jahre zu
Ende käme. Er wählte deshalb 37 für alle Lagen und Verhältnisse der badi-
schen Landwirtschaft typische Erhebungsgemeinden in glücklichster Weise
aus und gewann sich durch eigene geschickte Beteiligung an den Erhebungen
und durch eine sehr gute Wahl von Mitarbeitern in hohem Maße das Ver-
trauen der bäuerlichen Bevölkerung, so daß das Ergebnis als ein sehr zu-
verlässiges betrai htet werden komite. Er wußte diese äuüerst schwierigen und
umfangreichen Arbeiten so sehr zu beschleunigen, daß er schon nach einem
Jahre (1883) die Ergebnisse der Erhebungen über die Lage der Landwirt*
schalt in drei starken Quartbänden der Öffentlichkeit unterbreiten konnte.
Hierzu schrieb er — in einem vierten Band abgedruckt — einen eingehen-
den zusammenfassenden Bericht über die Ergebnisse, der in mustergültig(?t
Weise fast alle agrarpolitischen Eragen an der Hand der ErhebungsergebnisbC
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Bachenb erger.
35
erörtert Dieser Bericht hat in weiMn Kreisen praktisch tätiger Volkswirte und
Staatsmänner wie auch bei den Gelehrten vorzugsweise den Nationalökonomen
das gröflte Aufsehen erregt und dabei ungeteilte Anerkennung gefunden.
Der Ruf B.s als einer agrarpolitischen Autorität war damit in weitesten
Kreisen begründet.
Die Krhebuiigen hatten sich auf alle für die Gesanitlage dieses Volks-
wirtschaftszweiges ausschlaggebenden Verhältnisse erstrecict. Erhoben und
in dem zusammenfassenden Bericht dargestellt wurden in der Hauptsache
die allgemeinen Bewirtschaftungsverhältnisse, Besitzverteilung und Erbrecht,
Kaufpreise und Liegenschaftsumsatz, Versicherungswesen, Pachtwesen, Ge-
legenheit zum Nebenverdienst, Kreditwesen, Haushaltsverbiaurh und l'>trags-
verhältnisse und endlich \'erschuldung. Die kritische Würcbgung aller dieser
Verhältnisse in ihrem tatsächlichen Bestände gab der badischen I.antlwirt-
schaft^prtege von da an Richtung und Ziel und es war B. zu seiner inneren
Befriedigung und zum Wohle des Vaterlandes vergönnt, den Boden, den
seine verdienstvolle Enquete so wohl vorbereitet hatte, in seinem ganzen
Umfange jtersönlich reich zu bestellen. Kein einziges der in der umfassenden
F.ntiuete allgemein-theoretisch und historisch-statistisch ergründeten debiete
ist unbearkert geblieben und gerade hierbei kam in B. die wunderbar harmo-
nische Verbindung zwischen gediegenem theoretischem Wissen und politischem
Geschick fQr praktische Betätigung zur reichsten Entfaltung. Das Haupt-
augenmerk war, wie B. später selber ausgeführt hat, stets auf das erziehliche
Moment gerichtet durch amtliches Hinwirken auf betriebstechnische Fort-
schritte neben Herbeiführung einer geeigneten standschaftlichen Vertretung
und Schulung des genossenschaftlichen Sinnes. Was dun h die Staatsfürsorge
für die Landwirtschaft unter H. zur Hebung des Koh- und Reinertrags und
damit der allgemeinen wirtschaitlichen l.age der bäuerlichen Bevölkerung
geleistet worden ist durch Einrichtung von Fachschulen und landwirtschaft-
lichen Versuchsanstalten und noch mehr durch die Einführung eines auf die
Masse wirkenden Anschauungsunterrichts, verbunden mit einer auf alle Ge-
meinden des Landes sich erstreckenden Wanderlehrtätigkeit, durch Förderung
des landwirtschaftlichen Vereinswesens, durch Bildung von ¥Än- und Verkaufs-
sowie von Produktivgenossenschaften, denen man, solange sie selbst nicht
stark genug waren, in irgendeiner Form die Staatshilfe angedeihen ließ,
durch Bekämpfung des Wuchers auf dem Lande, durch Einführung von
Staatsprämien in erzieherischem Sinne für besonders gute Erzeugnisse und
in Verbindung damit durch Pflege des Ausstellungswesens, durch Unter-
stützung von Meliorationen und Krschließung billiger Kaufquellen für Dünge-
mittel, durch mittelbare und unmittelbare Fr)rderung des Obstbaues und
landwirtschaftlicher Nebengewerbe, durch Neuordnung des Kreditwesens nicht
mit einer staatlichen Landeskreditkasse, sondern durch Bildung eines im
wesentlichen auf Selbsthilfe beruhenden, über das ganze Land sich erstrecken-
den Verbandes, durch Förderung des Versicherungwesens, besonders der
Versicherung gegen Hagelschhig, die gleichfalls auf privatwirtschaftlicher
Grundlage eingerichtet wurde, usw. usw., das alles steht mit unvergäng-
lichen Lettern auf den Tafeln der badischen Agrargeschichte eingegraben.
Ganz besonderer Hervorhebung wert ist, was unter B. zur Hebung der heimi-
schen Tierzucht, vornehmlich der für Baden mit seinem überwiegend klein-
3*
t
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3«
Budienboger.
bäuerlichen Betriebe so wichtigen Rindviehzucht geleistet wurde. Durch
Bezug reiner Rassctiere aus verschiedenen Ländern, besonders der Schweiz
(Simmental), den Betrieb von Rinderstammzuchtstationen, durch Bildung von
Viehzuchtgenossenschaften, durch staatliche Prftmiiening guter Zuchtprodukte,
durch eine großzügig angelegte Rindviehversicherung mit Staatsnnterstützung,
die in Ortsviehversicherungsanstalten geghedert, durch Zulassung eines Mehr-
heitsbeschlusses zu einer zwangsweisen wurde usw., ist es erreicht worden,
daß sich die Produkte mancher badischer Tierzuchtgenossenschaften heute
eines Weltrufs zu erfreuen haben, und daß der Wohlstand der bäuerlichen
Bevölkerung gerade durch den Erfolg der Tierzucht eine merkliche Aufwärts-
bewegung eingeschlagen hat.
Natürlich hat B. diese fast zahllosen Einrichtungen staatlicher Land-
wirtschaftspflege nicht alle allein und persönlich ausarbeiten und durchführen
können. Er hat sich dabei der Mitwirkung einiger vortrefflicher Mitarbeiter
zu erfreuen gehabt. So hat er es insbesondere verstanden, die wertvollen
Dienste einer Autorität auf veterinirtechnischem Gebiete für die gute Sache
nutzbar zu machen. Aber die geistige Urheberschaft der meisten, besonders
der umfassenderen Maßnahmen ist doch auf ihn selbst zurückzuführen. Als
eine besonders glückliche Fügung muß es betrachtet werden, daß B. als
Landwirtschaftsreferent unter Ministern gestanden hat, die seiner Befähigung
und seinem Wirken volles Verständnis entgegengebracht haben. Besonders
der in den Hauptjahren von B.s landwirtschaftspHeglicher Wirksamkeit
amtierende Minister des Innern Eisenlobr war ein großzügiger, mit einem
außerordentlichen praktischen Blick für die Bedürfnisse des Volkslebens be-
gabter und entschlossener Mann, der die hervorragende Befähigung seines
Landwirtschaftsreferenten wohl zu schätzen und ihm die für ein Land von
der Größe Badens recht bedeutenden Mittel durchzusetzen wußte, welche
die Slaatsfürsorge für die Landwirtschaft verschlang. Wohl mit im Hinblick
auf diese intensive und in jede Einzelheit eingehende pflegliche Wirksamkeit
der staatlichen Verwaltung, wie sie B. auf dem Gebiete der Landwirtschaft
inauguriert hat und wie sie auch auf manchen anderen Gebieten der volks-
wirtschaftlichen und sonstigen inneren Verwaltung in Baden Übung geworden
ist, sind die Worte von dem ' wohlregierten Mitlelstaat«, von dem »Muster-
lande« ausgei)rä<,'t worden. Man wird freilich nicht verkennen ilürfen, daß
eine solch umfassende und eindringliche Verwaltungstätigkeit in einem Groß-
staate überhaupt nicht wohl möglich ist, sondern höchstens noch in einem
Mittelstaate. Bei seinen enger gezogenen Landesgrenzen kann er möglicher-
weise auch in den Ministerien über Beamte verfügen, die mit den Veriifilt-
nissen des Landes in allen seinen Teilen und mit allen seinen noch so
kleinen Berufsständen genau vertraut sind und bei sehr guter Befähigung
diese eingehenden Kenntnisse in gleichmäüigcr Berücksichtigung aller Orte
und Stände in tler staatlichen Gesetzgebung und Verwaltung zu verwerten
wissen.
Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als langjähriger Landwirtschafts-
referent kam auch der Literat und agrarpolitische Gelehrte B. zur vollen
Entfaltung Uurch sein wichtiges Staatsamt wohl in überdurchschnittlichem
MaUc in Anspruch genommen, ist es ihm bei seiner nie versagenden Arbeits-
kraft und bei seiner ungewöhnlich leichten Feder doch gelungen, nebenher
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Bttdienbergfer.
noch in einer dem Umfang wie dem Inhalt nach bedeutenden Weise schrift-
stellerisch sich zu betätigen. Ein glücklicher Umstand war es, daß trotz der
sehr umfassenden Üienstaufgaben es ein abgerundetes, in sich geschlossenes
Gebiet gewesen ist, auf dem er seines Amtes zu walten hatte, so daß er
sdne Kräfte iQr praktische und theoretische Betätigung auf einen Gegenstand
sammeln konnte. Neben einer fast unausgesetzten journalistischen Tätigkeit
und «ahlreichen Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften, von denen er
besonders die Zeitschrift für die gesamte Staat^wissenschaft, das Jahrbuch
für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, die Schriften des Vereins
für Sozialpolitik, die Zeitschrift für Sozialwissenschaft u. a. m., auch manche
landwirtschaftlichen Organe mit wissenschaftlichen Beiträgen bedacht hat, ließ
er eine ganze Reihe von Kommentaren und Monographien auf agrar-
politischem Gebiete erscheinen. In dem gröfieren im Jahre i88s (Karlsruhe
bei Bielefeld) erschienenen Sammelwerke, »Das Großherzogtum Baden in
geographischer, naturwissenschaftlicher, geschichtlicher, wirtschaftlicher und
staatlicher Hinsicht dargestellt' , übernahm B. die Abschnitte iihor Landwirt-
schaft und Fischerei, die zu den besten des Werkes zählen. Dann kam 1887
ein Kommentar zum badischen Gesetz über die Verbesserung der Feld»
einteilung (Feldbereinigung) heraus (Tauberbischofsheim und Karlsruhe bei
Lang), den er zusammen mit einem Berufskollegen bei der Oberdirektion
des W^asser- und Straßenbaues bearbeitet hatte. Ebenfalls 1S87 in Leipzig
bei Duncker und Humblot eine kleine Monographie »Zur landwirtschaftlichen
Frage der Gegenwart«, die Ergebnisse der landwirtschaftlichen Erhebungen
von 1883 und den Wucher in den Landgemeinden behandelnd (vorher als
zwei getrennte Aufsätze im SchmoUerschen Jahrbuch für Gesetzgebung,, Ver-
waltung und Volkswirtschaft und in den Schriften des Vereins für Sozial-
politik erschienen). Auch noch im Jahre 1887 konnte er einen umfangreichen
Kommentar fertigstellen unter dem Titel »Das Verwaltungsrecht der Land-
wirtschaft unri die Pflege der Landwirtschaft im Großherzogtum Baden«
(Tauberbischüfsheim-Karlsruhe bei Lang), worin er die Darstellung der ge-
samten im Bereich der Landwirtschaft sich betätigend«! StaatsfQrsorge sich
zur Aufgabe gestellt hatte, und wozu 1891 im gleichen Verlage ein Ergänzungs-
band erschien »Das Veru'altungsrecht der Landwirtschaft und Fischerei«. Schon
vorher (1888 ebenfalls im Langschen Verlage) hatte er einen kleineren Kom-
mentar »Fischereirecht und Fischerci])flege im (Iroßherzogtum Baden« (1903
IL Aufl.) erscheinen lassen, ein Gegenstand, dein er zeitlebens viel Aufmerk-
samkeit und Neigung entgegengebracht hat. Alle diese Veröffentlichungen
treten in ihrer Bedeutung weit zurück hinter einem grofl angelegten, rein
wissenschaftlichen Lehr- und Handbuch über »Agrarwesen und Agrarpolitik«,
das er in zwei umfangreichen Bänden in zwei aufeinanderfolgenden Jahren
1893/93 als Abteilung in dem I,ehr- und Handbuch der politischen Ökonomie
von Adolf Wagner (Leipzig: Winter'scher Verlag) hat erscheinen lassen können.
Es ist dies die reife Frucht, die B. vermöge seiner langjährigen Tätigkeit als
Landwirtschaftsreferent und der eingehenden agrarpolitischen Studien, die
bei ihm ständig damit verbunden gewesen sind, zum Schlüsse dieser seiner
Wirksamkeit (der zweite Band erschien ein halbes Jahr nach seiner Berufung
an die Spitze des Finanzministeriums) der zünftigen Nationalökonomie und
der ganzen gebildeten Welt zu Füßen legen konnte. Mit diesem für einen
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BuchenbcTger.
mit einem vollgerüttelten Maß von Berufsarbeit bedachten Beamten geradezu
nionnnn'ntalcn Werke ist B. aus der Reihe der verdienstvollen Kommentatoren,
zu denen kenntnisreiche und arbeitsame Beamte das Hauptkontingent stellen,
weit hinausgetreten. Nun war er auch als nationalökonomischer Forscher
und Gelehrter anzusprechen. Mit dem vollen Rüstzeug des zünftigen Ge-
lehrten, wie sich schon aus den gegebenen Ltteraturausweisen und ihrer
Verarbeitung ergibt, ist B. mit diesem Werke auf den Plan streng wissen-
schaftlicher Arbeit getreten und hat das Feld mit Khren behauptet. Mag
sein, flaß, wenn er nur die Luft der Gelehrtenstube einzuatmen gehabt hätte,
er zu einem noch strafferen, systematischen Aufbau und damit zu kürzerem
Ausdruck gekommen wäre; auch hätten dann vielleicht die historisch-statisti-
schen und die kritisch-polemischen Ausführungen einen noch etwas breiteren
Raum beansprucht Dafür brachte aber B. für die Schöpfung dieses Werkes
etwas mit, was dem Kathedergelehrten gewohnlich abgeht, für diesen Teil
der Wirtschaftswissensrhaft, die ein ^utes Stück Politik in sich schließt, aber
von hoher Bedeutung ist: die i)olitis( In- Frtalirung des auf diesem (lehiete
lange Jahre hindurch mit seltenem Erfolg tätig gewesenen Staatsbeamten.
Und so wird die B.sche Agrarpolitik sicher stets einen ersten Platz einnehmen
unter den klassischen einschlägigen Arbeiten eines Roscher, v. d. Goltz,
Brentano, Conrad, Ruhland u. a. Es war mit diesem Werke offensichtlich
geworden, daO B. auch jedem nationalökonomischen Lehrstuhl zur Zierde
gereicht hätte. Ks ist kein Zufall, daß B. seine Agrarpolitik als Teil
gerade des Lehrbuchs der politischen Ökonomie von Adolf Wagner
hat erscheinen lassen. Von allen zeitgenössischen Nationalökonomen war
B. ihm in der Auffassung über Aufgabe und Ziel dieser Wissenschaft
besonders nahe verwandt Zunächst in methodologischer Hinsicht Er, der
selber durch seine klassische Agrarenquete von 1883 auf induktivem Wege
• so wertvolle Bausteine für die Wirtschaftswissenschaft beiL'obracht hatte, ver-
trat doch die Meinung, daß mit tler historisch-statistischen Hjgründung örtlich
und zeitlich vorhandener Wirtschaftskörper, auch wenn sie in noch so voll-
kommener Weise erfolgte, die Aufgabe der Nationalökonomie noch keines-
wegs erfüllt sei. Dieser Beibringung von historisch-statistischem Material
auf dem Wege der Induktion erkannte er, so sehr er von seinem Werte
durchdrungen war, für die nationalökonomische Wissenschaft doch nur eine
vorbereitende Bedeutung zu. Nach seiner wie nach Wagners Meinung bildete
es aber die vornehmste Aufgabe der Nationalökonomie, auf (inind dieses
historisch-statistischen Materials mehr auf deduktivem Wege zu allgemeinen
wissenschaftlichen Leitsätzen zu gelangen, die unter den gegebenen Voraus-
setzungen für jede Zeit und jeden Ort ihre Richtigkeit behalten. Darin unter-
scheiden sich Wagner und B. von den englischen Klassikern und ihren Epi-
gonen, daß sie sich nicht in spekulativen Deduktionen bewegen, die in der
Luft schweben, sondern sie fassen stets festen Fuß auf dem Boden des wirk-
lichen Volks Wirtschaftslebens. Aber auch in der Richtung der Nationalöko-
nomie, besonders ihres politischen Bestandteiles, findet sich eine weitgehende
Übereinstimmung zwischen Wagner und B. Wagner kann man wohl als den
Theoretiker der sozialen Reform bezeichnen, wie sie sich in ihrer historisch-
rechtlichen Form vornehmlich iin neuen Deutschen Reich herausgebildet hat
B. hat in einer öffentlichen Rede bekannt, dafi er auch als Finanzmiiiister
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Buchenbeiircr.
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nie aufgehört habe, mit einem Tropfen sozialpolitischen ( )les pcsalbt 7,u sein
und danach hat der Gelehrte B. stets geschrieben und der praktische Staats-
mann B. immer gehandelt. Und noch in einer anderen Hinsicht kann diese
Parallele zwischen Wagner und B. wohl gezogen werden. Wagner und mit
ihm Schäffle sind die Hauptvertreter des neuzeitlichen deutschen Staatssozia-
lismus: B. war stets auf eine möglichste Ausdehnung der Staatstätigkeit
bedacht, auch wenn dadurch auf manchen (Icbictcn eine höhere steuer-
liche Belastunfi untrennbar verbunden war Deshalb fühlte sich B. mit den
politischen Bestrebungen von Wagner und Schäffle in weitgehendster (. ber-
einstimmung. — So groß der wissenschaftliche Erfolg der zweibändigen
Agrarpolitik gewesen ist, so vermochte das Werk schon wegen seines Umfangs
und seiner schweren wissenschaftlichen Rüstung nicht in weitere Kreise,
besonders nicht in die Reihe der praktischen Wirtschafter zu dringen. Der
l'mstar\d, dalJ auf das große Lehrbuch sowohl in der Tagespresse wie in den
parlamentarischen Verhandlungen in der Folge sehr häufig Bezug genommen
wurde, brachte B. später auf den Gedanken, die (Quintessenz des Werkes
einem weiteren Leserkreis leichter zugänglich zu machen. Von diesen Ge-
sichtspunkten geleitet ließ er im Jahre 1897 (Berlin bei Paul Parey) ein
Buch erscheinen mit dem Titel »GrundzOge der deutschen Agrarpolitik
unter besonderer Würdigung der kleinen imd großen Mittel ', in dem er in
viel gedrängterer Fassung und ohne das mehr nur für den Fachgelehrten
bestimmte literarische Beiwerk besonders die Streitfragen der zeitgenössischen
agrarischen Tagespolitik in einer durch Wissenschafdichkeit und reiche staats-
männische Erfahrung gewährleisteten Objektivität des Urteils dargelegt hat.
Daß er sich in der Beurteilung des Bedürfnisses nach einem solchen Buche
nicht geirrt hat, geht daraus her\'or, daß schon nach Jahresfrist eine zweite
Auflage davon nötig geworden ist. Sic ist vom gleichen X'erlage im Jahre 1899
unter dem Titel »^^Grundzüge der dcuts( hen Agrarj)olitik ausgegeben worden.
Endlich wäre von schriftstellerischer Betätigung aus dem Gebiete des Agrar-
wesens noch der Abschnitt »Fischerei« in Schönbergs Handbuch der politi-
schen Ökonomie (IV. Aufl. 1896, Tübingen bei Laupp) zu erwähnen, der aus
der sachkundigen Feder B.s herrührt und den er als kürzer gefofiten Aufsatz
noch in andere Sammelwerke und Zeitschriften geliefert hat, so z. B. in das
Handwörterbuch tler Staatswissenschatten. — Man wirti staunen, wie es einem
vielbeschäftigten Beamten möglich gewesen ist, nebenher eine solch um-
fassende literarische und Gelehrtenarbeit zu bewältigen; man kann sich das
nur erklären, wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, daß B. von früher
Jugend an eine äußerst leichte Auffassungskraft an den Tag legte, verbunden
mit einer außergewöhnlichen Gedächtnisschärfe, daß er in seinen Mannes-
jahren geradezu rastlos tätig war, alle Gedanken sehr leicht zu Papier brachte
und eine geradezu erstaunliche Belesenheit besonders auf dem Gebiete volks-
wirtschaftlicher Wissenschaft und Politik jederzeit bereit hatte. Statt weiterer
Kinzelheiten sei zum Belege erwähnt, daß Adolf Wagner im Frühjahr 1891
an B. die Einladung erließ, in das von ihm herausgegebene Lehrbuch der
politischen Ökonomie den Teil über Agrarwesen und Agrarpolitik zu
liefern und dali H. den ersten Hand mit 615 Druckseiten im Jahre 1892, den
zweiten mit 641 Druckseiten im nächstfolgenden Jahre erscheinen ließ, wie-
wohl er inzwischen mit der Leitung des Finanzressorts betraut worden war.
40
Bttcheoberger.
mit dessen hauptsächlichsten Arbeitsgebieten er sich erst vertraut zu machen
hatte.
Großherzog Friedrich, der während seiner langjährigen gesegneten Regie-
rungszeit alle Vorgänge des öffentlichen Lebens genauestens verfolgte und
bei wichtigen Entscheidungen immer selbst der Politik die Richtung vor-
geschrieben hat, war auf den hervorragend befähigten und erfolgreichen
Ministerialbeaniten, der sich auf allen Gebieten mit spielender Leichtigkeit
zurechtfand, schon längst aufmerksam geworden. Als im Fridijahr 1803 durch
den Rücktritt des Finanzministers Ellstätter, der über 25 Jahre an der Spitze
des Finanzministeriums gestanden hatte, das Portefeuille der Finanzen in
Erledigung kam, berief der Grofiherzog den noch nicht 45 Jahre alten, aber
schon eine reiche Lebensarbeit hinter sich habenden Ministerialrat B. als
Präsidenten des Finanzministerinrn< in, den obersten Rat der Krone. Im
ganzen Land fand diese Wahl den freudigsten Widerhall, zumal R. sein
agrarpolitisches Prounanim in den Hauptjiunkten als l^andwirtschaftsreferent
noch selbst hatte durchfuhren können. Etwas über ein Jahrzehnt, bis zu
seinem frühzeitig erfolgten Tode» ist es B. vergönnt gewesen, die leitende
Stelle in der badischen Staatsfinanzverwaltung zu bekleiden, gehoben durch
das nie erschütterte und unerschütterliche Vertrauen seines Landesherm und
beschwingt durch die Verehrung zahlreicher Berufsgenossen, man kann fast
sagen der ganzen Keamtensi haft sowie vieler Parlamentarier aus allen Parteien.
Er war durch sein vorhergegangenes Wirken ein Liebling des ganzen, am
öffentlichen Leben teilnehmenden Volkes geworden. Und er hat die hohen
Erwartungen, die man allseits auf seine Tätigkeit als Finanzminister setzte,
nicht enttäuscht. Auch .hier auf dem viel weiteren Gebiete hat er eine
höchst erfolgreiche, durch feines Verständnis für alle Seiten des staatlichen
Lebens und eine an ihm von früher gewohnte hervorragende schöpferische
Kraft ausge/eidmete Tätigkeit entfaltet. Den häutig im offentlit hen Leben
befolgten Grundsatz des qukta nun //lovere, nach dem unliebsame und tlie
obersten Vertreter der Regierung mitunter aufreibende Entscheidungen des
parlamentarischen Kampfes hinausgeschoben und damit abgemildert zu werden
pflegen, ließ er nicht gelten. Alles griff der rastlos tätige Minister auf, wo
er glaubte die bessernde Hand anlegen und seiner sozialpolitischen Über-
zeugung sowie seinem Standpunkte im Sinne eines gemäfiigtcn Staatssozialismns
kräftiger Cieltung verschaffen zu können. In kürzester Frist hatte er sich mit
allen Zweigen seines Ressorts vertraut gemacht und so griff er von Anfang
an in allen wichtigeren Fragen selbst entscheidend ein. Ja, die wichtigsten
Gesetzesvorlagen und vorbereitenden Aktionen hat er zu einem großen Teil
persönlich ausgearbeitet. — B. ist keineswegs ein ängstlicher und zurück-
haltender Finanzminister gewesen, er sah auch dann hoffnunfr'^voll in die
Zukunft, wenn dunklere Wolken am Finanzhimmel aufzusteigen liegannen.
Man kann wohl sagen, daü, wenn sich in seiner Person hin und wieder ein
Widerstreit auftat zwischen dem Finanzminister und dem Volkswirtschafts-
minister, der er in seinem Empfinden und Handeln geblieben Ist, der erstere
zumeist Ins Hintertreffen geriet* Nach seiner nationalökonomisch-politischen
Überzeugung scheute er auch vor einer weiteren Anspannung der in Baden
schon damals ziemlich stark in Anspruch genommenen direkten Steuerkraft
nicht zurück, wenn es galt, damit eine von ihm für ersprießlich erfundene
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Buehenbeiger.
41
Staatsfürsf)r^e auf irgendeinem Gebiete, besonders aber auf dem der volks-
wirtschaftlichen Verwaltung zu finanzieren. Ein glücklicher Umstand für B.
and das Land, dafi als Vorgänger im Amte über ein Vierteljahrhundert ein
Minister gewaltet hat, der als sehr gewiegter und vorsichtig zarQckhaltender
Finanzmann die Kräftigung der Staatsfinanzen und ihre Erhaltung auf diesem
Stande mehr in den \'ordergrund gerückt hatte. Nach einem Buchenberger
hätte B. wohl kaum eine so reiche Tätigkeit auf dem Gebiete der staatlichen
.Ausgubegebarung entfalten k()nnen. Zwar hatte er den von seinem Vorgänger
am Schlüsse seiner Amt^izcit aus AnlaÜ erheblicher aufgelaufener Überschüsse
nnteroommenen Schritt einer teilweisen Steuerermäßigung infolge einer plötz-
lich auftretenden Verschlechterung der Finanzlage besonders in den Beziehungen
zum Reich gleich nach seinem Amtsantritt zurücktun mOssen. Aber er fand
im allgemeinen besonders durch die im Betriebsfonds angesammelten Reser\'en
doch wohlgefüllte Kassen vor. Andererseits wirtl der Nachfolger B.s, wenn
er noch so sehr von seinem Geiste durchtränkt ist, infolge des mit der Wende
des Jahrhunderts eingetretenen empfindlichen Rückschlags in der Lage des
volkswirtschaftlichen Lebens und damit auch der Staatsfinanzen zunächst vor-
ndunlich auf eine Sammlung der finanziellen Kräfte des Landes Bedacht
nehmen müssen. Daraus wird die kritisch -objektive Betrachtung B keinen
Vorwurf machen; er hat seine Zeit verstanden und die vorgefundiiu- Lage
der Staatsfinanzen in einer seinem politischen Programme entsprechenden
Weise auszunützen gewuüt. Auch ist ihm die wahre Lage der Staatstinanzen
ZU keiner Zeit entgangen. Dafür sprechen am besten die Finanzexposds, mit
denen er jedesmal den Staatsvoranschlag beim Landtage eingebracht hat
Er bekennt sich darin ganz offen als ein ausgesprochener Gegner jeder
»Admassierung'< staatlicher Mittel über die notwendigen Reserven hinaus.
In der Ansammlung großer Reserven erblickte er eine lielastung der Gegen-
wart zugunsten der Zukunft, die nicht am Platze sei, so lange es staat-
liche Aufgaben gibt, die noch nicht oder nicht in dem wünschenswerten
Mafie gelöst sind. Dieser Zustand wird aber nie auch nur vorübergehend
eintreten, so lange zu seiner Beurteilung Männer von der Initiative eines
6. berufen sind. B. war sich über die Folgen der von ihm herausführten
freigebigeren Finanzpolitik wolil im klaren, und so hat auch er gewisse
Grenzen nie überschritten, die nach seiner Auffassung und politischen Über-
zeugung richtig gezogen waren. Auch er hat in drastischer Weise im
Landtag erklärt, dafi der Weg zur Inanspruchnahme des Staatskredits
zur Deckung ordentlicher oder auflerordentlicher Bedürfnisse der allgemeinen
Staatsverwaltung »nur über seine Leiche führe«. Er hätte darin eine
ungerechtfertigte Belastung künftiger Generationen erblickt zugunsten der
Gegenwart, da auch die Forderungen des außerordentlirhen Etats im
badischen Budget mit einer gewissen Rcgelmaliigkcit wiederkeliren und, \ on
verschwindenden Ausnahmen abgesehen, keine rentierenden Kapitalanlagen
darstellen. Anders bei den Eisenbahnen, die in Baden aus dem allgemeinen
Staatsvoranschlag ausgeschieden sind. Hier hat unter B.s Amtsführung die
Schuld wesentlich zugenommen, was er für unbedenklich hielt, solange durch
die F.isenbahnverwaltung eine angemessene, d. h. eine Rente erwirtschaftet
wird, die wenigstens zur \'erzinsung und planmäßigen Tilgung iler Schulden
hinreicht. Bei seiner Finanzpolitik war sich B. auch wohl bewußt, daß die
42
Buchenbei;per.
Verantwortung für die Erhaltung guter Staatsfnianzen in letzter Linie docli
nur bei der Person des Finanzministers ruht. Die Anhänger, die beifalls-
freudig jeder Ausgabe mit dem Hintergedanken zugestimmt haben, der Finanz*
minister werde für die Erhaltung des Gleichgewichts in den Staatsfinanzen
schon Sorge tragen, fallen zumeist ab, sobald die Finanzen auf abschüssige
Balinen geraten, von denen sie nur durch weiteres Anziehen der Steuer-
schraube heraut^aOuilt werden können. B. hat während seiner Leitun«j; der
FuKinzN erwaltung Ebbe und Flut erlebt. Im allgemeinen ist ihm aber eine
Zeit günstiger Entwicklung der Staatsfinanzen beschieden gewesen, ein Um-
stand, welcher der Durchführung seiner Programmpunkte und der Bewährung
seiner eigenartigen Vorzüge sehr zu statten kam. Nach einem vorübergehenden
Rückschlag gleich nach seinem Amtsantritt setzte in allen deutschen Landen
wie in der Weltwirtschaft überhaupt Mitte der neunziger Jahre jener kraftige
Aufschwung in Handel und Wandel ein, der gegen die Wende des jahr-
huntlerls plötzlich zum Stillstanii kam untl sich vorübergehend in sein Gegen-
teil verkehrte. Da die allgemeine Wirtschaftslage auf die Steuerkataster nur
allmählich einzuwirken pflegt, so konnte B. während der längsten Dauer seiner
Finanztätigkeit sehr reichlich ausgestattete Budgets vorlegen, ohne neue Ein-
nahmequellen erschließen oder bestehende reichlicher ausnützen zu müssen.
Dies galt noch für den Staatsvoranschlag für die Jahre iqos-und iqcv^. Im
Budget für 1904 05, das er gegen Ende des Jahres 1903 im Landtag vorgelegt
hat, konnte er das Gleichgewicht, da er sich zu stärkeren Einschränkungen
im ordentlichen und auflerordentlichen Etat nicht entschliefien mochte, ohne
eine teilweise Erhöhung der direkten Steuern nicht mehr herstellen. Das
Finanzexpos^, in dem er diese Aufstellung des Staatsvoranschlags rechtfertigte,
war sein Schwanengesang — er sollte die Verabschiedung des Finanzgesetz-
entwurfs für 1904/05 nicht mehr erleben. — Wie auf dem Gebiete der Staats-
ausgaben, so war B. auch hinsichtlieh der Gestaltung der Staatseinnahmen
unermüdlich tätig. Hierbei gab zumeist nicht die Absicht einer Vermehrung
der Staatseinnahmen den Anlafl zu rriormatorischer Arbeit, sondern das Be-
streben, auch den Ausbau der Staatseinnalimen seinem sozialpolitischen Pro-
gramm mehr anzupassen. Kaum ein für die Einnahmegebarung wichtiges
(iebiet ist unter H.s Finanzleitung ganz unberührt geblieben, überall suchte
er im Sinne seiner politischen (Überzeugung die bessernde Hand anzulegen.
Und so gab es für ihn auch auf diesem Gebiete eine fast unermeüliehe Fülle
von Arbeit. Fast möchte man wähnen, es hätten ihn in seinen letzten Lebens-
jahren trübe Vorahnungen beschlichen, es könnte die Spanne Zeit, die ihm
nach seinem Empfinden noch zugemessen sei, zu kurz sein, um sein ganzes
Finanzprogramm selbst durchzuführen. Denn mit einer sonst schwer erklär-
lichen, manchmal fa.st an nervöse Hast streifenden Eile suchte er manche
Dinge unter Dach zu bringen.
Es ist im Rahmen dieses Lebensabrisses nicht möglich, auf alle Einzelheiten
der praktischen Finanzpolitik, wie sie B. betätigt hat, einzugehen. Es mufi
genügen, auf einige Maßnahmen von größerer Bedeutung kurz hinzuweisen.
Sonst wäre es erforderlich, eine ziemlich umfangreiche Geschichte des badischen
Staatshaushalts während des Jahrzehnts B. scher Verwaltung zu schreiben.
Hierfür liegt um so weniger ein dringendes Bedürfnis vor, als B. auch die.'^e
schriftstellerische Arbeit in der Hauptsache selbst übernommen hat. Zuu»
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Bucfaenbeiger.
43
fönCzigjährigen Rcf^icrun^sjuhiläum Grofiherzog Friedrichs von Baden (25. April
1902) hat B. seinem Landcslierrn ein Werk gewidmet, »Finanzpolitik und
Staatshaushalt im (Iroßherzogtum Baden in den Jahren i^^o bis 1900« (Heidel-
berg bei Winter), das er in seinen Haupttcilen während eines Sommerurlaubs
von 4 bis 5 Wochen niedergeschrieben hatte. Über alle wichtigeren Begeben-
heiten in der badischen Staatshattshaltsführung in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts, worunter auch der größere Teil der Finanzleitung B.s
fällt, gibt dieses vortreffliche Werk dank einer sehr übersichtlichen Gruppierung
des Stoffes und einer sehr flüssigen Darstellung den leichtesten und zugleich
zuverlässigsten Aufschluß.
Kine besonders warme Kürsorge wandte B., seinen ausgesprochenen Nei-
gungen und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechend, der staatlichen Domänen-
politik zu. Da waren es zunächst Fragen der Bewirtschaftung des ärarischen
Besitzes, die ihn während der ganzen Dauer seiner Ministertätigkeit lebhaft
beschäftigten. Der Fünrichtung der Forsten wie einer möglichst guten und
vorbildlichen Bewirtschaftung der Keldgüter lieh er stätulig sein reges Inter-
esse. Besonders wurde auf seine Anregungen hin der Reinertrag des staat-
lichen Wiesenbesitzes wesentlich gehoben durch systematisch tlurchgeführte
Bewässerungsanlagen, Verwendung künstlicher Dünger u. dcrgl. mehr. Auch
einzelne Musterbetriebe wuflte er zu schaffen, so u. a. auf dem ihm seit
langer Zeit besonders vertrauten Gebiete der Fischercipflcge durch Anlage
von Fischteichen. B.s Donuitienpolitik crsch(")pfte sich aber keineswegs in
solchen Fragen der Bewirtsc haftung. viehnehr wandte er sein Hauptinteresse
der Eigentumsfrage zu. Schon ein Jahr nach Übernahme der Finanzleitung
erließ er Norroarivbesdromungen über Veräufierung und Verpachtung des
domänenärarischen landwirtschaftlich genutzten Grundbesitzes. In wahrhaft
grofizügigem Aufbau wurde er darin vorzugsweise volkswirtschaftlichen For-
derungen gerecht, in gleichem Maße dem volkswirtschaftlichen Produktions-
wie dem Verteilungsinteresse Rechnung tragend. Landwirtschaftlicher Par-
zcllonbesitz des Staates sollte grundsätzlich abgestoßen werden, wenn tunlich
an die bisherigen Pächter, denen der Higentumserwerb durch die Zulassung
von Annuitätenzablung erleichtert wurde. Hierdurch ist der in manchen
stärker bevölkerten Gegenden des Landes hervorgetretene »Landhunger«
zu einem guten Teile gestillt und zur Erhaltung eines seßhaften Bauern-
standes beigetragen worden. Das Gegenstück zu dieser \'eräußerungspoIitik
des Doinänenärars in Gegenden stark parzellierten Grundbesitzes mit Streu-
lage bildete eine staatliche Erwerbungspolitik, wo nach Klima und Boden-
beschaffenheit die Interessen der allgemeinen Landeskultur für staatlichen
Besitz sprachen. So insbesondere bei unbedingtem Waldboden auf dem
Schwarzwald, den B. gewiß mit Recht im staatlichen Betriebe für besser
aufgehoben hielt. Auch zur Intervention, wo in ihren wirtschaftlichen Ver-
hältnissen zurückgekommene Eigentümer, besonders größere Hofbauern, Güter-
schlächtern und Wucherern in die Hände zu fallen drohten, griff die staatliche
Krwerbungspolitik ein, um die geschwächten Bauern zunächst als Pächter auf
der Scholle zu halten. Und bisweilen ist es gelungen, sie nach einiger Zeit
auf dem umgekehrten Wege der Veräufterungspolitik wieder zu freien Eigen-
tümern kleinerer und abgerundeter Güter zu machen. — Den vielen und
großen Lasten des zu einem großen Teil aus säkularisiertem Kirchengut her-
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44
Bochenberger.
rührenden staatlichen Domänenbesitzes, wie sie sich aus Patronatsverpflich-
tungen usw. herausgebildet hatten, suchte B. in einer möglichst weitherzigen
Weise gerecht zu werden. Zahlreiche schöne Kirchenbauten und weitreichende
Restaurierungen im Lande legen davon beredtes Zeugnis ab. Ebenso wid-
mete er einigen im Besitz des DomAnenSrars befindlichen Kleinodien eine
besonders warme Fürsorge. Er scheute keine Mittel, um die prichtigen
Barock- und Rokokoschiösser in Mannheim, Bruchsal und Rastatt wieder in
einen guten, ihrer einstigen Bedeutung würdigen Zustand zu versetzen. Ihm
oblag auch die wichtige Kntscheidung in einer Krage, um die noch heute die
heftigsten Kämpfe toben und in der die Gegensätze schärfer denn je auf-
einanderplatzen, die Frage der Restaurierung oder vielmehr Erhaltung des
Heidelberger Schlosses. In seiner ruhigen, auf rein sachlichen Erwägungen
ruhenden Art ließ er sich von keinerlei noch so schwungvoll vorgetragenen
Tagesmeinung beirren: »Wir wollen an der Ruine, die als solche einen einzig-
artigen Zauber ausübt, so wenig wie möglich ändern, aber wir sind ver-
pflichtet, (liefen hehren Zeugen alter deutscher Kunst und Macht auch den
kommenden Geschlechtern zu erhallen. Und soweit die Erhaltung ohne teil-
weise Restaurierung nicht möglich ist, dürfen wir vor dieser nicht zurück-
schrecken.« So sehr sich B. sonst zur Gelehrtenwelt hingezogen fühlte, so
fehlte ihm jedes Verständnis dafür, wenn in dieser Frage ein Professor in
traumverlorener, schwärmerischer W^eise ausrufen konnte: Und wenn das
Schloß ohne Restaurierung noch so bald einstürzen muß, so laßt gewähren,
wir haben dann doch so lange noch etwas Wahres, Echtes gehabt — und
mit dieser Parole manchen Anhänger gewann. — Bei Leitung des ihm unter-
stellten staatlichen Hochbauwesens lieft sich B. angelegen sein, auf eine
gewisse Großzügigkeit und Monumentalität wenigstens der wichtigeren Bauten
hinzuMrirken, soweit das die Finanzkräfte eines kleineren Landes irgend zu-
liefien.
Auch auf einem anderen besonders wichtigen Gebiete der Finanzver-
wakung, der Steuergesetzgebung, entfaltete B. eine sehr regsame und um-
fassende Tätigkeit, und zwar gleich vom Beginn seiner Finanzleitung an,
wiewohl dieses Gebiet seiner früheren Wirksamkeit ferne lag und er darauf
keineswegs veraltete, dringend reformbedürftige Zustände vorfand. Baden
besaß beim Amtsantritt B.s schon ein völlig ausgebildetes Steuersystem,
eine allgemeine Kinkommensteuer mit degressiver Skala und daneben zur
stärkeren Belastung tles fundierten Einkommens vier Ertragssteuern (Grund-,
Häuser-, Gewerbe- und Kapitalrentensteuer), ferner enie Reihe von Ver-
brauchs- und Verkehrssteuem, soweit darin die Finanzhoheit nicht an
das Reich übergegangen war, und ein wohl ausgebildetes GebOhTens3rstem.
Trotzdem griff B. fast auf allen diesen Gebieten im Sinne seines volks-
wirtschaftlich-sozialpolitischen Programms reformierend ein. Bei der Ein-
koninuMisteuer gesellte er zu der degressiven Skala einen progressiven
SteuerluÜ für größere Einkommen und verschärfte die Straibestimmungen für
Steuerhinterziehungen. Später rückte er die Grenze der Steuerfreiheit von
bisherigen 500 auf 900 Mark hinauf, wiewohl damit für den Staatshaushalt
eine recht empfindliche Einbufle verbunden war. Zum Zwecke eines stärkeren
Schutzes des stehenden Gewerbes gegenüber den Wandergewerbtreibenden
setzte er ein Wandergewerbsteuexgesetz durch, an dessen Ertrag er auch die
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Buchenberger.
45
Gemeinden teilnehmen ließ. Nicht die Unterdrücicung volkstümlicher Ein-
richtungen dorch die Steuergesetzgebung war hier das Ziel, sondern nur die
stärkere Heranziehung gröflerer Leistungsfähigkeit. Diese Erwägung war fQr
ihn auch ausschlaggebend in der Frage der Warenhaussteuer, für die er sich
auch der stcucrtcchnischcn Schwierigkeiten wegen nicht sonderlich begeistern
konnte und die er später ganz den Studtgemeinden überlieü. Von wichtigeren
Umgestaltungen mag noch die Ersetzung der steuertechnisch veralteten Bier-
stener (Kesselsteuer) durch eine Braumalzsteuer nach bayerischem Vorbild
Erwähnung finden. Dabei fQhrte er auf diesem der indirekten Verbrauchs-
besteuerung angefaOrigen Gebiete eine bisher hier fast unbekannte starke
Steuerprogression nach der Größe des Malzverbrauches ein, um den kleineren
Brauereien einen steuerlichen Schutz angedeihen zu lassen gegenüber den
leistungsfähigeren (iroßbetriebeii. Mit der Kinführung eines neuen bürger-
lichen Einheitsrechtes wurde die völlige Umarbeitung einiger Verkehrssteuer-
gesetze erforderlich, insbesondere derjenigen über die Grundstflcksverkehrs- und
die Erbschaftssteuer. Diesen Anlafl benutzte B. zu einigen steuerreformatorischen
Änderungen; so führte er bei der Erbschaftssteuer eine Steuerprogression nach
der Höhe der Erbschaft ein und verschärfte die nach dem Grade der Ver-
wandtschaft. ^ Alle diese Gesetzgebungsakte treten aber in ihrer Bedeutung
zurück hinter einer großen Rcforniarbeit, die eine völlige Neuordnung des
direkten Steuerwesens erstrebte. Wiewohl Theorie und Praxis auch den
Ertragssteuem, sofern sie wie in Baden nur als Ergänzungssteuem neben
einer allgemeinen Einkommensteuer fungierm, mancherlei eigenartige Vor-
zOge nachrühmen, schätzte B. die besonders in neuerer Zeit auch als Er-
gänzungssteuer noch mehr bevorzugte Subjektsteuer, die Vermögenssteuer,
docli noch höher ein. Deshalb wollte er die vier Ertragssteuern (Objekt-
steuern) vermögenssteuerartig fortbilden, d. h. durch eine allgemeine Ver-
mögenssteuer oder viehndir durch ein System von Vennögenssteuwn ersetzen,
um die sozialpolitisch ausbildungsfähigste direkte Besteuerung zu erlangen.
Es ist außerordentlich kennzeichnend fQr B., daß er, um die doch nicht allzu
erheblichen Vorzuge der Vermögenssteuer als Ergänzungssteuer zu erzielen,
vor den großen Kämpfen nicht zurückschreckte, die mit jeder grundlegenden
Änderung des Steuersystems und der daraus folgenden Lastenverschiehung
untrennbar verbunden sind. B. hat die völlige Durchführung dieser großen
Refbrmarbeit nicht mehr erlebt, er hat ihr aber durch mehrere Denkschriften
und vorläufige Gesetzentwürfe in scharfen Linien die Richtung genau vor-
gezeichnet. So hat er insbesondere noch ein neues Veranlagungsgcsetz für
die Neuaufstellung der Kataster nach dem V^erkehrswcrte als hauptsächlichste
Grundlage für eine künftige Vermögenssteuer selber durchgesetzt und die
Neueinschätzung eingeleitet.
Auch auf dem Gebiete der Beamtenfürsorge war B. rastlos tätig. Zwar
war erst kurz vor seinem Amtsantritt ein neues einheitliches Beamtenrecht
geschaffen worden» allein er fand doch reichlich Gelegenheit, die bessernde
Hand anzulegen. Wiewohl er statistisch festgestellt hatte, daß schon zur
Zeit seines Amtsantritts in Baden die unteren und mittleren Beamten im
Vergleich zu anderen deutschen Staaten recht günstig, die oberen Beamten
ziemlich schlecht gestellt waren, hielt er es nach seinem Programm doch für
die nächstliegende Aufgabe, die Mängel, die bei der Lage der unteren und
4Ö
BaAenbeiger.
mittleren Heamten noch zutage getreten waren, zuerst zu beseitigen und diese
BcHUUen aufzubessern. Zu einer allgemeinen Erhöhung des Gehaltstarifs, die
nach seiner Ansicht hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt einer Aufbesserung
der höheren akademisch gebildeten Beamten stattfinden sollte, ist er bei der
in den späteren Jahren seiner Amtszeit eingetretenen X'erschlechterung der
Finanzlage nicht mehr gekommen. Besonders hervorzuhe])en ist aus diesem
Gebiete noch die weitgehende Wohnungsfürsorge für die Beamtensehaft nii ht
nur durch die Gewahnmg eines \ erliailnisinäliig reichlichen Wohnungsgehles,
sondern auch unmittelbar durch Beschaffung zahlreicher ausreichender und
gesunder Dienstwohnungen hauptsächlich für niedere Beamte.
Bei der Verwaltung staatlicher Vermögensbestände liefi sich B. nicht
ausschließlich, ja nicht einmal hauptsächlich von fiskalischen Rücksichten
leiten. Auch dieser sonst gewöhnlich rein tinanziell gestalteten Wrwahung
gab er eine sozialjjolitische Mission durch Zulassung der Gcwährunu lang-
fristiger und nieder verzinslicher I^arlehen an Gemeinden, besonders an ärmere
Landgemeinden und sonstige öffentliche Körperschaften des öffentlichen
Lebens, an landwirtschaftliche Genossenschaften und dergleichen mehr.
Endlich war es noch ein Zweig der Finanzverwaltung, der er seine
besondere Aufmerksamkeit ständig zuwandte: die finanziellen Beziehungen
Badens zum Reich und zu ihrer Verbesserung die Anbahnung einer von ihm für
sehr dringend erachteten Reichstlnanzreform. In den Matrikularl)eitragen der
Einzelstaaten an das Reich erblickte er in offenbarer Übereinstimmung mit
der Absicht des Gründers des Reichs nur einen vorübergehenden Notbehelf;
als dauernde Einrichtung glaubte er sie aus allgemein politischen wie aus
finanziellei^ Ilrwägungcn verwerfen zu müssen. Ebensowenig konnte er sich
für die mit der 1- rankensteinschen Klausel im Jahre 1879 eingeführten Über-
weisungen vom Reich an die Kinzelstaaten erwärmen, die in den Kinzcl-
staatcn, wenn sie vorübergehend anschwollen, leicht zu einer ungesunden
Ausgabepolitik verleiteten und die so mißlichen Schwankungen im einzel-
staatlichen Haushalt wesentlich steigerten. Mit seiner ganzen Kraft betrieb
B. bis zu seinem letzten Atemzug das Zustandekommen einer grundlegenden
Reichsfin in/reform. Ihr Ziel sollte eine möglichst weitgehende finanzielle
Selbständigkeit des Reiches sein, die t^berwcisungen ganz, die Matrikular-
beiträge wenigstens für die Regel verschwinden, die Schwankungen im Reichs-
haushalt nicht auf die Einzelstaaten ausgeschlagen, sondern vom Reiche selbst
mittels eines Reservefonds oder in Verbindung mit einer nachgerade sehr
dringlich gewordenen Anbahnung einer planmäfiigen Schuldentilgung aus-
geglichen werden. 6. übersah nicht, dafi, um dies zu erreichen, nach der
Gestaltung des Reichsetats vor allem weitere Rcichseinnahmen geschaffen
werden müßten. .\uf allen Finanzministerkonferenzen hat er Vorschläge in
dieser Richtung gemacht und als praktischer Realpolitiker war er, um über-
haupt etwas zustande zu bringen, auch zu weitgehenden Konzessionen an
den Reichstag bereit. Einen entscheidenden Erfolg dieser Bestrebungen, die
immer wieder an vermeintlichen oder wirklichen parlamentarischen Macht-
fragen abprallten, hat er leider nicht mehr erlebt.
(Ileirh auf der ersten dieser Finanzministerkonferenzen, die bald nach
seinem Amtsantritte als Finanzminister im Sommer 1893 in Frankfurt a. M.
stattfand, trat B. einem Mann näher, den er schon früher hatte kennen lernen
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Bttchenbeiger.
47
und für den er zeitlebens eine besondere \'iTe]irunp; hegte, dem damaligen
preußischen Finanzminister v. Mifjuel. Diesem h(»< hbedeutendcii Staatsmanne
mit dem beweglichen (iei^te brachte er immer \f)llstcs Verst;in<hiis entgegen.
Und selbst wenn die Wege der Miquelschen Politik ganz ungeahnte, plötz-
liche Wendungen annahmen, die bis in die Kreise seiner Verehrer hinein
Staunen, ja Befremden hervorriefen, so wurde B. in keinem Augenblick an
ihm irre. Er war im voraus überzeugt, daß dieser immer aus dem \'olIen
schöpfende, ungemein kluge Mann stets genau wußte, was er tat und daß jede
Wendung unti jeder Schachzug auf eine neue souveräne Beherrschung der
augenblicklichen politischen Situation hinauslief. Kein Wunder, daß sich
die beiden sehr geistesverwandten Männer enge aneinander anschlössen,
zumal sich ihr politisches Programm, besonders auf sozialpolitischem Gebiete,
fast völlig deckte, nur dafl auf der Miquelschen Fahne daneben die fiskali-
schen Rücksichten sehr viel stärker unterstrichen waren. Diesen freundschaft*
liehen He/.iehungcn zwischen den beitlcn Staatsmännern ist es wohl zuzu-
schreiben, wenn an H. von Herlin aus nach dem ('bertritt des drafen Posa-
dowsky zum Reichsami des Innern der Ruf erging, an die Spitze des Reichs-
schatzamts zu treten. B. hat diesen Ruf aus Gesundheitsrücksichten, die wohl
mehr in dem Belinden seiner Frau als dem von ihm selbst begründet waren,
abgelehnt. War diese Entschließung zu beklagen? Niemand, der B.s staats-
männische Tätigkeit etwas näher verfolgt hat, wird bezweifeln, daß er auch
auf der höheren Warte des Reichsamtes dem weiteren \'ater!ande vortreffliche
Dienste hätte leisten können, l'nd doch ruhten die stärksten Wurzeln seiner
Kraft im heimatlichen Boden, auf tlem er vermöge seiner intimen Vertrautheit
mit Land und Leuten eigen-, ja einzigartiges zu leisten vermochte. Das
Land Baden wird es B. deshalb stets zu Dank wissen, dafi er in seinem
Dienste verblieben ist.
An äußeren Ehren hat es H. nicht gefehlt. Knts])rechend seiner Laufbahn
sind sie ihm in reichem .Maße zuteil geworden und den .Minister .schmückten
zuletzt mehrere in- und ausländische (iroßkreuze. Die beiden Landesuniversi-
täten hatten ihn in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Wissen-
Schaft die Würde eines Ehrendoktors übertragen. Er war nicht unempfänglich
für solche Auszeichnungen, er konnte sie aber auch in dem stolzen Bewußt-
sein hinnehmen, sie ausschließlich seiner eigenen Lebensarbeit zu verdanken
zu haben.
l'nd fragen wir uns nun im Rückblick auf die Krgebnisse von B.s Tätig-
keit, wodurch ihm die vielen und großen Erfolge beschieden gewesen sind,
so spielte neben seiner hervorragenden Befähigung, seinem gediegenen Wissen
und seinem eisernen Fleifie zweifellos seine Persönlichkeit und sein Auftreten
eine sehr gewichtige Rolle. Die liebenswürdigen und gewinnenden, von
wahrer Nächstenliebe getragenen Eigenschaften der Jugendzeit sind ihm durchs
ganze Leben erhalten geblieben. Vermöge ihrer verfügte er über eine sehr
große Zahl von l-'reunden und hatte fast keine Feinde. Den ernsten gelehrten
Mann nie verleugnend, ging er im Gespräch doch gerne auf jedermanns Inter-
essen ein und liefi ihnen Gerechtigkeit widerfahren, auch wenn sie dem
eigenen Gedankenkreise femer lagen. — In seiner amtlichen Wirksamkeit war
er nichts weniger als frjreaukratisch angehaucht und folgte darin ganz den
Spuren des ihm nahe beireundeten Ministerkollegen Dr. v. Brauer, der in den
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Buchcnbcfgcr.
I
letzten Lebensjahren B.s den Vorsitz im Staatsministerium führte. Leicht
von Entschluß, offen und in verbindlicher Form sich erklärend, verbarg er
sich nie hinter amtlich-bureaukratische Schranken. Die fernere FMnhaltung
bisher festgehaltener Grundsätze wog bei ihm weniger schwer als die Kr-
zielung eines aagenblicklichen zweckmAfligen Ergebnisses nnd er konnte
seinem politischen Geschick wohl vertrauen, dafi, wenn ach aus der abge-
sonderten Regelung einer Angelegenheit späterhin irgendwie miflliche Folgen
ergaben, es ihm wieder gelingen werde, der neuen Schwierigkeit Herr zu
werden. Er war Opportunist in gutem Sinne und dieser Eigenschaft ver-
dankte er bei der Zusammensetzung, welche die badische Volksvertretung
gefunden hatte, gar mandien Erfolg. Ehie allein entscheidende Partei war
nicht mehr vorhanden, und so galt es, zwischen den ausschlaggebenden
Fraktionen hindurch zu lavieren und das Gute zu nehmen, von wo es kam.
Hierin zeigte er ein ganz außerordentliches Geschick. Er war geradezu ein
Meister des Kompromisses. Nie an starren Grundsätzen haftend, wußte er
durch rechtzeitig gemachte, mitunter anscheinend recht weitgehende Zu-
geständnisse an die Gegenpartei immer noch die wichtigsten Teile seiner
Vorlagen glücklich zu retten, selbst dann, wenn sie nach der Parteikon-
stellation gänzlich gefihrdet erschienen. Er war zwar nicht der wetterfeste,
im Kampfe erst recht wohl sich fühlende Mann, welcher der Führer
einer großen Partei sein soll; dazu war er von Natur zu weich gestimmt, l^m
so mehr war er für eine Stelle im Rate der Krone vereigenschaftct, zumal
er mit sehr feinem politischem Takt begabt war. Eine mächtige Unterstützung
lieh ihm seine hervorragende Rednergabe. Nicht ein dithyrambischer Schwung,
der die Freunde mitreiflt und die Gegner verstummen macht, auch wo sach-
liche Gründe versagen, verlieh seiner öffentlichen Rede den reichen Erfolg.
Der gründete sich vielmehr auf das reiche Wissen, die volle Beherrschung
des Stoffes, den systematisch richtigen und vollständigen .\ufbau der Rede,
tlie gedrängte Gedankenfülle und die angenehme P'orm des Vortrags, der
durch den reichlichen Gebrauch kennzeichnender Bilder höchst anschaulich und
plastisch zum Ausdruck kam. Er sprach nicht sehr rasch und fließend, die
Ausgestaltung der Rede im einzelnen war vielmehr das Ergebnis augenblick-
lieber G^ankenarbeit und kam entsprechend bedftchtii^ heraus. Sie war
deshalb nur um so wirkungsvoller, da man nie den Eindruc k der vorgefaßten,
von dem l-'rgebnis der parlamentarischen Debatte unbeeinflußten Meinung
hab'*n konnte. B. liebte wie im Schriftsatz so auch in der Rede die langen
Peri 'den und doch hat er sie immer vollständig und richtig zu Ende geführt
Auch bei der Rede erweckte er stets den Eindruck eines Mannes, der aus
dem Vollen schöpft, alle Für und Wider wohl erwogen hat und noch viel
mehr zur Sache vorbringen könnte. Und wmn. einmal die Wogen des par-
lamentarischen Kampfes besonders hoch gingen, so wußte er sie mit bemer-
kenswertem Geschick flurrh das öl der verbindlichen Form und tles ver-
ständnisvollen Eingehens auf den Gedankengang des Gegners fast immer zu
beschwichtigen. So hat nach einem sachlich harten Zusamm»istofi in der
Zolltariffrage ein Gegner bekannt: Die Reden des Finänzministers seien ihm
immer lehrreich und bereiteten ihm stets einen ästhetischen Genuß,
Nie ermüdend, nie versagend, war H. bis zu seinem Sterbelager rastlos
tätig. Wenn ihm seine sehr umfangreichen und schweren Berufepflichten
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Buchenbcrger. von Hememann.
49
etwas freie Zeit ließen, so widmete er sie literarischen Arbeiten. Was er
dann noch an Mulie erübrigen konnte, füllte er mit einer überaus reiclilichen,
teilweise sehr anstrcnpcndgn Lektüre aus. Daneben i»rie,i;tc er noch einen
großen geselligen \'erkehr, und so waren einige AusJlüge in die hciniutlichen
Berge und in den letzten Lebensjahren die Beteiligung an Jagden, die ihn
sehr anzogen, sowie kürzere Sommerreisen alles, was er der Erholung gönnte,
und auch hier waren es zumeist gelehrte und politische Gespräche, in denen
er sich erging. Dieser außergewöhnliche geistige Tätigkeitsdrang war sein
Dänion im goethischen Sinne. B. stand immerfort, bcsoiukrs aber in seinen
letzten Lebensjahren, unter einer derart hohen gcistim-n Si)annun};, tIaU ihm
Nahestehende sich schon länger Sorgen machten, ob seine Nervenkraft und
sein nicht sehr starker Körper — er war ein ziemlich grofler aber sehr hagerer
Mann mit einem feinen durchgeistigten Kopfe — dem auf die Dauer gewachsen
wären. Jedenfalls war dadurch die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten
erhel)lich gesell wächt.
Am Weihnachtsfeste iqo^ warf ihn ein plötzlich auftretendes schweres
Darmleiden auf ein ([ualvolles Krankenlager, von ilem er nicht mehr auf-
stehen sollte. Mehrere umfassende Operationen konnten keine Rettung mehr
bringen und so hauchte er nach zweimonatiger schwerer Leidenszeit am
30. Februar 1904, noch nicht 56 Jahre alt, sein Leben aus, beklagt von seinen
schwer betroffenen nächsten Angehörigen und seinen zahlreichen Freunden
und Anliänu'ern, betrauert von einem ihm unerschütterlich t^'cneiyten l'ürsten
unil einem ^^an/en dankbaren Volke. N'ersöhiienil bei diesem frühzeitigen Knde
eines großen und verdienten Mannes wirkt der Gedanke, daß die Vorsehung es
gut mit ihm gemeint hatte. Sie hat ihm häuslidi» Glück beschert und ihn
im öffentlichen Leben ganz an den richtigen Platz gestellt, auf dem er alle
seine Gaben reich entfalten konnte, sich selbst zu wahrer innerer Befriedi-
gung, seinem Vaterlande zum Wohl. Auf seinem Grabmal, das seine zahl-
reichen Verehrer eben mit einem Keliefporträt zu schmücken sich anschicken,
dürften die Worte Platz hnden: * Patriae servienäo consumptus*.
Friedrich Nicolai.
von Heinemann, Otto, * 7. März 1834 zu Helmstedt im Herzogtum
Braunschweig als jüim^tn Sohn des Kreisgerichtsdirektors v. H. und seiner
Khefrau Charlotte L. Carol. Meinders, f 7. Juni IQ04 als Herzogliclier (Je-
hcinier Hdfrat uiul Oberbibliothekar in Woifcnbüttel. — Sein Leben hU er
selbst anmutig in seiner Schrift »Aus vergangenen Tagen« 1902 erzähb die
in behaglicher Darstellung das volle Glück seiner im Eltemhause wohl-
behfiteten und doch frei sich bewegenden Jugend schildert und das treue
Gepräge seiner klaren Denkungsart und seines harmonischen Gemütes trägt.
Der Vater, ernst und zurückhaltend, bei wichtigen Vorgängen doch bestim-
mend, die Mutter, das gesamte ILuiswcsen und die Frzieliung di-r Kinder
nach den Fingebungen ihres reichen Herzens und ihrer sicheren Menschen-
kenntnis leitend, so konnten die fünf Söhne für den öffentlichen Beruf, die
drei Töchter in der Stille des Hauses sich glucklich entwickeln und die
ersten ihre Kräfte dem Staat, der Schule, der Wissenschaft, zwei unter ihnen
dem Waffendienst im preußischen LIeere widmen, in dem bei<le bis zum
Range eines Generals aufstiegen, alle in Dankbarkeit zu dem elterlichen
Biogr. Jabrbucb u. Deuucber Nekrolog. 9. Bd. 4
50
von Heinemann.
Vorbilde aubcliauend. Über den günstigen Einfluß, den das Gymnasium in
Helmstedt auf das geistige Leben seiner Zöglinge ausUbte, urteilt v. H. (Aus
verg. T. S. 35 ff.) im ganzen wie ich (Schräder, Erfahrungen u. Bekennt»
nisse S. 25 — 34); über einzelne Lehrer licrbcr, was sich aus der Abnalnne
ihrer Wirksamkeit während der Zwischenzeit erklären mag. Wohl vorbereitet,
bezog V. H. die Lhiiversität in lionn. liauptsächlirli um Dahlmanns
ernste Mahnunj^eii zu vaterliiiuHscluT (iesimuiiiL; /u hi)ren, auch wolil, um
der schönen l^andschalt und der akademischen i rcuden teilhaft zu werden,
dann nach einem Zvdschenhalbjahr, das an dem Colkginm Caroümm in
Braunschweig den neueren Sprachen gewidmet wurde, die Berliner Uni-
versität, um der wissenschaftlichen Zucht des Rankeschen Seminars innezu-
werden.
Der Studienzeit folgte eine kurze Lehrtiitigkeit, zuerst an der alten
Helmstedter Hildungsslätte, dann an cmer wohlgeordneten Erziehungsanstalt
in Altona, von wo v. H. anfangs 1848 nach Paris in das Haus eines dort
wohnenden livländischen Edelmannes zur Beaufsichtigung und Erziehung des
Sohnes iibersiedelte. Hier wurde er im Februar der tiefbewegte Zuschauer
der staatlichen Umw.-ilzung, die nicht nur Frankreich in unabsehbare, noch
jetzt nicht ausgcglit hene l'nruhen stürzte, sondern auch Deutschland tief
aufregte. Für die Bildung des jungen Historikers war dieses blutige Schau-
spiel von gröüier Bedeutung, ohne üm jedoch, wie damals so viele, zu einer
grundsätzlichen Änderung seiner Sinnesweise fortzureifien. Die for^esetzten
Strafienwirren veranlaOten den Vater seines Zöglings, mit den Seinigen Paris
zu verlassen und einen fast zweijährigen Aufenthalt in Belgien, Mittelfrank-
reich und der Schweiz zu nehmen. Auch dieser Wechsel w ar für den bcgleiten-
(len Hauslehrer von hohem Werte, sofern ihm hierdurch die ausgiebig be-
nutzte Moglichkeil wurde, nicht nur die landschaftlichen Reize jener Länder,
sondern auch die Kunstschätze der belgischen Städte zu schauen und in
mannigfachem gesellschaftlichem Verkehr an Menschenkenntnis zu reifen,
einem Besitz, den der Geschichtsforscher so wenig wie der Lehrer missen
kann. Seine Schilderung dieser Jahre läfit schon für jene Zeit den Trieb zu
besonnener Iksciiaulichkeit erkennen, clie später der Stetigkeit seines Fleißes
und der Reife seines Urteils zugute konunen sollte und ihm das Gleich-
gewicht des Gemüts selbst unter schweren Heimsuchungen erhielt. Nach
Abhiuf dieser fruchtreichen Wanderjahre kehrte er {n die Heimat zurück, um
sich der Prüfung für das Lehramt zu unterziehen und in diesem eine feste
Stellung zu gewinnen. Jene bestand er 1851 im ehrenvollsten Grade für
den Unterricht in der Geschidite und den neueren Sprachen; mit der An-
stellung sollte es bei der t^berfülle der Anwärter in dem kleinen Staate
nicht so rasch gehen. So verstand er sich denn zu unbesoldeter Hilfsarbeit
an der grollen Bibliothek zu Woltenbüttel und gewann hier unter der An-
weisung des geschickten, aber schon halberblindeten Oberbibliothekais
Schönemann einen Einblick in die Verwaltung einer so vielgestaltigen
Sammlung, der ihm nicht nur später seine damals noch ungeahnte Amtsaufgabe
an eben dieser Anstalt erleichtern, sondern sogar seiner Anstellung an ihr Vor-
schub leisten sollte. Undlich wurde er zu Neujahr 1853 zum Rollaborator an
einer Lehranstalt ernannt, was ihn doch nur mäüig befriedigte nicht nur wegen
des kärglichen Gehalts, sondern noch mehr, weil er mit der realistischen Richtung
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von Hcinemann.
51
dieser Schule wenig einverstanden war. Allein schon za Ostern desselben
Jahres erhielt er einen Ruf an das Karlsgymnasium in Bernburg, dem er um
so lieber folgte, als er hierdurch die Möglichkeit s^ewann, die ihm seit kurzem
verlobte Braut Helene von Hrandenstein heimzuführen und als der Direktor
jener Anstalt ein Helmstedter und ein genauer Bekannter seiner Eltern war.
Die neue Lage war allerdings günstig; seine Lehraufgabe bewegte sich in
seinen eigentlichen Studienfächern, die Anstalt stand unter guter Leitung, die
in Lehrern und Schalem die Gewähr befriedigender Tätigkeit zu versprechen
schien, un l He kleine Residenz bot die Möglichkeit angenehmen Verkehrs,
ja, wie su h bald zeigen sollte, die Anregung wie die Mittel zu einer wisscn-
srhaftlichen Tätigkeit, die ganz mit seiner Neigung zusammenfiel und somit
auch für seine späteren Arbeiten maßgebend wurde. Für diese lieferte ihm
das Bernburger Staatsarchiv, desgleichen ein Bauwerk der Umgegend Stoff
und Anregung; sie sollen hier nur genannt und später im Zusammenhange
mit anderem gewürdigt werden. So entstanden hier oder doch von hier
aus die Schriften über den Markgrafen Gero 1860, über Albrecht den Bären
1864, die Geschichte der Abtei und die Beschreibung der Stiftskirche von
Gernrode (2. AuH. nSyy) und sein Codrx liipiomalicus Anhalünus\ auch die
mehr volkstümliche Erzählung über Lothar von Sachsen und Konrad III.
1869 zeigt anhaltinische Beziehungen. Wie sehr v. H. der Bemburger
Aufenthalt zusagte, hat er selbst mit sichtlicher GlQcksempfindung geschildert,
ebenso wie das kleine Land, das unter dem kräftigen Minister v. S( hützell
die üblen Nachwirkungen (lr^ jahres 1S4S abschüttelte, durch den
Heimfall an Dessau- Kothen zu einem größeren (iebilde erwuchs. Auch
fehlte ihm äußere Anerkennung nicht; abgesehen von anderen Ehren wurde
er 1868 zum korrespondierenden Mitgliede der bayrischen Akademie der
Wissenschaften ernannt Da bot ihm der alhsu Mhe Tod des vortrefflichen
Wolfenbütteler Bibliothekars Ludw. Bethmann die Möglichkeit, in sein Ge-
burtsland zurückzukehren; nicht ohne Bedenken folgte er dem dringenden
Zureden alter Freunde, auch wohl dem eigenen Heimatsgefühl, sich und zwar
mit vollem Erfolge um die erledigte Stelle zu heuerhen, zumal ihn Beth-
mann selbst zu seinem Nachfolger gewünscht hatte. Er trat das neue Amt
zum I. Juli 1868 an.
Die Bibliothek war eigentlich nicht eine Landesanstalt, sondern fürst-
liche Stiftung; ihre bedeutendsten Bestandteile waren herzogliche Schen-
kungen, zuerst die alte Wolfenbütteler Sammlung, die besonders für das
römische Recht und für die (Jeschichte der Kirchenreformation namentlich
durch den Besitz des Flacianischen Nachlasses von Wert war und nach der Be-
stimmung des Herzogs Heinrich Julius 1613 der Universität in Helmstedt
überwiesen, nach deren Aufhebung 1810 aber nach Wolfenbütte] verpflanzt
wurde, und zweitens die Augusteische Sammlung, die früher im Besitz des
feinsinnigen Herzogs August des Jüngeren mit ihm 1642 nach Wolfenbüttel
übersiedelte und durch ihren Reichtum an alten Handscliriften alle übrigen
Bibliotheken in Deutschland überragte. Hierzu waren einzelne bedi-iitende
Ankäute, so namentlich der Weißenburger und der Gudianischen Sammlung,
und Schenkungen getreten. Aber auch in ihrem früheren Bestände recht-
fertigte sie das Lob des groflen Leibniz, der sie wie des phis fameuses de
FEurope nannte und in ihr une assemblU des plus grands hmmes de Ants /es siicles
4»
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52
von Heinemann.
et de iouies ks nations sah, qui nous disent In/n pensees les plus chotsles (O. v. H.,
Aus verg. Tag. S. 315). I ntcr ihren liil)liothekaren hatte sie zwei der
größten tleutschen (lelchrteii gezählt, Leibniz, 1699 — 1716, und Lessing,
1770 — 1781, beide frelHch zur Mi'lirung ihres Riilinis. aber weni;4er zum
Vorteil ihrer inneren Verwaltung. Namentlicli Lc^.hing folgte dem Worte
seines Fürsten, das ihn mehr zur Benutzung als zur Förderung der Bibliothek
berufen hatte, und lebte mehr in ihr als für sie. Neben diesen standen
andere, wohl von geringerem Rufe in der Gelehrsamkeit, aber von größerem
Nutzen für die ihnen anvertraute Saninilung, so der uns aus Goethes Wahr-
heit und Dichtung bekannte Langer, den Lessing sich als seinen Nachfolger
gewünscht hatte, und aus neuester Zeit Schöneniann und L. Ketinnann, dessen
Verwaltungsgrundsätze v. H., wenn auch in freier Anwendung, zur Durch-
führung brachte. Dafi Heinemanns Berufung für ihn wie für die Sammlung
die richtige war, zeigt die anziehende Schilderung, die ihm sein Amtsnach-
folger gewidmet hat (Milchsack, (). v. Heinemann, Braunsrhweig 1904), ein
ehrendes Zeugnis sowohl für den Verfasser wie für den Verstorbenen. Aus
dieser kleinen, aber inhaltreichen S( liiilt erhellt aut h tlie drölJe der Auf-
gabe, die seiner wartete, wie die Talkialt und die Besonnenheit, mit der er
sie gelöst hat Dieser Aufgaben waren mannigfache und schwere und liefien
sich nur in geraumer Zeit bei großer Stetigkeit unter Aufschub der minder
wichtigen bewältigen. So schloß sich denn v. H. in der Aufstellung der
Bücher, die ja verschiedene Methoden zuläßt, seinem unmittelbaren Vor-
gänger an, zumal dieser mit groller Mühewaltung endlich die N'erschmelzung
der verschiedenen oben bezeichneten Teilsammlungcn zu einem einheitlichen
Ganzen zustande gebracht und dieses in die einzelnen Raumabschnitte des
groflen, nach italienischem Muster errichteten Rundbaus hineingepaßt hatte.
Allein eben dieser Rundbau verbürgte als Fachwerksbau keineswegs die für
einen so unermeßlichen Schatz unentbehrliche Sicherheit gegen Feuersgefahr;
V. H. l)cwog also in wiederholten Anträgen die Staatsbehörden zur .Aufführung
eines völligen Neubaues 1882 86, der jener X'orschrift entsprach und doch
die Vorzüge des alten Hauses, namentlich einen großen Mitteisaal für die
auserlesenen Kostbarkeiten der Sammlung, aufrecht erhielt und im übrigen
weit zuträglicher für die Benutzung ausfiel. Die Bausumme überstieg
700000 M., für ein kleines, wenn auch wohlhabendes Land immerhin ein
Aufwand, der an den entscheidenden Stellen ein seltenes Verständnis für den
Bauzweck voraussetzt. Zu den Schätzen fler Bibliothek geliörte auch eine
große Zahl von Holzschnitten und Kupferstichen, deren Aussonderung und
Zusammenstellung von Bethmann begt>nnen war, und v. H. mit gleichem
Eifer und einem durch die Anschauung niederländischer Kunstwerke ge-
klärten Geschmack fortgesetzt wurde. Wichtiger war aber eine durchgreifende
und den wissenschaftlichen Anforde ru 11 L;en genügende Katalogisierung der
Handschriften, in deren Besitze gera«le die Bedeutung dieser Bibliothek be-
stand; von (iu'xcm schwierigen und nur bei stetigstem l-"leißc und genauer
Kenntnis der l'aläographie möglichen Werke erschien im Jahre 1884 der
erste Band, dem im Verlauf der Jahre acht weitere folgten. Endlich fand
sich in der Bibliothek eine übergroße Anzahl von Büchern, die ihr seit dem
18. Jahrhundert zugeflossen, bis dahin aber überhaupt nicht verzeichnet
waren. Auch diese Arbeit griff v. H. so umsichtig an, daß bei seinem Tode die
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▼on Heinenumn.
53
\'er/.ettclung zu zwei Dritteln volleiulct war. Khi'iiM) liattc es bisher an einer
EcnuUungsordnung gemangelt; diese Lücke empfand er um so schmerzlicher,
als er beim Ausleihen der Bücher und auch der Handschriften die Rfick-
sichtslosigkeit der Entleiher zur vollen Genüge erfahren hatte. Jene Verord-
nung erlangte er fast beiläufig, als eine fremdstaatliche Regierung die Mit-
teilung der in Wolfenbüttel bestehenden Ordnung erbat, ilie jetzt erst von
der bis dahin zögernden heimischen Hehördc zugelassen und nunmehr in
aller Eile aufgestellt wurde. Um jene von auswärtigen Lesern ohne Scheu selbst
gegen Handschriften und seltene Drucke bewiesene Schonungslosigkeit soviel
wie möglich abzuschneiden, bewog er die Staatsbehörde zu der einschränkenden
Bestimmung, dafi diese überhaupt nicht mehr ausgelidien, sondern nur inner-
halb der Bibliothek benutzt werden dürften. Diese Einschränkung widerstritt
allerdings dem liedürfnis der (relehrten, die gleichzeitig Handschriften aus
verschiedenen Bibliotheken untereinander vergleichen müssen; sie erregte
daher groüe Entrüstung, die sich in Zuschriften und Zeitungen zum Teil in
ungebührlichem Tone entlud. Allein v. H. beharrte im wesentiichen bei seiner
Auffassung, da er nach dem Lessingschen Wort nicht der Stallknecht sei,
der jedem hungrigen Pferde das Heu in die Raufe trage. Und da ungefähr
gleichzeitig einem berühmten Gelehrten das Unglück widerfuhr, daß in seiner
Wohnung eine seltene Wiener Handschrift verbrannte, so rettete v. H. wenig-
stens die wesentliche Bestimmung, datJ die na( h auswärts verschickten Hand-
schriften nur in staatlich behüteten Räumen, z. B. in der betreffenden
Bibliothek, nicht aber in Privatwohnungen benutzt werden sollten. Dieser
Bestimmung schlofi sich die preußische Unterrichtsverwaltung an, womit ihre
Berechtigung anerkannt wurde. So durfte v. H. sich denn mit einiger Ge-
nugtuung auf die Schlußverse der von dem 'unvergeßlichen Herzog August
erlassenen Ordnung berufen:
Harte quhqtih ledern ronfrmnrs, hihliotheca
Absüne ab alteriust w/vc, revoive Tuaml
Ich übergehe die zum Teil reichlidien Schenkungen und Ankäufe zur
Ergänzung der Bibliothek; aus allem erhellt aber, daü v. H. mit voller Be-
friedigung auf die Zeit seiner X'erualtung zurückblicken durfte.
.Alle diese .Arbeit in Bernburg und Wolfenbüttel hatte v. H. nicht ge-
hindert, sich auch als Forscher und Schriftsteller in au.sgedehntem Maße zu
betätigen; vielmehr hat er ihr vielfache Anregung und Unterstützung ent-
nommen. Denn es ist schon angedeutet, dafi die Eigenart seines jeweiligen
Wohnsitzes und seiner amtlichen Aufgaben vdn maßgebendem Einfluß auf
die Wahl der von ihm wissenschaftlich IjcIkuk leiten Gegenstände war. Er
war sich seiner niedersächsischen Abstammung wohl bewulU; sein Blick und
seine Liebe wentleten sich gern der Bedeutung dieses \ (llk'^stammes in der
vaterländischen Entwicklung zu. Daher während seines anhaltinischen
Schuldienstes seine Schriften über den Markgrafen Gero, über die Abtei in
Gemrode und Albrecht den Bären, alle quellenmäßig und nach den in der
Rankeschen Schule geltenden Grundsätzen gearbeitet. In dem letztgenannten
Werke !r>stc er die Aufgabe, die sein berühmter Lehrer ein^t den Mitudiedern
meines Seminars für die Zeit der sächsischen Kaiser f^estellt hatte und die
demzufolge für die gesamte ältere Kaiserzeit in den Jahrbüchern des Deutsi hen
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54
von Heinemann.
Reiclis, dem von der bayerisclien Akiidemie eingeleiteten, auf kritische
Durchforst hung der Quellen gerichteten Sannnelwerke durchgeführt worden
ist. In der Behandlung des Stoffes hat sich der Verf. aber, was seinem
Buche sehr zttgute gekommen ist» nicht an das für die Jahrbücher vor-
geschriebene annalistische Schema gebunden, sondern seine Darstellung nach
allgemeinen Gesichtspunkten gruppiert. Bei seinem Erscheinen als epoche-
machend für die Studien zur älteren hrandenburgischen Geschichte begrüüt,
bildet dieses Werk noch heute dank seiner exakten Korst liung die loste
Grundlage für alle weiteren Untersuchungen; es wurde zugleich der Aus-
gangspunkt des großen Unternehmens, das v. H. während der beiden
nächsten Jahrzehnte mit unennüdlichem Fleifie zum Abschlufl gebracht hat,
zu dem nach den von G. Waitz aufgestellten, für die Herausgabe von
Urkundenbüchem damals maßgebenden Grundsätzen bearbeiteten Coticx
liiplomaticus Anhalt'tniis (6 Teile, Dessau 1867 — 8^). Auch seine für jüngere
Leser berechnete Krxählung über Lothar von Sachsen und Konrad IIL (Kr-
zählungen aus dem deutschen Mittelalter, herausg. von Nasemann 1869)
gehört im wesentlichen derselben geschichtlichen Entwicklungsstufe an.
Anders nach Anlage und Art ist die bis auf die Gegenwart herabgeföhrte
Geschichte von Braunschweig und Hannover, die O. v. H. in drei Bänden
1884 92 herausgab. Iiier galt es ihm die ric^chichte der wclfischen Lande
nicht in gleichmäßiger Ausführlichkeit, sondern in l nirissen und Ausführungen
unter Hervorhebung bedeutender Männer und Ereignisse vorzutrugen, für die
die Beibringung urkundlicher Beläge entbehrlich sei. Auch für dieses Werk
glaubte der Verfasser die Anerkennung erwarten zu dürfen, daß die Dai^
Stellung auf gewissenhafter Forschung beruhe, und hierin hat er sich nicht
geirrt. Ein in jeder Beziehung zuständiger Rezensent (H. Bresslau, Mitteilungen
aus der historischen Litteratur Bd. 13), der bald zustimmend, bald mit Vor-
behalt die Stellungnahme des Verf. zu den in der älteren sächsischen Ge-
schichte streitigen tragen erörtert, erkennt die wissenschaftliche Gründlich-
keit des Buchs durchaus an und lobt besonders die gut geschriebenen
kulturgeschichtlichen Überblicke und die klare Behandlung der verfassungs>
geschichtlichen Entwicklung, bedauert aber, zweifelsohne in Übereinstimmung
mit zahheichen Lesern, den \'erzicht auf jede qucllenkritische Zutat. Mir
erst hei nt diese Entsagung aus dem eigentlichen Zwecke des Verfassers zu
folgen; eher möchte ich meinen, daß die Durchsichtigkeit der Darstellung
unter der Masse des Stoffs gelitten hat. Auch die unter dem Titel »Aus der
weifischen Vergangenheit« gesammelten sechs Vorträge 1881 bekunden ge-
naue Sachkenntnis und psychologische Erwägung; der sechste: »Karl Wilhelm
Ferdinand und die französische Revolution«, bringt die überraschende und
wenig gekannte Tatsache, daß diesem begabten Feldherrn von hervorragen-
den Staatsmännern aus der Revolutionszeit tlie Führerschaft des französischen
Heeres angetragen worden ist. Von gleicher Heimatslicbe ist die kleine
Schrift über die verfallene Burg Thankwarderode in Braunschweig eingegeben;
ihr und der durch sie angeregten hochherzigen Gabe des Prinzregenten
Albrccht wird die schöne Wiederherstellung des stattlichen Bauwerks verdankt.
Drei andere Werke stehen in nächster Beziehung zu der von ihm ver-
walteten Bibliothek, zuerst die zur F^innerung an 0. E. Lessing 1870 ver-
öffentlichten ikiefe und Aktenstücke. Sie bringen zunächst die wichtigen
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v<m Heinemanti.
55
P-ntx hcidungen des Herzogs in dein Streite über den Wolfenhiitteler Frag-
menti^ten, der freilich mit der Hibliothek eigentlich nichts zu tun hat, und
zeigen in ihnen die milde Vorsicht des herzoglichen Urteils; dann in der
zweiten Hftlfte Briefe von Gleim und anderen Zettgenossen, die deren große
Verehrung Lessings dartun. Zweitens die lichtvolle Geschichte der Herzog-
lichen Bibliothek zu Wolfenbüttel (2. Aufl. 1894), die nach den unvollstän-
cligen Darstellungen seiner Vorgänger iiurckhart und Schöneniaun den all-
mählichen Anwachs der Sammlung lierichtet. wobei beiliiutig, S. 169, der
unzuverlässigen Schritt Stahrs über Lessing die erborgte Hülle abgezogen
wird. Endlich sein Hauptwerk, dem er während der letzten Jahrzehnte seines
Lebens neben seinen Diens^eschiften alle seine Kraft gewidmet hat: der
große, fast ausschließlich von ihm gearbeitete Katalog der Wolfenbütteler
Handschriften, der seit 1881 in neun stattlichen, musterhaft gedruckten
Bänden die Handschriften der Helmstedter und der Augusteischen Sannnlung
beschreiht. Die Beachtung, die dieser seines (legenst.aiides würdige Katalog
weit über die deutschen Grenzen hinaus fand, gewährte ihm gruüe (Genugtuung.
»Von der Anordnung und der Druckeinrichtung,« so liest man in der Vorrede
des vierten Bandes, »wie sie für die bidierigen Bände dieses Katalogs maß-
gebend gewesen sind, abzuweichen, habe ich keine Veranlassung gehabt und
dieses um so weniger, als man sie anrlcrwärts, z. B. in Kopenhagen, zum
Vorhilde genommen hat.«' Meine Darstelhing dieser wissenschattlichen
Werke stützt sich auf die Mitteilungen eines fachkundigen und nächstberufe-
nen Historikers, dessen Urteile sich das meine, so weit mir ein solches zu-
steht, durchaus anschließt. Sie alle, zu denen sich neben zahlreichen Bei-
trägen für Zeitschriften schließlich auch seine obengenannte, nur für seine
Angehörigen und Freunde bestimmte Selbstbiographie gesellt, zeugen von
warmer Heimatsliebe und einem bei aller Klarheit billigen Urteil, das seinen
Schmerz über manchen N'organg eher verbirgt als betont. Die Sprache in
ihnen ist fließend und gelällig, eher gemächlich als knapp und läßt überall
seine gemütvolle Teilnahme an dem Gegenstande erkennen.
Diese Sammlung seines tiefen Gemüts spiegelt sich auch in seinem
Verhalten zu den gewaltigen Vorgängen seiner Zeit wieder. Ein treuer Sohn
des großen Vaterlandes und mit warmem Verlangen nach der deutschen
Einigung, konnte er sich doch mit den Mitteln, durch die sie erreicht wurde,
nicht durchweg befreunden (vgl, den Schluß seiner (iesi hii hte Brauns( hweigs).
Namentlich vertrug sich die Einverleibung ganzer Staaten und die EnLsetzung
ihrer Fürstenhäuser durch Preußen nicht mit der konservativen Grund-
anschaunng, die aus seinen geschichtlichen Studien, seinen Lebenserfahrungen,
wohl auch aus seiner niedersächsischen Stammesart erwachsen war. Aber er
erkannte die unvergleichliche Staatskunst, welche jene Umwälzungen herbei-
geführt und bemeistert hatte, ohne Rückhalt an; er verehrte unsern alten
Kaiser persönlich, und er wankte in seiner Treue selbst in seinen Gedanken
keinen Augenblick, als ausländischer Frevelmut 1870 Deutschland zu den
Waffen rief. . Ohne Versuchung, gegen die x866 geschaffenen Zustände mit
der Feder oder Rede einzugreifen, trat er in sie als stiller, aber gewissen-
hafter Mitarbeiter ein, zumal er für sein Land und seine geliebte Bibliothek
ohne Sorge sein durfte, und trug alles für sein Kmiitiiiden Schwere mit der-
selben Fassung, wie die großen Leiden, die über sein häusliches Leben ver-
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56
von Heincmann. Asmussen.
hän<it wurden. Seine überaus j^cliebte Frau verlor er nach langjähriger,
M liinerzliafter Krankheit; mit ihr hat er den Tod einer Tochter und zweier
Söhne erfahren müssen, alle reich begabt und liebenswürdig, der zweite
Sohn gleich ihm Historiker und anerkannter Universitätslehrer. Tief ergreifend
ist, wie sich der Vater an das Gebet der Niobe erinnert Unam minmuunque
nlinque, und der Christ sich dem Willen des barmherzigen Gottes unterwirft
(Aus verg. T. S. 389 ff.), und wie in dem (]lück seiner jüngsten lOi hier,
des einzig ihm gebliel)enen Kindes, und im Anst hauen seiner aufblühenden
Knkel seine 1 ragekraft wieder erstarkt. Denn er war aulrichtiger und schlichter
Christ, der weit entfernt von pietistischer Rührseligkeit in seinem Glauben
den Antrieb und die Wurzel neuen Handelns für sich und seinen Nächsten
besafl. So fand er neben seinen umfangreichen amtlichen und wissenschaft-
lichen Arbeiten immer noch Zeit und Neigung, sei es dem Staate als Lehrer
an dem d'/lfzir/fi Cai-ol'tnum wie als Mitglied der staatlichen I'rüfungs-
beli(>rde, seinen Mitbürgern durch anregende Xintiäge, ja selbst einer in
itluie stehenden höheren 1 öchlerschulc durch langjährigen Unterricht zu
dienen. Durch alles dieses erhielt er sich den Mut in einer Zeit, deren
bunten und bedenklichen Wechsel in Literatur und Kunst, im wirtschaft-
lichen und sittlich-religiösen Leben er (a. a. O. S. 386) mit lebhaften, aber
treuen Farben malt, als aufrechter und gottvertrauender Mann, der unab-
wendig seiner Christenpflicht zugetan bleibt.
<>. V. Heincmann, .Ans vergangenen Tiipcn. i'>02. Milchsack, O. v. Hcineinann.
1904. — 1'. Zininicriuann, O. v. Heincmann, im üraun^chwcig. M.ig.izin 1904, N. 11.
Halle a. S. Wilb. Schräder.
Asmussen. C laus .\nton Christian. Maler, * 23. Mär/, 1S57 in Flensjjurg,
f infolge eines l nglückslalles am 12, Xovemijer 1904 in Hamburg. — ■ A. gehörte
incht 2U jenen Au.scrwählten, die unbekümmert um äufiere Sorgen ganz ihrer
Kunst und der Ausbildung ihres Talentes leben können. Immer mufite er
zuerst an tlen Erwerb denken. Trotzdem hat er sich zur echten Kunstler-
s( haft dur( hgerungen. Sein s* u k > Können bahnte ihm den Weg. Der erste
.S( hritt zum Ziel war seine Auliialinie in die Hamburger Clewerbeschule gegen
Knde der siebziger jähre. 1X1X4 ging er nach München und bakl darauf nach
Karlsruhe, wo er Meisterschüler von Gustav Schönlcber wurde. Nach einem
vorübergehenden Aufenthalt in Rotenburg o. d. Tauber kehrte A. um 1890
nach Hamburg zurück, wo er nun allmählich festen Boden gewann und in
weiten Kreisen innner reit here Anerkennung fand. Unter <K n Interieurs, die
A. in früheren Jahren mit \'orliebe malte, verdient ein in Hamburger Privat-
besitz betindliciii-s Hihi, welches das Innere der Lübecker Marienkirche dar-
stellt, besonders rühmende Erwähnung. Sein Bestes aber hat er in seinen /ahl-
reichen Landschaftsbildern gegeben. Sie .spiegeln tief erfaßte Naturstimmungen
in so reiner Schönheit und Wahrheit wieder, daß niemand sich ihrem Zauber
zu entziehen vermag. Ein warmherziger Künstler, dem es heiliger Emst war
um seine Kunst, ist mit A. dahingegangen. Das bezeugte auch die Aus-
stellung seines künstlerischen Nachlasses, die seine Freunde und Verehrer
bald nach seinem Tode in Hamburg veranstalteten.
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Asmmsen. Seegen.
57
Vgl. »Hamb. CorrespondenU, Morg.-Ausg. v. 23., Ab.-AuMg. v. 50. Dczembtr 1904, —
NachlafloAusstellung des Hamburger Malers ^Vnton Asiimsscn. KunstsiUc L, Bock Ä: Sohn,
Hanburg, Februar — M&rz 1905. (Der Katalog umfafit 86 Nummern und enthilt auch ein
BUdnis A.».) Joh. Sass.
Seegen, Josef, Univcrsttätsprofessor der Balneologie, * 20. Mai 1832 zu
Polna in Biiliinen, f 14. Januar i()()4 in Wien. — Sohn eines anj^eselicnen
Kaufmannes, der später in mililiclie Verhältnisse geriet, war S. gez\vun'j;L'n,
frühzeitig das Elternhaus zu verlassen und sich durch Unterricht in küuuner-
licher Weise zu erhalten. Das Gymnasium und die ersten Jahre des medi-
zinischen Studiums absolvierte S. in Prag, dann ging er nach Wien; hier
wurde er 1847 promoviert und blieb darauf zur Fortsetzung seiner Studien im
Krankenhaus. Doch nicht lange: an der Bewegung des Jahres 1848 nahm
er lebhaften Anteil; mit })esonderem Eifer war er für Aufklärung des Volkes
über politische Dinge tätig. Er war Mitbegründer ciru-r X'olkshihliothek, für
die der l nterrichtsininister, dessen Interesse für die Sache gewonnen wunle,
das alte Liguorianer-Kloster bei »Iilaria Stiegen« überliefl. In Gemeinschaft
mit Max Schlesinger gab S. ein kleines »Populäres Staats-Lexikon (politisches
ABC für's Volk)« heraus, das bei Lechner erschien. »Das Volk muß lernen,
was ihm fehlt, es muß wissen, was es erlangt hat, es mulJ wissen, was es zu
erhalten hat, es muß endlich wissen, wofür es sein Mint verspritzen will,
wenn es, was Gott verhüte, wieder zum Kampfe kommen sollte^ heiüt es in
der Einleitung. Das Werk beginnt mit dem Artikel >>Constitution<^ ; da es
in Heften erschien, wären bei alphabetischer Reihenfolge manche wichtige
Begriffe zu spät gekommen. Während des Reichstages in Kremsier war S.
Berichterstatter für ein politisches Blatt. Nach den Oktobertagen sah er
sich genötigt. Osterreich zu verlassen; aus Briefen von Schlesinger geht hervor,
daü die N'eranlassung zur Flucht ein von S. abgefeuerter Schuli war; er ging
nach Paris, wo er ungeialir i^i Jahre blieb, unter Entbehrungen und harten
Kämpfen seine medizinischen Studien am HdtelDiai fortsetzend. So schwer ihm
auch diese Zeit wurde — er erhielt sich durch Korrespondenzen für öster-
reichisc he Blätter — sie war für ihn ein Gewinn. Er fand Anschluß und Freund-
schaft in den literarischen Kreisen, Beziehungen, die sich in spätere Jahre fort-
setzten; neben seiner Medizin konnte er sich einem Studium hingeben, das ihn
s( h(tn seit lange anzog: dem der (ieologie, das er in der flcolc des mincs mit
Elfer betrieb. Schon in seiner Doktordissertation war diese Neigung hervor-
getreten ; sie behandelte »Die Mineralquellen in geologisch-chemischer Bezie-
hung«. Auch später spielte die Vorliebe für Geologie eine Rolle in S.s Leben,
als es sich um die Niederlassung zur Ausübung der ärztlichen Praxis handelte.
In Karlsbad mit dem norh unerfaf')ten Wunder seines Sjirudels, das dem
Geologi-n unersclu)pfliche .\nregung gibt, hoffte S., seinem Lieblingsstudium
nicht ganz entsagen zu mu^sell. Doch kam es nach der Rückkehr von
Paris, die um 1850 erfolgte, nicht sofort zur Niederlassung als Badearzt.
Es trat vorher noch eine Wendung ein, die wieder für das spätere Leben
S.s von Bedeutung wurde; er übernahm es, einen nervenkranken, jungen
Mann auf seinen ausgedehnten Reisen zu begleiten. Ein langer .Aufenthalt
in Rom, Fahrten durch ganz Italien, Sudtiankreic h, Fnglan<l und Deutsch-
land brachten dem lebhaften, für alles Schone empfanglichen Geiste S.s die
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Seegen.
mannigfaltigste Anregung; aus dieser Zeit stammte wohl sein mit feinem
VerstäTidiiis verbuiKienes. gcrarlezu leidenschaftliches Interesse für bildende
Kunst, das sich sowie die innigste Freude an der Musik, vor allem am
Gesang, durch sein ganzes Leben wach erhielt und ihm eine Fülle des Ge-
nusses brachte. Im Jahre 1853 begann S. die ärztliche Tätigkeit in Karlsbad,
die er mehr als 30 Jahre fortsetzte. Schon 1854 habilitierte er sich an der
Universität Wien mit einer Schrift über die naturwissenschaftliche Bedeutung
dvr 'I hormcn. Allniahlich trat dann ein Umschwung in tlcr kichtuni,' seiner
Studien ein. Zunächst blichen sie dem sjieziellen (iebictc der Hainci >lnjiie
gewidmet; ihr Ergebnis war ein im Jahre 1857 erschienenes Kompendium
der Heilquellenlehre, deren zweite Auflage unter dem Namen »Lehrbuch der
allgemeinen und speziellen Heilquellenlehre« 1862 erschien. Bald aber ge-
wann das Interesse an klinischen Beobachtungen die Oberhand und leitete
später zu allgemein physiologischen Fragen hinüber.
Die Art der Krankheitsfälle, die in KnrKl)ad zusammenströmen, die
Wirkung tler Thermen auf den kranken ( )rj:anisinus mußten die (ledanken
des forschenden Arztes auf die Probleme des Stoffumsatzes im Gesunden
und Kranken lenken. So kam es, dafi S. nach beendigter Sommerpraxis
das physiologische Institut von Karl Ludwig, das chemische Laboratorium
von F. Schneider aufsuchte, um experimentell zu arbeiten. Erst waren es
Stoffwechsel -Versuche über die Wirkting des Karlsbader Wassers und des
Glaubersalzes, um die es sich handelte, dann aber griffen diese Arbeiten
weiter aus und wendeten sich den wichtigsten, aber auch den schwierigsten
Fragen der Stoffwecfasellehre zu, bei deren Studium oft erst neue Methoden
geschaffen werden mufiten. Eine Reihe dieser Arbeiten befafite sich mit
der physiologischen Zersetzung der Eiweißkörper und namentlich mit der
Frage, ob der Stickstoff, der bei dieser Zerlegung den Körper verläßt, nur
in Form chemischer Verbindungen austritt oder ob ein Teil auch in gas-
förmigem Zustand durch Haut und Lunge ausgeatmet wird. In Gemein-
sthaft mit J. Nowak verteidigte S. die letztere Anschauung, die von Pctten-
kofer und Voit auf Grund ihrer Erfahrungen zurückgewiesen und später von
Gruber durch exakte Versuche widerlegt wurde. Es ergab sich eine heftige
Polemik; daß S. sich nicht geschlagen gab, seine Anschauung aber noch
weiterer Stützen für bedürftig hielt, zeigt eine von ihm bei der Kaiserl.
Akademie der Wissenschaften errichtete Stiftung für eine Arbeit, die den an-
gestrebten Beweis erbringen soll.
Die große Zahl von Diabetesfällen, die S. beobachtete, gab die Anregung
zu einem genaueren Studium dieser damals noch wenig erforschten, das In-
teresse der Physiologen und Kliniker in gleich hohem Grade erregenden
rätselhaften Stoffwechselstörung. S. war wohl der erste, di r sich eingehend
mit diesem Gegenstand befaßte, eine irroße Zahl v^ii Beobachtungen sam-
melte uiul in einer Reihe von Abhandlungen mitteilte, daneben immer wieder
die Methodik der Untersuchung kritisch prüfend und erweiternd. Ks ergab
sich, dafl der Reichtum an Beobachtungsmaterial nach Zusammenfassung und
klinischer Verwertung verlangte; so entstand das Buch: Der Diaieies meliiätt,
das in drei Auflagen, 1870, 1875 und 1893 erschien und allgemein freudige
Aufnahme fand.
Bei der Art S.s, von seinen ärztlichen Erfahrungen aus zu physiolo-
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Sccij[cii«
59
pisrhen Geset7,mäßi<;koitcn. vom .speziellen zum alls^cmeinen vorziidrinfjen,
mußte tlie Beschäftigung mit tlcm Diabetes zum Studium der Kohlehydrat-
ökonomie im lebenden Organismus führen, zu Fragen, die unter dem Ein-
flasse Claude Bemards schon früh rege geworden waren, deren eingehende
Bearbeitung aber in eine spätere Periode fiel und vom Beginn der achtziger
Jahre an das Leben S.s bis an sein Ende ausfüllte.
Inzwischen hatten sich die äußeren Verhältnisse S.s immer günstiger
gestaltet. Schon im Jahre 1S50 wurde er zum außerorckMitlirhen Universitäts-
professor für Bahu'()lo;,ne ernannt, wohl (Irr erste IJ.ulearzt, der je diese
Würde erreichte. In Karlsbad war er bald der angesehenste und unbestritten
bertthmteste unter den Ärzten. Die Leidenden, welche ihn in großer Zahl
aufsuchten, lernten in ihrem Arzt einen hochgebildeten, mit allen Gebieten
der Kunst und der Literatur vertrauten, feinsinnigen und liebenswürdigen
Mann kennen, den mit Vielen von ihnen bald nahe Freundschaft verband.
Das Haus, das S. untl seine (lattin führten, wurde lurühmt durch seine
Gastlichkeit wie durch tlie .\amen derer, die dort verkehrten. Adalbert
Stifter, Berth. Auerbach, Gervinus, Sabatier, Clara Schumann, Fanny Lewald,
Stahr, Turgenjew, Laube, Lübke, Tolstoi, Graf Harry Arnim, Gust. Richter,
I.ord Amthill und viele andere waren seine Gäste, die immer wiederkehrten.
Im Frühjahr und Herbst unternahm S. Reisen nach Italien, der Schweiz, an
die See — Kunst- und Naturgenuß suchend und eine erfrischende Pause ein-
schaltend zwischen der anstrengcnrleii praktischen Tätigkeit des Sommers und
der Vertietung in seine wissenschaftlichen Studien. Die Wintermonate boten
ihm die erforderliche Sammlung für diese Arbeiten, aber auch die Freude an
der Musik und der Geselligkeit in einem trefflichen Freundeskreise, der
Männer einschloß wie Hasner, Ungcr, Glaser, Arneth, Adolf Beer, Moritz
Hartmann und den S. besonders nahe stehenden Th. Hillroth.
Im Jahre 1884 verließ S. Karlsbad gänzlich, um sich uneingeschränkt der
Arbeit zu widmen. Diese hatte immer dringlicher die Mittel eines eigenen
Laboratoriums gefordert; zuerst in einem Räume der Universität, dann in
einem Mietfaanse richtete S. sich sein Wiener Privatlaboratorium ein; auch in
der herrlich gelegenen Villa in Alt-Aussee, die S. nach dem Abschluß seiner
Praxis erworben hatte, und in der er dann den Sommer zubrachte, mußte ein
2Ümmer diesem Zweck gewi(hnet werden.
Die L ntersuchungen. wch he S. am intensivsten beschäftigten und seine
eigentliche Lebensarbeit ausmachten, stehen alle in Beziehung zu der Frage
über die Bildung von Zucker im Tierkörper, einer der wichtigsten auf dem
schwierigen Gebiete der chemischen Umsetzungen im lebenden Organismus. Sie
steht in nahem Zusammenhange mit der weiteren Frage, welches Material es
ist, das in den Muskeln bei ihrer Leistung, d. i. der Zusammen/iehung, zer-
setzt wird, das ihnen also fortwährenfl durc h den Klutstrom zugeführt werden
muß. S. vertrat die .\nschauung, dali die Leber ununterbrochen Zut ker
bildet, daß dieser in groüer Menge dem Hlute, welches die Leber durch-
strömt, mitgeteilt und so zu den Muskeln befördert wird. So einfach diese
Lehre zu sein scheint, so schwierig war der Weg, der zu ihrer Festi-
gung notwendig war. Sie rührt ursprünglich von Claude Bernard her, der
in der Leber eine stärkenuhlartige Substanz, das (Ilycogcn, entdeckte, und
dieses, das leicht in Zucker übergeht, als die Quelle des Leberzuckers ansah.
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6o
Seegen.
Unter dem Einflüsse der Arbeiten Pavys war diese Anschauung wieder ver-
lassen worden; S.. aiifan|is seihst ein \nliäni:er l'avys, durch eigene Beob-
a< htun^cn aber von der Zuckerbddiing in der Leber als vitaler l-'unktion
überzeugt, suclite sie auf dem Wege des Tierversuchs zu stützen und un-
angreifbar zu machen. Dabei zeigte sich die Unhaltbarkeit der Bemardschen
Lehre von der Rolle des Glycogens bei der physiologischen Zuckerbildung
und S. stellte die neuen Sätze auf: »i. Das Material für die Zuckerbildung
sind die mit der Nahrung eingeführten Kiweißkörper und Fette; 2. der in
der Leber gebildete Zucker liildet die ausschließhche (^)uel]e für die Lei-
stungen des 'rierkoriu r--. für medianisi he Arbeit und W arinebildung.« Der
Begründung dieser Lehrsätze war die niulievolle Arbeit voller zwanzig Jahre
gewidmet; mit bewunderungswürdiger Ausdauer immer neue Seiten dem
Problem abgewinnend, unendliche Schwierigkeiten überwindend und die
zahlreichen Einwände durch stets erneute Versuche bekämpfend, bot S. noch
in seinem Alter das Hild eines von jugendlichem Kifer erfüllten, von seinem
hohen Ziel begeisterten Lorschers. In der l'orni von Vorlesungen teilte er
die Ergebnisse seiner Studien zusammenfassend in dem Buche: »Die Zucker-
bildung im Tierkörper, ihr Umfang und ihre Bedeutung« mit. Das Werk
erschien 1S90 in erster» 1900 in zweiter Auflage. Ein kleiner Teil der die
Zuckerfrage berührenden Originalabhandlungen war zusammen mit früheren
Publikationen schon 1887 in dem starken Bande: »Studien über Stoffwechsel
im Tierkörper abgedt uckt ; eine neue Zusammenfassung mit den in verschie-
tleiuMi Archiven zerstreuten späteren Arbeili-n war daher erwünscht; sie er-
schien 1904 unter dem Titel: »Gesanuneitc Abhandlungen über Zuckerbildung
in der Leber« und enthält 36 Arbeiten aus den Jahren 1877 — 1903, von denen
die alteren (bis 1881) in Gemeinschaft mit F. Kratschmer ausgeführt sind.
Die höchste Befrietligung für den Forscher: allgemeine, unbeschränkte
Annahme seiner Lehren blieb S. versagt; seine Arbeiten sind wiederholt be-
kämpft werden und noch sind niiht alle Zweifel besiegt. Physiologische
Fragen wie tlie vorliegende lassen sich eben nicht immer mit tierseihen iiber-
zeugenden Sicherheit beantworten, wie dies etwa bei physikalischen oder
rein chemischen Problemen möglich ist; bei Versuchen am Lebenden wird
die Klarheit der Ergebnisse nur zu leicht durch die Reaktion des Organis-
mus verschleiert und I 11 Bedenken, die beobachteten Erscheinungen könnten
dinch <ieii Kingriff des \ er-^u« hes becinHuüt sein, ist oft nur schwer zu bc-
gef,'nen. Die Arbeiten S.s wertlen trotzdem für die l'rage der vitalen Zucker-
bildung lur alle Zeiten von der höchsten Bedeutung bleiben und auf diesem
Gebiete mufi sein Name neben den des großen Meisters Bemard gestellt
werden. So wie diesem die Entdeckung des Glykogens, gelang S. noch in
den letzten Jahren die Auftindung einer bislier nicht bekannten Substanz in
der Leber, die mit der Zuckerbildung in naher Beziehung zu stehen scheint.
Den IQ04 ersdiieneiien gesammelten Abhandlungen schickt S. eine Kin-
leitung xoraus, die von allgenieineiti hiteresse ist; ihr seien ein/eine Stellen
entnommen. Als ich vor mehr als einem Jahre meinen 80. Cieburtsiag
feierte, schrieb mir ein befreundeter, hochgeschätzter Physiologe, die Natur
sei mir ein hohes Alter schuldig gewesen, damit ich die volle Würdigung
meiner ungewöhnlich lange verkannt gebliebenen wissenschaftlichen Frrungen-
schaften erleben konnte. Und ein französischer Kollege, der auf dem Ge-
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Se«gen. von Holst.
6l
biete der Zuckerbilduiig im 'rierk()rper /ahlieirhe und wertvolle Arlicitcii
ausgeführt hat, schrieb mir, ich hal)e das Schicksal eines A'orläufers« gehaht,
der mit vielen herrschenden und oft klassischen Ansichten in Konflikt gerät;
jetzt sei mir das Glück beschieden, dafi die Anderen mir nachgekommen
sind und das von mir Gelehrte als richtig anerkennen. Und so könnte ich
mich meines Triumphes freuen, wenn das alles, was liebenswürdige Freunde
mir sagen, seine volle Richtigkeit hätte. Aber dem ist nicht so. Es ist zwar
eine mächtige Wandlung in den Anschauungen der Physiologen eingctrct(Mi,
aber sie ist noch lange nicht so allgemein, wie es im Interesse der W ahrheit
zu wünschen wäre.« Kin englischer Schriftsteller schrieb einnud : *thc l*ara-
doxes 0/ Uh4ay ort the Cotmiumplaces of ta-morrow* speziell meine
Lehre über das Bildungsmaterial des Zuckers, wiewohl sie auf zahlreiche
Beweise sich stützte, wurde als paradox verschrien. Und heute nimmt das
Thema über die Zuckerbildung aus Eiweiükör]icm einen ])rciten Raum in
den Forschungen der Physiologcji und Chemiker ein; und die noch para-
doxer erschienene Lehre, daü Zucker aus Fett gebildet wird, die ich durch
Versuche, die ich mit Lebern anstellte, zu erhärten suchte, und die ihre
kräftigste Stütze in unbezweifelten Vorgängen im Pfianzenleben fand, wird
in Bezug auf die Leber durch vereinzelte positive Versuche bestätigt, während
die parallelen Vorgänge im Pflanzenleben nicht als Stütze gelten gelassen
werden, weil, was für die Pflanzen zu Kei ht besteht, nicht auch für den
Tierkörpcr seine (Geltung haben könne. Als ob die organisclien \ orgiinge
nicht da und dort die gleichen wären und als ob die chemischen Bedenken
nicht für den pflanzlichen Organismus ebenso berechtigt oder unberechtigt
wären, wie für den Tierkörper.« »Die volle Erkenntnis meiner Lehre ist auf
gutem Wege; die Einwürfe werden schüchterner und viele Lehrsätze, die
von mir ihre Prägung erhielten, kursieren schon heute als gute Münze.
Im hohen Alter von 79 Jahren erlebte S. die Freude, zum korrespon-
dierenden Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften gewiililt /u
werden (1901). Im Herbst 1903 wollte er nach einem Aufenthalt in Meran
wieder an die Arbeit gehen; eine Lungenentzündung warf ihn auf das Kranken-
lager; er überstand sie und schien völliger Genesung entgegenzugehen, doch
seine Lebenskraft war gebrochen; langsam versagte der Krirper immer mehr,
und noch erfüllt von der f lenugtuung, sein eben vollendetes letztes Werk
seihst an die Freunde senden zu können, beendete S. sein arbeitsreiches
Leben.
Nekrologe: Wiener klin. Wochenschr. 1904 Nr. 4 (Koliscb). — Wiener klin. Rundsdiau
1904 Nr. 4 (StTMser). — Ber. d. Kais. Akad. d. Wiss. Uber ilue Wirksamkeit und Verinde-
rungen a8. Mai 1903 bis ai. Mai 1904 (S. Exner). J. Mauthner.
v. Holst, Hermann Eduard, Universitätsprofessor der C^eschichte,
* lO. Juni 1841 in Fellin in Livland, f 20. Januar 11)04 in l ieiburg i. F^. — •
V. H. war der Sohn eines baltischen Plarrherrn aus alter livlanilist her Adels-
familie. Frühzeitig zeigten sich bei ihm überaus rege geistige Fähigkeiten,
aber auch die schwache Gesundheit, die ihn Zeit seines Lebens hemmen
.sollte. Er erhielt seine Schulbildung auf der Latein.schule seiner \'aterstadt.
Die l'niversitätsjahre verlebte er in Dorpat (1S60 — 1863) und Heidelberg,
WO er sich besonders an L. Häußer anscliJoß und wo er 1865 promovierte.
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63
von Holst
Durch harte Arbeit und Entbehrungen erschöpft, hatte er 1864 seine Studien
unterbrechen und Heilung; von titu-in schweren Leiden in Alfiier suchen
müssen. Nach seiner i'roinotion nahm er eine Hauslehrerstt-lle in einer
deutschen l atnilie in Petersburg an, reiste aber in jenen Jahren viel, vor
allem in Frankreich und Italien und zwar z. T. zu Studienzwecken, z. T.
wegen seiner Gesundheit. Im Jahre 1867 machte er seiner Stimmung gegen
den nissischen Despotismus Luft, indem er eine Broschüre über das Attentat
veröffentlichte, welches am 4. 16. April 1866 gegen das Leben des Zaren
unternommen worden war. In dieser Schrift wurden die russisclien Zxistände
sehr offen gegeiüelt und vor allem das Ministt'rium heftig getadelt. Sie
wurde ent.^cheidenil für die zuliuiitiige (jeslaltung von v. H.s Leben. Er geriet
nämlich durch sie in die Gefahr einer Versendung nach Sibirien, der er sich
nur durch die Flucht entzog, und nun wendete er seine Schritte nach Ame-
rika, dem Lande, dem in Zukunft der größte Teil seiner wissenschaftlichen
.Arbeit, viele Jahre praktisclu'r Tätigkeit und sein halbes Herz gehören
sollten. Im Juli 1S67 traf er, arm. ohne Verbindungen, mit gebrochener
(iesundheit in New \'ork ein. Die ersten Zeiten seines amerikanischen
Aufenthalts waren sehr harte, üm des Lebensunterhaltes willen mulite er,
wie so viele Auswanderer, die gewöhnlichsten Arbeiten verrichten. Ja, nicht
immer glückte es ihm, solche zu erlangen. Einmal, als er sich als Last-
träger verdingen wollte, wurde er als zu schwach abgewiesen. Mit drei an-
der'Mi Tagelohtiern teilte er dann ein dürftig mö!)liertes Zimmer. Er erzählte
im späteren Leben gern von tlieser Zeit, so /. H., <lai5 er nur ein Hemd be-
sessen und deswegen, so oft es gew.ist hen wur<le, im liett bleiben muüte.
Kine Besserung .seiner äußeren Verhältnisse trat ein, als er zunächst in sehr
bescheidenem Umfang Zeitungskorrespondenzen zu verfassen bekam und vor
allem, als er in einer Privatschule in Hoboken I^hrer der neueren Sprachen
geworden war. Sogleich nahm er nun seine historisch-politische Tätigkeit
wieder auf. Er begann an ein größeres Werk heranzutreten, das die Schand-
taten des Absolutismus ins rechte Licht stellen sollte. Es erschien indessen
nur ein 'Teil davon unter dem Titel Tederzeichnungen aus der Geschichte
des Absolutismus« (Heidelberg 1868), in dem Ludwig XIV. behandelt wird.
Es läßt sich bei der Lektüre dieses Schriftchens nicht verkennen, daß der
Haß des Balten gegen den Zarismus es ihm damals noch erschwert hat, ab-
soluten Monarchien überhaupt gerecht zu werden. Nach dieser Veröffent-
lichung trat übrigeiis das unmittelbare pcditische llrteil in seinen Werken
mehr zurück. Von r869 an ging es mit der äußeren Lebenstellung v. H.s
schnell aufwärts. Er wurde Mit-Herausgeber von Scherns Deutsch-Amerika-
nischem Konversations-I^xikon and ein sehr angesehener Zeitungskone-
spondent; vor allem arbeitete er für die Kölnische Zeitung, daneben für den
Niew Englander und die Nation. In jener Zeit unternahm er auch die große
wissenscliaftliclie .Arbeit, welche sein Leben zum guten 'Teile ausfüllen sollte.
Drei Bremer Kautieute hatten damals den (ledanken ergriffen, auf literarischem
Wege einen richtigeren Begriff von amerikanischem Leben und amerikanischen
Einrichtungen in Deutschland zu verbreiten, als er sich gemeiniglich fand.
Sie dachten dabei an einige solide Zeitungs- oder Zeitschriften^Aufsfttse.
Mit ihrer Abfassimg sollte der bekannte Deutsch-Amerikaner Friedrich Kapp»
ein Freund v. U.s, betraut werden. Er lehnte aber ab und empfahl, ebenso
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von Holst.
63
wie Heinrich von Syhcl, auch er ein Kreiiiul v. ll.s, letzteren für lUese Auf-
gabe. An Stelle dieser Aufsätze aber entstand allmählich v. H.s Lebenswerk,
»Verfassung und Demokratie der Vereinigten Staaten«, welches leider l-rag-
ment geblieben ist. Mit deutscher Gründlichkeit nämlich erkannte v. H.
immer dentlicher, dafl es ihm durchaus unmöglich sei, Ober das Amerika
der Gegenwart bestimmte Urteile al)zup;eben, ohne seine Geschichte aufs ge-
naueste studiert zu haben. Das aber führte ihn immer weiter und schließlich
zu den außerordentlich umfasseiulen und gründlichen Studien, deren l-rüchtc
wir nun besitzen. — Inzwischen luiite sich v, H. auch am politischen Leben
der Vereinigten Staaten mit der ihm eigenen Energie und Leidenschaftlich-
keit beteiligt.
Da, als er gerade im Begriff war, das amerikanische Bürgerrecht zu er-
werben, trat, etwa fünf Jahre nachdem er in New \'ork gelandet war, wieder
eine bedeutsame Wendung in seiner Laufbahn ein: Im Jahre 1872 erhielt
er ein Extraordinariat für amerikanische Geschichte und Verfassungsges( hichte
in Straliburg. Zwei Tage, ehe er Amerika verlieli, vermählte er sich mit
Mifi Anna Isabella Hatt, der Tochter eines Baptistenpredigers, und schuf so
die Grundlage für sein häusliches Glück, das ihm den Rest seines Lebens
treu blieb. In Strafiburg verfaßte v. H. den ersten Band seines Lebenswerks.
Kurz nach seinem Krsclieinen erhielt er einen Ruf als Ordinarius der neueren
Geschichte nach l-rciburg i. B., den er annahm (1.S74). Hier gründete er sich
auf lange Jahre ein Heim, l^reiburg war damals noch ungefähr auf dem Tief-
stand seiner Frequenz und zählte nur gegen 300 Studenten. Es begann aber
gerade damals das rapide Wachstum dieser Universität, welches v. H. während
seiner iSjährigen Wirksamkeit an ihr beobachten uml befördern konnte. In
Freiburg entfaltete er eine sehr fruchtbare akademische und literarische
Tätigkeit. Hier sammelte er eine stets wachsende Zahl von Zidi()rerii um
sich. Hier verfaßte er, abgesehen vom ersten Bande, sein Lebenswerk.
i887;88 war er Prorektor. Seit i8Si war er Mitglied der baUischen ersten
Kammer, stierst durch das Vertrauen des Grofihersogs berufen, seit 1883 als
Vertreter der Universität Zeitweilig war er Vizepräsident dieser Kammer.
Die Pflichten, die ihm als Kammermitglied eryruchsen, nahm er außcrordent-
lieh ernst. Mehrfach kam es vor, daß er, entgegen dem Rate des Arztes,
sich \(>n seinem Krankenlager erhob, um nach Karlsruhe zu reisen und dort
eine Kammerrede zu halten. Auch so hat er rücksichtslos das Opfer seiner
Gesundheit gebracht. Die Beziehungen zu Amerika aber wurden mit Eifer
aufrecht erhalten. Einerseits zog v. H. eine Reihe amerikanischer Studenten
nach Freiburg, anderseits besuchte er von hier aus zwei Mal die Vereinigten
Staaten, und zwar zum ersten Male 1878/79, nachdem ihm die Königl.
Akademie fler Wissenschaften in Berlin eine bedeutende Summe für Studien
für sein großes Werk bewilligt hatte. Damals wurde er überall sehr warm
aufgenommen und erfreuliche Vergleiche mit .seiner ersten Ankunft in Ame-
rika, elf Jahre vorher, drängten sich ihm aul 1883 dann weilte er als gelade-
ner Gast in den Vereinigten Staaten, um der Vollendung der Northern
Pacific Eisenbahn beizuwohnen. Bei beiden Gelegenheiten hielt er einige
Vorlesimgen an amerikanischen Universitäten (Johns Hopkins, Gorncll, Harvard).
Lange Zeit konnte er sich indessen nicht entschließen, die Berufungen, welche
aus Amerika an ihn drangen, aiuunchmen. Zwei Mal (1879 und 1880) suchte
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64
von Holst
die Johns H()]>kins L'niversität ihn 7.u fjowinnen »in<i im Jahre iSSi aui Ii «Iil-
Chirk l'nivcrsität unter sehr /^'iinsti^rn l?c<iin^Hnigfn. In den letzten Jahren
seiner I rciburger J äiigkeit wandte er ^ein Interesse in noch verstärktem
Mafie der Politik zu. 1890 kandidierte er sogar in Freiburg för den Reichs-
tag, wobei er indessen, wie er vorausgesehen hatte, gegenüber dem Zentrums-
kandidaten unterlag. — Endlich im Jahre 189a gelang es einer amerikani-
schen Tniversität, v. II. zu gewinnen. Es war rlic von Chicago, die ihm
sehr günstige Bedingungen bot. Nach langem Zweifeln nahm er den Ruf
an. In Chicago war er in denselben Richtungen tätig, wie in der alten
Heimat, nur daß wohl das Politische noch mehr hervortrat. Wie das in
Amerika nicht anders zu erwarten war, machte er dabei mit dem Verhalten
anders gesinnter Blfitter Üble Erfahrungen. Er vertrat, wie billig, besonders
energisch die Aufrechterhaltung der staatlichen Autorität, so z. B. 1895 den
Arbliterorganisationen gegenüber, denen er vor allem vorwarf, daß sie das
|)()sitive Recht nuliacluelen und also einen neuen Despotismus einzufidiren
trachteten, Soilann ergriff er in eindrucksvoller Weise Partei in der aus-
wärtigen Politik, als Cicgner des Imperialismus. Er kämpfte hier in den
vordersten Reihen einen verlorenen Kampf. Gelegenheit dazu bot ihm die
Krage der Annexion von Hawaii. Ebenso tadelte er heftig die venezolanische
Politik Clevelands. Alles dies geschah aus den Gedankengängen eines Libe-
r.ilen der alten .Schule heraus. Cntcr allen Anstrengungen seiner amtlichen
und der freiwillig übernonnnenen Tätigkeit l)rach al)er sein von Jugend an
zarter Kor|)er früh/eilig zusannnen. Schon 189O 97 mußte er sich zum Zwecke
der Erholung auf ein Jahr beurlauben lassen. Allein er kehrte fast schwächer
nach Chicago zurück, als er es verlassen hatte. In der Folge verlieft er sein
Kranken !aL:^I ' ft nur, um seine Vorlesungen zu halten. 1899 mufite er um
seinen Abs, lucil l inkomtnen. da an ein weiteres Arbeiten für ihn nicht zu
denken war. Die l'niversität Chicago ehrte ihn aber dadurch, daß sie ihn
zwar von seinen Pflichten entband, ihm aber den Abschied nicht bewilligte.
1900 kehrte v. H. nach Freiburg zurück. Seine dortigen Freunde konnten
aber, abgesehen von gelegentlicher kurzer Besserung, doch nur Zeugen seiner
mannigfaltigen und schmerzhaften Leiden und seines langsamen Endes sein.
In Momenten, iri denen ihm seine Krankheit einige Ruhe Heß, freilich zeigte
er die alte geistige Kriscbe und sein vielseitiges Interesse. Am 20. Jan. 1004
erloste ihn, für die Angehörigen fast unmerklich, ein sanfter Tod von seinen
Leiden.
V. H.s Bedeutung als akademischer Lehrer beruhte in erster Linie auf
seiner eindrucksvollen und feurigen Beredsamkeit. Durch sie ward es ihm
zuteil, d i(j er, gerade auch in seinen großen Vorlesungen, Zuhörer in so
außerordentlich hoher Zahl um sich versammelte, wie es in diesen Zeiten
des abnehmenden historischen Interesses selbst an größeren l^niversitateii nur
ganz wenigen Fachgenossen l)eschieden war oder ist. Aus allem, was er
sagte, sprach :»eine kernige, etwas eckige Persönlichkeit, welche in reizvoller
Weise die Art des Balten mit ausgeprägter Eigenart verband. Der Zuhörer
hatte vor allem den Eindruck von unerschrockener Wahrheitsliebe und großer
Kampfesfreudigkeit »Der eine bedeutende Kindruck, den "er hint^rließ,^:
urteilt sein Chicngoer Freund und Kollege, der N aticnialökotiom I aughlin,
»innerhalb und außerhalb der L'niversität, war der einer großen moralischen
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von Holst 5j
Kraft.« — V. H.s Bedeutung als Historiker liegt hauptsächlich auf dem Gebiete
der Geschichte der Vereinigten Staaten. Ihr widmete er, wie s< hon hervor-
gehoben wurde, den weitaus größten Teil seiner Arbeitskraft. Sein Lebenswerk
ist freilidi leider Fragment geblieben. Während das Ganze ursprünglich drei
Teile umfassen sollte, hat v. H. nur einen Teil des ersten Teils in fünf Bänden
hinterlassen unter dem Titel: »Verfassung und Demokratie der Vereinigten
Staaten von .Amerika« (1873 bis i8qi); die letzten vier l{<ände führen außer-
dem den l'ntertitcl: » Verfa.ssungsgeschichte der \'ereinigten Staaten von Amerika
seit der Administration Jacksons i — 4«. Die Erzählung führt bis 1860 61,
d. h. bis zur Zerreißung der Union vor dem Bürgerkrieg. Das Werk behandelt
hauptsächlich zwei Fragen von kapitaler Wichtigkeit fOr die Vereinigten Staaten: .
Die Frage des Verhältnisses der Eincelstaaten zur Union und die Sklavenfrage.
Seiner Persönlidlkeit entsprechend, ergriff v. H. in beiden Fragen energisch
I'artei und zwar aus den Idcenkretsen des Liberalen, des Kämpfers für die
i-.inhcit und die Freiheit lieraus, also für die zcntralistische Richtung des Ver-
fassungslebens einerseits, gegen die Sklaverei anderseits. Nach dem Urteil
amerikanischer Jlistoriker, so z. B. seines Nachfolgers Jameson, hat er die
historische Kraft und den politischen Wert des »einzelstaatlichen« Standpunktes
unterschätzt, und die Vorliebe der Staatsmänner des Südens für die Sklaveret
überschätzt, d. h. ihre Handlungen zu ausschließlich aus diesem Motive herge-
leitet. Das kann natürlich den hohen Wert dieses bedeutenden Werkes nur
wenig beeinträchtigen, das schon durch die Bezwingung eines ungeheuren
Materials, z. B. auch die systematische Heranziehung der sonst so oft ver-
nachlässigten Zeitungen, grundlegend bleiben wird, wenn es auch, schon weil es
Fragment geblieben ist, als abschliefiend nicht bezeichnet werden kann. Wie
gut v. H. bei aller Lebhaftigkeit des Empfindens es verstand, auch dem Anders-
denkenden gerecht zu werden, zeigt seine Monographie über John C. Galhoun
(1882), den konsequenten, ja leidenschattlichcn Verteidiger der Sklaverei uiul
Anhänger der Staaiensouveränität, dessen geistige und sittliche Bedeutung
er durchaus anerkennt und mit Wärme schildert, v. H. gehört als Historiker
wie Sybel, mit dem er befreundet war, durchaus in die Reihe derjenigen
Männer, welche vom lebendigen politischen Interesse aus an die Geschichte
herantreten. Auch er hat seinen Stoff nach politischen und sittlichen Gesichts-
punkten verarbeitet. I):iß mit einer derartigen Richtung sich der ernsteste
Drang nach reiner Frkenntnis verbinden kann, wenn er sich damit auch
nicht zu verbinden braucht, liegt auf der Hand. — Mit der Erforschung der
Geschichte der Vereinigten Staaten wird v. H.s Name dauernd verknüpft
bleiben.
Es folgt ein Verzeichnis der wichtigsten historischen und historisch-poUtisdien Arbeiten
V. H.s, dem der .\nspruch auf \'()llständigkeit aber ferne liegt: Das Attentat vom 4. April
1866 (16. April) in seiner bcdcutung für die Kulturgeschichte Kußlands. Eine kultur-
kistoriscli-politisdie Studie. Leipzig (Petersburg) 1867. — Fedeneichnungen aus der Ge-
schichte des Despotismus I. Heidelberg 1868. >- Verfassung und Demokratie der Ver^
einigten Staaten von Amerika, I. Teil. StaatcnsouvcriinitiU und Sklaverei. Düsseldorf 1S73.
— I. Teil, 2. Abteilung. Von der Administration Jacksons bis zur Annexion von Texas.
Berlin 1878. — I. Teil, 3. Abteilung. Von der Annexion von Texas bis cum Kompnunifi
TOQ 1850. Berlin 1881. — L TeO» 4. Abteflnng. Vom Kompromifi Ton 1850 bis rar
Wahl Buchanans. Berlin 1884. — I. Teil, 5. Abteihmg. Von der Inauguration Bucha-
aans bis zur Zerreißung der Union. Berlin 1891. Band II — V fuhren den Nebentitei:
Biofr. Jahrbuch u. Deuucher Nekrolog;. 9. Bd. c
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66
v<ni Holst Twaxn.
Vorrassunf^geschichte der Vcreinigftcn Staaten von Amerika seit der Administration Jacksons.
Band 1 — iV. — Engl. Übersetsung unter dem irreführenden Titel: ConsiiiuiicncU and Politicai
Hiaory«fÜii UkU^ SiaUt «f Amerieo, 5 Bde. Chicago 1876 ff. — Charles Samner, ProB.
Jahrb. 1875. — Das AncUn Regime in Canada. Ebd. 1876. — Zur Jubelfeier der Ver-
einigen Staaten von Amerika, Ebd. 1876. — Toussaint TOuverture. Ebd. 1877. —
John Brown. Ebd. 1878. — Zur Geschichte und politischen Bedeutung des Bland-
•chcn Silbergesettes. Ebd. 1878. — John C CalhooB. Boitoa t88a. — Fhms Lieber.
Pteufl. Jahrb. 1883. — Medridi Kapp. Ebd. 1885. — Das Slaalsredit der Veieiiügten
Staaten von Amerika. Freiburg i. B. 1885 [in Manjuardsens Handbuch des öff. Rerht-
(IV, lialbbd. 1, Abt. 3)]. — Was ist und wie entsteht Verfassungsrecht in den Vcr. 6u
Ton Amerika? Archiv fttr Off. Recht 18S7. — Verfassungsrecht der Ver. St im
Uchte des englisdien Pariamentarismus. Freib. Progr. 1887. — Ober eine Refonn des
Universitätsstudiums in »Reden, gehalten bei der Prorektorats-Cbergabc«, Freiburg 1SS7. —
Die amerikanische nemokratic in Staat u. Gesellschaft Histor. Zcitschr. Bd. 64 (1S90). —
77U French Revolution testcd by Mtrabeaus career, iJt Ucturct deiivcrcd at tkt Lowtii In-
tÜMe B0aim Mw» a Bde. Chicago 1894.
Quellen: Mitteilungen, welche mir die Witwe v. Holsts freundlichst machte, sowie hand>
schriftliches Material, das sie mir zur Verfügung stellte, darunter u. a. Trauerreden, gehalten
am Z2. Jan. 1904 in Freiburg von Herrn Dekan Hasendevcr u. Herrn Hofrat Himstedt,
Dekan der philosophischen Fakulttt; Worte, gesprochen am Sarge Holsts anf dem Heidd-
iMrger Friedhof am 13. Jan. 1904 von Erich Mareks in nachträglicher Niederschrift. Femer
rahlrcichc Mitteilungen von v. H.s Freiburger Kollegen und Freunden. Rede, gehalten in
der badiscben ersten Kammer am 33. Januar 1904 von Herrn Geh. Hofrat Kttmelin, Ver-
treter der UniversitiU Freiburg. Schliefilich die Reden, welche bei der Obeneichnng des
Fortiiis H.S an die Univenillt Chicago am 14. Oktober 1903 giAslten wurden; darunter
vor allem die des Historikers Jameson (» Professor v. licht as Hisiorian*) und die de«
Nationalukonomen Laughlin (*Li/e and Character of Professor v. Holst*), gedruckt in Uni-
versiiy Rtcord 0/ the Unnttrsity 0/ Chicago, vol. 8, äo. 6 (Oktober 1903).
Tancra, Karl, Königlich bayerischer Hauptmann, Schriftsteller und Tou-
rist, * 0. Juni 1849 zu Landshut, f 5. Oktober 1904 in Lindau. — T. besuchte
die (iynuiasien zu Regensburg und Speyer, trat 1866 bei Ausbruch des Krieges
gegen den Wunsch seiner Eltern in das königlich bayerische Heer, wurde
wegen seiner Jugend nicht in die Feldarmee, sondern in Germersheim ein-
gereiht, hatte aber bei Ausbruch des französischen Krieges 1870 als Leutnaot
reichlich Gelegenheit, beim Armeekorps von der Tann an 19 S( hlarhten und
Clefcchtcn, bei Weißenburg, Wörth, Spichern, bei Beauniont und Sedan, teil-
zunehinen, wo er den bayerischen Militärverdienstorden erhielt. Bei Orleans
und Couhniers kam T. als Ordonnanzuftizicr beim Brigadestab tüchtig ins
Feuer, wofQr er an seinem »schwersten und schönsten Tag« das eiserne Kreus,
aber bald darauf vor Paris einen schweren Schufl in den linken Ann bekam.
Leidlich hergestellt, war T, bei der Kapitulation von Paris und dem Einzug
in die Stadt, welche ihm so gut gefiel, . daß er bis 1893 fünfundzwanzigm.il
dieselbe besuc hte. Mit ganzer Seele Soldat und im Vollgefühl der ^schönen,
charakterbildenden Seite des Krieges« genoß nun T. bei der anderthalbjali-
rigen Okkupation in Sedan und Rocroi die »fröhliche, lustige Leutnantsseit«
in vollen Zügen mit dem sonnenhellen Sinne der Jugend, welche er, ebenso
wie seine Kriegserlebnisse, in flüssiger Weise und blühender Darstellung ^chil*
derte. Sein »Ernste und heitere Iii innerungen eines Ordonnanzoffiaien«
erst 1887 bei C. H. Beck in München) betiteltes Buch machte ungewOhnlidies
Adalbert Wahl.
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TtDcn.
67
frluck und erlebte bis 1902 neun Auflagen (darunter auch eine von Ernst
Zimmer 1895 illustrierte Edition), womit er seinen wohlverdienten Schrift-
stellemihm begründete. Dadurch erwarb T. die Mittel, seinem Drang, die
Welt kennen zu lernen, tu genügen und auf immer weiter ausgedehnten
Fahrten und Reisen durch Frankreich, Italien, England, Belgien, Holland,
Osterreich, Ungarn, Polen und Nordafrika, zuletzt noch nach Indien und
Japan und dann Rund um die Welt, seiner nimmermüden Feder neue Stoffe
zuzuführen. Nach 1873 trat T. in württembergische Dienste, besuchte die
preußische Kriegsakademie, worauf nach dreijährigem Aufenthalt in Berlin
i88a eine Berufung zur kriegsgeschichtlichen Abteilung des grofien General-
stabs in der deutschen Reichshauptstadt erfolgte. Inzwischen war T. zum
Hauptmann und KompagniecheC befördert worden, doch ließ er sich 1887
zur Disposition stellen, behielt seinen Wohnsitz meistenteils in Herlin, erwarb
ein hübsches Landhaus an den Ufern des Starnbergersoes, von wo aus T.
aui immer neuen Reisen der stets waclisenden Wanderlust folgte. In dieser
reizenden Muße veifafite er nicht allein eine Reihe kriegsgeschichtlicher
Arbeiten, sondern verbuchte auch seine touristischen Eindrücke, sogar in
Romanform und betätigte sich mit um&ngreichen Beiträgen zur »Bildung
und Belehrung der Jugend.« So entstanden z. B. »Der Roman eines Lieute-
nants« (1889), »Oftizierleben in Krieg und Frieden« (1889), »Die Kunst-
schützin« (1890), »Aus dem Soldatenleben« (1892), »Heiteres und Ernstes aus
Altbaiern« (1895), dann begründete er unter Beihilfe von Mitkämpfern und
Autoren (wie Steinbeck und Pressentin) eine in sieben Abteilungen und in
fünf Auflagen vorliegende Volks-, Schul- und Militir-Bibliothek (Mttnchen
bei Beck) und bearbeitete in gleicher Weise die »Kriege Deutschlands von
Fehrbellin bis Königgrätz«.') Andere Arbeiten T.s waren der Bericht über
»Die erste französische Loire-Armee« (Herlin und Leipzig 1878), »Die Schlach-
ten von Beaumont und Sedan« (mit i Karte, 2. Aufl. 1888), »Weiüenburg,
Wörth, Spichern« (mit 4 Karten, Nördlingen 1888 — 1896 in 5 Auflagen); »An
der Loire und Sarthe« (mit x Karte, Nördlingen 1889—96 in 4 Auflagen), das
Lebensbild »Von der Tann, ein deutscher Held« (Regensburg 1896, im Aul-
trage des Komitees für die »Krnt htung eines General Ludwig v. d. Tann-
Denkmals« zu Tann im Rhöngebirge). In rein belletristischer Weise betätigte
sich T. mit den »Manöverski/zen aus dein friedlichen Krieg« (2. Aufl. 1891)
und mit dem im französischen Kriege spielenden Roman »Schwere Kämpfe«
(Hof. 1897). Dann löste er die von Hirths »Jugend« gestellte seltsame Preis-
au^i;abe, die »Geschichte des Krieges 1870 — 71« in achtzehnhundert und
siebenzig Worten zu schreiben (abgedruckt 1896 in Nr. 3 der genannten
illustrierten Zeitschrift). Schließlich ging T. auch noch auf das ohnehin
schon sehr üppig bebaute Gebiet der belehrenden Leseliteratur »Für die
>) Eine wteilindifcbe Bibliothek ftlr du deutsche Volk and Heer (Manchen bei Beck)
1: Deutschl.mds Mißhandlung durch Ludwig XIV. (167a — 1714, mit 3 Karten und 3 Schl.icht-
pläncn 1871). II. III: Die Kricfje Friedrichs des Großen, i. Erster und zweiter schlcsi-
scher Krieg. 2. Der siebenjährige Krieg. iV. V': Die Revolution und napuleoniscben
Kriege, i. Von Vahny bis Aasterlitz (1793 — 1803). 3. Von Jena bis Moskau (1806 bis
l8ia). 1893. VI. VII: Die Befrtiun<;>kricge. I. 1813 (mit 2 Kalten). 2. 1814 und 1815
(mit 1 Karte). 1893. VIII. IX: Die deutschen EinigunKskrie{»e. i. Sclilcswi^^-Holstein
inccrumäcbluDgcu (1848 — Ö4) mit 2 Karten. 2. Der Krieg von 1866 (mit 2 Karten). 1894.
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TaMia.
reifere Jugend« über uncl verfaüte eine ganze Bibliothek dickbändiper Erzäh-
lungen, deren Tendenz gcwiü wohlwollend, die Ausführung aber eine zu red-
selige und breite wurde, so dafi der Verfasser in den naheliegenden Verdacht
der geschftftsmäfiigen Vielschreiberei geriet Dazu gehören z. B. »Hans von
Dornen, des Kronprinxen Kadett«, »Raupenhelm und Pickelhaube«, »Heins,
der Brasilianer«, »Deutschlands Kämpfe in Ostasien», »Rastlos vorwärts«
(Erlebnisse eines jungen Luftschiffers in Europa und Amerika), N'ser-ben-
Abdallah, der Araberfritz, Erlebnisse eines rleutsrhen Knaben unter den
Arabern«, »Kismet Kurt Röders, Erlebnisse eines jungen deutschen Malers
in Ägypten, Palästina und Syrien« — alle mit Karten und Illnstrationen aus-
gestattet »Ml ustm De^Mm*. Während T. in bester Absicht seine Autopsie
zur Belehrung junger Leser zu vorwerten, dort mehr oder minder in die Fufi-
stnjifen von Jules Verne und Karl May trat und mit unerhörten Ereignissen
die hungernde Neugierde fütterte, sammelte er in den vornehm, mit geist-
reichen Croquis von Damenhand (Henny De|>f)ermann) ausgestatteten Reise-
skissen »Aus drei Weltteilen« (Berlin 1898, Verlag des Allgemeinen Vereins
für Deutsche Literatur) eine bunt zusammengewürfelte, ansprechende, oft sehr
anmutende Reihe von Tagebachblittem, Eindrücken (auch in gebundener
Form) aus seinen auf Str»fsflgen in Europa, Asien und Afrika eingeheimsten
Erfahrungen, denn »Reisen erquickt, macht gesimd, lehrt und erzieht?^. Sprung-
haft geht es die Kreuz und Quer vom Kochel- und W'alchensee zur Via rnala^
in den Schloßpark von Berg, zur Walhalla (wo der treffliche Freiherr von
Warsberg einmal, unvorsiditig eingeschlossen, unfreiwillig eine Sommernacht
verbrachte),') vom Nordkap nach Abbazia, auf die Akropolis von Atiien, nach
Amalfi und in die Certosa bei Florenz (wo T. einen alten Garibaldianer als
Mönch gefunden haben will, also ganz ähnlich, wie Adolf Pichler in seiner
herrlichen in Pistoja spielenden Ej^e »/'Vvr Sfrafico<i 1879 berichtet), nach
Verona und die einzige »Piazza dt-rlu " - deren Zauber Adolf Menzel nnd
der leider schon am 24. Dezember 1904 ver^torbene Gustav Baueruicuul mit
farbiger Kunst im Bilde festhielt*) — über Venedig nach Capri (wo
eine Künstlemovelle erzflhlt wird) nach den »Schätzen des Sultans«: ein
reichliches r>PelcmeU^ für literarische Feinschmecker. Dann wendet er sich
nach Alliier, das T. neunmil l)esucht haben will: er schildert die franzosische
Saharabahn, welche der Schlachtenmaler Theodor Horschclt freilich nimmer
erlebte; wie dieser besuchte auch T. die Oase el Kantara und den T>I'um-ts-
Sahara<i (den »Mund der Wüste«, wo Ludwig SchnellerS) eine so denkwürdige
Begegnung erlebte), das farbige Tunis und das Museum Alaom im Bardo,
das Felsennest Constantine, den Jardin d'EssM mit seinen erquicklichen
Brunnen und schönen Frauen; darauf folgt ein Wettrennen von Eseln, Negern,
Kamelen und Pferden in Luxor und ein poetisch angehauchter '»Abend bei
Assuan am ersten Nilkatarakt. In : .\sien berichtet T. vom Auszug der
Mekka-Karawane aus Damaskus, besuchte liaalbek, verlebte einen Morgen
«) Vgl. Alex. Frhr. v. Warsberg (* 30. März 1836, f 28. Mai 1889), Nachgelassene
Sehiiften, Wien 189s und »Allgeineiiic Deutsche Biographie«. 1896, 4t, tSsffl
*) dcs-^en Nekrolog in diesem Jahijguig.
3} Vgl. das lehrreiche Buch »Bit snr S4ihm< von Ludwig Schneller (Leipcig 1905),
S. 52flf.
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Tanenu
»Am Fuße des Hermon« und besichtigte das neuerdings zur kunsthistorischen
Kenntnis gebrachte Pergumon. Dann folgen die zuerst in den »Münchener
Neuesten Nachrichten« publizierten Reisebriefe seiner Fahrt nach Indien usw.
Gleichsam als erweiterte Fortsetzung erschien T.s »Weltreise«, abermals mit
Ulnstfationen der Henny Deppermann (Berlin 1903 im Allgemeinen Verein
fQr Deutsche Literatur). Diesmal wurde fodien eingeliender und auf weiteren
Wegen besucht, auch China und Japan. In Tokio sah er den Einzug des
Kaisers, fuhr nach Nikko und an den Chuzenji-Sce, welcher unseren Bericht-
erstatter ganz an den baiwarischen Walchensee mit dem UrfeUl-Ciasthaus und
den obligaten Saiblingen erinnerte; in Yokohama erlebte T. ein Erdbeben,
aacfa tanzte er auf einem flotten Ball. Die Ansichten des Reisenden Ober
die Charaktereigenschaften der Japaner — T. machte allerlei, nicht immer
angenehme Erfahrungen über den Hochmut und die Unwissenheit der dorti-
gen Beamten — mögen sich seit tqo2 wohl rektifiziert haben; (l;igege!i rühmt
er das Ansehen, welrlies die deutschen Kaufleute in .Asien gcniclien. Die
Reinlichkeit und Tapferkeit der Japaner wird gelobt und ihr praktischer Sinn
und Fleiß; Yokohama war vor fünfzig Jahren noch ein versumpftes Fischer-
dorf, nun eine blühende Handelsstadt mit 200 000 Einwohnern. Wie würde
erst heute sein Urteil lauten! Die darauf folgende Fahrt nach Amerika, über
den '>stillen Ozean*', der gerade in stürmischer T.aune, den schroffsten Gegen-
satz seines Namens bildete, war mehr als uneniuicklich. In Kalifornien wurde
der in der Heimat als Alpinist wenig bekannte T., stehend auf einer in das
Yosemite-Tal hinausragenden 1443 Meter hohen Steinplatte auf dem schönsten
Aussichtspunkt über den GhtUr JPrini photographicrt ; eine Kopie davon ist
seinem Buche beigegeben. Dafi er unter den Niagarafällen eine Promenade
machte, ist selbstverständlich. — Während ihn die landschaftliche Grofiartig-
keit entzückte, ist er weniger von den Amerikanern erbaut. Die Rückreise
und Heimkehr bietet gerade nichts Neues. 1'. sieht vorwiegend mit dem
Auge des Poeten und Malers, des Naturfreundes und Ethnographen — bis-
weilen dilettiert er sich in die frühere historische Vergangenheit zurück,
kommt aber über Hackländer, Gerstäcker und Hesse-Wartegg nicht hinaus.
Damit war sein Prognunm erschöpft. Ein projektiertes Buch über Italien,
Spanien, Portugal, Norwegen blieb er uns schuldig, kaum zum Schaden der
Leser. "Clfnr />()ssr ticttio oMixaft/r'-i . Seine in unmittelbarer Frische erzählten
Kriegserlebnisse liatten ihm einen Namen gemacht; von der (Gegenwart über
anderen Erscheinungen schon wieder vergessen und später vielleicht wieder
ausgegraben zur wärmeren Ergänzung der lapidaren Geschichte gewann T.
einen Namen, welcher den auf das touristische Gebiet übersiedelnden Autor
begleitete; aber derselbe war hier ohne alle wissenschaftliche Vorbildung
ausgezogen, keines bestimmten Faches Meister oder auch nur beiläufiger
Kenner, nur als y>tr(ivellcr<*^ mit dem roten Bädeker, um auch mal nett darüber
plaudern und erzählen zu können. Eine gewisse Reisemüdigkeit bemächtigte
sich des immer zu weiteren Radien ausfliegenden Wanderers. Er war, ob-
wohl immer noch frisch, aber doch nicht mehr neu genug, die Leser anzu-
regen und zu unterhalten. Ein echter Globetrotter. Hatte er doch, wie er
beinahe wehmütig klagt, alles gesehen. T. »fuhr oftmals durch d^ Suez-
kanal, durchwanderte Sizilien, kannte Genua von außen und innen, war
dutzendmale in Neapel, in Paris, Algier, hatte die Alpen nach allen Seiten
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70
Tanen. Zettel.
kennen gelernt, den Atlas, den T-ih.inon und asiatischen Olymp, sah die Ge-
birge Norwegens in fast allen Tcden des Landes, dann 1897 die Himalaya-
gruppe vom Gaurisankar (Afoimi Evercst) über den Kanchinjanga bis zum
Donkia und Qiumalari, hatte auf dem leizenden, von den Engländern 1835
gegründeten Kurort Darjeeling Luft gekneipt, alle Menschenschattiemngen
beschaut, sogar die häßlichen zur mongolisch-tartarischen Familie gehörigen
Bhutias, die aus Nepal, Sikkim und Tibet stammenden I.epchas und Limbus,
arme Leute, aber immer heiter, zufrieden und fröhlich, »weil es dort keine
Tiger mehr gibt, dafür aber — die wunderbarste Aussieht ; erst wie ein
*pevero pittorc*^ der jede Lira sechsmal umdreht — und dann als Sybarit,
»Erstklassiker in Bahn, Schiff and H6tel«. Und das alles dankte T., wie er
in seiner »Weltreise« (1903 S. 349) ruhmredig veikflndet, einsig — »seiner
Feder». Und «war ohne Vaudeville- Lustspiele oder Tragödien geliefert zu
haben — auch mit Nekrologen befaßte er sich niemals! Doch betätigte er
sich auch journalistisch und durch Wanrlervorträge, wozu er von allen Seiten
wetteifernde Einladungen erhielt, wie ehedem auch Karl Stielen Er trug
dann unermüdlich seine Erzeugnisse und Erlebnisse vor, immer in neuer
Form, als wftre die Buchdnickerkunst noch nicht erfunden. Ein übrigens an
die Zeit der Minstreis erinnernder modemer Modus. Auf einer solchen Fahrt
nach Lindau, wo T. über seinen Ritt durch die Mandschurei »▼ ertr agen«
wollte, berührte den Rastlosen ein Schlaganfall, man fand ihn sprach- und
bewußtlos im Coupe. Zu Lindau veratmete er trotz aller ärztlichen Kunst.
Feierlichst und unter militärischen Ehren und patriotischen Deputationen
wurde der Sarg von der Inselstadt nach St Gallen zur Feuerbestattung ge-
bracht und, nach einer nicht unglaublichen Version, die Aschenume still im
Stambergcrsee versenkt! — Seine Ehe mit Johanna Junge blieb kinderlos. Er
war eine schöne, würdevolle, selbstbewußte Erscheinung, ein Selfmademan mit
dem ganzen Aplomb eines literarischen Parvenü. Er gab sich, gleich Franz
Dingclstedt, im Bewußtsein seines Wertes mit huldvollem HerabUissen, wie
ein mediatisierter Fürst. Daß er am Starnbergersee unter seinem indischen
Tropenhelm prunkte, gehOrt zur Vervollständigung des Porträts. Hatte denn
auch ehedem Emanuel Geibel an die übrigen »Zwanglosen« das Ansinnen
gestellt, sich bei seinem Eintritt fn den Saal von ihren Sitzen zu erhebenl
T.s letzte Arbeit behandelte den > Russisrli-jn[>anisrheii Kampf um die Vor-
herrschaft im Ostent »ind zwar »Das Vorgehen der Jajjaner gegen Port Arthur
und die Besetzung von Korea« (Lahr in Baden bei (iroß und Schauenburg)
mit Illustrationen von £. Zimmer und dem Portrait des inzwischen versto^
benen Verfassers; die Fortsetzung ist einer berufenen Feder anvertraut
Zettel, Karl, Prof. Dr., Dichter, ♦ 32. April i8^t in Miinrlien, + 30. De-
zember 1004 ebendaselbst. — Als der Sohn schlichter Bürgersleute, welche
das Gewerbe von Hans Sachs' Eltern, die bekanntlich keine Schuhmacher waren,
ausQbten, kam Z. zum Studium, absolvierte Lateinsdiule und C^rmnasinm mit
erster Note, trieb philosophische Studien an der Universität, bei dem später
noch mit dankbarster Erinnerung gefeierten Ernst von Lasaulx, welcher ihm
die innere Schönheit der .Antike gründlichst erschloß, und verlegte sich bei
Thiersch, Spengel und Prantl ganz auf die klassische Philologie, in deren
Hyac. Holland.
Zcttd.
71
grammatikalische Tricks Z. seminaristisch eingedrillt wurde — ein \'erfahren,
welches ihm um so weniger genügte, als der junge Poet damals schon seine
Schwingen zu erproben Tenuchte. Indefl bestand der angebende, zeitweise
anch sehr sarkastisdie Lyriker, glfickhaft das Staatsexamen, durchkostete, da
der üppige Vorrat von Lehramtsaspiranten genügend Zeit bot, die Sfifiigkeiten
eines hofmeisterlichen Pädagogen, bis er als Assistent (1856) und Studien-
lehrer (1859) am Gymnasium zu Eichstätt die ersehnte Verwendung fand.
Erst 1870 erfolgte die lang gewünschte Cbersiedclung nach München, worauf
Z. 187 1 zum Professor für deutsche Sprache und Literatur an das Real-
gymnasium nach Regensbnrg befördert und durch Aufhebung dieser Anstalt
zum Professor am neuen humanistischen Gymnasium daselbst ernannt wurde.
Dort entwickelte der fleißige und ehrgeizige Mann eine vielseitige Tätigkeit,
bis ihm ein schweres, chronisches Leiden die erbetene Pensionierung 1886
mit dem Ausdruck der alleriiöchsten Anerkennung brachte. Als Kachschrift-
steller beschäftigte sich Z. an den 1864 von Wolfgang Bauer (f 31- Dezember
1880) begründeten »Blättern für das bayerische Gymnasialschulwesen«, schrieb
1864 ein heute noch beachtenswertes Programm »Uber Pflege des mtodlichen
Vortrags« und publizierte über seinen Lieblingsschriftsteller die Abhandlung
^Quaestionum Theocriteatum specimen* (1867), welche durch das Elaborat üb e
»Theokrits Humor« in dessen mimischen und bukolischen Dichtungen (1883)
eine Fortsetzung erhielt, nachdem er schon 1856 mit einem Programm über
»Hippokrates« diese literar-historische Balm betreten hatte. Als gewiegter
Praktiker verfaflte Z. viel&che Lehr- und Musterbücher, als erwünschtes Hand>
material für Sdiulen, darunter ein in sechs Auflagen (187 1 — 84) bewährtes
»Deutsches Lesebuch« (1892 umgearbeitet von Job. Nicklas) und die »Dekla-
mationsstücke für Mittelschulen« (1887 und 1898) und bearbeitete Alexander
Schöppners handsame allgemeine »Literaturkunde« (1888 und iSqq in 5. und
6. Aufl.). Einen länger bleibenden Namen errang Z. durch seine lyrischen
Dichtungen, welche, mit einer kurzen Einleitung von Hermann Lingg ausge-
stattet, unter dem Titel »Ente Klänge« (Eichstätt und Stuttgart 1869) in die
Welt traten und seitdem in fQnf immer umgearbeiteten und vermehrten Auf-
lagen si^ gründlich Bahn brachen. Seine schwungvolle Diktion, die strenge
Formgebung und Reinheit des Reimes dienen dem wirklich edlen Inhalt zur
glänzenden Folie. Z. hat sich, an Geibel, Lingg, Rücken unti zuletzt auch
an Scheffels Vorbild gründlich geschult, auüerdeni vielfach als feinenipfmden-
der Nachdichter und Übersetzer (insbesondere mit Jacob Baldes kunstreichen
Oden) sattsam ab bügelfester Reiter sdnes Pegasus bewahrt, auf welchem ihm
der Au&tieg nach höheren Regionen immer gelang. Weichliche Sentimentali-
tät lag ihm, wie seinem vielfach geistverwandten Freunde Johannes Schrott
(vgl. Biocrraph. Jahrbuch V., Jahrg. 1900, S. 51), trotz der beide gleich aus-
zeichnenden zartesten Ein[)tin(lung, ferne. Weltschmerz und höhnische
Frivolität kennt keiner von beiden, ebenso wenig die aus dem Innersten
jubelnde Freude. Das Minnelied bringt bei Z. nur treue, sehnsüchtige Er-
innerung; hier ist sein Repertoire eng begrenst. Seine heiligsten Emp-
findungen begrub er stumm in tiefster Seele. Dafür quillt aus dem vollen
Herzen ungekünstelt sein, das dcutsrhc Vaterland und die engere Heimat
^■arni umschließender, klar um! crfn-^c licnd auf>|)rudeln(ler Patriotismus: Ein
ganzer, echter Mann, voll Würde, Ernst und Feuer. Bei allen Trauer-, Feier-
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72
Zettd.
und Freudentagen ist semc Lyra immer wohlgestiinnit, sie klingt bei Ehren-
festen zum Ruhme der besten Namen von Tondichtern, Poeten, Künstlern
und Staatsbaumeistera. Bei der dritten Säkularfeier der Wfirsburger »aima
wktter Julia* stellt er sich grOflend ein und bei dem vierhonder^&hrigen Be-
stehen der Ingolstädter-Landshuter- Münchener Universität wählte er die
Maske eines Scholaren aus der Zeit der (Iründung und imitiert in Ton und
Sprache einen schul kisrhen Bursen-Stil. Alle diese Bühnenprologc, Becher-
und Tafclrcdcn, sind mit reichem (ieflankeniifh;i!t schwer befrachtet: »Tief-
simiig sucht er die Kätselworte der Weit und Weltgeschichte auszusprechen,
die Göttersagen des Nordens philosophisch im modernen Geiste zu deuten,
gewisse Erscheinungen der Völkergeschichte von den urftltesten Anfängen der
Überlieferung bis auf die jüngsten Tage, von der Scheidung der Noachiden
in sprachlich und räumlich getrennte Stämme, bis auf den 'Vod Livingstones,
poetisch auszumalen. So regt in ihm auch die gesamte Natur, wenn er sie
reisend durchstreift, ihre Reize enthüllt, mehr weittragende Gedanken als
gewaltige Empfindungen an.« Aber auch heiteren Stimmungen wird Z. ge-
recht. Die »lachenden Bilder aus dem alten Hellas« liegen ihm handsam,
so dafi die Muse des Humors mitunter ihr Schellenhaupt klingen läfit. Von
den »Liedern sind vielleicht die am besten gelungen, welche aus der An-
schauung lind Vorstellung fremder X'ölkerschaften herausgedichtet sind, wie
der »JapanesciUischersang , das > Russische Husarenlied«, der »Tscherk essen-
ruf«, und ähnliche, wobei er sich mit Bodenstedt und Graf Schack, weniger
mit Freiligrath berührt
Z.S kleines Epos »Gela, ein Sang von Kaiser Roä>arts Lieb«, erhielt
1877— 1891 vier Auflagen (letztere bei Greiner und Pfeiffer in Stuttgart, mit
Bildern von E. Klein in schöner typographischer Ausstattung), erreicht zwar
nicht den hinreißenden Fluß von Kinkels ( )tto der Schütz«, ist aber in der
Originalität der Krtindung seinem Vorbild ebenbürtig an echter Düsseldorf er-
Komantik.
Eine andere, sehr vielseitige, freilich auf selbsteigenes Schaffen verzichtende
Tätigkeit entfaltete Z. durch seine lyrischen Mustersammlungen und Schats-
kSstchen der deutschen Lyrik, die er fortwährend ergänzend aus. den Er-
zeugnissen und Schöpfungen seiner jüngsten Zeitgenossen zusammentrug. Er
scheute keine Mühen und Kosten, korros|)on(liertc nach allen Seiten, um auch
von (len neuesten Poeten solche Klenujde zusammenzubringen. Diese Antho-
logien erfuhren durch die Gunst des dankbaren Publikums eine vordem uner-
hörte Fälle von Auflagen. Seine durch Illustrationen und Ausstattung zu wahren
Prachtbänden gestalteten, immer wieder vermehrten Bächer>EdeIwei0« (47. Aufl.)>
«Ich denke Dein^' 14 ^ Aufl.), »Frühlingsgrüße« (44. Aufl.), »Haideröslein«
(30. Aufl.), In zarte l'rauenhand« (13. .\uf1.) drangen in tausenden und tausen-
den von K.xcinplaren in die weitc-tcn Kreise. Als poetisches Gedenkbuch zur
Feier des siebenhundertjährigen Jubiläums des bayerischen Herrscherhauses
publizierte Z. mit seinen Freunden das »Wittelsbacher Album« (1886), welchem
1895 in gleich prächtiger Leistung, unter Mitwiricung von Felix Dahn,
M. Ehrmann, Martin Greif, ]. Hecher, Maximilian Schmidt, A. Steinberger,
Karl Tanera, Kr. Teicher und F. Wilferth das von V.. Zimmer illustrierte
»Bayern — unser Panier« folgte: Eine Sammlung von Dii htungen, Frzählungen,
kulturhistorischen und geschichtlichen Schilderungen. Während seines Regens-
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Zettel.
73
burger Aufenthaltes hatte Z. mit Franz Xaver Seidel eine »Literarische Ver-
einigung« gegründet, eine poetische Tafelrunde, aus deren Beiträgen ein »Aus
schöner Zeit« betiteltes Gedenkbuch cur Feier des t$, Stiftungsjahres erschien
(1885), nachdem Z. allerlei Isrrische Einfälle und Humoresken als »Lachende
Bilder« (187 1) zur Erheiterung und Erbauung« verarbeitet hatte. Ähnlichen
Zwecken dienten die »Monarensia" (1S05, 1897 und 1904 in t, T^ändrhen)
mit selbsieigenen, auf allerlei Strcit/,ii<fen aus Alt- und Jungniijnchen ge-
sammelten kleinen historischen i^.ruinerungen und Erlebnissen. Es sind an-
siehende Stinuttungen and leichte Umrisse, eine wahre Blau -Weifl- Ans-
stellang in Prosa und Versen. Im leichten Bummel der Erzfthlung berichtet
Z. aus jener der Gründung von München voriiergehenden Urzeit; wie die
Zünfte durch ihre den Herzögen geleisteten treuen Dienste allerlei Privilegien
und Hannerrechte erwarben, vom Einzug Kaiser Karl V. zu München (1530),
über den im XVI. Säculum florierenden 'Lateinischen Schulmeister« Lorenz
Kastner, ein Meer- und Weltwunder seiner Zeit an Gclahrtheit und Reinikunst;
über die erste Aufführung der »Emilia Galotti« 1 773 zu München, die alten Jahr^
mArkte und »Dulten« (ein übrigens ganz altdeutsches, als duips für Fest und
Jahrmarkt schon dem westgotischen Hibelübersetzer Ulfilas geläufiges Wort),
über Künstlerloos und Dichterschicksale, Kamevalstreilien usw. Das letzte nach
Z.s Ableben edierte Handchen — in seiner Weise auch ein Mcmoirf d'oiitre
tofttbe'^^ — erzählt von ilen früheren Münchener Hotburgen und Residenzen,
alten »Kleiderordnungen «, von dem neuerdings wieder ausgegrabenen und
durch Professor Sandberger zu verdienten Ehren gebrachten Tonkünstler
Ludwig SenfEl, der am Hofe Wilhelm IV., damals als ein »m mmica /Mwr
Gemumiae primeps* galt; wie die alten ehrsamen Ratsherren auf einmal gar
dem Sport der Schlittenfahrten fröhnten; von früheren Brunnen und Bade-
anstalten, Lebensmitteltalschung und deren X'erpünung; von der »hochnot-
peinliclien Justiz-Malefiz- und Huisgerichtsordnung«, von Hexen, Truden- und
Spukgeschichten, Friedhöfen und Begräbnissen, dann biographische Skizzen
von neueren Zeitg«iossen, wie Franz von Kobell, dem anziehenden 'Ästhetiker
Ernst von Lasaulx, die durch Schwinds Zeichnungen in der jüni^st edierten
»Lachner-Rolle«! gefeierte hellstimmige Nachtigall Hetznecker-Mangstl, die
Heroine Clara Zicgler und unzählige andere, eine wahre Fundgrul>e und
Trödelbude von bunt.scheckiu aneinander geflickten Erinnerungen. Leider trieb
Z. keinen systematischen Erzbau, er schürfte sein kulturhistorisches Metall
nicht aus den unterirdischen Stollen und Bergteufen der Archive und Grund-
bücher, sondern verhftmmerte nur, was er gelegentlich am Wege fand.
Z. schreibt bei ruhiger Tagbeleuchtung der Sprache, während der viel besser
beschlagene, tieferdringende Franz Trautmann (181 5 — 1887) in einem furcht-
bar geschraubten, schwerfällig gedrechselten, angeblich chronikalen Ton seine
geduldigen Leser erfreute und niiühandelte. Z.s weitzerstreute ästhetische
Abhandlungen und Essais, z. B. über W' alters von der Vogelweide Frauensang,
Lenau, Scheffel, Eichendorff, Lingg usw. wftren wohl noch einer Sammlung
wert Im Manuskript hinterliefl Z. eine Kollektion über »Das klassische
Altertum im Spiegel deutscher Dichtung«, also wohl das Material zu einer
neuen Anthologie.
Z. war kein bahnbrechender Dichter, der den ()riginalstemi)el der Sprache
wie Platen, Kückert oder Chamisso u. a. seinen Erzeugnissen aufprägt. Er
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Zettd. Seidd.
sang mit seiner verfügbaren Stimme laut und erkennbar genug im Chor des
deutschen Dichterwaldes; das wohllautende musikalische Element seiner sub-
jektiven Kans^ das Cantabile seiner Muse, veranlaSte manchen Tondidit^,
seinen Versen neue Schwungkraft zu verleihen. Er wurde mehrfach kompo-
niert und lebt auch auf den bekannten Flügeln des Gesanges weiter. Für
Max Winkler (Komponist und Musikprofessor, * lo. März 1810 zu Günzhurg
an der Donau; f 20. Juni 1884 zu Rosenheim) lieferte Z. den Opemtcxt zur
»Meister-Probe«. — Z.s prägnanter Kopf wurde mehrfach gemalt, auch gute
Photographien überlieferten uns seine treuherzigen Züge, die der geistreiche
Bildhauer Frans Schneider in einer prachtvoll und vetstindnisinnig durch-
gebildeten lebensgroßen Marmorbfiste auf der Münchener Kunstausstellung
des Jahres 1893 verewigte. König Ludwig II. dekorierte ihn 1877 mit der
Medaille für Kunst und Wissenschaft, die Universität Tübingen verlieh ihm
1881 den Doktorhut, das Frankfurter Freie Deutsche Hochstift erhol» ihn
zum Ehrenmitglied. Sein 70. Geburtstag bot den zahlreichen Freunden
erwünschten Anlafi zu einer feieriichen Ovation.
Vgl. Ttaaz Muncker in BeQage 117 nur »Allgemeinen Zeitaagc a8. April 1886 (Zur
neuesten deutschen Lyrik), Nr. 187. MUnchcner »Neueste Nachrichten« 23. April 1901 and
den Nachruf ebendaselbst in Nr. 156 vom z, April 1904. Frans Brümmer, Lexikon. 4. Aufl.
IV, 410. Hyac. Holland.
Seidel, August, Landschaftsmaler, * 5. Oktober 1820 zu München,
t 3. September 1904 ebendaselbst. — Als echtes Mündiener Kind war S.
unter der Anregung seines älteren Bruders Franz (welcher, geboren 1818,
nach langer Krankheit und trauriger Verdämmening 14. Juni 1903 aus dem
Leben schied) die Scliiniheit der altbayerischen Lande mit ihren Wäldern
und Bergen aufgegangen. Eigentlich war es der Zittauer Albert Zimmer-
mann (♦ 20. September 1809, f 18. Oktober 1888 in München. Vgl. Allgem.
Deutsche Biographie 1890, 45, 248 — 251) mit seinen Brüdern Max {* 7. Juli
181 1 zu 'Zittau, f 30. Dezember 1878 in München. Vgl. ebendas.) und
Richard (* 2. März i8ao zu Zittau, f 4. Februar 1875. Vgl. ebendas.),
welche da.s südlich von der Donau gelegene und von den nördlichen
Alpen begrenzte Vorland entdeckten und zu Ehren brachten — längst vor
Eduard Sc hleich (1812 — 1874) und den erst in neuerer Zeit nachfolgenden
»Dachauern«. Mit heiteren, gleichgestimmten Genossen und Scholaren,
wovon noch heute der liebenswürdige Tiermaler Ludwig Foltz (* 28. April
1825 zu Augsburg) erzfihlen kann, siedelten sich die »Zimmerleute«, wie
damals die treu verbundenen Brüder benannt wurden, in den schön ge-
legenen, zu wahren Aussichtspunkten dienenden Dörfern von Eberfing und
dem altehrwürdigen Polling fest, malten wetteifernfl nach der freien Natur
ihre Studien, schwelgend im hellen Glast des Sonnenlichtes, in poetischen
Stimmungen, in der entzückenden Harmonie von Farbenzauber und Schön-
heit der in blauer Feme verlaufenden Bergzügel Neidlos unterdnander, einig
im begeisterten Schaffen, bevölkerten sie die damals noch mageren Säle des
kurz vorher gegründeten Münchener Kunstvereins und brachten ihre ehrlichen
Namen bald zur weiteren Kenntnis des übrigen deutschen Vaterlandes.
Manchem glückte es auch, darüber hinaus bekannt zu werden, obwohl der
Kunsthandel noch als ein ziemlich unmündiges Kindlein in der Wiege
ScideL
75
träumte. Außer Hochwind, Wimmer (nachmals Humplmayr), den Italienern
Restalino und Bolgiano, wozu noch der Hofjuwelier Trautmann gehörte, be-
faßte sich niemand mit Bilderhandel; die Maler und Künstler galten über-
haupt für »Hungerleider«. Auch die damals die öffentliche Meinung bear«
beitenden, sich vorsichtig hervorwagenden Kritiker in den Stuttgarter und in
den späteren Berliner Kunstblftttem, in der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«,
sogar auch in Lfitsows »Zeitschrift«, begannen die Brüder Seidel in warme
Affektion zu nehmen, um so williger, als August Seidel auch gelegentlich
zur Feder griff und mit kollegialer Freundlichkeit vielen warkeni abtretenden
iieitgenossen die verdiente Palme oder einen echten Eichenkranz auf den
frühen Hügel legte. Wie schüchtern und mit gründlich-sorgfältiger Erw ägung
man damals solch einen Nachruf ausklQgeltel
Vom Fichtelgebirge bis zum Kochelsee, von Gastein und dem Zillertal
bis an das schwäbische Meer, mit beiläufigen Abstechern nach der Ostsee
und Berlin oder dem Dachauer Moos, reichte August Seidels Domäne, von
wo er seine Stoffe einheimste. Fr liebte den mit goldenen Strahlen umsäum-
ten, am frühen Morgen von Wassern umspielten jungen Birkenwald; den
zitternden Sonnenglanz des Mittags; die schwellende moosige Haide mit den
in weiter Feme aufi>Iauenden Alpen; den feu-bigen Zauber des Herbsteäs oder
hochsommerliche Gewitterbildung, mit schwankenden, hochbeladenen Ernte-
wagen staffiert. Er war ein Dichter in Stimmungsbildern wie Adalbert
Stifter, welchen er vermutlich gar nicht kannte. Auch die seine Vaterstadt
umrahmenden isarauen und der Englische Garten daselbst boten abwechs-
lungsreiche Ausbeute. Kurz, die »intime Landschaft«, die lange schon reich-
lich in Bildern zur Darstellung kam, ehe dieser spftter erst entdeckte und
seitdem bis zum Überdnifl mißbrauchte technische ttrminus durch den Kunst-
skribenten A. Teichlein (1820 — 1879) bei uns aus Frankreich importiert und
mundgerecht wurde. — Dann folgte aber nebenbei für Seidel noch ein an-
derer S|>ort: Kr reagierte auf die neuere bcIt^Msch-französische Schule « und
schuf in ihrer clair-obscuren Methode landschattliche Extemporale aus dem
Abhub seiner Palette, ganz k la Charles Francois Daubigny und Jean Bap-
tiste Camille Corot, keine Falsifikate, sondern vergnttgliche Herzensnach-
empfindungen ihrer Lucubrationen. Es erging ihm dabei, wie dem wackem
Heinrich ßürkel, welcher sich einst hinreißen ließ, nach Vorgang der Düs.sel-
dorfer ein — Wüstenbild aus der Sahara in feinster, hinreißender Stimmung
zu konstruieren. Als eine Fordschaft dasselbe »d taut prix -^ erstehen wollte,
sagte der ehrliche Maler: er sei nie über Italien hinausgekommen. Der
begeisterte K&ufer verschwand und das Bild blieb über Bürkels Atelier-
tttre hingen Ein älterer »Corot« dieser Art von Seidel ziert heute noch
meine kleine Kollektion, immer bewundert und der Besitzer darob be-
neidet. Eine andere, näher liegende Seite S.s war: Er hatte das alte München
mit seinen täglich mehr verschwindenden malerischen Winkelchen ins Herz
geschlossen. Wie ehedem schon der höchst vielseitige Johann Georg von
Dillis (1739 — 1^41) dessen hierauf bezüglicher Nachlafl durch Dr. Karl
Trautmanns Betreiben glücklich in den Besitz des Historischen Vereins von
Oberbayem gelangte), und der zeitlebens nie nach Verdienst beachtete Carl
August Lebsch^e (1800—1877) die früheren Tore, Türme und Festungswerke,
das wimmehide Strafiengewirr in treuer Erinnerung festhielten und in
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76
SeideL Schimnachcr.
ihre Mappen bannten, so warf auch Seidel sein Künstleraugc und zwar
bei aller Wahrheit doch ohne jede V'edutenhaftigkeit auf die Physiognomie
des früheren kleinbürgerlichen Stadtbildes. Dazu gehörten beispielsweise
die kleinen, den echten Philister so anheimelnden, jetzt ganz verschoUenen
Wirtschaften, Gastgeber und »Herbergen« (wo oft viele Familien unter
einem Dache auf ihrem eigenen C^ndbesitz saßen), die Tagwerker- und
Wäscherinnen - Häuschen in den jetzt ganz abrasierten ehemaligen »Vor-
städten«, und die letzten jener erquicklichen »Hier- Keller wo die Halle
so schmucklos, der Garten so schattig und der »Stoff e noch so billig und
gut war, die keiner rauschenden »Konzerte« bedurften, um ihre Staimn-
gflste anzuziehen und festzuhalten. Über zweihundert solcher, jetzt ganz
kulturhistorischer Blätter zeichnete Seidel für die umfangreiche Kollektion
»Monacensia«' des Regierungsrates und Gutsbesitzers Philipp Pfister (f 4. No-
vember i8Sq), aus welcher Otto Aufleger und Karl Trautmann in ihrem
quellcnmäliigcn Prachtwerk »Altnuinchen in Hihi und Wort (i8c)8) eine Aus-
wahl reproduzierten und schilderten. So schlicht, gemutvoll und so ganz
erfQllt von Liebe zu ihrem Gegenstande hat aufier Karl Spitzweg kein anderer
derartiges geschaffen. Als Künstler blieb S. bis in seine letzten Jahre frisdi
und tätig; ein »ächter Seidel« übte immer seine Zugkraft; auch famd er einen
stillen Mäcen, welcher immer noch neue Bilder bestellte, der nur die ge-
wünschten Leinwandformatc sendete, aber die Wahl der Stoffe völlig dem
Maler überließ. Der Impresario machte kein schlechtes Geschäft nach
Amerika, der Lohn für den Maler war freilich bescheiden, wie überhaupt
der ganze Mann, aber viele Bächlein bilden doch auch einen Flufi. — Seine
Kinder bereiteten ihm nur Freude. Eine hochgebildete Tochter schuf sich
als Erzieherin im Ausland eine geachtete Stellung, sein Sohn als Okonomierat
und Rentenverwalter eines Gutsbesitzers. — Bei S.s Begräbnis zeigte sich, daß
der Künstler den jimgeren Kollegen in guter Erinnerung stand: Sie erwiesen
ihm mit zahlreichem Geleite die letzte Ehre. Aus seinem Nachlaß e^v^•arb
der Prinzregent einen aus letzter Zeit stammenden, sein Gespann kraftvoll
über die harten Ackerschollen lenkenden, in Farbe und Zeichnung gleich
vortrefflichen »Pflüger«. Wohl dem Maler, der sich so wacker bewährt bis
zum Ende.
Vgl. Nr. 40a »Allgem. Ztg.« 4. September 1904. Fr. t. Btttticher 1901, II. 726.
Hyac. Holland.
Schimnacher, Friedrieh Wilhelm, ordentiicher Professor der Geschichte
an der Universität Rostock, * 38. April 1824 zu Danzig, f 11. Juni 1904 zu
Rostock. — Sch.s Vater war in Danzig Oberlehrer an der städtischen Petri-
schule. Da die Mutter früh gestorben war, wurde der Knabe bis zu seinem
achten Jahr in Breslau bei den Großeltern erzogen, kam dann auf die Petri-
schule und tlarauf auf das Gymnasium seiner Heimatstadt, wo er 1845
Reifeprüfung bestand. Darauf studierte er in Berlin vornehmlich Geschidite.
Ranke trat ihm dort von anfong an nfther, und S. gehörte immer zu seinen
ausgewählten Schülern und Freunden. Aufier Ranke hOrte er die Historiker
Siegfried Hirsch, Adolf Schmidt, Gneist und Geizer, sowie die Philosophen
Trendelenburg und Werder. Nach einem Jahre bezog er die l'niversität
Bonn und war hier Schüler von Urlichs, Dahlmann, Ernst Moritz Arndt,
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Sduimadier.
77
Loebell, Aschbach und Welcker. Nach zwei Semestern kehrte er nach Berlin
zurück und hörte auiier den dort schon Genannten den Phih^logen Boeckh,
den Historiker Köpke und den Geographen Ritter. Am 2. Dezember 1848
bestand er die Doktorprüfung und war nach bestandener Staatsprüfung von
Michaelis 1849 '^54 unter Direktor Bonnell am Friedricb-Werderachen
Gymnasium tätig. Darauf wurde er an die Rittcrakademie Liegnitz unter
Direktor Stechow berufen und von hier 1866 als ordentlicher Professor der
Geschichte an die Universität Rostork. Hier, wo er, nachdem er in Liegnitz
Witwer geworden, ein neues Familienglück fand, ist er dann bis zu seinem
Tode geblieben. 38 Jahre lang hat er in Rostock als einziger ordentlicher
Professor das weite Gebiet der Geschichte vertreten, bis ihm in den letzten
Jahren ein Privatdozent zur Seite trat. Daneben war er lange Jahre hindurch
der Reihe nach IL, L und Ober-Bibliothekar der Universitätsbibliothek, ge-
hörte auch der Prüfungskommission für das Lehramt an höheren Schulen an.
Er bekleidete auch das Rektorat der rnivt-rsitat, — Was S.s Publikationen
anbelangt, so lautet seine Dissertation: Commcntarü de rebus a Johanne rege
Bakemiae gesHs, In Liegnitz lieft er in den Jahren 1859 bis 1865 in vier
Bftnden seinen »Kaiser Friedrich II.« erscheinen, der ihm den Preis der Göt-
tinger Wedekind-Stiftung und den Ruf nach Rostock verschaffte, und begann
<iie Herausgabe des Urkundenbuchs fier Stadt Liegnitz und ihres Wei( hbildes
bis zum Jahre 1455, ein Werk, das er 1866 in Rostock bcLMidete. An das-
selbe schließt sich an '>Ambrosius Hitschen, der Stadtschreiber von Liegnitz,
und der Liegnitzer Lehnsstreit«. In Rostock ließ er 1871 »Die letzten Hohen-
staufen (Manfred, Konrad IV., Konradin)« und »Albert von Possemfinster,
genannt der Böhme« erscheinen. 1874 frtfite er »Friedrich II.« und »Die
letzten Hohenstaufen« nochmals kQrzer zusammen für die »Deutsche National-
bibliothek«. Mit den Studien über die Hohenstaufen hängt auch die S( hrift
»Die Kntstehung des Kurfürstenkollegiums < (1H74) zusammen. Mit der Her-
ausgabe seiner »Briefe und Akten zur Geschichte des Religionsgesprächs zu
Marburg 1529 und des Augsburger Reichstages 1530« (1876) betrat er das
€rebiet der Reformationsgeschichte. Hierher gehört auch sein mit auf
Wunsch des Großherzogs Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin ge-
schriebenes zweibändiges Werk »Johann Albrecht L, Herzog von Mecklenburg.«
(1885). mecklenburgischen Geschichte, über die er aber niemals gelesen
hat, dienen noch die in seinem historischen Seminar entstandenen Beiträge
zur Geschichte Mecklenburgs, vornehmlich im 13. und 14. Jahrhundert die
er 187 z und 1875 herausgab. Daneben aber hatte er sich spanischen For-
schungen zugewendet, und so erschien 1881 der I. Band seiner Geschichte
von Spanien in der Heeren-Ukertschen Sammlung, der mit dem 12. Jahr-
hundert beginnt; 1800 bis 1902 folgten Hand II l)is IV, wehhe die spanische
Geschichte bis i-;i6 fortführten. S. wollte sein Werk abschließen mit der
Herausgabe von Spaniens Geschichtsquellen vom 12. bis zum 16. Jahrhundert,
ist aber nicht mehr dazu gekommen. Ebenso liegt es mit einer Untersuchung
über den vielgesuchten Verfosser der Vito Henrm IV. imperaiimSf mit einer
Arbeit über die Geschichte der Klosterkirche zum Heiligen Kreuz in Rostock
und mit den Aufzeichnungen seiner Lebenserinnerungen. Eine Reihe von
Vorträgen und Reden hat vr absi< htiich nicht drucken lassen, während aus
seiner Berliner Lehrerzeit ein gedruckter Vortrag Ȇber Bentleys Predigten
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7«
SduRmadier. KiicUioff. Woltendoif.
gegen den Atheismus« vorliegt, den er anläßlich des Falles Ladenburg neu
herausgeben wollte. Endlich hat er in den sechziger Jahren mehrere von
ihm wesenüich veränderte Ausgaben der t. Seydlitischen Schulgeographie
heratt8gegd>en. — Mit S. ist einer der letzten Schüler und Freunde Rankes
dahingegangen, der auch vollständig an der Geschichtsauffassung seines ver*
ehrten Meisters festhielt. Bis in die letzte Zeit seines Lebens hatte »der
alte Schirrmacher« sich eine staunenswerte Arbeitsfreudigkeit und Rüstigkeit
bewahrt, was sich besonders an seinem 80. Cieburtstage zeigte. Bald darauf
aber wurde er nach kurzer Krankheit hinweggenommen.
Nadi Mitteilangen de« Sohnn Oberlehrer Dr. B. Schiinnadier in Hambofg. Nekrolog
in der Hiftorisdien Vteiteljalimchrift, Bd. III (1904)« A. Vorberg.
Kirchhoff, Gustav, Jurist und Historiker, ♦ 18. Juli 1828 in Grimmen bei
Greifswald, f 4. April 1904 in Locarno. — Sohn des Bürgermeisters seines
Geburtsortes Dr. Joh. Heinr. Wilhelm Kirchhoff, besuchte K. das Gymnasium
und die Universität zu Greifewald, wiricte dann als Rechtsanwalt in Bergen a.R.
und in Greifswald, erhielt (1879) die Ernennung zum Justizrat und (1900)
zum Geheimen Justizrat und starb am 4. April 1904 am Lage maggiore, wo
er Heilung von seinem langjährigen asthmatischen Leiden suchte. Seine
Tätigkeit war in zweifacher Weise von Bedeutung, einerseits auf praktischem
Gebiete, indem er als Rechtsanwalt und Mitglied des bürgerschaftlichen
Kollegiums teils in der Verwaltung, teils in der Führung schwieriger Prozesse
seine reichen juristischen Kenntnisse verwertete, andererseits, als Historiker
und Kunstfreund, auf theoretischem Gebiete schriftstellerisch die Heimats-
kundc forderte. Schon von seinem wissensch:iftli( h und künstlerisch gebildeten
und gleichfalls als Schriftsteller tätigen Vater frühzeitig für Literatur, Musik
und die iMldeiulcn Künste erwärmt, bewahrte er für letztere und die histori-
schen Wissenschatten nicht nur ein reges Interesse, sondern veröffentlichte
auf diesem Gebiete auch mehrere Schriften: Giei&walds erste-Besetzung durch
die Preuflen im siebenjährigen Kriege, 1886; der Stad^uie von Greifswald,
in welchen Schriften er zugleich auch ausführlich über die Pflege der Musik
in Greifswald in älterer Zeit handelte, und die Greifswalder Wallpromcnade.
Von besonderer Bedeutung ist sein Rechtsgutachten über die Erbfolge der
Töchter und deren Descendenz in den Tcrtialgütern, in welchem er eine
Darstellung des in den früher unter schwedischer Herrschaft stehenden
Ländern, d. h. in Pommern und den russischen Ostseeprovinzen, geltenden
und fast in Vergessenheit geratenen Tertialrechtes gab, welche den Gerichten
als Hülfsmittel für mehrere wichtige Prozesse, betr. die Erbfolge in ver-
schiedenen Tcrtialgütern, diente. In Anerkennung dieser für die pommersche
Rechtsgeschichte besonders wichtigen Schrift erteilte ihm die Juristische
Fakultät der Universität Greifswald die Doktorwürde.
»Quellen« t Greifswalder Tageblatt, 19041 Nr. 81, April 7. — »Pommenche Monat»*
blättcr«, Stettin 1904, Nr. 5, S. 78. — Pyl, »Entwicklung der kirclil. und weltl. Mustk in
Greifswalds Vergangenheit«, Ponun. Jahrb., Greifswald, 1904, S. 63. Persönl. Mitteil.
Woltersdorf, Theodor, Theologe und Kirchenhistoriker, * am 22. De-
zember 1834 in Berlin, f am 3. Oktober 1904 in Weimar. — Widmete sich,
nachdem er Anfangs im technischen und kaufmännischen Fache tätig gewesen
Pyl.
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Woltendotf. £velt
79
war, dem Studimn der Theologie, namcndtch in Jena unter Hases Leitung.
Die edle, humane Persönlichkeit und die wissenschaftliche Richtung dieses
hervorragenden Theolomn, welche, im Gegensätze z.u der Orthodoxie, die
altchristlichen Dogmen mit dem religiösen Bewußtsein der Gegenwart zu
▼ennitteln sucht, behielt auf W.s eigene dieologische Entwicklnng einen
daneraden Etnflufl, dessen wohlt&tige Folgen bald darauf in der FOhrung
seines geistlichen Amtes zur Geltung gelangten. Denn ein reiches Arbeitsfeld,
auf dem er die Erfahrungen seiner Studienzeit, nach Hases Vorbilde, zu
werten vermochte, wurde ihm durch die Übertragung des Archidiakonats oder
ersten Pastorates an der Nikohiikirche zu Greifswald im Jahre 1866 zuteil,
welches er 33 Jahre bis zum Jahre 1899 segensreich verwaltete. In seinen
Predigten legte er vorsugsweise Gewicht auf die sittlichen Anforderungen des
Christentonis, wihsend die Winne des Gemüts mehr in seinen xahlreichen
Standreden rar Geltung kam. Außer dieser praktischen Tätigkeit als Prediger
und Seelsorger, sowie in den Verhandlungen des Gemeinde-Kirchenrats und
der Synode, widmete er sich auch mit großem Eifer gelehrten Forschungen, die
sich namentlich auf kirchenrechtliche Verhältnisse bezogen, und veröffentlichte
als Früchte dieser Studien, abgesehen von zahlreichen kleineren Au^tzen in
tfieologischen Zeitschriften, als selbstftndige Arbeiten: »Das Preuflische Staats-
grundgesetz und die Kirche, 1873« ; »Die Rechtsverhältnisse der Greifewalder
Pfarrkirchen im Mittelalter, 1888«, in welcher Schrift er die verwickelten
Patronatsrechte, welche der Universität, der Geistlichkeit und dem Rate der
Stadt über die Kirchen zustanden, nach den l^rkundcn erläuterte; endlich
»Zur Geschichte und Verfassung der evangelischen Landeskirche in Preußen,
1891«. In Anerkennung dieser Schriften verlidi ihm die theologische Faknltit
der Universität Jena, mit deren liCitgliedem, n. a. mit Hilgenfeld, Lipsius and
Nippold, W. in reger Korrespondenz stand, die theologische Doktorwürde.
Neben dieser gelehrten literarischen Tätigkeit veröffentlichte er noch auf
einem anderen Gebiete eine Reihe von homilctis< hen Schriften, welche uns
einen Einblick in sein Wirken als Seelsorger gewähren, d. h. zwei Sammlungen
von 30 und 25 Grabreden (1888 — 1900), welche durch ihre biographischen
Nadirichten Aber zahlreiche namhafte Persönlichkeiten auch einen Beitrag
zur Grei&walder Stadtgeschichte liefern. Die zweite Sammlung »Abschieds-
grüße« benannt, enthält auch W.s Antritts- und Abschiedspredigt vom Jahie
1866 und 1S99, und ist der Nikolai-Gemeinde beim S« heiden aus seinem
Amte gewidmet. Denn wiederholte schwere Erkraiikuni;cn brachten ihn zu
der Überzeugung, daß er den Pflichten seiner Stellung nicht mehr gewachsen
sei. Er siedelte daher nach kürzerem Aufendialte in Arnstadt nach Weimar
über, wo ihm die schöne Natur und die geistige Anregung eine wohltuende
Erholung gewährten, doch nur zu bald wurde er durch eine schwere Krank-
heit, kurz vor Vollendung des 70. Jahres, aus dem Leben abgerufen. Wie
treu sein Gedächtnis in Greifswald bewahrt worden ist, davon geben die
warm empfundenen Worte des Nachrutcs in den Greifswalder lUättern Kunde.
Quellen. Kürschner, L. K., Nachruf im Greifswaldcr iagebl. u. Gr. Zeit. 1904, Nr. 235.
AbcdiiedsgTflfle 1900, Vomde n. Foititt. Pen. Erinncning. TIl Pyl.
•
Evelt, August Alexander Oskar, höherer Justizbeamter und Politiker,
* a I.Januar 1828 in Dorsten an der Lippe, f 11. Dezember 1904 zu Uechingen
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80
Bvdt Kaaoldt
in Hohcnzollcrn. — E. war clor Sohn eines Kreispcrichtsdirektors, bestand
schon 1X49 die erste juristische Staatsprüfung zum Auskultator, 1851 die
zweite zum Referendar. 1854 zum Gerichtsassessor ernannt, wurde er Hilfs-
richter in Hechingen, war 1857— 1858 Hilfnurbeiter im preußischen Jusd»-
ministerium, sodann Staatsanwaltsgehilfe in Warendorf und wurde 1860 Staats*
anwalt in Hechingen, das er bis zu seinem Tode nicht wieder verlassen sollte.
Er wurde dort 1869 KreisgerichtscJirektor, 1879 bei der neuen Organisation der
Gerichtsbehörden Lancigcric htspräsident, erhielt 1887 den Titel eines Geheimen
Oberjustizrats und wurde 1900 in den Ruhestand versetzt. Wegen seiner
Verdienste um eine Eisenbalmverbindung wurde ihm schon 1865 von der
Stadt Hechingen das EhrenbOrgerrecht verliehen. 1866 zeichnete er sich bei
der wQrttembergischen Okkupation Hohenzollems durch tapferes Verhalten
gegenüber dem als Bundes -Kommissär auftretenden Grafen Leutrum aus.
1867 — 1.S76 vertrat er als Mitglied der nationallibcralen Partei die Hohen-
zollerischen Lande im Reichstag und Landtag. Hin Glan/tag in seinem Leben
war der 19. Juni 1870, wo die württembergische Deutsche Partei der Zollern-
burg einen Besuch machte. Er war ein Mann des praktischen Wirkens. Die
Hohenzollerischen Lande wurden ihm, dem Sohn der Roten Erde, eine zweite
Heimat, und er hat sich um diese letzte grOfiere Erwerbung Preufiens nie
genug zu rühmende VerdicTiste erworben. Er veranlaßte im Jahre 1873 die
S( haffung des Hohenzollerischen Kommunallandtags, dessen V'orsitzender er
dann 1874 — 1899 gewesen ist. Kr war ein Lreund des Fürsten Karl Anton
von Hühenzollern, dessen Sohn Fürst Leopold an seinem Grabe einen präcii-
tigen Kranz niederlegen Ifefi.
Haoptquelle fiHr sein Leben sind die in Hediingen erscheineBdeB HohenMlleriMüien
Blätter, die auch viele Artikel aus seiner Feder enthalten. — Nekrolog (von A. Zander) in
Nr. 288, ?. }?!,itt der Hohcnzollcri'^chcn Blätter vom 12. Dezember 1904. - - Er wird erwähnt
in den >Pcr9unlichcn Erinnerungen an den Fürsten Bismarck« von Hans Blum. (Die dort
sich findende Bemerkung, da6 Evelt die Verwendung des Waldmeitters zur Bereitung tob
Bowlen im S^wabenlande eii^efUlut habe, ist irrig.)
Hechingen. Anton Zander.
Kanoldt, Edmund, Maler, ♦ 13. März 1845 zu Großrudestedt in Thüringen,
f 27. Juni 19C14 in Nauheim. — K.s Vater, Apotheker Christian Kanoldt,
wünschte, dafi er den Hernf eines Buchhändlers ergreifen solle, aber frühzeitig
regte sich in dem für alles Scheine cni{)fang]i( hcn C'jeinüte des Knaben die
Liebe zur Kunst. Die erste Anregung hierzu erhielt K., als er im Alter von
zwölf Jahren in Weimar die Kunstausstellung besuchte, wo zwei Gemftlde
von Friedrich Preller d. ft. »I.eukothea« und »Kalypso« seine B^eistemng
erweckten und in ihm den Wunsch crni^ton, Maler und Schüler Prellers
werden zw dürfen. Vorerst mußte er aber dem Wunsche seines Vaters folgend,
der von der künstlerischen Laufbahn nichts wissen wollte, zu einem Buch-
händler in die Lehre gehen. Endlich 1864 erlangte er die Erlaubnis bei dem
so hochverehrten Meister Preller als Schüler einzutreten, bei dem er auch
wohnte und wegen seines liebenswürdigen Wesens bald wie ein Mitglied dar
Familie betrachtet wurde. Vier und ein halbes Jahr verbrachte K. in Weimar,
und daß er seine Zeit hier gründlich zu ernsten Studien ausgenützt hat und
sich die Liebe seiner Umgebung in hohem Maße zu erweiben wußte, bezeugen
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Kanoldt.
8l
boondcrs die Hricfe PtelltTs an K.s Kltorn. Am i. Mai 1.S65 schricl) tlcr
Meister unter anderem Folgendes; -Die bevorstehende Studienreise Ihres
Sohnes gibt mir Veranlassung Ihnen zu sagen, dafi ich bisher nur Freude
an seinem Eifer und den dabei gemachten Fortschritten habe. Möge er in
gleicher Weise fortschreiten! Das Resultat kann dann nur ein Krfrcuhrhos
{sie) sein.« Kinen anderen zwei Jahre s|)äter geschriel)encn Hiief mcx litt- ich
wegen seines herzlichen 'l'ones ganz hierhersetzen; er lautet: Verehrte Irau!
Kriauben Sie, Ihnen, bei Vollendung der ersten selbständigen Arbeil Ihres
Sohnes, die Versicherung meiner ganzen Zufriedenheit über Verwendung seiner
Zeit und seines Strebens auszusprechen. Möge es ihm vom Schicksale be-
stimmt sein, ohne Störung auf dem betretenen Wege weiter zu gehen, eine
Anerkennung seiner ernsten Tätigkeit wird dann gewiß nicht ausbleiben.
N()( b freue ich midi, Ihnen versichern zu können, dafi er als Mens< Ii von
(kn meinigen allen geachtet und geliebt ist. Hochachtungsvoll ergeben
1 riedrich Preller. Weimar, 20. Mai 1867. 1867 erhielt K. auch bereits seine
erste, ehrenvolle Bestellung. Als er nämlich in Ilmenau Studien malte, kam
die GroOherzogin von Weimar gerade dazu und bestellte sofort das begonnene
Bild bei ihm. Im Jahre 1869 verließ K. Weimar um sich nach Rom zu begeben,
woselbst er sich während seines dreijährigen Aufenthaltes besonders an
Dreber, ebeiT^o wie Preller einen Vertreter der heroischen oder idealen Land-
schaft, anst hloü und mit gleichge>innten deutschen Künstlern, viele genuß-
reiche und arbeitsvolle Stunden in dem romantischen kleinen Hergstüdtchen
Olevano im Sabinergebirge verbrachte. In Rom entstand auch sein erstes Meister-
werk »Odysseus auf der Ziegenjagd«, mit dem er 1873 den Ehrenpreis der
Goethestiftung in Weimar errang. Unter elf eingesandten Werken wurde dieses
Gemälde von den Preisrichtern einstimmig als das beste anerkannt. Eine
nicht minder hohe Befriedigung mag dem jungen Künstler das Lob seines
verehrten Lehrers gewesen sein, der, ehe noch die Namen bekannt waren,
sofort auf K.s liild deutele mit den Worten: Das ist das beste«. Jetzt
hängt dieses Bild in der Gallerie zu Weimar zwischen den beiden Gemälden
Prellers, die K. die erste Anregung zur Kunst gaben. Das Jahr 1872/73
verbrachte K. in München. Im Sommer 1873 war er aber schon wieder in
seinem geliebten Italien in 'Perracina mit Landschaftsstudien beschäftigte,
als ein Hrief des Wiener Malers Carl St buch, datiert Olevano 4. Juni, ilmi
einen jähen Schrecken einjagte. Die Serpentara, der herrliche Eichenwald bei
Olevano, der seit fast hundert Jahren vielen deutschen Künstlern Anregungen,
zu Studien und Gemälden gegeben hatte, und auch durch V. Scheffels Gedicht
»Abschied von Olevano« weiten Kreisen bekannt ist, sollte verschwinden, das
Holz an die Eisenbahn verkauft werden. Mit Feuereifer widmete sich K. der
Aufgabe, diesem Vandalismus zu wehren, und nach rastlosen Bennihungen gelang
es ihm endlich die verlangte Kautsunime von 2500 Liren durt h freiwillige Hei-
träge von Künstlern und Kunstfreunden autzubringen und die Serpentara
rechtskräftig su kaufen. Kaiser Wilhelm L, dem nun dieser historische Eichen-
wald behufs dauernder Erhaltung zum Geschenk angeboten wurde, verzichtete
wohl selbst auf diese Gabe, gab aber zugleich die Anregung das Stück Land
dem Deutschen Reiche zu schenken. So befindet sich der Wanderer jetzt
mitten im Herzen Italiens im phantastischen Saliinergebirge plötzlich auf
deutschem Boden, und der Reichsadler blickt auf einer Tafel am Eingange
Biogr. Jahrbuch u. Deut»cher Nekrolog. 9. Bd. 6
82
Kanoldt
dc-tn Hesurher entgegen. Der preußische Kronenorden 4. Klasse belohnte K.
für diese ideale Tat.
Doch noch ein anderes Glück sollte der junge Künstler auf italienischem
Boden finden. 1874 lernte er in Rom Fräulein Sophie Hellwig aus Moskau
kennen, und bald gelang es ihm durch sein bescheidenes, heiteres Wesen auf
seine Werbung um ihre Hand ihr Jawort zu erhalten. Zu Moskau fand am
II. Juli (29. Juni) 1875 die Hochzeit statt, und das junge Paar verlebte daselbst
das erste Jahr seiner Khe. Im Jahre 1876 gin^' K., wiewohl der (irollherzop
von Weimar ihn gerne an seine Residenz fesseln wollte, doch lieber nach
Karlsruhe, wohin er einen Ruf als Lehrer an der Prinzensdiule angenommen
hatte, da ihn der Wunsch, bei Ferdinand Keller, der seit 1870 dort Professor
an der Kunstschule ist, no( h als Meisterschüler einzutreten, dahin trieb. Mit
diesem verband ihn fortan eine herzliche Freundschaft und auch seine einstige
Schülerin aus der Prinzensrhule, die jetzige Frau Herzogin Marie von Anhalt-
Dessau, blieb Zeit seines Lebens in wohlwollenrler, freundschaftlicher Bezie-
hung zu K. Karlsruhe blieb nun bis zu seinem l üde der ständige Aufent-
haltsort des Meisters, und er lebte hier von seinen Mitkttnstlem und allen,
die ihn kannten, hochgeehrt ausschließlich seiner Familie und seiner Kunst,
die beide ihm den schönsten Lebensinhalt !)i)tt n. Aber dieses FamilienglQck
ward durch langjährige Krankheiten seiner Frau und durch den frühen Tod
des ältesten Sohnes Franz, der nur ein halbes Jahr le!>te, öfters von scliweren
Sorgei^ getrübt. Erholung von der Arbeit boten ihm häutige Studienreisen in
Deutschland und nach Italien, wo er Rapallo, Rom und die Serpentara
immer wieder besuchte.
1898 sah K. seine geliebte Serpentaia sum letzten Male. Er war su
einer zweiten rettenden Tat dahin geeilt. Im Laufe der Jahre war nämlich
so viel Straucluverk und Unterholz emiiorgewurhert, daß der Wald undurch-
dringlich und die Ausblicke nach den malerischen I'"e]s])artien, denen so viele
Künstler ihre Anregung verdankten, ganz verschwunden waren. Um nun den
alten historischen Zustand wiederherzustellen, hatte K. sich von der Botschaft
die Erlaubnis erwirkt, von dem neuen Nachwüchse so viel wieder schlagen
zu lassen, daß die alten, malerischen Motive, die die romantische Schönheit
dieses Fleckchens Erde ausmachen, wieder deutlich und schön zum Vorschein
kamen. L^nermüdlich war er hier tätig, die Arbeiten von Früh bis Abends
zu leiten und nach alten Skizzen und Studien die frei zu legenden l'eile zu
bestimmen. Dies und die Herstellung einer Ansichtspostkarte von ülevuno,
die er nach eigener photographischer Aufnahme anfertigen ließ und den
Besitzern von Casa Baldi, dem durch Scheffel berühmt gewordenen GasUiofe,
in einer großen Anzahl von Stücken schenkte, war das letzte, was K. für diese
Gegend, in der er so oft mit Vergnügen geweilt, und mit empfänglichem
Gemüte viel des Schönen genossen hatte, tun konnte. Er sollte nicht wieder
hinkonnnen. Im Jahre 1900 ward es ihm vergönnt im Kreise senier Familie
daü schöne Fest der silbernen Hochzeit zu begehen; und eine letzte Freude
und Ehre wurde ihm noch kurz vor seinem Tode zuteil, indem er dazu
erwählt wurde, bei der Feier des hundertsten Geburtstages seines verehrten
Meisters Preller am 25. April 1904 an dessen Grabe die Feierrede zu halten.
Inzwischen hatte sich ein Herzleiden, das ihn seit längerer Zeit plagte,
immer mehr verschlimmert, so daß er im Juni 1904 sich einer Kur in Bad
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Kanoldt
Nauheim untcr/iclK-n imilitc. Hier p;laiibte er bald völlige (iei)eMing zu timleii
und nach achttägigem Aufentlialte am iMorgen des 27. Juni schrieb er an seine
lieben in Karlsrabe eine Karte, dafi es ihm bedeutend besser gehe; es war
eine Täuschung, noch am Abende desselben Tages traf die Trauerkunde von
seinem Hinscheiden in Karlsruhe ein. Kr hinterließ außer seiner trauernden
Gattin eine Tochter Johanna und einen Sohn Alexander, der angeregt durch
das schöne väterliche Beisjiiel sich ebenfalls der Malerei gewidmet hat.
Mit K, ist nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein wahrhaft
edler Mensch aus diesem Leben geschieden. Alle, die das Glück hatten, mit
ihm persönlich zu verkehren, nahm er durch sein stets heiteres, freundliches
Wesen fOr sich ein. Er war erfüllt von einem innigen Streben nach dem
Edlen und Schönen, das den hervorstechendsten Zug seines Wesens bildete.
Die Kunst ward iinn ein heiliges Amt, und rührend war seine stänch'ge Hilfs-
bereitschaft. Wo er Not zu lindern wulite, da war er auch gewiß dabei,
und so manche in Not geratene Künstlerfamilie weiß nicht nur von seinem
freundlichen Tröste, sondern auch von seiner werktätigen Hilfe zu erzählen.
Aus diesem Bedürfnisse, Hilfe su spenden, entsprang ihm auch der Gedanke
zugunsten der »Renten- und Pensionsanstalt für bildende Künstler« im Jahre 1901
ein großes Künstler-Kostümfest zu veranstalten, das unter dem Namen »Drei
Tage im Morgenlande« vom 10 — 12. März in Karlsruhe stattfand und eine nam-
hafte Summe dem wohltätigen Zwecke zuführte. Ebenso war K. auch ein treues
und eifriges Mitglied der Kunstgenossenschaft, die stets auf seine Arbeits-
kraft rechnen durfte. Doch war er niemate einseitig, sondern wufite auch
bei Vertretern von gegnerischen Richtungen das darin steckende Gute zu
erkennen und zu verteidigen; in Zorn konnte er nur geraten, wenn er jemand
im Leben oder in der Kunst selbsüchtige, nicht dem Ideale dienende Ziele
verfolgen sah, und gerade in solchen gelegentlichen Zornesausbrüchen zeigte
sich die ganze edle Seele des Mannes. In der familie war er stets liebreich
und aufopfernd, was er in den vielen Krankheiten, die seine Frau und Kinder
betroffen, unzählige Male bewährt hat. So hat K. sein ganzes Leben hin*
durch seinen schönen Wahlspruch: »Das Wahre durch das Schöne« auch
wirklich durch seine ganze Art und Weise in die Tat umgesetzt. Er war
eine tief gemütvolle und nach Gutem und Schönem dürstende Natur.
Diese Charaktereigenschaften spiegeln sich auch in seinen Gemälden
wieder, von denen ein ganz besonderer poetischer Hauch dem Beschauer
entgegenweht. Seiner Richtung nach gehörte er, wie sein Lehrer Preller, der
heroischen Landschaft an, deren letzter Vertreter von Bedeutung er gewesen.
Von Preller unterscheidet er sich in der Komposition und Auffassung dadurch,
daß, während dieser es liebte, seine Landschaften mit Szenen von zahlreichen
Personen zu bevölkern, bei K. immer die l'cu^sie oder f Iroßartigkeit der
Landschaft das Hauptmotiv blieb, und er dann nur eine oder zwei Figuren
einsetzte, die durch ihre Haltung und Handlung den Stimmungsgehalt der
Gegend im menschlidien Gemüte wiederspiegeln. Aufierdem hat K. auch
sehr viele reine Landschaftsbilder ohne Staffage gefertigt, die deutsche
Wälder oder Burgen und die italienische Küste, oder interessante Blicke in
den Parks alter Renaissanceschlösser darstellen.
In allen Werken empfindet man schon in der Auswahl der Stoffe das
feine, poetische Gemüt, das überall das Schöne zu sehen und zu finden wußte.
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Kanoldt
Schier zahllos sind (hc (liMnäldr, (hc von dein raslk)soii l'leißc ihres Schöpfers
erzählen. Werke von K.s Hand besitzen die Geniäldegullerien von Karlsruhe,
Freiburg i. B., Weimar, Halle, München und die Nationalgallerie in Berlin.
In Privatbesitz sind Bilder in Leipzig, Dresden, Karlsruhe, Düsseldorf, DQren,
Stollberg, München, Magdeburg, Stuttgart, Koblenz, Brüssel, Buenos Ajrres,
Chicago, New York, Moskau, Charkow.
Kür Herrn A< k ermann in T-cipzig ferti<(te K. einen Zyklus von acht
l'.ildcrn. Amor unil l'Nxrlu' . In anderen Werken sj)ie<(elt sich die fjanze
Keüie der inenschliciicn Ijenuitseniphnilungen einmal in der Landschaft,
dann auch in der eingesetzten myüiologischen Szene wieder. »Dido und
Aeneas« sehen wir in wilder Gebirgslandschaft unter schroffen Felsen und
sturmgepeitschten Bäumen, worüber sich ein s( hweres Gewitter entladet, auf
ihren Pferden dahinstürmen. Der heiter idyllischen S/ene entsprechend finden
wir auch entzückende, sonnenhef^liinzende Landschaft oder trauliches Waldcs-
dammern in den Rildern ()r|)]ieus und die .\\ inphen , 'I'hetis und A( liiiieus ,
>'Echo und Narciss<x und »Psyche^, wälnend bei "Kassandra«, »Sapplio ; und
»Antigonc« auch die umgebende Natur die düstere Stimmung der Klage und
Trauer wiedergibt. Der Sehnsucht gab K. in zwei Werken herrlichen Aus-
druck »Iphigenie« und Hero , und doch wie verschieden wußte er diesen
Inhalt zu gestalten, l'ür das Palais Hürklin in Karlsruhe mahe K. vier Wand-
gemälde, die für einen Musiksaal bestimmt, in mythologischen Figuren ^Or-
pheus und Eurydike*, »Echo und Narciss«, 'Ibykus und »Arien« die
verschiedenen musikalischen Stimmungen schön verkörpern.
Außer solchen mythologischen Gemälden stammen auch viele reine Land-
schaftsbilder von des Meisters Hand, die aber auch alle einen starken
poetisch-romantischen Zug haboi, der leider in der Kunst unserer Tage
sonst imincr weniger 7.ur Celtung gelangt. I )er deutschen Heimat cntnoinmen
sinfl die dcuts< hen, durch Sage und Clcschichte Ijerühmten, Berge und Burgen
»Hohenzollern "Hohenstaufen , »Hohentwiel <, »Wartburg«, »Nürnberg« und
»Heidelberg«, in der Karlsburg bei Düren a. Rh. Die vier Stilarten sind in
vier Wandgemälden in der Villa Kerler zu Karlsruhe durch vier bekannte,
prächti^'e (lebäude vom Altertum bis zur Renaissance zur Anschauung gebracht.
Sehr groß ist die Zahl jener Gemälde, die uns poetische oder idyllische
italienische Parkansi( htcn und Villen aus der Renaissance vor Augen führen,
zunu ist Motive aus der \'illa d'Kste, Kras( ati und aus Tfjskana, ferner die
italienische Küste bei Kapallo, Stimmungen aus der C'ani])agna und Partien
aus der Serpentara und den Sabiner Bergen oder aus deutschen Wäldern
und Hainen.
Zahlreiche Mapi>en mit Skizzen und Studien in Farbe oder Blei zeugen
von dem rastlosen Fleißc K.s, der auch im kleinsten Detail poetischen Inhalt
zu finden wuütc.
Auch als Illustrator war K. mehrfach tätig. In den Hallbergerschen
illustrierten Goethe- und Schillcrausgaben sind mehrere Bilder von seiner
Hand, ebenso wie in Engelhoms Prachtwerk »Italien«. Für Roquettes »Reise
ins Blaue« fertigte er das Titelbild und eine Illustration, in Gemeinschaft
mit Voß illustrierte er Shakespeares »Sommernachtstraum«, mit W. Hasemann
Storms ^Immcnsce« und mit J. Cirot Pachcndorffs vAus dem Leben eines
Taugenichts«. Im Verlage von Aiuelang in Leipzig erschienen femer noch
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KanoldL Voick.
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die von ihm allein illustrierten Werke: (jcorg Scherer Dichter-, Elise Polko
»Dichtergrüße« und »Albuni für Deutschlands Töchter*. In <leinselben \'er-
lage erschien auch ein Hand ^Mythologische Landschaften«, der mehrere
Hauptwerke in vortrefflicher Wiedergabe einem großen kunstsinnigen
Pablikum zugänglich macht.
Welch reichem KQnstlerschaffen hat der Tod hier ein Ende gesetzt!
Liehe und Poesie waren es, wonacli K. sein Leben lang strebte, die er als
Mensch reichlich um sich zu verbreiten wußte, und die aut h nach seinem
Tode sich noch allen empfänglichen Gemütern aus seinen Werken mitteilen
werden. R. Frhr. v. Lichtenberg.
Volcl^ Wilhelm» ordentlicher Professor der alttestamentlichen Theologie
an der Universität Rostock, * iS. November 1835 zu Nürnberg, f 29. Mai 1904
zu Rostock. - V. besuchte das (Jymnasium seiner Vaterstadt und studierte
nach bestandenem Abiturientenexamen Theologie und orientalische Philologie
an den Universitäten Erlangen und Leipzig. Bei seiner großen Sprach-
begabung hätte er gern ausschließlich Orientalia studiert, ergriff aber auf
den Wunsch seines Vaters die Theologie als Berufsstudium. Von seinen
akademischen Lehrern übten den meisten Einflufi auf ihn aus Fleischer in
Leipzig sowie Hofmann und Delitzsch in Erlangen. Nach Beendigung seiner
Studien und Ablegung der theologischen Prüfungen war \'. ein halbes Jahr
Vikar bei Wilhelm I-öhe, seinem Paten, in Neuendettelsau und wollte sich
darauf in Erlangen habilitieren. Jedoch wurde er durch das bayerische Ober-
konsistoiium zunächst als Adjunkt, dann als Pfarrverweser an der Neustädter
Kirche in Erlangen angestellt, und war so ein Jahr lang im praktischen
Kirchendienst tätig, bis er im Wintersemester 1859/60 Privatdozent in Erlangen
wurde. I)ur( h Professor Ale.xander von Dettingens Vermittlung wurde er
aber bereits nach kurzer Zeit für Dorpat gewonnen und siedelte im Mai 1S62
(lorthii\ über, zunächst als Dozent, d. h. nach deutschen Universitätsbegriffen
als außerordentlicher Professor. In dieser Stellung verblieb er ein Jahr, um
dann ordentlicher Professor zu werden. Während der nun folgenden 35 Jahre,
die er unter besonderen Vergünstigungen in Dorpat verblieb, hat er dort als
Mitglied der theologischen Fakultät eine allgemein anerkannte und segens-
reiche Tätigkeit entwit kelt. Auch an äußerer Anerkennung seiner Wirksam-
keit h:\t es ihm nicht gefehlt: wie er russischer Staatsrat und durch liohe
Orden ausgezeichnet wurde, so verlieh ihm die Erlanger theologische Fakul-
tät 187 1 die Würde eines ^fd^r /Aeologiae c. Dr, phU, war er schon frOher
in Erlangen geworden. 1898 mußte er den russischen Universitätsbestimmungen
entsprechend aus seinem akademischen Lehramt ausscheiden. Aber sofort
bot sich ihm ein neuer Wirkungskreis: die Greifswalder theologische Fakul-
tät forcierte ihn auf, an ihrer Hochschule vertretungsweise Vorlesungen y\\
halten. Aber erst kurze Zeit wirkte \' . hier als Honorarprofessor, als v\ einen
Ruf an die Rostocker Universität erhielt, an der er dann bis zu seinem 1 ode
als ordentlicher Professor wie in Dorpat als gefeierter Universitätslehrer
gewirkt hat. Kurz vor seinem Tode wurde er auch noch Senior der
Rostocker Universität. — V.s theologischer St.andpunkt war ein streng jio^itiver,
der mit den modernen liberalen und liberalisieren<len Richtungen in keiner
Weise paktierte. In diesem Sinne erhob er auch noch zuletzt als überzeugter
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Volcfc. ButleL
Christ und gläubiger Theologe seine Stimme in dem Bibel-Babel-Streit. —
V. war aber nicht nur ein anerkannt tüchtiger C.clehrter, sondern auch ein
liebenswürtliger Mensch, der sich durch sein persönliches Wesen leicht Sympa-
thien gewann und als heiterer und anregender Gesellschafter überall gern
gesehen war. So erregte denn sein infolge eines Herzleidens rasch erfolgter
Tod allgemeine Teilnahme, zumal V. bis zuletzt einen anscheinend rüstigen
Eindruck gemacht hatte.
\V:i- \'.s Schriften anbclanf^t. --o niöjicn fol^i-nde pennnnt werden: Calendarium syria-
cuin auctorc Cazwi/tio arabicc latittiquc cdidit et notis inslruxit, Lipsiac /tS'jy. Miosis
coHticum cygncum, NOrdlingen t86i ; Ihn Äfäirikt Lamiy«i Ä Ii mit Badraddtns Konnnen*
tar . . . übersetzt und mit kritischen Anmerkungen versehen von Rellgren. Auf (Jrund des
Iiandschn'ftli' lull N;i> h!a--i.s Kell^^rcns bcarhcitct . . . hfrausjjefjflicn. St. IVtcr^liiirg 1S64;
Vindicüu iJaniclicac, Dorpat 1SO6; Jf>n Matriks Lamiyat aj A ä mit Badraddijiü Kommen-
tar. Revidierte Textausgabe. Leipzig' 1S66; Der Chiliasmus seiner neuesten Bekämpfung
gegenObcr, Dorpat 1869; De summa earmmis setHemiutf Dorpati 1870: Der Segen
Mosis, Erlangen 1873: (^ber die ßedeutong der sciiiitisclien Philologie für die alttestanient-
lichc Kxegese, Dorpat I1S74; Zur ICrinnenmg an |. Chr. K. v. liofmann, Krlan^en 1S7S;
Welches ist der Charakter der semitischen Völker und welclies ihre Stellung in der Wclt-
und Kulturgeschichte? Doipat 1884: Inwieweit ist der Bibel Intumslosigkeit zucoschreto
Vjen? I)orj)at 1S85; Die Bibel als Canon, I)oq)at 18S5; Zur Lehre von der heiligen Schrift,
Dorpat 1S85: Die rechte Feier des Bibelfestes (Predigt), Dorpat 1886; - \\ a> leinen wir
aus der Cjcächichte der Auflegung der heiligen Schrift.' Jurjcw (Dorpatj 1894; Die
Urgeschichte nach Genesis Kap. 7 — ii, Bannen 1897; Heilige Schrift und Kritik, Leipzig
1897; Cliri^ti und der Apostel Stellung snm Alten Testament, Leipzig 1900; Die alttesta-
iiientliclie Heilsgeschiohte. f^üter-;loh 100;^; De nonHuUis l'fUris /'rs/dtututi lyof^hifiirntn
locis ad sacriß<ia spe<Uintilms^ Dorfati Zum Kampf un» Bibel und Babel, Rostock
1903. Unter der angeführten Literatur befinden sich mehrere Vortittge. Einige weitere
veriilTendichte er femer noch, so »Der Messias im Alten Testament« und »Der Tod und
die Kortdauer nach dem Tode nach der Lelire tk s Alten I csi.iinent<<c I'iir Zi icklcr> Hand-
buch der theologischen Wissenschaft lieferte \'. den Beitrag »Die Lehre vom Schriftganzen«,
erklärte 1SS9 mit Oettli zusammen die poetischen Hagiographen und steuerte 1898 die
Abhandlung »Zur Erkllrung des mosaisdien Segens, Deut K. 33c bei zu der Festschrift
für den ihm eng befreundeten Professor Alexander von Oettingen in Dorpat. Weiter war
V. alliier bii den schon erwähnten araldschen imd syrischen Werken auch sonst noch als
Herausgeber tätig, indem er Ausgaben folgender Werke besorgte: Gesenius, Hebräisches
und chaldaisches Wörterbneh, und von seinen verehrten Lehrern Hofmann und Delitzsch
von Hofmann folgende Schriften; »Zusammenfassende Untersuchung der neutesLimentlichen
.Schriften«, »Die biblische (n-schichtc Neuen Testaments«, »Biblische Ge^chicllte des Neuen
J'estanients«, »Biblische Hermeneutik« und »Theologische Briefe der Professuren Delitzsch
und V. Hofmann«. Endlich war V. Mitarbeiter an folgenden Zeitschriften: Zeitschrift der
deutschen morgenländischen Gesellschaft und an der Luthardtschen Kircheiizeitxmg sovie
während vciner Dorpatcr Zeit an der Baltischen Monatsschrift und an den Mitteilungen aas
der evangelischen Kirche Kuliland». A. Vorberg.
Buttel, Theodor Heinrich Julius Paul, aus^ezeiclineter Schulmann,
* 24. Juni 1826 in Ncustrclitz, f 13. Juli 1904 in Segeberg. — Nachdem I?. auf
dem Gymnasium seiner Vaterstadt das Reifezeugnis erworben hatte, bezog er
Michaelis 1846 die Universität Halle, uro Mathematik und Naturwissenschaften
zu studieren, und bestand 1849 das Oberlehrer<>£xamen. Er war dann in
verschiedenen Stellungen als Lehrer tätig, promovierte 1853 in Rostock zum
Dr. pMi. und habilitierte sich Michaelis 1854 als Privatdozent der Mathematik
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Buttel. Giese. Stabenow.
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in Kiel. 1857 ging er als Lehrer an das Realgymnasium in Rendsburg und
im nitrhsten Jahre an die delehrtcnschulc zu Meldorf. \'on hier folgte er
im Dezember 1865 einem Ruf an das LehrerNemiiiar in Segeberg, dem er
dann über 30 Jahre angehört hat, bis er im Herbst 1897 seines hohen Alters
vegen von seinem Amte zurücktreten mufite. An allen Orten, wohin sein
Lebensweg ihn fOhrte, hat B. sich in wissenschaftlicher Hinsicht äufierst
verdient ^a-inacht und die fruchtbarsten Anregungen gegeben. So sorgte er
für die Kiiirichtung physikalischer Kabinette, für die ()r<liiung und Krweite-
rung naturwissenschaftlicher Sainndungen, vor allein hat er auch die meteoro-
logische Forschung durch Jahrzehnte lang fortgesetzte Beobachtungen gründlich
gefördert. Seine eigentliche Bedeutung aber liegt auf pädagogischem Gebiet.
B. war der geborene Lehrer, ein berufener Führer für Geist und Herz, dem
jene zwingende Seelenkraft in hohem Mafie verliehen war, die allein dazu
befähigt, wahrhaft bildend und bestimmend auf die Kntwicklung der Zöglinge
einzuwirken. Zahlreiche tüchtige Männer sind ans Ii s S( hule hervorgegangen,
und .sie alle segnen das Andenken des Mannes, dein sie das Heste verdanken,
was sie in der Zeit des Lernens für die Zeil des Lehrens, für IJerul und
Leben gewonnen haben.
Vr], Albeiti, Sdirifiitellerlexikon, 1829—1866, I, S. 106; 1866—1882, I, S. 95/96.
— »Kieler /.t-itung«, Morg.-.\ii<^. v. 16. Juli kmh. Mnrjj.- 11. Al>.-Ausg. v. 24., Morg.-Ausjj.
V. 25. Juni 1905. — »Schlcswig-Holsteinischc SchulzL'itung«, Jg. 52, Nr. 46 v. 17. NDvcmber
1904 (Nekrolog V. L. Denkert), 1905, Nr. 28 v. 13. Juli. Joh. Sass.
Giese, Otto, Dr.jur., Oberbürgermeister von Altona, ♦ 3. Dezember 1855
in Rostock, wo sein \'ater Hürgernieister war, f _^o. Dezember 1004 in Altona.
— Auf dem Gymnasium seiner X'aterstadt vorgebildet, widmete sich (1. dem
Studium lier Reclitswi.s.senschaft und lieU sich nach bestandenem Staatse.xamcn
in Rostock als Rechtsanwalt und Notar nieder. 1884 erhielt er die Stelle
eines besoldeten Senators in Altona, wo er sich durch seine tüchtigen
Leistungen sehr bald allseitiges Vertrauen erwarb. So geschah es, daß man
ihn allgemein als den Nachfolger des Oberbürgermeisters Adickes ansah, als
dieser im Jahre 1891 die Merufung nach Krankfurt a. M. angenonnnen hatte,
(i. wurde dann auch mit einer Mehrheit von 2376 gegen 257 Stimmen auf
die Dauer von 12 Jahren zum ersten Bürgermeister von Altona gewählt und
am 13. Juni 1891 in sein neues Amt eingeführt. Bald darauf erfolgte seine
Ernennung zum Oberbürgermeister. Mit weitschauendem Blick und fester, ziel-
bewußter Hand hat er die Entwicklung der Stadt geleitet und gefördert.
.\uf allen (lebieten begegnet man den S|>nren seines segensreichen Wirkens.
Die .Mtonaer Hürgerschaft erkannte immer klarer, was sie an ihrem Oberhaupt
hatte, und um sich eine so hervorragende Kraft ilauernd zu erhalten, erwählte
sie G. nach Ablauf seiner ersten Amtsperiode im Jahre 1902 zum Oberbürger-
meister auf Lebenszeit. Es war dies zugleich die schönste Anerkennung der
aufierordentlichen Bedeutung G.s, die ihm zu teil werden konnte.
Vgl. >I1:unh. Correspondentc , Al).-Au?j;. v. 31, Dezember 1904, Morg.-Ausg. v, 1.,
Ab.-Au5g. V. J.Januar 1905. — »Kieler Zeitung«, Morg.-Ausg. v. 1. Januar i<>o5.
J oh. Sass.
Stabenow, Louis Karl Christian, plattdeutsc her Sc hriftsteller, ♦ 19. Juni
1838 in Schleswig, f 16. Oktober 1904 in Sta&tedt bei Rendsburg. — S., der
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I
38 Stabenow. Hadunann. KnaU.
von 1870 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1901 als I,ehrer in Gainmen-
florf auf Fehmarn wirkte, nachdem er vorher schon verst In'edcnc andere
l.ehrer.slcllen bekleidet hatte, ist in ganz Schleswig-Holstein tlurch seine platt-
deutschen Schriften gegen die Sozialdemokratie bekannt geworden. Sein am
meisten gelesenes Buch erschien 1874 unter dem Titel »Wordennig as Hinnerk
un Krüschan op Fehmarn över de Socialdemocraten snackt«. (Kiel, Druck
von C. F. Mohr; 2. Aufl. 1K77.)
Vgl. Albcrti, Scliriftstcllcrlcvikim, iS66— 1.SS2, IUI. 2,6. 273. — »Jahrbuch ck-s Wrcins
f. niederdeutsche S[)rachforschung«, Jg. iSi;6, \X1I, S. 1 1 5. — »Kieler Zeitung«, Ab.-Ausg.
V. so. Okt 1904. Joh. Sass.
Hachmann, Gerhard, Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg.
♦ U). Mai iS :;.S in Hamburg als Sohn eines Arztt-s, f daselbst am 5. Juli 1904.
— H. besuchte die Gelehrtenschulc des Johanneums, studierte in Leipzig
und Heidelberg die Rechte und liefi sich, nachdem er seine Studien mit der
Promotion zum Dr. j'ur. abgeschlossen hatte, in seiner Vaterstadt als Rechts»
anwalt nieder. Bereits 1868 wurde er in die Bürgerschaft gewählt, die ihn
1877 zu ihrem Präsidenten berief. Am 12. Januar 1885 erfolgte H.s Wahl
zum Senator. Als solcher übernahm er im folgenden Jahre das wichtige
.\mt des ersten Poli/.eiherrn. Große .Aufgaben traten damit an ihn herin,
das gesamte Polizeiwesen mußte von Grund aus reorganisiert werden. H.
ist es gewesen, der dies schwierige Werk in glänzender Weise durchgeführt
hat. Vom ersten Augenblick seiner Tätigkeit an bewährte er sich als ein
Mann von außerordentlichen organisatorischen Fähigkeiten. Mit rastloser
FjuMgie verl)aiul er einen milden, humanen Sinn, der ihm das \'ertrauen
aller gewam». Ganz besondere N'erdienste um das öffentliche Wohl Ham-
burgs erwarb er sich zur Zeit der Choleranot im Jahre 1892. Auch die Neu-
ordnung des hamburgischen Armenwesens ist sein Werk, ebenso die l'mbildun^
und Erweiterung des gesamten Unterrichtswesens. »Suchet der Stadt Bestes«,
dies kurze Wort drückt schlicht und wahr die Gesinnung aus, in der H.
während seines ganzen Lebens mit unermüdlicher Hingebung und Treue
seiner Vaterstadt gedient hat. Hamburg betrauert in ihm einen seiner
edelsten Sohne.
Vgl. »llainb. Corrcspondent«, Ab.-Ausg. v. 5. u. 6., Morg.-Ausg. v. 8. u. 9., Ab.-
Aosg. V. 9. u. II. Juli 1904 (Nr. 310, 313, 31$, 317, 318, 390). — »Hamb. Nachrichten«,
Ab.-Ausg. V. 5.. 2te Morg.-.\ii>ig. v. o., Ab.-Ausg. v. <). Juli 1904 (Nr. 466, 477, 47S). —
>.inii-triLrtc Zeitung« (L«ipz>gji Bd. 12 i, Juli bis Dezember 1904, S. 50 (Nekrohig v.
K. llcs.sclbarlh, BildnisJ. Joh. SasS.
Knabl, Karl, Genremaler, * »6. Januar 1850 zu München, f 15. Juni 1904
ebendaselbst. — Als der Sohn des nachmals so berühmten Plastikers und
Ak.idcinie-l'rofessors Jos. Knabl (* 17. Juli 1819 zu l'lieli bei Landeck in
liiol, ■(• 3. November 1881 in München. Vgl. Liliencrc^ns »Allg. Deutsche
Biographie» 1882. XVI, 260) entwickelte iler vielfach Megabte einen über-
raschenden Sinn, alles nachzubilden, zeichnete als helläugiger, scharfer Beob-
achter nach den Werken seines Vaters und nach der Natur, erhielt auch den
Schulunterricht im Hause; nebenbei trat hier sein Farbensinn, ebenso wie die
Neigung zur Musik frühzeitig hervor. Keine förderliche Unterweisung wurde
versäumt, um seine Wege zu bahnen, nur das rechtzeitige Studium der Literatur
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KnabL
89
und Gesrliichte wurtle vcrnarhlässigt, wodurch eine zeitlebens fühlbare Lücke
entstand, während sein Schönhi-itssinn eine absonderliche Zukunft vcrsj»rach.
Anfangs wendete sich K. nach dem vaterlichen Vorbilde zur Skulptur, er
schnitt ftttfierst gewandt und mit sicherer Empfindung kleine Köpfe und
Figuren in Lindenholz, ging aber bald, seinem eminenten Farbensinn
folgend, zur Malerei über, beschäftigte sich jedoch ebenso mit Zither und Harfe.
Ksu-l von Piloty, welcher grofle Erwartungen auf ihn setzte, nahm sich liebe-
voll des friüircifcn Jüngliiisjs an, welcher das (leheimnis seiner Palette si hncll
erfaßte un<l durch prächtifj;e Studien bewährte. Dodi <:elangte erst 1874 ein
durchgearbeitetes Werk in den Kunstverein: »Der bestohlenc Geizhals«,
welchem die Diebe — man denkt unwillkürlich an Lessings gleichlautende
Fabel — einen »verdammten Stein« an die Stelle seines vergrabenen Schatzes
legten. Dann kam eine »Schusterwerkslätte (1S7O, ein »Junger Zither-
sjiicler« (iSytS) und das >Verborgene Genies eines in seine Holzschnitzerei
ganz versunkenen Hirtenknaben (1S81, als Holzschnitt im Dezemberheft 1884
»Vom Fels zum Meer ); so mochte Giotto ül)er der ersten Zeit hnunj; eines
LauHues weltvergessen sitzen, als Cimabue staunend den l'astorello von
Vcspignano entdecktet In ähnlicher Weise hatte R.s Vater die ersten
plastischen Versuche mit seinem Taschenschnitzer gemacht und Josef Anton
Koch in den Alpen den Rotstift auf den leeren Rückseiten einer alten Folio-
bilderbibel gehandhabt. Was im Menschen ste< kt, muß heraus und »sich
herrlich offenbaren . Jedes ehrliche Streben reißt h durch und bricht die
eigene Bahn. Man denke an Defregger, dessen X'orbild indessen erkennbar
auf K. wirkte, z. B. mit dem »Fingerhakeln« (1S78), wo der blutjunge
schneidige Jäger den alten hartgesottenen Robbler lauernd herausfordert; wie
verwunderlich blickt die ungläubige »Dim«, während der alte Schnapsbruder
f^entkmanlikc ein »Glasel Kerschengeist« zur Wette setzt. In diesen an Ein-
fachheit und Wahrheit mit den Krzählungen eines Joseph Schöpf oder dem
Vorarlberger Michel Felder wetteifern<len > Dorfgesehii hten entfaltete K..
eine Reihe sehr anziehender Darstellungen aus dem \ oiksleben, keine
»Salontiroler«, sondern echte Menscfaim mit ihren Leiden und Freuden, im
harten Kampf mit der Natur, in fröhlichem, herzerfreuendem Mutwillen, mit
dem ganzen, den Bergbewohnern eigenen neckischen Humor. Dazu gehört
z. B. eine herzig frische Sennerin, die auf der Alm den Festkranz für die
heimkehrende Kuh bindet; ein Wilderer, der mit Todesverachtung einer erlegten
Gemse über die steile Wand hinab nacliklettert ; eine schwarzgallige Fifer-
suchtsszene; der im Ringkampf ^Besiegte Herkules« ; auch «Steierische Fliilier
auf der Mur« (1882; in »Der gute Kamerad«, IV. Jahrgang 1S90, i. Heft);
ein Thema, welches der Maler schlieBlich in eine »Flofl&hrt auf der Isar«
übersetzte, wo die wettergebräunten Gesellen mit ihrem Fahrzeug über die
»Fälle« hinabschießen (vgl. Pecht in »Kunst für Alle 1886, S. 316); ferner
ein »Heuschlitten', worauf der Älpler das im Sonnner eingeheimste \'ieh-
futter im Winter in >au^en(ler f ahrt zu Tal fintiert; eine ' l. berschlächtige
Mühle«, deren Wasserfall lustige Buben zu ihrer Badegelegenheit benützen —
alles in unermüdlich beobachtenden Wanderungen dem Volkstreiben abge-
lauscht. Dabei tat er sich nie genug und schwelgte in einer Unzahl von
Studien, ehe er an die Arbeit ging. I)ann zog er auch das Porträt imd die
Landschaft in sein Bereich, malte sich selbst in ganzer, lebensgroßer Figur
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90
Knabl. Godin.
und die Häupter seiner Lieben und seiner Freunde, darunter ein höchst
ansprechendes Knahenhihhiis von gewinnend schalkivt heni Ausdruck (1896);
zu landschaftlichen Natursiudicn durchstreifte K. u. a. tUis ganze Gebiet des
»Wilden Kaiser«, ebenso die Salzach- und Inn-Gelinde und viele von
Touristenmalem nicht allzu häufig besuchte Femer- und Gletschergegenden.
In den lac henden Fluren des nahen Kufstein baute er sich ein flottes Atelier
und Kiinstlerlu'iin und stattete dasselbe zu einem wahren Hijnn aus mit
ei^xenen S( hi)|itungen und seltenein \(>n weit und breit eingeheimsten Ur-
väterhausrat Als emsiger Kadler durt hstreifte er ganz Ikilien mit einem
Trio von gleit hgemuteten Kunstgenossen, wobei er den erstaunt aufhorchenden
Bewohnern der Romagna, Apuliens und Calabriens altbayerische Weisen,
Schnaderhüpfel und Jodler zum besten gab. Hierbei begleitete ihn immer
die Zither, während in der Heimat, insbesondere bei Künsilerfcsten, die
Freude an der Harfe iiherwog, die K. mit einer mehr als dilettanti^' hen
Bravour zu srinem 1 aeblingsinsn ument erwählte. Nächtelang die Kreniide
durch sein tiefgefühltes Si)iel zu fesseln oder durch Imitation berühmter
Virtuosen und andere Kunstfertigkeiten zu entzücken, zu erheitern und
enthusiasmieren, gehörte zu den stillen Freuden des sonst so ruhig angelegten
Mannes. Hier lohnten ihn Ruhm und Beifall, ganze Lachsalven von dank-
baren, immer neu überraschten Zuhörern. Daß solche im Grunde doch
aufregeiuien Exkursionen durch das ('iel>iet der musikalischen Produktion für
die Ausdauer fordernden Sitzungen hinter der Staffelei nii ht immer förderlich
wirkten, war leicht begreiflich. K. sali etwas zu behaglich im väterlich
ererbten Hanfsamen, sorglose Mühe ist nicht immer ein GIQck fQr den
Künstler, ebenso wie das Gegenteil immer auch ein Übel ist. Seit 1879
glücklich verheiratet, freute er sich, daß seine beiden Töchter das artistische
Ingenium teilten, während sein einziger Sohn zum Kintritt in die Marine sich
\ orhereitete. Dieser s( Invamm zum ersten Male über den ()zean. als der
Vater einer längst geahnten Krankheit erlag, unil in tien Arkailen des >ud-
lichcn Camposanto, unter der von Josef Leonhard Mayer (* 3. Juli 1845 zu
München, f 30. November 1898, wurde nach Joseph Knabls Ableben der
artistische Leiter der von dessen Vater Josef Gabriel Mayer, 18. Miras
iSnS ZU Gebrazhofen, f 16. April 1883 in München, gegründeten Kunstanstalt;
dieselbe, verbunden mit einer großartigen (Ilasmalerei, erfreut sich, heute
unter der uinsieiitigen Direktion des Kommerzienrats l-'ranz Mayer stehend,
eines wohlbewährtcn Weltrufes) gemeiUelten im|)Osanten Statue Joseph Knabls
die letzte stille Rast fand. Dem völlig anspruchslosen Maler wSren wohl
noch viele Dezennien seiner erfreulichen Wirksamkeit gewünscht und gegönnt
gewesen. Eine teilweise Ausstellung seines Nachlasses erfolgte Ende Dezember
1904 im Münchener Kunstverein.
Nr. 2S3 »Neueste Nachrichtenc, 20. Juni 1904 und Nr. 27^1 ».Ml^u meine /eitim^c,
21. Juni 1904. Hyac. Holland.
Godin, Amalie, Roman- und Novcllendichterin, ^ 22. Mai 1824 zu Bam-
berg, f 24. April 1904 in München. — Im väterlichen Hause erhielt die
Tochter des hochgebildeten praktischen Arztes Dr, Friedrich Speyer, unter
der Leitung ihrer geistvollen Mutter, einer geborenen Baronin von Godin —
deren Namen die dankbare Dichterin später allen ihren poetischen Schöp-
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'Godin.
91
funpen vorsetzte — den ersten, ihre ganze folgende Herzens- und Geistes-
bildung bestimmenden Unterricht. Nach dem Tode ihres \'aters übersiedelte
sie na< h München, wo sie in der Familie <lcs auih durch seine Sagen-
forschungen hochverdienten Oberbaurats Friedrich Panzer mit den damals
hervorragenden Geistern, wie Franz Graf von Pocci, Fr. von Kobell, Wilhelm
von Kaulbachi Fr. von Thiersch und anderen Koryphäen, reiche, fördernde
FQhlung und lebhafte Anregung für ihre poetische Begabung erhielt. Auf
einer Kheinreise lernte sie den preußisclien Ingenienrofft/ier I'Vnnz I,inz kennen,
wt-Iclicr ihr im Frühjahr 1.S44 tlie Hand zu einem gliickli( lien Fhebiind
reichte, dem freilich auch vielfache Krankheiten mit schweren Prüfungen
folgten. Zneist wurde die Gattin von nervösen Leiden plötzlich befallen,
welche die junge Frau zwangen, auf ihre hfiusliche Tätigkeit vorläufig zu ver-
zichten und in dem stillen Wallauf fies Rheingau Kräftigung der Gesundheit
zu su( hon. Hier entstanden in idyllischer Einsamkeit die anfangs nur für
ihre Kinder verfaßten »Märchen , welche glücklicherweise den Weg in die
( )ftentlichkcit fanden und der unter dem Namen ihrer Mutler srhrei!)enden
Dichterin tlie Hahn zur weiteren Tätigkeit auf dem Gebiete iler Erzählungen
und Novellen bereiteten. Sie erhielten alsbald in illustrierten Zeitschriften,
insbesondere in der »Gartenlaube«, »Über Land und Meer« und später in
Schorers Familienblatt < usw. die freudigste Aufnahme und Anerkennung.
Infolge davon wagte sich fl. auch an gr()ßere, in Rdinanform durchgeführte
Probleme, darunter z. H. die Aufsehen erregenden lUu her Kine Katastrophe«
(neuerdings in der Reclam-Iiibl. Nr. 1842 und 1^^4,1) und die meisterhafte Er-
zählung »Ein Orangenzweig 'V (Gartenlaube 1872, Nr. 33 — 39), Schöpfungen,
welche den Vergleich mit George Eliot (vgl. Lord Actons schöne Studie Ober
diese grofie englische Dichterin, Beriin 1886) nicht zu scheuen haben.
Ihr Gatte, welcher in verschiedenen Garnisonen, in Koblenz, Mainz,
Saarlouis und Stettin im Dienste gestanden und zum Oberst avanciert war,
wurde 1.S64 wäluend des dänischen Krieges beauftragt, die Armierung der
Stadt Stralsuntl und der Insel Rügen auszuführen, infolge dieser anstrengenden
Obliegenheiten entwickelte sich bei dem äußerst kräftigen Mann eine schleichende
Krankheit, welche ihn nötigte, aufler Dienst zu treten. Die Gatten zogen
nach Trier, woselbst Oberst Linz kurz vor Ausbruch des deutsch-französi-
schen Krieges seinen qualvollen Leiden erlag.
liahl darauf übersiedelte sie nach München, wf) sie mit Hermann Kurz,
Paul He\se. Hermann von 1-ingg und deren wi iterein 1 )ichterkreis in ehrende,
zu neuen Arbeiten reizende Beziehung trat und zu frisciien, neuen l'robiemen
Ermutigung erfuhr, während sie in rührendster Weise der PHege ihrer Mutter
Klara oblag, die, S$ Jahre alt, am 20. April 1881 aus dem Leben schied,
hules^en hatte die vielgeprüfte Dichterin auch einer Tochter und einem Sohne
Karl, welcher am 6. Februar 1879 zu Herlin plötzlich an Herzschlag starb,
ins Grab zu schauen. Unermüdlich tätig, übernahm sie noch die lA'itung
der Erziehung zweier Töchter eities teuren l'reundes und hochachtbaren Ge-
lehrten. Trotz ihres schwer gefährdeten Augenlichts Hell sie die Feder nicht
ruhen, schuf immer noch Neues, sammelte kleinere Erzählungen zu neuen
Ausgaben, überarbeitete frühere Werke und blieb Ihrer Immer wohlgestimmten,
zartbesaiteten lyrischen Muse getreu. Ihre ^>nedichte^ ers<dn'enen in München
1888, »Lieder und Weisen« 1892, »Freudvoll und Leidvoll«, »Uerzensworte«,
92
Godin.
»Magdbom« und eine Anthologie Jilumengrülie« (Mfinchen 1884 bei Ströfer)
und »Aus großer Zeit« (Glogau 1873). Ihre »Märchen von einer Mutter
erdacht« liegen in vierter Auflage (Stuttgart 1897) vor; dazu kommen das
TOn Leopold Venus (ein nach seinem wahren Verdienst nur stt woiig
bekannter Künstler, welcher • 1843 zu Dresden, am 23. Dezember 1886 nach
zehnjährigem Leiden in Sonnenstein bei Pirna starb; vgl. »Knn^t für Alle«
iS.Sj, Ii, 121) reich illustrierte Märchenhurh« (4. Aufl. bei Menuning in
Glogau), ferner »Neue Murchen für die Jugend«, ein »Man henkranz« un«l
»Märchenreigen«, auflerdem eine Auswahl und Bearbeitung von slaviscfaen
und polnischen Volksmärchen (nach Glinski), auch »Märchen aus aller Herren
Läntler« und »Aus Feld und Wiese«. Unter den Novellen stehen in erster
Reihe die mit dem Titel »Die NIadonna mit den Lilien« gesammelten kleinen
Künstlergeschichten (Reclam-liil)l. .\r. 2087), '^I'raiionliebe und Leben (1S74
in fünf liänden), »Historische Novellen (1863I; ^ Kleine (ieschichten t und neue
»Novellen« (1876, in drei liänden^ und die groüeren Romane »Ein Ehren-
wort«, »Gräfin Lenore«, »Mutter und Sohn« (in zwei Bänden, a. Aufl. 1888),
»Schicksale«, »Sturm und Frieden«, »Wally« (Berlin bei Janke), »Fahr wohll«,
»Eine schwarze Kugel« (1890) u. a. m.
Ihr siebzigster Geburtstag wurde festlich begangen uikI durch ein von
Paul Heyse fein ertlachtes und gesammeltes sinniges Ehrengeschenk ihrer
näheren Freunde verschönt (\r. 236 Neueste Nachrichten«, 24. Mai 1894).
Vier Wochen vor ihrem achtzigsten Jahre riß ihr Lcbcn.sfaden entzwei. Kurz
vorher hatte sie noch, rasch und sidier, auf ihrem Krankenlager, unter dem
Klang der Osterglocken, die letzten Verse einem Freunde diktiert, welche
Dr. O.swald Schmidt als letzte Gabe dieser schönen Seele in Nr. 235 »All-
gemeine Zeitinig", 26. Mai 1004 veröffentlichte. An ihrem (irabe trauerten
mit ihren beiden edlen Söhnen (wovon <ler ( )l)erpostrat Richard Linz schon
am 18. Februar 1905 der Mutter folgte), weh he die Freude und den Stolz
der Dichterin bildeten, die besten Männer und Frauen Münchens und die
gleiche stille Teilnahme pflanzte sich fort, wohin die Trauerkunde kam. Der
wohlverdiente Dichterlorbeer und die unvergängliche Palme treuer Erinnerung
schmücken immergrünend ihren Namen I
Sehr zutreffend zeichnet ihr ganzes Wesen ein würdiger Nachruf:
».\nielie (lodin war eine ungemein sympathische Frauengestalt, eine übcraii>
zarte und dabei doch so willenskräftige Natur, die d;us Leben liebte und ihm
ein stetes »Und dennoch« entgegensetzte, auch wenn das Schicksal sie oft
hart traf. Sie war eine begeisterte Dichterin des Schönen und der göttlichen
Kraft des Lebens. Der Oberflächlichste, der L^nbedeutendste bekam in ihrer
Nähe eine Ahnung von der strahlenden Höhe de.s Schaffens. In ihrem
Königreich adelte sie jeden, den ihr liebliches Lächeln traf. Sie war etwas,
diese kleine, vornehme, alte l'rau mit den altmodischen, schwarzen,
rau.schenclen, seidenen Gewändern, mit den schönen schneeweitien Locken,
den feurigen, dunklen Augen, der raschen Inbrunst der Sprache, der
Schwermut derer, die um das Leben wissen.« Eine reine, vielgeprüfte Seele,
die nie untergetaucht in den trübsten Erfahrungen, doch immer den unermüd-
lichen Mut, anderen zu helfen, hatte und nie den Glauben an die Menschen
verlor.«
Vgl. Paul Sirano, »Im S.i]un Amclic Godin« in Nr. 45 »über Land und Meere 1S77.
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Godin. Amold.
93
XXWFII 91S. — Dietrich Thedfri, AiiK-lie Godin, ein l.itcr.mubild ("mit I'orträt) in Nr. 10
>Ganculuubcc 1882. S. 159 ff. - »Deut, llluätr. Zt^.« 1885. II. 85 (mit Portriit). —
»Vom Fds zum Meer« 1887/88. IX. Heft. — Georg \Vestenber};er, Zum siebenzigsten Ge-
burtstag in Nr. 233 »Neueste Nachricbtoi«» 93. Mai 1894. — Sopbie Piitiiky, Lexikon deut-
scher Frauen dtr IVdcr. lu-rlin I SoS. I. 265 und 509. »AUjjcin. Zt<».« Nr. 1 Sq, 27. April
1904. — Nr. 3177 »Illu>trii.Ttc Zcitiinp« Lei|)/ig. 19. Mai 1904 (mit Foitiätj. — liin
Portrat von M. Krüger im Müncbcner Kunstvercin, Oktober 1896.
Hyac. Holland.
Arnold, Hugo, k. baycr. Haui>tinanii. historischer Scliriftstclk-r, * 12. Mai
1842 in Müiulifii, f 3. ()kt()l)cr 1904 cbciKhisclbst. — Sohn eines Oboibcamten
der Hypotheken- und \Vcch.selbank, studierte am Gymnasium seiner Heimat,
trat in die 6. Klasse des Kadettenkorps, wurde 1860 Junker im Inf. -Leib«
regiment, 1861 Unter^ und 1866 Oberleutnant im 11. Inf. -Regiment, bei
wekhem sich A. sowohl 1866 wie auch im deutsch-französischen Kriege 1870/71
durch HcUleninut und Tüchtigkeit hervortat, namenthVh in den De/einber-
schlachten. Bei N'illepion am i. Dezember rettete er im heftigsten feini!h'( hen
l euer unter Mitwirkung seiner Abteilung und in Verbindung mit Artiilerie-
mannschaften und Pferden ein vor der Gefechtsfront gebliebenes Gescliütz;
in den blutigen Tagen von Loigny und Cravant führte er seine Mannschaft
mit besonderer Bravour; das Eäseme Kreuz und der Militär-Verdienstorden
waren sein Lohn. Seit 1875 Hauptmann im 7. Jägerbataillon, trat der an den
Kolgen des Keldzuges schwer leidende Mann i<SS7 in Pension, griff aber dann
zur Feder, um seine schönen historischen Kenntnisse und später auch seine
Kcldzugserinncrungen zu verwerten. Vorwiegend betätigte sich A. auf dein
geschichtlichen, ethnographischen und anthropologischen Gebiet, betrieb mit
großem Geschick und ebenso umfassender Sorgfalt im Auftrag von Privaten und
gelehrten Gesellschaften, Untersuchungen über römische Lagerplätze, Straßen-
züge und Standquartiere, leitete und führte die Aufdeckung und Ausgrabung
prähistorischer (Gräber und Hügel, z. H. bei Auing am Wörthsee (1879), am
Auerberg im Lechrain (zwischen Wertaih untl Lech, 1881), der alten Akro-
j>olis der Licatier Uamasia, 1889 entdeckte er die letzten Reste der von
Heinrich dem Löwen erbauten Münchener Stadtmauer, brachte neues Material
zur Limesforschung (1891), unterzog die im bayerischen Armeemuseum
befindlichen Lahnen und Standarten einer neuen Untersuchung, ebenso den
Lnifang inid <las 'l\rrain der Stadt München einer geologisch-historischen
Heleuchtung, nun hte Ausllüge nach alten Burgstätten und kleineren Besiede-
lungen in Altbayern an der Isar, Amper, am Inn und im Salzachgebiet,
welches er mit offenem Auge für volkstümliches Leben, für Sitte und Tracht,
Sage und Herkommen durchwanderte. Die Resultate verarbeitete A. in an-
ziehender, streng sachlicher Darstellung für süddeutsche Fach- und Tages-
blätter, auch für illustrierte Zeitungen, wozu befreundete Künstler ihre artistisch-
malerischen Aufnahmen gaben. Auch die ol)erbaycrischen Seen zog er in den
Kreis seiner historischen Betrachtung und schuf heitere, kulturhistorische
Landschaftsbilder aus der Urzeit mit der Staffage von Pfahlbaubewohnern
und bronzekundigen Kelten, die letzten Nachklänge ihres ganzen habituellen
Befindens aus der vorliegenden Gegenwart erkennend und nachweisend,
wobei nicht selten ein s( halkisch lächelnder, an Luflwig Steub erinnernder
Humor zur wohltätigen Erwärmung dem Autor die Feder führte. Als ein
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Arnold.
Muster dieser Art dürfen auch die Ivrlehnisse mit seinen l*fer<len dienen, wo
die verschiedenen Tiere nach ihren bewiesenen Fähigkeiten und Charakter-
eigenschaften hübsch gezeichnet erscheinen. Mit grofiem Geschick verstand
A. die gelehrten Ergebnisse von Riezlers und Baumanns Forschungen in
volicstümlicher Form einem weiteren Leserkreise zu vermitteln und mund-
gerecht zu maclu-n; seine Referate darüber waren immer originell gefaßt
und sozusagen mit seiner eigenen Auffassung sehr geschickt vereinl),ut. als
wenn er von der Priorität derselben vollständig ül)erzeugt gewesen. Der-
gleichen kleine Kskamotagen gelangen ihm zur zufälligen Überraschung.
Ziemlich spät kam er darauf, Selbsterlebtes aufzuzeichnen. So entstanden,
offenbar angeregt durch Taneras Schriftstellererfolge, die hinter Detlef von
Lilicncrons Verve freilich zurückstehenden Feld/ugseriniu i ungen »Unter General
von der Tann- (München iSo^ und iS()6 bei C. H. Heck) in zwei Händchen.
Mit sachverstiim li^^ii Strichen zeichnet A. die strategischen X'erhältnissc,
welche die verwickelt gewordene Kriegslage schuf. Die deutschen Heere an
der Loire hatten vorwiegend operative Aufgaben zu lösen. Die Darstellung
der Ereignisse während des furchtbaren Winteifeldzugs an der Loire, diese
scheinbar wirren Märsche in ihrem Zusammenhange klarzumachen, war
seine schwere Aufgabe und erforderte besonderes Talent. Wer diesen Be-
richten an der Hand der Karte zwischen I*aris und der Loire folgt, winl
die ( )i>erati()nen in der Heauce und am Perch erst verstehen und mit Hewun-
derung und Stolz die Taten des ersten bayerischen Armeekorps vernehmen.
Die Schwierigkeit, hierin das richtige Mafi zu treffen, hat A. mit groftem
Geschick überwunden und dabei bewiesen, dafi er ein nicht minder kriegs^
wissenschaftlich geschulter wie zugleich auf der vollen Höhe allgemeiner
Bildung stehender und mit einem seltenen SchriftstcUertalent Ijcgahter Autor
ist. Die Schilderung der persönlichen Erlebnisse gewinnt wirklich gesc hicht-
lichen Wert und um so mehr, als die Umstände, unter denen die tapferen
Truppen an der Loire den Sieg an ihre Fahne fesselten, mit wahrhaft plasti-
scher Anschaulichkeit vor Augen geführt werden: die Strapazen und Be-
schwerden des Winterfeldzugs, die Schrecken des Volkskrieges, die Hemmnisse
und Reibungen <ler Heerführung. Großes Interesse erregen die auf bestimmte
\'erhältnisse und Personen fallenden Streiflichter, z. H. das Hauptquartier des
('ir(^ßlK rz<)gs von Mecklenburg, den Bischof I )u])anloup (dessen Vergleich mit
dem gelehrten Döllinger ein gewiti nicht /ulrettender ist), die französische
Bevölkerung mit Einschluß des Klerus; klar tritt der Opfermut und die Aas«
dauer der deutschen Truppen hervor, auf den anstrengenden Märschen, in
den Gefechten, wovon beispielsweise die Schlacht von Beaugency am 8. De-
zember ein erlesenes, ergreifendes Hild bietet. Dazu kommen die Vorzüge
des Autors, Klarheit der Darstellung, möglichste Objektivität, die auch dem
Feinde die gebührende Anerkennung zugesteht, die Fehler im eigenen Lager
nicht vertuscht, die überall durchquellende Liebe zum Vaterlande und den
Kameraden offenbart. Schade, dafi A. seine Wahrnehmungen vor Paris zur
Zeit der Kommune nicht eingehender berichtet, vielleicht nur um seine Arbeit
nicht ans( hwellen zu lassen. Ein anderer hätte überhaupt aus diesem dank-
baren Stoff mehr Kapitel zu ziehen gestrebt.
Meist führte ein launiger Humnr dem Verfasser die Feder; da sein Auge
nach allen Radien das pulsierende Leben erfallte, übersetzte A. die früheren
PigitiyiTfi-ül^ifcTjIr
Arnold.
95
strategischen Herichtc, das fx-bt-n und 'rrciben in den alten I .eiiinnen, I.a^ern
und Kriegslebcn der Römer in gleiche Beleuchtung, wobei sich durt h A.s
Ausgrabungen, Bodenstudien und Terrainforschungen die verdeutschenden
naheliegenden Analogien von selbst ergeben. Dabei gebraucht er dann nach
Vorgang seines Lieblingsvorbildes Mommsen das zutreffendste moderne Wort,
wodurch Farbe, Leben, Stimmung in seine neckischen kultnrhistorisctien Dar-
stclhingcn kommt. Darin ist A. seinem immer leichtle])igen, aVier nur touristi-
schen Kollegen Tanera weit überlegen und naher an 1 .iliencron gerückt,
der seinen harnischtragenden Marsenritter gelegentlich heranrasseln läiii. Eine
Masterleistung dieser Art war ein Vortrag am 26. Oktober 1900 in den Sit-
zungen der MQndiener anthropologischen Gesellschaft: »Herr Claudius Patemus
Clementianns, ein Nachfolger des Pontius Pilatus und ein oberbayerischer
Landsmann aus Epfach«. Letzteres ist eine uralte Ortschaft, deren Bestand
weit über die Römerzeit zurückreicht, wie die Grabhügelgrupj^en mit Schmuck
und (ieräten aus der Bronze- und Hallstaltzeit und die liochf^ewellten }b)ch-
ackerbcete in der weiten Umgebung beweisen. Neben Marmorplattey, Säulen-
Stücken, Quadern feinden sich in der Umfassungsmauer auf dem Lorenzhügel
bei Epfach (AMiaamf Abusaeum, Eptatiaim) Denkmäler mit wichtigen, in
wenigen Worten viel erzählenden Inschriften, welche die Namen städtischer
Beamten tragen und deren Würde bezeichnen, woraus der Schluß erlaubt ist,
daß Abüdiacum wie Bregenz, Kempten untl Augsburg eine «vr'/A/j« war.
Drei Steine beziehen sich auf den genannten Gentleman. Nun wagte A. die
gar nicht unwahrscheinliche Annahme, daß der Ahnherr des besagten Claudius
Patemus Clementianus, der sich, wie Augsburger Inskriptionen beweisen,
zuerst in der alten Keltenstadt am Lech niederließ, ein Veteran oder ein im
Gefolge des Heeres zugewanderter Bürger oder Handelsmann, vielleicht sogar
ritterlichen Ranges gewesen ist, der als ^römischer Bürger« von Haus aus
sich unter den Ortseinwohnern eines großen Ansehens erfreute. Der Name
mit keltischem Klang des mütterlichen Großvaters ^hiduius^ erlaubt den
Schlatt, daß der Vater sich mit einer keltischen Jungfrau verheiratete. Der
demnach sicherlich in Epfach geborene Cl. P. Clementian scheint nicht von
der Picke auf gedient zu haben, er absolvierte sofort die Vorstufe für die
Prokuratur, die »/m m'ilithu o/uesfn'S'i. Als -»'rnhunus militutti stand er
bei der »h'i^io XI . Clainiia-^. Hierauf wurde er Kommandeur des Silianisc hen
Reiterregiments römischer Bürger, das den Beinamen y>torijuata<i^ trug, weil
ihm die •»torqucs<f^ (man denkt dabei unwillkürlich an das früher von unseren
Offizieren im Dienst getragene ^Hausst-col*) als Auszeichnung für Tapfer-
keit verliehen worden waren. Den Schluß der MilitArlaufbahn des Cl. P. Cle-
mentian bildete die Befehlshaberstelle eines vermutlich der Donanflottille
zugeteilten Seebataillons. Dann trat er in den Verwaltungsdienst über, wurde
kaiserlicher Prokurator in den Provinzen Afrika, Sardinien uiul Judäa, in
letzterer als \'ert reter des syrischen Legaten — eine in der Zeit von 138 bis
192 n. Chr. abgesponnene gloriose Karriere! — In ähnlichen kulturhistorischen
Perspektiven behandelte A. noch viele andere Stoffe, z. B. die deutsche
Königshufe »Königswiesen«, die römischen Heerverhältnisse im bayerischen
Rhätien, die Ortsnamen der Münchener Gegend, den uralten Pferdemarkt zu
Keferlohe, die Gräber der alten (liesinger, die Gegend von Laim, die Tölzer
Leonhardfahrten, die Rümerstätte zu Icking, die Schanzen zu Deisenhofen,
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Arnold. Bittong.
alte Schiftcrgcbrauclic auf Inn und Salza» Ii, die l aunlic der Agiloltingcr,
Tassilos Politik und Sturz. In allen gelehrten Gesellscliaiten und Zeitschriften
waren seine Vorträge willkommen; freilich wufiten die wenigsten Zuhörer
und Leser, unter welchen peinigenden Leiden diese erfreulichen Elaborate
entstanden. Die Kol<^cn der l eMzuj^strapazen machten sich, aiif:ini:licli noch
wenij^er l)ea<htet, immer mehr fielteiid. im Jahre 1880 vermahlte er sich
mit einer IJaronin von Crailsheim, welche ihm jetloeh sc hon iSijS durch den
Tod entrissen wurde. Von 1892 — 1895 arbeitete A. in der Redaktion der
»Allgemeinen Zeitung«, ohne auffällige Störungen in seiner schriftstellerischen
Tätigkeit. Dann kamen schwere Augentrübungen, lähmende Erscheinungen
und andere l)()se Vorboten. Auch jetzt gönnte sich der energische Mann
keine Kuiie, obwohl ihm das neue Material nur durch \'orlesen vermittelt
wertleii kiumte und der r.istlose Denker mit schweren Mühen seinem Srhreiber
die wuhklurehfeilten Satze in die beder diktieren mußte, bis auch dieser
letzte Trost mit geistigem und körperlichem Zerfall endete. Welche Fülle
des Wissens blieb unausgenfitzt und unvererbbar, zum Jammer seiner beiden
Töchter, welche dem Vater bis zum letzten Augenl)Ii< ke als treueste Pflege-
rinnen beistanden. Eine Sammlung oder .Auswahl seiner weitzerstreutcn
Klaborate wäre ein höchst wünschenswertes und verdientes Denkmal.
Vgl. Nr. 463 »Neueste NaehriclUcn« 5. Oktoher und cbciuhisellist Nr. 470 vom 7. Olc-
toUcr 1904. Alex Braun in Nr. 236 L'ntcrbaltungslicil.igc zur »Nurddeutseh. Allgem. Ztg.c vom
7. Oktober 1904. (Ein jttngerer Brudvr, H ermann Arnold, der sich gleichfalls als Krieger
und Schrifisteller, inshcsondcre aher als Maler hervortat, geb. 6. Mai 1846 su München,
war ihm j,'ltit |il;ill> n.u-h s>li\verem 1. eitlen schon am 25. juiii 1S96 /u Jena im Tode
vurausgcgangcii. Vgl. uu'^er »Hiogr. Jahrbueli« 1X97 .'s. 47 und ».\llgcm. Dculache Uiographie«
190a. XXXXVI, 51.) Hyac. Holland.
Bittong, Franz, Direktor der vereinigten Theater von Hamburg und
Altona, * z. November 1842 in Mainz, f 8. Oktober 1904 in Hamburg. —
B., der ursprünglich für die kaufmännische Laufl)ahn bestimmt und mehrere
Jahre als Heamter einer franziisis* hen Kisenbahngesellschaft in Paris tatii;
wa», liebte von jeher ein leidenschaftlivhes Interesse tiir das Theater.
Nachiiem er den deutsch-fran/t)sischen Krieg alb freiwilliger Krankenpfleger
mitgemacht hatte und nach Mainz zurückgekehrt war, trat er hier in Be*
Ziehung zu dem Direktor des Stadttheaters Th. L'Arronge, der sich sehr bald
von der aufierordentlichen UeKabung H.s überzeugte und ihn, der nie Schau-
spieler gewesen war und die liühne praktisch gar nicht kannte, als Re^is^eur
fiir sein Theater verpthrhtete. 1872 ging H. in gleicher P^igenschaft nach
Sieltin, von 1873 — 1S76 wirkte er in Bremen, um im .\ugusl 1876 einem Ruf
des Direktors Ch6ri Maurice an d;u> Thalia- I heater in Hamburg zu folgen.
Durchdrungen von dem Gedanken einer notwendigen Reform des Bflhnen-
wesens, hatte B. bereits einige Jahre zuvor die kleine Schrift »Plaudoceiaif'
über die Reform der deutschen l^ühne (Stettin 1873) veröffentlicht, 'n
Hamburg bot sich ihm jetzt (lelegenheit, seine Ideen zu vcrwirkliihen.
fSeiiie Hestrebuiigen richteten sich in erster Linie darauf, mit gewissen ver-
alteten liühnentormen zu brechen, die weder den Anforderungen eines
ästhetisch gebildeten Geschmacks, nodi den unveränderlichen Grundgesetzen
der Schauspielkunst entsprachen, deren Beseitigung aber noch von ni«nandem
BiltoBg:. Lehnumn.
97
vorher versucht worden war. Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Schau-
bühne nicht nur dein Geiste, sondern auch der Tat n;u h ein bis in die
Kinzclliciten ;;etreui-s liihi des wirklichen J.etK'n-- sein invisse, warf ]i. das
ganze barocke iierkommen, welches in bezug auf die Einrichtung der Szene,
auf die Front- und HalbkreissteHun^en der Schauspieler usw. herrschte, mit
einem Schlage über Bord und richtete sowohl das Auflere der Bühne wie
die Bewegungen und Gruppierungen der Darsteller in einer den Gebräuchen
und l ingangsformcn des l,eliens völlig entsprechenden Weise ein. Schön-
heit, Einfachheit und Wahrlieit! Das waren <lie drei Hauptfonlerungen,
web he er von vornherein an die Leistungen lier Huhne stellte; aber er über-
trug diese Forderungen mit vollem Recht auch auf jene Äußerlichkeiten, in
denen die alte Schule zwar die Einfachheit immer sehr nachdrücklich betont,
auf Schönheit und Wahrheit aber ein viel zu geringes Gewicht gelegt hatte.
Das Publikum war erstaunt und freudig überrascht, als es unter B.s Regie
statt der herkömmlichen Bühnenzimmer und lUihncnsalons mit einem Male
wirkliche, behaglich und geschnun k\ oH eiii^rei i< biete Wohnräume vor sich
sah. Es wurde urplötzlich jeilem klar, dali nur auf diese Weise allen An-
forderungen der Schönheit und der Wahrscheinlichkeit zugleich Rechnung
getragen werden könne, und die Wirkung, welche durch die scheinbar rein
äufierliche Reform auch auf die Natürlichkeit der einzelnen schauspieleri-
schen Leistungen und auf den Eindruck der ganzen Bühnenwerke geübt
wurde, war eine überraschend gmlJe. (Ortmann, S. 32021.)
1885 erhielt B. die Stelle eines Oberregisseurs am Hamburger Stadt-
theater, und im Januar 1898 übernahm er nach dem Tode des Direktors
Pollini im Verein mit dessen Geschäftsführer M. Bachur die Direktion des
Hamburger Stadttheaters, des Stadttheaters in Altona und des Hatnburger
Thalia-Theaters. Wenn die Hamburger Bühne in der Folge den großen Ruf
behauptete, den sie sich unter Pollini erworben hatte, so war flas nicht zum
wenigsten H.s N'erdienst. Ganz besondere Aufmerksamkeit widmete er der
Pflege der großen Oper und erzielte auch damit reichen Erfolg. Auch als
Bühnenschriftsteller hat er sich einen guten Namen gemacht; freudigste An>
erkennung fanden vor allem seine poesievoUen Weihnachtsmlrchen.
Mit aller Kraft hat B. bis zuletzt seine idealen Ziele verfolgt, die Liebe
zur Kunst war der Leitstern seines Lebens, mit tiefem Ernst faßte er jede
Aufgabe an, mit feinem Takt, mit uintassendcm Wissen und klugem K()nnen
führte er sie zu Ende, ein kühner Vorkämpfer für alles Neue, das einen
wahren, gesunden Fortschritt bedeutete, in der lebendigen Fülle seines
künstlerischen Wirkens ein Vorbild für alle, die gleich ihm streben und
arbeiten im Dienste des Schönen.
Vfjl. »Hamb, rorri'^pciulcnt«, Morg.-Ausg. V. 9., Ab.-Aii^^'. v. 10.. 11. u. 12. Oktober
1904. ~ >Hiiluie und Welt«, \g. 7, Nr. 7, 1904, S. 85 (Nekrolog v. P. Rache, Bildnis);
\g\. auch Jg. 1, Halbjahr 1, 99, S. iiSf. — BrUmmer, Lexikon d. deutschen Dichter
d. 19. Jabrh., 5. Ausg., Bd. 1, S. 132, 474. — R. Ortmann, Fttnfxig Jahre eines deut«chen
Theaterdirektors. Erinnenin^^cn, Ski//rii und Biographien aus d. Geschichte des H.imhurger
Thalia-Theaters. Hamburg ih8i, S. jiSff. Joh. Sass.
Lehmann, Heinrich Otto, (lebeimer Justizrat, ordentlicher Professor
\ der Rec hte an der I nn crsitat .Marburg, * 28. Oktober 1S52 in Kiel als Sohn
1 Biogr. J.ilirliucli u. lJcut5ichcr Nckroinjf. 9. Ud y
1
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I
p8 Lefamann.
f!cs Aflvnknten Theodor Lehmann, f 27. Januar 1904 in Marburg. — L., der
seine 1-Uern früh verhir, wurde im Hause seines Onkels, des .\]iotheker>
J. Lehmann in Rendsburg, erzogen. Nachdem er das Gymnasium daselbst
im Herbst 187 1 mit dem Zeugnis der Reife verlassen hatte, begann er in
Berlin die Apothekfcrlaufbahn, die er jedoch bald wieder aufgab, da sie seinen
Neigungen nicht entsprach. Er wandte sich dem juristischen Studium zu,
das er 1872 in Greifswald begann, in Heidelberg fortsetzte und in BerHn
zum Absrhhill brachte. Hier be-^tand er im Januar 1877 das Referendar-
examen, war (kmn eine Zeithin^ als Referendar in Rendsburg tätig und ginji
darauf nach Güttingen, um seine Habilitation in die Wege zu leiten. Ein
emster Unfall aber, bei dem er sich infolge eines Sturzes eine innere Ver*
letzung zuzog, zwang ihn, alle Vorbereitungen für die akademische Karriere
abzubrechen und mehrere Jahre nur seiner Gesundheit zu leben. Erst 18S1
war L. so weit wieder hergestellt, dn!^ er sich von neuem einer festen Berufs-
tätigkeit hingeben konnte, l.r wunie zunächst als l iiiversitätsrichter in Kiel
angestellt. 1SS2 habilitierte er sich hier als l'rivatdüzent und wurde 1885
zum auBerordcntlichen Professor daselbst ernannt. Im Jahre 1888 folgte er
einem Ruf als ordentlicher Professor nach Gießen, von wo er 1889 nach
Marburg übersiedelte.
Angesichts der schweren körperlichen Leiden, mit denen L. fast drei
Jahrzehnte lang zu ringen hatte, verdienen seine bedeutenden Leistungen um
so uneingeschränktere Hewuiulerung. Seine Haupttätigkeit galt dem ileutschen
Recht einschließlich des Handelsrechts. 1886 erschien sein mit ausgezeich-
neter Sorgfalt gearbeitetes »Lehrbuch des deutschen Wechselrechts«, von
1896 — 1900 die wichtige Neubearbeitung von Stobbes »Handbuch des
deutschen Privatrechts« (Hd. 2 — 4), das L.s tief eindringende Behandlung des
Gesrenstandes zu einem durchaus neuen, selbständigen Werke gestaltete. Mit
gleit her Knergie und gleichem Infolge trat er in den letzten Jalirei^ an liii.'
grolien Aufgaben heran, welche der deutschen Kechtswi.s.senschait au>
der Fertigstellung des BQrgerlichen Gesetzbuchs erwuchsen. In dem Lehr^
buch »Das BOrgerliche Recht« (2. Aufl. 1901), das er im Verein mit Enneccems
herausgab, bearbeitete L. das Sachenrecht sowie das Familien- un<l Erbrecht,
Als Dozent besaß der Heimgegangene eine außerordentliche AnziehungskratT.
> Seine X'orlesungen und I hungen waren jiackend und belehrend zuglei( li;
was er lehrte, war das Produkt einer kräftigen, individuellen, von warmer
Begeisterung für ihre Wissenschaft getragenen Natur.«
Das reiche Lebenswerk des Mannes ist aber damit noch nicht erschöpft
Noch fehlt ein wesentlicher Zug in dem Bild seines Wirkens, L.s öffentliche
Tätigkeil außerhalb seines akademischen Berufs. »Starkes nationales Emp-
finden trieb ihn ins p(ilitisclie I,eben, sein Genieinsinn zur Mitarbeit an der
städtischen \ciualtung Marburgs. Die lautere (Iroüe seines (."harakters,
seine unermüdliche l'Hichttreue, der frische, lebendige Hauch seines Wesens
verschafften ihm überall Geltung und Einfluß. Alle sahen in ihm den klugen,
zielbewußten Führer zum Rechten und Guten. Als solcher erscheint er auch
in den zahlreichen trefflichen, natioii deii I'riigen gewidmeten .Xufsntzen, die
er in den (Iren/boten , tier Nationai-Zcitung« und vor allem in der »Neuen
Züricher /eilung veröffentlicht hat.
Vgl. »C hronik der Lnivcrsität Marburg« für 1903 04, Jg. 17, .S. 6 — 8 (Nekrolog und
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Lehmann. Wannenmacber.
99
Si^ hriftcnvorzeichnis). - »Deutsche Juristen-Zeitung«, }g. 9, 1904, Sj^. 302 203 (Nekrnlf)ff
von Arthur Schmidtj. — »Zcitscbrift f. das Gesamte Handelsrecht, Bd. 55, 1904, 6. 3S5 86
(Nekrolog von K. Lehmann). — Alberti, Schriftsteller-Lexikon, 1866 — 1882, i, S. 428^39.
— »Kieler Zeitungc, Ab.>Ausg. v. 38. Januar 1904* Joh. Sass.
Wannenmacher, Franz Xaver, Gymnasiallehrer und Schriftsteller, * 8. Mai
1839 in Owingen in Hohenzollem, f ai. Oktober 1904 in Straflburg i. E. —
Ein Sohn wohlhabender Bauersleute, war er zuerst Volksschullehrer, später
Gymnasiallehrer in Köln. Frühzeitig aus dem Dienst geschieden, ergab er
sich mit Icideiischaftlirhein VMer den versrhiedeiiartif^^sten Studien, «jTwarb
<lie philosophische Doktorwürde, bereiste fast alle europiiisc lien i,;iiider, vcr-
öftentlichtc JugenUschriften und Übersetzungen, namentlich aus dem Spani^-chcn.
Als er beim Kultusminister v. Zedlitz-Trützschler Beiträge für eine von ihm
in der Nähe seiner Heimat, in Haigerloch, gegründete Privatschule nach-
suchen wollte, fand er bei diesem schlechte Aufnahme; sein Besuch hatte nur
die ["olue, daß die Schule geschlossen wurde. Doch es war seine Art iii< ht,
ein Krlebnis schwer zu nehmen; wie der weituingetriebene Odysseus konnte
er von sich sagen, daß er schon Hundemätiigeres ertragen habe. Er ließ sich
so leicht nicht unterkriegen. Er hatte Geist und Humor genug, das Erlebnis
zu einem künstlerischen Versuch auszubeuten. Wo ein anderer in seiner
Qual verstummt wäre, da gab ihm ein Gott zu sagen, was er leide. In einem
kleinen Lustspiel »Ohne Titel« bra( htc er einen Gymnasiallehrer a. D. Franz
Werner auf die Bühne, dem alles das begegnet, was er seihst duri hgeiiKu ht
hatte. Im Jahre T898 wurde das Stück in Hechingen und Signiaringen unter
dem Beifall der ganzen lievölkerung aufgeführt. Er schrieb noch ein zweites
Lustspiel »Fürst Krapotkin«, worin ebenfalls ein eignes Erlebnis verarbeitet
ist. Der Held des Stückes, Professor Walther, wird bei einem Besuch in der
Rcichshauptstadt von einem Geheimpolizisten für den herühnitcn Anarchisten
Für>ten KrajM)tkin gehalten und deshalb verhaftet. .Nachher klärt sich das
Mißverständnis auf. Das Stück ging iSqc) in Hechingen über die Kühne, und
der Verfasser wurde in humoristischer Weise gefeiert. Es darf an dieser
Stelle wohl gesagt werden, daß VV. in seinem ursprünglichen Berufe gescheitert
war. Aber er war ein Mann von seltenem Wissensdrang und ungemein reger
geistiger Energie. Kurz vor seinem Tode war er noch von Hechingen nach
Straßburg gezogen, um an der dortigen Universität Vorlesungen zu hören.
Ein redlii her .Mann ohne Fals( h, hatte er keine I'einde. Sein Humor machte
ihn iibd.dl beliebt. .Auch er war ein echter S( luvabe, ohne die harten
'1 ugenden, die den Menschen heute in der Welt vorwärts bringen, ohne Miß-
trauen, ohne Schneidigkeit, wie ein Original aus der Rokokozeit in unsere
Zeit verschlagen, so mild und würdevoll in seinem Wesen, daft manche über
ihn lächeln zu dürfen glaubten, die ihm bei weitem nicht ebenbürtig waren.
Er schrieb, zum Teil unter dem Pseudonym Vtmt. v. Aubingen (nach Owin^'en. meinem
GeburtsortI: liijjend-i !.i iüen : H;inib:« Z.unh.i 1S71. In der Fremde 1S72. Irrfahrten in
London 1S73, — 1 icnid-prachlichc Hilt>büchcr: rocahiiiare CastdloHc y Gramatica sin
lUgka 1878. Der geschickte Franzose 1880. Der geschickte Englander 1880. — Griseldis-
sage anf der iberischen H.nlbinsel 1895. — Lustspiele: Ohne Titel 1897. Für-t Knpotkin
1897. rbcr<;et/«npen: .Sokr.itcs und Ic«!!«; ( M\ri-,tus 1S64. Erinnerungen aus dem Leben
eines Handwerkers 1871. Laznrillo von lurnic:i 1S81.
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Wannenmadier. Heiberg. Saucnniim.
Nekrolog (von A. Zander i in Nr. i68 der in HecbtDgen erscbeinendea Hohenzolleriscbeo
Blatter vom 24. Oktober 1904.
Hechingen. Anton Zander.
Helberg, Asta Sophie Charlotte, geb. Gräfin Baudissin, die Mutter des
Dichters Hennann Heiberg, * 7. Mai 1817 in Greifswald, f 28. Januar 1904
in Schleswig. — Ihre Jagend verlebte A. H. auf dem in Jütland zwischen
Horsetis uml Aarhus gelegenen Landgut Hovedgaard, welches der Vater bald
nach ihrer Geburt erwarb. 1825 zo«; sie mit ihren Eltern nach Horsens und
1831 nach Rendsburg. Die Mädi henjahre führten sie nach Kiel, wo sie von
Claus Harms eingesegnet wurde, und später nach Dresden. Am 15. Sep-
tember 1835 heiratete die 18 jährige Komtesse den Advokaten Dr. Karl
Friedrich Heiberg in Schleswig (f 16. August 1872), einen der besten Männer
S( lileswig-Holsteins, der seine Heimat über alles liebte und unter den mut-
volieii Kämpfern für Recht und Freiheit immer in' erster Reihe stand. An
der Seite ihres Mannes hat die treffliche l-rau dann alle Wandlunj^en der
politischen Geschicke der Herzogtümer miterlebt, in harten, schweren Zeiten
war sie ihm eine unerschrockene, tatkräftige Helferin, sein >^guter Kamerad«
im besten Sinne des Worts. So hat sie, man darf es getrost sagen, in
Wahrheit an der Geschichte ihres Landes mitgearbeitet und mitgeholfen,
dafl ihm »ein schönVer Morgen tagte Als bleibendes Denkmal dieses
bewegten, roiclif;escgneten Fraiieiilet)ens besitzen wir die r F.rinnerunircn , die
A. H. in ihrem 8u. I.el)en--i:i!ire \ enilfeiitlic hte. Fin Hauch jener wuiuierl);ircn
Jugendfrische, welche die \ erfasserin sich bis an ihr Ende zu bew ahren
wußte, weht durch dies k<>stliche Buch, das dem Leser längt vergangene
Tage in lebendigster WIriclichkeit vor die Seele führt und mit seiner Fülle
interessanter Schilderungen der j)oli tischen und gesellschaftlichen Zustände
einen wichtigen Beitrag zur schleswig-holsteinischen Zeitgeschichte bildet.
Mit inniger Teilnahme begleiten wir den I-ebensweg der tapferen l'rau, die
um so liebenswerter und verehrungswürdiger erscheint, als sie bei allem
Tüchtigen und Großen, das ihr innewohnte, stets auch die feine Bescheiden-
heit echten Seelenadels bewies.
Vgl. Asta Heiberg, »Eiinnernogen aus meinem Lebenc. 2. Aufl. Berlin 1897. ~
»Dif Grenzboten«, 1}^. ^7. i8qS, i. Vierteljahr, S. 310 322. — »Die Krau«:. Ij^. 5. i8<)8,
S. 613 — 618 (F. Puppenberg, Frau Asta Heibergs Erinnerungen). — Sonntagsbeilage zur
»VoMischen Zeitungc, Nr. 18 v.,i. Mai 189S (E. Schulte, Die »Erinnerungen« der Flau
A. H.). — AlbertI, Schriftstellerlexikoa, 1866—1882, 1, S. 377. — »Schleswiger Nadi-
richten« v. 30. Januar 1904. — »Kieler Zeitung«, Ab.>Ausg. v. 30. Januar 1 904.
Job. Sass.
Sauermann, Heinrich, Direktor des Flensburger Kunstgewerbemuseums,
* la. Mftrz 1842 in Flensburg, f 3. Oktober 1904 dasell^ — Vor vielen ver-
dient es dieser ausgezeichnete Mann, daß er »nicht ungerühmt zu den Schatten
hinabgehe«. Der Sohn eines Handwerksmeisters, erlernte S. das Tischler^
handwerk und zog als junger Geselle in die Fremde, um sich in scincTTi
Spezialfach, der Kunsttischlerei und Hildschnitzcrci, weiter zu vervollkommnen.
Namentlich Paris, wo er sich längere Zeit aufhielt, bot ihm reiche Anregung
und Förderung. Anfang der 70er Jahre kehrte er nach Flensburg zurück.
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Sauennann. von Bismarck.
lOI
und bald erwarben sich die Erzeugnisse seiner Werkstatt und der von ihni
ins Leben gerufenen Fadischule für BUdsdinitzerei allgemeine Anerkennung.
Seine Haupttatigkeit jedoch galt der im Jahre 1874 von ihm begründeten
Sammlung kunstgcwerblic her Altertümer, aus der allmflhlich dank dem uner-
müdliclien Eifer S.s das Flensburger Kunstgewerbemuseum erwachsen ist.
Die reichhaltige Sammlung, die sehr bald von der Stadt übernommen wurde,
genieüt heute als Mittelpunkt der kunstgewerblichen Interessen in Schleswig-
Holstein mit Recht einen bedeutenden Ruf. In allen ihren Teilen zeigt sie
den genialen Sinn ihres Schöpfers und seine warme Begeisterung für die
heimatliche Kunst, der in uneigennützigster Hingebung zu dienen die tiefete
Freude seines Lebens war.
Vpl. »Kieler Zeitung«, A)).-Ausu. v. 5.. Morp.-Ati.s^. v. X. <)kt()!icr i<)04. - Führer
durch das Kunstgewerbemuseum der Madt Flensburg (^von H. Saueimann^. Mensburg 1903.
Joh. Sass.
Bismarck, Nikolaus Heinrich Ferdinand Herbert, Fürst von, * 28. De-
zemlicr zu Berlin, f iS. SejUember 1904 zu Friedrichsruh, Fideikommißherr
auf Schwarzenbeck, erbliches Mitglied des jueußi-^rlien Herrenhauses, König-
lich Preußischer Staatsminister und Generalmajor </ /u suitc der Armee, Kaiser-
licher Wirklicher Geheimer Rat und Staatssekretär a. D., Mitglied des Deutschen
Reichstags, Kreisdeputierter des Kreises Lauenburg. — B. erblickte das Licht
der \Velt in dem Hause Dorotheenstrafie 37 zu Berlin, wo sein Vater damals
als Mitglied der Zweiten Kammer wohnte. Die Geburt erfolgte am Nach-
mittag des 28. Dezember, was dem elterlichen Bekanntenkreise Tags darauf
durch eine Anzeige in iler K reu/ Zeitung wie folgt mitgeteilt wurde: Die gestern
Nachmittag erfolgte glückliche Entbindung meiner lieben Frau Johanna geb.
▼. Puttkamer von einem gesunden Sohne zeige ich ergebenst an.
Berlin, 29. Dezember 1849. von Bismarck-Schönhausen.
Am 13. Februar 1850 wurde der Knabe in der elterlichen Wohnung durch
den Prediger Goftner, wie aus dem noch erhaltenen Schreiben des Vaters
an diesen hervorgeht, getauft. Zu den Paten gehörten der Präsident von Gcrlach
•und der damalige Landrat, spätere Oberpräsitlent der Rheinprovinz, von Kleist-
Retzow. Der junge Bismarck hat seine ersten Kinderjahre teils in Berlin, teils
auf dem Lande, überwiegend aber in Frankfurt a. M. verlebt, wohin sein Vater
bekanntlich im Jahre 185 1 als preußischer Bundestagsgesandter berufen wurde
und dort bis zum Frühjahr 1858 verblieb. In Frankfurt a. M. hat der junge
Herbert v. Bismarck mit seiner S ^ v. > ster Marie und seinem jüngeren Bruder
Wilhelm zunächst häuslichen rntemcht emjifangen, der dann während der
folgenden Jahre in Petersburg und auf dem ],aniie fortgesetzt wurde, bis
endlich mit der Ernennung des Vaters zum Ministerpräsiilenten im Jahre
1863 wieder die erwünschte Stabilität, über deren Mangel Jener so oft und
bitter geklagt hat, in die häuslichen Verhältnisse der Bismarckschen Familie
kam. Am 31. März 1865 wurde Herbert Bismarck in der Dreifaltigkeitskirche
zu Berlin von dem Konsistorialrat Souchon eitigesegnet. Der hauslic he T/nter-
richt wurde bis zum Jahre 1866 den beiden Hrütlern von einein Predigtamts-
kandidaten Braune erteilt, den Bismarck Vater in einem Briete also kenn-
zeichnet: »Etwas Pedant, läfit aber mit sich reden, Berliner von Natur«.
Es sind manche Einzelheiten darüber vorhanden, in wie. eingehender Weise
102
von Bismarck.
der V'attT sich um den Unterricht der Sohne kümmerte, (he, wenn es seine
Zeit irgend gestattete, an jedem Sonnabend mit ihren Heften vor ihm er-
scheinen mufiten. Der ehemalige Lehrer erzflhit folgenden Vorfall, der ihm
aus dies«* Bismarckschen Schnlrevision in Erinnerung geblieben ist. Er hatte in
der Geschichte zwei Wochen hii ti r. inandcr den Jugurthinischen Krieg durchge-
nommen. Bismarck sprach dem Lclner unter vier Aupcn seine Verwundcnmsj
darüber aus, der indessen ch\bei blit-b, chiiJ man solche geschichtlichen Vorgänge,
wenn die Schüler sie behalten .sollen, gründlich mit ihnen durchgehen müsse.
Der Vater entgegnete : »Sie haben ja von Ihrem Standpunkt ganz recht, aber
die Kerls sind schon so furchtbar lange tot. Nun machen Sie aber, da6 Sie
weiter kommen. Zu Ostern 1866 traten die beiden Brüder in die Ober-
sekunda des Friedrich Werderschen Gymnasiums in Berlin ein. N'ocli war
Professor Dr. IJonnell, derselbe, bei dem Bismarck Vater während seines
letzten Schuljahres, von Ostern 1832 bis Ostern 1833, in Pension gewoeii
war, an der Spitze der Anstalt, ein l nistand, der zu näheren persönlichen Be-
ziehungen zwischen dem Minister und dem bereits bejahrten Schulmanne
führte. Als die Söhne am 3. März 1869 die Abiturientenprfifung bestanden
hatten, bei der Herbert sich in der Geschichte besonders auszeichnete, lud
der Vater die Prüfungskommissioti einige Tage später zu Tisch, mit dieser
auch den friiheren Hauslehrer, nunmehrigen Pastor Braune /u Strausberg.
In dem Trinkspruch, den er »auf seinen alten lieben Lehrer, den Direktor
Bonnell«, ausbrachte, bemerkte er: »Vor 37 Jahren um dieselbe Zeit habe
ich das Abiturientenexamen bestanden, und zwar vor demselben Manne
und unter Leitung desselben Mannes, der jetzt meine beiden Söhne zu
gleichen Zielen geleitet hat. Ich weiß, was ich ihm verdanke. Mögen auch
meine Söhne ihm ein dankbares .\nrlenken bewahren.' In seiner Krwiderung
hob lionnell hervor, wie viel zur I'.neichniig des Zieles für die Söline die
Mutter beigetragen, sowie die richtige l'tlege im Klternhause, die dmen unter
den mannigfaltigen Eindrücken und Zerstreuungen doch den unbefangenen
Sinn und die strenge Pünktlidikeit im Eintreffen nach jeder Ferienzeit be-
wahrt habe. Das einflufireiche Wirken der Mutter sei dabei unverkennbar
gewesen. — Mit Heginn des Soinmerseniesters iS6() wurde die l'niversität Bonn
bezogen. Im Laufe des Sommers unternahmen die beiden Brüder eine Rei>c
nach England, Schottland, Paris und Brüssel, besuchten das Schlachtfeld
von Belle-AUiance und wurden von dem preußischen Gesandten in Brüssel,
Herrn v. Balan, der über den Besuch hocherfreut war, durch Veranstaltung
einer Festlichkeit geehrt. Durch einen Bericht in den Zeitungen kam diese
Reise zur Kenntnis der Bonner Universitätsbehörde, und als die beiden Brüder
nach Bonn zurückkehrten, wurden sie vor Rektor und Senat geladen, die
ihnen feierli( h ertiffneten, dalJ eine längeres Verlassen der l'niversität ohne
Urlaub mit den l niversitatsgesetzen nicht vereinbar sei. Am i. Oktober
traten beide Brüder bei den Bonner Husaren als Einjährig-Fkeiwillige ein,
der Dienst wurde aber für Herbert sehr bald dadurch unterbrochen, daß er
Ende November bei einer Mensur einige »Blutige« davontrug, deren schlechte
Behanrllung ihm eine Kopfrose zuzog, so daß sein Zustand einige Tage hin-
durch Gegenstand schwerer Besorgnis der Kliern war. Die Mutter eilte nach
Bonn, um den Kranken zu pflegen, was bis dahin der jüngere Bruder mit
großer Aufopferung getan hatte. Am 20. Dezember erschien der Bundes-
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von Bismarck.
103
kanzicr selbst in Bomi. Zur Beruhigung der Mutter und auch wohl um die
Söhne in größerer Nähe zu haben, vcranlaßte HiMnarck deren \'ersetzung
von den Bonner Königs-Husaren zum I. Ciarde-Dragoner-Regiment nach Berlin.
Versetzungen von Einjährig-Freiwilligen sind im groflen und ganzen selten,
aber Bismarck selbst hatte sich im Jahre 1838 vom Garde- Jäger-Bataillon als
Einjährig-Freiwilliger zur damaligen zweiten Jäger-Abteilung narh Greifswald
versetzen lassen, um auf der Akademie in Eldena landwirtschaftliche Studien
zu betreiben. Jetzt setzte er nun auch die Wrsetzung seiner Si)hne nach
Berlin durch. In dem genannten Regiment machten beide den Keldzug von
1870 mit, Herbert als Fähnrich, Wilhelm Bismarck zunächst als Gefreiter.
Am 31. Juli, einem sehr heifien Tage, wurde Berlin verlassen. Für den
Bismarckschen 1 ai^iiliensinn ist es bezeichnend, dafi der Vater von \[ainz aus
seinem Sohne Herbert schrieb: >^\Vird einer von Euch beiden blessiert, so
telegraphiert mir nach des K()nigs Hauptquartier, Euerer Mutter aber nichts
vorher.« Herbert B. hat über seine Feldzugserlebnisse sehr genaues Tage-
buch geführt, in welchem er auch seine bei der Attacke seines Regiments
am 16. August bei Mars la Tour erlittene Verwundung eingehend beschreibt')
Eine Kugel zerschlug ihm die Uhr, eine zweite den Rockschoß, ein Granat-
splitter endlich fuhr ihm in den linken Oberschenkel, zum Glück, ohne den
Knochen zu verletzen. lU kannt ist, daß der Vater am folgenden Tage den
verwundeten Sohn aufsuchte und seine 1 bt-rlührung nach Nauheim \eranlaüte,
wohin die Mutter sich zu seiner Pflege begab. Die Zeit vom 19. bis 23. August
konnte Herbert beim Vater im Hauptquartier zu Pont k Mousson subritigen.
Am 24. August trat er die Reise von dort nach Nauheim an. Der Vater
berichtete der Mutter: Herbert war sehr wohl und guter Dinge. Ich mußte
ihm heute noch Hosen besorgen, deren er gar keine besaß.« Unterm 7. Sep-
tember wurde Herbert zum Offizier ernannt, sein Hruder zum Fähnrich, w;is
der König dem Vater an der Tafel in Rheims mitteilte. In einem Briefe
aus Ferrieres vom 23. September schreibt der Vater an Gattin und Sohn:
»Die Kränkung über Wilhelmshöhe begreife ich, die KQche, Stall und Li-
vreen sind gegen den Willen des Königs von Berlin geschickt worden, und
Napoleon hat darauf seine eigene schnell entlassen und verkauft, um zu
sparen. Im übrigen i^t uns ein gut behandelter Napoleon nützlich, l'nd
darauf allein kommt es mir an. Die Rache i>.t Ciotles. Die l'ranzosen müssen
ungewiÜ bleiben, ob sie ihn wiederbekommen, das fördert ihre Zwistigkeiten.
Wir haben nicht die Aufgabe, sie gegen uns zu einigen.« Rührend ist die
väterliche Sorge, den Söhnen das Eiserne Kreuz zu sichern. Bismarck spricht
si( h in verschiedenen Briefen an die Mutter darüber aus, und sagt darin u. a.:
I< h selbst trage es natürlich unverdient, kann es dem Könige aber doch
nicht zurückgeben. Ende ( )ktol)er war Herbert bereits wieder so weit her-
gestellt, daß er an seine E<|uipierung und Ausrüstung für die Rückkehr zum
Regiment denken konnte. Der Vater schreibt der Mutter: »Gib Herbert das
Geld, was er zu seiner £<iuipierung braucht, und für ein gutes Pferd«, fügte
aber hinzu, Herbert solle sich mit dem Reiten noch vorsehen und nicht zu
früh gesund fühlen. Das Regiment liege still in Villette, exerziere und reite .
>) Abgedruckt in »Scbönliauscn und die Fiimilie Bismarck.« Von Dr. Georg Schmidt 1'.
Berlin l888. E. S. Mittler & Sülm.
I04
Ton Bi&marcki
Remonten bei Regenwetter. Anfang November wurde Herbert zur Depoi-
schwadron versetzt. Der Vater schreibt ihm: »Ich hätte mich gefreut, wenn
Du gekommen wärest, aber ich bin ein zu abergläubischer Vater, um etwas
dafür zu tun und nehme die Dinge, wie Gott sie fügt. Dienstlich bist Du
dort jetzt nützlicher als hier.* Der Mutter schickte er dabei gleichzeitig
einige Blätter von einem liluinenstrauli, ' welchen mir gestern ein 47er l'ntcr-
offizicr, von seinen Srhlesiern im Feuer der Franzosen für mich i^eptUickt. dienst-
lich mit strammer Meldung von den Vorposten brachte . Am 12. Dezember
schreibt Bismarck ihr: »Herbert möchte ich eine schöne Säbelklinge zu Weih«
nachten schenken, auch Bill, aber es muß die übliche zulässige Form sein.
Wenn ich sage Klinge, so meine ich Säbel mit Scheide, aber der Wert mufi in
der Klinge liegen.« Unterm 26. Dezember gratuliert der Vater ihm zum
Geburtstag: Hnnke (lott mit mir iin seine (Jnade, für tlie l-'reude, mit der
ich Deiner gedenke. Ich habe Mama geschrieben, daü ich Dir ein Gewehr
schenken wollte, suche es selbst aus, mit Einlageröhren als Bfichsflinte, Kasten,
Wappen und die Jahreszahl 1870 unter letzterem auf der Platte.« Unterm
4. Februar meldet Bismarck seiner Gattin aus Versailles das Eintreffen Herberts,
der mit einem Ersatztransport zum Regiment kommandirt war, und am
folgenden Tage wird aus dem Militärkabinett die Verleihung des Eisernen
Kreuzes zweiter Klassi- für Herbert dem Vater mitgeteilt unter gleichzeitiger
Übersendung des KreuzeN zur Ausliändigung an den Sohn.
Am z6. Juni 1871 zog Graf Herbert Bismarck mit seinem Regimente wieder
in Berlin ein. Zunächst war es sein Wunsch, die militärische Laufbahn weiter
zu verfolgen und beim Regiment zu bleiben. Er gab diese Absicht jedoch
später auf, wandte sich staatsrechtlichen Studien zu und legte das diplomati-
sche F'xamen ab. Damit betrat er die Laufbahn des Staatsmannes, die ihn
binnen vierzehn Jahren bis zur höchsten Sprosse der amtlichen Stufenleiter
führte. Ihr äufierer Gang gestaltete sich wie folgt:
Am 15. Januar 1874 wurde Herbert Bismarck zunächst noch als Offizier
zum Auswärtigen Amte kommandiert und nach Attachierung bei den Gesandt-
schaften in Dresden und in München am 14. April 1875 zur diplomatisi hen
Laufbahn in das Auswärtige Amt einberufen. Während des Summers 1874
hatte er bei seinem Vater während eines siebenwöchigen Autenthaltes in
Kissingen den ausschließlichen Dienst als Sekretär versehen; die gleiche
Stellung nahm er im folgenden Jahre von Mai bis Oktober wahr. Im
Oktober 1875 war er im Gefolge des Kaisers auf dessen Reise nach Mailand,
im März 1876 legte er das diplomatische Examen ab, worauf seine Ernennung
zum Legationssekretär erfolgte. Als solcher gehörte er nominell ilen Gesandt-
schaften in Bern und später in Dresden an, war jedoch mit Ausn;dmu' weniger
Monate zu Anfang 1878 bei der Botschaft in Wien, fast ausschiielÜK ii in der
unmittelbaren Umgebung seines Vaters als dessen Sekretär tätig. Der Reichs-
kanzler hatte das begreifliche Bedürfnis, in seiner nächsten Umgebung Organe
zu besitzen, auf deren Treue, Mingebung und Verschwiegenheit er sich un-
bedingt verlassen komite. Graf Herbert nahm im Sommer 1878 an den
. Arbeiten des Herliner Kongresses als dessen Sekretär teil und ward am 22. März
1880 Legationsrat. Militärisch war er als Kittmeister zu den Offizieren von
der Armee versetzt worden. Im Januar 188 1 wurde Herbert in die politische
Abteilung des Auswärtigen Amtes versetzt, begleitete aber auch in der
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von Bismarck.
105
der Folgezeit seinen \'atcr nach Kissingen, Friedrichsruh und Varzin. Im
November wurde er der Botschaft in London als zweiter Sekretär zugeteilt,
im Dezember 1883 mit einer auflerordentlichen Mission nach Wien betraut,
im Januar 1883 zum Botschaftsrat in London ernannt. Im Januar 1884 f^ing
er als Vertreter des beurlaubten l»ots( luiftors nach Peter'^lnirg, und d(irt
knüpften sich die erste intimen Ikviiiiun^^en zu dem dainali|fen l'rinzen,
jetzigen Kaiser Wilhelm IL, der im Mai anlälilich der (Jroüjährigkeitserklärung
des jetzigen Kaisers von Rußland zur Überbringung des Schwarzen Adler-
ordens an diesen nach Petersburg gesandt worden war. Am 15. Juli 1884
zum Gesandten im Haag ernannt, nahm Graf Bismarck an der Dreikaiser-
zusammenkunft in Skicmewice teil und wurde bei diesem Anl iß am 16. Sep-
tember zum Major <> /</ sui/i' der Armee l)efc)rdert. Am 2S. ( Jktuber erfolfjtc
im 10. schleswig-liolsteinschen Wahlkreise seine Wahl in den Reii listag. Iki
einer früheren Bewerbung um das Mandat zum Reichstage im Juli 1878 war
er mit 3894 Stimmen gegen den Nationalliberalen Dr. Hammacher unterlegen,
der 3899 Stimmen auf sich vereinigte. Das Wort im Reichstage nahm er
zuerst am 4. Dezember 1884 zur Befürwortung einer Gehaltserhöhung der
Subalternbeamten der Reichskanzlei, am 7. Mai iS<^5 in Sachen der NLihl- und
Schlachtsteuer und am 6. März 18S6 zur Herichtigung einer unrirhtig wieder-
gegebenen Äußerung über das Branntwemmonopol. Am 70. Geburtstage seines
Vaters, i. April 1885, erhielt er den Roten Adlerorden zweiter Klasse, am
II. Mai desselben Jahres wurde er zum Unterstaatssekretär im Auswärtigen
Amt ernannt, am 17. Mai 1886 zum Staatssekretär. Mit dieser Stellung über-
siedelte Graf Herbert an den Bundesratstisch und legte infolgedessen sein
Mandat zum Reichstage nieder. Am 17. September wurde er auch mit der
Stellvertretung des Reichskanzlers im Auswärtigen Amt betraut und zugleich
ermächtigt, innerhalb seines Ressorts die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit
durch Unterzeichnung zu übernehmen.
Am 23. Dezember 1887 ^gte Kaiser Wilhelm I. in einem Schreiben an
den Reichskanzler die Ernennung des Grafen Herbert zum Wirklichen Ge-
heimen Rat mit dem Prädikat Excellenz hinzu. Der Hrief fängt mit den
Worten an: »Anliegend sende ich Ihnen flie Krnennung Ihres Sohnes zum
Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Kxcellenz, um dieselbe Ihrem
Sohn zu übergeben, eine Freude, die ich Ihnen nicht versagen wollte. Ich
denke, die Freude wird eine dreiiNiche sein, für Sie, für Ihren Sohn und für
mich. Am Schlüsse des langen Schreibens, das im übrigen die Frage der
Unterschriftserteilung an den Prinzen Wilhelm, den jetzigen Kaiser, be-
handelte, bemerkte der Kaiser noch sorgfältig: Das beifolgende Patent
wollen Sie gefälligst vor der C hergäbe kontrasignieren! Abgesehen davon,
daß Kaiser Wilhelm gern jede Gelegenheit benutzte, namentlich hohe Fest-
tage, um dem Reichskanzler durch Beförderung oder Auszeichnung der
Söhne eine Freude zu machen, darf in bezug auf Herbert Bismarck doch
aus den eigenen Niederschriften drs Kaisers hinzugefügt werden, daß der
junge Staatsmann persönlich in hohem (jrade das Vertrauen dieses seltenen
Monarchen gewi iuu-n hatte. So schrieb der Kaiser an seinem Geburtstage
1880 an den Keiciiskanzler: »Ich benutze den heutigen Tag, um mir und
hoffentlich auch Ihnen die Freude zu bereiten, Ihren ältesten Sohn, Graf Her-
bert, zum Legationsrat hiermit zu ernennen. Seine vielfache Beschäftigung in
io6
von Bismarck.
Ihrer unmittelbarsten Nahe, die er zu Ihrer und meiner Zufriedenheit voll-
führt, geben ihm ein Anrecht auf diese Beförderung, die Jedermann ver-
stehen wird. Ihr dankbarer König Wilhelm.« In einem Briefe vom 30. Ok-
tober T882 an den Kanzler heißt es: Die Mitteilungen Ihres Sohnes aus
London sind unt^'omcin interessant und d;is X'ertrauen, welches die englischen
Staatsmänner ihm beweisen, ist ein Gruml mehr, ihm die dauernde iu">here
Rolle bei der Hotschaft anzuweisen, deren Krnennung ich in den nächsten
Tagen entgegensehen kann, wie mir Graf Hatzfeld heute sagte.« Unter dem
13. Januar 1884: »Vielfache Störungen zur Vollendung dieses Schreibens
fielen zusammen mit der Durchreise Ihres Sohnes nach Petersbui^ Ich
habe mich nur freuen können, was Sic mit dieser momentanen Vertretung
bezwecken, und nach einer Unterredung mit Ihrem Sohn habe ich noch
mehr uns gratulieren können zu dieser Sendung, denn ich habe ihn so voll-
kommen /(///// zur lietesiigung — wenn dies überhaupt möglich ^ein wird —
der jetzt angebahnten Besserung unserer Verhältnisse mit Rußland gefunden,
daß ich das Beste hoffe.« Über die vorletzte Begegnung, welche Graf Herbert
Bismarck mit dem verewigten Kaiser gehabt hat, hat Graf James Pourtalds-
(Ihnnbowit/, der Jugendfreund Herberts, in einer am i. April iqo:; zu W'ohlau
in Sc hlesien gehaltenen Festrede l)erichtet. Am 2^ l)c/.einber 1S.S7 war (iraf
Herbert Bismarck zum \'ortrag bei Sr. Majestät, an dessen Schlüsse er sich
für die auf den nächsten Morgen anberaumte Weihnachtsreise nach l-riedrichs-
ruh beurlaubte. Der Kaiser händigte ihm bei dieser Gelegenheit den umstehend
bereits erwähnten Brief an den Reichskanzler vom gleichen Tage ein, der in
dem Anhang zu den Gedanken und Erinnerungen« (Band I) als letzter abge-
druckt mid autoL;raphicrt steht. Der Kaiser bemerkte nocli : Der Brief ist
schlecht geschrieben, bitte entschuldigen Sie mich bei Ihrem \'ater, ither ich
bin ein alter Mann und ich kann ihn nicht wieder abschreiben':. iJann wurde
der Monarch sehr gerührt und sagte: »Ich habe ihn oft bekämpft und oft
nicht verstanden, aber jetzt am Ende meines Lebens sage ich Ihnen als seinem
Sohne: Er hat immer Recht gehabt«. Damit umarmte er den Grafen Herbert,
was er nie vorher oder naclilier getan hat. Die letzte Begegnung mit dem
Kaiser fand am 27. Febrnar 1888 bei der Abmeldung vor Antritt einer Dienst-
reise nach London .statt.
An diese Zeugnisse seines Königs reihen sich zwei des Auslandes, die
ihm bei seinem Scheiden von London zuteil geworden sind. Als er Ende
März 1882 anläßlich des Geburtstages seines Vaters London für einige Zeit
verließ, äußerte sich Lord Cranville, der Staatssekretär des Auswärtigen, in
einem Schreiben an den britis( hen Botschafter in Berlin. Loid .\niphthill,
über den jungen deutet hen l)ij)lomaten wie folgt: » (»raf Herbert Bismarck
reist morgen, und es heißt, er werde wahrscheinlich nicht wiederkommen oder
doch nur für kurze Zeit. Das müssen wir aufrichtig bedauern. Er hat sich
außerordentlich beliebt gemacht, und es gibt hier Viele, Lady Granville und ich
mit eingesc hl()>scn, die in der Tat sehr traurig sein würden, ihn zu verlieren.
Fr hatte Erfolg in Kreisen, in denen das s( hwierig und nicht zu erwarten war.
Kr zeigt gr<il*ies Interesse, und sucht energisch die Bekanntschaft mit allen Kreisen
der Bevölkerung — aber, wie Sie wissen, braucht man Zeit, um auf den
Kern zu kommen, und da er vermutlich in der Politik seines Heimatlandes
noch eine sehr beträchtliche Rolle spielen wird, und eins der Hindernisse
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von Bismarck.
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für (las bessere Verständnis tler beiden Nationen der Mangel an gegensei tiiirin
Sichkennen gewesen ist, den einige Politiker an den Tag legen, so nun lue
ich seine vorzeitige Abberufung für einen Mißgriff halten und die ernsteste
Hoffnung hegen, er werde zu uns zurückkehren und so lange als möglich bei
uns bleiben.« Lord Amphthill teilte dieses Schreiben mit großer Delikatesse
dem Reichskanzler an devscn Geburtstag am i. April 1882 mit, indem er
2Uglei<'b dem FürstcMi (Icsundheit zur Freude seiner Familie und zum (Ilück
seines groüen Vaterlandes w iiiischte. Kr schriel): indem er diese Indiskretion
begeiie, sei es nur seine Absicht, darzutun, wie sehr Graf Herbert in England
geschätzt werde. Als dieser dann im Januar 1884 London verließ, um die
Geschäftsführung in Petersburg zu übernehmen, richtete Lord GranviUe den
folgenden Brief an ihn:
Private. 18 Carlton House ierrace
S. W.
Jan. 15 84.
My dear Bismarck!
It is not usual to express one*s regrets in writing to a Secretary of Em-
bassy on his change of post. But the case is differt ut of one wlio partly
from his personal position, but still moro from Iiis abiiities and {lersonal
qualities, has done so mucii to strengthen the good relations of two coun-
tries which have so many interests in common and as far as I know none
which are opposed.
I was truly sorry to hear of yonr Icaving us, and liavc been jileased to
hear from Odo that your place will not be hlled up, and ihat there is a
Chance of your Coming back to us soon.
I am not ver>' confident of your not being wantcd else-where.
^'nu know the welcome you will reccive from all, if you return, — Ii
duty keeps you away, you will have the good wishes ot London .s jwlitical
and social society, especially of
Yours sincerely
Granville.
(Zu Deutsch:)
Privat. 18 Carlton House Terrace
S. W.
Jan. 15/84.
Mein lieber Bismarck!
Es ist nicht gebräuchlich, einem Botschaftssekretär das Bedauern bei
dem Scheiden von seinem Posten m liriftlich zum Ausdruck zu brin::cn.
Aber der Fall ist ein anilerer bei jemaiidein, der zum Teil durch >eine
persönliche Stellung, aber noch viel mehr durch seine Fähigkeiten und
persönlichen Eigenschaften soviel getan hat, die guten Beziehungen zweier
Länder zu festigen, die so zahlreidie Interessen gemeinsam haben und
soweit als ich es iibcrsflie keine, die einander entgegengesetzt sind.
Ich war aufrichtig betrübt, zu hören, dali Sie uns verlassen, und war sehr
froh, von Odo zu hören, dafl Ihr Platz nicht besetzt werden soll und datt
darin eine Chance für Ihre baldige Rückkehr zu uns liegt.
Ich bin indes nicht sehr vertrauensselig, daß Sie nicht irgendwo anders
gebraucht werden.
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io8
von Bismarck.
Sie wissen, welchen Willkommen Sie von Allen bei Ihrer Rückkehr
finden werden. Wenn die Pflicht Sie fernhält, so werden Sie die guten
Wünsche der Londoner politischen und sozialen Gesellschaft haben, ins-
besondere ....
Auf dieses — soviel bekannt — bisher unveröffentlichte Schreiben Loni
Granvilles, ist bereits im ersten Matul des Anhanj^s zu den (iedankeii
und Erinnerungen« Seite 325 verwiesen, l-iirst Bismarck hatte die.sen Brief
dem Kaiser mitgeteilt, der ihm darauf unter dem 9. März antwortete: »Das
Billet von Granville ist für Ihr Vaterherz gewifl äufierst genugtuend und
gratuliere ich zu diesem kompetenten Urteil über seine Fähigkeiten. Ich
freue mich daher ganz besonders über seine Sendung nach l'etersburg, wo
er in kurzer Zeit eine gleich bedeutende Rolle spielt und ausgezeichnet wird,
wie erst kürzlich auf dem Privatball in Jelagin als einziger Diplomat. Ich
wundere mich daher, dalJ Sie mir Ihren Sohn unter den mir durch Graf
Hatzfeld genannten Kandidaten für Karlsruhe vorschlagen lieflen. Ich sollte
glauben» er würde in Petersburg viel größeren Dienst leisten können als in
Karlsruhe, wo der Gesichtskreis selu gering gegen Petersburg erscheint.«
Was es mit dem XOrst hinge mit Karlsruhe für eine Bewandtnis hatte, erhellt
aus dem .\ntworts( hreiben Bismarcks, worin dieser hervorhebt, daß ihm selbst
im Interesse des Sohnes erwünscht wäre, wenn dieser Petersburg nicht ver-
lieOe, ohne wenigstens eine Zeitlang dort Geschäftsträger gewesen zu sein.
Sicherlich würde es dem Wunsche des Sohnes nicht entsprechen, wenn er
durch die Ernennung in Karlsruhe den gröfleren politischen Kreisen, in denen
er sich bisher bewegt habe, entzogen würde. Die Nennung seines Namens sei
nur in der Absicht geschehen, um ihn, den N'ater, durch Rangerhöhung des
Sohnes dahin zu bringen, ihn in ähnlicher Form, wie früher z. B. Herrn von
Radowitz neben Herrn von Bülow, zur Assistenz in den ministeriellen Ge-
schäften heranziehen zu können. »Dadurch dafl ich ihn jahrelang als ver-
trauten Sekretär in den wichtigsten Geschäften benutzt habe, ist er ebenso wie
durch seine im Auslände geknüpften persönlichen Beziehungen für die Mit-
wirkung in der Zentralstelle l)es()nders gut vorbereitet. Doch wird sich
(lieser Zwec k auch auf anderen^ We.^e mit F.urer Majestät Allerh()chster Cie-
nchmigung erreichen lassen, ohne den älteren Bewerbern Derenthall und
Berchem einen Einschub zu bringen, für den man bei mir persönliche und
nicht sachliche Gründe suchen könnte.« Die Angelegenheit fand später
durch Ernennung des Grafen Herbert Bismarck zum Unterstaatssekretär ihre
Lösung.
Kaiser Friedrich hat die Wertschätzung, in der Ciraf Herbert bei Kaiser
Wilhelm I. stand, seinerseits fortgesetzt, indem er ihn im Mai 1888 zum
preuflischen Staatsministcr ernannte, bekanntlich die einzige Ministere^
nennung, die Kaiser Friedrich vollzogen hat. Die Kaiserin Friedrich hatte
die Anregung gegeben, dem Grafen Herbert den Prinzentitel zu verleihen,
Fürst Bismarck aber hatte gebeten, davon abzusehen, da seine Vermögens-
verhältnisse kaum für eine fürstliche Fxistenz ausreichend seien, geschweige
denn für eine prinzli( he Haushaltung der Söhne, die er über den bisherigen
Existenzfuü nicht hinauswachsen zu sehen wünsche. Wolle der Kaiser ihm
Ihres aufrichtigen
Granville
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von Bisaukrck.
109
und zugleich Herbert eine Gnade erweisen, so würde er für die Be-
rufung Herberts in das Staatsmini-^terium dankbar sein, um in dessen
Mitte dauernd einen zuverlässigen W-itretcr >einer Ans( hauungen /u haben.
Diesem Wunsche ist dann seitens des Kaisers umgehend entsprochen
worden.
Die Beziehungen Herberts zu dem jetzt regierenden Kaiser knüpften sich,
wie bereits erwähnt, im Mai 1884 in Petersburg, als der damalige Prinz
Wilhelm dort erschien, um den jetzigen russischen Kaiser zu dessen Groß-
jahrigkeit den Schwarzen Adlerorden zu überbringen. .Ms Herbert später
nach Berlin zurückberufen war und den Dienst im Auswärtigen Amt wieder
angetreten hatte, war es der Wtti»ch des Prinzen, durch ihn, soweit es der
Fürst nicht selbst konnte, in die Geschäfte des Auswärtigen Amts eingeführt
zu werden, wozu er beim Kaiser die Erlaubnis erbat und erhielt. Es ent-
wickelte sich daraus ein fast täglicher Verkehr, der bald einen persönlich
freundschaftlichen Charakter annahm untl auch nach der Thronbesteigung
fortdauerte. Ciraf Herbert Bismarck l)egleitete in Wrtretung seines N'aters den
jungen Kaiser in den Jahren 1888/89 bei seinen Antrittsbesuchen in Peters-
burg, Kopenhagen und Stockholm, später an die süddeutschen Höfe und
nach Wien, Rom, London, Athen und Konstantinopel. Beim Rücktritt des
Reichskanzlers im März 1890 war es der Wunsch des Kaisers, daß Graf
Herbert im Amt bleiben sollte. Dieser aber war tler Ansicht, daß er dadurch
in ein schiefes W-rhältnis zu dem neuen Reichskanzler geraten müsse, und
daß ebenso die dienstlichen Interessen wie seine Pflicht gegen seinen V ater
ihm geböten, diesem zu folgen. Der damalige Entschluß des Grafen Herbert
ist auch nach seinem Ableben oft Gegenstand der Erörterung geworden, und es
gibt heute noch sehr urteilsfähige Männer, die ihn nicht für richtig halten,
sondern der Meinung sind, Herbert hätte im Amt bleiben müssen, er würde
dadurch viel unerwünschte Dinge im Innern und Äußern verhütet haben.
Diese Ansicht hat ja manches für sich, in den Kreisen der damals in Berlin
akkreditierten Diplomatie ist man im Frühling 1890 ohnehin der Meinung
gewesen, dafi Grai Herbert in nicht allzu langer Zeit in die Geschäfte zurück-
kehren werde. Heute darüber zu diskutieren, erscheint müfiig. Der Erfolg
Herberts wäre davon abhängig gewesen, in welchem Maße der Kaiser ihm sein
Vertrauen erhalten hätte, und ob nicht unvermeidliche Gegensätze zwischen
dem Nachfolger des ersten Reichskanzlers und tlem Sohne den Kaiser zu
einer Entscheidung gezwungen hätten, die ein Verbleiben Herberts im Amt
doch zu einem Mifleriolg gestaltet haben würden. Schon der Umstand, daß
er vor der Welt als Dollmetscher der Ansichten seines Vaters im Gegensatz
zu denen des Nachfolgers gegolten haben würde, hätte seine Stellung äußerst
schwierig gemacht. Bismarck selbst lehnte eine ihm nahegelegte F^inwirkung
auf die Kntschließungen des Sohnes mit den Worten Octavio Pi( colominis
in Schillers Wallenstein ab: »Mein Sohn ist mündig.« Die Resignation ist
Herbert sicherlich nicht leicht geworden. Er hing mit voller Hingebung und
Freudigkeit an seinem Amte, um so mehr war es ein harter, aber von Charakter
zeugender Entschluß, daß er so frühzeitig auf eine Berufstätigkeit verzichtete»
der er nicht nur mit ganzer Seele ergeben war. sondern der er sich auch
durch W'issen und Können gewachsen wußte und tlie ihn mit Khren, .Ansehen
und weitreichendem Einfluß umgab. — Der Kaiser ehrte ihn beim Scheiden
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HO
von Bismarck.
durch Verleihung der Kette des HohenzoUern-Ürdens und lud sich bei ihm
zu einem Abschiedsmahl zu Gaste.
Zum Nachfolger wurde, nachdem Veriiandlungen mit dem damaligen
Gesandten in Brüssel, Grafen Alvensleben, der dazu nach Berlin berufen
worden, an dessen entschiedener Weigerung gescheitert waren, der badische
Gesandte in Herl in, Freiherr v. Marschall, ernannt.
Ks ist begreiflich, daß die glänzende Laufbahn des Grafen Herbert Bismarck
mancherlei Neid und Mißgunst herausgefordert hat und man in amtlichen
wie in außergewöhnlichen Kreisen geneigt war, seine schnelle Beförderung
weniger seinen Fähigkeiten als dem Umstände zuzuschreiben, dafi sie eben
dem Sohne seines Vaters galt. Bei dieser Beurteilung ist es meist Übersehen
worden, daß Herbert in ganz außergewöhnlicher W eise für seinen Beruf heran-
gebildet worden ist, und daß er als vertrauter Sekretär des großen Reichs-
kanzlirs ganz anders in der Lage war, Verhältnisse und Persönlichkeiten
kennen und beurteilen zu lernen, als dies sonst bei jungen Diplomaten
der Fall zu sein pflegt. Bismarck pflegte seine Mitarbeiter nicht gerade
zu schonen, und er hat auch an die Arbeitskraft des ältesten Sohnes,
den er sehr bald zu seinem politischen Schüler machte, sehr weitgehende
Anfonlerungen gestellt. Sowohl bei vertraulichen Missionen nach Wien,
Petersburg und London wie auch währencl des Berliner Kongresses war er
in einer Weise der \ ertrautc des gröliten Staatsmanns unserer Z^'it. wie es
ein Sekretär, der eben nicht der Sohn ist, niemals sein kann. Der Vater,
der absoluten Diskretion des Sohnes sicher, konnte mit ihm femliegende
Ziele und die Mittel und Wege zu ihrer Erreichung rückhaltlos besprechen,
ebenso <lie Art, wie die d ifu i in Tknracht kommenden Persönlichkeiten
Deutschlands mid de> Auslandes zu behandeln oder zur Mitwirkung heran-
zuziehen waren. Nicht minder wiederum war es für tlen Sohn und seine
berufliche Ausbildung wertvoll, tlurch die Vertrauensstellung bei seinem Vater
in der Gesellschaft wie in der politischen Welt eine über sein Lebensalter
weit hfnausgreifende Position zu haben und mit einer groflen Zahl hervor-
ragender Persönlichkeiten des In- und Auslandes in engeren Verkehr zu
treten. Wenn er ins Ausland und an fremde Höfe gesandt wurde, so öffneten
sich ihm dort viele Türen, die jedem anderen verschlossen geblieben wären,
er trat den leitenden politischen Persönlichkeiten des Auslandes in ganz anderer
Weise nahe, wie sich das auch aus Granvilles Brief ergibt, als es sonst einem
jungen Staatsmann seines Alters und Ranges möglich gewesen sein würde.
Während des Berliner Kongresses nahm Herbert als vertrauter Sekretär seines
Vaters eineganz besondere Stellung ein, die wesentlich darauf beruhte, daß die
vertraulichen \'erhaniilungen. die Bismarck mit Disraeli, Schuwalovv und
.Andrassy pflegte, durt h Herbert gingen, der nicht selten noch in vorgerückter
Nachtstunde oder am frühen Morgen die fremden Minister im Auftrage seines
Vaters aufzusuchen hatte. Überall im Auslande wurde ihm daher neben der
Achtung, auf die er als Sohn seines Vaters Anspruch machen konnte, auch eine
weitgehende persönliche Wertschätzung entgegengebr u lit, die auf seinem
Charakter, seinen Fähigkeiten und seinen Kenntnissen beruhte. In Wien war er
als Sohn des Staatsmanns, der das deutsch-österreichische Bündnis geknüpft
hatte, hochwillkommen, an der Einbeziehung Italiens in dieses Bündnis hatte
er bei seiner Mission nach Wien im Jahre 1882 einen hervorragenden Anteil
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von Bismarck.
III
nehmen können. Kbensti war seine Sendung nach Petersburg im Früh-
jahr 1.S84, bei der es sich im wesentlichen um die N'erhlngerung des be-
stehenden Abkommens mit RuÜhind unil um die \'orbereitung der Drei-
Kaiserbegegnung von Skiemewice handelte, von großer Bedeutung gewesen.
Zu Anfang des Jahres 1885 war Deutschland in allerlei koloniale Differenzen
mit England geraten, die auch im Schriftwechsel einen verstimmenden
Charakter angenommen hatten und ebenso in den Parlamentsverhandlungen
Tum Au^druck kamen. Am 3. März 1885 sah der Reic hskanzler sich genötigt,
im Reichstage gegen das \'erfahren. das l.ord (iranville Deutschland gegen-
über seit einiger Zeit eingeschlagen hatte, öffentlich \'er\vahrung einzulegen.
Lord Granville hatte in öffentlicher Parlamentsrede den Fürsten Bismarck
als den schlimmen Ratgeber und Verführer zur Annexion Ägyptens hingestellt,
ihm die Äußerung zugesclioben: »to take it«. Bismarck ging in seiner gleich-
falls parlamentarischen Erwiderung sehr ernst und zurückweisend darauf ein.
Seine Rede war eine scharfe sachliche und jiei siuiliche Kritik, die unter
anderem auch darüber klagte, daß die \'erhandlungen englischerseits aus-
schließlich schriftlich betrieben würden, ein System, welches die ganze
Diplomatie überflüssig mache. Es seien seit dem Sommer 1884 im ganzen
1 28 schriftliche Noten vom englischen Kabinet eingelaufen, zusammen 700 ois
800 Seiten lang, die sämtlich zu beantworten waren. Bismarck fügte hinzu:
so viel haben wir von allen übrigen Regierungen in den 23 Jahren, daß
i< h Auswärtiger Minister bin, nicht l)ek()innien. l 'nmittell)ar nacli der be-
irellenden Reichstagssitzung begab Herbert Bismarck sich zum Vortrag zum
Kaiser und reiste dann am Abend nach London ab, formell einer Einladung
Lord Roseberys folgend. Bereits am 6. März entschuldigte sich Lord Granville
im Oberhnusc in einer Rede, die in ihren Hauptpunkten zuvor mit Herbert
Bismarck und dann im Kabinetsrat festgestellt worden war; England wollte
in seinen damaligen Schwierigkeiten mit KulJland nicht auch zu Deulschhmd
in solche geraten. Am 12. Marz begrülite der Premierminister Giadstone im
Unterhause Deutschland als Genossen Englands auf dem Gebiete der zivilisa-
torischen und kolonisatorischen Bestrebungen. Die Mission Herberts hatte
Erfolg gehabt. Die »Times-K nannten den Grafen Herbert damals »den
sprechenden Mund seines \'aters«, aber er hatte sich als solcher durchaus
bewährt. Sjteziell seine Peziehungen 7u Doid Roseben,' sind bis zum Lebens-
en<ie sehr enge und freundschaftliche lilieben, Rosebery ist auc h Pate des
ältesten Sohnes Herbcrt.s, des jetzigen jungen Fürsten Otto Bismarck.
wahrend der letzten Lebensjahre Kaiser Wilhelms I. war der politische
Horizont, wenn auch nicht völlig aufgehellt, wie sich schon aus der Rüstungs-
periode i887'8S ergibt, so doch insoweit klar, daß die kolonialen Angelegen-
heiten in den (iesiliäften des Auswärtigen Amtes ülierwiegen konnten. Die
durch internationale \'erhandlungeii viel beanspruchte Tätigkeit des Staats-
.sekretärseHeibert Bismarck ist denn auch wesentlich auf diesem (iebiete zu
suchen. Auf Einzelheiten einzugchen, gestattet der Raum nicht, ist auch nicht
Aufgabe dieser biographischen Darstellung, ist auch deshalb unmöglich, weil
zu einer völlig objektiven Beurteilung eine Kenntnis der Akten erforderlich
wäre, auf flie aus naheliegenden Gründen noch auf l inc längere Reihe von
Jahrennicht zu rechnen ist. Persönlich trat Herbert in der Samoa- Angelegen-
heit in den Vordergrund, namentlich bei der Konferenz, die zur Regelung der
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112
von Bismarck.
Samoa-Frat^e im Frühjahr i88q in Ht-rlin zusam inen trat. Der auf dieser Kon-
ferenz er/ii'Ite F.rfolg der deutschen Diplomatie war sein persönliches Verdienst.
Es erübrigt nun noch einen kurzen Rückblick auf die parlamentarische
Tätigkeit Herberts von Bismarck zu werfen. Er hatte als Staatssekretär
wiederholt im Reichstage koloniale Fragen zu vertreten, mehr das Detail als
die generelle Seite der Sache, für die der Reichskanzler doch meist persön-
lich einstand. Es ist begreiflich, daß innerhalb dieses engens Rahmens groBe
parlamentarische Lorbeorn nicht zu j)flücken und viele Erfolge bei einem
Reichstage nicht zu erzielen waren, in welchem eine große Minderheit — -
bis 1888 war es die Mehrheit — zusammengesetzt aus Zentrum, I rcisinnigeii
und Sozialdemokraten, in allen kolonialen Angelegenheiten prinzipiell Oppo-
sition machte.
Nach seinem Rücktritt vom Amt hatte Herbert allmfthlig den Vorsatz
gefaßt, die jMilitische Laufbahn von neuem und zwar auf parlamentarischem
Gebiet zu beginnen. F*!r wollte zu diesem Zweck ein Mandat sowohl
zum Reichstag wie zum Abgeordnetenhause annehmen. Den letzten (iedanken
lieft er fallen, obgleich dieses Mandat mit ungleich weniger Schwierigkeiten
als das Reichstagsmandat zu erlangen gewesen wSre. Herbert wollte sich
jedoch auf keine Partei eins( luvören, und er hätte im Abgeordnetenhaus
unabweislich einer Fraktion beitreten mü.ssen. Für den Reichstag hatte er
bekanntlich in den Jahren 1884 bis iS86 das T,auenburgcr Mandat lickleidet.
Vom Jahre 1893 an nahm er das des dritten Magtleburgischen \\ ahl-
kreises (Jerichow 1 und II), das ihm bis zu seinem Ableben volle zehn Jahre
hindurch trotz freisinniger und sozialdemokratischer Anfechtung erhalten
geblieben ist. Bei der Absicht, die Mandate anzustreben, mögen dem Grafen
Herbert wohl auch englische Verhältnisse vorgeschwebt haben, wo es nicht
nur ni( hts .Außergewöhnliches, sondern die Regel ist, daß ein Minister nach
seiner I-jiliassung in das Parlament zurücktritt, aus dem er hervorgegangen.
Denn die Minister in England gehören ja mit geringen Ausnahmen stets
der Volksvertretung in einem der beiden Häuser an. Für Deutschland hat die
parlamentarische Tätigkeit eines früheren Ministers gröfiere Schwierigkeiten,
weil bei der wesentlich verschiedenen Stellung, die in Deutschland die Krone
in bezug auf die Ernennung der Minister einnimmt, die oppositionelle Hal-
tung eines ihrer ehemaligen Berater diesen leicht in eine unbe()ueme und
schiefe Stellung bringt, und ganz besonders mußte dies "für Herbert Bismarck
der Fall sein, namentlich .solange sein Vater lebte und bei den vielen Emp-
fängen in Friedrichsruh persönlich einen starken Einflufl auf die Tagesfragen
nahm. Herbert Bismarcks parlamentarische Tätigkeit ist daher von so vielen
Rücksichten eingeengt gewesen, zu denen nach der Entlassung Caprivis auch
noch die persönlichen auf die beiden Nachfolger kamen, daß man auch
an diese Seite seiner öffentlichen Wirksamkeit den Maßstab wie sonst an
einen im politischen Leben stehenden Mann nicht anlegen kann. Alle diese
Rücksichten waren für ihn auch bestimmend gewesen, sich im Reichstage
keiner Partei anzuschliefien, die etwas isolierte Stellung, in der er sich da-
durch befand, war gleichfalls hemmend für seine Tätigkeit als Abgeordneter.
Nach dem Tode seines Vaters beschränkte er sich denn auch mehr und
mehr darauf, der Wächter seines großen Andenkens zu sein, er hat in der
Zeit von 1898 bis 1904 nur noch fünfzehn Male das Wort genommen.
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von Bismarck.
"3
Das Reden wurde ihm nicht leicht Die reiche oratorische Bt•^.l^ ii i des
Vaters war auf ilin nicht ülierwepangen, aber dennoch fessehe er ilcn Reichs-
tag, so oft er das Wort nahm. Dem ernsten Inhah seiner Reden war
stets die volle ik-achtung bei Freund und Feind gesichert. Denn auch in
der Beschränkung, die er sich selbst auferlegte, ist er eines der bedeu-
tendsten Mitglieder des Reichstags gewesen, als staatsmannische Kapazität
war wohl keiner ihm glei( Inverti^. Nach dem Tode des Vaters trat er als
dessen Na( hfolger auch in (his Herrenhaus. Auch dort hat er in der Zeit
von i«Soo bis 1004 noc h sechsmal das Wort er^Miften. Zum letzten Male am
3. März 1904 zur Polenfrage; diese Rede ist sein i)olitisches Testament
geworden, im Reichstage hat er zum letzten Male am 3. Februar 1903 zur
Diätenfrage gesprochen. (Die im Winter 1904 bei Spemann, Berlin und
Stuttgart, erschienene Sammlung seiner Reden verzeichnet einschließlich der
vor den Willilern gehaltenen von 187S bis 1Q04 im Ganzen 65 Nummern.)
Wie ^'laubuürdig verlautet, wäre dnn der Rücktritt in den dij'Iomatischen
Dienst wiederholt m(>n;li(h gewesen und ernstlich naheueleut worden. Aber
obwohl er die L ntiitigkeil, zu tler er .sich in verhälinisniäljig jungen Jahren
verurteilt sah, schwer empfand und ihm das Landleben nur allmählich Ersatz
fQr die verlassene grofie Wirksamkeit bot, zog er es doch vor, im Rühe-
stande zu bleiben, weil er es nicht über sich gewinnen konnte unter den Nach-
folcrern seines Vaters zu dienen. Die Sohnesj)fliclit, wie er sie auffaßte, stand
ihm über Allem. I )ementsj>re( hend war es auch sein Wunsc h, seine Kinder in
tieni historischen Schatten von Friedrichsruh aufwachsen und erziehen zu lassen.
Neidlos hatte er dem jetzigen Reichskanzler, mit dem er aus der Frankfurter
Kinderzeit befreundet war, zu dessen Amtsantritt als erster die wärmsten
Glückwünsche gesandt.
Von Interesse ist eine .Äußerung des Reichskanzlers Fürsten Bismarck zu
dem ihm wie dem Sohne befreundeten Abgeordneten von Kardorff, der darüber
berichtet: Als der Altreichskanzler in Friedrichsruh gelegentlich mir gegen-
über einmal darüber klagte, daß es ihm, nachdem er so lange mitten in der
groflen Weltpolitik gestanden, so schwer falle, sich jetzt wieder intensiv für
Land- und Forstwirtschaft zu interessieren, fügte er hinzu: »Meinem Sohne
Herbert wirfl das ja /um 1 eil auch so gehen, aber er ist jung, kann mög-
licherweise doch noch einmal herangezogen werden, und er sitzt ja auch im
Reichstage. Ich hatte viellei< hl mehr in seinem eigenen Interesse gehandelt,
wenn ich, statt ihn als Staatssekretär des Auswärtigen nach Berlin zu berufen,
ihn länger in der Gesandtenkarriere belassen hätte; er hatte wiederholt in
diplomatischen Veriiandlungen hervorragendes Geschick bewiesen: im Reichs-
tage bildete er die Zielscheibe, gegen welche meine (Gegner ihre (Geschosse
richteten, wenn sie mich zu verletzen trachteten. Aber bei den außerordent-
lich diskreten Dingen, welche ich im auswärtigei\ Dienst und als Reichs-
kanzler unter Umständen zu behandeln halte, war es für miih sehr ver-
führerisch, mich im gegebenen Falle keiner anderen Beihilfe als der meines
Sohnes bedienen zu dürfen.«
Das Fazit seines Lebens hat am treffendsten von allen den zahlreichen
Nekrologen, die dem Fürsten Herbert Bismarck na( h seinem Tode gewidmet
worden sind, der • Reichsanzeiger in dem amtlit hen Nai hruf, wold aus der
Feder des jetzigen Reichskanzlers, gezogen. Kr hob in würdiger Sprache
Uiogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. Bd. 8
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114
von Bismarck.
hervor, daß, als Herbert noch ein Knabe war, der Vater die höchste Staffel des
Ruhmes und der Erfolge erstieg, daU er dann selbst als Jüngling an dem
großen Kriege teilnahm, bei der historischen Attacke von Mars- la- Tour
schwer verwundet, dann noch bei jungen Jahren schnell auf des Lebens
Gipfel hingetragen wurde. »Wenn die ganze Nation voll stolsem Hoch-
gefühl ihrem Pfadfinder, dem eisernen Kanzler, zujubelte, wie hätte sich der
Sohn nicht mit unbegrenzter \'crehrung und Hew underung für den Vater erfüllen
sollen! Was der Staatssekretär und Staatsminister Graf Hisinarck an der Seite
des ersten Reichskanzlers als dessen vertrauter Berater für unsere auswärtige
Politik geleistet hat, das wissen bis jetzt nur wenige eingeweihte
Mitarbeiter. Sein Verdienst wird voll erst gewürdigt werden können, wenn
dereinst die urkundlichen Zeugnisse der diplomatischen Geschichte jener
Jahre dem Historiker vorliegen. Mit berechtigter Genugtuung durfte der
Sohn siih s;igen, dali er, wie kaum ein anderer, dem ( ie<i:inkenfiuge des
Genius zu folgen und die Ausgestaltung der groüen Entwürfe zu fördern
verstand. Ganz ging der Sohn in dem Vater, der Jünger in dem Meister
auf, und der Rücktritt des großen Kanzlers wurde nach des Grafen Herbert
eigner Wahl auch der Abschluß seiner eigenen ministeriellen Wirksamkeit.
— Fürst Herbert Bismarck nahm nach des großen Kanzlers Rücktritt seine
Stellung im (öffentlichen I,cbeii mit Folgerichtigkeit und Würde. Die I>cbcns-
aufgabe, ilie ihm bliel), dünkte ihm groß und schön genug, (hinkbar für den
Patrioten und tröstlich für den Sohn, die Aufgabe, eine heilige Flamme zu
hüten, immer wieder auf die nationalen Ideale und auf den Schatz staats-
mannischer Weisheit des grofien Vaters hinzuweisen. Die Liebe und Be-
wnmderung, die jeder deutschgesinnte Deutsche dem Andenken des nationalen
Helden im Herzen bewahrt, jiotenzierte sich in dem Herzen des Sohjics.
Wenn ein Patriot, der sich als der Träger einer großen nationalen (Mier-
licferung fühlte, aus unserer Mitte scheidet, so ist ein solcher Verlust für die
Überlebenden eine neue Mahnung, das unsterbliche Verdienst des unersetz-
lichen Mannes, dessen Namen jener trug und dessen Schild er allzeit in Ehren
hoch hielt, niemals zu vergessen.**
Zu seinem Kef^iment ist Herbert Bismarck bis zu seinem Lebensende in
engen Beziehungen geblieben, bei der Enthüllung des Denkmals seines Vatere
in Berlin war ihm noch die Uniform der Ciardedragoner verliehen worden.
Den Jahrestag von Mars-la-Tour beging er fast alljährlich im Kreise des
Offizierkorps, das ihn stets mit Stolz in seinen Reihen sah. In der Verwaltung
seiner Besitzungen lieft Herbert Bismarck es sich angelegen sein, nach jeder
Richtung — sachverständigem Rate gern folgend — för{lernd und verbessernd
einzugreifen. Eine seiner ersten Handlungen nach Übernahme des väterlichen
Besitzes war die Aufbesserung der Einkünfte der Angestellten. An dem
i'riedrichsruher Schloß hat er enien geschmackvollen Umbau vollzogen und
seinem Vater auf freier Waldeshöhe, die dieser selbst als seine Ruhestätte
bestimmt hatte, ein einfaches, aber würdiges und namentlich den klimatischen
Verhältnissen angepaßtes Mausoleum errichtet. An der grofien Völkerstraße
zwischen Berlin und Hamburg belegen, sieht dieses Nfausolcum den Welt-
verkehr ununterbrochen an sich vorübersausen, der Deutschlands größten
Hafen mit der Reichshaupstadt verbindet. Auf der einen Seite der Bahn
das in Trauer versenkte Schloß, jenseit das Grufthaus, das auch den gottes-
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von Bismarck.
dienstlichen Zwecken von Friedrichsruh dient, jedem Vorbeireisenden eine
große geschichthchc Erinnerung. Dort fluten fler warh>ciule Ricscm erkclir
und der Welthandel Deutschlands an der Gruft ihres Bahnbrechers vorüber,
jeder Güterzug eine Huldigung.
Vielen Anfeindungen ist Herbert Bismarck in Bezug auf die von ihm
festgehaltene AbschUeßung des Friedrichsruber Mausoleums gegen Neugierige,
Ausflügler usw. ausgesetzt gewesen. Ihm war das Mausoleum als die Ruhe-
stätte stiller K.ltcrn ein Hcili-^tiini, als dessen Wächter er sich betrachtete.
Er war bereit, diesen l'amilienschatz würdigen Besuchern zu öffnen, aber
nicht zum Ausflugsziel von Massen mit pietStlosen Bemerkungen und be
kritzelten Wänden werden zu lassen. Da nicht wie im Charlottenburger
Mausoleum die Sarkophage leer sind, wo die Sftrge darunter in einem für
das Publikum unzugänglichen Gruftraum stehen, sondern Fürst und Fürstin
Bismarck in den Sarkophagen selbst ruhen, an welche der Beschauer dicht
herantritt, so ist es begreiflich, daü der Sohn die Heiligkeit tler Stätte und ihren
Frieden nicht entweiht wissen wollte. Es war ihm ein kostbares Vermächtnis
gewesen, dafi der Vater letztwillig seine Ruhestätte dorthin in die Waldes-
stille verlegt hatte und dafi er, der Sohn, diesen letzten Willen des Vaters
würdig ausführen konnte. Aus solchen Empfindungen heraus blieb er auf
Filbotcnbriefc oder Telegramme, die von Ausflüglern auf dem l'riedrichsruher
PoNtamt mit Gesuchen um Eintritt in das Mausoleum an ihn gern lUel wurden,
incist unzugänglich. Die Gruft der Eltern sollte der Andacht, aber nicht der
Befriedigung der Neugier dienen.
Im Frühjahr 1892 hatte Graf Herbert Bismarck sich mit der Gräfin
Marguerile Hoyos verlobt, wenige Monate später fand in Wien die Ver-
mählung statt, die durch bekannte Vorgänge einen eigenartigen politischen
Charakter erhielt. Bei aller Freude über die X'ermählung des Sohnes war es
für die Eitern dot h ein Schmerz, ihn nun endgiltig aus dem gemeinsamen
Haushalt zu verlieren. Namentlich der Vater hätte am liebsten Herbert
dauernd um sich gesehen, aber dennoch hat er dem Selbständigkeitsbedürf-
nis des Sohnes Rechnung getragen und diesem im Jahre 1891 Schönhausen
.zu eignem Besitz eingeräumt. Dort etablierte sich das junge Paar in dem
alten Stammsitz, dessen innere Einrichtungen zwar den heutigen Lebens-
anforderungen eines vornehmen Hauses anfänglich wenig entsprachen.
iJcnnocIi liaben Herbert und Marguerite Bismarck dort in inniger Behaglichkeit
die gröfiere Hälfte der wenigen Jahre, die ihrem Ehebunde vergönnt waren,
durchlebt Während der Reichstagszeit von Neujahr bis Ostern nahm Herbert
mit seiner Gemahlin in Berlin Wohnung und pflegte dort im engeren
Kreise mit politisch oder sonst geistig bedeutenden Männern einen regen,
geselligen Verkehr, der von derselben vornehmen Gastlichkeit durchweht
war, wie sie ehedem die Eltern in Friedrichsruh geübt hatten. Persön-
lich einfach und bedürfnislos, wufite er doch seinem Hauswesen ein vornehmes
4ind behagliches Gepräge zu geben. Nach auflen hin Fremden gegenüber
nicht ohne Herbheit, zuweilen selbst schroff erscheinend, war er in seinem
Hause nicht nur der liebevollste Gatte und zärtlichste Vater, sondern auch
der Hebenswürdigste und zuvorkommendste Wirt, in dem weltmännisc he Ge-
wandtheit sich mit der Gastlic hkeit des Landedelmannes vereinte. Die Ab-
neigung gegen Scheinwesen, Protzentum, gegen das rein Dekorative, teilte er
8«
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von Bismarck.
mit seinem Vater. Deshalb hat er sich auch, wie er später einmal ausge-
sprochen, im Jahre 1888 mit aller Energie gegen den Prinzentitel gewehrt. Er
äußerte später gelegentlich: » Wäre ich nicht so stramm dagegen gewesen, so
würde mein Vater ihn dem damaligen Kaiserpaare doch wohl konzediert
haben. * Seine Liebenswürdigkeit war eine ungesuchte und ungekünstelte, wie
denn überhaupt Schlichtheit fies Charakters und klare Nüchternheit als ernster
(irundzug seines Wesens au( h in der Unterhaltung iiervortraien. Die fröhliche
Lustigkeit, die tlen jungem Hruder auszeichnete, hatte er nicht. Man könnte
fast sagen, daü beiden Hrüdern ihre (ieburtsstätie den Charakter aufgeprägt
habere: Herbert das herbe, arbeitsame Herlin, Bill das heitere, fröhliche Frank-
furt. Hei Herbert war seilest die Heiterkeit einem gewissen Ernste unter-
ge<)r<inet, bei Hill eher der Ernst von einer sonnigeren Lebensauffassung durch-
leuchlet. Dennoch war auch Herberts Temperament nicht ohne Leidcn-
schaftlii hkeii, bei beiden Hrütlern mußte der brausende Most sich erst
abklären, bevor er guten Wein gab. l ür das Landleben ursprünglich nicht
erzogen, halte er, .so lange er im Dienst war, wenig Neigung, auch wenig Zeit
dafür gehabt. Nachdem er >.ith aber in Schönhausen den eigenen Herd
begründet hatte, widmete er sich seiner neuen Aufgabe, Landwirtschaft zu
treiben, mit der ihm eigenen HHi» httreue und geschäftlichen Sorgfalt. Jedes
-Ackerstück war (legenstand seines Interesses, die Freude des Vaters an den
Häumen lebte auch in ihm auf, er fand sich schnell in alle Zweige des
dortigen landwirtschaftlichen Hetriebes hinein. Tief und schmerzlich bewegte
ihn der unerwartete Tod des Jlruders. Beide Brüder waren einander in
brüderlicher Liebe zugetan gewesen, sie hatten bis zum Entle Bills in leb-
haftem Briefwechsel miteinander gestanden. Bill war im besten Sinne de^
Wortes ein guter Kamerad und hatte sich als solcher auch dem Bruder nach
dessen Verwundung in Bonn, ebenso nach der Verwundung bei Mars-la-Tour
erwiesen, wo er für Herbert und andere N'erwundete unermüdlich Eimer Wasser
herantrug. Einige hundert Telegramtne und fast eben so viele Beileidsbriefe,
die aus Deuts< hland und Osterreich an Herbert gelangt sind, waren diesem
eine trostreiche Wertschätzung des N'erstorbenen.
Dem si hriftlichen Nachlaß seines Vaters hat Fürst Herbert Bismarck die
innigste Sorgfalt gewidmet, wie er seiner Zeit auch der Hauptförderer der
"Oedanken und Erinnerungen bei ihrer Bearbeitung durch Lothar Bucher
gewesen war. Die Angaben in der Schrift Schweningers: Dem Andenken
Bismarcks' (Leipzig iSqq, S. Hirzel) sind da nicht ganz zutreffend. Die
erste .\nknüi)fung seitens der Cottaschen Buchhandlung war bereits gegen Ende
Januar i«Sc)o, also noch während der Amtstätigkeit Bismarcks, erfolgt. Herbert
erteilte damals Namens seines \aters den Bescheid, »daß dieser Auf-
zeichnungen nicht habe und so lange er im Amte sei, auch nicht daran
denken könne.« An diese Antwort ist dann im Frühsommer i8qo wieder
angeknüpft worden, Bucher hat aber damit nichts zu tun gehabt, auch
Schweninger nicht. Herbert hat sich über seinen persönlichen Anteil an der
Ermöglichung der Arbeit für Bucher später folgendermaßen ausgesprochen:
»Grade im Jahre 1890 war ich wochenlang in Friedrichsruh. Bucher kam
dort eines Tages im Frühjahr (.Mai oder Juni) zu mir und klagte: mein
Vater sei gelangweilt durch Diktieren, er nehme mehr Interesse an der aktuellen
Politik und er (Bucher) wüßte nicht mehr, wie vorankommen. Darauf sagte
von Bismarck.
117
ich ihm, wir wollen meinen Vater auf bestimmte Themata bringen, oder
knüpfen Sie an (iesprärhe an, die er befiinnt, abfieselien von der Chrono-
logie, heute 1S48, morgen Versailles, übermorgen Krimkrieg: Da können
Sie dann gleich notieren und später ordnen. Ist mein Vater im Fluß, so
lassen meine Mutter und ich Sie beide leise im FrühsCQckszimmer allein. —
So geschah es, und Bucher war mir sehr dankbar für meinen Rat und mein
Eingreifen .... Abends, wenn man um den runden Tisch im Salon
raucliL-nd und lesend vi-rsammclt war, saü Bucher meist mit gt's(hl(i<;senen
Augon. Begann ein (iesjiräch, so war wohl zu merken, wie er aufliorchte.
Sobald Bismarck dann etwas sagte, was Bucher brauchen konnte, so hatte
dieser blitzschnell einen Zettel und Bleistift zur Hand und stenographierte.
Diese Zettel wurden dann chronologisch geordnet, inhaltlich in Übereinstimmung
gebracht, so entstand da^ Wurh im Rohbau, den Bismarck dann jalirelang
mit Künstkrhand architektonisch ausgestaltet hat. Drohte die Unterhaltung
2U stocken und Bücher hatte noch nicht, was er lirauchte, so warf er aus der
Fülle seines reichen (Gedächtnisses und seines inunensen Wissens schnell ein
Stichwort hinein, um über die Stockung hinwegzuhelfen. Eigenes gab er
nicht, das Buch sollte geistig Bismarcks Arbeit sein. Mit der Hingebung,
die ihm eigen war, diente er dem Grofien nur als Feder. Ebenso lehnte er
bescheiden die glänzendsten buchhändlerisc hen Angebote für eine von ihm
zu verfassende Biogr.iphie Bismarcks al), den Hinweis auf die Nachwelt, der
er das schuldig sei, schlug er mit den Worten ab: »Die Nachwelt ist mir
nichts schuldig und ich bin der Nachwelt nichts schuldig.« Einer großen Zeit
in Hingebung und Treue gedient und dadurch noch als gereifter Mann an
der Verwirklichung der besten Ideale seiner Jugend mi^eholfen zu haben,
war sein selbstloser Stolz, mit dem er in das Grab stieg. Herbert hat die
»dedanken und Erinnerungen-' wohl in einzelnen Bruchstücken gekannt, aber
im wirklichen Zusamnunh ing die Arbeit erst gelesen, als ihm nach des Vaters
Hinscheiden der Probehand vorgelegt wurde, zugleich mit flen ihm bis dahin
unbekannten Bestimmungen über die Veröffentlichung. Er hat den Inhalt
dann noch einmal einer genauen Nachprüfung unterzogen. Auf seine Veran-
lassung sind sodann die Briefe seines Vaters an die Mutter in einem stattlichen
Bande erschienen, der seitdem in ganz Deutschland I n ilienbesitz geworden ist
Als Nachtrag wurden später die anfangs verloren gcgl.iu Ilten, dann aber in Frie-
dricbsruli aufgefundenen Hrii le ans dt m Keldzug von 1 Sjo hinzugefügt, während
die Briefe aus dem Jahre i866 namentlich während der kritischen Nikolsburger
Tage noch eine große Lücke aufweisen. Für die Geschichte unserer Zeit aller-
dings noch ungleich wertvoller sind die beiden Anlagebftnde zu den »Gedanken
und Erinnerungen«, den Briefwechsel zwischen Bismarck und Kaiser Wilhelm I.
sowie mit vielen anderen bedeutenden Zeitgenossen enthaltend. Wenngleich
die ursprüngliche Anordnung für die Veröffentlichung dieses Briefwechsels
noch vom Vater selbst ausgegangen war, hat Herbert auf diese Publikation
doch noch große Mühe verwendet. !• ür die Briefe seines Vaters an die Mutter
hat er selbst als Herausgeber gezeichnet. Seine eigene literarische Be-
tätigung im Kampfe der Tagesmeinungen ist dagegen eine ungleich geringere
gewesen» als bis in die höchsten Kreise des In- und Auslandes hinein vielfach
angenommen wurde; wo es gescluih, galt es fast immer nur rlem Andenken
seines Vaters und der von diesem inaugurierten Politik. Nur im Zusammen-
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von Bismarck, von Stremajr.
hang mit dieser hatten die öffentlichen Vorgänge für ihn noch Interesse, das
allerdings durch die Pflege der geselligen Beziehungen zu den seit alter Zeit
näher bekannten Mitgliedern der deutschen wie der fremden Diplomatie und
der vornehmen Berliner Gesellschaft, durch Reisen nach England, Italien usw.
lebendig erhalten wurde. Wohl befiel ihn nach des Vaters und des Bruders
Tode wiederholt die Neigung, das Mandat niederzulegen und sich aus dem
öffentlichen Leben völlig zurückzn/irlien. Aber die Mahnung, dafi ein grofier
Name große Pflichten auferlege und daü der Name Bismarck aus dem poli-
tischen Leben der Nation nicht verschwinden dürfe, ist in solchen Momenten
des Wehmuts niemals ohne Emdruck auf ihn geblieben. Nun ist doch alles
anders gekommen. Arceo! — was er sich jung zum Schiedsspruch auseilcoren»
ist der Inhalt seiner Lebensbetätigung gewesen bis zum frühen Ende.
Die Nation soll in ihm das Andenken eines Mannes in Ehren halten,
dessen Arbeit ihrem Dienst und ihrer Größe geweiht war. Schüler des
größten Staatsmannes seiner Zeit hat er sich früh die Anerkennung dreier
Monarchen erworben. Es war ein tragischer Ausgang, als er sich freiwillig von
dem in so jungen Jahren erreichten hohen Amte trennte, an dem er mit ganzer
Seele hing und für welches er durch seinen ganzen Lebensgang prädestiniert
erschien. Es gehörte viel Charakter dazu, in der Entscheidung nicht zu
schwanken und dem -dringenden Wunsche des Kaisers zuwider dem Vater in
die Waldeinsamkeit von Friedrichsruh zu folgen, wo der arbeitgewohnte
Vierziger nichts fand, was ihn geistig auszufüllen und seinen Trieb nach arbt-il-
samer Betätigung zu befriedigen vermochte. Auf Reisen hat er vergeblich
Ersatz gesucht, bis er im Quamero den Hafen fand, in dem sein Lebensschiff
für die kurze Spanne, die ihm noch vergönnt war, vor Anker gehen sollte.
Noch tragischer als sein Scheiden aus dem Amte ist dann sein Scheiden aus
dem Leben gewesen, an welches ihn länger zu fesseln die innigsten und zärt-
lichsten Diebesbande vergeblich Alles aufgeboten haben. Darf man von dem
Vater sagen, daß er in seiner ganzen Größe und Heldenhaftigkeit bis an sein
Ende dem innersten Wesen nach der fürsorgliche, umsichtige und im Wogen-
sturm unerschütterliche Deichhauptmann geblieben, so war Herbert bis zu
seinem vielbetrauerten Hinscheiden in Pflicht, Treue und Hingebung Mrie in |
Zorn und Streitbarkeit — der tapfere Dragoner von Mars-la-Tour, dem
sein dort mit seinem Blute erworbenes Eisernes Kreuz zeitlebens die I,ieb-
lingszier geblieben ist. Hugo Jacobi.
Stremasrr, Karl Anton Franz von, österreichischer Minister fOr Kultus
und Unterricht, dann Erster Präsident des k. k. obersten Gerichts» und Kassa- :
tionshofs, Kurator-Stellvertreter der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, I
♦ 30. Oktober 1823 in Graz, f 22. Mai 1904 zu Pottschach. — St. war der Sohn
eines Beamten der k. k. Feldapothekenverwaltung, er studierte die Rechte an der
Universität Graz, wo er 1846 den juristischen Doktorgrad erlangte. Nachdem
er 1845 — 1846 die Justizpraxis bei dem Grazer Magistrate genommen hatte,
trat er bei der Grazer Finanzprokuratur als Praktikant in den Staatsdienst.
1S4S von einem steiermärkischen Wahlbezirke (Kindberg) in die Frankfurter 1
Nationalversammlung gewählt, schloß er sich dort einem Klub des liberalen
Zentrums (dem »W'ürttemberger Hof ) an und verblieb in der Nationalver-
sammlung bis zur Abberufung der österreichischen Abgeordneten im .-Vpril
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von Stremayr.
119
1840. X;u h Graz zurückgekehrt, erlangte er nach viclfnrhcn Schwierigkeiten,
welche ihm als l)einake]ten I-iheralen ■ und > Reic hsdeutschen^ — das
Mißtrauen der dainahgen reaktionären Regierung bereitete, schlietilich liie
kärglich dotierte Stellung eines Staatsanwaltsubstttuten, über welche er —
eben infolge seiner Miftliebigkeit — durch volle 14 Jahre — bis zu seiner
1864 erfolgten Ernennung zum Landesgerichtsrate in Graz — nicht hinaus-
kam. Hauptsächlich zur Verbesserung seiner bedrängten materiellen Lage,
als mit Kindern gesegneter I""amilienvater, war er damals auch journalistisch —
insbesondere als Mitarbeiter, dann unter fremdem Namen als Redakteur der
«Grazer Zeitung« — tätig, daneben habilitierte er sich als Privatdozent für
römisches Recht an der Grazer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät,
an welcher er schon 1849 als Supplent dieses Faches gewirkt hatte. Eine
dttrcjigreifende Wendung in seinen Sc1h< ksak n brachte St. der Wiederanbruch
einer liberalen Ära und der Wechsel des Regierungssystems nach dem un-
glücklichen Feldzuge von 1850. Im Jahre 1S61 wurde er zum Landtagsab-
geordneten für die Vororte von Graz und dann von dem Landtage sofort in
den Landesausschufi gewählt, an welcher Stelle er — nunmehr auch der
materiellen Sorgen ledig — durch eine Reihe von Jahren eine sehr erspriefiliche
Tätigkeit — als Organisator der neugeschaffenen oder vom Staate über-
nommenen landschaftlichen Institute, dann als Leiter der L'nterrichtsanstalten
des Landes — entfaltete. Aus dieser Stellung berief der Minister des Innern
in dem »Bürgerministerium«, Dr. Giskra, 1869 den ehemaligen Frankfurter
Kollegen als Ministerialrat in das Ministerium des Innern, zugleich erhielt
er von dem steiermärkischen Landtage das Mandat als Abgeordneter zum
Reichsrate. Bei der Rekonstruktion des Ministeriums im Jahre 1870 wurde
sodann St. — wieder auf Giskras Vorschlag — zum Minister für Kultus und
Unterricht ernannt, gab allerdings schon nach kaum zweimonatlicher Tätig-
keit mit (lein ganzen Kabinett seine Demission, trat aber wenige Wochen
.später abermals als Mmi.ster tür Kultus und Unterricht in das Ministerium
Potocki. Als auch dieses nach kaum halbjähriger Amtsführung durch das
föderalistische Ministerium Hohenwart abgelöstwurde, trat St. — wie auch schon
nach seinem ersten Rücktritte der Fall gewesen war — als Rat zum obersten
Gerichtshofe über, wurde aber nach dem Sturze Hohenwarts im Dezember
1871 zum tiritten Male als Unterrichtsminister in das neugebiUlete liberale
Ministerium Auersperg berufen. In dieser Stellung — dem Höhepunkt seiner
Laufbahn — verblieb er durch nahezu 8 Jahre, bei der teilweisen Rekonstruktion
des Kabinetts im Februar 1879 ^ Austritt der Minister Fürst Auersperg und
Unger, Eintritt des Grafen Taaffe als Minister des Innern •— vorübergehend mit
dem Vorsitze im Ministerrat betraut, trat er dann im August dieses Jahres in das
neugebiklete Kabinett des Grafen Taaffe, und zwar als Justizminister, während
ihm die gleichzeitige Leitung des Unterrichtsministeriums nur noch provisorisc h
für eine kurze Zeit belassen wurde. Allein diese letzte Wandlung war nur der Vor-
bote des Endes seiner politischen Laufbahn: je deutlicher das Regieningssystem
des Grafen Taaffe sich entfaltete, desto unhaltbarer erschien der anfängliche
»Koalitionscharakter« des Kabinetts, der St. den Eintritt ermöglicht hatte;
schon im Juni 1880 sah er sicli genötigt zu demissionieren, worauf er als
IL Präsident in den obersten Gerichtshof übertrat; später — iSqr — wurde
er nach Schmerlings Rücktritt zum I. Präsidenten dieses Tribunals ernannt.
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120
von Strcmayr.
1889 erfolgte seine Berufung in das Herrenhaus, wo er sich der liberalen
Gruppe, der »Verfassungspartei«, anschlofi, 1893 wurde er zum Kurator*
Stellvertreter der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften ernannt. Sein
oberstrichterliches Amt führte St. bis 1899* in welchem Jahre er aus Gesund-
heitsrücksichten, iiifol;^e eines vieliiihri^ri.n schmerzhaften Gichtleidens, seine
Versetzung in den Kuhcst.ind erbat und i-ihiflt.
Dieser kurze Umriß seines Leben:» und Wirkens lälit bereits erkennen,
dafi in St. eine Persönlichkeit auf der Bühne des Lebens stand, welcher bc-
schieden gewesen ist, an bedeutenden politischen Hergängen Anteil zu
nehmen und welcher insbesondere liii nicht unwesentlicher Einfluß auf die
politische Kntwicklung in Osterreich in der zweiten Hälfte des verflossenen
Jahrhunderts verj^önnt war. In der Tat sj)iegeln sich in diesem I,eben>hiufc
wie in einem kaleidoskü|>isrhen Hilde alle Peripetien ab, durch welche
Osterreich in dieser Epoche hindurchgegangen ist, alle die tiefgreifenden
Umwälzungen, welche dieses alte Staatswesen seit einem halben Jahrhundert
durchgemacht hat und deren Kataklysmus wohl auch heute noch nicht
gekommen ist. In der Morgenröte seiner Jugend, als kaum zum Manne ge-
reifter jungling saß St. in (U-r Paulskirc he e.nd triiumte dort mit so vielen
anderen edlen (leistein den Traum von einem ma( litigen, einheitliehen, alU-
Deutschen umlassenden, von tlem Lichte der l'reiheit durchströmten Deutsch-
land, als müder Greis, enttäuscht und längst zurückgekommen von den Hoff-
nungen seiner Jugend, irregemacht auch in dem Vertrauen auf die Geschicke
seines österreichischen Vaterlandes, betrübt und geängstigt durch das beständige
Übergreifen gefährlicher, den alten einheitlichen Staatsverband unaufhörlich
auflockernder Strömungen — so ist er dahingegangen.
St.s Lehenslauf scheidet sich im wesentlichen in vier Epochen: die Frank-
furter Zeit, das Dezennium der Reaktion von 1S50 — 1860, die Periode seiner
erfolgreichen Tätigkeit als Politiker und Minister (1861— 1880), endlich die
Zeit, in welcher er nach dem Sturze der liberalen Parteien sein oberstrichter-
liches Amt verwaltete.
1S4.S -i,S:^fi. Niemals war ein Mann geeigneter, die eine historische
F.po( he hewegi nden Ideen in sirli aufzunehmen, wie St. in diesem ersu-n .\b-
schnitle seiner politischen Laufbahn. Er war eine ideal veranlagte, überaus
begeisterungsfähige Natur, von einer Frische, Lebhaftigkeit und Jugend-
lichkeit der Auffassung, die er bis in sein hohes Alter bewahrte. So traf der
Frühlings^ und Freiheitssturm, der im Jahre 1848 durch die Welt ging, hier
ein besonders empfängliches (iemüt. In die Frankfurter Reiclisversammlung
berufen, nahm er an allen Peripetien dieser in ihrer Art in der dex luchte
einzig dastehenden Versammlung Anteil. Die überströmende nationale
Begeisterung, der doktrinäre Liberalismus, das hochgesteigerte Bewußtsein
und Souveränitätsgefühl dieser Volksvertreter, welches in seiner Selbstgenüg-
samkeit alle realen Machtfaktoren übersah oder vernachlässigte, der völlige
Mangel an praktischem Sinn, an jener Einsicht in die Wirklichkeit der Dinge,
von welcher allein in dieser harten Welt der Erfolg abhängt — dies waren
die typischen /iige des 1-rankfurter Parlaments, die l'rsachen ties kurzen
Glanzes um\ des beispiellosen Zusammenbruchs dieser durch alle großen und
berühmten Namen der deutschen Nation geschmückten Versammlung. In
dieser politischen Atmosphäre, deren Oberschwenglichkeit und naive Unkenntnis
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von Strema)T.
121
der politischen Kealitäten dem Sinne der Jugend entsprach, war St. mit voller
Hingabc tätig. Er war von den 586 Abgeordneten der jüngste, fungierte
deshalb in der Eröffnung-ssitzung als »Jugendsclirittführer'< und betrat in dieser
Eigenschaft als Erster die Rednertribüne in der Paulskirche, um die Be-
grüBungsadresse des den Platz räumenden Bundestags an die Nationalver-
sammlung zu verlesen. Mit der Begeisterung der Jugend nahm er an jener
Rheinfahrt zum Kölner Dombaufeste im August 1848 teil, in welcher alle
politischen Differenzen in einer gUkklirhen Flitterwochenstimmung gelöst
srhienen, mit der Heredsamkeit des Her/ens vertiMt er mit seinen Parteigenossen
einen vorgeschrittenen Liberalismus und die Idee einer starken Zentralgewalt,
der alle Einzelstaaten als Glieder des ReicliskOrpers sich untmnordnen hätten.
Um so empfindlicher traf ihn der Zusammenbrach all dieser »Hoffnungen und
Entwürfe, als inmitten dieses politischen Schattenspiels, in dem sich seine
ehrli( lu" Begeisterung gefiel, die harte Wirklichkeit emporstieg, die Idylle sidi
minier mehr /um Drama gestaltete, die unüberbrückbaren (legensätze unter
den sich immer leidenschaftlicher befehdenden Parteien erkennbar wurden,
immer wieder, insbesondere in dem Streite über das »Erbkaisertum«, der durch
keine politische Theorie zu überwindende Antagonismus der führenden Groß-
mächte zutage trat, überall endlich, wo die Doktrin der Versammlung sich
praktisch betätigen wollte, klar wurde, dafl die reale Macht bei den Staats-
gewalten zurückgeblieben war, an welcher, wie an einem Felsen, die Woge der
nationalen Begeisterung sich bracli.
1850 — 1861. Enttäuscht und ernüchtert kehrte St. nach Graz zurück.
Das kärglich besoldete Amt eines Staatsanwaltsubstituten, das ihm, dem mit
Mifitrauen betrachteten liberalen Frankfurter Abgeordneten, nach vielen frucht-
losen Bemühungen endlich zuteil wurde, stellte seine Standhaftigkeit auf harte
Proben. Dem revolutionären .Ausloruche, welcher mit so viel Mühe nieder-
geworfen worden war, war eine harte Anwendung der (iewalt gefolgt: jede
liberale Regung schien den damaligen Autoritäten in Widerstand und Umsturz
auszumünden, jedes Mittel der Repression schien hiemach gerechtfertigt Und
wie dies immer und überall der Fall ist, fand diese Politik der Regierung
auch noch übereifrige Organe, welche, päpstlicher als der Papst, stets noch
einige Schritte weitergingen, als von ihnen verlangt wurde. Was damals
bureaukratische Engherzigkeit und Willkür, Wohldienerei und Servilismus zu
leisten vermochten, ist heute kaum mehr begreillich; um so verständlicher
ist, daß ein Mann, tler nicht nur ein ehrlicher Liberaler, sundern auch ein
guter und wohlwollender Mensch war, es damals nicht leicht hatte, das Amt des
öffentlichen Anklägers zu führen. Denn Organ und Arm der Regierungs-
politik war ja in erster Linie (1er Staatsanwalt. Daß St.s Amtsführung damals
nicht l)efriedigte, dali er bei jeder (ielegenheit zurüi kgcsetzt wurde und durch
14 Jahre über seine subaherne Stellung nicht hinaus kam, erklärt sich hiernach
von selbst. Es war dies wohl die härteste Zeit in St.s Leben: zu den
Schwierigkeiten seiner amtlichen Stellung gesellten sich bittere Nahrungs-
sorgen und Unglücksfälle in seiner Familie, an der er mit rührender Zärt-
lichkeit hing.
1860 — 1880. Diese drangsalvolle Epoche in St.s Leben nahm ihr Ende, als
er beim Wiedereintritt verfassungsmäßiger Zustände zu der obenerwähnten
Wirksamkeit im steiermärkischen Landtage und Landesausschusse berufen
122
von Stremap.
wurde. Die hierbei an tien Tag fjekommene hervorragende administrative
Begabung St.s veranlaüte seine Berufung als Ministerialrat in das Ministerium
des Innern, aus welcher Stellung er in dem Ministerium Hasner auf die Re-
gierungsbank gelangte. Dieses Kabinett war nun allerdings nur ein kurzer
Epilog des »Bürgerministeriums« ; in dem »Memorandenstreite« hatte die
zentral istische Majorität des Kabinetts die disentierenden Minister zum
Austritt gezwungen und sich in dem Ministerium Hasner rekonstruiert, allein
<iie Zustände, in denen dir Regierung verhlicl), waren so unhaltbare, daß
schon nach wenigen Monaten der Kurs geändert und den V ertretern jener
kaum erst zurückgedrängten Richtung das Staatsruder in die Hand gegeben
wurde. Es kam das Ministerium Potocki, welches mit dem Schlagworte:
Dezentralisation und Erweiterung der Autonomie der Länder« den födera-
listischen Aspirationen entgegenkam, zugleich aber auch die Deutschen durch
ein liberales Regiment gewinnen wollte. Daß St. sich nachträglich zum
Eintritt in dieses Kabinett bestimmen lieü, wurde ihm von seinen Parteige-
nossen arg verdacht; viele hielten damals das Ende seiner politischen Laufbahn
für gekommen. Dafi dem nicht so war, hatte seinen Grund darin, daß dieses
»Koalitionsministerium« zu kurz regierte, um seine liberalen Mitglieder — St.
und den Justizminister Tschabuschnigg politisch zu kompromittieren und dafi
seine Lcbonsdnuer doch lange gotnig war, um St. Zeit zu einer .\ktion zu
lassen, welche iinn mit einem Sc hlagc den begeisterten Dank aller freisinnigen
Österreicher erwarb. Dieses war die Kündigung des Konkordais vom
i8. August 1835 aus Anlafi des durch das vatikanische Konzil proklamierten
Unfehlbarkeitsdogmas. Durch fast xo Jahre, seitdem verfassungsmäßige
Zustände bestanden, war versucht worden, diesen auf den \'ölkern Österreichs
wie ein Alb lastenden Vertrag abzuschütteln: Schmerling halte dies im Wege
der Verhandlung mit der Kurie — selbstverständlich erfolglos — angestrebt,
das Bürgerministerium hatte einzelne im Konkordate preisgegebene Lebens-
gebiete wieder der staatlichen Ocäetzgebung unterstellt (das Ehewesen, das
Verhältnis von Kirche und Schule, die interkonfessionellen Verhältnisse),
allein obwohl beständig angefochten, zum Teil auch schon durchlöchert, war
das Koi^kordat doch in Kraft geblieben — jetzt erst gelang es dasselbe mit
einem Schlage zu !>e>eitigen.
Ks bleibt St.s Venlienst, den günstigen Augenblick hierfür erfaßt und benutzt
zu haben. Die Beustsche Revanchepolitik liaite in ihrem verschlungenen
Gespinnste auch eine Falte, in welcher ein gutes Vernehmen mit der italienischen
Regierung — wenn nötig auch mit Preisgebung des Patrimoniums St. Petri —
vorausgesetzt, jedenfalls auf ein solches mehr Gewicht gelegt war, als auf
das Verhältnis zur Kurie, die Regierung ihrerseits war bestrebt, die \'ölker
( )sterreichs von ihrem progrannnatischen, jedoch vielfach bezweifelten Liber.dis-
nuis zu überzeugen, endlich und hauptsächlich lieferten die vatikanischen
Beschlüsse eine unanfechtbare staatsrechtliche Basis der Aktion. Die öster-
reichische Regierung stellte sich auf den — seither leider oft mißverstandenen —
Standpunkt, daß ein Vertragsverhältnis, welches als solches die gleiche
ret htliche Stellung der KomjKTziszenten zur selbstverständlichen Voraussetzung
hiit, nicht länger mit einer Mat ht aulrec hterhalten werden könne, weh he sich
unfehlbar, ihre Aus>prüche also als unbedingt bindend und inappellabel erklärt,
während sie zugleich — wie erst kurz vorher in der Enzyklika und dem
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von Stremayr.
123
Syllabus Pius IX. geschehen war — nahezu alle göttlichen und menschlichen
Dinge, insbesondere auch eine große Anzahl staatlicher Belange und vor
allem solche, welche Gegenstand der konkordatlichen Regelung waren, in
ihre ausschliefiliche Kompetenz und höchste Judikatur einbezog.
Auf Grand dieser Rechtsdeduktion erfolgte die Kündigung des Vertrags
in Rom im August 1870. Damit war allerdings nur der W ttrag, nicht auch
das Patent vom 5. November 1855, welches den Inhalt des Vertrages als
Staat.sgesetz promulgiert hatte, aufgehoben. Allein St. war es beschieden,
sein Werk zu Ende zu führen. Im Februar 1871 fiel das zwischen unverein-
baren Gegensätzen hin- und herschwankende, zugleich liberal und föderalistisch
schillernde Kabinett Potocki, und eine ausgesprochen föderalistische Regierung
trat unter dem Vorsitze des Grafen Hohenwart ins Amt. Allein schon nach
7 Monaten war diese Regierung an der schreienden Unvernunft ihrer Politik,
welche in den phantastisclu-n Fundamentalartikeln- des b(")hmischen Land-
tags gii>!\-lte, an dem einmütigen Widerstande der Deutschen und an dem
heftigen Einsprüche der ungarischen Politiker gescheitert, und es trat abermals
eine deutsch-liberale Regierung — das Kabinett des Fürsten Auersperg —
ins Amt, in welchem St — nun schon fast selbstverständlich — abermals
das Kultus- und Unterrichtsportefeuille erhielt (November 187 1). Jetzt erst
war es ihm vergönnt — in einer verhältnismäßig langen Amtsdauer — die
Tätigkeit zu entfalten, welche ihm ein dauerndes .Andenken in der Geschichte
der österreichischen Verwaltung sichert. Seine erste und wohl auch be-
deutendste Leitung war der Ausbau der kirchenpolitischen Gesetzgebung.
Auf der durch die Kündigung des Konkordates freigelegten Rechtsbasis wurde
das Verhältnis von Staat und Kirche durch staatliche Gesetze geregelt, deren
maßvolle Weisheit seither die Anerkennung der ganzen Welt gefunden hat.
In kluger Abwägung der staatlichen und kirchlichen F.xigenzen, mit vor-
sichtiger Herec Imung der l)i. i(lerscitigen Machtsphären und in Ijcsonnetier
Abwehr sowohl der klerikalen Übergriffe wie der gerade auf diesem
Gebiete oft zu einem unklaren Radikalismus neigenden Forderungen der
liberalen Parteien wurde hier das schwierige Thema einer solchen Gesetz-
gebung: die Wahrung der Staatlichen Machtvollkommenheit einer- und der
Freiheit und Selbstbestimmung der Kirche andererscit>, in denkbar glück-
lichster Weise behandelt. Wie eine dunkle Folie dieser .\ktion erschien der
fast gleichzeitig von der preußischen Regierung mit dem Aufgebote aller
staatlichen Machtmittel und doch ganz erfolglos geführte »Kulturkampf»,
welcher, obwohl unter den Auspizien des größten Staatsmanns vor sich gehend,
an der unrichtigen Beurteilung der Verhältnisse und der Unvernunft der
staatlichen Maßregeln vollständig scheiterte.
Auf demselben (lehiete gab St. einen anderen Heweis üborlcirener
Staatskunst durch die Mesonnenheit, mit welcher er der damals hochgehenden
altkatholischen Pewegung gegenübertrat. Wieder im ünterschied von den
deutschen Regierungen (Preußen, Bayern, Baden) widerstand St., die Aus-
sichtslosigkeitdieser Bewegungerkennend, der Aufförderung einer Konstituierung
altkatholi.scher Kirchengemeinden innerhalb des Verbandes der katholischen
Kirche, förderte dagegen und erzielte auch schließlich tlie gesetzliche An-
erkennung des in einigen wenigen Gemeinden selbständig organisierten
altkatholischen Bekenntnisses.
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124
von Stremayr.
Kbenso wie als Kultus-, war St. auch als Unterrichtsinimstcr schöpferisch
tätig. Selbst geistig auf der vollen Höhe der Zeit stehend, ein Freund der
Musen, allen Bestrebungen in Wissenschaft und Kunst mit vollem Verständnisse
entgegenkommend, hat er während seiner letzten Amtsführung seinen Namen
mit einer fast unübersehbaren Reihe l)e(leuten(ler Aktionen auf dem Gebiete
des öftentbchen l'nterrirhts verkinij)ft. Die größten Verdienste erwarb er
sich um das Hochschulwesen: die Gründung der Universität Czernowitz,
welche inneihalb eines halben Jahres wie aus dem Nichts geschaffen wurde,
<lie Errichtung der rechts- und staatswissenschaftlichen Seminare, die Organi-
sierung des seminaristisrhcn Unterrichts überhaupt, die Wiederbelebung der
stark verödeten akademischen Lehrkanzeln durch ein System von Unter^
Stützungen der Kandidaten des akademischen Lehramts, die Reform und
Modernisierung der 1 )()ktorats])rüfungen, die Errichtung zahlloser neuer
Lehrslüiile und Lehrinsiitute (insbesondere auch für die nicht deutschen
Nationalitäten), die Errichtung oder Reorganisierung mehrerer technischer
Hochschulen sowie der Hochschule für Bodenkultur — dieses und vieles
andere war auf diesem Gebiete sein Werk. Im Bereiche des Mittelschul-
wesens wurde die Schulaufsicht reorganisiert und eine große Anzahl Gymnasien
und Realschulen errichtet. Mit ziell)ewußter l'aicrgie führte St. ferner die
Organisation des V'olksschulwesens auf Grund des eben erst ins Leben getretenen
Reichsvolksschulgesetzes durch, welch letzteres, nur allgemeine Grundsätze
enthaltend, erst noch der Ausführung durch ein System von Landesgesetzen und
Ministerialverordnungen bedurfte. Mit wahrer Begeisterung endlich und
pewissermaflen als Herzenssache behandelte er alle Angelegenheiten der
schönen Künste. Durch Berufung hervorragender Künstler wurde Rang und Ruf
der .Akademie der bildenden Künste gelujl)en : ein ganz besonderes, nicht genug
hochzuschätzendes \ erdicnst aber erwarb sich St. durch die Organisierung des
gewerblichen, insbesondere des kunstgewerblichen Unterrichts. Hier hat seine
Initiative ein ganz neues Gebiet des Öffentlichen Unterrichtswesens erschlossen,
auf welchem der Vorgang der österreichischen Regierung für alle anderen
Staaten bahnbrechend und maßgebend geworden ist und welches seither eine
so mächtige Entwicklung erfahren hat, daß dieses Schaffen heute zur Signatur
unserer Zeit gehört.
Es versteht sich von selbst, daß St. bei dieser umfassenden Wirksamkeit
eines Stabes von Mitarbeitern bedurfte. Insbesondere bei seiner schöpferischen
Tätigkeit im gewerblichen Schulwesen war er von den Kunstgelehrten
Professor Eitclberger imd Freiherr von Dunireiiher wirksamst unterstützt.
Als Heirat in kirchlichen .Angelegenheiten fungierte durch eine Reihe von
Jahren der na< Innahge Karcbnal und |-'ürsterzbischof von Wien J. Kutschker,
ein Rirchcnfürit von seltener Weisheit und Milde der Gesinnung. Bei der
Aktion auf dem kirchenpolitischen Gebiete war der Verfasser dieser Zeilen
tätig, der zuletzt als Sektionschef die Kultusangelegenheiten, das Hochschul-
wesen und die administrative Judikatur des Ministeriums leitete. Der dermalige
österreit hiM he .Ministerpräsident Freiherr von Gautsch fungierte als St's
Präsidialsekretär.
Leider schloß St.s .Ministerlaufbahn mit seiner Wirksamkeit als Justiz-
minister in dem Kabinett des Grafen Taaffe in unerfreulicher Weise ab. Der
Kurs war ein anderer geworden, ohne dafi St. dies sofort begriff. Und doch
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von Stremayi.
125
war eines der deutlichsten Anzeichen hierfür gerade der Umstand, daß St
von dem »^o erfolgreich geführten l' ntcrrirhtsressort weggedrängt untl auf das von
der politisclien Strömung weniger ijeftig umsiuiltc Portefeuille der lustiz
gewiesen worden war. Auch in diesem Ressort kam aber die geänderte
Richtung des Regierungsschiffes bald zum Vorschein und so wurde Sts Name
insbesondere mit jener vielberufenen, die erste wichtigere Konzession an die
nationalen Aspirationen enthaltenden Sprachenverordnung für die böhmischen
Gerichte verknüpft, welche St. noch kurz vor seiner Demission unterzeiclinete,
ohne sich bestimmt zu sehen, das zweifelhafte X'erdienst dieser Maßregel
seinem schon bereitstehenden Nachfolger zu überlassen.
1880 — 1904. St. trat von der politischen Wirksamkeit zurück, als er mit
der Richtung, welche die Regierung einschlug, nicht länger einverstanden
sein konnte. Ks folgte die Zeit, in welcher die fahrenden Staatsmänner auf
eine grundsätzliche, von einem leitenden Gedanken au.sgehende Regienings-
politik verzichteten und ihre -Aufgabe nicht mehr in erster Linie in den
dt-r Natur und geschichtlich erwachsenen Struktur unseres Staatswesens ent-
sprechenden E.xigenzen, sondern nur darin erblickten, zwischen den hadernden
Nationalitäten zu vermitteln. Damit hat zwar die nächstfolgende Regierung,
die des Grafen Taaffe, sich durch 14 Jahre am Staatsruder zu behaupten
vermocht, allein dem aufmerksamen Beobachter konnte auch in dieser Epoche
nicht entgehen, daü die Politik des Kabinetts eine leise, aber sie her destruierende
war, welche die überlii-terten (inimllagen des staatlic heii Bestandes aufgab,
ohne ein anderes politisches System von gleicher Tragkraft an ihre Stelle
setzen zu können. Eine schiefe Ebene war betreten, auf welcher es keinen Halt
mehr gab : dem kurzen Zwischenspiele des »Koalitionsministeriums« Windisch*
graetz folgte die aggressive Politik des Grafen Badeni, welcher die Deutschen,
die durch die Politik des Grafen Taaffe zu einer nationalen Partei neben den
andern nationalen l'arteien gemacht worden waren, das ( lewaltmittel der ( )b-
struktion entgegensetzten, es folgten dann die trostlosen Jahre, in denen die parla-
mentarische Maschine still stand, wälirend die einamler ablösenden Regierungen
nach wie vor ein eigenes grundsätzliches Programm, eine objektive Grund-
ansicht von der Aufgabe der Regierungspolitik, an welcher die subjektiven
Aspirationen der hadernden Nationalitäten abzuschätzen waren, vermissen
ließen. Dies war wenigstens St.s .\nsicht von der Politik des Tages, und sie
bestimmte ihn, tler übrigens in diesem letzten Abschnitte seines Lebens von
körperlichen Leiden schwer heimgesucht war, sich jeder politischen Wirk-
samkeit, auch der im Herrenhause, zu enthalten und sich nur den Aufgaben
seines hohen richterlichen Amtes — bis zu seinem Rücktritte von demselben
1899 — zu widmen. Die letzte Wendung in der österreichischen Politik,
mit welcher der unbefriedigende Verlauf der Dinge wenigstens vorläufig zu
einem gewissen Stillstand gekommen zu sein scheint, indes freilich wieder
in tlem anderen Staate der Monarchie die schwersten Stürme toben, hat er
nicht mehr erlebt.
Überblicken wir zum Schlüsse das Leben und Wirken dieses Staatsmanns,
so müssen wir wohl zu der Oberzeugung gelangen, dafi nicht allzu viele unserer
Zeitgenossen eine so fruchtbare Wirksamkeit entfaltet und in so hohem Grade
Anspruch auf den Dank der Mitlebenden wie der kommenden ("leschlechter
erworben haben. St. war gewili keiner jener genial veranlagten Staatsmänner,
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126
von Stremayr. Meyer Cohn.
welche, ihrer unbeiiiiif^teii t'herlegcnlicit sicher, kühn durchgreifend ihre Ideen
zum Siege führen: er war eine leine, weiche, stets zu milden und versöhn-
lichen MaOregeln neigende Natar, welche erst hart werden konnte, wenn alle
Mittel, ohne Härte durchzukommen, erschöpft waren, welche den Gegner erst
zu gewinnen oder durch eine kluge Taktik zu entwaffnen suchte, bevor sie
den Kampf aufnahm, welche in der Front erst angriff, wenn kein L'mgehungs-
manöver mehr gelingen konnte. Alleiti mit dieser Veranlagung verband er
eine überall sich bewährende Hinsicht und Sachkenntnis, einen unermüdlichen
Arbeitseifer, eine ganz besondere, geradezu »diplomatische« Geschicklichkeit
in der Behandlung und Ausnützung schwieriger Situationen und — bei aller
Nachgiebigkeit und Versöhnlichkeit in der Form — zähe Ausdauer in der
Sache. Stets endlidi und auf jeder Stufe seiner Laufbahn blieb er seinen
politischen drundsätzen treu, niemals hat er in dem verschlungenen Gewebe
der Politik, dun h das ihn sein Lebensweg führte, seine Iil)eralen Anschauungen,
seine gut deutsche und gut österreichische Gesinnung verleugnet oder einem
persönlichen Vorteil zum Opfer gebracht, noch in seinen letzten Lebenstagen
leuchteten ihm — wenn auch mit der durch Alter und Erfahrung bewirkten
Abklärung — die Ideale seiner jungen Jahre.
Daß seine Wraidagung, wie sie ihre Vorzüge hatte, auch die denselben
entsprechenden Schwäc hen aufwies, ist ja selbstverständlich. Dieselben Eigen-
schatten, welche ihm für seine Krfolge zustatten kamen: die gewinnemle
Liebenswürdigkeit des Auftretens, das Bestreben, dem Gegner entgegenzu-
kommen und jedermann gerecht zu werden, jene Milde und Versöhnlichkeit
seines Wesens, welche auch zwischen den schroffsten Gegensätzen zu ver-
mitteln suchte, eben diese Eigenschaften haben wohl auch bewirkt, dafl er
mitunter mehr zugestand, als gerechtfertigt war, auch dort nachgab, wo er
standzulialten hatte, sich mit einem haU)en l%rlolge begnügte, wo bei schärferem
Auftreten ein ganzer erzielt werden konnte. Allein eben diese seine Eigenart,
welche ihm bisweilen über dem »stuwUer in modo* das »/orHier m re* vergessen
liefl, hat ihm, wie die Dinge lagen, auch Erfolge ermöglicht, welche bei einer
anderen \'eranlagung vielleicht nicht zu erzielen waren, so daß er schließlich
do( h mehr als mancher andere, ihn vielleicht persönlich überragende
Politiker erreicht, unvergängliche Früchte seines staatsmännischen Wirkens
hinterlassen und sich einen rühmlichen Platz in der Geschichte unserer Zeit
gesichert hat.
Mit teil weiser Benutzung eines Aitikek de« Verfassen in der »Neuen Freien Presse«
vom 3a Oktober 1903. Karl Freiherr v. Lemayer.
Cohn. Meyer Alexander, Bankier, Sammler, • Berlin i. Mai 1853,
t II. August 1904 ebenda. — Dies schlichte Geleitwort schreibt der Freund
dem l'reunde.
Alexander Meyer Cohn war ein Berliner Kind, der Sohn eines klugen
und tatkräftigen Mannes, der sich vom bescheidenen Schriftsetzer an die
Spitze des lurvot ragenden Bankhauses aufgeschwungen hatte und namentlich
das w^ohlbelohnte X'ertrauen märkischer Adeligen genoß. »Ale.x« durchlief
die Klassen des französischen Gynmasiums und erwarb sich eine gediegene
humanistische Bildung. Nachdem er sein Militärjahr abgedient, ein strammer
Soldat, ein eifriger Turner, ein treuer Patriot, rüstete er sich in Frankfurt
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Meyer Cohn.
127
und Bxsel, Brüssel und Ldiidon zum Eintritt in das väterliche Geschäft, mehr
aus willig geülner l^flicht, denn aus innerer Neigung zu diesem Beruf, über
dessen Plagen er später manchmal geseufzt hat. Er erfüllte ihn, das letzte
Jahrzehnt als Chef neben seinem Bruder Justizrat Dr. Heinrich Cohn, mit
steter rmsicht und unbedingter Zuverlässigkeit, jedem Spekulantentum
ahhold. An der Seite einer feingcbildeten (lattin österreichisch-polnischer
Herkunft fand er tlas häusliche (Ilück und war seinen beiden Töchtern der
liebreichste Vater, dem alten und jungen Freundeskreis ein wunderniilder
Wirt.
Wer mit ihm in Berührung kam, erkannte bald als herrschenden Zug
seines Wesens die Güte. Er gab gern, reichlicli und freundlich, am liebsten
ungebeten in der Stille. Auch mancher junge Künstler hat solche Wohl-
tätigkeit erfahren, und seinen Vertrauten ist kaum ein Festtag ohne ein
sinnig gewähltes (leschenk aus dieser offenen Hand vorbeigegangen. Der
immer gleichen Herzenswärmc war eine starke Mischung berlinischen Humors
beigesellt, nie verletzend und nicht blofi oberflächlich s(niüend, wie gern unser
Freund sich auch in drolligen, zeitweise stereotypen Redensarten erging,
sondern als Ausfluß tiefer Heiterkeit. Alles, was nur von fem an Protzen-
tum streifte, stieß ihn ab. Er schmückte seine Wohnung mit erlesenen Kunst-
werken deutscher und ausländischer Meister, wich aber jeder |)runkvollen
großen Ueselligkeit aus und mied Premiereu und dergleichen Stelldichein
für Berlin W. so gut wie in den Ferien die vornehmen Modeorte. Der kleine
untersetzte Mann wanderte lieber mit dem Rucksack an einen stillen Platz
im bayerischen Gebirge. Alljährlich, nicht blofi zu Pfingsten, wo das Gewühl
<ler Festversammlung die reine Andacht hemmt, zog es ihn nach Weimar.
1 )ann besuchte er wieder und wieder alle ihm heiligen Stätten und sprach
als willkommener Gast im Goethe-Schiller-Archiv vor, das seiner Liberalität
SO viel vertlankt: aulier kostbaren Handschriften zwei große Reihen von
tditümes pHndpes deutscher Dichtwerke in Prachtbänden. Neben der Berufs-
arbeit lief eine unermüdliche Tätigkeit für zahlreiche Vereine, die seines
Beirats und seiner stets bereiten Hilfe bedurften. Gar manchem ist er Merk-
lich ein Schatzmeister gewesen. T,iteratur, \'oIks- und Völkerkunde, ger-
manische Altertümer, (ieschichte Berlins haben seine ffMclernde Hand gespürt;
das Museum für deutsche Trachten zumal wäre ohne diesen so unterrichteten
wie opferwilligen Mann nicht zustande gekommen. Ein voller Chor dank-
barer Anerkennung hat den Lebenden, der äufleren Ehren niemals nachging,
erfreut, den früh Verschiedenen betrauert.
Lange schon zehrte die Zuckerkrankheit an seinem Dasein. Im Früh-
jahr 1004 kam er schwer leitlend aus Bozen heim und hatte nun Monate
hindurch mit furchtbaren Schmerzen zu kämpfen, die sich doch im Juli
so weit milderten, daß er getrost in die nächste Zukunft blickte und auf einer
notwendigen Erholungsreise seiner Familie bestand. Ich seh' ihn vor mir,
den rührenden guten Dulder, wie er in einem stillen Garten des Grunewalds
vom Lager aus dem Besucher freundlich zuuii^kte und ihm dann wohl auf
dem Seitentischchen ein paar schöne Handschriften wies, an denen sein
Auge sich eben geweidet hatte. Hie Hoffnung war trügerisch, eine jähe
Wendung trat ein, am 11. August iqo4 ist Alexander Meyer Cohn sanlt
entschlafen.
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128
Meyer Cohn.
Ihm bleibt für weite Kreise tlcr Ruhm des größten deiitsrhen Auto-
graphcnsammlers und -kenncr*-. Wiedt-rluilt, noch in letzter Zeit, hab" ich
ihn klagen hürcn, daU er trotz allem Wohlstand nicht in der Lage sei, die
angehäuften Schätze den Seinen als onverftafierliches Erbe zu hinterlassen
oder sie gar insgesamt einem öffentlichen Institut wie dem Goethe^Schiller*
Archiv zu vermachen. So zerstiebt denn diese kostbare Fülle, wie das sin-
kende Jahr die Blätter des Haums herabstört.
Noch auf der Scluilc hatti" er vorn Vater einen Srhillcrbrief als Geschenk
erhalten, woran sein Sammeleifer sich entzündete. Anfangs wuchs der Besitz
langsam; dann konnte die immer leidenschaftlichere Liebe allgemach im
Vollgewinn schwelgen. Der 1886, wohl nicht zufällig ein Jahr nach Er-
schließung des Gocthischen Archivs, in zweihundert Exemplaren verteilte
stattliche Quartband Katalog einer Autograjthensammlung zur Geschichte
der deutschen Literatur ^-it Hoszinn des iS, lahihunderts ■ ließ den Haupt-
teil, ( haravays und 1 hih.iudeaus Mustern Lrcniiill. in streng chronologischer
Folge von H, S. Keimarus bis herab zu R. \ oli uberblicken; beinahe vier-
einhalbhundert Namen, manche und gerade die vornehmsten durch gröflere
Serien, keiner unbedeutend vertreten. Regesten und Teildrucke bereicherten
unsere Literaturgeschichte sehr erheblich, so daß der Katalog eifrig zitiert
ward und Anfragen über Anfragen, verschämte und unverschämte Tritten Ober
liitten bei dem Herausgeber einliefen. Alexander betrieb seit geraumer Zeit
eine Neubearbeitung, die nun seine ganze liabe umfassen sollte; tlaneben
schwebte ihm ein Autographenkommentar zu »Dichtung und Wahrheit«' vor.
Als Privatdrucke liefi er Goethiana und zu Kaiser Wilhelms hundertstem
Geburtstage eine Reihe höchst wertvoller Briefe an den Prinzen Karl aus-
gehn. Auch der Säkularfeier Schillers war schon eine würdige Gabe
zugeda< lit Wer jenes alte Verzeichnis an dem vorliegenden inißt, erkennt
sow('!.l. uii- unmincm ilie Sammlung seither im (iebiete der deutschen
Literatur, besonders des weiuuirischen Klassizismus nebst seinen persön-
lichen Zusammenhängen, angeschwollen ist, als auch ihren dieses Feld über-
schreitenden Reichtum. Sie schließt grundsätzlich alle Fachgelehrten aus,
gesellt a1)er die bildenden Künstler zu den Schriftstellern Europas, Urkunden
alter deuisi her Kaiser, spanischer Könige usw. zur Korrespondenz politischer
Persönlichkeiten. Tadelloser Zustand, inhaltlic he Hcdeutung gal>en bei jedem
Erwerb den Ausschlag. Vieles gewann er einzeln durch massenhaftes privates
Angebot oder auf Auktionen; manchmal glückte ein großer Fischzug wie
Hemsens Nachlaß, Kleists Blätter an seine Braut mit herrlichem Skiwachs von
Aufsätzen und Lebensdokumenten aus Dessau, Goethes Briefe an F. H. Ja-
cobi, an Reinhard. Aus dem Geheimschatze, den Maitzahn aufgebracht
hatte, ging auch eines der umfangreichsten und inhaltschwersten Bekennt-
nisse de.s jungen (loethe vom Juni 1774 in diese Sammlung ein, und endlicii
wurde ebendaher, doch erst nach strengster Zwischenhaft bei dem unzugäng-
lichen Posonyi, das Kleinod der Shakespeare-Rede erobert. Als der Ober-
hofmeister v. Donop in Weimar starb, kaufte Alexander alles, was sich an
Schriftstücken und Bildern auf Goethe bezog, und nicht zuletzt jene brüder-
lichen Mitteilungen Kaiser Wilhelms, die von den Freiheitskriegen bis nach
Versailles reichen.
Vergessen wir endlich nicht, wie oft er auf Versteigerungen vorläufig
Meyer Cohn. MoU.
129
zugegriffen hat, um einer fremden Interessensphäre sclbstUis zu dienen und
etwa einen Koliunten des Hans Saehs, den er nur in Nürnherff geborgen
sehen wollte, den Klauen Hurpagons zu entreilien. Kr verachtete die gierigen
£goisten, die alles blofi für sich aHein besitzen und nach Lessings Wort wie
der Hund vor dem Heu liegen. Er hielt es vielmehr mit den weitherzigen,
der Wissenschaft holden Männern vom Schlag C. Meinerts, R. Brockhaus,
ließ z. B. die weimarische Goetheausgabe auch mit seinem Pfunde wuchern
und f()rderte gern sowohl das von unserer Akademie tzeplante Korpus _der
Hriefe Wielan<ls als die F.dition aller Hriefe HeiiiiK Ii \ . Kleist>. l)a> Buch-
zeichen Miht cl umuls war auch seine i.osung. Welunüiig .sehen die Freunde
nun diese von kenntnisreicher Liebe vereinten Blfttter zerflattem. Mögen sie
in die rechten Hände kommen 1
Vorwort «im Katalog der »Antogniphcii-.Sainmlung Alexander Meyer Cohns«. Erster
Teil. Berlin. J. A. Stargnrdt 1905. Mit Genehmigung des Verfassers wiederholt
Berlin. Erich Schmidt.
Motz, Paul, hennebergischer Dialektdichter, * 1817 in Ritschenhausen bei
Meiningen, f 3. Mai 1904 in Meiningen. — M. besuchte das Gymnasium zu.
Meiningen, wandte sich dann, von Liebe zur Natur und besonders zum Wald
erfüllt, dem Korstfache zu und empfing seine Ausbildung dafür auf der For>t-
lehranstalt zu Dreißigacker bei Meiningen. Als er 1839 — 1840 das luaktisclu-
Leiirjahr in lienneberg erledigt hatte, übernahm er zunächst die 1'rivat.steilung
eines GutsfOrsters in Ellinghausen bei Meiningen, trat aber 1843 als Forst*
assessor in den herzoglichen Staatsdienst zurück. Von Henneberg, wo er nun
wieder zut r-t anize^tt llt war, wurde er 1846 nach Kloster Veilsdorf, von da
184g nach HeiiK-rsdorf bei Sonneberg, 1857 nach Hcidburg, 1866 nach
Schiniedefeld bei (Iräfenthal versetzt. Die Ernennung ziun ( )berföister führte
ihn 1870 nach Keichenbach bei Saalfeld. Dort verblieb er bis zu seiner
Pensionierung 1881 und verlebte dann den Rest seiner Jahre im Ruhestande
zu Meiningen.
M. besafi viel Gemüt, Humor und poetisches Empfinden. Da er auch
über Gewandtheit im Versbau verfugte, ward er durch das Leben in der
Natur und durch den \'erkchr mit sympatliist hen MLns( hen leicht zu dichteri-
s«'hem Schaffen angerci,'t. Dii- l'inNtandc licljen s\k\\ freilich nicht innner
tianach an, sein Talent zur Betätigung zu bringen. BakI waren es häusliche
Sorgen, bald dienstliche Widerwärtigkeiten, bald die Vereinsamung in ent-
legenen Dörfern, bald die Trennung von der hennebergischen Heimat, die
seine dichterische Schaffenskraft jahrelang unterdrückten. Trotztlem hat M.
eine große Menge von Cledichten hervorgebracht, die bisher nur zum kleineren
'i'eile gedruckt worden sind. Er stellte seine Muse in tlen Dienst des heimat-
lichen hennebergischen Dialektes, auf dessen Eigenart Männer wie Reinwald,
Sterzing, Brückner u. a. durch wissenschaftliche Untersuchungen teils früher
teils gleichzeitig hingewiesen hatten. In dieser Mundart hat M. manches
köstliche Stflck von urwüchsiger Kraft gedichtet. Seine ersten Gedichte ent-
standen schon 1843 in Henneberg, und die anregende Zeit in Kloster
X'eilsdorf 1S46 — 1849 brachte ebenfalls reichen poet hcii Ertrag. Zur grt'WJten
Eruchtbarkeit aber gelangte sein Talent 1857 — 1866 in lieldburg, wo er die
Biogr. Jahrbuch u. Dcuttcher Nekrolog. 9. Bd. O
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130
Motz. TOD Angeli.
anpenchmsto und glücklichste Zeit seines Lebens genoß. Eine kleine Sainm-
seiner (Icditlitc in IkimL-berger Mundart« erschien zuerst 1848 in Hild-
burghau.Ncn und später neu aufgelegt in S;uilfeld. Unter dem Titel »Jokes-
Äpfel« gab M. eine weitere Sammlung seiner Dialcktdichtungen herans. Das
I. Bftndchen davon wurde 1853 in Gotha, das 3. Bändchen 1858 in Hildburg-
hausen veröffentlicht; zu einem angekündigten 3. Bändchen und einer
wünst hcnswertrii Auswahl aus den ungedruckten späteren Gedichten ist es
bisher ni< ht ^ckoinmen.
A. Richter, r. Motz, in der » I hüriiigcr Warle« Ii, Nr. 4 (Juli 1905;, S. 158 — 166
mit FdrtrU des Dichter». — VgL »ThOringer Wartec I, Nr. 10, S. 46a und zweite Uid-
schlagtseite; II, Nr. 5, S. 214 f. P. Mitzschke.
Angcli, Moriz Kdler von, österreichisch-ungarischer Oberst, * zu Wien
1829, f 3. ( )ktol)or iQt)4 ebenda. — A. stammte aus einer alten vene/ianisclu-ii
Patrizierfamiiie, kam 1S41 als zwölfjähriger Knabe in die Wiener-Ncu.stadtcr
Akademie, wo es sechs Jahre verblieb, worauf er die Pionierschule zu Talin
besuchte. Bald aber wurde er auf das Schlachtfeld geworfen, da die Be-
wegungen der Jahre 1848 und 1849 den Abschluß theoretischer Studien
nicht zuließen. Im Januar 1849 wurde er als Kadett in das 10. Infanterie-
regiment (Iraf Mazzuchelli eingereiht U!hI kam bald auf dem ungarischen
Kriegsst haujilat/.e ins Feuer. Das Kor]>s Wohlgemuth, ilein sein Regiment
angehörte, wurde am 19. .April bei Nagy-Sarlo mit überlegener Macht von
den Ungarn unter Klapka angegriffen und zum Rückzüge gezwungen ; es war
dies eines der Gefechte, durch die der Rückzug der Armee des Fürsten ,
Windisch-Graetz aus Ungarn notwendig wurde. Dann aber ging es unter
Haynau wieder vorwärts. A., am i. Juli 1S49 zum Unterleutnant ernannt, nahm
an den Käniiifen von Komorn, zumal an den (Jefcchten im Acser Wald am
3. August unil an dem \ Ormarsclie gegen die Theiß teil; bald darauf wurde
er in das 37. Infanterieregiment versetzt, in dem er bis 1870 verblieb.
Auch die Friedensjahre bis 1859 gestalteten sich für den jungen A. lebhaft
genug. Galizische und italienische Garnisonen wechselten, und i8$o wurde
sein Regiment in die militäris( lie Aufstelluni: ^'eircn Preußen einbezogen. Al>
1854 die Rüstungen gegen Rußland ins Werk gesetzt wurden, gehörte das
37. Regiment zu den Trup|»en, die nach der Moltlau und Walaciiei kommandiert
wurden, um den Rückzug der Russen von der unteren Donau zu erzwingen.
Reich bewegte zwei Jahre folgten für A., der die in der Moldau gewonnenen
Rindrücke in seinem Buche »Altes Eisen« anschaulich wiedergab. Im Februar
1857 verließ sein Regiment Jassy und er kam nach Peterwardein in Sfidungam,
wo er seine I^raut kennen lernte.
Doch gab es für ihn nur kurze Rast. I'!r stanti zu Prag in Garnison,
als das in Böhmen liegende erste Korps, Befehlshaber Graf Clam-Galla.s, den
Befehl erhielt, nach Italien abzugehen. Die Eisenbahnfahrt ging durch das
verbündete SOddeutschland und Südtirol nach Mailand, wo er mit seinen
Kampfgenossen am i. Juni eintraf. Schon am nächsten Tag ging der Maisch
zur Tessinbrücke bei Magenta, wo man den Angriff des Feindes erwartete.
Die Schlacht vom 4. Juni fand ihn so unter den Kümpfcrn. Am 20. Juni
erfuhr er im Lager vor Verona seine Befiederung zum Hauptmann und vier
Tage darauf kam er bei Solferino neuerlich ins i euer. iit stand am linken
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von Angeli.
Flügel, der, ohne besiegt zu sein, vom Feldzeugmeister Wimpffen den JJefehl
zum vorzeitigen Riu k/ug eiliiclt, was dann den X'eriust der Schlacht auch
auf dem siegreichen rechten Mügel zur l'ulge hatte. — Als er 1S63 zu Lem-
berg in Garnison lag, erhielt er den Befehl, mit seiner Kompagnie an der
GrenzbewachiiDg teilzunehmen, die Galizien von dem aufständischen Russisch -
Polen zu trennen hatte. Diese mühsame Aufgabe beschäftigte ihn von April
1863 bis Oktober 1864; es war nicht immer möglich, in dem breiten, ihm
zugewiesenen Raum den übertritt von Händen von und nac h Kußland zu
verhindern, zumal da diese in genauer Verbindung mit den Besitzern der
Adelshöfc standen. Die halb ernsten, halb launigen Schilderungen A.s in
dem bereits genannten Buche gewähren lebendigen Einblick in dieses bunte
Treiben. — Unter allen kriegerischen Verwickelungen Österreichs von 1848
bis 1866 war der dänische Krieg der einzige, von dem A. persönlich nicht
berührt wurde. Der Krieg von 1866 fand ihn wieder auf dem Kampfplatze.
Das 37. Regiment stand in der Brigade des Erzherzogs Idscjib und gehörte
zum vierten Korps unter tieneral Graf Festelics. Kr kämpfte bei Schwein-
scbädel am 39. Juni und in der Schlacht von Königgrätz; sein Regiment
gehötte au den Trnppenkörpem, die den blutigen Sturm auf den Swiepwald
mitmachten.
Noch weitere vier Jahre gehörte A. dem streitbaren Stande an. Ein
Zeichen des Vertrauens in seinen Takt und seine Tiu htigkeit war es, daß
man ihm, der sich mit seinem Bataillon in Budapest in (larnison befand, im
Jahre 1869 die Ausbildung der ersten Einjährig-Frei willigenabteilung vun etwa
300 jungen Soldaten anvertraute, was bei den damaligen Strömungen in Ungarn
keine leichte Aufgabe war. Die ungarischen Freiwilligen zeigten sich zuerst
stutzig, wollten mit der Disziplin spielen, aber die Festigkeit und Biederkeit
ihres Hauptmannes gewann sie vollständig fiir ihre Pflicht. K urze Zeit darauf
aber schloß der dein Waffendienste gewidmete Teil seine lätigkcil. Seine
Gesundheit hatte durch ilie Strapazen des Dienstes wie durch den Sturz eines
Wagens, auf dem er 1S59 eine dienstliche Obliegenheit zu erfüllen hatte,
gelitten, und er trat 1871 mit Majorscharakter in den Ruhestand.
Damit beginnt seine ausgebreitete Tätigkeit als militärischer Schriftsteller,
durch die er sich ein dauerndes Andenken sicherte. Sc hon früher hatte er
sich als sol( her versu( ht und 1869 ein Buch, »'l aklische Thematik , heraus-
gegeben, da-s sich die Anwendung der allgemeinen Kegeln der Kriegskunst
auf den einzelnen Fall zum Ziel setzte. Bei seinem Rücktritte vom aktiven
Dienste war er wohl körperlich angegriffen, doch geistig regsam und über-
nahm die Redaktion der militärischen Zeitschrift »Vedette«, in der er für die
Reformen eintrat, durch die die Neuorganisation der .Armee herbeigeführt
wurde, ohne sich den Drängern anzuschließen, die auch an alte liebgewordene
Traditionen rühren wollten. Sein gerader und streitbarer Sinn führte man* hen
scharfen Federkampf herbei, der, ebenso wie eine Anklage wegen Khrenbe-
leidigung vor dem Schwurgerichte, ehrenvoll für ihn verlief. Die Beschäftigung
mit der militärischen Journalistik behagte ihm wenig, und es konnte ihm
nichts willkommener sein, als daß er am i. Januar 1875 in den aktiven
Dienst zurücktrat, wobei er der Abteilung für Kriegsgeschichte des k. u. k.
Knegsarchives zugeteilt wurde. Dieser Dienstzweig war kurz vorher von
Friedrich von Fischer, dem hochverdienten Redakteur des ottiziellen Werkes
9*
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132
von Ang^elt.
über den Krieg von 1866, neu organisiert worden. Die Leitung der Abteilung
des Kriegsarchivs wurde von dem N^u hfolger Fischers, ( )berst von Sai ken,
in dessen Geiste weitergeführt. A. fand in ihm einen ihn hochschätzenden
Vorgesetzten und erwies sich bald durch seine Arbeitskraft, sein militärisches
Wissen und durch seine Gewandtheit in der Darstellung als einen der ver-
dientesten Vertreter der K rieL,s\\ issriis« haft in Österreich. Er beteiligte sich
zunächst an dem groüen Werke über (be l eld/.üge des Prin/en Kui:en, indem
er den Teil über (He Kriegsjahre i(n)-j und i6()S bearl)eitete. Eine interessante
Aufgabe fiel ilnn zu, als ilie kriegsgeschichtbehe Abteilung den i'lan taüte, zur
Aufliellung der Geschichte Wallensteins die Archive derjenigen Adelsfamilien
durchforschen zu lassen, deren Ahnherren an dem Aufstiege und Falle des Fried-
länders in irgendeiner Weise beteiligt waren. Zu diesem Ende wurde ihm die
eingehende Durchsii lit des Schh'ckschen Archivs in Kopidhio übertragen, (Linn
das des l'"ürsten Cnllorcdo in ( )|)otsclnio, endbch des Grafen Glam-GaUas in
I riedl.md. Das Kii^cluiis hat A. in seinen Berichten an <be K riegsgescliichtbclie
i\bteiiung nieticrgelegt. Daneben ging (be HeiUige Mitarbeitersehaft in den
»Mitteilungen des k. u. k. Kriegsarchivs«, wo er zahlreiche Arbeiten Aber
Kriegsgeschichte veröffentlichte. Dazu gehören seine Aufeätze über »Die
Heere «ic-^ Kaisers und der französischen Revolution«, »Ulm und Austerlitz
l8o5<, Wagram , >T)ie Teilnahme des k. k. österreichischen Auxi]iark<ir]is
unter dem Konnnando des Fürsten Karl Schwarzenberg gegen Rußland 1812 .
Dali er daneben auf Anregung des Kriegsministeriums durch einige Zeit auch
die Redaktion der Streffleurschen Militärischen Zeitschrift führte, gehört nicht
zu seinen angenehmsten Erinnerungen. Es zog ihn immer wieder zu seinen
historischen Arbeiten, für die sich um diese Zeit eine weitere Perspektive
eröffnete. Er trat damit an das Hauptwerk seines Lebens.
Die S()hne des Erzherzogs Karl, die Erzherzoge Albrecht und Wilhelm,
faßten den Plan zu einer \s issenschaftlichen lb<^graj)hie ihres berühmten X'atcrs,
des Siegers in den Keldzüj^en von 1796, 1799 und in der Schlacht bei Aspern.
Die umfassende Aufgabe wurde in zwei Teile zerlegt, derart daß der Pro-
fessor an der Wiener Universität, Zeifiberg, die Geschichte des Lebens und
mit ihr die politische Tätigkeit Karls s» hildern sollte, wäjirend A. mit der
Aufgabe betraut wurde, dem Erzherzog- l eldmarschall in seiner Eigenschaft
als l'eldherr gerecht zu werden. Es stellten sich ihm aber vom Anfange an
grolie Schwierigkeiten in den Weg. Sie werden sich innner einfinden, wenn
eine offene, wahrheitsliebende Natur zu einer Arbeit eingespannt wird, die
der Individualität des Verfassers naturgemäfi eine Schranke zieht Hemmungen
dieser Art bei offiziellen und halboffiziellen Werken werden am besten durch
den Hinweis darauf gekennzeichnet, daß Moltke, gewissermaßen als Weisung
bei Abfassung des deutschen Generalstabswerkes über den Krieg von 1870,
die .Äußerung fallen ließ: Die Prestigen (der deutschen Heerführer) müssen
geschont werden.« Für A. war noch der Umstand wichtig, daü die l*ietät
der Söhne des Erzherzogs Karl sorgsam Ober dessen Andenken wachte,
femer, dafi der Erzherzog selbst die Feldzüge von 1796 und 1799 in Werken
geschildert hatte, die zwar mit Recht hohes Ansehen genießen, die aber den
Nachteil besitzen, daß der Verfasser die offiziellen österreichischen Dokumente
nicht vollständig, die tranzr>sis( hen aber gar nii ht benützt hatte. Erschien
doch vom Marschall Jourdan, seinem Gegner im Kriege von 1796, eine Wider-
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von Angeli.
legung der Annahmen, die der Erzherzog in seinem Buche über die Absichten
(lifsos französisrlien Generals ausgesj^roi 1k n hatte. Es war nicht anders
inögliel), als dali das Werk A.s die 1 )arstellunL,' <ies Erzherzogs nicht bloß
ergänzte, sonilern auch beiichtigic. Er vcnnochte ihn in manchen Punkten gej^en
die Strenge der von ihm geübten Selbstkritik zu verteidigen, konnte sich aber
auch manchen Widerspruch gegen die Angaben seines Helden nicht ersparen.
Die Erzherzoge Albrecht und Wilhelm waren zu sachkundig, um diese
Schwierigkeiten zu verkennen, und A. hat stets anerkannt, <hiü ihm in tler
Eeststellung der Tatsachen vollstäiuiig freie Hand gelassen wurde. Manches
hätte sich ruhiger und für A. ercjuicklicher schlichten lassen, wenn sie h nicht
zwischen ihm und dem Nachfolger Sackens in der Leitung der Kriegsge-
schichtlichen Abteilung und des Kriegsarchivs, dem Obersten, späteren
Feldmarschallentnant Freiherm von Wetzer, sachliche und persönliche Miß-
lielligkeiten eingestellt hätten. Wetzer entwarf eine Art Programm für die
Al)f:issung des ersten Teiles der Arl)eit A.s, mit der dieser in mancher
Iteziehung nicht einverstanden war. Ihm, der bereits im Kriegsarchiv die
Quellen durchforscht hatte, schien manche Annahme Wetzers nicht haltbar,
und er konnte sie nicht zur Richtschnur nehmen. Der Gegensatz verschärfte
sich, da die Gradheit A.s sich in der Diskussion nicht verleugnete. Er rückte
zwar i838 zum Oberstleutnant vor, das X'erhältnis drängte aber zu einer
L>ösung und A. verzeichnet in seinem Diarium zum 10. September 1890, er
sei ^^infolge der vielfachen Reibungen mit der Archivdirektion. welche aus
meiner sell)ständigen Stellung als X'erfasser des l-azher/og Karl-Werkes hervor-
gingen*, aus dem Verbände der Kriegsgeschichtlichen Abteilung ausgeschieden,
so zwar, dafi er dem Familicnarchiv des Erzherzogs Albrecht zugeteilt wurde.
Der Austritt aus seiner früheren Stellung mochte ihm aus manchen Gründen
unwillkommen sein, dafür aber wurde ihm größere Freiheit der lUnvegung
zuteil, die er zur \'ollcndnng seines Werke-- benützte. Die Söhne Erzherzog
Karls wurden indessen durch den Tod al)l)eruten und ihre NcMen, »lie Krz-
her/.oge Frietlrich und Eugen, verfügten, tlali, wahrend die Arbeit des Professors
ZeiOberg nur langsam vorschritt, mit der Herausgabe des Werkes A.s vorgegangen
werde. Und so erschienen 1896— 1897 dessen fünf Bände »Erzherzog Karl
als Feldherr und Heeresorganisator«, die der Reihe nach die Eeldzüge von
1796 in Deutschland und 1797 in Italien, 1799 in Deutschland, iSoj; in Italien,
1800 in Deutschland und n>tfrreich und als Schluß die \\'ür<ligung des
Erzherzogs Karl als I leere-^nr^anisator umfalUen. .\. war unter(le---cn iSi)^
als Oberst aus dem aktiven Dienste in den Ruhestantl getreten, ohne si< h
aber in seiner Arbeit beirren zu lassen. Nach ihrem Abschluß wurde ihm
»in Anerkennung seiner Verdienste auf historischem Gebiete« vom Rai.scr der
( )rden der Kisernen Krone dritter Kla- r \ i-iliehen uml aui Ii tUc In iden
überlebenden r.rzherzoge haben persönlich den Dank für seine Mühewaltung
aufs wärmste In-tätigt.
Berufene Beurteiler haben anerkamit, dali A. mit unermüdlichem Kleiß
und mit voller Wahrheitsliebe den Stoff zusammengefaßt und lichtvoll dargestellt
hat. Man konnte aber von seinem Werke nicht eine scharfe, unumwundene
Kritik der militärischen und politischen Ereignisse erwarten. Eine st)l( he
war weder beabsichtigt, noch unter den obwaltenden Umständen möglich.
Man wird aber solche abschließende Urteile auch nicht in den Arbeiten
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134
ron Angeli. Roäi.
deutscher und französischer Darsteller finden, die eine Art offizieller Mission
übernoinnien haben.
Nach so viel I,c'I)i ii>-atln.-it hätte ( )l)erst von A., nahezu sieh/.ij^jahrig, <la>
ReclU gehabt, sich Rulic zu gönnen. Aber er war an Tätigkeit gewohnt
und so schritt er an die Lösung neuer Aufgaben. Auf Anregung des Prinzen
I^udwig Windisch-Graetz, General-Truppen-Inspektors, veranlafite ihn die
Familie des Generals Grafen Clam-Gallas zur Abfassung der militärischen
Biographie des letzteren, eine \rl)cit, die ihn schon deshalb interessierte, weil
er an den Feld/üj^en des (Irafen ('latn-Crallas als Offizier teilgenommen hatte.
Es war A.s Absicht, mit der V'eröftentlichung seines ßuche.s vorzugchen; das
Manuskript wurde auch nach dem Tode des Verfassers dem Sohne des Ge>
nerals vollständig fibergeben und harrt noch der Veröffentlichung. Daneben
beschäftigte sicli A. in den letzten Jahren seines Lebens damit, seine Er-
innerungen niederzuschreiben. Er wählte dazu nicht die Form einer zusammen-
fassenden Selbstbiographie, sondern zog es vor, einzelne Stücke der Reihe
nach herauszuheben. So erschien das lUich Altes Kisen« (Stuttgart, Cotta,
i9t)o), dem er ein zweites »Wien nach 1848V folgen lassen wollte. Als ihn
der Tod darüber überraschtei wurde dieses als nachgelassenes Werk herausge-
geben, (Wien, Braumfiller, 1905). Wer diese Arbeiten in die Hand nimmt, dem
wird daraus der gerade schlit htc Sinn tles Verfassi is entgegenblicken; nicht
Prunk und Schliff, sondern volle Natürlichkeit lag in dem Charakter Angelis.
Die vnistcliciulc lUu^T.ipbic ist nalio/u gleichlautend als Einleitung zu dem nach-
gelassenen Werke Angelis »Wien nach 1848« erschienen.
Heinrich Friedjung.
Roth, Arnold, schweizerischer Gesandter, ♦ 24. Januar 1836 zu Teufen
(Kanton Aj)nenzell), + am 7. April i{)o4. — R. wurde als der Sohn des a]>pcn-
zellischen 1 .andaninianns und schweizerischen N'atitmal- und Stänclerates Johannes
Roth geboren. Sein \ ater, ein biederer liürger, war ökonomisch unabhängig
und widmete sich gänaslich der Öffentlichkeit and seinen Liebhabereien, be-
sonders der Musik, die er mit Leidenschaft pflegte, seine Mutter, Emilie SchieB
von Herisau, war eine fein gebildete l"rau mit praktisch häuslichem Sinn. R.
bekam zu Hause eine sorgfältige Krziehung, besuchte dann, um sich für die
rniversitätsstiidien vorzubereiten, die Kantonschule in Trogen, das Institut
Münz und das (iyinnasiuni in St. (lallen. Im Frühjahr 1S54 bezog er die
Hochschule in Zürich, 1855 diejenige Heidelbergs, um Juri.sprudenz zu studieren.
Nachdem er 1857 doktoriert hatte, wirkte er kurze Zeit als Auditor (Anwalt)
am Bezirksgericht in Zürich. Dann siedelte R. nach Paris über, wo er zehn
Jahre lang als Sekretär (K s schweizerischen Gesandten, Ministers Kern, arbei-
tete: es w.ir die /eil der Höhe und des allmählichen Falles Napoleons III.
(iSt^i) — iS6()). Dann wurde R. kurze Zeit Sekretär des |)olitisi lu'n Departementes
in Hern untl siedelte darauf in .seine Heimat L'eufen über. Das appenzellischc
Volk betraute ihn bald mit vielen Ämtern, die er alle als fleißiger Arbeiter
mit gewissenhafter Sorgfalt verwaltete. So war R. Ständerat, Statthalter
(Regicrungsrat), Landammann und Präsident eines Wrfassungsrates des Kantons
Appenzell a. Rh. Daneben widmete er sich auch dem Militär, indem er als
Artillerieoffizier Dienste tat. Im Dezemlier 1S76 nahm er einen Ruf des
schweizerischen Bundesrate:) an, als Gesandter der schweizerischen Eidge-
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Roth, von Mdlinary.
nossenschaft nat h Berlin zu gehen. 1877 trat R. seinen neuen Posten an,
den er bis zu si-incin Tode 1904 bekleidete. Neben den iil>lirhen (lesandt-
Schaftsgeschäften traten verschiedene größere Aufgaben an K, heran, so beteiligte
er sich in hohem Mafle an den deutsch-schweizerischen Handelsverträgen der
Jahre 1881, 1888, 1891 und 1904, an der Wohlgemuthaffäre 1889 und an der
Haager Friedenskonferenz 1899. In allen seinen Handlungen kamen ihm
große juristisrlie und nationalökonomisrhe Kenntnisse, politischer Scharfblick,
feiner Takt und eine au'^rrebildete diploinatischv Kunst zu statten. Hiese
Kigenschaften, die mit 1 .ichcnswürdigkeit und Einfachheit des IkMiehniens
verbunden waren, maciiten ihn auch zum Liebling der Schweizerkolonie in
Berlin, sowie zu einem angesehenen Mitglied des dortigen diplomatischen
Korps. So genofi R. das Wohlwollen der Kaiser Wilhelms Friedrichs HI.
und Wilhelms II.; gute und zum Teil freundschaftliche l»e/iehungen unterhielt
R. mit Bismarck, Caprivi, HohenU)he, lUilow, Moltke, Stephan, Helinholtz,
Marschall, Zep])elin u. a. K.s Privatleben floü einfach und gUuklich dahin.
Er war mit Aline Zollinger aus Zürich vermählt utul genoü mit ihr, zwei
Töchtern und einem Sohne ein glückliches Familienleben, das nur dadurch
getrübt wurde, da6 die jüngere Tochter bei einem Eisenbahnunglück im Haag
1899 auf tragische Weise ums Leben kam. R. hatte das Glück, bis zu seinem
Tode rüstig zn bleiben and in seinem Amte wirken zu können. In den letzten
Jahren litt er an einer Arterienverkalkung. Im März 1904 packte ihn eine
Lungenentzündung, der er am 7. April erlag. Nach seinem Wunsch liegt er
in seinem Heimatdorfe Teufen begraben.
\'};]. Minister Arnold Kolh, ein LLl)Ltj>l)ild von Dr. \V. Nef, Tri>f,'en. Druck und
Verlag von L'. KUblcr 1905. S^. 116 Seiten. Auch abgcdruekt in: Appenicllisi-he }.\Ut-
bQchcr, 4. Folge, 2. Heft. Irogcn. Druck von U. Kobler. 1905. W. Nef.
Mollinary Freiherr von Monte Pastcüo, Anton, k. k. Wirkl. (Jeh. Rat,
Feldzeugmeister, Inhaber des 38. Inf. Rgts., * 9. Oktober 1820 zu Titel (Militär-
grenze), t 36. Oktober 1904 zu Villa Soave bei Como (Italien). — Einer der
verdie^tc^teIl Generale der österr. Armee wurde mit M. zu (Irabe getragen;
ein Mann, dessen Name, in ( )sterreicli von jeher populär, in Deutschland
hau]>tsächlich erst durch sein X'erhalten als Konnnandant des 4. Armeekorps
bei Königgrätz, wo er durcii viele Stunden den Swiepwald gegen Fransccky
siegreich verteidigte und erst über Benedeks dreimalige Aufforderung zurück-
ging, allseitig bekannt geworden ist Dieses springenden Punktes seiner
kriegerischen Tätigkeit sei denn hier auch mit besonderer Ausführlichkeit
gedacht, obgleich sein friedliches Wirken als mibtärischer Organisator und
Landesgouverneur kaum geringere Aufmerksamkeit verdient.
Durch Kainilicntradition wie Neigung von Kind auf zur SnMatenlauf-
bahn bestimmt, trat M. noch als Knabe in die berühmte 1 ullner Korps-
schule der Pioniere ein, wurde 1837 Kaiserkadett beim 16. Infanterieregiment
in Treviso, 1838 Fähnrich bei Nr. 45 in Zara, bald darauf Unterleutnant und
Brigade-Adjutant ebenda; 1839 erfolgte seine Einteilung zum Pionierkorps
in Wien.
Damit eröfftieten sich dem an die Kintoiiigkeit kleiner (larnisoneu tle-
wöhnten die Herrlichkeiten der Kaiserstadl, ganz be.sonUers aber die Kunst-
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136
von Molliowr)'»
fieiuis^'f (k"s Burgtlieaters, in di-tn or keinen Abend fehlte und des>en {lamalii^c
Sterne seine seliwärnierische Bewunderung erregten. Aber darüber vergaß der
Aufstrebende, hochgradig Khrgeizige den Ernst des Lebens nicht. Sein heißer
Wunsch war, in den Gcneralstab zu kommen. Zu diesem Zwecke, das fühlte
er wohl, galt es noch manche Lücke seines Wissens auszufüllen. Jeder
erübrigte dulden wanderte in Braumüllers Buchhandlung. Geschichte, ftlathe-
matik, (;i'ogra|>hie, Sprarlien wurden eifrij^st betrieben. Rülireiui ist es, in
seinen Aufzeichnungen /ii lesen, wie er, um billig zu französischen Stunden
zu konunen, im strengsten Winter allmorgenillich mit einem Freunde (tleni
nachmaligen Feldzeugmeister Philippovich) nach der fernen Vorstadtwohnung
eines Professors, der nur die frühesten Morgenstunden zur Verfügung hatte,
hinauswandertc, um <l<)rt im eiskalten Zimmer beim Scheine einer Unschlitt-
kerzc zähneklappernd die I-ektion entgegenzunehmen.
Zu jener Zeit hatte Hirago seine berühmte Reform der Kriegsbrücken
angeregt, und damit neben anderen ( Iegners<iiaften auch jene des Kunimaii-
chinten der i'ioniertruppc, Oberst Müiilwerth, hervorgerufen. Strengstens
verbot dieser seinen Offizieren die Teilnahme an den bei TuUn stattfinden-
den ersten Versuchen mit dem projektierten Material. Alle fügten sich, bis
auf M. und einen Oberleutnant Loibl. IhUer dem Vorwande einer Land-
partie nalunen die beiden I rlaub und wanderten zu Fufi (einen Wagen hätte
es nicht getragen) na« h Tidln hinaus.
Die Brückenschläge gelangen aufs beste, das neue System wurde in der
Armee eingeführt. Hirago, der an dem jungen, begeisterten Anhänger Wohl-
gefallen gefunden, veranlafite M.s Zuteilung in sein Bureau. M. wurde Bira-
gos rechte Hand und blieb drei Jahre an seiner Seite. Das väterliche Wohl-
wollen des neuen Chefs äußerte sich uu h durch I'^insetzen seiner mächtigen
I'roti'ktion. Im Herbst iS.j2 wurde M. vom 8. Interleutnant 2. Klasse,
initer ( berspringung der i. Klasse, ( )berleutnant, und kurz darauf erfolgte
auch seine ersehnte V'er.setzung in den Generalstab. Chef letzteren Korps
war Feldzeugmetster Hefl, der bald auch M.s eifriger Gdnner wurde.
Eine dienstliche Kommandierung in Pest brachte M. in Beziehungen
zum damaligen Leiter der Donau-I)an)|)fschiffahrtsgesellschaft, Baron Ku-
driaffsky. Als dieser letztere 1847 nach London mußte, um ein dort
neuorbautes Schiff der (lesellschaft zu übernehmen, bot er dem jungen Offizier
für den Kall, als er die Hinrei.se auf eigene Kosten unternähme, freie Rückfahrt
auf eben jenem Schiffe, »Metternich«, durch das Mittelländische und
Schwarze Meer bis an die Donau. So kam M. unverhofft zu dem für dama-
lige Verhältnisse fabelhaften Glück einer kostenlosen Rundfahrt von ca.
10 000 Kilometern, auf welcher er England, Frankreich, Griechenland und
die 'I'ürkei kennen lernte.
Das Jahr 184S war gekomnien. Radetzky hatte sic h Heß als Oener.»!-
Stab.sclief erbeten. Um die Mittagsstunde des ü. Mai tritt beim nichts ahnen-
den M. He6' Personaladjutant ein und teilt dem freudigst Überraschten* den
Befehl des Korpschefs mit, am selben Abend mit ihm nach Verona ab-
zugehen.
Interessant ist sein erstes Zusammentreffen mit Radetzkys Hauptquartier.
Cnter dem bisherigen ( ieneralstabschef war es ziemlich sorglos hergegangen.
M. trifft die ganze (Jesellschaft, hoch und nieder, im raucherfüllten Zimmer
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Ton Mol]in«ry.
beim KarteiTipicl fifisammcTisit^end. Sein Krscheinen wirkt verblüffend.
Auf>|iringL-n(i tritt ihm ( )l)erlfUtnant John mit der i'r.ige ciU«i;egen, wohi-r er
kuminer »Von Wien mit Hcli!« Aut diese unter hiullo.ser Stille gegebene
Antwort schnellt alles von den Sitxen auf, reifit Sfibel und Mütte von den
Ständern, und eine Sekunde später ist das Zimmer leer. — Von dem Tage
an war es mit der «demütlichkeit« vorbei
Die Feldzugserlebnisse M.s hier zu schildern, würde zu weit führen,
(lenug, daß er bald ainh ein Liebling Radetzkys wurde und wiederholt
Ciek-genheit fand, sieh aus/u/t i< hnen. Kr armierte 'l'orhole mit auf Sej^el-
booten verladenen (jescliüt/en uml sicherte dadurch das Sarcaial, sprengte
am 7. Juni mit einem Streifkommando bei Pojana eine ^senbahnbrttcke, so
die Verbindung zwischen Vicenza und Venedig unterbrechend, kam bei
Vicenza (Monte Berico) zum erstenmal ins eigentliclie Feuer, schleppte im
Juli unter unendliclien Schwicri|^keiten einen Acht/.ehnpfünder und mehrere
leichtere (ieschüt/.e mittels ( )chsen den Monte Pastello hinauf untl bewirkte
durch das unerwartete Feuer dieser improvisierten, dominierenden IJatterie,
dafi sich das Thunsche Korps im Etiichtal gegen die picmontesisehc Über-
macht halten konnte, bis die Siege von Sona und Sommacampagna letz-
tere zum Rückzüge zwangen. Der junge Hauptmann erhielt den Leopolds-
orden, und Heß schenkte ihm das Kreuz, das er selbst 1809 erhalten. Kine
ganz besondere Auszeichnung wurde ihm sjiäter dadurch zuteil, dali das auf
dein Monte Pastello neuerbaute Fort seinen Namen »Mollinary erhielt.
in den Pausen zwischen den beiden Feldzügen wurde er zu vielen
selbständigen Arbeiten verwendet, von denen die Errichtung von Militär-
flottillen au! den drei grofien Seen die wichtigste ist. Februar 1849 Wurde
er, cler 1847 noch Oberleutnant gewesen, Major. Die Nachricht von der
Kündigung des Waffenstillstandes traf ihn in Zürich, wo er sich behufs Ab-
schluß eines Schiffsbauvertra^es mit der Firma Fscher WyÜ «S: Co. befand.
Solort mit Kurierwagen abreisend, traf er 48 Stuiulen vor Ablauf iler l-"ri.st
in Mailand ein, und wurde noch am selben l äge von HeÜ in Spezialmission
nach 'Pavia übersendet, um dort Vorbereitungen für den Flufiübergang der
Armee zu treffen. Kam der Tag von Novara. M. hatte Gelegenheit, eine
Kolonne des 20. Infonterieregiments im Rückzüge aufzuhalten, neu zu sammeln
und persönlich zum Sturm ijei^en die Hicocca zu fiihreti. Kurz vor dem
Ziele durch eine ( lewchrku^e! in der linken liüfte schwer verwundet, hatte
er noch die Freuile, vom vollen Gelingen des Angriffs Kunde zu bekommen,
ehe er sich den Händen des Arztes Übergab.
Die Genesung erfolgte binnen wenigen Wochen. Bis zur Einnahme von
Venedig war M. fast ununterbrochen mit selbständigen Missionen betraut.
Kr gehörte der Deputation an, welche Radetzky nac h dem Fall der
Lagunenstadt mit den Arsenalschlüsseln nach Wien s.indte. Während eines
Autenthaltes in Riva lernte er die verwitwete Baronin Torresani kennen und
vermählte sich mit ihr am 4. November, kurz nachdem er zum Komman-
danten des von ihm errichteten »Flottillenkorps« ernannt worden. Kaum
zwei Monate nach seiner Beförderung zum Oberstleutnant, und eben erst
\o Jahr alt geworden, wurde ihm die <^röfite Überrasi lumg seines Lebens
durch die Fmennunir zinn ()l)erst und Kommandanten des l'ionierkorps mit
dem Sitz in Klusterneuburg bei Wien, unter gleit hzeitiger Uelussung des
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138
TOD Mollinary.
KdmmiHiulos ül>or das Flottillcnkorps zuteil. Er war der jüngste und zugleich
der mätlitigblc (Jbcrst der Armee und stand auf dem Gipfel seines Sül-
datenglUcks.
Nun beginnt eine achtjährige Periode organisatorischer Tätigkeit, deren
Details, so sehr sie für das. Pionierkorps epochemachend geworden sind, aus
Rücksicht auf die Raumverhältnisse hier nicht aufge/älilt werden können;
wir verweisen diesbezüglich auf Brünners ( li sc hichte des l*ionierkor|is«.
1S5.S wurde M. (leneralinajor und Hri^adier in Mailand, und schon
wenige Monate später Festungskominandani in Ancona, in welcher päpst-
lichen Festung Osterreich das Besatzungsrecht besafl. Der Krieg stand vor
der TOr und M.s erste Sorge war es, die vernachlässigte Festung durch Aus-
besserungen und Zaibnuten verteidigungsfähig zu nKuhen. Die Arbeiten
wurden mit solcher Intensität betrieben, daü die Zahl der Werkleute zeit-
weise bis auf 3000 stieg. (Iroli war daher M.s Bestürzung, als er nach der
unglücklichen Schlacht von Magenta deii telegrai)his( hen Auftrag erhielt, all
das mit solchen Anstrengungen und Kosten Errungene im Stich zu la.sscn und
mit seiner Brigade in Eilmärschen nach Rovigo einzurücken. Es ist inter-
essant, in seinen Memoiren (»Viersig Jahre«, Zürich, Orell Füfili, 1904) nach-
zulesen, mit welcher Energie und diplomatischen Klugheit zugleich M. den
fatalen Auftrag au-^/nführen und d(i( h die voraussichtlichen Folgen der plötz-
lic heii I'reiNgchuiiL' (lltiinf.ill der Festung an die aufständische Bevölkerung,
Verlust 'des Artillerieguies und der groUen Lebensmittclvorräte) zu hinter-
treiben wufite. In Eilmärschen und geschickt den Feind vermeidend,
erreichte er mit der Brigade in 9 Tagen glücklich Rovigo, wo ihn der Befehl
erwartete, für seine Person sofort in das Hauptquartier nach Villafranca zn
kommen.
F!s war wenige Tage vor der Sddai ht von Solferiiio. M. wurde mit
der Mitteilung empfangen, er sei zum (leneralstabschct eines Armeekorps
ausersehen, welches den aus Toskana vorrückenden Franzosen auf dem
rechten Poufer entgegentreten sollte. Zu dieser Verwendung kam es jedoch
nicht, da die Schlacht von Solferino alle Pläne über den Haufen warf und
den Waffenstillstand herbeiführte.
Nach dem Abschluß des letzteren wurde M. Generalstabschef der
II. Armee in Verona. F.r hatte bald (leleuenheit, seine charakteristische
Energie zu bewähren, indem er einem vertragswidrigen Vorgehen tler Fran-
zosen (eigenmächtige Demolierung des Brückenkopfes von Borgoforte) kurz
entschlossen durch gewagte Repressalien ein Ende machte. Zu Wien, wohin
erst die vollzogene Tatsache berichtet wurde, geriet man über die dadurch
luTvorgerufene Gefahr eines Konfliktes noch nachträglich in Aufregung; die
Sache trug M.s t'hef, dem .Xrmeekomniandanten Grafen Degenfeld, einen
scharfen \'erweis ein. l'nd doch war es das einzige Mittel gewesen; denn
diplomatische \ eriiandlungcn hätten den übermütigen Sieger nie zur Nach-
giebigkeit vermocht
M.s Verwendung als Generalstabschef dauerte nur 3 Monate. Sein
Tätigkeitsdrang, die Energie, mit der er ihm nötig scheinende Refornun
durchsetzte, hatten ihm Feinde gemacht, welche nicht ruhten, bis ihm der,
seiner liulividualität so durchaus zusagende Wirkungskreis entzogen wurde.
Er bekam eine Brigade zu Görz, dann zu Triest, und kam schlieülich wieder
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Ton MoUinarjr.
nach Verona, diesmal zum 5. Korpskommando als »zugeteilter General«,
<1. h. (loliilff uiul eventueller Stellvertreter des Kommandanten; eine Stellung,
die ihn so/usagen zum fünften Rad am Wagen machte und darauf berech-
net war, ihn »kaltzu.stellen«. Allein das Glück menite es mit ihm besser, als die
Vorgesetzten. Der Korpskommandant, Feldmarschalleutnant Baron Gablenz,
wurde durch seine Verwendung als Statthalter von Holstein fast die ganze Zeit
über fem gehalten, und M. durfte durch mehr als 17 Monate selbständig das Korps-
kommando führen. Er entledigte sich seiner Obliegenheiten mit dem gewöhn-
lichen Feuereifer, ging mit ganzer Kraft dem traditionellen »Schimmel«, dem
er zum Teil die 1859er Niederlagen zuschrieb, zu Leibe, und machte sich
dadurch, sowie durch eine gewisse Schroffheit seiner nie verheimlichten An-
sichten dem Armeekommandanten lästig, welcher Schritte tat, um sich M.s zu
entledigen. Aber infolge einer Ironie des Schicksals wurde Benedek, gerade
als sein Wunsch erfüllt und M. zum 4. Armeekorps nach Mähren m rsetzt
worden, das Kommando über die Nordarmee zuteil, und seine Maiinahmen
hatten nur bewirkt, daß er den unbequemen General, statt ihn loszuwerden,
wieder unter seine Befehle bekam.
Das 4. Korps formierte sidi zu Littau. Korpskommandant war Feld«
marschalleutnant Graf Festetits, Generalstabschef Oberst v. Goertz. M.s
Stellung war wieder die ebenso überflüssige wie unbestimmte eines »Zu-
geteilten«; und obwohl er mit Festetits wie mit Goertz auf dem besten Fuße
stand, hatte er es doch nur der gewaltsamen l^nterdrückung des ihm eigenen
Tätigkeitsdranges zu danken, <laß es zwischen ihm und Jenen bis zu dem
Augenblick, wo ihm am 4. Juli das selbständige Kommando zuhel, inbetreS
der Genzen der gegenseitigen Wiikungskreise zu keinem Konflikt kam.
Am 18. Juni begann das Korps den Vormarsch nach Böhmen, und traf
am 26. in der ihm zugewiesenen Stellung am rechten Elbeufer bei den Orten
Liebthal und Lanzau ein.
("deich am nächsten Tage erhielt es Befehl, vorzurücken und hinter dem
8. Korps, welches bei Dolan als Unterstützung des 6. stanti, ein Lager zu
beziehen. Als man aber am 28. gegen 9 Uhr vormittags dortselbst eintraf,
war das 8. Korps schon wieder weiter nach vom, auf Skalitz zu, ab-
marschiert. Um i2*/z Uhr, als gerade mit dem Abkochen begonnen werden
sollte, machte sich von der Front her Kanonendonner bemerkbar, welcher
den Beginn des (lefet hts von Sknlitz bezeichnete. In einer vor dem Lager
beim Dorfe Schu einsc hadl bezogenen Stellung war man Zeuge des Rück-
zugs des 6. und kurz darauf tles 8. Korps über die Klbe, ohne an jenem
Tage selbst anders als durch VorpostenscharmQtzel in das Gefecht einzu-
greifen.
Nun wurde das 4. Korps angewie.sen, '>sich nicht in nutzlose Kämpfe
einzulassen, sondern, wenn mit Überlegenheit angegriffen, am rechten Elbe-
ufer bei Palei Stellung zu nehmen' .
Dieser Disposition entgegen beschloli jedoch l'estetits, als am folgenden
Tage (29.) die preußische Vorrückung gegen den rechten Flügel seines Korps
begann, wenigstens den ersten Anprall zurückzuweisen, und zwar in der Be-
fürchtung, durch sofortiges Weichen seine Truppen zu demoralisieren. So
entwickelte sich das blutige Gefecht bei Schweinschädl, welches, nach tapfer-
ster Gegenwehr, mit dem (unverfolgten) Rückzug des 4. Korps über die Klbe
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von Mollinaiy.
endete. M., ohne spezielles Kommando wie er war, wohnte demselben nur
in der Rollo eines Zusehcrs hei.
'I'ags ilaiauf, am 30., erfolgte der Rückzug tler Armee vor Königgräu. 1
Das 4. Korps kam nach Nedieli.scht.
Durch die am 3. Juli ergangenen Verfügungen für die erwartete Ent-
scheidungsschlacht wurde für den Fall, da& der feindliche Angriff sich auch
gegen unseren rechten FHigel richten sollte, dem 4. Korps der Plat/ in erster
Linie rechts vom 3. und links von dem am äußersten rechten Flügel stehoi- i
den 2. auf den Höhen zwischen Chluin und Neihelischt zugewiesen . . .
Letzterer i'assu.s erwies sich als folgenschwer; denn da zwischen genannten
Orten durchaus keine »Htthen« entdeckt werden konnten, so legte ihn Festetits
und gleicherweise M. dahin aus, dafi damit nur die dominierende und gut
verteidigungsfähige Höhe von Maslowed gemeint sein könne. Nach lüi -l t wurde
denn auch heim ersten (leschützdonner am Morgen des 3. Juli (las(Jro> des
Korps dis]){)niert ; und dort entwickelte sich der erste, hartnäckige und für
die österreii hischen W affen erfolgreiche Kampf mit der Division l- ransecky.
Nt)ch war derselbe nicht zu vt)ller Stärke entbrannt, als ein explodieren-
des Hohlgeschofi dem Grafen Festetits den linken Fufl wegriß. M., eben auf
einer Rekognoszierung auswärts, eilte auf die Unglückskunde herbei und
konnte dem Schwerverwundeten noch die Hand drücken, bevor er aus dem
Gefechte getragen wurde.
Nun hatte M. das so heiß ersehnte Kt^mmando; allein tiefersi hüttcrt
durch den Vorfall, trat er es ohne jedes (iefühl der Kreutle an. Die ersten
Ereignisse nach der Kommandoübernahme waren auch nicht darnach an* '
getan, um ihn fröhlicher zu stimmen; bei einem Inspizierungsritt wurde der
Generalstabschef, Oberst Goertz, an seiner Seite durch einen Schuft getötet, er
selbst verlor das Pferd unter dem Leibe
Das (lefecht ging seinen (^ang. Das 4. Korps stand im Swiepwalde dem
äuUerslen linken l'lügel der Preußen, der Division Fransecky, gegenüber,
während unser eigener äulierster rechter Flügel, das 2. Korps, nur mit klei-
neren feindlichen Abteilungen zu tun hatte. sagte sich, dafi eine Um-
fassung fler Preufien durch jenes so gut wie unbeschäftigte Korps und die
hinter ihm aufgestellte a. leichte Kavalleriedivision die größten Chancen
hätte. Demgemäß riciitete er an das 2. Koq^s das Krsuchcn, es möge gegen
die linke Flanke der vor Maslowed käin|»fen<len FreuUen vorgehen. (Jleicli-
zeitig ließ er eine dritte Brigade des eigenen Korps aus der Reserve zwischen
die beiden im Swiepwald kämpfenden Brigaden einrücken.
Eben während dieser Befehl ausgeführt wurde (nach 11 Uhr vormittags)
überbrachte ein Ordonnanzoffizier des Hauptquartiers Benedeks Befehl, das
4. K ni]<s habe in die ihm durch die Disposition angewiesene Stellung Chlum—
Ne*lielischt zurückzugehen. '
So wie er war, ohne jede hinzugefügte Itegrüiulung, erschien dieser
Befehl unverständlich. Er forderte das Aufgeben einer guten, hochgelegenen, |
mit Erfolg behaupteten Stellung zugunsten einer weit schwächeren, schwerer
verteidigbaren. .Überdies war M. fest Überzeugt, seine Stellung im Sinne
der Disposition bezogen zu haben. Kr ließ den .Armeekommandanten auf
diese l'mstände aufmerksam mat hen und ihm melden, er erwarte, bevor er
zurückgehe, erst einen zweiten ausdrücklichen Befehl hierzu.
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von Mollinaiy.
Dieser Befehl ließ lange auf sich warten. Kn(lli< Ii (.Tfolj^ti- er in kate-
f;oris(her bassung, dii-sinal mit der Hegründung, in der jolzigen Stellung
erscheine unser äul3ir>ler rechter Mügel stark bedroht durch ein preuliisches
Armeekorps (das 5.), dessen Vormarsch soeben telcgraphisch von Josefstadt
gemeldet worden sei.
Allein M. war zu fest überzeugt von der Richtigkeit der eigenen Auf-
fassung der Lage, als dafi er sich zur Folgcleistung hätte entschließen können.
Er benutzte eine eingetretene Pause im (leferht, um sich ]HMsönlicli zum
Arnieekommandanten zu verfügen und ihm seine (jcsichtspunkte auseinander-
zusetzen.
Er traf Benedek mit seinem Stabe abgesessen am Nordepde von Chlam
stehen. In kurzer, erregter Rede setzte er ihm die Gefahren eines Rück-
2uges in die hintere IJnie, die Vorteile auseinander, welche die von ihm
geplante Umfassung des Cregners böte; was das gemeldete j)reulJis(he Korps
anbeträfe, so sei es noch bei 7 Kilometer entfernt, und nichts hindere ihn,
den Armeekommandanten, demsell)en an der 1 rotina eines seiner beiden
verfügbaren Keservekorps entgegenzustellen ....
Benedek hörte ihn ruhig bis zu Ende an; allein seine Entscheidung
lautete: »Ich kann nicht helfen — Sie müssen zurückgehen.« Er winkte
dem Salutierenden beim Abreiten noch freundlich mit der Hand zu. Dies
war die vielbcsj>rorliene Unterredung bei Uhlum. Die '•scharfe Al)wcisung ,
von der Syl)el berichtet, ist nicht erfolgt; vielmehr bewies lienedek bei dieser
Gelegenheit M. ein freundliches Wohlwollen, wie schon lange nicht.
Zum Korps zurückgekehrt, gab M. den ihm bitter schwer feiUenden
Befehl zum Rückzug in die Linie Chlum — Nedielischt (i 1/4 Uhr nachmittags).
Derselbe erfolgte in der Form einer Frontveränderung vom rechten Flügel
rückwärts mit gleichzeitigem Wechsel der Treffen. Glücklicherweise folgte
der Gegner aus dem Swiopwalde nicht nach; und da auch der aus nönl-
lirlicr Richtung angesagte noch nicht zu sehen war, so kostete das fatale
Manöver verhiiltnismäliig geringe Opfer.
Daß aber M. die Nachteile der Stellunj; Chlum— Nedielischt richtig be-
urteilt, sollte sich nur zu bald herausstellen. Auf der nun ihnen Oberlassenen
Höhe von Maslowed setzten die Preußen allmählich 48 Geschütze ins Feuer.
Unter dem Schutze desselben und durch Terrainwellcn gedeckt, rin ktcn
13 Gardebataillone vor, und er(")ffneten gegen den linken Fliigcl der nun-
mehrigen Aufstellung des 4. Korps ein verheerendes Schnellfeuer, gegen
welches ein Widerstand unmöglich war. In den Ort Chlum eingedrungen,
befand sich der Feind nun im Rücken des rechten Flügels des österreichi-
schen Zentrums, womit die Katastrophe eingeleitet war. Das Zurückgehen
des rechts von ihm befindlichen a. Korps zwang M. nunmehr, auch mit
seinem rechten Flügel, vorläufig in eine Zwischenstellung bei Swety, zurück-
zugehen.
Die Schlacht war verloren. Obschon das Korps in dieser neuen Stellung
keinen Angriff auszuhalten hatte, mufite es sich doch in den allgemeinen
Rückzug einfügen.
Während letzterer Bewegung wurde .\!. durch einen Schuß in die
Schulter schwer verwundet. Kr gab das Kommando an l'rzhcrzog jn-i f ab
und hatte noch die Kraft, die Nacht durch bis Hohe zu reiten, wo er seine
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yon MoUinaiy.
Feldkalesrhe fand. Diese lirachte ihn nach Kostinctz, von wo er mittels
Bahn nach Wien fuhr. Seine Heilung nahm 3 Monate in Anspruch.
Wir sind absichtlich langer bei Königgräts verweilt; einmal weil M. da
Gelegenheit hatte, unmittelbar in die Weltgeschichte einzugreifen; und dann,
weil sein Verhalten im Swiepwalde Anlaß zu langwierigen Polemiken gab,
untl die Streitfrage, ob sein Widerstand gegen Benedek gerechtfertigt war
oder nicht, eigentlich auch heute noch nic ht entschieden ist-
Um so kürzer werden wir im folgenden sein.
Nach seiner Genesung wurde M. DivisicMiIr in Wien und hatte in dieser
Stellung viel unter den Vorurteilen zu leiden, welche damals gegen alle
jene herrschten, die ihr Schicksal zu Kämpfern im Norden der Monarchie
gemacht hatte.
Diescni unerquicklichen Verhältnis setzte die Ernennung des P'eld-
marschalleutnants Kuhn, bisher Militär- und l.andesverteidigungskomman-
danten in Tirol und Vorarlberg, ein Ende. Ein wanner Freund und Ver-
ehrer M.S, meinte er in ihm die richtige Persönlichkeit zur Besetzung des
eben von ihm selbst verlassenen Postens gefunden zu haben. Die Stelle
wurde M. angetragen, der mit Freuden einwilligte.
Auf dem ihm in jeder Ikziehnng zusagenden Innsbrucker Posten ver-
brachte M. zwei scliöne, ungetrübte Jahre, eifrig bemüht um die Wehrfähigkeit
nicht nur seiner Truppen, sondern auch des Landes mit seinem eigentüm-
lichen Schfltzenwesen. Die Provinz in allen ihren Teilen bereisend, im
steten Verkehr mit der Bevölkerung, sah er was not tat, und setzte sich kraft-
voll für die Einführung von Verbesserungen ein. Ihm verdankten die Tiroler
l.andesschützen u. a. die erste Beteilung mit Hinterladern, eine Neuerung, die
ihm ihre begeisterte Anhänglichkeit eintrug.
Mittlerweile war die Aufhebung der kroatisch-slavonischen Militärgrenze
und deren Angüederung an Kroatien bezw. Ungarn eine be.schlossenc Sache
geworden, und es handelte sich darum, einen Mann zu finden, der nidit
nur die organisatorischen FShigkeiten zur Durchführung des äufierst ve^
wickelten Überganges aus der Militär- in die Zivilverwaltung, sondern auch
das Vertrauen der (Irenzbevölkerung und damit tlie Eignung besaß, deren
tiefsitzeniles Mißtrauen gegen Ungarn zu beschwichtigen. M. war ein
Landeskind, die Grenzer konnten an seinem Wohlwullen nicht zweifeln;
seine Verwaltungstalente hatte er, wie in den fünfziger Jahren als Chef der
Pioniere und Flottillen, so auch jüngst in Tirol zur Genüge bewiesen. Auf
ihn fiel die Wahl, und sie beglückte ihn um so mehr, als ihm mit dem neuen
Posten zugleich die -Anwartschaft auf das Oberkommando bei der bevor-
stehenden, unvermeidlichen Okkupation Hosniens, und damit auf die Ver-
wirklichung eines Lieblingtraums seiner Jugend: die Befreiung der Christen
vom türkischen Joch, geboten war.
Die »Entmilitarisierung« sollte nicht plötzlich vor sich gehen; es war
eine mehrjfthrige Vorbereitungsfrist zur allmfthlichen Einführung der betreffen«
Neuerungen, als: .Aufstellung autonomer Gemeinden, bürgerlicher Komitats-
behörden, ziviler Rechtspflege, Xeueinric htung und Vermehrung der Schulen,
dann Vornahme durchgreifender Meliorationen, wie Eisenbahnbauten, Gewässer-
Regulierungen, Karstaufforstungen u. dgl., bewilligt. All dies zu organisieren,
klug und umsichtig zwischen den Ungarn und der Grenzbevölkerung zu
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von Molluuiry.
H3
vermitteln, dt n Cbergang in einer Weise zu bewerkstelligen, daß beiden Teilen
gedient, war M.s Aufgabe, an die er mit Energie, Lust und Liebe, mit wirk-
licher Begeisterung ging.
In den ersten Jahren gelang ihm alles über Erwartung gut Nicht nur,
daB die Bevölkerung ihn liebte und seinen Absichten das größte Verständnis
entgegenbrachte, fand er auch beim damaligen ungarischen Ministerium bereit«
willigste Unterstützung, ja in einzelnen von dessen Mitgliedern: Andrässy und
dem damaligen Unterrirhtsminister Kerkapoly, wirkliche Gönner. Jeder
seiner Vorschläge wurde ohne weiteres genehmigt. Auch hatte ihm das
Kricgbuiinisterium einen Teil seiner Vorbehaltsrechte abgetreten und so seine
Selbständigkeit bedeutend erhöht Die last unblutige Unterdrückung eines
panslavistiscben Aufetandes in der Likka hob ihn auf den Gipfel der Po-
]nd:irität. In jene Zeit fällt seine Ernennung zum Feldzeugmeister und seine
Dekorierung mit dem Großkreuz der Eisernen Krone.
Aber sclion begann in der l-"rago der X'erwcndung der gewaltigen Reich-
tümer, welche die Grenze in ihren Waklungen besali, eine Streitfrage zu
reifen, welche M.s Verhältnis zur ungarischen Regierung allmählich trüben
und schlieftlich zerstören sollte. M. wollte die Einkünfte jener Wälder aus-
schliefilich im Interesse des Grenzlandes, vor allem zum Bau von Eisen*
bahnen im Lande verwendet wissen; die Ungarn wieder hatten in erster
I^inie das magyarische Interesse vor Augen. Die Energie, mit welcher M.
ein ungarisches, zur Aushrntung genannter Wälder gebildetes Konsortium,
als es seine Vertragsptiichten nicht erfüllte, gerichtlich verfolgte und,
nach zugunsten der Grenze gefälltem Urteil, das verfallene Vadium von
3 Millionen Gulden mit Beschlag nahm, vollendete die Entfremdung zwischen
ihm und dem Ministerium, dessen ihm wohlgesinnte Mitglieder längst anderen
Platz gemacht hatten. Immer mehr wurde ihm seine Amtswirksamkeit er-
schwert, immer mehr Prügel ihm vor die FüÜe geworfen. Ohne weitere
Aussichten auf ersprießliches Wirken, entmutigt, verbittert, reichte er im Juli
1877 seine Entlassung vom Posten ein, damit auch seinen Lieblingswunsch,
die Hoffnung auf das Okkupationskommando, endgültig zum Opfer bringend.
Er schied von Agram, ein gebrochener Mann. Er trug sich mit Pensions-
gedanken, die ihm aber von berufener Seite ausgeredet wurden. Noch ein-
mal erwachte die alte Leljons- und Tatkraft in ihm, als er, nach kurzer
Übergangsstellung als komniandii rt-iit k-r (lencrai in Brünn, das weit grr)liere,
wichtigere Leniberger Generalkommando mit dem Oberbefehl über sämtliche
Truppen in Cralizien und der Bukowina bekam. Ein Krieg mit Ruf^land
schien damals unvermeidlich; ihm, M., wäre im Fall eines solchen die erste
Aktion gegen das mächtige Nachbarland zugefallen. Mit neuerwachtem
Eifer warf er sich auf das Studium der ins Spiel kommenden politischen wie
strategisch-taktischen N'erhältnisse. Die grosse Rolle, die gleich zu Beginn
des Krieges der Kavallerie zufallen mulite, bewog ihn, für die 6 ihm unter-
stehenden Kavallerieregimenter eine Instruktion ad hoc auszuarbeiten. Sie
wurde den Regimentern zugestellt und der ZeitpunCt für eine Konzentrierung
bestimmt, in welcher deren Bestimmungen praktisch eingeübt werden sollten.
Dies selbständige Vorgehen M.s in Angelegenheiten, welche in den
Wirkungskreis des Gcncral-Kavallerie-Inspektors fielen, erregte ilas Miü-
vergnügen des damaligen Inhabers dieses Postens. Er steckte sich hinter
144
von Mollinary. Rätsel.
mächtige Persönlichkeiten, uikI kurz vor Bepnn der betreffenden Manöver
erhielt M. von Wien aus den liefehl, liie betreffende Instruktion /.u wider-
rufen, die ausgegebene Anleitung von den Regimentern zurückzuverlangen
and dem Kriegsministerium einzuschicken.
Er tat es, legte die eingelangten Hefte in einen Stofl zusammen und
obenauf sein Pensionierungs^asuc !i /.weimal nach Wien berufen und zur
/urü( knalnne oder wenigstens Aufst hieltung seines (lesuchs ermahnt — binnen
wenigen ^b)^aten sollte er sein .jojäluiges Dienstjubiläuni beuchen — blieb
er hartnäckig bei seinem Begehren. Nach einem solchen Stoti, seiner Autorität
versetzt, wollte und konnte er nicht länger sein Amt bekleiden ....
Im Herbst 1879 trat er in den Ruhestand.
Die Verbitterung, mit der er aus dem aktiven Dienst geschieden, mil-
derte die Zeit. M. war ein zu aufrichtiger Patriot, um dauernd zu grollen;
auch war ihm von der eigentlich mali^'ebenden Stelle im Staat nie eine l'n-
annehmlichkeit, vielmehr in gutt-n wie schlimmen Tagen immer nur Huld
und Güte zuteil geworden. Nach einigen Jahren war seine Stimmung soweit
überwunden, daS er die Vorgänge im Vaterlande wieder mit teilnehmendem
Interesse zu verfolgen begann. Viel Erfreuliches war es freilich nicht, was
ihm Zeitung und Freundesbriefe nach seinem italienischen Landsitze ver-
mittelten; und die immer weiterschreitenile Zerstückelung Österreichs war so
ziemlich der einzige Kummer eines sonst durchaus sonnigen, im Srhoüe
einer geliebten Familie verlebten Greisenalters. Volle 25 Jahre waren dim noch
vergönnt, bevor er, 84 Jahre alt, auf seinem Landsitze bei Como f&r immer
die Augen schlofi. Mit ihm starb einer der letzten Radetzkjraner der Armee
und der fähigsten, strebsamsten Generale, die Osterreich je gehabt hat.
Er hinterließ außer mehreren Werken militärwissenschaftlichen Inhalts
2 Hände I .ebenserinnerungen, welche soeben in die Welt treten und innerhalb
wie auUer Österreich hohes Interesse erwecken dürften.
Ratzel, Friedrich, einer der bedeutendsten Geographen Deutschlands,
* den 30. August 1844 zu Karlsruhe, f am 9. August 1904 auf seinem Sommer-
sitze Ammerland am Starnberger See. — Aus wenig bemittelter Familie
stammend (sein X'ater war Kammerdiener des Großherzogs von Baden), wuchs
R. in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Da die Eltern schon früh seine
Liebe für die Naturwissenschaften erkannten, wollten sie ihn nach dem Be-
suche der Reakchule seiner Vaterstadt dem Apothekerberuf zuführen. In
der altertümlichen Dorfapotheke zu Eichtershcim im Heidelberger Kreise
verbrachte er seine Lehrjahre. Nachdem er die pharmazeutische Staats-
jirüfung bestanden hatte, war er noc-h ein Jahr lang in dem badischen
Pfarnlorfc Mc>rsc h am Rhein und in dem schweizerischen Städtchen Kapjiers-
wyl am Züricher See als Gehilfe taug. Aber bald erkannte er, daß sein
Beruf jedes freie und selbständige wissenschaftliche Forschen und Schaffen
ausschloß und ihm deshalb niemals volle Befriedigung gewtiiren würde.
Deshalb bereitete er sich mit zielbewußtem Eifer, oft unter Zuhilfenahme der
Nacht, auf das Gymnasialabgangsexainen vor, das ihm den Weg zur Hoch-
schule ciffnen scjllte. Nach i'!)ei u indung mannigfacher Schwierigkeiten be-
gann er 1866 am Polytechnikum seiner Vaterstadt mit dem Studium der
Carl v. Torresani.
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RMtsd.
Naturwissenschaften, das er in den folgenden Semestern an den Universitäten
zu Heidelberg, Jena untl Herlin fortsetzte. Schon i,S6.S erwarb er in Heidel-
berg durch einen Beitrag zur anatomischen und systematischen Kenntnis der
Oligochäten, einer Gruppe der Ringelwünner, den philosophischen Doktor-
titeL Um diese Zeit empfand er einen unwiderstehlichen Drang, fremde
Länder und Völker zu sehen. Anfangs beabsichtigte er, da es ihm an
Geldmitteln zu selbständigen gr06eren Reisen fehlte, sich den württem-
hergischen Templern anzuschließen, die damals in Scharen nach Palästina
zogen und hier blühende Ackerbaukolonien anlegten. Aber trotzdem er sich
zeitlebens ein warmes Interesse für diese Pietisten bewahrte, scheint ihn
doch schliefilich ihre allzu einseitig ausgeprägte Glaubensrichtung von
seinem Plan abgeschreckt zu haben. Um wenigstens etwas von der Welt
zu sehen, verlebte er den Winter von 1868 auf 1869, mit zoologis( hen Unter-
suchungen beschäftigt, teils in Montj)ellier, wo er durch den Naturforscher
Charles Martins, den Direktor des botanischen (lartens, mancherlei An-
regungen empting, teils in Cette. Als endlich trotz auUerster Sparsamkeit seine
bescheidenen Hil&quellen zu versiegen drohten, kam ihm der glückliche Ge-
danke, die vielen neuen Eindrücke, die im sonnigen SQdfrankreich von
allen Seiten auf ihn einströmten, zu einigen Feuilletonartikeln zu ver-
arbeiten und unter dem Titel »Zoologische Briefe vom Mittelmcer« der
Kölnischen Zeitung einzuschicken. Die Redaktion erkannte sogleich die
journah'stische Befähigung ihres jungen Mitarbeiters und lud ihn zu weiteren
Beiträgen ein. Rasch knüpften sich enge Beziehungen an, und schon nach
wenig Monätien zog R. als Berichterstatter des rheinischen Weltblattes durch
Ungarn, Siebenbürgen, Italien und Sizilien. Aber der Ausbruch des Krieges
gegen I'rankreich veranlaßte ihn, schleunigst nach der Heimat zurückzukehren.
Er trat beim 5. badischen Infanterieregiment als Freiwilliger ein und nahm
im VVerderschen Korps an der ersten Periode des Feldzugs teil. Wiederholt
fand er Gelegenheit, sein Blut fürs Vaterland zu vergieüen. In dem heißen
Gefecht bei Au.\onne erhielt er eine schwere Kopfwunde, die das linke
Ohr hart beschädigte, so dafi er längere Zeit im Lazarett lag und im No-
vember als kriegsnntauglich und mit verminderter Hörfähigkeit, aber mit
dem eisernen Kreuz geschmückt, entlassen wurde. Da er sich nach seiner
Wiederherstellung noch zu schwach zum Reisen fühlte, ging er nach München,
um an der dortigen Hochschule seine naturwissenschaftlichen Studien zu
ergänzen. Hier hatte er das Glück, von zwei bedeutenden Gelehrten, dem
Geologen und Paläontologen Karl Alfred von Zittel und dem wdtgereisten
Naturforscher Moritz Wagner, viele Beweise freundschaftlicher Gesinnung und
mannigfache Anregungen zu empfangen. Als er wieder in den Vollbesitz
seiner Kraft und Gesundheit gelangt war, ging er abermals als Bericht-
erstatter der Kölnischen Zeitung nach dem Auslande. Zunächst besuchte er
zum zweiten Male Italien bis nach Sizilien, dann die Karpathen und die
Alpen. Schließlich trat er eine mehrjälirige Reise nach Amerika an, die
ihn durch die Vereinigten Staaten bis an die Gestade des Stillen Ozeans,
dann durch Mexiko, Kuba und Westindien führte. Die bedeutsamsten Ein-
drücke gewann er in Kalifornien. Eine Zeitlang trug er sich mit dem Ge-
danken, hier als Farmer ein neues Leben zu beginnen, aber schliclilich
siegte doch die Liebe zur alten Heimat. Im Herbst 1875 kehrte er, reich
Biogr. Jahrbuch u. DeuUchcr Nekrolog. 9. Bd. lO
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146
Ratzel.
ausgestattet mit Kenntnissen und Krfahrungen aller Art, nach Deutschland
zurück. Sein Hauptinteresse galt jetzt nicht mehr der Zoologie. Vielmehr war
er in der Fremde zum Geographen herangereift. Deshalb habilitierte er
sich noch gegen Ende des Jahres auf den Rat seines späteren Amtsnachfolgers
Siegmund Günther an der Technischen Hochschule in München als Privat-
dozent für Geographie. In seiner Probevorlesung behandelte er das nord-
amerikanische Felsengebirge, in seiner Habilitationsschrift die damals im
N'ordergrunde des öfft-ntlichcn Interesses stehende chinesische Auswanderung.
Bereits 1876 wurde er nach dem Erscheinen seines ersten großen Werkes über
die X'ereinigten Staaten zum außerortlentlichen und vier Jahre später, als er
einen Ruf nach Leipzig als Nachfolger Oskar Pescheis abgelehnt hatte, zum
ordentlichen Professor ernannt. Diese Münchencr Jahre waren reich an
wissenschaftlichen und literarischen Ergebnissen. Neben mehreren selb-
ständigen Werken entstanden zahlreiche kleinere Abhandlungen. Auch leitete
er in den Jahren 1882 — 1884 die vorher durch Friedrich von Hcllwald
herausgegebene Wochenschrift »Das Ausland«, bis ihn die zunehmende Über-
häufung mit andern Arbeiten zur Aufgabe der Redaktionstätigkeit zwang.
Zu vielen geistig hervorragenden Mätmern der bayrischen Hauptstadt unter-
hielt er freuntlschaftlichc Beziehungen. Besonders nahe standen ihm Heinrich
Noe, der treffliche Schiklerer der Alpenlandschaft, und Karl Stieler, der
gemütvolle Hochlandsdichter. Auch sonst gestalteten sich seine Verhältnisse
in München so behaglich, daß er mehrere Berufungen ausschlug, die von
auswärts an ihn gelangten, selbst einen ehrenvollen Antrag der weltberühmten
Firma Justus Perthes in Gotha, die wissenschaftliche Oberleitung ihrer
geographischen .Anstalt und der von ihr verlegten angesehenen Zeitschrift
»Petermanns Mitteilungen« zu übernehmen. Erst als er im Sommer 1886 auf
Empfehlung tles Nationalökonomen Wilhelm Roscher von der Universität
Leipzig eingeladen wurde, den durch den Weggang Ferdinands von Richt-
hofen nach Berlin erledigten Lehrstuhl der Geographie zu übernehmen,
stimmte er freudig zu. 18 Jahre hat er dieser altberühmten Hochschule an-
gehört, und mit Recht wird er unter ihre hervorragendsten Zierden gerechnet.
Hier in Leipzig entstanden in rascher Folge jene bedeutsamen Werke, die
seinen Weltruf begründeten und ihm für alle Zeiten einen ehrenvollen
Namen unter den Klassikern der Erdkunde sichern: Völkerkunde, Anthropo-
geographie, Politische Geographie, Erde und Leben, Naturschilderung. Die
Zahl seiner S< hülcr wuchs schnell an. Selbst aus Amerika, Rußland, Bulgarien
und Armenien kamen sie herbei. Gegen 200 Dissertationen, darunter aller-
dings auch manche minder gelungene, sind auf seine Anregung hin ent-
standen, und das vom ihm geleitete, wiederholt umgestaltete und musterhaft
eingerichtete geographische Seminar gelangte allmählich zu hoher Blüte. Bei
seinen Schülern hat er viel Liebe geerntet. Zu seinem 25 jährigen Professor-
jubiläum im Dezember 1901 überreichten sie ihm eine kleine Festschrift und
eine Stiftung, deren Zinsen zur L^nterstützung junger Geographen der Leip-
ziger Universität verwendet werden sollten. Auch zu .seinem 60. Geburtstage
gedachten sie ihn mit einer Huldigungsschrift größeren Umfangs zu über-
raschen, aber sie konnte infolge seines plötzlichen Todes nur als Gedächtnis-
schrift Verwendung finden. An Auszeichnungen und Anerkennungen hat es
ihm nicht gefehlt. Der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften
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Ratzel.
zu Leipzig uiul der Kgl. Kommission für sächsische Geschichte gehörte er
als ortlenthches Mitglied an. Auch mehrere geographische ("icsellschaften
[zu München, Leipzig, Halle, Frankfurt, Hamburg, Bern, Lontk)n, Rom und
Bukarest) wählten ihn zum Ehrenmitglied. Der König von Sachsen ernannte
ihn zum Geheimen Hofrat, doch legte er Wert darauf, von Schülern und
Freunden nidit mit diesem Titel, sondern als Prcrfessor angeredet zu werden.
In den letzten Jahren seines Lebens wurde er wiederholt von langwierigen
Krankheiten heitngesuclit, die zwar seine fast wunderbare Arbeitskraft nicht
lähmten, aber allmählich seine Stimmung verdüsterten. Ein Kehlkoptübel •
zwang ihn mehrfach, Südfrankreich, Italien und Korsika aufzusuchen. Sonst
verbrachte er die Ferien gern in seinem behaglidi eingerichteten Sommer*
hause zu Ammerland, das ihm namentlich wegen des herrlichen Ausblicks
auf die geliebte Alpenkette wert war. Während er sich früher als rüstiger.
Bergsteiger hervorgetan hatte, mußte er zuletzt auf jede körperliche An-
strengung verzichten, da ein Herzleiden erst langsam, dann immer bedroh-
licher um sicli griff. Ihm ist er auch schließlich erlegen. .Auf einem .Abend-
spaziergange um See sank er, vom Herzschlag getroffen, plötzlich zu Boden,
und ein schmerzloser Tod endigte wenige Minuten spftter sein an Arbeit
und Erfolgen reiches Leben.
Wie R. als akademischer Lehrer in Vorlesungen und Seminarübungen
fa.st alle Gebiete der Geograj^hie behandelt hat, so ist er auch als Schrift-
steller in nahezu allen Zweigen der Erdkunde schöpferisch hervorgetreten.
Nur die mathematischen und astronomischen Grenzgebiete lagen ihm fern.
Im ganzen hat er 18 selbständige Werke, davon einige in mehrere Auf-
lagen, und weit Ober 500 Abhandlungen verschiedensten Umfangs ver-
öffentlicht. Sie aufzuzählen ist hier nicht der Ort. Eine wohl nahezu voll-
ständige Liste bietet die am Schlüsse dieses Nachrufs unter den Literatur-
angaben verzeichnete Bibliographie. Seinem Bildungsgange ent.sprechend
ging er bei seiner literaris( hen Produktion von den Naturwissenschaften,
namentlich von der Zoologie aus. Seine Dissertation (1868) behandelt ein
zoologisches Thema. Auch die zuerst in der Kölnischen Zeitung, dann in
Buchform erschienenen »Zoologischen Briefe vom iSfittelmeer«, verschiedene
Aufsätze in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie und eine Reihe
von Berichten über die l''rL'e!tiiisse neuer biologischer l'"orschungen in den
ersten Bänden von Meyers Krgänzungsblättern /vir Kenntnis der Gegenwart
und in Meyers Deutschem Jahrbuch gehören hierher. Den Höhepunkt dieser
naturwissenschaftlichen Richtung bildet das zur Verteidigung der Entwick-
lungslehre geschriebene Buch »Sein und Werden der organischen Welt« (1869),
das eine populäre Schöpfungsgeschichte enthält, den Schluflstein die »Vor-
geschichte des europäischen Menschen« (1874). Einen völligen Umschwung
führten die großen Reisen im Dienste der Kölnischen Zeitung herbei. Die
mannigfachen Kindrücke, die fremde Länder und \'olker in ihm erweckten,
ließen seine naturwissenschaftlichen Interessen allniahlich zurücktreten. Zwar
nannte er die in Buchform erschienene Sammlung seiner europäischen Reise-
briefe noch immer »Wandertage eines Naturforschers« (1873 — 1874), aber
schon seine nächsten Werke, die Krü( hte der grofJen amerikanischen Reise,
zeigten deutlich, daß er sein bisheriges Studiengebiet verlassen hatte und
aus einem Zoologen ein Geograph und Kthnolog geworden war. in den
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Ratzel.
»Städte- und Kulturbildern aus Nordamerika« (1876). der Studie über »Die
chinesische Auswanderung« (1876), deren rasches Anwachsen damals die
Politiker der \'creinigten Staaten mit Besorgnis erfüllte xxnd zu Abwehrmaß-
regeln zwang, und den »Reiseskizzen aus Mexiko« (1878) offenbarte er sich
als scharfer Beobachter und als Meister der Xaturschilderung, aber erst sein
grundlegendes Buch über »Die Vereinigten Staaten von Kordamerika« (1878
bis 1880) stellte ihn mit einem Schlage in die Reihe der bedeutendsten
Vertreter der wissenschaftlichen Länderkunde. Daß er indessen auch
die Geophysik nicht vernachlässigte, bewies er durch seinen Leitfaden
»Die Erde in 24 gemeinverständlichen Vorträgen über allgemeine Erdkunde
(1881). Sein Hauptinteresse aber wendete sich allmählich der Geographie
des Menschen zu, und diesem Sondergebiete widmete er seine nächsten
großen Werke, die »Anthropogeographie« (1882, 2. Teil 1891, 2. Auflage 1899),
welche im Anschluß an die Grundgedanken Karl Ritters die Wechselwir-
kungen zwischen Natur, Geschichte und Menschheit klarzulegen beabsichtigte,
und die prächtig ausgestattete »Völkerkunde« (1885 — 1888, 2. Auflage 1894
bis 1895), die eine Anwendung der anthropogeographischen Gesichtspunkte
auf die Natur- und, Kulturvölker der alten und neuen Welt versucht. Aber
nicht nur die körperliche und geistige Eigenart der Völker wurzelte seiner An-
sicht nach im Boden, sondern auch ihr politisches Leben. Der Staat erschien
ihm als ein bodenständiger Organismus, nicht als ein Gebilde, das durch
gegenseitiges Übereinkommen der Menschen entstanden ist. Diesen Grund-
gedanken führte er in seiner überaus anregenden, wenn auch nicht immer
leicht verständlichen, Politischen Geographie« (1897, 2. Auflage 1903) näher
aus. Er zeigte darin, wie das Entstehen, Blühen und V'ergehcn der Staaten
geographisch bedingt ist und wie sich eine gesunde und zukunftsreiche
innere und äußere Politik einschließlich der Handels- und Kolonialpolitik
den gegebenen Verhältnissen des Bodens anpassen muß. Aber die Geographie
des Menschen war in seinen Augen nur ein Teil der allgemeinen Bio-
geographie, welche das gesamte organische Leben als eine unaufhörlich
wechselnde Erscheinungsform der Erdoberfläche betrachtet. Dieser allum-
fassenden Wissenschaft wfdmete er das letzte zu seinen Lebzeiten erschienene
Werk »Die Erde und das Leben« (1901 — 1902), das von der Kritik als ein
modernes Gegenstück zu Humboldts Kosmos bezeichnet wurde. Auch .nach
dem Abschluß dieser »vergleichenden Erdkunde« war er noch unermüdlich
tätig. Neue Ziele tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Vor allem zog
ihn die allmählich immer weitere Kreise erfassende Bewegung an, welche
eine künstlerische Erziehung der Jugend anbahnen und damit Freude an
allem Großen und Schönen in Natur und Kunst und liebevolles Verständnis
dafür auch in den breiten Schichten des Volkes erwecken wollte. Diese Bestre-
bungen suchte er durch das liebenswürdige Büchlein »Über Naturschilderungc
zu unterstützen, das wenige Wochen nach seinem Tode erschien und nach
Inhalt und Form mit Recht als die Perle unter seinen Werken betrachtet
wird. Zu beklagen ist es, daß er seine Absicht, eine ausführliche Schilderung
seines Lebensganges und seiner geistigen Entwicklung abzufassen, nicht zu
Ende führen konnte. Einige Vorstudien, die mit dichterischer Freiheit Er-
innerungen aus der Jugendzeit und dem Feldzuge gegen Frankreich wieder-
geben, erschienen ohne seinen Namen in den »Grenzboten« und wurden auch
Rattcl.
149
in die vom Grunovvschen Wrlage unter dem Titel »Glücksinseln und
Träume« (1905) veranstaltete Auswahl seiner kleinen Aufsätze übernommen.
Eine andere Sammlung seiner wichtigsten Abhandlungen, besorgt von Hans
Helmolt, soll im Herbst 1905 bei Oldenbourg in Manchen herauskommen.
Diese Abhandlungen geben einen guten Überblick über die auSerordentliche
Vielseitigkeit ihres Verfassers. Sie zeigen, daß er kaum eine Seite der aus-
gebreiteten geographischen Wissenschaft unangebaut gelassen hat. Bleibend
Wertvolles hat er namentlich auf dem Gebiete der Geschichte der Erdkunde
geleistet. Für die Allgemeine deutsche Biographie hat er von 1878^1904
gegen 150 Lebensbeschreibungen namhafter Geographeni Forschungsreisender
und Missionare verfaßt, darunter die bedeutsamen und umfangreichen Ar-
tikel über Junghuhn, Leichhardt, Xachtigal, Olearius, Pallas, Peschel, Pöppig,
Ritter, Vogel und Emin Pascha. Auch dem Biographischen Jahrbuch war
er ein treuer Berater und Mitarbeiter, wie der Herausgeber in der Beilage
aur Allgemeinen Zeitung 1904, Nr. 197 näher dargelegt hat. Andere Aufsätze,
die er namentlich im »Globus« und während seiner Redaktionstätigkeit auch
im »Ausland« veröffentlichte, berichten über ältere und neuere Entdeckungs-
rcisen und über die Ergebnisse geographischer Forschungen. Drei Forschungs-
gebiete verfolgte er mit andauerndem Interesse: Afrika, die Nordpolarliim ler
un{I die Antarktis. Mit vielen bcficutcnden Kachgenossen, vor allem mit
den namhaftesten Airikareisenden unterhielt er freundschaftliche Beziehungen,
und manchem hat er ein ^würdiges literarisches Denkmal gesetzt, vor allem
Emin Pascha durch die Herausgabe seiner Briefe. Viele seiner kleineren
Arbeiten wurden durch seine eigenen Reisen veranlaßt. Namentlich von
einzelnen Gegenden Korsikas und der Riviera hat er glänzende Schilderungen
entworfen. Seine ganze Liebe aber gehörte den .\ljicn, die er in gesunden
Tagen als rüstiger Wanderer nach allen Richtungen durchstreifte. Darum
zählen auch seine Hochgebirgsstudien, seine Untersuchungen über Wasser-
fälle, über die Schneeverhältnisse, über die Schneegrenze und die Schnee-
decke der Gebirge, über Eis- und Fimschutt, über Höhengrenzen und HOhen-
gürtel, über Karrenfelder, über einige rlunkle Punkte der Gletscherkunde,
sowie seine Monographie über den Wendelstein zu dem Besten, was er
geschrieben hat. Das Gleiche gilt auch von den kleinen Arbeiten völker-
kundlichen und anthropogeographischen Inhalts (über die geographische Ver-
breitung des Bogens und der Pfeile in Afrika, über Stäbchenpanzer und ihre
Verbreitung im nordpazifischen Gebiet, über die Anwendung des Begriffs
Ökumene auf geographische Probleme der Gegenwart, über die anthropo-
geographischen Begriffe Geschichtliche Tiefe und Tiefe der Menschheit, über
die afrikanischen Bögen, ihre Verbreitung und Verwandtschaft, Beiträge zur
Kenntnis der N'erlireitung des Bogens und des .Speeres im indo-afrikanischen
Völkerkrci.s, der Staat und sein Boden geographisch betrachtet, der Ursprung
und das Wandern der Völker, sämtlich in den Schriften der Kgl. Sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften erschienen), sowie auch von dem einleitenden
Abschnitt zu Helmolts Weltgeschichte, den er »Die Menschheit als I,ebens-
crscheinung der Krde überschrieb, und den tief eindringenden Unter-
suchungen über den Ursprung der Arier, die er in seinen letzten jaliren
in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte. Kinen noch viel weiter
reichenden Einfluü als durch diese streng wissenschaftlichen Arbeiten, die
150
RaUel.
sich zum Teil nur an enge Fachkreise wendeten, übte er durch seine zahl-
reichen Beiträge für populäre Zeitschriften aus. In Meyers und Brockhaus'
Konversationslexikon, in der Kölnischen und Allgemeinen Zeitung, in den
Münchener Neuesten Nachrichten und der Karlsruher Zeitung, in den Leip-
ziger Tagesblättern, namentlich iti der wissenschaftlichen Beilage zur Leipziger
Zeitung, in Westermanns Monatsheften und im Daheim, in der Deutschen
Rundschau, der (legenwart und der Deutschen Monatsschrift findet man viele
seiner kleineren Aufsätze verstreut. Das Blatt, flas er am liebsten und aus-
giebigsten benutzte, um das von sich zu geben, was ihm das Herz bewegte,
waren die (irenzboien, zu deren Herausgeber und Verleger er viele Jahre
hin<lun h freun<Is( hafiliche Beziehungen unterhielt. Für diese Zeitschrift hat
er eine unüi>ersehbare Menge von anonymen Notizen und Mitteilungen ge-
liefert, die oft nur wenige Zeilen umfassen, aber überraschende Einblicke
in das eigenartige (Icistes- und (iemütsleben ihres Verfassers eröffnen.
Auch als Kritiker hat er eine überaus vielseitige Tätigkeit ausgeübt, haupt-
sä< hlich im Literarischen Zentralblatt unri itn Literaturbericht zu Petermanns
Mitteilungen, aber auch in andern geograj)hischcn, ethnologischen und natur-
wissenschaftlii lien Fachzeitschriften und gelegentlich selbst in Tagesblättern.
Ks steckt eine l'nsutnnie vnn Arbeit in diesen mehr als 700 Anzeigen, die
häutig eingehende Sprachkenntnisse voraussetzen. In seinen Rezensionen
war er stets bemüht, groüe leitenrie (iesichtspunktc herauszuheben. Das
kleinliche .Aufstechen von Druckfehlern und nebensächlichen Irrtümern lag
ihm völlig fern. Wo er tadeln niullte, geschah es in verbindlicher Form
ohne pers()nliche Schärfe.
Die wissenschaftlichen Verdienste R.s sin^l aber nicht allein nach dem
zu bemessen, was er selbst als Schriftsteller leistete, sondern auch nach
dem, was er anregte. An den Bestrebungen zur grüntllichen geographischen
Erforschung Deutschlands nahm er als langjähriges Mitglied des Zcntral-
ausschusses für deutsche Landes- und Volkskunde lebhaften Anteil. Durch
die von ihm lierausgegebene, von den besten Sachkennern bearbeitete
Bibliothek geographischer Handbücher' , welche eine Auswahl der hervor-
ragendsten geographischen Kompendien umfaßt, füllte er eine längst empfun-
dene Lü( ke in der Literatur seines l'aches aus. .Als akademischer Lehrer
hat er Hunderte von Schülern herangebildet, von denen einige zu den
Zierden der jüngeren (ieograj>hengeneration gehören, andere als tüchtige
Lehrer den geographischen l'nterricht in den sächsisclien Schulen auf eine
erfreulic he Höhe gehoben haben. Mit vielen seiner Schüler verbanden ihn
enge freundschaftliche Beziehungen, und wem es vergönnt war, häufiger
mit ihm zu verkehren, der lernte bahl die vortrefflichen Fagenschaften
seines (leisies und Herzens schätzen. Als einen besonderen Genuß empfand
er es, in angeregtem (lesjiräche mit Freunden Wald und Feld zu durch-
streifen. Das Fußwandern war seine Leidenschaft. Noch in seinen letzten
Jahren betrieb er es mit einer Ausdauer, die manchen Jüngeren beschämte,
und selbst im Winter und bei entschieden schlechtem Wetter eilte er, meist
ohne schützende Tberklcidung, mit raschen elastischen Schritten stundenlang
umher. Es ist kein Zufall, daß er Frommaims Taschenbuch für angehende
Fiißreisende mehrmals neu herausgab und der deutschen Jugend widmete.
Auch «las prächtige Büchlein "Deutschland (1898), das dem Deutschen
Ratiel
zeigen will, was er an seiner Heimat hat, und das eine unerschöpfliche
Quelle für die Belebung des heimatkundlichen Unterrichts bildet, ist eine
Frucht solcher Wanderungen. Gern unterhielt er sich auf seinen ' Spazier-
gängen über politische, philosophische und religiöse Probleme. Als Politiker
gehörte er zu den Vertretern eines gemäßigten nationalen Liberalismus, doch
ist er niemals im Parteilcbcn hervorgetreten. Mit Begeisterung verteitligte
er die Weltmachtbestrebungen des Deutsrhen Reiches. Die Gegner der
Külonialpolitik bekämpfte er durch seine kräftige Fehdeschrift »Wider die
Reichsnörgler« (1884) und durch zahlreiche Aufsätze in den Grenzboten.
Auf die Notwendigkeit einer starken Flotte wies er in der glänzend ge-
schriebenen Studie »Das Meer als Quelle der Völkergrdfle« (1900) hin. In
Sachen der Weltanschauung wurde er durch Erfahrungen, über die er sich
Dritten gegenüber nur selten und dann auch nur andeutungsweise äußerte, ganz
langsam und allmählich nach rechts gedrängt. Als Student hatte er dem Mate-
rialismus jener Tage gehuldigt. Später war er, wohl hauptsächlich durch per-
sönlichen Verkehr mit kirchlichen Separatisten seiner schwäbischen Heimat,
zu andern Ansichten gekommen. In Leipzig besuchte er fleißig den evan-
gelischen Gottesdienst, und in seinen letzten Jahren lieferte er Beiträge für
die fromme Zeitschrift Glauben und Wissen und für das auf streng christ-
lichen Grundlagen ruhende Volks- und rniversallexikoii von Dennert. Neben
diesen religiösen Neigungen entwickelten sich gegen Ende seines Lebens
auch philosophische, aus denen heraus mehrere tief durchdachte Aufsätze in
den von seinem Freunde und Kollegen Ostwald herausgegebenen »Annalen
der Naturphilosophiec entstanden sind, und vor allem künstlerische Interessen,
die namentlich dem Buche über Naturschilderung seinen eigenartigen Reiz
verleihen. So war der Verstorbene ein Mann von universaler \'ielseititi:keit,
erstaunlichem Wissen, seltener Schaffenskraft und ungewöhnlicher literarischer
Fruchtbarkeit, ein bedeutender ideenreicher Gelehrter in mehr als einem Ge-
biete der Wissenschaft, eine feinsinnige Künstlernatur und nicht zuletzt auch
ein Meister des deutschen Stils. Noch in Jahrhunderten wird ihn die dank-
bare Nachwelt unter die führenden Geister unserer Zeit rechnen.
Eine eingehende treffliche Studie über K. verdankt man «einem Schüler K. H.i-^ert:
Geographische Zeitschrift XJ (1905), Heft 6 — 7. Kürzere biographische Artikel und N.ich-
rufe von selbständigem Werte veraffcnülchtcn Th. Achelis: Nord und Sttd LXXXIV ( 1 898),
263 — 276 (mit Bildnis), Westerauums illustrierte deutsche Monatshefte XC (1901), 223 bis
229 (mit Bildnis) und Geographischer .Vnzeiger V (i')04\ Ci. Antze: Pnlitisch-.nnthrnpo-
logische Revue III (1904), 517; J. Urunlies: La GcograplUc X (^1904), 103 — 108; M. Eckert:
Illustrierte Zeitung 1901, Nr. 3049, S. 851—853 (mit Bildnis) und Wissenschaftliche Beilage
der Leipdger Zeitimfir 1904, Nr. 103; C Graber: Beilage sur AUgemetnen Zeitung 1901,
Nr. »8a; S. Günther: ebenda 1904, Nr. 195; H. Haack» Geographenkalender III (1905),
201- -203; K. Hassert: Geographischer Anzeiger II (igoO, i6r 163 und Deutsche Monats-
schrift V'll (1905), 695—706; H. Heine: Neue Bahnen XV (1904), 668tT., 726ff.; H. Hel-
molt! Deutsche RuadscbMi XXXI (1904), Heft t; O. Kimmel: Die Grenzboten LXIII
( IQ04), Nr. 33; E. Kaiser: Pädagogische Blätter XXXIII (1904), 492ff., 545ff.; R- Kittel:
Die Grenzboten I.XIII (1904). Nr. 35; M. Krup-Genthe und C\ F. Scmi)lc: /''«//. Antcr.'
Ütogr. Soc. XXXVI (1904), 550—553; K. Laniprecht: Berichte Uber die Verhandlungen
der phil.-hist Klasse der Kgl. Sftchs. Gesellschaft der Wiss. 1904, 13 S.; H. Lindau:
Die N.-ition XXII (1904), Nr. 3 -4; O. Marinelli: Rhista gi'i\i:r. liatioM» XII (1905).
8_i8; F. Nüchtcr: llluttcr für die Schulpraxis 1904, S. 2<)3fT: K. Oppermann: Zeitschrift
für Schulgeographic XXVi (i904;os), 1— 7; A. Pcnck: Die Zeit 1904, Nr. 675; H. Rcis-
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152
Ratzel. Egger von MöUwaid.
haaer: Mittennngen des deutschen und österreidiischcn AlpenTemns 1904, Nr. 16; Sdiulte:
Pädagogische Studien 1904, Nr. 6; M. Spahn: Der Tag (1904), 30. August; K. Wcule:
Deutsche Krdc III (1904), 150 f. und Mitteilungen de^^ Vereins für Krdkundc lu Leipzig
1905, 29 S. (mit Bildnis); Kolnische Zeitung 1904, Nr. 1062. — V. Hantzsch, Ratztl-Biblio-
gnphie 1867 — 1905. Veneichnis der sclbstindigen Werke, Abhandlungen und BBcher-
bespffcchungen Friedrich Rätsels, Manchen und Beriin 1905. Viktor Hantzsch.
Egger von M511wald, Alois, Schulmann, * 5. Januar 1829 zu Flattacb in
Kärnten, f 16. März 1904 zu Lovrana. — E.s Vater Alois war Wirtsrhafts-
bcsitzcT und lebte mit seiner aus fünf Söhnen und drei rörhtcrn bestehenden
Familie in auskömmlichen Verhältnissen, l^nser Alois war das älteste der
Kinder und verlebte in der von ihm zeitlebens s( hwärnicrich geliebten
Heimat seine Knabenjahre. Unterricht genoß er in seinem Geburtsort (1840)
und zu Lienz. E. war noch durch das alte Jesuiteng>'mnasiuin gegangen
und konnte spftter den Fortschritt der neuen Gymnasialorganisation an den
Erfahrungen der eigenen Schuljahre abschätzen. Seine Zeugnisse aus der
Gymnasialzeit reihen ihn diirrhwcgs unter die Eminentisten«. Im Herbste
1840 wanderte er mit seinem l-'reunde und Laiidsinanne, dem östcrreit lii'-chen
Dichter Johann Fercher von Steinwand, nach der steirihchen Hauptstadt.
»Noch schwebt der regnerische Novembertag 1849 vor meinem Geiste« —
also schreibt E. in einem Tagebuche aus dem Jahre 1860 — , »an welchem
ich mit Kleinfercher (so hieß eigentlich der Dichter) auf der Voitsberger
Straße nach Graz wanderte, die Brust voll Plänen, aber im Beutel nur 8 fl.
Auf diesen Tag folgten Tage der Not und des Hungers, bis es mir gelang,
durch Unterricht etwas zu erwerben.« 1849 50 gehörte E. der juridischen
Fakultät an, doch hörte er bereits im ersten Semester ein Kolleg über Ge-
schichte der altklassischen Literatur und im zweiten ein Kolleg über Er*
ziehungsldire und neuere Philosophie. Einem inneren Drange folgend, trat
er bereits im Wintersemester 1850/51 an die philosophische Fakultät Ober
und begann unter Weinholds Leitung seine germanistischen Studien. In dieser
ersten Grazer Zeit wohnte E. mit Kleinferther und seinem sj)äteren Amts-
genossen Karl Greistorfer zusammen, eine Zeit sorgenvoller Bedrängnis, in
der die jungen Freunde »vereint das Elend ihrer materiellen Existenz hin-
wegjttbelten oder zerphilosophierten« (Tagebuch 1860). Bald nach seinem
Übertritt an die philosophische Fakultät, im Herbst 185 1, sehen wir E. als
Supplenten am Staatsgymna.sium in Graz und außerdem im Neujahr 1852 als
Lehrer am Institute Blumenfcld in Graz. Auf die Empfehlung seines Direktors^
Kaltenbrunner und des Schulrates Kigler konnte K. mit Beil)ehaltung seiner
Supplentengebühr zur Vorbereitung auf die Ablegung der Lehramtsprüfung
nach Wien abersiedeln. Im Sommersemester 1853 an der philosophischen
Fakultät in Wien inskribiert, hörte er Jaeger, Aschbach, Simony, Hahn,
Linker, Ameth, Eitelberger und lenkte bald im historischen Seminar, wo
er an fler Seite Dttokar Tvorcnz' saß, und im germanistischen die Aufmerk-
samkeit seiner Professoren auf sich. Im Herbste 1854 nahm er eine Su}>plcntur
am Staatsgymna.sium in Ulmütz, 1855 eine Lehrstelle in Laibach an, von
WO er nach Verlauf von zwei Jahren als Lehrer ans akademische Gymnasium
in Wien berufen wurde, dem er 1857—1874 angehörte. Daß ihm wie in
Olmiitz so manches auch in Wien nicht gefiel, macht dem Charakter des
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Egger von MOUwald.
153
Mannes Ehre, der seine heimatlichen Berpe ebensowenig vergaß wie Freiheit
und Biederkeit der heimischen Sitten. Im Kreise gleichgesinnter Freunde —
aufter seinen Amtsgenossen vom akademischen Gymnasium und dessen
Direktor Hochegger noch Mitteis, Klun, Warhanek, der Mineraloge Peters,
der Germanist Lexer, der Tonkänstler Mair — fehlte es nicht an reichlicher
Anregung. Ein Leben trotz materieller Beengung reicli an innerem Behagen,
dem sich eine neue glückverheißende Zukunft crschloB. als K. i86^ seiner
Braut Laura Moser die Hand reichte zu einem Bunde treuester Seelengcmcin-
schaft.
Die naturgemftfle Sorge für den eigenen Herd spornte nunmehr seine
Arbeitskraft and Schaffenslust noch mftchtiger an, und so erschien bereits
fünf Jahre nach seiner Verheiratung (1868) <lor I. Band seines deutsc lien
Lehr- und Lesebuches für Obergymnasien. Im Mai 1869 wurde ihm das
Amt eines provisorischen l?c/irksschulinspektors übertragen. Von dieser
Stelle wie von seinem Lehramte am akademischen Gymnasium mußte er
zurücktreten, um seine ganze Kraft der Lösung einer verantwortungsvollen
Ehrenaufgabe zu widmen. Sein Lebensweg führte ihn nämlich im Oktober
1869 in die Wiener Hofburg, wohin er berufen wurde, den Unterricht des
Kronprinzen Ivudolf in der deutschen Sprache und der Erzherzogin Gisela
in der dcutsclien Siirache und in Geographie unfl Geschit Iite zu leiten. Den
Kronprinzen unterrichtete F. nur ein Jahr; als er im ()ktc)l)er 1870 der Frz-
herzogin Gisela nach Meran als Lehrer folgen mußte, wurde für den Kron-
prinzen, der in Wien verblieb, in Professor Karl Greistorfer £.s Nachfolger
gefunden. Es gereicht E. zur Ehre, dafi er, der Vielbeneidete, des Standes
nicht vergaß, in dem die Wurzeln seiner Kraft lagen. In Anerkennung seiner
bei dem Unterrichte der Erzherzogin Gisela geleisteten Dienste wurde ihm
1873 der Orden der Eisernen Krone IIL Klasse und der Ritterstand mit dem
Prädikate »Möllwald« verliehen.
Das Jahr der Wiener Weltausstellung 1873 zeigt E., der inzwischen (1872)
in Würdigung seiner verschiedenen literarischen Leistungen von der philo-
sophischen Fakultät der Universität in Tübingen den Doktortitel erhalten
hatte, in erhöhter Tätigkeit auf literarischem tnid praktischein Schulgebiete.
Xebst der Redaktion des offiziellen Ausstellungsberichtes über das österreichi-
sche Schulwesen wirkte I'.. auch in einem Komitee, das sich die dankenswerte
Aufgabe gestellt hatte, auf dem Ausstellungsplatze ein modernes Schulhaus
samt Zubehör herzustellen, das den durch Wissenschaft und Erfahrung
geläuterten Anschauungen über den Volksunterricht entspräche. Dieses »öster>
reichische Musterschulhaus ^ fand nebst großem Beifall vielfache Xachahmung.
Im Herbste 1873 wurde F. von den Städten und Märkten Oberkärntens
zum Kei( hsratsahgeordneten gewählt. E.s erste Kerle handelte ül)er die Iler-
anbilduim des Klerus (1874), eine zweite betraf die permanente L'nterrichts
ausbtcllung, später abgedruckt im pädagogischen Literaturberichte von Dr. Kraus
(1894). Ende September 1874 finden wir ihn als Teilnehmer an der Philo-
logenversammlung in Innsbruck, ein Beweis, dafl die Politik ihn nicht aus
der Fühlung mit der Wissenschaft und der Schule brachte. Ja wie innig diese
Beziehung verblieb, beweist eine Stelle seines obenerwähnten Tagebu« in s
vom 15. A[>ril, wo er klagt, dalJ der keichsrat und verschiedene X'eieine
seine Zeit so sehr in Anspruch nehmen, daü er zu literarischer Tätigkeit
154
Egger von MöUwald.
nicht die nötige Sammlung gewinne. »Daraus ergibt sich eine Zersplitterung
der Zeit, die mir unbehaglich zu werden beginnt« — setst er hinzu. Auch
manche Enttftuschung brachte ihm seine neue Stellung. »Im Abgeordneten-
hause bot sich mir kein befriedigender Wirkungskreis« — schreibt er in
einem selbstverfaßten curriculum ritae — »und ich benützte die erste Differenz
mit den Ansichten meiner Wähler, um mich zurürkzuziehen. ■ Am 19. De-
zember 1875, also nach zweijähriger Tätigkeit im Parlamente, teilte er in
einem Rundschreiben seinen Wählern mit, dafi er sein Mandat niederlege,
denn er sei nicht in der Lage, fOr die Predilbahn xu stimmen, wie es Villach
wünsche. So ward in dem Parlamentarier die Rückkehr zu dem eigentlichen
Lebensberufe beschleunigt, dem wiedergegeben er sieh um die freigewordene
Direktorstelle an der k. k. Lehrerinnenbildungsanstalt St. Anna in Wien bewarb.
Die.se Anstalt sollte er nur ein Jahr leiten. Denn als im Herbste 1878 dem
Theresianischen Gymnasium nach dem Ableben seines Direktors Dr. Heinrich
Mitteis ein würdiger Nachfolger gegeben werden sollte, fiel die Wahl auf E.
Im September 1878 wurde er zum Direktor des Theresianischen Gymnasiums
ernannt. Was ihn bewog, nach so kurzer Zeit die Bildungsstätte zu St. Anna
zu verlassen, gesteht er ehrlich in seinem curriculum vitat\ »Obwohl mich
mein Wirkungskreis am Pädagogium St. -\nna in jeder Richtung befriedigte,
.so fühle ich mich doch in der Sphäre des Gymnasialunterrichtes, in der ich
so lange Jahre gewirkt, heimischer.«
Im kräftigsten Mannesalter trat E. seinen neuen Dienstposten an, der bd
der eigenartigen Organisation der 'l'heresianischen Akademie, ihren Zielen
und den hierzu gebotenen Mitteln dem Gymnasialdirektor, der zugleich
V'izedirektor der Akademie ist, keine leichten .Aufgaben .stellt. Doch dem
Arbeitsfrohen, der wiederholt, auch durch längere Zeit die Leitung der Ge-
samtakademie übernehmen mußte und an der Seite von vier Akademiedirek-
toren wirkte, versagte auch jetzt nicht Tatkraft noch Tatenlust, nicht lnter>
esse noch Einsicht, und er durfte sich mit Recht der Anerkennung erfreuen,
die ihm durch die Verleihung des Titels eines Regieningsrates ausgesprochen
ward. .\n der Spitze eines trefflichen Lehrkör|>ers wirkte K. mit dem vollen
Kins.it/c seiner reichen Erfahrung, seines umfassenden Wissens, seines vor-
bildlichen Lehrgeschickes, bis die zunehmenden Jahre, insbesondere ein fühl-
barer werdendes GehOrgebrechen ihn nach fünfzehnjähriger, dem Theresianum
1878 — 1893 gewidmeter Dienstzeit zwang, um seine Versetzung in den
bleibenden Ruhestand einzuschreiten. Unmittelbar vor seinem Scheiden aus
der Aktivität konnte E., mit sich bereits vollständig einig abzutreten, in
glänzender Weise zeigen, über welch organisatorisches Geschick, über welchen
Rei( htum an Erfahrung und über welche Arbeitskraft er verfüge. Denn als
zu Pfingsten 1893 die 42. Versammlung deutscher Philologen und Schul-
männer in Wien tagte, war E. trotz seiner 64 Jahre mit jugendlicher Rüstig-
keit als zweiter Präsident unermüdlich tätig, nachdem er schon vorher für
das Gelingen dieses Kongresses sich an den schwierigen Vorarbeiten in Wort
und Schrift erfolgreich beteiligt hatte. Kaum war die Festesfreude jener
scluMien Tage verrauscht, da reichte K. sein Pensionsgesuch ein. In einer
besonderen Abschiedsfeier ehrte die Theresianische Akademie ihren Gyiniuisial-
und Vizedirektor, dessen Bildnis zu dauernder Erinnerung das Konferenz-
zimmer des Gymnasiums ziert
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Egger von MBllwald.
155
Doch ganz zu feiern, fühlte sich der zeitlebens Ximmcrmüdc nicht vcr-
anlafit, vielmehr trat er neuerdings an die Arbeit als Obmann der öster-
mdiisclien Gruppe der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schul-
geschichte sowie als Mitglied der Leitung des Vereines Camuntum, bis ihn
die Zunahme körperlicher Beschwerden und Leiden zu emstUchem Stillstände
zwang. Wie er auch dort der Schule nicht vergaß, so vergaßen seiner nicht
seine ehemaligen Schüler, seine Freunde, seine Berufsgenossen. Denn als er
in Lovrana sein siebzigstes Geburtsfest iJ>()9 feierte, da wollten im Kreise
seiner i*'amilic die nicht fehlen, ilie ihn dankbaren Herzens als ihren unver-
gefilichen Lehrer verehrten, als treuen Freund mit anverminderter Herzens-
wSnne liebten, als vorbildlichen Berulsgenossen hochschfttzten. Dem Jubilar
wurde nebst einer von nahezu 300 Teilnehmern aus den verschiedensten
Ständen unterzeichneten (Ilückwunschadresse eine Denkmünze verehrt, die
auf der Vorderseite das von Scharffs Meisterhand modellierte JJildnis des
Siebzigjährigen trug, während die Rückseite — um mit der Adresse zu
zu sprechen — »in nüchternen Namen und nüchternen Zahlen die Erinnerung
an die Stfttten seiner Lebenswirksamkeit« wecken sollte. Wie diese Kund-
gebung vom Herzen kam, so fand sie auch den Weg zum Herzen; sie
durfte noch einmal mit aller Lehensfreude den Lebensmüden durchsonnen,
in dem zwar der Geist mit erstaunlicher Frische regsam blieb, die leiblichen
Kräfte aber immer drohender den Dienst versagten. Kine Anderimg in der
ärztlichen Behandlung und deren unerwarteter Erfolg vermochte allerdings
fOr eine kurze Spanne Zeit die Hoffnung neu zu beleben, da0 noch in weiter
Feme das Ende sei. Doch sein 75. Geburtstag, den er 1904 von Leiden
gequftlt erlebte, war sein letzter — nach wenigen Wo( hcn stand sein edles
Herz stille zu ewiger Rast. \'on Lovrana wurde der Leichnam na< Ii Wien
gebracht und unter ehrender Teilnahme auf dem Grinzinger Friedhofe am
20. März 1904 in die Erde gebettet.
So einfach sich der äußere Lebensgang E.s darstellt, so schwierig ist
eine erschöpfende Darstellung des Lebenswerkes des Heimgegangenen, dessen
Geiste ein merkwürdige, von gelehrtenhafter Einseitigkeit völlig abgekehrte
Empfänglichkeit eigen war für alles Schöne und Wissenswerte, für Ideales
und Praktisches.
Was ihm die (jstcrreichische Mittelschule verdanken sollte, ward günstig
vorbereitet durch äuüere Umstände. Aus bäuerlichen Verhältnissen ent-
sprossen, verbrachte er in Klagenfurt und Graz, in Olmütz und Wien seine
Lehrjahre in einer Zeit gärender Umformung der alten, abgelebten Schul-
einrichtungen. In der alten Schule unterwiesen, konnte er wie die übrigen
Pioniere fies neuen Gymnasiums nicht nach bewährten Mastern sich seine
Methode einrichten, sondern durch liebevolles Vertiefen in die vielfach neuen,
von so mancher Seite als unausführbar verworfenen und bekämpften (irund-
sätze des Organisationsentwurfes vom Jahre 1849 mußte eine entsprechende
neue Methode erst gefunden und durch wachsame Beobachtung erprobt ■
werden. Hierin war es fOr einzelne Gegenstände, z. B. die klassischen
Sprachen, gleich anfangs nicht so schlimm bestellt; hingegen die Behandlung
der deutschen Sjirache als rnterrichtssprache, die bekanntlich vor iS.}o
keinen selbständigen Lelugegenstand dos österreichischen Gymnasiums bildete,
war besonders in den oberen Klassen den bedenklichsten Miüdeutungcn und
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156
£gger von MöUwald.
Schwankungen auNgchcut, die durch das Erscheinen des dreibändigen Lese-
buches fQr die oberen Klassen von dem Sektionsrate im Unterrichtsmini-
sterium J. Mozart (1851 — 53) xwar gemildert» aber nicht beseitigt wurden.
Uber diese Verhältnisse verdanken wir ein maßgebendes Urteil E. selber in
dem lU-richte über österreichisches Unterrirhtswesen anläßlich der Wiener
Weltausstellung 1873 (»Mittelschulen II, deutsche Sprache und Literatur ).
Nicht das geringste Verdienst E.s war es, daß sein eigenes dreiteiliges Lehr-
und Loebuch für Obergymnasien die anziehenden Uhlandschen Darstellungen
bezw. Inhaltsangaben der Dichtungen aus alter 2^it zuerst für die Schule
und in ausgiebiger Weise verwertet hat. Der erste Band des Ersehen Lese*
buches erschien 1868 — er sollte die für das Studium der Literaturgeschichte
notwendigen Vorbegriffe erläutern — , ihm folgte des zweiten Bandes erste
Aliteilung 1869, zweite Abteilung 1870 — dieser Band sollte die Literatur-
geschichte selbst in streng schulgcmäüer Form bieten — und endlich der
dritte Band 1872, der entgegen dem Mozartschen Schlufibande zu einer Vor>
schule der allgemeinen Ästhetik unter Ausschluß des rein Abstrakten erweitert
wurde. Wohl sind E.s Lesebücher heute außer Gebrauch, trotzdem die ein-
zelnen Bande bis in die achtziger Jahre hinein an sieben Auflagen erlebten.
Hin Schulbuch, das zwanzig Jahre und darüber erlebt, nuiü sein hohes Aller
durch oft tief eingreifende Umarbeitungen erkaufen; dazu war aber E. nicht
zu bewegen, trotzdem ihm In der Approbationserledigung der achten Auflage
des ersten Bandes im trockenen Amtsstil angedeutet wurde, daß »für die
Zukunft die Approbation neuer Auflagen nur nach gründlicher Umarbeitung
des Buches, durch welche die Abweichungen vom vorgeschriebenen Lehrplane
und den bezüglichen Instruktionen beseitigt wurden, in Aussicht genominen
werde , und wir l)leil)en ihm auch dafür zu Dank verpflichtet, daß sein Werk
ein unverändertes Denkmal der Bedürfnisse seiner Zeit geblieben ist.
1 87 7 -1880 entstanden die vier Bände des E.schen Lesebuches für die
unteren Klassen österreichischer Mittelschulen, die, zwar allseitig auf das
freudigste begrüßt, sich neben den immer wieder aufgelegten Lesebfichera
von Mozart und von Neumann-Gehlen nicht so recht durchzusetzen ver-
mochten.
Um dieses Schulbuch, die Frucht zwölfjähriger Arbeit, lassen sich die in
Zeitschriften, Broschüren und in Buchform veröffentlichten literarischen Ar-
beiten und die zahlreichen Vorträge Über mannigfache Stoffe zu einem Ge-
samtbilde seines äußerst fruchtbaren Wirkens vereinen. Kurz nach der
Gründung des Vereines »Mittelschule« (1860) wurde über E s Antrag die
N erfassung einer »Denkschrift'« beschlossen, die den neuen Lchq^lan gegen
die unberechtigten und unbefugten Angriffe der (legner verteidigen, zugleich
aber auch manchen fachgemäßen Wünschen der Lehrer Ausdruck geben
sollte. Mit der Ausarbeitung dieser dem Ministerium vorgelegten Denkschrift
wurde der Antragsteller selber betraut Ober die Landtagsverhandlungen
• in Krain vom 12. Februar 1866 betreffs der Unterrichtssprache an den Mittel
schulen hielt er einen V ortrag im Vereine »Mittelschule«, dann 1869 »Über
Reformbestrebungen auf dem Gebiete der deutschen Rechtschreibung'. In
das Jahr 1872 fällt .sein Vortrag in der "Mittelschule«: »Uber die deutschen
Schulen in Wälschtirol« , 1875 »Uber die Industrie im Dienste der öster-
reichischen Schule«, 1876 »Bericht über die orthographische Ministerial-
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Egger von Mölhrald.
«57
kommission in Berlin« und »Über deutsche Aufsätze von Abiturienten öster-
reichischer Mittelschule«) 1877 »Die überbürdungsfrage ^ u. a. Ihm, dem
Mitbegründer des Vcreitios 'Mittelschule , an dessen Sjtitzc er wiederholt,
zuletzt I1S7677, gestaiulcn war. fiel verdienterinalien die Aufgabe zu, 1.S.S7
aiiläUlich des tünfundzwanzigjährigen bestandcs den Festvortrag zu halten
und ein Jahr später t888 zw Eröffnung des I. deutsch-Österreichischen
Mittelschultages in Wien die Versammlung in einer Ansprache zu begrüßen.
Im Vert-'insjahre 1895 sprach er zum letzten Male in diesem Kreise, als er
seinem Freunde Schulrat Dr. Hermann Pick ergreifende Worte der Erinnerung
widmete und endlich der Gesellschaft für deutsche Frzichungs- und S( hul-
ge^ichichte und ihre österreichische Gruppe reilnahme und Förderung zu
wecken suchte.
Einzelne der angeführten Vereinsvortrftge wurden in der Zeitschrift für
österreichische Gymnasien abgedruckt, an der mitzuarbeiten ihn bereits Bonitz
aufgefordert hatte. Von selbständigen, in dieser Zeitschrift veröffentlichten
Aufsätzen möge erwähnt sein »Ober polyglotte Nüttelschulen vom didakti-
schen Standjtunkte , Das Deuts( In- ht i der ostcrrci( his( hen Maturitäts-
prüfung«, »Akzent und Quantität in der Iheorie der deutschen V'erskunst«,
»Zur Geschichte der Romanze und Ballade in der deutschen Literatur«, »Der
Nachmittagsunterricht in Deutschland«. Außerdem .lieferte E. von 1864 bis
1896 eine stattliche Reihe Anzeigen und Besprechungen von Büchern für
den deutschen Sprachunterricht, von Schriften zur deutschen Literatur, die
österreichische Dialektforschung inbegriffen, und von geographischen Kr-
schcinungen, insbesondere über die heimatlichen Berge und den (iroß-
glockner. E. war ein verläßlicher Kenner der Herrlichkeit unserer Alpen-
welt, die er mit edler Begeisterung zu schildern verstand. Das hat er
glftnzend bewiesen als Mitarbeiter des Kronprinzenwerkes »Die Österreichisch-
ungarische Monarchie in Wort utvl Bild«, für das er 1890 zum Bande
»Kärnten' die landschaftliche S( hilderung des Tauerngebietes, des Möll-,
Lieser- und Maltatales 1888 lieferte. Schlieüliih sei noch der Mitwirkung
K.s an der Zeitschrift für das Realschulwesen gedacht, die wiederholt Bei-
träge aus seiner Feder veröffentlichte.
Den Übergang zu den in Buchform erschienenen Schriften E.s mOgen
seine Gymnasialprogramme bilden und zwar: »Zur Ges( hichte des Vertrages
von Verdun (Olmütz 1855), »Abraham a Sancta Claras Redliche Red für die
kraineris( he Nation« (Laibach 1857), > Geschichte der Cllockncrfahrten (Wien,
akademisches Gymnasium 1861) und ebenda 1868 »Schiller in Marbach , eine
Arbeit, die er zum besten der Schillerdenkmale in Wien und in Marbach in
demselben Jahre auch in BroschOrenform erscheinen liefi. 1872 erschien seine
»Vorschule der Ästhetik«, 1874 begründete E. unter dem Titel »Volksbildung
und Schulwesen« eine Sammlung von Schriften, die gründlich und fach-
männisch Angelegenheiten der Bildung und der S< lüde l)ehandeln sollten in
einer auch für das gebildete Publikum berechneten Weise. E. eröffnete die^e
bei Holder in Wien erschienene Sammlung mit der kulturpolitischen Studie
»Industrie und Schule in Osterreich«, der er als drittes Heft in demselben
Jahre seinen weitausblickenden Aufsatz »Ein Österreichisches Schulmuseum«
folgen lieft. Im Jahre 1875 erschien »Zur (leschichte der österreichischen
Schulreform«, 1876 gab er Stelzhamers Liebesgürtel heraus, 1877 begründete
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158
Egger von MöUwald. Fdlner.
er Hölders historische Jiibliotliek für die Jugend, 1878 folgte die anläßlich
der Pariser Weltausstellung im Auftrage fies (»sterreichischen l' nterriciitsuiini-
Stenums verfaßte vübersichtliche Durstellung des österreichischen Volks- und
Mittelschulweücns 1867 — 1877«, 1893 bot er eine orientierende Übersicht über
die »Wanderversammlungen deutscher Philologen und Schulmftnner« and
1894 eine Ubereicht über »die Gesellschaft für deutsche Ersiehungs* und
Schulgeschichte«.
Seine Kenntnisse der alpinen dcbirgswelt machten ihn zu einem
geschätzten Heiträger usw. der Jahrbücher bezw. der Mitteilungen des öster-
reichischen Alpenvereines. Erwähnt werde sein Aufsatz »Goethe in den
Alpen« (Jahrbuch des Osterreichischen Alpenvereines 1866), dem ein Jahr
später die Studie »Schiller in den Alpen« folgte. Ein bleibendes Verdienst
E. S ist ilie fruchtbare Anregung zur Herausgabe einer Chronik durch den
Wiener Goethe-Verein, in deren Spalten er zur Förderung der Bestrebungen
dieses Vereines wiederholt sein maßgebendes Wort vernehmen ließ.
E. wirkte rege mit zur Errichtung des Schillerdenkmals in Wien und
im Wiener Goethe-Verein, zu dessen Gründern er sich mit Stolz zählte und
dessen Schriftführer er viele Jahre war.
Aufzug aus Karl Ziwsa: Alois Egger von Möllwald. Ein Lebensbild. Soadembdnidc
au^ dein Jahresbericht des Gymnasiums der k. k. Theresiuuschcn Akademie ISK>5< —
Wilhelm Scberer, Kleine Schriften. 1. 748—758.
Fellner, Thomas, Dr. phil,, k. k. Regierungsrat und Archivdircktor im
Ministerium des Innern, Privatdozent an der Universität Wien, * 17. April
1852 zu Schwanenstadt in Oberösterreich, f 32. April 1904 zu Wien. — Nach
Beendigung seiner akademischen Studien in Wien, Berlin und Bonn widmete
F. sich vorübergehend der Mittelschullaufbahn (1877 — 1879)» trat hernach in
den staatlic lu-n Arrhi\ dienst über (24. Februar 1878) und wurde am 20, Juni
1886 zum Direktor deb Ardiivs des k. k. Ministeriums des Inneni ernannt,
in welcher Stellung er, am 8. Februar 1901 mit Titel und Charakter eines
Regieningsrates ausgestattet, bis zu seinem Tode verblieb. Nebenher hat er
durch einige Jahre die Bibliothek des k. k. Unterrichtsministeriums verwaltet
und sich im Jahre 1880 als Privatdozent für alte Geschichte an der Wiener
Universität liabilitiert. Themen der alten (lesrhichte, vornehmlic h der Ge-
schichte lies j>erikleis(hen Zeitalters, galten auch seine früheren Arbeiten:
»Zur Chronologie und Pragmatik des llermokopidcnprozcsses.« (Wiener Studien
1879.) »Zur Geschichte der attischen Finanzverwaltung im fünften und vierten
Jahihundert.« (Sitz.-Ber. der phil.-hist. Kl. der Ak. d. Wiss. 95, 1879.) »For-
schung und Darstellungsweise des Thukydides, gezeigt an einer Kritik des
achten Ruches (Wien i88u). Zu Xenojihon^ Hellenika.<^ (Histor. Unter-
suchungen, Arnold Schäfer üfwiilinet. Bonn 1S82.) Dann brachte ihn seine
archivalische Tätigkeit den» Studium der österreichischen Verwaltungsgeschichte,
des österreichischen und ungarischen Staatsrechts näher und er vertiefte sich
darin so sehr, dafi er wohl als der grQndlichste Kenner dieser Materien
gelten konnte. Einige kleine, aber belangvolle Arbeiten sind im Zusammen-
hange mit diesen Studien erwachsen: Zur Geschichte der österreichischen
Zentralverwaltung« I. (1403—1848*. (Mitteilungen d. Instit. f. österr. Geschichts-
forschung. Vlil. 1887). Eine Rezension des Buches von Bidermann, Geschichte
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FeUner. von der Embde.
159
der österreichischen Gesamtstaatsidee, (ebenda XV. 1894), die den Wert einer
selbstän(li<;i'!i Abhandlung besitzt. »Über einen Widerspruch /wisclien dem
-Paitum muttiae succcssionh" von 1703 und der jiraf^inatischen Sanktion von
1713«. (Festgaben für Büdingen Innsbruck 1S9Ö.) Seine Haupttätigkeit ver-
einigte F. aber Jahre hindurch auf Sammlung von Material und vorbereitende
Studien zu einer zusammenfassenden« eingehenden Geschichte der Zentral-
ver\\'altun<^' von Österreich, deren erster Teil die Zeit bis zur Vereinigung
der böhmischen und österreichischen Hofkanzlci unter Maria Theresia 1749,
der zweite Teil die Zeit von 1749 — 1848 hätte umfassen soIRmi. Schon hatte
er (las Material zu jenem ersten Teile fast vollständig gesammelt oder
sammeln lassen und auch den größeren Teil der Darstellung vollendet, da
iällte den bis dahin kerngesunden Mann ein mit schrecklicher Plötzlichkeit
hereinbrechendes Nervenleiden.
F. war eine selten liebenswürdige Natur voll herzlicher Natürlichkeit
'üul allem gemachtem Wesen durchaus abhold; frisch und lebhaft in Auf-
ia.->sung und Rede; dabei voll bescheidenen I>erneifers bis in die letzten Tage.
Seiner Eigenart entsprach es mehr, sich rezeptiv als produktiv zu betätigen; seine
Belesenheit auf allen Gebieten der Geschidice und der damit verwandten,
namentlich juristischen und nationalökonomischen Disziplinen war erstaun-
lich. Seine an Pedanterie grenzenden Anforderungen an Verläßlichkeit und
flenauigkeit schriftlicher Darstellung ließen es ihn namentlich in zunehmenden
Lebensjahren schwer über sich bringen, selbst nur einen Aufsatz, geschweige
denn ein Buch aus der Hand zu geben. So hat er sich zum Schaden der
Wissenschaft nur wenig literarisch betätigt. Erst nach der Vollendung und
VerOflentlichung seines großangelegten Werkes von befreundeter Seite, die
für das Folgejahr zu erwarten steht, wird Thomas Fellners wissenschaftliche
Bedeutung recht gewürdigt werden können.
Dr. Heinrich Kretschmayr.
Embde, Ernestine Emilie Marie von der, Malerin, * 10. Dezember 181 6
zu Kassel, f 14. Mai 1904 daselbst — Sie war die Tochter des Kasseler
Malers August v. d. E., der ursprünglich nur Emden hieß, seit 1830 aber
seine Bilder mit dem volleren Namen v. d. E. bezeichnete. Ihre Mutter war
Charlotte Henschel, eine Schwester des Hildhauers Werner Henschel, der
besonders durch sein Fuldaer Bonifaciusdenkmal sich einen Namen gemacht
hat. Wie ihre ältere Schwester Karoline, die später den Juristeti KlauhoUl
heiratete und auch als Malerin hervorgetreten ist, wurde sie schon früh die
Schülerin ihres Vaters und später seine Gehülfin im Atelier. In ihrer Jugend
machte sie verschiedene Kunstreisen nach Dresden und München, kehrte dann
aber dauernd zu ihrem Vater zurück, dem sie bei seinen Arbeiten zuletzt
unentbehrlich war. So folgte sie als seine treue Mitarbeiterin, flie dem älter
werdenden Maler die mechanischen .\rijeiten mehr und melir abnaiiin, auch
ganz seinen künstlerischen Spuren. August v. d. E. war anfangs l'orträtmaier
gewesen (die Bilder mehrerer hessisdier Landgrafen in der Schloflkuppel zu
Wilhelmshohe sind z. B. von ihm gemalt), warf sich dann aber auf das Fach
des Genrebildes, in dem er Vortreffliches, besonders in seinen Szenen aus
dem oberhessischen Volksleben, geleistet hat. Auch seine Tochter Kmilie
widmete sich der Bildnismalerei, wobei ihr namentlich zahlreiche Kinder-
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i6o
von' der Embde. Sdidl. Sallmann.
porträts wohl gelangen. In ihren ('ienrel)il(lern bevorzugte sie gleichfalls
K indi-rszenen und l.äiulli»'lK" ('li;ir.iktci>tu(!icn ;uis der l'nigegend von Kassel.
Mit besonderer Vorliebe und gevvi.s.senhalteni Meilie wandte sie sich spater
der Blumenmalerei zu und hinterliefl als hauptsächliche Frucht dieser Tätig-
keit ein ungemein gewissenhaft ausgearbeitetes umfangreiches Album *der
hessischen Flora in Wasserfarl)en. Nach dem Tode ihres VateiB (iSiSa) lebte
sie mit zwei jüngeren, gleichfalls unverheirateten Schwestern zusammen, die
sie beide überlebte. In ihrt'in Heim sammelte sie die (ripsabgüsse der
Werke ihres Oheims Henst hei, der schon 1850 in Rom verstorben war, neben
sonstigen Kunstschätzen, die zum Teil nach ihrem Tode in den Besitz der
Murhardbibliothek der Stadt Kassel übergingen.
Strieder, llos>. Gelehitengesehichte 20, 94. — G»seler Tageblatt vom 19. Mai 1904.
— Hessenland 18, 174. Ph. Losch.
Schell, Wilhelm Joseph Kriedrich Nikolaus, Mathematiker, ( )ktober
1826 zu l'ulda, f 13. Februar 1904 zu Karlsruhe. — S. war der Sohn des
Domkapitularsyndikus Jakob S. in Fulda. Er besuchte das Gymnasium seiner
Vaterstadt bis Ostern 1846 und studierte darauf iii Marburg und Berlin Natur-
wisscnsc haften und Mathematik. 18s; i erwarb er sich zu Marburg die philo-
sophische Doktorwürde und habilitierte sich noch im selben Jahre in der
philosophischen Fakultät dieser l'niversität für Mathematik. 1856 zum aulJer-
ordentlichen Professor ernannt, nahm er 1861 einen Ruf an das Polytechnikum
zu Karlsruhe an, wo er als Pro/, ord. theoretische Mechanik und synthetische
Geometrie zu lehren hatte. Dieser Anstalt, die 1865 den Charakter und 1885
auch den Namen einer technischen Hochschule erhielt, ist er bis an sein
Lebensende treu geblieben. Für das Studienjahr 1871/72 wurde er zu ihrem
Direktor gewählt. Dauelsen war er seit 1868 außerordentliches Mitglied des
( Ii oülur/.ogl. Oberschulrats und zugleich seit dieser Zeit Bibliothekar der
Hochschule. 1872 erfolgte seine Ernennung zum Hofrat, 1880 zum Geheimen
Hofrat Im August 1901 wurde er auf sein Ansuchen unter Anerkennung
seiner vierzigjfthrigen ausgezeichneten Dienste in den Ruhestand versetzt,
blieb aber Mitglied der Abteilung für Mathematik und allgem. bildenden
Fächer der Techn. Hochschule. S.s Hauptschriften sind: »Allgemeine Theorie
der Kurven doppelter Krümmung in rein geoiiu'tri'^cher Darstellung. ■ Leipzig
1859. 2. Auflage 1898, und »Theorie der Bewegung und der Kräfte. Ein
Lehrbuch der theoretischen Mechanik.« Leipzig 1870. 2. Auflage in 2 ßdn.
1879. Daneben gab er eine Bearbeitung der Reiclugewerbeordnung (Düssel-
dorf 1883) heraus und veröffentlichte in Fachzeitschriften eine Rdhe von
Aufsätzen aus dem Gebiete der Mathematik und musikalischen Akustik.
Propr. (I. Tcchn. Horh-rhulc zu Karlsruhe 1904/05 S. 83. — PoggendorfT. Biogr.-
lit. Ilandwiirtcrb. 2, 785. 3, ilJSi. 4, 1319, Ph. Losch.
Sallmann, Carl Johami Erast Bernhard, Pfarrer, * 20. Januar 1837 zu
Kassel, f aS' 1^*^^ 1904 Kirchhain in Oberhessen. — S., dessen Vater
Pfarrer Emst S. eine angesehene Privatschule in Kassel leitete, studierte in
Marburg und Göttingen Theologie und Philologie und erhielt nach Bestehen
des theologischen Examens 1859 eine Stelle als Hilfspfarrcr an der lutherischen
Kirche zu Kassel. Zu gleicher Zeit fragte das Kuratorium der Esthländischen
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Sallmatin. Sctmcider.
Ritter- und Domschule zu Reval bei den tlieologischen Fakultäten zu Mar-
burg und Göttingen an, ob sie aus den letzten Jahrgängen der theologischen
K.aii(li(l;iten einen geeigneten Religionslehrer naniliaft ina( hen könnten. Von
bei<len Seiten wurde S. empfohlen und erhielt darauf unter günstigen Ik'din-
gungen die Stelle eines Oberlehrers an dem genannten Institute, die er im
tulgenden Jahre antrat. Mehr als 25 Jahre war er in dieser Stellung in der
Hauptstadt Esthlands tfttig, indem er zugleich eifrig für das schon damals
hart bedrohte Deutschtum der Ostseeprovinzen wirkte. Mit besonderer Liebe
w arf er sich auf das Studium der deutschen Spra( he in diesen Landen und
hat die Resultate seines Forschens in mehreren tieiüigen Arl)eiten über die
deutscb-esthnis( he Mundart niedergelegt. Seine d -exikalischen Heiträge
zur deutschen Mundart in tstldand , die er 1877 veröffentlichte, trugen ihm
die philosophische Doktorwürde der Universität Jena ein. Schon vorher hatte
er sich mit der Persönlichkeit seines hessischen Landsmannes Burkard Waldis
beschäftigt, der zu lUn Zeiten der Revolution nach den Ostseeprovinzen aus-
gewandert war und nach mancherlei Schicksalen zu Riga s[)äter wieder nach
Hessen zurückkehrte und dort evangelischer Pfarnr wurde. S. folgte den
Bahnen seines Landsmannes und Kollegen, über den er 1874 ein kleines
Schriftchen veröffentlichte, insofern, als auch er im Jahre 1886 seine Stellung
an der Revaler Ritterschule aufgab und in die Heimat zurückkehrte. Fünf
Jahre lebte er dann als Privatmann in seiner Heimatsstadt Kassel, bis er
im Jahre 1891 die lutherische Pfarrstelle zu Kirchhain bei Marburg übernahm,
die er noch 13 Jahre bis zu seinem Tode verwaltete. S, war ein fleißiger
Schriftsteller auf versi hiedenen (ichieten. Kr gab u. a. ein mehrfa« h aufgelegtes
Deutliches Lesebuch für höhere Lehranstalten« heraus, veroffentliclitc volks-
kundliche und literar-historische Arbeiten und mehrere theologische Schriften,
in denen er u. a. gegen Majunkes fragwürdige Entdeckung von »Luthers
angeblichem Selbstmord« und gegen die Jesuiten polemisierte.
Familiennnchrichten. Ik<senland 18, 183. — Kasseler Tageblatt vom 29. Juni 1904.
— Kürschners Literatur-Kalender. Ph. Losch.
Schneider, Heinridi Justtts Joseph, Geheimer Sanitätsrat, * 15. Februar
1843 zu Fulda, f 8. April 1904 daselbst. — S. entstammte einer alten ful-
dischen Ärztefamilic. Sein Großvater war der Hofchirurg Johann Matthias S.,
sein Vater der (leheime Medizinalrat Joseph S., der sich als Landphjsikus
durch die Einführung der MIatternimpfung im Bistum Fulda verdient gemacht
hat. Auch Justus S. widmete sich dem ärztlichen Berufe. Er studierte «in
Würzburg, München, Wien und Marburg und liefi sich dann in seiner Vater-
stadt Fulda als Arzt nieder. Später wurde er zum Kreisphysikus, dann 1886
zum Direktor des Landkrankenhauses zu Fulda ernannt, das unter seiner
Leitung bedeutend erweitert und in seinen Einrichtungen vervollkommnet
wurde. S. war ein selir gesuchter Arzt und trotz seiner (ler!)en, manchmal
>ügar schroffen Art den l'atienten gegenüber eine sehr beliebte und poi)ul:ire
Persönlichkeit. Eines besonderen Rufes erfreute er sich als tüchtiger Chirurg,
dessen Operationen ^t immer gelangen. Neben seiner ärztlichen Berufs-
tätigkeit, in der er 1894 den Titel Sanitätsrat und später den Geheimratstitel
erhielt, wirkte der vielseitige Mann auch noch auf verschiedenen anderen
Gebieten. Wie sein Vater, der als Herausgeber der Buchonia zu den besten
Bio^. Jahrlraeh u. Deutseher Nekrolog. 9. Bd. 1 1
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l62 Sdmeider. Vogt
Kennern der Fulder Geschichte gehört hatte, trieb er eifrig historische
Studien mit besonderer IViiic ksichtigung seines buchonischen Heimatlandes.
Von seinen gesdiiclitlii hct» Arbeiten sei der Avifsatz üIh i Die Ritterburgen
der Abtei I'ukia*' in der Zeitsrhrift des liessisrhen Gesehiclitsvereins Bd. 27
(1892) erwähnt, tler Landaus \\ erk über die iiessischen Ritterburgen ergänzt
Noch in anderer Beziehung trat S. in die Fufistapfen seines Vaters, den man
den »Rhönvater« genannt hatte, ein Ehrenname, der mit wohlverdientem Recht
auf den Sohn Qberging. Wie kein anderer sorgte und wirkte er für die
Durchforschung und Erschlirl'ung des einst so verschrieenen Rhöngebirges.
Wenn jetzt die wirtschaftliche i-afje des rlortigen armen Gebirgsvolkes beson-
ders durcii den alljülirUch sich steigcrntlen i-remdcincrkehr sich crhebhch
gebessert hat, so darf man S. getrost das Hauptverdienst an dieser Bewegung
zuschreiben. Im Jahre 1870 liegründete er zu Gersfeld den Rhönklub, der
aus kleinen Anfängen zu einem großen Verein erwuchs und dafUr gesoigt
Iiat, daß die früher vom Verkehr ganz abgeschlossene Rhön jetzt alljährlich
das /it l vieler Tausende von Reisenden und Pouristen geworden ist. Manche
Ursj)rüngH( hkeit und Einfachheit der Sitte und des Volkslebens, wie sie
W^. H. Riehl einst aus diesem Land der armen Leute so schön geschiltlert hat,
ist freilich dabei verloren gegangen, aber es läßt sich nicht leugnen, daü sich
die soziale Lage der Bevölkerung durch die neuere Entwicklung entschieden
gebessert hat. S. war 38 Jahre lang Präsident des Rhönklubs und arbeitete
dabei noch mit der Feder fleifiig für die Erschließung des Gebirges. Sein
treffHcher Rhf)nführer erschien zuerst 1877 und erlebte mehrere Auflagen.
Daneljcn beschrieb er einzebie Punkte genauer wie die Kurorte Kissingen,
Ciersfeld und Salzschlirf. Auch von seiner Vaterstadt Fulda gab er 1881
einen Führer heraus und widmete seiner geliebten Milseburg, »der Perle der
Rhön«, eine besondere kleine Schrift (1893). An ihrem Fufle gedenkt der
Rhönklub ein Denkmal zu Khren seines Begründers und langjährigen Vor-
sitzenden zu errichten. Die Persönlichkeit S.s wird aber auch ohne Denkmal
im Buchcnlande so bald nicht vergessen werden.
l'ngedruckte Autobiographie. — Nekrol. von H. Schoen in Hesscnland 18, 115.
Ph. Losch.
Vogt, Karl Johann Wilhelm Philipp Gideon, Gymnasialdirektor a. D.,
♦ 31. Dezember 1830 zu Kassel, f 30. A|)ril 1904 daselbst — V. war ein Sohn
des aus Kisenac Ii stammenclen kurhessisc hen Seminarinspektors August Wil-
helm Jakob V., der sich als Schuircfc rciit im Ministerium des Innern große
Verdienste um das he.ssische Volksschulwcsen erworben hat und 1863 als
Archivrat in Kassel gestorben ist. Gideon V. besuchte von 1840 — 1849 ^
Kasseler Gymnasium und studierte sodann in Marburg Philologie. Nadi
Hestehen seines Staatsexamens war er ein Jahr lang, von 1853 — 1854»
Praktikant am Kasseler (lymnasium beschäftigt und nahm dann eine Stelle
an der Institution Dor zu Vevey in der Sc hweiz an. Nach zwei Jahren kehrte
er in seine Vaterstadt zurück und wirkte an dem Kasseler Gymnasium als
beauftragter Lehrer bis zum Jahre 1858, wo er an das Gymnasium zu Elber-
feld berufen wurde. Inzwischen hatte er im Jahre 1857 durch die Dissertation
*Dt rebus Megarems^ usgue ad bella Pers,^^ sich die philosophische Dokto^
würde errungen. Seine hervorragende pftdagogiscfae Befähigung veranlaflte
Vogt
163
schon 1862 die Berufung des kaum 31jährigen zum Direktor des fürstlichen
Gjrmnaalanis in Korbach, eine Stellung, die er 1867 mit der gleidien am
Gymnasium zu Wetzlar vertauschte. Drei Jahre später wurde er als Nach-
folger von (leorg Mattliias zum GymnasiaUlirektor in Kussel ernannt und
kehrte somit an dieselbe Anstalt zurück, der er seine Ausbildung verdankte
und an der er seine Laufbahn als Schulmann hcf^onncn hatte. \'. l)esali in
hohem (jiade alle die Eigenschaften, die für seine Stellung als Leiter einer
altrenommierten Gelehrtenschule wie auch speziell für ihn als selbstunter-
richtenden Lehrer erforderlich waren. Das von Landgraf Friedrich II. von
Hessen 1779 als Lyceum Fridmciamm begründete Kasseler Gymnasium hatte
von jeher einen guten Ruf genossen namentlich seit seiner Reorganisation
im Jahre V. machte es sich zur Aufgabe, diesen Ruf aufs neue zu
gründen und zu befestigen, und das ist ihm in seiner fast ^^jahrigen Tätig-
keit als Leiter der Anstalt auch wohl gelungen. Er hatte eine besondere
Gabe, sich Autorität zu verschaffen, ohne dafi etwa seine Schfller vor Über^
triebener Strenge sich zu fürchten brauchten, und da er das Glück hatte,
ein mit wenigen Ausnahmen vortreffliches Lehrerkollegium zur Seite zu haben,
das ihn willig und gerne in seinem Streben unterstützte, so konnte er mit
der größten Befriedigung auf die Resultate seiner segensreichen Amtstätig-
keit blicken. Welch hohes Vertrauen in seine pädagogischen Fähigkeiten
und die Arbeit der von ihm geleiteten Schule gesetzt wurde, zeigt am deut-
lichsten der Umstand, dafi im Jahre 1874 der damalige Kronprinz von
Preußen seinen ältesten Sohn Wilhelm,- den jetzt regierenden deutschen
Kaiser, dem Lyceim Friderickmum in Kassel anvertraute. Vielleicht mag bei
dieser Wahl etwas die Absicht mitgesprochen haben, der annektierten Stadt
Ka.ssel einen Krsatz für den verbannten kurfürstlichen Hof dun h die prinz-
liche Hofhaltung zu gewähren — auch Prinz Heinrich von Preulien besuchte
damals eine Kasseler Schule — , ausschlaggebend war aber gewiß die Über-
zeugung, dafi der künftige Erbe der preußischen Krone in der von V. gelei-
teten Anstalt in besonders guten Händen und sein Bildungsgang Fachleuten
ersten Ranges anvertraut war. Vom Herbst 1874 bis zum Januar 1877 besuchte
der Prinz die Klassen Obersekunda bis Oberprima des Gymnasiums, und \^
hielt streng darauf, da(S er elieiiso wie die anderen Schüler beliamlelt wurde
und in der Schule nicht etwa um seines Standes willen aulierordentliche
Vergünstigungen genofi. V. selbst unterrichtete in den von dem Prinzen
besuchten Klassen im Lateinischen und Griechischen und las mit seinen
Schülern den Hora/, So|)hokles und griediische Lyriker. Als Prinz Wilhelm
im Januar 1877 das Abiturientenexamen bestanflen und am 23. Januar aus
der Schule entlassen wurde, der er 2 ' '2 Jahre angehört hatte, da fehlte es
nicht an Auszeichnungen für V. und das Lehrerkollegium, und die hohen
Eltern des Prinzen sprachen insbesondere dem Direktor ihre »dankbare An-
erkennung« aus für die »günstigen Ergebnisse, welche der Besuch des Kasseler
Gymnasiums für die geistige Entwicklung und Bildung ihres ältesten Sohnes
gehabt«. Es läßt sich denken, daß dieses Zeugnis wie überhaupt der Besuch
dieses hohen Scliülers den Ruf des Kasseler Gymnasiums für die Folgezeit
nicht wenig steigerten. Line ganze Reihe von Familien aus den fürstlichen
und hochadeligen Häusern Deutschlands folgten den» Beispiel des preußischen
Kronprinsenpaares und vertrauten ihre Söhne dem Lytmm FriderUiamm an.
II«
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164
\'ogt.
Abgesehen von dem Zuzug dieser fürstlichen Schüler (es seien u. a.* nur die
Prinzen von Wahleck, Sachsen-Weimar, Sohns, Hcssen-Philijipsthal-Barchfeld,
Stolberg, Wied, Schönburg genannt), steigerte sich der Besuch des Gym-
nasiums derartig, daß im Jahre 1886 ein Teil der Anstalt von ihr geirentu
und als ein neues »Wilhelmsgymnasium« begründet werden mußte. V. behielt
die Leitung der alten Stammschule, die seit der Spaltung den Namen
Frie<lri< hs;^ymn;\siiMn führte und von ihm in <lcr alten bewährten Wei^c
weiter geleitet wurde. So ehrenvoll das \'ertrauen so vieler hohen Kitern
;iu« h für den Direktor und seine Anstalt sein mußte, so sollte doch eine
Zeit kommen, in der gerade die Krinnerung an den Schulbesuch seines vor-
nehmsten Schülers zu einem kritischeti l'mschwung in der öffentlichen
Meinung weiter Kreise über das Kasseler (lymnasium führte. Im Dezember
iSo<> fand in Berlin die Konferenz zur Beratung einer Reform des höheren
Schulwesens statt. Kaiser Wilhelm II. eröffnete tlie Verhandlungen in eigtier
Person mit einer Rede, in der er dem humanistischen Gymnasium in seiner
jetzigen Form gewissermaßen den Krieg erklärte und zwar unter Berufung auf
seine eigenen, auf dem (lynmasium gemachten Erfahrungen. Die Einzelheiten
dieser Rede, verbunden mit aiuleren, damals bekannt werdenden scharfen
.Äußerungen <les Kaisers über seine (»ymnasialzeit, erregten großes Aufsehen
und führten zu einer wahren Hetze in der Presse gegen das Kasseler Gyin-
nasiuu) und seinen hochverdienteti Leiter. Ohne jegliche Kritik nahm man
ntni in weiten Kreisen an, daß an dem Kasseler Gymnasium wahrhaft
ungeheuerli< he Zustände herrschten oder wenigstens geherrscht haben mußten,
untl selbst die Kreise, die den kaiserlichen Reformideen gegenüber das alte
humanistische Gymnasium im allgemeinen verteidigten, benutzten daliei das
Kasseler Gymnasium als willkommenen Sündenbock, der zur Rettung der
anderen geopfert werden sollte. Man bedauerte schmerzlich, tlaß Se. Majestät
als Prinz Wilhelm <las Gymnasium in einem besonders scldechten Exemplar
kennen gelernt habe, «las sich von den altpreußischen Schulen auf das auf-
fallendste untersc hieden haben müsse. Ja man ging so weit, dem Direktor
Taktlosigkeit und pädagogische Pedanterie vorzuwerfen, weil er beim Eintritt
(les preußischen Prinzen die Forderung der ^unbedingt glei<'hmäßigen Be-
han<l]ung' gestellt und nachher dies Prinzip dem hohen Schüler gegenüber
bis zun) K\trem durchgeführt habe. Diese gewiß unbeabsichtigte Wirkung
der kaiserlirhen Rede hatte zur Folge, daß im weiteren Verlauf der Schul-
konferenz Geh. Rat Hinz|>eter, der ehemalige Erzieher des Kaisers, ein amt-
liches Telegrainin an den Direktor V. veranlaßte mit der feierlichen F>klärung,
»<laß das Kasseler Gymnasium an seinem kaiserlichen Zögling seine Schuldig-
keit voll getan und die in dasselbe gesetzten Erwartungen in hohem Maße
erfüllt habe« . Damit war aber die Tatsache nicht aus der Welt geschafft,
daß die von iler Offentlit hkeit maßlos angegriffenen Kasseler Lehrer und
insbesondere ihr Direktor schwer unter iliescn Angriffen leiden und mit Recht
eine Faschütterung ihrer Autorität und Disziplin befürchten mußten. Der am
meisten angegriffene Direktor V, war eine viel zu taktvolle und noble Natur,
um sich gegen diese Verunglimpfungen öffentlich zu verteidigen und tlamit
gewissermaßen auch gegen seinen ehemaligen hohen Schüler Stellung zu
nehmen, und er sorgte auch dafür, daß aus dem Kreise .seiner mit ihm
angegriffenen Mitarbeiter keiner das Wort zu einer öffentlichen Abwehr ergriff,
Vogt. Fellncr.
165
so erwüTisrht das vielleicht auch nianrliem gewesen wäre. So war es nur
ein ehemaliger Schüler der siebziger Jahre, der in einer anonyiiu-n S* hrift
«l);i.s Kasseler Gymnasium« (1891) eine Lanze für das alte Lyccttm Fndcr'uiatium
brach und mit warmen Worten seinen Direktor und seine Lehrer gegen die
unverdienten Angriffe in Schutz nahm. Seine Ausführungen durften um so
mehr Anspruch auf Gültigkeit machen, als sie von einem Vertreter der exakten
Wissenschaften herrührten, der die Vortrefflichkeit des realistischen Unter-
richts in dem humanistischen dymnasiutn dankbar anerkannte.
Die Wo^en der Aufregung glätteten sich bald wieder, aber ein Stachel
mochte doch in der Brust des in seinem eiirlichcn Streben zuletzt einseitig
verkannten Schulmannes surückgeblieben sein. Als im nächsten Jahre X891
Kaiser Wilhelm II. nach Kassel kam (kurz vorher hatte er sein lebensgrofles
VtWiX dem Gymnasium übersenden lassen), da sprach er sein Bedauern aus,
daß sein ehemallixcr Direktor aus GesuiKlheitsrüeksicluen einen längeren
l'rlaiib angetreten hatte und nicht anwesend war. Der Kaiser war auch in
tler Folgezeit bemüht, V. zu zeigen, daß seine frühere Kritik ohne jede
Spitze gegen seinen ehemaligen Lehrer geschehen sei. Er erteilte ihm mehr-
fache Auszeichnungen als Beweise seines Wohlwollens, gab ihm den Geheim-
ratstitel und zog ihn bei späteren Besuchen in Kassel öfters zur Tafel. V.
hatte aber inzwischen mehrntals seine Pensionierung beantragt und am i. A|)ril
189.^ nach fast 23 jähriger gesegneter Tätirrkeit sein Amt wirklich nieder-
gelegt. Noch elf Jahre lebte er im Ruhestand in seiner Vaterstadt, bis er
am 30. April 1904 daselbst verschied, betrauert von seinen Mitarbeitern und
zahlreichen Schülern, die seiner vornehmen, gerechten und edlen Persönlich-
keit in Dankbarkeit und Hochachtung gedenken.
Von seinen wissenschaftlichen Arbeiten sind zu nennen seine umfangreiche,
gediegene Monographie über »Das Leben und die pädauo^/isrlien Bestrebungen
des Wolfgang Ratichius«, die er in mehreren Programmen 1876 1SS2 heraus-
gab, auUerdem seine »Statistischen Rückblicke auf die Geschichte des
Kasseler Gymnasiums«, Kassel 1885, die als Festschrift zur 50jährigen Feier
der Reorganisation der Schule erschienen. Seine wertvolle pädagogische
Bibliothek wurde 1903 von Jacques Rosenthal in München erworben.'
Kasseler Gymn.-Programmc. — Hesscnland 7, 93.' 18, 126. — (Th. Hcs'coudres)
Dns Kasseler Gymnasiuni der siehzitrtr Jahre. Berlin 1891 S. 40 fr. KlaL-h. l'in I'.rinne-
rungäblatt m: Nordd. ^Mlgcm. Zeitung v. 15. Mai 1904. — Portr. in Wcltäpicgcl (^Ucil. z.
BcrL Tagebl.) 1904 Nr. 41, Ph. Losch.
Fellner, Stephan Karl, Schotten- Prior, * 15. Oktober 1848 zu Wien,
f I. April 1904 ebenda. — F.s Vater war ()l)erlehrer /.u Weinhaus (jetzt XVIll. He-
zirk Wiens). Die Gymnasialstudien machte der auf den Namen Karl getaufte
Knabe am Schotten-Gynmasium und trat nach Ndllendung derselben in tlas
Stift Schotten ein, wo er bei der Einkleidung am 21. September 1867 den
Namen Stephan erhielt
Am I. Oktober 187 1 legte F. Stephan die feierlichen GelQbdc ab und
am 21. Juli 1872 wurde er nach Vollendung der theologischen Studien an
der Wiener Universität zum Priester geweiht. Die Primiz feierte F. Stephan
am 4. August desselben Jalires in der Stiftskirche.
l56 FeUncT. Hofmeister.
Vom Herbste 1872 an widmete sich F. naturwissenschaftlichen Studien
an der Wiener Universitflt und legte 1877 die Gyninasiallehnuntsprüfung ab.
Im September dieses Jahres begann er am Schotten-Gymnasittm seine Tfttig-
keit als Professor für Naturgeschi( lue. Als solcher tat er besonders viel für
das naturhistorische Kabinett. Tiefgehend war der Eindruck, den Person
und Vortrag; dieses I.elirers auf die Schüler übten. Von 1900 — 1903 besuchte
seine Unterrichts^-tuiKltn in der (iffentlichen Schule Krzherzog Karl Franz
Joseph, i'rivat unterrichtete er in den realistischen Fächern die Mitglieder des
kaiserlichen Hauses: Maria Theresia, Franz Salvator, Carolina, Albrecht Sal-
vator, Maria Raineria, Maria Immaculata und Herzog Ulrich von Württemberg.
Seit 1887 war 1'. der Reihe nach Mitglied des Orts-, Bezirks-, Landes-
schulratcs. Doi li blieb er nur von 1887— 1S91 Mitfilied des (icmeinderatcs
der Stadt Wien und infi^ltre Scheidens aus demselben erlosch 1892 auch seine
Mitgliedschaft im Landesschulrat.
Zeugen des wissenschaftlichen Arbeitens F.s and: die Gymnasialpro-
gramme »Albertus Magnus als Botaniker«, 1881, und »Die geographische
Verbreitung der Pflanzen und Tiere«, 1885; die Abhandlungen in der Zeit-
.schrift für österreichische Gymnasien: »Der Homerische Bogen«, 1895 und
\ itiirgc-t hii htlii lie Bemcrkun^'cn zu Homers II. II. 305 ff. 1896. Als selb-
siaiulige W-rlai^'-scliriflen ersrliicnen : Konipemüutn der N.Uurwissen.schaften
an der Schule zu l uUla im 9. Jahrhundert , Berlin 1879, und j^Die Home-
rische Flora«, Wien 1897.
Am 18. Mai 1901 wurde P. Stephan zum Prior des Stiftes Schotten von
dem lu'ugewählten Abte Leopold Rost ernannt, behielt aber, um nicht ganz
von dem ihm lieben \'erki hr mit der studierenden Jugend zu s( beiden, noch
fünf Stunden (iymnasiahmterricht bei. Doch der irdische (ietalirte des so
.streb.sanien Geistes war ersc hü|>ft. Seit 17. September 1903 schwer leidend,
vertauschte P. Stephan am i. April 1904 das Zeitliche mit dem Ewigen. Auf
seinen und seiner Bräder besonderen Wunsch wurde der Leib im Grabe der
Eltern auf dem Zentralfriedhofe beigelegt.
Leben und Wirken des hoch würdigen Herrn P. Stephan wurden von der geist-
lichen und wiltlichen Obrigkeit gewürdit^t. Kardinal Gruscha zeichnete ihn
am 3. De/ember 190^ (kircii die Krnennung zum f. e. geistlichen Rat aus und
Se. Majestät ernannte ihn am 20. Oktober 1903 zum Kitter des Ordens der
Eisemen Krone III. Klasse. Einen Nachruf an den Seligen enthält der
Jahresbericht des Schotten-Gymnasiums 1904. S. 36 — 53.
C. Wolfsgruber.
Hofmeister, Gotthilf Christian Adolph, I. Bibliothekar der Großher-
Züglichen l'ni\ ersitätsbibliothek zu Rostock, * 21. September iS}S zu (lera.
f 29. Dezember 1904 zu Rostock. H. besuchte das Gymnasium seiner
Vaterstadt, das Rutheneum zu Schleiz, und seit Ostern 1867 das Kgl. Stifks-
gymnasium zu Zeitz, wo er unter dem 31. September 1871 das Reifezeugnis
erhielt Hierauf studierte H. st !i Semester in Halle, wo er auch aktiv war.
klassische und germanische riiiloloi^ie, war dann längere Zeit Hauslehrer in
«ier l'rovinz Posen, erhielt am 16. Dezember 1876 von der Rostocker philo-
sophischen Fakultät das Doktor<li|tlom und bestand am 12, Januar 1878 in
Halle die mündliche Prüfung /n; /acultate docendi. Nachdem er bereits
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Hofiaeister.
167
Michaelis 1876 als Volontär bei der Universitätsbibliothek in Halle ein-
getreten war. ging er Neujahr iSyH in f^Ieidier Kigcnschaft an che Rostot ker
Universitätsbibliothek. Hier wurde er am 20. Juni 1878 IL, am 18. April
1894 L Kustos und am 18. März 1896 I. Universitfttsbibliothekar. — H. hat
eine umfassende literarische Tätigkeit entfaltet. Seine Dissertation (1877)
behandelt ein Thema aus der klassischen Philologie: Ȇber Gebrauch und
Bedeutung des Iota demonstrafhum bei den attischen Rednern«. Auf dem-
selben Gebiet liegen: 'Zu Ciceros De natura dcorum III, 84 (Hermes, II)
und »Zur Handschriftenkunde des Sallustius« (Philologus, Jahrg. 39). Nach
seiner Übersiedelung nach Rostock aber zog ihn, den Thüringer, nieder-
deutsche Geschichte, Sprache und Literatur ganz besonders an. So bewegen
sich in der Folge seine Arbeiten durchaus in dieser Richtung. In den
früheren Jahren seiner Rostocker Tätigkeit stehen sie meist in Zusammenhang
mit seiner Hearheitung von Wiechmanns Mecklenburgs altniedersächsische
Literatur , ein Werk, das er neu herausgab und von dem einzelnes separat
erschienen ist, in späterer Zeit mit der Herausgabe der Rostocker Universi-
tftts^Matrikely von der er von 1889 — 1904 vier Bände hat erscheinen lassen,
welche den Zeitraum 1419 — 1798 umfaussen. An einer zusammenhängenden
Geschichte des Rostoeker Studentenlebens und der Universität Rostock in
größerem Maßstabe hat ihn der Tod gehindert. Immerhin aber verdanken
wir II. außer der erwähnten Matrikelherausgabe die Schriften: den Artikel
»Rostock« in Fick, Auf Deutschlands hohen Schulen, Berlin 1901; »Die Ge-
schichte und Entwicklung der Landesuniversität« in Festschrift der XXVL Ver-
sammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gewidmet
von der Stadt Rostock, Rostock 190z; »Die Groflherzoglich Mecklenburg-
Schwerinsche Universität Rostock« in: Das Unterrichtswesen im Deutschen
Reich. Aus Anlaß der Weltausstellung in St. Louis herausgegeben von
W. Lexis. Hand I: Die Universitäten. Herlin 1904. Ferner ist H. Heraus-
geber von »Ein Loszbuch aus der Karten gemacht«, Rostock 1890 und war
weiter betätigt an dem mehrbändigen Werk von Schlie, Die Kunst- und
Gesdiichtsdenkmäler des Groflherzogtums Mecklenburg -Schwerin. Seine
sonstigen zahlreichen wertvollen, auf Mecklenburg und Niederdeutschland
bezüglichen Arbeiten, deren Aufzählung im einzelnen zu umfangreich sein
würde, hat er in folgenden Zeitschriften veröffentlicht: Rostocker Zeitung,
Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische (leschichte und Altertumskunde,
Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock, Jahrbuch des Vereins für nieder-
deutsche Sprachforschung, Mecklenburgische Anzeigen, Korrespondenzblatt
des Vereins ffir niederdeutsche Sprachforschung, Hansische Geschichtsblätter,
Rostocker Anzeiger, Quartalsberichte des Vereins für mecklenburgische Ge-
schichte und Altertumskunde, Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Hol-
steinische Geschichte. Hier sind auch die gehaltvollen, meist in Zeitschriften
veröffentlichten Vorträge zu erwähnen, die H. in den Sitzungen des V ereins
ffir Rostocker Altertümer hielt, zu dessen Vorstand er seit 1893 gehörte.
Auch sonst war H. literarisch tätig: von 1883 — 1887 zeichnete er fflr die
literarische Rubrik der in Schwerin erscheinenden Mecklenburgischen Anzeigen
und veröffentlichte hier, wie schon erwähnt, zahlreiche größere und kleinere
Artikel, gab aber ferner fortlaufende Übersichten »zur mecklenburgischen
Literatur«, die er nach dem Eingehen der Zeitung in dem Rostocker Anzeiger
i68
Hofmeister. Rettich.
fortsetzte. Dort erschien sein letzter Beitrag gerade an seinem Todestage. I
Ferner lieferte er viele Jahre hindurch allein oder mit anderen zmammen 1
für die Jahresberichte der Geschichtswissenschaft die Referate über Schleswig- I
Holstein, Mecklenburg und Pommern sowie für die Jahresberichte für neuere
deutsche Literaturgeschichte den Abschnitt »Didaktik des 15. und 16. Jahr-
hunderts . Auch für snnstip^c Zeitschriften lieferte er noch Beiträge, so für '
die /eits( lirift für vergleichende Rechtswissenschaft, für die Sitzungsberichte
der Gesellschaft für Geschichte und Altertumbkunde der Ostseeprovinzen ,
Rußlands, für Tewes Numismatischen Anzeiger und für die Grenzboten.
Auch die Allgemeine Deutsche Biographie verdankt ihm eine Reihe von
Artikeln, wie er auch eine Reihe von Rezensionen geschrieben hat Auf dem
Gebiet der niederdeutschen und mecklcnburgisc hen Oese hichte und Literatur
galt er als Autorität, wovon zeiipt, daß eine Reihe von X'ercinen (die rügisch-
pommersche Abteilung der Gesellschaft für pommcrsche Geschichte und
Altertumskunde, die Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der
Ostseepiovinzen in Ruflland, die Gesellschaft fOr pommersche Geschichte
und Altertumskunde) ihn zum korrespondierenden Mitglicde gewählt haben,
während er anderen Vereinigungen (Verein für mecklenburgische Geschichte
und Altertumskunde, Verein für Rostocks Altertümer, Hansischer Geschichts-
verein, Verein für niederdeutsche Sj^rachforsi hung) als Mitglied bezw. \'or-
standsmitglied angehörte. — H. war aber nicht nur ein gründlicher Kenner
der von ihm kultivierten Gebiete, sondern auch ein hervorragender Bibliothekar, <
ausgestattet mit einer umfassenden Gelehrsamkeit, mit einem staunenswerten
Gredächtnis, mit einer nie versagenden Bereitwilligkeit, sein Wissen anderen
nutzbar zu machen. Mit tler Rostocker rniversitätsbibliothek war er aufs
engste verwachsen und widmete ihr bis kurz vor seinem Tode seine Arbeits-
kraft, obwohl schon längere Zeit von schwerer Krankheit heimgesucht, die
auch unerwartet rasch zum Tode führte. An allen bibliotliekarischen Fragen
nahm er lebhaften Anteil, und es war ihm immer eine besondere Freude,
den deutschen Bibliothekarversammlungen beiwohnen zu k<tain^. Bei dieser
Hingabe an seinen Beruf ist es eigentlich selbstverständlich, daß er auch an
Fachzeitschriften mitgearbeitet hat, an dem /entralblatt für Bibliothekwesen
uiul an Pctzholdts Neuem Anzeiger für Bibliotheken und Bibliothekswissen-
schaft. — Und ebenso hervorragend wie der Gelehrte und der Bibliothekar
war auch der Mensch, in dessen Herzen kein Falsch war: ein zftrtlicher Gatte
und Vater, ein treuer Freund, ein liebenswürdiger Kollege, ein wohlwcdleniier
Vorgesetzter. Leider wurden H.s Verdienste bei seinen Lebzeiten nicht ge-
bührend anerkannt, so daß eine an Freuden arme T^i^t nd, die allerdings durch
eine glücküclie Studentenzeit unterbrochen wurde, durch spätere berufliche
Erfolge nicht aufgewogen wurde.
Nach Mitteilungen des Sohnes Dr. phil. Adulf Ilufmcistcr in Steglitz. Nekrologe in:
Rostocker Anzeiger, 1904 Nr. 305; Zentralblatt Air BibUothekswcsen, Bd. 22, Heft s.
A. Vorberg.
Rettich, Karl Lorenz, Landschaftsmaler, * 10. Juni 1841 auf dem an
der Travemünder Bucht gelegenen Gute Kosenhagen in Mecklenburg-Schwerin,
f 12. September 1904 in Lübeck. — R. bezog, nachdem er die (ielehrten-
schule des Katharineums in Lübeck absolviert hatte, die Universität München,
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Rettich. Krug. NirscU.
169
um Jura zu studieren. Er gab das Studium aber sehr bald auf, wandte sich
ganz der Kunst zu und wurde einer der ersten S( lüiler des Landschaftsmalers
A. Lier. 1862 gin<f er nach Düsseldorf, wo er sich an A. Klamm imd
Th. Hagen anschloß. Von hier siedelie er 1867 nach Dresden über, dius er
1871 mit Weimar vertauschte. 1885 liefi er sich in Mfinchen und Anfang
der 90 er Jahre in LQbeck nieder. Inzwischen unternahm er vielfach Studien-
reisen, die ihn unter anderm nach Italien, sowie nach Schweden und Nor-
wegen führten. Seine besten Motive verdankt er jedoch den lieiinatlichon
buchengekrönten (iestadcn der Ostsee, zu denen es ihn immer wieder zog
und die ihn stets zu neuem Schaffen begeisterten. »Um ein guter Maler zu
sein, braucht es — nach Anselm Feuerbach — vier Dinge: ein weiches
Herz, ein feines Auge, eine leichte Hand und immer frisch gewaschene
Pinsel.« R. besafi diese Vierzahl in hohem Mafie, seine tief empfundenen
Bilder bezeugen es jedem, der sich in sie versenkt.
\ H. W. Singer, AUf^ciii. Künstler-Lexikon, Bd. 4, 46— 47. — Kr. v. Hocttichcr,
Male^^\•crkc des 19. Jahrhunderts, Bd. 2, Ö. 394 — 396. — Hamb. Corrcspontknt, Ab,-Ausg.
V. 13. Sept. 1904. Joh. Sass.
Krag, Arnold, Professor, Musiker und Komponist, * 16. Oktober 1849
als Sohn des Musiklehrers Dietrich Krug in Hamburg, f daselbst am
4. August IQ04. — K. genoß zuerst den l'nterricht seines Vaters, wurde
dann von Gurlitt weitergebildet und bezog 1868 das Konservatorium in
Leipzig. Im folgenden Jahre errang er das Stipendium der Frankfurter
Mozartstiftung und wurde Schüler von Karl Reinecke und Friedrich Kiel.
Nach glänzend bestandenem Abgangsexamen war er von 187a — 1877 als
Lehrer des Klavierspiels am Stenischen Konservatorium in Berlin tätig,
unternahm 1877 als Stipendiat der Meyerbeerstiftung eine Reise nach Italien
und Frankreicn und kehrte im folgenden Jahre in seine Vaterstadt Ifamburg
zurück, wo er sich nunmehr dauernd niederließ. Kr trat hier an die Spitze
eines Männergesangvereins, war seit 1885 I,ehrer am Hamburger Konservatorium
und dirigierte mehrere Jahre auch die Altonaer Singakademie. Die Pflege des
Mftnnergesangs liefi er sich besonders angelegen sein und erzielte mit seinen
Bestrebungen ausgezeichnete Erfolge. K.s Kompositionen haben grofien An-
klang gefunden. Seine Musik ist gesund, frei von aller Effekthascherei und
bei formaler V'oliendung in jeder Weise ansprechend und zum H erzeig
dringend. Außer einer Symphonie schrieb er unter anderem einen »Sym-
phonischen Prolog zu Othello« und »Romanische Tänze« für Orchester,
femer ein Violinkonzert sowie die Chorwerke »Sigurd«, »An die Hoffnung«,
»Der Sohn der Rose« und »Fingal«. Ein weiter Kreis von Schülern utid
Freunden wird dem all verehrten, liebenswürdigen KQnstler und Menschen
allzeit ein treues (ledenken bewahren.
Vgl. H.inib. C.orrespondent, Ab.-Ausg. v. 5. August 1904. — Neue Zcilsihrift f.
Musik, 1904, Jg. 71, S. 586. — Neue Musik-Zeitung (Stuttg.irt), Jg. 25, 1904, S. 469. —
H. Riemann, Musik-LexikoD, 6. Aull. 1905, S, 717. Joh. Sass.
Nirschl, Joseph, Domdekan von WQrzburg, * 24. Februar 1823 zu
Durchfurtli in Niederbayern, f 17. Januar 1004 zu Würzburg. — N. würfle
nach Vollendung seiner Studien 1851 in Passau zum Priester geweiht. Nach
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I70
NirschU
kurzer Wirksamkiit in der Seelsorge setzte er an Her Universität München
seine theologischen Studien Unt und wurde dascU)st 1S54 Dr. theol. Hierauf
wurde er Seminarprälckt und Religionsiehrer am (lymnasium in Passau,
1861 Professor der Kirchengeschichte und Patrologic am Lyzeum daselbs^
1879 ordentlicher Professor der Kirchengeschichte an der Universittt WOrs-
burg als Nachfolger Hergenröthers, 1892 Domdekan daselbst. — Die fleiftige
und verdienstvolle wissenschaftliche Tätigkeit N.s bewegt sich zum gröfiten
Teil auf patristischem Gebiete. Von seinen zahlreichen hierher gehörigen,
einzeln und in Zeitschriften erschienenen Arbeiten sind als die größeren zu
nennen: »Ursprung untl Wesen des Bösen nach der Lehre des heiligen
Augustinus. Eine philosophisch-theologische Abhandlung« (Regensburg 1854);
»Das Zeugnis des heiligen Ignatius von Antiochien fOr den Primat der
römischen Kirche (Katholik 1868, II, S. 153 — 173); Tlas Todesjahr des heiligen
Ignatius von .Antiochien und die drei orientalischen Feldzüge des Kaisers
Trajan. Kine chronologisch-historische, kritische Untersuchung- (Passau 1S60);
»Die Briefe des heiligen Ignatius von Antiochien und sein Martyrium. Aus
dem Urtext übersetzt« (Passau 1870); »Des heiligen Csrrillus, Erzbischofe von
Jerusalem und Kirchenvaters, Katechesen, nach dem Urtext übersetzt«
(Kempten 187 1); »Die Frage über das 25jährige Pontifikat Petri in Rom«
(Histor.-polit. Blätter, 72. Band 1873, S. 657 — 679, 745 — 760); »Das Zeugnis
des Irenaus für den Primat und die normgebende Lchrautorität der
römischen Kirche (Histor.-polit. Blätter, 73. Band 1874, S. 253 — 266,
333 — J'*^); »Der Hirt des Hermas. Eine historisch-kritische Untersuchung«
(Passau 1879); »Das Martyrium des Ignatius von Antiochien« (Histor.-polit.
Bl&tter, 84. Band 1879, S. 89 — 102, 193 — zo6, 656); »Die Theologie des
heiligen Ignatius, des Apostelschülers und Bischofs von Antiochien, aus
seinen Briefen dargestellt (Mainz 1S80; eine kürzere Darstellung hatte N.
früher als l'roj^rainin der Studienanstalt Passau für das Jahr 1867 68, Passau
1868, erscheinen lassen). Diesen Spezialuntersuchungen folgte das drei-
bändige Hauptwerk N.s: »Lehrbuch der Patrologie und Patristik« (Mainx
1881 — 1885; der Abschnitt über die armenische patristische Literatur in
Bd. III, S. 215 — 262 ist von P. Vetter verfaßt). Sodann neben kleineren
Arbeiten die größeren kirchengeschichtlichen Schriften: »Propädeutik der
Kirchcngcschichte für kirchenhistorische Seminare und zum Selbstunterrichte«
(Mainz 1888); Die Therapeuten (Mainz 1800; vorher im Katholik 1890, II);
»Die Universitätskirche in Würzburg« (1892). In einer Reihe von Arbeiten
aus seinem letzten Jahrzehnt beschäftigte sich N. sodann mit der StRiftoge
über das Grab der Gottesmutter, indem er mit Entschiedenheit g^[eil lB|iiwwi
und für Jerusalem eintrat: »Das Mariengrab in Kphesus< (Katholik l894|i]^S.:385
bis 407); Das .Mariengrab zu Jerusalem « (Katholik 1895, If, S. 154 — 179, 246 bis
262, 324—340); d)as Grab der heiligen Jungfrau Maria. Knie historisch-kritische
Studie^ (Mainz 1S96); »Panagia Capuli bei Kphesus« (Katholik 1897, II,
S. 309—324, 423—440, 528 — 553); zuletzt die größere Schrift: »Das Haus
und Grab der heiligen Jungfrau Maria. Neue Untersuchungen« (BIMK'i9do).
In nicht sehr glucklicher Weise greift N. mit der Arbeit: » DiMiy riB b ^
Areopagita. Eine Ehrenrettung (Katholik 1898, I, S. 267—278, 348—365,
432-~-45;2, 533 — 1;(;7; dazu Histor.-]>oIit. Blätter, 121. Bd. 1898, S. 820 — 824)
in die Pseudo-Dionysius-lrage ein, um vom Standpunkt der ^Hypothese
NincU. FHe8.
171
Hiplers, an dem er festhalten will, den Forschungen von Stiglrnayr und
Hugo Koch entgegen7Aitreten. Zu nennen ist endlich noch das aus seiner
früheren Tätigkeit als Religionslehrer hervorgegangene, für weitere Kreise be-
stimmte Werk; »Gedanken über Religion und religiöses Leben in freien Vor-
trägen« (Landshat 1862; 2. Auflage Wörzburg 1894).
Vgl. »Augsburger Postn^tnng« 1903, Nr. 49 v. i. MKn; 1904, Nr. is v. 20. J«n. —
»Litterar. Handweiaerc 1904, Nr. i, Sp. 39. F. Lauchert
Friefi, Gottfried Edmund, O. S. />., Professor und Stiftsbibliothckar in
Seitenstetten, Historiker, * i. Oktober 1836 zu Waidhofen an der Vbbs,
f 18. Januar 1904 im Stift Seitenstetten. — F. besuchte das G}rmnasiuin su
KremsmOnster, trat dann 1857 als Novize in das Benediktinerstift Seiten-
Stetten ein, legte nach Vollendung der Studien 1862 die feierlichen Ordens-
gelübde ab und empfing 1862 in St. Pölten die Priesterweihe. Hierauf war
er zunächst zwei Jahre als Supj)lent für Geschichte und Geographie am
Gymnasium zu Seitenstetten tätii,', begab sich <lann zu weiteren historisthen
Studien an die Universität Wien und wurde nach der Rückkehr in das Stift
1866 Professor der Geschichte und Geographie am Gymnasium, in welcher
Eigenschaft er bis zu seinem Tode wirkte. Seit 1873 war er zugleich Stifts-
bibliothekar, seit if;79 auch Stiftsarchivar. 1875 wurde er zum Konscr\'ator
der k. k. Zentralkomtnission für Kunst- und historische Denkmäler Nieder-
österreichs ernannt. 1879 Dr. phil. 1885 86 hielt er sich während eines
Jahres in Rom auf, wohin er zu archivalischen Arbeiten berufen wurde. —
Als Historiker hat sich F. durch zahlreiche wertvolle gelehrte Arbeiten um
die Ordensgeschichte wie um die österreichische Geschichte, besonders die
Landesgeschichte Niederösterreichs, große Verdienste erworben Außer vielen
kleineren Studien, die in Zeitschriften erschienen (die frühesten im Hippolytus
(St. Pölten], i86iff , dann vieles in den Blättern des Vereins für Landes-
kunde von Nieiierosterreich, 1 868 ff.) sind als größere Werke und Arbeiten
von allgemeinerem Interesse zu nennen: »Geschichte der Stadt Waidhofen an
der Ybbs von der Zeit ihres Entstehens bis 1820« (Jahrbuch des Vereins fQr
Landeskunde ^on NiederOsterreich, Jahrg. 1867); »Studien über das Wirken
der Benediktiner in Osterreich für Kultur, Wissenschaft und Kunst (5 Pro-
gramme des k. k. Obergymnasiums zu Seitenstetten, 186S — 1872); (list liichte
des einstigen Kollcgiat-Stifts Arriagger in Niederösterreich« (Archiv für öster-
reichische Geschichte, 46. Bd. 1871, S. 419 — 561; auch .separat, Wien 1871);
»Patarener, Begharden und Waldenser in Osterreich während des Mittel-
alters« (Osterreichische Vierteljahresschrift für katholische Theologie, 11. Jahrg.
1872, S. 209 — 272); »Die Herren von Ghuenring. Ein Beitrag zur Adels-
geschichte des Erzherzogtums (Vsterreich unter der Enns'.^ (Wien 1874);
'>P'ünf uncdierte Ehrenreden Peter Suchenwirts^ (Sitzungsberichte der philos.-
hist. Klasse der k. .Xkadeinie der Wissenschaften in Wien, 88. Bd. 1877,
S. 99 — 126; auch separat, Wien 1878); »^Geschichte des Benediktiner-Stiftes
Garsten in Oberösterreich« (Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner-
Orden, I. Jahrg. 1880, 3. Heft, S. 88— xo6; 3. Heft, S. 38—49; 4. Heft
S. 74 — 94; 2. Jahrg. 1881, I. Bd., S. 5 — i8, 235 — 252; II. l^d.. S 40 65,
2^1- 266; v jah^},^ 1S8:;. II. Bd., S. 6 — 26, 241 — 2.}S); »>nietrich, der Marschall
von Pilichdori« (Programm des k. k. Ubergymnasiums Seitenstetten 1881);
172
Fricß. Dctmer.
» Geschichte der österreichischen Minoritenprovinz« (Archiv für österreichische
Geschichte, 64. Bd. 1882; auch separat, Wien 1882); »Herzog Albrecht V.
von Osterreich und die Hussiten« (Programm von Seitenstetten 1883); »Die
ältesten TotenbQcher des Benediktiner-Stiftes Admont in Steiennark« (Archiv
für österreichische Geschichte, 66. Bd. 1885, S- 315 — 506; auch separat,
Wien 1885); Das Nekrologium des Hi-iudiktiner-Nonnenstiftes der heiliijen
Krentrudis auf dem Nonnberg /.u Salzburg (Archiv für österreichische (Ic-
schichte, 71. Bd. 1.S.S7, S. i — 2oq; auch separat, Wien 1887); ficscliichte des
eiiemaligen Nonnenklosters O. S. Ii. /.w liaunkuchen in Oberösterreich^
(Archiv für österreichische Geschichte, 83. Bd. 1895, S. 181 — 326; auch separat,
Wien 189s); »Der Aufstand der Bauern in Niederösterreich am Schlüsse des
XVI. Jahrhunderts« (Wien 1897; vorher in den Blättern des Vereins für
T andeskunde von Niederösterreich 1897). Kür Sebastian Brunners Benediktiner-
hu( h (Würzburg 1880), schrieb I\ den Abriß der Geschichte des Stifts Seiten-
stetten (S. 425 — 449), für das Werk: Scrlptorcs Ord'nüs S. Bcnräuti qui /jjyO ~
iS8o fucrunt in Imperio austriaca-hungarico (Wien 1881) als Einleitung eine
kurze Geschichte des Benediktinerordens in Österreich-Ungarn (p. V. — CXIX).
Vgl. Seripiore» O. S, B. fui ijso—iSSo fktmni in JmperU «mtär^-lmng, {VimMmat
18S1), ]i. 103 — 104. Aiit. Krdinjjcr, Bibliograpliic dc> KIcnis der Dirtzcsc St. Pr>hon,
2. .\iiH.i},;c iSt. r.iltcu iSS'jii, S. 83—85. — Studien und MiUeilungen aus dem Ik-iicdiktincr-
Ordcn, 25. Jahrg. 1904, S. 44of. F. Laudiert.
Dctmer, Heinrich Paul Alexander, Oberbibliothekar an der König-
lichen Universitäts«Bibliothek zu Münster i. W., Geschichtsforscher, * 21. Marz
1853 in Hamburg, f Januar 1004 in Münster. — D., der Sohn eines
(leisilichcn, besuchte zunächst eiiie höhere Hürjfersc hule und darauf von 1871 bis
1S74 die (lelehrtenschule des Jolianneums in Haniburjf. Kr studierte dann
(ieschichte in Göttingen und Leipzig, wo er mit seiner Dissertation "Otto II.
bis zum Tode seines Vaters am 7. Mai 973^ (Leipzig 1878) zum Dr. phil.
promovierte. Im Mai 1878 trat er als Volontär bei der Universitäts
Bibliothek in Jena ein und ging im Januar 1879 als Hilfaaibeiter an die
Universitäts-Bibliothek (damals Paulinische Bibliothek) in Münster, wo er am
I. Juli 18S6 zum Bibliothekar und am 21. Dezember iSqS zum Ober-
bil)li()tliekar ernannt wurde. 25 Jahre hindurch hat er der Bibliothek in
aufopfernder Treue und Hingebung gedient.
D.S historische Forschungen galten in erster Linie der Relormationszeit,
sein Spezialgebiet waren die Wiedertäufer^Unruhen in Münster, deren Ge-
schichte er durch ausgezeichnete Werke bedeutend gefördert hat. Hierher
gehört namentlich seine wertvolle Ausgabe von Hermann von Kerssenbrochs
Anahapt'isdc'i Fttrorii Monasti'rii/ni iru litam Watphaline mdropolim rrcrtcntis
histonm niirra/io < ( - Die Ges( hicht-qurlli ii des Bistums Münster, Bd. 5 — 6,
Münster 1899— 1900). Die vortrcnlichc umfangreiche Einleitung zu dieser
Ausgabe erschien auch besonders unter dem Titel »Hermann von Kerssen
brochs Leben und Schriften« (Münster i. W. 1900). Auf tiefer Durchdringung
des Stoffes beruhen femer die glänzend geschriebenen »Bilder aus den reli-
giösen und sozialen L'nriilun in Mün>tor während des 16. Jahrhunderts«
(i. Johann von Leiden, 2. Bernhard Kothinann, Münster it)()3 — 1004). Auch
eine kritische Neuausgabc der geschichtlichen Werke Hermann Hamelmanns
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Detmer. Je»seii.
173
hat I). in Angriff genommen. Dorli vermochte er nur das erste Heft des
ersten Handes /u verofti iitlit hen (Münster 1902). Kiii zweites Heft ist 1905
aus seinem Nachluli lierausgcgeben worden.
Vgl. D.S » y$fa€ am Sdüud seiner oben erwihntcn DUsertation. — Mttnsterischer An-
zeiger, 1904, Nr. <)l vom 27. Januiir. — Zeitschrift f. vatcrlsinci. Geschichte und Altertums-
kuiulc (Westfalens), i')')4, S. 254 f. — Jalirc-lici ii lit <K -> We-tliil. I'rnv in/inl-N'crcin*; f.
1903. 04, S. i84f. -— licihigc zur Allgcm. Zettung, Jg. 1904, .Nr. 23 v. 2y. Jamiar, .'->. 1S3.
Juh. Sass.
Jessen, Hans Otto, Direktor der i. Berliner Handwerkerschnle, * 26. De-
sember 1836 in Schleswig, f 28. März 1904 in Berlin. — J.s Vater, Peter
Willers Jessen, ein namhafter Psychiater (f 29. September 1875, vgl. AUgem.
Deutsche Hiogr., M. 13, S. 786 787), war von 1820 — 1845 erster Arzt an der
I.andes-Irrenanstalt zu Schleswig und begründete darauf die l'rivatlKÜanstalt
Hornheim bei Kiel, wo er gleichzeitig als aulierordentlicher l'rofessor an der
Universität wirkte. Der Sohn genoli im KIternliause das Glück einer frohen
Jugend. Bis zu seinem vierzehnten- Lebensjahre besuchte er eine Privatschule
und wurde dann von Privatlehrem weitergebildet, während der Vater selbst
ihm Unterricht in der Zoologie und Botanik erteilte. Lebhaftes Interesse für
Zeichnen, Mathematik und Naturwissenschaften ließ flen Kntschlufl in ihm reifen,
sich einem technischen Berufe zu widmen. Als i-'achstudium erwählte er den
Wege- und Wasserbau, trat, 17 Jahre alt, bei dem Landmesser Trcde in Schleswig
ein und war 1844 und 1845 bei den großen Eindeichungsarbeiten in Ditmar-
sehen beschäftigt Von 1845 — 1847 finden wir J. als Studenten der Mathematik
in Kiel, wohin inzwischen auch die I''.ltcin ü!)ergesiedelt waren. Nachdem
er die Lamhiiesserprüfung bestanden hatte, bezog er im Wintersemester
1847 48 zur weiteren Ausbildung die l^niversitat und Kunstakademie in
Berlin. Als er dann im Begriff stand, die erwui Lienen Kenntnisse praktisch
zu verwerten und eine Stellung als Ingenieurgehilfe beim Eisenbahnbau au
Qbemehmen, brach das Jahr 1848 herein, das auch J.s Leben in ganz andere
Bahnen lenkte und ihn auf Umwegen seinem eigentlichen Berufe zuführte.
Begeistert scharte sich Schleswig-Holsteins Jugend um die Fahnen. J. schloß
sich zunächst einem Freikor]>s an, ging aber sehr baltl als Freiwilliger zur
Artillerie, wurde 1849 zum ()thzier befordert und war darauf längere Zeit
Adjutant des Majors Lieberl bei der Festungs-Artillerie in Rendsburg. Hier
unterrichtete er mehrfach junge Offiziers- Aspiranten in den mathematischen
Fächern, und bei dieser Gelegenheit kam ihm seine ausgesprochene Neigung
zum Lehrberuf zum erstenmal klar zum Bewußtsein. Im weiteren Verlaufe
des Kampfes machte J. die unglückliche Schlacht bei Ulstedt mit und erhielt
dann im Februar 185 1 den erbetenen Abschiecl. Auch die folgenden Jahre
brachten ihn seinem Ziele nicht näher. Zunächst galt es der Familie eines
Verwandten, der eine Dampfmühle besaß und von den Dänen des Landes
verwiesen war, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Hilfsbereit übernahm
J. bis zur Gewinnung einer anderen Kraft die Leitung des Unternehmens.
Eine Verkettung von Umständen, besonders der Tod des Verwandten, zwang
ihn jedoch, drei Jahre in dieser unljcfriedigenden Stellung auszuharren. Dann
erst machte er sich Tiach Zciteti schwerer :\rhcit und Sorge auf den Rat
seines Vaters von den übernommenen Verpflichtungen frei, um sich nunmehr
174
Jessen.
inil aller Energie dem erwählten Lebensberut, der Lehrtätigkeit auf tech-
nischem Gebiete, zuzuwenden. Damit beschritt er den Weg, auf dem er als
geistvoller Pfadfinder Großes leisten und zum Organisator des gesamten
deutschen technischen und gewerblichen Fortbildungsschulwesens werden sollte.
J. hatte längst erkannt, daß i-^ au S( hnlcn fehlte, die an«,'chcn<lcn Poly-
tc(hnikern die Möglichkeit einer gründlnhcn wissenschaftlichen und zeich-
nerischen Vorbildung gewährten. Kr beschloli daher in seiner Heimat eine
derartige polytechnische Vorbereitungs-Anstalt ins Leben zu rufen. Mit
größter Gewissenhaftigkeit und Strenge gegen sich selbst begann er die Vor*
bereitungen, die ihn nicht weniger als 2*/t Jahre in Anspruch nahmen. Er
suchte den Rat ausgezeichneter und bewährter Fachleute, namentlich trat er
in Beziehung zu dem Mathematiker Lübsen und dem Maler Heimerdinger
in Ibunhurg, deren I.ebrniethodLn er von (irund aus studierte. Ferner unter-
nahm er eine neunmonatliche Studienrei.se durch Deutschland und die Schweiz.
Zurückgekehrt liefi er sich im Oktober 1856 dauernd in Altona nieder, das
ihm besonders auch wegen der Nähe Hamburgs als der geeignetste Platz
für die beabsichtigte Cn üiuhmg erschien. Welches Vertrauen er bereits genoß,
erhellt aus der Tats.K hc, dali die Direktion der Altonacr Sonntagsschule ihm
sofort den Unterricht in «ler .Mathematik und im Freihandzeichnen übertrug,
während die Gewerbeschule der Patrioti.schen Gesellschaft in Hamburg ihn
gleichzeitig an Lübsens Stelle auf dessen eigenen Rat hin als Lehrer der
Mathematik und Mechanik berief. Inzwischen wurden die Vorbereitungen
für die eigene Schule eifrigst gefördert, und im Mai 1857 konnte J. seine
polytechnische Vorbildungsanstalt in .Altona eröffnen. Reicher Erfolg lohnte
binnen kurzem alle aufgewantlte Mühe. Die Zahl der Schvder wuchs von
Jahr zu Jahr, namentlich aus llamburu stellten sich allmählich so viele ein,
dali d;uj Institut 1860 dorthin verlegt wurde.
In Hamburg entstanden in den folgenden Jahren verschiedene Pläne zur
weiteren Ausgestaltung des Gewerbeschulwesens. Die Patriotische Gesellschaft
nahm die Angelegenheit in die Hand, bald traten auch Senat und Bürger-
schaft der Frage näher. J. war bei den Vorbereitungen in hervorr:\gender
Weise beteiligt, unternahm Informationsreisen und stellte seine ganze Kraft
in den Dienst der Sache. Am 5. Oktober 1864 beschloli der hamburgische
Staat die Errichtung einer allgemeinen Gewerbeschule sowie einer Schule für
Bauhandwerker, und am 13. Februar 1865 wurde J. zum Direktor beider
Schulen erwählt. Am 7. Mai 1865 wurde die Gewerbeschule mit 190 Schülern
eröffnet, nach fünf Jahren zählte sie bereits 1000, im Wintersemester 1879/80
über 2000 Schüler. Diesen glänzenden Erfolg verdankte die Anstalt in
erster Linie ihrem genialen Direktor, der »unermüdet das Nützliche, Reihte
schuf». Seine allumfassende J'üchtigkeit, seine strenge Ausbddung der
Unterrichtsmetfioden sowie die Art und Weise, wie er sie den praktischen
Bedürfnissen anzupassen verstand, die mit sicherem Blick getroffene Auswahl
geeigneter Lehrkräfte, vor allem aber der tief sittliche, urgesunde Geist, der
von der Persöidichkeit des Leiters ausgehend die Schule in allen ihren
(diedern mit IcIkth li<^er Kraft durchdraiig, dies alles bewirkte, daß die Saat,
die J. gesät, so tausendfältige Frut:ht trug. Die allergrölite Sorgfalt ver-
wandte er von jeher auf den Zeichenunterricht, und die von ihm aus*
gearbeitete Methode hat vielfach als Muster und Vorbild gedient. Auch
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Jessen.
1/5
auflerhalb seines dgentlichen Bernfes wirkte er, wo er konnte, im Dienst
seiner S:i( hc. Lebhafte Teilnahme brachte er der Bewegung entgegen, die
sich die l-'örderung weihh'cher Erwerhstätigkeit zum Ziel setzte, und die im
Mai 1867 in Hamburg errichtete (Gewerbeschule für Mädchen verdankt ihre
Entstehung hauptsächlich seiner Initiative. Auch zahlreichen gemeinnützigen
Vereinen, wie dem »Gewerbeverein«, dem »Bildungsverein für Arbeiter«
lieh er seine bewährte Kraft und leistete ihnen unschätzbare Dienste. Ham-
burg war mit Recht stolz auf diesen hervorragenden Mann und hat ihn sehr
nn^^em hergegeben, als im Jahre 1880 der ehrenvolle Ruf an ihn erging, als
Direktor der in Berlin zu gründenden Handwerkerschule dorthin über-
zusieileln. Auch J. wurde das Scheiden von Hamburg nicht leicht, die Aus-
sicht aber, sein Lebenswerk in einem noch größeren Wirkungskreise unter
den denkbar günstigsten Verhältnissen weiterzuführen und seinen Ideen in
einem Zentrum deutscher Bildung weiteste Geltung zu verschaffen, bestimmte
ihn schließlich, dem Ruf nach Berlin zu folgen. Der Anfang war nicht
leicht, doch mit jugendfrischem Mut überwand J. alle Schwierigkeiten, und
im Oktober 1880 konnte die nach seinen (Jrundsätzcn eingerichtete Anstalt
mit 268 Schülern eröffnet werden. Auch hier blieb der Krfolg nicht aus,
rasch blühte die junge Schule em()or, von allen Seiten strömten die Lernen-
den ihr zu, bald wuchs ihre 2!ahl auf mehr als aooo und nahm auch dann
noch zu, als im Jahre 1893 eine zweite Handwerkerschule für den Südosten
Berlins ins Leben gerufen wurde. Mit unvergleichlicher Klastizität und nie
versagender Treue bewältigte J. die stets sich mehrende .Arbeitslast, von früh
bis spät der erste und letzte am Platz. Nebenher erledigte er noch die
gleichfalls im Jahre 18S0 im Auftrage des Kultusministeriums übernommene
Inspektion des Zeichenunterrichts in den preuflischen Gewerbeschulen.
Aufierdienstlich konnte er sich nach wie vor trotz seiner vorgerückten
Lebensjahre in fürsorgi ndi r l ätigkeit nie genug tun. Es mag nur an seine
Verdienste um den X'erband deutscher Gcwcrbeschulmänner erinnert werden,
dessen (iründung von ihm ausging, in dem er lange Jahre den X'orsitz führte,
und der ihn dann später zu semem Ehrenvorsitzenden ernannte. Auch sonst
hat es J. an mancherlei Auszeichnungen nicht gefehlt. 1899 erhielt er vom
König von Preufien die »Medaille für Verdienst um die Gewerbe in Gold«.
Welches Mafi von Liebe und Verehrung er überall genofi, bewies besonders
die Feier s( inr^ 70. Geburtstages am 26. Dezember 1896, die sich zu einer
begeisterten Huldigung gestaltete. Und fürwahr, wer, der diesen Mann
kannte, sei es, dali er als Si Inder zu seinen Füllen gesessen, daß er als
Lehrer mit ihm gearbeitet, oder daß er sonst in den Kreis seines Lebens
getreten, wer hätte ihm nicht Liebe und Verehrung entgegenbringen sollen!
»Einfach und schlicht im Denken und Fühlen, ein echter Sohn seiner
nordischen Heimat, übte er durch die ruhige Klarheit und die ernste Be>
stimmtheit seines Wesens, gepaart mit einem Wohlwollen, das ihm aus den
Augen abzulesen war, eine grolie Anziehungskraft auf jüngere und ältcic
Menschen aus, und die Macht, die daim von seinem Wort und von der iinn
innewohnenden Energie ausging, war so stark, daß nicht viele sich ihr ent-
ziehen konnten. Er betrat mit seiner Arbeit ein wenig bebautes Gebiet.
Wie er seine Aufgabe auffaßte, hatte er keine Vorgänger, mußte sich
selbst die Wege schaffen. Seine eigenartige Entwicklung kam ihm dabei
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176
Jessen. Wattericb.
besonders glücklich zustatten. Nor ein Mann, der aus einer so treffitdi ge-
bildeten Familie kam und in seinem Wissen und Können so über der Sache
stand» der ohne Voreingenommenheit und ohne Selbstsucht nur der Sache
dienen wollte, konnte auf tlem neuen Gebiete solche Erfolge haben. Sein
Wollen und Volll)ringen war durch und durrh von sittlirlieii 'l'riebkraften
be\ve<it. Er lebte der l lier/euj^ung, dali unter den Mitteln der Erziehung
keines höher stehe als die Arbeit, und dali der Erfolg dem Erzieher nicht
fehlen könne, der es verstehe, seiner Jugend die Liebe zur Arbeit an sich
und die Freude an ihr einzuflößen. Der talentvolle, kenntnisreiche, an-
spru< hslose unfi reinsittlichc Mann predigte so lange er lebte, das hohe Lied
der Arbeit, der Arbeit für den Beruf, der Arbeit für andere, der Arbeit an
sich selbst.« ((II in/er.)
Ein gütiges Gesehick hat J. davor bewalirt, schwindender Kräfte halber
der Arbeit, die sein Leben war, entsagen zu müssen. Ein sanfter, rascher
Tod nahm ihn mitten aus seiner Tätigkeit hinweg. Die Ideale aber, die
das Ziel seines Strebens waren und die er in lebendige, festgegründete
Wirklichkeiten umgesetzt hat, sie wirken fort und fort, ein Segen für Tausende.
\ IC. (ilinzer, I.clicnshild von Otto Jessen. (15S., Scp.-Abdr. aus der »Zeitschrift
f. gewerblichen Unterricht«, Jg. 19, Nr. 9); 3. Aufl. (33 S. mit 2 Bildnissen aus J.s 54. u.
70. Lebensjahre) Leipzig 1904. — O. Fache, Handbuch des deotschen Poitbildungsschul-
\VL--cns. Teil i. Wittenberg 1S96, S. 1—20 (»Direktor Otto Jessen« mit Bildn.). — »Monats-
hefte für }jra|>hi-rlu's Kunstjiewerbe«, Jg. 2. IU04, S. ^6 (Nckrolojr v. W. GeiOIerK -
»Pädagogische Zeitung«, Jg. 33, 1904, S. 279. — »Der MecliiUiikei«, Jg. 5, 1897, S. 5/6
(L. Levy, O. J.). — O. VV. Beyer, Deutsche Scbulwelt des 19. Jahrh. Leipsisf und Wien
1903, S. 131/132 (Bildn.). — Alberti. Schriftstellerlextkon, 1866— 1882, i, S. 334/335.
Joh. Sass.
Watterich, Johann Baptist Matthias, katholischer Theologe und Historiker,
* 21. Dezember 1826 zu Trier, f 10. Januar 1904 im Kloster Beuron. —
W. besuchte das Gymnasium zu Trier und machte am Seminar daselbst die
philosophischen und theologischen Studien, bis 1848. Ini Oktober 1849
wurde er in Trier zum Priester geweiht, nachdem er inzwisc hen 1.S4S <iic
l'ni\ er.sität lioiin bezogen hatte, wo er noch hieben Jahre /uei>.l jihiio-
suphische, dann besonders historische Studien betrieb. Während dieser Zeit
promovierte er 1853 in Münster zum 2>. pAi/. 1855 wurde er zum aufier-
ordendichen Professor der Geschichte am Lyeam Uosiamm in Braunsbeig
ernannt, wo er Ostern 1856 seine Vorlesungen begann. 1857 — 1858 weilte
er, zu Studienzwecken auf ein Jaiir beurlaubt, in Rom, mit der Vorbereitung
der Herausgabe der l itav Pont'ificum beschäftigt. 1863 legte er als Onlinarius
seine Trofessur nieder und war von da bis 1870 Pfarrer zu Andernach am
Rhein, 1S70— 187 1 Bibliothekar an der Paulinischen Bibliothek zu Münster i. W.
1873 wurde er Feldgeistlicher in Diedenhofen, dann Divisionspfaurrer in
Straßburg. Seit den Jahren seines Bonner Aufenthalts mit dem nachmaligen
altkatholischen Bischof Reinkens und dessen Kreise intim befreundet, schloß
er sich im l-rühjahr 1874 dem Altkatholizismus an; 1875 wurde er altkatholischer
Pfarrer in Hasel, 1879 — 1887 war er als solciier in Baden-Haden tätig, worauf
er das Amt niederlegte und seitdem dort privatisierte. Anfang 1902 kehrte
er im Kloster Beuron zur katholischen Kirche zurück, wurde April 1902
unter die Oblaten des Benediktinerordens aufgenommen und verbrachte
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Wattcrich. Kux.
1/7
daselbst nach einem vielbewegten T.eben seine letzten Lebenstage in
stillem Frieden, — W.s wertvollste wissenschaftlirlie Leistimg ist das Quellen-
werk : ^ rontificum Romattontm i]ui fucntnt huie ah exanitc sacculo fX usque
od ßnem saecult XIII Vitae ab aequalibus consrripiac, tjuas e\ Atrhhu Pont'tpcii,
Bibliotlu'iae Vat'icanae aliarumquc codicihus adiectis suis cuique et annalibus et
Jocn/ncntis ^t^nvionbus ed, J. M. ll'atfcric/i« (Htl. I und II, Leipzig 1862, von
Johannes VIIL bis Cölestin III., 872 — 1198, gehend; tler noch fehlende
3. Band ist nicht erschienen). Die übrigen Schriften aus seiner katholischen
Zeit waren vorzugsweise der deutschen (ieschichte gewidmet: »/><• 7'etcriim
Gt'rrnanorum nobUitata (Diss., Münster 1853); »Die Gründung des deutschen
Ordensstaates in Preußen« (Habilitationsschrift, Leipzig 1857); Lucae
Ii 'atzclrode Episcopi ll'armicnsis in Nicolaum Copeniicum meritis<t (Antrittsrede,
Königsberg 1856); »Gottfried von Straßburg, ein Sänger der Gottesminne«
(Leipzig 1858); »Nikolaus Koppernik ein Deutscher« (Zeitschrift für die Ge-
schichts- und Altertumskunde Ermlands, i. Bd., 2. Heft, 1859); »Bonizos
Schrift ad atniaim<^ (im Braunsberger Index leetionum 1862); »Der deutsche
Name Germanen untl die ethnographische Frage vom linken Rheinufer.
Eine historische Untersuchung« (Paderborn 1870); »Die Germanen des Rheins,
ihr Kampf mit Rom und der Bundesgedanke. (Die Sigambern und die An-
fänge der Franken)« (Leipzig 1872). Aus seiner altkatholischen Periotle sind
als wichtigere Arbeiten zu nennen: »Die Khe, populärwissenschaftlich
dargestellt von einem katholischen Theologen« (anonym, Nördlingen 1874);
2. Auflage unter seinem Namen mit dem Titel: »Die F^he, ihr l^rsprung, ihr
Wesen und ihre Weihe, nach Gottes Wort und 'I'at dargestellt« (1876); »Das
Neue Testament, aus dem Griechischen übersetzt« (Baden-Baden 1887); »Die
Psalmen, aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt und erläutert« (Baden-
liaden 1890); »Das Passah des neuen Bundes. Line theologische Be-
trachtung« (Badcn-Baticn 1889); >Dcr Konsekrationsmoment im heiligen
v\bendmahl und seine Geschichte« (Heidelberg 1896); »Die Gegenwart des
Herrn im heiligen Abendmahl. Line biblisch-e.xegetische Untersuchung«
(Heidelberg 1900).
Vgl. C. Welte, Prof. J. B. W.ittcrich: »Katholik« 1904, I, S. 161 — 175. — »Literarischer
Handweiser« 1904, Nr. 1, Sp. 38 f. — J. Bender, »Geschichte der philos, u. thcol. Studien
in Knnl.ind« (Braunsberg 1S68), S. 174. — E. Raßmann, »Nachrichten von dem Leben
und den Schriften MUnsterlandischer Schriftsteller«, Neue Kitige (Münster 1S81), S. 236.
F. Lauch er t.
Fux, Josef, Maler, * 1S42 zu Steinhof in Niederösterreich, f 30. März 1904
in Wien. — An der Wiener .Akademie studierte F. seit 1856 unter Rüben,
F-ngerth, Mayer und Wurzinger, seine eigentlichen künstlerischen Vorbilder
waren aber die Werke von Makart und Matejko; seine Vorliebe für Kostüm-
pracht und Farbenglanz im Verein mit einer Begabung für das Dekorative
ließen ihn als hervorragende Kraft auf dem Gebiete der Theaterausstattung
erscheinen, wo er auch in der Tat seine schönsten Erfolge feiern sollte.
Anfangs machte er sich durch inehrerc Genrebilder bekannt, z. B. »Tauben-
ipfer«, »Savoyarde mit .\ffen«, Hofkonzert bei Kai.ser Leopold«, sowie auch
durch einige lebensvolle Porträts. Sein Talent für Kostümarrangements kam
glänzend zur Geltung, als ihn Makart mit einem Teile iler .\rbeit an dem
;f. Jahrhiirli ii. Doiilii-het XckrulM-.:. i,. iiil.
13
178
Fux. Aflmiis.
Fesuug zur silbernen Hochzeit des österreichischen Kaiserpaares (1879)
traute. Eine Gruppe aus dem Zuge, den Jagdzug mit den Grafen Wilczek
ttnd Breuner als Führer, malte F. als grofien Fries in Aquarell, der sich im
Besitze des Kaisers befindet Seine Haupttitigkeit begann, als er von Dingel-
stedt zum Leiter des Ausstattungswesens am Burgtheater gewählt wurde.
Gestützt auf sorgfältiges Studium der Architektur und Kostümgeschichte,
führte sein dekoratives Geschick eine künstlerische Renaissance auf dem
Gebiete der Dekorationen und Kostüme herbei. Das Bedeutendste schuf er
in den Entwürfen zu den Königsdramen Shakespeares. Allgemein bekannt
ist der Hauptvorhang des Burgtheaters, den er mit Hilfe seines Schülen
Leopold Burger ausführte, eine allegorische Darstellung mit Frau Wolter als
tragischer und Krau Schratt als heiterer Muse. Auch für die Reorganisation
der Porträtgalerie des Burgtheaters war F. tätig und malte drei Porträts für
dieselbe: Bernhard Baumeister als Richter von Zalamea, Ernst Hartmann als
Prinz in »Emilia Galotti« und Ka/1 Meixner als Schneider Vansen in >Eg-
mont«. In der Galerie in Wien befindet sich von ihm ein KostOmportrSt
als Rokokoszene, »Dame am Schloßteich«, im kunsthistorischen Museum ein
Aquarell »Zur Jagd«, das er für das Kronprinz Rudolf-Album malte. In
den letzten Jahren war er infolge eines schweren Gehimleidens nicht mdbr
künstlerisch tätig.
Hevesi, Osterreichische Kunst im 19. Jahrhundert. 1903. — Kunstchronik XV. —
Kunst fttr Alle XOC — Boetticher, Malcnrerke des 19. Jabriittiiderts. 189$ — 1901. —
Eisenbeig, Dms geistige Wien. 1893. — Neue Freie Presse. 31. Min 1904.
Afimus, Robert, Architektur- und Landschaftsmaler, * 25. Dezember 1837
zu Stuhm (VVestpreußen), f 30. Mai 1904 zu Dießen (Ammersee). — A. lernte als
Knabe die weit geddmten, stillen Heiden und einsamen Föhrenwaldungen
Polens kennen, welche (ebenso wie früher die böhmischen Wilder auf Moritx
von Schwind) bei einem längeren Ferienaufenthalte einen unvergeßlichen
Eiiulruck übten und in beiden die Vorliebe für Stimmungsbilder ä la Adalbert
Stifter begründeten. Zu Thorn besuchte A. das Gymnasium, dabei erteilte
ihm der Stillebenmaler F. W. Völcker (Sohn des Blumenmalcrs (). W. Völcker)
Unterricht im Zeichnen und Malen, welches A. alsbald auf eigene Faust
draufien im Fischerdotle, am Waldsee oder am Mflhlteich weiter betrieb.
Als in kurzem Zwischenräume die Eltern starben, galt es eine Brotlaufbahn
einzuschlagen; so erlernte er nicht ohne Widerstreben den Buchhandel, arbeitete
jedoch in seinen Freistunden, brach sich an Schlaf ab, um in stillen Nächten
Calamesche Blätter zu ko[)ieren und flic Mittel zu erwerben, um sich 1S5Q in
Berlin, insbesondere in den kostbaren Galerien von Ravene und des Konsul
Wagner, künstlerisch zu fördern. Noch in demselben Jahre besuchte A.
Halberstadt, durchwanderte die Felsen- und Waldtftler des Harzes, safl in
den Bildersammlungen des Dr. Lucanus und Freiherrn von Spiegel, wobei
K. F. Lessings Landschaften ihn ganz gefangen nahmen. Endlich übersiedelte er
zum Studium der Architektur nach Prag, wo er 1862 zugleich die journalistische
Tätigkeit begann. In Bild und Wort gleich mächtig, legte er die Resultate
seiner artistischen Streiizüge in von erklärenden Texten begleiteten Holz-
schntttseichnungen in der »Gartenlaube«, in der »Illustrierten Zeitung«, nn
Hugo Schmerber.
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Aßmuä.
179
»Daheim« und l>ald in anderen Zeitschriften nieder — überall ein gern ge-
sehener und ständiger Mitarbeiter. Ober Dresden, wo ihn insbesondere
Ruysdael fesselte, übersiedelte A. nach Leipzig (1863), dann nach Stuttgart,
von wo aus seine Exkursionen an den Bodcnsec, in die Alpen und nach Nord-
italien gingen: rberali fand der sinnige Künstler reichlichen Stoff für seine
Mappen und stilgerechten Schilderungen. Durchweg Autodidakt, hatte A.
anfänglich in seinen Ölbildern mit einer gewissen Härte zu kämpfen, die
jedoch bald, insbesondere bei den feingestimmten Aquarellen, einer klaren,
harmonischen Färbung wich. FQr die »Gartenlaube« lieferte A. eine
Partie aus dem alten Jvidcnfriedhof in Prag (1862), das sagenumsponnene
Schloß Lichtenstein (1.S64), die Tamin:\-Schlucht (1866), eine Außen- und
Innen-Ansicht dt-s nturestaurierten rinier Münsters (1868), die Neue Schvn-
straiie in Graubünden (1869); im »Daheini' viele zierliche Croquis aus der
Rofltn^pe und Teufelsbrficke des Harzes (1866), aus der berflhmten »Bau-
mannshöhle« (1867), aus dem Halberstädter Dom und Marktplatz (1869), von
Rigi-Kulm (1869). Erwünschten Raum zu größeren, auch doppelspaltigen
Blättern bot ihm die "Illustrierte Zeitung« in Leipzig, darunter die Neue
Markthalle in Stuttgart (1864) die Kleinseite und fler Hradschin zu Prag
(1866) , die neue evangelische Kirche /u Stuttgart (i866), auch zeichnete er,
eine wahre xylographische Musterleistung, »Die Strandpartie an der Küste von
Helgoland« nach dem damals sensationellen Effektbilde Christian Morgensterns
(1867) , den Dom und Kreuzgang zu Konstanz (1868), abermals, und zwar nach
seinem eigenen ölbilde, die Partie am Regenstein im Harz (i868), und die
'»Gemmi-Passage im Kanton Wallis «, eine Partie aus der Stuttgarter Solitude
(1869) und nach K. Hildebrandts Aquarell eine malerische »Straße in Kairo<
(1869) usw. Und alle diese Leistungen bei höchster Wahrheit mit einer ge-
winnenden, an Riefstahls freien Vortrag erinnernden Delikatesse, welche den
Namen des Künsders unvergefilich machte und was er berührte, zum Kunst-
werke erhob. Im Jahre 1870 begab sich A. im Auftrag des Verlegers
J. J. Weber auf den Kriegsschauplatz, von wo aus er Bilder und Berichte
für die Leipziger illustrierte Zeitung« veröffentlichte. Wahrend des Krieges
reifte bei A. die Idee, die alten Reichslande Elsaß-Lothringen mit ihren
Ruinen, Burgen, Schlössern, Städten und Tälern in einem Prachtwerk dar-
zustellen, das bei Paul Neff in Stuttgart 2871 lieferungsweise erschien, aus-
gestattet mit 45 ganzseitigen Blättern in Tondruck und 166 Illustrationen,
wozu Karl Stieler den beschreibenden Text lieferte. Drei Jahre lang hatte
A. sein dazu benötigtes Material auf seinen Studien gesammelt. Seit 1871 in
München seßhaft, bereiste A. in der Folge die Karpathen, den S( Invarzwald,
die Vogesen, Uberitalien, die Schweiz, Tirol und Süddeutschland, die ganze
Nord- und Ostseekflste (1881) usw., überall köstliche Stoffe für Bilder und
Holzschnitt-Zeichnungen einheimsend, welche letztere der ebenso mit Stift
wie Feder gewandte Künstler mit gleich anziehenden Reise-Eindrücken und
Erinnerungen versah. Seine Aquarelle und ()lbi]der hatten Glück uml fanrlen
stete und freundliche Aufnahme in Norddeutschland, England und Amerika.
Schon 1873 machte er sich durch ein »Karpathendorf« ira Münchener Kunst-
▼erdn bekannt, darauf folgte das »Innoe der Kathedrale zu Metz« und eine
»Christmesse im Strafiburger Münster« (audi in Nr. 1642 der »Illustr. Ztg.«
vom 19. Dezember 1874, S. 493), gleichzeitig erschien »Der Tanzsaal im Salz-
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i8o
ABmus. Bauemfeind.
bcrpwerk Wielie/.kn« (auch im »Daheim^ 1874, S. 317), eine Partie im kirl.
Hirschpark Soiitudc bei Stuttgart'-; (auch in den Meisterwerken der Holz-
schneidekunst« IV. Bd., 12. Lief., Xr. 77); sieben Bilder von der »Über-
schwemmung im Tiroler Tauferertal« (Nr. 1838 »Illustr. Ztg.« 21. September
1878, S. 216 u. 317), gleich darauf (Nr. 1841 ebendas. 12. Oktober 1878) eine
»Innenansicht des neurestaurierten Münchener Hof- und National-Theaters«,
des Xeptun-Saal in der Internationalen Kunstausstellung« (mit dor Statue
des jetzt im Bassin des Hotaiiischcn Gartens zu München silzenden, seine
Zinkengabel schwingoiukn Wassergottes von dem leider schon i.Squ ver-
storbenen Paul Sayer, vgl. Nr. 1895 »Illustr. Ztg. 25. Oktober 1879 S. 338),
»Bilder aus dem Schwarzwald« (»Deutscher Hausschatz« i88f, S. 472 u. 473)
und die »Ruiiu- des Klosters Allerheiligen im Schwarzwald > (ebendas. 1881,
S. 261). Inzwischen hatte A. einen .Abstecher nach Mitau, Riga und
Reval gemacht und reiche Ausbeute für die (Gartenlaube heimgebracht.
Der Ruhm von Josef Victor von Schetteis »Trompeter« führte ihn nach
Säkkingen, welches ihm Stoff zu zwei allerliebsten Ölbildern lieferte: den
»Abschied« (»Zur guten Stunde« i. Heft 1890 und Nr. 2586 »Illustr. Ztg.«
21. Jan. 1893) und die mit besagter Dichtung freilich nicht zusammenhängende
»Einkehr am Krug zum grünen Kranze« (1891 ebendas.). Auch aus dem
Münchencr Leben brachte er viele Szenen, von der neuen Isart.dbahn, den
(ieländen des St:irnl)ergersecs. von der Dnnrm, dem Salzhurgerlande (1894),
vom Schaf berg und den neuenldeckien > Welterlochhöhlen« »Für -\lie
Welt« 3. Heft), von dem auch durch Scheffel in dessen »Bergpsalmen« be>
sungenen St. Wolfgang usw. Das nimmermüde, stets neue Schätze hebende
Wanderleben endete unerwartet am .\mmersee. — Eivc iiberriischende
Menge von ganz vollendeten Handzeichnungen wurde, zugleich mit Robert
Beyschlags Nachlaii, durch Karl Maurer im November 1904 versteigert.
Vgl. Nagler-Mcyer 1.S78, II, 354. Fr. v. Hutticher 1895, l, 42. i>inger 1S95,
(8 Zeilen). »Das geistige Deotschkuid« 1898, S. 17. H. A. L. Degener »Wer ist's?«
Leiprig 1905, S. 17 (wo der KUnsder als noch lebend aafgeüBhit ist).
Hyac. Holland.
Baucmfeind, Gustav, Arclntektur- und Historienmaler, * 4. September
1848 als tler Sohn eines Ai)Othekers zu Sulz (am Neckar), f 24. Dezember
1904 in Jerusalem. — Ii. kam dreijährig mit .seinen Eltern nach Stuttgart,
erhielt eine gründliche Bildung daselbst in den Schulen, insbesondere am
Polytechnikum, wo er er sich der Architektur widmete und mit Abschlufi
des Staatsexamens in Praxis trat. Frühzeitig zeichnend nach dem Vorbilde
seines T.andsmanncs (',. Schönleber, brat lue B. von einer Schwcizerrcise eine
stattliche Keilic \(ni Aufnahmen und Studien mit, wehdie er teilweise zu
Bildern und Holzs< hnittzeichnungcn verwendete, die bald zur weiteren ver-
« dienten Geltung gelangten und später noch fleißig in illustrierten Zeitschriften
reproduziert wurden. Darunter eine mittelalterliche »Ritterburg« (in »Deutscher
Hausschatz« 1880, V'I, 24); Hof des Rathauses in Basel« (ebendas. VI, 473);
das »S[)alentor und der Holbein-Brunncn in Basel« (ebendas. VI, 469); ein
»Städtebild im XV. Jahrhundert« (nachmals im ^> Kränzchen i8qo, S. iSq) -~
die man geradezu als architektonische Novellen bezeichnen konnte. \ on
weiteren, in immer grölieren Radien unternommenen Ausflügen und Studien-
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Bauemfcind.
i8i
reisen, insl)esondere nach Italien, die früheren Denkmale der Baukunst mit
dem heutigen Volksleben in ihrer vereinenden Wechselwirkung in gluck-
lichster Weise scharf beobachtend, gestaltete er diese Eindrücke als gründ-
licher Zeichner und virtuoser Kolorist zu neuen, höchst anziehenden Bildern.
Herrliche Beiträge lieferte H. zu dem von den besten Zeitgenossen, darunter
E. Kirchner, Passini, Riefstahl, Kaulbach und vielen anderen reich
illustrierten Prachtwerke Italien von tlen Alpen bis zum Ätna - (mit Sc hilde-
rungen von Karl Stieler, C. Paulus und W. Kaden (Stuttgart 1876 bei
J. £ngelhom, mit Holzschnitten von A. Clofi). Noch schneller errang B.
die verdiente Popularität durch die überraschend durchgeführten Ölbilder,
welche namentlich mittels seiner bei L. von Loefiftz in München erhaltenen
technischen Schulung und Anregung seinen Namen begründeten. Wirklich
epocheuKu liend wirkte die Darstellung der »Piazza d' Krbe in N'erona v (1S79),
staffiert mit dem dort wogenden Volksleben, welches auch Adolf Menzel zu
einem Bilde erwShlte. Der unersdiöpfliche Stoff gestattete ja auch die
weiteste Konkurrenz. Wärmer noch und womöglich anmutender wirict bei B.
diese berückende S3rmphonie des alle unsere Sinne gefangen nehmenden,
pochend vorüberrauschenden Menschentreibens: Man glaubt das tolle,
schnatternde Gewirr aller möglichen Stimmen, das betäubende Geknäufe und
la<-luMi(li- Siherzo tlieser \Veii)er unrl Mädchen, Händler und Verkäufer, die
iiumtten der aufgestappelten Küchenschätze unter einem Meer von riesigen,
zeltartigen Sonnenschirmen sitzen, nicht allein zu hören, sondern auch die
ganze morgenfrische Atmosphäre des Obst- und Blumenduftes einzuatmen.
Und darüber diese hochragende, architektonische Umrahmung der alten
Häuser unrl stolzen Paläste, vom italienischen Himmel überblaut: Eine un-
vergeüliche I.eistung! — In der auserlesenen Sammlung von Lichtdrucken
nach »Handzeichnungen deutscher Meister« (Stuttgart ii>78) erschien neben
Meyerheim, Vautier und Werner ebenbürtig unser B., welcher sich immer
tiefer in Italien akklimatisierte: Welch lauschiges Winkelwerk hatte er in
Venedig entdeckt! Und mit welcher Verve von Stift und Farbe wufite er
. diese Fundstücke aus Florenz, der Certosa di Pavia wiederzugeben. Auch
auf das Kleinste «Irückte er den Stempel seiner originellen Sprache. So
wählte er als Titelblatt für die neue Auflage von Franz von Rebers »Ruinen
Roms« (Leipzig 1879) die restaurierte Ansicht des Forums in der Kaiserzeit.
Mit einem Olbilde der »Kathedrale von Palermo« (später in Nr. 27 »Über
Land und Meer« 1889, Bd. 62, S. 580) nahm B. längeren Abschied von
Italien. Die Sehnsucht nach dem Orient trieb ihn 1880 — 82 zu einer Reise
nach \gy|)ten, Palästina und Syrien, welche er 1888 wiederholte und auch
auf Damaskus mit einem sc<hsnion;itlichen Aufenthalte ausdehnte. Neue
überraschende Proben seiner weitergereiften Kunst erschienen im Münchener
Kunstverein. B. begann sein neues Programm mit einer »Straflenansidht aus
Kairo« (z88i): Das tiefe, flimmernde, sprichwörtliche Blau des südlichen
Himmels, das blendende Licht auf den grellwcißen Mauerflächen der Häuser,
die dunklen, blauschwarzen Schlagschatten, die jeder Gegenstand wirft mit-
samt der schreienden Farbigkeit der Staffage ist köstlich, mit exakter
Sicherheit und genialer Leichtigkeit wiedergegeben. Schon iStJa folgte die
»Tempelruine in Baalbeck« (welche in der Neuen Pinakothek eine würdige,
bleibäide Aufnahme fand), eine elegisch erschütternde Rhapsodie aus der
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l82
Baiterafemd.
Wcltgesrhirhte : Die wie für die Ewigkeit gebaute Säulcnkolonnade ist nur
noch teilweise mit den Kapitalen bekrönt; einer dieser Riesenmonolithe hat
sich (ein ähnliches Motiv bietet sich ja auch in Kamak) dienstmOde an die
Mauer gelehnt, die wie der geborstene Giebel Über Nacht stflrsen kann;
ein ungestalter Trümmcrhanf umlagert die Sockel und heiligen Stufen; im
fernen Hintergrunde ist eine weißblendende inoslemitische Stadt an einem
kahlen Hergzug gelagert. ySic franst/ gIoria!<^ In solch lapidaren Welt-
rätseln spricht die Weltgeschichte! Darauf erwarb die Pinakothek fünfzehn
ausgeiuhrie Aquarelle aus Jerusalem j die gestürzte Königin des »heiligen
Landes« fesselte damals schon das Herz des Malers. Seit Ulrich Halb-
reiter (vgl. AUg. Deut. Biogr. X, 403) hatte sich kein Künstler mit diesem
Lande be&lfit, welches neben seiner überwältigenden historischen Ver-
gangenheit eine soh he l iille malerischer Ausbeute bietet. B. zeichnete
und malte das Stralienlabynnth, fiie l^auwcrke des Tempelplatzcs (Nr. 4
»»Cber Land und Meer« 1891, lid. 65, S. 572), den mit Steingeröll umgebenen
Teich Betfaesda, die Golgatha-Kapelle, die in frühere Bäder eingenisteten
Kafeebuden — alles mit den merkwürdigsten Staffagen und charakteristischen
Gestalten bevölkert Eine Anxahl solcher Typen, Figuren und Trachten
lieferte B. später in sorgfältigster Ausführung für England — eine bisher
völlig unbekannt gebliebene Kollektion. Dann folgten Ansichten und Details
aus der grolien Mosc hee in Damaskus * (Nr. 35 » Über Land und Meer« 1894,
Bd. 72, S. 717) mit der von Kaiser Arkadius 395 — 408 erbauten, seit dieser (aus
dem Jahre 1889 stammenden) Aufnahme 1892 gänslich abgebrannten Basilika,
enge Brunnen, Tore und andere unser lebhaftes Interesse beanspruchende
Bauüberreste und sinnberückende » Straßenszenen aus Damaskus« (Nr. 29
»t^ber 1-and und Meer« 1896 Bd. 76 und Nr. 26 Tllustr. Wclt-< 1897, S. 620);
ein »Markt in Jaffa ; und die »pjnschiffung türkis( lier Tru|)})en im dortigen
Hafen, mit abschiedklagenden Soldatenweibern und jammernden Kmdern im
Vordergrunde. Dann kamen Ansichten der neuen Schwaben-Kolonien, wobei
die Landschaft an der Bahnlinie Jafo-Jerusalem, die Hauptstraße in Haifs
ui\d Rephaim, die Ankunft der ersten Lokomotive in der hdligen Stadt
(Nr. 23 »Gartenlaube < 1898, S. 379 — 385 mit begleitendem Text von Schmidt-
Weißenfels) immer neue Stoffe boten. Ist ja doch durch die jüngsten An-
siedelungen der wutkeren Schwaben in Jaffa und Tiberias, durch Kai>cr
Wilhelms Besuch im alten Zion und durch neuere Reisende aller Art erhöhtes
Augenmerk auf dieses Land gerichtet, wo sogar beturbante Bahnwärter
und nimmermüde Lastträger und Dolmetscher mit den breiten, langgoogenen
Vokalen und dem unnachahmlichen Verschlucken der arabischen Endsilben
ihre acht alemanisch-suevische Abstammung beweisen. — Nachdem B. im
Jahre 1888 einen neuen sechsmonatigen Abstecher nach Damaskus und das
in seinen grandiosen Ruinen staunenswerte Palmyra unternommen hatte,
lieft er sich im folgenden Jahre in München nieder, baute adnen eigenen
Herd und ging, von treuen Freunden und in erster Reihe durch Fra& M
Loeffts mit Rat und Tat unterstützt, an die Ausarbeitung seiner massenhaft
eingeheimsten Studien, unterstützt durch eine Menge von Kostümen, Waffen,
kulturhistorischen Geräten und photographischen Behülfen. Ein volles De-
zennium hielt er wacker aus, schuf mit ausdauerndem Fleiße, seine Schätze
und Ausbeute verwertend, entzückende Bilder, bis ihn die Sehnsucht nadt
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Baucmfeind.
185
dem gelobten I-anrle neuerdings packte und er mit Frau und Kind nach
Jerusalem übersiedelte, wo er, nicht nur seiiuMi cleutschen Landsleuten ein
treuer Handweiser und Berater, sondern ein unermüdlicher Sammler, Zeichner
und Maler, an der unerschöpflichen Quelle seiner Kunst sitsend, das Abend-
fand mit seinen artistischen Schätze bereicherte und erfreute. Viele Zeit
verwendete B. auf ein vom ülberge aus aufgenommenes, im Frühmorgen-
licht prangendes großes Ölbild von Jerusalem mit den schweren Romer-
türnien und Toren, mit den kuppelbekrönten Moscheen, ragenden schlanken
Minarets und dem flachgedachten Häusermeer (im Format von 2,0x1,25).
Als Gegenstück diente eine vom Johanniterhospiz über die Dächer der Alt-
stadt gehende Ansicht. Insbesondere aber reiste ihn die Landschaft am
Toten Meer, welches er gerne an den Ost- und Westgeländen durchstreifte;
die mit von mumienhaften Anachoretcn behausten Höhlen-Klausen am Bacbe
Krit (Wadi Kelt); das einsame Jcriclu); die- Jordanufer mit Heduinenlagern usw.
Dann unternahm B. iSqo wieder einen vierzigtägi^en Ausflug nach Haalberk,
um den Jupitertempel vor dessen Ausgrabung, im gräulichen Schutt und Zerfall
auf der Leinwand festsuhalten, die die rettende Hand der Archäologie ihre
pietätvollen Forschungen inszenierte. Die Stoffe und dankbarsten Motive
häuften sich, es genügte ihm die ersten Eindrücke festzuhalten und die
Ausführung spätem Gelegenheit zu überlassen. Man könnte sie »Seelen zu
künftigen Gedichten« nennen. In meisterlicher Durchbildung vollendet wurde
nur mehr in ungewöhnlichem Format (2,5oXi>5o) die »Klage an den Tempel-
mauem«, ein mit Alexandre Bidas Darstellung um die Palme ringendes,
farbenprächtiges, stimmungsreiches Ölgemälde (bezeichnet 1904), welches als
neue Zierde in Heinemanns Kunstsalon zu München gerade ausgepackt wurde,
als der Maler am freudenreichen Vorabend des Christtages, nach längerem
Leiden einer Herzlähmung erlag. — Diese mit Lord Byrons »Hebräischen
Melodien" verwandte Klage« war das Schwaneniied des Malers: Lasset uns
beten und weinen um alle uns vorausgegangenen Altväter und Propheten,
die Zeugen unseres Glanbens; in litaneienhaften Responsorien antworten die
trauernden Männer und Frauen: »Wo findet Israel ein Bad für seinen
wunden Fufif
Wilde Taub' hat ihr Nest, Fuchs seine Schluft,
Mensch seine Heimat Israel nur die (iruft.
La.s.set uns beten, weinen und klagen, um alle unsere Vorväter, die nicht
mehr sind.«
Wie vielversprechend war das Programm seines künftigen Schaffens.
Aber eMedia in vita* wurde er dahingerafft, gleich Theodor Horschelt
(A. D. B. XIII, 160) und Wilhelm Riefstahl (A. D. B. XXVIII, 839), alles
geistverwandte Naturen, welche in Farbe und Zeichnung gleich prägnant ihre
Erlebnisse zum scharf akzentuierten .\us(lru( k brachten, natnentlii h Kielstahl,
welcher die jeweilige Landschaft, die betrettende Architektur und den Volk.s-
charakter ebenso sicher als würdevoll wiederzugeben verstand: sie sind
inmitten ihrer glänzenden Vollkraft aus dem Leben geschieden I
Bauemfeinds reicher Nachlaß, die vorgenannten »Seelen zu künftigen
(ledichten«, welche nimmer ihre Vollendung zum Durchbruch brac luen, die
zahllosen Studien und schätzebergenden Skizzenl)ü( her sollen alsbald bei
uns zu einer Ausstellung gelangen, dann aber wahrscheinlich durch eine
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t
I
184 Bauemfeind. Kanitt.
Auktiui) nach bisher hiiidläutigcr Sitte in alle Winde zerstreut werden,
Statt sell>e (wie es löblicher Weise mit Baischs Nachlaß geschah) in einem
Museum ' zur vollgültigen Kenntnifinahme des ganzen Mannes vereint zu
bleiben. Im ja auch Dürers, Holbeins Nachlafi — bei Rembrandt noch zu
dessen l.ch/citen — vertrödelt worden. Heutzutage müßte so etwas später ein
unbezahllKues Kai)ital repräsentieren. Kroi!i( h würden viele brave Sammler
des X'ergnü^cns und der I reude hc-rauht, ihre Kollektion zu bereichern und
auszuschmücken. Erste i'tiicht der Kunsthistoriker indessen muli es sein, ihre
bisherige an Bauemfeinds Nannen begangene Säumnis nachzutragen.
Die soiwt viel Minderwertiges sorgAltigst in ihren Kompendien veriniclieDden Lexiko»
graben kennen den M.ilcr k.uim obcrfliichlicb. Pccbt in seiner »(]c>chichte der MUnchena
Kunst« S. 446) hat nur wenijje Zeilen, ehcnx) Singers Lexikon 11895 I. Si) und
der luüt nie vertagende Fr. von buttichcr (,1895 I, 51), wirkhch ironisch aber ist es, wenn
»Das geistige Deutschland« (1898) gar keine Kunde hat. Hoffentlich wird eine wflrdige
Darstellung und Reproduktion seiner Schüpfungen nicht tu lange auf sich warten lassen 1
Hyac. Holland.
Kanitz, Felix Philipp, Erforscher der Balkanländer, Kdinof;raph und
Arrhäolo«,', * Aupust iS^q in Budapest, f an den Folgen eines Schlag-
anfalles 5. Januar 1904 in Wien. — K. .stammte von deutschen Eltern, deren
Vorfahren während des i8. Jahrhunderts in Ungarn eingewandert waren. Da
er in früher Jugend eine ausgesprochene Begabung für Musik an den Tag
legte, ließ ihn sein Vater, ein wohlhabender Fabrikant, im Violinspiel aus-
1)ilden. Sein Mitschüler war der später berühmt gewordene Virtuos Joseph
Joachim. Nach dem Tode «Ks Vaters wünschte die Mutter lieber das bei
(lern Knaben uleirlifalls lu t \ Diiirtenile Zeichentalenl entwickelt zu sehen.
Im Alter von 14 Jalircn kam er deshalb auf die Kunstschule nach Kassel,
WO er ein Schüler des damals geschätzten Malers Ludwig Emil Grimm
wurde. Unter dessen Anleitung übte er sich im Zeichnen und Olmalen.
Auch erlernte er das Radieren und die Lithographie. Nachdem er die
Anfangsgründe überwunden hatte, besc hloß er den Beruf eines Zeichners für
illustrierte Zeitsi hriiten zu ergreifen. i''^47 liclJ er sich in Wien nieder und
entwarf namenilKli wahrend der Revolution.szeit zahlreiche Abbildungen
der politischen Ereignisse, die zum Teil in der Leipziger Illustrierten
Zeitung veröffentlicht wurden. Später begab er sich 'zu Studienzwecken
nach den wichtigsten Kunststädten Deutschlands. Längere Zeit hielt er sich
namentlich in München und Dresden auf, wo er in den Galerien demälde
kopierte, ferner in Nürnberg, wo i!m der Architekt Alexander HeideiofI in
das Verständnis der mittelalterlii hen Bau- und Kunstdenkniäler einfulirte.
Nach einem Besuche in Baris kehrte er 1856 nach Wien zurück, in den
nächsten Jahren unternahm er mehrere Reisen, um Zeichnungen für die Illustrierte
Zeitung aufeunehmen. 1857 besuchte er zu diesem Zwecke Oberitalien und 1858
Montenegro, als dort die Kämpfe der Eingeborenen gegen die Türken aus-
gebrochen waren. Der eigenartige Reiz, den die großartige Natur dieses
Ländchens und seine Bewohner auf ihn ausübten, veranlaüte ihn zu ticin
Vorsatz, sich ganz der wissenschattlit hen und künstlerischen Erforschung der
Balkanhalbinsel zu widmen. Einige schon bewährte Balkanfofscher, wie
Ami Bou^ und der Generalkonsul v. Hahn, bestärkten ihn in dieser Absicht
Kanitc.
185
17 Jalire lang, von 1859 bis 1876, hat er auf zahlreichen Reisen durch
Serbien, Bulgarien, Montenegro und die Herzegowina dieses Ziel zu er-
reichen gesucht und viele Teile dieser Länder als erster der deutschen
Wissenschaft erschlossen. Vor allem verdankt man ihm hinreichend zu-
verlässige kartographische Aufnahmen der (Icbiete zwischen Donau und
Balkan. Dieses (lebirge, das damals in seinen Kinzelheiten noch nahezu
unbekannt war, hat er 18 mal auf Pässen überschritten, die vor ihm noch
keines Forschers Fufl betreten hatte, und viele Ketten, Gipfel und Täler
erhielten erst durch ihn die noch heute üblichen Namen. Auch die Edmo-
graphie förderte er, indem er die l'nterscheidungsmerkmale der einzelnen
Balkanvölker schärfer hervorhob als dies bisher geschehen war. Ebenso
bereicherte er die Kunstges<'hichte, indem er die in jenen Ländern trotz
der jahrhundertelangen Türkenherrschaft noch immer zahlreich vorhandenen
Keste antiker und mittelalterlicher Bauwerke und Kunstdenkmäler aufsuchte,
beschrieb und abzeichnete. Als Früchte dieser Reisen entstanden in rascher
Folge zahlreicbe literarische Arbeiten. Die giöfieren erschienen als selb-
ständige Werke, die kleineren, von denen ider nur eine Auswahl der
wichtigsten verzeichnet werden kann, in den Sitzungsberichten und Denk-
schriften der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften zu Wien, den Mitteilungen der Wiener Geographischen
Gesellschaft, der Österreichischen Revue und andern geographischen, histo-
rischen und archäologischen 2^tschriften. Die frühesten beschäftigen sich
ausschließlich mit Serbien: »Die römischen Funde in Serbien« (Sitzungs-
berichte XXXX'I, 1861, S. 105 — 203), »Serbiens byzantinische Monumente«
(Wien 1862, später auch ins Serbische übersetzt durch Alexander Sandii.^),
»Beiträge zur Kartographie des Fürstentums Serbien, gesammelt auf Reisen
in den Jahren 1859 — 1861« (Wien 1863, mit i Karte), »Die Zinzaren« (Mit-
teilungen VII, 1863, S. 44), »Über alt- und neuserbische Kirchenbaukunst«
(Sitzungsberichte XLV, 1864, S. 3 — 13), »Reise in Südserbien und Nord-
bulgarien, ausgeführt im Jahre 1864« (Denkschriften XVIT, 1864, 2. Ab-
h;inil!ung, S. i — 66, mit I Karte) und >''Das serbisch-türkische Kopavnik-
(iel)iet (Mitteilungen XI, Neue l'olge 1, 1S68, S. 40). Den Abschluß dieser
serbischen Studien bddete das umfangreiche Werk -Serbien, historisch-ethno-
graphische Reisestudien in den Jahren 1859 bis 1868« (Leipzig 1868, mit
I Karte, 20 Tafeln und vielen von K. selbst gezeichneten Abbildungen im
Text, 2. Auflage ebd. 1877), das die erste erschöpfende Schilderung jenes
Donaulandes bietet. Später folgten dann verschiedene Abhandlungen über
das benachl)arte Bulgarien: Reise im bulgarischen Donau-, Timok-, Sveti-
Nikola-Balkan-Gebiet« (Mitteilungen XV, N. V. V, 1S72, S. 61, 106), »Zur
Synonymik der Ortsnomenklatur Bulgariens« (ebd. S. 217; XVI, N. F. VI,
1873, S. 170), »Timovos altbulgarische Baudenkmale« (Sitzungsberichte
LXXXII, 1876, S. 269—288) und »Der Balkanpafl von Elena« (Mitteilungen
XX, N. F. X, 1877, S. 537), die endlich zu dem Hauptwerke seines Lebens
hinüberleiteten: Donau-IJulgarien und der Balkan, historisch-gcographisch-
ethnographische Reisestudieii aus den Jahren 1860—1876« (3 Hände mit
vielen iaieln und Abbildungen, Leipzig 1875 — 1879, 2. Aufiage ebd. 1879
bb 1880^ neue Ausgabe ebd. 1882). Dieser wichtigen Arbeit, für die ihm die
bulgarische Nationalversammlung einstimmig ihren Dank votierte, ist eine
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Kanitz. Philippi.
wertvolle Originalkarte von I )onau-Hulgarien und dem Ralkan im Maß-
stabe von 1:420000 beigegeben, die in einer vom russischen Generalstab
Tenuistalteten Ausgabe den rassischen Truppen während des tOrkischen
Krieges von 1877 — 1878 wesentliche Dienste leistete. Auch bei den Friedens*
Verhandlungen des Jahres 187S wurden die kartographischen Auhiahmen K.s
wiederholt herangezogen. Na( h dein Kriege unternahm er noch wiederholt
ausgedehnte Reisen durch die Hulkanländer. Vor allem liemühte er sich
um die Untersuchung der vorgeschichtlichen und römischen Denkmäler,
doch fehlte es ihm hierzu an hinlänglicher Sachkenntnis. Als Ergebnis
dieser Forschungen veröffentlichte er xwei Schriften: »Die prähistorischen
Funde in Serbien bis 1889« (Wien 1889) und »Römische Studien in Serbien:
der Donau-Grenzwall, das Straßennetz, die Städte, Kastelle, Denkmale,
Thermen und Hergwerke zur Römerzeit im Königreich Serbien (Denk-
schriften XI. I, 1892, 2. Abhandlung, S. 1--158, mit i Karte und vielen Ab-
bildungen), die allerdings von der Kritik wenig günstig autgenommen
wurden. Die letzten Jahre seines Lebens beschäftigte er sich mit der Aus-
arbeitung eines umfassenden Werkes über »Das Königreich Serbien und das
Serbeiu olk von der Römerzeit bis zur Gegenwart«. Der 1. Band, der ein Bildnis
de^ Wrtassers enthält, trat unmittelbar nach seinem Tode in der von
Wilhelm Ruland herausgegebenen Sammlung Monographien der Balkan-
staaten« (Leipzig 1904) an die Ötlentlichkeit, das Manuskript der beiden
übrigen Bände hinterließ er in druckfertigem Zustande.
Wuizbach, »Bi<^[npliisches Lexikon des Kaisertun» Österreichc X, 1863, S. 435«~>438.
»Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik« XII, 1890, S. 571 — 573 (mit
Bildnis). — »Globus« LXXXV, 1904,8. 163. — »Geographen-Kalender« III. 1905. S. 189.
Viictor Uantzsch.
Philippi, Rudolf Amandus, Naturforsclier und Vorkämpfer des Deutsch-
tums in Chile, * 14. September x8o8 zu Charlottenburg, f 23. Juli 1904 zu
Santiago de Chile. — Schon von Jugend an war das Sammeln von Natur*
gegenständen seine Lieblingsbeschäftigung. Nach dem frühen Tode des
Vaters, eines alten Soldaten aus den Freiheitskriegen, der /.uletzt Revisor
an der preußischen Oberrechnungskammer war, zog die Mutler iSiS nach
Ifferten (Vverdun) in der franzosischen Schweiz, Hier wurde der Knabe
dem berühmten Erziehungsinstitut des groflen P&dagogen Heinrich Pestalozzi
Obergeben, wo er seine schwache Gesundheit kräftigte und namentlich durch
seine Lehrer Johannes Niederer und Joseph Schmid mannigfache und nach-
haltige Anregungen empfing. Als aber die Anstalt 1822 infolge unliebsamer
Streitigkeiten unter den Lehrern ihrer Auflösung entgegenging, kehrte die
Familie nach Uerlin zurück. Th. be.suchte zunächst das (Ivinnasium zum (Iraiien
Kloster und studierte dann an der Berliner Universität Medizin und Natur-
wissenschaften. Daneben hörte er auch geographische Vorlesungen bei
Alexander von Humboldt und Karl Ritter. 1830 erwarb er durch eine
Dissertation über die ^Orthoptera Ikrolinensia«- den philosophischen Doktor-
titel. Da sich bald darauf die .\nzeicheii eines beginnenden Lungenleidens
bemerk li( h machten, unternahm er eine längere Ktholungs- und Studienreise
nach Italien. Hier traf er mit den beiden ücologcn Friedrich Hoflmann
und Arnold Escher von der Linth zusammen, die ihn so fQr ihre Wissen-
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187
Schaft zu begeistern wußten, daß er sich eifrig mit uinfassemlcn geognostischen
Untersuchungen in Neapel, Sizilien und auf den Liparischen Inseln be-
schäftigte. Gleichzeitig sammelte er allerlei Pflanzen und Tiere, namentlich
Schnecken und Muscheln. Nachdem er im Herbst 1833 nach Deutschland
xnrttckgekehrt war, bestand er die medizinische Staatsprüfung, wendete sich
aber nicht dem ärztlichem Berufe zu, sondern nahm 1835 eine Stolle als
Lehrer der Zoologie und Botanik an der höheren Gewerbeschule in Kassel
an, wo damals bedeutende Gelehrte, wie der Paläontolog Wilhelm Dunker
und die beiden Chemiker Fiiedrich Wöhler und Robert Bunsen, wirkten.
Die Muflestunden, die ihm sein Beruf liefi, benutzte er zu um&ssender
literarischer Tätigkeit. Als erstes großes Werk und zugleich als Frucht
seiner italienischen Reise erschien die ^ Ettitmcratw Molluscorum Siciliae cum
vivcnttum tum in tcUurc tirtiaria fossilium, quac in ititwrc suo ohennn'it^ (Berlin
1836) mit zahlreichen von ihm selbst gezeichneten und lithographierten Tafeln.
Aber die mit der Herstellung dieses Werkes verbundene Uberanstrengung
hatte seine Gesundheit so geschädigt, dafi sich völlige Heiserkeit und be-
drohliche Lungenblutungen einstellten. Er nahm deshalb Ende 1837 einen
längeren Urlaub und begab sich abermals auf reichlich zwei Jahre nach
Italien und Sizilien. Glücklicherweise führte das milde Klima allmählich
eine völlige Heilung herbei, so daß er Ostern 1841) neugestärkt und
frohen Mutes nach Ka-ssei zurückkehrte. Hier nahm er sogleich seine
pädagogische und wissenschaftliche Tätigkeit wieder auf. In den nächsten
Jahren liefl er mehrere umfangreiche und kostspielige Werke mit vielen
Tafeln vorwiegend malakozoologi sehen Inhalts erscheinen, die ihm bald in
den Fachkreisen einen guten Ruf verschafften: »Abbildungen und Be-
schreibungen neuer oder wenig gekannter Conchylien, unter Mithilfe mehrerer
Conchyliologen herausgegeben. Mit Beiträgen von Anton, von der Bisch,
Dmiker, Roch, Pfeiffer und Troschel«, 3 Bände (Kassel 1842— 185 1), »Beiträge
zur Kenntnis der Tertiärversteinerungen des nordwestiichen Deutschlands«
(Kassel 1843), sowie einen a. Band seiner *Emmuratio Jifolluscorum Sidliae*
(Halle 1844), Auch an zwei großen naturwissenschaftlichen Sammelwerken
war er ein eifriger Mitarbeiter. Für das von Martini und Chemnitz be-
gründete, dann von H. C. Küster herausgegebene und nach dessen Tode
von W. Kobelt fortgesetzte, in Isürnberg erscheinende »Systematische Con-
chylien-Kabinett« lieferte er in den Jahren 1846 bis 1853 Monographien über
die Gattungen Turha» TrpcMts, NaHcay AwumrOt jimpuiianap Adeorüs, Solantim,
jRiseUOf I}eij^M/mia, Scissurella^ Ghbulu^. Phasianella. Bank'wia und Lacuna mit
vielen naturgetreuen Abbildungen. F^benso veröffentlichte er in den von
Wilhelm Dunker und Hermann von Meyer redigierten Beiträgen zur Natur-
geschichte der Vorwelt, die 1Ü46 bis 1851 in Kassel unter dem Titel raiiuonto-
graptuea herauskamen, mehrere Abhandlungen über die Spezies TomaUUa
abbrtviatat Otados miHs^ O. caUkus, Mylkbaks Testat, CfypeasUr altus, Cl.
turritus, Cl, Scillae und Astrophyton Antoni, sowie ein Verzeichnis der in der
Gegend von Magdeburg aufgefundenen Tertiärversteinerungen. Daneben
fand er aber auch noch Zeit, sich mit öffentlichen Atigelegenheiten zu be-
schäftigen, 1848 entfaltete er eine umfassende {loliiische Tätigkeit im
Sinne des gemäßigten Liberalismus. Im folgenden Jahre wurde er seiner
wissenschaftlichen Verdienste Aregen zum Direktor der höheren Gewerbe-
I88
i'btlippi.
schule in Kassel ernannt. Da ilm jedoch die verfassungswidrige reaktionäre
Gewaltherrschaft des Ministers Hassenpilag empörte, nahm er wie so viele
andere freiheitlich gesinnte hessische Staatsbeamte seinen Abschied und
folgte einer Kinladung seines Bruders Bernharci, tier seit 1840 als Oberst-
leutnant und wohlliabcnficr Crundbesitzer in Chile lebte und sj>äter im
November 1852 nahe der Magalhüestraße von patagonischcn Indianern er-
mordet wurde.
185 1 landete er mit seinem Schüler und Freunde Karl Ochsenius in
Valparaiso. Zunächst widmete er sich zwei Jahre lang der Landwirtschaft,
sowie der geographischen und naturwissenschaftlichen Erforschung der damals
noch wenig bekannten l'i<>\in/ \':il(livi;i. 1853 wurde er zum I)irc"ktf>r dc<
Lyzeums in der glcichnainigcn Hafi-iistadt ernannt. Noch in flciiiselbcn
Jahre erhielt er einen Ruf als Professor der Zoologie und Botanik an die
Landesuniversitftt Santiago. Gleichzeitig abertrug man Ihm dasell»t die
Leitung des 1830 begründeten Museo Nacumal. Um diese Anstalt, die sieb
im Zustande tiefen Verftills befand, hat er sich während eines Zeitraumes
von 50 Jahren die größten Verdienste erworben. Ihm verdankt sie es in
erster Linie, daß sie heute unter den wissenschaftlichen Instituten Süd-
amerikas einen hcrvorra^cndi-n Rang einninnnt. l'nter Cberwiiulun^ vieler
Schwierigkeiten sorgte er für ausreichende und zweckmäßig eingerichtete
Räume, für übersichdiche und geschmackvolle Aufteilung, für Erweckung
des Interesses bei den maßgebenden Persönlichkeiten und in den breiten
Schichten des Volkes, endlich auch für Herbeischaffung der nötigen Geld-
mittel. Die meisten Objekte, nicht nur Tiere, Pflanzen, Mineralien und \'er-
steinerungen, sondern auch ethnographische (legcnstande, .Altertümer und
Kunstwerke, hat er auf seinen vielen und ausgedehnten Reisen, die er fast
alljährlich während der akademischen Ferien durch ganz Chile und die an-
grenzenden Staaten unternahm, selbst gesammelt oder durch Tausch <et-
worben. 1S73 legte er sein Lehramt an der Universität nieder, um sich
ganz dem Museum zu widmen. Daneben setzte er auch seine literarische
Tätigkeit fort und gab eine Anzahl mehr oder minder umfangreicher, fast
sämtlich durch Tafeln erläuterter W erke heraus, die zum Teil in Deutsch-
land erschienen: »Handbuch der Conchyliologie und Malakozoologie« (Halle
1^53)» * Reise durch die Wüste Atacama, auf Befehl der chilenischen Re-
gierung im Sommer 1853/54 unternommen und beschrieben« (Halle 1860),
•Flarula Ateitamensis seu enumcratio plantarumy guas in itinere per dcsertum
Atacatnense of'scn'oi'it* (Halle 1860, 2. Ausgabe 1870), ^ Firmen fos Je Historia
Ntitural (Santiago 1860, 4. Auflage 1S85), ^ F.lcmentos de Hofattica" (Santiago
1864), »La Isla de J*ascua y stis hainlantes* (Santiago 1873), ^La>$ Josilcs
terciarios y auwiarm de CMle* (Santiago 1887), auch deutsch ak »Die
tertiSren und quartfiren Versteinerungen Chiles« (Leipzig 1887), »Ober meso-
zoische Fossilien in Chile (Santiago 1889), »Planias ntiivas chilenas<^ (Santiago
1803), ein sechsbändiges Werk, das 2000 neue Pflanzen beschreibt, endlich
*Sol>rc el verdadera s/iniifieado de In palabra CordilUra^ (Santiago i8qS).
Neben diesen selbständigen Werken hat er noch eine unübersehbare
Menge von Aufsätzen verschiedensten Inhalts und Umfangs in zahlreichen
deutschen, englischen und chilenischen Zeitschriften veröffentlicht, vor allem
in Wiegmann's Archiv für Naturgeschichte l[Über das Tier der Sölmm^
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PhUippi.
189
incditcrranca : 1, 183-^, S. 271 — 276; Über \\-ntillum piisiUtinr. ubd. S 277- 280),
in der Zeitschrift für die gesamten Naturwissenschalten, der liolanisi heii
Zeitung, den Malakozoologischen Blättern, der Stettiner Entomologischen
2^itungy in Petermanns Mitteilungen (Die sogenannte WQste Atacama: 1856,
S. 52 — 71, mit Karte; die Provinz Valdivia und die deutschen Ansiedlungen
daselbst und im Territorium von Llanquihue: 1860, S. 125 — 139, mit Karte;
Exkursion nach den Bädern und dem neuen \ ulkan von Chilhin in Chile:
1863, S. 24! — 257, mit Karte; Die licilJen (Quellen am l'uychut- und
L,lanquihue-Sec in Chile: 1869, S. 459 461; Kin neuer Vulkan in Chile:
i$73» S. 6 — 7; Bemerkungen Aber die chilenische Provinz Arauco und
namentlich über das Departement gleichen Namens: 1883, S. 453 — 460; Ver-
änderungen, wciclie der Mensch in der Flora Chiles bewirkt hat: 1886, S. 294
bis 307,326- 331; Andesbahnen : 1802, S. 290 — 201; Analogien zwischen der
chilenischen untl euro{)äischen l'lora: 1802, S. 292 — 294), in den Monatsberichten
der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Herlin (Bemerkungen
über die chilenischen Flußfische: 1866, S. 70S— 717; Über eine für Chile
neue Art von Otaria: 187 1, S. 558 — 562), im Ausland, im Globus (Über das
Vorkommen von Torf in Chile: XVIII, 1870, S. 31—32; Ein Wort über die
Tli rkunft der Bohne: LI, 1887, S. 157 158; Die Eisenbahn von Antafagasta
<le hl Costa nach Cyuni in Bolivien: LVII, 1890, S. 334—33?; Erdbeben in
Südchile und i'atagonien: I.XII, i8()2, S. 205 — 206; C^ber die Nationalität
der Südamerikaner, besonders der Chilenen: LXXX\, 1904, S. 126), der
2^itschrift der Gesellschalt für Erdkunde zu Berlin (Bemerkungen über die
orographische und geologische Verschiedenheit zwischen Patagonien und
( liilc: XXXI, 1896, S. 50—63; Einige Worte über den unrichtigen (lebrauch
des Wortes Cordillera in Chile; XXXIII. i8i)8, S. 303- 398), den Abhand-
lun<,'t'n und Berichten des Vereins für Naturkunde zu Kassel (Botanische
Exkursionen in das Araukaneriand : XLI, 1896, S. 1 — 31), der Zeitschrift der
deutschen geologischen Gesellschaft (Vorläufige Nachricht über fossile Säugc-
tierknochen von UUumo, Bolivia: XLV, 1893, S. 87 — 96; Berichtigung eines
geologischen Irrtums: L, 1898, S. ao7 — 208), der Zeitschrift für Ethnologie,
der Deutschen Erde (Zur Gründun^'s^M-hichte der ersten deutschen Kolonien
in Chile: II, 1003, S. 16 — 17), im Siot/ish (leof^raplücal Museum {Pataf^onia anti
Chile, the'tr Oroi^niphy unJ Gmloj^y cimtraitcd: XII, 1S96, S. 303 — 300). in den
Anales äc la L'ntversuiad Je Chile (De la c Ventura jcrograjua de los inäijenas de la
isla de Pascua: LXV, 1875, S. 670—683; Comparaeim de las flaras i /awias de las
Jfe^licas de CAile i Arfenfma: LXXXIV, 1893, S. $39— SSS» Pl*^s nuevas
chiUnas: LXXXIV, 1893, S. 5—32, 265—289, 433— 444f 619—634, 743—702,
975—983. LXXXV, 1893, S. 5 — 18, 167 — 195, 299—324, 491—514, 699—749,
813 — 844), den Anales del Museo iVaeiofial de Chile {Seeeion I: 7A>olojia.
• Alf^unos peees de Chile, 1892, 16 S.; * Ia'S zooßtos chilmos del Museo Naeionnl,
1892, 9 S. ; * Lms focas chUenas dcl Museo NacionaU 1892, 48 S.; * El gttemul
de C/dlSt 1892, 9 S. ; * Los delßnos de la Punta Austral de la America del Sur,
1893, 17 S.; * Las especies dalenas del Jenero Mactra, 1893, 12 S.; ♦ Cenms
antisensis, ehilensis, ^acAyeefVS, 1894, 16 S. — Seceum II: Hotaniea. * Catahis^us
pranuus plantarum in itinere ad Tarapaca a Friderieo PhUippi leetarutn, 1891,
96 S.; La Aleaxoia de los Chilenos, Cidraeavofe de los I'spa/ioles, 1892, 4 S.;
Eptpetruin l'iloOuin I'h., 1892, 3 S.; Slipa amphiiaipa J'h., 1892, 3 S.; Elymus
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igo
PhUippi.
cr'uinihiis /'//.. 1802, 3 S. — Sfccum III: Mtticrctiojia, Jeolojuj, Pakontolojia.
• Descripcion de algunos /osiles terciarios de la Kepublica Arjenitna, 1893, 15 S.),
endlich in den Verhandlungen des deutschen wissenschaftlichen Vereins su
Santiago (Vorläufige Nachricht Ober einige Schildkröten und Fische der
chilenischen Küste: I, 1887, Heft 5, S. aio — «13; Verzeichnis der von D. Fran-
cisco Vi<hil (jormaz an den Küsten des nördhchen Chile gesammelten
Cicfäßpflanzcn : II, i8qo, Heft 2, S. 106 — 108; Über einige Versteinerungen
der Anden von \ allenar: ebd. S. 109 — iio; f Über die Cucurbita mammeata
und C s'ueraria des Molina: II, 1891, Heft 3, S. 150 — 154; f Aphorismen
über die Sklaverei und den Sklavenhandel in den christlichen europäischen
Staaten während des Mittelalters bis in die Neuzeit: ebd. S. 155 — 160;
f Bemerkungen über die Versteinerungen von La Bajada in Currientcs: ebd.
S. 161 — 164; t Einige Worte über die ( hilcnischen Mäuse: ebd. S. 173 — 176;
t Hemcrkungcn über die Flora l)ci den Bädern von Chillan: II, 1892, Heft 4,
S. 196 — 208; f Albinismus unter den Vögeln Chiles: ebd. S. 231 — 234;
fÜber die chilenischen Seeigel: ebd. S. 246 — 347; f Analogien zwischen der
chilenischen und europäischen Flora: II, 1893, Heft 5 — 6, S. 35$ — s6t; fWann
ist die Cordillere von Chile und Argentinien entstanden? ebd. S. 262 — 265;
f über Phalaropus antarctuu^ und Ph. Wihoni: ebd. S. 266 — 271; Neue Tiere
Chiles: III, 1S05, Heft i, S. 9 — 13; über einige Vogelknochen aus dem Guano:
ebd. S. 14 — 16; Die chilenischen Arten von Galaxias: ebd. S. 17 — 23). I>ie
meisten dieser Aufsätze sind durch Abbildungen und Tafeln erläutert, die P.
als geschickter Zeichner selbst entwarf. Um seine in Chile erschienenen Ab-
handlungen auch den Fachgenossen in Deutschland bekannt zu machen, liefl
er die oben mit ♦ bezeichneten in deutscher Übersetzung, die mit f ver-
sehenen in Sonderdrucken teils in Leipzig, teils in Berlin nochmals veröffent-
lichen. Aulk'rdcm gal> er unter dem Titel »Botanische Abhandlungen«
(Leipzig 1893) eine Sammlung kleiner Arbeiten über einzelne chilenische
Pflanzengattungen heraus. So gewann er auch in der alten Heimat einen
guten Ruf als bester Kenner der lebenden und fossilen Flora und Fauna
Auch um das Deutschtum dieses Freistaates erwarb er sich namhafte
X'erdienste. Kr seihst fühlte sich immer als guter Deutscher und unterhielt
biä an seinen I od rege Beziehungen zum alten Vaterlande. Viele Lands-
leute bewog er durch seine wiederholten Empfehlungen Südchiles zur Aus-
wanderung dahin, und den neuen Ankömmlingen erwies er sich mit Rat
und Tat hilfreich. Gern und oft weilte er in den von Deutschen stark be-
siedelten Provinzen Puerto Montt, Llanquihue, Osomo, Union und Valdivia,
um im Kreise der Volksgenossen alte Krinnerungen auszutauschen und neue
Anregungen zu i-inpfangen. Den Zusaminenschluü der chilenischen Deutschen
suchte er auf alle Weise zu fördern, ebenso ihre geistigen Bestrebungen, die
in dem 1883 begründeten deutschen wissenschaftlichen Verein zu Santiago
eine Pflegestätte fanden, dem er bis zu seinem Tode als Ehrenvorsitzender
angehörte. 1888 wurde unter allgemeinem Anteil sein 80., 1898 sein 90. Ge-
burtstag gefeiert. Zwar begannen Gesicht und Gehör allmählich abzunehmen,
so (laü er 1S97 sein Amt als Museumsdirektor niederlegte. Bald stellte sich
auch der graue Star ein, der schlieOlich zu völliger Erblindung führte. Aber
seine Schaffensfreudigkeit erhielt sich unvermindert, bis er im 96. Jahre einer
Chile
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Pbilippi. Holaus. Joder.
Lungenentzündung erlag, tief betrauert von seinen LancUleuten, die ihn seit
Jahrzehnten als ihren Patriarchen verehrten.
»NachrichtsblaN der deutschen malakosooli^achen Gesellscbaft« 1889, Nr. i — 2. —
»Export« XX, iSoS, S. 403 — 405 (Selbstbiographie mit Bildnis). — »Deutsche Krde« 1904,
S. 148 — 149 (Karl Oclisenius). — /h'txo Barros Aratia, i'.l Doctor Den h',\inifo Atiiando
Philippi, SU t'iäa i sus obras, SaNtta^'o de Chile 1904, 248 S., mit liildius. — »Leipziger
Illustrierte ZeituAfl^c 1904, Nr. 3i9Sf S. 4*6, roitBfldnis (Th. Lincke). — »Globusc LXXXVI,
1904, S. 239. — »Geogmphen-Kaleiiderc III, 1905, S. 199—200.
Viktor Hantzsch.
Holaus, Blasius, Domprop.st von Salzburg, * 30. Januar 1S25 zu Hippach
im Zillertal, f 24. Januar 1904 zo Salzburg. — H. wirkte, nachdem er 1849
die Priesterweihe empfangen hatte, viele Jahre in der Seelsorge, als Hills-
priester zu Neukirchen im Pinzgau, dann zu Hopfgarten und Oberau in Tirol,
Vikariatsprovisor zu Niederau und Ellmau, Stadtkooperator zu Kitzbüchel,
dann zu St. Andrä in Salzl)urg, Dechant und Pfarrer zu Stuhlfelden und zu
Reit bei Rattenberg. 1877 wurde er Donikapitular in Salzburg, während
beinahe zehn Jahren zugleich Stadtdechant und Dompfarrer; 1885 Domkustos,
1891 infulierter Domdechant, seit 1891 auch Präses des fOrsterzbischOfiichen
Konsistoriums und seit 189a Vorsitzender des Diözesan- und Metropolitan-
gericbtes. 1901 wurde er von Papst Leo XIII. zum Dompropst ernannt.
Förderer sozialer und wissenschaftlicher Bestrebungen, besonders auch des
Missionswesens.
Vgl. Mitteilungen der Gesellschaft far Salzbuiger Landeskunde, 44. V'creinsjahr 1904,
S. 397f. F. Lauchert.
Joder, Julian Chrysostomus, (leneralvikar des Bistums Straöburg,
* 27. Januar 1850 zu Mitzach (Oberelsaü), f 3. Februar 1904 zu Straüburg.
— J. erhielt seine Gymnasialbildung im petit scmitiairc zu Straüburg, studierte
dann Theologie im Strafiburger Priesterseminar seit 1867 und empfing 1872
die Priesterweihe. Hierauf war er zunächst Hauskaplan und Hauslehrer in
der Familie des Grafen Ivry in Nolay (Cote (Tor). 1873 wurde er Vikar in
Neubreisach, 1877 Prosekretär, 18.S4 ( neralsekretär des Bistums Straßburg,
1889 Ehrendomherr, 1893 Dr. Jur. iun., 1897 Titulardoniherr, 1Q03 (.cneral-
vikar. Mit seiner hervorragenden Begabung für die Verwaltung und seinem
reichen kanonistischen und juristischen Wissen machte sic^ J. bei unermüd-
licher Tätigkeit um die Diözesanverwaltung sehr verdient. Daneben wirkte
er auch viele Jahre als Seelsorger der Waisenanstalt St. Joseph in Neudorf
bei Straßburg, wo er nach seinem Wunsche auch begrai)en wurde. —
Literarisch tätig war J. besonders auf tlcm Gebiete des Kirchenreclits, auch
auf dem der Asketik. Von seinen selbständig erschienenen Schriften ist das
Hauptwerk: *Formulaire matrimomal. Guide pratique du eure pour tout ce qui
canctnu U sacrement du mariage* (Paris 1885, 3. Aufl. 1891). 1884 übernahm
er auf Wunsdi des damaligen Bischofs Stumpf nach dem Tode des Be-
gründers, des Domkapitulars Mur}', die Redaktion des offiziellen Diözesan-
organs, des früheren •>•> BuUct'tn eccl^siastitjue de Strasbourgs ^ das er von 1SS4 bis
1898 unter dem Titel: ^^Ecdesiasticum Ari^fn/inense« , von 1899 l)is zu scniem
Tode in neuer Folge unter dem Titel: »Straüburger Diözesanblatt« heraus-
gab. Dasselbe enthält zahlreiche Beiträge von seiner Hand, darunter Denk-
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192
■Joder. Z«nettL Braun.
srhtiftcii von blcihciideni Intorrsse, von dt'nen genannt seien: »Die rechtliche
Stellung der niciu anerkannten religiüsen lienossLnschaften in Elsali-Lothrinfzcn <
(1895, auch separat); »Das Beichtsiegel vor dem Schwurgericht zu Mul-
hausen i. E.« (189s, auch separat); »Der konfessionelle Kirchhof nach den
kirchlichen Regeln und den für Elsaß -Lothringen geltenden Zivilgesetzen«
(1897, auch separat). Im »Archiv fQr katholisches Kirchenrecht« erschien
von ihm: /mfcx casitum et censuranm tu itnirrrsa Eiclt.^ui iure rnr,<tsftmo
vi!^enttum<t (74. Hd. 1895, S. 18 — 35); »Das ikichtvateramt in !■ rauenklöstern«
(78. Bd. 1898, 5.668—710; 79. Bd. 1899, S. 451— 483, 709 — 735).
Vgl. »Der Elsässische Volksbote« 1904, Nr. 29 v. 4. Febr. [J. G118]. — »Der Elsls^erc
1904, Nr. 37 V. 4. Febr. »ElsassL-r Kurier« 1904, Febr. — y>Journal de Colmar* 1904,
7. Febr. — »Straßbiirger DinzcsanliKiU«, 23. Jahrg^. 1004, S. 1. S. 4. l- iiic eingehendere
biographische Arbeit über J. ist von dem iiibiioihekar des Suaüburgcr i'riestcrseminars.
Heim Dr. J. Ga8, zu erwarten. Dem genannten Herrn, sowie Herrn Dr. L. Pfleger in
Münster i. W. bin ich far geflUltge Mitteilungen und Nachweise xu Dank verpflichtet
Zenetti, Benedikt, O. S. Abt von St. Bonifaz in München, * 13. Mai
182 1 zu Speicr, f 18. Februar 1904 zu München. — Wilhelm Z., wie er vor
seinem Eintritt in den Orden hiefi, der Sohn des späteren Regierungspräsidenten
J. B. V. Zenetti, absolvierte das Gymnasium zu Passau, wohin sein Vater als
Regierungsdircktor versetzt worden war, studierte dann an der Universität
München rhil<>>ophii', Juri>priulenz und 'I'hcoloffie und empfing 1847 die
l*riesterweihe. Zuerst in der Seeisorge tälig, trat er nach der Eröffnung des
neu gegründeten Benediktinerstifts St. Bonifetz in München als einer der
ersten Novizen zugleich mit dem spateren Abte und nachmaligen Bischof
Haneberg im Dezember 1850 in dasselbe ein und legte 1851 die Ordens-
gelübde ab. \ i< luiem er nacheinander verschiedene Amter bekleidet hatte,
wurde er am Antanf^ der secliziger Jahre Direktor des k. Erziehungsinstituts
für Studieren<le (iles sog. HoUandschen Instituts) in München, 1.S66 l'rior
des neu errichteten Klosters Schäftlarn. Nachdem Abt Haneberg IJischof
von Speier geworden war, wurde Z. 1872 zum Abt von St Bonifaz gewählt
und erhielt durch Erzbischof v. Schcrr die feierliche Benediktion. Obwohl
in den 31 Jahren seiner Regierung wenig an die Öffentlichkeit tretend,
erfreute sich .\bt Z. in allen Kreisen großen Ansehens. Kunstsinnig
und besonders in der IMlege der klassischen Musik und Literatur seine
l'rcude tindcnd, hat er jctlerzeit auch die wi.ssenschaltlichcn Bestrebungen
unterstützt und sich um die Förderung der ausgezeichneten Stiftsbibliothek,
der so viele gleich dem Unterzeichneten zum größten Dank verpflichtet sind,
große Verdienste erworben.
\'gl. »Studii II uiid Mittci!i:n;^'i !i aus dem Benciliktiner- um! ilcm Zi-tLr/iLn'^cr-<'>rdcn«,
25. Jahrg. iyo4, >. 426 — 429, mit Portriil. — »Augsburger Postzeitung« 1904, Nr. 41
V. 20. Febr. F. Lauchcrt.
Braun, Karl Otto, Genre- und Landschaftsmaler, * :i4. Dezember 1852 in
München, f S. Febr. 1904 ebendas. 1?. erhielt, sobaki seine künstlerische
Begabung frühzeitig hervortrat, im Hause und unter der Schulung des \"aters,
des als .Xylügraph und .Maler so wohlbekannten Kaspar Braun (A. D.B.XXXXVII,
198), de.s Schöpfers der »Fliegenden Blätter« und Begründers der weltberühmten
F. Lauchert.
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Braun. Maison.
Firma »Braun und Schneider« den ersten grundlegenden Unterricht nebst einer
vortrefflichen, allseitigen Bildung. Weitere Förderung wurde auf der Akademie
unter Arthur von Rambergs (A. D. H. XXVII, 203) Leitung, woselbst H. längfre
Zeit nach dem Vorbild des trefflichen, im koloristischen Sinne mit Karl von
Piloty rivalisierenden Meister zum Genrefach sich bekannte, dann aber, seiner
inneren Veranlagung folgend, gänzlich zur Landschaft Oberging, ohne sich
einem bestimmten Vorbilde anzuschliefien. Auf beiden Gebieten erreichte
er gleich ehrenvolle Anerkennung, trotz seines immer bescheidenen Rück*
haltens. Er drängte sich nicht in die Ausstellungen, schwur aurh zu keiner
der l*arteien, förderte aber mit aufoiifernder Mühewaltung und unermüdlicher
Ausdauer alle Interessen der Künstlerschaft, verschönte ihre festlichen Ver-
anstaltungen mit geschickten und humoristischen Inszenierungen. — In
seinen landschaftlichen Bildern »zeigte er eine stille, gediegene, freilich adf
wenige Töne gestimmte, immer aber liebenswürdige Individualität«; »seine
ncbelfeuchten Tage und wohligen stillen Nächte erwecken einen stark natur-
haftträumerischen Eindruck . In den weichen, duftigen Stimmungen, in
denen er am liebsten die scheidende Stunde des Tages und die Dämmerung
mit dem aufsteigenden, durch den jungen Birkenbestand schimmernden Mond
schildert, admiet eine leise klingende, sanfte lyrische Schwermut. Es war
ein guter Teil Eichendorff in ihnen, freilich wenig von dessen fröhlicher
Wanderlust. In rein malerischer Beziehung blendeten die Werke nicht; sie
waren weder virtuos gemalt — getreu der Dichterregel, daß >Xatur und
rechter Sinn mit wenig Kvmst sich selber vortrage« — noch umliartic: ge-
zeichnet, sondern bescheidene, anspruchslose symphonische Säue lieblicher
Innigkeit
Bei seinem Begrftbnis ergab sich eine überraschende Teilnahme als
sprechender Beweis, dafi der zeitlebens immer bescheidene Mann aufrichtige
Freunde und Verehrer in den weitesten Kreisen bcsafJ.
Eine Ausstellung seines Nachlasses im Münchener Kunstverein machte
den größeren Teil der Beschauer erst mit den hochachtungswerten Be-
strebungen und Leistungen dieses Künstlers nachträglich bekannt
VgL Nr. 44 und 7t »Bayer. Kniicr« 13. Febraar und 1 1. Mine 1904. Nr. 59 »Ang»-
burjfrer Postzeitung« 12. Wtat 1904. Nr. 35 »Mttncbener Zeitung« 12. Febr. 1904. —
Brauns Name fehlt bei Singer und Fr. v. Bf^tticher, auch im Hericht des MUnchener Kunst-
vereins, welcher, gegen seine bisherige GepOogenheit, keinem seiner im Jahre 1904 ver-
storbenen Mi^eder einen Nachruf widmete. Hyac. Holland.
Maisooy Rudolf, Bildhauer, k. Professor, * 29. Juli 1854 zu Regensburg,
f iz. Februar 1904 in München. — Der aus einer französischen Emigranten-
familie stammende Vater wirtschaftete als tüchtiger Tischler und Zimmer-
mann in der alten Donaustadt, wo sich auch seine Söhne mit allerlei ein-
schlägigem Schreiner- Handwerk übten. Rudolf M. pflog allerlei Kunst-
hantierung auf eigene Faust. Über führerlusem Tasten und Suchen geht
freilich viel kostbare Zeit unausgenützt verloren; doch schadet es nicht,
nach Andersens tröstlicher Erfohrung, in einem Entenhofe zur Welt zu kommen,
wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat. Schließlich fand M. den
Weg nach dem Münchener Polytechnikum, um sich zum Haufach auszubilden,
blieb zwar ni( In lange, beim leichtbegreiflichen Mangel weiterer Mittel,
Biop'. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. Bd. 13
194
Maiion.
guckte aber seinen Lehrern mancherlei ab, was er später bei den architek-
tonischen Hintergründen und Sockeln seiner Denkmale wohl verwerten konnte.
Auch das Zeichnen und Modellieren betrieb er, das ihn rechtzeitig zu Bild-
hauern brachte, wobei viel Dekoratives für Fabriken und Kunsthandweik
entstand, auch für die Bauten König Ludwigs II., wobei er freilich allerlei
Vorbildnem wie Perron und anderen Handdienste leistete, doch soll er die
Pep^asus-Fontäne für Herrcnrhiemsee allein ausgeführt haben. Nach der bei
Bildhauern nicht ungewöhnlichen Sitte, "um Kondition zu suchen«, mag er
zu Ruemann und Wagmüller gekommen, auf seinen Wanderungen mit Bega^
in Berlin und Tilgner in Wien, auch etwas mit französischer Plastik in
Fühlung geraten sein. Von allen diesen Vorbildern machte er sich etwas zu
eigen, behielt aber, nidu immer zum eigenen Frommen, eine groSe Dosis
des besser-wissen-wolleiKlcn Autodidakten, der sich gleich im voraus mit der
Antike auf einen feindlichen l uli stellte. Kr halite alle Stilistik, wie man
denn auch an mancher Akademie die Klassiker aus den Sälen in die
Korridore verbannte. Dafür blieb M. eine Zeitlang mehr Sklave denn nach-
bildender Verehrer der Natur, wobei er frühzeitig an die heilsame Beihilfe
der Farbe dachte, ohne die jedweder Kunst zukommenden Grenzen mit
Lessings Scharfsinn zu erwftgen. Mit verzweifelter Kraft rang M. nach
Wahrheit, immer in Angst, der Schönheit in Form und Linie etwa weiter-
greifende Zugestandnisse zu machen.
Der keinen anderen Ausweg findende Kunsijungcr begann das »positi-
vistische« Naturstudium, ganz im Sinne der modernsten Naturforscher, klam-
merte sich an die fast photographische Wiedergabe von Einzelheiten, konnte
sich mit Fältchen, Wülsten, Narben und Zufälligkeiten nicht genug tun,
selbst auf Kosten des tektonischen Baues des Körpers. Hei den Tierbiltlern
quälte er sich mit der genauesten Charakterisierung, kennzeichnete bei
seinen Pferden alle Eigentümlichkeiten der Rasse, sogar der Färbung der
Haare, die er, wie man behauptete, seinen Rossen überklebte, ebenso wie er
die Nsrmphen und Wasserweiber mit wirklichen Haaren ausstattete. Um
kaum fixirbare Eindrücke festzuhalten, diente ihm die Farbe. So besetzte
er die Nägel seiner Neger mit Trauerrändern und formte ihre Zähne aus
Elfenbein. Infolge davon wagte er sich mit der übermütigei> Kühnheit der
Jugend an immer neue Stoffe, bei deren Bewältigung er seine bisher er-
rungene Technik zu Markt brachte. Dabei bewies sich die ganze ehrliche
Spannkraft seiner schöpferischen Phantasie, welche nur zu leicht die mittlere
Linie zwischen Idee und Darstellbarkeit fiberschritt Die Plastik »war fOr ,
ihn ein Gebiet unbegrenzter Möglichkeiten«. Das Titanische seines W^ollens
war ebenso anerkennenswert wie bei Klingers Experimenten. Auch M. wagte
sich an schwere, auf solchem Wege kaum überwindliche Stoffe, dazu zählt
z. B. die Ausgrabung eines »Verschütteten Arbeiters«, die Darstellung einer
streikenden »Arbeiterfamilie«, eine Gruppe mit »Caesars Ermordung«, wobei
der Imperator auf einer durch Stufen erhöhten »sella curmUf sitzend
gedacht war; der Künstler vergriff sich mit der Statuette eines »Philo-
sophen«, welcher, schnäbelnden Tauben zuschauend, eher einem Fabrik-
arbeiter als einem Jünger der Stoa gleichen mochte, der ebensowenig wie
der Sonderling Diogenes über ein geistiges Problem zu sinnen vermochte;
auch sein mit Weinkrug und Entenbraten befrachteter »Augur« war nur ein
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schmieriger Schmutzlink, ebenso wie der Knackwurst kauende, den Bierknig
zwischen den Beinen haltende »Kunstjünger«, welcher höchstens die ZQge
einer jovialen Hebe mit dem Griffel festzuhalten trachtet. Dafl man an
solche Erzeugnisse, Kneip- und Bummelwitze eines überquellenden Humors,
keine kritische Sonde legen darf, ist bc^Tciflich; wie M. dieselben aber doch
ernsthaft behandelte, war für den Künstler charakteristisch. Noch besser ge-
lang ihm eine mit den neuesten Berichten hausierende »Zeitungsfrau« oder ein
übrigens von der witzigen Verschlagenheit seiner Kollegen wenig besitzender,
roh einherschlaifender »Schusterjunge« — Einfälle, die selbst durch die ent-
sprechende Farbengebung nicht liebenswürdiger erscheinen konnten. Auch
das vor dem gefräfiigen Vogel der Juno an<;stvoIl ihr Brot schützende
häßliche • Faunmädchen« erwarb schwerlich das teilnehmende Interesse des
Beschauers, der jedoch auch nicht iininer Grund hatte, mit M.s. Porträt-
büsten von höchst achtbaren Staatsmannern und Gelehrten zufrieden zu sein, da
der Bildner an kleinlichen, subjektiven Zufälligkeiten sich einklammerte, ohne
die geistige Individualität sum vorherrschenden Ausdruck zu bringen. Auch
das Gebiet der religiösen Kunst betrat M. als einer der entschiedensten
Naturalisten. Er wählte clcn Augenblick, wie das aus rohgezimmerten
Stämmen bestehende Kreuz mit dem angenagelten Heiland von wihicn
Schergen gewaltsam aufgerichtet wird: rückwärts stemmt sich ein römischer
Soldat an das Marterholz, seitwärts ein stupider Neger, während vorne ein
hftfilicher jüdischer Büttel an einem langen Strick die schwere Last mit dem
zwar nicht idealen, aber doch immerhin menschlich edlen, etwas hebräischen
Typus tragenden, angenagelten Dulder in gleichhastender Eile in die Höhe zu
ziehen strebt. Die jammernd über den .\nblick zusammenbrechende Gestalt der
Gottesmutter nebst dem Lioblingsjüngcr Johannes runden das Ganze niiiglichst
ab. Es sind lebensgroße l'iguren mit höchster driunatischer Wirkung und
einer weit über das Gewöhnliche hinausgehenden Feinheit des Studiums in
den Gewändern und nackten Teilen, wobei ein teilweise an die Altdeutschen
erinnernder Zug durchweg sympathisch berührt: Die Arbeit eines begabten
Mannes, welcher das volle Recht hatte, seine eigene Auffassung auch energisch
geltend zu machen und unser Gefühl zu empören gegen die X'erhöhnung aller
Menschlichkeit, die hier im Namen des Rechts begangen wird. Durchweg
anerkennend und günstig lautete die Aufnahme in der Presse (vgl. Lützows
Zeitschrift 1885. XX, 464, 1886. XXI. 560. Nr. 8z Münchener Fremdenblatt
23. März 1885. Nr. 71 Augsburger Postzeitung 28. März 1885. Pecht in
»Kunst für Alle« 1886, I, 2$S und dessen »Geschichte der Münchener
Kunsta 1888. S. .^07).
Eine Zeitlang invihte er sich mit dein zufällig gefundenen Modell eines
Negers, der korbtragend als Tafelaufsatz« oder gar als »Elektrische Lampe«
dienen sollte, dagegen als gec^uälter Reiter eines hinterlistig bockenden
Grauohn (angekauft vom Münchener Kunstverein, Abbildung in R. Bongs
»Moderne Kunst« XITI. Bd., Tafel 16) doch durch die eminente Mache unsere
freilich nur vorübergehende Heiterkeit erregen konnte.
Ein prinzipieller Gegner der Antike, nahm M. die deutsche Mythologie
in^Affektion; aber sein »Wuotan« (Nr. 3021 »Illustr. Ztg.« 23. Mai 1901)
war doch nicht der allgütige Vater der Götter und Menschen, sondern ein
in brutaler Bärbeifiigkeit gnadenlos prunkender Wikinger; auch die Gestelt
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Maison«
des unter dem glänzenden Giftwurm angeketteten »I-oki^ verdarli er sich
durch willkürliche Behandlung des gemarteten Güttcrfeindes, wozu ihn nur
sein angestUmes Hasten nach Originalitftt verleitete. Ein Beispiel phan-
tastischer Ungeheuerlichkeit ergab der mit plastischer UnmAgllclikeit equili-
brierende, von einem Panther Überfallene, mit Karawanen-Gepäck beladene,
wehrlose Neger — der schreiendste Gegensatz zu 1 aokoons grandioser Wür-
digkeit — eine imhewulit ironische Revanche gegen I riednch Hecht, welcher
Lessings Kunsttheorie als das Produkt eines Ignoranten abstempelte. An L'n-
geheuerlidikeit litt auch der »Entwurf zu einem Fliedensdenkmal«, womit
M. bei einem Münchener Projekt vergeblich konkurrierte (vgl. »Kunst für
Alle« XVI. Jahrgang, 6. Heft, 15. Dezember 1900), ein wildverworrenes Gc-
knäuel von abgehetzten Rossen und daherstürmenden Menschen. Auf dieser
kaum einen festen Halt gewährenden Ruhelosigkeit basierte auch ein großer Teil
von M.s Mißerfolgen. Erst betäubte er die Ikschauer und Schiedsrichter, dann
kam ruhigere Erwägung, Bedenken, Unbehuglichkeit, Zweifel und berechtigter
Einspruch — der Schluß fiel meist mit abweisendem Ermessen und klügelnden
Erwägungen zugunsten eines anderen. Unbeirrt durch solche Enttluschungen
ging M. mit unermüdlicher Schöpferkraft an einen neuen Ringkampf sein ge-
dankengequälter Geist ersann abermals Projekte und l'roliletne mit wachsender
Zuversicht. Nicht besser glücktr rs bei der Konkurren/, des Monuinental-
brunnens für den Münchener Ma-xunilian^platz, obwohl das Siegfriedinutiv aus
naheliegenden Beziehungen zu Wagners Tondichtungen dn günstiger Griff
schien, aber die dazu beanspruchte Anlage eines Seebeckens, in welchem ein
kompliziertes Drachenungeheuer hauste, stand in zu weitläufiger Fühlung mit
der gar nicht bedrohten Jungfrau und dem in weiter Kerne erscheinenden
Retter, obwohl die umgebende Landschaft das (]anze überraschend abgerundet
hätte. Es »zog« aber nicht und die wispernde Rede ging im voraus zu
Adolf Hildebrands Gunsten. Ebenso mißglückte es mit dem Berliner Bismarck-
Denkmal, wofQr Reinhold Begas prädestiniert war. Der »Kaiser Wilhelm«
liir Stuttgart erweckte sichere Erwartung, scheiterte aber an den gigantisdien
Felsenmassen des rnterbaues; für Aachen standen die Aussichten gOnsti^^
nur mißverstand das Kon\itee die Hezieluing des Heldenkaisers zu den
mit Haaren herbeigezogenen Rheintö» htern «. Überhaupt stheint es auf-
fällig, warum so viele iiildhauer das Pferd des so festgegossen im Sattel
sitzenden alten Recken von tubablasenden und kriegerische Emblemata
tragenden Frauengestalten am ZQgel fOhren ließen, als ob der Kaiser ein
schlechter Reiter gewesen, nicht imstande, sein Staatsroß selbst zu regieren.
Dergleichen stallmeisternde Frauenhilfe wäre den alten römischen Bildhauern
nie beigefallen! auch nicht dem .Meister Donatello bei seinem (iattamelata
vor S. .Antonio in Padua oder dem unübertrefflichen Andrea Verocchio mit
dem stolzen, seine Söldner zum Siege heischenden Colleoni in Venedig. Die
Skizze zum Wörther Denkmal des »Deutschen Kronprinzen« wurde preis-
gekrönt — aber, wie gewöhnlich, ein anderer mit der AusfOhrung betraut.
Dergleichen Unbegreiflichkeiten hätten jeden anderen Künstler in den Sand
gestreckt. Günstigere Sterne walteten über flen die »Bändigung der N'atnr-
krafte syinl»()nsierenden lirunnen in l-'ürth : wie der riesige Zentaur kühn
und trotzig über den «Fluß« hinwegsetzt, um seinerseits augenblicklich
von dem auf rollendem Rade einherbrausenden »Dampf« flberholt und ge-
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bändigt zu werden, so daß der sich unüberwindlich bedünkende Pferdmensch
auf einmal gefesselt fühlt und darob wihl aufbäumt: Eine voll Feuer und
Leben trefflich aufgebaute Gruppe (vgl. »Kunst für Alle« 1888. IV, 72). Noch
durchschlagender gelang es ihm mit Bremen. Hier hatte ein reicher Bürger,
Gustav Teichmann, die nötigen Mittel för ein Werk ausgesetst, wozu M.s
überquellende Phantasie einzig paßte. Mit dieser hier vOUig berechtigten Alle-
p:orie auf die Schiffahrt und den Seehandcl, nebst den Feinden und Schrecken
des wilden Elements, erreichte M. eine überraschende, wenn auch nicht
einwandfreie Wirkung. Auf einem von gefräßigen Haien, fanggierig tastenden
Kracken und anderen Meerungdieuem umwimmelten felsblöckigen Unterbau
trägt ein riesenhafter, das sturmgepeitschte Meer repräsentierender, mit Wal-
roßkörper und Hippokampenhufen ausgerüsteter Triton ein Boot wie ein
Spielzeug auf seinem breiten Rücken, während eine Nixe, die verderbliche
Macht der Fluten, das Fahrzeug hinabzuziehen trachtet. Im Boote sitzend
rudert die stämmige Gestalt eines Fergen, der die Warenballen vor sich auf-
gestapelt hat, auf welchen ein jugendlicher Merkur mit dem gewinnver-
heifienden grünen Reis und dem vollen Beutel, leichtfüßig flatternd balanciert.
Das ganse Werk, wuchtig und zierlich sugleich, überrascht durch seine
originelle P'rfindung, zeigt in der Technik jene Mischung idealer Auffassung
und realistischer Durchbildung, in welcher M.s besondere titanische Stärke
lag. Man hat, nicht mit Unrecht, den Teichmann-Hrunnen »eine l'eerie
am Meeresgrund« genannt. Sein unermüdlicher Geist schwelgte in immer
neuen, sdn gimses Xjra{d>ewufltsein herausfordernden Kompositionen und
Ideen, zu deren Verwirklichung sein treuer Vater mit grofiem, schnellen Er-
fassen zum inneren Geripp und dem ganzen konstruktiven Aufbau die helfenden
Hände bot. Mit einer den meisten seiner Schöpfungen eigenen Hetze und
ihr mögliches Ziel häufig überschießenden Rastlosigkeit häufte er neue ver-
bessernde Projekte, oftmals in der zuversic htlichen Täuschung, das l'nmögliche
überwinden zu wollen: ein gedankengequälter, vom Ehrgeiz abgehetzter Geist,
der mit Verschiebung aller herkömmlidien statuarischen Gesetze seine Ideale
verfolgte. So schuf er sidi, wie Bonaventura Genelli, der übrigens ein durchweg
plastisdl denkender Maler war, unsägliche Schwierigkeiten, immer neue Mo-
tive seinem Stoffe einverleibend, nie mit der einfiu lien Tatsache zufrieden,
wovon z. H. sein friedloser »I,oki-< mit der hilfreich den Sclilangengeifer
abhaltenden Frau zeugt. Einen wohltuenden Rückweg von der Überbietung
des Buonarotten — der diesen Bestrebungen gegenüber erst recht in voller
Orandiositftt erscheint — und ein neues Gebiet betrat M. mit der massigen
Wucht seiner Standbilder und Reiterstatuen. Er kam erst darauf, als
ihm Paul Wallot einige Aufträge zur Ausschmückung des Berliner Reichs-
tagsbaues zuwies, darunter zwei standartentragende Reiter. Mit der
ihm eigenen Leidenschaft hatte M. Hingst schon das Studium des Pferdes
betrieben. Er begnügte sich nicht mit der Darstellung eines Prototyps,
sondern eifafite alle P.igentQmlichkeiten der Rassen. Mit welch feueriger
Wut stürmen die abgehetzten Kriegsrosse einher, am Wagen des verworfenen
Siegesdenkmals (»Kunst für Alle« 1900, XVI. Bd., 6. Heft), während hier
die eisernen lanzentragenden Kerle auf ihren Turnierj^ferden wie in den
Sattel gegossen sitzen, wobei ihnen die l-'arhe in günstiY^srcr Wirkung bei-
hilft. Zwei stehende, Lanze und Schwert tragende Kitter bilden (als Geschenk
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Maison. Bniimer.
eines in Bremen geborenen, im Auslande lebenden Herrn Harrjes, vgl. Nr. 3197
»lUustr. Ztg.«, 6. August 1904) eine neue Gesellschaft des schon seit Urzeiten '
sagenbekanntt'ii ^ Roland der Riese vorm Rathaus zu Bremen.« Ihnen folgte die |
Kolossalstatue Kaiser Otto I. für den Rei( lisiagshau — ein kurzweg droheiuier ,
Herrscher, mit der Streitaxt in der Recliten und der nicht miüverständhch
heischenden Handbewegung, wobei ihm der im Reichstag zomsprQhende,
gereizte »eiserne Kanaler« als Vorbild gedient haben mag. Dagegen blieben
wieder awei für die Isarbrücke bestimmte Statuen unausgeführt, die des ratlos
in seinem schweren Kiscnpanjrer ste< kenden Herzog Christoph des KämpferN
und des ein Madonnenhild modellierenden, bisher als angeblirlu-r K.rzgieticr
eine Rolle in der Münchener Kunstgeschichte spielenden Hans Krumpper.
Doch wurde M. mit der Ausführung des Friedrich-Denkmals für Berlin
(Nr. 3167 »lUustr. Zeitung«, 10. März 1904), dieses Mal ohne Wettbewerb,
betraut, einer Reiterstatue, welche den vollen Beifall seines kaiserlichen
Sohnes errang, während der Künstler, weniger zufrieden, immer noch über
neue Lösungen brütete. Der rastlose Hildner (jualte sich darüber, so daß
dieses Werk wirklich ein Nagel seines Sarges wurde. Zu seinen letzten
Leistungen zählte ein Nornenbild und ein Grabdenkmal. Die drei Schicksais-
schwestem sind in ruhender Gruppe gedacht: die »Gegenwart« in reizloser
Stellung stehend und schauend, die »Zukunft« sitzend, in die Feme aus*
lugend, das die Stime verhüllende Tuch mit beiden Händen umfassend; '
die «Vergangenheit«, wohl die aninutendste Figur, schlafend hingegossen j
(Nr. 3189 Illustr. Zeitung 11. August 1904). Das letzte Werk, ein Frieii-
hofsdenkmal, zeigt eine vom Haupt bis zu den Füüen verschleierte geheimniv
volle, ein großes Kreuz mit erhobenenen Armen haltende Gestalt (der
Glaube); an den Hanptstamm klammert sich ein hingesunkener, im Todes-
kampfe ringender, die Porträtzüge des Entschlafenen tragender Jüngling.
Mit diesem nicht völlig vollendeten Standbild ist M.s ganze vielseitige
Tätigkeit charakteristisch abgeschlossen, deren Programm dahin lautete;
Die Wahrheit steht mir am höchsten, nicht die nackte und gesuchte, sondern
die vornehm geschaute Wahrheit.«
Abgearbeitet war M., als er nach kurzer Krankheit ins frühe Grab sank« '
aber noch nicht vollendet und durchgeklSrt. Er hätte gewiß noch andere |
Wege eingeschlagen. Sein sich Niegenugtun wetteiferte mit dem exzentrischen
Hasten utul Streben Salvator Rosas, alles Herkommen zu überbieten und
neue, vordem nie behandelte Stoffe zu linden. Mit vierzig seiner Werkf
war M. 1904 im Vestibül der Münchener Ausstellung im Glaspalast vertreten
— eine seltene ehrende Ovation für den Künstler, welchem durch sein
frühes Ende die letzte weit ausschauende Höhe zu erklimmen versagt
blieb.
Vgl. zu der im Text crwiilinten Literatur die Artikel von F. von Ostini in »Kun'-t für
Alle« 15. Dezember 1900 und in Nr. 88 »Neueste Nachrichten« iS. FcV)ru:ir 1904. Altx
Braun »Moderne Künste XVI II (mit Porträt). A. G. Hartmano in Nr. 466 »Allgem. Itg-*
12. Oktober 1904. Ettlinger in »Hochland« September 1904, S. 76a, Nr. 8a Alesuder
HeOmeyer üi »Die Kunst unserer Zeit« 1904 (XV, 186) Hyac. Holland.
Brunncr, Johann Paul, Scminar-Rej^ens in Regensburg, * 25. Januar 1846
zu St. Nikola bei Landshut, f 22. Februar 1904 zu Regensburg. — B. wurde
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Bnmner. EhxeDsbeiiger.
199
1871 zum Priester geweiht und wirkte über 25 Jahre in der Seclsorue;
Pfarrer zu Obertraubling bei Regensburg. 1S96 wurde er Regens des Klerikal-
seminars za Regensburg; bischöflicher geistlicher Rat Wenige Tage vor
seinem Tode erfolgte seine Ernennung «um Domkapitular. — B. redigierte
von 1890 bis zu seinem Tode (40 —54. Jahrg.) die praktisch-theologische
Monatsschrift: »Der Prediger and Katechet«.
Vgl. »Angsbttiger Postseitungc 1904, Nr. 44 v. 24. Ftbt, F. Laucher t.
Ehrensberger, Hugo, Gymnasialprofessor in Bruchsal, Historiker, * 21. Sep-
tember 1841 zu Engen im Hegau, f 24. Februar 1904 zu Bruchsal. — E. besuchte
die Gymnasien zu Konstanz und Freiburg i. Br., studierte dann Theologie
und Philologie in Freiburg und wurde 1865 zum Priester geweiht. Hierauf
wurde er zunächst V'ikar zu Haslasrh im Kinzigtal, 1868 Pfarrverwescr zu
Möggingen (Amt Konstanz). Im Dezember 1869 erbat er sich Urlaub zur
Fortsetzung seiner philologischen Studien, bestand 187 1 das philologische
Staatsexamen und wurde er als Gymnasiallehrer in Rastatt angestellt, 1875
zum Professor ernannt; 1879 Professor am Gymnasium in Offenburg,
i88r in Tauberbisrhofsheim, 1894 in Bruchsal. 1S7T wurde er von der theo-
logischen Fakultät der L'niversität F"reiburg i. Br. zum /)r. theol. promoviert;
1891 — 1893 zu einer Studienreise nach Rom beurlaubt; 1897 päpstlicher
Geheimkämmerer; 1898 wurde ihm vom Groflherzog von Baden das Ritter-
kreuz I. Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen. — E.s wissen-
schaftliche Hauptwerke, an denen, wie an allen seinen Arbeiten, die grofle
Sorgfalt und Zuverlässigkeit allgemein anerkannt wurde, sind die Beschreibungen
fler liturgischen Handschriften der Hof- und Landeshibliothck zu Karlsruhe
unci der vatikanisclien Bibliothek: Bibliotheca litun^Uii manuscriptd). Nach
Handschriften der großherzoglich badischen Hoi- und Landesbibliothek. Mit
einem Vorwort von Wilh. Brambach« (Karlsruhe 1889); »Z£An lUurgki
^Iwthuae ApwMkae VaHcanae mamtser^ti* (Freiburg i. Br.* 1897). Daneben
machte er sich besonders um die badische Landesgeschichte verdient. 1887
übernahm er für die Batlisdie Historische Kommission die Pflegschaft im
Amtsbezirk Tauberbischofsheim und verzeichnete für dieselbe die Archivalicn
des Bezirks; seit 1895 war er zugleich Pfleger des Amtsbezirks Bruchsal, und
1903 leistete er noch Aushilfe fQr den Amtsbezirk Simheim. Die von ihm
bearbeiteten Verzeichnisse und Beschreibungen von Archivalien sind gedruckt
in den »Mitteilungen der Badischen Historischen Kommission Nr. 12, 13, 20.
An dem 4. Bande der »Kunstdenkmäler des Großherzogtums Baden , Kreis
Mosbach, 2. und 3. Abteilung (1898 und irjoi), bearbeitet von Occhel Häuser,
wirkte er mit durch Bearbeitung der lokalgeschichtlichen Nachweise. Im
»Freiburger Diözesan-Archiv« erschienen seine Arbeiten: »Beiträge zur Ge-
schichte der Abtei Gengenbach« (30. Bd. 1889, S. 257—275); »Zur Geschichte
der Benefizien in Bischo&heim a. T.« (23. Bd. 1893, S. lai — 214); »Zur Ge-
schichte der Türkensteuer, insbesondere in Franken, und das Stdfsidium
charitat'wum des Kapitels Taubergau« (N. F. 1. Bd. [28. Bd.] iqoo, S. 396 bis
433)1 »7'Ur (Jeschichte der Landkapitel Buchen und Mcrucnthcim (Lauda)
(N. F. 3. Bd. [30. Bd.j 1902, S. 325—371; N. F. 4. Bd. [31. Bd.J 1903, S. 322
i>i^ 357)- Um die katholische Presse Badens machte E. sich verdient als
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Ebrensberger. Dietrich. Hofimaaii.
Mitl>egründer des 'Tauberboten > und besonders als Begründer und lang-
jähriger Redakteur des »St. Liobablattes«.
Vg:l. »Zehsclirift ftr die Geschichte des Obcirheins«, N. F. 19. Bd. (58. Bd.), 1904.
m 33— 1036 (v. Wcech). — »Freibniscr DUfaeiaii-AichiT«, N. F. 5. Bd. (32. Bd.), 1904.
S. 437— 440 0^' %i>yer)> F. Lauchert
Dietrieh, Anton, Maler, Professor, * 27. Mai 1833 in Meiflen, f 4. August
iqo} in Leipzig. — Ais Schüler von Bendemann und Julius Schnorr von
Carolsfeld an der Kunstakademie in Dresdi n blieb D. zeitlebens der alten
historischen Richtung in seiner Kunst treu. Er lebte einige Jahre in T>üsscl-
dorf und darauf acht Jahre in Italien und ließ sich 1868 in Dresden nieder.
Später wurde er als Professor an die Kunstakademie in Leipzig berufen.
Seine Hauptwerke sind grofie Freskenisyklen historischen und lehrhaften Inhalts.
In der Aula der Kreuzschule in Dresden malte er eine Reihe von Wand-
bildern, die in historischer Folge die bedeutendsten Vertreter der sittlichen
und geistigen Bildung vorführen. Snkrates, (\irtius, Luther usw. Die Fresken
in der Aula der Tec hnischen Hoc hschule in Dresden stellen die Taten des
rrometheu.s als Sinnbild des schöpferischen Menschengeistes dar. Femer
stammen von ihm mehrere Wandbilder in der Albrechtsburg bei Meiflen, die
Fresken in der Aula des Johanneums in Zittau mit dem Hauptbilde »Paulus
predigt in Athen«, in Wachsfarhen ausgeführt, das Altarbild in der Dres-
dener Kreuzkirche, sowie iler Entwurf für das (Giebelfeld des Finanzministe-
riums in Dresden, Saxonia als Schützerin von Technik, Bergbau, Landwirt-
schaft und Industrie«.
KuDstchronik XV. — Kunst ftlr Alle XIX. — Boetticher, Malemerke des 19. Jahr«
hundcrts. 1895 — 1901. — Ckromigtu des Aris *t de ia CmriasUe.
Hugo Schmerber.
Hoffmann, Joseph, Maler, * 33. Juli 1831 in Wien, f 31. Januar 1904 in
Wien. — Mit H.s Tode bat ein in kQnstlerischer und mehr noch in rein
menschlicher Beziehung höchst originelles Leben seinen Abschluß gefunden.
Am bekanntesten wurde sein Name durch seine weltumspannenden Reisen,
von denen er tausende von Studien und Skizzen heimbrachte, interessant
als geographische, ethnographische, kultuigesdiichtliche Dokumente; er suchte
in seinen naturgetreuen Darstellungen der klassischen Landschaften den Gebt
der Antike festzuhalten und 2U gleicher Zeit entstanden unter seiner Hand
phantastische Dekorationen zu romantischen Opern, Schon im Anfang ge-
staltete sich sein Lebenslauf ungewöhnlich. Als Sohn eines Schlossers setzte
er mit Mühe den Wunsch durch, an die Kunstakademie zu kommen und
schon im fünfzehnten Jahre veröffentlichte er eine Sammlung von lithogra«
phierten Naturstudien aus dem Prater. Im Jahre 1848 muflte er infolge seiner
Teilnahme an der akademischen Legion fliehen und ging nach Serbien, wo
er sich mit Zimmermalerei fortbrachte und daneben Landschaften malte.
Nac h seiner Rückkehr wurde er in Wien durch mehrere Jahre ein Schüler
Rabis, begann aber schon um diese Zeit die weiten Reisen zu unternehmen,
die später seine S[)ezialität werden sollten. Nach Aufenthalten in Tirol und
Oberitalien ging er 1857 nach Griechenland, wo sich seine Hauptneigung fOr
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HoffnittUL
201
die klassische T^andschaft festigte, und von 1858 an war er sechs JaFire lang
in Rom tätig. Hier entstanden mehrere Bilder nach griccliischcn Skizzen und
italienische Studien, z. B. »Die Reste des Venusheiligtums an der Straße nach
£Ieusi8« und die »altgriechische Landschaft mit dem Grabe Anakieons (1S65)«,
beide jetzt in der Galerie der Wiener Akademie befindlich, sowie die Bilder
»Athen zur Zeit des Perikles« (Besitzer Baron Sina), »Küste vonSalamis<^ u. a.m.
Als H. 1864 na( h Wien zurückkehrte, wartete seiner eine neue Tätigkeit,
indem er an der im Bau begriffenen Hofoper zum Vorstand des Ausstattungs-
wesens ernannt werden sollte; er nahm die Stelle zwar nicht an, malte aber
mehrere Dekorationen zu den Opern »Zauberflöte«, »Romeo und Julie^^,
»Freischütz«. Eine grolle Au^abe erOffiiete sich dem Kttnstler in dieser
Richtung, als ihm Richard Wagner die Dekorationen für den Ring der Nibe-
lungen in Bayreuth übertrug. Es entstand aus diesem Auftrag aber eine
unerquickliche Intriguengeschichte, die ungünstig für H. endete; die Skizzen
und Farbenentwürfe, die er 1874 vollendet liatte, wurden von anderen benützt
und kamen nicht durch ihn selbst zur Ausführung. In der Wiener Hofoper
gelangte die Dekoration znr Walküre zur Verwendung. Seinen Wiener Auf-
enthalt unterbrach der Künstler fortwährend durch Reisen, die sich mit der
Zeit immer weiter erstreckten, er kam durch ganz Europa, na( h Nordafrika,
China, Japan, Indien, Nordamerika, Ceylon, Java usw. Stets brachte er eine
l'nzahl von Studien und Skizzen heim, es wurden mehr als 10.000. Um sie
öffentlich vorführen zu können, baute er sich in Wien eine eigene Aus-
stellungshalle, wo er Vorträge hielt und die Skizzen serienweise nach Undem
geordnet ausstellte. Zwischen den Reisen entstand eine Reihe von zyklischen
Werken groflen Umfangs. Für das Naturhistorische Hofmuseum malte er acht
Wandbilder, welche die geologischen Bildungsepochen der Krde charak-
terisieren, ferner im Wiener Kursalon vier Landschaften, sowie acht Zonen-
bilder im Palais Epstein am Burgring, 1871 beendet, mit Ansichten von
Athen, Corfu, Capri, Rom u. a. Originelle Wandbilder schuf er im Garten-
saale des Schlosses Hömstein für den Erzherzog Leopold, eine Darstellung
von Jagdabenteuem, die über Winde und Türen hinweg gemalt ist, aufierdem
auch landschaftliche Fresken daselbst Für den Baron Sina, der einen groflen
Teil seiner griechischen Skizzen erwarb, malte er 1876 einen Zyklus von fünf
Bildern aus dem alten Athen, die oft in Reproduktion zu sehen sind. Drei
andere Landschaftsfresken heilien: »Draina, Idylle und Tragödie«. Das Kunst-
historische Museum in Wien besitzt von H. ein Aquarell, »Das Mftdchen aus
der Fremde«, welches für das Kronprinz Rudolf-Album gemalt wurde.
Nach seinem Tode erregten die Verfügungen des Künsders einige Auf-
merksamkeit, denen zufolge sein Iksitztum in der Schweiz am Vierwald-
stätiersce, «Zwing-Uri« genannt, als Vermächtnis an die .Allgemeine deutsche
Kunstgt nossenschaft fallen sollte, sowie die gesamten Keiseskizzen an die
Ckincinde Wien unter der Bedingung, daß ein eigenes Museum dafür bestehen
mfl0te. Die letztere Anordnung wurde nidit eriNillt.
Kunstchionik XV. — Kunst ftr Alle XIX. — L. Eisenberg, Das geistige Wien.
1893. — Neue Freie Presse, i. Februar 1904. — Boctticher, Malerwcrkc des 19. Jahr-
hunderts 1895— 1901. - ~ Hcvesi, Österreiche Kunst im 19. Jahrhundert. 1903. — Chroniqut
des Arts et de la Curiosiü. 0^04.
Hugo Schmcrber.
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202
Aldenkirchen. Keller. Sflbenuigl.
Aldenkirchen, Joseph, Domkapitular in Trier, Kunsthistoriker, * 6. Januar
1844 zu Bonn, f in der Narht vom 4. zum 5. März 1904 zu Trier. — A. be-
suchte das Gymnasium zu Bonn, studierte dann an der dortigen Universität,
sowie in Tübingen und Münster Theologie und empfing 1868 in Köln die
Priesterweihe. Er wirkte dann 34 Jahre in Viersen als Pfarrkapitular und
Deservitor der Hospital kirrhe, sp.itcr auch als Rektor des katholischen
Waisenhauses und städtisclKM Si huliiispektor. t<Sq2 wurde er Domvikar in
Trier. A. war als feinsinni[,'er Kfimer und F()r(lercr der ( hristliclicn Kun^t
bekannt, auf diesem Gebiete auch literarisch tätig. Besonders zu erwähnen
ist die Schrift: »Die mittelalterliche Kunst in Soest Ein Beitrag et»
rheinisch-westfälischen Kunstgeschichte« (Festprogramm zu Winckelmanns
Geburtstage, Bonn 1875); von seinen Beitrügen zu den Jahrbüchern des
Vereins von Altertumsfrcundcn im Kheinhmde die größeren Arbeiten: T)rei
liturgische Schüsseln des Mittelalters' (75. Heft, 1883, S. 54 — 78; auch separat,
Bonn 1883), und »Krüli-inittelalterliche I^einen-Stickereien<^ (79. Heft 1885,
S. 256 — 272; auch separat, Bonn 1885).
Vgl. »Kidnische Volksseitongc 1904, Nr. 191 v. 5. Mint; Nr. 197 7. Mite —
»Litcfw. Handweiserc 1904, Nr. i, Sp. 4a F. Lauchert
Keller, Pius, O. S. ylu^., Prior in Miinnerstadt und früherer Pro\ inzial.
* 30. September 1825 zu Ballingshausen in l 'nterfranken, f 15. Mär/ 1004
zu Münnerstadt. — K. besuchte diis (Jyninasium zu Münnerstadt, studierte
Theologie und Philologie zu Wfirzburg, machte das philologische Staats-
examen und wurde 1849 zum Priester geweiht Noch in demselben Jahre
trat er als Novize in das Augustinerkloster zu Münnerstadt ein, wo er 1850
Profeß .iblegtc. Hierauf war er eine lange Reihe von jaliren, 1S50 — 1S65
und i<S7o 1896, als Professor am k. (Gymnasium zu Münnerstadt tätig. Zu-
gleich bekleidete er wichtige Ämter im Orden; öfter war er Prior im Kloster
zu Münnerstadt, zum erstenmal schon 1850 gewählt; 1859 — ^^95 General-
Kommissär des Ordens in Bayern; 1895 — 1902 erster Provinzial der nea ei^
richteten deutschen .-\ugustiner-Ordensprovinz; als ilm 1902 die zunehmende
Körperschwäche bei dem hohen Alter nötigte, auf dieses Amt zu resignieren,
übernahm er nochmals die Leitung des Münnerstädter Klosters bis zu seinem
Tode. — K. schrieb: ^Imitw I'.p'iSioponan Ordims lircin. S. Auii^ustini Gcrmanoriim ^
(Programm der k. Studienanstalt zu Münnerstadt 1875^76). Die 2. Auflage
des Kirchenlexikons von Wetzer und Welte enthält von seiner Hand eine
Anzahl von Artikeln zur Gelehrtengeschichte und Hagiographie des Augustiner-
Ordens.
Vgl. »M.iria vom guten R.it« (Kortsetnmg der »Stimmen vom Berge Karmel«), 14. lahrg.
1905, 8. lieft, S. 218 — 221. — »Augsburger Post2citung« 1899, Nr. 82 v. it. April; 1904,
Nr. 64 T. 18. Mite. F. Lauchert.
Silbernagl» Isidor, Professor des Kirchenrechts in München, * is. Oktober
1831 zu Landshut, f 6. April 1904 zu München. — S. machte seine Gym-
nasialstudien in Landshut, studierte dann 1849 — 1853 Theologie in München,
wo besonders Döllinger und der Kanonist Pcrnianedcr die Richtung seiner
Studien beeinflußten, trat 1853 in das Klerikalseminar zu Freising ein und
wurde daselbst 1854 zum Priester geweiht. Hierauf war er mehrere Jahre
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SObemagl.
203
in verschiedenen Stellungen in der Seelsorge tätig, während welcher Zeit er
von der philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. 1856 zum
Dr. pJiil. promoviert wurde, auf Grund der Dissertation: ^ Albrecht IV., der
Weise, Herzog von Bayern, und seine Regierung (München 1857)«. Da ihn
seine ganze Veranlagung weniger zu historischen Studien hinzog, widmete
er sich von da an vorzugsweise kirchenrechtlichen Studien und wurde 1860
in München Dr. theol. mit der Dissertntifm: »Die Kides-Entbindung nach
dem kanonischen Rechte« (München 1S60). Mit der Schrift: Das Fherecht
nach den Gesetzen der griechischen Kirclie (München 1.H62) habilitierte er
sich 1862 an der theologischen Fakultät der Universität München als Privat-
dozent für Kirchenrecht. Nachdem noch in demselben Jahre der Ordinarius
dieses Faches, Permaneder, gestorben war, wurde S. 1863 zum aufierordentlichen
Professor für Kirchenrecht ernannt 1870 wurde er ordentlicher Professor
dieses Faches. Seit 186;; war er auch mit Abhaltung von Vorlesungen über
die bayerischen Volkss( hul^'csctze betraut. 1872 wurde ihm, zum Ersatz für
DöUinger, zum Kirchenrecht auch die Kirchengeschichte als Nominalfach
übertragen, bis 1886 die Professur der Kirchengeschichte wieder mit einem
eigenen Vertreter (Alois Knöpfler) besetzt wurde. Seit 1887 hielt er auch
Vorlesung«! über den Buddhismus, mit apologetischer Tendenz, und öfter
auch solche über die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts. S. war ein
hervorragender, anregender und beliebter akademischer Lehrer. — Von seinen
nach den bereits erwähnten Dissertationen ersihienenen .Arbeiten sind zu-
nächst die kirchenrechtlichen iiaupi werke zu nennen: »Verfassung und gegen-
wartiger Bestand sämtlicher Kirchen des Orients« (Landshut 1865; s. Aufl.
nach seinem Tode herausgegeben von J. Schnitzer, Regensbuig 1904); »Ver-
fassung und Verwaltung sämtlicher Religionsgenossenschaften in Bayern. Nach
den gegenwärtigen Gesetzen und Verordnungen dargestellt« (Landshut 1870;
2. .Aufl. Regensburg 1883; 3. Aufl. 1892; 4. Aufl. 1900); Lehrbuch des
katholischen Kirchenrechts zugleich mit Rücksicht auf das im jetzigen
Deutschen Reiche geltende Staatslurchenrecht« (Regensburg 1880; z. Aufl.
1890; 3. Aufl. 189s; 4. Aufl. 1903). Diese Werke zeichnen sich aus durch
praktische Brauchbarkeit, durch die genaue Darstellung des geltenden Rechts,
w.ihrend S. auf die geschichtliche Entwicklung weniger Gewicht legte.
Vorher hatte er die 4. Auflage von Permaneders »Handbuch des gemein-
gültigen katholischen Kirchenrechts« herausgegeben (Landshut 1865). Für
Döllingers »Beiträge zur politischen, kirchlichen und Kulturgeschichte der
letzten sechs Jahrhunderte« Bd. II. (Regensburg 1863) veifafite er den
Kommentar zu den dort veröffentlichten »Römischen Annaten-Taxrollen aus
dem 15. Jahrhundert (S. i — 276). Noch immer wertvoll ist auch seine
Monographie: Johannes Trithemius ■ (Landshut 1868; 2. Aufl. Kegensburg 1885).
Aus seinen Vorlesungen über den Buddhismus ging die Schrift hervor: Der
Buddhismus nach seiner Entstehung, Fortbildung und Verbreitung. Eme
kulturhistorische Studie« (Mtlnchen 1891 ; a. Aufl. 1903). Sein letztes gröfieres
Werk: »Die kirchenpolitischen und religiösen Zustände im 19. Jahrhundert«
(Landshut 1901), nach seinen Vorlesungen über die Kirchengeschichte des
19. Jahrhunderts zusammengestellt, zeigt in seiner stark subjektiven Fassung
nur, daß S. zum Historiker seiner Zeit nicht berufen war und laßt vielfach
die Mißstimmung zum Ausbruch kommen, die in ihm seit der Zeit des
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Silbeinigl. von Montbach. Sdilumpiedtt.
vatikanischen Konzils zurückgeblieben war. Von kleineren Arbeiten sind
noch zu nennen: »Die Aulsicht über die Volksschulen in Bayern. Ein Beitrag
zum Kulturkampf« (München 1876); »Wilhelms Ockam Ansichten über
Kirche und Staat« (Histor. Jahrbuch, 7. Bd. 1886, S. 423 — 433); »Zur vier-
hundertjährigen Geburtstagsfeier des Dr. Johann Eck« (Histor.-polit. Blfttter,
<)8. Bd. 1886, S. 747 — 761); Die geheimen politischen Verbindunpen der
Deutschen in der ersten Haltte des 19. Jahrhunderts (Histor. Jahrbuch,
14. Bd. 1893, S. 775 — 813); Zum hundertjährigen Todestag des Dr. Benedikt
Stattler« (Beilage zur Augsburger Postzeitung 1897, Nr. 47 und 48). Kleinere
Artikel kirchenrechtlichen Inhalts im »Archiv für katholisches Kirchenrecht«
Bd. 44, 1880; 47, i88s; 56, 1886; 57, 1887; 59, 1888; 60, 1888; 70, 1893;
77, 1897. Beiträge zxn 2. Auflage von Stadlers Heiligenlexikon.
Vgl. J. Schnitzer im Vorwort der 2. Aufl. von Silbemagl, Verfassung und gegen-
winigci Bestand sftmtl. Kirchen des Orients (Kegensburg 1904), S. III.— XIV. — »Augs-
horget Ptostscitung« 1904, Nr. 77 v. 7. April. F. Laucbert
Montbach, Mortimer von, Domkapitular in Breslau, * 13. Januar 1838
Zu Breslau, f daselbst 7. Juni 1904. — M. wurde nach Vollendung seiner
Studien 1851 Priester, /Jr. jur. et thcoL, 1853 Sekretär des Fürstbischofs
Förster von Breslau, 1Ö58 Domkapitular; er starb als Canonkus senior des
Domkapitels, apostolischer Protonotar und päpstlicher Hausprälat. — M. über-
setzte aus dem Italienischen: Baldeschi, »Ausführliche Darstellung des rOmi-
sehen Ritus« (Regensburg 1856); Bolgeni, »Untersuchungen über den Besitz als
Fundamentalprinzip für Entscheidung von Fällen aus dem Gebiete der Moral«
(Regensburg 1857), und verschiedene Erbauungsbüchcr, Femer gab er heraus:
y>Statuta synodalhi s. Ecclesuu Vratislavtcnsis" : Hzcrius, ^ Tutelaris Sileiiae seit
de vita rehusquc praeclare }:;estis Beati Ceslai Oänn'ansii, Oräinis Ptaidu a/orum,
^ommeniarms* (Breslau 1862), und schrieb selbst ein kleines »Leben des
seligen Ceslaus« (Regensburg 1863) und viele Artikel historischen und theo-
logischen, besonders liturgischen Inhalts im »Schlesischen Kirchenblatt« und
»Schlesischen Pastoralblatt«.
Vgl. »Literat. Handweiserc 1904, Nr. 12, Sp. 58a F. Lauchert.
Schlumprecht, Rupert, ausgezeichneter Xylugraph, * 24. März 1S54 in
München, f 7. August 1904 ebendas., besuchte die Volks- und Kreisgewerk-
schule, widmete sich, nachdem er in einer Privatanstalt Zeichnungs-Untei^
rieht erhalten hatte, der Holzschneidekunst unter der Leitung von Hans
Wolf (7.. Z. Professor an der Kunstgewerbeschule zu München), ginsj nach
vierjähriger Lehrzeit im Zeichner- und Faksimile-Schnitt zu Kaspar Oertel nach
Leipzig, wo er Gelegenheit hatte, prächtige Xylographien nach Schnorr,
Führich und Preller (Odyssee-Landschaften) auszuführen. Nach zweijähriger
Arbeit rief ihn die Militi^flicht in die Heimat zurück, nach deren Ableistung
Sch. in das Atelier von Wilhelm Hecht (z. Z. k. k. Professor in Wien) eintrat.
Hier lieferte er viele Blätter zu Liezen-Maycrs »Faust« und »Glocke« für
Ströfers Verlag und Fr. Schwörers »Teil« (bei Bruckmann). Von 1879 bis
1880 arbeitete Sch. bei Adolf Cloli in Stuttgart für die von Spemann,
Gebrüder Kröner, Engelhorn herausgegebenen Prachtwerke. Seit 1880 aber-
mals in München, wurde Sch. 1881 ständiger Mitarbeiter von Braun und
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Schlumpcecht. Bmusewettcr. Vocheter.
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Schneiders weltbekannten »Fliegenden Blättern«, wo Sch. vollauf Gelegenheit
hatte, sein virtuoses Können ganz zu entwickeln. Für diese Firma schuf unser
KQnstler eine Reihe von meisterlichen, in freier, rein malerischer Wirkung behan-
delten Blättern nach Hermann Vogel von Plauen, L. M. Marold, A. B. Wenzell,
Fr. Wahle, Ren^ Reinicke, Fr. Stahl, Franz Simm u. a. mit dem treuesten
feinsten Verständnis und völliger Wiedergabe ihrer charakteristischen \'or-
tragsweise, ihrer ganzen ^Haiulsclirift . Leistungen dieser Art erschienen auf
den Münchener Kunstausstellungen 1901 — 1904, wo sie mit der goldenen
Medaille ausgezeichnet wurden. Leider unterbrach ein schweres Nervenleiden
seine Tätigkeit öfters, bis ein Gehirnschlag zu Geitau am Fufle des Wendel-
steins ihn nach längerem Siechtum von seinen Qualen erlöste.
Sein liruder und Schüler Heinrich Sch. (* 4. Januar 1859) trat mit
gleicher Genialität in dieselbe artistische Richtung der neuesten Xylogra])hie.
Hyac. Holland.
Brausewetter, Otto, Maler, Professor, • 11. September 183-; zu Saalfeld
in Ostpreußen, f 8. August 1904 in Berlin. — B. besuchte die Akademie
zu Kdnigsberg, lebte einige Zeit in ^nkfurt a. M. und in München und
ging dann nach Berlin, wo er in den achtziger Jahren Lehrer an der
Kunstakademie als Nachfolger F-d. Hübners wurde. Er malte fast ausschliefl-
lich historis( )ie und Genrebilder, die innerhalb der konventionellen Schablone
seiner Zeit immerhin einen guten Rang einnehmen. Das Stadtmuseum in
Oatizig besitzt mehrere Bilder von ihm, u. a. »Dem König Richard III.
erscheinen die Geister der gemordeten Söhne Eduards« (i86o). Zu den be-
kanntesten seiner Werke gehört das Bild »Yorks Ansprache an die ostpreufli-
schen Stände 18x3«, ^ Sitzungssaal des ostprenfiischen Provinzial-
landtages in Königsberg gemalt wurde, sowie »Gustav Adolf in der Schlacht
bei Lützen«.
Kunstrhronik W. — Kunst für Alle XIX. — Boetticher, Malerwcrke des 19. Jahr-
hunderts. 1S95 — 1901. — Chrouique dts Arts et dt la Curiositc. 1^4,
Hugo Schmel'ber.
Vocbezer» Joseph, katholischer Pfarrer von Enkenhofen (Württemberg),
Historiker, * 26. Februar 1849 zu Hauerz (Württemberg), f 11. Juli 1904 zu
Enkenhofen. — V. studierte Theologie in Tübingen, wo er 1870 den Preis
der |>hilosophischen, 1872 den der katholisch-theologischen Fakultät erhielt,
wurde Dr. ph'il. und empfing 1S73 die Priesterweihe. Hierauf wurde er zu-
nächst Vikar in Christazhofen, dann in Aichstetten, 1875 Repetent am Konvikt
in Rottweil, dann Repetent am Wilhelmsstift in Tübingen. Im Sommer-
semester 1876 machte er an der Universität Berlin weitere historische Studien
und wurde hierauf drei Jahre beurlaubt, um für die im Auftrage des Fürsten
von Waldburg-Wolfegg-Waldsee übernommene Geschichte des Hauses Wald-
burg in Schwaben die vorbereitenden Arbeiten zu machen. Zu diesem Zwecke
durchforschte er von Frühjahr 1877 bis Herbst 1879 eine große Anzahl von
Archiven in Württemberg, Bayern, Baden, der Schweiz und Österreich. 1879
wurde er Kaplaneiverweser in Neuthann, 1881 Pfarrverweserin Egelfingen, i88x
Pfarrer in Sdiweinhausen, 1893 Pfarrer in Hofs, 1900 Pfarrer in Enkenhofen. Seit
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Vocheier, GriUenberfer.
1891 war er orclcntlichesMitglied der württembergischen Kommission für Laiuks-
geschichte, deren Tätigkeit er durch eifrige Mitarbeit unterstützte. — Sein Haupt-
werk ist die »Geschichte des fürstlichen Hauses Waldburg in Schwaben«, von der
er zwei umiangreiche BAnde erscheinen lassen konnte (Kempten 1888, 1900;
die Fortsetzung des Werkes nach den hinterlassenen Manuskripten und Vor-
arbeiten ist von Subregens Dr. SproU in Rottenburg zu erwarten). Von
kleineren Arbeiten sind zu nennen: Zur Geschichte des schwabischen Städte-
bundes der Jahre 1376 — 1389'< (Forschungen zur deutschen Geschichte,
15. Bd., Göttingen 1875, S. i — 17), die in verschiedenen Jahrgängen (i888fl)
des »Diözesan- Archivs von Schwaben« serstreuten »Kleinen Beiträge zur
Geschichte einzelner Pfarreien«, und die Beiträge zur allgemeinen deatschen
Biographie: »Heinrich I., Bischof von Konstanz« (11. Bd., 1880, S. 509 — 511);
»Waldburg, Georg III., Truchseß v < (40. Bd., 1806, S. 660—665).
Vgl. Neber, Peisonal>Katalog der (Jcistlichen des Bistums Kottenburg, 3. Aufl. (Schw.
GmOnd 1894), S. 191. F. Lauchert.
GrUlenberger, Otto, O. Cisi, in Wilhering (OberOsterreich), Historiker,
• 10. März 1861 zu Schauerschlag in der Pfarre Obemeukirchen (Ober-
österreich), T 16. August 1904 im Stift Wilhering. — G. absolvierte das
Gymnasium in Kreistadt, trat dann 1881 in das /isterzienser-Stift Wilhering
als Novize ein, studierte nach Ablauf des Noviziatsjalires vier Jahre Theologie
an der theologischen Hauslebranstalt des Stifts St Florian, legte 1885 Profefi
ab und wurde 1886 zum Priester geweiht Hierauf wirkte er zunächst als
Kooperator an der Stiftspfarre Leonfelden im Mühlkreis, bis er 1888 in das
Stift zurückberufen wurde. Zur weiteren Ausbildung wurde er 1889 ^"
Universität Wien gesandt, wo er während vier Jahren besonders historische
Studien machte und 1893 zum Dr. phll. promoviert wurde. Nach seiner
Rückkehr in das Stift mit historischen Forschungen beschäftigt, war er seit
1896 auch an der Privatlehranstalt des Stifts tätig; 1897 wurde er auch
Generalvikariatssekretftr der österreichisch-ungarischen Zisterzienserprovinz,
1900 Bibliothekar und Archivar des Stifts. — G. war ein rastlos tätiger,
gründlicher Geschichtsforscher und ein sehr tüchtiger Philologe. Durch eine
große Zahl von Arbeiten hat er sich in seinem leider so kurzen Leben
bleibende Verdienste insbesondere um die Geschichte seines Ordens und
spedell des Stiftes Wilhering erworben. Nadi einigen vorausgehenden kldneroi
Arbeiten war er ein tfttiger Mitarbeiter Janauscheks bei der Herausgabe von
S. Reniardi Scrmones de tempore (— Xenia Bemardina I. i, Wien 1891). Für den
2. Teil der Kenia Bcrnard'nia lieferte er das beschreibende Verzeichnis der
Handschriften der Stiftsbibliothek zu Wilhering (II, 2, S. i — 114), für den
3. Teil: »Quellen zur (ieschichte des Stiftes Wilhering« (III, S. 191 — 210).
Demnächst erschien seine Ubersetzung: »Ein Buch von der Liebe Gottes.
Vom hl. Bernhard von Qairvaux« (Paderborn 1893); dann sein Hauptwerk:
»Die Altesten Totenbücher des Zisterzienser-Stiftes Wilhering in Osterreich
ob der Enns« (Graz 1896; = Quellen und Forschungen zur Geschichte,
Sprache und Literatur Österreichs und seiner Kronländer, Bd. II). Es folgten
die weiteren Arbeiten (mit t^bergehung der kleineren): »Das älteste Urbar
des Zisterzienserstiftes Wilhering« (54. Jahresbericht des Museums Francisco-
Carolinum in Linz, 1896, S. lai— 174); »Beiträge zur Geschichte der Pftfre
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GriUenberger. Flöck.
207
Xheras. Aus P. Bernhard Söllingers Nachlaß« (Geschichtliche Beilagen zu
dem St. Pöltner Diözcsanblatt, VI, iSq6, S. i — 109); 'Zur Pflege der Brief-
steller- und Formularbücher-Literatur im Zisterzienserorden« (Mitteilungen
der Gesellschaft für deutsche Ersiehungs- und Scbulgeschichte, 8. Jahrg.
1898, S. 97 — 126); »Das Wilheringer Fonnelbuch« (Studien und Mit-
teilungen aus dem Benediktiner-Orden, 19. — ai. Jahrg., (1898— 1900); »Die
Anfänge fies Zisterzienser-Stiftes Wilhering in Österreich ob der Enns«
(Studien und Mitteilungen, 24. Jahrg. 1903, S. 92 — 99, 303—321, 652 — 659);
»P. Cölestin Weinbergers Compendium chnynologicum de ortu et progressu
monastem B. M. V. de Cella Angelorum vulgo Engelszell erd. Chi. m Austria
Superiore ex ckatiaria et cJimuas mss. dicä manastenU (Archiv für die Ge-
schichte der Diözese Linz» i. Jahrg. 1904, S. 14 — 45); »Beiträge 2ur inneren
Geschichte des Zisterzienserordens im 17. Jahrhundert« (Studien und Mit-
teilungen, 25. Jahrg. 1904, S. 465 — 480, 711 — 717). »Kleinere Quellen und
Forschungen zur Geschichte des Zisterzienserordens« waren in den Jahr-
gängen 1891, 1892, 1895 — 1897 der Studien und Mitteilungen erschienen,
andere kleine Beiträge in dieser und anderen Zeitschriften. Nach dem Tode
des Ordenshisttxiken Dr. P. Leopold Janauschek (f 23. Juli 1898; vgl. Ober
ihn meinen Artikel in der Allgemeinen deutschen Biographie, 50. Bd.,
S. r)2Qf ) übernahm G. die Riesenarbeit, aus dem von diesem gesammelten
gewaltigen Material den 2. Band der ^Oriit^nncs Cisfcn-tt-nscs« zu bearbeiten;
leider sollte es ihm nicht mehr vergönnt sein, über die vorbereitenden
Arb^teo hinaussiikommeii. Als eine Frucht dieser mühevollen Forschungs-
arbeit konnte er nur noch seine letzte Schrift erscheinen lassen: »Die Catahgi
abbatiartdtn ordims Cistcnicnsis. Machträge ZU Dr. L. Janausdheks Originum
Cisterc'tcns'tum tomus I. 1. Die Gruppe B i und P« (Wien 1904; auch als
Beilage zum Jahresbericht des Privat-Untergymnasiums des Stiftes Wilhering
für das Schuljahr 1903 04). Von früheren Arbeiten seien noch genannt seine
»Studien zur Philosophie der patristischen Zeit. i. Der Oktavius des
M. Minucius Felix, keine heidnisch -philosophische Auffiusung des Christen-
tums« (Commers Jahrbuch fQr Philosophie und spekulative Theologie, 3. Jahrg.
1S88, S. 102 — 128, 145 — 162, 259 — 270); »a. Die Unsterblichkeitslehre des
Arnobius<- (ebd. 5. Jahrg. 1890, S. i — i^;), und die philologischen Arbeiten:
»Pra.xitas" Kämpfe um die Schenkelmauern Korinths« (Zeitschrift für die
österreichischen Gymniisien, 39. Jahrg. 1888, S. 193 — 212) und »Polykrates
und Xenophon« (ebd. 41. Jahrg. 1890, S. 1 — 16).
Vgl. »Stadien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und dem Zisterzienser-Orden«,
35. Jahrg. 1904, S. 905 — 908 (P. Justin Wahrer). — Zisienienser-Chrrnuk. 16. J.ihrg. 1904,
S. 350--35»« F. Lauchert.
F16ck, Joseph, S. _/!, Prokurator am CoUcgium GerntanUum in Rom,
• 31. Januar 1845 zu Koblenz, f 23. September 1904 zu Rom. — F. ab-
solvierte das Gymnasium in Koblenz, begann die Geologischen Studien im
Seminar zu Trier und trat dann 1864 in die Gesellschaft Jesu ein. Nachdem
er noch fünf Semester in München und Tübingen studiert hatte, wo er sich
besonders auch in den orientalischen Sprachen ausbildete, machte er das
Noviziat in Gorheim bei Signiaringen, studierte dann Rhetorik in Münster
und zwei Jahre Philosophie in Maria-Laach. Hierauf wirkte er erst zwei
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FlOck. Ribaix. Bamafutiier.
Jahre im Lehramt in Fehlkirch und lehrte datm Theologie in Maria-Laach,
später in Ditton Hall und in Mold in England. Seit dem Jahre 187$ bis
zu seinem Tode wirkte er am C^lkgwm Germamam in Rom, neun Jahre ab
StadienprSfekt, 3^2 Jahre als Rektor, worauf er als Prokurator die Ökonomie
des Kollegs übernahm.
Vgl. »Kfilnische VoUcsxeitung« 1904, Nr. 8a 1 t. 3. Okt. F. Laudiert.
Ribarz, Rudolf, Maler, Professor, ♦ 30. Mai 1848 in Wien, f 12. November
1904 in Wien. — Als Schüler der Wiener Akademie und Professor Alben
Zimmermanns wandte sich R. vom Anfang an hauptsächlich der Landschafts-
malerei zu und frfih trat auch der starke Zug seiner Begabung zum Deko-
rativen in mancherlei kunstgewerblichen Arbeiten hervor, in denen gleichfalls
die Landschaft eine Hauptrolle spielte. Die ilim zusagenden Motive f.Tnd er
während einer lanj^cn Periode in Holland, Belgien und Xordfrankrci« h ; 1875
ging er nach Brüssel, später schloü er sich gleich seinem Freunde Jettcl der
kleinen Gruppe von Österreichern an, die in Frankreich wirkten und über-
siedelte nach Paris, wo er 19 Jahre lang lebte und eine Reihe von Gemftlden
in den Salons der Sociiti Nationale des Beaux-Arts ausstellte. Auch in Tirol
und in Venedig entstanden mehrere Bilder. Im Jahre 1892 kehrte er dauernd
nach Wien zurück und brachte seine von Manets Lichtfülle berührten Werke
bald zu allgemeiner Beliebtheit. Kurze Zeit darauf erhielt er eine Professur
an der Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums in Wien. W'enige
Monate vor seinem Tode verfiel er in unheilbaren Irrsinn. Einige Zeit hin« I
durch, während der ersten Jahre nach der Rückkehr, liebte er eine spezielle
Anordnung in seinen Landschaftsbildern, ein Mittelding zwischen realistischer
Freilichtauffassunj^ und ornamentaler R:\um\ erteilung, die sic h im Format und
in der dekorativen Wirkung au( h gut für kunstgewerbli( he Zwet ke eignete
und für Wandschirme, Panneaux von ihm viel angewendet wurde. Den
Vordergrund bilden große Blumen und Früchte, z. B. hochstengelige Iris,
oder ein Küchengarten, durch die man in einen hellen Landschaftsausschnitt
hindurchsieht. Die moderne Galerie in Wien besitzt von ihm ein Bild
»Strafte bei Deutsi h-Altenburg«.
Hcvesi, österreichische Kniist im 19. Jahi hundert. 1903. — Kunstchronik. XVI. - ^
Kunst für ^Vllc. XIX. XX. — Chroniquc des Arts et de la CuriosUi. 1^04. — Boctuchcr,
Malerwerke des 19. Jahrhuadeits. 1895 — 1901. — Neue Freie ftesse. 14. Nov. 1904-
Hugo Schmerber.
Baumgartner, Heinrich, Seminardirektor in Zug, * 24. Mai 1846 zu
Cham, Kanton Zug, f 13. Oktober 1904 zu Zug. — B. erhielt seine Gyni-
nasialbildung in Zug und im Lyzeum des Benediktinerstiftes Einsiedclu, |
studierte dann Theologie am Coile^ium ßorruntäum in Mailand, an der
Universität Tübingen und an der theologischen Lehranstalt zu Luzem, tiat I
im Herbst 1869 in das Priesteiseminar zu Solothum und wurde 1870 von
Bischof Bagnoud, Abt von St. Maurice, zum Priester geweiht. Hierauf war
er zuerst Kaplan in Steinhausen, 1871 — 1874 Gymnasiallehrer in Zug. 1874
gründete er mit seinen Freunden, den geistlichen Lehrern H. A. K eiser und
A. Meienberg, tias Kollegium St. Michael in Zug, Pensionat und Realschule.
1879 wurde hauptsächlich durch B.s Bemühungen durch den schweizerischen
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Baumjpaitner. Stengele.
209
katholischen Erziehungsverein das freie katholische Lehrerseminar claselbst
gegründet, in Verbindung mit dem Kollegium St. Michael. B. wurde
Direktor des Seminars, das er in rastlos eifriger 'IMtigkeit zu Ansehen und
lilüte brachte. Als Mitglied des kantonalen Erziehungsrates seit 1887, lang-
jähriger Vizepräsident desselben, kantonaler Sdinlinspektor und Prftsident der
Lehrmittelkommission fQr die Volksschulen erwarb er sich grofle Verdienste
um das Schulwesen des Kantons, — Von seiner schriftstellerischen Tätigkeit
sind besonders die bewährten und beliebten Lehrbücher zu nennen:
»Psychologie oder Seelenlehre, mit besonderer Berücksichtigung der Schul-
praxis für Lehrer und Erzieher« (4. Aufl. Freiburg i. Br. 1899; i. Aufl.: »Leit-
faden der Seelenlefare oder Psychologie«, Zug 1884); »Pädagogik oder
Efsiehungslehre, mit besonderer Berücksichtigung der psychologischen Grund«
lagen für Lehrer und Erzieher« (4. Aufl. Freiburg i. Br. 190a; i. Aufl.: »Leit-
faden der Erziehungslehie«, Zug 1885); »Unterrichtslehre, besonders für
Lehrer und die es werden wollen. Dazu als Anhang: Abriß der Denklehre«
(2. Aufl. Freiburg i. Br. itSgH; i. Aufl.: »Leitfaden der l nterrichtslehre« 1890);
»Geschichte der Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung des Volksschul-
wesens. Für Lehrerseminarien und sur Fortbildung der Lehrer« (Freiburg i. Br.
1902). Femer die biographischen Schriften: »J. A. Comenius« (1893);
»J. H. Pestalozzis Leben, Wirken und Bedeutung« (1896). 1886— 1890 redi-
gierte B. die »Katholischen Seminarblätter zur Beförderung der intellektuellen
und moralischen Fortbildung katholischer Lehrer« (Zug), von Xovember 1890
bis 1893 den »Schweizerischen Erziehungsfreund« (Gossau), 1893 mit F. Noser
und F. X. Kunz die »Pädagogische Monatsschrift. Organ des Vereins
katholischer Lehrer und Schulmänner der Schweiz« (Zug), die seit 1894, mit
dem »Erziehungsfreund« vereinigt, unter dem Titel: »Pädagogische Blätter«
(Zug) unter seiner Mitarbeit fortgesetzt wurde.
VjtI. A. Wvß, Blätter der Erinnerung an H. Baumgartner, ScminarHirektor in Zug
(I.uzem 1904; als Separatabdruck aus dem »\'aterland«, 20. — 22. Okt. 1904). — »Augs-
burger Postzeitungc 1904, Nr. 240 v. 25. Okt. — Ein eingehenderes Lebensbild ist von
Heim Rektor H. A. Keiser in Zog zu eiwaiten. F. Lauchert.
Stengele, Benvenut, O. S. Fr., Historiker, ♦ 5. April 1843 zu Altheim
in Baden (Amt Überlingen), f 11. Xovember 1904 zu Würzburg. — St. trat
1869 zu Würzburg in das Noviziat der Minoriten-Konvemualen, legte 1870
Frofeß ab und wurde 1873 zum Priester geweiht. Er war hierauf in ver-
schiedenen Klöstern des Ordens in der Seelsorge tätig, zu Oggersheim (Pfalz),
Schönau (Unterfranken), Schwarzenberg (Mittelfranken), zuletzt nahezu 25 Jahre
in Wflrzburg, als Beichtvater sehr beliebt. Im Würzburger Kloster war er
auch viele Jahre lang Bibliothekar. 1902 wurde er zum Vikar des Klosters
gewählt. — St. war ein ungemein fleißiger Forst her auf dem Gebiete der
Ordensges( hiclite und der kirchlichen Lokalgesehichte, sowohl für seine
engere Heimat, den badischen Linzgau, als für das bayerische Franken, dem
er in seinem Ordensleben angehörte. Eine grofle Menge von Arbeiten zur
kirchlichen Lokalgeschichte des Linzgaus veröffentlichte er in verschiedenen
Zeitschriften seit 1882, insbesondere im »Freiburgcr Diözesan-Archiv«, im
»Diözesan-Archiv von Schwaben«, im »Freiburger katholischen Kirchenblatt«
und in der Radolfzeller Zeitung »Freie Stimme«. Aus einer Anzahl von
Biosr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. Bd. I4
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Skengde. Kaiser.
solchen früher seistreat gedruckten Einzelstttdien ging mit ent^rcchenden
Krgänzunpcn sein erstes größeres Werk hervor: «/./V/rxwA? sacra. Beiträge
zur Geschichte der ehemaligen Klöster und Wallfahrtsorte des jetzigen Land-
kapitels Linzgau« (Überlingen 18Ö7). \'on den Einzelarbeiten können hier
nur die größeren genannt werden. Im »Freiburger DiOcesan-Arcbiv« : »Proto-
kolle Aber die Inventaraufnahme der dem deutschen Orden als Entschädigung
im Jahre 1802 zugewiesenen Klöster des Linzgaues« (16. Bd. 1883, S. 136
bis 156; 18. Bd. 1886, S. 315 — 321); »T^eiträge zur Chronik des P. Berard
Müller (17. Bd. 1885, S. 292 — 298); Lokalgeschichten einer .Anzahl von
Orten und Pfarreien im Linzgau, nämlich: Großschönach (19. Bd. 1S87,
S. 265 — 295, und 25. Bd. 1896, S. 267 — 290), Altheim (20. Bd. 1889, S. 219
bis 256), Oberhömberg (21. Bd. 1890, S. 285—302), Lippertsreuthe (aa. Bd.
1892, S. 389—313), Denkingen (23. Bd. 1893, S. 387—338), Andelshofen
(34. Bd. 1895, S. 291 — 304), Frickingen (29. Bd., N. F. 2. Bd., igoi, S. 199
bis 244); T)ie ehemali^'cn Augustiner-Nonnenklöster in der Diözese Konstanz«
(20. Bd. 1889, S. 307 — 313); '^Das ehemalige Franziskaner-Minoriten-Klostcr
in Villingen« (30. Bd., N. F. 3. Bd., 1902, S. 193 — 218); »Verzeichnis der
Dekane, Kammerer und Pfarrer im jetzigen Landki^itel Linsgau« (31. Bd.,
N. F. 4. Bd., 1903, S. 198—33S; 33. Bd., N. F. 5. Bd., 1904, S. 140 — 167).
Aus (lein »Diözesan- Archiv von Schwaben« sei nur genannt: »Jahresgeschichten
<ler Fr.mziskanerkonventualen in Württemberg. Aus der handschriftlichen
( hmnik des P. Berard Müller 1703« (6. Jahrg. 1889, Nr. 10 — 23; 7. Jahrg.
1890, Nr. I und 2). In deti »Schriften des Vereins für Geschichte des Boden-
sees und .seiner Umgebung« erschienen die Arbeiten: »Das ehemalige
Fran£iskaner>Minoriten-Kloster zu Konstanx« (18. Heft 1889, S. 91 — 99);
»Das ehemalige Augustiner^Kloster zu Konstanz« (31. Heft 1893, S. 183 bis
198); »Die Einciuartierungen im Linzgau während der Kriegszeiten von 1792
bis iSoo ' (21. Heft 1802, S. 100—207). Für das fränkische Gebiet die Schriften:
> (ieschichte des Franziskaner-Klosters Schönau« (1899); oOcschichtliches über
das Franziskaner-Minoriten-Kloster in Würzburg« (Sulzbach und Würzburg
1900), und zahlreiche lokalgeschichtliche Artikel in vielen Jahrgängen des
Sulzbacher »Kalenders fOr katholische Qiristen«.
Vgl. »Augsburger Postzeitung« 1904, Nr. 259 v. 17, Nov.; 1905, Nr. 13 T. 1$. JaB*
— Das Bibliogjmphuche nach meinen eigenen SammlungeB.
F. Lauchert
Kaiser, Pius, O. S. Fr., Guardian in WQrzburg, * 13. Dezember 1849
Dettelbach in Unterfranken, f 14. November 1904. — K. trat im Jahre 1870
nach Vollendung der Gymnasialstudien in den Orden der Minoriten-
Konventualen, legte im folgenden Jahre Profefl ab und wurde nach Vollendung
der theologischen Studien 1874 zum Priester geweiht. In der Folge weilte
er in den Klöstern Schönau, Würzburg und Oggersheim und wurde öfter
Guardian und Vikar; zuletzt seit 1902 Guardian des Klosters zu Würzburg.
Das Hauptgewicht seiner Tätigkeit lag in der Abhaltung von Volksmissionen,
in denen er als weithin bekannter, populftrer und eindrucksvoller Prediger
sehr erfolgreich wirkte.
VgL »Augsborger PogUeiUingc 1904, Nr. 358 v. 16. Nov.; 1905, Xr. 12 v. 15. J«n.
F. Lauchert
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Jefler.
211
Jeiler, Ignatius, O. S. Fr., Präfekt des Colkgiutn S. Ivmaventurae zu
Quaracchi bei Florenz, •4. Dezember 1823 zu Havixbeck bei Münster i. \V,,
t 9. Dezember 1904 zu Quaracchi. — J. besuchte 1836 — 1843 Gymnasium
zn MQnster und studierte dann zwei Jahre Philosophie und Theologie an
der Akademie daselbst 1845 trat er zu Warendorf in das Noviziat des
Franziskaner-Ordens, legte 1846 die Ordensgelübde ab, vollendete hieraul die
theologischen Studien in Paderborn und wurde 1848 zum Priester geweiht.
Hierauf wirkte er zunächst mehrere Jahre in verschiedenen deutschen
Klöstern des Ordens. 1854— 1861 hielt er sich in Italien auf, wo er be-
sonders scholastische Theologie studierte. Nach seiner Rückkehr nach
Deutschland lehrte er zunftchst vier Jahre Philosophie im Kloster zu DQssel-
dorf; seit 1865 war er Lektor der Theologie im Kloster zu Paderborn; seit
187 1 zugleich Kustos der sächsischen Ordensprovinz. Neben dem Lehramte
war er auch als Prediger, Beichtvater und Kxerzitienmeister vielfach tätig.
Im Kriege 1870/71 war er mehrere Monate als Seelsorger auf den Schlacht-
feldern in Frankreich. Schon seit 1875 an den Vorarbeiten für die von den
Franziskanern in Angriff genommene neue kritische Ausgabe der Werke des
hl. Bonaventura beteiligt, wofür er zahlreiche Bibliotheken bereiste, und nach-
dem er noch 1878 das Amt des Präses in dem Franziskaner-Konvent zu
Brunssum in der holländischen Provinz Liml)urg bekleidet hatte, wurde er
1879 in das neugegründete Ciillfi;iiin! S. Jionaventurae zu Quaracchi (ad Clanis
Aquas) berufen, das sich speziell dieser großen Aufgabe widmete. Nach dem
Tode des ersten PrSfekten, des P. Fidelis a Fanna {f iz. August 1881, vgl.
dessen von J. verfafiten Nekrolog im »Literarischen Handweiser« 1883,
Nr. 312, Sp. 289 — 39a), wurde J. von den Ordensobern zum Präfekten des
Kollegiums ernannt und übernahm damit die Oberleitung der Bonaventura-
Ausgabe. Diese Riesenarbeit, seine eigentliche Lebensarbeit, die seinem Namen
ein unvergängliches Denkmal setzt, konnte er unter der Mitarbeit seiner jüngeren
Ordensbrüder glücklich zu Ende fuhren; in den zwanzig Jahren 1882 — 1902
erschien die Ausgabe in zehn Bänden und einem Index*Band (^Doetoris
Sen^hui S. Bomwcnturcu S. JR. £»,Spiscofii Cardinalis Opera otmua, edttasiuäiü
et cura Patrum ColUgii a S. Bonm^entura, ad plurimos Codices mss. emmdata,
anecdotis aucta, proles^omenis, scholiis tiotisque illustrafa: AJ Claras Aquas
[Qunracchii] prope Florentiam, ex typogr. ColU\i^ii S. Ihrnwenturac^). Seine \'er-
trautheit mit der scholastischen Theologie und Philosophie und insbesondere
mit dem hl. Bonaventura hatte J. schon vorher in einer Reihe von kleineren
Arbeiten bewiesen: »Die Lehre des hl. Bonaventura in betreff des Oiitologis-
mus« (Katholik 1870, I, S. 404—420, 583 — 593, 655 — 686); »Zur Verständigung
über die thomistische Lehre von der praemotio physica^^ (Katholik 1873, II,
S. 129 — 149, 277 — 290; »Zu dem sechsten Zentenarium des heiligen seraphischen
Kirchenlehrers Bonaventura« (Katholik 1874, I, S. 653 — 667; II, S. 8 — 22);
»Der Ursprung und die Entwickelung der Gotteserkenntnis im Menschen.
Eine dogmatische Studie fiber die betreffende Lehre des hl. Bonaventura
und anderer Meister des 13. Jahrhunderts« (Katholik 1877, I, S. 113— 147,
225 — 269, 337 — 353); »Zu der katholischen Lehre von der substantiellen Kin-
heit der menschlichen Natur« (Katholik 1878, II, S. i — 21); »Die sogenannte
Summa de virtutibus des Alexander von Haies« (Katholik 1879, I, S. 38 — 54).
Dazu kam später noch die Schrift: ßonaventurae prinäpia de cancursu Dei
14*
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Jeiler. StflbeL
f^cncral't ad actiones causarum secundarum coUecta et S. Thomae doctritM conßrniata -
(Ad Claras Aquas 1897). Von seiner sonstigen schriftstellerischen Tätigkeit
sind hervorzuheben die beiden Biographien: »Leben der ehrwürdigen [seit
der 5. Aufl.: der seligen] Klosterfrau Maria Crescentia HOfi von Raufbeuren
aus dem dritten Orden des hl. Franziskus, nach den Akten ihrer Seligsprechung
und anderen zuverlässigen Quellen bearbeitet (Dülmen 1874; 5. Aufl. iqoo;
6. Aufl. iqoi) und: »Die selige Mutter Franziska Schervicr, Stifterin der
Genossenschaft der Armenschwestern vom hl. Franziskus, dargestellt in ihrem
Leben und Wirken« (Freiburg i. Br. 1893; 2. Aufl. 1897); ferner das aus
dem Italienischen des P. Anton Maria da Vicenza ttbersezte Werk: »Der
hl. Bonaventura aus dem Orden des hl. Franziskus, Bischof, Kardinal und
Kirchenlehrer in seinem Leben und Wirken daigeslellt« (Paderborn 1874),
und aus der Zahl seiner asketischen Schriften das in vielen Auflagen (Waren-
dorf 1865 und öfter und Dülmen) gedruckte »Normalbuch für die Brüfier
und Schwestern des dritten Ordens des hl. Franziskus«. Aus der Zahl seiner
aber 60 Beiträge zur 2. Aufl. des Kirchenlexikons von Wetser und Welte
(besonders zur Geschichte seines Ordens, darunter viele kleinere biographische
Artikel zur Gelehrtengeschichte desselben; einiges auch zur Dogmatik und
Askctik) sind als größere Arbeiten besonders zu nennen: Bonaventura, der hl.
(11, 1017 — 1027); Franziskanerorden (IV, 1650-1683); Franz von Assisi, der hl.
(IV, 1799 — 1815); Frati(ellen (IV, 1926—10.^6); Dbservanten (IX, 632 — 640);
Portiuncula (X, 194—203); Spiritualen (XI, 635—645).
Vgl, M* Gnbrnann, P. Ignatus Jeiler und die neue BonaventwipAiugabe; »Litetw.
Beilage der Kölnischen Volkszeitung« 1905, Nr. 3, Sp. 11—13. — »Kölnische Volkf
Zeitung« 1903, Nr. 1017 v. 4. Dez.; 1904, Nr. 1032 v. 13. Dez. >I,iter.ir. Handwei'^er«
1905, Nr. 5, Sp. 176 (^HUlskatnp). — £. Kaümann, Nachrichten von dem Leben und den
Schriften MOnsteiUiidiKher Sduifbrtdler. Neue Folge (Mflntter i88t), S. iiof.
StQbel, Moriis Alfons, wissenschaftlicher Reisender und Vulkanfoiscfaer,
* 26. Juli 1835 in Leipzig, f 10. November 1904 in Dresden. St. war der
Sohn eines Rechtsanwalts und Stadtrats und stammte aus einer begüterten
Gelehrtenfamilie. Da beide Eltern frühzeitig starben, entwickelte sich schon
in der Jugend eine große Selbständigkeit seines Charakters. Kr besuchte
keine öflentliche Schule, sondern wurde im Hause eines Verwandten in
Dresden durch Privatlehrer unterrichtet. 1854 besog er die Universitflt seiner
Vaterstadt, um Naturwissenschaften zu studieren. Bei Otto Erdmann hörte
er Chemie, bei Karl Friedrich Naumann Mineralogie und Geologie. Daneben
arbeitete er eifrig im Laboratorium. Aber sein schwacher Körper war den
Anstrengungen des intensiven Studiums nicht gewachsen. Die Anzeichen
eines beginnenden Lungenleidcns stellten sich ein, und so sah sich der junge
Student genötigt, zu seiner Wiedeilierstellung ein mildes Klima aufsusuchen.
Er begab sich 1855 nach Ägypten, hielt sich längere Zeit in Kairo auf und
unternahm größere Ausflüge nach Chartum, in das Gebiet des Blauen Nils
und in die Nubische Wüste. Dann verweilte er seit 1858 fast ein volles
Jahr in Italien, hauptsächlicli in Rom und Neapel. Eine Besteigung des
Vesuvs regte ihn zu näherer Beschäftigung mit den Problemen des Vulka-
nismus an. Um seine Ansichten darül^ au kliren» besuchte er auch den
F. Lauchert
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213
Ätna, die Liparischen Inseln und die Solfataren Toskanas. Als wissenschaft-
liches Ergebnis dieser Reise erschienen später drei kleine Abhandlungen
in den Sitzungsberichten der naturwissenschaftlichen Gesellschaft bis in
Dresden: »Die Laven der Somma bei Neapel und einige ägyptische Mine-
ralien« (1861, S. 113 — 114), »Mitteilungen aus Toskana« (1862, S. 40 — 48) und
»Organische Einschlüsse im vulkanischen Tuff von der Insel Lipari« (1862,
S. 52). 1859 war seine C.csuiuiheit wieder soweit gekräftigt, daß er nach
Deutschland zurückkehren konnte. Nun studierte er in Heidelberg bei Johann
Ferdinand Blum Mineralogie, bei Robert Wilhelm Bunsen Chemie und bei
Gostav Robert Kirchhoff Physik und erwarb 1860 den philosophischen
DoktortiteL Da er sich unterdessen fOr den schweren, aber dankbaren Beruf
des Forschungsreisenden entschieden hatte, vervollständigte er seine wissen-
schaftliche Ausbildung noch auf der Bergakademie in Freiberg, wo er Be-
ziehungen zu Friedrich lireithaupt, dem berühmten Förderer der Krystallo-
graphie anknüpfte, und in Berlin, wo er sich mit geodätischen, topographischen
und astronomisch«! Arbeiten beschlfdgte. Um seine Koomtnlüe und Fertig>
keiten su prQfen, begab er sich im Sommer 1862 zunftchst nach wohldurchr
forschten Gegenden, nach Schottland, den Orkney- und Shetlands-Inseln.
Den nächsten Winter verbrachte er auf Madeira, um den geologischen Bau
dieser Insel eingehend zu untersuchen. 1863 veru'eilte er zu gleichem Zwecke
sechs Monate auf den Kapverden. Dann kehrte er nach Madeira zurück,
um seine Studien fortzusetzen. Da ihm die vorhandenen Karten zur Ver-
anschaulichung der Bodenplastik nicht genügten, fertigte er auf Grund un-
zähliger Aufoahmen und Messungen in zweijAhriger mühsamer Arbeit erst
in Ton, dann in Wachs ein Relief der Insel. Audi veröffentlichte er ein
paar kleine Aufsätze über seine Beobachtungen (Neues Jfihrbuch für Mine-
ralogie i<S63, S. 561 und 811, Sitzungsberichte der Isis 1864, S. 238). Bei
diesen Studien stiegen zuerst erhebliche Zweifel in ihm auf, ob die damals
herrschende Lehre der Plutonisten von der Entstehung der Gebirge wissen-
schaftlich berechtigt sei. Im Sommer 1865 kehrte er nach einem Besudi der
Kanarischen Inseln durch Marokko und Spanien nach Deutschland zurück.
Während er noch mit der Bearbeitung der wissenschaftlichen Ergebnisse
seiner Reise beschäftigt war, begannen jene denkwürdigen Naturereignisse
auf Santorin, welche das lebhafte Interesse aller Vulkanforscher erregten.
St. beschloß sofort, eine Studtenfahrt nach jener Insel anzutreten, um die
weitere Wirksamkeit der vulkanischen Krftfte dort zu beobachten. Er ver-
einigte sich mit den Privatdozenten Karl von Fritsdi aus ZUrich und Wilhelm
Reiß aus Heidelberg und hatte das Glück, an Ort und Stelle einen neuen
Vulkanberg, den bis zu 200 m hohen Georgios, ohne Asrhenkegel und Krater
aufsteigen zu sehen. Dieser Anblick gab seinen Ansichten über die Gebirgs-
bildung eine neue Richtung. Nachdem sich die vulkanischen Kräfte auf
Santorin beruhigt hatten, besuchten die Reisenden noch die Vulkangebiete
auf der griediischen Halbinsel Metliana und auf der Insel Agina und kehrten
dann nach der Heimat zurück. Hier begann sogleich die Bearbeitung der
wissenschaftlichen Ergebnisse. Zunächst veröffentlichten alle drei gemeinsam
zwei W'erkc geringeren Umfangs: »Santorin. Die Kaimeni-Inseln dargestellt
nach Beobachtungen« (Heidelberg 1867, mit 4 Tafeln, auch ins Englische
übersetzt: TAe Kaimefu Islands from observtOums, Heidelberg und London 1867)
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214
Stflbel.
und »Ausflug nach den vulkanischen (lebirgen von Agina und Methana im
Jahre 1866« (Heidelberg 1867, mit einer Karte). Dann folgte ein aus-
führlicheres Buch von Reiß und St.: »Geschichte und Beschreibung der
vulkanischen AnsbrQdie bei Santorin von der Altesten Zeit bis aaf die
Gegenwart nach vorhandenen Quellen und eigenen Beobachtungen dar-
gestellt« (Heidelberg 1868), endlich von St. allein, der die vulkanischen Er-
eignisse auf der Inselgruppe in einer l'olge von acht Reliefs veranschaulicht
hatte: »Das supra- und submarine Clebirge von Santorin in photographischen
Nachbildungen der an Ort und Stelle gefertigten Reliefkarten, mit er-
läuterndem Text, Höhenverzeichnis und einer Abhandlung über Reliefkarten«
(Leipzig 1868, mit 4 Tafeln).
Während dieser Arbeiten planten Reifl und §t. eine neue Studienfahrt.
Als Ziel fefiten sie Hawaii mit seinen Riesenvulkanen ins Auge, doch sollte
unterwegs eine Durchquerung des nördlichen Südamerika unternommen
werden. Im Frühjahr 1868 landeten sie in Santa Marta an der Küste der
Republik Colombia. Zunächst besuchten sie die nahegelegenen, tief im
Urwald versteckten Schlammvulkane von Galera Zamba und Turbaco, fuhren
dann den Magdalenenstrom aufwärts, erstiegen die Cordillere und lieflen sich
zu längerem Aufenthalte in der Hauptstadt Bogota nieder. Von hier aus
unternahmen sie zahlreiche Ausflüge in die nähere uud weitere Umgegend,
namentlich in die weiten Grasebenen am Rio Meta. Bald gewannen sie die
Oberzeugung, daß ihnen das noch wenig erforschte Land reiche wissen-
schaftliche Ausbeute gewähren würde. Sie verzichteten deshalb auf Hawaii
und blieben swei Jahre lang in Colombia, untersuchten teils gemeinsam,
teils einzeln die Vulkanberge der Anden, nahmen astronomische, trigono-
metrische und barometrische Messungen vor, entwarfen 2^chnungen und
legten reiche Sammlungen von Gesteinsproben, Pflanzen, Tieren und ethno-
graphischen Gegenständen an. Im März 1870 l)egaben sie sich nacli dem
Nachbarstaatc Ecuador, dem klassischen Lande der Vulkane, um dort
ihre Studien meist getrennt von einander fortzusetzen. In Quito schlugen
sie ihr Hauptquartier auf. Hier lernten sie Theodor Wolf, einen Landsmann
und Fachgenossen kennen, der als Professor der Geologie an der Universität
und der polytechnischen Schule wirkte. Dieser gründliche Landeskenner
und tüchtige Kartograph, der später sein Amt aufgab und nach Dresden
übersiedelte, wo er mit St. jahrelang freundschaftliche Beziehungen unterhielt
und sich wesentlich an seinen Arbeiten beteiligte, unterstützte sie in förder-
lichster Weise mit Rat und Tat. St durchzog nun vier Jahre lang sammelnd,
beobachtend, messend und zeichnend die Cordillere von Ecuador nach
allen Richtungen. Er untersuchte und bestieg, oft unter schweren Strapazen
und bei ungünstigen Witterungsverhältnissen, eine Reihe von wichtigen
Vulkanen, darunter den Saiigay, Chimborazo, Carihuairazo, Tunguragua und
Cotopaxi, und entwarf von diesen Bergen große, in Bleistift gezeichnete
Panoramen von seltener Naturtreue. Um auch farbige Bilder zu erhalten,
nahm er einen jungen einheimischen Künstler, Namens Rafeel Troya in
seine Dienste, der ihn zwei Jahre hindurch auf allen Wanderungen begleitete
und ihm 7.ahlreic:he charakteristische Landschaften in öl malte. F.inige
längere Ruhepausen, we]( he die beiden Forsc her in Quito verlebten, be-
nutzten sie zur gemeinsamen Veröffentlichung ihrer barometrischen und
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Stflbd.
215
trigonometrischen Höhenmessungen in zwei kleinen, aber inhaltrcichen Werken:
TfAUuras priruipales tomadas en la Re publica del Ecuador en los ahos de iS'jo--
iSys: I. Las Proviru'ias de Imbabura y Pkfütuha, II. Las rroiuncias de
JHe^mekOt Lern y Tut^uragua, de los Sias, tUl Chimborato y Atuayi- (Qmto
jgfT~^fj) und »Alturas Amadas en la Hef^äca de CoUmMa en las mos de
1868 y i86g^ (Quito 1872). Außerdem erschien um diese Zeit noch im
Druck eine »Carta del Dr. Al/onso Sfuehel a S. E. el Prcsidentc de la
Jiepiivlica sofirr sus i'iajcs a las monta/tas Chimborazo, Altar etc. v cn espccial
, sobre sus ascensiones al Tunguragua y Cotopaxi<i (Quito 1873, deutsch in der
Zeitschrift fOr die gesamten Naturwissensdiafteii XLU, 1873, S. 476 ff,
franzOdsch im BiäL soc. giogr. Paris 1874, S. a$8fQ.
Im Herbst 1874 trafen die beiden Reisegefährten nach längerer
Trennung am Fuße des Chimborazo zusammen. Sie wanderten gemeinsam
nach der Küste und fuhren von Guayaquil aus nach Lima. Wenige Meilen
nördlich von dieser Stadt liegt nahe der Küste das Indianerdorf Ancon.
Hier war einst Jahrhunderte hindurch eine ausgedehnte altperuanische
Siedelung. Der Boden bewahrt deshalb zahlreiche Gräber und andere
Überreste dieser hochkultivierten Epoche. Die beiden Forscher nahmen
nun 1875 eine systemati.sche Ausgrabung des Totcnfeldes vor und förderten
Taiisende von Gebrauchsgegenständen und Schmucksachen zutage, die sie
später meist den Kgl. Museen zu Berlin überwiesen. Nach Vollendung
dieses Werkes überstiegen sie gemeinsam die Cordillere, und während Reiß
noch einen Ausflug nach dem Ucayali unternahm, fuhr St. dem Amazonenstrom
abwärts bis zur Mündung bei Para, wo er seinen Gefährten erwartete. Dann
begaben sich beide gemeinsam zur See nach Rio de Janeiro. Von hier
aus kehrte Reiß seiner geschwächten Gesundheit wegen nach Europa zurück,
St. dagegen besuchte die deutschen Kolonien in Südbrasilien, hielt sich
einige Zeit in Montevideo auf und durcli(|uertc dann abermals den süd-
amerikanischen Kontinent von Buenos Aires bis Santiago de Chile. Darauf
untersndite er mehrere interessante Vulkane der chilenischen Cordillere,
namentlich die von Cauqu^nes, und legte seine Erlebnisse in einer kleinen
Schrift »Antigua erupdon volcanica cn la vecindad de los banos de Cauqunies,
situados en el valle del Cachapual al lado ausfral de este rio ' (Santiago 1878,
mit Karte) nieder. Dann zog er nordwärts längs der Küste hin durch die
Atacama nach dem bolivianischen Hochlande. Er verweilte mehrere Monate
in der Umgegend von La Paz, untersuchte den Titicaca-See, namentlich die
an dessen Südende gelegene, an Kunstdenkmälem reiche altperuanische
Ruinenstätte von Tiahuanaco, deren Baureste er bildlich auinahm und
vermaß, und wanderte dann durch Peru nach Callao. Von hier aus fuhr
er über Panama nach S. Francisco, durchquerte in genußreicher Mulie die
Vereinigten Staaten und traf im Hochsommer 1877 nach zehnjähriger Ab-
wesenheit wieder in Deutschland ein. Er ließ sich in Dresden nieder, schuf
sich ein behagliches Heim und begann mit der Ausarbeitung seiner Reise-
ergebnisse. Da seine überaus umfangreichen und wertvollen Sammlungen
alle Gebiete der Naturwissenschaften, der Geologie uiul Ethnologie nmfaflten,
sah er sich nach geeigneten Mitarbeitern um. Ihre Ermittlung verursachte
viele Schwierigkeiten, und manche haben ihren Anteil noch immer nicht zu
Ende geführt. Doch ist im Laufe der letzten 25 Jahre eine Reihe von
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2l6 Stttbel. I
inhaltrcichcii Veröffentlichungen erschienen, die sich an St.s Sau.mlungen i
anschlieflen. Zuerst vollendete er gemeinsam mit Reifi und mit finuixidler 1
Unterstützung der Generalverwaltung der Kgl. Museen zu Berlin das kost- |
bare Tafelwerk größten Formats: Das Totcnfeld von Aucon in Peru. Ein i
Beitrag zur Kenntnis der Kultur und Industrie des Inka-Reiches. Nach den
Ergebnissen eigener Ausgrabungen (Berlin i88o — 1887, 3 Bände m.t 140
Tafeln, auch englisch: JA^ nccropolis 0/ Ancon in Peru. A senes oj
illustratioHS 0/ iäe emHsaHam and mdustry of thi empire 0/ th€ Jntm.
Bemg the results of exewaHens made m tke spot, Berlin 1880 — 1887, »
3 Bände). Um sich wfthrend der überaus mühseligen Arbeit an (üesein
Monumentalwerk einige Erholung zu gönnen und um zugleich seine An-
sichten über den iTsprung der vulkanischen Kräfte zw vertiefen, unternahm
St. in diesen Jahren mehrere Reisen n.u h berühmten Vulkangebieten, so
1880 nach der Auvergne, 1882 nach Nordsyrien und dem Ostjordanland,
1885 nach Unteritalien und Sizilien. Auch veischiedene kleine Scbiifteo,
die er wissenschaftlichen Vereinen und Versammlungen überreichte, ent-
standen um diese Zeit: ^Skizzen aus Ecuador, dem 6. deutschen Geographen-
tage gewidmet' (Berlin 1SS6, ein illustrierter Katalog seiner ausgestellten
Gemälde), (^ber altperuanische (iewebeinuster und ihnen analoge Ornamente
der altklassischen Kunst« (Festschrift zur Jubelfeier des 35 jährigen Be-
stehens des Vereins für Erdkunde zu Dresden 1888, S. 35—56), sowie »Indianei^
typen aus Ecuador und Colombia. s8 Lichtdruckbilder, den Mitgliedern
des 7. internationalen Amerikanistenkongresses gewidmet« (Berlin 1888).
Nachdem er sich 1889 durch einen längeren Aufenthalt in Ägypten zu neuen
Arbeiten gekräftigt hatte, begann er im {(^Igendcn Jahre gemeinsam mit
Reili und einigen jüngeren Fachgelehrten die Veröffentlichung des viel-
bändigen Werkes "Reisen in Südamerika (Berlin 1890 ff). Bisher sind
folgende Abteilungen eischienen: Lepidopteren, bearbeitet von G. Weymer
und P. Maafien (1890), Geologische Studien in der Republik Colombia
(I. Petrographie : i. Die vulkanischen Gesteine, bearbeitet von R. Küch, 1892;
2. Die älteren Massengesteine, krystallincn Schiefer und Sedimente, bearbeitet
von W. Bergt, iSqq; III. Astronomische Ortsbestimmungen, bearbeitet von
B. Peter, 1893) und Das Hochgebirge der Republik Kcuador (I. Petrographischc
Untersuchungen, bearbeitet im mineralogisch-petrographischen Institut der
Universität Berlin: i. West-Cordillere, 1892—1898; s. Ost-Cordillere, 1896
bis 1902). Neben diesem Riesenwerk erschienen noch einige andere minder
umfangreiche, aber gleichfalls sehr bedeutsame Arbeiten: )^Die Ruinenstätte
von Tiahuanaco im Hochland des alten Peru. Eine kulturgeschichtliche
Studie auf Grund selbständiger Aufnahmen. Mit i Karte und 42 Tafeln in
Lichtdruck« (Breslau 1S92, gemeinsam mit M. Uhle verfaßt), dann »Ein-
führung in die Bildersammlung der Vulkanberge von Ecuador« (Leipzig 1896)»
daran anschliefiend »Die Vulkanberge von Ecuador, geologisch-topographisch
aufgenomm«! und beschrieben« (Berlin 1897, mit i Karte), sowie »Er-
läuterungen zu den auf S Tafeln zusammengestellten Charakterpflanzen aus
(lein Hochlande von Kcuador und Colombia« (Leipzig 1899). In den letzten
Jahren seines Lebens kehrte er wieder zu den Studien über Vulkanismus
zurück, von denen er dnst ausgegangen war. Nachdem er im Frühjahr 1900
auf einer italienischen Reise noch einmal den Vesuv gründlich untersucht
Sttibel.
217
hatte, veröffentlichte er in rascher Folge mehrere bedeutsame Arbeiten, die
seine Valkantfaeorie entÜialteii: »Ein Wort über den Sitf Tolkanischer Krifte
in der • Gegenwart« (Leipzig 1901), »Ober die Verbreitung der haupt-
sächlichsten P>uptions2entren und der sie kennzeichnenden Vulkanberge in
Südamerika« (Petermanns Mitteilungen 1902, S. 1 — 9) und »Über die
genetische \'erschiedenheit vulkanischer Berge« (Leipzig 1903). Daran
schlössen sich noch als Früchte seiner Reisen eine Monographie über »Das
nordsjrrische Vulkangebiet Diret et-Tulul, Hauran, Dschebel Mani und
Dscholan« (Leipzig 1903) und eine »Karte der Vulkanberge Antisana, Chacana,
Sincholagua, Quilindkoa, Cotopaxi, Rnmiflahui und Pasochoa« (Leipzig 1903).
Noch einmal wurde er veranlaßt, die Feder zu ergreifen, als 190a eine
langandauernde Periode vulkanischer Ausbrüche in VVestindien begann. So
entstanden die beiden Broschüren »Martinique und St. Vincent« (Leipzig
1903) und »Rückblick auf die Ausbruchsperiode des Mont Pele auf
Ikfartiniqne 190a — 1903 vom theoretischen Gesichtspunkte aus« (Leizig 1904).
Diese letzten Arbeiten seit 1903 erschienen als Veröffentlichungen der
vulkanologischen Abteilung des Grassi-Muscums zu Leipzig. Aber noch
war sein Arbeitsprogramm nicht erschöpft. Gemeinsam mit seinem Freunde
Theodor Wolf, der ihm schon seit seiner Übersiedelung nach Plauen bei
Dresden 1891 dauernd seinen wertvollen wissenschaftlichen Beistand geleistet
hatte, wollte er ein großes ztisammenfassendes Werk über die geologischen
Verhältnisse von Colombia abfassen. Aber der durch Alter und An-
strengungen geschwächte Körper versagte den Dienst Wiederholte Auf-
enthalte in Kurorten brachten keine Besserung mehr, und so starb er nach
langen, qualvollen Leiden wenige Monate vor seinem 70. Geburtstage zu
Dresden in seinem Hause, das wie eine stille Oase inmitten des lauten
Getriebes der Großstadt liegt. Auf seinen Wunsch wurde er in Gotha mit
Feuer bestattet.
St. war ein überaus bescheidener, fast ängstlich sich zurückhaltender
Mann von unermüdlichem Fleifi, seltener Gewissenhaftigkeit und wahrhaft
vornehmer und selbstloser Gesinnung. Seine von Jugend auf schwache
Konstitution zwang er mit Energie durch eine streng geregelte einfache
Lebensweise zu bedeutenden Leistungen. Dem öffentlichen Leben, ins-
besondere der Politik blieb er grundsätzlich fem, doch verfolgte er beide
mit scharfer Kritik. Orden, Titel und Auszeichnungen lehnte er dankend
ab. Sein grofies Vermögen verwendete er lediglich zu wissenschafUichen
und menschenfreundlichen Zwecken. Der goldene Fluß der Rede war ihm
versagt. Deshalb trat er selten als Vortragender auf. Auch der schriftliche
Ausdruck ent(iuoll nur langsam seiner Feder, und trotz vielfachen Feilens
und Verbesserns empfand er selten Befriedigung über das, was er geschrieben
hatte. Für das wertvollste Ergebnis seiner Studien hielt er seine Theorie
der vulkanischen ^sdieinungen. Er nahm an, da6 der Ausgangspunkt der
vulkanischen Kräfte in der Gegenwart nicht mehr der von einer überaus
dicken Panzerkruste umgebene glutfliissige Erdkern, sondern eine große
Zahl in geringer Tiefe unter der erstarrten Erdrinde vorhandener »periphe-
rischer Herde« sei, aus denen das Magma dann, wenn es erstarrt und sich
infolgedessen ausdehnt, mnea Ausweg sucht und ihn naturgemäfl dort ge-
winnt, wo die Widerstände am geringsten sind. Meist erschöpft sich der
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2l8
Stttbel. Beider.
Magmaherd in einem einmaligen Ausbruch, der dann einen domförmigen
»monogenen« Vulkan, meist ohne Krateröffnung, hervorbringt. Zuweilen aber
entläßt er von Zeit zu Zeit einen Teil seines Inhalts, so daß periodische
Atisbrüche erfolgen, die dann einen »polygenen« Berg entstdien lassen, der
immer 6ine KraterOffnung zeigt Allerdings fond diese Hypodiese in den
Kreisen der Fachgenossen mancherlei Widerspruch.
Die von seinen Reisen mitgebrachten überaus reichen Sammlungen
übergab St. den Museen zu Berlin, Leij)zig und Dresden. Dem Grassi-
Museum seiner Vaterstadt überwies er schon bei Lebzeiten als Grundstock
einer geplanten Abteilung für vergleichende Lftnderkmide 82 Ölgemälde und
Reliefs, über 100 Handseichnungen, gegen 2000 Photographien, eine Anzahl
Karten, sowie viele Gesteinshandstücke und Dünnschliffe, die susammen
zwei große Säle anfüllen. Außerdem hinterließ er diesem Museuin testamen-
tarisch seine Bibliothek und seine Reisetagebücher. Seine Verwandten
fügten diesen Gaben noch eine Marmorbüste des Verstorbenen bei, die an
seinem 70. Geburtstage feierlich enthüllt wurde. Soweit er die Bestände
seiner Sammlungen nicht selbst literarisch ausbeuten konnte, dienten sie
anderen Forschem als wichtige Fundgrube. Aber bisher ist nur ein Teil
benutzt, ein bedeutender Rest harrt noch der Verwertung. Die Höhen-
messungen bcarl)citc(c M. 1 . Kunze, die astronomischen Ortsbestimmungen
B. Peter, die ineieorologischen Beobachtungen M. F. Krause, die Vögel
A. B. Meyer, die Fische F. Stein und Dachner, die Weichtiere E. v. Martens,
die Käfer Th. Kirsch, die Zweiflügler V. v. Röder, die neuen Pflanzen
G. Hieronymus, einzelne Versteinerungen H. Engelhardt. Über die Gesteine
veröffentlichten C. Hopfner, W. Branco, R. Küch, F. H. Hatch, B. Dofl,
F. Rutlolph und W. Bergt selbständige Werke oder größere Abhandlungen.
Die ethnographischen Gegenstände endlich veraidaÜten die zweibändige
Publikation von M. Lhle »Kultur und Industrie südamerikanischer Völker«
(Berlin 1889— 1890).
»Petermanns Mitteilungen« XXIV, 1878, S. 30 33. — »Dentscbc Rundsdiau ffir
Geo^aphie und Stnti^^tik« XVIII, 1896, S. 517— 518 (mit Bildni»). — A. Beigeat, Die
StUhflsohc X'ulkanthcorie: »Gcogfriiplii-iclu' /«.it-rhrift« X. i'(<)4, S. 225 — 227. — »Globus«
LXX.WI, 1904, i. 383. — »Lcii>ziger Illustrierte Zeitung« 1904, Nr. 3203, S. 736 — 737
(mit Bildnis). — Leopoldina XL, 1904, S. in — iia. — »Zeitung fUr Literatur, Kunst und
Wissenschaft« (Betlage des Hanbtii:srer Korrespondenten) 1904, Nr. 24. — Nachrufe von
Paul Wagner: »Dresdner An/cif^c-r« viun Ii. Nov. 1904; »Sittungsberichto und Ab-
handlungen der naturwissenschaltli» hell < JcscINchaft Isis zu Dresden« 1904, Heft II,
S. V — XI V (mit Bildnis und Bibliographie); Hcilagc zur »Allgemeinen Zeitung« 1905,
Nr. 37; »Geographische Zettschrift« XI, 1905, S. ia9 — 134; »Illustrierter FOhrer durch das
Museum fUr Länderkunde«, Leipag 1905, S. 59 — 66. — Hans Meyer, Alphons Stubel f.
(Leipiig 1905, mit 2 Bildnissen.) Viktor Uantssch.
Berger, Emst Hugo, einer der besten Kenner der antiken Geogn4>hie
* 6. Oktober 1836 in Gera als Sohn eines Steindruckers, f 37. September 1904
in Leipzig. — Wenige Jahre n:u h B.s Geburt siedelten seine Eltern nach
Leipzig über, das ihm eine zweite Heimat wurde. Der Kjiabc besuchte hier
zunächst die i. Hürgersciiulc, tiann das rh()tna>L;ymiiasiuin. Hier eignete er
sich die Anfänge jener gründlichen philologischen Bildung an, die später
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219
in seinen Werken so glänzend hervortrat. Seit 1856 studierte er in Leipzig
zunächst Theologie. Bald aber fühlte er sich mehr zur klassischen und ger-
manischen Philologie hingezogen. Nachdem er die Staatsprüfung für das höhere
Schulamt bestanden hatte, versuchte er sich einige Zeit als Lehrer, zunächst seit
1863 an der von dem Privatdocenten Tufskon Ziller, einem eifrigen Herbartianer,
begründeten Übungsschale, die mit dem pädagogischen Seminar der
Universität Leipzig verbunden war, dann an dem gleichfalls nach den
pädagogischen Grundsätzen Herbarts geleiteten Barthschcn Erziehungs-
institut. Da er aber von Jugend auf Neigung für ein beschauliches Leben
empfand, sagte ihm die Schultätigkeit auf die Dauer nicht zu. Als er
daher 1866 durch eine Heirat su hinreichendem Wdilstand gelangt war, gab
er den Lehrerberuf auf und beschäftigte sich nun mehr als 30 Jahre hindurch
als Privatgelehrter ausschließlich mit seinen wissenschaftlichen Studien.
Das Spezialgebiet, das er anbaute, war (h'c wissenschaftliche Erdkunde der
Griechen. Als Erstlingswerk veröffentlichte er Die geographischen I rag-
mente des Hipparch (Leipzig i86t)), jenes großen Astronomen und Mathe-
matikers aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert, von dessen drei Büchern sich
vereinzelte Bruchstücke bei Strabo erhalten haben. In dieser scharfsinnigen
kritischen Untersuchung zeigt B. bereits alle Vorzüge seiner wissenschaft-
lichen Arbeitsweise: umsichtige Heranziehung aller erreichbaren Quellen,
auch der scheinbar unbedcutenrlstcn, eingehende kritische Würdigung und
Vergleichung des so gewonnenen Materials, geschickte Gruppierung des als
gesichert erkannten Stoffes und möglichste Erweiterung desselben auf dem
Wege streng logischer Schlußfolgerungen. Erst 11 Jahre später gab er eine
ähnliche, ebenso sorgfältig gearbeitete, aber weit umfangreichere Sammlung:
»Die geographischen Fragmente des Kratosthenes« (Leipzig 1880) heraus.
Aus diesen beiden Studien, denen sich in den nächsten Jahren noch
mehrere kleinere, meist in Zeitschriften zerstreute anschlössen, erwuchs all-
mählich nach langer Arbeit das Hauptwerk seines Lebens, die mit Recht
als klassisch anerkannte »Geschichte der wissenschaftliche Erdkunde der
Griechen« (Leipzig 1887 — 1893). Dieses bewunderungswürdige Zeugnis gründ-
licher Gelehrsamkeit, das alles zusammenfafit, was die alten Griechen für
die Kenntnis der Erde in systematischer Entwicklung der geogra])hi sehen
Begriffe geleistet haben, zerfällt in vier Abteilungen. In der ersten behandelt
er die geographischen \'orstellungen der lonier, in der zweiten die Grund-
legung der Lehre von der Kugelgestalt der Erde von den Pythaguräern an
bis airf Aristoteles, in der dritten die weitere Ausbildung dieser Ldire durch
Dikäarch, Eratosthenes und Hipparch. In der letzten endlich legt er dar,
wie unter dem Einfluß der Römer eine Reaktion gegen die mathematische
Geographie erfolgt und die Beschreibung der Ökumene aufblüht, wie dagegen
Marinus von Tyrus und Ptolemäus die Geographie der Erdkugel wieder
aufnehmen und vor allem die Kartographie zu förflern suchen. An dieses
grundlegende Werk schlössen sich in den nächsten Jahren noch einige er-
gänzende Spezialuntersuchungen über das kosmische System des Diophantes,
die Zonenldue des Parmenides, die Stellung des Posidonius zur Erdmessungs-
frage und die Grundlagen des Marinisch-Ptolemäischen Erdbildes (in den
Berichten über die Verhandlungen des Kgl. Sachs. ( ".e^^ellschaft der Wissen-
schaften zu Leipzig, philologisch-historische Klasse, Band XLVl bis L),
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Beiger. RoUetL
sowie üher die F!ntstehung der Lehre von den Polarzonen {Geographische
Zeitschrift Hand HI). Mehrere kürzere Abhandlungen aus dem Ciebiete der
antiken Geographie steuerte er außerdem zu den ersten Bänden der von
G«org Wissowa herausgegebenen Neubearbeitung von Panlys Real« Enxy-
klopädie der klassischen Altertumswissenschaft (Stuttgart 18948.) bei. Infolge
dieser verdienstlichen Leistungen wurde ihm ganz ohne sein Zutun, namentlich
durch «len Einfluß Friedrich Ratzels, 1899 die neu begründete außer-
ordentliche Professur für Geschiihte der Erdkunde und historische Geographie
an der Universität Leipzig nebst der Leitung des historisch-geographischen
Seminars übertragen. Leider war es ihm nur wenige Jahre vergönnt in
diesem Amte zu wirken. Es stellten sich LiUimungserscheinttngen ein, die
erst die Augen, dann die Zunge, allmählich auch andere Glieder ergriffen.
Doch erlebte er noch die Frettde» daß eine verbesserte und ergänzte
2. Auflage seiner »Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen «
(l>eipzig 1903) nötig wurde, die seinem Namen für alle Zeilen ein ehren-
volles Andenken sichert. Bald nach dem Abschluß dieses letzten Werkes
nahmen die Krankheitserscheinungen derart zu, dafi eine Wiederherstellung
nicht mehr zu erhoffen war. Schliefilich trat noch eine Lungenentzündung
ein, die rasch den Tod herbeiführte. Obwohl B. in der Öffentlichkeit
niemals hervorgetreten ist, fehlte es ihm nicht an Ehrunfrcti und An-
erkennungen. Die Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig ernannte ihn
zu ihrem ordentlichen, die zu Göttingen zum korrespondierenden Mitglied,
und die Vereine für Erdkunde zu Leipzig und Halle nahmen ihn unter die
Zahl ihrer Ehrenmitglieder auf.
Beilage sar »Allgemeinen Zeitung« 1904, Nr. 255, S. 344 — a46 (Siegnumd Ollndier).
— »Globus« LXXXVI, 1904, S. 336. — »Geographen-Kalender« III, 1905, S. 176—177.
— »Mitteilungen des Vereins für Erdkunde su Leipsig« 1905 (W- ^^S^)-
Viktor Hantzsch.
RoUett, Hennann, (deutsch -österreichischer Dichter, Kunstschriftsteller
und Lokalhistoriker, Dr. pMl. et ckem, ♦ 20. August 1819 zu Baden bei Wien,
■f" 30. Mai 1904 ebenda). — Der Stammbaum der Eamilie R, reicht mit seinen
Wurzeln bis an den Anfang des 17. Jahrhunderts zurück, zu welcher Zeit sie
aus Savoyen nach Österreich auswanderte, um in der Quellenstadt Baden
festen Füll zu fassen. Während die älteren Zweige der Familie sich auf ge-
werblichen Gebieten, vorsflglich der Gerberei und MQllerei, betätigten, wählte
sich Anton Franz Rollett, der Ururenkel des Stammvaters Anselm, die Medizin
und Xaturwissenschaften zu seinem Berufe und erfreute sich bis zu seinem
Tode (iS4^) eines weit über tlie Grenzen seiner Vaterstadt reichenden Rufes
als Landgerichtsarzt und gelehrter Sammler kunst- und naturhistorischer Gegen-
stände. Hermann wurde als sein ältester Sohn aus zweiter Ehe mit Josepha
Anger geboren (des Dichters Stiefbruder Karl (f 1869) war ebenfalls Arz^
desgleidien dessen beide Söhne Alexander (f 1903) und Emil) und fand in
dem frühzeitigen Verkehre mit den berühmten Patienten seines vielgesuchten
Vaters reiche Anregung in seinem Lerneifer und Wissensdrang. Zu den
trcuesten Besuchern der noch heute bestehenden »Villa Rollett« am Eingange
des romantischen Helencntalcs zählten in den zwanziger und dreißiger Jahren
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RolletL
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Schillers Jugendfreund Andreas Streicher, Varnhagen v. Ense, Mendelssohn
u. V. a. Auch mit dem Herzog von Reichstadt, Kaiser Franz, Beethoven, dem
Maler Lampi und vielen anderen aus der Welt des Geistes und der Künste
kam R. schon als Knabe in mehr oder weniger nahe Berührung, die in mancher-
lei Richtung auf sein damals »stilles, nicht verschlossenes, aber zu heiterer
Kinsamkeit geneigtes Wesen« nicht ohne Einfluß war. Nach Absolvierung
der Volksschule in Baden, legte er als Privatschüler die Prüfung bei St. Anna
in Wien ab und besuchte daselbst das Piaristengymnasium, wo er durch seine
Erfolge in allen Gegenständen sich rasch die Liebe und Achtung seiner
Professoren errang. . Nach recht peinlichen Auseinandersetzungen mit seinem
\'ater, der ihn für den ärztliclien Stand bestimmt hatte, währenii er selbst
weniger aus Neigung als aus seinem Hang zu stiller ungestörter geistiger
Beschäftigung Geistlicher werden wollte, wählte R. einen Ausweg, indem er
sich dem pharmazeutischen Fache zuwandte. Mit großer Selbstverleugnung
übte er diesen Beruf, zuerst in einer Badener und dann in einer Wiener
Apotheke aus. Das Magisterium der Pharmazie erwarb er übrigens erst in
den sechziger Jahren. Nach einer ungefähr vierjährigen pharmazeutischen
Praxis oblag er an der Wiener Universität philosophischen Studien. Hier
wurde er mit V'ogl, Lenau und Keuchtersleben bekannt, drei Poeten, die
auf seine Muse nachhaltigsten Einfluß übten. Schon im elterlichen Hause
hatte er sich in kleineren poetischen Arbeiten versucht, aber alle unreifen
Erstlinge bis auf ein »An Giillparzer« betiteltes Poem, das als erstes im
Jahre 1837 in der »Wiener Theaterzeitnng< er^ hien, vernichtet. Feuchters-
ieben, dem er einige Jahre später eine stattlit he Reihe von Gedichten zur
Begutachtung vorlegte, riet dem jungen Poeten bei aller Anerkennung seiner
gewiß vorhandenen Begabung ab, mit einer solchen lyrischen Sammlung vors
Publikum zu treten. Dieses Urteil hielt jedoch R. nicht ab, die ersten Blüten
seiner Poesie im Jahre 1842 ab »Liederkränze«, »Justinus Kemer gewidmet«,
erscheinen zu lassen.
Die angenehmen Erinnerungen an eine im Jahre 1843 über Bayern
nach Schwaben zu dem von ihtn verehrten Justinus Kerner unternommene
Reise und der immer beengender auf dem geistigen Leben Österreichs
lastende Druck der Zensur ließen in R. den Entschluß reifen, sein Vater-
land bis zum Eintritte günstigerer Veihältnisse ganz zu verlassen und sich
hinaus »ins Reich« auf die Wanderschaft zu begeben. Das iast vollendete
Manuskript seiner politisch gefährlichen »Frühlingsboten aus Osterreich«
in" der Tasche, begann er im Frühjahre 1845 seine mehr als zehn Jalire
währende Fahrt, die — anfangs eine freiwillige — sich sj)äter ins Gegen-
teil verkehrte. Sie führte ihn kreuz und (juer durch ganz Deutschland und
endlich sogar in die Sdiweiz. Seine ausgesprodien donokratisch-freiheit-
liehe, jedoch nicht hyperradikale Gesinnung, die sich in wachsender Schärfe
in seinen Dichtungen widerspiegelte, machten ihn, besonders in Sachsen-
Weimar und Koburg, später während des Jahres 1848 fast überall /u einer
von den Behörden nur ungern gesehenen Persönlichkeit. Mit einem Emp-
fehlungsschreiben Ludwig August Frankls ausgerüstet, reiste R. über Brünn
und Prag, wo er Alfred Meißner besuchte, nach Dresden und von dort nach
Leipzig, wo er gerade an dem Tage ankam, da Prinz Johann auf die Bürger-
schaft schielten Kefi. Von hier ans ging es über Hamburg, wo er bereits
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222 Rollen. '
durch seine fdr dortige Blätter von Wien aus geschriebenen Korrespondenien
kein Unbelcannter mehr war, nach Helgoland. Hier traf er mit dem als Vcr- I
fasser des »Nordseebesens« bekannten Helgoländcr Stadtsekretär Siemens zu-
sammen. Sein Rückweg führte ihn nach Jena zu seinem Freunde Schuselka,
wo ergleirli diesem das schwarz-rot-goldene Hand der ersten Jcncnser Burschen-
schaft erhielt. In Jena hörte R. Kollegien aus allen Fakultäten und gab
(1S45) seine »Frühlingsboten aus Österreich« als vorgeschriebenes Zwanzig-
bogenbAndchen heraus.
Da er in Wort und Lied für den Deutschkatholizismus, der damals dwcA
Ronpes und Schuselkas Propaganda Anhänger warb, eingetreten war(»Wander-
bucli S. 168 »Ein Gottesdienst«, S. 176 «Die neue Kirche«), entstand das
Cleriu ht, er sei dentschkatholischer Prediger geworden. Der Sommer 1846
sieht ihn in Frankfurt a. M. in regem Verkehre mit Gutzkow und dem übrigen
»Jungen Deutschland«; auch mit Jenny Lind, mit der er späterhin In Weimar
nochmals zusammentreffen sollte, knüpfte er eine interessante Bekanntschaft
an und vollendete hier sein »Lyrisches Wanderbuch eines Wiener Poeten»,
das in geschlossener Reihe seine bisherigen Reiseerlebnisse schildert (Frank-
furt, Lit.-Anstalt, 1846). Nach einer Rheinfahrt zu Ernst Moriz Arndt nach
Bonn, zog er über Weinsberg, wo er auf einem echt schwäbischen Weinlese-
»Herbst« den Theologen David Strauü und seine Gattin Agnese Schebest
kennen lernte, nach Ulm. Eine hier ins Leben gerufene Wochenschrift »Die
Zeitgenossen« wurde bereits nach dem Erscheinen der ersten Nummer ver-
boten. Darauf begann R. die Herausgabe einer Anthologie in Heftform unter
dem Titel -I.yri-^rhe Blätter« mit Beiträ<i;t n der hervorragendsten deutschen
und österrei( hischen Poeten, erreichte jedoch auch tlamit niciit mehr als
sechs Nummern. In München zeichnet 1847 Moritz von Schwind für R.b
Zyklus »Herr Winter« seine weltbekannten Illustrationen für die »Fliegenden
Blätter«; der Dichter selbst ist damals mit einem Drama »Eine Schwest«*«
beschäftigt, das im November desselben Jahres in Oldenburg aufgeführt wurde,
sich aber nicht auf der Bühne zu behaupten vermochte. Gegen Ende dieses
Jahres nach I,eipzig verschlagen, schrieb er hier sein tendenziös -satirisches
»Waldnüirt hen« und verkehrte viel mit Robert Blum, Arnold Rüge, Althaus
und den anderen Vorkämpfern der Revolution. Sein um dieselbe Zeit (1848)
entstandenes »Republikanisches Liederbuch« wurde stark gekauft, einzelnes
daraus vielfach komponiert, von der PrefthdiOrde jedoch mit unnachsicht*
lieber Strenge verfolgt. Nachdem er den historischen Zug der Studenten*
Schaft auf die Wartburg mitgemacht hatte, nahm R. dauernden Wohnsitz in
Weimar. Hier traf er mit den wenif^eii noch t^berlebenden aus Goethes
Lebenskreise, mit den Riemer, Kräuter, Schwerdgeburth u. e. a. zusammen,
pflog eifrigen Umgang mit Franz Liszt, Jenny Lind und Andersen. Wie er
mit beiden letzteren unter Ffihrung des Kanzlers Müller die Fürstengmft
besuchte, hat er in seinen »Begegnungen« (1903) erzählt.
Auch während seines unstäten Zugvogellebens war R. keineswegs
untatig geblie})en und hatte nach einem l)ereits in Ulm erschienenen Rande
»Frische Lieder« seine vielbeachteten »Kampflieder« herausgegeben. Mit
ihrem Erscheinen beginnt der unfreiwillige Teil von R.s Wanderschaft.
Von Weimar aus wurde er in preuflische Requisition gezogen, safi,
lieber Geldmittel beraubt, kurze 2^itlang sogar im Arrest, wohnte im Lenze
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Rollett
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X849 ZU Wenigen-Jena iEufällig in Goethes einstigem Wohnräume »auf der
l^anne« — und hetzte sich durch seine aufreizenden drei Revolutions-
rframen »Thomas Mün/.er«, »FIamingo< und >T)ie Rahinken « vollends die
Hascher des preußischen Ministerpräsidenten Manteuffel auf den Hals. Die
ebengenannten Dramen wurden, ebenso wie seinerzeit das » Wantlerbuch«,
strenge verboten und alle greifbaren Exemplare vernichtet. Aus Jena aus-
gewiesen» wurde er über Rudolstadt, Remda und Saalfeld nach Hildburg-
liausen gejagt und erhielt in Nflro.berg einen Zwangspafl nach Wien an das
dortige Militärgericht aufgenötigt, entkam jedoch bei Donauwörth und
{gelangte mit heiler Haut an den Bodensee und mit Hilfe des »Flüchtlings-
Schiffes in die Schweiz.
Von Mitte 185 1 bis Ende 1854 lebte er in Zürich, wo er Medizin studierte,
in Gesellschaft Kudlichs, Herweghs und Richard W agners, später auch im
Appenzellerlande mit dem Naturforscher Tschudi, bis es ihm die allmählich
ruhiger und gesicherter gewordenen Zustände in Osterreich erlaubten, Ende
1854 über Wien in seine Vaterstadt Baden zurückzukehren, wo er pro forma
noch ein Jahr lang konfiniert blieb. Nach Ablauf dieser Frist übersiedelte
er nach Wien, wo er sich im Jahre 1859 mit Meta von Scheidlin, die ihm
1860 eine Tochter, Lina, schenkte, vermählte. Fünf Jalire später kehrte er
nach Baden zurück, blicÄ> fortan daselbst ansttssig und bekleidete nachein-
ander hervorragende Stellen in der Gemeindevertretung. Im Jahre 1876 schuf
er das städtische Archiv und widmete sich bis SU seinem Tode vorzüglich
stadtgeschichtlichen Forschungen, deren Früchte er in den 13 Teilen der »Hei-
träge zur Chronik der Stadt liaden« (1880 — iqoo) und in der Monographie
»Beethoven in Baden« (1870, 2. Aufl. 1902) niederlegte. Das von seinem Vater
begründete und von dessen Erben der Stadt geschenkte »RoUett-Museum« hat
er bis au seinem Tode als Rustos verwaltet.
Noch während seines Schweizer Aufenthaltes hatte R. die sentimental-
romantische Novelle »Jucunde« geschrieben, in die er seine besten Lieder
hineinverflocht. Die Romanzen und Balladen (■>Hcl(lenhiIder und Sagen«,
St. Gallen, 1854) verarbeiten in nicht immer glücklichster Behandlung hi-
storische Stoffe. Die relativ meiste Verbreitung fand die 1865 veranstaltete
»Auswahl« aus seinen sämtlichen Dichtungen, während der 1869 veröffentlichte,
in Form und Inhalt das Rei&te und Beste in sich vereinigende Ghaselen-Zyklus
»Offenbarungen« nicht weniger Beachtung fand. Die »Märchcngeschichten
aus dem Leben« 1894, (»Knirps der Grolies Der N'eujahrstag« und »Der
Minnehof«) erzälilen in durchwegs anmutiger Korin eine von stimmungsvollen
Liedern begleitete anspruchslose Handlung. xVuÜer etwa 30 selbständigen
Publikationen schrieb R. eine grofie Anzahl von zerstreut gedruckten Ge-
dichten und literarischen, politischen und kulturhistorischen Artikeln für die
meisten Tagesblätter und periodisch ersdieinenden Zeitschriften.
Als Dramatiker und Epiker kaum von Erfolg gekrönt, gehört R. als
Lyriker zur zweiten Reihe der nach Grün, Lenau und Gilm zu stellenden
Poeten Karl Beck, Carlopago-Ziegler u. a. Gedrungene, freilich auch oftmals
allzu unfreie Sprache, leichtes, müheloses Produzieren und nicht besonders
reiche Wahl des Stoffes, ein in pandieistischer Naturanschauung aufgehendes
Gemüt voll Innigkeit, gepaart mit echtem, durchaus nicht gekünsteltem
Empfinden des spezifisch niederOsterreichischen Sängers und ein bis ins
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RoUett. SMiemein.
höchste Alter ungestillt gebliebener Drang nach Freiheit im Leben und in
der Poesie geben fast allen seinen Dichtungen das Gepräge. Er hat sich
an Goethe, l'hland und Herwegh gebildet, ohne einen der Drei erreicht tu
haben, doch verratLii gerade seine bekanntesten Dichtungen eine von jeder
Nachahmung freie Individualität.
Als Kunsthistoriker hat er sich auf einem eng begiensten Gebiete, dem
der Steinschneidekunst, neben Brunn, Furtwingler und anderen einen geachteten
Namen erworben. Seine Monographie über die drei Pichler (Wien 1874) sowie
die von ihm verfaßte Af)toihing «Glyptik« in B. Buchers »Geschichte der
technischen Künste« (Stuttgart 1875) fanden den Beifall der Fachmänner.
Fast bekannter als durch seine poetischen und kunstgeschichtlichen
Arbeiten wurde R. durch das Werk »Die Goethe -Bildnisse, biographisch-
knnstgeschichtlich dargestellt«, das der Braumfillersche Verlag 1883 in
glänzender Ausstattung, mit Radierungen von William Unger, herausgab.
Bei ihrem Erscheinen stießen R.s »Goethe-Bildnisse« auf den heftigsten
Widerspruch Friedrich Zarnckes, dessen »Kurzgefaßtes Verzeichnis der
Originalaufnahmcn von (ioethc^ Bildnis« (Leipzig i<S8S) heute gewissermaßen
als Kanon gilt, R.s Werk jedoch mit seinen zahlreichen Quellennachweisen
auch heute noch nicht dem Forscher entbehrlich machen kann. Jedenfalls
bleibt es R.s unbestrittenes Verdienst, dem Gedanken eines (joeUiebildnis-
Werkes als erster eine würdige, greifbare Gestalt verliehen zu haben.
Wiewohl sich R. Zeit seines Lebens niemals aktiv am politischen Leben
beteiligte, bewahrte er sich dennoch seinen demokratisch gefärbten Freisinn
und freiheitlichen Optimismus mit zäher Ausdauer, blieb aber hauptsächlich
durch seine Zurückgezogenheit in einer Frovinzstadt dem modernen Zuge im
Weltgetriebe fem.
Es verdient schließlich noch der Frwähnung, daß R., dessen Wesen sich
in den engen Schranken einer Kirchlichkeit nicht behaglich fühlen konnte,
auf einem in seinem Nachlasse vorgefundenen Blatte andeutete, daß seiner
inneren Natur die Konfessionslosigkeit als das einzig Befreiende entspreche.
Bildniisc vcm Schosdcr, B. Eadcr, L. Fischer, SehnniiD, Kridiuber, Komako, Geoise-
Unytt, St-Gcnots, n. v. a.; Basten von SehiOdl, Sdutter, Ghnk, Meitd; Medaille vim Rad-
nittky; Ph<iuctte von Breithut.
(Quellen zur Biographic: »Hermann Kollettc , biugraphiscbe Skiuc (au:^ dem
19. und 20. Bogen des XXVI. Bandes von VVurzbachs »Biographischem Lexikon«, welche
in ihrem ersten, bereits vollendet gewesenen Druck nicht ausgegeben wurde), Wien 1874.
— »Ilcrniann RoUctt«, zu seinem 75. Geburtstage vcrf. von T.copold Kutscher, Wien 1894.
— »Begegnungen«, Krinncrungshiatter (1S19 — 1899) von Hermann Rollctt, Wien 1903. —
Selbstbiographie des Dichters aus dem Jahre l86a, im Manuskript. — Briefwechsel KoUctts
mit seinem Jagendfrennd Anton Josephy (die Jahre 1837 bis 1889 umfassend). — Über
R.S Liter. Nadüafi s. »Neues Wr. Tagblatt« v. 11. X. 1905. Paul Tausig.
Sauerwein, Georg Julius Justus, Linguist, * 15. Januar 18^1 in Hannover,
f 16. Dezember 1904 in Christiania. — Wohl mag es Gelehrte gegeben haben, die
sich mit noch mehr Sprachen beschäftigt haben, aber es hat keinen gegeben,
der so viele Sprachen wirklich beherrscht hatte, so viele gewandt gesprochen,
in so vielen selbständig, insbesondere poetisch produktiv gewesen wire. Dabei
hat S. eigentlich wissenschaftliche Arbeiten so gut wie gar kmoe geleistet.
Ihn erfüllte geradezu ein Heißhunger nach immer neuen Sprachen und dabei
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Saueiwein.
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stürzte er sich sogleich in tlic volle lebendige Literatur oder sog in der Unter-
haltung diejenigen aus, die ihm neue Sprachen bieten konnten.
Sein V'ater, August Philipp Ludwig Sauerwein, war Lazarett- Prediger
und auch Lehrer am Lyzeum in Hannover, von wo er aber noch im Jahre
1831 als Prediger nach Schmedenstedt bei Peine und von hier nach etwa zehn
Jahren als Pastor Primarius nach Gronau an der Leine versetzt wurde. Er
war ein ^ehr nnterric hteter Mann, <ler sich auch der wissenschaftlichen Welt,
und /.war durch Herausgabe der dritten Auflage (Mannover 1828) des ur-
sprünglich von Christian Reineccius herausgegebenen kleinen hebräisch-latei-
nischen Wörterbuchs bekannt gemacht hat. Den ersten Unterricht seines
ältesten Sohnes Georg leitete er selbst, bis letzterer im Alter von zwOlf Jahren
Aufnahme im Lyzeum zu Hannover fand, und zwar in Untersekunda. Bei
seiner ganz ungewöhnlichen Begabung und namentlich seinem ganz erstaunlichen
C/cdächtnis verließ S. jede zu überwindende Klasse als Primus und so auch
schließlich die ganze Schule als f>ritnu.< omti'iiim. Namentlich alle Sprachen,
die auf der Scliulc gelehrt wurden, machte er sich vollständig zu eigen und
beherrschte zum Beispiel das Hebräische so, dafi er im Maturitätsexamen
ein besonders schwieriges Kapitel eines Propheten in einem Text ohne Vokal-
bezeichnung leicht herunterlas, als wäre es deutsch. Mit Eifer las er die
alten Klassiker für sich, und ganz ohne Lehrer lernte er schon in ficr Schul-
zeit Italieinsch inid las mit Leichtigkeit Petraicas Sonette imd Kanzonen.
Michaelis 1848 bezog S. die Universität (jöttingen. Kr wurde für Theo-
logie immatrikuliert, lie& aber alles speziell Theologische bald ganz zur Seite
liegen. Seine Hauptstudien bildeten wie schon auf dem Lyzeum die Sprachen
und so wurden seine Hauptlehrer Ewald und Benfey. Bei dem letzteren lernte
er Sanskrit, bei Ewald hörte er alles, was er an Sprachlichem bot. Hebräisch,
Arabisch, Syrisch, Äthiopisch, Persisch, Armenisi h. Türkisch. Daneben ließ
er sich die (lelegenheit nicht entgehen, die nähere Bekanntschaft der in
Güttingen studierenden Kngländer, Ungarn und eines Spaniers zu machen,
um bald mit ihnen in ihrer Sprache sich zu unterhalten. Am Ende seines
zweiten Semesters trieb es ihn nach Wien, um dort namentlich mit Türken
und Montenegrinern mündlich zu verkehren. Neben all solchen Studien aber
hat er im Hinblick auf etwaige spätere größere Reisen auch noch medi>
zinische, chemische und botanische \'orle>ungen mit Kifer besucht.
Schon am Ende seines sechsten Semesters verließ er die Universität
und ist dann bald nach England gegangen. Er hatte gehofft, etwa in Indien
eine vorteilhafte Stellung zu finden, damit aber wurde es nichts. Alles was
ihm der bekannte Max Müller glaubte in Aussicht stellen zu können, schien
ihm sehr wenig empfehlenswert. Es bildete sich gar kein näheres Verhältnis
zu dem genannten Gelehrten, und in seinem späteren Leben hat S. stets
nur sehr kühl, um nicht geradezu zu sayen unfreundlich, von ihm ges[>rochen.
Kr wurde zunächst Hauslehrer in einem wohlhabenden Hause in der
Nähe von Conway. Llandrillo hieß sein Wohnsitz, der im welschen Sprach-
gebiet liegt und so ihm die erwünschteste Gelegenheit bot, sich die welsche
Sprache ganz zu eigen zu machen, was ihm in wenigen Monaten gelang,
und zwar in so vollkommener Weise, daß er bei einer besonderen (ielegen-
heit einen auf ihn ausgebrachten IDast aus dem Stegreif in einer langen
Rede in welscher Sprache erwidern konnte. Ks ist bemerkt worden, daß
Riogr. Jahrbucli u. Ocuttcher Nekrolog. 9. Kd.
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Sanenrcin.
noch nie ein »Kontinentaler« in ähnlicher Weise die welsche Sprache be-
herrM-lu habe.
In England machte S. noch manche wertvolle Bekanntschaft, kehrte
aber im Jahre 1855 zunächst nach Deutschland zurück und lebte teils in
Gronau, teils in Göttingen und Hannover, diese ganze Zeit mit eifrigsten
Sprachstudien beschäftigt
Im Winter 1857 ging er als Lehrer unfl Erzieher der Prinzessin Elisabeth
von Wied, der späteren Königin von Rumänien, nach Neuwied, wo man all
seine Leistungen wie seine ganze eigenartige Persönlichkeit in hohem Grade
zu schäuen gewußt hat. Leider nötigte ihn ein sehr bedenkliches Nerven-
leiden aber im Frühjahr 1860 seine Stellung aufzugeben und in seinem heimaU-
liehen Gronau Erholung zu suchen, wo er bis zum Winter 1868 verblieb.
Er fand dann bis zum Jahre 1870 ein Unterkommen als Hilfsarbeiter an der
Königlichen Mihliothek in (Dötlingen. Seine Besoldung war liier eine sehr
küinmerlichc und dazu war er als Bihliotheksarbeiter gar nicht sehr geschätzt.
Er konnte sich schwer an die notwendige Ordnung gewöhnen, las die fremd-
sprachigen Bücher, deren Titel er zu deuten und einzutragen hatte, lieber
ganz durch, als dafi er sich auf ihren Titel beschränkte, und schrieb dazu
eine sehr wenig schöne Hand. Zurückgelieferte und wieder einzustellende Bücher
liefi er oft bis zu bedeutender Zahl sich ansammeln, weil er sich vor dem
Besteigen der Leiterti und drohendem Schwindel fürchtete. Man war auf tler
Bibliothek ganz zufrieden, als er sich aus seiner Stellung nach verhältnis-
mäUig kurzer Zeit wieder zurückzog. Später hat er nie wieder eine feste
Stellung angenommen. Es traf sich für ihn sehr günstig, dafi er schon als
söjähriger junger Mann mit der großen britischen Bibelgesellschaft in Zu»
sammcnhang kam. Für sie übernahm er bald bestimmte .\rbeiten und bezog
dafür einen reichlichen Cichalt, den man sogar zu verdoppeln versprach,
wenn er seinen festen Wohnsitz in England zu nehmen bereit gewesen wäre.
Dazu aber konnte er sich nicht entsc IdieÜen. Bei einem wilden Drange
nach Freiheit ist er viel hin» und hergezogen, hat sich in späteren Jahren
mit Vorliebe bei den Litauern, in Norwegen, in der wendischen Lausitz auf-
gehalten.
Seine Arbeiten für die große l)ritische Bibelgesellschaft haben hohe An-
erkennung getuntlen. Es ist ausgesproc hen, dali Edwin Norris und Georg
Sauerwein als Arbeiter für die Hibelgesellschaft die erste Stelle einnehmen.
Nach einer gefälligen Mitteilung der betreffenden Abteilung der britischen
Bibelgesellschaft waren S.s Arbeiten die folgenden. Er besorgte das bulga-
rische Neue Testament, von dessen Bearbeitung Norris seines .Augenleidens
wegen zurückgetreten war, und bald darauf das armenische Neue I'estament,
wobei hervorgehoben w ird, daß ein nachprüfender (belehrter in Konstantinopel
auch nicht ein einziges Versehen darin entdei kt liabc. Im Jahre 1859 gab
S. den Psalter im .Armenischen heraus. Mitbeteiligt war er an der Heraus-
gabe der portugiesischen Bibel, sowie dann an der Herausgabe der Genesis
im Neu - Russischen. Im Jahre 1872 bezog sich seine Arbeit auf das
Neue Te t I lU in griechisch-türkischer Sprache, im Griechischen und Eng-
lischen In (las Madagassische hat er fast das ganze .Alte Testament über-
setzt. D.inii hat er Kobylanskis ruthenisclu^ rtn-rsetzung des Lukas zu beur-
teilen gehabt. — Im folgenden Jahre besuchte er Ruthenien und schickte
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Sftiicfwctn«
227
1874 eine Kritik des Kobyiaiiskischen Werkes ein. Im Jahre 1S75 prüfte er
I>r. Brüses persisches Neues Tt-stament und bald darauf hatte er die Druck-
bogen der vier Evangelien und der Apostelgeschichte im Transkaukasisch-
Türkischen zn korrigieren. Im Jahre 1878 begann er die Ausgabe der neu-
griechischen Bibel mit Randbemerkungen. Drei Jahre später besorgte er die
Durchsicht von AmirchanintnU* Übersetzung des Alten Testaments ins Trans-
kaukasisch-Türkische.
Im Jahre 1884 schickte ihn die iiibelgesellschaft nach Algier mit dem
Auftrage, biblischen Text ins Kabylische zu übersetzen. Nach Vollendung
des kabylischen Johannes-Evangeliums aber kehrte S. nach Kuropa zurück,
wo seiner schon neue Arbeit wartete. Neue Ausgaben des Neuen Testaments
und des Markus-Evangeliums im Neupersischen waren zu besorgen; das kaby-
lische Johannes Kvangelium zudrücken. Dann war er längere Zeit beschäftigt
an der transkaukasisch-türkischen Hibel, an der l 'sbek-türkischen ( l)erHetzung
der Evangelien und des Mutthäus-Kvangeliums im Kumykischen. Im Jahre
1890 war er niitbeschattigt an der prüfenden Durchsicht der revidierten Aus-
gabe des transkaukasisch-türkischen Neuen Testaments. Im Jahre 1891 ei^
hielt er den Auftrag die Bergpredigt ins Kaschgar-TQrkische zu übersetzen»
worüber er dann bald beric Ilten konnte. Die Übersetzung des ganzen Matthäus».
Evangeliums folgte in kurzer Zeit.
Im selben Jahre erhielt er den Auftrag, die Durchsicht tler tschuwaschischen
Übersetzung der Evangelien zu besorgen, und dazu die Herausgabe der pol-
nischen Bibelübersetzung.
Im Jahre 1894 sandte er eine Abschrift seiner Ausgabe von Bezas lateini-
scher Übersetzung mit Korrekturen und kritischen Bemerkungen ein. Nach
der Vollendung der polnischen Bibel aber, April 1896, entband ihn die Bibel-
gcsells( hilft seiner Verpflichtungen und zahlte ihm von da an bis zu seinem
Tode eine Pension. Nach seiner Rückkehr aus Algier hat er auch noch
einige Stücke des Alten 1 cstaments ms Kabylische übersetzt, von denen aber
nichts gedruckt worden ist, und ist auch an der Übersetzung der Bibel ins
Ungarische beteiligt gewesen.
Was noch einige der genannten Sprachen insbesondere anbetrifft, so mag
angeführt sein, daß er 1886 zu Neujahr seinem früheren Lehrer, Professor
Wüstenfeld in (Böttingen, ein arabisches (iedicht zugesandt hat. daß er in
seinen Briefen auch später noi h vom Dichten arabischer Makanu ii spricht
und sich äußert, wie er sich eine große Leichtigkeit im Schreiben des Neu-
arabischen erworben habe. Einem Briefe von 1886 war ein persisches und
ein russisches Gedicht beigelegt. Zu Neujahr 1886 schickte er ein freundlichst
aufgenommenes persisches Gedicht an Mirza-Schafy. Bei einem Besuch in
Dorpat im Jahre 1S74 wurde ihm unerwartet ein jungei .\rmenier vorgestellt,
mit dem er auf der Stelle eine rnterhaltun<j in (le«.>en Muttersprache an-
knüpfte. Als er den bekannten ungarischen (Jeieinti n und l'olitiker l'aul Hun-
falvy persönlich kennen gelernt hatte, sprach er ungarisch mit ihm. Im Jahre
190 1 spricht er vom Schreiben eines ungarischen Briefes an ein ungarisches
Patenkind. Im Jahre hjojj hat er einige Gedichte in welscher Sprache ver-
faßt, die von welschen Zeitungen gern aufgenommen wurden.
Im April 1S7:; schreibt er, daß er gelesenes Kussisch ganz geläutig ver-
stehe. Bei einer spateren Gelegenheit führte er mit dem Fiirsten Lobanow
'5*
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Saucnrein.
sehr geläufig eine russisrhe T'ntcrhaltung. Kin von ihm angeredeter ("rrieche
hielt ihn für einen Lanrisniann. Im Jahre iSi)7 hat er einige neugrie« hi^rhe
Gedichte gemacht. Die Übersetzung tler niadagassisciien Jiibcl übernaiitn er,
da, der sie übernommen hatte, schwer erkrankt war. Es wurde eine »mehr-
jlhrige angreifende Arbeit«. Das Ruthenische wurde so weit geüufig an-
geeignet, um ein darüber verlangtes Gutachten abgeben zu können. Aurh
wurden darin eine Menge kleiner Dirhtungen verfaßt, die ziemlieh viel Auf-
merksamkeit auf sieh zogen. Im Jahre 1882 hatte er eine transkaukasisch-
türkische C bertragung der Bücher Moses daraufhin zu beurteilen, ob sie mit
dem Original übereinstimme. Im Jahre 1889 hatte er in verschiedenen türki-
schen Dialekten Korrekturen zu besorgen. Bei den Kabylen sprach er im
Jahre 1884 ihre Sprache auf der Straße, was das höchste Interesse der Straßen-
jugend erweckte. Kr bezeichnete das Kabylische als fast unaussprechbar,
aber als sehr interessant. .Auch polnische (iedichte hat er gelegentlich ver-
falit. Die lange und schwere Arbeit an der polnischen Bibel wurde im
Januar 1895 vollendet.
Von weiteren Sprachen, die S. vollständig beherrschte, sind noch be-
sonders hervorzuheben: das Litauische, das Wendisdie der Lausitz und das
Norwegist lu'. In ihren Gebieten hat er sich zu wiederholten Malen und
auch l;in<r( IC Zeit aufgehalten und lebte dort ganz als Litauer, als Wende,
als Norweger.
Im Jahre 1887 hat er einen fast zweistündigen litauischen Vortrag in
der litauischen Gesellsdbaft Birute gehalten, 1S95 in derselben Gesellschaft
am Johannisfest die Festrede, die großen Eindruck machte. Im Jahre 1897
ward er von den Litauern, allerdings ohne Erfolg, als Reichstagskandidat
aufgestellt und hielt stundenlange litauische Vorträge.
Das flem Litauischen nachstverwandte Lettische wurde von S. auch früh in
sein Studiengebiet hereingezogen.
Von noch nicht genannten slavischen Sprachen verstand er namentlich
Seibisch.
Neben dem Norwegischen verstand S. auch das ihm n&chstverwandte
Dänisch, sowie auch Isländisch und Schwedisch.
Von weiteren Sprachen, die S. sich zu eigen machte, i>t das dem Welschen
nahe verwandte fiälische (Schottische, Die Sjirache Ossians ) noch zu nennen.
In London fand er Gelegenheit die Sprache der Fidschi-Inseln sich bekannt
zu machen. Das Samoanische kam erst später an die Reihe.
Chinesisch etwas gründlicher zu treiben und namentlich auch zu sprechen,
bot sich ihm erwünschteste Gelegenheit, als ein englischer Reisender namens
Alexander Wylee, der sich lange in China aufgehalten und in London einen
zum Scherz geschriebenen chinesischen Brief S.s zu Gesicht bekf>nimen hatte,
ihn in Gronau aufgesucht und dort mehrere Wochen mit ihm zusammen blieb.
In London lernte er auch Hindostanisch, so dafi er mit gelegentlich an-
wesenden Bewohnern Indiens sich unterhalten konnte. Die alte Sprache
Indiens, das Sanskrit, war ihm schon von der Universität her so vertraut,
dafi er mehrfach längere Gedichte in ihr zu verfassen wagte.
Als es gegen Fnde der sechziger Jahre zwischen England und Abessinien
zum Kriege kam, erwac htc kithaft der Wunsch, sich die Erlaubnis zu erwirken,
an der englischen Expedition teilzunehmen, und so warf er sich mit allem
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Swierwein.
229
Kifer auf das Studium der Sprache von Tigri und des Amharischen, die
beide ihren Ursprung vom alten Äthiopischen genommen haben. K,r lernte
beide Sprachen in kurzer Zeit gründlich, sein Wunsch aber blieb doch unerfüllt.
Als aber später König Theodors Nachfolger Kassai verschiedene offizielle,
amharisch verfofite SchriftstOcke nach England geschickt hatte, die nieiAand in
England verstand, erinnerte man sich S.s und rief ihn zu Hilfe, der dann
auch alsbald alles übersetzte. Auch später wurden noch mehrere Schrift-
stüc ke König Theodors ihm nach (Ironau nachgeschickt, wo sie bald ihre Er-
klärung fanden. '>\Vie gern •, schreibt er einmal im Jahre iqo,^ aus Norwegen,
»würde ich über die im Amharischen sich darstellende eigentümliche
Entwicklung des Semitischen Vorlesungen haltai«, ein scheinbarer An-
lauf zu wissenschaftlicher Arbeit, zu der er in Wirklichkeit aber nie ge-
kommen ist.
Auch zur Erklärung neusyrischer Schriftstücke suchte man in England
mehrfarfi seine Hilfe, die er bereitwilliu'st L'cw.ihrtc. Das Altsyrische war
ihm schon von der l iiiversität her geläutig. W ie d.is Syrische, so war ihm
auch das Altarabische von der Universität her vertraut.
Während seiner Göttinger Bibliothekarzeit studierte S. unter anderm Alt-
äg^'ptisch und auch dessen jOngere Form, das Koptische. Im März des
Jahres 1873 schreibt er, daß er nach Berlin wolle, um etwas Zend zu
studicrcT^ also die alte Eorm des Persischen, von dem dann aber weiter
keine Keck- ist.
Nach einer ganz andern Seite weist das Finnische. S. kam im Spät-
sommer des Jahres 1874 von Schweden her nach Finnland, wo er sich eine
Reihe von Wochen aufhielt und in dieser kurzen Zeit sich das Pinnische so
zu eigen machte, daß lange finnische Gedichte von ihm in finnischen
Zeitungen Aufnahme faiulen. \'on I-inidand führte ihn sein Weg über Peters-
burg nach Dorpat. Hier war es ihm ein großes \*ergnügen, sich mit dem,
dem Finnischen so nahe verwandten Estnischen gründlich bekannt machen
zu können. Er fand alsbald Gelegenheit sich mit einer Estin in eine
Unterhaltung hineinwagen zu können, und las daneben einen groflen Teil
des Kalewipoeg durch, den die Esten gern als ihr großes Nationalepos
ansehen, das aber nur in kleineren einzelnen Stücken, die großenteils gar
nicht untereinander zusammenhängen, von einem Doktor Kreutzwakl zu-
sammengefügt worden ist. Dabei ges( hah nun das Wunderbare, daß S. bei
seinen» Lesen und Studium bald die Entdeckung gemacht zu haben er-
klärte, dafi viele Formen in dem »Epos« ganz unrichtig gebraucht sein
müfiten. Tüchtige Kenner des Estnischen gaben die Endeckung sogleich
zu. Die Sache erklärte sich so, daß Kreutzwald, der viele Stücke im
Volke als prosaische aufgenommen, dieselben aber bei seiner l'marbeitung
in die poetische Form dadurch vielfach entstellt hatte, daß er die älteren
Sprachformen zum Teil gar nicht verstanden, sontlern sie wie nur dekorativ
behandelt hatte. Neben dem Finnischen darf auch noch das Lappische
erwähnt werden.
Besondere Erwähnung verdient noch das Aneiteum, die Sprache, die auf
der gewöhnlich Atmdtom geschriebenen Insel, einer der Neuen Hebriden,
gesprochen wird. Im Jahre 1870 hatte die britische Bibelgeseilschaft schon
das ganze Neue 'i'est;unent im Aneiteum.
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230
Smciwiriii*
Im Jahre 1869 erwähnt S. in einem Briefe, daß er Tamulisch verstehe.
Er hatte es schon in der Mitte der fünfziger Jahre gelernt.
Unmittelbar neben dem Tamulischen nennt S. das Baskische, dem er bei
zeitweiligem Aufenthalt im elterlichen Hause in den fünfziger Jahren eifriges
Studittm gewidmet
Aus London schreibt er im Juli 1878 »Georgisch habe ich ziemlidi ein-
gehend getrieben«. Eine Reihe von Jahren früher, Mai 1870, sclireibt er aus
Göttingen, daß er eben mit Narlidruck an ein neues Studium der mela-
nesischeii und maiaiisch-ijolynesisclien Sprache geuanurn auch darüber
etwas zu schreiben gedenke. Eben darauf bezieht sich, wim er schon aus
seiner ersten Zeit in England über Stadien der SAdseesprachen berichtete.
Dann heißt es wieder in einem Briefe von 1899 aus Bückeburg »lerne beizu
etwas Iiialaiisch — hier ist eine Dame aus Java«.
Aus einem Briefe vom 18. Oktober 1900 ergibt sich seine Bekanntschaft
mit dem Rumänischen und Albanesischen.
Ohne genauere Datierung, etwa im Anfang der secliziger Jahre, spricht
er davon, daß er nach Berlin wolle, »um Japanisch gründlich zu lernen«,
wovon dann aber weiter keine Rede ist in den Briefen. Es darf dabei noch
bemerkt werden, daß in den zu Rate gezogenen Briefen auch die eine oder
andere Sprache ganz unerwähnt geblieben ist, die er in den Bereich seiner
Studien hereingezogen hat, wie zum Beispiel das Holländische und die beiden
keltischen Idiome: das lri^( iic und das Manxische (die Sprac he der Insel
Man), von denen Proben in seinen Druckwerken entgegentreten. Es ist auch
noch anzuführen, daß er nirgends seines heimischen Niederdeutsch Erwähnung
tut, das er aber vollständig beherrschte und sehr geläufig sprach. Er pflegte
wohl einmal zu erzählen, daß er in der vierten Wagenklasse der Eisenbahn,
die er, weil er hier «nnt dem \'oIke in engste Beziehung kam, immer zu
bevorzugen pflegte, seine Reisegefährten öfters durch plötzliche niederdeutsche
Ansprache in Verwunderung gesetzt habe, da man seine unmittelbare Zu-
gehörigkeit zu vermuten doch nicht gewagt habe.
Bei dieser so ganz ungewöhnlichen und einzigartigen Begabung S.s,
sich fremde Sprachen ganz anzueignen, ist von besonderem Interesse, noch
einige eigene Äußerungen über seine Art des Sprachenlernens zu hören. Er
schreibt am 22. Oktober 1866: - So mitten unter einem Volke lernt man die
Sprache spielend, wie ich aus früherer Erfahrung weiß; das strengt den Koi)f
nicht an und gibt doch ganz von selbst viel interessantes und reiches philo-
logisches Material, was man später gut benutzen kann. Unterhalte dich nur
recht viel mit den originellen alten Esthinnen und Lettinnen dort und laß
dir's nicht unangenehm ankommen, wenn es erst langsam mit dem Vorschreiten
geht; man glaubt gcwöhnlicli zuerst, man käme gar nicht zum Ziele; und
ehe man sichs \'ersieht, kann man so eine Sprache, und um so l)esser und
natürlicher, je weniger unnatürlichen Zwang man sich quälend auferlegt hat.
Und so eine Spradie von einem neuen Sprachstamm, so spielend erlernt und
dann später gründlich erforscht, ist einem dann eine Repräsentantin des
ganzen Stammes, an die die übrigen Glieder von selbst sich anschließen.
Das erweitert den sprachlichen Gesichtskreis auf eine fruchtbarere und leben-
digere Weise, als wenn man sechs Sprachen auf einmal nur mit Büchern und
Papier zu erobern versucht, und einem dann doch keine so recht natürlich
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Satterwdn. His.
231
vertraut werden kann. Hast du dich so ohne Anstrenfjuiipr des nahen P'sth-
iiischcn bemächtigt, werden sicherlich die anderen Dialekte dann mit der
größten Leichtigkeit sich spielend anschließen.«
Ein ander Mal schreibt er (20. Mai 1875): »um diese Gewandtheit in
derselben [Sprache] zu erreichen, ist das beste Mittel, so viel als möglich zu
lesen . . . aber weniger das Augenmerk auf das massenhafte I^ernen neuer Aus-
drücke . . . als auf das Einleben in das ganze Sein uiul das Eigentümliche
der Sprache in deren Anschauungsweise zu richten«, und wieder (am 10. Sep-
tember 1883): »Die Grammatik — in der gewöhnlichen Weise getrieben —
ist zum Ordnen des bereits Gelernten da. Wer aber durch dieselbe in die
Sprache erst eindringen will, verfehlt seine Absicht. Das Schwimmen im
Meere einer Sprache und ihres Formenschwalles lernt sich besser in diesem
vollen freien Meere selber, als, man konnte sagen, in einer solchen engen
Badewanne.«
Dann ist auch noch anzuführen vom 17. Novenil)er 1.S86: Ks ist das
Verkehrteste, was man sich denken kann, das Leben einer Sprache gram-
matisch fossen zu wollen. Die Grammatik mufi nachher das aufgehäufte
wilde Material ordnen, aber sie kann's nicht geben« und etwas später »das
Sprachenlernen ist viel weniger schwer, ;üs man meint, man mufi es nur
richtig anfangen . . .'
Alle gegebenen Auslülirungen beruhen auf intim>ter i)crsonlicher Bekanntschaft und
einer reichen Fülle von Briefen, die der Göttinger Universitätsbibliothek ubergeben za
werden bestimmt sind. Im Nacblafl S.s soll sich noch ein ausfahrliches, vieiradi in un>
deutscher Sprache geführtes Tagebuch befinden, das noch nicht /ufjanglich und noch nicht
geordnet ist, später hotTcntlicli auch iiocli in den Besitz der Cnittinger Bibliothek übergeht.
Durch den Druck veröflc-ntlicht hat S. auücrordcnilich vieles, das meiste wohl in
Zeitangen, vieles auch in kleinen Heften und auf losen Blfttteni. An etwas uroftuigreichefen
Werken können noch genannt werden:
. / Pocket Dutümary of tht MugUsh and Turkuh Lamguagtt by G. Sauervä». Lottdon-
Leipzig jSjj.
Frie Viso ^rtta Vigguim srn^'e i Nordre'Gudbrandtdalsk DSiamaat taa Dr. G, %
Saufrwein. Kristiania /SSj.
J.e Ltvn des Stilutations infriSSCfs aux Xations Orientahx et OccidcntaUs rcprcsentifs
au Congrh des Oriitttalistcs a Stockholm par Girenas (mit diesem litauischen Namen »Wald-
menscfa« hat S. sich oft bezeichnet). Leipzig t888. (Enthalt Gedichte in 30 verschiedenen
Sprachen.)
\Ve<;t-r>stliches Stammbuch zu Mtr/a-Schaflrvs sieli/i;,'Stcm Geburtstage 2 2. April 1889
von üircnas. Leipzig 1889. (Enthält (Jedichte in 25 verschiedenen Spraclieu.)
Prmn ^rya » Eir*, from Miim * Mut, 7*4« Qntm VieiüHa Birik-Doy Pfiygiot
J^aet Album hy PacifkuM, LapM^ i8gg, (Enthalt Gedichte in 38 Sprachen.)
Leo Meyer.
His, Wiltielm, IJniversität.^professor der Anatomie, * q. juli iS^i in
Basel, f I. Mai 1904 in Leipzig. — H. war einer der bedeutend.sten Vertreter
seines Fad&es in der zweiten Hftlfte des neunzehnten Jahrhunderts. Von mafl-
gebendem Einflufi auf die Entwicklung des von ihm vertretenen engeren
Faches, sowie von großer Bedeutung für darüber hinausgehende Gebiete, ist
er auch hei verschiedenen Gelegenheiten weit über die Kreise der engeren
und weiteren Facligcnossen hinaus bekannt geworden. H. entstammt einer
alten angeschenen Basier Familie und war ein Enkel des bekannten schwcize-
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232
Hb.
risrhen Stuatsniaiines der Revolutionszeit Peter Ochs. Sein Vater war Kauf-
mann und Mitinhaber des alten Seidenbandgeschäftes H. Fr. Sarasin und er-
freute sich des besonderen Vertrauens seiner MitbOrger, die ihn su einer
Reihe von Ehrenämtern merkantiler und richterlicher Natur beriefen. Von
seinem Vater waren H. diejenigen Eigenschaften überkommen, die er selbst
in seinen Lt-hcnserinnerungenö als dessen bezficlineiuie Grundzüge rühmt:
' Kiiifarhheil und Klarheit der 1 )enk\veise und ern>te Lehensauffassung und
mit diesen vereinte er den Erbteil seiner Mutier, die nach seinem Zeugnis
mit grofter Pflichttreue eine ungewöhnliche geistige Regsamkeit und Durch-
bildung verband.
Nach Absolvierung des Gymnasiums seiner Vaterstadt w iilmctc sich H.
von Ostern 1849 bis Michaelis 1854 dem Studium der Medizin, doch fesselten
ihn, seinen naturwissenschaftlichen Neigungen cntsprerliend, dabei die
theoretischen Teile viel mehr als die klinisihen, und der Eifer für die letz-
teren kam niemals recht in Gang. Die ersten drei Semester brachte er teils
in Basel, teils in Bern zu; dann zog es ihn aber nach Deutschland, und er
siedelte für drei Semester nach Berlin über, angelockt hauptsächlich durch
Johannes Müller, der, als Forscher und Lehrer gleichbedeutend, einer der her-
vorragendsten Biologen aller Zeitt;n und für eine große Schar von Studie-
renden und Naturforschern ein besonderer Anziehungspunkt war.
Wie stark dieser geniale Mensch auch auf H. wirkte, geht am klarsten
aus dessen Schilderung in den »Lebenserinnerungen« hervor. »Gleich die
ersten Vorlesungen Müllers wirkten auf mich wie eine Offenbarung, und ich
habe je länger je mehr erkannt, was es heißen will, unter dem Einfluß einer
so mächtigen Persönlichkeit zu stehen. Müllers Erscheinung und Vortrags-
weise sind oft geschildert worden, der Ernst seines Wesens, sein tiefer, dun h-
dringender Hli( k, seine etwas zögernde, mit dem (letianken ringende Sj)rache.
Wie belebten sich in seiner Darstellung die ödesten und schwierigsten Kapitel
der Anatomie, wie durchsichtig gestaltete sich bei ihm der verwickelte Bau
des Gehirns, und wie verstand er es, alle komplizierten Gestaltungen auf ihre
einfachsten Grundformen zurückzuführen!«
Hat au( Ii der F.inHuß Müllers nicht ausgereicht, _H. tiein i ^auj)tforschungs-
gebiet seines Lehrers, der vergleichenden Anatomie, zuzufühien. so hat er ihn
doch zweifellos auf das eine Arbeitsfeld seines Lebens hingeführt: die ver-
wickelten Formen de$ Körpers und der Organe durch einfachere zu erklären.
Die Mittel und Wege dafür fand H. in der Entwicklungsgeschichte. Und das
dankt er vornehndich einem anderen Lehrer seiner Berliner Zeit, R. Remak,
der, bei seinen l>ebzeiten stark unterschätzt, als Begründer der neueren Ent-
wicklungsgeschichte erst allmählich zur vollen Anerkennung gelangt ist. Bei
Remak hörte H. über Kntwicklutigsgeschichte und wurde in deren Arbeits-
methoden eingeweiht; bei ihm bekam er Einblick in eine im Werden be-
griffene Wissenschaft und in neue grofie Probleme, die ihn in hohem Grade
fesselten. H. schreibt darüber: »Ich selber danke Remak Anregungen, die
einen großen Teil meiner eigenen Lebensarbeit bestimmt haben.
Der aufsteigende Ruhm X'irchows zog H. dann im Frühjahr 1S52 nach
Wur/ljurg, dessen medizinische l'akultät damals am Heginn einer neuen glanz-
vollen Zeit stand. Line Reihe jüngerer und bedeutender Kräfte, unter denen
ich aufler Virchow nur noch KöUiker und Scanzoni nennen will, gaben dem
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233
wissenschaftlicheil Leben einen mächtigen Anstoß und wirkten anregend und
befruchtend auf die zahlreich herbeieilenden Schüler. Auch für H. wurde
die Würzburger Zeit von besonderer Bedeutung. Sie brachte ihm nicht nur
eine Vertiefung und Erweiterung seiner allgemeinen medizinischen Ausbildung,
namentlich gefördert durch den freien Verkehr zwis( 1hmi jüngeren Professoren
und Studierenden, sondern führte ihn auch in das Laboratorium Virchows
und dort zu seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit. X'irchow, der kurz vor-
her seine neue »Hindegewebslehre« aufgestellt hatte und deswegen von Henle
und anderen heftig angegriffen wurde, forderte H. zu einer Nachprüfung
dieser Frage an der Hornhaut auf. H. unterzog sich der gestellten Aufgabe
mit großem Kifer und Geschick und konnte Resultate von bleibendem wissen-
schaftlichen Werte zutage fördern. Sie waren auch deshalb besonders
interessant, weil sie bewiesen, daü die Virchowsche Lehre in manchen
Punkten nicht mit den Tatsachen übereinstimmte und dementsprecheiul ge-
ändert werden mußte. Daß solche Ergebnisse im eigenen Laboratorium
Virchows gewonnen werden konnten, ist ein schönes Zeichen fflr die Objek- •
tivität des Schülers sowohl wie des Lehrers. *Ex $mgue leonm^ darf man
beim Lesen dieser Erstlinusarbeit von H. sagen! Sie verrät schon alle Eigen-
schaften, welche flie Arbeiten unseres Autors sämtlich so vorteilhaft aus-
zeichnen : cif^cne Forsrhungswege, ( )riuinalii;it im Krfassen iiiui Heurteilen,
bestimmtes Ziel, klare, logisch folgerichtige Darstellung in einfacher, unge-
künstelter Form, Vorsicht in den etwa anzuschließenden Hypothesen.« Dieses
Urteil Wald^ers ist eine treffliche Würdigung des kurzen, aber inhalt-
reichen Aufsatzes.
' F.s war zu .\nfang der fünfziger Jahre bei den schweizerischen und viel-
fach au( h bei deutschen Medizinern der Hraucli, nach Abschluß der Studien,
kurz vor oder nach soeben absolvierten Prüfungen einige Monate in Prag
und in Wien und meistens auch noch in Paris zuzubringen.« So wandte sich
auch H. im August 1853 zunächst für ein halbes Jahr nach Prag, dann für
ebensolange nach Wien, um an beiden Orten namentlich klinischen Studien
obzuliegen. In Prag zog ihn besonders Arit an, in Wien £. Brücke, Oppolzer
und Eduard Jäger.
In liie Heimat zuriu kgekehrt, l)e%tancl H. l",n(le des Sonnners 1854 sein
Doktorexamen, mit dessen x\blegung man damals noch das Recht der Praxis
erwarb, und verwandte das folgende Jahr zur Fertigstellung seiner Disser-
tation, die eine Fortsetzung und Erweiterung seiner in Würzburg begonnenen
Untersuchungen enthielt. Im Herbst 1855 konnte er diese Arbeit unter
dem Titel: x.Beitrcäge zur normalen und pathologischen Histologie der
Cornea- in ilen Druck geben.
Zum Abschluß seiner auswärtigen Studienzeit ging dann H. nach Paris
und verbrachte dort den Winter 1855—56. Er verkehrte dort in den Labo-
ratorien von Claude Bemard und von Brown-S^uard und hörte Vorlesungen
einiger bedeutender Physiker und Chemiker; als wichtigstes Ergebnis jenes
Aufenthaltes bezeichnet er aber selbst, daß er ihm flie dauernde Freundschaft
zu Pxl. H.iut. iil).irh und zu Fr. Homer gebracht hat.
Zu Heginn lU-s Winters 1856 — 57 habilitierte sich H. an der Hasler Uni-
versität für Anatonue und Physiologie und begann auch, Vorlesungen zu
halten, doch befriedigte ihn seine Tätigkeit so wenig, daß er Ostern 1857
234
Hu.
wieder auf die Wanderschaft zou- Kr wandte sich nochmals auf ein halbes
Jahr nach Herlin mit dem Wunsche, an der firaefesclien Klinik eine histo-
logische Assistcntenstellc zu erhalten. Diese Hoffnung allerüing.s ging nicht
in ErfQllung, dafür aber entschädigten ihn reichlich die freundschaftlichen
Beziehungen, in die er zu Theodor Billroth, damals erstem Assistenten
an der Langenbcckschen Klinik, treten konnte. Zunächst durch gleiche
wissenschaftliche Interessen zusammengeführt, trafen sich die beiden eine Zeit-
lang täglich zu gemeinsamer Arbeil und schlössen gute Kameradschaft, die
sich währenti liillroths Züricher Zeit zu inniger Freundschaft ausgestaltete.
Zahlreiche Briefe, in denen die Freunde alles, was sie bewegte, miteinander
erörterten, geben Zeugnis von dem idealen Verhältnis zwischen beiden, das
erst durch den Tod gelöst wurde.
Als im Herbst 1857 in Basel die Professur für Anatomie und Physiologie
flurch (leorg Meißncrs Berufung nach Freiburg i. Br. frei wurde, hatte H. das
Glück, /u dessen Nachfolger ernannt zu werden. Damit war der damals er-^t
aöjäiinge vor eine schwere Aufgabe gestellt, da er weder als Anatom, noch
als Physiolog geschult war. Die Folge bewies, dafl er die Fähigkeit und
den zähen Willen hatte, sich in seine Stellung einzuarbeiten, und dafl seine
Kräfte mit der Größe der Aufgabe wuchsen. Trotz angestrengter Lehrtätig-
keit in zwei l'ächcrn fand er noch die Muße zu reicher wissenschaftlicher
Arbeit uiui zu lebhafter Beteiligung am öffentlichen Leben seiner Vaterstadt.
15 Jahre lang wirkte er so mit zunehmendem F^folg, bis er 1872 namentlich
auf Betreiben von C. Ludwig nach dem Rücktritte von E. H. Weber nach
Leipzig als ordentlicher Professor der Anatomie und Direktor der anatomi»
sehen Anstalt berufen wurde. Mag ihm auch der Entschlufi nicht leicht ge-
worden sein, altgewohnte Verhältnisse mit neuen, fremden zu vertauschen und
aus seiner Vaterstadt und der Nähe seiner geliebten Schweizer Berge nach
dem Norden in das tfache Land zu ziehen, so traten dcx h diese kleinlic hen
Bedenken zurück, und es überwog die Freude, an die Stelle eines weltbe-
rühmten Gelehrten berufen zu sein und an einer retchdotterten vielbesuchten
Universität eine weit einflufireichere Tätigkeit ausüben zu können. Anfangs
wirkte er in Leipzig noch in dem alten, später (von 1875 an) in dem neuen,
nach seinen Angaben erbauten Institute, dessen Grundriß untl Hinrichtungen
seinerzeit allseitig als mustergültig anerkannt wurden und bei vielen Neu-
bauten als Vorbild gedient haben, (ileichzeitig mit seiner Ernennung er-
folgte auch die von Wilhelm Braune zum ordentlichen Professor der topo-
graphischen Anatomie, für welche eine besondere Abteilung des Institutes
geschaffen wurde. Beide Männer, im Alter nur wenige Tage auseinander,
waren in wissenschaftlicher Ausbildung und Neigung grundverschieden, lernten
sich aber, durch ihre Stellungen auf ein Zusammenwirken angewiesen, sehr
bald gegenseitig hochschätzen und arbeiteten sich so ineinamler ein, daß der
Tod Braunes im April 1892 den überlebenden traf, »als habe er eine schwere
Verstümmelung erlitten«, und eine schmerzliche Lücke in seinen engeren
Freundeskreis rifl. Zwanzig Jahre lang haben beide gemeinsam in Leipzig
die Lehrtätigkeit ausgeübt und mit C. Ludwig, (^)hnheim, Thiersch,
Wagner usw. zu den Zierden der Fakultät gehört. Nach Braunes Tode wurde
dessen Stelle eingezogen, und H. führte den Unterricht mit Hilfe jüngerer
Kräfte weiter.
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H».
Tn umfassender Lehrtätigkeit, jede freie Minute des Semesters uiul den
j^rößten Teil der hcrien für wissenscliaftliehe l^ntersuchungen ausnützend, war
H. 32 Jahre lang an der Leipziger Universität tätig, von großem Einfluß auf
die Studierenden, hochgeschfttst von seinen Schülern und Kollegen. Grofi
war auch allezeit sein Interesse {Qr die Angelegenheiten der Universität, an
deren Spitze -er 1882 als Rcctor magtaßeus berufen wurde. Die Huldigungen,
welche ihm beim 25jährigen Jubiläum seiner Leipziger Professur und bei
seinem 70 jährigen Geburtstag von nah und fern dargebracht wurden, waren
Zeichen der hohen Achtung und der großen Beliebtheit, deren er sich aller-
seits erfreute. Hatte er an seinem 70jährigen Geburtstage neben geistiger
Frische noch das Bild voller körperlicher Gesundheit geboten, so machten
sich ungefähr ein Jahr später die ersten 2^ichen eines Magenleidens bemerk-
bar. Mit gewaltiger Zähigkeit st^nmte sich seiti Körper gegen die Krank-
heit, aber un.iuflialtsam schritt sie weiter. Die Schwäche nahm zu, und die
Schmerzen häuften sich; immer klarer ward er sich über seinen Zustand, und
so war der Tod schließlich eine willkommene Krlösung für ihn, der geistig
ungebrochen erst wenige Wochen vorher seine letzten wissenschaftlichen
Arbeiten zum Abschlufi gebracht hatte. Er war, wie die Sektion ergab, einem
Magensarkom erlegen.
H. liebte als geborener Schweizer seine Heimat über alles, und jedes
Jahr zog es ihn zu ihren Bergen und Seen. Wenn irgend möglich, beteiligte
er sich auch an den wissenschattlichen Versammlungen seiner Lamlsleute;
kein Wunder, daß er auch da zu den alten Beziehungen stets neue knüpfte,
so dafi ihn die alte Heimat fiber der neuen nicht verlor. Der Kreis seiner
Bekannten war ungemein grofi; es gibt wohl kaum ein Land, in dem er nicht
Freunde oder frühere Zuliörer besaß. Mit vielen Geistesgenossen stand er
in regem schriftlichen Verkehr. Auf den Kongressen der in- und ausländi-
schen gelehrten Gesellschaften, die er häufig besuchte, war er ein gern ge-
sehener Gast.
H. war eine grofi angelegte Gelehrtennatur durch und durch. Er konzen-
trierte zwar sein grofies Wissen und Können auf das Spezial^h seiner Wahl ;
sein Interesse ging jedoch weit über dieses hinaus, liefi ihn immer Ansc hluO
an die Gcsamtbio]i»gie suchen und erstreckte sich auch auf !• ragen allge-
meinerer Art. Kr hatte einen offenen Blick für tlie Schäden und .Mängel
seiner Zeit und wurde nicht müde, für deren Beseitigung oder Besserung ein-
zutreten. So hat er unter anderem mehrfach das Wort ergriffen zur Frage
des akademischen Unterrichts und ist wiederholt eingetreten Ittr die Schaffung
»wissenschaftlicher Zentralanstalten« fOr die biologischen Wissenschaften, die
er sich nach dem Vorbild der zoologischen Station in Neapel dachte, und die
ausschließli( h der wissenschaftlichen Forschung dienen sollten. H. war auch
einer der Hauptretormatoren der » ( resellschaft (leut>cher NaturtOrscher und
Ärzte>* und bei der Gründung des »Deutschen Kartells« und der ^ Inter-
nationalen Assoziation der Akademien« an erster Stelle beteiligt.
Die wissenschaftliche Tätigkeit von H. hat sich über sehr verschiedene
Teile seines Faches erstreckt, ohne daß sich jedoch eine Periodizität in der
Reihenfolge der Arbeiten erkennen ließe. F,s empfiehlt sich, die große Zahl
(179) seiner Veröffentlichungen nach den Hauptgebieten, welche sie behan-
deln, zusammenzufassen und die wichtigsten von ihnen gruppenweise zu
236 His.
besprechen. Ich beginne mit den Arbeiten über mikroskopische Anatomie (cin-
srhlielilirli allj,a-meiner Anatomie), htsse dann die Aufsätze zur makroskopi-
schen Anatomie und Antiiropologie, dann die zur allgemeuien und speziellen
Entwicklungsgeschichte (einschliefliich allgemeiner Biologie) folgen und fasse
die übrigen in einem Schluflkapitel zusammen.
Zu den Arbeiten über spezielle mikroskopische Anatomie» die fast alle
in die l?asler Zeit fallen, f^ehört die bereits erwähnte Dissertation ül)er die
Hornhaut. \ on dieser wurde er auf die Bearbeitung der lymplioiden Organe
(Lymphdrüsen, Thymus, Lymphknötchen des Darmes) und der Lymphwege
geführt, der er sich (anfangs gemeinsam mit Billroth) mehrere Jahre lang
widmete. Durch systematisch ausgeführte Untersuchungen und durch ein
neues originelles Verfahren in der Behandlung der dünnen Schnitte gelang
es ihm, weiter zu kommen, als seine Vorgänger und den wesentlichen Auffuiu
dieser Organe klarzustellen. .\n (h'ese .Arbeiten schlössen sich Beob-
achtungen üi)er den Hau des Säugetiereierstockes an, die für den wissen-
schaftlichen Werdegang von H. desiialb von Bedeutung sind, weil sie ihn,
wie er selbst sagt, sum erstenmal vollständig in das Gebiet der Entwicklungs-
geschichte hineinführten, dem er dann für lange Jahre ^t ausschliefilich
treu blieb.
Krst in seinen späten Lebensjahren wandte er sich wieder hist()logi^c!^cn
l'ragen zu und zwar soh lien der allgemeinen Anatomie. Im .\n^chIuti an
cntwicklungsgeschichtliche Fragen nahm er das Studium über die feineren
Strukturen der Zelle und Über gewisse Vorgänge bei der Zellteilung auf,
eines der schwierigsten Gebiete der Biologie überhaupt. Mit jugendlicher
Frische arbeitete er sich in die ihm anfänglich fremde Materie ein, und
es gelang ihm, eine große Reihe interessanter und wejtvoller Heobachtungen
zu machen. Seine rntersuchinigen sind namentlich auch dadurch vielen
ähnlichen anderen weit überlegen, daß er sie in ausgedehntem Maße am
lebenden Material (sich entwickelnden Fischkeimen) anstellte. So selbst-
verständlich es scheint, dafi für das Studium des feineren Aufbaues der Zelle
zunächst von lebendem Gewebe ausgegangen werden muß, so ist in den
letzten 30 Jahren doch von den meisten Autoren ausschliefilich oder vorsugs-
weise al»get(")tetes Material verwendet worden, bei dem man niclit ohne
wi'iterrs >agen kann, <»l) die sichtbaren Strukturen bereits im Leben vorhanden
waren oder erst durch das Abtöten entstanden sind.
Auf dem Gebiete der makroskopischen Anatomie heute noch Originelles
und Bedeutendes zu leisten, scheint dem Uneingeweihten unmöglich zu sein,
und d<ich hat dies H. fertiggebracht!
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre begann er Präparate über die Form
und die Lageljeziehungen der ( )rgane des mens( blichen Kor]>er> in neuer
eigenartiger und einwandfreier Form herzustellen. Durch Injektion mit (/hrom-
säurelösung und nachträgliche Behandlung mit Alkohol wurden die K()rpcr
und die einzelnen Organe so gut gehärtet, dafi sie schichtenweise präpariert
und abgegipst werden konnten, ohne ihre ursprüngliche Lage zu verlieren.
Anfangs mehr für Unterri( htszwecke hergestellt, brachten die Präparate eine
große Menge neuer und uherrasdiender .Anscliauungcn und sind seitdem in
großer Zahl angelertigt und \ervielfältigt worden. Kann sich auch in neuerer
Zeit liurcii eine vereintachte 1 eciuiik jedes Institut solche Präparate mit
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His.
I c ichtigkeit herstellen, so haben doch die Hisschen Modelle wegen ihrer
l'.x.'ikthc'it, genauen Durcharbeitung und leichten Handhabung den ^^'cg über
flic ganze Krdc gefunden und den Namen von H. überall verbreitet. Die
ganze jüngere Generation von Medizinern hat sich an diesen Modellen leichter
klare Vorstellungen von der Form und von dem verwickelten räumlichen
Ineinandergreifen der Organe verschaffen kt^nnen, als es vordem der Fall
war. Wir können uns heute keinen guten Unterricht ohne diese (sipsabgüsse .
denken.
Mit anthropologischen I'rol)lemen beschäftigte sich H. zweimal. In seiner
Basler Zeit gab er mit kutimever zusammen unter dem Titel Cninia
heh*etua* ein großes Tafelwerk über die Schweizerschädel heraus, in dein er
zur Aufteilung von vier verschiedenen Typen für die Schweizer Bevölkerung
gelangt. Das Buch gehört zweifellos zu den besten seiner Art! 30 Jahre
später wurde H. in Leipzig vor eine andere eigenartige Aufgabe anthropolo-
gischer Natur gestellt, an deren Lösung er in höchst origineller Weise her-
aufging. IN handelte sich dabei um die Frage, ob Skeletteile, weh he an dem
nur iraditiuneil bekannten liegräbnisplatz Joh. Seb. Bachs gefunden worden
waren, diesem zugehören konnten oder nicht. Die Anhaltspunkte waren
sehr gering: das Alter konnte stimmen, und der Schädel besaS eine auffällig
»fliehende Stirn«. Weiteres war unmittelbar nicht festzustellen. H. versuchte
deshalb das interessante l*r()blem auf einein l^mweg zu lösen. Er veranlagte
den Leipziger Bildhauer l'rof. K. Setiner, über den mutmaßlichen Sc hädel
eine Büste zu ft>rmen, dabei aber die dur( h .\K-sMingen gefundenen Mittel/.ahlen
der Dicke der Weichteile auf den Schädel aufzutragen und für die Herstellung
zugrunde zu legen. Die so entstandene, lebenswahre Büste vereinigte die
wesentlichen Eigenschaften der bekannten Bilder von Joh. Seb. Badb, und
die zur Prüfung der Frage niedergesetzte Kommission konnte mit gutem
Cowissen ihr L'rteil dahin al)geben. dali die aufgefundenen (lebeine höchst-
w ahrscheiidich die von joh. Seb. Bach seien . 1 )ie Methotle hat namentlich
bei Anthropologen groUen Anklang gefunden und ist u. a. von J. Kollmann
benutzt worden, um Ober dem aus einem Pfahlbau der Steinzeit stammenden
Schädel einer Frau deren Büste zu rekonstruieren.
Hat H. ohne Frage auch auf den bereite erwähnten Gebieten (irofles
geleistet, seine gröüte Bedeutung liegt sicher in seinen .Xrlu iten ül)er allge-
meine und spezielle Entwickhnig«<geschichte. Ihr .\nfang fallt in das Jahr
1865, wo er bei seiner l'ntersuc lumg über den Säugetiereierstock Gegensätze
im Verhalten verschiedener Gewebsteile bemerkte, die ihn an das bei Remak
Gehörte erinnerten. Dies war für ihn die Veranlassung, dessen Lehre durch
eigene Untersuchungen jüngster Stadien von Hühnerembryonen nadizuprüfen.
Die ersten Resultate dieser Untersuchungen sind niedergelegt in einem aka-
demischen Programm (^ber <lie Häute und Hohlen des Körper^ , in dem
die Be<leutung der Kemak-clun Keimblattlehre für das \'erstan<lnis der ein-
zelnen Gewerbsarten erörtert wird. .Ausgehend von der Bichats( hen .Auf-
stellung der drei Haupts3rsteme von »Hauten« des Körpers suchte er die
Beziehungen auf, die sich ergeben zwischen deren anatomischem Verhalten
und ihrer Entwicklung, d. h. ihrer Abstammung von einem der drei Keim-
blätter. Der \'ersu< h, neue große Gesichtspunkte in die histologisi he Betrach-
tungsweise einzuführen, gelang vollständig. Kr suchte die der Keniakschen
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238
Hi«.
Lehre anliafteiiden Widersprüche zu lösen und fiah für das Verhalten licr
verschiedenen (iewehc zueinander Erklärungen, die si» Ii in der Fcilge a]>
äutierst fruchtbar erwiesen. Der ilurch seinen Gesichtspunkt intere>-^ inte und
an neuen Gedanken reiche, großzügige Ansatz, der nach dem eigenen Ge-
ständnis des Verfassers »nur ein flüchtig hingeworfenes Gelegenheitsprodukt«
war, wirkt auch heute noch in hohem Grade anregend. Es war ein Programm
auch für die Wissenschaft! Manches ist daran jetzt veraltet, manches ist als
sicherer Besitzstand aufgenommen, manches ist zur Klärung noch der Zukunft
überhissen!
Bei der Fortsetzung seiner entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen
erkannte H. sehr bald, daft sich neue grofle Fortschritte nur durch Verbesse-
rung der alten Methoden erzielen lieflen. So suchte er zunächst die Technik
zur Herstellung iwxer Schnitte zu venroHkommnen und gelangte iS66 zur
Konstruktion eines eigenartigen Mikrotoms, das zwar nicht das erste seiner
Art war, das ihm at)er er>t die Mögh'chkeit gab, lückenlose Reihen gleich-
dicker Schnitte herzustellen; nur an solchen konnte er bestimmte Gebilde
mit Sicherheit in ihrer ganzen Ausdehnung verfolgen. Die erste Frucht dieser
Untersuchungen war seine grolle Monographie Ȇber die Entwicklung des
Hühnchens im Ki« (1868), die eine Fülle von wertvollen Einzelbeobachtungen
enthielt, besonders aber bekannt ist durch den Nachweis, dali die Blutgefäße
des Wirbeltierembryo nie ht innerhalb seiner Körperanlage entstehen, sondern
am äulieren Umfange derselben und erst später in die Körperanlage
hinein wachsen. Diese an und für sich richtige Beobachtung führte
H. zur Aufstellung seiner in den folgenden Jahren mit grofier Heftigkeit dis>
kuticrten Parablasttheorie, nach der die Blutgefäße und die Gewebe der
Bindesubstanz von dem Parablast (Nebenkeim) abstammen, der sich in der
Umgebung <les A rrhibl astes (llauptkeimes), getrennt von diesem, aus dem
weilien Dottrr bilde. Dieser Gegensatz in der Herkunft sollte sich das ganze
Leben hnulurch in dem Verhalten der Gewebe bemerkbar machen. So ein-
fach diese Lehre das gestellte Problem zu lösen schien, so wenig stimmten
doch später bekannt werdende Tatsachen mit ihr überein; sie wurde all-
mählich unhaltbar. H. hat seine Theorie in verschiedenen Schriften zu
stüt;ren versucht, sie aber im Jahre 1900 nach erneuten Untersuchungen selbst
fallen lassen.
Schon in seinen ersten Arbeiten über das Hühnchen wurde H. durch
das Kausalitätsbedürfnis auf eine mechanische Betrachtungsweise für die Er-
klärung entwicklungsgeschichlicher Vorgänge hingeleitet Er fand sehr bald,
dafl gewi.sse Formveränderungen der Embr^oanlage während der Entwicklung
auffallende Ähnlidikeiten besitzen mit denjenigen Umbildungen, welche bieg-
same Platten und Röhren durch Horizontalscluib erkiilen und sah die Ursache
der wirkenden Kräfte im ungleichen \Va( hstuni der verschiedenen Abschnitte
und Schichten der Anlage. Diese durchaus originelle Auffassung, die sich
wie ein roter Faden durch seine sämtlichen entwicklungsgcschichtlichen
Schriften hindurchzieht, wurde im Anfang aufterordentlich bekämpft, hat
sich aber in ihren Grundzügen allmählich immer mehr Anhänger erworben.
Sie hat H. unzweifelhaft zu einem der bedeutendsten \'ertreter derjenigen
Richtung in der Fntwic klungsgeschichte gem:i< lu. für welche später die Be-
zeichnung »Entwicklungsmechanik« geschaffen worden ist.
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His.
Auch ein zweiter, charakteristiscber Zu<^ tritt uns schon in den früliesten
Arbeiten entgegen, das Bestreben, sich möglichst klare räumliche Vorstellungen
von den behandelten Objekten zu verschaffen. Dies führte ihn sehr bald
dazu, als Erster plastische Rekonstruktionen ganzer Keimsdieiben und Em-
bryonen oder eintelner Teile derselben im vergrößerten Madstabe zu versuchen.
War er auch anfangs nur auf die freie Modellierung angewiesen, deren
Genauigkeit von fortwahrenden kontrollierenden Messungen des Objektes
und seiner Durchschnitte unter dem Mikroskop abhing, so ergab sie doch
sofort überraschende Aufschlüsse und ist für die Folge von weittragender
Bedeutung für die verschiedensten Gebiete geworden. Born hat schließlich
der Methode eine einfachere und sichere Form gegeben, und in dieser Form
ist sie heute unentbehrlich geworden. H. lieft für genaue zeichnerische
Wiedergabe der Schnitte den Embiyograph konstruieren und wandte als einer
der Ersten auch die Photographie in ausgedehntem Maße für diese Zwecke an.
Vom Jahre 1866 an hat H. auf dem Gebiete der tierischen KiUwicklungs-
geschichte eine große Reihe von Untersuchungen ausgeführt und hat außer
dem Hahnchen namentlich Knochenfische und Haifische herangezogen, um
besonders die Verhältnisse der unbebrüteten Keime und die Vorgbige
während der frühesten Entw irklungstufen klarzulegen. Seine Beobachtungen
an den Keimscheiben lies Lachses führten ihn dabei zur Aufstellung seiner
K o n k resz e n z I e h re , nach der der Rumpf des Kmbrvfis durch eine allmäldii h
von vorn nach hinten fortschreitende axiale Verwachsung zweier symme-
trischer Hälften des Randwulstes entsteht. Diese hochwichtige Theorie ist
ahnlich wie die Parablastlehre heifl umstritten worden; sie scheint auch das
Schicksal der letzteren teilen zu sollen.
Auf Grund eines reichhaltigen und sorgfältig gesichteten Materiales,
welches er nach und nach gesammelt hatte, begann H. tSSo die Herausgabe
seiner: Anatomie menschlicher Kmbryonen, deren 2. imd 3. Lieferung
1882 und 1885 folgten. Mit diesem groß angelegten Werk, in welchem zum
ersten Male die embryonale Entwicklung der Körperformen und der Organe
des Menschen in zusammenhängender Weise an der Hand vorzüglicher Ab-
bildungen und Modelle dargestellt wurden, schuf er eigentlich erst die
menschliche I'.ntwii klungsgeschichte, von di-r bis daliin nur einzelne Kapitel
in wenig ausführliclu r Form bearbeitet waren. Das Buch ist ein Meisterwerk,
sein Wert unvergänglich!
£in besonderes Interesse wandte H. auch stets der Entwicklung der
einzelnen Organe zu und behandelte sie aufier in dem eben genannten
Werke noch in einer Reihe gesonderter Abhandlungen. In allen diesen
Arbeiten versuchte er unter anderem auch die p(»tembryonalen Formen auf
die embrj'onalen zurückzuführen und das \'erständnis jener dadurch zu fiirdem.
Als die wiclitigsten sind unter diesen \'er()ttentlichungen wohl diejeniut n ül>er
die Entwicklung iles Hirns und Nervensystems zu bezeichnen, führten sie
ihn doch im Jahre 1886 dazu, keine schon mehrfach geäußerte Ansicht über
die Histogenese des Nerven^stems ausführlich zu begründen. Sämtliche
Nervenzellen und Nervenfasern stammen von dem äußeren Keimblatt, dem
Ektoderm. Jede Nervenfaser geht aus einer einzigen /eile als Ausläufer
hervor und wächst von dieser auf kürzere oder län^'t-rc Strecken aus. Diese
Zelle ist ihr genetisches, ihr nutritives und ihr funktionelles Zentrum, alle
340
His.
anderen VcrbiiidMii^'cn der Faser sind entweder nur mittell)are oder sie sind
sekundär entstanden.' Diese Lehre, die H. noch in nielireren späteren
Arbeiten weiter ausführte, hat für die l oige grolie Bedeutung dadurch erlangt,
dafl sie die durch Ramon y Cajal u. a. auf Grand andersartiger Untersuchungen
über die Verknfipfung der einzelnen Nervenelemente gewonnenen Anschauangen
wesentlich stützte. Sie ist als sogenannte Neuronen lehre bekannt Auch
diese Lehre ist heftig anpej^riffen worden, und der Kampf um sie tobt heute
heftiger denn je. Die Zukunft wird entsrhciden, ob sie zu Recht bestehen
bleibt oder ganz oder teilweise fallen muß. Mag in solchen wissenschaft-
lichen Fehden auch ein Forscher eine Lieblingsidee auf dem Kampfplatz
hinsinken sehen, die Wahrheit jedenfalls gewinnt dabei ! Jeder solcher Streit
führt zu einer vertieften Bearbeitung eines Gebietes von verschiedenen Seiten,
wie sie sons? wnlil nur ausnahmsweise (lurchgeführt wird. Auch kann es nie
einem NaturlorM her als Makel angehangen werden, wenn nach ihm antlere
mit besseren Mcth()d(.ii nu-ln srhen, als er sehen konnte, und wenn sie da-
durch seinen Deutungen den Hoden entziehen.
Zu den groflen Fragen über die mutmafiliche Entstehung des körperlichen
und geistigen Lebens hat H. nur ausnahmsweise das Wort ergriffen, im
Zus ininn nliang eigentlich nur in seinen Briefen über »Unsere Körperfonn
und ilas physiologische Problem ihrer Kntstehung , in denen er sich ii!>cr
»len engen Kreis der Fachgenossen hinaus an ein breiteres Publikum
wandte. So groüe Hochachtung er auch tiein mächtigen Cieisi von
Charles Darwin« zollte, und so sehr er auch das allgemeine Prinzip von dem
genetischen Zusammenhang aller Lebewesen anerkennen muflte, so trag er
doch Bedenken, dieser Lehre in alle Einzelheiten zu folgen. Vor allem be>
zweifelte er, daß die morphologische Verwandtschaft unter allen Umständen
die genetische beweisen müsse. Man wird sich daher nicht wundern, daß
sich 11. dem .\usbau der Daruinx hen Lehre durch Haeckcl, der in seinem
sogenannten »biogenetischen Grundgesetz^ den Satz von iler kurzen Wieder-
holung der Stammesentwicklung in der des Individuums aufgestellt hatte,
nicht ohne weiteres anschliefien konnte. Seine scharfe Kritik der ungerecht*
fertigten Übertreibungen dieser Hypothese und der von Hacckel zur Beweis-
führung gegebenen Abbildungen führte ZU einer heftigen Polemik, die heute
glücklicherweise fast vergessen ist.
H. besaÜ auch ein groUes Interesse für die (ieschichtc seines Faches,
von dem der Student durch die ausführlichen historischen Einleitungen zu
den Vorlesungen Kenntnis erhielt. Außerdem verdanken wir ihm eine Reihe
anregender Aufsätze über die Geschichte von wissenschaftlichen Problemen
und vom rnterrichtswesen. Auch die Ciedächtnisreden und Nekrologe auf
mehrere verstorbene Kollegen gehören hierher; sie geben uns ein getreues
Bild von dem her/liehen X'erhaltnis, welches ihn mit diesen verband, und
sind alle gekennzeichnet durch das Bestreben, von den Verstorbenen em
objektives Bild zu geben und der eigenartigpVi Begabung eines jeden gerecht
zu werden.
Von großer Bedeutung für die anatomische Literatur und für den ana-
tomist hen Unterricht war die Anregung von H., eine einheitliche anatoinische
Nomenklatur zu schaffen, die an die Stelle der bi^lu rigen. bei verschiedenen
Autoren und Volkern stark differierenden treten sollte. Er hat dieser
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241
Arbeit, die mit ihren vielen Korrekturen und Kon esponden/en oft herzlich
iangwcilig war, mehrere Jahre lang sehr viel Zeit gewidmet und hat sie 1895
mit Erläuterungen versehen herausgegeben. Ist diese Nomenklatur» bei der
es sich meistens darum handelte, aus mehreren AusdrQcken einen auszu-
wählen, wie jedes an Kompromissen reiche Werk auch nicht fehlerlos, so
hat sie sich doch im wesentlichen bewährt. Sie hat bereits iliren Weg ins
Ausland gefunden und hat auch in der Zoologie und Hotanik ähnliche Be-
strebungen hervorgerufen. Für den Stutlierenden bedeutet hie eine wesent-
liche Vereinfachung und wird dies noch mehr tun, wenn auch alle Lehrer
klinischer Fächer sie sich zu eigen gemacht haben werden. H. brachte das
große Opfer, im hUeresse der Einführung der Nomenklatur im Alter von 60
Jahren nocli einmal umzulernen !
H. war ein grolier I reund wissende haftlicher (lesellschaften un<l versäumte
iiiclit gern eine Versanunlung derselben; mit besonderer Liebe gehörte er
der Kgl. Sachs. Gesellschaft der Wissenschaften an und war mehrere Jahre
bis zu seinem Tode der Sekretär ihrer mathematisch -physikajischen Klas.se.
In ihren Schriften hat er auch eine Reihe seiner Arbeiten veröffentlicht;
andere erschienen in dem von ihm fast 30 Jahre lang, anfangs mit W. Braune
gemeinsam, f!ann allein geleiteten anatomischen Teile des Archivs für Ana-
tomie und IMiysicilogie.
Die Lehrtätigkeit von H. war namentlich an der Leipziger Universität,
deren Gröfie entsprechend, eine sehr ausgedehnte. Seine Vorlesungen
zeichneten sich durch grofie Klarheit und das Streben nach Objektivität aus.
Dadurch, dafl er es peinlich vermied, in ihnen zu polemisieren und überliauj)!
die ZuhtHcr etwas von dem heftigen Streit ahnen zu lassen, der über einzelne
Frobküu- nix h tobte, und an dem der X'ortragende selbst lebhaft beteiligt
war, wirkten sie vielleicht manchmal etwas tnx ken, doch wurde der Student
dafür reichlich entschädigt durch die klaren, mit großer Kunstfertigkeit vor
seinen Augen entworfenen Zeichnungen, in denen sich H. immer mehr vervolN
koromnete, und die alle einen eigenartigen Charakter trugen. Dem praktischen
Unterricht auf dem Präpariersaal widmete er sehr viel Zeit. Für einen
künstlerisch veranlagten Menschen, wie es H. zweifellos gewesen, war ein
peiidich utid sauber ausgearbeitete- Präparat auch ein ästhetisch befriedigender
Anblick, ein anderes dagegen wirkte al)stoUend; untl so stellte er auch an
die Technik seiner Schüler dieselben hohen Anforderungen, denen er selbst
genügte. Schüler im engeren Sinne hat H. nur wenige gehabt. Seinem
etwas zurückhaltenden Wesen nach war er nicht dafür geeignet, Schüler her-
anzuziehen und eine Schule- zu gründen.
H. war eine einfache Natur bis an sein Lebensende; die vielen äußeren
Erfolge und Ehren konnten nichts daran ändern. Er lebte allein seiner Wissen-
schaft als Forscher und als Lehrer. Gleich groß war sein Interesse für
speziellere und allgemeine Fragen, und in allen suchte er sich mit scharfem
Verstand zur Klarheit durchzuringen. Originelle Ideen in der Methodik
und in der Betrachtungsweise, große Exaktheit und künstlerischer Sinn in
tier Ausführung, unermüdlicher Fleiü im Sammeln (le-> Materi ab und in der
.Ausarbeitung waren ihm Helfer bei seinem Werk. Genaue Beobachtung
charakterisiert seine wissenschaftlit he .Arbeit.
H. war eine große, starke NatnrI Dafi er aber noch mehr war, dafür
Biogr. Jahfbaeh n. Deutteher N«tcrotof. 9. Bd. 16
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242
His. Lorenz.
legen am besten Zeugnis ab seine Lchenserinneningen« (18.^1 1S57, als Manu-
skript gedruckt), in denen er »der Familie und <len Kreuiiden < nicht nur
interessante Bilder aus seiner frühen Jugend vorfuhrt, sowie über seine wissen-
schaftlichen Lehrjahre und Aber sein Leben berichtet, sondern in denen er
auch einen Einblick in seine Entwicklung als Mensch tun Iftfit und sein
tiefes Gemüt offenbart
Literatur: Riui. Kurckharelt. Zum 70. nchurt^ta^'o v(in W. Korre^pondcnz-
blatt f. Schweizer Arzte 1901 Nr. 13. — W. Spahehok. Zum 70 jährigen Geburtstag von
W. His. MUnchcncr medizinische VVochenscbr. 1901 Nr. 28. — Lebenserinnenuigvii tod
Wilhelm His. Als Manuskript gedruckt. Leipsig, Dezember 1903. — Ferner Nekrologe vob
Dixon {yeiirnal of Anatomy and Physiolo^^y, Vol. 38, 1904) R. Fick fAnatom. Anzeiqer.
2; H(1. i<;)o4) — H. HMd (Berliner klinische WoehenNchr. 1904, Nr. 25) — KoUmarm.
( \ erhandlun^jen d. naturforschenden Gescllscl«. in Basel. Bd. 15. Heft 3) — Mall.
(American Jovmal of Anatomy. Vol. IV. Nr. 2. 1905) — Mardiand (Berichte d. matfu-
phys. Kla.sse d. KHnipI. Sächs. Ges. d. Wiss. v. 14. Nov. 1904) — Nicolas {Bihlw^aphit
anatoniüju^. T. XIII. fasc, 3) Rawitz fNaturwissen.schaftl. Rundschau 1904. Nr ?4) —
W. Spalteholz ^Illustrierte Zeitung; Nr. 3176, 12. Mai 1904 und Mttnchcner mcdiiin
Woehenschr. 1904, Nr. 32) — Stirling {Tht ImmM, May 31, 1904) — Wa]de>er
(Deutsche medirin. Woehenschr. 1904, Nr. 39 — 41).
Werner Spalteholz (Leipzig).
Lorenz, Ottokar, Historiker. * 17. September 1832 in Iglau, f 13. Mai 194)4
in Jena. — Ein deutscher Gelehrter, den wir unbedenklich zu den geistvollsten
Geschicfatschreibem, zu den »historischen Denkern«, wie er selbst es nannte,
zählen dürfen. Ottokar Lorenz war ein Österreicher. Er war in Iglau zur
Welt gekommen, hat dann über ein Vierteljahrhundert in Wien als Lehrer
und Forscher gewirkt, um erst in späteren Lebensjahren nach der thüringi-
srlien Musenstadt /u übersic<loln, wo t-r, nach weiteren zwei Dezennien frucht-
bringender wissenschaftliclier iatigkeit, einem ihn lange quälenden Leiden
erlag.
L.S geistige Entwicklung war die eines durchaus selbständigen Kopfes.
Er war, so wie Ranke und Mommsen, für die ihn immer hohe Verehrung
erfüllte und mir denen ihn lange Zeit die freundlichsten Beziehungen ver-
kiitii)ftcn, kciii 1 achschülcr gewesen, hatte sich nicht nach den Winken eines
Meisters gebildet, soiuiern si< h seinen Weg allein gesucht. Seinen Lehrern
der (ieschichte an der Wiener L niversität, Aschbach und Jäger, brachte er
zwar die verdiente Achtung entgegen, Dankbarkeit aber für tiefer gehende
Anregung zollte er anderen Männern: namentlich dem Philologen Bonitz, der
in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Wien lehrte,
und dem Herbartianer Lott, dessen Tochter Marie L. später zur Frau
nehnu n sollte. Jenem ins er seine ersten kleinen Werke vor und nahm von
liun manchen guten Wink entgegen, namentlich wenn ihn sein ra-sches Tem-
perament in der Polemik nach allzu scharfen Waffen greifen ließ; dem zweiten
widmete er sein Buch Über die »Deutsche Geschichte im XIII. und XIV. Jahr-
hundert« als ein Zeichen der Erkenntlichkeit für viel im Gespräch empfangene
Unterweisung. Und doch hat er sich weder von dem einen für die Philologie
noch von dem antlern für die Weltweisheit als Berufsstudium gewinnen lassen,
sondern sich, einer starken Neigung folgend, für die (leschichte entschieden,
an der sich gerade damals auch bei den österreichischen Regierungsbehörden
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Lorenz.
243
ein lebhafter LT Anteil kundgab. Um die Mitte der fünfziger Jalire wurde
das »Institut für österreichische Geschichtsforschung« gegründet, und Lorenz
war vom Herbst 1855 bis in den September 1856 unter dessen ersten Mit-
fi^liedern. Wahrend dieses Jahres hatte es seine Bemühung erreicht, dafi
Theodor Sickel, der sich damals archivalischer Studien halber in Wien auf-
liielt, ein Privatissimum über Paläographic an der neuen Anstalt las und mit
so schönem l'rtolge, daU es der Unterriehtsverwaltung wünschenswert erschien,
tlen jungen Gelehrten dauernd an Wien zu fesseln. Der Dienst, den L. der
historischen Forschung in Osterreich erwies, indem er durch seine Anregung
die Gewinnung Sickels ermöglichte, soll ihm unvergessen bleiben.
Als er das Institut verließ — er hatte 1855 bereits eine Studie über das
Konsulartribunat veröffentlicht — , war er entschlossen, sich historischen Stoffen
aus der mittleren Zeit, die mit der (')sterreichisrhen (beschichte zusammen-
hingen, zuzuwenden. Nach einer Studie über Die siebente Kurstimme bei
Rudolfs I. Königswahi« veröffentlichte er weitere über Ottokar IL, über die
Sempacher Schlachtlieder u. m. a., bis 1863 der erste Band der »Deutschen
Geschichte« erschien, dem drei Jahre sp&ter ein zweiter folgte, der die Er-
zählung bis ins Jahr izqt, führte. Obgleich nur ein Rumpf, in manchen
Kinzelhciten schon damals bestritten, heute überholt, war das Werk dennoch
für jene Zeit eine überaus wertvolle Leistung; durcii seinen Reichtum an geist-
vollen Aus- und Überblicken gewährt es auch jetzt noch viel Genuü. Der
Beginn des 5. Kapitels im zweiten Bande z. B. über die Verschiedoiheit des
deutschen Ostens und Westens wird stets zu dem Besten gehören, das je an
knapper und doch dabei die gröfiten historischen Verhältnisse im Grunde
berührender Darstellung geleistet wurde. Was das V'ertlienst des Autors
besonders hoch stellte, war, daß er damit ein Fehl bebaute, das dazumal,
wenn man von Kopps und Böhmers hilfreichen Leistungen absah, von der
Geschichtschrcibung noch wenig beachtet worden war und wo die wichtig-
sten Quellen noch unau^eschlossen lagen. War doch auch das ganze große
Gebiet des wirtschaftlichen Lebens vor L. fast noch gar nicht in Betracht
gezogen worden. Der angesehene Platz, den wir ihn seitdem unter den Histo-
rikern der Nation einnehmen sehen, und die Achtung, die üim gerade die
Besten unter ihnen entgegenbrac hten, waren ilaher wohl erworben. Was sich
der Fortsetzung des Werkes hindernd in den Weg stellte, war einmal der —
übrigens heute noch fühlbare — Mangel an guten Editionen der QueUen des
XIV. Jahrhunderts und nicht minder der eines zureichenden Wegweisers zu
ihnen, da Wattenbachs klassisches lUich über Deutschlands Geschichtsquellen
nur bis in tlie Mitte des XIII. Jahrhunderts führte. Da faßte denn L. den
Plan, zunächst diese Lücke auszufüllen, der Fortsetzer Wattenbachs zu werden,
C)bgleich er ehedem in einem E.xkurs zu einem Aufsatz über ' Leopold HL
und die Schweizer Bünde« sich durchaus der Ansicht Kopps vom Vorzug der
urkundlichen vor den chronistischen Denkmälern angeschlossen hatte, fand
er später doch, durch Rankes Urteile belehrt, dafi die Erzählung des einzeU
nen, der die empfangenen Eindrücke seiner Zeit mit Empfindung wiedergibt,
nicht zu cntratcn und keineswegs zu tief zu stellen sei, und so entstanden
die zwei Hiinde » I)euts( hlamls ( lescliichtsquellen seit der Mitte des Xlll. Jahr-
hunderts^ in der von Wattenbach gefundenen f orm und Ordnung. Allerdings
hatte L. dabei, was Jenem vielfoch erspart worden war, in den meisten Fällen
i6» .
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244 Lorenz. I
die ganze kritische Arbeit allein zu Ici>ton. War es im L'nmut darüber, wenn
er in der Vorrede zur dritten Auflage einen mit Grund vorgcf> rächten Ein-
wand gegen gewisse Ausartungen einer gedankenlosen Geschäftigkeit im
Editionswesen sehr scharf, und dadurch, dafi er ihn generalisierte, geraden
verletzend zum Ausdruck brachte, so daft ihm auch mancher Freund darin
nicht beiptlirliteii konnte?
Da-- Jahr 1885. in welchem die dritte Auflage erschien, war freilich eiv>
voll Aufregungen für das an sich leicht erregbare Wesen des im (irunde gut
und gütig gearteten Gelehrten: es brachte sein Scheiden von Wien mit sich.
Hier, wo er sich 1856 habilitiert hatte, war er 1860 zum aufierordentlichen
und schon im Jahre darauf, nachdem er einen Ruf nach Freiburg aus-
geschlagen, zum ordentlichen Professor ernannt woi kii Nebenbei hatte er
1857, als Zögling des Instituts' , atn Haus-, Hof- und Staatsurchi\- eine SieÜc
erhalten. Diese war ihm dann allenlings schon 1S66. infolge eines l'refi[»ro/e->'Lv
wieder verloren gegangeji. Denn L. hatte e> über seinem gelehrten Wirkfi:
nicht versäumt, den Geschehnissen des l ages mit hohem Interesse zu folgen
und namentlich in staatskirchenrechtlichen und in Unterrichtsfragen im Sinne
einer fortgeschrittenen Überzeugung mit seinem Urteil hervorzutreten. (Derlei
Arbeiten über »Kaiser Friedrich II. und sein X'erhältnis zur römischen Kirche',
Kirchenfreiheit imd Hischofswahlen , Die Jesuiten und die Grünr^lung der
österreichisc hen St.iatsx hule , l 'bi-r Pajtstwahl und Kaisertum sind s]KiWt
mit anderen Abhandlungen in Drei Huchem Geschichte und l'ulitik , i^>;6,
gesammelt erschienen, »Papstwahl und Kaisertum« erweitert als Buch.) Diese
seine Haltung war für ihn zur Zeit, da Schmerling die Regierung führte, ohne
Nachteil gewesen; hatte dieser selbst ihn doch in seinem Kampfe mit Deak
zu publizistischer Tätigkeit angeregt, unter deren l'rüchten eine Schri/r
»Gegen Deäks Adredentwurf (i(S6i) noch heute lesenswert ist. Als dann
aber die junge V erfassung sistiert wurde und eine rückläufige Bewegung ein-
trat, genügte L.s Hinweis auf Karl X. in einem Artikel der »Presse«, um ihn 1
mit den Gerichten zu bedrohen, ihn jedenfalls aber seine Stelle am Archiv |
einbüßen zu lassen. Den Studenten freilich war er durch solch freisinnige»
Wesen, das sich auch in seinen Vorlesungen zum Ausdruck brachte, nur
sympathischer geworden, was namentlich bei seiner Wahl zum Rektor.
deutlich kund wurde. Aber sc hon w^-niLie jähre s|)ater sollte ein einziges Vor- '
konnnnis ihm diese (runst entfremden. 1885 hatte sich der damalige Kektor,
Maaßen, im niederösterreichischen I^indtag in einer Frage des nationalen j
Konfliktes nicht so geäußert, wie es die deutschen Studierenden von ihrem
akademischen Oberhaupte erwartet haben mochten, und Maaßen wurde von
ihnen hart bedrängt. .Ms da nun I,., gestützt auf seine persönliche Helicbt-
heit, für den .Xngegriffenen und seine Würde eine scharfe Lanze einlegt',
wandte sich der Unmut der Kommilitonen in offenem Aufruhr gegen ihn.
Ein Konflikt mit mehreren Kollegen und dem neuen Rektor trat dazu und
verleidete ihm den weiteren Aufenthalt in Osterreich. Der ihm persönlich 1
befreundete Herzog Ernst von Coburg, mit dessen Denkwürdigkeiten er sich
schon seit Jahren beschäftigte, war einer der Kuratoren der Jenenser I ni-
versitiit: er verschaffte ihm clit> Ht-rufung an fliese Hochschule, und noch ini
.selben Jahre niui hte sic h I-. in Jen.i sciihaft. 1> war tlamit — so tief li.itte
dtis letzte Krkbni:» auf dm eingewirkt — auch innerlich verändert; aus dein
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Lorenz.
245
trei^csiiinten Manne war ein Konscn'ativcr gcworficn, mit Anschauungen^ die
jeden überraschen inuüten. der iliii ehedem gekannt h:itte.
Hier in Jena war es nun nicht mehr die Gesciuchtc der mittleren Jahr-
liunderte, die seine Arbeiten fesselte. Er hatte sich schon in Wien wieder-
bolt mit Themen neuerer Zeit befafit — namentlich eine Arbeit über »Joseph II.
und die belgische Revolution« an der Hand Murrayscher Papiere, und eine
andere über »Wallenstein tiatten Aufmerksamkeit erregt — , jetzt beschäftigte
ihn vorzugsweise die Creschichte neuester jahr/Lliiite, und ein Reilie von Auf-
sätzen ül)er Staatsmämier und ( ieschichtschreiber des XIX. [aluhunderts ,
unter denen sich insbesondere eine Studie über Metternich dauernde Geltung
erworben hat, konnte bald in einem stattlichen Bande gesammelt erscheinen.
Vorher schon, in den Jahren 1887 bis 1889, waren Herzog Krnsts Memoiren
publi^iert worden, deren Redaktion L. übernommen hatte. Danehen gewann
diesem (bis Interesse an Kragen der Historik eine besondere Intensität,
l-.r hatte schon lange zuvor, in Karl Tomascheks '>Schillerbuch , ein Kapitel
über Schiller als Historiker verfalit, daim war eine Arbeit über Schlosser
entstanden, dann ein abwehrender Aufsatz gegen Du Bois-Reymonds Idee
einer naturwissenschaftlichen Geschichtschreibung in der »Historischen Zeit-
schrift«, dann die Rektoratsrede über »Die Politik als historische Wissen-
schaft« — alles noch in Wien. Jetzt nahm er diese grundsätzlichen Fragen
auf»; neue vor, zunäch.-^t das ("iel)iet <ler (iescluchte vuiter vorwiegender He-
innung des staatlichen Momente^ begrenzend, die zeitliclie Einteilung iles
historischen .Stoffes unter neuen (.iesicht.spunkten untersuchend. Nachdem er,
mit Recht, die heute geltende Periodisierung nach Altertum, Mittelalter und
Neuzeit als unwissenschaftlich verworfen hatte, drängte sich ihm der Gedanke
auf, ob nicht in anderen natürlichen Perioden die Ideen, in denen er mit
Ranke das treibende l-'.lemcnt der Menschengeschichte erkannte, in ihrer
W irksamkeit nachgewie-;en werden k^umten. Kr kam, von dem Heispiel seines
Freundes Wilhelm Scherer, der die deutsche Literaturgeschichte in Abschnitte
von dreihundert Jahren eingeteilt hatte, und von einem gelegentlidien Worte
Rankes angeregt, dazu, in der Generation und in deren Verdreifachung, d. i.
im Jahrhundert, diese Maßstäbe zu fintlen, denn »die Ideen hängen quali-
tativ an den einzelnen Menschen und an ganzen Generationen«. Diese
Studien, die i«S86 unter flem (lesamttitel 'Die Geschichtswissenschaft in
Hauptrichtungen und Aufgaben ersi hienen, fühlten ihn dazu, der Cicnealogie
ein besonderes Aufmerken zu widmen und sich eingehender mit dem Pro-
blem der Vererbung zu befassen, namentlich nachdem ich ihn gelegentlich
eines Besuches in Jena auf Ribots ^L^hiridW* aufmerksam gemacht hatte,
worin er einige seiner eigenen Behauptungen wiederfand. Nun entstand das
liuch Leopold von Ranke, die (lenerationetdehie und der ( leNchichtsunter-
richt (iSoi), dann das (ienealugische Handbuch der europaischen
Staatengeschichte«, das in der zweiten Auflage ^'"^95) nützlicher
Behelf geworden ist, endlich das »Lehrbuch der gesamten wissenschaft-
lichen Genealogie« (1898). Diese Werke zur Historik haben manchen Wider-
spruch erfahren, wenn sie gleich viel beachtenswertes enthielten; sie sind
von der groBen Kontroverse über die histt)rist he (leltung von l'ersönlichkcit
und Masse wohl auch nur vorübergehend in den Hintergrund geschoben
worden.
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246
Lorenz. Waetzoldt.
Inzwisclien war das Interesse weiter Kreise durch einige hervorragende
historiographische Leistunfren auf iWc Vorgänge der sechziger Jahre des
XIX. Jahrhunderts und die X'orge^i hu hte des deutsch-französischen Kriege^
gelenkt worden. Hier konnte auc h L. ein Wort mitreden, und er tat es.
Seine Beziehungen zu Herzog Emst und dessen Gemahlin, der Schwester des
Grofiherzogs von Baden, hatten ihm mancherlei Quellen aus fürstlichen Haus-
archiven zugänghch gemacht, die ihm jene Zeit in einem anderen Licht er-
scheinen lielkii. als man sie anzusehen sirh gewöhnt hatte. Er verwertete
sie in einem Werke über Kaiser \\"ilhelni und die Begriiiitlung des Reiches,
1866 — 187 1' (1902). Es war das letzte umiängliche Buch, das er, bereits
von körperlichen Leiden geplagt und auf die Mithilfe anderer angewiesen,
verfafit hat. Es lief in seinen Ergebnissen darauf hinaus^ dafi sein Verfas^er
den Anteil Bismarcks an der Keichsgründung zugunsten desjenigen der
deutschen Fürsten einigermaßen einschränken zu sollen glaubte. Das war
nun freilich der herkcunndichen Meinung stark entgegen. Aber gerade cla/u,
sic h dem Herkommen kriti^i h zu willersetzen, hat L. stets eine große Neii^ung
und einen nicht geringen Mut besessen. Hier traf er auf kräftigen Wider-
stand, den er noch durch eine letzte Schrift »Gegen Bismarcks Verkleinerer-«
(1903) zu bekämpfen strebte. Völlig unbefongene Kritik wird jenem Buche
die Anerkennung nicht vorsagen dürfen, daß es — namentlich in den N'otcn
- ein reirhi"- M.TteriiU enthält und daß an ihm kein Darsteller dieser Dinge
wird vorbeigehen dürfen. Im üliriuen aber zeigt es, wie die Schrift viber
Joseph II. aus seiner frühesten Zeit und eine sj)ätcre über »Goethes politische
I.ehrjahre<« (1^93)1 einen überaus lebendigen, expansiven Geist, der sich hie
und da von seinen Quellen über jene Grenze hinaus verlocken läfit, die ein
bedächtigerer Forscher nicht Qberschreiten würde. Kann man diesen Vor-
wurf nicht unterdrücken, so wird man anderseits doch wieder* zugeben
müssen, daß gerade solche temperamentvolle Behandlung historischer Stoffe,
vi-rbunden mit einer ansprechenden, an klassischen Mustern gebildeten Dar-
stellungsweise, anregend wirkte, viel geistiges Gut in dauernde Sicherheit
brachte und, vielleicht gerade durch den Widerspruch, den sie entgegentrug
oder hervorrief, der Wissenschaft manche Förderung zuteil werden liefi.
In r)sterrei(h. wo L. eine ganze »Generation« von Geschichtslehrem
heranbilden h.ilf, besaß er viele warme Anhänger, die noch heute .sein An-
denken ehren. Wer ihm aber als Freuml näher getreten war und einen
tieferen Blick in die.se volle Hingebung an die Sache des Lebensberufs, in
diese edle, aus allen Wissensgebieten geschöpfte Bildung, in dieses, trotz der
streitbaren Außenseite, innige Gemüt tun durfte, der wird sich der Erinne-
rung an ihn, wenn er ihn auch in dem einen und anderen etwas anders ge-
wünscht hätte, wie eines reichen Besitzes freuen, den er um alles nicht missen
möchte.
Durchgesehener S.-A. auü dcti Mitteilungen des Instituts für «istcrreichischf < le^cln. ht>-
for.schung XXVI. Rand. August Kournier.
Waetzoldt, Christiaa 'Stephan, Geheimer Oberregierungsrat und vor-
tragender Rat im preußischen Kultusministerium, • 3. Juni 1849 als Sohn
des Pfarrers Gustav Adolf Waetzoldt zu Hennersdorf in Schlesien, i. Juni
1904 in Berlin. — W. genoß zuerst den Unterricht seines Vaters, trat 1865
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WaetEoMt
in die Sekunda des Gymnasiuins zu Hunzlau ein, besuchte dann das Gymnasium
in Breslau und schlielilich das Ik-rliner Wilhelmsgyninasium, das er iS6q
mit dem Zeugnis der Reife verließ, um germanische Philologie zu studiereiu
Der mehrfache Schtilwechsel war durch die Laufbahn des Vaters bedingt,
der das geistliche Amt mit dem Schuldienst vertauschte, Seminardirektor in
Bun/lau, Regierungs- und Sdiulrat in Breslau und 1868 vortragender Rat im
preuüischen Kidtusministerium wurde. Während seines ersten Semesters blieb
\V. in Herlin, dann ging er narh Marburg, doch nicht zu langem Verweilen.
Der deutsch-lran/.ösische Krieg brach aus —
.Die Männer fu>svn an die blanke Wehre;
l)a sollten wir im Bttcfaerstaub cndilafFen
l'nd, niUßit: -i lhst, der Starken Werk bcfcafTen,
Im Arm tl'w Kraft — und fem dem dcutNchen Heere?"
Als Freiwilliger bei den elften Jägern nahm er am Kampfe gegen
Krankreich teil und kehrte erst nach Beendigung des Feldzuges zu seinen
Studien und zwar nach Berlin zurück.
,Kun kommt, ihr alten Freunde,
Herr Wolfram, tritt berfllr,
Dil. tuffcndreiohcr Walthcr,
15iut «liiiu- l/icder mir!"
Nehen der dcutsclu-n wandte sich \V. in den folgenden drei Semestern
besonders auch der romanischen Philologie und vor allem dem Studium des
FraiutÖsischen zu, für das er während seines Aufenthalts in Frankreich leben-
digstes Interesse gewonnen hatte. Tobler und Herrig wurden seine Lehrer.
In der festen Überzeugunu jedoch, daß man das Beste und Letzte einer
fremden S|)rache nur in dem betreffenden Lande erwerben könne, zog er im
Seyiteniber 1S72 aufs neue nach Paris, wo er bis zum November 1873 als
Hauslehrer und Journalist tätig war und französisches l.eben und Wesen von
Grund aus studierte und kennen lernte. In der Beherrschung der Sprache
erreichte er die höchste für einen Nichtfranzosen überhaupt mögliche Voll-
kommenheit Nach Deutschland zurückgekehrt promovierte er am 9. Januar
1875 in Halle zum Dr. phll. Seine Dissertation behandelte die »Pariser
Tagezeiten«, ein inittellKu hdeutsches Reimwerk von 4062 X'ersen, das er in
der liihliothhjue luitiotuilc entde( kt und abgesciuieben hatte. Kine vollstäntlige
Ausgabe der Dichtung licU er im Jahre i88u erscheinen, in dem er auch die
»Niederdeutschen Denkmäler« durch eine Ausgabe von ^FIk mute Biankflos*
bereicherte.
Bald nach seiner Promotion wurde W. Krzieher des Herzogs Georg
Ludwig von Oldenburg, den er auf Schloß Schaumburg unterrichtete, auf
größeren Reisen durch die Schweiz und Oberitalien und schlieBlit h auch
zur Leitung seiner Studien auf die l'niversität Bonn begleitete glückliche
Jahre, die dem jungen Gelehrten eine Fülle von Anregungen und in der
iheinischen Musenstadt manche Stunde frischen, fröhlichen Erlebens brachten.
Das Jahr 1878 führte W. nach Hamburg. Er wurde als Oberlehrer an der
Klosterschule zu St. Johannis angestellt und hatte hau]>tsä( hli< h an dem'
Lehrerinnenseminar dieser Anstalt zw unterrichten. .Auch die Hamburger
Zeit gCNtaltete sich fiir ihn zu enier an edelstem Gehalt überaus reichen und
bedeutenden. Die besten Kreise erschlossen sich ihm. Er empfing viel, denn
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Wacuoldt.
er hatte viel zu geben. Und nicht anders war es in Berlin, wohin er i8S6 I
als Direktor der Elisabethschule Obersiedelte. Die Jahre seines Direktonts I
sählen zu den erfolgreichsten des berühmten Instituts. Das Schulamt allein I
aber genügte seiner Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit bei weitem nicht l
Er war glcirli/eitifx, nm nur einiges zu nennen, Mitglierl vcrschiedem:
Prüfungskommissionen, Dozent an der Kriegsakademie und -Mitherausgeber
von »Herrigs Archiv«, üazu kam noch eine auüerordentliche Professur tu:
französische Sprache und die Mitdirektion des romanischen Seminars an der
Berliner Universität. Alle diese Aufgaben bewältigte W. mit unvergleich-
licher Fris( he und Energie, dabei mit einer das Kleinste beachtender
Gewissenhaftigkeit und I'reue, die sich nie genug tun konnte. Immer weiter
dehnte sich der Kreis seines Wirkens, immer gröiicr wurde die* Zahl deri.r.
die ihm unverlierbaren geistigen Hesitz zu danken hatten. Eine becieutung-
volle Unterbrechung erfuhr seine Berliner Tätigkeit im Jahre 1893. Er wupx
zum Generalkommissar der deutschen Unterrichtsausstellung in Chicago er-
nannt, eine schwierige Mission, die er aber mit bewundernswertem Geschick
in jeder Beziehung erfolgreich zu Ende führte. Neun Monate, vom März bi>
zum November, weilte er in Amerika, dessen rnterrichtsverliältnisse er
gleichzeitig auts eingehen<l''tt' studierte. Zuriickgekehrt aus weiter Welt nvd
breitem Leben'- sollte er sich nicht mehr lange der Ruhe seines Berimer
Heims erfreuen. Vom Kultusministerium für die Verwaltungslaufbahn in
Aussicht genommen, wurde er 1894 als Regierungs- und Schulrat nach
Magdeburg und 1897 als Provinzialschulrat in seine Heimatprovinz Schlesien
iukI) hreslau berufen. Magdeburg und Breslau dienten natürlich nur ;it-
Vorbereitung auf das eigentbche Ziel, das \V. im Jahre i8qc) mit seiner l - \
neiniung zum (ieheimen Kegierungsrat und vortragenden Rat im Ministenum
der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten erreichte. 1902
wurde er zum Geheimen Oberregierungsrat befördert. W. Übernahm ita \
Ministerium das Dezernat für das höhere Mädchenschulwesen, bald ubertr :.
man ihm noch das Rlin<ien- und I aubstummenwesen und außerdem im Jahre
1902 das Direktorat der Turidelirerl)] Idungsanstalt in Merlin.
Die fiuif Jahre seiner Verwaltungstidigkeit im Kultusnnnisterium be-
deuten einen der glänzendsten Abschnitte in der (beschichte des von ihm ,
veitretenen Ressorts. »In der Geschichte der deutschen Bildung hat er sich
eine dauernde Stellung erworben, indem er der wissenschaftlichen Frauen-
biidung ihren Platz im preußischen rnterrit htswesen eroberte«. Seine außer-
ordentlichen Verdienste um das luihere Miidchenschulwesen sind vonWychgram 1
ausführlich und sachkundig gewürdigt worden. Eine organische Neugestal-
tung des ganzen höheren .Madchenschulwesens war W.s Ziel«, eine Ricse/i-
aufgabe, deren Schwierigkeiten niemand klarer erkannte, als er selbst I
Dennoch nahm er mutig und fest das Werk in Angriff und gönnte sich nicht
Ruhe noch Rast, das hohe Ziel, welches ihm vorschwebte, zu erreichen. TVo
lange Verwirrung geherrscht hatte, schuf er Klarheit, mit kluger Mäßiguns:
und feinem Takt bahnte er die Neuerungen an, die ihm unerläßlich erschienen,
wo Hindernisse entgegenstanden, scheute er selbst srhwere Kämpfe nicht,
sie zu beseitigen. Wie einen neuen Lebensstrom .spurte man sein Wirken,
wie ein Befreier erschien er allen. Durch ihn erst wurde der tote Bach-
stabe der Verfügungen und Erlasse lebendig. In den Prüfungen, die er
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Waetioldt.
249
leitete und die er durch seine Teilnahme mit einem Schhige auf eine liöherc
Stufe weit über das Gewöhnliche liinaushob, zeigte er dann praktisch, worauf
es ihm ankam, nicht auf Gedächtnisparaden und geistlosen Wissenskram,
sondern einzig darauf, die Lehrerinnen zu Persdnlickkeiten heranzubilden und
sie XU jenem Unterrichten zu befähigen, das lebendiges Ausströmen der Per-
sr)nl irhkeit und allein imstande ist, junge Mcnschcnscclen auf den Pfad
wuUicr und echter Bildung zu leiten. Nur die Anfätige seines großen
Kctormwerkes durfte \V. erleben. Aber schon in diesen Anfängen steckt soviel
Gutes und Gesundes, dafl sie eine glückliche Entwicklung des Ganzen ver-
bürgen, wenn man nur die von ihm gewiesenen Wege nicht wieder verläfit,
sondern auf dem Grunde weiterbaut, den er gelegt hat. Einen besseren kann
es nicht geben.
Trot/. der iibergrolJen Last von Amtspflichten, die auf seinen Schultern
ruhte, fand \V. (lank seiner ungeheuren I^eistungsfähigkcit doch immer noch
Muüe, sich auch schriftstellerisch zu betätigen. In zalilreichen kleineren
Aufsätzen und Vorträgen behandelte er die verschiedensten Fragen des
Unterrichtswesens, namentlich auch der Frauenbildung. Mit Vorliebe berichtete
er auf Grund seiner reichen persönliclien Erfahrung über die Schulver-
hältnisse des Auslands und wies auf das (lute und Nachahmenswerte, das
er dort gefunden, nat hdrücklich hin. W'.s geistvolle und anregende Arbeiten
bilden einen wertvollen Schatz unserer pädagogischen Literatur. Es wäre
dringend zu wünschen, dafi sie, die an so vielen Stellen zerstreut und daher
bis jetzt keineswegs allgemein zugänglich sind, sobald wie möglich gesammelt
dargeboten würden. Kin solcher Rand kleine Schriften«, der sich natürlich
nicht auf das Pädagogische allein l)eschränkcn dürfte, sondern das ganze
(it"l)iet \ ()n W .s schriftstellerischem Wirken umspannen müßte, würde zugleich
ein schönes Denkmal für den Heimgegangenen sein untl einen Schlüssel zu
seiner reichen und reinen Gedankenwelt bieten, in die Einkehr zu halten
Lehrenden und Lernenden zu bleibendem Gewinn werden mufi. Auf einzel-
nes einzugehen würde in diesem Rahmen zu weit führen. Ausdrücklich aber
sei wenigstens auf den meisterlichen Vortrag W.s auf dem fünften Neu-
philologentag Die Aufgabe des neusprachlichen l'nterrichts und die Vor-
f)ildung der Lehrer (TU'rlin 1^02) hingewiesen. Für die Festschrift, die hei
(Jclegenheil derselben i'hilologcnzusaminenkunft herausgegeben wurde, steuerte
er eine überaus feinsinnige Abhandlung über Paul Verlaine bei, die als ganz
besonderes Zeugnis dafür gelten kann, in wie hohem Mafle W. die wunder-
bare Gabe besafi, durch tiefes Eindringen in das Empfindungsleben und die
Psyche der Franzosen das volle \'erständnis ihrer Dichter zu vermitteln. Sein
Bestes aber, weil es ihm so ganz aus dem Herzen kam, hat er doch in
seinen Beiträgen zur tleutschen Literaturgeschichte gegeben. Seiner Seele
Heimat war Goethe. Mit seinem ganzen Leben hat er es bewiesen. An
Goetheschriften besitzen wir von W. außer einer vortrefflichen Ausgabe der
»Iphigenie^ (Velhagen und Klasings Sammlung deutscher Schulausgaben,
Lfg. 2, 1889), »Zwei Goethevorträge. Die Jugendsprachc Goethes — (loethc
und die Romantik (lU-rlin iSS.S), die 1003 in zweiter, durch einen Vortrag über
Goethes Ballade \oin vertriebenen und zurückkehrenden (irafen« vermehrter
Auflage erschienen. Dies Goethebüchlein hebt sich aus der großen Masse der
Goetheliteratur leuchtend heraus. Die künstlerisch vollendeten Vorträge werden
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Waetsoldt.
nicht vcrnltt-n und den /weck, den ilir Scli()pfer im Au^e hatte, ^Verständnis
und Liebe für (ioetlies Art und Kunst zu naliren , immer wieder vollauf t-r-
füllen, und zwar nicht nur an ein und der andern Stelle«, sondern weit
umher and überall, wo immer Goethe lebendig ist. FrOher schon hatte W.
auch Geibel einen gehaltvollen Essay gewidmet (Hamburg 1885). Damit
schließt sich die kleine Reihe seiner Schriften zur deutschen Literatur. Dodi
dies Wenige i^t viel und läÜt ahnen, was er uns hätte geben können, wenn
nicht andere Aufgalien alle seine Kräfte in Ansprurii genommen hatten.
Was seinen Werken einen so ganz besonderen Reiz verleiht, ist die S« hon-
heit und künstlerische Behandlung der Sprache. Er war ein Meister und
Bildner der deutschen Sprache, wie es nicht viele gibt. Die feinsten
Schwingungen, <Ier zarteste Stimmungsgehalt der Worte erschlofi sich seinem
tiefdringenden S|«rarhgefülil. f)as (leheimnis dieser Sprache ist ihre innere
Walirheit — dies Wort, mit dem W. die Sprache Goethes kennzeichnet,
darf man getrost auf seine L-iijene anwenden.
L nd wie seine Sprache, so war sein ganzes Wesen von innerer Wahrheit
durchdrungen. Jeder Schein, alle Unnatur war ihm von Grund aus verhafit.
Ihr besonderes Gepräge empfing seine Persönlichkeit von dem »tiefinnem
Zug zum Künstlerischen und eng damit verbunden zum allgemein Meii«.* h-
licheii' , der ihm innewohnte. Kr war es, der ihn weit über alle Schi.inken
des Beamtentums hinweghol) und unter seiner Hand alles lebendig werden
ließ, was sonst als starres Schema erscheint. Sein Streben war durc haus
darauf gerichtet, in der Bildung unseres Volkes die Werte zur Geltung zu
bringen, die ihm als die höchsten und fruchtbarsten galten.« Zu eigener
dichterisch-künstlerischer Produktion fühlte er sich trotz eines starken Talentes
doch nicht berufen. Auch die beiden poetischen Schö])fungen, die er in
früheren Jahren veröffentlichte Heimat und Fremde. Kin Man hen und
Lieder (()Idenl)urg 1S76) und Kin \\'ii>terniarilu-n (Hamburg iSSin - er-
heben nii ht iigeiulwelchen Anspruch auf Kunstlerschaft, so lieb sie uns sind
um ihres persönlichen Wertes willen. Um so künstlerischer lebte \V. durch
die Tat, in heißem Bemühn, das Seinsollende, das so rein vor seinem Geiste
stand, auch für andere zur lebendigen Macht zu erwecken , alles zeitliche
Sein auf Kwigkeitswerte zu gründen. Tn seiner Seele glühte ^;dic große
Selmsucht, ilie Sehnsucht nach dem S« honen, nach der Kunst als einem
Lebensgut". Diese Sehnsucht wieder zu entfachen, betrachtete er als eine
der wichtigsten Aufgaben aller künstlerischen Erziehung. So mag es ver-
ständlich werden, dafi er, der schönheitsfrohe Idealist, der Mann der Wissen-
schaft, der nach dem Ll'rteil aller zum Universitätslehrer wie kaum ein
anderer berufen war, schließlich die Bürde eines praktischen Amtes auf sich
nahm, das zu«ftrli>t so ganz allseits von seinen Neigungen zu liegen schien.
A b e^r_ t^xn'i dieses Amt l)ot ihm wie kein zweites ( lek-geiiheit, in führender
Stellung seine Krziehungs- und Bildung.spläne zu verwirklichen. Und so
Heften sein- Tatendrang, seine Menschenliebe und sein unerschütterlicher
Glaube an das Gute ihn den Schritt tun, freilich nicht leichten Herzens und
nicht ohne inneren Widerstreit. Das Wort, welches er der zweiten Auflage
seiner Goethevortr.lge voranschickt: Nur gelegentlich ist es mir noch
Verstattet, alte liebe Wege zu wandeln , verrät dem Kundigen manches.
Doch auch auf der neuen Bahn gelangte er allmählich zur Höhe des Lebens,
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Wwtioldt
251
zu einem Gefühl d^nnerster Befriedigung auf sicherstem Grunde. Nur aus
sol(-hem Gefühl, aus solcher Seelenstimmuntr heraus konnte er auf dem
zwL-itt'n Kunstorzichungstage in Weimar im Oktoher jene herrlichen,
ergreitenden Worte sprechen, mit denen er seinen Vortrag »Der Deutsche
und seine Muttersprache« schloß. Nichts offenbart den Kern seines Wesens
so tief und rein wie diese Worte, und so mögen sie auch hier ihre Stelle
linden :
»Die Muttersprache schh'ngt ihr Band um alle Kinder des \'olkcs in
Höhen und Tiefen. Wünschen wollen wir, daß ihre Schönheit un<l die
Scliünheit ihrer Werke von allen wieder gesucht und enipfunden werde.
Daxu seien unserm Volke auch stille Stunden beschieden im Hasten und
Treiben seiner Zeit Wir wollen arbeiten, ihm eins der höchsten Lebens-
güter zu gewinnen, eine der höchsten Lebensäußerungen ihm zu erschließen,
die Kunst in seiner Sprache, die Neusc haffung <h r Welt durch seine
Dirliter. Die Kunst wollen wir ehren und lieben leinen'
Ich stand gestern in däinniernder Abendstun<li des warmen, weichen
Oktobertages vor Goethes Gartenliause, an dem Orte Weimars, der mir der
liebste ist, und wo ich glaube, die Nähe des Großen am innigsten zu fühlen.
In den tieferen Laubmassen des Parkes schon die Nacht. Die Umrisse der
Bäume waren gegen den Abendhimniel noch klar abgezeichnet, und noch
der hellere Glanz des Himmels im stillen Flusse. Jenseits die weiße Garteiv
pforte und seirt Haus, das nicht übermütig aussieht mit dem Schindeldache;
darüber, kaum über die Bäume des Parkes erhoben, der Abendstern. Es
war eine einsame Stunde der tiefsten Erhebung, und mir war, als oh um
dieses Haus, um diesen Ort und um diese Bäume ein großes Licht schwebte
und weit hinausstrahlte von der Stätte, wo einmal so Wunderbares durch das
Labyrinth seiner Brust gewandelt ist. Ich empfand, daß wir alle die Pflicht
haben, dieses Licht zu hüten, diese Flamme zu nähren, diese Eackel weiter-
zugeben:
Damit das Gute wachse, wirke, fromme,
Damit der Tag dem Edlen endlich komme!«
Wie einzig hat W. solcher Pflicht nachgelebt, wie ist das Gute unter
seinen Händen gewachsen! Mit schmerzlicher Wehmut packt uns das
Bewußtsein, daß er nun nicht mehr unter uns weilt, daß er im Kampfe für
das Gute seine Kräfte verzehrt hat, bis er zusammenbrach. Doch nicht der
Klage geben wir Raum. Erhebend steht das hehre Bild seiner Persönlich-
keit uns vor Augen, eine heilige Mahnung für alle, denen es Herzenssache
ist, <lie deutsche Jugend in wahrhaft nationalem Siime zu erziehen und dem
deutschen Volke seine höchsten und edelsten Güter zu erhalten. »Von seinem
Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner Kraft und erregt in uns den leb-
haftesten Drang, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe fort und immer
fortzusetzen«.
- r,yita* am Schluß seiner oben erwähnton I)i«scrt.ition. - Kraueiibildung',
Jg. 4, 1905, S. 193—208 (J. Wychpram. St. Wactzoldt, auch separat tr^ hicucu: Leipzig,
Teubner, 1905); vgl. auch Jg. 3, 1904, Hft. 6 u. 9. — Archiv für das Studium der neueren
Sprachen, Jg. tfi, Bd. 113, 1904, S. is (Nekrolo|r v. H. LOschhorn, BildnU). — Zeit-
schrift für den deutschen L'nterricht, Jg. 18, 1904, S. 406 413 (Nckr. v. (). Lyon). —
Goethe-Jahrbuch, Bd. a6, iSJOS, S, 305—30« (Nekr. v. R. Lehmann j. — Zeitschrift fUr
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Waetaoldt. Reuter.
frnii?!»-;. u. enjil. Unterricht, Hd. 3, 1904, S. 4«)6 -4<»7 (N\kr. \ M. Kalu^ii Die Krau,
1904, S. 588 — 589 (Nckr. V, Helene Laitf^e). — Monatsschrift 1. kaiholiscJjc I^hrcrinnen,
1904, Hft. 8 (J. Mausbach, Geheimrat W. und die Oberlehrerinnenbildunsf). — Die deutsche
Schule, Jg. 8, Heft 6, Juni 1904, S. 39« ,92. — Haus und Schule, Jg. 35, 1904, Nr. 26 v. 29. Juni
(f u hcimr.it W.s Tod .\ri-;>r:ii la- .im 6. Juni 1904 in der .\iila der Kfjl. -Vupii^ta-i hulc von Direktor
Wvchjiranil. — Pätlago^'i>che Zeitung, Jg. 33, 1904, Nr. 23 v. 9. juui. — Motiaüichcr
Antciger des Vereins Berliner Volkssehallehrerfainen, Jk- 5, St. 6 v. 16. Juni 1904. —
Monatsschrift fllr das Tumwesen, Jg. 23, 1904, Hft. 6, S. 188—189. — Deutsche Toxn-
Zcitiiiif:, 1904, Nr. 26 V. 23. Juni n?il<ini-t — Körper und Geist. I904, S. I l j; — 116. —
ronuMiiu-.Hlütter für XOlkserziehung, Jg. 12. Hft. 3 v. 15. Juni 1904, S. 95. -- Daheim.
Jg. 40, 1904, Nr. 38 ^Bildnis). — Deutscher Keichsanzciger u. Kgl. I*reufii.<>cher Staats»
anzetger, 1904, Nr. 119 v. 3. Juni. — NationaUZeitung, Morg.-Ansg. t. 8. Juni 1904. —
Tägliche Rundschau, Mor;,'. -Blatt v. 11. Juni 1004. - Nachrichten f St.idt u. Land.
< )|iii'tihur),', V. Juni 1904. Jalirc^hcriclit d. Kfjl. lüisaheth-SchuIe zu Berlin, ii>o4/n>ov
XW III, S. 15. — U. \V. Beyer, Deutsche .Schulwelt des 19. Jahrb., Leipc. u. Wien 1903,
S. 338 (Bildnis). — Kalender fUr Lehrer u. Lehrerinnen an deubtchen höheren Mldchcn-
schnlen. Bearh. v. .Schröter. Jg. S, igos/wjof), Vorwort (BildnisV - Postelü Deutscher
1 .chrerkalendcr f. d. J. 1006. Jg. v> ' eil 1 fBildni-\ T. 2. S. 50- 61 (Biojjr. Skirze). —
Kunsterziehung. Krgel*nis^e und Anregungen de^ 2. Kun>tcr/.iehung>tage* in \\ cunar, 1903.
Deutsche Sprache und Dichtung. Leipzig, Votgtittnder 1904, S. 24 — 32, 250— -265. —
Monatsschrift f. höhere Schulen, Jg. 3. i<k>4. S. 486. — Für persönliche Mitteilungen
bin ich Frau Gcheitnrat Waetzoldt zu herzlichem Danke verpflichtet. Joh. Sass.
Reuter. Richard, iM>litis< her SchriflstcIIcr, * 26. l'chniar iS^o in Miinchen,
•)• 9. I)t/.cint)er 1904 in Himburg a. d. S.ialc. — Sein Vater war der Geh.
Rcgicrung.srat Ludwig Reuter, der als preuflischer ZoUvereinsbevoIlmächtigter
in München lebte, seine Mutter eine Tochter des verdienten Magdeburgischen
Oberbürgermeisters Franke Nach Besuch einer Volksschule empfing der
ri'irliV»e<,'al)te Knabe seine IJildimf,' /imnrhst ;uif einem (Gymnasium und ciüem
l'rivatinstitut in München, l)i.s der triihe lod des \'aters 1853 die .Mutter
veranlaiite, mit ihren drei Kindern nach der norddeut.schen Heunat zurück-
zukehren. Sie wählte zum Wohnsitz Naumburg a. d. Saale, wo Verwandte von
ihr lebten, und ließ ihren Ältesten Sohn Richard sogleich als Alumnus in die
benachbarte Landesschule Pforte eintri ten. Lcben-slang blieb R. dieser An-
stalt, die er 1859 mit dein l\eifezeu<fnis verlieli, in ^rolier Anhänglichkeit und
Liebe /upetan. In .Miinchen, Heidelberg und Herlin witlniete er sicli dem
Studium der Rechtsv^issenschaft und ward nach abgelegter erster Prüfung
Gerichtsauskultator in Naumburg a. d. Saale. Dort lebte damals auch die
befreundete Familie Nietzsche, und R. hat später einmal (1895 in der »Rritik«)
in einem Aufeatz »Besuch bei dem jungen Nietzsche« über .seine Beziehungen
zu Friedrich Nietzsche berichtet. Nach der zweiten Prüfung trat R. zur
RegierungslaufV)ahn über und arbeitete 1866 als Regierungsreferendar in Str.il-
simd. Der Krieg mit ( »sterreich rief ihn zu den Watten; er nahm beim
42. Intanterieregimenl am Feldzug teil und .stand insbesondere bei Gitschin
mit im Feuer. Als Regierungsassessor fand er nacheinander in Berlin, Posen
und Merseburg Beschäftigung. Durch den deutsch-französischen Krieg ward
er seinem Beruf abermals für längere Zeit entzogen, doch nahm er an dem
eigentlichen l-eldzuge keinen tätigen Anteil, sondern wurde zur Pewachung
gefangener Kranzosen nai h Jüterbog, Torgau und \\ Ittenberg kommaiulicrt.
Als der l'riede geschlossen war, kehrte R. zur königlichen Regierung nach
I
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Reuter.
253
Merseburg' zurück mul arbeitete dort in der Spe/.ialkoniinission. Srlion da-
mals het.md er >i< Ii in keinem re< liten Kinverstiiiidnis mit der preidiis« hen
i'ülitik und begann, abweichenden An.sdiauungen in Broschüren und Zeitungs-
aufsätzen Ausdruck zu verleihen. Seine erste Veröffentlichung war »Der hohe
Hof des Parlaments von Deutschland« (1873); folgte die Broschüre
'>NationalIiberale Partei, nationalliberalc Presse und höheres Gentleinantum.
Von einem Nirhtreichsfeinde fiSy.}). (h"e in rascher Fulfjc fünf Auflagen er-
lebte. Diese liroschüren erregten dui* h ihre Klarheit und Si härfe die Auf-
merksamkeit weiterer Kreise und bewogen den Verleger der ^ Kölnischen
Zeitung« Dumont-Schauberg 1874 nach Merseburg zu reisen, um den jungen
Politiker fOr seine Zeitung zu gewinnen. Die Verhandlungen führten zum
Ziele: K. nahm den Abschied aus dem Staatsdienst und trat unter sehr
vorteilhaften Bedingungen hei der Redaktion der »Kölnischen 2«eitang« ein.
Hier fühlte er sich sehr befriedigt und konnte seine Anschauungen in freierer
Weise durch I^eitartikel und sonsti^^e Aufsätze zum Auxlruck bringen. Aber
nach zwei Jahren nahm die Köhusclie Zeitung« eine regierungsfreundlichere
Haltung an und verlangte auch von R. Einlenken in das neue Fahrwasser.
Da R. an dieser Schwenkung nicht teilnehmen konnte, blieb ihm nur Übrig,
1876 aus der Redaktion wieder auszuscheiden. Kin Rücktritt in dir vrr-
las^ene Staatslaufl)ahii war ausgeschlossen, denn R. hatte sich mehr und mehr
in (legensatz zu der Hismarck>chen Politik .gestellt. So bedeutete für ihn
tlic l'reue gegenüber der eigenen L berzeugung den \ erzieht auf eine ge-
sicherte Existenz und das Hinausgehen in eine ungewisse Zukunft. Dafi er
seiner Oberzeugung dieses Opfer ohne Zögern brachte, mufl auch den Gegner
seiner Anschauungen mit Hochachtung vor seinem (Charakter erfüllen.
In der Tat glückte es ihm ni< ht wieder, eine befriedigende dauernde
Lebensstellung zu gewinnen, ()bs< hon der Krtrag seiner politischen Schrift-
>lellerei immer für die Hedürfnisse des unxerheir ateten Mannes ausreichte.
In den Jahren 1877 untl 1878 arbeitete K. für die liurgerzeitung < in Berlin
und siedelte dann nach St. Peteisburg über, um bei der Redaktion des
•St Petersburger Herolds« einzutreten. Aber bereits 1880 gab er diese
Stellung wieder auf und kehrte nach Deutschland zurück. In der Folgezeit
unternahm er vers« hicdene Studienreisen, so nach En^'land. dessen ]>olitische
Kinrichtungen ihn besiuuiers interessierten, /wischendurcli hatte er 1S7S eine
liroschüre über »Die Parteilage«, ferner in der -Neuyorker Staatszeitung^t
einen Aufsatz über »Die politische Lage Deutschlands« und in Rudolf Gott-
schalls »Politischer Monatsschrift« 1878 — 79 Abhandlungen über »Die französi-
sche Verfassungskrise« erscheinen lassen. Sein politischer Standpunkt war
in jener Zeit kaum von dem der Fortschrittspartei verschieden, wie er denn
in späteren Jahren ganz zur deutsrh-freisiimigen Partei gehörte und von dieser
zu Agitationsreisen verwandt und als Keichstagskandidai aufgestellt wurde.
Von 1882 bis 1884 veröffentlichte K. seine Artikel in der Berliner » Volks-
zeitung , 1884 schrieb er im »Demokratischen Blatt« Aufsätze Über Boden-
reform und lieferte 1885 Beiträge für den »Pester Lloyd«. Die letztgenannte
MitarbeiterNchaft führte 1886 zu einer Anstellung in der Redaktion des Pester
Lloyd , die at)er iSNq ihr Knde erreichte. Im Jahre iSon licfj sich K. dauernd
in Naumburg a. d. Saale nieder und lebte dort fortab mit Mutter untl Schwester
gemeinsam.
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Reuter.
Einen festeren Mittelpunkt für seine Tätigkeit fand R. 1892 wieder mit
dem Anscliluli an die i^Fncdensgesellschaft«, der er sich mit ganzem Herzen
zuwandte und fQr die er bis zu seinem Tod unermüdlich eifrig und erfolg-
reich in Wort und Schrift mit der ihm eigenen Entschiedenheit und Schirfc
gewirkt hat. Er wurde bald in den Vorstand der »Friedensgesellschaft« ge-
wählt und geh<)rte ihm bis /um Lebensende an. Außer der Mitarbeiterschaf:
(1892— iSoq) an Herta v. Suttners Zeitschrift Die Waffen nieder^, an den
»Friedensbiättern« (seit 1900; und an der »Friedenswarte« (seit 1903) ver-
öffentlichte R. viele Aufsätze über die Friedensbewegung in verschiedenen
Tageszeitungen und gab 1893 eine Broschüre heraus unter dem Titel »Was
will das Volk? Weder Krieg noch Militarismus* , die weite Verbreitung fand.
Noch größer war ein anderer literarischer Erfolg: im Jahre iSq4 wurde R.s
Abliandlung »Wie kann eine kräftige internationale Strömung gegen den
herrschenden Militurisinus auf passendste Weise hervorgerufen werden -
von der Stockholmer Fricdensgesellschaft mit dem durch den Grafen Bjork-
lund gestifteten Preise gekrönt. Die Arbeit erschien noch 1894 in »Friede
und Abrüstung«, das Jahr darauf auch besonders. Im Jahre 1896 unternahm
R. mit einem Gesinnungsgenossen eine Agitationsreise für die Frieden s.sache
durc h <lie Rheinpfalz vmd Rheinhessen und gründete dabei mehrere Orts-
gru{>|)en der 'Friedensgesellschaft '. Später hielt er in verschiedenen Ciegcmieu
Deutschlands Vorträge über die Friedensbewegung und gab dadurch Anlat
zur Bildung von vielen Ortsgruppen z. B. in Dresden, Elbeifeld, Erfurt,
Gotha, Kassel, Magdeburg, Sebnitz, Stendal. Seine Reden waren immer von
großer Klarheit und Schärfe, sein Auftreten überall entschieden bis zu den
letzten Folgerungen, sodaß ilmi tlas geinäßigtere Verhalten mancher Friedens-
vereinigungen Worte des Wirk-ispruchs und der Unzufriedenheit entlockte.
An /.ahlreichen Generalversannnlungen der lieut.schen Fricdensgesellschaft nahm
er tätigen Anteil, ebenso an den Weltfriedenskongressen zu Budapest r896
und zu Hamburg 1897. Dafi der Weltkongrefl 1897 in einer deutschen Stadt
tagte, ist auf R.s Anregung zurückzuführen. Über die geschichtliche Entwicke-
lung des Friedensgedankens veröffentlichte er 1899 einen Aufsatz im Türmer .
Durch zunehmende Kränklichkeit, in der die treue Pfiege der einzigen
Schwester dem Leidenden nur Erleichterung, aber keine Besserung schaffen
konnte, sah sich R. mehr und mehr gezwungen, auf ein tatiges Hinaustreten
in die Öffentlichkeit zu verzichten und die schriftstellerische Wirksamkeit
sehr einzuschrftnken. Dennoch ergaben sich ihm aus der Durchsicht alter
Briefe, die seine Mutter einst als junge Frau aus München an ihre Angehörigen
nach Magdeburg geschrieben hatte, noch zwei größere .Vufsätze Aus den
'Jagen der Lola Montez und A'ormärzliche Briefe , die 1901 und 1902 in
der »Neuen deutschen Rundschau« er.schienen. Seine letzte selbständige
Broschüre beschäftigte sich mit dem »Militarismus insonderheit in der Militär*
rechtspflege« (1902). Im Hause seiner hochbetagten Mutter erlag R. nach
längerem Siechtum der Zuckerkrankheit.
Mitteilungen der Familie. — Hoffmann, Pförtner Stammbuch S. 43a Nr. 10340. —
Eccc der I.andesschulc I'forto 1005 S. 26 Nr. 27. E. Gramatzki, Staatswissen^chafdicher
Literatur- und Schriftstcllcr-Kak-ndcr 1. Jahrg. (1^04) S. 344 f. — A. H. Fried, Handbuch
der Friedensbewtguiig (1905) S. tjt und 431. — Die FHedenswwrte 1905 Nr. i. — Friedens-
blitter 190s Nr, t S. «4. P. Mitzschke.
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Grob. Sianto.
Grob, Konrad, Schweizer ruMircinah-r, * ^ September 1.S2S in Atulelfiiifjcn ,
Kanton Zürich; f o- Januar 1004 in Miinclien. — Ans kleinsten biiuerlicheii
Verhältnissen :>tammend — der \'ater ein heruntergekommener Weinhauer,
die Mutter aber eine arbeitsame, intelligente Frau — kommt G. mit 14 Jahren
zu einem Lithographen in Winterthur in die Lehre. Nach langen Wander-
jahren durch Deutschland und Italien, wobei er sich durch rrröOten Fleiß und
äußerste Sparsamkeit ein kleines \'ermögen erwirbt, bezieht er noch mit
^7 Jahren die Akademie in München. Studien bei Kanil)er};, unter dessen
Leitung er auch seine ersten liihler malte: *I)er Maler auf der Studienreise",
»Die Meisenfalle« — Bilder, die mehr gefällig als tief empfunden sind, die
ihn aber sofort in der Schweiz bekannt machen.
Einen grofien Fortschritt bildet das »Tätschschiefien« (1874) und das
»Schwingfest \nm üasleberg« — figurenreiche Bilder mit vielen charakte-
ristischen aus tleni Leben gegriffenen Typen. Sein bedeutendstes Werk ist
die ^»Schlacht von Senijiai Ii (1878). eine vorzügli« he Komposition voll
wuchtiger Kraft und drani.itischer Wirkung. Später ging er wieder zur
(venremalerei zurück und schul eine Reihe geftthlstiefer, einfadi komponierter,
auch in der Farbe sehr glücklicher Bilder: »Das Tischgebet« 1885, »H&us>
liehe Andacht s Sonntagnachmittag auf der Alp . —
Auf langen Umwegen ohne Stipendien o(ler jegliche andere Hilfe hat
sieh Cl. allein durch eigene Kraft und eiserne Energie zu einem anerkannten
Künstler durchgerungen. Seinen Wohnsitz hat er in München behalten, seine
Werke aber sind fast alle wieder nach der Heimat zurückgewandert und die
besten in Museumsbesitz übergegangen. W. L. Lehmann.
Szanto, Emil, Professor der klassischen Philologie an der Universität Wien,
* 22. November 1857 zu Wien, f 14. Dezember 1904 ebenda — S.s Vater
war S<-hriftsteIler und Redakteur der Neuzeit . Nach .Absolvierung der
Gymna-siabtudien bezog S. die Wiener Universität, widmete sich d;u>elbst dem
Studium der Philosophie und war als Student Mitglied des archäologisch-
epigraphischen Seminars. Er war ein Schüler der Professoren Benndorf,
Cioniperz, Härtel und Hirschfeld. Im Jahre 1880 wurde er zum Doktor der
Philosophie promoviert, 1.SS4 habilitierte er sich an der Universität für alte
(ie>( hi( hte und wurde im Jahre 1803 zum auüerordentlichen Professor für griechi-
sche Cje.schichte und Altertum.skunde, 1899 zum ordentlichen Professor an der
philosophischen Fakultät ernannt, an der er als Nachfolger von Theodor Gomperz
die klassischen Altertumswissenschaften lehrte. Er las im Wintersemester 1904
ein vierstündiges Kollegium über griechische Geschichte und ein zweites
Kollegium über Plutarchs Perikles. Im Sommersemester 1904 las er über
römische Munizipal- und Kolonial Verfassung, über die »Kitter« des Aristophanes
und über attische Inschriften.
Wiedelholt hat er Studienreisen nach Griechenland unternommen. Des
öfteren weilte S. zu Forschungszwecken auch in Rom. Die Ergebnisse einer
Expedition nach Karlen legte er in einem Werke »Reise in Karien« nieder,
welches im Jahre 1892 erschienen ist. Er veröffentlichte ferner »^Unter-
suchuugen über das klassische Hürgerreclu (18R1); IMatäa und Athen (1884);
»Anleihen griechischer Staaten (1885); Hypodiek und Sc heinkauf im griechi-
schen Rechte« (1887); »Das griechi.sche Bürgerrecht ^ (^1892). 1902 erschien
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Szanto.
das Werk Die griechischen IMiyleii . Im Jahre 1S87 liat S. ilas Handhin'i
der griechischen Antiquitäten von liojesen in zweiter Auflage herauj»gcgeben.
In der Neuen Freien Presse widmete ihm Theodor Gomperz am
18. Dezember 1904 folgenden, mit Zustimmung des Verfassers wiedertiolten
Nachruf.
»Ach, uncrforschlich sind sie fürwahr, ihe Wege der Vorsehung?! Wäre
es nicht töricht und vermessen, wollte der Teil mit dem (lanzen. das Sand-
korn mit dem Universum rechten, man wäre bisweilen versurlu, mit dem
Schicksal zu hadern I Eine rüstig aufstrebende, voll entfaltete, aber noch
lange nicht erschöpfte Kraft, die plötzlich daihinsinkt; ein Schnitter, im
Begriff, die Ernte eines arbeitsreichen Lebens einzubringen, der mitten im
freu<ligen Scliaffen jählings gefällt wird - das war das (leschick unsere*
einstigen Schülers, späteren Kollegen imd l'reundes Kmil S/.anto.
Noch sehe ich ihn vor mir, wie er vor etwa dreißig Jahren ziier>t in
meinem Hürbaal aultauchte — ein Jüngling von last mädchenhafter Schüchtern-
heit, voll emsigen Eifers, durchglüht von Wissens- und Bildungsdrang. Er
kam frisch vom Gymnasium und schwankte noch zwischen orientalischen und
klassischen Studien. Aber er war für diese vorher bestimmt: ■ tlas Land der
Griechen mit <ler Seele suchend , mit der feinsinnigen, nach Klarheit ringen-
den, nach Schönheit durstenden Seele. Raum war er in die Aiuike eingeführt,
so halte er sich ihr /.u eigen gegeben. Auch innerhalb des Kreises klassi-
scher Studien war seine Wahl bald getrofhm. Das Interesse an den realen
Lebensverhältnissen, ein starker, strenger Verstand, die Freude an der un*
mittelbaren iJerührung mit den Resten des Altertums l)cstimmten seine WaJjJ.
Er ward kealphilologe, Krforscher des griechischen Rechtes, Althistoriker
und K|)igra])hiker. Schon seine erste größere Arbeit, des Vierundzw an/iL'Knirigen
»Untersuchungen über das attische Bürgerrec ht , zogen die Autnu rksaiiikeit
auch der außerösierreichischen Kachmänner auf sich. Es folgten Platäa und
Athen« (1884), »Anleihen griechischer Staaten (1885), »Hjrpothek und Schein*
kauf im griechischen Recht« (1887), »Das griechische Bürgerrecht«: (1892),
mannigfache Berichte über die Hereisung Gricclienlands und Kleinasiens, eine
Neubearbeitung von lk)jesen-Hotf;is Handbuch der griechischen Antiquitäten,
die Herstellung zahllosiT Inschriften, darunter derienigen des neuentdeckien
Kabirenheiligtums in Bootien, zuletzt das zusammenlassende Werk über liic
griechischen Phylen (in den Denkschriften der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften). Doch mit S.s Publikationen ist nur ein kleiner Teil seiner
Forscherarbeit umschrieben. In selbstloser, unermüdlii her Hingabc half er das
von Benndorf geplante und geleitete kleinasiatische ln.s( hriftenwerk vorbereiten
und fordern. Noch ein ])aar Jahre, und ein Ricsenband dieser .S;imn\lung. die
Bearbeitung der Inschriften Kariens, hätte von seiner Sachkunde, seiner Aus-
, dauer, seinem Scharfsinn ein monumentales Zeugnis abgelegt, desgleichen
ein Band der K. F. Hermannschen Antiquitäten, dessen Neubearbeitung ihm
anvertraut war.
Doch vielleicht noch mehr als der gelehrte Korscher hat der Lehrer S.
bedeutet. So oft er in unserem philologisch-archäologischen Vereine, Kranos
genannt, das Wort ergritt, war es eine Freude, ihm zu lauschen. So volle
Beherrschung des jeweiligen Ihemas, so lichtvolle Klarheit, ein so künstle-
risch abgerundeter und zugleich so unpersönlich bescheidener Vortrag sind
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Sxanto. Stmuch.
nur wenigen gegeben. Das künstlerische lllemeiit war in ihm sn stark ent-
wi takelt wie die juristische Denkschärfe. Jenes hat ihn ziun ( ioethe-KuItus
und auch zu Goethe-Studien geführt, welche die Literarhistoriker dankbar
genossen und anerkannten; diese hat ihn 2tir Durchforschung und Beleuch-
tung der aus Ägypten stammenden Papyrusdokumente gezogen, fQr die er
in seminaristischen Übungen Bearbeiter gewann und heranbildete, eine Rich-
tung seiner Studien, (lie ihn Ludwig Mitteis nahebrachte. So hat S. als
Forscher, Lehrer. S« liriftsteller — die Leser tlieses Blattes erinnern sich des
vor Jahresfrist erschienenen trefflichen Nachrufs auf Theodor Mominsen —
Vorzügliches geleistet. Als Mensch wird er allen, die ihm näher traten, un-
vergefilich bleiben. Er war einer der höchstgebildeten, weitsinnigsten, warm-
und zartfühlendsten Menschen, ein treuer Freund, ein dankbarer SchiUer, ein
stets von den lautersten Gesinnungen beseelter, liebenswerter Kollege, die
Stütze der Seinigen, ein Vorkämj^fer alles dessen, was er als gut und recht
erkannt hatte! An seiner Halire trauern die greise Mutter, tiefgebeugte
Schwestern, seine Lehrer, Schüler, Kollegen und ein weiter Kreis schwer
getroffener Freunde.«
Über Szantos Leicbenbcgingiiis vgl. Nene Freie Presse vom 17. Dezember 1904
Morgenblau mit der Gr»brede von Bormann. Theodor Gomperz.
Strauch, Hermann, Jurist, * zu Frankfurt a. M. als Sohn des dorti^^en
Bürgeri» und Handel>manns J.C.Strauch (nach Ascher.«>ons Universitäts-Kalender)
am 4. Dezember 1838, f am 28. September 1904 zu Heidelberg. — Er besuchte
1848 — 57 das Gymnasium der Vaterstadt und studierte dann die Rechte zu Bonn
und Heidelberg. Im Frühjahr 1859 ging er nach Wien, wo er die juristische
Staatsj)riifung bestand, und trat am <S. .A|>ril 1861 als Rechtspraktikant beim
I .andesgericht ein. Nach einigen Monaten übernahm er eine Stelle zum L'nter-
richt des Grafen Schonborn, promovierte am 15. Juli 1862 an der juristischen
Fakultät und war dann in der Kanzlei des Hof- und Gerichtsadvokaten
Dr. Franz Schmitt tätig, zugleich Mitredakteur der Allgemeinen Osterreichi«
sehen Oerie htszeitung. Unbefriedigt von den Wiener Verhältnissen, ging er
nach Heidelberg, wo er auf eine Schrift über die Regalien am 28. Juli 1865
als Privatdozent zugelassen wurde. Am i. März 1873 erfolgte seine Ernen-
Mung zum außerordentlichen Professor. Kr las über Rechtsphilosophie, Kn( y-
kluj)ädie und Methodologie der Rechtswissenschaft und Völkerrecht und hielt
auch Übungen ab. Später übernahm er die BibHothekarstelle am juristischen
Seminar. Er blieb unverheiratet und pflog nur mit wenigen Kollegen Verkehr.
Als Schriftsteller trat er selten herv-or, z. B. mit einem Beitrag zur Festschrift
für Blunts( hli zum August 1879 und Biographien von Röder und /(ipfl in
den Hadischen HioLrraphien von v. Wccch, Bd. III. Kr erlag einem lang-
jährigen Nierenleiden. Lin die Universität machte er sich verdient durch ein
Legat von gegen 18000 Mark für eine Strauch-Stiftung, aus der nach Er^
reichung des Betrages von 30000 Mark die Zinsen als jährliches Reisestipen-
dium an einen Dozenten oder unbesoldeten E.Ktraordinarius der Tniversitäten
Bonn, Heidelberg, Kreiburg, StraÜl)urg, Tübingen, die öffentlic lies Ke( lit vor-
tragen, nach Krmessen über Würdigkeit des Kandidaten seitens der Heidel-
berger Fakultät, verwendet werden können.
Nach gef. Mitteilungen aus Unirenitttsakten. A. Teichmann.
Biogr. Jabrtueh u. Detttsotwr ttOuolog. 9. Bd. 17
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ScIiiriiKT.
Schirmer. Johann Theodor, tich. Justizrat und Professor <ler Rechte
an der Albertus-l 'ni\ crsität zu Königsberg, * am ic;. Mai 1.S27 zu Breslau
als Sohn (los Professors der rhcologie August Schirmer, der bald darauf naih
Greifswald berufen wurde, und dessen Frau Kmilie geb. Krciin von Richt-
holen, t 2. April 1904 zu Hlankenburg am Harz. — Kr besuchte die Gymnasien
zu (rteifswald und Schulpforta, leistete 1848 beim 2. Jägerbataillon Militär-
dienste, wofür er die Hohenzollerndenkmünze erhielt, und arbeitete nach
juristischen Studien zuerst als Auskultator beim Justizsenat in Ehrcnbreitenstein,
dann beim Kreisgeriiht und Ap|)ellationsgericht in Greifswald, doktorierte
am I. .August 1850 und habilitierte sich am 29. März 1852 als Privatdozent
an <ler juristischen Fakultät in Breslau, wo er am 23. April 1858 zum außer-
ordentlichen Professor ernannt wurde. Für römisches Recht als ordentlicher
Professor nach Kiniigsberg berufen, trat er dieses Lehramt am i. Oktober 1863
an und hat von <la an bis zum Schlüsse des Sommersemesters 1901, wo er von
den Amtsptlii hten entbuntlen wurde, ununterbrochen in grober geistiger Frische
gelehrt. Ausgerüstet mit tiefem und vielseitigem juristischen und historischen
Wissen, scharfem kritischen Verstände und großer Lehrbegabung, betrachtete
er es als seine Lebensaufgal)e, das Verständnis des römischen Rechts als der
wesentlichen Gnmdlage des juristischen Denkens und der modernen Rechts-
entwicklung durch scharfsinnige Inter|)retation der Quellen als einer der letzten
echten Pandektisten, was ihm besonders am Herzen lag, zu fördern. Kr tat
dies in ausgedehnter schriftstellerisc her Tätigkeit, sogar in steigendem Mafie
im höchsten Alter. Als selbstäntiige Arbeiten sind zu nennen: »Über die
j)rätorischen Judizialstipulationen mit besontlerer Herücksichtigung der stipu-
laiio juJ'iialHni si>/:'i. Line rechtshisiorische Abhandlung'^. Greifswald 1833:
"Die (Grundidee der Usukapion im römischen Kecht. Ein historisch -dog-
matischer Versuch , Herlin 1855; Hantlbuc h des römischen Erbrechts. Au>
den (^>uellen und mit Rücksicht auf die gemeinrechtliche Praxis bearbeitet'.
I. Teil, Leipzig 1S63 (unvollendet). Er bearbeitete Puchtas Pandekten in
12. -Aufl. ( 1877), Marezolls Institutionen in 9. (1869), 10.(1873) ""^^ Aufl.
(1881), rnterholzners Verjahrungslehre in 2. Aufl. Leipzig 1S58. Viele wichtige
•Abhandlungen veröffentlichte er in der Zeitschrift für Rechtsgeschit hte Itd. 10.
II, 12, 13, 18, 20, 21, 24, 25, 28, 32 und 33 (zuletzt hauptsäc:hlich über die
Werke von Sc ävola und Quellenstellen), auch im Archiv f. zivil. I*raxis 1kl. 78,
7(1, So, 81, 82, 84, 83, 86, 87 und 91, einen Nekrolog betr. Huschke. zu dem
er in Ilrcslau in lieziehungen getreten war, in lid. 70. Reiche Sach- und
Geschiiftskenntnisse befähigten ihn zu reger .Anteilnahme an den Verwaltungs-
geschäften der I niversität. Das Vertrauen der Kollegen berief ihn zu eintluli-
reichen Stellungen; so leistete er als Prorektor (1869 70) der Albertina, als
Senatsmitglied, Kassenkuraior und stellvertretender I niversitätsrichter, auc h
als Leiter der Rhesaschen Stiftung große Dienste. Dank hierfür wurde ihm
zuteil bei der l'eier des 70. Geburtstages und des fünfzigjährigen Doklor-
jubiläums, zu dem Kollegen (v. Blume, Gareis, Gradenwitz und Güterbock)
namens der juristischen Fakultät durch .Abfassung einer Festschrift (Festgabe
für ihren Senior Johann Theodor Schirmer zum i. \1II. 1900, KcHiigsberg 190«»)
ihn ehrten. .Auc h ( )rdensauszei< Imungen mangelten nicht. In glücklicher
Ehe verbunden mit Helene geb. Lc Sueur, genoß er einige Jahre der Ruhe in
seinem neuen Wohnsitz im Harz.
Schirmer. Staub.
259
Chronik und Statistik der Kgl. Universität zu Breslau von Bernhard Nadbyl (1S61)
S. 41. — Chronik d. Kgl. Albertus-Universität, Königsberg 1904 S. 14/15 (erweiterter Nach-
ruf der KBnigsbeiger Haitungsehen Zettimg 1904 Nr. 158). A. Teichmann.
Staub, Hermann, Justizrat, Rechtsanwalt und Notar, * 21. März 1856 zu
Nicolai in Oberschlesien, f 2. September 1904 zu Berlin. — Aus kümmer-
lichen Verhältnissen heraus — der Vater war Kaufmann in einer kleinen
Stadt — hat er sich als ^ielf tnadc man zu einem der bedeutendsten und
einflußreichsten .Advokaten Deutschlands emporgeschwungen. Er besuchte
die Universitäten zu Breslau und Leipzig, doktorierte und bestand 1882 das
Assessorexamen, worauf er sich in Berlin als Anwalt niederliefl. Seine grofle
Gewissenhaftigkeit in Bearbeitung der ihm übertragenen Rechtssachen und
seine juristische Tüchtigkeit verschafften ihm bald in weiteren Kreisen großen
Ruf. Zahlreiche Beziehungen zur HaiuleNwelt brachten ihm tiefe Kenntnis
und Erfahrung in Handelssachen wie im Börsen wcsen. Zwar hatte er auf der
Universität nie eine handelsrechtliche Vorlesung gehört, und doch war er
bald als Autodidakt auf diesem Gebiete so bewandert, dafi ein amtlicher Auf-
trag ihn dazu bestellte, den nach Berlin berufenen Ivchrem der Fortbildungs
schulen Vorträge über das neue Handelsrecht zu halten. Andererseits konnte
er als Mitglied einer zur l'mgestaltimg des Börsengesetzes ernannten Kom-
mission seine erwünschte Mitwirkung leisten. .Ausgestattet mit erstaunli( hem
Gedächtnis und meisterhaft das Wort beherrschend, war er eine der beliebte-
sten und geachtetsten Persönlichkeiten auf Anwalt- und Juristentagen, denen
er fleiflig beiwohnte. Trotz allmählich eingetretener großer Arbeitslast als
einer der beschäftigsten .Advokaten — versäumte er nicht, weiteV juristische
Studien zu machen und überraschte plötzlich selbst ihn genau kcnnenfle
Freunde und Bekannte mit einem in gewissenhaftester, ernster .\rbeit aus-
gearbeiteten Werke, tias sofort von ilen berufensten Kennern dieses Gebietes
als eine hervorragende Leistung begrüfit wurde. Es ist dies der umfangreiche
»Kommentar zum allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch (ohne Seerecht)«,
Berlin 1891 — 93, in 2. Aufl. 1893 — 94 (daraus »Kommentar zum Aktienuc t t/ ),
5. Aufl. mit Supplement 1897, endlich 6. und 7. .Aufl. iSoo, lono. \ on der
Verbreitung dieses Werkes kann man sich einen Begriff machen, wenn man
verninnnt, daß die letzte Auflage in 13000 Exemplaren gedruckt werden
mufite, zugleich von dem Werte daraus, dafi eine besondere Ausgabe für
Osterreich gewünscht wurde, deren Herstellung Oskar Pisko besorgte (Wien
1901 — 04). Eine ähnliche Arbeit ist der »Kommentar zur allgemeinen deut-
sclien Wechselordnung«, Berlin 1895, 4. Aufl. lo"! Weitere Schriften sind
Kritische Betrac htungen zum Entwurf eines H.Ci.B. — \ ortrag am .Anwalts-
tag 12. September 1X06 : Der Begriff der Börsenterminges( h;itu- in % (^U des
Börsengesetzes. Ein Rechlsgutachten , Berlin 1899; »Kommentar zum (iesetz
betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung«, Berlin 1903; ein Beitrag
2tt dem »Formularbuch fOr die freiwillige Gerichtsbarkeit« (von mehreren
Verfassern) 1901, wie ein anderer zur Festschrift für den XXVL deutschen
Jun'stentag 1902 (separat ersrhienen »Die positiven Vertragsverlef/tmgen T904).
("irolk; X'erth'cnste erwarb er sich um den Anwaltstand mvl wurde schon früh-
zeitig zum Mitgliede des Vorstandes des Berliner Anwaltvereins uml des Vor-
standes der Anwaltskammer im Bezirk des Kammergerichts geehrt. Rühmlich
IT»
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26o
Staub, von Lenbacb.
war die auch den jüngsten Kollegen freudig gewahrte l'nterstützung und >cin
tapferes Eintreten für die Sache der freien Advokatur. Mit Luband und
Stenglein verband er sich zur Begründung der deutschen Juristen^Zeitung,
zu der er namentlich die stets interessant geschriebene Rubrik »Juristische
Rundschau« beitrug. Trotz großer Erfolge, die er in seinem Berufe erzielte,
bliel) er in seinem Wesen stets cinfarh und bescheiden, harmlosen Gemüter,
humorvoll. Eine schöne, imponieiLiule Erscheinung, hatte er sich stets bester
Gesundheit erfreut. Da betiel ihn plötzlich ein schweres Leiden, das ihn
auf das Krankenhiger warf. Nadi mehrmonatlicher Qual erlag er ihm.
Nekrolog von Otto Liebmann in der Deutseben Jaristen-Zeitung 1904 Nr. tS (Sp. 82s
l>is 834, auch 927, 931) mit Hild. — Dr. Max Hacbenbnrg in der Monatsschrift für Handels-
recht und Bankwesen 1904 S. 237—239. A. Teichmann.
Lenbach, Franz von, Maler, Professor, Dr. ptuL h. c, * 13. Dezember 1836
■— in-Schrobenhausen (Ob.-Bayem), f 6. Mai 1904 in München. — Franz Lenbacb
war der erste Sohn zweiter khe eines tüchtigen und angesehenen Maurer-
meisters in Schrobenhausen in Oberbayern. Die Lebensverhältnisse der
Familie E. waren recht gute; des Vaters (k schüft war einträglich und groß.
Auf der (iewerbcschule zu Eandshut lernte der lun^e Eesen, Schreiben.
Rechnen, Mathematik und Zeit hnen. Nach den wenigen Schuljahren half
er dem Vater beim Plänezeichnen und lernte im Beruf seines Vaters mit
Farben und Pinsel umgehen. Dann ging er nach München zum Bildschnitzer
Sickinger, wo er modellieren und schnitzen lernte. Aber ihn erfüllte früh die
Architektur melir als die Pla.stik. Als Erbe und Schüler räumlich schaffender
Kunst hatte vx den Sinn für Großes und F'reude am .Ausgestalten <:roßer Rriumc
empfangen. Die Lust /um Malen wurde ihm geweckt durch einen alteren
Hruder Karl, der früh verstarb. Sein erster und bester Lehrer war der Tier-
maler Hofner, der nur vier Jahre älter und in Aresing bei Schrobenhausen
heimisch war. L. erwarb sich sehr rasch das handwerklich Technische, und
die Lust an der malerischen Erfüllung auch geringster Aufgaben gab ihm
die feste und nähremle (irundlage für sein späteres Schaffen. Durch das,
was er häufig für die Hauern untl für die Kleinstädter malen mußte, X'otiv-
bilder, Marterln u. dgl., durch seine Freude an der Scholle wurde er früher
als andere »Pleinairist«. Auch L. ist Beweis, wie weit zurück das dann
als akademisch<malerisches Dogma gehütete Malen unter freiem Himmel
geht und wie wenig soU lies Nhilen und das rasche Festhalten der Ein-
drücke mit breitem Pinsel allein etwas Meisterliches bezeichnet. L. malte
was er sah, zum Studium war ihm alles recht, und da er in den ersten
künstlerischen Entwicklungsjahren den Sommer meist auf dem Lande war,
malte er fa.st nur Menschen und Dinge im Freien, viel in voller Sonne,
und die Freilichtmalerei lehrte ihm das rasche Festhalten der Farben. —
Schon mit etwa 16 Jahren verdiente er sich durch Malen sein Brot. 1853,
im Todesjahre seines Vaters, der den Sohn für seinen Beruf hatte erziehen
wollen, koj)ierte er in Augsburg eine Kreuzabnahme des Christoph Schwarz.
l)ie Wahl dieses .Meisters, aus gleicher Landschaft wie L., ist I)e/.eiclinend
für tlen großen neuen Meister des Portraits: Ein Maler wars, der die
Charakterscharfe deutscher Zeichnung durch venezianische Farbmdi<Vne rassig
zu veredeln wufite. In Augsburgs Galerie kopierte er gern — der Besuch
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von Lcnbach.
261
der dortigen polytoclmischen Schule brachte ihm Widerwillen fiepen Akade-
mien bei. Immer wullte er Zeit und Zeiten auszunutzen zur Arbeit an sich
selbst. In diesen Jahren verwertete er den Winter in der Stadt zur Samm-
lung von Wissen, zur Vorbereitung auf neues. Im Sommer aber malte er in
Aresing mit Hofner. Da sachte er die NatureindrQcke mit dem, was er von
den alten Meistern sich erworben, in Verl)indung zu bringen. — Oft wohl
mag von ihm in diesen Jahren der zehnstündige Weg von München nach
Schrobenhauson zurückgelegt worden sein. Kurze Zeit war Hofmaler Gräfle,
ein Schüler Winterhalters, von dem übriiicns auch später L. immerhin rüh-
mend sprach, L.s Lehrers; — aber liolners Art gab ihm mehr — keinem
folgte er mehr, auch Piloty nicht, der L.s großes Talent sofort erkannte und
ihn in seinem Atelier im Wintersemester 1857/1858 aufnahm. 1858 bedeutete
den meisten L.s »Landleute vor einem Gewitter flüchtend« (Museum zu
Magdeburg), wegen seiner rücksichtslosen Mache, seinem resoluten Sehen,
eine Revolution in der Malerei. I)ai5 L.s Sehen- und Malenkönnen auffiel,
war berechtigt, aber das Hild stellt doch nur eine mittlere Stufe in des
Meisters nun etwa sechsjähriger Kunst dar. Der »Titusbogen« (i86u) (Prefl-
burger Museum) und der »Hirtenknabe in der Sonne« (Galerie Schack) er*
hoben ihn zwar bore« htigterweise noch mehr gegenüber seinen Altersgenossen,
aber beide Meisterbilder schließen nur die Zeit bedeutsam ab, in der er zum
Meister sich erhnlien. 1860 vollendete er auch den Hirtenjuiigen < und
nahm, wie Böckiin untl Begas, einen Ruf als Lehrer an die Kunstschule in
Weimar an. Die kleinen Verhältnisse der Residenz verleideten ihm bald
Leben und Schaffen. Er folgte 1863 einem Auftrag des damaligen Freiherm
A. F. von Schack, und kopierte in Rom Tizians »Himmlische und irdische
Liebe«. Dann war er in Florenz und 1.S67 in Madrid tätig, um die Schack-
sehe Galerie mit einer Reihe l)edeuten(ler Kfipien und Bilder zu bereichern.
Diese Jahre sind für L. von gnillter Bedeutung. In ihnen trat er durrli sein
geistvolles, treues Kopieren in die engste Beziehung zu den Aristokraten
unter den Malern, zu Tizian, Ttntoretto, Rubens, van Dyk, Rembrandt und
Velasquez. — Wenn L. selbst seinem Gönner Schack keineswegs grofien
Dank wissen wollte, so bleibt dem Münchener Mäcen doch das Verdienst,
daß er dem jungen Künstler früher ein näheres Bekanntwerden mit den großen
Malern ermöglichte, als dies dem Künstler ohne Schacks, allerdings sehr ge-
ringe materielle, Hilfe möglic h gewesen wäre.
An bedeutenden Portraits waren in dieser Zeit bis zu seiner 1868 erfolg-
ten Rückkehr nach München u. a. entstanden das von Arnold Böckiin (1861),
v. Schack (1863), L. v. Hagn (1863), K. Geyer (1863), £. v. Liphart (1865),
J. V. Kopf (1865). Das Bild eines anderen Großen, Richard Wagners, stellt
eines der ersten I'ortraits der beginnenden Ruhmesepochc L.s dar. —
Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien (1871) siedelte er 1S72 ganz nach
der Kaiserstadt über, um nur den Winter 1873; 1874 in Berlin zuzubringen.
Die Bildnisse L.s vom Kaiser Franz Joseph und Kaiser Wilhelm L hatten
zwar auf der Wiener Weltausstellung 1873 nicht den gedachten Erfolg. Sie
zeigten L.s Art und die war eine neue. Sein Ruf als Portaitmaler war aber
schon zu dieser Zeit durch Bildnisse hochstehen<ler rersonlichkeiten gefestigt,
er überragte .Angcli, der allerdings seiner X'er-M luMierungen wegen in den
Salons der beliebtere Bortraitmaler blieb. Gegenüber Angeli fällt L.s unver-
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I
202
von Lenbacb.
kennbarts liauptinterchsc an den geistigen Werten der zu i'ortraitiercnden
schroff und aufierordentlich bedeutend auf.
Gegen Ende des Jahres 1875 machte L. mit Makait und anderen Kunst-
lern eine Reise nach Kairo. Die Reise hat wohl einige malerisch original
gesehene Bilder und Skizzen «jezeitiirt, aber liezeiihnenderweise T.. in keiner
Weise von dem mit Su herheit he^ hriitenen, — und rein kuiistlerisch ertolg-
reieiien Wege, seinein engen Gebiete, entfernt. 1882 verbrachte L. den
Winter in Rom, und wie in Wien war sein Atelier im Palazzo Borghese bald
der Ort, an dem sich die Größen der verschiedenen Berufewelten trafen, was
nun immer mehr von seinen Ateliers gih. Ganz besonders von seinem Münche-
ner Heim an der Luisenstraüe bei den Propyläen, das ihm Gabriel Seidl in
der Milte der achtziger Jaiire erriciitete. Hier waren Fürsten und Große
immer anzutreffen und gar mancher hohen Namens kam nur um L. zu ehren
nach München. So Deutschlands erster Reichskanzler.
L.s erste Ehe mit einer Nichte des Feldmarschalls Grafen Moltke wurde
durch Scheidung gelöst. Eine zweite Ehe ging er mit Lolo Freiin von Horn-
stein ein. Rastlos schaffte L. bis zu seiner schweren Erkrankung. Dann, als
er wieder etwas erfrischt sich füldte, war seine Schaffenskraft sehr beein-
trächtigt, und ini lir nocli litt er wohl psychisch unter diesem lk sv uüisfin.
Sein Tod muiite ihm, dem Arbeit im Dienste des Krkeiniens und des
Schönen als Höchstes galt, der den Bejahrten, die nichts mehr zn schaffen ver-
mögen, das Recht zu walten abgesprochen wissen wollte, eine willkommene
Erlösung sein. Denn Herr sein oder Nichtsein, das war sein in Werken und
Wirken bekräftigtes Bekenntnis.
\Vähren<l L.s neues Münchener Heim das Ziel vieler Großer und einer
ungezählten Schar Hewunderer und Neugieriger aus aller Herren Länder
war, wurde es nach und nach gerade in Münchens Kreisen, die um
Künstler herum sich zu bilden pflegen, als Charakteristikum eines eigenen
und verfeinerten Urteils angesehen, über L.s Portraits mehr oder weniger
abfällig zu urteilen, L.s historische Hedeutung als Portraitmaler herabzu-
setzen, ja stark zu bezweifeln, und seine persöidiche Art heftig zu taileln.
Das letztere ist das am ehesten Begreiflic he, denn an Neidern fehlte es den
GroUcn nie und immer hatten auch die Groüten sehr anfechtbare Schwächen,
die von Kammerdienergeistem am nachhaltigsten bemerkt werden. Selbstver>
ständlich hat auch L. viel Flüchtiges geschaffen und es ist bedauerlich, dafi
viele jener Pastellskizzen, die ihm nicht zur weiteren Ausführung genügten,
und die er surglos darum Bittenden hergab, später in den Handel kamen.
L. war lieir dur< h und durch. Wie vielen hat er geholten — ohne auf
Dank zu warten. Das 1 üchtige zu fördern galt ihm als l'flicht des \'er-
mögenden. So mag auch seine Undankbarkeit dem Grafen Schack gegen-
über, seine Unzufriedenheit mit hohen Herren, die auch über ihm standen,
erklärt werden. Unleugbar ist er auch Schack gegenüber der Gebende ge-
wesen, nur hätte er nicht vergessen sollen, daß ihm durch Schack gerade die
Wege erleichtert wurden, die ihn zu seinem Ziele hinführten. .\ber dieser
historische Kritmerungsfehler ist Schaftenden nur zu häufig eigen und L.
eher zu verzeihen als anderen. Bekräftigte doch L. durch sein Werk sehr
nachdrücklich seine eigene Meinung: bei der Beurteilung eines Künstlers
kommt es vor allen Dingen darauf an, was er in den reifeten Jahren, nicht
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von Lenbach.
263
was er in der Jugend oder jüngeren Jahren geleistet. — Wenn L. Herr war,
so war er doch nicht zum l-"iihrer geboren. Wie er als bestellter I.chu r nicht
hervorgetreten, so verstand er es auch in freier Weise und se!l)st in jener
Zeit, da er als Künstler im Leben Münchens die herrschende Rolle spielte,
durchaus nicht, die Jugend fest um sich z\x scharen. Doch wie er die ihm
Nahestehenden meisterlich anzuregen und zu begaben wufite, so wurde aus
all den künstlerischen Veranstaltungen und Festen, die seiner Freude am
Großen und Herrliehen entsprangen, ein Ereignis festfreudiger Art, dem
proße Scharen sii h hingaben. Diese von L. groB und reich inaugurierten
Feste haben der Kunststadt Münclien sehr fruchtbare Anregungen gegeben,
ja auciv 1.. selbst. Noch mehr als die Festveranstaltungen, die glänzen-
den Gestaltungen von Ausstellungsräumen für seine eigenen Bilder, sein
KOnstlerheim, ist ganz besonders das KOnstlerhaus in München, das wiederum
Gabriel v. Seidl erbaute, unbedingt wichtig bei einer Heurteilung von L.s
künstlerischer Art und (labe. In diesen raumkünstlerischen Sehöpfungen mit
frabriel Seidl hat F. im besten Siime des Wortes sich auszulel)en versucht,
was mit einigen Worten über die Beurteilung des Ganzen L.s zu erklären i.st.
L. gehörte zu den seltenen Künstlern, die merkwürdig genau und klar
sich selbst zu beurteilen vermögen, die sehr wohl wissen, was ihnen fehlt»
aber rastlos sich bemühen, das Fehlende zu ersetzen, die die für ein Gebiet
nur geringe Gabe dort wenigstens auszugestalten suchen, wo sie am reinsten
zur Geltuni^r kommen kann; L. wußte z. H. sehr gut, dali ihm die (iabe grober
figürlicher Komposition gerade so gut fehlte. aK jener Ciruppe seiner Zeit-
genossen, die in Skizzen und Studien genug zu geben meinte. Wer L. fragte,
weshalb er nicht einmal in gröfieren Kompositionen, wie sie die gerade von
ihm meist verehrten alten Meister geschaffen, sich versuche, konnte ein er-
staunlich besc heidenes Selbstbekenntnis zu hören bekommen. Aber wenn so
viele Maler das für unsere Zeit charakterisclie Unvermögen gar nicht fühlten,
drängte es L. zu einer Hetätigung grolikompositoriM lu-r Malerei auf anderem,
auf angewandtein« (jebiele. Das sind seine Wohnräume in der Luisenstralie,
die Festräume des Münchener Künstlerhauses. Hier komponierte L. rastlos
mit verfeinertem Gefühl in Farben, die die Stoffe und der Schmuck der
Räume gaben, Symphonien von ausgeglichenem Reichtum. In diesen Räumen
tritt deshalb die Wahl eines alten reichen Stiles als unwesentlicli /.urü< k, wie
auch die Formen, ileren Wahl im einzehien ja Sache der Architekten
war, nicht wesentlich für die Kritik sind. L. hat hier jedenfalls gezeigt, wie
er auch große kompositorische Aufgaben malerisch zu lösen wußte und wenn
das Ganze auch mehr eine Komposition vorhandener Mosaikteilchen bedeutet,
für L.s Streben sind diese immer glücklicheren Versuche, im Größeren eine
Abrundung des eigenen beengten Gebietes zu suchen, rühmlich und charak-
teristisch. Aber auch hier wurde ihm das Komj^onieren ni< ht leicht, auch
hier war erder ernste Kinistler, nicht rasch zutrietlener Uilettant.
L., der sich also hier als ein Meister angewandter Malerei zeigte, ist
von oberflächlichen Beurteilem gern als ein Nachahmer »alter Meister« kurz
abgefertigt worden. Vielleicht wird aber nach und nach auch an ihm das
was als charakteristisch für eine »moderne« 2Unt gilt, die neuen Aufgaben
zuliebe sich mit Fragmenten und Skizzen begnügte, als auch ihn äulierlii h
kennzeichnend erkannt. Doch wenn diese Wertung L.s einmal Geltung
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von Lenbncb.
bekommen wird, so wird er nicht mehr als bester Schüler alter Meister, sondern
als Sucher neuen festen Bodens, als ein grolier Unzufriedener erkannt
werden, der nach Vollendung neuer Anfänge und alter Zusammenhänge strebte,
der trotz all seiner Schwächen, die er mit den »Modemen« seiner Zeit teilte,
als Ragender über vielen stehen bleiben.
Wie L. nicht Bilder komponieren konnte wie andere, so folgte auch er
dem Kci/,e des l'nvojlendeten. Das ist ihm ja oft genug zum Vorwurf pe-
maclu wortlen. W ie oft wurde er getadelt, daß er nur auf das (iesicht de^
Portraiticrten Sorgfalt verwandt habe. Es war aber künstlerische Absicht,
die beim Portrait, soweit es sich nicht um Repräsentationsbilder handelt, viel
berechtigter noch ist, als bei anderen Bildern. Gerade L. kam es darauf an,
im Gesicht den ganzen Menschen zu geben, hierauf alles zu konzentrieren,
in Gesicht und Haltung den kristallisierten Menschen zu geben. Die Mehrzahl
seiner Portraits sind Kcipfe oder Brustbilder ohne Hände, wo er die Hände
malte, waren sie ihm auch als Kinzelerst heinung wichtig. — Hier ist zu er-
innern, dafl L., weil ihm der lag zu kurz, gern bei elektrischem Bogenlicht
arbeitete, fast von allen, die er portraitieren wollte, photographische Moment*
aufnahmen, meist in Bildgröße, machte und die beste Aufnahme bei der
ersten Anlage verwendete. Wäre es ihm darauf angekommen, sich die Zeich-
nung zu ersparen, oder mit zeichnerischem Können zu ])aradiercn. so wären
wohl fast alle seine Bilder ganz anders geworflen, als sie geworden sinrl; er
hätte alle Äußerlichkeiten, ganz gewili auch die Hände kopiert, wogegen L.s
Bildnisse, was die äußerliche Portraitähnlichkeit, so weit sie von der Wieder-
gabe des Körperlichen, der Linien und der Farben abhängig ist, häufig genug
nicht treu genannt werden konnten. Das gilt von seinen Männer- wie von
seinen Frnuenldldnissen im gleiclu'n Maüe. Die Bildnisse der geschichtlich
bedeutenden Persönlichkeiten bleiben aber für alle Zeiten ein M.distab, wie
sehr überragenil .seine Kunst war im Kristallisieren des eigentlich Persön-
lichen. Hierin überragt L. die gefeiertsten Fortrattisten seines Jahrhunderts.
Die äußerliche Untreue vieler L.scher Bildnisse wird durch des Meisters
Technik und seine ausgeprägte Wähierischkeit im (Gebiete des Schönen er-
klärt. L'^nter l echnik verstand er nicht etwa nur den bestmöglichen Gebrauch
der Hände und der Pinsel. Dic^e Technik hatte er, wie gesagt, frübzeitiji
erworben und da> war's, was er an den 1 agesgröüen der jüngeren Generation
seiner Zeit tadelte, daß sie sich auf das äuUerlich Technische, was unter Un^-
ständen sogar unwesentlich fflr die Beurteilung eines Kunstwerkes ist, so viel
zugute tat. L. verstand unter Technik die Kunst, das gegenseitige Wertver-
häitnis der Farben zu beherrschen. Das Malen war ihm kein Abschreiben,
sondern Übersetzen. Mit Abschreiben fing er an untl übte er sich. ])c<
Künstlers Vorrecht, wählerisch auch mit der Natur zu verfahren, verführte
ihn nur bei Frauenbildnissen, liäüiiches verursachte ihm im Leben physische-
Übel, so ließ er denn häßliche Augen auf seinen Bildnissen schließen und
Haut- und Haarfarbe blieben wohl im Wertverhältnis zueinander und zur
Umgebung richtig, aber der bestimmende Farbfaktor wurde von L. so ge-
wählt, dad (las, was ihn am meisten am Objekte störte, gemildert wurde. In
dieser Kunst der gegenseitigen l'arljenbewertung erreichte L. eine Hc)lie, die
erst bei eingehendster Prüfung seiner Bilder, die in diesem Punkte bis in die
Mitte der neunziger Jahre an Wert stiegen, ganz erkannt werden kann. —
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von Lenbach.
26s
Bei solcher Meisterschaft, die nach der äußerst entschlossenen Freiluftinalcrei
seiner ersten Kpoche, erst L.s Können bezeichnet, konnte der Künstler auf
Patzereien, auf dicken Karbenaufdruck, auf auffallend breite Piiisclführung,
die eine Zeitlang für »geniale< Technik gehalten wurde, verzichten. Er korri-
gierte die sicher hingesetzten Farben nicht durch ein Übereinander, sondern
am liebsten durch ein Nebeneinander. — Gleichwohl dürften L.s Bilder an
Dauerhaftigkeit sehr zu wünschen übrig lassen. Das liegt an seinen Mal-
mitteln. 1.. wußte das, und um dicsom allgemeinen Übel /u steuern, zeigte
er ja in der JJeutschcn ( locll^chuft zur Beförderung für rationelle Malver-
fahren, deren ersten Rongreü 1893 L. leitete, so regen Eifer.
Bei der Bewertung von L.s Gemälden ist sehr zu beachten, daß die
Portraits — wenigstens die in München entstandenen — bei Seitenlicht gemalt
und gern für eine bestimmte Umgebung von vornherein gedacht, farbig ge-
stimmt wurden. Daran zu denken ist wichtiger als die banale Erinnerung,
der oder der .dte Meister sei ihm Vorbild gewesen. — Den alten meister-
licheTi Sinn, daü aut h höchste Malerei zuletzt doch eine angewandte Kunst
ist, vergaß L. nie und mit dieser .Anschauung vereinigt er sich mit Whistler,
noch mehr mit jener ganzen führenden jugendlichen Richtung, die aufkam,
als L. bald gezwungen wurde, den Pinsel aus der Hand zu legen.
Auf diesem Gebiete war L. mehr Führer als ra.sch erkannt werden konnte;
denn dii- Forrnenwelt, mit der er sich am liebsten umgab, war eine alte, sie
war die der späten reichen italienischen Renais>ance.
Mögen nun L.s Frauenbildnisse, von denen so viele einen versteckt sinn-
lichen, dekadenten Zug tragen, dem Meister den Titel eines einmal modern
gewesenen Bildnismalers eintragen, so wird man doch auch in diesen immer
die überlegene Malerei \\iir<!ifien, so lange man den Malistab seiner Zeit an
ihn legt, wie es Aufgabe der (leschie hte bleibt. Tatsächlich zeigt L. in seiner
Kunst viele \'orzügc und manche Schwächen der Malerei seiner Zeit, je mehr
aber auch diese Sc luvächen werden ins Auge gefaßt werden, um so mehr wird
L.s reges Verbundensein mit allen geistigen Faktoren seiner Zeit hervortreten,
er wird nicht mehr wie ein immer Rückwärtsschauender beurteilt werden,
sondern wie ein Vornehmer, der unbeirrt auf sicherem Wege vorausschritt
L. war von Erscheinung groß, in der Bewegung hatte er natürliche Ele-
ganz, von natürlicher Vornehmheit war sein ganzes Henehmen erfidlt, er war
niemals S< hmeichler, er hielt nicht mit Aulierungen der Freude oder der Zu-
stimmung zurück, wenn ihm etwas gefiel, aber sehr entschlossen gab er, ohne
Rücksicht auf seine Umgebung, dort heftigem und derbem Tadel prägnante
Worte, wo er Dünkel oder Bosheit oder Dummheit bemerkte. Er hat sich
auch vor höchsten Persönlichkeiten nicht gescheut Dinge und Mensdu n, die
ihm mißfielen, zu tadeln, und er w.nr mit autokratisc hem Recht ein Maler der
Großen, weil er nicht Diener sondern Herr war. — Ihm war die L'nverlctz-
lichkeit und Bescheidenheit der (iroßen eigen, aber er paradierte in keiner
Weise mit ihnen. Merkwürdig, durch eigenen Unterricht und durch den Ver-
kehr aller GröOen der Zeit gebildet, überraschte er immer wieder mit treffen-
den Bemerkungen und gesundem Witz. Er sah die Dinge mit eigenen Augen,
wie er auch die Menschen, die zu ihm als Berühmte kamen, nicht na« h Büchern,
sondern aus Betrachtung und l'mgang rasch treffender zu ( hanikterisieren ver-
mochte, als andere Menschen und andere Maler vor und nach ihm.
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von Lenbach. Buchholz.
Hierfür sind die besten Beispiele die L. sehen Bildnisse Kaiser Wilhelms I.
und tles Fürsten Bismarc k, l nd wenn nun gerade diese Bildnisse I..s Ruhm
in die weitesten Kreise getragen und gerade diese die längste Zeit seinen
Namen rühmen sollten, so möge die weite Welt sich doch erinnern, dafi das >
Ansehen, das I«. zumal beim großen Kanzler des neuen Deutschlands genofi, '
sich nicht etwa auf seinen künstlerischen Ruhm, sondern in sicher noch
stärkerem Maße bei dein nüi hternen Diplonuiten auf die Vorzüfjlichkeit seines
C'harakters, die f^an/e fesselnde, natürliche und reiche rersönlit hkeit l-.s er-
streckte. Die Kritik aber der Malerei L.s begnüge sich nie mit dem sehr
leichten Hinweis auf die alten Meister, die ihm als Lehrer gegolten. Viel
stärker als alles war in L.s Kunst die Auffassung des bleibend Charakte-
ristischen und die sichere Umwertung aller Farben, alles Wechselnden in der
Natur. Diese beiden Ziele waren es, die L. vom Anfang seiner maleri^clun
Versuche an verfolgte und mit immer größerer Sicherheit und Vollendung
erreichte.
LitLTutur: Kinc auf surg^.lln geprüftem Material beruhende ausführliche Lebens-
gcscbichte des Meisten erschien noch nicht. Wie die Aufieningen anderer Maler Uber ibit
KoUe^^'n, sind dii l'rtcilc l..s Uher Künstler für die Literatur nur vor^iiclitig zu gebmuchcn.
In l'rteilcn iil)er -eine eijjene Kuii-t und sieh selbst war I,. weniger vom Augenblick der
Stiuiniuug abluingig. Aulicr verschiedenen Aufsutzen über L. m der »Kunst lur Alle« u.a.
Zeitschriften seien hier herrorgehcihen : Frans von Lenbach, Gespräche und Erinnerungen,
mitgeteilt \<>n \V. Wvl, Stuttjjart IU04. A. Spicrs Aufsätze in »Kunst unserer Zeit«
U. l')'>^. ' A. I\'><en!>er<j. l.enli icli ( Kün-tlci-Muiioj^rapliien hrs>^. \ . KnackfuO"). Uielefcld iS'iO.
— .Vlljfeuieine /eitung iSyo, KcuUleton von» 12. Marz. — Zeitschrift für Innendekoration I89^.
Julihefit. — Ausschließlich Werke Lenbachs finden sich reproduziert in: Frans v. Lenbach»
aeitgeniUsi-che IJildnisse. 2 Bände mit je 40 Portratts in l'hot(i<j;ra\ in c. MQnclien, BnrV-
mann. I-Olm ('iSSS n. iSrjj;). — l.enti.uh. fr. v., Srhönhcit-ideale, ^5 Helmyravüren. M;i
einleit. le.\t von I ritz v. Ostini. München o. J. 1^1904^. 4 . — Lenb.u-li, f rz. von, Hiid- ,
nisse, 40 Gravüren nach Orig.'Geniälden des Meisters. Manchen, Franz Hanfstangl. gr. Folio '
(1897 <»S;. Aus Studieniuappen »Kiii-clier Mei>ter, hcrausg. v. Jnl. Lohmeyer. Fraiu
V. I.enhacb. 40 Studien, Skiziccn und Werke des Kunstlers. Text von A. Ko>en)>erg. o. J. |
(«S«J9> Dr. E. \V. Bredt. ^
Buchhol/, W ilhelm, Dr. phii., Dramaturg fler Kgl. Theater in Münc lic;i,
• 10. November liS^O /,u I.iibeck, f 25, November 1904 in München. — !
war als Sohn des Syndikus Dr. Bachholz in Lübeck geboren und absolvieite
dort auch das Gymnasium, worauf er in Leipzig und Jena studierte. Während
des Laiibt schen Regimes schrieb er in der Leipziger Zeitung Kritiken über
das Stadttlieater, und von da an hat ihn das Theater nicht mehr losgelassen.
Auj^ust l'orster uivi An^elo Neumann hex li;iftij^ten ihn als Dramaturgien.
Krsterein hat er zeitlebens eine dankbare Verehrung bewahrt, wie er licnn |
Überhaupt gern über seine Leipziger Tage unter Förster .sprach. Im Jahre
1882 wurde er von dem Generalintendanten Frhm. v. Perfall als dramatur-
gischer Sekretär an das Münchener Hoftheater engagiert, an welcher Bühne
er 22 Jahre tätig war. Unter diesem Intendanten, dem er ein treuer Rat«
geber in allen Angelegenheiten des Kgl. Schausjiiels war, kamen auch scitie
liter.irischen l'"ähigkeiten zur Cleltung. Seine Hühnencinrichtungen ll. b
Kleins Zenobia 18S4, IJabos Otto von \\ itlelsbach. Die Komanows, nach
Immermanns Alexis 1899, Otto Ludwigs Fräulein von Scud^ri 1891 und
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Buchholx. Müller. KlOpfcr.
267
Shakespeares Ronig Heinrich 2 Teile 1.SQ5 hei Keelain) wurden alle in
München aufgeführt, haben sich aber freilieh, wie ein eigenes Drama IJante
(i886)y das Kürschner aufierdem noch anführt, nicht halten können. Die
Gartenlaube und andere Zeitschriften brachten Gedichte von ihm, und der
Prinzregent von Bayern zeichnete den tüchtigen IJeanUen (hnc li die goldene
Medaille für Kunst und Wissenschaft aus. Schon in Leip/iu liatte er sich
mit Adelma Harry, l'.hreniuit^lied des (Ira/.er Konservatoriums, verlieiratet.
Unter Perfalls Nachfolger, Ernst v. Possart, s ink die Bedeutung tles Drama-
turgen auf ein Minimum, und Dr. Buchholz, eine stille, ircnische Natur, war
nicht der Mann, seinen Posten eigenmächtig zu heben. In den letzten fünf
Jahren quälte ihn zudem ein schweres Kopfleiden, dem er schliefilich auch
erlag. Seine Aschenurne wurde in der Gruft seines Vaters in Lübeck bei-
gesetzt. Er sellist lebt in der Erinncrun'j derer, die ihn kannten als ein
treuer Diener seines Herrn , wie er im Kreise der Bühnenmitgiieder schon
bei seinen l.eb/eiten gerne genannt wurde.
München. Alired Erhr. v. Mensi.
Müller, Kobcrt. Kgl. Regisseur der Münchener Hofoper, * ii Juli 1840
in Leipzig, f 17. Juli 1904 in München. — M. wurde als Sohn eines Leipziger
Buchhändlers geboren. Nachdem er bei Volkmar Kuhns dramatischen
Unterricht genossen, betrat er am i. Oktober 1860 in Greifswald die Bühne
und zwar als Schauspieler. Erst später wurde er auf seine schöne Stimme
aufmerksam und ging 1862 zur Oper über, nachdem er am Dresdner Konser-
vatorium einigen musikalischen Unterricht f^enossen hatte. M. wirkte in
seiner 1 )o|»|ieleigenschaft als Schauspieler und Sänger (Hatiljulfo) in Hasel,
Augsburg, Köln, Dresden, l/cipzig, an der Komischen Oper in Wien und in
Stuttgart, wo er nebstbei auch als Regisseur und als Deklamationslehrer am
Konservatorium tätig war (von 1885 ab). Später ging er als Regisseur nach
Prag und Bremen und im Jahre i8c)2 an das Münchener Hoftheater, wo er
als Nachfolger Brulliots (s. Mioj^r. Jahrbuch II. Bd. i>ag. 237) auss< hlicülich
nur Opernregie führte, d inn alier auch als Lehrer an di-r Kgl. Akademie der
Tonkunst wirkte. Jedem Komödianlcntum gründlich abhold, trat M, nur
wenig an die Öffentlichkeit. Liebenswürdig, ehrlich und bescheiden, tat er
seine Pflicht, bis ihn schweres körperliches Leiden und traurige Familien-
verhältnisse von hinnen riefen. Dem Sänger wurden eine schöne, klangvolle
Stimme und gewandtes Spiel nachgerühmt. Zu seinen Hauptrollen aus jener
Zeit gehörten : van Hett, Masetto, Kellermeister (Undine), Bartolo, Plumket,
Leporcllo, Haculus, i)e< kmesser.
F.ine kur/c liiographic enthalt Eisenbcrgs Bühncnlexikoii.
München. Alfred Erhr. v. Mensi.
Klöpfcr, Victor, Kgl. Kammer- und Hofopemsänger, * 17. Mär/ rS^o in
Zürich, f 24. Juli 1004 in Tegernsee. K. war in Zürich als St>hn eines
Möbelfabrikanien und Tapezierers geboren und wurde .später Besitzer
des väterlichen Geschäfts. Bald kam er aber nach Bayern und setzte in
München die schon in der Heimat emsig betriebenen Gesangsstudien fort.
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Klöpfer. Rfldiger.
Tn einem Schiilerkonzert seines Lehrers, des früheren Ivn'schen und Buffo
tenors Hermann, fiel /.iini erstenmal K.s wundervolle lialistimmc öffentlich
auf. Vom I. September 1906 an wurde er an die Münchener Oper engagiert,
konnte sich aber geraume Zeit nicht recht durchsetzen, ja seine Stellung sdüen .
anfangs ziemlich prekär zu sein. K. war ein fleifiiger, überaus gewissenhafter. |
aber auch pedantisch-ängstlicher Künstler. Er selbst klagte, daß ihn seirt
nervöse \nt:<;tli( hkeit, die ihn auf der Bühne jedesmal überfalle, an der
vollen KntfaltiHiu seiiur Mittel hindere. Nur langsam un«l mühsam hat ^irli
K. die erste Stellung erobert, die er zuletzt doch einnahm. Völlig sicher
war sie ihm eigentlich erst, als er sich auch auswärts Ruhm und Ehrer
geholt hatte. K. erschien wiederholt bei den Salzburger Musikfesten, in den
Konzerten der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, in der Royal Oftn
in London, im New ^'orker Mttropol'ttan Opera Ifouse usw. K.s Stimme war
ein echter seriöser Haß von entzückendem Wohlklang und einem edlen,
vornehmen Timbre, der trefflich zu seiner groüen, schlanken Erscheinung und
zu seinem immer etwas würdig gemessenen Spiel paüte, das in den ersten
Jahren noch etwas steif, später aber lebendiger wurde und stets wohldurch-
dacht war, denn K. war ein intelligenter Künstler, der fast ebensogut and
wirksam sprach wie sang. Er studierte nicht leicht und sein Repertoire w.t
nr>ch nirlit i:riin. iber er war auf dem besten Wege, der erste liassist Deutsch-
lands /II ue!<lcii. denn es konnte kaum eine schönere und edlere Baßstimme
gefunden werden. In tien Münchener Wagner- und Müzartfest;.pielen J>ang erden
Fafner, Hunding, Marke, Daland, Pogner, Sarastro und Komthnr. Aber er
besafi auch Humor und war ein vortrefflicher Barbier von Bagdad. In cioer
neuen einaktigen f)]>er »Vaterunser , zu der sein Intendant v. Possart nadi
Francois Coppee den sentitnentalen l'ext gedi( litet. der Dirigent Röhr cinf
lärmende Kapellmeisterinusik konij>oniert hatte, trat K. als Priester ahnun,2>-
los mit den Schiuliworten seiner Rolle »Gelobt sei Jesus Christus — bcEen
Siel« von der Bühne. In den danach folgenden Theaterferien, kurz vor
Beginn der Festspiele, zu deren Hauptattraktionen R. stets gehört hatte. '
starb er auf dem Lande, in Tegernsee, an den Folgen eines dummen Zufalls, _
einer Sehnenzerreifiung am Unterschenkel, die er sich beim Turnen zugezogen
hatte und die ihm zum tödlichen Verhängnis wurde. Ein für die junge .
Wittwe Khipfers und sein Kind günstig verlaufender l'nfallversicherungs- ]
pro/.eü brachte Klopfers Namen einige Zeit danach noch einmal an die
Öffentlichkeit Die MQnchener Oper hat aber neben dem Namen Angnst
Kindermanns keinen glänzenderen unter ihren Bassisten zu verzeichnen ^
zu beklagen als den Klopfers, rlessen Wahlspruch und Richtschnur der
meist ernst blickende junge Mann früh schon aufgezeichnet hatte in fion
Worten: Krnst ist das l eben, heiter die Kunst — mit Vcrgunjt: Heitel
das Leben, ernst ist die Run.st«. . '
München, Altred Frhr. v. Mcnsi. ^
Rüdiger, Otto, hamburgischer Geschichtsforscher und Schriftstoller,
* 22. April 1S4C; in Marienwerder, f 12. Januar IQ04 in Hamburg. — K- l"-"*
suchte zunächst die X'olkssi hule und später das (iymnasium zu Pyritz in Pom-
mern, wohin die Kitern 1847 übergesiedelt waren. Trotz seiner bescheidenen
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Rttdiger.
269
Verhältnisse gelang es dem N'ater, der ein einfacher Schneider war, seinem
Sohne das Universitätsstudium zu ermöglichen. 1864 ging R. nach Halle,
um klassische Philologie und Germanistik zu studieren. Seit 1867 beschäftigte
er sich in Kiel vorzugsweise mit hbtorischen Studien. Leider versagten die
Mittel vor der Zeit, so dafi er sich gezwungen sah, einstweilen für seinen
Lebensunterhalt zu arbeiten. Er wandte sich nach Hamburg, wo er an einer
höheren Privatschule für Knaben angestellt wurde. Nach mehreren Jahren
i. rfolgrciclicr Tätigkeit brachte er dann in Kiel mit der PronK^tion zum Dr. p/ii/.
und dem 1876 bestandenen Stuat.se.xamen seine Studien zum Ab.schluÜ. Kr
trat darauf in den hamburgischen Staatsdienst, den er aber schon nach Ver-
lauf eines Jahres verliefi, um hinfort in unabhängiger Stellung als Privatlehrer
zu leben. Der Stadt Hamluu Lr aber blieb er treu bis ans Ende, ihrer Geschichte
WMclmete er seine ganze Mutie und die beste Kraft seines Lebens. Der reiche
Krtrag seiner wissenschaftlichen .Xrheit bildet eine bedeutende Förderung
verschiedener Gebiete der hamburgischen Geschichte, wie sie nicht allzu oft
geleistet wird. R.8 Forschungen bewegen sich im allgenietnen in zwiefacher
Richtung: sein erstes Ziel war die Geschichte der Zünfte, später beschäftigte
ihn ausschließlich die Schulgeschichte Hamburgs. Mit dem 1874 heraus-
gegebenen Werke 'Die ältesten hamburgischen Zunftrollen und Brüderschafts-
statuten« schuf R. eine hamburgische Gcschichts(|ucllc ersten Ranges«. Ein
Nachtrag dazu erschien 1875 "nt^^r dem Titel .Ältere hamburgische und
hansestädtische Handwerksgeseliendokumente Aus der großen Zahl seiner
kleineren Beiträge zur Zunftgeschichte sei der Vortrag über »Böhnhasen und
Handwerksgesellen« hervorgehoben, der in der 1892 von Th. Schräder heraus-
gegebenen Sammlung »Hambui|; vor 200 Jahren abgedruckt ist. In engem
Zusammenhang mit den Studien zur Zunftgeschichte stehen auch die beitlen
Romane Siegfried Bunst(irj)s Meisterstück (Jena 1878) und >Dic letzten
Marienbilder (Hamburg 1886), deren Schwerpunkt nicht so sehr in ihrem
künstlerischen Wert, als vielmehr darin liegt, dafi sie ein fein ausgeführtes,
überaus anschauliches und zuverlässiges Kulturbild vergangener Zeiten bieten.
Im Auftrage des »Vereins für Hamburgische Geschichte«, der in dem
Verstorbenen eins seiner verdientesten Mitglieder verloren hat, veröffentlichte
R. iSSq Harbarossas Freibrief für Hamburg vom 7. Mai 1189. Festschrift
zum siebenhundertjährigen Gedenktage , eine I'ublikation, die eine lebhafte
literarische Fehde über die Echtheit der in Frage kommenden Urkunde her-
vorrief.
Während des letzten Jahrzehnts seines Lebens pflegte R. mit besonderem
Eifer das Gebiet der hamburgischen Schul^zosi hichte Die erste Frucht seiner
ausgedehnten Forschungen war seine »Geschichte des hamburgischen l'nter-
richt>wesens , welche die Fntwicklung der hamburgischen S( hulen zum ersten
Male im Zusammenhang .schildert. Sie wurde den 1 eilneliinem der deutschen
Lehrerversammlung, die Pfingsten 1896 in Hamburg tagte, als Festschrift
überreicht. Sein letztes größeres Werk »Carotine Rudolphi. Eine deutsche
Dichterin und Erzieherin, Klopstocks Freundin« (Hamburg und Leipzig 100^),
(las zum hundertiiüirigen Toflestage des Messiassängers erschien, behandelt
in eingeheniler untl liebevoller Weise tlie I.ebensgeschichte jener hamiuirgi-
schen Schulvorsteherin, deren Name, heute last vergessen, vor hundert Jahren
weit über Hamburgs Grenzen hinaus einen guten Klang hatte.
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270
Radiger. Eckennann.
\ t^l. Hauibui^er Nachrichten, 2. Morg.-Aut|;. v, 14. Januar 1904 (^Nckrul<>|r v. G. Lcii-
bSuscr): s. Morg.*AiM^. v. 16. Januar 1904. — Hamburgbchcr Conespondent« Morsr.-Ansg:.
V. 13. Jan. 1904. Mittcilun/fcn des Vereins für Hambuijpache Geschichte, Bd. S. jj?. 24.
1904, S. 3.S5 S7. — Das literarische Echo, )g. 7, Hh. 5. v. 1. Dezember 1904 ( F. MuDckrr.
Caroline Kudolphi). Joh. Sass.
Eckermann, Christian Hinrich, Landcsbaurat der Provinz Schleswig-
Holstein, * 30. November 1833 in Elmshorn, f 8. Juni 1904 in Kiel. — Seine
SchuII)il(Iiing empfing E. in der Volksschule und in dem Privatinstitut de<-
Dr. Stössiger in Flmshorn. Seit 1850 lK r( ittte er sich in Dithmarschei
praktisch auf den Landniesserberuf vor und bestand im Frühling 1856 das
I>andniosstTf\ainen in Kiel. In den l)eidcn f«iluenden jalnen war er bei
(Jen Kindciciiungsiirbeiten und Slromvermessungen in Norilerdithinarschen
beschäftigt. Von 1858 bis 1860 besuchte er das Polytechnikum in München,
arbeitete von 1861 — 1864 als Ingenieur im holstein-lauenburgischen Deich-
und Wasserbauwesen und wurde im Herbst 1864 ^Is Kgl. Wegebauinspektor
in Husum an<(cstellt. Hier lernte er 1 hcndör Storm kennen, un<! aus der
Bekanntschaft entwickehe sich eine Freundsc haft fürs Lelien. Als Storm den
»Schimmelreiter« schrieb, fand er in allen technist hen, den Deichbau be-
treffenden Fragen in dem Freunde einen sachkundigen Berater. Am i. Apni
1869 wurde E. zum Kreis-Baubeamten für Norderdithmarschen ernannt and
verlegte seinen Wohnsitz nach Heide. Nachdem er im September 187 1 den
Amtsciiarakter als Königlicher Bauinsi)ektor erhalten hatte, trat er am
i..'\j)ril 1S76 als \\egel)auins])ektor in den Dienst der Provinz, die ihn iSq.;
als Lanflesbaurat in die Provinzialverwaltung nach Kiel berief. Kernen
besseren Händen konnte die Leitung des gesamten Wegebauwesens anver-
traut werden, für dessen Förderung und Ausgestaltung £. bis in seine leiste
Leidenszeit hinein unermüdlich tätig gewesen ist.
Doch nicht in dem, w.is er als Beamter geleistet hat, liegt seine eigent-
liche Bedeutung. Sie ruht in dem stillen, aber um so tieferen Wirken, das
von seiner l'er'^oIdicllkeit ausging. Fr war ein durchaus aufrechter C harakter,
aufrecht bis zum äuUersten. Dieser Grundzug seines Wesens im Verein nut
auflerordentlichen Geisteskräften verlieh ihm jenes Übergewicht, um dessen
willen er im ganzen Lande hohes Ansehen und das unbedingte Vertrauen
der Besten genoli. Sein Rat wurde viel begehrt. Der weite Blick, mit dem
er überall den großen Zusammenhang der Dinge sah, sein scharfer Verstand
und sein reiches, alles Menschliche so tief verstehendes (Jemüt ließen ihn
auch in schwierigen Fragen das Rechte treffen, wahrenti seine warme Hcrzens-
freundlichkeit und sein erquickender Humor ihm aller Herzen gewann. Eine
Natur von wahrhaft großer Schlichtheit, allen äußeren Ehren abhold, suchte
und fand er den Wert des Lebens einzig im Geistigen. Von Jugend auf ei^
füllte eine starke Liebe zur Heimat sein Herz —
0 graue Woge, o grüner Strand,
(^l)er alles mir teures Vaterland
In seinen MulUstunden trieb 1'^. mit X'orliebe historische Studien. Mit
tiefdringendem, (irund und holge der Ersc heinungen scharf erfassendem V er-
ständnis verfolgte er die groUen Wandlungen in den Geschicken Schleswig-
Holsteins und Deutschlands, die so nahe miteinander verknüpft waren« Mit
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Eckemuum. Brosius. Holxmann.
271
I^uiicl und Leuten aufs engste vertraut, war er vor allem ein jiründlirher
K.enner unserer Provinziulgescliichte, die er durch eine Anzahl eigener wert-
voller Forschungen bereichert hat. Sie beziehen sich durchweg auf die
Oeschichte der Eindeichungen an der schleswig-holsteinischen Westküste und
sind in verschiedenen Bänden der »Zeitschrift der Cesellschaft für Schleswig-
Holsteinische Geschichte« erschienen. F.s handschriftlicher Nachlaß wird in
der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliotheic zu Kiel aufl)ewabrt.
V;;!. Zcit-chrift d. Go^cllschnft f. Srhlosw.-Hulst. (k-sohichte, Hii. 34, 1904. S. 187
l>is 189 ^^Nekrolug nebst Schriftenverzeichnis). — Kieler Zeitung, Ab.-Aus^,'. v. S.u. 13 Juni
1904.. — Albeiti, Schriftstellerlexikon, 1866— 1882, Bd. i, S. 147. Joh. Sass.
Brosius, Ignaz, Kgl. preuß. Eisetihalindirektor, * 2q. Juli 183.S zu Hurg-
steinfurt, f 31. August iqo4 in Hannover. — H. hatte sich wissenschattliih
und praktisch für den Kiscnbahnmaschinendienst ausgebildet — wissenschaftlich
am Polytechnikum in Zürich, praktisch als Schlosser in der Eisenbahnwerk-
stAtt in Paderborn und als Lokomotivführer in Altenbecken, Holzminden und
Paderborn. Mit Koch, seinem langjährigen literaris( hen Mitaihcitrr. k un er
im Jahre 1865 als Ingenieur zur Westfälischen F.isenbahn, sj)äter als .Maschinen-
meister nac h Hannover, 1883 als X'orstand des niaschinentechnischen Hureaus
nach Magdeburg, wo er bis 1885 blieb. Nach mehrjähriger Beschäftigung
bei verschiedenen Betriebsämtern wurde er 1890 zum £isenbahndirektor
ernannt und 1891 zum Vorstand der Eisenbahn-Hauptwerkstatt Breslau berufen:
schon im nächsten Jahre erfolgte seine Versetzung nach Harburg und 1895
seine Pensionierung. Kr kehrte nach Hannover zurück, wo er denn auch
sein Leben heschloU. H. ist besonders bekannt geworden durch seine Werke;
»Die Schule des Lokomotivführers« und «Der äußere Eisenbahn-Betrieb«;
beide schrieb er gemeinsam mit R. Koch; viel verbreitet sind sein »Illustriertes
Wörterbuch der Eisenbahnmaterialien« und seine »Reiseerinnerungen an die
Kisenbahnen der Vereinigten Staaten von Nordamerika«; die »Schule des
Lokomotivführers« hat bisher zehn Auflagen erlebt. A. Birk.
Holzmann, Philipp, Haurat, * 10. Dezember 183O zu Sprendlingen bei
Frankfurt a. M., f 14. Mai 1904 zu Frankfurt a. M., ist der bekannte Gründerund
langjährige Leiter des Baugeschftfts Philipp Holzmann u. Co. in Frankfurt a. M.,
das sich durch seine großen techni ! 11 1'. lutm in Deutschland, Österreich, in
der Scliweiz und in Holland und durch den Bau der Anatolischen Kiscnhahn,
wie auch durch die Mitwirkung bei den .\usstellungen in Chicago und Paris
einen Weltruf erworben hat. H. hat in Darmsiadt und Karlsruhe stuiliert
und sich im Baugeschäfte seines Vaters praktisch ausgebildet Im Jahre
1864 übernahm er selbst in Gemeinschaft mit seinem Bruder dieses Geschäft und
führte es nun in stets aufsteigender Linie .seiner gegenwärtigen Bedeutung zu.
H. besaß einen weiten Blick für große, zeitgemäße rnternchmungen, Geschick-
lichkeit in der Wahl seiner Mitarbeiter und Heainten. gründliche Kenntnisse
in allen Zweigen der rechnik und dabei besondere Liebenswürdigkeit und
Hilfsbereitschaft. Er war zuletzt Vorsitzender tles Autsichtsrates .seiner Firma,
der er sein tatenreiches Leben so erfolgreich gewidmet hatte. A. Birk.
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272
von Schttbler. von Pichler.
Schüblcr, Adolf von, kaisorl. (loh. Kegieruiigsrat a. I)., * 20. Juli 182Q zu
Stuttgart, f 14. Januar 1904 ebciula, erwarb sich durch seine schnitstelleriNche
Tätigkeit auf bantechnischem Gebiete einen hervorragenden Namen. Sch.,
dessen Vater Bergrat in Stuttgart war, hatte daselbst das G3minasium und
die polytechnische Schule besucht, ging dann nach Karlsruhe, um Redten-
bach zu hören und wandte sich zunächst dem Eisenl)ahnbau in Württcmherji
und in der Scliweiz zu. Studienreisen nac h Krankreich und Helgien erwei-
terten seinen fachlichen lilick und erweckten sein Interesse für Brückenbau,
das sich in der — gemeinsam mit dem nachmaligen Professor Fr. Laissle in
Stuttgart unternommenen — Herausgabe eines groflen Werkes Qber Brücken-
bau dokumentierte; dieses in vieler Beziehung grundlegontle Werk machte
den Namen des jungen Mannes sofort in weiten Fachkreisen l)ekannt. N'ach-
dejn Srh. zwei Jahre liei Hrückenbauten in l'ngarn beschäftigt gewesen war.
tr.it er if>5g in den württenibergischen Staatseisenbahndienst, in dem er bis
zum deutsch-französischen Kriege verblieb und zahlreiche Neubauten leitete.
Im Jahre 1870 wurde Sch. Eisenbahndirektor und Mitglied der Kaiserlichen
Generaldirektion der Eisenbahnen in Strafiburg; in dieser Stellung entfaltete
er eine ungemein lebhafte und farhb< h ersprießliche T&tigkeit bei dem Aus-
bau der wichtigsten fiahnhöfe und W ( rkstättenanlagen dieses fJahnnctze>-,
sowie beim Hau neuei Net)enbahnen und der besonders wichtigen Krzbahnea
in Luxemburg, für welclien Direktionsbezirk ihm das technische Dezernat
Übertragen worden war. Schon im Jahre 1872 hatte Sch. eine größere
Abhandlung über Nebenbahnen erscheinen lassen, in der er die große wirt-
schaftliche Bedeutung derartiger Bahnen eingehend nachwies. Dieser S( hrift
folgten im »Zentralblatt der }?auverwa!tung und in der Zeits« lirift für Hau-
weseu' l'ntersuchungen iilii f die Widerstantlc der Eisenbahnfahrzeuge im wa^'-
reciiten (Jieis (1S81), ui)ei den Jkgriff der virtuellen Langen (18S4 — eine sehr
bemerkenswerte Studie), über die Bestimmung der Festigkeitskoeftizienten IßT
Eisenbauten (1885, gemeinsam mit Laissle), über die Gefällverhftltnisse auf Ablauf-
gleisen ( 1 888), über die Berechnung von Eisenkonstruktionen (i 889, in Verbindung
mit Laissle), über die Dauer von pjsenbahnschienen aus hartem und weichem
Stahl ( iSo.O "'i*^' über den Kintluß der Steigungsverhältnisse (iSo^). Körper-
liclie I.eidiii zwangen S( Ii., der 1.SS7 den Charakter als (ieheinier Kegierungs-
rat erhalten liattc und dem hohe wiirttcmbergische und preuÜische Auszeich-
nungen, u. a. auch der persönliche Adel verliehen worden waren, schon 1897
in den Ruhestand zu treten. Seine literarischen Arbeiten zeugen gleich seiner
praktischen Tätigkeit für umfassendes Wissen und seltener Arbeitsfreudigkeit
— dagegen seheint es ilim im dienstlichen Verkehr, trotz seiner vornehmen
Gesinnung, versagt gewesen zu sein, die Zuneigung seiner Mitarbeiter und
Untergebenen zu gewinnen.
»Zentralbl. der Bauverw.« 1904, S. 36. .\. Birk.
Pichler, Max Ritter von, k. k. Sektionschef, * 2. November 1839 zu Wien,
f 30. Mai 1904 ebenda. — Nach Zurücklegung der technischen Studien trat
P. im Jahre 1S61 in (le:i Dienst der <")-,terr. Ungar. Staatseisenl)ahn-( ieseilsehaft,
wo sieh seine ungewcihnliehe teehiUM he unfl organisatorische Begal)ung sehr
bald Bahn brach und durch Berufung auf einen wichtigen Posten anerkannt
wurde. Dennoch verließ P. diese Bahngesellschaft und trat als Zentral-
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von Picbler. von Ott
273
inspcktcir in den Dienst der unfrarisch-^alizischen Eisenbahn (187 1), deren
V'erkehrsdienst er organisierte und deren gesamte \'cr\\altung er als Direktor
bis zu der im Jahre 1889 erfolgten Verstaatlichung leitete; in dieser Eigen-
schaft wurde ihm 1878 der Titel eines Regierungsrates, 1883 der Orden der
eisernen Krone III. Klasse, im selben Jahre der Ritterstand und 1884 der
Titel eines Hofrates verliehen
Mit dem t^hertritt in den Staatseisenbaiindienst eröffnete sich ihm sehr
bald durch seine Krnennung zum Vorstande der neugeschaffenen Lokalbahn-
abteilung ein ergiebiges Gebiet organisatorischer Tätigkeit, das sich noch
erweiterte, als er im Jahre 1896 mit der Leitung der technischen Sektion des
Eisenbahnministeriums betraut wurde. In dieser Stellung fand er vollauf
Gelegenheit, seine auf allen Gebieten des Eisenbahnwesens gesammelten
Erfahrungen und seine Kenntnis der Details der einzelnen Zweige desselben,
namentlich jener des technischen Verkehrsdienstes nachdrücklich und erfolg-
reich zur Geltung zu l)ringen, auf das richtige Ineinandergreifen der Tätig-
keit der ihm unterstellten technischen Ressorts und auf die zielbewußte
Ztisammenftissung ihrer Funktionen mit kundigem Blicke hinzuwirken und
die durch den Verkehrsaufechwung gebotenen Reformen mit weiser Energie
durchzuführen. Auf seine Anregung und ^^ir \irkung sind zurückzuführen:
Die Einführung der /ugfolgc im Raumabstaiul, ilie einheitlichen Bestimmungen
für die Bauart der Betriebsmittel, die Verbreitung der selbsttätigen Bremse
usw. Seine umfangreiche Wirksamkeit fand in der Verleihung des Eisernen
Kronenordens II. Klasse und des Kommandeurkreuzes des Leopoldordens
Allerhöchste Anerkennung. P. war auch literarisch tätig und hat in verschie-
denen Zeitschriften wiederholt Abhandlungen betriebstechnischen Inhaltes
veröffentlicht. Er war ein außerordentlich lauterer und liebenswürdiger
Charakter, der streng gegen sich selbst, immer nachsichtig gegen die l ehler
Anderer war und die Verdienste seiner Mitarbeiter stets freuflig anerkannte.
Wochcnschnit tür den öfTcntlichen Baudieust 1904, S. 484; mit Hild. A. Birk.
Ott, Karl Edler von, Regierungsrat, * 18. April 1835 in Chotka bei
Kiritein (Mähren), r 23. August 1904 in Brünn — ein Mann, der in den
weitesten Kreisen der Ingenieure Österreichs als Lehrer verehrt und geschätzt
wurde. Der Sohn eines Kürst Lichtenstoinschen l-Tirstcrs, al)s<)lvierte er die
Oberrealschule und die Technik in Wien, erwarb die Lehrbefähigung für
Physik und Maschinenlehre, darstellende Geometrie und Stenographie an
Oberrealschulen und wurde am i. Oktober 1856 Supplent an der Oberreal-
schule in Olmütz. Vom Februar z86a an wirkte er als Professor an der
deutschen Oberrealschule in Prag, von wo er bei der Gründung der zweiten
deutschen Oberrealschule daselbst (1873) als Leiter beziehungsweise Direktor
an diese übertrat. Hier wirkte er bis zu seiner Pensionierung (1900) mit
größtem Erfolge. O. war im Jahre 1864 als honorierter Dozent für Bau-
mechanik an die deutsche technische Hochschule in Prag berufen worden
und Obte diese Lehrtätigkeit bis au seinem Tode aus, der ihn plötzlich in
voller Rüstigkeit auf einer Reise nach Brünn ereilte. In Anerkennung seiner
hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete des Nfittelschuiunfcrrichtes
wurden ihm wiederholt ehrende und auszeichnende Anerkennungen zuteil.
O. war auch literarisch erft)lgreith icätig; am bekanntesten sind seine »Bau-
Bingr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. Hd. 18
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274
von Ott. Weitbvecht.
mechanik «, die zum Teile schon in dritter AuHage, und seine »Graphische
Statistik«, die bereits in vierter Auflage erschienen ist und in fremde Sprachen
übersetzt wurde. Ein grofier Naturfreund und leidenschaftlicher Jäger bewahrte
er sich bis su seinem Tode geistige Frische und Regsamkeit, seinen Schiklem
bra« lue er stets großes Wohlwollen entgegen und ein lebhaftes Interesse, das {
auch über die Hochschule hinaus andauerte.
Wochenschrift für den ötVentlichen Haudien^t 1904, S. 675. A. Birk
Weitbrecht, Karl, Dichter und Literarhistoriker, * 8. Dezember 1847 in
Neu-Hengstett, f 10. Juni 1904 in Stuttgart — Geboren als Sohn eines
Pfarrers in dem Waldenserdorf Neu-Hengstett bei Calw im württeinbergischen
Schwarzwald, wurde W. frühe zum Theologen bestimmt und erhielt seine
Ausbildung im niedern theologischen Seminar in Blaubeuren, von 1865 an
im »Stift« in Tid)ingen. Nach einigem Schwanken, ob er nicht zu einem
andern Fach übergehen solle, blieb er, dem Wunsch der Eltern entsprechend,
schliefllich doch bei der Theologie, da die Mittel zum Studium aufieriialb
des Stifts fehlten und er dort außer Theologie nur klassische Philologie hätte
studieren können; zu dieser aber hatte er ^ungefähr gerade so viel oder
wenig Neigung wie zur Theologie . Im Herbst 1869 erstand er das theo-
logische Examen und fand nun an verschiedenen Orten Württembergs
unständige Verwendung im Kirchendienst. In dieser VMkariatszeit entstanden
1870/71 seine »Lieder von einem, der nicht mitdarf«; wettere Gedichte
Weitbrechts, poetische Stimmungsbilder zu Zeichnungen von Hugo Knorr,
erschienen 1873 in dem Prachtwerk Was der Mond bescheint«.
Kiiie feste Anstelhln^^ die ihni die Hegründung seines Hausstandes erlaubte,
erhielt er 1874 als zweiter Stailt|)farrer in Schwaigern bei Heilbronn. Dje
12 Jahre, die er in dem stillen Landstädtchen zubrachte, verliefen ohne
bedeutendere äufiere Anregung oder Abwechslung, aber sie waren reich an
innerem Erleben und der gröfiere Teil seiner dichterischen Produktion fÜU
in diese Zeit. Sein »Liederbuch < erschien, jedesmal vermehrt, in 3 Auflagen,
zuletzt (1880) unter dem Titel (iedichie . Mit Kduard Paulus zusammen
gab er 1883 ein Schwäbisches Dichterbuch heraus, in welchem das damalige
dichtende Schwaben ziemlich vollständig und zum Teil trefflich vertreten
war. Im Jahre 1876 übernahm er die Redaktion des »Neuen deutschen
Familtenblatts«, die er bis zu seinem Weggang von Schwaigern besorgte. In |
diesem Wochenblatt veröffentlichte er viele seiner Gedichte zum erstenmal,
vor allem aber eine ganze Reihe von Erzählungen, zum Teil unter dcni 1
Namen (icrhard Sigfrid. Außerdem schrieb er für das »Kamilienblait
neben anderem die ])olitische Wochenrundschau um! eine Reihe von volk.*»-
tümlich gehaltenen Artikeln über die Sozialdemokratie, die 1879 auch in
Buchform erschienen unter dem Titel »Was ist*s mit der Sozialdemokratie?»
Auch in »Kalendergeschichten« legte er den Beweis ab, daß er das Zeug zu
einem volkstümlichen Schriftsteller besaß, und noch im Jahr vor seinem Tode I
bereitete es ihm große Kreude, daß ihm für eine Kaleiulergeschichte der
vom ^>lvahrer Hinkenden Boten« aus«,'cs('hriel)eiie Preis zuerkannt wurde. |
Noch in den Anfang der siebziger Jahre fällt die Entstehung seiner
ersten Dialekterzfthlung »*s Burgamoiscfaters Hansjörg«, angeregt durdi die
in einem befreundeten Kreis aufgeworfene Frage, ob auch die schwäbische
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Weitbrecht.
Mundart sich eigne zu erzähleiuler Darstellung in der Art Fritz Reuters.
Bis dahin war das Schwäbische in Kr/.ahhingen nur im Munde der S])recl!en(ien
und zu deren Charakteristik verwendet worden, und auch hier mit Rucksicht
Auf die Allgemeinverständlichkeit meist nur in abgeschwächter, dem Schrift-
deutschen angenäherter Form; die Brttder Weitbrecht waren die ersten, welche
die Erzählung selbst in der Mundart gaben. Bald folgten dieser ersten Geschichte
weitere, die dann zusammen mit den Erzählungen seines jüngeren Bruders
"Richard als »fischichta-n aus-eni Schwc^baland < 1877 erschienen und
wiederholt aufgelegt wurden. i8<S4 folgten >Nohm6l Schwöbagschichta
der beiden Brüder, in denen Karl aber nur mit 2 Erzählungen vertreten war,
darunter die rührende Kindergeschichte »Vom Liste«.
Während sein Bruder Richard die Gattung der mundartlichen Erzählung
noch weiter pflegte, wandte sich Karl Weitbrecht nunmehr ausschließlich
der Krzählung in der Schriftsprache zu. Eine Anzahl der im Deutschen
Familienblatt erschienenen Erzählungen, flie als gesuntie X'olkskost Verbrei-
tung verdienten, .sammelte er itS84 in seinem »Geschichtenbuch«. Schon
1882 aber hatte er den Flug höher gewagt und unter dem Titel »Verirrte
Leute« sechs Novellen herausgegeben. 2885 folgte der ebenfalls im Familien-
blatt »uerst erschienene »Kalenderstreit von Sindringen , dessen Inhalt zum
Teil auf handschriftlichen Quellen beruhte, und 1886 die Noveliensammlung
»Heimkehr '.
Außer diesen Büchern fallen in die Pfarrzeit noch einzelne angedruckt
gebliebene Dichtungen, wie die in der Reformationszeit spielende Erzählung
in Versen »Magister Ludwig« und aufier einer Anzahl unvollendeter Dramen
und einem kleinen Lustspiel das Trauerspiel -Sigrun«. So erweisen sich
diese Jahre des Pfarramts als die produktivste Zeit seines Lebens. Sie waren
aber auch eine Zeit der Erweiterung und Vertiefung seiner literarischen,
philosophischen und theologischen Kenntnisse. Die Überzeugungen, welche
üich durch diese Studien immer mehr in ihm befestigten, brachten ihn in
tiefen inneren Zwiespalt mit dem ihm obliegenden kirchlichen Amt, der in
manchen seiner Gedichte ergreifenden Ausdruck gefunden hat und auch zu
Reibungen mit seinem nächsten kirchlichen Vorgesetzten führte, so dafl er
sich mehr und mehr hin.ui^sehnte aus einer ihm zur Qual gewordeiu-ii T aue
So ergriff er mit Freuden die Gelegenheit, aus unbefriedigenden V'erhait-
nissen wegzukommen, als sich ihm 1886 die Möglichkeit eröhnete, nach
Zürich überzusiedeln als Rektor der höheren Töchterschule und des Lehrerinnen-
seminars. Frei von kirchlichen Verpflichtungen hatte er dort in der Schule
beim Großmünster Unterric ht zu erteilen in deutscher Sprache und Literatur,
sowie in Pädagogik. Nach der Enge aller Verhältnisse seines bisherigen
Wirkungskreises atmete er auf, als ihm vergönnt war, in (his anregende
Leben der auch in landschaftlicher Hinsiiht bevorzugten Stadt einzutreten.
Die freiere Luft, in der er sich in der Schweiz bewegen konnte, tat ihm
Oberaus wohl, und es ist kein Zweifel, dafl er ihr viel verdankt Von
dichterischen Werken veröffentlichte er in diesen Jahren 1890 die Sammlung
»Sonnenwende«, die außer neuen (",cdi( liien das Trauerspiel »Sigrun« enthielt,
und 1892 die in Zürich entstamlene Thaläna mit dem satirischen Anhang
»Seefahrt . Hetleutete die ( bersiedeliuig nach Zürich für W. unzweifelhaft
eine außerordentliche Förderung, so war doch seine Lage bei den an sich
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276
Weitbrecht.
schon und vollends für eine grolie Familie ^ehr bescheidenen Gehalts-
verhältnissen nicht völlig befriedigend. Dazu kam, dali er, der Stock-
sdivabe, eben ganz und gar in seiner Heimat warselte und wirklich engere
Beziehungen nur mit seinen Freunden in Schwaben unterhielt. So war es
wiederum eine erwünschte Wendung seines (icschicks, als W., der sich im
Herbst 1892 am Züricher l'olvtechnikum habilitiert und mit einer Antritts-
vorlesung über Die Nil)elun^a-n im modernen Drama eingefülirt hatte, aui
den um dieselbe Zeit durch den Hingang von Julius Klaiber erledigten
Lehrstuhl für Ästhetik und deutsche Literaturgeschichte an der Technisdien
Hochschule in Stuttgart berufen wurde.
Im Frühjahr 1893 begann er hier seine Vorlesungen, die auch von
Zuhörern aus der Stadt stark ))osu( lit waren. Kr behandelte vornehmlich die
klassischen Dichtungen des Mittelalters, die Literatur der Reformationszeit,
Lessing, Goethe und vor allem Schiller und die Literatur des 19. Jahrhunderts;
außerdem hielt er Vorlesungen über die Ästhetik der Dichtkunst und Ein-
führung in die Ästhetik, sowie Redeübungen. Als Früchte seiner Studien
für diese Vorträge veröffentlichte er in der Folge eine Reihe literarhistorischer
und ästhetischer Schriften. Wie in den Vorlesungen so erwies er sich auch
in diesen als ein Mann der ausgesprochensten Sympathien und Antipathien,
(lie er mit starkem Wort zu vertreten liebte. Daü er in diesen Schriften
herrschenden Zeitströmungen entgegentrat, trug dazu bei, ihnen mehr oder
minder den Stempel von Kampfschriften aulzudrücken. Dieser Charakter
prägte sich noch schärfer aus durch den energischen Gang und Klang seiner
Prosa, der man anfühlt, daß hinter ihr ein Mann steht unrl nicht ein bloßer
Schreiber. Sie gch()rt zu der l)esten aus neuerer Zeit; klar und bestimmt
schreitet sie vorwärts und in veranschaulichenden Bildern und treffenden
Vergleichen verrät sie die dichterische Anlage des Verfassers.
Das erste dieser Werke »Diesseits von Weimar. Auch ein Buch über
Goethe« (189s) lieft schon im Titel den Geist des Widerspruchs ver^firen.
»Wenn man den bestimmten und scharfen Eindruck davon haben will, was
der Genius der deutschen Nation mit Goethe und in Goethe wollte, so muß
man diesseits von Weimar bleiben. - Hier haben wir den Dichter Goethe,
wie ihn die Natur wollte und wie sein individuelles Naturell sich selbst wollte, ehe
der klassizistische Ästhetiker seiner Dichtung die Wege wies.« »Die ersten lo Jahre
in Weimar haben den Dichter um sich selbst gebracht, und als er sich selbst wieder
suchte, hat ihn — grob gesagt — die Antike übertölpelt« Unter diesem Gesichts-
punkt behandelt W. die »Diesseits von Weimar« entstandenenDichtungen Goethes,
nachdem er vorausgeschickt hat: Wer neue Forschungen nach der Methode
der modernen Goethephilolo^^ie erwartet, möge das Huch ungelesen la.s>cn.
Der Verfiusser ist ein altmodischer Mensch und memt, was man heute über
Goethe wisse, sei schon beträchtlich mehr, als man brauche, um ihn zu
verstehen.« Es geht nun freilich nicht an, die Entwickelung Goethes von
der f^bersiedelung nach Weimar an als eine Entgleisung, eine Abirrung von
der ihm eigentlich gewiesenen T?ahn zu bezeichnen, und die Kärrnerarbeit«
der zünftigen Goethegelehrsamkeit unserer Tage ' tlarf doch nicht so gering ein-
geschätzt werden, wie hier von W. geschieht. Allein wenn dies auch gesagt
werden muß, so wird ein unbefangener Leser des Buches doch nicht vcf^
kennen, dafi selbst in manchen zu weit gehenden Aufstellung«! ein gutes
*
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Weitbreeht
2;;
Stück Wahrheit steckt und daß hier über den Dichter (loethe ein Mann
virteilte, dem die Psychologie des dichterischen Schaffens nicht ein Buch mit
sieben Sie{];cln war und der sich gleich weit entfernt hielt von blofiem ästhe-
tischem Geschwätz wie von öder Mikrologie.
Sein nächstes Werk »Schiller in seinen Dramen ^ (1897), dem Schwäbischen
Schillerverein gewidmet, durfte sich ungeteilterer Zustimmung erfreuen, vor
allem in den Kreisen, die es begrüßten, auch einmal wieder ein entschiedenes
Wort für Schiller zu vernehmen, nachdem es lange genug zum guten Ton
gehört hatte, für Schiller nur uoch frostige Höflichkeit übrig zu haben. W.
Gehandelt hier Schiller als Tragiker, der »sich in seiner eigentünilu lu ii
Wucht und Größe nur dem Auge ganz offenbart, das ethische und ästlietisciic
Werte ungetrennt in Einem zu messen vermag«. Das Buch bleibt ein hoch
verdienstvolles Werk trotz einzelner Vorbehalte, die man da und dort wird
machen müssen. In einer Zeit des nervösen Feminismus wies es nachdrücklich
liin auf den Willensmenschen Schiller, eine Herrennatur im besten Sinne des
Wortes, dessen vielangefochtener Idealismus wesentlich auch darin bestand,
daß er die realen Lebensinteressen nicht unter dem engen (icsichtswinkel
<ies Alltags, der vorübergehenden Tendenzen einer kleinen Zeitspanne ansah.
In dem Buche »Schiller und die deutsche Gegenwart« (1901), einer Sammlung
von Reden und Aufsätzen, bejahte W. nochmals aufe energischste die von
mancher Seite verneinte Frage, ob Schiller für unsere Zeit noch etwas bedeute,
wenn er auch ruhig preisgibt, was auch an Schiller, wie an jedem Großen,
vergänglich ist, und (hirchaus nicht meint, Sc hiller müsse uns nun in seiner
dramatischen Technik und seinem dramatischen Stil schlechthin vorbildlich
sein. Es entstrOmt dem innersten Wesen W.s, wenn er ausfGhrt, wie das
deutsche Volk angesichts seiner Weltaufgaben gerade jetzt einen Dichter
brauche wie Schiller, zu dem es auch immer wieder zurückgekehrt sei, wenn
es ihm nottat, sich in seinen besten Lebenskräften zu sammeln zu energischer
Selbstbehauptung. In dem Ikuii Das deutsche Drama, (irundzüge seiner
Ästhetik (19"") legte er seine Anschauungen über dramatische Stoffe und
Charaktere, über Komposition und Sprache des Dramas nieder und setzte
sich dabei auseinander mit dem zeitgenössischen Drama. Den modernen
Zustandsbildem in dialogisierter Form spricht er die Bezeichnung Drama
überhaupt ab, da sie nicht »einen zum Spiel gestalteten Willenskonflikt«
vorführen. Das Werk ist reich an feinen Hinweisungen darauf, wo es dem
modernen Drama im innersten (Jrundc fehlt.
1901 erschien in der Sammlung Göschen in 2 liändchen eine 'Deutsche
Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts«, 1902 eine »Deutsche Literatur-
geschidite der Klassikerzeit«. Übersichtlich gruppiert werden hier, bei aller
Knappheit, Richtungen und Persönlichkeiten scharf umrissen vorgeführt in
straffer, klarer und frischer Darstell unp. Denen, die seine früheren Schriften
kannten, konnte es niclit uiurwartet kommen, daiJ er in der »Literatur-
geschichte des 19. Jahrhunderts« aufs bestimmteste und mit starkem ethischen
Pathos sich gegen die naturalistische und die neurasthenisdi dekadente
Literatur der neuesten Zeit wandte und gegen die Dichter, die keine wirklich
durchgebildeten ethischen Persönlichkeiten sind, denen die menschliche und
darum auch die künstlerische Wahrhaftigkeit fehlt. So sehr er aber im Recht
ist, wenn er vom Dichter inneres Anschauungsvennögen und schöpferische
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278
WeitbKcht.
Phantasietätigkeit und dazu tief innerliches Erleben des Lehm verlangt und
nicht aus bloß äußerlicher He()l);u htuim hervorgezogene Milieusc liildcrung, sa
erscheint sein l'rteil über (be neueste deutsche JJteratur do( h vielfach
allzu schroff. In herber Einseitigkeit verschlicüt er sein Auge gegen unzweiiei-
haft vorhandene Ansätze zu neuem Guten und auch gegen unleugbare Fort-
schritte in der Technik der Darstellung.
Durch diese literadiktorischen Schriften ist W.s Name außerhalb Württem-
bergs weit mehr bekannt geworden als durch seine eigenen Dichtungen. Er
war geneigt, seinem streitbaren Auftreten gegen die zünftige Behandluni^
der Literaturgeschichte und gegen die moderne Literaturbewegung einen
größeren Einfluß auf die Würdigung seines dichterischen, besonders seines
dramatischen Schaffens durch norddeutsche Kritiker zuzuschreiben, als tat-
sächlich angenommen werden darf, da auch die Aufführungen seiner Dramen
in der Heimat im wesentlichen das l'rteil bestätigten, daß seinem heißen
Ringen auf diesem Cebiet ein voller Erfolg nicht beschieden sein könne.
Nach verschiedenen dramatischen Versuchen und Entwürfen behandelte er
1884 in dem i rauerspiel »Sigrun^* einen Stoff, den er schon früher in einem
Zyklus von Gedichten gestaltet hatte. Zur AuffObrung gelangte das i8S<^
als Manuskript gedruckte Trauerspiel 1895 in Stuttgart, 1896 auch in Hannover.
Es versetzt die sagenhafte Handlung in das Jahr 9 n. Chr. und auf suevischen
Boden und ist der (iruppe der Hermnnnsdramen in weiterem Sinne bei-
zuzählen, (jewaltige Leidenschaften sc lireiten durch dieses Drama der Blut-
rache, aber trotz einer Reihe packender und auch bühnenwirksamer Szenen
vermochte der dem modernen Empfinden allzu fem liegende Gegenstand
tiefere Anteilnahme doch nicht zu erwecken. — 1895 vollendete W. ein IrQher
begonnenes Lustspiel in Versen »Dr. Schmidt«, das im Jahr darauf im
Berliner Schillertheater und im Stuttgarter Hofdieater aufgeführt wurde. Es
hat eine Episode aus Schillers .Aufenthalt in Oggersheim bei Mannheini zum
(Jegenstand. Schiller selbst bleibt fast ganz im Hintergrund; die Hauptfigur
ist ein Gewürzkrämer und Schillerenthusiast. Der Stoff, der freilich für ein
Lustspiel in 3 Akten doch zu wenig ergiebig war, bot W. Gelegenheit, das
Schwärmen für einen Dichter zu geißeln, das nicht fähig ist, etwas für ihn
zu tun und wenn er es noch so nötig hätte. Die Stimmung, aus der die
Novelle »Phaläna' erwuchs, hat hier in anderer Weise ihren Ausdruck
gefunden. 1896 97 schrieb W. das Trauerspiel » Schwarmgeister , das im
Jahre 1900 in Berlin und in Stuttgart zur Darstellung gelangte. Zugrunde liegt
derselbe Stoff, den Heinrich v. Kleist in seiner Erzählung »Michael Kohlhaas«
behandelt hatte und zu dem die von Burkhardt veröffentlichten Akten des
Kohlhaasprozesses neue Motive boten. Der Kampf des Kohlhaas um sein
Reclit wächst empor zu einem Kampf ums Recht überhaupt, so daß er als
\'ertrcter aller um ihr Recht Kämpfenden erscheint. Daß der Held immer
wieder von der hysterischen Wiedertäuferin Elsbeth angetrieben werden muß,
schädigt den Eindruck des Ganzen; doch übten bei der Aufführung einzelne
Szenen und besonders der 3. Akt eine starke Wirkung aus. — Sein letztes
Drama »Die Jagd im Schönbuch«, den Konflikt zwischen Herzog Ulrich
von Württemberg und Hans von Hutten behandelnd, einen Stoff, mit dem er
sich schon viele Jahre früher getragen, ist Manuskript geblieben.
Unbestrittener war sein Erfolg auf dem Gebiete der Erzählung. Seine
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Wehbrecbt. Koester.
279
Novellen, die eine nicht geringe Kraft künstlerischer Gestaltung verraten,
sind vielfach aus den äußeren und inneren Erlebnissen seiner Pfarrzeit heraus-
gewachsen, wie Das (Irab in der Reihe, Des liiklh.iucrs Lehrgeld^, Der
zerrissene Kirchenrock. >, die zu seinen besten Erzählungen gehören. Bei einzehien
mag der Verbreitung über die Heimat des Dichters hinaus das im Wege stehen,
dafi sie sich ganz in der schwäbischen Kleinwelt bewegen. Die Krone seiner
erzählenden Poesie ist die in Zürich entstandene Novelle »Phaläna«. Es ist
ein Lebensbuch, sein Lebensbuch ; auch wer das Autobiographische nicht
heraus^^ulesen weiß, wird sich dem Eindruck nicht entziehen können, daß
warmes Lebensblut hier schmerzlich verströmt. Die einzelnen Szenen und
Persönlichkeiten in dieser Geschichte der »Leiden eines Buches« sind aufs
anschaulichste gegeben; die Sprache ist bald mit beißendem Hohn getrSnkt,
bald mit der weichsten Stimmung, in die auch die eingestreuten prächtigen
Gedichte getaucht sind. — 1898 ließ er nach längerer Pause noch die
»Geschichten eines Verstorbenen« erscheinen, drei Erzählungen, die er einem
im Jahr zuvor verstorbenen Freunde in den Mund legte.
Sein Vermächtnis als Lyriker hat W. selbst in einem Band »Gesammelte
Gedichte« (1903) vereinigt. Mit großer Strenge gegen sich und vor allem
darauf bedacht, nur das fQr ihn Charakteristische au&unehmen, hat er aus
seinen frikher erschienenen Gedichtsammlungen unter HinzufOgung einiger
wenigen neueren Gedichte diese Auswahl /.usammenf^cstellt, die sich dem IJesten
der schwäbischen Lyrik des 19. Jahrhunderts an die Seite stellen darf.
Diese Gedichte erzählen uns von seines Lebens Ereuden und Enttäuschungen,
Kämpfen und Nöten, von seinem Lieben und Hassen, seinem Zweifeln und
Glauboi, seinem Hoffen und Entsagen. Es sind viele Töne und Tonarten,
die uns aus diesem Band entgegenklingen, doch hat seine Lyrik vorwiegend
einen starken metallischen Klang, von den schmetternden Trompetenstößen
seiner jugendlich vorstürmenrlen Kriegslieder bis zu dem ergreifenden, willens-
stark hervorgestoüencn Mainiruf an sich selbst: «An deine Arbeit, Mensch,
und hoch den Mut!«, mit welchem das Buch schließt, das seine letzte Gabe
werden sollte.
Denn die Krankheit, die er in diesem Gedicht nicht Wort haben wollte,
sollte ihn nicht mehr freigeben ; langsam aber unaufhaltsam griff das schwere
Leiden um sich. Im Schwarzwald hoffte er Wiederherstellung seiner zusammen-
brechenden Kräfte zu finden. Nach einigen Wochen trat jedoch eine plötzliche
V'erschlimmerung in seinem Betinden ein, so daß er als Sterbender nach
Stuttgart zurückgebracht wurde. In der Frühe des 10. Juni 1904 schlössen
sich für immer die einst so scharfen Augen mit dem eigentUmlidi funkelnden
Blick. Eine Säule mit seinem Reliefbild von der Hand seines Sohnes bezeichnet
W.s Ruhestätte auf dem Fragfriedhof in Stuttgart.
.^Schwäbische Chronik vom 13. Juni und 20. Juli 1904. — Deutsche Zeitung vom
II. Juni i904 (Karl Berger). — Tätliche Kundschau vom 30. Juni 1904 ( Th. Klaiber). —
Karl Weitbieeht (Reden am Grabe), Stattsart, Steinkopf, 1904. Otto Güntter.
Koester, Karl, Professor der pathologischen Anatomie in Bonn, * 2. April
1843 zu Dürkheim a. d. H., f 2. Dezember 1904. — K. studierte in München,
Tübingen und in Würzburg, wo er v. Recklinghausens Schüler und — nach
der 1867 erfolgten Promotion ~ .Vssistent war. 1869 dortselbst habilitiert.
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28o
Koester. Spiess. Stcmfeld. Bennccke.
wurde er 1872 als ordentlic iicr Professor tU r pathologischen Anatomie uiul all-
gemeinen Pathologie nach Gießen, 1874 in gleicher Eigenschaft nach Bonn
berufen. K. gehörte zu den angesehensten Pathologen der Neuheit Seine
Hauptarbeiten sind: »Entwicklung der Karsinome« (Wfinbarg 1869) — »Ober
tuberkulöse Gelenkentzündung« (Virchows Archiv XLVIII), Später veröfent>
lichte K. noch mehrere Abhaiullungen über 'I'uberkulose im allgemeinen, über
(lefälierkrank untren und die Kntstehun«^ des Aneurysmas, über clironische,
produktive Entzündung, Endokarditis, kompensatorische Hypertrophie, nament-
lich des Herzens und der Nieren, sowie die Monographie Ȇber Myokar-
ditis« (Bonn i888).-
Veigl. Viidiows Jahresbericht von i;k>4« If 470. Pagel.
Spiess, Alexander, Hygieniker zu Krankfurt a. M., * 6. April iS.^j;,
•f I. Februar 1904 daselbst. — S. war ein Sohn des hervorragenden Frank-
furter Arztes Gustav Adolf Spiess (1802 — 75). Er studierte in Göttingen, wurde
1856 Dr. med., wirkte 1859—83 als prakt Arzt in Frankfurt, seit 1883 als
Stadtarst, war außerdem ständiger Sekretär des Deutschen Vereins fQr Öffent-
liche Gesundheitspflege seit dessen Gründung 1873, redigierte seit 1866 die
»Jahresberichte über die Verwaltung tles Medi/.inalwesens der Stadt Frank-
furt« und die » Deutsc he X'ierteljahrsschrift für öffentliche (resundheitsptiege«,
1870 bis 1885 mit Varrentrapp, seit 1886 mit Pistor (Berlin). S. hat sich
besonders um die hygienischen Verhältnisse seiner Vaterstadt ein grofies Ver-
dienst erworben und zur Hebung der Gesundheitspflege auch als Wissen-
schaft in Deutschland durch seine erwähnte literarische und Vereinstätigkeit
sehr viel beigetragen. P'.s finden sich von ihm zahlreiche medizinisch-stati-
stische un<l hygienische Aufsätze in beiden genannten Zeitschriften, seit 1871
jährlich Repcrtorien der in- und ausländischen hygienischen Literatur in der
Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege u. v. a.
\vtg\. Virchows Jahresbericht von 1904, I, 480. Pagel.
Sternfeld, Alfred. Zahnarzt in München, ♦ 1858, f 15. Februar 1904, war
ein tüchtiger Literarhistoriker der Zahnheilkunde und einer der tüchtigsten
und bekanntesten Zahnärzte Münchens. Er veröffentlichte u. a. die Abhand-
lungen: Bißarten und Biüanomalien« sowie »Uber die sogenannte früh-
zeitige Extraktion des sechsjährigen Molaren«.
Vergl. Virchows Jahresbericht von 1904, 1, 481. Pagel.
Benneckc, Erich. Chirurg in Herlin, * 1S64 zu Karlsbcrg bei Mansfeld,
t 2. August 1904 in Berlin. — B. studierte seit 1883 in Halle, Marburg und
Berlin. 1889 approbiert, wurde er 1890 Assistent von Marchand in Marburg,
später bei König in Göttingen, mit dem er 1895 nach fierlin abeisiedelte,
um hier 1899 als Nachfolger des nach Basel berufenen Hildebrand die chir.
Poliklinik an der Charit^ zu dirigieren. 1902 wurde B. zum Extraordinarius
befördert. Kr starb an den Folgen der Blutvergiftung. B. publizierte: >fZur
Entstehungsweise der Kiefer-Cysten« (Diss. Halle 1801), Arbeiten über gonor-
rhoische Gelenksentzündung, über den feineren Bau der Kiefergeschwülste,
Unterleibshernien u. a. Für Unterrichtszwecke .schrieb B. einen Leitfaden der
chirurgischen Operationen. Pagel.
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Thierfelder. Bartels.
281
Thierfcldcr, Benjamin Theodor, Professor der Medizin in Rostock.
• am 10. Dezember 1824 in Meißen, f am 7. März 1904. — l. war ein
Sohn des bekannten, auch um die medizinische GeschichtspHege hochver-
dienten Meiflner Arztes Johann Gottlaeb Thierfetder (1799 bis 1867). Er
studierte seit 1846 in Leipzig, wurde daselbst Dr. fJül und 1848 I>r. med.
mit der Diss: Legis eibariae complurium nosocomiorum et ergastulonm praecipue
quantitath alimcntorum rattone habita inter se cimparatae*. war anfangs in Leip/it:
Arzt und Kustos der Univcrsitäts-Ribliothek, habilitierte sich 1850, wurde
1851 Assistent der medizinischen Klinik, 1855 Professor e. o. der Medizin in
Rostock, 1856 Professor ord., 1858 Medisinairat, x86o Ober-Medizinalrat und
ordentliches Mitglied der Großherzogl. Medizinal-Kommission, schliefilich Geh.
Medizinalrat, Direktor der medizinischen Klinik und Senior der Rostocker
medizinischen Fakultät. T. ftiorte 1S98 sein fünfzigjähriges Doktorjubiläuni.
Die 'l'itel einiger seiner literarischen Arbeiten sind: Broiwliitis crouposa^^
(Archiv für physiologische Heilkunde XII) — »Beiträge zur Lehre vom Typhus
mit vorzüglicher Berücksichtigung der Hautwärme der Typhuskranken« (Ib.
XIV) »Ein Fall von Leukämie« (Ib. 1856, zusammen mit P. Uhle) —
»Über die Harnstoffausscheidung im Diabetes mellUus^ (Ib. 1858) — »Gastro-
duodenalfistel infolge von corrosiv. Magengeschwür« (D, Arch. für klin. Med. IV)
u. a. m. Auch bearbeitete T. für v. Ziemssens Handbuch der speziellen Patho-
logie und Therapie (VIII, i. Abt.) den Abschnitt: »Physikalisch-diagnostische
Vorbemerkungen zu den Leberkrankheiten«. T. war ein tüchtiger Kliniker,
gleich verdienstvoll als Lehrer wie als Forscher.
Vergl. Virdiows Jahresbericht von 1904, I, 48t. Pagel.
Bartels, Max, Arzt und Anthropolog, * 26. September 1843 Berlin,
•}• 22. Oktober 1904. — B. war der Sohn des dirigierenden Arztes von
Bethanien, Geh. Sanitätsrates Christian August B. (1805 — 1872) in Berlin,
beabsichtigte anhmgs der Soldatenlaufbahn sich zu widmen, mufite ihr jedoch
aus Mangel an den erforderlichen körperlichen Eigenschaften entsagen. B. stu-
dierte Medizin in Berlin und erlangte daselbst 1867 die medizinische Doktor-
würde tnit der Di.ssertation : (^ber die Bauchhlascngenitalspalte, einen
bestiintntcn Grad der sogenannten ln\ (. rsion der Harnblase. i<S6.S a]i]»robiert,
bildete er sich in Wien weiter aus und trat 1869 als Assistent in Bethanien ein,
WO er bis 1872 verblieb, um sich dann in Berlin als Praktiker ansässig zu
machen. Er erlangte eine ausgebreitete Praxis und gehörte zu den ange-
sehensten und beliebtesten Ärzten Berlins. 1899 wurde er zum Geheimen
Sanitätsrat und 1903 zum Professor ernannt. Wissenschaftlich arbeitete B.
besonders auf dem (lebiete der Anthroiiologie. Kr veröffentlichte AbhandlunL'cn
über abnorme iieliaarung, geschwänzte Menschen u. a. Auüerdem gab er
von der 2. Auflage ab das bekannte Werk von Ploss »Das Weib in der
Natur> und Völkerkunde« heraus, das er bis zur 8. Auflage unter stets
steigender Erweiterung und Verbesserung in zwei .sehr voluminösen Bänden
mit Hunderten von Abbildungen fortführte. Das Erscheinen der 8. Auflage
(Leipzig 1905) hat er nicht mehr erlebt. Statt der \'orrede findet sich hier
ein pietätvoller Nekrolog aus der Feder des Sohnes von B., des ebenfalls
bereits mit geschätzten anthropologischen Arbeiten hervorgetretenen Dr. Paul
B., des gegenwärtigen Herausgebers des Werkes. — B. bekleidete zahlreiche
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282
Bartels. Beschomer. Cnyrim. Dietz. Emmingliaas.
Ehrenämter in fU-r (Icnicimlc, wie in mehreren wisscnsr]i;iftlirhen Kör])er-
schaften und machte sich auch um die Förderung der ärztlichen Standes-
Beschoraer, Oakw, Halsarzt in Dresden, * 20. Mftrz 1843, f nach langem
Leiden 27. JuH 1904. — B. studierte in Leipzig und Freiburg i. Hr., nahm
1866 am Fcldzugc teil, war Assistent von Walter und Fiedler in Dresden,
ließ sich hier i86g nieder, anfanpfs als allgemeiner Praktiker, widmete sich
dann in Wien der Kehlkopfsheilkunde unter v. S( hroetter und in Tübingen
unter v. Bruns und war einer der gesuchtesten Laryngologen, »der führende
Kehlkopfaret Dresdens«, auch kgl. sächs. Hofrat Er veröffentlichte mehrere
Abhandlungen als Vorträge, so über: Laryngoskopie, ein Vierteljahrhundert
Eigentum der praktischen Medizin 1883/84, über Husten, Heufieber, Baach-
rednerkunst, essentielle fibrinöse Bronchitis, Diagnose des T.ar}'nxkarzinoms u. a.
Vergl. \ irili(>\v> (Waldcycr-PoMicrs) Jahresbericht über Fortschritte und Leistuiif^en in
der g^esamtcii Medizin, von 1904, 1, 461. Pagel.
Cnyrim, Victor, Arzt in Frankfurt a. M., * 183 1, f 7. Juni 1904. —
C. studierte Medizin und erlangte in Wflrzburg die Doktorwürde mit einer
Dissertation über die entzündliche Zerstörung des 1 > iiterkieferknochens infolge
von Phosphorvergiftung. Seit 1857 Arzt lieü er sich in Krankfurt a. M.
nieder und war hier seit 1887 Chefarzt des Hospitals zum Heiligen Geist.
C. widmete sich mit großem Eiler den ärztlichen Standesange Icgenheiten,
und zwar im Sinne einer freiheitlichen Entwickelung. Namentlich bekämpfte
er die sogenannten Ehrengerichte . Er gehörte ZU den angesehensten und
beliebtesten Ärzten in Frankfurt a. M. C. verfaßte u. a. '>Kthische Forderungen«
und war ein kräftiger Förderer der Abstinenzlerbewegung.
V'irchuws Jalirobericht der jfcsamten Medizin von 1904, 1, 462. Pagel.
Dietz, Karl, Ober«Medü:inalrat in Stuttgart, i. September 1859
Calw, t 21. Mai 1904. — D. studierte in Tfibingen, erlangte 1883 die ärzt-
liche Approbation, war folgeweise A.ssistent der chirurgischen Abteilung am
Katharinen - Hospital in Stuttgart, Praktiker in Bietigheim, ging dann
zum Spczialstndiuni der Psyclii att ic u\>v\\ war bis 1 888 Assistent an der psychia-
trischen Klunk in Leipzig, bebuchie W ien, war auch Schill.sarzt, ordinierender
Arzt an der badischen Heil- und Pflegeanstalt Ulenau unter SchGle, erhielt
1895 die neu errichtete Stelle eines psychiatrischen Referenten im Medizinal-
Kollegium zu Stuttgart, erkrankte jedoch 11/2 Jahre vor seinem Tode an
einem schweren Leiden. D. veröffentlichte mehrere Arbeiten über Hirn-
erweichung, (Jeistesstorungen in der Armee im Krieg und Frieden, Rücken-
mark.scrkrankungen, Simulation u. a.
Ver^l. Virehows Jahresberidit der gesamten Medizin T«ni 1904, I, 463. Pagel.
Emminghaus, Hermann, Psychiater und emeritierter Direktor der Univer-
sitiäts-Irrenklinik zu Freiburg i. Hr., * 20. Mai 1845 zu Weimar, f am
17. l'ebruar 1904. — E. studierte in (iöttingen, Jena, Wien, Leipzig und gelangte
am 7. Juni 1870 zur Promotion mit der Dissertation : Ȇber das hysterische
Irresein.« Er widmete sich dann physiologischen Studien unter Ludwig in
intercssen verdient.
Pagel.
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Emminghaus. Dnsebe. von Burk.
283
Leipzig und habilitierte sich 1873 als Privatdozent in Würzburg, wo er über
klinische Propädeutik, medizinische Elektrizität und Psychiatric las. Von April
1880 wirkte er :ils ordentlicher Professor der Psychiatrie und Direktor der psy-
chiatrischen Klinik zu Dorpat. von Juli 1.S86 in gleicher Stellung an der l'ni-
versität Freiburg i. Br., zugleich als Medizmalreferent am Grolih. Landgericht
Freiburg. E. war ein bedeutender Psychiater. Neben zahlreichen auf das
Fach bezüglichen kasuistischen Mitteilungen veröffentlichte er eine »Allgemeine
Psychopathologie zur Einführung in das Studium der Geistesstörungen«
(Leipzig 1878), sowie Abhandlungen t^ber Kinder und l'nmündige, Schwach-
sinn und Blödsinn in forensischer Hinsicht ( Tübingen i8cS2), über 'Behand-
lung des Irrsinns im Allgemeinen« (Jena 1895, 2. Aufl. 1898) u. a. m.
Vcrgl. Vireliows Jaliresbericht von 1904, I, 465. Pagel.
Dräsche, Anton, Professor der klinischen Medizin und Hofrat in Wien,
* II. Juli 1826 zu Lobendau (Böhmen), f in Vöslau am 23. August 1904. —
D. studierte in Prag, Leipzig und Wien, erlangte 1851 die Doktorwürde mit
der Dissertation: »Bekämpfung der Cholera«, übernahm 1855 die Cholera-
abteilung im Wiener allgemeinen Krankenhause, habilitierte sich 1S58 als
Dozent für Epidemiologie, wurde 1873 Primarius am Rudolf-Spital, 1874 aufier-
ordentlicher Professor, war auch Mitglied des obersten Sanitäts- und Gemeinde-
rates der Stadt Wien und zog sich 1900 ins Privatleben zurück. D. war eines
der ältesten Mitglieder der Wiener Fakultät und veröffentlichte mehrfach preis-
gekrönte Schriften ül)er die ('liolera im Sinne der vorbakteriellen Anschauung,
lerner: Über den Eintluü der Hochquellenleitung auf die Salubrität der
Bevölkerung Wiens«, zahlreiche klinische Abhandlungen über Kaltwasser-
behandlung bei Typhus, Pathologie des Herzens, Chloralhydrat, Salizylsäure,
Antipyrin und war zuletzt Herausgeber eines Sammelwerkes unter dem Titel:
»Bibliothek des gesamten medizinischen Wissens.«
Vergl. Viichows Jahresbericht von 1904, I, 464. Pagel.
Burk, Karl von, Oberkonsistorialrat, Stiftsprediger, Prilat, Dr, thiol.t
* 19. Mai 1827 in Frauenzimmern, f i. Oktober 1904 in Stuttgart — Nach
rascher Absolvierung des Gymnasiums bezog B. früher als viele andere die
Tübinger Universität und hat hier mit dem theologischen auch fleißiges
humanistisches und pädagogisches Studium verbunden. Nachdem er sich
noch weiter in der Welt umgesehen, wurde er 1855 zum Diakonus und gleich-
zeitig zum Lehrer an der Lateinschule in Weikersheim berufen und 1862 zum
Pfaurrer und Bezirksschulinspektor in Schwftbisch-Hall befördert. Mit 40 Jahren
wurde er Dekan in Crailsheim, doch schon 4 Jahre darauf, 187 1, wurde ihm das
Rektorat am Landeslehrerseminar zu Efilingen übertragen. Aber auch hier
war seines Rlcibens nicht lange: 1873 wurde der bescheidene, aber hervor-
ragend tüchtige und vielseitig gebildete 1 heolog und Schulmaim als ()l)er-
konsistorialrat nach Stuttgart gezogen und da er auch als Prediger bedeu-
tendes leistete, trat er 1879 in der Nachfolge des Prftlaten Kapff in die
Stiftspredigerstelle ein. Eine weitreichende Tätigkeit im Dienste seiner
Landeskirche und dc^ Württemberger Volksschulwescns ist ihm zu danken.
Daneben fand er doch noch Kraft und Muße zu gediegener schriftstellerischer
Arbeit: einer Biographie Philipp Jakob Speners (1864) folgte ein Leben Luthers,
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284
von Burk. Kariowa.
das 1888 in dritter Auflage ersrhcincn durfte; 188;^ eine Sainmlung »Eviingelien-
predigteii^ ; 1885 eine »Geschichte der i hristlichcn Kirche bis zu ihrer
Ptianzung auf deutüchem Boden«, eine kundige Darstellung der 6 ersten
christlichen Jalirhunderte. 18971 zum 70. Geburtstage, ehrte ihn die theologische
Fakultät in Tflbingen durch Verleihung ihrer Doktorwürde. Sein letztes
Schriftchen galt speziell der Hebung des kirchlichen Unterrichts in Württem-
berg: Das wiirttiMn!)ergi<('he Konfirtnationsbüchlein als Gruntllage für den
Konfirmandenuntcrrirht des (Icistli( hen (iSq8). Mit Beginn des neuen Jahr-
hunderts trat er von seinen zahlreichen, arbeitsvollen Amtern in den Ruhe-
Stand, dessen er sich noch 4 Jahre in beneidenswerter geistiger und körper-
licher Frische erfreuen durfte. Zuletzt aber führte eine Reihe von Schlag-
anfällen ihn dem stillen Ende zu. Kohlschmidt.
Kariowa, Dtto. Romanist, * 11. Kebruar iHjjf) /u Hückeburg, f Januar
1904 zu Leipzig. — Die i amiiie war böhmischer Herkunft; wegen Glauben.s-
verfolgungen verließ sie im 16. Jahrhundert die alte Heimat und wandte sich
nach Niedersachsen. Den ursprünglichen Namen Capaun von Klariowa legte
der Vater, fürstlicher Regierimgsrat in TUickeburg, später Oberappellationsrat
in Wolfenbüttel, für sidi inid die Nachkommen ab und nahm den N'anien
»Kariowa« an. Die Mutter Sojjhie Kariowa, geb. 'i'hornten, war Holsteinerin,
doch englischer Herkunft. Von den fünf Söhnen war Hermann Karlowa
seinerzeit ein geschätztes Mitglied des Kgl. Schauspielhauses in Berlin. Eine
einzige Tochter fiberlebte alle ihre Brüder. Otto R. besuchte das Gymnasium
in Wolfenbüttel und studierte dann unter Francke, ßriegleb, Herrmann, Thöl
und Waitz Rechtswissenschaft und Geschichte in Göttingen, dann in Berlin
und Jena. Schon als Göttinger Student lieferte er eine gekrönte l'reisarf)eit
» Juris romani f>rhu if>ia de accessionibus posscssionu/n. ijuac in usucapiomhus rcrum
et in temporalibus praescriptionibus atqu€ in interäic/is possessoriis locum habtiU*
Gott. iSsSt bestand 1859 das erste juristische Staatsexamen und war eineinhalb
Jahre Auditor bei der Justizkanzlei in Bückeburg. Er promovierte dann in
Bonn mit der Arbeit »A- natura atque tndole lyvaW.^fjiTro;, quod cmptioni,
vendifioni cderisqtte obir^titionibus tniituis ine$<:e dintur*, B(^nn 1862. -\ls Privat-
dozent des r(")mis< hen Rechts in Bonn srhioli er sich namentlich an Böcking,
unter den jüngeren KollegUl an F. P. Bremer und Richard Schröder an. Im
Herlföt 1867 wurde er als ordehlicher Professor, zuerst als Nadifolger Wittes
für Zivilprozefl und Strafrecht, später % römisches Recht nach Greifswald
berufen, Ostern 1872 als Nachfolger von '%>lcischmidt nach Heidelberg, wo
er 31 Jahre lang die sämtlichen römisch-rechtliVitU) Vorlesungen, zuletzt auch
über die drei ersten Bü( her des deutschen B.G.B.s geOt'n hat. Fr veröffent-
lichte Heiträge zur Geschichte des römischen ZivilprozeS^A'^«, Bonn 1S65;
»Die Formen der römischen Ehe und Manus«, Bonn 1868; »DU römische
Zivilprozefi zur Zeit der Legisaktionenc, Berlin 1872; »Das RechElj^chäft
und seine Wirkung«, Berlin 1877; »Über die Rezeption des rOmfchen
Rechts in Deuts(hland, mit b^nderer Rücksicht auf Churpfalz«, ^W>-
rektoratsrede 1S7S, Sein hervorragendstes Werk »»Römische RechtsgeschichP*»
die Arbeit zweier Dezennien, ersc hien in zwei Bänden, Leipzig 1885 — i9or,
leider nicht ganz vollendet. Für tlie Festgabe zur Feier des 70. Geburtstages
Sr. Kgl. Hoheit des Groflherzogs Friedrich von Baden, dargebracht von
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Kariowa. Kahn. Demdhu.
285
<!en Mitgliedern der juristischen Fakultät der Universität Heidelbei|f,
schrieb er einen Beitrag ^ Intrn pomoerium und extra pomocrium. Ein Beitrag
zum römischen Staatsrecht», 1S96, einen weiteren über Thibaut für die
Heidelberger illustrierte Fest-Chronik > Rupcrtü- Carola« 1886 und »Miscel-
lanea« für die Heidelberger Festgabe für £. J. Bekker, Berlin 1899. Ein
Zeugnis seines tiefen Rechtsgefühles legte er ab in. der Schrift »Maria Stuarts
angebliche Briefe an den Grafen J. Botfiwell. Ein Beitrag zur Prüfung ihrer
Echtheit«, Heidelberg 1886, worin er seiner Ansicht nach geschehenes Un-
reclit aufzudecken bezweckte, (deiche Treue und Pflichtgefühl zeichneten
seine .sorgfältig ausgearbeiteten Vorlesungen aus. X'crheiratet seit 1873 mit
der Tochter des Leipziger Zoologen Lcuckart, liebte er behagliche Häuslich-
keit, großer Geselligkeit abgeneigt. Ebenso blieb er dem öffentlichen Leben
femstehend, in nationalliberalem Sinne allerdings seine Wählerpflicht ver-
sehend. Einige Jahre war er Mitglied des Bezirksrates. Von seinen Kollegen
war er .tIs edle und vornehme Natur hochverehrt, im engeren Kreise größte
Gastfreiheit gern übend. .\in Schlüsse des Wintersemesters 1902 3 mußte er
auf arzt liehen Rat die Vorlesungen aufgeben und erlag dann bei Besuch in
Leipzig einer sdiweren Krankheit, die in letzter Zeit seine Tätigkeit beein-
trächtigt hatte.
Nach gef. IffittciloiqEen von Herrn Pkof. Dr. R. Schröder in Heidcn>crg. - Deutsche
Juiisten-Zeitung 1904 S. 153. A. Teichmann.
Kahn, Franz, Kechtsgelehrter, * 2. August 1861 zu Mannheim, f 6. Dezem-
ber 1904 zu Heidelberg. — Er studierte in Berlin, Heidelberg, München,
Leipzig und Freiburg, lieferte 1883 die Preisarbeit »Zur Geschichte des
römischen Frauen-Erbrechts« (umgearbeitet T.eipzig 1884), mit der er sich auch
den Doktorgrad erwarb, l)estand 1885 und 1888 die badischen Staatsprüfungen
und begab sich nach Paris und London zu Rechtsstudien. Gesundheitsrück-
sichten zwangen ihn, auf die akademische Laufbahn zu verzichten. Kr wurde
Hil&richter in Karlsruhe, dann Amtsrichter in Bretten. 1891 mufite er krank-
heitshalber ausscheiden, machte im In- und Auslande Kuren, auch eine Reise
um die Welt und siedelte 1896 sich in Baden-Baden, 1900 in Heidelberg an.
Er hat sich in einer Reihe von gediegenen Abhandlungen um die Fortbildung
des internationalen Privatrechts, zuletzt um die Erörterung der Beschlüsse der
Haagcr Konferenzen verdient gemacht. In dieser Rit:htung sind zu nennen
die Beiträge zu Jherings Jahrbüchern Bd. XXX, XXXVI, XXXIX, XL, XLII
und XLin und zur Zeitschrift für internationales Privat- und öffentliches Recht
Bd. Vin, X, Xn, Xm und XV; dazu »Die einheitliche Kodifikation des
internationalen Privatrechts durch Staatsverträge«, Leipzig 1904.
Emtt Zitelmann in der Zeitschrift von Niemeyer XV x — 10.
A. Teichmann.
Demelins, Ernst, ordentlicher Professor des österreichischen Zivilrechts
und Rektor der Universität Innsbruck, 10. Juli 1859 zu Krakau als der
Sohn des Romanisten Gustav Demelius (1830 — 91), zufolge Hirnschlaiges am
Obergabelhorn der Schweizer Berge zu Tode gestürzt am 28. Juli 1904. So
tragisch endete die kurze, aber glänzende Laufbahn eines in den geistigen
Eigenschaften dem Vater sehr ähnlichen echt deutschen Mannes, dem die
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286
Demclius.
Universität Innsbruck die Wahrung ihres deutschen Charakters im heißen
Kampfe mit den stürmischen Bestrebungen der Italienisierung zu verdanken
hat. In erster Jugend wegen Kränklichkeit durch Privatunterricht heran-
gebildet, zeichnete er sich dann nach völliger (Gesundung als Turner und als
Gefährte seines Vaters auf Bergtouren in den nordsteirischen Bergen aus und
wandte sich mit Vorliebe und bestem Erfolge theoretischen wie praktischen
musikalischen Studien zu. Er bezog im Alter von i8 Jahren im Herbst 1877
<liL' l iiiversität (iraz heluils juristischer Studien. Juristischer Scharfsinn und
feine Dialektik zogen die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich, namentlich
von Kmil Stroiial und Alexaiuler ürawein, sodali tias Beschreiten der akademi-
schen Karriere in Aussicht genommen wurde. Am Ende des achten Semesters
stehend, ;«og er t.S8i mit seinem damals nach Wien berufenen Vater dorthin,
trat beim Lanilesgericht als Kerhtspraktikant ein, promovierte 1882 zu Graz
und war nach Leistung des Militärdienstes bei verschiedenen Gerichten zu Wien
und in Nieflerösterrcich tätig, bis er 1889 Gerichtsadjunkt in Mödling wurde.
Der (lerichtsdienst zog ihn sehr an. Er verheiratete sich mit Paula Baronin
Bach und widmete die Mulie ruhigen, häuslichen Lebens wissenschaftlicher
.Arbeit. Diese wandte sich damals hauptsächlich der Gestaltung des Zivil-
prozesses zu und so entstand dann sein erstes größeres Werk »Zur Lehre
von der Rechtskraft des Zivilurteils nach geltendem österreichischen Rechte
und <lem Entwürfe vom Jahre iSSr , Wien unrl Leipzig 1892, dem dann
folgten ' Kritische Studien zu den Gesetzentwürfen aus dem Jahre 1893, betr.
die Reform des zivilgerichtlichen Verfahrens in Österreich«, 2 Hefte 1894
und 1895, sowie Der neue Zivilprozeß für den praktischen Gebrauch erörtert
(Separatabdruck aus der 'Gerichtshalle< ) in 16 Heften 1898— 1902. Nach Ver
Setzung an das Wiener Landesgericht habilitierte sich D. 1895 an der Juristen-
fakultäl für österreichisches zivilgerichtliches Verfahren. InAbbazia geheilt von
einem nervösen Anfalle, konnte er 1S97 die erste .Abteilung eines groß angelegten
Werkes Das Pfandrecht an beweglichen Sachen nach österreichischem bürger-
lichen Recht mit besonderer Berücksichtigung des bürgerlichen Gesetzbuches
für das deutsche Reich • (Wien untl Leipzig) veröffentlichen, das von der Kritik
als eine wertvolle Leistung begrüßt wurde. Im Herbst des Jahres 1897 wurde
er als Nachfolger von Steinlechner nach Innsbruck als außerordentlicher
Professor berufen. Hier fesselte er sein Auditorium durch seine durchaus
moderne Darstellung des Privalrechts in Erörterung der Reformbedürftigkeit
des bürgerlichen Ge.setzhuches im N'ergleich mit dem neuen deutschen. Für
<len (Iruiulriß des österreichischen Rechts von Finger, Frankl und LHImann
behandelte er das Sachenrecht, Leipzig 1900. Nach erlangtem Ordinariat
führte er 1901 2 das Dekanat der juristischen Fakultät und wurde im Juni
1903 zum Rektor gewählt. Seine Rektoratsrede vom 30. Oktober 1903 be-
handelte sein Lieblingsthema ' Wirtschaftsentfaltung und Rechtsentwicklung
(Innsbruck). Seine Verdienste in diesem Amte wurden geehrt durch ein-
stimmige Neuwahl für ein zweites Jahr — das er freilich nicht antreten sollte.
Um von den Mühen des Amtes etwas auszuruhen, wandte er sich (wie schon
1902) nach der Schweiz, um in den Bergen frische Kraft für neue Arbeit zu
suchen. Begleitet von den erprobten Führern Josef TembI unti P. Dangl jun
aus l-"ulden, wollte er mit rlem CJeschwisterpaar von Ficker und stud. phil.
Th. Mayer des Innsbrucker Alpenklubs das Matterhorn am 28. Juli ersteigen:
Demelius. Oettweiler. 287
doch cnt-^cliied ni;ui sich schließlich für das Oberpabolh(irn. Schon be-
fand man si( Ii in einer Höhe von 4000 Meter nahe der Spitze, als sich ein
Felsblock vom Gebirgsstock löste und 1). samt Tembl in die Tiefe riÜ. Auf ileni
Gletscher fand man D. entseelt. Überall erregte die Kunde von dem schweren
Unglück, einem furchtbaren Schlag für Familie und Universitfi^ Trauer und
Teilnahme. Der Zug mit der Leiche passierte am 4. August Innsbruck, wo
auf dem Bahnhof eine ergreifende Trauerfeier stattfand. Eine weitere studenti-
sche fand am 30. November statt. Auf dem stillen evangelischen Friedlmfe
in Mödling wurde die irdische Hülle am 7. August beigesetzt. Aus den i)ei
jenen Anlässen gehaltenen Reden von Kollegen und Schülern (mitgeteilt in
dem unten genannten Nekrologe) kann man sich ein Bild von dem Wesen
und Wirken dieses Mannes gestalten, der namentlich auch auf musikalischem
Gebiete Treffliches geleistet hat.
Ernst Demelius, Sein T.ehen und Wirken 1904. '\'on Prof. Dr. Alfred
K. von Wretscbko, dzt. Dekan d. rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Univer-
sitiU lAMbntck.) Innsbruck. Verlag der Wagnerischen VniT.-BndihaBdlung 1905 (mit
BildnU). A. Teichmann.
Dettweiler, Peter, Geheimer Sanitätsrat, langjähriger Leiter der Lungen-
heilanstalt Falkenstcin im Taunus, • 4. August 1837 in Wintersheim a. Rh.,
T 12. Januar 1904 zu Cronberg am Taunus. Er starb nicht an den Folgen
seiner alten, länf^st schon j^eheiltcn T,unt,'entuberkulose, sondern an einer
plötzlichen Her/.lulnnung, der nur ganz geringe Erscheinungen von Unwohl-
befinden vorausgingen. D. wurde so vom Tode ereilt, wie er es sich immer
gewünscht hatte, mitten in der Beschäftigung an seinem Schreibtische.
D., der Sohn eines Gutspächters in Wintersheim, genofl, bevor er die
Universität Gießen bezog, seine Ausbildung durch Privatunterricht bei einem
Pfarrer in Niederingelheim a. Rh. und durch Besuch des (Gymnasiums /u
Darmstadt. Schon während seiner Universitätszeit (1860) erkrankte er an
Lungentuberkulose, wodurch er in seinen Studien einigermaßen behindert
war. Nach Absolvierung der Universität (1863) widmete er sich der weiteren
Ausbildung seiner Kenntnisse, studierte namentlich auch in Berlin. 1864,
1866 und 1870 nahm er an den Kriegen als Keldarzt teil und zeichnete sich
trotz dazwischen auftretender Störungen von seiten seiner Lunge durch beson-
dere L nerschrockenheit utul durc h großen Pflichteifer aus. 1868, nachdem
D. kaum ein Jahr als Hessischer Militärarzt Üienste getan, war er durch
seine Lungenkrankheit genötigt, sich nach Görbersdorf zu Brehmer zu begeben.
Nach vorübergehendem günstigen Erfolge in dortiger Anstalt, kehrte D. im
Jahre 1869 ein zweites Mal nach Görbersdorf zurück, um nunmehr die Stelle
eines zweiten Arztes dort zu bekleiden. \'on da ab war eigentlich die künftige
Laufbahn D.s eingeleitet, denn er überzeugte sich rasch von der Richtigkeit
der Brehmerschen Lehre, dali die damals »Schwindsucht * genannte Krankheit
heilbar sei.
1876 übernahm D. die Leitung der erst kurz vorher gegründeten Heilanstalt
Falkenstein im Taunus und brachte sie durch die hier erzielten Erfolge
zu außerordentlicher Blüte und zur Weltbcrühmtheit.
1895 zog sich 1). von der Leitung der Anstalt zurück und ver!)r.\< hte
den Rest seines Lebensabend.s in Cronberg am Taunus in einer hübschen.
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Dettweiler.
zum Teil nach seinen Angaben erbauten und von ihm selbst mit großem
Talent durch phistische Arbeiten aller Art ausgeschmückten Villa, die noch
unter dem Namen Ürachenhäuschen'- bekannt ist.
Die Hauptverdienste bestehen darin, dafi er mit unennQdlicher Energie
die noch viel bezweifelte Lehre von der Heilbarkeit der LungentttberiLulose
verfocht und durch seine ausgezeichneten Erfolge in Falkenstein zar Aner-
kennung in den weitesten Ai/.iekreiscn der ganzen Welt brachte, daß er die
Behandlungsmethode der Krankheit in eine strengere klinische Korm brachte,
wie sie schlieliiich von jedem Arzte angewendet werden kann, vor allem auch
durch Einführung der nicht mehr zu end>ditenden Liegekur im Freien, und
darin, dafi er das erste praktische Beispiel einer HeilstStte für Minderbemittelte
(erst in Falkenstein, dann nach Ruppertshain im Taunus veriegt) gab. Er
ist also tatsächlich der Vater der deutschen Volksheilstätten, deren ungeahnt
ausgetlehnte Kniwicklung er noch mit großem Interesse verfolgte und unter-
stützte, als er >ciion in seinem Drachenhäuschen sich zur Ruhe gesetzt hatte.
Als Arzt und als Gesellschafter war er stets von einer bezwingenden
Liebenswürdigkeit, und seine ungewöhnliche Energie und Zähigkeit ließen
ihn wie eigens geschaffen erscheinen zur Propagation einer neuen guten Idee.
Kr hatte Interesse für alles Gute und Schöne in Literatur wie in Kunst^ und
lieferte selbst ni( ht wonige plastische Arbeiten, namentlich getriebene und
geschnitzte Arbeiten in Metall.
Die hauptsächlichsten Veröffentlichungen D.s sind folgende:
I. Eifahrangen aus dem Kriege von 1866. Dannstaklt — a. Freiwillig Knuikoipflcfe
im Krieg und Frieden. 3. Fcldbriefe 1870/71. — 4. Die rationelle Therapie der Lungcn-
«jrhwindsucht in ( Jorhcrsdorf. (Bt rI. klin. Wochenschr. 1873, Nr. 30.) 5. Zur Fbthisio-
tberapie der (Jegenwaxt. (Berl. klin. Wucbenscbr. 1877, Nr. 35 f.) — 6. Die Bebandiuo;
der Lungenschwindsucht in geschlossenen Heilanstalten. (Berlin 1880 und 1884. Georg
Reimer.) — 7. Ein antikritischer Gang, Antwort an Dr. Rhoden-Lippäpriuge. (Berlin 188&
Ccorj^ Reimer.) — S. Di-r 'I"ubcrkeib.i7il!us und die chronische Lun{»-en<chwindsucht.
(Dettweiler und Meissen, Berl. klin. Wochenschr. 1883, Nr. 7 u. ff.) — 9. Beriebt über 72
seit drei bis neun Jahren völlig geheilte FlUe von Lungenschwindsucht. (Frankfurt 1886.
Joh. Alt.) — 10. Die Therapie der Pbthisis. (Penxoldt und Dettweiler, 6. Kongr. f. L Med.,
1.SS7. J. F. Bergmann.) — 11. Über das Tavchcnfläschchcn für Hustende. (Therapeut. \ton.ity-
befte, Mai 1889.) — 12. Über Lungenschwindsucht, (konef. Internat. Kongr. Berlin 1890.J1
— 13. Das Kochsdie Verfahren im Verhiltnis mt Idimalischcn und Anataltsbdiandlung.
(Wiesbaden 1891. J. F. Bergmann.) — 14. Mitteilungen über die erste deutsdie VoUKsheO-
>tätte für unbemittelte T.uiif^enkranke in Falkcnstein. (Deutsche med. Wochenschr. 1S9!,
Nr. 4S.) 15. l'.rn.'ilirungsthcrapie bei Lungenkrankheiten in v. Leyden, Handbuch der
Eruäbrungsihcrapic II. (Leipzig 1898. Georg Thieme.) — 16. Zur Errichtung einer HeilstSttr
für minderbemittdte Lungenkranke in Wiesbaden. (Rotes Kreus 1898, Nr. 7 o. 8.) —
17. Die hygicnisch-dietätischc Anstaltsbehandlung der Lungentuberkulose. Bericht über den
Kongr. z. Bekämpfg. der Tuberkulose als Volkskrankhcit. Berlin 1899. — 18. Entstehung |
und Verhütung der Tuberkulose als Volkskrankhcit. (Nationalzeitung 5. Mai 1S99.) —
19. Einige Bemerkungen aar Ruhe- und Liegekur bei SchwindsOchtigen. (Zeitsehr. r.Tuber>
knlose und Heilstättenwcscn. Leipzig 1900. Arobr. Barth.')
J).> Leichnam wurde seinem Wunsche gemäß in OfTenbach a. M. eingeäschert. Dl*
L'me ist in einem von D. schon Jahre vor seinem Tode iro Entwürfe gefertigten Grab-
denkmale auf dem Kirchhofe ni Wintersheim a. Rh. aufbewahrt.
Die ausnihriichste B< lirLiiunij; (le> I.eben-^^-anges D.s ist gelegentlich des Tuberktdose-
Kon^rc-^es in Berlin im Jaürc 1899 durch Dr. Obeitttschcn-Wiesbaden im »RheimscbcD
Kurier« veroircnllicht.
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Dettweilcr. Ratzcnhofcr.
Kiuc woiterc Hiographif erschien von Kxzcllcnz Muritz Sclmiidt-lVankturt :i. M. in
Berl. kirn. U oclienschr. 1904, Nr. 8 und eine kürzere durch Dr. Hesokl in Müncbeuer
med. Wochenschr. 1904, Nr. 6.
E$ existieren von erreichbaren Kildnis>en D.s zwei: eines aus seinen milderen I.clien^i-
jaltren. von HofphotojTraph Schilling in Kr>ni^stcin im Taunus, und eines aus den letzten
iycbensjabren, in Privatbesitz, Heilanstalt FaIkcM>tein im laumi-.
Dr. Boso 1(1, Falkenstein im Taunus.
Katzcnhofer, Gustav, österreichischer Fcldinarschall-Leutiiaiit, Hräsideiu
des Militär-Obergerichts in Wien, militärischer Schriftsteller, Piiilosoph und
Soziologe, * 4. Juli 1842 in Wien, f an Bord »Wilhelm IL«, aus Amerika
heimkehrend, am 8. Oktober und den 14. Oktober 1904 in Wien bestattet
— R., ein Uhrin;i( liersohn, war ein self-made-man in jeder Richtung. Der
vorzeitige Tod tles Vaters, der dit' Familie in rniÜlichen Vermögensverhält-
nisst-n zurücklieü, zwang den jungen R., das väterliche Handwerk zu erlernen,
um der Familie Halt und Stütze sein zu können. Sein innerer Hang zog
ihn jedoch cur Armee, in die er sechzehnjährig (am as. Oktober 1859) ^
Kadettgemeiner eintrat. Den italienischen Feldzug, an welchem sein Bio-
graph Otto Gramzow R. teilnehmen läßt, hat der Sechzehnjährige natürlich
nicht mitgemacht, zumal er erst drei Monate nach dem Präliminarfrieden von
V'illafraiK a ins zweite Feldjägerbataillon eintrat, um nach fünf mühevollen
Jahren da.s goldene Portepee zu erhalten. Der st lbstgcmachte Weg vom
Kadettgemeinen zum Feldmarschall -Leutnant ist nicht nnnder weit und
dornenvoll, als die zurückgelegte Strecke vom Uhrmacherlehrling zum aner-
kannten Oberhaupt der Österreichischen Soziologie, der auf dem wissenschaft-
lichen Weltkongreß zu St. Louis (Sommer 1904) vor einem Areopag von
(ielehrten die Probleme der Soziologie erörtern durfte. Kiserne Zähigkeit,
wind- und wetterfeste Charakterfestigkeit, unbeirrbares X'erboliren und \'er-
beiüen in das, was er als sein Lebensziel, seine Bestimmung und Aufgabe,
erkannt hat, sind unerlftfiliche Voraussetzungen eines so geradlinigen Auf-
stiegs. Wer in einem hierarchisch gegliederten Beamtenstaat, ohne blaues
Blut oder goldene Wiege, ohne fördernden Anhang und beziehungsreiche
Fürsprecher, die Unvorsichtigkeit Ijegeht, sich ins Dasein zu drängen, mufi
einen stählernen Willen oder ehernen Verstand mitbringen, um den »Erb-
fehler« seiner Geburt einigermaßen wettzumachen. R. hatte beides. Der
energetische Philosoph, als welchen wir R. kennen lernen werden, hat als
Wiegengeschenk seiner anonymen Vorfahren neben ungewöhnlicher Verstandes-
energie eine reich bemessene Dosis Willensenergie mit auf den Weg bekommen.
Und mit diesem Doppelrüstzeug bewaffnet, begann er den Ellbogenkampf
ums Dasein. In einem solchen Kampfe hal)eti die Furien gewöhnlich das
Übergewicht über die Grazien. Wenn man sich Schritt vor Schritt, Stufe
für Stufe auf seiner Lebensleiter mit Zähnen und Nägeln alles gewaltsam
ertrotzen mufi, verdüstert sich gar leicht selbst das ursprünglich stemhellc
Auge, und das anmutige Jugendlächeln weicht häufig genug einer kalten und
harten Männerstrenge, einem herris< Ii groben Befehlerblick. Daher mag es
kommen, daß R.s etwas scharfes, kantiges Wesen, sein .Mangel an einfühlender
.Milde in seiner uinnittelbaren ringebung, in Wien selbst, wo Liebenswürdig-
keit und (ieschmeidigkeit ents< lieidendc Lebenswerte darstellen, keine rechte
Üiogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. Bd. 19
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290
R.itzcnht)fer.
Resonanz aufkommen ließ. Das Ausland mußte erst den Österreichern /.um
Bewußtsein bringen, was sie an R. ihr eigen nennen.
Die militärische Laufbahn kann hier nur knapp berührt werden. Im
Kriege von i866 hatte er Gelegenheit, sich persönlich auszuzeichnen, aber
der für Osterreich so verhängnisvolle 3. Juli 1866 hinterließ tiefe Spuren in
seiner Seele. Jetzt erst stand es bei ihm fest, daß er seine Kräfte in den
Dienst der .Vrniec stellen müsse. 1868 trat er in die Kriegsschule ein, 1S72
war<l er <leni (ieneralstab zugeteilt, und drei Jahre später begründete er mit
Maria Josefa von Hcrget ein vorbildliches Heim, dein zwei Söhne beschieden
waren. Was b'rau Marie ihrem (iatten war, schildert R. in den \Vidmung.s-
worten .seiner Positiven Ethik« (1901): »Wenn ich dieses Buch der Erin-
nerung meiner dahingeschiedenen Gattin weihe, so hat dies wohl seinen subjek-
tiven l'rsjirung in der unsäglichen Dankbarkeit, welche mich für sie erfüllt; aber
die Berechtigung hierzu schöpfe i< h vorwiegend aus objektiven Beweggründen.
So tief ich und meine Kinder ihr, der Edlen, verpflichtet sind, so bliebe
unsere N'erehrutig doch um so mehr eine intime Angelegenheit meiner Familie,
als eine jiositive Kthik die vollständigste Unterdrückung individueller Inter-
essen verlangt — wenn ich nicht tlie Erfahrung gemacht hätte, daß gerade
sie es war, welche mir das ethische F.mpfniden zum Bewußtsein brachte.
Denn, wenn liie Kthik si( h bemüht, Normen für die menschlichen Wechsel-
beziehungen zu vermitteln, so ist es klar, daß ihr Kernpunkt in den Bezie-
hungen beider f»eschlechtcr zu suchen ist. In dieser Hinsicht ist also meine
Widmung weniger die Tilgung einer Schuld, als die Manifestation einer
wissenschaftlichen Überzeugung, ausgedrückt durch einen Hinblick des Ver-
fassers auf sein eigenes Lebensbild.« Aus diesen W'idmungsworten spricht
eine Zartheit und Feinheit tler (iesinnung, die wir zur Vervollständigung des
Charakterbildes von R. um so bereitwilliger herangezogen haben, als sie seine
etwas rauhe .Vuüenscitc mildernd zu glätten vermag. Diese Weichheit des
Gemütslehens kontrastiert sehr wohltuend gegen die soldatische Schärfe und
Unbekümmertheit, mit welcher R. nicht bloß seine Truppen zu befehligen
liebte, sondern auch der I'hilosoph in ihm die Gedankentruppen dialektisch
kommandierte. Auch im R. sehen «System« steckt etwas von der Schrofflieit
des 'rrii{)penführers und strenge Disziplin heischenden Organisators. Seine
Ideen müssen in Reih und Glied vorbeidefilieren, per Jos et nejas dort
Unterkunft suchen, wo der philosophi.sche Platzkommandant befohlen hat.
Und mag der philosojihiegeschichtlich Versierte und Eingeschulte gar oft
ungläubig den Kopf schütteln und sich verwundert fragen, warum diese oder
jene Ideenfolge oder Gedankenreihe gerade an diesem, ganz und gar unge-
eigneten, allem Schulschema spottenden Ort untergebracht wird — einerlei!
Hier haben tlie Gedanken nun einmal zu stehen, weil ich, ihr Kommandant,
es so will untl befehle. Eure schulmäßige Einkleidung mit ihrer pedantischen
Forderung nach .systemgerechter Gruppierung ist scholastische Tüftelei.
Meine Ideen haben Ordre zu parieren — Pardon wird nicht gegeben. Und
so begrimdet denn R. sein philosophisches System des monistischen Posi-
tivismus ohne alle Rücksicht auf V'orgänger und Zeitgenossen. Selbst die
naheliegende, für jeden Kenner kaum abweisliche Verwandtschaft mit Comte
oder Sj)en( er lehnt R. mit der schroffen Motivierung ab, sein monistischer
Positivismus unterdrücke bewußt alles Subjektive und spreche nur aus,
Katzcnhofcr.
291
' was bcweishar, wi»lors|)ni( hsl()s mul durc h vinc liickL'ulose Si hlußfolgcrung
geprüft ist (Kinlcitiing zu seinoni letzten Werk, Kritik des Intellekts, 1902).
So .spricht ein logiseher Hauilegen, ein dialektischer W'illkürherrsclier, der
alle Gegenargumente mit dem einzigen Keulenschlag eines /i4fc Jfo/o, sie
Ju^o ni&derdonnernd zermalmt. Die fügsame Geschmeidigkeit des fachlich
Vorgebildeten, der im philosophiegeschichtlichen Arsenal bewandert ist und
für jedes Pro ein Contra kennt, geht R,, dem Autodidakten, völlig ab. Mehr
Srhnluni< hätte ihn toleranter und einfühlender für andere ('icdankenbildungen,
für benachbarte Systeme otler verbündete Weltanschauungen gemacht. In
die iVrmee ist K. als Kadettgemeiner eingetreten, um 41 Jahre lang Stufe
für Stufe emporzuklimmen; in die »Grmide Armie* der Denker aber ist er
gleich als General eingesprungen — ein Marschall Ney der Philosophie. Da
geht es dann ohne Verhauen ui',d I-jit^lciNcn im einzelnen und kleinen nicht ab.
Dafür aber entschädigt K. dur( h eine Kühnheit des Wurfs und Großzügigkeit der
Konzeption. Ohne von I'ichte oder Schelling nu lir zu wissen, als den bloüen
Namen, bildet er sich selbst zum Xaturphilosojiben grolien Stils aus. Mit
neidcnswert naiver Entdeckerfreude verkündet R. eine neue Weltanschauung,
die in Tat und Wahrheit eine Wiederbelebung der romantischen Philo-
sophie am Anfange des 19. Jahrhunderts bedeutet. Nur die Methode hat
inzwischen gewechselt. Da die beherrschende Wissenschaft unserer Tage
die l'>if>logie ist, so bedient ^ii h K. naturgemäß der biol« »^^i^chen Methode.
Während also die klassische Denkertrias: Fichte, Schelling und Hegel ihr«.ii
etliischen, ästhetischen beziehungsweise logischen Monismus iiion diaUxluo,
nach dem Geschmacke jenes Zeitalters, entwickelten, hüllt R. seinen positiven
Monismus in einen biologischen Mantel und philosophiert nkfre iiohgico.
Doch wollen wir zunächst an der Hand des anonymen, offenbar vortrefflich
eingeweihten und warmherzig empfindenden Hiogra|>hen in Danzers »Armee-
Zeitung (Jahrgang 1904, Nr. 49, 50 und 51) die militärische Laufbahn R.s
kennzeichnen.
Das Jahr 1876 brachte dem nun Vierunddreifligjährigen die Hauptmanns-
charge, die Einteilung in das neugebildete Generalstabskorps und seine
Kommandierung ins Kriegsarchiv. Der Okkupationsleidzug 187S unterbrach
nur für kurze Zeit seine kriegsgeschichtlichen Arbeiten. In die Operations-
abteilung des 2. .Arinet'kominandos eingeteilt, kehrte er nach Beendigung der
Kampagne wieder in das Kriegsarchiv zurück, um sich an der offiziellen
I^arstcllung der ( )kkupalion zu beteiligen. Für besonders erfolgreiches
Wirken auf kriegsgeschichtlichem Gebiete wurde er dann 1880 mit dem
Militärverdienstkreuze ausgezeichnet 1879 finden wir ihn im Generalstabs-
truppendicnste (Buda]te^t), 1S81 bei der Militärmajjpierung (Baja, Ungarn),
1882 als Gencralstabsc lief der 34. 'rrupi)endivision (Temesvar), liS.S;; im Front-
dienste beim 100. ( Teschen), 1886 (als Oberstleutnant) beim 9::. Infanterie-
regiment ( Theresienstadt), 1887 beim 15. Korpskominantlo (Sarajewo), 1888
als Generalstabschef des 14. Korps (Innsbruck); 1S89 Oberst geworden, sieht
er sich 1891 durch Gesundheits- und andere Umstände veranlaßt, sich auf
ein Jahr beurlauben zu lassen. 1892 im Präsenzstande des 8. Infanterie-
regiments (Brünn), wird er im folgenden Jahre dessen Kommandant, übernimmt
i8i)4 (las 60. Infanteriebrigadekoniinando (Lemberg); i8()-^ Generalmajor,
wird er 1898 Präsident des Militär-Ubergerichtes (Wien) und noch in dem-
19*
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Rttsenhofer.
selben Jahre Feld marschall -Leutnant. 1901 pensioniert, wihlt er seine
Vaterstadt Wien als Domizil.
Die erste litcrarisrhe Hetätipung R.s fällt in das Jahr 1S71. Das außer-
ordentliche Interesse der Fachkreise an dem großen Rriegsdraina von 1870/71
hatte bald nach dessen Ende eine Preisausschreibung zur Folge, deren Thema
die »taktischen Lehren« dieses epochalen Krieges waren. Vier Aotoritlten
auf taktischem Gebiete aus Österreich und Deutschland bildeten das Richter-
amt, welches R., damals Oberleutnant im 2. FeldjAgerbataillon, unter anderen
ausgezeichneten Hewerbcrn den Preis zuerkannte.
Noch im Jahre 1^73 \ eroftetitlirhte R. Das (lefecht der Infanterie ;
1875 folgte die Gelegenheitsschrilt Zur Reduktion der kontinentalen Heere«
und »Die praktischen Übungen der Infanterie- und Jägertruppe^, ein Buch,
dessen Wert schon daraus erhellt, daß es mehrere Auflagen erlebte; 1877/78
schrieb er das unter dem Decknamen »Gustav Renehr« erschienene zwei-
bändige Werk Im Donaurciche«, welches, wie die 1899, kurz nach dem
Rücktritte des .Ministeriums Thun, anonym veröffentlichte Flugschrift »Was
wollen, was können, was sollen die Deutschen im Donaureiche?«, das
beherzigenswerte Mahnwort eines schwerbesorgten Patrioten war; 1S79 ''Die
Okkupation Bosniens und der Herzegowina«; 1881 »Die Staatswehr, wissen-
schaftliche Untersuchung der öffentlichen Wehrangelegenheiten«, Lorenz von
Stein gewidmet und, wie Dr. Otto Gramzow uns erinnert, vom Fürsten
Bismarck angezogen, als er 1881 im Reichstage den Gesetzentwurf zur Ein-
führung einer 'AVehrsteuer als einer sachlichen Leistung der Wehrbefreiten
gegenüber der »Blutsteucr« der Dienstpflichtigen einbrachte; 1882 »Moltke
und Gambetta«.
Erwägt man, dafl R. in diesen Jahren von Amts wegen fQr das monu-
mentale Werk > l'eldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen« das inhaltreiche
Jahr 1704 (Höchstädt und Blenhcini) bearbeitete und an der offiziellen Dar-
stellung des Okkupationsfeldzuges teilhatte, sich im Generalstabs-Truppen-
dienste und bei der Militärinappierung betätigte, daß also alle vorgenannten
ernsten und originellen Arbeiten, von zahlreichen kleineren Abhandlungen
nicht zu sprechen, Nebenir achte einer vom Dienste stark in Anspruch
genommenen Arbeitskraft gewesen sind, so kann man nicht verkennen, daß
in R. ein energisches wissenschaftliches Ringen, ein ganx ungewöhnlicher
Betätigungsdrang und eine aufierordentliche Arbeitspotenz in die Erscheinong
traten.
Den Übergang von der militärischen zur philosophischen Schriftstellerei
vermittelte die Politik. Durch eifrige Lektüre nationalOkonomischer, natur-
wissenschaftlicher und philosophischer Werke, insbesondere durch das Studium
der positivistischen 'I'rias: Comte, Mill, Spencer (die deutschen Positivisten
Laas, Göring, Dühring kannte R. gar nicht), eröffneten sich ihm philo-
sophische I'ernblicke in scheinbar unentdecktes Land. In Osterreich war
gerade Ludwig Gumplowicz, der nachmalige Apologet R.s, mit dem schüch-
ternen Versuch einer deutschen Soziologie hervorgetreten. Die Theorie des
Rassenkampfes, welche Gumplowicz in den Mittelpunkt seines Systems gerfickt
hatte, blieb nicht ohne Eindruck auf den empfänglichen und leicht zu
befeuernden Geist R.s. Noch die vorletzte Arbeit R.s, ein Vortrag in der
»Ethischen Gesellschaft« in Wien, behandelte die »Rassenfrage vom ethischen
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Ratsenhofcr.
Standpunkte « (abgedruckt im Archiv für Rassen- und Gcsellschafts-Biologie«,
I, H. Sept. -Okt. 1904). Seine letzte Arbeit war der Vortrag in St. Louis,
in welchem er das Programm .seiner Soziologie in großen Zügen entwickelt
hat (Auszüge brachten die Frankfurter »Umschau« vom i. Okt. 1904 und
Ludwig Gumplowicz, Geschichte der Staatstheorien 1905). R. trug sich,
wie aus Briefen an mich erhellt, mit einem fertigen System der Soziologie,
da.s der Serie seiner philosophischen Werke den krönenden Abschluß geben
sollte, l-'.in umfangreiches, unvollendetes Manuskript aus den Jahren 1903/4,
betitelt »Soziologie«, fand sich in seinem Nachlasse vor.
R. ist auf dem Wege der politisch-sozialen 'Probleme zur reinen
Philosophie gelangt. Sein erstes Werk: »Wesen und Zweck der Politik, als
Teil der Soziologie und Grundlage der Staatswissenscbaften«, 3 Bände,
Leipzig 1893, steht unter dem Sternbilde Comtes. Nur hat Comte sein
System der positiven Philosojihie mit der Soziologie abgeschlossen, während
R. umgekehrt seine Weltanschauung auf Soziologie gründet. 1 )as lieraklitis( he
;:o/.£fto; 7:a-\^ -civTtuv steht an tler Schwelle der R.schen »Politik«, die das
»Gesetz der absoluten Feindseligkeit« au&tellt, dessen Formel lautet: Die
absolute Feindseligkeit ist die Urkraft in der Politik. Schon aus dieser
Formel erhellt die naturalistische, an Macchiavelli orientierte Richtung R.s.
Ihm ist nicht, wie Goethe, Kunst und Natur Eines nur, sondern Geschichte
und Natur sintl ihm, wie Herder, Kines nur. Denn hier erkemit R. schon eine
»l'rkraft« der Politik an. Daraus ergibt sich die naturalisti.sche Grundansicht:
Die Menschheitsgeschichte ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Natur-
geschichte. Der Mensch ist nur ein Ausschnitt der Gesamtnatur und ist daher
nicht nur in seinem Mechanismus und Chemismus, sondern auch in allen seinen
inneren seelischen Erlebnissen den allgemeinen Naturgesetzen bedingungslos
unterworfen. Werden die Atome durch .Attraktion und Repulsion in ihren
gegenseitigen Beziehungen reguliert oder die chemischen Verbindungen durch
Affinität oder Verbindungswiiiersiand, so der Mensch in der Gesellschaft
durch das elementare Streben nach Selbsteihaltung (M Ti tiipciv imt6 bei den
Stoikern, esse se velle bei Spinoza). Und so ist denn, nach R., die Befriedigung
tler unentbehrlichen materiellen Bedürfnisse das eigentliche Thema der
(jeschichte. Wie Comte, so kennt auch R. neben der sozialen Statik, dem
Ruhezustand des erlangten sozialen Gleichgewichts, eine soziale Dynamik,
d. h. ein Hewegungsgesetz der Geschii iite. Ist das Gleichgewicht zwischen
Produktionsweise, staatlichen Einrichtungen, sozialen Gliederungen und
beherrschenden Ideen (Idie mire bei Comte, idie maUnsse bei Taine) gestdrt,
so sucht der Klassenkampf oder Rassenkampf in der Geschichte dieses
Gleichgewicht nach strengen Entwicklunggesetzen wieder herzustellen. Dieses
iMitwicklungsgesetz (f>ro}:;rh bei ('(unte) ist der ständige Fortschritt in der
Humanisierung des sozialen Kamj>t"es ums Dasein. Wie St. Sinum, Comte und
Spencer einmütig betonen: der kriegerische Typus weicht allmählich dem
industriellen. Das augenblicklich noch empfindlich gestörte politische und
soziale Gleichgewicht innerhalb unseres Kulturkreises tendiert nach R. ebenso
wie nach Comte einer die Interessengegensätze bannenden Formel entgegen.
R. nennt dies: »Harmonie der i)olitischen Triebe«, Comte pom'oir spiritur!
oder autonti spiriftn-lh-. St hon Comte behauptete: das Individuum im Staate
ist eine Fiktion wie das Atom, in jedem Blutstropfen der Persönlichkeit
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Rateenbofer.
rinnt die (iattiini^vcrfalirunji <\vr voranucgangeiK-n N'ortahrciireihe. Im Zustand
der Statik (des sozialen lieliarrens) käme dem Individuum innerhalb der
Familie, insbesondere dem mit der />a/na potestas bekleideten Oberhaupt,
eine soziale Bedeutung zu, aber im Übergang von Familie zum Stamni, zum
Volk, zum Staat verliere sich das Individuum völlig, um dem Kollektivum:
Nation Platz zu machen. Im Zeitalter der Ma^( hiiie vollends sinke die Per-
sönlichkeit zur ///(■' //i'i,7/V(V?/'/i' heral). Dlm" Moloch oder I.eviathan Staat
drückt, ganz wie bei Hohhcs. die IVrsdnIirlikeit zum Automaten lierah. —
Der Bürger eine Abstimniungsmaschine, ein Automat zur V errichtung gesell-
schaftlich nützlicher Aandlungcn. Auch nach R. läßt sich im Kulturstaat
das Individuum nicht losldsen von dem umstrickenden und erdruckenden
Netz der sozialen Ueziehungen. Das politische Individuum als >^soziale Fein-
heit« ist auch nach R. eine leere Tiktion. Nur die i^olitische Persönlichkeit
(Gruppe, l'artei. zuoberst der Staat) repräsentiert die Einheit eines Sozinl-
willens. Wie bei Comte reguliert im vorgeschrittenen Staat auch bei R. das
Gattungswesen »Mensch« die Zwecke des Einzclindividuums. Mag also
das Wesen der Politik immerhin individualistisch sein, sofern sie dahin
strebt, die berechtigten Eigeninteressen des einzelnen Büigers im Staate
zu wahren und in seinen wohlerworbenen Rechten zu schützen, so ist der
Zweck aller Politik Zivilisation und Kultur. Wie nach Kant der Weg <ler
Geschichte durch die drei Marksteine: Kultivierung, Zivilisieruufj, Morali-
sierung, gekennzeichnet ist, so daß die Strecke von der bestialischen Ani-
malität bis zur Humanität die genannten drei Stadien zu durchlaufen hat,
und ähnlich wie Comte (übrigens im Anschlufi an Turgot, der schon
70 Jahre zuvor die Dreistadienlehre aufgestellt hat) die Menschheit durch theo-
logisi he und meta|)hysische Phasen hindurchgehen läßt, um beim ])ositiven
anzulangen, lälJt auch R. Zivilisation und Kultur letzten Endes siegen über
List und (iewalltat; das (laltungsinteresse, ilic Humanität, die »Harmonie
der politischen Triebe« überwindet den Eigennutz, das Individualinterresse.
Von hier aus führt ein gerader Weg zu R.s »Soziologischer Erkenntnis«
(Leipzig 1898), welches Werk die Wechselbeziehungen zwischen Menschen
unter wissenschaftliche Kategorien zu bringen sucht. Lester F. Ward, der
führende amerikanische Soziologe, zählt R.s So/iologie^< zu den wichtigsten
Heiträgen zur Sozioloj^ie während des letzten Jahrzehnts. Gutnidowicz ver-
steigt sich gar zum übertreibenden Dithyrambus, die ganze bisherige politische
und soziologische Literatur habe nichts Ähnliches aufzuweisen. Otto Gram-
zows Monographie hält sich von solchen Ausbrüchen leidenschaftlicher
Apologetik fern. Ith selbst habe im Sommer 1904, noch zu Lebzeiten R.s,
der die ersten Aufsätze, nach Mitteilungen seines Sohnes, noch auf dem
Schiffe, unmittelbar vor seinem Tode, mit (Genugtuung begrüßte, in der
Wiener N. Fr. Presse dein österreichix hcn Herbert Spencer tlrei Abhand-
lungen gewidmet, die in etwas veraiulertur I asNung in meinen »Sozialen
Optimismus«, (Jena, Costcnoblc, 1905) übergegangen sind. Dort suchte ich
sine ira, sed cum studio das Wesen der R.schen Soziologie wie folgt zu
charakterisieren (S. 174 ff.):
Die '(lesetzeseinheit von Natur und (leschichte lehrt zum ersten Mal
Heraklit, der sfiueii Satz \'om Kampf als \'ater und König aller Dinge-,
welcher sich bei Hobbes in das •OcUiiin vmnium contra omncs^^ bei Malthus
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Ratzenhofer.
295
und Darwin in das *struggle for life* verwandele vollbewaflt aus dem
Metaphysischen ins Soziologische übertrug, wie uns ein vor etwa fünfzig
Jahren bekannt gewordenes Fragment unwidersprechlich belehrt. Wie
Fieraklit der Stammvater alles Evolutionismiis ist, also auch die \\ cltan-
schauung Spencers und R.s beherrscht, so liat er auch jene organische Methode
für die Soziologie im l*rinzip vorweggenommen, welche bei R. die Fassung
erliält: »Jede Übereinstimmung der biologischen Gesetze mit den sozialen, ob
auf Analogie oder Identität gegründet, ist nur denkbar bei einer Gesetzes-
einheit aller Erscheinungen.«
Die Durchführung und unerschrockene Übertragung dieser als pctit'w
f^nncipii geforderton (lesetzeseinheit < auf alle Gebiete von N'atur und (ieseli-
schaft ist die eigentliche Leistung der R. sehen Soziologie. Spencer holt zu
gleichem liehule aus dem unerschöpflichen Born seiner »deskriptiven Sozio-
logie« überwältigendes vergleichend -ethnographisches Material herbei. R.
arbeitet • hingegen mehr mit seiner ungemein lebhaften, auf kleinste Reize
reagierenden, glücklich inspirierten biologischen Phantasie. Für ihn steht das
Dogma von der »Gesetzeseinheit der Welt« unerschütterlich fest. Physik,
Mechanik, Geologie und Chemie sind in bezug auf ihre (lesctzesform fler
Entwicklung von der Soziologie grundsätzlich iii< ht veiM hir< leii. Die Gesetze
der Chemie lassen sich auf die der menschlichen Geselischait zwang- und
restlos anwenden und übertragen, und R. »hat den Mut, es auszusprechen,
dafi die Identität der Ursache bei chemischen und sozialen Vorgängen
geeignet ist, eine Stütze der Molekulartheorie zu sein< . Um jeder Zweideutig-
keit der Auslegung die St u lu lspitze zu nehmen, führt R. seinen ^Monismus '
der Gesetzeseinheit ins K.xtrem durch und verkündet mit der Stentorstimme
des geborenen Befehlshabers: »Diese Cbereinstimmung des organischen Lebens-
prozesses mit dem sozialen Prozeß ist kein bildlicher Vergleich, sondern
kausal.«
Eine solche »Gesetzeseinheit« darf nicht vorausgesetzt, sondern sie muß be-
wiesen werden. Für solche »Identitätsphilosophie«, wie sie uns R. soziologisch
mundgerecht tnachen möchte, darf man sich nicht jener von Fichte und Schelling
geforderten, aber nicht abgeleiteten »Gesetzeseinheit« bedienen, über welche
Hegel in der berühmten Vorrede zur »Phänomenologie des Geistes« spottet,
sie sei aus der Pistole geschossen und gleiche der Nacht, in welcher alle
Kühe schwarz sind. Nimmt man die Distanz so grofi wie R. und alle
Identitätsphilosophen, von den Eleaten angefangen bis Spinoza, wcl< lie von
den Forderungen: »Sein und Denken ist nur Eines«, Kines ist das All und
das Seiende der Grundformel des Pantheismus — ihren dialektischen .Ausgangs-
punkt nehmen, so verschwinden freilich alle Mannigfaltigkeilen und Gegen-
sätze, aber nicht darum, weil der Beobachter von der hohen Warte seines
eingenommenen Standpimktes aus sie ebensowenig sehen kann, wie der
Alpinist vom Bergesgipfel des Monte Rosa aus die kleinen Hügel in der
Talmulde. Die Einerleiheit des Eindrucks geht nicht von den Hügeln,
sondern vom gewählten Horizont des Beschauers aus.
Wer diese Einsicht gewonnen hat, wird weder mit R., Fichte i^ler
Schelling sich durch einen metaphysischen Luftsprung, durch ein Saltomortale
der gesunden Menschenvernunft, kraftgenialisch und unvermittelt zu dieser
obersten Einheit erheben, sondern er wird sich an der Hand alpentouristisch
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29^
Ratzenhufer.
geschulter Führer, am Seil der vorangegangenen, geschichtlich wirksam
gewesenen, ])hil()sophii>chen Systeme, zum höchsten Bergesgipfel emporfOhren
lassen. Will die Philosophie eine Topographie des Universums in Natur und
Gcsrhiclite (hirstellen, somit den Globus inteUcctualis penau ab/irkeln und
\ ermessen, so muß sie eiiipirisch-imluktiv beginnen, vom Einfat hen und Ein-
zelnen auhgclicn, die Dinge untl Gegenstände in mikroskopischer Xälie auf
ihre Wirklichkeit hin ansehen, nicht aber in makroskopischer Feme sich aiN
gedachte Möglichkeit gegenüberstellen, um hinterher die Wirklichkeit deduktiv
aus der beweislos gesetzten Einheit abzuleiten.
K. ist so gut energetisc her Revoiutionist wie Fit hte vor ihm und OstwaUl
neben ihm. Al)er der Kernsatz K.s: Ohne Bewußtsein gibt es kein Seiiu
ohne Intellekt kein individueile.s Sein und ohne Emptindung kein lieuußt-
sein«, ist genau so erkenntnistheoretisch aus der Pistole geschossen, wie
Fichtes oberste Forderung: das Ich setzt sich selbst Hier wie dort beginnt
das Denken mit einein Postulat, einer Forderung: Setze dein Bewufitsein!
Das zu Beweisende wird als bewiesen vorweggenommen. Wer diese fetitio
primipii akzeptiert, kann si( Ii dem System weiter anvertrauen; wer aber scbf)n
nn der Si Inveile des Sy stems über diesem Postulat kritisch stolpert, kann
keinen Schritt mehr mittun. Deshalb hat Hegel gezeigt, wie man diese von
vornherein behauptete Identität von Denken und Sein, von Geist und Natur,
von Bewufitsein und Auflcnwelt nicht an den Anfang der Philosophie als
Behauptung, sondern an < leren Ende als unaus\vei( hliches logisches Resultat
setzen müsse. Hegels Ableitung ist eine lopiscli-«lialektische, die dem
(lesrlnnacke imserer /.eit schlechtenlings nicht I)ehagen will. Der andere
große Evolutionist, Herbert Spencer, ist in seinen »Jirsf pri/u iplcs* zu seinem
I nerkennbaren, dessen Kraftäußerungen wir als Wirkungen in unserem Bewußt-
sein feststellen, nicht wie Hegel nach dialektischer Methode, sondern auf
dem Wege der Physik, Chemie und exakten Wissenschaften gelangt, die er
der Reihe nach abgeklopft unri gewissenhaft befragt hat Einen dritten Weg
s( hlägt die vergleichend-i^eschit hlh\ he Methode ein, indem sjr st:itt Hiopliorcn,
/eile, Monere, Pnttisten iielx-r Legenden, Mythen, Religion, Ret ht, Moral,
Kunst, Wi.s.senschaft in ihren L r.si)rüngen und ihrem geschichtlichen Werde-
gang belauscht, um auf dem Umwege der Geschichte den Sinn des mensch-
lichen Daseins zu enträtseln. Auch wir sind Evolutionisten, so gut wie R.,
sogar energetische P'volutionistcn, wie üstuaM, Mach, Stallo, Clifford, Helm
ulid die ganze Schule der jüngeren Energetiker. Und R. konnte aus meiner
vorletzten Publikation Der Sinn des Daseins, Tübingen, Mohr 1004 - , die
si<h ebenfalls wiederholt mit ihm beschäftigt, die ( berzeugung gewiimen,
daß wir uns am Ziele treffen, wenn auch unsere Wege auseinandergehen.
Mir scheint eine erkenntnistheoretische Grundlegung der Energetik sowie eine
Psychologie der philosophischen Systembildung das dringendste Erfordernis
unserer Richtung. Die Gesetzi seinheit, welche R. voraussetzt, wird auch von
mir gutgeheißen, aber nicht als Eorderung, sondern als Ergebnis.
R.s Weltanschauung beruht auf einer (ieneralisation, die er aus der
Soziologie herübergenommen und in die Metaphysik verj)tlanzt hat. Das
»anhaftende Interessec war der Zentnilbegriff seiner Soziologie, in welcher
der Aufstieg vom Eigeninteresse zum Gattungsinteresse klargelegt wurde.
Jetzt wird zur astrophysischen Verallgemeinerung fortgeschritten. Jede
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RaUenbofer.
297
Kr>«( heimingsform, vom 1 liiniiu lskorper bis zum Atom, und jfik i ( )rganismus
ist ein Teil der Urkraft mit einem anhaftenden (inhärenten) Interesse an der
zugehörigen Kntwicklung.
Ahnlich wie Hartmann hypnotisch auf alle Phänomene des Unbewufiten,
Schopenhauer auf die des Willens, Nietzsche auf die Manifestation des
»Willens zur Macht , oder der Phihisopli der Weltphantasic, IVohschammer,
auf alle Offenharungsformen der »Phantasie«* fahndet, so sucht R. von seinem
'/cntr.d^'Cflanken des '^inhärenten Interesses aus alle (»cbiele des Wissens
»lur<^ hforsrhend zu umspannen, um muh ÄuÜerunj^sformen des inhärenten
Interesses« Umschau zu halten. »Der positive Monismus« sucht die
Geltung dieses Fundatnentalsatzes im Bereiche der gesamten belebten und
unbelebten Natur, die »positive Ethik« (Leipzig 1901) auf dem Felde der
menschlichen Moral, das letzte Werk endlich, »Die Kritik des Intellekts«!
(Leipzip if)<>2\ auf dem Gebiete der rsychologic und P'rkenntnistheorie sieg-
haft zu })e\veisen. Wie jedes philosoj)hische System von einem einzigen
Zcutrunj aus Strahlen an die l'eripherie des Wissens entsendet, so sucht auch
R. vom Mittelpunkt des »inhärenten Interesses« aus Natur- und Geistes-
wissenschaften abzuklopfen und zu behorchen, soweit sie sich seinem Funda-
mentalgedanken dienstbar erweisen. Positiver Monismus, so heißt das
System R.s, fordert die Gesetzcscinheit von Natur und (Icist. Die Einheit
suchen <lie Materialisten im Stoff, die Idealisten im liewußtsein, die F.nerge-
tikcr in ilen Monaden oder Krafteinheiten. Das von Kant und Spencer für
unerkennbar erklärte »Ding-an-sich« beruhigt auf die Dauer die Gemüter
nicht Das »metaphysische Bedürfnis«, das Kant selbst bis auf den Grund
erkannt hatte, nGtigt uns zur Symbolisierung des Unerkennbaren, und dieses
i>,t für R. die Urkraft, deren Grundwesenheit (Attribut) die Attraktion ist.
Die l'rkraftpunkte. \\\ Krafthüllcn eingebettet, siIumIhmi nach dem Attrak-
tionsgesetz frei im Raum. Sie liilden das Klementatom, das der Träger
potentieller Energie ist. Attraktion und Repulsion spielen bei R. dieselbe
weltbaumeisterliche Rolle wie bei Herbert Spencer der ewige Rhythmus von
Integration und Differenzierung. R. folgert die Einheit aller Kräfte, und auch
das Leben ist in diese Einheit eingeschlossen. Das Leben ist für R. kein
Phänomen sut getieris, sondern eine Encrgicmodalität, wie sie im Prozeß der
«"hemischen .Affinität sich offenb.ut. Was in der scheinbar leblosen Natur
als latente Energie wirkt, das nennen wir in der Welt des Lebens inhärentes
* Interesse, diis sich ein eigenes Organ geschaffen hat — den Willen. Auch
das menschliche Bewufttsein macht also keine Ausnahme vom universellen
Energiegesetz. Selbst die Blume aller Menschlichkeit, das Sittengesetz, hängt
mit dem angeborenen Interesse der L^rkraftpunkte zusammen. Die Welt der
Werte und Zwecke, das sittlich Seinsollende i'-t naturgesetzlich festgelegt, in
der l^ncrgieformel wie punktiert schon angedeutet oder vorgebildet. Der
ethische Aufstieg vom individuellen Nützlichen zum Gemeinnützigen, vom
Egoismus zum Altruismus, geht bei R. wie bei Comte und Spencer als streng
determinierter naturgesetzlicher Prozcfl vor sich. Selbst das ästhetische
Empfinden i.st in der angeboreneti Interessennatur des Menschen begründet.
Seit der «Kritik des Intellekts < (iqoa) tritt das Bewußtsein als ursprün-
lichste Erfahrung in flen Vordergrund des K.si hen Denkens, jetzt i^i die
»Emphndung die erste Erfahrung des organischen Lebens«. »Ohne Bewußt-
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RatEenhofer.
sein gibt es kein Sein. An die Stelle der niederen mechanischen Funktionen
tritt jetzt der Intellekt. Und als R. vollends die Schriften des Kieler
Botanikers Keinke und dessen Dominantentheorie kennen lernte, ToUzog sich
eine entscheidende Wendung in seinem Denken. In der wissenschaftlichen
Beilage zur Allgem. Zeitung vom 26. Mai 1904 Hefl sich noch R. in einem
Aufsatz ühiT Die Soziologie und Reinkes Dominantentheorie« aus. Reinkes
Doinin inlc (uh r Svstenikraft • wird jetzt dem ^ inhärenten Intere-^'^C ' energisch
aiiL'ciKihcrt. Lehen, durch ilie l'rkraft mechanisch ^^f^elien, winl l-ei
erwachtem Jiewuülsein von dem angeborenen Interesse geleitet .... Das
Interesse ist ein Ausdruck für den Willen der waltenden Urkraft, in dem
Mikrokosmos eines Organismus das Bewußtsein su erhalten, solange die hier-
für notwendige Stoffkonstcllation (Systemkraft) vorhanden ist. Da stehen wir
wieder vor dem einheitlichen Prinzip aller Erscheinungen, der bewußtseins-
frihi^'en l'rkraft, dem ewigen Rätsel.- Diese l'rkraft entfaltet sich, nach R.
mit kausaler, nii ht mit finaler Notwendigkeit, (1. h. sie kennt nur (iesetze ihres
Ablaufs, nicht Zwecke oder gar Endzwecke (Causae finales). Daneben haben
aber, wie Gramzow mit Recht gegen R. hervorhebt, solche Zweckgebilde wie
»Selbsterhaltung«, die von Baersche »Zielstrebigkeit«, ja selbst da.< »Vervoll-
kommnungsbestreben der l'rkraft« im Werdeprozeß der Welt im R. sehen
Systeni ihren IMatz. Ich gehe nf)ch einen Schritt weiter: Die Fundamental-
formel R.s, das inliärctite Interesse, ist eine leleoldgische, keine streng kausale.
Denn bei allem Kausalen gehen die [eile dem Ganzen, die Ursachen den
Wildungen voraus, so daß die jeweilige Gegenwart von der Vergangenheit
beherrscht wird, während beim Teleologischen umgekehrt das Ganze frQher
ist als seine Teile (in der Eizelle ist der ganze künftige Organismus vorge-
bildet). Die Wirkung stellt sich zeitlich früher ein als die sie hervorrufende
Zweckursache, und die jeweilige (Jegenwart wird nicht, wie bei der kausalen
Reihe, von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft, d. h. dem zu er-
füllenden Zweck, beherrscht. Wäre wirklich das »inhärente Interesse«, wie R.
will, die lange und vergeblich gesuchte Weltformel, so müßte sich der Ablauf
alles Geschehens nach dem in diesem inhärenten Interesse vorgebildeten,
also prädestinierten kosmischen Weltenplan abwickeln. Die einzelnen
Kräfte oder Energien, ja selbst die Naturgesetze wären alsdann dem Uni-
versal-Imperativ des inhärenten Interesses Untertan.
Wenn das nicht pure und blanke Metaphysik ist, Naturphilosophie
crude nude, wie sie unter den philosophischen Romantikem des einsetzenden
19. Jahrhunderts im Schwange war, so weiß ich wirklich nicht, was dann noch
Metaphysik heißen soll. Und so kann ich am Schlüsse meiner Darlegungen
nur das Urteil wietlerholen, das ich im Sozialen Optimismus« (Jena, Coste-
noble, loo:;, S. 170 f.) ül)er R.s Weltanschanung gefällt habe. R.s Weltan-
schauung ist energetischer Pantheismus im Rahmen der Terminologie unseres
Zeitalters. Am nächsten steht er dem ethischen Pantheismus Fichtes. Beide
gehen gleicherweise von Spinoza aus. Nur lebte Spinoza im klassischen Zeit-
alter der sich ausbauenden Mathematik, und deshalb schrieb er seine »Ethik«
more geometrico. Sein Pantheismus ist daher ein mathematischer. Fichte
konzipierte sein System unter dem Sternbilde des »kategorischen Imperativs«
von Kant. Ihm ist die Substanz kein ruhendes Sein, sondern ein bewegtes
Sollen, eine zu losende Aufgabe: eine zu erfüllende transzendentale PHicht.
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RaUcnhofer.
299
/?tu/s shw natura sind nicht geometrisch -ruhend, wie bei Sj)inoza, sondern
dynamisch-bewegt, wie iiei Leibniz. Die Kntwicklungsrichtung der Substanz
— ihre -Dominante«, ihr i^Conalus< — ist daher eine ethisch -praktische;
kein Sein, sondern ein Tan. Gott ist gleichbedeutend mit der ordo Shunts,
der sittlichen Weltordnung, die sich im Menschen und durch den Menschen
stufenweise vollzieht. Fichtes Zeitalter ist ein vorwiegend dialektiscli-speku-
latives, und so kommt es, rhiß Fichte seine Wehanschauung nicht wie
Spino/a morc ^cumt'/r/ic. sondern wie Schölling und Hegel, welche sich der
»dialektischen Methode« bedienen, mvc tiialeitico konzi|)iert. R. aber ist ein
Sohn der Darwin-Spencerschen Epoche. Seit Darwin ist das Lebensproblem
das Problem unserer Tage geworden. Nichts im Leben interessiert uns seit
der durch Darwin heraufbeschworenen biologischen Periode der Wissenschaft
mehr als das Leben selbst. Mit der Biologie traten indes die Zweck-
vorstellungen in den \'ordergrund, und wir l)ckommen mit Cossmann, Driesch,
Kano, Rindfleisch und Hunge eine empirische Teleologie — ein Wiederauf-
leben des fälschlich todgesagten Vitalismus. Spencer erneuert Schclling,
Ostwald die Lorenz Okensche Naturphilosophie. In diese Gedankenwerk-
stätte tritt der österreichische Spencer zuerst als Lehrling, sehr bald als
Meister ein. Die philosoj^hiegeschichtlichen Zusammenhftnge gehen ihm ab.
Aber »das Cicfühl ist der Pionier der Erkenntnis« sagt einmal R., Wundt
zitierend, ohne zu bedenken, daß heute Ril)(>t, auf diesem (Icdanken bauend,
eine Weltanschauung erneuert hat, die im achtzehnten Jahrhundert in England
die herrschende war. Mit diesem »Gefühl« ergreift R. die Probleme und
sehr bald ergreifen die Probleme ihn. Er glaubt zu schieben und wird
geschoben. Die immanente Logik, welche ihn zum Pantheismus mit unwider-
stehlicher Gewalt hinzieht, läfit ihn die »Urkraft« mit Herbert Spencers
•t> ['nknincii/'/i- ■ und Kants Ding-an-sich identifizieren. Ohne den Zug des
philoso|)hiegeschichtlichen Denkens zu kennen, wird K. Fichte in die Anne
getrieben. Aber Fichte ist ein ahnender, naturwissenschaftlich ununterrichteter
Geist, R. hingegen ein an Herbert Spencer orientierter, in der harten Sdiole
des Lebens und des Naturwissens geschulter Denker, der den hohen Flug
Fichtes nicht teilt, auch dessen philosophiegescluchtliche Kenntnisse nicht
erreicht, dafür aber durch ein reiches, sorgsames und feinsinniges F'rfassen
der Prinzipien unserer heutigen Naturerkenntnis entschädigt. Seine Methode
ist also nicht die dialektisc he, wie Fichtes, sondern die biologische, wie die
Reinkes. Aber im Hauptgedanken, im Gerüst und Rückgrat seines Systems
des positiven Monismus, ist er Pantheist wie Spinoza und Fichte. Nur kon-
zipierte Spinoza im wissenschaftlichen Rahmen seines Zeitalters den Pantheis-
mus M^r^ ^f^wr^/r^^, Fichte im Rahmen des seinigen more dialecHco, R. endlich,
der dc^ininicrenden Wissenschaft unseres eigenen Zeitalters gemäfi, seinen
Pantheismus; »lore Inologico.
Werke K.-: I. Die takti>chcii lehren <ic> Kriege- iSyn 1S71. Strcfdcurs Jlstcrr,
militftri^chc Zcitschrilt 1872 (l'rci>schrifi). 154 .Seiten. — 2. Unsere i ieeresverbältnissc.
Teschcn 1873 (anonyme Karopfächrift). — 3. Die praktischen Übungen der Inümterie und
Jlgtrtmppe. I. Aatlage 1875, 4. Auflage 1885, Teschen. — 4. Zur Reduktion der konti-
nentaleii I leere. Wien (.^cidel u. S.) 1875. — 5. Aus R.s Feder stammt der VI. Rand der
vom k. k. ii-terr. ( Jencralstali herau-gegeheiien : Keldzüge de- Prinzen Eugen, enthaltend
da.s Krieg.sjahr 17U4. Wien (CJerolds Sohn) 1879. — 6. hn Donaurcich (unter dem Pscudo-
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300
Rattenhofer. Schaltet.
nym (ju>t;i\ Kciichr). Prag, Karl Hcllniariu. i. Bd. (»Zeitgeist und Politik«) 1877, II* Bd*
(»Kultur«) 187S. ~ 7. Die Staatswehr, Untersuchungr der ftflTendichen Miülinngelcgenheiten.
Cotta, Stuttgart 1S81. — 8. Truppen fUhrun(T im K.u>t Senijewo (im amtlichen Auftrag).
iSSS. - Vom 1874 iqoi tihcr v> Auf^;U/c iniliiaiiM licn Inhalt-, inci>t erweitert^' münd-
liche Vortlage, veri>t)cutlicht in Strefflcurs ostcrr. inilitur. Zeitschrift und in dem »Organ der
tnilitürwisscnschaftlichen Vereine«. — 10. Wesen und Zweck der Politik. 3 Bde., Leipzig
(Brockbaus) 1893. — 11. Sotiologische Erkenntnis, ebenda 1898. — 12. Der pcisitivc
Moiiisnuis, ebenda iS'j'). - 13. I'ositivc Ktliik, if)ni. — 14. Kritik des Intellekts, i<><)2.
15. Seit 1900 eine Reihe von politischen und wi>^en-.ehaftlichen Auf>at?en in der Wiener
Zeitschrift: Die Wage, in der N. Fr. Presse und der politisch-anthropologischen Revue (Voll-
manns). — 16. Die Probleme der Soziolofpe. Vortrag, gehalten Sepiünnber 1904 in St. L.oui<»
— 17. Soziologie. — Umfanjjreichcs unvollendetes Manuskript aus den Jahren l'^03 — 1904.
Literatur Uber Gu>tav R. : Otto Crain/ow, du-tav R. und >cine Philosophie, Berlin,
Schildbcrgcr 1904. Le?ter F. Ward, ConUinporary Sociology (deutsche Übersetzung 1904 t.
Er. Clemens, Pösitivismus und Pädagogik in: Zeitschrift ftlr Pltilosophie und Pädagogik 1904.
Ausfahrlichc Besprechungen von R.8 Werken in liardcns »Zukunft« von Professor Gumplo-
w'w'T ti'id iti der wissenschaftlichen Heilage der Alln. 7a\\\\\\<^ von Johannes L'nold.
AnoDvnuis, Nekrolog in Danzcrs Armee • Zeitung, Jahrgang 1904, Nr. 49, 50 und 51. Ein
monographischer Essay Aber R. in meinem Buch »Der soziale Opttmismtis«. Jena, Costcnoblc,
1905 (s. 15s— 180).
Bern. Ludwig Stein.
Schuttes, Karl, Buhnenleiter und Schriftsteller, * 9. Juli i8aa im Schlosse
Triesdorf bei Ansbach, f 9. Juli 1904 in Hannover. — Sein Vater, ein bayrischer
Militärarzt, loitcte soldatisch derb, doch liebevoll die erste, geistige Ent-
wickeluttg des einzigen Sohnes, während die einer französischen lüni^^ranten-
fainilie entstammende Mutter eine leieht bewegliche, französische Pliant;isic
mit treuem, deutschem Gemüte verband und so vorteilhaft auf die Herzens-
bildung des Sohnes einzuwirken vermochte. Dieser kam mit zehn Jahren in
das königliche Kadettenkorps nach München und machte schon in diesem
Institute unter des berühmten Efilair Leitung als sechzehnjähriger Jfingling
seine ersten Bühnen versuche, die die Aufmerksamkeit des Hofes und der
Stadt erregten. Mit 18 Jahren trat S< Ii. als Offizier iti die bayrische Armee.
Durch seine seit iS.}5 in <len I-liegenden Blättern veröffentlichten I,an»i^-
knechislieder i und Reiterlieder ' verschaffte er seinem Decknamen >'Der alte
Landsknecht« einen guten und dauernden Klang; auch wurde er Mitglied
des Münchener Dichtervereins, dem er lange Zeit als Schriftführer angehörte.
Die Munifizenz des damaligen Königs Maximilian II. von Bayern, der dem
jungen Dichter freiunllichst zugetan war, erleichterte diesem den ( hertritt
aus dem Heere zum Hoftheater, da sein ganzer Sinn der dramatischen Kun>t
stets zugewendet blieb, und am 2. Januar 1849 betrat Sch. als Schiller^ in
Laubes «Karlssdiülern« mit außergewöhnlichem Erfolge die Nationalbühne
in München. Später war er in Leipzig, wohin Laube ihn empfohlen hatte,
in Graz, wo er sich Holteis Freundschaft erwarb, und zwei Jahre in Regensburg
engagiert, wo er als artistischer und wirklicher Direktor wirkte, ü!)ern:ihm j
dann die Hegie des H(»ftheaters in Meiiiingen und kam 1S57 an das Hof- |
theater nach Hraunsi hweig, wo er sofort lebenslänglich angestellt wurde. Im
Jahre 1867, nach dem Tode des Hollhealerdirektors Schütz, übernahm Sch.
auf Befehl des Herzogs die artistische und technische Leitung des Braunschweiger
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Schulte«. Wendt.
301
Kunstinstituts, suchte aber, als seine Kunstansichten nicht mit denen einer
neu ernannten niilitärist lu ii Intendanz in Eiiiklanp; zu !)rinj,'en waren, seine
Kntlassung nach und trat 1H72 in den Ruhestand. Während dieses ganzen
Lebensabschnittes war Sch, aucii auf verschiedenen Gebieten als Schriftsteller
tätig gewesen. Seine »Gedichte und Lieder« (1851) waren von Uhland aus>
gewfthlt, geordnet und warm empföhlen worden. Als Dramatiker hatte er
bereits 1847 ein Zaubermärchen > Liebesprobe« für die Münchener Hofbühne
gedichtet; ihm folgten '^Der treue Papa« (Lyrisches Drama, 1852), das preis-
gekrönte Drama zur tausendjährigen Iul)elfeier der Stadt Rraunsrhweig Hrunswiks
Leu, stark und treu« (1861), das Lustspiel • Flitterwoeheni^ (1862), der Schwank
»Ein Roman in zehn Bänden« (1863) und die Texte zu den Opern Elfriede«,
»Der selige Herr Vetter« und »Der Fahnenschmied«. Als Erzähler bot uns
Sch. »Der alte Komödiant« (Novelle in Liedern, 1853), »Reklame!« (Roman;
II, 1867), Süfl und Nord« (Gesammelte Novellen; II, 1867) und die humo-
ristische Erzählung aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges »rhlens])egel«
(II, 1867). Nach seiner Pensionierung siedelte Sch. nach IJremen über, aber
bereits am i. April 1873 berief ihn der königlich preußische (Jeneralintendant
von Holten (der ältere) zum artistischen Direktor des Hoftheaters nach Wies-
baden, wo er bis 1888 noch eifrig tätig war. In dieser Zeit schrieb er »Im
Waldesfrieden« (Drama, 1878), »Die Reise nach dem Glücke« (Festspiel, 1879),
»Eine Partie Schach« (Drama, 1882), »Der Ehrenpokal« (Posse, 1883), »Maigela«
(Novelle, 1883) und seine Sammlung munterer bintaler Ceschicliten ' (lambs-
kreß und Enzian« (1887). In Haiuiover, wo er nun seinen Lebensabend
verbrachte, schritt seine literarische Tätigkeit rüstig vorwärts und lenkte be-
sonders durch eine Geschichte aus Shakespeares Schauspielerzeit »Sakis am
sola! oder: Williams Sturmjahret« (Roman, 1891) die Aufmerksamkeit weiter
Kreise auf ihn, während seine folgenden Arbeiten »Der Puppenspieler«
(Charakterbild aus dem Chiemgau, 1892), die Erzählungen aus dem bayrischen
Volksleben ■HlauweiÜ (1892), das \'olksschaus|)iel Der arme Heinricli (1804)
und die Erzählungen »Das Signum Karls des Großen« (1896) und «Hanfried«
(1898) kaum noch Beachtung fanden.
Penönliche Mitteilangen. — Adolf Hinricbseii: Das literarische Deutschland, 1891,
S. 1206. — Ci. r>. Flüggen: Biographisches Bflhnen-Lcrikon, 1892, S. 282. Berliner Tage-
blatt vom 12. Juli 1904. Franz Brümmer.
Wendt, Karl Ernst Ferdinand Maria, [Ȋdagogischer Sihriftsteller,
♦ I. November 1839 in Dresden, f 12. Oktober 1904 in Troppau in Österreich-
Schlesien. — Seine Eltern, die beide als Opemkräfte an verschiedenen Bühnen
Deutschlands tfltig waren, stiü'ben frühe, und so übernahm die in Dresden
lebende Großmutter, eine hochbegabte, einer alten französischen Adelsfamilie
entstammende Frau, die Erziehung des Knaben, der bis 1856 das Progymnasium
besuchte un<l dann in das katholische Lehrerseminar in Bautzen eintrat, das
er ( )stern i.S6f) absolvierte. Schon während seiner Studienzeit hatte W. ver-
schiedene kleinere poetische Arbeiten veröffentlicht, und er setiite seine schrift-
stellerische Tätigkeit nun in Leipzig fort, wo er Anstellung als Lehrer an der
katholischen Bürger- und Armenschule gefunden hatte. So erschienen 1863
seine »Goklkörner- (1000 Sentenzen und Sinnsprüche) und 1864 »Frisches
Grün« (Lieder und Balladen, 2. Aull. 1886). Die erste Schrift erregte im
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^02 Wciult. RcRcnstciii. 1,
Ii
fernen Siebenbürgen die Aufmerksamkeit des nachmaligen SchuI^nspektc^ I
Weber, der gelegentlich einer Reise nach Deutschland den jungen Lehk |
aufsuchte und diesen bcwog, eine Stelle an der ihm, dem Stadtpfarrer Webe: I
.unterstellten Normal Hauptsrlnili- in Ilcrmannstutlt anzunehmen. Im Somtn
i86|; siedelte \V. dorthin lihiM und verlebte dort fast sechs Jahre, das let.::
Halbjahr nicht mehr als l.clucr, ^»onde^n als Privatmann, der su h durch Vo.
Icsungen über Ästhetik für Damen einen besonderen Wirkungskreis geschafier
hatte. Dann führte er seinen lange gehegten Entschluß aus, seine Bildr^'
durch den Besuch einer l'nix crsität zu ergänzen, und so kam er nac Ii I^ipzi^.
wo er unter Drobisch, /ilkr, Striniij)ell und Masius l'ä(lac<igik, Asthet-v
Philosophie und unter l ei hnt t I »esonders Psychologie studierte und dann <c
Staatsexamen ablegte. In Jena erwarb er sich mit seiner Schrift her !
Willensbildung vom psychologischen Standpunkte« (erschien erst 1S75) ^
Würde eines Dr. pMl. Nachdem er kurze Zeit als Lehrer an der Realsdwk
in S( hneebcrg gewirkt hatte, folgte er 1874 einem Rufe als Professor an da
königliche kaiserliche I-elueriinien-Hildungsanstalt nach Troppau in österrei'h-
Schlesien, an fler er last :;(( Jahre mit großem Erfolge und St-tjen gewirk:
hat. Seine weitere si hriftstellerist he Tätigkeit bewegt sich vorwiegend au: 1
dem Ciebiete der Pädagogik und Psychologie; hier wären besonders seil» 1
Werke »Repetitorium zur Geschichte der Pädagogik« (1880), »Psychologische !
Methodik« (1886), »Methodik des schönen Vortrags« (1886), »Pftdagogisctie
•Abhandlungen« (1886), Das wahre Wesen der Gefühle« (1894), > Die SecK
des Weibes (3. Auflage 1898), »Neue Seeienlehre (1893) und Psyrliolotii^i
Pädagogik des Kindergartens (j. Auflage 1903) anzuführen. 1 )anel»cii grunUctc
er 1877 Die österreichische Lehrerinnen-Zeitung< , die später unter dem Tiici
»Mädchenschule« erschien und von ihm bis 1883 geleitet wurde, und 1889
mit Marianne Nigg den »Lehrinnenwart«. Auch einige Jugendschriften uimI
eine neue Sammlung von Gedichten »Elisabethrosen« (1878) sind von ihm
zu verzeichnen.
Pfr'^iiiili< lu' Mitteihinfjt ii. — .Adolf Hinrichscn: Das literarische Dcut'schl.'itul, S. 1 ^70. —
Der Lclircriiiiicn-VVairt, Jahrg. 1S90, Ü. 81. Franz Brümmcr.
Regenstein, Charlotte, Romanschriftstellerin, * 27. März 1835 in Schwerin
(Mecklenburg), f so. Mai 1904 in Hannover. Früh verwaist, trat sie nach
einer sehr still und einförmig verlebten Kindheit, kaum 15 Jahre alt, mit
einem Vetter in die Khe. Ihr (Jatte hatte seine Studien aufgegeben utid war
Offizier in tler schleswig-holsteinischen .Armee geworden, um für die Hefreuiiiil
dieser Herzogtümer mitzukämpfen. Die junge Gattin begleitete ihn dorthin,
und ihr junges GemQt erhielt dort unverwischbare Eindrücke. Nach Beendigung
des Feldznges trat der Gatte zu Schwerin in die Beamtenlaufl>ahn, und die
Dichterin konnte die nun folgenden neun Jahre als wolkenlos glückliche be-
zeichnen. Als aber ihr Mann r86o plötzlich starb und sie vor die Aufgabe
gestellt wurtle, mit sehr unzureichenden Mitteln für tiie Erziehung ihrer vier
Kinder allein zu s(jrgen, da l)liebcn die Tape der Sorge nicht aus, und der
nächste Zeitraum von zehn Jahren brachte Kummer und Mühen die Fülle.
Dann machte sie eine neue, inhaltreiche Episode durch. Durdi eine Ver*
kettung besonderer Umstände trat Charlotte R. 1870 in die Hofkreise ein;
mdessen war ihre Natur für die Sphäre völlig ungeeignet, und so schied sie
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Regenstein, von Najmijer.
303
' nach sechsjäliriuer Tätigkeit um Xeujnhr 1876 aus ihrer Stellung am Hofe
• • und siedelte bald darauf iiarh Dresden über, wo sie sich mit einer gleich-
' " g'estimmten Kri-uiidin ein neues Heim ^^riindete. X'erschiedi-ne Reisen nach
.. Paris und London, ein Jahr in Italien bauten im Geiste aus, was die stillen,
.- an inneren Erlebnissen reichen Jahre angesammelt hatten, und so betrat sie
schon 1875 die Laufbahn einer Schriftstellerin — unter dem Pseudonym
, Alexander Römer — , der sie auch nach ihrer Übersiedelung nach Hannover
• (1887) bis zu ihrem Tode treu geblieben ist. Ihre Romane »Gräfin Sibylle«
(II, 1878), Stil! und bewejit • (II, 1S80), »Frühlinj^ und Hochsommer' (1SS2),
»Feiner aus der Masse (1888), »Moderne Kultur« (1889), »Unter dem Purpur»
(1890), »Die I-üge ihres Lebens« (1890), »Die Glücksjäger« (1892), »Tante
Jettes Pflegesöhne« (II, 1893), »Dem Irrlicht nach« (II, 1893), »Eine Entführung«
• (1893), »Was ist Glück?« (1895), »Licht und Finsternis« (1895), »Im Netz«
(1897), ' Wer hat den Frieden?« (1897), »Gesühnte Schuld (iS().S\ Eben-
hürtige Gefährten (iSqS), »Am Ziele- fi8(){)), -Gerettet (iSoq), v Leidenschaft-^
(iSqc)), Treue (looi). Späte F.rkenntnis (IQ02), '>\'ersuchung (1903) unil
»I>ie Krlöserin» (1903) werden dem heutigen Geschmack der »Moderne« nicht
entspredben, zeichnen sich aber durch sittliche Tendenz aus.
Peisfinliche Mitteilungen. — Illustrierte Welt, Jahrg. 1896, S. 459.
Franz Brflmmer.
Najmäjer. Marie von, Dichterin, ♦ 3. Februar 1844 in Ofen (Budapest),
•f- in Aussee (Steiermark) 25. August 1904. - Sie war die Tcx hter des unga-
rischen Hofrats Franz von N. und das einzige Kind ihrer Filtern, wuchs in
angenehmen Verhältnissen auf und erfreute sich einer glflcklichen Kindheit,
wahrend sie die ungarische und französische Sprache schon frühe beherrschte,
lernte sie da- Pcutsche erst in Wien, wohin ihr Vater versetzt worden war,
\ind wo derselbe schon 1854 starb. Die Mutter, selbst eine Wienerin, behielt
nun ihren Wohnsitz daselbst l)ei und widmete sich ganz der I*!rzieliun[: ihres
Kindes. Marie pflegte mit großer Liebe Musik und im geheimen auc h Poesie.
Franz Grillparzer, dem einige ihrer Gedichte von seiner Freundin Josephine
Fröhlich, der Gesanglehrerin Mariens, vorgelegt wurden, ermunterte die Dichterin
zur Herausgabe ihrer »S( hneeglöckchen« (Gedichte, x868, a. Auflage 1873),
deren freundliche Aufnahme sie zu weiterer Betätigung auf poetischem Ge-
biete, vor allem aber zu eingehenden literarischen Studien veranlalite. Schon
1872 erschienen (iedichte. Neue Folge , in denen sie auch glücklich ilen
leidigen Dilettantismus abgestreift hatte. Trotzdem hatten beide Samnilungen
nur lokale Bedeutung; erst durch ihre epischen Dichtungen wurde ihr
Name Ober die Grenzen ihrer Heimat hinausgetragen. In »Gurret-QUEyn«
(1874), einem Bilde aus Persiens Neuzeit, schildert sie uns den Kampf der
dort seit 1848 tätigen Habi-Sektc, die mit Begeisterung und Ausdauer einem
Ziele zustrebt, welches in der Abschaltung aller Mißbräuche des religiösen,
j)olitischen und sozialen Lebens gipfelte, und in ^-Gräfin Kbba« (1877) laüt
sie uns einen Blick in ihre eigene Seele tun. Epischen Fiufi hat auch ihre Dichtung
»Johannisfeuer« (1888), ja selbst in ihren »Neuen Gedichten« (1890) und »Der
Göttin Eigentum« (Gedichte, 1900) zeigt sie, daß ihre geistige Domäne nicht
das eigentliche Lied in seiner Finfachheit, sondern vielmehr die Poesien mit
odenhaitem Schwung und die erzählenden Dichtungen sind. Auch auf dem
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I
^1 )^ von Najmiycr. Ffirstenheim. Gnrckc.
Gebiete des historischen Romans ( Die Schwedenkoni^iii ; II, und Der
Stern von Navarra« ; II, lo^o) und des Dramas 1 Hildegard, liürgerlirhes
i'rauerspiel , 1899 und »Kaiser Julian. 'l'rauersi)iel s 1903) 1^^** ^»ith die
Dichterin mit Erfolg versucht. Ihren Wohnsitz hat sie in Wien stets beibe-
halten. Ohne sich bei der Frauenbewegung werktätig zu beteiligen, trat sie
doch mit Wort und Tat für das Wohl der alleinstehenden, besonders geistig
arbeitenden Frauen ein, um ilinen im Kampf ums Dasein Erleichterung zu
gewähren. So rief sie die erste Sti|)endiumsstiftung für weibliche Studierende
an der I niversitiit Wien mit 7500 (lulden ins Leben, half dem Verein der
Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien durch eine erste Zuwendung
von 10000 Gulden einen selbständigen Pensionsfonds gründen, stiftete an der
ersten Gymnasial-Mädchenschule in Wien einen Freiplatz mit 3000 Gulden
und vermachte den grOflten Teil ihres Vermögens der von ihr gegründeten
und ihren Xamen tragenden Stiftung für alleinstehende Waisen von Staats-
beamten. Sie starb in Aussee, wo sie sich zur Erholung aufgehalten hatte.
Nach ihrem I ode ersc hienen noch »Nachgelassene Gedichte« (1905).
l*er&onliche MiUeilungcn. — Karl Schrattcnthal: Die deutsche Frauenlyrik unserer
Tag« (1893), S.82. — Hausfrauen- Zettung, Jabig. 1882, S. 38a ff. — Die Gartenlaahe,
Jahrg. 1900, Nr. 37. — Illustrierte Frauen-Zeltung vom 1$. Januar 1905.
Franz Brümmer.
Fürstenheim, Ernst, L rolog in Berlin, ♦ 18. Aug. 1836 in Cöthen in Anhalt,
t 2. Juli 1904. — F. war medizinisch ausgebildet in Berlin, Würzburg,
Paris, London (B. von Langenbeck, Civiale, Desormeaux u. a.), wurde 1S61
Dr, med. 1863 approbiert, ließ er sich 1863 in Berlin nieder und wandte
seine Spezialstudien den Krankheiten der Hamwege zu. Seine literarische
Tätigkeit umfaßte verschiedene Veröffentlichungen über Kranklieiten der
männlichen Geschlechtsorgane und der Harnwege, besoiulers liber Endoskopie
der Harnwege (zumeist nach Vorträgen in ärztlichen Gesellschaften), die er
in Deutschland unter Modifikation des Instrumentariums von Desormeaux
einführte zugleich mit der Ipkalen Therapie der HamrOhre und Blase. Eine
Zeitlang hielt F. audi Arztekurse über sein Spezialfach ab.
Vergl. Virdiows Jahiesbericlit von 1904, I, 466. Pagel.
Garcke, August, Professor der Botanik und Pharmakognost in Berlin,
* 1819 zu Braunrode Kr. Mansfeld, f 10. Januar 1904. — G. war anfangs Theo-
loge in Halle und hatte bereits seine theologische Staatsprüfung daselbst absol-
viert, als er zum Studium der Botanik überging, dem er sich seit 1851 unter
Alex. Braun in Berlin widmete. Hier wurde er 1856 Gehilfe am Herbarium,
1865 Kustos am Botanischen Garten. iS^q als l'rivatdozent habilitiert,
gelangte er 1871 zu einer außerordentlichen Professur, (j. war einer der
besten Kenner der Flora Deutschlands, lange Jahre Examinator in der
pharmazeutischen Staatsprüfung und wird von allen, die ihm näher getreten
sind, als einer der bravsten, liebenswürdigsten und gemütvollsten Männer
und als vorzüglicher Lehrer geschildert Er ist Verfasser verschiedener Ver-
öffentlichungen, bezüglich deren auf die unten genannte Quelle verwiesen
werden muß.
Vergl. Vircbows Jahresbericht von 1904, 1. Pagel.
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StdIwBg von Canon.
305
Stellwag von Carion, Carl, Professor Her Augenheilkunde an der Uni-
versität Wien, ♦ zu Langendorf am 28. Januar 1823, f 21. November 1904
in Wien. — St. entstammte einem alten fränkischen Geschlechte, dessen An-
fänge sich bis in den Beginn des 15. jahrtiunderts verfolgen Keflen. Er
besuchte als Knabe die Piaristen-Hauptschule zu Freudental, absolvierte 1839
das Gjrmnasium zu Olmütz, dann die philosophischen Studien zu Olmütz
und Prag und bezog 184 1 die Carolo-Ferdinandea der letzteren Stadt, um
im Oktober 1843 «^"f die Wiener Lniversität überzutreten. i<S47 wurde er
zum Doctor nudUinatt 1848 z\x\\\ Doctor chtrur^iae promoviert. 1847 trat er als
Extemist in das Wiener allgemeine Krankenhaus ein, anfänglich an der
internen Abteilung des Primararztes Dr. Bittner, und wurde im Sommer desselben
Jahres auf die Augenabteilung des Professors Rosas übersetzt. Am i. Oktober
1848 wurde er zum i. Sekundararzt der letztgenannten Abteilung ernannt und
leitete dieselbe während der Belagerung Wiens selbständig, da ihr Vorstand
aus der Stadt geflohen war. 185 1, nach vollendeter gesetzlicher Dienst-
zeit, wandte er sich der Praxis in Brünn zu, kehrte jedoch schon im März
des folgenden Jahres nadi Wien zurUck, um sich ganz den wissensdiaftlichen
Forschungen widmen zu können. 1854 wurde er auf Grund seines dreibändigen
Werkes: »Die Ophthalmologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkte«
Dozent der Augenheilkunde an der Wiener Universität und 1855 ^" ^^i"
wieder errichteten medizinisch-chirurgischen Josephs-Akademie. 1855 hatte
das Professorenkollegium der Wiener medizinischen Fakultät ihn für die
erledigte Lehrkanzel der Augenheilkunde an der Wiener Universität vorge-
schlagen. Die Stelle wurde aber durch Arlt besetzt und St. »in Anbetracht
seiner verdienstlichen Leistungen als Lehrer und Schriftsteller« 1857 zum
auÜerordt'ntlichen Professor ernannt. 1858 wurde St. ordentlicher Professor
an der medizinisch-( hirurj^ischen Josephs- Akademie und nach deren Auf-
lösung 1873 als ordentlicher Professor der Augenheilkunde an die
Wiener Universität übersetzt 1883 erhielt er den Titel und Charakter eines
Hofrates. Als er im Januar 1893 das 70. Lebensjahr und somit die gesetzlich
bestimmte Grenze seiner .amtlichen Lehrtätigkeit erreicht hatte, bot sich seihen
Kollegen und Schülern die willkommene Gelegenheit, zu seiner Ehrung eine
Feier zu veranstalten, welche den Jubilar aufs tiefste bewegte und mit
freudiger Genugtuun^^ erfüllte. Nachdem er dann noch ein Ehrenjahr in
seinem Lehramte gewirkt hatte, wurde er nach mehr als 4ojähriger Dienst-
zeit 1894 in den dauernden Ruhestand versetzt und »in neuerlicher An-
erkennung der verdienstvollen vieljährigen Wirksamkeit auf dem Gebiete des
Lehramtes und der Wissenschaft« mit dem Rittericreuz des Leopold«Ordens
ausgezeichnet.
1895 legte er die Herechtigung zur Ausübung der Pra.xis zurück, ver-
schenkte seine ganze medizinische Büchersammlung an die Innsbrucker
Universitäts-Bibliothek und sagte der Heilkunst Lebewohl, um den Rest seiner
Tage ganz den von Jugend auf mit Vorliebe betriebenen Naturwissenschaften
und der Geschichte zu widmen; noch als Achtzigjähriger durfte er sirli rühmen,
taglich S Stunden ohne Ermüdung lesen zu können. Dreimal noch bot sich
seinen Kreunden der Anlaß, den nntten im Getriebe der Großstadt als Ein-
siedler lebenden (jelehrten aus seiner Ruhe aufzustören: gelegentlich seines
50jährigen Doktorjubiläums, anläfilich setner 50 jährigen Mitgliedsdiaft der
Biogr. Jakriraeh o. Deatidicr Krtrriog'. 9. Bd. 20
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306
Stellwag von Carioa.
k. k. Gesellschaft der Arzte und ans Anlafi seines 80. Geburtstages. Sein
Tod kam allen unvermutet, iil)erras( hcnd.
St.s Entwicklungsgang war nicht leicht und glatt gewesen. Er hatte vici
mit Widerwärtigkeiten ztt kämpfen gehabt, welche zuerst materieller Natur waren,
später in der Zeitgenossen Miflgunst begründet waren. So durfte er als Assi-
stent bei Rosas, welchem im Jahre 1847 die Augenheilkunde als eine abge-
schlossene Wissenschaft ^alt \m(l der jede Neuerung als ein vergcblirhes.
frevelhaftes Unternehmen mit Mißtrauen verfolgte, seine mikroskopisclien
Studien nur hinter versperrten Türen zu betreiben wagen und, als er dennoch
dabei ertappt wurde, hätte es ihm beinahe seine Stelle gekostet. Nur der
Fürsprache Wedls gelang es, die drohende Gefahr abzuwenden. Die Fracht
dieser Studien aber war die dreibändige »Ophthalmologie vom naturwissen-
schaftlichen Standpunkte ein epochales Werk, welches die Resultate rast-
loser, angestrengter, zehnjähriger Forschung niedergelegt enthält und aucli
heute noch, nach einem halben Jahrhundert, ein unentbehrliches Nachschlage-
buch für den Fon>cher geblieben ist. Er selbst urteilte in späteren Jahren,
sehr mit Unrecht, recht kühl über dieses »Erstlingswerk«; er bezeichnete die
Anlage fiir zu breit und wollte den Hauptwert nur in der Anführung zahl-
reicher Krankenbeobachtungen und der sorgfältigen Zusammenstellung der
älteren, floldkörner führenden Literatur sehen.
Seine Beschäftigung mit dem Mikroskop (dessen Anschatiung ihm nui
gegen Ratenzahlungen möglich gewesen war) hatte ihn mit dem damals berühm-
testen Optiker PlOssl zusammengeführt und im Verkehr mit demselben war
seine Aufmerksamkeit auf die damals von den Augenärzten ganz vernach-
lässigten, so wichtigen Sehfchler gelenkt worden und führte ihn zu der Auf-
deckung der Hypermetroj^ie. Diese weittragende Entdeckung, welche es cr>f
ermöglichte, die Refraktionsanomalien des Auges vollständig zu überblicken
und zu verstehen, veranlatite zahlreiche, darunter namhafte Forscher (ich
nenne nur Donders) in seinen Fußstapfen weiter zu schreiten und jene ern-
teten denn auch den Ruhm, während man den Pfadfinder kaum nannte.
Diese Übergehung liefi einen Stachel in St.s Brust zurück, der zu schmerzen
nicht aufhörte und den Greis noch zu bitteren Bemerkungen veranlaflte.
Bald nach seiner Herufung an die Josephs- Akademie verfaßte er sein
treffliches Lehrbuch, welches fünf Auflagen erlebte und in mehrere frcrmic
Sprachen übersetzt wurde. Zahlreich sind seine anderen Schriften, welche
sich auf allen Gebieten der ophthalmologischen Wiraenschaft bewegten.
Von besonderer Wichtigkeit sind seine Arbeiten Über den intraokularen
Druck, welche zur Aufstellung einer eigenen geistreichen, physikalisch fun-
dierten f'.I uikomthcorie führten, seine Arbeiten über Lidrandplastiken, ülier
Schleimhaut] »fropfung, über leuchtende Auj^hmt. über Theorie der Augenspiegel,
über die Beiuindlung der Bleniwrrhoea conjunitivac, über unblutige Behandlung
des von Übersichtigkeit abhängenden konvergierenden Schielens, über Inner-
vationsstörungen bei Morbus Basfäawiu
St. war ein ausgezeichneter Lehrer. Er hatte einen ungemein lebendigen
Vortrag und wußte ihn durch Einstreuung von launigen, häufig satirischen
Bemerkungen sowie von anekdotenhaften Episoden aus seinem und seiner
Zeitgenossen Leben zu würzen. Ihm war die Augenheilkunde keine in sich
streng abgeschlossene Spezialwissenschaft, sondern er wußte sehr wohl den
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SteUwag von Caiion.
Zosammenhang derselben mit den anderen medizinischen Disziplinen her-
zustellen und zu betonen, daß es nicht gelte, kranke Augen, sondern augen-
kranke Menschen zu behandeln. Kr hatte auch nicht den Ehrgeiz, in
seinen Vorlesungen Spezialisten erziehen zu wollen, sondern praktische
Äixte, welche von der Augenheilkunde soviel verstehen sollten, als sie in
der Praxis (und er dachte dabei immer an die Praxis auf dem Lande) zu
wissen nötig hatten. Kr legte deshalb auch keinen Wert darauf, in der Vor-
lesung ophthalmologische Curiosa, welche das Entzücken des Fachmannes
sinrl, vorzustellen, sondern machte die Studierenden mit den häufigen vmd
wichtigen äulieren Augenkrankheiten und deren Behandlung um so eingehender
bekannt. Leider bediente er sich einer eigenen und daher ungebräuchlichen
Nomenklatur zum grofien Leidwesen jener Studierenden, welche bei ihm
Prüfung machen mußten und an die Arltsche Ausdrucksweise gewöhnt waren,
aber auch zum eigenen Schaden, da sie der AHgemeinverstflndlichkeit seiner
Abhandlungen abträglich war.
Das Lebensbild St.s wäre nicht vollständig, wollten wir nicht auch seine
persönlichen Eigenschatten berühren. £r war ein ausnehmend gescheiter,
durchaus kritisch veranlagter Mann von unermüdlichem Fleifie und von tiefem
Wissen. Ihm war der Augapfel nicht der Mikrokosmus, auf welchen er sich
beschränkte, er interessierte sich für alles, am wenigsten für Politik, am
meisten für Natur^^-issenschaften und zwar in erster Linie für Botanik, seine
Jugenflliebe, der er bis ins höchste Alter treu blieb. .Auch die Musik pflegte
er mit großer Liebe und spielte an Kammermusikabenden, welche ihn Jahre
hindurch mit gleichgesinnten Freunden vereinigten, die erste Geige.
Er war ein spröder, starrer Charakter von auflerordentlicher Willens-
stärke und Tatkraft. Unterwürfigkeit war ihm fremd, aber auch die konven-
tionelle gesellschaftliche Schmiegsamkeit war ihm versagt, seine Umgangs-
formen waren eher rauh als konziliant. Da er sich nicht scheute, seiner
Meinung über aiuK-re otfen und laut und nii fit selten in sehr scharfer \\'eise
Ausdruck zu geben, hatte er sich die Gunst mant ii eiiitluüreicher Persönlichkeit
verscherzt, was für die Anerkennung und Würdigung seiner wissenschaftlichen
Leistungen nicht ganz bedeutungslos war; was er entdeckte und gelehrt hatte,
wurde zwar aufgenommen, seinen Namen aber nannte man nicht gerne.
Wer jedoch St. nur nach seinen herben l'mgangsformen beurteilen
wollte, täte ihm sehr l'nrecht. Man brauchte ihn nur im .Ambulatorium
seiner Klinik, in welchem er täglich, Sonn- und l eiertage nicht ausgenonmien,
Stundenlang mitten zwischen den Hilfesuchenden zu weilen pflegte, zu beobachten.
Wer da sah, welche Teilnahme er den Kranken, welche Liebe den Kindern,
für die er stets in seiner Tasche Süßigkeiten bereit hatte, entgegenbrachte,
dem konnte es nicht verborgen bleiben, wie viel Wohlwollen und Güte in
seinem Herzen wohnte.
Jetzt, wo sein Name bereits der (ieschichte angehört, in deren Buch er
mit goldenen Lettern eingetragen zu werden verdient, wird, abgelöst von
allen persönlichen Beeinflussungen, zweifellos eine vorurteilslose und gerechte
Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen eintreten, und da wird ihm
in der Ophthalmologie gewiß der Platz widerspruchslos angewiesen werden,
der ihm seit jeher gebührte: ein £hrenplatz; denn er war einer der Größten
seiner Zeit.
20*
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308
Stellwaff von Canon. MtUler(-Palm).
Stellwa^'s wiNscnNchaftliclif Alihandlunjjen : i. Die Körperverletzungen als Gejjen-
stand der genchtaärxtiichen Begutachtung. Dissertation. Wien 1847. — 2. Die Ophthal'
mologie vom natunrisscnscbaftlichen Standpunkte. Fnihwg 1853 l>i* >8s8- — 3- Lehrirad
der praktischen Augenheilkumlc. Wien 1863, 3. Aufl. 1S67 (englisch« Übers. 1868, itaL
1864, Ungar. 1S6S), 4. Aufl. 1N70, unveränderter Abdruck 1885. — 4. Der intraokulare
Druck und die Innervations Verhältnisse der Iris. Wien 1868. — 5. Abhandlungen aus dem
Gebiete der praktischen Augenheilkunde. Wien 1882. — 6. Neue Abhandlungen aas dem
Gebiete der praktischen Augenheilkunde. Wien 1886. — 7. Beiträge zur Lehre von dem
AkkominoclationNvcmiiijrcu (Ks menschlichen Auge<. Zcit-chr. der k. k. Gesellschaft der
Ärzte. Wien 1850. — 8. Zur Lehre von den Glashäuten im allgemeinen. Ibidem 1852. —
9. Die Ektasie des Schlcmmschcn Kanals. Ibidem 18$«* — 10. Statistbdie Beittigc sw
Lehre vom grauen Staare und seiner Heilung durch Operation. Ibidem 1852. — 11. Über
doppelte Brechung und davon abhängige Polarisation des Lichtes im men-ichlichcn Au:,'f.
Denkschriften der Wiener Akademie der Wissensch., 1853. — Beiträge zur Lehre von
dem angeborenen Mangel der Rcgenbogeohaut Zeitschr. d. k. k. Ges. der Ante. Wien
1854. — 13. Beitiftge sor Lehre von den Hemmungsbildungen des menschlichen Auges.
Ibidem 1854. 14. Theorie der Augenspiegel. Ibidem 1854. — 1 5. Beitrag zur Pathologie
der Gehilf>nervcn des menschlichen .\uges. Ibidem 1854. — 16. Die Chorioiditis vom
wissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtet. Wiener mediz. Wochenschrift 1854. —
17. Die Behandlung des Bindehautschleimflusses. Ibidem i8ss* — 'S* Amaurosis in
ihrer Beziehung zu den Leistungen des Augenspiegels. Ibidem 1855. — 10. Akkomnmdations-
fehler des Auges. Sitzungsberichte der Wiener Akademie der Wissenschaften 1S55. —
20. Zur Lehre von dem Albinosauge imd von dem Leuchten des Auges. Zeitschr. d. k. k.
Ges. d. Arste. Wien 1855. — at. Über die Behandlung der Homhantgesdiwere. Ibidem
1856. 22. Entgegnung an Professor Rothmund, die künstliche Pupillenbildung betreffend.
Ibidem 1856. — 23. Über das Verfahren mit Kurzsichtigen am As-entplatze. Wiener med.
Wochenschr. 1860. — 24. Zur Literatur der Kefraktions- und Akkommodatiousanuuiaiieu.
Ztschr. d. k. k. Ges. d. Arzte. Wien 1861. — 35. Theoretische und praktische Bemerkungen
zur Lehre von den Tränenalileitungsorgnnen. Ibidem 1861. — 26. Über Ieu< blende Augen.
Wiener med. Wochenschr. 1.S64. — 27. Der Mechanismus der Tränenleitung. Ibidem 1864.
1865. — 28. Das gelbe amorphe (^uccksilberoxyd. Ibidem 1865. — 29. Zur Lehre von
den hlmodjrnamischen Veihlltnissen des Auges und vom intnokoliren Drodte. Ibidem 1866.
— 30. Die unblutige Behandlung des von Übersichtigkeit abhiBgenden konvergierenden
Sthiclens. Ibidem 1867. — 31. Über gewisse Innervationsstörungen bei der Basedowschen
Krankheit Zeitschr. d. k. k. Ges. d. Arzte. Wien 1869. — 32. Zur Behandlung der
( )phthaImoblennonlioe. Allgem. Wiener med. Zeitsdur. 1882. — 33. Ein neues Verfidiveii
gegen einwärtsgekehrte Wimpern. Ibidem 1883. — 34. RlickbKdce auf die augenärztlichrn
PfropfungsversiK-hi.' und ein neuer Fall Min Schleimbnuttibcrtrai^ung. Ibidem 1889.
35. Über eine cigentündiche Form von Hornhautentzündung. Wiener klin. Wochenschr. 1 889.
— 36. Ober eine eigentumliche Form von Hotnliautentzttiidung. II. Artikel, ibidem 190a
— 37. Zur SteilschriMage. Allgem. Wiener med. Zeitung 1893. — 40> Stammtafd der
Familie Steihvag von Canon. Wurzbachs bingraphisches Lexikon des Kaisertums Östeneidl.
38. Bd, 1H79. II. Aufl. Im Selbstverlage 1903.
Nach dem S.-A. aus der Wiener klinischen Wochenschrift 1904. Nr. 48. — Vgl.
Klinische Monatsblltter für Augenheilkunde. Stuttgart, Enke. XLIU. Jahrgang, 1905.
H. Wintersteiner, Stellwag von Canon, mit Bildnis. H. Wintersteiner.
Müller (—Palm), Adolf, Redakteur und Schriftsteller, ♦ 10. Marz 1840 in
Stuttgart, t daselbst 21. Mai 1904. Sein Vater, der l)ekaniite Verlagsbuch-
händler und Buchdruckereibesitzer Friedrich Müller, hatte im Anfange der
vierziger Jaiire das noch heute erscheinende, weit verbreitete Stuttgarter
»Neue Tageblatt« gegründet und seinen Sohn zum dereinstigen Nachfolger
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Milllei(<Mm). MannstMdt,
309
in seinem Geschäft und zur Führung der Redaktion jenes Hlattes bestimmt
und lieü ihm demgemäß eine tüchtige humanistische (lymnasialbildung zuteil
werden; ja er verordnete sogar in seinem Testament, daü bei seinem etwa
froher eintretenden Tode der Sohn eine kaufmännische Ausbildung empfatigen
und dann durch grOfiere Reisen sich zur Leitung des vftteriichen Geschftfts
tüchtig machen sollte. Diese Bestimmung kam auch zur Ausfühnmg, und
Adolf M. trat 1860 in Amsterdam in ein großes Reedereigcschäft ein und
war darin als Korrespondent für das Ausland mehrere Jahre tätig. Zwischen-
durch fand er auch Gelegenheit, Norddeutschland, Dänemark, England, Frank-
reich und Italien su bereisen. Trotz alledem blieb sein Wunsdb nur darauf
gerichtet, sidi den Wissenschaften widmen zu können, und nach seiner Voll-
jährigkeit kehrte er deshalb auch nach Stuttgart znrOck, hörte hier am Poly-
technikum die Vorlesungen Friedrich Vischers und Wilhelm Lübkes und
begann bald unter dem Namen Adolf Palm sich als belletristischer Schrift-
steller zu betätigen. Die Folge war, daß ihm der Buchhändler Schönlein in
Stuttgart 187 1 die Chefredaktion seiner vier belletristischen Verlagswerke
übertrug. Aus dieser Stellung schied M. 1875, weil eine bedeutende Ver-
größerung des »Neuen Tageblatts«, bei welchem er Teilhaber geblieben war,
durchgeführt und M. die Redaktion des erheblich erweiterten Feuilletons
übernehmen mußte. Inzwischen waren seine Romane »Im Labyrinth der
Seele« (1872) und (lold und leisen (1875) erschienen, denen dann erst sechs
Jahre später die heiteren ' ilnele aus der Bretterwelt« (i88i) folgten, welche
uns manchen tiefen Blick in die Geschichte des Stuttgarter Hoftheaters er-
möglichen. Als 1891 das »Neue Tageblatt« in den Besitz der Deutschen
Verlagsanstalt in Stuttgart überging, trat M. in den Verwaltungsrat dieser
Anstalt ein und gehörte ihm bis iSqy an. Die Redaktion des genannten
Blattes führte er bis 1903, wo er in den Ruhestand trat. Sein König hatte
ihn 1901 zum Hofrat ernannt. Von M.s Arbeiten erschienen noch »Im Linden-
hof. Das Lob der Armut. Die Muttergottes von AltOtting« (3 Erzählungen), 1900.
Pefsttnliehe lOtteflinigai. — Jubiliums-Katalog der Deutschen Veilagsanstalt in
Stnttffut and Leipdg, 1898. Franz Brflmmer.
Mannstaedt, Wilhelm, Bühnendichter, • 20. Mai 1837 in i^ielefeld,
f 13. September 1904 in Steglitz bei Berlin. — Er war der Sohn eines Eisen-
bahnbaumeisters, späteroi königlichen Fabrikinspektors, besuchte die unteren
Klassen des Gymnasiums seiner Vaterstadt, später die Gewerbeschule in
Hagen, die er bereits 1S51 absolvierte, und ging dann nach England, um sich
in dem Geschäfte eines N'erwandten der kaufmännischen Laufbahn zu widmen.
Nach seiner Heimkehr (1855) nahm er eine Stellung als Buchhalter in einem
Fabrikgeschäftc in Hagen an, leitete auch nach dem Fallissement seines
Prinzipals die Fabrik für eigene Rechnung. Geschäftliche Kalamitäten ver-
anlafiten ihn aber, i8$6 einen ihm wünschenswerteren Lebensberuf zu such^.
Schon in frühester Jugend zeichnete sich M. durch seine BefiUiigung für
Musik aus, so dafi er bereits im sechsten Jahre im Dilettantentheater seiner
Vaterstadt mitwirken und im zehnten als Klavierspieler auftreten konnte. Er
beschloß also, sich fjänzlich der Musik zu widmen; allein das ernste Studium
behagte ihm auf die Dauer nicht, und schnell entschlossen wandte er sich
der Bühne zu. Als jugendlicher Liebhaber trat er, völlig Autodidakt, in
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Mannstecdt. von KOppen.
Wörlit/, Rostock, Hiklesheim, Liegnitz, Glogau, Bromberg, 'I horn, Insterburi;
auf, bis er 1S65 nach Berlin kam und sich hier nacli wenigen Monaten au>
einer untergeordneten Stellung am Woltersdorfl-Theater auf einen sichern und
gefestigten Platz stellen konnte. Die Mobilmachung im Jahre 1866 regte ihn
nämlich zu der einaktigen Posse »Alles mobil!« an, die einen durchschlagenden
Erfolg hatte und 150 mal aufgeführt ward. In demselben Sommer schrieb M.
noch fünf weitere Stücke für das genannte Theater, an dem er nun als Kapell-
meister und Darsteller komist her Rollen tätig war, ging im Herbst d. J. al»
Kapellmeister und Dramaturg an das Krollsche Theater, kehrte 1S67 in
gleicher Eigenschaft zum Woltersdorif-Theater zurück und folgte 1870 einem
Rufe als Kapellmeister an das Viktoriatheater. Nach seiner Verheiratung
trat er in das Zeitungsverlagsgeschäft seines Schwiegervaters, des Geheirarats
Günther, als Redakteur verschietlener gewerblicher Blätter ein, gründete 1871
eine eigene Monatsschrift Der Kunstfreund", die er aber nach einem Jalire
wieder aufgab, und zog sich 1872 gänzlich von der Bülme zurück, um sich
hinfort ausschliefilich der Bühnenschriftstellerei zu widmoi. Doch führte er
187Q — 8s noch die Redaktion der »Deutschen Bfihnengenossenschaft«. M. hat
im Laufe der Jahre etwa 6« Possen und V'olksstücke geschrieben, von denen
einige sich lange Zeit auf dem Repertoire erhielten und durch Übersetzungen und
Bearbeitungen auch im Auslande bekannt wurden; z. B. Die Berliner Feuer-
wehr (1866), ' Das Milchmädchen von Schöneberg« (1868), »An den Ufern
der Spree« (1873), »Krieg und Frieden« (1870), »Eine resolute Frau« (1876),
»So sind »e alle« (1877), »Der junge Leutnant« (1880), »Unser Otto« (1881),
»Der Stabstrompeter« (1886), »Die wilde Ratze« (1888) u. v. a.
Perstlnlichc Mitteilungen. — Adolf Hinrichscn: Das literarische Deutschland, 1S91.
S. 854. — O. G. FlUgeen: Biographisches BOhnenlexikon der deutschen Dicatcr, 1892,
S. 208. i'ranz Brummer.
Kttppen, Feder yon, Schriftsteller, * 8. Mftrz 1830 in Kolberg (Pommern),
f 2. Juli 1904 in Lausigk (Rönigr. Sachsen). — Er erhielt seinen ersten Unter-
richt durdi Hauslehrer, besuchte dann das Gymnasium in Brieg und trat 1848
in die preußische Armee ein. Als junger Offizier hatte er sich wegen seiner
patriotisihen Diclitun^en vielfacher (iunstbezeu^ungen des Königs Friedrich
Wilhelm IV'. zu erfreuen, der ihm, dem Unbemittelten, auch eine Zulage aus
seiner Privatschatullc spendete. Im Jahre 1864 nahm er an dem Feldzuge in
Schleswig und 1866 an dem in Böhmen teil, war darauf als Major erster
Militärlehrer am Kadettenhause in Berlin und nalun 1869 seinen Abschied
aus dem Heere. 1870 für die Dauer des deutsch-französischen Krieges
reaktiviert, schied er nach Beendigung tiesselben als Oberstleutnant dauernd
aus dem Heere. Er war hinfort als Schriftsteller tätig, erst in Leipzig, seil
1883 in Berlin, seit 1891 auf einem Landsitze zu Neuhaus a. d. Elbe (Han-
nover), bis er 1895 seinen Wohnsitz wieder nach Leipzig verlegte. Die letzten
Lebensjahre brachte er in Lausigk zu. — Nachhaltige Anregung zu poetischer
Betätigung empfing K. in Berlin in dem literarischen Sonntagsverein »Tunnel«,
wo er mit Chr. Friedr. Scherenberg, Fontane, Lepel, Blomberg u. a. in freund-
schaftliche Bezieiiungen kam. Wie der Erstgenannte, dem er am meisten
nachstrebte, besang er vorwiegend die deutschen Waffen und ihre Träger.
Die schleswig-holsteinische Erhebung (1848—51) begeisterte ihn zu seiner
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von Küppeo. Legerlots.
3"
ersten Dichtimg Die Schlacht bei Schleswig Ostern 1848« (1851); ihr folgten
>' Preußens Erhebung« (1855), worin er die Zeit von der Schlacht bei Jena
bis zum Aufrufe des Königs 1813 besang, dann die Fortsetzung > WrangeU
(1858), eine poetische Geschichte von den Frdheitskriegen an bis zur Nieder-
werfung der Berliner Revolution, ferner »Grofl-Görschen« (1856), »Kolberg
1807« {1857), Kill Strauß für St hleswig-Holstein (1865), Männer und Taten.
\'aterländische lialladen < (1881), wold seine l)estc Leistung, und endlich
>A\'ilhelm der Grolie. Ein vaterländisches Heldengedicht« (1896). Ein glü-
hender Patriotismus klingt aus diesen Dichtungen heraus; er würde indessen
mehr ansprechen, wenn er nicht von Parteileidenschaft entstellt wäre. An
novellistischen Arbeiten besitzen wir von K. »Preußische Hofgeschichten«
(1890) und i-Das Opfer für das Vaterland' (Vaterländischer Roman, 1896).
Dagegen hat er eine ganze Reihe von Schriften für die Jugend zu dem Zweck
veröffentlicht, diese mit patriotischem Sinn zu erfüllen und für deutsches
Volkstum zu erwärmen; 2. B. die Lebensbilder von »Otto von Bismarck«
(1874) und »Helmuth von Moltke« (1888), femer »Deutsche Kaiserbilder«
(2. Aufl. 1893), »Kämpfe und Helden« (4. Aufl. 1891)» »In des Königs Rock«
(1890), ' Männer und Taten« (1885), Das Deutsche Reich von der Maas bis
zur Memel« (1894) und das bedeutendste rl)ie Hohenzollern und das Reich'«
(TV'. 1887 — 90). Endlich bieten seine Feld- und Kcderzüge < (icSSi) eine
Biographie des Verfassers in unterhaltender, groiitenteils novellistischer Form.
Persönliche Mitteilungen. — H. Kun: Liteiaturgeschiclite, IV. Bd., S. 379* —
literarische Leipsig, 1898, S. loa Franz Brümmer.
Lcgerlotz, Friedrich Wilhelm Gustav, Schulmann und Dichter, * 28. Mai
1832 in Gcntliin bei Magdeburg, f 5, April 1904 in Salzwedel. — L. ent-
stammte einer ursprünglich ungarischen Familie; Urgroßvater und Großvater
vertauschten den ungarischen Militärdienst mit dem preußischen. Nach dem
frühen Tode seines Vaters, eines wegen seiner echten Burgertugenden allgemein
geschätzten Bauhandwerkers, leitete die Mutter, eine hochgesinnte, ernste Frau,
(lie Erziehung des Knaben. Nach achtjährigem Besuch der Stadtscludc seiner
Heimat brachte ihn sein Stiefvater, der ihm die kaufmännische Laufbahn er-
öffnen wollte, 1846 nach Magdeburg auf die damalige »Handelsschule«, eine
lateinlose Realschule. Doch die eingehende Bekanntschaft mit der vater-
ländischen und englischen Literatur, namentlich mit Goethe und Uhland, mit
Bums und Byron, sowie die gelegentlichen Mitteilunj^en seines Direktors
Ledebur aus griechischen und römischen Dichtern zeitigten in ihm den Plan,
sich noch dem philologischen Studium zu widmen. Nach Absolvierung der
Handelsschule (Ostern 1850) eignete er sich durch Privatunterricht das Latei-
nische, Griechische und Hebräische in anderthalb Jahren so weit an, daß er
in die Prima des Magdeburger Domgymnasiums aufgenommen werden konnte,
dessen Direktor Friedrich Wiggert für die germanistische und linguistische
Richtung seines Zöglings maßgebend ward, 1853 bezog er die Universität
Halle, die er ein Jahr später mit Berlin vertauschte. Namentlich unter
Bernhardi und Pott, Haupt, Alhrecht \Vel)er, Lepsius und Brugsch gab er
sich der Philologie und vergleichenden Sprachforschung hin und kehrte dann
ins Elternhaus zurflck, wo er sich teils mit linguistischen Arbeiten, teils mit
der Vorbereitung für Promotion (Halle 1858) und HabiliUtion beschäftigte.
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312
Legerloti. von Braun.
Letztere kam nicht zur Ausführung, da die Bekanntschaft mit seiner späteren
Gattin ihn bestimmte, sich dem Gymnasiallehrfach zuzuwenden. Von 1858
bis 1860 war er als Probckaiididat und wissenschaftlicher Hilfslehrer ab-
wechselnd an den beiden Magdeburger Gj-mnasien tätig, worauf er einen
Kuf an das städtische Gymnasium zu Soest in Westfalen annahm, das seine
zweite Heimat ward. Hier war er bis Ostern 1876, zuietxt als Prorektor, tätig,
woraaf ihm vom preußischen Minister Falk das Direktorat des Gymnasinms
in Salzwedel (Altmark) übertragen wurde, das er bis za seinem l'ode ver-
waltete. — Die poetische Tätigkeit T. s reicht bis in seine Gymnasialzeit
zurück, und doch konnte er sich erst im reifen Mannesalter trotz des
Drängens befreundeter Gelehrter und Dichter, unter denen vor allen Ferd.
Freiligrath genannt werden mag, entsdilieflen, seiM Sammlung »Aus guten
Stunden. Dichtungen und Nachdichtungen« (1886) herauszugeben. Während
seine eigenen Poesien keinen Zweifel an seiner poetischen Kraft aufkommen
lassen, erweist er sich auf dem Gebiet der Nachdichtung fremder Poesien geradezu
als Meister. Besonders sind es die Dichtungen des Schotten Burns, denen er sein
ganzes Interesse zuwandte, und an deren Verdeutschung er mehr als 40 Jahre
arbeitete, ehe er sie u. d. T. »Robert Burns Gedichte in Auswahl« (1889, 2. A.
1893) herausgab. L. hat in seiner Nachdichtung die rein englischen Dichtungen
in reinem Schriftdeutsch wiedergegeben, die schottischen Dialektdichtungen
aber durch Anwendung unseres alemannischen Dialekts unserem Empfinden
näher gebracht." Zu erwähnen sind noch seine Übertragungen und Nach-
bildungen Tnittelalterli( her und deutscher Dichtungen, wie «Nibelungenlied.
Neu übertragene^ (Auswahl 1889, 12. Aufl. 1902; große Ausg. 1892), »Gundrun«
(Auswahl z8qi, 8. Aufl. 1904; grofie Ausg. 1893), »Walther von der Vogel weide
und andere Lyriker des Mittelalters. Auswahl« (189a, 3. Aufl. 190z), »Paizival
von Wolfram von Eschenbach« (1903), »Die Epik der deutschen Sagenkreise
(Der arme Heinrich von Hartmann von Aue und König Rother, 1904). Viele
dieser Nachbildungen haben sich bereits einen Platz in den neueren Schui-
lesebüchern gesichert.
Perstfnliche Mitteilimgen. — Kail Lcimbuh: Die deutschen Diditer der Ncueit und
Gegenwait, V. Bd.. S.308. Franz BrQmmer.
Braun, Friedrich von, Statitdekan und ( )berkonsistorialrat in Stuttgart,
Dr. tJicoI,, * 18. November 1850 in Kirchheim u. Teck, f 31. Mai 1904 in
Jerusalem. — Nach Vollendung seines theologischen Studiums in Tübingen
wurde B. aunftchst 1876 am theologischen Seminar seiner Heimatuniversitftt
mit dem Posten eines Repetenten betraut; dem folgte 1879 die Berufung \
als Diakonus nach Eßlingen und bereits im gleichen Jahre die Beförderung:
zum Hofkaplan« und Hilfsarbeiter im Konsistorium nach Stuttgart. 1887 ,
rückte er mit 37 Jahren in die Stellung eines Hofjiredigcrs ein, die er jedoch
10 Jalire später mit der des Stadtdek.ius und I. Pfarrers an der Hospital-
kirdie vertauschte, nachdem er im Jahr zuvor, 1896, als ordentliches Mi^lied
ins Konsistorium eingetreten war. Sein vieltätiges Interesse galt vor allem {
den Arbeiten und Aufgaben der inneren Mission, sowie den großen evan- '
gcli'-chen Vereinen Württembergs. So führte er seit 1890 den Vorsitz im
Württemberger Landesverein der Gustav-Adolf-Stiftung und seit 1894 in der
umfa-ssenden Organisation des süddeutschen Jünglingsbundes. Auch die Vereine
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von Braun. Weigert.
zur Bekämpfung der Trunksacht, zur Fürsorge ffir entlassene Stra^efangene
sowie der ständige Ausschufi der Landes^node zählte ihn zu seinen titigsten
Mitarbeitern. Ebenso ist B. vielfach literarisch hervorgetreten, so im Luther-
jahre 1883: Luther im deutschen Liede; 1885: (ilaubenskämpfe und Friedens-
werke; 1886: Wer ist frei? 1888: Wichern und Werner; und hat weiterhin
öfter zu kirchlichen Tagesfragen das Wort genommen. An der Fahrt unseres
Kaiserpaares zur Einweihung der Erlöserkirche in Jerusalem hat B. als einer
der Vertreter Württembergs teilgenommen. 6 Jahre darauf sollte eine neue
Reise ins heilige Land, zur Einweihung der neuen evangelischen Kirche in
Jaffa, zu deren Bau er große Beiträge in der Heimat und in weiteren
Kreisen zusammengebracht, ihm das Knde seiner irdischen Piltjerfahrt bringen.
Am 9. Mai hatte er in Hcglcitung seiner ('rattin einen secliswochentlichen
Urlaub angetreten, um am l'l\ng.sttcstc die Weihe des Gotteshauses in Jaffa
zu vollziehen. Da sie um kurze Zeit verschoben werden muflte, reiste er
nach Jerusalem weiter und hier hat ihn am 31. Mai ein rasch verlaufender
Ruhranfall jäh hinweggerafft, noch bevor er den Zweck seiner Fahrt erfällt
hatte. Sein T>cichnam ist noch an^ selben Tage auf dem Zionsberge bestattet
worden; an dem Sockel seines Grabdenkmals ist itn Namen seines Gustav-
Adolf-Vereins eine vom Stuttgarter Hoferzgieöer Pelargus gegossene Erztafel,
modelliert von Bildhauer Fremd, eingefügt worden mit der Inschrift: »Seines
unvergeßlichen, mitten aus der PQrsorge für die Glaubensgenossen im heiligen
Lande heimgerufenen treuen Führers gedenkt in dei schwäbischen Heimat sein
dankbarer Gustav- Adolf -Verein. Galat. 6, V. q u. lo.« Ebenso wurde ihm
in seiner Stuttgarter Hospitalkirche eine Gedächtnistafel gestiftet. Doch
lebendiger wird sein Gedächtnis im Segen seines reichen Lebenswerkes und
seines tragischen Ausgangs nachwirken. Kohlschmidt.
Weigert, Karl, berühmter Pathologe, * ig. März 1845 ^u Münsterberg in
Schlesien, f 5. August 1904 zu Frankfurt a. M. — W. studierte in Breslau,
Berlin und Wien und war Assistent bei Waldeyer 1868 — 70 in Breslau, bei
Lebert fiaselbst 187 1 — 74, bei Cohiiheim zuerst in Breslau, dann in Leipzig,
zusammen nahezu zehn jalire, bis er nach des letzteren Tode 1884 die
Stellung als Lehrer der pathologischen Anatomie am Senckenbergischen
Institut in Frankfurt a. M. einnahm. Vorher war er in Leipzig 1879 zum
Professor e. o. ernannt worden. Unter seinen pathologisch -anatomischen
Arbeiten, die sich auf die Pathologie der Blut- uini L> myihgefäße, die Bak-
terien und Tuhcrkulosefrage und viele andere I iieiiiata erstreckten, ist in
monographischer Form erschienen: »Zur Anatomie der Pocken« (L u. IL Teil
1874, 1875), »Beiträge zur Kenntnis der normalen menschlichen Neuroglia«
(Frankfurt a. M. 189s). Femer ist W. bahnbrechend auf dem Gebiete der
Bakterienfärbung gewesen. Von seinen bezüglichen Veröffentlichungen seien
genannt: »Erste Färbung von Bakterienhaufen« (187 1) — »Färbung der
Bakterien mit Anilinfarben« — Markscheidenfärbung des Zentralnerven-
systems etc.« (1882 — 85) — »Fibrinfärbung« (1886) — »Elastische Fasern«
(1889) — »Neuroglia« (1890) — »Lehre von der Koagulationsnekrose« (1880)
— »Nephritis« (1879) — »Neue Auffassung der Zellwucherung auf äuflere
Reize« (xS73 — 9^) — »Entdeckung der Venentuberkulose und ihrer Beziehung
zur akuten Miliartuberkulose« u. a. 1899 wurde W. zum Ehrenmitgliede
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Weigert. Vorstcr. Huppert. Clar.
seines Instituts und zum Geheimen Medizinairat ernannt. W. gehörte zu
den berühmtesten Histopatfaologen der Nettseit Seine Methoden, nament-
lich diejenigen, betreffend die Markscheiden- und Neurogliafiürbung, haben
besonders auf neurologischem Gebiete große Bedeutung erlangt. Seine
Abteilung am Scnckenbergisthcn Institute gilt als vornehmste Stätte der Aus-
bildung in pathologischer Anatomie des Zentralnervensystems.
Vcrgl. Virchows Jahresberichte 1904, I, 482 uiiU die dn>elb>t genannten (^)iiell(.-ii.
Pagel.
Vorstcr, Johannes, Irrenarzt, • 15. Miirz 1860 zu Hoym (Anhalt), r 4. Mai
1904 in Stephansfeld (Elsaß). — V. war der Sohn des Leibarztes ties
geisteskranken Herzogs von Anhalt-Bernburg (bis 1864 Direktor in Lengerich),
studierte in Marburg und Berlin, erhielt die ärztliche Approbation 1884, den
Doktortitel in Leipzig 1887 mit der Dissertation: ^ DemaUia pamlytua bei
Eisenbahnfahrbeamten", war 3' '2 Jahre Assistent bei Rose an Bethanien in
Herlin, ging 1888 zur Psychiatrie über, wurde Assistent von Hasse in Königs-
lutter, 1890 Oberarzt in Stephansfeld unter Karl Stark und 1S97 als dessen
Nachfolger Direktor der vereinigten Bezirksirrenanstalten Stephansfeld-Hördt,
wo er dem Attentat eines Geisteskranken zum Opfer fiel. V. war ein
fleifiiger Schriftsteller und hat im ganzen 12 Abhandlungen veröffentlicht
über verscliiedcne Themata, die zum Teil in der unten erwähnten Quelle
angegeben sind.
V'ergl. Virchows Jahresberichte von 1904, 1, 482. Pagel.
Huppert, C. Hngo, Professor der medizinischen Chemie in Prag, * 29. Ja-
nuar 1832 zu Marienberg (Sachsen), f 19. Oktober 1904. — H. war in
I,eipzig lind Jrna ansu^|,j](iet, besonders als Schüler C. G. Lehmanns, und
gelangte i86j zur rminotion. Im Herbst 187 1 wurde er, nachdem er daselbst
während der Zwisehenzeit das medizinisch-chemische Laboratorium geleitet
hatte, in Leipzig zum Extraordinarius ernannt, 1872 als Professor ord. der
medizinischen Chemie nach Prag berufen. Neben einer längeren Reihe von
eigenen und durch seine Schüler ausgeführten Facharbeiten seien speziell
genannt der gemeinschaftlich mit C. G. Lehmann von ihm bearbeitete 8. Band
von Gmelins Mandbuch der Chemie und die 8., 9. u. 10. Auflage von Neubauers
Analyse des Harns.
VergJ. Virchows Jahresberichte von 1904, I, 469. Pagel.
Clar, Konrad, iialneolog und Professor der Balneologie in Wien, * 22. Fe-
bruar 1844 in Wien, f 13. Januar 1004 daselbst. — B. widmete sich
anfangs dem Studium der Geologie, promovierte 1864 zum Dr. phil. in
Leipzig, trat darauf zur Medizin über, erlangte 1869 die medizinisdie Doktor-
würde in Graz, habilitierte sich hier 1870 als Privatdozent für Balneo- und
Klimatotherapie, siedelte 1888 nach Wien über, wo er sich gleichfalls
habilitierte und 1894 zum auflerordentlichen Professor Infördert wurde.
C. war ein tüchtiger (icolog und Haineolog, während des Sommers auch
gleichzeitig Badearzt in ( lleichenberg. Kr ist Verfasser mehrerer Arbeilen
über die Kurorte Ü.sterreichs, Stoffwechsel und Therapie der Lungentuber-
kulose u. a.
Vergt. Virchows Jahresberichte von 1904, I, 462. Pagel.
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Heisnth. Ideler. von Kocb.
315
Heisrath, Friedrich, Augenarzt und Universitätsprofessor in Königsberg
i. Pr., * I 2 ( )ktobor 1850 in Ma/Aitkehmcn (Kr. Guinbinnen), f 9. Juli 1904 plötz-
lich im ( )st.scct»a(lc Cranz. — H. studit-rtc in K önij^sbcrp;, wurde 1876 Arzt,
tr.it in du-s Sanitatskorps ein und braciite es hier von 1877 — 95 zum Über-
stabsarzt. Nachdem er schon 1898 den Professortitel erhalten hatte, habilitierte
er sich 1899 als Privatdozent für Augenheilkunde. Seit 1879 Assistent des
bekannten Ophthalmologen Professors Julius Jacobson, verfafite H. 1882 die
erste Monoj^raphie zur Heilung der Körnerkrankheit, von der er einer der
besten Kenner war, durch Tarsalexzision untl veröffentlichte auüerdcm eine
beträchtliche Anzahl von Aufsätzen auf dem Gebiete seiner Spezialität,
begründete 1882 eine eigene Privatklinik und war außerdem Direktor der
Augen-Station am Krankenhause der Barmherzigkeit.
Vers;!. Virchows Jahresberichte von 1904, I, 468. Pagel.
Ideler, Karl, Geheimer Sanitätsrat in Wiesbaden, Psychiater, * 26. Februar
1829 in Berlin, f 21. September 100 — I. warder älteste Sohn des 1)ck:inn-
ten Berliner Psychiaters Karl \\ illiclni I. und studierte in seiner Vaterstadt.
Anfangs Assistent der Neu-Ruppmcr, später nacli Kberswalde verlegten
Märkischen Provinzial-lrrenanstali, war er seit 1861 mit der Leitung der
Berliner Irrenp Hegeanstalten in det Wallstrafle betraut, machte als Stabs- bzw.
Oberstabsarzt den Feldzug von 1870 — 71 mit und übernahm 1880 die
Leitung der eben begrüiuletcn städtischen Irrenheilanstalt von Berlin-Dalldorf,
von wo er 1SS5 in den Ruhestand trat und sich nach Wiesbaden zurückzog.
Fr war Mitl)egründer des Berliner psychiatrischen Vereins 1867 und dessen
eifrigster Förderer.
VergL Virchows Jahresberichte von 19041 h 4^9« Pagel.
Koch, Karl v., Medizinalbeamter zu Stuttgart, * 3. Januar 1829 zu
Gaildorf in Württemberg, f 1$. Februar 1904. — v. K. studierte in Tübingen,
später in Prag, war 1851 — 55 prakt. Arzt und Oberamtswundarzt in Gaildorf,
1855 — 71 Oberamtsarzt daselbst, seit 187 1 Ober-Medizinalrat in Stuttgart
und als solcher ordentliches Mitglied des Kgl. württ. Medizinalkollcgiums
und der Abteilung für die Staatskrankcnanstaltcn, 187p; — 88 Vorsitzender der
Landesprüfungs-Behörde für Apothekergehillen, seit 1Ü76 Mitglied der Kom-
mission für die Physikatsprüfung, seit 1877 Ministerial-Delegierter bei dem
Kgl. statistischen Landesamt für Medizinalangeiegenheiten, seit 1884 Mitglied
des Verwaltungsrats der württeinbergischen ärztlichen Unterstützungskasse, 1887
staatliches Mitglied, zugleich stellvertretender Vorsitzender und seit 1894
\'orstand des Verwaltungsrats des Kinderspitals Olga-Heilanstalt « in Stuttgart,
erhielt 1892 Fitel und Rang eines Kollegial-Direktors. Außerdem gehörte
er 1874 — 79 als Kgl. württ. Delegierter verschiedenen das Medizinalwesen
betreffenden Reichskommissionen in Berlin an und war seit 1880 ununter-
brochen außerordentliches Mitglied des Kaiserl. Gesundheitsamts, v. K. war
der Begründer der Medizinalberichte des Königreichs Württemberg, Verfasser
des ersten über das Jahr 1872, und übte neben seiner Dienststellung als
nicht vollbesoldeter Medizinalbeamter zugleich die ärztliche Praxis aus.
Vergl. Virchows Jahresberichte von 1904, I, 470. Pagel.
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Jolly. von Mannlidier.
Jolly. Friedrich, n ö. Professor in der medizinischen F'akultät der
Universität Herlin, Direktor der psycliiatrisrhen und Nervenklinik der K^\.
Charitc, (ieh. Medizinalrat, ♦ 24. November 1844 zu Heidelberg, f 4, Januar
1904. — J. war ein Sohn des später nach München berufenen Physikers
Philipp J. Er studierte in München und Göttingen, war Assistent an der
inneren Klinilt von Pfeufer in München, dann an der Irrenanstalt Wemeck
unter Gudden und Grashey, hierauf an der psychiatrischen Klinik in
Würzburg unter Rinerker, habilitierte sich 187 1 daselbst tnit einer Ab-
handlung: «Über den (Ichirndruck und über die Blutbewegung im Sciiadcl ,
wurde 1873 als Professor e. o. und Direktor der psychiatrischen Klinik nach
Straflburg berufen, dort 1875 zum Professor ord. ernannt und von da 1890
nach Berlin berufen. J. gehörte zu den berufensten Irren- und NervenArsten
der Neuzeit. Er ist Verfasser zahlreicher, wichtiger h'terarischer Arbeiten
auf seinem Spezialgebiet, von denen wir u. a. noch aufführen: ^>Beri(ht über
die Irrenahteilung des Julius-Spitals« (1873) — Hysterie und Hypochondrie«
(in V. Ziemssens Handbuch 1877) — »Untersuchungen über den Leitungs-
widerstand« (1884) — »Irfülttm und Irrsinn« (1893) usw. J. war eine liebens-
würdige Persönlichkeit und ein durch klaren und lebendigen Vortrag aus-
gezeichneter Lehrer. Bezüglich seiner weiteren Leistungen mufi auf die in
der unten genannten Quelle angeführten Nekrologe verwiesen werden.
Virchows Jahresberichte von 1904, I, 469. Pagel.
f
Männlicher, Ferdinand Ritter von, Oberingenieur, * 30. Januar 1848 in
Mainz, f 20. Januar 1904 in Wien. — Als Sohn eines österreichischen Ober-
kriegskommissars geboren, h:it M. die technische Hochschule in Wien ab-
solviert uiui sich dann dem Eiscnbahn-Erhaltungsdienste gewidmet; er war
zunächst bei der Slaatseisenbahngesellschaft tätig und trat dann zur Kaiser
Ferdinanda-Nordbahn über, die er im Jahre 1886 als Oberingenieur verliefl.
M. ist bekannt als Erfinder der bei der österreichischen Armee eingeführten
Handfeuerwaffe und mehrerer wertvoller Verbesserungen an Repetiergewehren
überhaupt. M.s österreichisches Gewehr stellt eine geistreiche Weiterbildung
des Systems Lee dar, indem an Stelle des abnehmbaren Magazins ein mit
dem Abzugsbügel aus einem Stück hergestelltes Ciehäuse tritt; den orginell-
sten Teil des Systems bildet der Rahmen, der fünf Patronen faßt und nach
Abschufi der letzten Patrone aus der Waffe &llt; sein Gewicht beträgt nur
19 g; der Verschlufl ist ein sogenannter Geradzngvenchlufi. Später hat M.
.^»automatisrhe Repetiergewehre* konstruiert, bei denen auch die Verschluß-
ninfäuon~sc-lbstatig r^^irch den Dru* k der Pulvergase vor sich geht; eine be-
sonders einfache, halbauto-^fliatische Ke[ietierpistole stammt ebenfalls von M.
Es ist M, nur nach jahreris.ngen schweren Kämpfen gelungen, mit seinem
Gewehre einen günstigen £rfolg^-»zu erringen. Sein Talent, sein Fieifi, seine
Beharrlichkeit und auch die wefHUätige Hilfe seiner Familie und seiner
Freunde, u. a. A. R. v. Loehrs, v3Nl|^ochten endlich alle finanziellen und
technischen Schwierigkeiten zu überwinijden, so daß er im Jahre 1S70 das von
der Armeeverwaltung später erworbene Ifjgtent als vollendet betrachten konnte.
Die Ausbeutung seiner Patente übernahm'je" Waffenfabrik Steyr, sowie
mehrere ausländische Gesellschaften. M. V wurde mit hohen Orden ausge-
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von Manalicber. von Bnumcr.
zeichnet, in den Ritterstand erhoben und im September 1899 in das Herren-
haus berufen. £r starb eines plötzlichen Todes, inmitten arbeitsvoller Tätig-
keit A. Birk.
Bnuuketp Morite Riller von, Feldmarschalleutnant und Sektionschef im
k. u. k. Reichskriegsministeriam, berQhmter Fortifikateur, * 30. April 1839 zu
Wien, f 25. Oktober 1904 ebeiulort. — Der Vater B.s war Hofbediensteter und
starb, als der Sohn noch nicht vier Jahre alt war, so daß der in dürftigen
Verhältnissen zurückgebliebenen Mutter, einer lebhaften und klugen Frau, die
fernere schwere Sorge für die Erziehung blieb. Zum Glück nahm sich ein
Onkel des Knaben an, der seinen Neffen in das Regimentserziehungshaus
Freiherr von Hefl brachte, aus dem er dann in das Oberersiehungshaus,
in die Tullner Pionierschule und schlieftlich in die Genieakademie nach
Klosterbruck bei Znaim kam. — 1859 erhielt B. als Unterleutnant seine Ein-
teilung beim 2. Gcniebataillon, mit dem er nurh den Feldzutj in Italien
mitmachte; 1860 zum neu errichteten (ienieregiment Nr. i transferiert, fand
er bei der Verteidigungsinstandsetzung von Karlsburg Verwendung. 1864
frequentierte er den höheren Geniekurs, in diesem Jahre erschien auch B.s
. Erstlingswerk, es war dies ein »Praktisches HiUsbuch fttr denMineur«; 1866
/um Oberleutnant befördert, leitete er den Bau des provisorischen Lagerforts
bei Himlau (Olniütz) nach den von ihm entworfenen Plänen unfl erhielt am
3. Oktober desselben Jahres die Allerhöchste belobende Anerkennung für
hervorragend vorzügliche Leistungen im Feldzuge gegen Preußen«. 1870
wurde B. Hauptmann im Geniestabe, 1873 fungierte er als Mitglied der
kaiserlichen Kommission für die Weltausstellung und als Berichterstatter fQr
dieselbe. All die Jahre hindurch war er in der 8. Abteilung des Reichs-
kriegsministeriums beschäftigt und wurde 1874 in »Anerkennung seiner mehr-
jährigen hervorragenden literarischen Tätigkeit auf dem militärischen Gebiete
mit dem Orden der Eisernen Krone dritter Klasse dekoriert, worauf 1875
seine Erhebung in den Ritterstand erfolgte, in welchem Jahre er auch die
goldene Medaille fQr Kunst und Wissenschaft erhielt. 1876 in den Stand
der technischen Militärakademie übersetzt, lehrte er hier durch zehn Jahre
die Befestigungskunst, und nebstdem als außerordentlicher Professor an den
Stabsoffizierkursen des Heeres und der k. k. Landwehr außer Befestigung
auch noch Pionierdienst. 1882 wurde H. Major und 1886 zum Geniedirektor
in Trebinje ernannt, 1887 Oberstleutnant und 1889 »für hervorragend ver-
dienstliche Leistungen bei Leitung und Ausführung von Unterkunft»» und
fortifikatorischen Bauten« mit dem Militftrverdienstkreuz dekoriert, im selben
Jahre wurde er Genie- und Befestigungbaudirektor in Przemysl und im darauf-
folgenden Jahre Oberst.
1894 wurde Ii. zum \'orstand der 8. Abteilung in das Reichskriegs-
ministerium berufen, 1895 zum Generalmajor befördert und am 22. Oktober
desselben Jahres zum Sektionschef im Reichskriegsministerium ernannt; 1898
erhielt er das Ritterkreuz des Leopoldordens und rückte 1899 zum Feld-
marschalleutnant vor. X904 erhielt B. den Orden der Eisemen Krone IL Klasse,
auflerdem war er Ritter und Komtur vieler ausländischer Orden.
B. war seit den) iS. November 1870 mit Veronika Srhniiflt in glück-
lichster Ehe verbunden, die ihm drei Sohne und drei l ochter schenkte.
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318
von Bniimer.
Bevor wir zu H.s I'ätifjkeit als Militär iin<l Sriiriftstollcr übergehen,
wollen wir auch eiiiij^e Worte deni Mensrhen Hrunner widmen: '>Sein Herz
schlug warm für fremdes Leid, und wo er konnte, half er. Ohne Scheu und
Zagen durfte jeder sich ihm wie einem Freunde nahen und seinen Kummer
ausschütten; er {and ein offenes Ohr. Mancher, dessen Anliegen nicht
Erfüllung gefunden, ahnte oft gar nicht, wie sehr sich Feldmarschallentnant
Kitr< r von Brunner seiner Sache angenommen und wie gerade diesem des
l'remden Weh naheging .... Er war ein edler Mann, aufrichtig, hilfreich
und gut!«
Als Sektionschef des Reichskriegsministeriums oblag B. die Leitung des
gesamten Genie- und Eestungsdienstes der Monarchie, des Pionier-, Waffen-
und Munitions-, sowie des Militftrerziehungswesens. Seinem Wirken ist die
Errichtung eines für militärische \ind fortifikatorische Zwecke bestimmten
rieniestabes, die l'mwandlung der flenictruppc in die Pioniertruppe, die Auf-
strlluiifi von Keserve|iionierkomi)agnien und endlich die Heteilung der
Infanterie mit dem Lmncmannschen Spaten zu danken. Ferner bildete er
die Schanzzeugkolonnen, veranlaflte die Aufstellung von Fluflminen-, Minen-,
Fluflschiffahrts» und Eiffelbrückenabteilungen (letztere wurden seither wieder
in Brückenabteilungen umgewandelt, da sich das Material SjTStem Riffel
nicht bewährte) und schuf für den militärischen Fachbaudienst das Bau-
ingenieurkorps. Kndlich widmete B. der Feldbefestigung. <loni Notbrückenbau,
dem Landesverteidigungssystem, dem Ausbau, der Ausrüstung und tler Ver-
teidigungsfähigkeit der Festungen seine ganz besondere Aufmerksamkeit.
Seine Werke als Kriegsbaumeister sind mustergültig, fallen sie doch in die
Zeit der groflen Umwälzungen in der Befestigungskunst infolge der bedeu-
tendei^ Fortschritte der Artillerie; B.s Tätigkeit kann daher als wirklich bahn»
brechend bezeichnet werden.
H.s Verdienste als Schriftsteller machton seinen Namen weit über die
Grenzen seines Vaterlandes hinaus bekannt. Hier sei ganz besonders seine
vierzehnjährige Tätigkeit als Redakteur von »StrefHeurs militärischer Zeit-
schrift« hervorgehoben, die dadurch zum ersten Fachblatt der Monarchie
wurde und sich auch weit über die Reichsgrenzen hinaus bedeutendes An-
sehen erwarb. .Mlein durcli die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Auf-
sätze hat sidi H. s( hon ein bleibendes Denkmal errichtet. CJanz speziell sei
der im Jahre 1870 erfolgten Entsendung B.s nach dem Falle von Straßburg
in diese gefallene Feste zur Berichterstattung gedacht; die Veröffentlichung
der damals gewaltiges Aufeehen erregenden Schrift: »Die Verteidigung von
Strafiburg« war das Ergebnis dieser Reise.
Die von B. für die k. und k. Neustädter Militärakademie und die
Kadettenschulen verfaßten Lehrbücher über die Hefestigungskunst und den
Festungskrieg wurden auch im .Auslände allgemein anerkannt und gewürdigt
und erlebten die Übersetzung in fünf Sprachen.
Schliefilich sei auch noch der dichterischen Tätigkeit B.s gedacht, welche
in der Herausgabe seiner »Späten Lieder« für den Freundeskreis ihren Aus-
druck fand; viele von diesen wurden vertont
Kur/c Biot^raphicn über Ritter von Rrunncr erschicaeD im Jnhre 1004 in der »X'cdettc«,
iti den ».MiUeilungcn auf dem Gebiete de^ Aitilkrie* und Geniewesens«, iin »Organ der
militäiwisscnscliartlichen Vereine«, in »StrefTleurs militiriscber Zeitschriftc und vielleicbt die
beste unter allen 1905 in »Nord und Sttd« von W. Stavenbagen. C. M. Dan Z er.
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Goebel. von Hanstein.
Goebel, Eduard, Pftdagoge und Dichter, * i. MSrz 1831 zu Hillesheim
in der Kifel, f 30. Juni 1904 in Fulda. — G. war der fünfte Sohn des Kreis-
physikus Dr. Anton G. und kam schon im Jahre 1832 mit seinen Eltern nach
deren Heimatsort Attendorn im ehemals kurkölnischen Herzogtum Westfalen.
Hier verlebte er nach dem frühzeitigen Tode beider Eltern im großelterlichen
Hause seine Jugendjahre. Nachdem er das Progyranasium seiner Vaterstadt
absolviert und darauf noch ein Jahr das Gymnasium in Münster und drei
Jahre das Gymnasium an Muzellen in Köln besucht hatte, bezog er im
Herbst 1850 die Universität Bonn, wo er vier Jahre hauptsächlich philo-
sophischen und philologischen Studien oblag. au«}i Mitglied des von den
Prof. Ritsehl und Welcker geleiteten philolnaisrhen Seminars war. Iin He-
zember 1854 erwarb er sich nicht nur die philosophische Doktorwürde, sondern
auch die Befähigung als Oberlehrer. Sein Probejahr absolvierte er am Gym-
nasium zu Aachen, wirkte dann kurze Zeit als Lehrer in Bonn und nahm
darauf Ostern 1856 eine Stelle als k. k. Professor am Gymnasium in Salzburg
an. 1860 wurde er als Oberlehrer an das neu begrimdete Gymnasium nn
Aposteln in Köln zurückberufen, folgte aber schon Ostern 1S63 einem Rufe
der damals kurhessischen Regierung als Direktor des Gymnasiums zu Fulda.
Dieses Amt bekleidete er bis zu Neujahr 1898, wo er mit dem Charakter als
Geh. Regierungsrat in den Ruhestand trat und von den stftdtischen Behörden
von Fulda zum Ehrenbürger ernannt wurde. Noch in demselben Jahre wurde
er vom Kreise Fulda — wie auch wiederum im Jahre 1903 — einstimmig
zum l.andtagsabgeordneten gewählt. — Außer verschiedenen Programm-
abhandlungen unfl zahlreichen Aufsätzen über philologische (legenstände in
fachwissenschaftlichen Zeitschriften, veröfientlichte er eine Schulausgabe von
»Piatons Apologie des Sokrates und Kriton« (1883, 2. Aufl. 1893), fflr Schul-
swecke eine Sammlung »Vaterländische Gedichte« (1879, z. Aufl. 1895) und
im hohen Alter eine Sammlung eigener »Gedichte aus jungen und alten
Tagen« (1903).
Persönliche Mitteilungen. Franz Brümmer.
Hanstein, Ludwig Adalbert von, Schriftsteller, * 39. November 1861 in
Berlin, f 11. Oktober i()04 in Hannover. — Er war der zweite Sohn des be-
kannten Botanikers Johannes von H., der. als der Sohn drei Jahre zählte,
einem Rufe als Professor nach Bonn folgte. \'om Poppclsdorfer Srlilol! aus,
in welchem der Vater seine Amtswohnung hatte, konnte man über die herr-
lichen Anli^en des botanischen Gartens, über weite Wiesen und den Rhein
hinweg auf die Kette des Siebengebii^es schauen, ein Aufenthalt, der wohl
geeignet war, in dem Knaben poetische Regungen wachzurufen. Von 1873
bis 1881 besuchte Adalbert das Oymnasiutn in Bonn, das er mit einem vor-
züglichen Reifezeugnis verließ. Kurz vorher war sein Vater als Geh. Rat
und Rektor der Universität gestorben. In Berlin begann H. seine natur-
wissenschaftlichen Studien, die er in Bonn durch Promotion auf Grund seiner
Schrift »Die Begründung der Pflanzenanatomie durch Grew und Malpighi«
(1886) zu einem gewissen Abschluß brachte, um dann erneute Studien, mehr
auf historischem und literarischem Gebiet, wieder in Berlin aufzunehmen.
Hier hatte damals gerade die bekannte Literaturbewegung der stürmenden
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320
von Hanstein. Holdlieim.
und drängenden Geister der jüngstdeutschen Zeit eingesetzt, die H. später in
seinem Werke Das jüngste neutsrhland. Zwei Jahrzehnte miterlebter latcratiir-
geschichte (1900, 3. Aufl. i()<)-^ ) ( harakterisiert hat. Er hatte die X'erireter
dieser Bewegung in dem vom Geh. Sanitätsrat Dr. Konrad Küster gegründeten
literarischen Verein »Durch« persönlich kennen gelernt Neben seinen Studien
war H. in Beriin als Redakteur am »Berliner Fremdenblatt« und besonders
als Mitarbeiter an der Zeitschrift »Mode und Haus« tätig. Im Jahre 1896
trat er in das Dozentenkollegium der Humboldt-Akademie, wo er sich schnell
eine große Zuhörerschaft erwarb, und im Herbst 1901 habilitierte er sich als
Privatdozent für Literaturgeschichte und Ästhetik an der Technischen Hoch-
schule in Hannover, wo ihm Ende 1903 der Charakter als Professor verliehen
wurde. Er verschied nach kurzer Krankheit an einem Gehimleiden. — Das
erste poetische Werk H.s waren seine »Menschenlieder« (1887, 3. Aufl. 1904); sie
zeigen das Ringen eines jungen bewegten Menschenherzens nach einer einheit-
lichen Weltanschauung. Daun folgte das Drama Um die Krone« (1887), das er
schon als Student gescliticbi-n hatte und unter dem Pseudonym Ludwig
Bert US veröffentlichte. Er selbst verwarf diese Arbeit wieder und erst acht Jahre
später hat er sie völlig umgearbeitet und zu Ende geführt. In der Dichtung
»Von Kains Geschlecht« (1888) versucht H., Kains Brudermord aus furch^
baren SeeU nqualen heraus psy< hologisch zu erklären. Einen großen Erfolg
erzielte H. mit seinem historisrhen Schauspiel »Die Königsbrüder- (1892),
dessen erster Aufführung im Herlini r Theater auch der Kaiser beiwohnte.
Poetische Krzählungskunst zeigt H. in den Dichtungen »Der Liebesrichter«
(1893. Neue Ausgabe u. d. T. »Ein edles Wort<', 1904), »Der Vikar« (1897)
und »Achmed der Heiland« (1898). Beachtenswert ist sein Drama »König
Saul« (1897) und seine Romane > Die Aktien des Glücks« (1895) und »Zwei
Welten. Roman a. d. modernen Berlin« (1898). Als Literarhistoriker lernen
wir ihn kennen aus ''.•Mbert l.indner. in seinem Leben und in seinen Werken
<lar^Hst('l!t (1S88), und den Vortragen über Gustav Kreytag« (1895) und
»Gerhart Hauptmann« (1898). Dem letzteren hat übrigens H. den Weg zur
Bühne gebahnt Von seinen übrigen Werken mufi noch erwähnt werden »Die
Frauen in der deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts«
(II, 1899 — 1900).
THt Biir. Kinc Berliner Woohenschrift. Jiihfff. lf<92, S. 574. - Mnnatshlafter fSr
deutsche Literatur; hr^g. von Albert Warneke, Jahrg. 1905, S. 107 (Herm.tnn Krügen.
Holdheim, Paul, Dr.jur.^ Justizrat, * am 27. Mirz 1847 2U Mecklenburg*
Schwerin als Sohn des dortigen Landesrabbiners Dr. Samuel H., f am
6. Okt<iber 1904 zu Frankfurt a. M. — H.s \'ater siedelte bald nach Geburt
des Sohnes nach Jierlin über, wo er Heuründer der israelitisc hen Reforni-
gcmeinde wunle, die weit über die drcnzcn Berlins hinaus sicii großes An-
sehen errungen hat. Auf dem Joachimsthalschen Gymnasium ausgebildet, bestand
er seine Examina, der Rechtswissenschaft sich widmend, in Berlin, war i Jahr
Kreisrichter in Orteisburg und siedelte 1875 nach Frankfurt a, M. über, wo
er 16 Jahre in der Stadtverordnetenversammlung tätig war, auch ge<ien
10 Jahre Vertreter Frankfurts im Komnuinallantltag in Kassel. Der tleinokra-
tischen Partei angehörig, vertrat er als einer der ersten die sozialen Forde-
Franz Brümmer.
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Holdheim, voa Öhlschläger. Landerer.
321
rungen der breiten Massen und trat oft als Verteidiger angeklagter Redakteure
in politischen Tendenzprozessen auf. Später wandte er sich mehr der Zivil-
praxis zu, auch auf diesem Gebiete mit groflem Erfolge arbeitend. Er
begründete sodann eine wissenschaftlich gehaltene, doch für praktische Kreise
bestimmte Zeitschrift »Monatsschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer-
und Stempelfragen.', Berlin 1892 ff., deren Titel nach 5 jährigem Erscheinen
ilahin geändert wurde, tluÜ anstatt -Aktienrecht' nunmehr Mandelsiccht«
gesetzt wurde. Für sie gewann er eine Reihe tüchtigster Mitarbeiter, schrieb
auch selbst sehr viele Beiträge unter besonderer Berücksichtigung der aus-
ländischen Gesetzgebung. Auflerdem sind zn erwihnen als kleinere Schriften
»»Die Fusion der liberalen Parteien und die Demokratie«, Würzb. 1884;
Mortgage und Mortgagebonds. Eine Studie«, Berl. 1895; Die Aktiengesell-
schaften und das Rcichsstenipelgcsetz <, Berl. 1896. Ein schweres Augenleiden
legte ihm wenigstens für einige Zeit Einschränkung der Arbeit auf, was er
zu Reisen benutzte. Leider war dem tüchtigen Mann, wie dem befreundeten
Staub (vgl. oben S. 359) ein frühes Ende beschieden.
Xach gef. Privatmittcihmgen und dem Nekrolog von Heinrich Dove in obiger Zeit-
:>chrift 1904 S. 261—263. — tJher den am 22. August i86o gestorbenen Vater vgl. Allg.
d. Biogr. 12, 734. A. Teichmann.
Öhlschläger, Otto Karl von, zweiter Reichsgerichtspräsident, * als Sohn
eines Rittergutsbesitzers in Heiligenwaldc bei Christburg (Marienwerder) am
t6. Mai 1831, + zu Charlotteiiburg-Berlin am 14. Januar 1904. — Er studierte
in Königsberg die Reclitswissenschaft seit 1850, wurde 1858 Assessor, versah
Richterstellen in Schweis und Ldbau, wurde 1859 Staatsanwaltsgehilfe, 1864
Staatsanwalt, 1874 vortragender Rat im Justiaministerium, 1879 General»
auditeur, in welcher Stellung er Kaiser Wilhelm I. umfassende Vorschläge
über spätere Änderung des Verfahrens in Militärstrafsachen zu unterbreiten
Iiatte. Seit 1884 Präsident des Kammergerichts, wurde er von Kaiser Friedrich
in den erblichen Adelsstand erhoben, 1889 Staatssekretär des Reichsjustiz-
amtes, wo er Gelegenheit hatte, bei Beratung von Reichsgesetzen hervorragend
mitzuwirken. Am x. Februar 1891 übernahm er das PrSsidium des Reichs-
gerichts in einer beifällig angenommenen Ansprache an dessen Mitglieder.
Seine grofie juristische Befähigung stellte er ausschließlich in den Dienst der
Arbeit und gewissenhafter Pflichterfüllung und verstand es, in den liebens-
würdigsten Formen kollegialisch verkehrend, seine hohe Stellung und die W'ürtle
des Gerichtshofes jeweilig zur Geltung zu bringen. Seine Amtstätigkeit wird
als eine Zeit ruhigen, besonnenen Fortschrittes erklärt Im Sommer 1901
durch den Verlust eines Sohnes schwer betroffen, nahm er im Frühjahre 1902
einen Aufenthalt in Baden-Baden und feierte in stiller Zurückgezogenheit im
Mai sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum. Ein .Augenleiden nötigte ihn, seine
Entlassung zum i. November 1903 zu nehmen, dann zog er nach Herlin, wo
er nach kurzer Zeit verschied. Die feierliche Beerdigung fand in Leipzig statt.
Die ersten 25 Jahn des Retehsgerichts. Lpz. 1904 S. 27, 52, 58 (mit Bild). —
Deutsche Juristen-ZeitnDg 1903 S. 492; 1904 S. 152, 879; 1906 Nr. i Kunstbeihige.
A. Teichmann.
Landerer, Albert, Chirurg, ^ 8. April 1854 zu Tübingen, f 21. August 1904
zu Gaigellen (Vorarlberg). — L. wurde als der dritte Sohn des Professors der
Riogr. Jahrbueii u. Deuttdier Nekrolog. 9. Bd. 3 1
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1
I
^22 Landerer.
evangelischen Theologie Albert Lunderer geboren, entstammte somit einer
Familie, welche seit mehreren Jahrhunderten sameist aus Gelehrten, Pastoren «s«.,
stim geringeren Teil aas Beamten bestand. L. besuchte das Gjrmnasium za
Tübingen und bezog 1871 die Universität dortsclbst. Vom 5. Semester ab
ging er nach Leipzig, woselbst er bis zum Abschluß seiner Studien ver-
blieb und 1878 dos medizinische Staatsexamen, mit Note I bestanden,
beendete.
L. blieb auch weiterhin in Leipzig, und zwar vorerst von 1878 — 1S79
als Assistent der topographischen Anatomie bei Professor Wilh. Braune. Er
vertauschte diese Stellung darauf mit derjenigen eines chirurgischen Assistenten
bei Professor Thiersrh, welche er von 1879 1883 bekleidete. 1882 habilitierte
sich 1.. als l'rivatdozent für Chirurgie an der l'niversität Leipzig und hielt
als solcher Vorlesungen über Wundbehandlung, Repetitorium der Chirurgie,
chirurgische Poliklinik usw. Daneben leitete er in Leipzig eine eigene
chirurgische Privatklinik und Poliklinik. 1889 wurde L. in Leipzig zum
Professor ernannt. Einem an ihn ergangenen Ruf Folge leistend, übernahm
L. darauf 1894 die Stelle eines chirurgischen Oberarztes an dem neu gegrün-
deten Karl Olga-Krankenhause in Stuttgart, unter dem persönlichen Protek-
torat der Königin stehend, deren Leibarzt er alsbald wurde. So angenehm
und vielseitig diese Tätigkeit auch war und so große Gelegenheit L. in dieser
2^it hatte, seine Privatstudien und experimentellen Forschungen weiter zu
betreiben, es fehlte ihm doch der enge Konnex mit der Universität, wie er
ihn bisher in Leipzig in so reichem Mafle genossen und praktisch za frukti»
fizieren gewußt hatte.
L. naiim daher 1902 die Berufung als Leiter des neu zu gründenden
Auguste Viktoria-Krankenhauses in Schöneberg an und siedelte im Herbst 1903
nach Berlin-SchAneberg über, um vorerst bei der noch im Entstdien be-
griffenen Bauanlage der Anstalt beratend und bestimmend mitzuwirken.
Nur ungern sah man L. aus Stuttgart scheiden. Er hatte dortselbst eine
hervorragende Stellung eingenommen und als Chirurg sich in ganz Württem-
berg besonderer Wertschätzung erfreut.
Leider sollte es ihm nicht vergönnt sein, in lierlin-Schöneberg lange
tätig zu sein, L. vermochte gerade noch die ersten Anfänge des neu ent-
stehenden Krankenhausbaus zu Überwachen, als ihn ein bis dahin verborgen
gebliebenes schleichendes Nierenleiden auf das Krankenbett warf und nach
kaum \ ierwOchigem Krankenlager seinem Leben ein Ziel setzte.
Fern von der Heimat, in seinem kleinem Tyroler Landsitz Gargellen
iil)erras( hte ihn der Tod und machte damit zahlreichen I'länen und Entwürfen,
mit lieuen L. sich bis zuletzt getragen hatte, ein Ende.
In der Armee bekleidete L. die Stellung eines Oberstabsarztes A la suUt
des XIIL (Kgl. Württembergischen) Armeekorps.
Verheiratet war L. seit 1892 mit Hedwig geb. Zersch, Tochter des
Okonomierates Zersch in Köstritz bei Gera, welcher £he 1900 als erstes und
einziges Kind ein Sohn entsproß.
Als Persönlichkeit war L. ein Mann von Charakter, von stark aus-
gesprochener Individualität. Seinen Patienten gegenüber aufs höchste human,
ja oft weich empfindend, blieb er seinen Freunden und Berufegenossen nach
jeder Richtung hin stets ein treuer und umsichtiger Berater, es nicht
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I«anderer.
versrliniähend, auch die Stunden der Geselligkeit im engerem Kreise harmlos
froh mitzugenießen. •
So wie sein Aufleres, das kluge emste Auge, den Forscher verriet,
welcher viel gesehen und erfahren hatte, erschlofl auch sein Inneres sich
ganz wohl nur wenigen und intimen Freunden, die um so ergriffener seine
Bahre umstanden.
Kine richtige Würdigung L.s. als Forscher utui Cliirurg wird vor allem
auf seine physiologische Studienzeit unter Braune in Leipzig zurückgreifen
müssen. Eine Reihe von wichtigen Arbeiten Aber TVansfusion, Infusion,
lokale Anästhesie mittels Kokaininjektionen, weiterhin Ober Gewebsspannung
und Entzündung entstammt dieser Epoche.
Derartig vorbereitet sehen wir L. dann das chirurgische (iebiet betreten,
auch hier jedoch in einer großen Zahl seiner weiteren Arbeiten, kurzen Auf-
sätzen usw., sein Licblingsgebiet, die intravenöse Therapie, zu immer größerer
Bedeutung erhebend.
Am 27. Mai 188 1 injizierte L. bei akuter Anämie zuerst am Menschen
mittels Spritze und scharfer Kanüle — also subkutan — eine gröfiere Menge
physiologischer Kochsalzlösung. Durch den erzielten Erfolg ermutigt, übte
er dann in zahlreichen Tierexj>erimenten die neue Nfethode und legte damit
den ersten Grund zu der neuen und eigenartigen Tuberkulosebehandlung
mittels Zimtsäurepräparaten, die vor allem dazu gedient hat, seinen Namen
der breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen.
Mit welchen Schwierigkeiten er auch hierbei immer noch zu kämpfen
hatte, erhellt daraus, daß Thiersch die Publikation jenes mittels Kochsalz-
infnsion geheilten Falles direkt als Tnsinn« verbot und srunit L. der Mög-
lichkeit beraubte, die bereits 1881 abgeschlossene Arbeit über diesen (Gegen-
stand sofort veröffentlichen zu können. (Vgl. Vortrag L.s. auf ilem Chirurgen-
kongrefi 1885 und die Arbeit in Virchows Archiv über dieses Thema.)
Die intravenöse Injektion von Medikamenten Übte L. i88z — 84 am Tiere,
vom Jahre 1884 an am Menschen. Es wurde zu weit führen, den Entwick-
lungsgang, den die Hetolbehandlung genommen (Hetol — zimtsaures Natron,
der Name entnommen von Heta Hedwig, L.s Gattin) hier noch einmal ein-
gehend darzustellen. Ref. verweist in dieser Frage auf die weiter unten an-
gegebenen Arbeiten.
Nur soviel sei gesagt, dafl das in Wasser leicht lösliche Hetol, in die
Armvene injiziert und so auf direktem Wege zur Lunge geführt, eine chemo-
taktische Wirkung entfaltet, d. h. zu einer einige Stunden andauernden Ver-
mehrung und Anhäufung von weißen Blutkörperchen speziell um die erkrankte
Stelle herum führt. So bahnt sich die Abgrenzung, Durchwachsung und
Resorption der tuberkulös infiltrierten Herde an, welchen Vorgängen als
Abschlufi die Vemarbung folgen soll.
Rein ftufierlich bietet die Behandlung doch einige Schwierigkeiten dar.
Abgesehen von der übrigens leicht zu erlernenden Technik der intravenösen
Injektion, ist die auf Monate zu veranschlagende Dauer der Kur und der
öfters nicht immer deutlich hervortretende Einfluß auf den tuberkulösen
Prozeß, welcher zum Abbruch der Behandlung führt. Von einigen Kliniken
und Instituten wird irgendeine Wirkung des Hctols auf die Lungentuberkulose
sogar direkt bestritten. Von anderer, meist privater Seite wiederum berichtet
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324
Landtier.
man üljcr gute Resultate, und der ständig sich mehrende Absatz des Hetols
unterstützt diese Ansicht. Auch einige sehr eklantc Sektionsbefunde (vgl.
besondefs den von Ewald-Berlin beigebrachten) beweisen, dafi unter Hetol
Ausheilung und Vemarbung eintreten kann.
Erschwerend fiel für die Einführung einer splchen Behandlungsmethode
ins Gewicht der durch Koch gerade um diese Zeitepoche beschrittene Weg,
durch Bakterieny)räi)arate der Tuberkulose beizukommen, also entgegengesetzt
von L. zu verfahren. Ferner muß man wohl annehmen, daß auch die Fest-
legung weiter ärztlicher Kreise auf die moderne Heilstättenbewegung anden>-
artige mehr medizinische Therapien nicht gerade begünstigen konnte.
L. hat bis zuletzt voll auf dem Boden gestanden, in dem Hetol das beste
und zurzeit einzige Heilmittel gegen die Tuberkulose gefunden zu haben,
und plante die weitere \nsf)il(lung dieser Mcthdde durch Darstellung eines
eigenartig gewonnenen, demselben (k-l)iet entstammenden Serums.
Referent hält das Hetol bei leichten, nahezu fieberfreien l uberkulose-
fftUen (im Mastdarm bis höchstens 37,8 abends) für wirksam und sieht das
Ideal der Therapie in Verbindung von Hetol mit Heilstätten bezw. Freiluft-
behandlung.
In jedem Falle ist durch das Eintreten L.s für die intravenöse Injektion
als Methode den weitesten ärztlichen Kreisen eine Art der Therapie wieder-
gegeben und eröffnet worden, die nach ihrer bisherigen Entwicklung ferner-
hin von höchster Bedeutung zu werden verspricht. In dieser Beziehung wird
der Name L.s in der Geschichte der Heilkunde stets als bahnbrechend und
einfluflreich fortleben.
Neben der intravenösen Hetolbehandlung, seinem Lebenswerk, sind es
weiterhin vorwiegend chirurgische Arbeiten, die z. T. der Leipziger E]>oche.
darui aber auch der Zeit seiner Stuttgarter lätigkeit entstammend, L.s Arbeits-
feltl biltlcten.
In erster Linie stehen da die drei größeren Weriite» das »Lehrbuch der
chirurgischen Diagnostik«, die »Mechanotherapie und Orthopädie«, das
»Handbuch der allgemeinen chirurgischen Pathologie und Therapie«. Beson-
ders letzteres ist verbreitet, in zweiter Auflage erschienen und gleich der
»Mechanotherapie ins Russische und Italienische übersetzt.
Jedes dieser drei Kompendien, einen stattlichen Band darstellend,
zeichnet sich durch ungemeine Übersichtlichkeit und Präzision des Aus-
drucks, verbunden mit der Fortlassung alles überflüssigen literarischen Ballasts
aus. Die allgemeine chirurgische Pathologie und Therapie mit zahlreichen
Abbildungen ausgestattet, kann direkt als ein gleichwertiger Ersatz des gleich-
namigen Billrothschcn Werkes angesehen werden. Ebendasselbe läßt sich
von der mit besonderer Liebe und Sorgfalt verfaßten Mechanotherapie*
sagen. Diese eben gekennzeichneten Vorzüge haben den Büchern auch ihre
weite Verbreitung verschafft
Es folgten die unten in chronologischer Folge angegebenen Aufsätze und
Monographien, vor allem das Gebiet der Gelenkerkrankungen, der Antisepsis
und Asef)sis lietreffend. ( berall in diesen Arbeiten tritt uns L. als ein
Chiruri; von eij^enartii^ei , durchaus origineller Auffassung,' entgegen. Er l)leibl
immer bestrebt, die Resultate chirurgischer Kin/elfurschung nicht in den
unwirtlichen höchsten Höhen dieser Spezialdisziplin st^ Teriieren zu
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Landerer.
lassen, sondern wir finden ihn bemüht, stets zu vermitteln, die Verbindung
mit dem einfachen praktis( hcn Arzt, dein doch in erster und letzter Linie
jeder Kort.schritt zugute kommen soll, herzustellen. Daher zeichnen sich die
von L. angegebenen Handgriffe und Medioden speziell auf dem Gebiet der
»kleinen Chirargie« durch grofle Übersichtlichkeit aus. Hatte man wie
Ref. Gelegenheit, einige Zeit mit L. zusammen zu arbeiten, so war man vor-
züglich in der Lajje, seine außerordentliche Ik'gabung für das Einfache,
praktisch leicht Durchführbare in der Chirurgie und Medizin kennen und
schätzen zu lernen.
So bleibt das Streben des kaum 5ojährig verstorbenen L. durch eine
grofle Reihe bedeutender Arbeiten gekennzeichnet. Ihr Wert wird auch der
weiteren Zukunft zugute kommen, da die Forschungen L.s der modernsten
wissenschaftlichen Richtung angehörig, in ihren Konsequenzen weit über die
Gegenwart hinausgreifen und somit wohl berufen erscheinen, auch für zukünf-
tige neu entstehende Disziplinen eine feste I nterluge abzugeben.
Arl)citen T.andcrfr< in chronologischer Reihenfolge:
Mechanik der Atmung. Archiv i. Auat. u. Pbys. 1S81. — Exstirpation des Talus bei
Luxation. Chir. Zentralbl. 1881. — Exstirpation des Luynx. Deutsche Zeitschr. f. Chir.
1883. — Versuche Uber Transfusion nicht geschlagenen Blutes. Archir f. exper. Pathol.
1882 - Syjihilitisi-!u' Gt.'K'nkcrkr:\nkiinpcn Krwach«iencr. 1 :an^^iM)l)i.ik> Arch. Bd. 30. 1884.
— Gewebsspannung (.Monographie^. Leipzig 1884. — Über Entzündung. V'olkmanns Vortr.
1885. — Behandlung des Ge$im valgum mit elastischem Zugrerbuid. Behandlanf^ der
Lux. eox. €0Hg. V. Langenbecks Arcb.Bd. 32. — Tnuisfitsion und Infusion. Viidiows Arch. 1886.
- I.ok.nle Anästhesie mit subkutanen Kokaininjektionen. Chir. Zentralbl. 1885. —
Behandlung der Skoliose mii Massage. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1886. — Dasselbe.
Broschüre. Leipzig 1887. — Operative Behandlung der Prostatahypertrophie. Deutsche
Zeitschr. f. Chir. 1886. — Ein Fall Ton Cholecystotomie. Münch, med. Wochenschr. 1886.
— Extensionsvcrband bei SchlUsselbeinbrUchen. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1887. - Ein-
heilung eines Kaninclu-nncrvon, in einen Defekt de- .\". radialis, ibid. Behandlung kleiner
cystischcr Geschwülste mit C hiur/.w)kcin>pritzungcn ibid. — Verletzung der Gallenwege,
Gallene^fttfi in die Bauchhöhle, Heilung, ibid. — Handbuch der allgemeinen chir. Pathologie
und Therapie. Wien 1887 — 1889. — Eine neue Behandlungweise tubcrkul' >>cr Prozesse. Münch,
med. Wochenschr. 1888. — Weitere Mitteilungen hierzu iliid. iSSg. Trockene Operationen.
Langenbecks Arch. Bd. 39. 1889. — Die Behandlung der tuberkulöse mit l'erubalsaui.
Deutsche Med. Wochenschr. 1890. — Behandlung des Plattfufles. Intern, med. Kongr. zu
Berlin 1890. — Trodccocs Wundverfahren. Wiener Klinik 1890. — Behandlung der
KnochenbrUche. Volkmanns Vortr. iSqo. - Oi)eration der ny|)ospadie. Deutsclie /eitsehr.
f. Chir. 1890. — Technik der Magenoperationeu. ibid. — Behandlung der Tuberkulose mit
Zimtsfture. Deutsche Med. Wochenschr. 1890. — Behandlung der Tubeikolose mit Zimt-
säure. Monogra|)hie. I.eip/ig 1892. — Cellttloidmvll. Zentr.ilbl. f. Chir. 1896. —
Mechaiiother.-ipie. Ifandlnuli. I.eip/ii^ 1S04. Operative Behandlung des Duodenal-
geschwürs. (Jrenzgebiete 1896. — Zur Diagnostik der Hcrnia obturatoria. Festschrift f.
Benno Schmidt 1895. — Beititge cur Osteoplastik. Chir. ZentiaIbL 1895. — Der Celluloid-
muUverband. Chir. ZcntraIbL 1896. — Medianschnitt bei Fufiresektion. Chir. Zentralbl.
1897. — Uber Gehirnchirurgie. Württ. Med. Korre<;ponden2bl. 1S97. — 'Micr Desinfektion
der Haut mit Formalin. Chir. Zentralbl. 1897. — Radikaloperation der Hernien. Deutsche
Zeitschr. f. Chir. 1900. — Operation der Varikositäten. Mttnch. Med. Wodiensdir. 1899.
— Plastik der Trtahta. Chirurgische Diagnostik. Lehrbuch. Wien 1897. — AOg.
Chirurg. Pathologie und Therapie. 2. Aufl. Wien 1S9S. f'her die Ursachen il.-- ^fi''-
lingens der Asepsis. Langenbecks Arch. 1808. — Beliandhing der I uberkulose mit Zimt-
Sfture. Lehrbuch. Leipzig 1898. — Opeiatiun der Invagination. Deutsche Zeitschr. f.
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326
Landerer. Köbner.
Chir. 1899. — Über aiubulatomcbc IlctolbehandluBg^ der i'uberkulose. Zeilsdirift f. d.
prakt Arft. Nr. 19. 1900. — Der gegenwärtige Stand der Hetol-(Ziintiiiire-)Be1iand]nnp
der Tuberkulose. Berliner Klinik 190I Heft I53. — Theorie und Praxis der heutigen Wund-
behandlung^. Deutsche Mcdizinal-Zeitunjj. 1902 \r. 47. — Zur Krage der ( jclatine-Injck-
tionen. Württembg. Medix. Korrcspondenzblatt 1902. — Die Talma-Drumondsche Operation
bei Ascites. WUrttembg. Medic. Koirespondenzblatt 1902. — Nach einem hinteriasacnen
Manuskript Prof. A. Landerers: Trockne und feuchte Wnndbehandlnng von Dr. Hern.
Engel. Zeitschr. f. ftntl. Forti>ildang 1905. Nr. 12.
Dr. Erwin i< ranck-Berlin.
K5bner, Heinrich, Dermatolog in Berlin, * 2. Dezember 1838 zu Breslau,
f 3. September 1904. — K. studierte 1855—59 in seiner Vaterstadt und
in Berlin und promovierte 1859 zu Hreslau mit der Dissertation: Phvsio-
logisch-fhemisrhc l'ntcrsiu Hungen über Kohrzuckervcrdauung.- Als Krgel)-
nisse mehrjähriger liospitalstudicn in Wien und Paris publizierte er in den
Minunres dt la Soe. dt Biologie (1861): »Pathologisch - histologische Unter-
suchung eines Falles von Lepra« und »Studien über Schankervirus« (auch in
der »Deutschen Klinik«, 1861); ferner: ^Cber Sycosis und ilirc Beziehungen
zur Mycosis tonsurans (\'irch. Arch., 1861) und, auf ausgedehnte 'l"ier\ersuche
im Col/cx'c de France 1861 basiert: »Zur Frage der Übertragbarkeit der
Syphilis auf Tiere (Wiener med. Wochenschr. 1863). Nach seiner Nieder-
lassung in Breslau begründete er 1861 die erste Poliklinik für Hautkrank-
heiten und Syphilis und publizierte aus derselben (Abhandl. und Jahres-
berichte der Schles. Gesellsch. für vaterländ. Kultur 1861 — 73): »Über-
tragungen aller pflanzlichen Parasiten der Haut, speziell durch seine von ihm
selbst und an Tieren für alle Mycosen erprobte epidcrmoidale Impfmethodcv .
— vHeilungsnicthüclc- derselben^ — »über syphilitische ]>ymphgefäßerkrati-
kungen« — ' Reisebericht über die Lepra und die Syphilisaiion in Norwegen»
(1S63) »Subkutane Sublimatkur gegen Syphilis« — 1^ Herpes wster gmiiih
femaralis* — »Künstliche Erzeugung von Psoriasis als Grundlage ihrer Atio^
logie« — »Über Tätowierung nebst Demonstration des Tätowierten von Birma«,
ferner: Kiinisclic und experimentelle Mitteilungen aus der Dermatologie und
Syjihilidologic (Krlangcn 1(864). i86() habilitierte sich K. an der Universität
zu Breslau und wurde 1^72 zum Professor auf dem neuerrichteten Lehrstuhl
und 1876 zum Direktor der durch ihn ins Leben gerufenen Uttiv«sitäts-
Klinik und -Poliklinik für Hautkrankheiten und Syphilis ernannt, war aber
durch seine angegriffene Gesundheit zu einem längeren Aufenthalte im Aus-
lande und zur Niederlegung seines Lehramtes genötigt. In dieser Zeit publi-
zierte er: ("l)er Arznei -Exantheme, insbesondere über Chinin- Kxanthem-t
(Berl. klin. Woclienschrift 1H77) — »Über die Lei)ra an der Riviera, nebst
Bemerkungen zur Pathologie der Lepra überhaupt« (VierteljaJirsschr. f. Derni.
1876). 1877 siedelte K. nach Berlin über, wo er von neuem 1884 eine
Poliklinik begründete, an weldier er wieder Lehrkurse für Ärzte abhielt.
1897 wurde er zum Geh. Medizinalrat emannt. K. hat noch eine sehr große
Anzahl von literarischen Arbeiten, be7ii^'li( Ii (k-ren Titel wir auf das Bio-
graphische Lexikon von Hirsch und (iuiit, lerner auf das Biographische
Lexikon von Pagel sowie auf die in der unten genannten (Quelle verzeich-
neten Nekrologe verweisen müssen.
Vergl. Virchows Jahresberichte 1904, I, 470. Pagel.
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Rembold. Plelui. MttUcr.
Rembold, Otto, Professor der Medizin, Direktor der medizinischen
Klinik und Hofrat in Graz, * 10. Februar 1834 in Ofen, f 3. September
1904 in Gnu. — R. war ein Sohn von jDr. phil. et med. Leopold R.
(1787— 1844), erwarb den medixiniscfaen Doktortitel 1858, den Titel eines
Lhctor eMr. in Wien 1859, übernahm 1864 als Nachfolger von Körner die
supplierende Professur der Pathologie und medizinischen Klinik in Inns-
bruck, wurde daselbst 1869 Ordinarius und siedelte in gleicher Eigenschaft,
wiederum als Nachfolger von Körner, nach Oraz über. R. war ein
tüchtiger Diagnostiker und Lehrer. Von literarischen Arbeiten sind seine
Beiträge zu den Veröffentlichungen der K. K. Wiener Akademie der
Wissenschaften zu nennen: »Über das Alvisol« 1866, »Wirkung des Suc-
cylchlorid auf Bittermandelöl« 1866, »Chinagerbsäure« 1867, »Gerbsäure
der Granatw ur/clrinde« 1867, »Derivate der Gallussäure« 1870, »Chemische
Restandteile der Tormentillwurzcl 1868, > Einige Abkömmlinge der Ellag-
säurc 1875, u. a. R. beoba* htete 1892 den ersten Eall von ßotriociphalus
latus, der in Graz zur Beobachtung gelangte.
Virchows Jahresberichte 1904» I» 477- Pagel.
Plehn, Friedrich, Kaiserlicher Regierungsarzt in Kamerun und Tanga,
* 15. April 1862 zu Lubochin in Westpreufien, f 29. August 1904 zu Schotteck
bei Bremen. — P. studierte 1881—87 in Zürich, Halle, Freiburg i. Br.
und Kiel, erwarb die Approbation als Arzt 1887 in Kiel und den Doktor-
titel mit der Arbeit: »Behandlung des chronischen H\ drocephalus mit
Lumbalpunktion.«, war Assistent von Winselmann in Krefeld, (lärtner in Jena,
1*. Guttmann und Sonnenburg in Berlin, machte dazwischen Reisen nach
Südamerika, Java und Japan zwecks klimatologischer und physiologischer
Untersuchungen, war 1893 — 94 Regierungsarzt in Kamerun, 1894 — 1900 in
Tanga, Ostafrika, erhielt 1901 den Professortitel und s( hied dann aus dem
Kolonialdienst, um als Nachfolger von Kohlstock den Unterricht in der
Tropenhygiene am Berliner orientalischen Seminar zu übernehmen, bis er
infolge des in Ägypten erworbenen Maltafiebers genötigt wurde, auch diese
Stellung aufzugeben und sich an die Riviera zu begeben. K. war ein
bedeutender Klimatolog und Tropenhygieniker. Er fand 1889 als erster
Malariaparasiten in Deutschland und veröffentlichte eine Reihe von Ab-
handlungen über Malaria, Ober die Kamerunküste 1898 und ein Werk über
Tropenhygiene 1902.
Virchows Jahresberichte 19041 i, 476> Pagel.
Müller, August, Irrenar/.t, ♦ 21. November 1859 zu Schlatt (Thurgau,
Schweiz), f 23. Juni 1904. — M. studierte seit 1878 in Basel, Berlin, München
und Bern, wurde 1885 Assistenzarzt der Anstalt Waldau bei Bern, wo er
seine Doktorarbeit Ȇber die topographischen Beziehungen des Hirns zum
Sch&deldach« verfaßte, eine Monographie, die mehrere Auflagen erlebte, war
von 1887 — 89 Assistent in Prefargier, um dann nach einer Studienrei'^c, die
ihn nach Paris, England und Schottland führte, 1890 die Leitung der Kanto-
nalen Irrenanstalt Breitenau in Schaff hausen zu übernehmen.
Virchows Jahresberichte 1904, I, 475. Pagel.
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Oppenhetmer. MMtius. Hadwefanann.
Oppenheimer, Zacharias, autJcri)ri!cntli< her Professor der Medizin in
Heidelberg, ♦ 8. Januar 1830 zu Miciielfcld (lladen), f 25. Juni 1904. —
O. machte seine Studien in Heidelberg nnd Würaburg, promovierte 1S55,
habilitierte sich bald darauf för innere Medizin in Heidelberg und erlangte
hier 1860 ein F.xtraordinariat. O. war der älteste Dozent der Heidelberger
medizinisc hen Fakvdtät, ein guter Lehrer und fleißiger Schriftsteller. Seine
Pul)likationen beziehen sich auf Studien über fortschreitende Muskelschrum-
pfung, Arsenikvergiftung durch Tapeten, Asthma bei englischer Krankheit,
Ursachen der englischen Krankheit u. a. Femer veröffentlichte O. ein Lehr-
buch der physikalischen Heilmittel und verschiedene Abhandlungen zur
Physiologie und Pathologie des Nervensystems.
Virchows Jaliresberiehte 1904, I, 475. Pagel.
Martius, Georg, Arzi und Hf)frat in München, • 27. Juli 1830 in
P>langen, f 8. Januar 1904. — M. war ein Sohn des Hofapothekers und
Universitätsprofessors Theodor M. und jüngerer Bruder des 1S99 verstorbenen
Ober-Medizinalrates Karl M. in Ansbach. Er studierte in Erlangen seit 1849,
war 1854 während einer Choleraepidemie Assistent im Krankenhause in
Nürnberg, erlangte 185t; die Doktorwürde mit einer lateinischen Abhandlung
über den indisi hen Hanf, war 1836 Assistent am St. Aniui-Kinderkrankenhause
in Wien unter Mauthncr, besuchte 1857 Berlin, war 1858 Assistent von Dietrich
in Erlangen, darauf Polizei -Assistenzarzt und schliefilich 43 Jahre lang
städtischer Armenarzt in München.
Virchows Jahresberidite 1904, I, 473. Pagel.
Haenselmann, Ludwig, Historiker und Novellist, * 4. März 18^4 in Hraun-
schweig, t 22. März 1904 daselbst. — Nac hdem H. die Volks- und Gelehrten-
schuie seiner Vaterstadt durc hiaufen hatte, bezog er Ostern 1853 die Universität
Jena in der Absicht, Theologie zu studieren, wandte sich aber bald dem Ge-
schichtsstudium zu, dem er sich dami drei Jahre hindurch als Mitglied von
Joh. Gustav Droysens historischem Seminar vorwiegend hingab. Den Wunsch,
l'niversitätslehrer zu werden, mußte er infolge äußerer Verhältnisse znrüek-
diätigen, und so trat er Ostern 1856 eine Hauslehrersteile in Mecklenburg
an. Kr durfte dort fast ein Jahr lang im Staatsarchiv zu Schwerin arbeiten
und kehrte dann 1859 in die Heimat zurück. Hier abertrug man H. die
Herausgabe des »Urkundenbuchs der Stadt Braunschweig«, von dem 1862 — 73
der erste und 1895 ein weiterer Band erschien. In der Folge wurde ihm
erst provisorisch und 1S65 defniitiv die Verwaltung des Staatsarchivs iil)er-
tragen, die bis zu meinem Tode in seinen Händen ruhte. 1886 verlieh ihm
der Regent des Landes den Charakter als Proteshor, 1887 ernannte ihn die
Universität Göttingen zum Ehrendoktor der Rechte. Die Durchfoischung
des Archivs bot H. Gelegenheit, mehrere wertvolle Schriften über die Ge-
schichte der Stadt und des Landes Braunschweig zu liefern, wie »Die Chronika
der Stadt Braunschweig« (II, 1868 — 80), Karl Friedrich GauO. Zwölf
Kapitel aus seinem Leben« (1878), » Das erste Jahrhundert des Großen Klubs
in Braunscluveig'< (1880), ' Bugenhagens Kir< henonlnung für die Stadt Braun-
schweig nach dem niederdeutschen Druck von 1528 mit historischer Ein-
leitung«^ (1S85), »Deutsches Bürgerleben. Alte Chronikenberichte« (i. Bd.
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Haensdmann. Gnff. Briegflcb.
Das Schichtbuch, Gesc hichten von Unf^ehorsam und Aufruhr in Braunschweig,
1886), 'pQottschalk Kruscns Unterrichtung, weshalb er aus dem Kloster ge-
wichen« (1887), »Werkstücke. Gesammelte Studien« (11, 1887), »Das erste
Jahrhandeit der Waisenhausschule in Braunschweig« (1896), »Abt Barthold
Meiers Geschichten und Legenden des Klosters St Agidien in Braunschweig«
(1901) u. a. Daran knüpfen sich dann einige belletristische Werke, deren
Quellen gleichfalls im Hrainisrhweiger Archiv zu suchen sind, als: "Unterm
Lüwenstein. Alte Gesrhichten aus einer ungeschriebenen aber wahrhaftigen
Chronik« (1883), »Henning Brandis' Diarium. Hildesheimische Geschichten
a. d. J. 1471 — 1528'v (1896) und »Hans Dilien der Türmer. Eine braun-
schweigische Geschichte aus dem 14. Jahrhundert« (1904).
Persönliche Mitteilungen. Franz Brttmmer.
Graff, Wilhelm Paul» dramatischer Dichter, * 10. März 1845 zu Dobberan
in Mecklenburgi f 33. August 1904 zu Schwerin i. M. — Seine Schulbildung
erhielt er zunächst in einem vornehmen Erziehungsinstitut seines Geburts-
ortes, dann im Gymnasium zu Rostock, das er mit 16 Jahren verließ, um
sich dem liandelsstande zu wiflineii. Aber s( hon nach aiulerthalb Jahren trat
er wieder ins Gymnasium ein und studierte dann seit Ostern 1866 aui den
Wunsch seiner Eltern die Rechte. Zu diesem Zwecke besuchte er die
Universitäten Rostock, Berlin, Göttingen und München, betrieb aber das
Hospitieren der Vorlesungen eines Ranke, Riehl, Carridre, Bartsch u. a. mit
größerem Eifer als den pflichtschuldigen Besuch der juristischen Kollegia.
Im Jahre 186S nach Rostock zurückgekehrt, publizierte er noch als Student
sein erstes poetisches Werk »Die Babenberger« (Geschichtl. Drama, 1870) und
wendete sich jetzt ganz dem Studium der Geschichte und Literatur zu.
Von 1870 — 74 war er als Lektor und Hauslehrer in der Rheinprovinz, in
Berlin und Rostock tätig, beschäftigte sich nebenher mit dramatischen, kri-
tischen und feuilletonistischen Arbeiten und brachte in Rostock sein zweites
Drama Michel Kohlhaas (Trauersp., 1871) zur ersten erfolgreichen Auf-
führung. Im Krühjahr 187^ machte er eitie mehrmonatliche Reise nach Süd-
deutschland, Tirol und t>)beritulien und lieli sich nach seiner Verheiratung
mit einer jungen Russin, die er in Genf kennen gelernt, im September 1874
in Wiesbaden, im FrUhjahr 1875 Rostock und im Herbst d. J. auf seiner
Villa bei Güstrow in Mecklenburg nieder, um nun ganz seinem Berufe als
Schriftsteller zu leiten. In den folgenden Jahren wechselte er seinen Wohnsitz
zwischen Güstrow und Schwerin, war hier auch mehrere Jahre als Hilfs-
arbeiter in der Kegierungsbibliothek tätig. Von ihm erschienen noch »Ver-
mietet« (Schwank, 1873), »Odysseus« (Lyrisch -dramatische Dichtung, Musik
von Max Bruch, 1873), »Ein Götterm&rchen« (Epische Dichtung, 1876), »Der
Student« (Drama, 1883), »Um eine Krone« (Drama, 1885).
Pendnliche Mitteilungen. Franz Brümmer.
Briegleb. Elard, hessischer Dialektdichter, * S- ^l'»' 1^22 zu I !< >[ .fmanns-
feld im Vogelsbergc, f 15. Juni 1004 in Worms. - l.r war der Sohn eines
Pfarrers, der aber schon 1837 starb und sechs unmündige Kinder ohne Ver-
mögen zurückliefi. Indessen die energische, tatkräftige und hochbegabte
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Bricgleb. .KieceL
Mutter verzagte nicht und nahm voll Gottvertrauen die Erziehung ihrer
Lieben in die Hand. Sie zog mit ihnen nach Büdingen, wo Elard 1837 — 41
das Gymna-sium besuchte, und begleitete ihn dann auch nach Gießen, wo er
bis 1844, besonders unter den die Freiheit der Wissensdiaft und Forschung
hochhaltenden Professoren Credner und Knobel, Theologie studierte. Nach«
dem er dann noch ein Jahr lang das Predigerseminar in Friedberg (Wetterau)
besticht hatte, nahm er eine Hausiehrerstelle bei dem Bergrat Buderus auf
dem Hüttenwerk zu Hirzenhain an, einem im 'l"al der Nidder reizend ge-
legenen Dörfchen am Ausgang des Vogelsberges, und wurde hier 1848 zugleich
Pfarrverwalter. In gleicher Eigenschaft kam er 185 1 nach Grofl-Biberau und
noch in demselben Jahre nach Butzbach, wo er das Rektorat der Knaben«
schule zu führen hatte. Seit 1854 Pfarrvikar in Nidda, wurde er endlich im
folgenden Jahre definitiv Pfarrer in Alsheim, Kreis Worms, kam dann als
solcher 1862 nach Hohen-Sülzen und 1874 nach Pfeddersheim, wo er bis 1895
wirkte und bis 1888 auch das Dekanat verwaltete. Ein Blasenleiden zwang
ihn, nach 47 jähriger Amtsführung seine Pensionierung nachzusuchen, worauf
er nach Worms fibersiedelte. Hier ist er hochbetagt gestorben. — »Der
Wald hat's auf sich; der ganze Vogelsberg mit Land und Leuten hat's auf
sich, dafl ich Schriftsteller und Dichter wurde«, bekennt B. selber. Aus seinem
engen Verkehr mit flen Dorfbewohnern in den verschiedenen Provinzen seiner
hessischen Heimat, sowohl als Jüngling wie später als Pfarrer, erwuchs ihm
die Liebe zur Heimat und das Interesse am Volk, das dann in seinen mund-
artlichen Dichtungen zum Ausdruck kam, »Wie's klingt am Rhei*< (mundart>
liehe Gedichte aus der hessischen Pfadz, 1886); neue Folge u. d. T. »Links
am Rhei' ist gut sei'« (1899); Anhang dazu »Wei'schdeier Lieder (1899) und
Vivat der Vogelsberg < (1896). Alle diese Dichtungen trugen ihm den Ehren-
namen »Der Sänger tles Vogelsbergs ein. Als echtdeutscher Patriot erweist
er sich in »Bismarck-Lieder« (1898), während seine religiösen und religions-
politischen Dichtungen noch der Veröflfentlichung harren.
Persönliche Mitteilongen. — Dr. Chr. W. Stromberger: Die geisdiche Dichtong in
Hessen. Neue Folge. Dannstadt 1898, S. ao. Franz BrQmmer.
Riegel, Franz, Universitätsprofessor der klinischen Medizin und (Ge-
heimer Medizinalrat in Gießen, * 9. Februar 1845 in Würzburg, f 26 August
1904 in Bad Ems. ~ R.s Vater war Bade- und Bezirksarzt in Brückenau; er
selbst besuchte das Gymnasium in Wfirzburg und verbrachte dort auch seine
ganze Studienzeit Für sein vorzüglich bestandenes Staatsexamen erhielt er
ein Stipendium, das er dazu verwandte, seine Studien in Wien fortzusetzen.
Nach seiner Rückkehr von Wien wurde er am Julius-Spital in Würzburg
Assistent; nach kurzem Aufenthalt auf der gynäkologischen Abteilung von
Scanzoni, die er gleichzeitig mit der Assistentenstelle an der Innern Klinik
Bambergers versorgte, übernahm er dann allein die letztere Stellung und
blieb sechs Jahre lang Bambei^ers Assistent. Im Jahr 187 1 habilitierte er
sich. Nach Bambergers Berufung nach "Wien blieb er eine Zeitlang noch
Gerhards Assistent. l'm diese Zeit wurde iler Direktorposten am Kölner
Bürgerhospital frei und R. wurde, ohne sich vorher gemeldet zu haben, be-
sonders auf Veranlassung von Virchow und Bamberger auf die Liste der Be-
werber gesetzt und Dank der Agitation einer Richtung in Köln, die das
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Riegel.
große Hospital im modernen Sinne umgestalten wollte, gewählt. Nach
5 jähriger Tätigkeit an die^i r Stelle traf ihn der Ruf nai h Gießen, wo er den
durch den Rücktritt von Seitz frei gewordenen Lehrstuhl für klinische Medizin
einnehmen sollte. Im Mai 1879 ^> i^^^h Giefien und ist in dieser
Stellung bis an sein Lebensende geblieben.
Diese Etappen bezeichnen den äußern Lebensgang R.s. Die wissenschaft-
liche Richtung, in der er Zeit seines Lebens aufging, läßt sich in ihren ersten
Anfängen schon in seiner Doktordissertation -Über das Verhältnis der Atem-
bewegung beim gesunden und kranken Menschen« erkennen. Wie er in
dieser Arbeit eine Vorliebe für experimentelle Pathologie und ihre Bedehungen
zur Klinik xum Ausdruck brachte, so ist er während seiner ganzen wissen-
schaftlichen Tätigkeit fast ausschließlich bemüht gewesen, die Forschungs-
ergebnisse der experimentellen physiologischen Pathologie mit den Verände-
rungen am kranken Menschen in Kinklang zu bringen.
Die Neigung zur FMorschung und Bearbeitung der funktionellen Stö-
rungen, die sicher in seiner ganzen geistigen Veranlagung fußte, hat ihre
erste Förderung vielleicht in den grundlegenden physiologischen und patho-
logischen Arbeiten von Heidenhain und Cohnheim gefunden, die damals —
Anfang der siebziger Jahre — das Interesse aller wissenschaftlichen Mediziner
in höchstem Grade erregten. Sicherlich war für ihn aber noch viel be-
deutungsvoller, was er an Eindrücken in Wien empfing. Hier vertiefte er
sich keineswegs allein in die rein klinischen Studien bei Oppolzer und Skoda,
vor allem zog es ihn zu Stricker, dessen findiger Geist die vielen, durch die
neuen Forschungsergebnisse der Phjrsiologie, allgemeinen Pathologie und Klinik
neugezeitigten Probleme an der Hand orginell ersonnener Untersuchungs-
methoden zu ergründen suchte. So reizvoll es aber auch für den jungen, so
empfänglichen und jeder Anregunir iia< hgebendcn Forsrher war, sich in die
vielseitigen Methodik dieses unerschöpflichen Arbeitsteides zu vertiefen und
aus ihm Stoß zu neuen Arbeiten zu entnehmen, so wurzelte seine geistige
Individualität doch viel zu sehr im Realen, in der konkreten Beobachtung,
als dafi er sich hätte völlig für dies der Theorie und Hypothese noch zu
offene Gebiet gewinnen lassen. Kr nahm alle die Anregungen auf und
verarbeitete sie für die angewandte Pathologie, für die klinische Medizin.
Für diese brachte er eine seltene Beobachtungsgabe und die nüchterne Ubjekti-
vität des unbestechlichen Lntersuchers mit. Aus der glücklichen Vereinigung
dieser beiden Geistesrichtungen erwuchs die wissenschaftlidie Persönlichkeit
R.S. Aus den klinischen Veränderungen schälte er den Kern des patholo-
gischen Problems, das er sowohl durch weitere klinische Beobachtungen
sowie durch experimentelle Nachahmung des Vorgangs beim Tierversuch,
eventuell auch beim Menschen, wenn si( h dies ohne dessen Schädigung er-
reichen ließ, zu ergründen sich vornahm. So vielseitig daher auch seine
Arbeiten waren — und er hat wohl kaum ein Gebiet der klinischen Medizin
unbepflügt gelassen — fast durchgängig tragen sie diesen Gedankengang.
In seiner Würzburger Zeit hat er zunächst hauptsächlich die Pathologie der
Respiration in das Bereich seiner Untersuchungen gezogen. Eine Ergänzung
und Vervollkommnung seiner Disst rtation legte er in einer Reihe von Unter-
suchungen nieder, bei denen er su Ii eines sell)stkonstruierten Stethographen
bediente. Gleichzeitig bearbeitete er die Störungen der Kchlkopfinnervation.
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RiegcL
Seine Arbeiten über die Stimmbandlähmungen und respiratorische Paralysen«
haben eine große Bedeutung behalten. Kr hat mit zuerst auf das bedeutsame
Krankheitsbild der Lähmung der Glottiserweiterer aufmerksam gemacht, ihre
Klinik anschaulich beschrieben und ihre Theorie begrQndet. Seine Habili-
tationsarbeit wandte sich dem Einfluß des Nervensjrstems auf Kreislauf und
Körpertemperatur zu. Das Studium der Blutgefäßinnervation, die bei diesen
mühevollen \'ersiichen sorgfältig beobachtet wurde, führte ihn tu weiteren
hämodyiirimisclien I iiter^iu hiin<jeii. Diese und die hieran anknüpfenden
Probleme der Zirkulationsstörungen am Herz und an den Gefäßen bilden den
Hauptinhalt einer großen Reihe fruchtbarer und wichtiger Arbeiten, von dfenen
ein Teil bereits in Köln zum Abschluß kam. Es sei hier zunftchst an seine
Pulslehre etinncrt, in der er als erster die durch die j)hysikalischen Unter-
suchungsmethodeii in den Hintergrund getretene Pulsbenbarlitung wieder neu
belebte. K,r führte den Sphygmographeii in die Klinik ein und schuf damit eine
für die Pulsbeobachtung der Klinik ungemein wichtice Methodik, die durch
seine klassischen, in verschiedenen Arbeiten niedergelegten Pulsschilderungcn
ein Allgemeingut der wissenschaftlichen Arzte geworden ist Es seien hier
ferner erwähnt die Arbeiten über die Vermehrung der Ge&ßspannung bei
Bleikolik, über die Drucksteigerung im arteriellen Gefäßsystem hci beginnen-
der akuter Nephritis, die grundlegenden Untersuchungen, über Hemisystolie
über normalen und pathologischen \'cneiij)uls und nicht zum wenigsten seine
mehr klinischen Studien über Herzkrankheiten (Myocarditis und Mitralfehler).
R. beschäftigte sich jedoch keineswegs ausschließlich in dieser Richtung*
Seine interessanten Untersuchungen über das Bronchialasthma, in denen er
die bei diesen Zustand beobachtete Lungenblähung experimentell als einen
dur( h reflektorische Phrenicuserrcgung zustande gekommenen Zwerchfcllkrampf
erkliirt-n konnte, sowie seine rein therapeutischen Arbeiten über das Coffein,
Jaborandi, Apomorphin, Atropin usw. zeigen die Vielseitigkeit semer Interessen.
Von ganz besonderer Bedeutung sind endlich die Arbeiten R.s fQr die Patho-
logie der Verdauung geworden. In den letzten 15 Lebensjahren haben diese
einen großen Teil seiner Tätigkeit in Anspruch genommen. Man kann ohne
Übertreibung sagen, daß die Kußmaulsche Anwendung der MagensonHe
in der Therapie, durc h die überhaupt die diagnostische Magenaushebung in-
auguriert wurde, ihre reichsten Früchte in den Arbeiten R.s und seiner
Schüler über die Magenpathologie getragen hat. Aus der erdrückenden
Fälle physiologischer und pathologischer Fragen, die mit der EinfOhrung
des Mageninhalts als diagnostisches Moment auf einmal nach Beantwortung
verlangten, hat R. mit klinischem Scharfblick grade die herauszuwählen ver-
standen, die für das X'erstänrlnis pathologischer Zustände wesentlich waren
und praktisch dringend eine Klärung verlangten. Wenn heute die Frage der
Ireien und gebundenen Salzsäure, der Hyperchlorhydrie, die Rolle der
Superacidität in der Pathogenese und Klinik des Magengeschwürs, die Ent-
stehung der Magenerweiterung, die Diagnostik des Magenkrebses usw. in
ihren wesentlichen Punkten gelöst genannt werden dürfen, so ist es haupt-
sächlich das Verdienst von R., rler teils selbst durch zahlreiche Arbeiten
hierin Klarheit geschafft, teils seine Schüler hierzu veranlaßte. Sein vorzüg-
liches Lehrbuch der Magenkrankheiten, das den XII. Band der Nothnagel-
schen speziellen Pathologie und Therapie bildet — der I. Teil ist bereits in
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RiegeL
333
zweiter Auflage erschienen — übermittelt dem gro!3en ärztlichen Publikum
diese Fülle von Arbeit und neugewonnener Krkenntnis.
So sehr R. die rein wissenschaftliche lätigkeit in Anspruch nahm und
seinem Leben den Hauptreiz verlieh, so hat er doch auch auf mannigfachen
andern Gebieten fruchtbringend gewirkt. Er besafl ein grofies organisatorisches
Talent, das er hauptsächlich in seiner Eigenschaft als Krankenhausdirektor
zu entfalten Gelegenheit hatte. In Köln sowie in Gieflen mufite er ganz neue
Verhältnisse schaffen.
Das Kölner Bürgerhospital, das damals weit davon entfernt war, den
Anforderungen eines modernen Krankenhauses zu genügen, wurde von ihm in
allen Punkten reorganisiert; es gelang ihm, in Verein mit umsichtigen
Männern der Stadtverwaltung,, die seinen Vorschlägen den nötigen Nachdruck
zu verschaffen wußten, allmählich alles das durchzusetzen, was an Pflege-
personal, Assistenten usw. nötig war, sogar die Errichtung eines wissenschaft-
lichen Laboratoriums, wohl eines der ersten in Deutschland. Als er von
Köln nach fünfjähriger ungemein fruchtreicher und, wie hinzugefügt werden
mufi, sehr warm anerkannter Tätigkeit schied, hinterliefi er seinem Nadi*
folger Leichtenstem ein musterhaftes, vom modernsten wissenschaftlichen
Geiste durchwehtes Krankenhaus.
In Gießen waren die Verhältnisse bei seiner Berufung jammervoll. Das
akademische Krankenhaus war in einer alten Kaserne untergebracht; zur
Hälfte war diese für die Bibliothek um! archäologische Sammlung benutzt,
in der andern teilten sich, auf je ein halbes Stockwerk beschränkt, Augen-,
innere und chirurgische Klinik. R., der sich schon bei seiner Berufung den
Bau einer neuen Klinik ausmachte, erreichte zunächst wenigstens die Ent-
fernung des nichtmedizinischen Teils aus dem alten Haus und die Räume für
ein Laboratorium und .\ssistenteinvohnungen in einem Nfbengebäudr. Durch
rastloses, unermüdliches Arbeiten und nie erhihuu'iule Knergie vermochte er
beim Ministerium mit seinen Plänen für den Neubau der medizinischen Lehr-
anstalten durchzudringen und ii Jahre nach seiner Berufung war es ihm
endlich vergönnt, in seine neue Klinik einzuziehen, die gleichzeitig mit dem
Neubau der Frauenklinik und des i)athologischen Institutes eröffnet wurde.
Die neue Klinik war in Bauplan und Ausführung musterhaft ersonnen,
um den Zwecken eines modernen Krankenhauses und gleichzeitig einer Lehr-
anstalt und Stätte wissenschaftlicher Arbeit zu dienen.
Seine klinische Lehrtätigkeit hat R. mit großer Liebe ausgeübt, sie war
ihm eine Herzenssache. Es kam ihm nicht darauf an, durch einen glänzenden
Vortrag auf die Hörer zu wirken, sondern durch klares ^stematisches Vor-
gehen die Schüler zunächst zur richtigen Krankenuntersuchung zu erziehen
und logisch aus der Untersuchung das Krankheitsbild zu entwickeln. War
er mit diesem Teil seiner .Aufgabe fertig, und kam er zu der Hcsprechung
der Pathogene.se uiui allgemeinen Pathologie der vorliegenilen Krankheit,
so gab er stets abgerundete Bilder, die sich in das Gedächtnis der Hörer
scharf einprägten; oft genug rifi ihn der Gegenstand dann aber auch
hin, den vorliegenden Fall zum Ausgangspunkt physiologisch-pathologischer
Erörterungen zu machen, in denen dann in fesselnder Wei^e Experimente
und Hypothesen zur .Sprache kamen und die Schüler damit in die wissen-
schaftlichen Arbeitsstätten der Medizin eingeführt wurden. So war er
334
Ricgd. LieiBcb.
cigcntlit h nu-hr ein Lehrer für VorgesrhrittciuTC und es ist nirht wunderbar,
daß er namentlich auf seine Assistenten eine große Anregung zur Arbeit aus-
übte. Die Arbeiten seiner Assistenten sind ungewöhnlich zi^lreich und xtun
größten Teil nicht nnr »Assistentenarbeiten«, sondern eine grofie Anzahl von
ihnen bedeuten wirkliche, wissenschaftliche Fortschritte. Wenn er auch be-
sonders die älteren Assistenten durrliaus nirht in der Selbständigkeit ihrer
Arbeitsrichtung, Aufgaben und Ausführungen zu beeinflussen suchte, so ist doch
wohl den meisten dieser Untersuchungen der Stempel seiner Geistesrichtung
eingeprägt, der im Anfang zu charakterisieren versucht worden ist: die Ur-
sache der pathologischen Störung auf physiologischem Wege zu ermitteln.
So kann man von einer R.schen Schule sprechen, die unter seinem Einfluft,
auf der Grundlage seiner wissenschaftlichen Ideen und Überxeugongen aus-
gebildet, in seinem Sinne weiter arbeitet.
Als Arzt, besonders als Ronsiliararzt, hat R. eine sehr große Tätigkeit aus-
geübt und in diesem Tun nicht nur durch seine wissenschaftliche Bedeutung,
sondern vielleicht noch mehr durch seine menschlichen Eigenschaften, sein
suggestiv beruhigendes Wesen, sein geduldiges Eingehen auf die Persönlich-
keit des Kranken und seine Pflichttreue die größten Erfolge erzielt. Seine
konsiliare Tätigkeit flehnte sich über weite Bezirke des westlichen Mittel-
deutschlands, sogar bis nacli Holland und Belgien aus. Seine Tätigkeit als
Lehrer, Arzt und Forscher füllte ihn so sehr aus, daß er, wiewohl sein Inter-
esse andern allgemein menschlichen Dingen durchaus nicht abgewandt war,
keine Zeit fond sich ihnen zu widmen. Er arbeitete unablässig von Morgen
bis in die Nacht, die kurzen freien Stunden, die er sich gönnte, gehörten seiner
engsten Familie an, in deren Kreise er sehr glücklich lebte. Am i^. ^^ai
1904 feierte er im Kreise seiner früheren und damaligen Assistenten sein
25. i'rofessorenjubiläum, zu dem ihm diese eine Festschrift (53. Band der Zeit-
schrift für klinische Medizin) verehrt hatten. Seine Freude über diese seinem
Wesen so adäquate Ehrung war ebenso rührend wie charakteristisch für den
Mann, der von der ersten Jugend an der Wissenschaft gedient hatte und ihr
nie einen Augenblick untreu geworden war. Leider trug er schon damals,
ohne es zu wissen, den Keim zu der tötlichcn Krankheit in sich, der er
wenige Monate später n.ich si hwerem Leiden erlag.
Der Name von Franz K. gehört zu denen, die in der Geschichte der
deutschen medizinischen Klinik nie vergessen werden können. Denn an ihn
knüpfen sich in fast allen ihren Gebieten Fortschritte, die zu ihrem Ausbau
beigetragen haben und noch fortwirkend weiter beitragen werden.
Georg Uonigmann-Wiesbaden.
Liersch, Ludwig Wilhelm, Geheimer Sanitätsrat in Koitbus, • daselbst
2. Juni 1830, t 9. Mai 1904. — L. studierte in Greifswald, Göttingen und
Berlin, promovierte 185a, machte von 1853— SS wissenschaftliche Reisen und
liefi sich 1856 in seiner Vaterstadt nieder, wo er neben der allgemeinen auch
augenär/tlii he Pra.xis trieb, 1888 zum Kgl. Kreisphysikus ernannt wurde und
als solcher bis zu seiner bei l'.inführnni,' der Kreisärzte erfolgten Emeritierung
verblieb. L. gehörte zu den angesehensten Ärzten seiner (iegend, bekleidete
mehrere Ehrenämter, war lange Jahre Mitglied der Ärztekammer der Provinz
Brandenburg und machte sich um die Förderung der ärztlichen Standes»
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Lietsdi. Laogeiiuuis. Kottmann. Zünmcnnaim.
335
angelegenhciten recht verdient. Auch schriftstellerisrh war er tätif?. Kr ist
Verfasser verschiedener kleinerer Arbeiten über Friedrichs des Grolien letzte
Krankheit und Tod, über die linke Hand, medizinische Geschichte der Stadt
und des Kreises Kottbus n. a. Am 7. August 1902 feierte L. sein 5ojfthriges
Doktorjubiläum.
Vergl. Virchows Jahresberichte 1904, I, 472. Pagel.
Langerhans, Kubert, l'atholug in Berlin, * 4. Mai 1859 als Sohn des
bekannten Stadtverordneten-Vorstehers zu Berlin, f 32. November 1904. —
L. studierte an&ngs die Architektur an der Berliner Bauakademie, dann
Medizin in München und ßerlin, hauptsächlich als Schüler Virchows, promo-
vierte 1.S8}. war Arzt seit 1885, habilitierte sich für pathologisclie Anatomie
1890, war 18S5 — 94 Assistent von Rudolf Virchow, seit 18^4 Prosektor am
Krankenhaus Moabit-Berlin und erhielt 1895 den Professurtitei. L. wird in
seinem Fach sehr' gerühmt. Er war ein gründlicher Forscher und fruchtbarer
Schriftsteller. Von seinen Publikationen sind zu nennen: »Grundrifi der
pathologischen Anatomie« (mehrere Auflagen, übersetzt ins Englische, Italie-
nische, Russische.) — »Innere Einklemmung durch Axendrehung der
Pylorushälfte eines Sanduhrmagens < — >^Über Pankreasnekrose (i88q) —
»über Atlasankylose« (i8qo) — -(''her multiple Kett^'cwcbsnekrose« (1890,91)
— »Über regressive Veränderungen der Trichinen^ (1892) — »Veränderungen
der Lungen nach Karbolsäure- Vergiftung^ (1892/93) — »Beiträge zur
Physiologie der Brustdrüse« (1894) — »Über Sarggeburt« (1899) und kleinere
Mitteilungen.
Vergl. Virchows Jahresberichte 1904, I, 471. Pagel.
Kottmann, August, Chirurg in Solothurn, * daselbst 4. März 1846,
t 4. Juli 1904. — K. stammte aus einer Ärztegeneration. Er war der Sohn
und Enkel von Ärzten. Seine Studien machte er seit 1865 in Bern, Tübingen
und Prag, promovierte 1869 in Bern summa cum laude mit der Dissertation:
= Die Symptome der Leukämie' (Hern 187 i), war bis 1872 Assistent von läicke
und Münk in IJern, habilitierte sieh zunächst für innere Medizin, nahm am
Kriege von 1870^ — 71 in deutschen Hospitälern teil, machte eine längere
Studienreisei die ihn an verschiedene ausländische Universitäten führte und,
nachdem er die akademische Laufbahn aufgegeben hatte, übernahm er 187 a
die Leitung des Bttrgerspitals seiner Vaterstadt, wo er sich als Chirurg große
Verdienste erwarb und als einer der beliebtesten und verdientesten Arzte
bewährte. Er führte die Antisepsis ein, machte als erster die Operation
fler Entfcrnunfi des I-'i u( hthalters durch die Scheide zwecks Beseitigung einer
gefährlichen Neubildung, und brachte es im Jahre 1902 auf 669 Operationen,
während er die Krankenzahl seines Hospitals so beträchdich hob, dafi die
Frequenz von 368 im Jahre 1873 auf 1106 im Jahre 1902 stieg. Auch war
er literarisch fruchtbar. K. besaß auch als Musiker und Violinist einen Ruf.
Vergl. Virchows jahfesberichte 1904, I, 471. Pagel.
Zimmermann, Alfred, Stabsarzt in Wien, * 24. Oktober 186-; in Klagen-
furt, t 1. November 1904. — Z. studierte in Wien, promovierte hier 1890,
widmete sidi dann der militärischen Laufbahn, war Gamisonsarzt in ver-
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33Ö
Zimmermann. Zahn. Kottuliusky von Kottultn.
schiedenen Spitälern, gleichzeitig Sekundärarzt, später Chefarzt an der Güssen»
bauerschen Klinik, wurde 1893 Regimentsarzti 1895 aoflerordentliches Mit-
glied des Sanitätskomitees, 1901 Stabsarzt. Z. war ein kenntnisreicher Anatom
und tiuhtiger Chirurg; besonders geübt war er als Operateur der Darm-,
Gallcnljlasen,- Nieren- und chirurgischen Hirnaffektionen. Sein Tod erfolgte
an Blutvergiftung.
Vergl. Virchows Jahresberichte 1904, 1, 484, und die dort angegebenen guellen.
Pagcl.
Zahn, Friedrich Wilhelm, Patholog und pathologischer Anatom in Genf,
* 14. Fel)ruar 1845 Germersheim in der Pfalz, f i6. August 1904. — 7.. studierte
in Str;iUl)urg i. E., hauptsä( hlii Ii als Si hüler von v. Recklinghausen, promo-
vierte 1870 in Bern und erhielt 1876 das Ordinariat seines Faches in Gent.
Z. ist Verfasser von Arbeiten in der pathologischen Anatomie des Zirkulations-
apparates, der Geschwülste, der Entzündung und bearbeitete zusammen mit
A. Lücke den Abschnitt Geschwülste« in der von Billrotb und Lücke
herausgegebenen Deutschen Chirurgie .
Vergl. Virchuws Jahresberichte 1904, 1, 483, und die dort angegebenen (^)iicllcn.
Tagel.
Kottulinsky von KottuUn, Adalbert Graf, * 5. Juni 1847 in Graz,
f 20. November 1904 zu Neudau in Steiermark, Staatsmann und Volkswirt. —
K. gehörte einer Familie des schlesischcn Uradels an, die anfangs des XVIII. Jahr-
hunderts das Erbe der gr<äflichcn Familie Rottal in Steiermark antrat und
sehr bald in der Regierung und Verwaltung des Landes die Stellung und
den Einfluß gewann, den die namentlich in der üststeiermark begüterten
Rottal seit Jahrhunderten eingenommen hatten. Des Grafen Adalbert Vater,
Graf Josef, war noch in der ständischen Zeit Mitglied des in seiner Wirksam-
keit allerdings sehr eingeschränkten Verordnetenkollegiutns gewesen und war
bei der Finlierufung des Landtages sofort als Vertreter des GroßgrundbcsitTreN
in den Lan(lesau'>^chuU berufen worden, dein er bis zu seinem J ode angehört
hat. Grat Adalberts Erziehung und Studiengang, sowie seine erste Ver-
wendung im Staatsdienste waren darnach eingerichtet, dafi er die öffentliche
Tätigkeit des Vaters seinerzeit aufnehmen und erweitem konnte. Er absol-
vierte das Gymnasium in flraz 1865, studierte Rechtswissenschaft an den
Universitäten Graz und Innsbruck und trat 1870 als Konzeptspraktikant bei
der steierniärkischen Slatthaltcrei in den Verwaltungsdienst ein. Durch viel-
seitige und wechselnde Verwendung in .Ämtern mit verschiedenartigen Auf-
gaben bei den Statthaltereien in Ober- und Niederösterreich und zwar in
Linz, Wels, Wien, Waidhofen a. d. Thaia konnte er sich eine genaue Kenntnis
nicht nur aller Zweige des Verwaltungsdienstes, sondern der Bedürfnisse
städtischer und ländlicher Bevölkerung erwerben. Der 1878 erfolgte Tod
seines Vaters nötigte ihn, 1870 den Staatsdienst zu verlassen und die Bewirt-
schaftung der Güter Neuilau, Ober- und Untermaierhofen nicht nur im eigenen
sondern auch im Interesse seiner Schwestern zu übernehmen, da die Güter^
die keine Majorate sind, nicht an ihn allein gellen waren. Damit war
Graf K. seinem Heimatlande wiedergegeben und er hat seine Arbeitskraft
und seine Erfahrung sehr bald auch in dessen Dienst stellen müssen, denn
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Kottulinsky von Kottulin.
337
der Großgrundbesitz entsandte ihn noch 1879 in den Landtag und dieser
wählte ihn 1882 in den I.andesaussrhuß. Als Mitglied dieser Kör[>erschaft
begnügte sieh (ir:d K. nicht mit der Krledigung der ihm zugewiesenen (Jeschiifle,
er wandte seine Aufmerksamkeit dem öffentlichen Leben zu und beteiligte
sich an allen Untem^mungen, für die er seine Kenntnisse verwerten zu können
hoffte. Bald entwickelte sich bei ihm ein lebhafter Sinn für das künstlerische
Schaffen, nicht nur für das moderne, sondern auch für die Hinterlassenschaft
verflossener Zeiten. Dies trat namentlich bei flen Xdrarheiten für die kultur-
historische Ausstellung hervor, mit der die Steiermark ihre sechshundert-
jährige Verbindung mit dem Hause Habsburg 1883 feierte, (iraf K. trug
wesentlich zu deren Zustandekommen bei, indem er nicht nur, wie viele
seiner Standesgenossen in solchen Fällen, seine Präsidialgeschfifte pttnktlich
besorgte, sondern auch an den Forschungs- und Sammelarbeiten persönlich
Anteil nahm, durch die man die Gegenstände der Ausstellung erst ausfindig
und dem angestrebten Zwecke zugänglich machen konnte.
Alle Ideen und Bestrebungen in wirtschaftlicher, hunianitärer und künst-
lerischer Richtung, zu denen Graf K. durch sein Wirken angeregt worden
war, treten in den Bereich der Ausgestaltung und in vielen FlUlen auch der
AusEQhrung und des Erfolges, nachdem die im Jahre 1884 von ihm geschlossene
Ehe mit Theodora P'reiin Mayer von Meinhof, der Tochter des hervorragendsten
Eisenindustruellen der Steiermark, Begründers der weltberühmten Donawitzer
Werke, Franz Freiherrn Mayer von Meinhof, ihm reiche Mittel zur Hand
gegeben hatte, in allen Fällen tatkräftig einzugreifen, in denen das gute
Beispiel mehr wirkt als die beste Rede. Grifin Theodora war in dieser Hin-
sicht eines Sinnes mit ihrem Gatten und fond ihre höchste Befriedigung in
der Förderung der von ihm teils ins Leben gerufenen, teils durch Reformen
erneuten und zu neuer Blüte erweckten Körperschaften und Vereine. An
Männer solcher Art und von so intensiver Arbeitsfreude ist tias öffentliche Leben
Österreichs nicht überreich, es konnte nicht fehlen, daß man den (Irafen K.
uberall dort heranzog, wo man eine energische Leitung und ehrliche Arbeit
brauchte. Dies gilt namentlich von der steiermärkischen Landwirtschafts-
gesellschaft, in der er unter der Präsidentschaft des Freiherm von Washington
als Au8schu0mitglied und vielseitiger Referent, seit 1898 als Präsident eine
umfassende utid außerordentlich fruchtbringende Tätigkeit entfaltete. Er vcr-
anlaßte tlie Beteiligung der steierischen Landwirte an allen agrarpolitischen
Aktionen der letzten Jahre und stellte Beziehungen zwischen dem Verbände
landwirtschaftlicher Genossenschaften und der Gesellschaft her, deten Vorteile
fQr beide Korporationen sehr bald zutage traten, so dafi die in der Steier-
mark zustande gebrachten Einrichtungen vorbildlich für andere Länder wurden.
Der Zusammenschluß aller Landwirte seines Heimatlandes, die Sinn und Ver-
ständnis für die dem modernen Ökonomen gestellten Aufgaben haben, die
Vereinigung aller landeskulturellen Agenden unter dem Präsiilium der l,and-
wirtschaftsgesellschaft, endlich die Schaffung eines Landwirtschaftshauses für
alle landwirtschaftlichen Korporationen, waren Aufgaben, die er sich gestellt,
an deren Lösung ihn nur der allsuhiUie Tod gehindert hat Das grofie
Geschick, mit dem K. die agrarischen Forderungen in den Vertretongskörpem,
namentlich im Herrenhausc zu begründen wußte, eignete ihn ganz besonders
für die Leitung der Zentralstelle zur Wahrung der land- und forstwirtschaft-
Biogr. Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. Btl. 33
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Kottulinsky von Kottulin. Grfln.
liehen Tlltcro'^scI1 beim Abschlüsse von Handelsverträgen, zu deren Ehren-
präsidenten er {gewählt wurde.
Obwuhl von der V erwaltung der eigenen liesitzungcn, von denen nament-
lich Neudau zur Musterwirtschaft eingerichtet wurde, und der Vormundschaft
Über die minderjAhrigen Kinder seines 1893 verstorbenen Schwagers Franz
Freiherrn Mayer von Melnhof im hohem Grade in Anspruch genommen, ließ
sii h K. doch zur Vertretung des steierischen Großgrundbesitzes in das
Abgeor(hietenh.ius entsenden, wo er ebenso wie seit iSgt; im Herrenhause
seine ganze Kraft für den Schutz der Deutschen in Osterreich und die Erhal-
tung ihrer führenden Rolle im Reiche einsetzte. Ganz eigenartig aber war
seine Stellung im steierischen Landtage; das Landesbndget kannte in allen
seinen »Titeln« niemand so genau als Graf K., er war infolgedessen der
ständige Obmann des Finanzausschusses und Referent Ober die wichtigsten
finanzpolitischen Vorlagen. In den letzten Jahren war er Ober seine Stellung
als Führer des liberalen Groügrundbesitzes hinausgewachsen zum Führer der
Deutschen im Landlage, als welcher er die Angriffe der Slowenen und Kleri-
kalen oft in schärfster Weise zurOckgewiesen hat. Trotzdem genoß er andi
im gegnerischen Lager die höchste Achtung und manches Rompromiß, das
dem Lande große Vorteile brachte, ist nur durch seine, von Gerechtigkeit
getragene Vermitthing zwischen den sich bekämpfenden Parteien zustande
gekommen. Seine Bedeutung würfle von selten der Regierung durch die Ver-
leihung der Geheimen Katswürde (1S98) und die Berufung ins Herrenhaus
anerkannt.
Auch die Pflichten, die dem mit Glücksgütem gesegneten obliegen,
standen ihm lebhaft vor der Seele und veranlaflten nicht nur zahllose Wohl-
tätigkeitsakte, sondern trieben ihn auch an, sich der Armenpflege persön-
lich zu widmen. Der X'erein für öffentlic he Armenpflege in Graz, nach
Elberfelder System eingerichtet, erreichte unter seiner werktätigen Präsident-
schaft eine Blttte, die seit seinem Tode leider nicht wieder erreicht werden
konnte. Die Gründung des Vereins der bildenden KQnstler der Steiermark
wurde wesentlich dadurch gefördert, daß K, das Protektorat übernahm und
<lie ihm naliestehenden Gesellschaftskreise für die Ausstellungen des X'ereins
zu interessieren benmht war. Fin Mann, der die Menschheit in allen Schicliien
und Berufskreisen kennen gelernt und sich dabei .den lebendigen Sinn für
alle berechtigten Ansprüche und alle gesunden Lebensäußerungen bewahrt
hat, konnte auch nicht anders als für die Erweiterung des Wahlrechtes und
die Berücksichtigung der Arbeiter eintreten, wie es K. im Landtage getan
hat. Mit ihm ging ein deutscher Edelmann dahin, dem kein Stand feindlich
gesinnt sein konnte, den Tausende als ihren Schützer und Wohltäter ver-
ehrten, ein Edelmann, deren Deutsch-Österreich leider im Kampfe um sein
Recht im Staate mehr bedarf, als es besitzt. — Hans Zwiedineck.
Grün, Albert, Literaturhistoriker, Dichter und Pädagoge, * 31. Mai i8sa
in Lüdenscheid (Westfalen), t 22. April 1Q04 in Strafiburg i. E. — Er war
der Sohn eines wenig bemittelten Volksschullehrers und Bruder des als
Publizist, Literatur- und Kulturhistoriker bekannten Karl Grün. Fr besuchte
die Volks- und Rektoratschule seiner Vaterstadt und seit 1836 die L'nter-
sekunda des Gjrmnasiums in Barmen, trat aber schon aus der Obersekunda
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Grün.
339
wieder au'^. um als Hcrgaspirant in den Kohlengruben des 1 )()rtmuntier Ober-
bergamtsbezirks sich für das höhere Hergfach vorzubereiten, und wurde
danach Zögling der Uochumer Bergschule. Neue gesetzliche Bestimmungen
nötigten ihn auf das Gymnasium zurflcksukehren, damit er sich die Reife für
die Prima erwerbe. Dann trat er wieder als Bergeleve in Essen ein. In-
dessen veranlaßten ihn mancherlei Mißverhältnisse zu den Bergbehörden bald,
diesen Lebensberuf ((änz!t< h aufzugeben. Nachdem er eine Zeitlang bei der
X ersicherungsgescllsciiatt (/oltini.i in K()ln geaiheitet, erinogliclitc es ihm ein
wohlhabender freund, die Reifeprüfung an einem Gymnasium zu bestehen
und dann in Bonn Philologie zu studieren. Hier schrieb er seinen »Offenen
Brief« an die Bonner Studenten gegen das Unwesen der Korps. Im Jahre 1846
ging er, einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung ausweichend, nach Brüssel,
wo er im Cirr/c nrtisfique et litfemirr Vorlesungen über das moderne Drama
hielt. Die Revolution von 1848 zog ihn wieder nach Deutschland zurück,
wo er sich sofort in die politische Bewegung hineinstürzte. In Berlin ward
er im fi^ühjahr 1848 Vorsitzender des Königsstftdtischen Maschinenbauer-
vereins, mufite aber nach Verhftngung des Belagerungszustandes die Haupt-
stadt verlassen. In Kötlien schrieb er dann seine Broschüre »Das Vorparlament«
(1849), leitete dann mit Arnold Rüge u. a. die I.ei]>ziger Bewegung, ging im
Mai 1849 als Bevollmächtigter der {)ro\ isorischen Regierung von Sachsen
nach Frankfurt a. M. und mit der äuliersten Linken des dort aufgelösten
Parlaments in die Pfalz, wo er als Zivilkommissar fungierte und nach Unter-
drückung der Bewegung in effigie hingerichtet wurde. Er selber war mittler-
weile beim badischen Aufstande beteiligt und entkam zuletzt nach Straßburg,
wo er Vorlesungen Aber deutsche Sprache und Literatur hielt und als Professor
in diesem Fache an verschiedenen Mädchenpensionaten tätig war. Hier
schrieb er auch sein Zeitbild Deutsche Flüchtlinge« (185 1). Im Dezember 1852
vertrieb ihn der Staatsstreich Napoleons III, wieder aus Frankreich; aber nur
einen Winter brachte er in der Schweiz zu, dann kehrte er wieder nach
Straflbarg zurQck und nahm seine frühere TAtigkeit als Lehrer wieder auf.
Auch als Schriftsteller entfaltete er eine größere Regsamkeit. Seiner Schrift
^Goethes Faust. Briefwechsel mit einer Dame (1S56) folgten Das ABC der
.Ästhetik" (1856), Aus der Verbannung ((Jcdi* htc, 1859) und das Schau-
spiel »Friederike« (von Sesenheim, 1859). Während tler Belagerung Straß-
burgs wurde G. Ende August 1870 mit Weib und Kind abermals aus Stras-
burg verwies«!, zog aber mit deutschen Truppen wieder ein und übernahm
bald die Chefredaktion des »Niederriieinischen Kuriers«, die er zwei Jahre
lang in dem redlichen Streben führte, an der Versöhnung der Gemüter nach
Kräften mitzuwirken. In dieser Zeitung erschien denn auch zuerst sein
Roman »Das Forsthaus in den Vogesen« (III, 1874). Dann wandte sich G.
wieder seiner Lehrtätigkeit zu; er wurde Oberlehrer für Geschichte und
Literatur an der Schottkyschen Privatschule und später an der neu gegründeten
städtischen höheren T&chterschule, an welcher er bis zu seiner Pensionierung
im Herbst 1895 tätig war. Im Juli d. J. war ihm der Charakter als Professor
verliehen worden.
Persönliche Mitteilungen. — Leimbach: Die deutscheu Dichter der Neuzeit und Gegen-
wart, 3. Bd , S. 6s. — StmSbttifer Pott vom 31. Mai 1902 und vom 23. April 1904.
Franz Brümmer.
22*
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340
von Hopfen.
Hopfen, Hans Demetrius von, * 3. Januar 1835 zu München, f iq. No-
vember 1904 zu (Iroß- I.ichtertehle hei Herlin. — H. absolvierte in seiner
Vaterstadt das Gymnasiuin und besuchte von 1853 — 58 die Münchener Univer-
sitit Nach erfolgieiu juristischem Examen trat er für knne Zeit in den
Staatsdienst, widmete sich aber gleichseitig in Heinrich von Sybels histori'
Schern Seminar eingehendem Geschichtsstudium. Er hatte die Absiebt, für
eine akademische Lehrkanzel sich auszubilden and wurde in Tübingen zum
Dr. p/til. promoviert.
Durch dieses doppelte Studium suchte Hans Hopfen seinen dichterischen
Schaffensdrang in die ruhigeren Bahnen eines bürgerlichen Berufes zu leiten,
doch voll befriedigt weder von dem einen noch von dem anderen, strebte
er in verschwiegener Arbeit, rastlos dem innersten, heimlichsten seiner Ziele
entgegen. Nachdem er bald unter eigenem, bald unter fremdem Namen
einzelne Gedit hte erscheinen ließ und Korrespondent verschiedener Zeitungen
geworden war, faßte Hopfen Anfang der sechziger Jahre den Entschluß, sich dem
.schriftstellerischen Beruf ausschließlich zu widmen. Er wurde hierin von
Emanuel Geibel bestärkt, der im Jahre 1863 Hopfens erste Gedichte im Mfinchener
Dichterbuch veröffentlicht, und in rückhaltloser Güte sein Werden gefördert,
sein lyrisches Talent bewundert hat. 1863 erschien Hopfens erster Roman
„Peregretta". P> zeigte den Dichter bereits als einen Meister der Prosa und
crAvarb ihm raschen Krfolg. Nach längerem Aufenthalt in Paris wurde Hopfen
1864 Generalsekretär der Schillerstiftung und fand, wie einst an Geibel, nun
in Wien an Friedridi Halm liebevolle, weise Förderung.
Neben dem Dichter führte in Hans Hopfen der Politiker eine starke,
eigenwillige Existenz. Kr hat es in der ^Geschichte ilcs Erstlingswerkes"
lachend selbst erzählt, wie das erste Gedicht des Dreizehnjährigen ein politisch
Tyied gewesen sei und auf einen Helden des Jahres 48, aus der Wut seines frei-
heitlich gekränkten Herzens in eine Xenophonpräparation geschrieben wurde,
während der Unterricht erteilende Pater das übermütige Bürschlein, zur Strafe
für allerlei Unfug, in einer Ecke knien liefl.
Obgleich in dem späteren Freunde Treitschkes die republikanische Ge-
sinnung schwerlich die Gymnasiastenzeit ül)cr(hiuerte, so blieb die leiden-
schaftliche Fcihiahme an dem politischen Schicksal seines Landes dem Manne
in jeder I-age eigen und wirkte bestimmend auch auf sein .iußeres Leben.
Nachdem er sich 1866 mit Auguste Lreiin von Wchli aus Wien vermählt
hatte, verließ er dauernd die altbayrische Heimat, in der sein Wesen und
Schaffen innig wurzelten, und zog nach Berlin, der vorbestimmten Hauptstadt
des heifi ersehnten, neuen deutschen Reiches. Er ist dauernd dort geblieben,
auch nachdem die Zeit, welche der großen Erhebung und den großen
Männern tles Jahres i.Sjo folgte, politisch und kulturell manche Enttäuschung
gebracht, und „nicht alle Biütenträume reiften"*.
Künstlerisch fflllt die Epoche seines reidisten Schaffens, zusammen mit
der seines gröflten persönlichen Glückes und tiefsten persönlichen Kammers,
in die Jahre 1866 — 80. In dieser Zeit entstand die feinge/eichnete poetische
Satire .,Der Pinsel Mings", entstanden die heimatlichen Bücher der „Bayrischen
Dorfgeschichten^, „Der alte Praktikant", „Streitfragen und Erinnerungen", und
in rascher Folge jene Romane, denen Hans Hopfen seine wachsenden Erfolge
beim grofien Publikum verdankte. Er schrieb eine fein gesteigerte Prosa,
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Yon Hopfen.
341
die wunderbar taugte, um Episoden so zu zeichnen, daß man in einfarh-ein-
dringlicher Weise erstehen sab, was immer sie schilderte. Scheinbar mit
schlichtesten Mitteln bewirkt, verlegt dieser an schönem Beiwerk reiche Stil,
den Wert Hopfenscher Bücher aus der fortschreitenden Handlung langer
Romane in Sprache des Erzählers, welche in knappen Worten das
wesentliche an Menschen und Vorging^ sichtbar macht und Unbeachtetes
charakteristisch belebt. Den reinsten Ausdruck fand Hopfen für diese seine
Kunst in der Novelle. EiTi feiner, etwas spöttisrhor Humor liegt da in alkn
Worten, auch den innigsten, und über den Mensrhen, die sie reden. Dieser
Humor, den heimischer Boden ihm zu eigenstem Besitz verlieh, war der
künstlerische Vermittler zwischen Hopfens leidenschaftlich-subjektivem Tem-
perament und seinem Obenragend scharfen, kritischen Verstände. Aus ihm
erschuf er, oft im kleinsten Rahmen, ein Ganzes von reicher Lebenswahrheit
und tat es besonders da, wo auch Stoff und Naturschildemng seiner Heimat
entstammten.
Im Frühling 1S78 ward zu Rom Hopfens jugcndschOne, glückliche
Frau vom Fieber dahingerafft. In ihrer Heimat, am Fuft des Kiüilenbergs,
begrub er sie und als sein Schmerz ausklang, schrieb er die „Gustlilieder**,
seine schönsten Gedichte.
1882 erschien der Band, welcher, neben diesen, das Beste enthält, was
Hans Hopfen besaß und geben sollte: seine Lyrik. Aus den Geheimnissen
der Sprache und individuellen Kigenart hat reife künstlerische Einsicht sie
geschöpft und formvollendet gestaltet. In seinen Gedichten liegt Hans
Hopfens bleibende dichterische Bedeutung.
1882 vermählte er sich in zweiter glücklicher Ehe mit Marie Müller>Milton
aus Chicago.
Rastlos tätig hat Hans Hopfen noch vieles geschrieben, darunter Romane,
Novellen, Reiseschilderungen und Essays. Auch nachdem eine aiulere Eitc-
raturcpoche ihn verdrängt hatte, blieb die Feder das unentbehrliche nie
versagende Ausdrucksmittel seines regen und lioch kultivierten Geistes. Ein
jäher schmerzloser Tod zwang ihn zur Ruhe. Er starb am 19. November 1904
zu Grofl-Lichterfelde bei Berlin.
Franz von Lenbach, W. Allers, Schulte im Hof u. a. haben ihn porträtiert.
Quellen: Hans Hopfen: Die Geschichte des Erstlingswerkes; H.ms Hopfen: Bunte
S|>e>idcn deutscher Dichter und Denker der Ge{,H-n\vart für das deutsche Schriftstellerhcim
in Gerat gcs:unmclt von Dr. Tinion Schroedcr; Dr. Alfred Frcib. von Uerger: »Hans Hopfen«,
N. Freie Fresae, Nov. 1905.
VeRcichnis der Werke Hopfens: Peregretta, Roman 1863; Veidorben lu FurU, Roman
1867; Der Pinsel Min^js. F^r/.ählimfj in Versen 1868; Arjjc Sitten, Roni.in 1869: Der <;rauc
Freund, Koman i"S74: Juschii, K<)in.in 1875; Verfehlte Liebe, Kom.m 1876; Strcitlra/;en
und Essays, Erinnerungen 1876; Hnyrische Durfgeschichten, Novellen 1S78; Der ahe Praktik.nnl,
Roman 1878; Die Heinit des Hemi von WaldenberfTi Roman 1879; Die Geschichte de«
Majors, Novelle 1879; Kleine Leute, Novelle 18S0; Mein Onkel Don Juan, Roman iSSi;
fledichtc 1882; Die Einsame. Roman 1883; Brennende Liebe, Roman 1884; Da> AUlieil-
niittcl, Roman 1885; Zum (iuten, Roman 1S85; Mein er.-tes Abenteuer, Novelle 18S6; Der
letzte Hieb, Roman 1886; Ein wunderlicher Heiliger, Novelle 1886: Dr. Genius und sein
Erbe, Novelle 1887; Robert Leichtfuß, Roman 1888; Theater, Dramen 1SS9; Neue Geschichten
des M.ijors. Roman 1890; Der Stellvertreter 1S91; Die (lottin der \'ernunft, 'lraj^<>die 1892;
Helga, Schauspiel 1892; Es bat so sollen »ein, Lust»piel 1893; Hexenfang, Lustspiel
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342
von Hopfen. Hantliek.
Der Kiinig: von Thüle, Schattspiel 1893: Glänzendes Kltricl, Roman 1S93; Die i-rvtv V<ir,'-
landfahrt, Rcisebcschrcibung der Außu>tc Victoria 1S94; In» Schlaf geschenkt, Novelle i!>9S;
Die Siegerin, Novelle 1S96; Die Engelmacherin, Koniau 1898; Der Väter zweie, Roiuan
1898; Die ganze Hand, Roman 1900; 10 oder 11? Novelle 1901; Gotthard IJngens Fahrt
nach dem GlBck, Roman 1903; Mein Wien, Essays 1904.
HansHck, Eduard Masik-Srhriftsteller, Hofrat, Professor, * 11. September
1825 in Prag, f 6. August 1904 in Baden bei WienT — Kduard Hausürk wunle
in Prag, seiner Vaterstadt, erzogen und l)lieb daselbst bis zu seinem 21. Lebens-
jahre. Sein Vater, Josef Adolf Hanslick, aus einer ßauernfainilie in Rakonitz
stammend, war Skriptor an der Prager Universitätsbibliothek, ein tüchtiger
Bibliograph, ein ästhetisch gebildeter Mann, in dessen Hause Literatar und
Musik gepflegt wurde; die Mutter hatte besondere Vorliebe für die französische
Literatur, die sich auf den Sohn übertrug. Prag, die alte, bewährte Musik-
Stadt, hatte in W. J. Tomaschek einen Siegelbew ahrer der klassischen Traditionen,
die er auch in seine Si hiiler zu pflanzen wußte, unter ihiK-n Kduard Ilatislick.
Die junge musikalisc he Welt wurile jedoch von der Romantik crgnften; der
Fieund^kreis des jungen H., welchem neben A. W. Ambros einige treffliche
Klavierspieler angehörten, wie Alexander Dreyschock und Julius Schulhoff,
wurde von diesem Wirbel erfaßt und feierte 1846 in begeisterter Weise
den französischen Romantiker Hector Rerlioz, der persönlich in Prag seine
Werke zur .\ufführung Ijr.u hte. Auch die Hekanntsc haft Richard Wagners
hatte H. im Jahre 1845 in Marienbad gemacht, und es folgte ein begeisterter
Artikel über »Tannhäuser«, den H. in Wien veröffentlichte, wohin er 1846
gegangen war. Mit 19 Jahren war er schon als Kritiker hervorgetreten (in
»Ost \md West«), und nunmehr begann er in Wien seine ausgebreitete kritische
Tätigkeit, die er bis an sein Lebensende fortsetzte. Vorerst in der »Wiener
Zeitung , deren Musikreferent er vom i. Januar 1848 war und in den Sonn-
tagsblättern < von L. A. Franckl; dabei vergaß er nicht an seine Vaterstadt
Berichte zu senden über Politik und soziale Zustände, die in der »Prager
Zeitung« erschienen, herausgegeben von Leopold von Hasner. H. hatte offiziell
die juristische Laufbahn betreten, wurde 1850 als Fiskalbeamter nach Klagen-
furt versetzt, 1853 nach Wien zurftckberufen, wo er nunmehr dauernd !)liob.
Vom Finanzministerium trat er zum l^ntcrrichtsministerium über, war dabei
seit 1855 als Musikreferent der v. Presse- angestellt und habilitierte sich 1856
an der Universität als Privatdozent für Geschichte und Ästhetik der. Musik.
Seine Beamtenstellung verlieft er, als er 186 1 zum aulterordentlichen Professor
ernannt wurde. Es wurde für ihn diese Lehrkanzel errichtet und im Jahre
1870 in eine ordentliche Professur umgewandelt. Von dieser trat er 1895 in
. tlen Ruhestand. Seit der (Iründung der »Neuen freien Presse« im Jahre 1864
gehörte er als Musikreferent der Redaktion an und versah diese Stelle durch
vierzig Jahre bis zu seinem Tode. Diese seine Tätigkeit erlangte Weltruf,
sowohl durch die meisterhafte stilistische Behandlung seiner Feuilletons, als
auch durch die Stellung, die H. gegenüber den zeitgenössischen Kunsterschei-
nungen einnahm.
Die Wertbemessung solcher Leistung richtet sich nicht allein danach,
ob nur die Fachleute, in diesem Falle die Musiker, darin Anregung und Be-
lehrung linden, sondern ob ein weiterer Kreis von Gebildeten oder von solchen,
Liii Schalk-Hopfen.
Digiiizedijy Google
Haiuilick.
343
die an ihrer Bildung und Ausbildung ailjfiten, davon angezogen wird, daran
Interesse findet. Dies war im höchsten diade der Kall bei den Feuilletons
H.S. Der Kreis der Leser erstrei kte sich selbst auf solche, die wohl für Musik
Liebe haben, aber infolge der sozialen Bedingungen den Aufführungen, die
im Feuilleton besprochen werden, ferne bleiben mufiten. Nicht selten konnte
man hören: »Ich verstehe zwar gar nichts von Musik, aber die Feuilletons
von Hanslick lese ich gerne. Das ist der Prüfstein echter Mitteilungsgabe
in einer Form, die alle aiT^iiri' lu. in einer Ausdrucksweise, die jeder versteht.
Die Hebel, um dieses Intet lsm' zu heben, waren von mannigfaltigen Kräften
in Bewegung gesetzt: einer liefen allgemeinen Bildung, einer eingehenden
Kenntnis der klassischen Literatur, Vorliebe für die französischen Essayisten
und überhaupt fflr den französischen Esprit. Dies spiegelt sich in seinen
Schriften wieder; eine heitere Lel)ensauffassung mutet den Leser freundlich
an. H. war ein Vertreter der (invii srienzn"^, der fröhlich - freudigen
Wissensbereichorung, dabei mischte er nicht selten einen Witz da/u, der
ätzend und scharf war und die Pikanterie würzte. Ein groUer Vorzug des
H.schen Stils war] die knappe Ausdrucksweise, die zu vergleichen ist mit
derjenigen hervorragender juristischer Schriftsteller wie Ihering und Unger.
Als Jurist hatte ja H. seine Laufbahn begonnen.
Das Schwergewicht seiner geistigen Arbeit liegt in dieser seiner schrift-
stellerischen Tätigkeit, die ihm einen Platz sichert, nicht nur in der C.eschichte
der Musik, sondern auch als Prosaist in der (ieschichte der Literatur. Seine
Kritiken, die in 12 Banden erschienen sind, gehören zu dem Zeitbilde der
zweiten Hftlfte des 19. Jahrhunderts. (»Aus dem Konzertsaal«, »Konzerte,
Komponisten und Virtuosen der letzten 50 Jahre 1870 — 18S5«, »Suite«, »Die
moderne Oper , Musikalische Stationen , Aus dem Opemleben der Gegen-
wart-, "Musikalisches Skizzenbuch' , Musikalis( lu•^ und Literarisches«', - \n-<
dem Tagebuchc eines Musikers , l'iinf Jahre .Musik«, Aus dem Ende des
Jahrhunderts«, »Aus neuer und neuester Zeit-.) Diese Schriften spiegeln die
Kämpfe wieder, welche geführt wurden und an denen sich H. als Champion
einer Partei in hervorragendem Mafie beteiligte.
Der ästhetische Standpunkt, den er dabei vertrat, jst besonders in einer
Schrift ausgesprochen, welche gleichfalls aus einzelnen \\if'-ät/cn zusammen gefaßt
wurde und 1854 unter dem Titel, \dm Musikalisch-Schönen , erschien. Der
mächtige Einfluü, den dieselbe ausübte, wird schon durch die Zahl der Auf-
lagen bezeugt — 1902 erschien die 10. Auflage. In ihrer Negation, in ihrer
Zurückweisung der Geluhlsschwelgerei, die sich auf musikalischem Gebiete
auch heute noch vielfach für Kunstkritik ausgibt, in Verhöhnung der dionysischen
Musikschwelgerei hat sie reinigend und heilend wie ein Arzneimittel gewirkt.
In der Zeit des f ien ordrängens der Programmusik bildete diese S( hrift einen
festen Halt für Musiker und Musikfreunde, die am Kein-Musikalischen Er-
hebung und Befriedigung hnden. Sie erreicht dies, wie es der Schreibweise
H.8 im allgemeinen zukommt und wie es dem Charakter des Feuilletons nahe-
kommt, nicht durch systematische Darstellung, sondern durdi eine Reihe
geistvoller Apercus, die eingerostete Vorurteile und ästhetischen Aberglauben
geißeln. Hei dieser Negation ist der Verfasser stehen geblieben. Die Ab-
handlung ist wirklich nur, wie der Titel bescheiden ankündigt, ^cin Beitrag
zur Revision der Ästhetik«. Seit dem Erstehen der Ästhetik als Wissenschaft
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344
Hamlick.
im iS. Jalirlunulort, standen sich zwei Richtungen gegenüber, die eine, welche
den Ausdruck, in der Kunst als das Wesentliche ansah, die andere, welche
die Art der Darstellung, die formelle Behandlung in den Vordergrund stellte.
Herbart hatte dieser letzteren die eigentliche wissenschaftlidbe Behandlung
zu teil werden lassen, und ihm schlössen sich H. und sein Freund Robert
Zimmermann an. H. nep^icrt jedoch nicht volliff (hc Ik-dt iitiini: der Gefühle
in der musikalischen Mitteilung; nur will er sie nicht als cit^mtliclien Inhalt
derselben gelten lassen, sondern sucht festzustellen, daß nur die Dynamik der
Gefühle in der Musik Ihren Ausdruck finden kOnne. Er will sich an das
spezifisch Musikalische halten und findet darin die Möglichkeit das »musikalisch
Schöne« zu schaffen, er sieht dies als das Höchste in der Musik an. In dieser
seiner Schrift hat er die tönend bewegten Formen s also das Formale in
den Vordergrund gerückt, bezeichnete dieselben aber in der Folge in seinem
Meuioironwerke als '>beseelte Formen«, jedoch immer das Hauptgewicht legend
auf die formale Haltung künstlerischer Mitteilung.
Diese Schrift, welche als eine Art Streitschrift erschien, rief einige
Entgegnungen hervor, wie von W. A. Ambros »Die Grenzen der Musik und
Poesie , F. 1?. Graf Laurencin: »Dr. Hanslicks Lehre vom Musikalisch-Schönen,
cItu* Abwihr , Friedrich Stade: \'om musikalisch Schönen«, nebst anderen
kk-uKii Angriffen. Den Haui)tangrif1 erhob Fricilrich v. Hausegger in seiner
Abhaniliung: »Musik als Au.sdruck ^ (1885). in der Literatur hatten H.s An-
sichten Vertreter gefunden und vielfoch Spuren zurückgelassen. Lotze, Zimmer-
mann, Köstlin, Vischer und Helmholtz wandten der Hanslickischen Schrift ihre
Aufmerksamkeit zu und verwoben die darin vertretenen Ansichten mit ihren
Auseinanderset /ungciL
In der Praxis, in dem Kam]>fe des Lebens, traten sich liie Parteiungen
noch schroffer gegenüber. Die neudeutsche Richtung, die sich an Richard
Wagner und Franz Liszt schloß, glaubte prinzipiell diesen Aufstellungen H.s
entgegentreten zu müssen, und ^o scharten sich die Gegner der neuen Kunst
Richard Wagners um das Banner, auf dem die Devise stand: »Die Musik ist
tonerfüllte Form.« Ks ist naiv, wenn man behauptet, daß die scharfe Gegner-
s( haft H.s gegen die Werke der dritten Periode R. Wagners (^-Tristan und
Isolde , King des Nibelungen . Die Meistersinger ', »Parsifab ) nur auf persön-
lichen Motiven beruht habe. Allerdings machte H. in der Folge auch gegen-
über den früheren Werken Wagners manch' abfällige, fttzende Bemerkung,
welche dieser Behauptung den Schein der Berechtigung zukommen liefi. So
wie es innere Gründe waren, die Wagner bei der Ausarbeitung des musika-
b^t hen Dramas in «K r letzten Periode 7u jener musikalischen Ausgestaltung
führten, tlie der Forderung nach formaler Abrundung zu wiedersprechen
schien, so lieruhten auch die Angriffe der Gegenpartei auf inneren Gründen,
die vorzüglich aus dem Maßstäbe der überkommenen Kunst gewonnen waren.
Im Kampfe der Parteien wurde übersehen, dafi dieser behauptete Mangel
formaler Behandlung im Wagnerschen Kunstwerke nur äußerlich vorhanden
war, nicht in Wirklichkeit. Die unendliche Melodie Wagners« ist keine
asynmietrisclie, keine unproportionierte. Die Parole war ausgegeben, tiefere
Untersuchungen über das Formungs|)rinzip Wagners waren noch nicht ange-
stellt. In Wagners Kunst war zudem von den Mitteln ein kühnerer und freierer
Gebrauch gemacht, als dies bis zu seinem Auftreten der Fall gewesen war, und
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Handtck.
345
so erklärt sich die verschärfte oppositionelle Stellung, die auch genährt wurde
durch mannigfache andere Umstände. Heute ist man zu der tM»er/.eugung
gelangt, daß beide Forderungen nach Form und Ausdruck in der Musik erfüllt
werden mfissen, wenn der Künstler Werke schaffen will, die nicht nur von
ephemerer Wirkung, sondern von dauernder Bedeutung bleiben sollen, und
dies trifft im \Vagnerschen Kunstwerke zu. H. Stand zeitlebens auf dem Boden
der Kunst der Wiener Klassiker. Mit I?eethovcn ging er allerdings nur bis
zu seiner zweiten Periode, wie dies aucli sein Präger Lehrer gehalten hatte.
Gerade den Werken der dritten Periotle Beethovens, welche Wagners Kunst-
w^ der Zukunft gezeitigt hatten, stand er fremd, ja mit einer gewissen Ab-
neigung gegenüber. Darin traf er mit so manchen andern, auch mit trefflichen
und hochgebildeten Kunstkennern und Kunstfreunden zusammen, die sich zu
einer konservativen Partei zusammenschlössen. Je weiter sich die neudeutsche
Richtung von ihrem Ausgangspunkte entfernte, flesto heftiger wurde H.s Opi^o-
sition. Mit seinem Namen verband sich durch ein Menschenalter die Führung
der Gegnerschaft. Seine Neigungen trieben ihn zudem in der Musik zum
Heiteren. Gegen das Tieftragische in der Musik hatte er eine Aversion. Es
verkörperte sich in ihm förmlich das Wort: »Emst ist das Leben, heiter ist
die Kunst«
Wenn er am Klavier saß und Straußi-^che Walzer spielte, da leuchteten
.seine Augen. Mit einer wahren inneren (Iemütli( hkeit eiitstninUen die Klänge
seinem Gemüic. Seine Finger, weic h im Anschlage, konnten den Hörer elektri-
sieren. Dies war noch bis in sein spätestes Alter der Fall. Neben St»uS war
ihm Franz Schubert ans Herz gewachsen, und gerade das Osterreichische, die
Klänge, die in Schubert an Wien erinnern, erfüllten ihn mit Enthusiasmus.
Desto befremdlicher mag es erscheinen, daß er einem Meister, der seiner
nordischen Herkunft nach in seiner Kunst einen anderen Charakter aufweist,
mit solcher Liebe und X'erehrung anhing: es ist Johannes Brahms. Neben
der Bewunderung für die Persönlichkeit von Brahms waren es besonders zwei
Umstände, welche dazu beigetragen haben dürften, daß H. unentwegt für die
Brahmsische Kunst eintrat und für die Propagierung derselben unschätzbare
Dienste leistete. Vorerst jener sinnige Zug des Tonsetzers: bei aller Herbheit
des Ausdruckes kommt das weiche (Jeniüt dieses nach außen bärbeißigen und
schroffen Mannes zum Ausdruck. Ks ist der Zug, der ihn nach Wien führte
und hier mit den Weisen Schuberts in Zisleithanien und der Zigeuner in
Transleithanien einen Bund schließen ließ. Gerade bei solchen Stellen in
Brahmsischen Werken trat die Begeisterung H.s für Brahms spontan hervor.
Die tiefgründigen Stellen, die von tragischen .\kzenten erfüllt sind, fanden in
H. schwächeren Widerhall. Für jene Werke, in denen si( h lirahms an die grofien
Meister der liarocke, an Händel und Bach an>chließt oder an die Acapellisten
des sechzehnten Jahrhunderts, konnte sich H. nicht erwärmen. Der zweite
Uaistand, der wohl auch in Betracht kommt, ist der, daß H. in Brahms einen
Vertreter des Rein-Musikalischen, der »toneifüUten Form« sah; denn Brahms
schrieb keine Programmusik, und sein Stil war so gefestet, daß er sich des
so arg mißbrauchten Dramatischen in der symphonischen Musik gänzlich
enthielt. Dieser Umstand legte es H. nahe, die Brahmsische Musik als eine
Gegenkunst gegenüber der Wagnerisc hen anzusehen, die nach seiner L ber-
zeugung einzig und allein dem Ausdrucke nachhing und die klassischen Formen
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34Ö
HuisUek.
vollständig /.cr>ot/te Hei Srluiiiiann und Mt-iulelssohn bewunderte H. die
treue IJewalirung kla.ssisii hcr i ormen, und auch in der Oper hielt er jene
Meister hoch, welche die Formen der klassischen Zeit fesüiielten. So hing
er den Werken des gröfiten musikalischen Dramatikers Italiens im neanxehnten
Jahrhundert, Verdi, treu an, allerdings nur denjenigen Werken, welche in
dieser Art mit Rücksicht auf die überkommenen Formen ausgestaltet waren.
Jenes W underwerk des Achtzigjährigen: l'aKtaff«, in welchem sich der Meister
in weiterer Ausbildung des sich allmählich vollziehenden Prozesses der Um-
bildung der Formen mehr an die dichterische Vorlage als an musikalische
Schemen hielt, achtete H. mehr in Rücksichtnahme des hohen Alters des-
jenigen, der es geschaffen hat, als in der Erkenntnis, daß Verdi mit diesem
Werke die Hahn gewiesen für das Schaffen seiner Nachfolger.
In der franz(")sischen Oper schätzte H e^K•n^i1 sehr die geistvolle Behaiirl-
lung als die Wahrung der Tradition, ^ounhl in der (rai^tuiif /yrt</ut'
i/i muiiquc, aus der die i^rund opcra hervorging, .il.^ auch der opera comiqM.
FOr das Unterhaltende der Auberschen Oper, für die feine Ausarbeitung und
stilvolle Behandlung in den Werken von BoiSldieu und anderer französischer
Meister hatte er warme Kmpfängnis. Kür die Wahrung der überkommenen
Tradition hatte er liebevolles W-rNtiimliijs ; den Werken der alteren Zeit stan<l
er fremd gegenül)er. Kr konnte und mochte sic h in den (ieist des Schattens
einer älteren Periode nicht einleben. Was vor den Wiener Klassikern
geschaffen wurde, blieb ihm fem. H. war in der Kunst wie im Leben
Kosmopolit. Wenngleich er für die Werke der Franzosen und Italiener eine
gewisse Vorliebe zeigte, so verlor er doch nicht den Zusammenhang mit
seiner engeren Heimat, mit Wien und mit seiner Vaterstadt Prag. In seiner
Jugend im spr u hli( lien ftracjuismus herangebildet, hat H. Lieder in deutscher
und czechischer Sjirache komponiert. Später konnte er allerdings nicht mehr
einen Satz in böhmischer Sprache schreiben. Er war Meister geworden in
der Behandlung der deutschen. Für die beiden besten Tonsetzer der Czechen
in unserer Zeit, für Smetana und Dvc^fak, trat er schriftstellerisch ein; für
den ersteren allerdings erst in der Zeit, als Meiste Smetana tot war und
seine Werke (lini h die Wiener .Musikausstellung einem größeren internationalen
Publikum bekannt wurden. Die (lese hichte der Kunst in Höhmen gewann
ihm kein Inieres.se ab. Dagegen schrieb H. eine »Gesi hichte des Konzert-
wesens in Wien«, die er seinem Freunde Eduard Schon (Engelsberg) widmete.
Das Buch faflt vom Jahre 1750 bis 1869, da es erschien, die verschiedenen
Ereignisse im Mu.siklel>en Wiens mit Ausst hluü der Oper zusammen. Die
Studien wurden damals auf dem (lebiete der Musikgeschichte n<^ch nicht in
jener strengen Weise l)etriel)en. wie tlies jetzt der l-"all ist. Man darf also
nicht an dieses Werk den wissenschaftlichen Malistab unserer Zeit anlegen.
Die Leistung ist an sich verdienstlich; die hier zusammengetragenen Bausteine
werden jedenfalls einen Beitrag bilden für die Geschichte der Musik in Wien,
deren Schilderung einer späteren Zeit vorbehalten ist und erst ennöglicht
wird durch die allmähliche Vertiefung historischer Studien und durch die
Erforschung der Denkmäler aus vergangener Zeit.
Nach der \'eröttentlichung dieses Werkes wurde H. zum ordentlichen
Professor der Geschichte und Ästhetik der Tonkunst an der Wiener Uni-
versität ernannt. Es war die erste ordendiche Professur für Musik in deutsdien
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Hanslick.
347
I>andcn. Er hatte es verstanden, durch einen leicht ansprechenden Vortrag
das Interesse seiner Hörer zu erregen und sah es als seine Aufgabe an, die
(ieschichte der Musik der neueren Zeit in einer po|ni!är-\vissenschaftIirhen
Weise seinem Horerkreise vorzutragen. Durch instruktive Beispiele belebte
er den Vortrag. Er fand es nicht unter seiner Würde, am Klavier dem
Anditorium vorzuspielen und ein oder das andere Beispiel auch von einem
Sänger vortragen zu lassen. So gelang es ihm, Studierende auf das Fach
aufmerksam zu machen, die in weiterer Verfolgung desselben den An-
forderungen, welche die neue Zeit an dasselbe stellte, zu entsprechen bestrebt
waren.
In persönlichen oder wissenschaftlichen Verkehr war er mit der akade-
mischen Jugend nie getreten; dagegen war er mit der Kunstwelt in regem
UrogMtg. Darüber gibt sein Memoirenwerk »Aus meinem Leben«, welches
zuerst in der »deutschen Rundschau«, dann in Buchform (2 Bänden) erschienen
ist, näheren Aufschluß, ein Werk, in welchem seine Vorzüge als Schriftsteller
in hellster Weise hervortreten. Wir begegnen darin fast allen Künstlernamen
von Rang und Bedeutung. Eine enge Freundschaft verband H. mit l'heodor
Billroth, dem Chirurgen, in dessen Hause auch Johannes Brahms gefeiert und
geliebt wurde. H.s Beziehungen erstreckten sich auf alle Länder musikalischer
Kultur. Bei den Weltausstellungen in London (1862), in Paris (1867 und 1878) fun-
gierte er als Juror und Vertreter der r)sterreichischen Regierung. Bei dem unter
der Patronanz des Kronprinzen Rudolf stchentlen Werke »Die Österreichisch-
Ungarische Monarchie in Wort und Bild , war H. musikalischer Beirat und
verfaßte für dasselbe den Aufsatz über die Musik in Wien. Nicht als
Historiker, wohl aber als Kritiker hat H. Schule gemacht, und wenngleich
seine Ansichten heute nur noch von wenigen Kritikern vertreten werden, so
wirkt sein kritisches Beis[)iel auf Stil und Behandlung nach. Da jedoch der
Stil etwas rein Persönliches ist, so liegt die eigentliche Bedeutung seiner
Tätigkeit in der Stellung, die er als Kritiker seinen zeitgenössischen
Erscheinungen gegenüber eingenommen hat.
Es sei davon abgesehen, aus der Flut von Nekrologen, die in der Tagespreue oder
in Zeitschriften erschienen sind, einen oder den anderen hervorzuheben. H.S Memoiren-
werk bildet die Grundlage fttr die Betrachtung seiner Persttnlichkeit.
Guido Adler.
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Ergänzungen und Nachträge.
Claus, Adolf Karl Ludwig,') ( iHmikcr, ♦ zu Kassel am 6. Juni 1840,
t 4. Mai iQoo (lUt Horlieini. — ( ' s \ ater anitcte in Kussel als kurfürstlich
hessischer Münzwardcin. Adolfs einziger Bruder Karl war der bekannte
Zoologe in Wien. In seiner Vaterstadt absolvierte C. das Gymnasium und
bezog 1859 die Landesuniversität Marburg, um Medizin zu studieren. Schon
im nächsten Semester widmete er sich unter Hermann Kolbes Leitung ganz
der Chemie, für die er schon im Vaterhaus Interesse gezeigt hatte. Von
Marburg ging C. auf ein Semester nach Berlin, um dann an die Georgia
Augusta überzusiedeln, an der er 1S62 mit einer unter Wöhlers Leitung
verfaÜten Arbeit: Arrolein und At ryisäure promovierte. Trotzdem er also
nicht bei Kolbe abschloß, ist er doch Zeit seines Leben ein echter Kolbe-
schüler geblieben und hat sich als solcher gefühlt; die ungestüme und oft
rücksichtslose Art, in der der Meister zuweilen auftrat, hat sich ungeschwächt
auf den Jünger vererbt
Noch im Jahre seiner Promotion siedelte C. als Assistent liabos nach
l'ieiburg i. B. über und dort ist er, zuletzt als Nachfolger desselben, bis an
sein Lebensende geblieben. 1866 habilitierte er sich mit einer Arbeit: Ȇber
die Einwirkung von Ammoniak auf Acroleln und das Studium der Zersetzungs-
produkte des Acrolelnammoniakes bei der trockenen Destillation.« 1867 wurde
er Extraordinarius, 1875 Ordinarius und 1S83, nach dem Rücktritt seines
einstigen Chefs, Direktor fies chemischen Institutes. 1900 wurde er, auf
seineii Antrag, in den Ruhestand versetzt, erlag jedocli schon nach ganz
kurzer Zeit auf seinem Gute Horheim dem Leiden, das ihn zu seinem Rück-
trittsgesuch gezwungen hatte. C.s Arbeiten bewegen sich wohl ausschließ-
lich auf dem Gebiete der organischen Chemie. Ein begeisterter Anhänger
der Strukturchemie, hat er sein nicht geringes Können ausschliefilich in den
Dienst dieser Xuffassung gestellt, als einer der tyi)is( hen Vertreter jener
aus einem Mißverstehen der genialen Bildersprache Kekules erwachsenen
Einseitigkeit.
Von der programmatischen Arbeit aus dem Jahre seiner Habilitation:
»Theoretische Betrachtungen und deren Anwendung zur Systematik der organi-
schea Chemie« an, in der er sich als ausgezeichneter Theoretiker ausweist,
sind seine durch eine sehr große Anzahl von Schülern bis in die Einzelheiten
verfolffti-n Stutlien zur organischen S>nthese, über die Stelluni,^ der Substi-
tuenten im Chinolin, und über ihren Einfluß auf die Bindungsverhältnisse in
') Totenltste 1900 Band V 85*.
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Oaus. SefadFeiwBoichont.
349
fetten und aromatischen Stoffen, dann die vielfachen Arbeiten über die Alka-
loide, oder die aus der Anthracoii-, Phenunthren- und Naphtalinrcihe. die über
die Isomerie der Oxime usw. alle als »Beiträge zur Struktun hcniie« zu
bezeichnen, womit ihre Vorzüge, aber auch ihre Mängel in gleicher Weise
gekeniuseichnet sind.
Noch einmal, 187 1, ist er mit einer zusammen&ssenden Arbeit: »Gmnd-
züge der modernen Theorien in der organischen Chemie ; hervorgefreten.
Auch die von ihm aufgestellte und in manch heißem Strauß, der übrigens
seiner kampfesfrohen Natur offenbar zusagte, aufgestellte Bcnzolformel, mit
den diagonalen Bindungen, die seinen Namen wohl am bekanntesten gemacht
hat, ist diesen Strukturstudien entsprungen. Mit dieser hat er sidi, hier in
seiner Eigenschaft als Oppositionsmann aus dem eigenen Lager, der es wagte
an der kanonischen Bonner Lehre zu rütteln, ein unzweifelhaftes Verdienst
erworben ; allerdings auch, und auch mit seiner hahnebüchenen Art der
Kriegführung, viel Feinde gemacht, doch gilt in diesem Falle sicher: »Viel
Feind, viel Ehr.«
Seine Lehrtätigkeit beschränkte sich wohl zumeist auf den persönlichen
Verkehr mit seinen SchQIem im Laboratorium, vom Abhalten von Vorlesungen
war er kein Freund, ihm war der praktische Unterricht durchaus Hauptsache.
Diese an sich zweifellos ganz berechtigte Auffassung führte ihm eine ungewöhn-
lich große Schar von Schülern zu, die unter seiiuT Leitung die für die
Prüfung nötige wissenschaftliche Arbeit volleiulcten, so d iß er liereits im
Jahre 1897 den fünfhundertsten Doktor promovieren konnte, aber sie brachte
es auch mit sich, dall die »Doktoifabrik« einigermaflen in Miflkredit kam.
Doch blieben auch hier die guten Folgen nicht aus. Die Nachahmung, die
das Beispiel an anderen Hochschulen fand, führte dazu, dafi endlich, auf
höheren Wink hin aller Orten die Prdniotionsbedingungen für die Chemiker
revidiert, verschärft und vereinheitlicht wurden, ein wenn auch unbeabsich-
tigter, doch sehr anerkennenswerter Erfolg.
C war seit dem Mai 1867 mit Friulein Alice Warder aus London ver-
heiratet. Der schon nach sieben Jahren durch den Tod der Gattin gelösten
Ehe entsprangen vier Kinder. Georg W. A. Kahlbaum. >)
Scheffer-Boichorst, Paul Theodor Gustav, Professor der Geschichte an
der Universität Berlin, Mitglied der Akademien der Wissenschaften in München
und Berlin, der bist. Komm, bei der k. bayr. Akademie der Wissenschaften,
der Zentraldirektion der Man. Germ. Aist,, des Beirates des kgl. preuS.
Institutes in Rom, * am 25. Mai 1843 Elbeffeld, f am 17. Januar 1902
zu Berlin.») — Schon als Knabe hatte er harte Launen des Schicksals zu er-
tragen. Sein Vater Bernhard, der aus einer angeschenen begüterten Münster-
schen Familie katholisrhcn Bekenntnisses stammte und Fabrikant war, verlor
sein Vermögen und mulite sich als Handlungsreisender fortbringen. Da die
Mutter, eine Protestantin, dies Unglück nicht lange überlebte, kam der Knabe
zu den Verwandten von väterlicher Seite nach Warendorf an der Ems, wo
er das Gymnasium zurQcklegte, am 25. August 1862 das Zeugnis der Reife
») Aus Kahlbainii. NnchlaO, \. d. H.
*) lotenhstc 1903 Band V'II 98*.
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350
Scheffer-BoiChorst.
erhielt. Schon \v.'ihriMi<l der (lyinnasialzcit hatte er sich, erfüllt von (ien
Idealen der groÜen Dichter, im GegensaUc gegen seine strenggläubigen \ er-
wandten entwickelt, jetzt versagte er sich ihfem Wunsche, Geistlicher zu
werden und dadurch in den Genufl einer ansehnlichen Familienstiftang zu
treten. Trotzdem gewährte ihm der Oheim Anton die Mittel zum Studium
der Philosophie und Geschichte, ja der junge Student erreichte es, daß er
statt nach Münster, wie der Oheim anfangs gewollt hatte, nach Innsbruck
gehen durfte, wo der mit ihm entfernt verwandte Julius Kicker lehrte. Hier
fand er reichliche Anregung in dem Kreise junger Heimat.sgenossen, die von
der Lehrtätigkeit ihres Landsmannes Ficker angezogen worden waren, unter
ihnen Arnold Busson, August von Druffel, Felix Stieve, und fördernde An-
leitung durch Alfons Huber, Karl Stumpf>Brentano und Julius Ficker. Nament-
lich der Letztgenannte hatte des jungen Westfalen Ik-gabung mit raschem
Hlirke erkannt und es gerne übernoniinen, ihn auf die Halm wissenschaftlicher
Arbeit zu leiten. Er gab seinen Studien die Richtung auf die Staulerzeit
und erwirkte, dafi der Oheim die Mittel zur Verfolgung der akademisdien
Laufbahn bewilligte. Doch sollte Seh., um ffir alle Fälle gerOstet zu sein,
die Lehrbefähigung für Mittelschulen erwerben und sich hierfür zunächst in
Göttingen vorbereiten, wo er zwei Semester verbrachte. Im Oktober 1S64
ging er auf Kickers Rat nach Herlin. Hier vollentiete er im Krühjahr 1865
seine Erstlingsarbeit über Kaiser Friedrichs I. letzten Streit mit der Kurie,
deren Drucklegung durch Fickers Beihilfe ermöglicht wurde, und die ihm
vielfache Anerkennung eintrug. So schien er am Anfange einer verheiflungs-
vollen Laufbahn zu stehen, als der Oheim sich genötigt sah, die ihm bisher
gewährte Unterstützung einzuschränken, und schon machte sich Sch. mit dem
Gedanken vertraut, der gelehrten Arbeit zu entsagen und sich dem Lehrfach
zuzuwenden, ila bot ihm Kicker gegen festen (»ehalt auf fünf Jahre die Teil-
nahme an der Neubearbeitung der Höhmcrschen Regesten an und wies ihm
die Regesten von Lothar bis zum Tode Heinrichs VI. zu. Damit war die
Absicht, sich dem MittelschuUehramte zu widmen, ein für allemal angegeben.
Im Sommer 1867 erwarb Sch, an der Universität Leipzig die Doktorwürde
und wandte sich aussrlilicßlicli der gelehrten Arbeit zu, für die er sich als
Hauptgegenstände den Kampf zwischen Kaiser- und l'apsttiun, die Heziehungen
der romanischen Staaten zum Deutschen Reiche gewäiilt hatte, wobei er
auch der Geschichte seiner Heimat nicht vergafi. Er brachte für sein Vor-
haben ernsten Willen und glückliche Begabung mit Wie sein Absehen
immer darauf gerichtet war, durch sorgfältige Forschung, scharfe Beobachtung,
strenge, von einer lebhaften Kinbildungskraft geförderte Beweisführung zur
richtigen Krkenntnis vorzudringen, so war er anderseits bemüht, die Form
in Einklang mit dem Zwecke und Inhalt seiner Ausführungen zu bringen,
durch sorgsame, unablässige Besserung und Schulung seine Abhandlungen zu
künsderisdier Vollendung zu führen. . - . . .
Wenn Sch. auch schon sehr bald zur Erkenntnis gelangt war, daß dar
Fj'nfluß politischer Strömungen und Ansichten von dem wissenschaftlichen
Betriebe fernzuhalten sei, so mußte er doch zu den seine Zeit bewegenden großen
Fragen Stellung nehmen, und nichts bringt die Selbständigkeit seines Wesens
kräftiger zur Anschauung, als daß er ungeachtet der Verehrung und Dankbar-
keit, die er Ficker entgegenbrachte, in dieser Beziehung sich von ihm trennte^
Scheffer^Boiehont.
im Gegensätze gegen den Lehrer, der auf Grund seiner wissenschaftlichen
Überzeugung den großdeutschen Standpunkt vertrat, sit h für die Leitung der
deutschen Sache tiurch Preußen ausspradi, eine Ansit ht, in der er durch den
Aufenthalt in Berlin und den V'erlauf des Jahres 1866 bestärkt wurde. Und
daran vermochte auch nichts zu ändern, dafi er im Juli 1867, um Ficker
näher su sein und die Regesten nachhaltiger fördern'zu können, nach MOnchen
übersiedelte. In diesem wichtigen Mittelpunkte gelehrter, insbesondere histori-
scher Forschung fand er manche seiner alten Freunde wieder, zu denen neue
kamen, zu W. Gicsebrec ht trat er in nahe Beziehung, von Di)llinger wurde
er auf das Studium Dantes und der Kirchengcschichte als eine notwendige
Eigäntung seiner bisherigen Arbeitsrichtung gewiesen. Wenn ihm auch der
Uerikal-partikularistische Einschlag in dem Leben der bayerischen Haupt>
Stadt nicht zum besten behagte, fühlte er sich doch sehr wohl und entfaltete
eine ungemein eifrige Tätigkeit, die namentlich den Regesten zugute kam,
neben denen er aber auch anderes betrieb. Trotzdem sein von Kindheit an
schwächlicher Körper endlich versagte und er im Herbste 1870 eine schwere
Krankheit zu überstehen hatte, vollendete er früher begonnene Arbeiten über
König Philipp II., August von Frankreich und über Bernhard von Lippe, den
durch seine Eigenart und seine seltsamen Schicksale anziehenden westfälischen
Herrn des XII. Jahrhunderts, daneben begann er quellenkritische Forschungen,
als deren schönste Frucht die meisterhafte Wiederherstellung der Paderborner
Annalen reifte, gleichzeitig besciiäftigte er sich mit italienischen Quellen-
schriften und wies die Florentiner Geschichte der Malcspini als Fälschung nach.
Die Arbeit über die Paderbomer Annalen verwickelte ihn in einen gelehrten
Streit mit Georg Waitz, in dem er mutig und gewandt seinen Standpunkt
gegenüber dem grofien Meister der Fors( hung vertrat. Die Sachkunde, die
er darin, in anderen Untersurhungen, in der ]^esi>i(. ( hung einzelner Veröffent-
lichungen der Afofi. iicnn. hht. bewies, vcranlalite (ieorg Pertz, ihm die durch
den Tod Hermann Pabsts erledigte Stelle als Mitarbeiter an dem großen
Unternehmen anzutragen. Mit Einwilligung Fickers nahm Sch. das Aner-
bieten an und übersiedelte im Januar 1872 nach Berlin. Die erste ihm zu-
gewiesene Aufgabe war die Bearbeitung der Chronik des Alberich von Trois-
fontaines, die er in mustergültiger Weise durchführte {^[on. Germ, h'ist. Sinpt.
XX//I.). Einer von Pertz gegebenen Anregung folgend, veröffentlichte er
eine Untersuchung über die Gcsfa floren/inorum, die er mit der älteren über
die Malespini und einer neuen über die berühmte Chronik des Dino Coii^tagni
in einem Bande (Florentiner Studien, Leipzig 1874) vereinigte, den er als
Vorstudie für die Beschäftigung mit Dante betrachtete. Diesen gelesen und
erfaßt zu haben, erachtete er mit Döllinger als die unerläßliche Vorbedingung
des rechten Verständnisses für das mittelalterliche (ieisteslel)eii. Kr rühmte
an dem großen Dichter, daß er sich mit der l)ewußten Forderung nach Wahr-
heit über den unkritischen Cluirakter der vorhergegangenen und eigenen Zeit
erhoben habe; verstanden könne Dante aber nur im Zusammenhange der
Florentinischen Geschichte werden. Hatte schon die Entlarvung der Malespini
in Italien lebhaften Widerspruch gefundin, der nur allmählich verstummt war,
so erregte der Angriff auf die Chronik des Dino Cofnf>iJi^n'i, diese viel be-
wunilerte Perle italienischer ( iesi hichtschreibung, allerorts das größte Aufsehen
und es entspann sich ein hartnäckiger Kampf, in dem Sch. endlich doch
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I
352
Scheffcf-Boichont.
zugeben mußte, daß er zu weit ge<ian<jen war. Wenn er auch seinen Haupt- |
sat/., die vollständige L'nechtheit <ier C hronik, durrh die Forschungen Del
Lungus überzeugt, mit vornehmer Wahrheitsliebe zurückzog, so hatte doch
die Anregung zur kritischen Untersuchung eines Werices gegeben, das bidier
ohne Bedenken in vollem Umfange verwertet worden war. Nach dieser Ab- |
Schweifung kehrte er wieder cur Regestenarbeit zurück und entfaltete er eine
regsame Tätigkeit als Rezensent, in der er die Aufgabe wissenschaftlicher
Kritik, die Forschung nicht herabsinken zu lassen, sondern zu erhöhter
Leistung anzuspornen, vortrefflich erfüllte.
Mit den ihm anfangs unbequemen Verhältnissen in Berlin hatte Sch. sich
im Laufe der Zeit vollständig befreundet; die in Aussicht genommene, dann
auch durchgeführte Neuordnung der Mon. Gtrm. hist, aber fand nicht seinen
Beifall und so empfand er lebhafter das Bedürfnis nach einer andern festen
Stellung. Darin aber sollte ihm nun seine kirchliche Zugehörigkeit
zum Hindernis werden. Die freiere Geistesrichtung, die er schon am Gyra- (
nasium eingeschlagen hatte, war durch seine Arbeiten fester begründet
worden. Seine nationale Gesinnung, die unerschütterliche Überzeugung
von der unbedingten Freiheit und Reinheit der wissenschaftlichen Arbeit j
mußten ihn doppelt empfindlich machen gegen die offene und versteckte I
Feindseligkeit, mit der die Ultramontanen die Gründung des Deutschen
Reiches begleitet hatten, gegen die Vermengung religiöser und politischer
Fragen, gegen das Bestreben des Ultramontanismus, die Unterordnung der |
Wissenschalt unter seine Forderungen su erzwingen. Die verhängnis-
volle Verbindung des katholischen Gedankens mit einer bestimmten politi-
schen Partei im Reiche muflte ihn mit Widerwillen erfüllen, sein klarer Ver-
stand, seine Wahrheitsliebe machten es ihm unmöglich, den Widerspruch
zwischen der geistigen F^ntwicklung der Gegenwart und der strcnir kirchlichen
Anschauung zu leugnen oder mit einem national-romantisch gefärbten Mystizis-
mus zu verdecken. Entfernte er sich auf diesem Wege immer mehr von der
durch den Ultramontanismus beherrschten Kirche, stand er von vornherein
dogmatischem Streite ablehnend gegenüber, so war er doch nicht geneigt, den
Übertritt zu einem der evangelischen Bekenntnisse zu vollziehen. Für Form und
Inhalt dieser fehlte ihm wohl jedes Verständnis, zudem wird ihn die Scheu
vor dem \'erda( hte, durch einen Glauheiiswechsel sich einen äußeren N'orteil
zu verschaffen, zurückgehalten haben. Die altkatholische Bewegung aber hat
er trotz seiner Verehrung für Döllingcr von An^g mit berechtigtem Zweifel
an ihrer I«ebensfahigkeit betrachtet. So vermochte er nicht, sich einer Konfes-
sion und schon gar nicht einer konfessionellen Partei werktätig anzuschlieflen,
wetm er aber glaubte, daß sein Hestrehen, auch in diesem Hetracht die Frei-
heit und l'nbef.ingonhcit der wissenschaftlichen Forschung, auf die er sich
ganz zurückzog, zu wahren, in gelehrten Kreisen, die hierfür das rechte Ver-
ständnis haben konnten, voll gewürdigt werden müfite, sollte er eine Ent-
täuschung erfahren. Er hatte darüber zu klagen, dafi die deutschen Universi-
täten mehr als gut von dem konfessionellen Gegensatze beherrscht werden,
beide Parteien ihm mit Mißtrauen begetrneten. Erst der dringenden Emp-
fehlung, mit der Nitzsch und Wattenbach für ihn eintraten, hatte er es zu
danken, daß er Anfangs 1875 als außerordentlicher Professor an die Universi-
tät Gieflen berufen wurde. Damit war der Bann gebrodien, schon im
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ScheffeiwBoichont.
353
Frühjahr 1876 ging er als Nachfolger Julius Weizsäckers als ordentlicher Professor
nach Stnitiburg. Hier entfaltete er jene außerordentlich fruchtbare Tätigkeit
als akademischer T.chrcr, die den wirkungsvollsten Inhalt seiner Lebensarbeit
bildet. In sorgfältig durchgearbeiteten Vorlesungen vermittelte er den Zu-
hörern zuverlflssige Kenntnis, die hauptsächlichste Wirkung aber ging von den
Übungen in dem ^on Weizsäcker eingerichteten Seminar aus, wo er die von
Ranke und Waitz ausgebildete Form des Unterrichtes in selbständiger, von
dem Vorbilde Fickers befruchteter Weise handhabte. Mit der zwingenden
Kraft seines Wesens führte er die Srhüler auf den Weg zur Erkenntnis, die
Schärfe der Beobachtungsgabe und des Denkens, die Pflichttreue, mit der er
in seinem Berufe aufging, das unablässige Streben nach Wahrheit, der Hafi
gegen alles Falsche muflten den besten EinfluB auf die akademische Jugend
üben. Strenge in seinen Forderungen verlangte er unbedingt, daß die Schüler
sich mit ihm auf den Boden wissenschaftlicher Unbefangenheit und sorgfältiger,
keine Mühe scheuender Arbeit stellten, wurden sie dem gerecht, dann gewährte
er ihnen als wertvollste Gegengabe den engsten Anschluß in persönlicher
Beziehung. Da,s vertraute Verhältnis zu den Schülern niulite dem Lehrer,
der einsam durch das Leben ging, den Ersatz für die Familie bieten, es half
ihm auch über manche Verstimmung hinweg, welche durch die von ihm aller-
dings zu ungünstig beurteilte Entwicklung der politischen und nationalen
Verhältnisse in den Reichslanden verursacht wurde.
Während die .Anregungen, die er seinen Schülem gab, sich auf ein selir
weites Forschungsgebiet ausdehnten, zog er sich mit seinen eigenen Arbeiten
> auf einen immer engeren Kreis zurück. Mit dem Buche »Aus Dantes Ver-
bannung (i88s)« hatte er nochmals auf seine früheren Studien zurückgegriffen
und eine schöne Probe seiner Darstellungskunst geboten, in der Hauptsache
beschränkte er sich auf kirchengeschichtliche, verfassungsrechtliche und urkund-
liche Untersuchungen; in diesen berücksichtigte er auch die Ceschichte des
Elsasses und des Oberrheins, die er daneben durch im Seminar gestellte Auf-
gaben und durch seine Tätigkeit als Sekretär des für die Herausgabe des
StraÜburger Urkundenbuches eingesetzten Ausschusses nachhaltig förderte.
Wiederum als Nachfolger des im Vorjahre verstorbenen Weizsäcker kam
er im Frühjahr 1890 nach Berlin, wo er die in Straßburg geübte Lehrtätigkeit
in größerem Maßstabe fortführen konnte. Doch fühlte er sich nicht so wohl,
wie er in Frinnerung an die frühere Zeit gehofft hatte. Im Jahre 1899 erhielt
er einen Ruf an die Wiener Universität. Obwohl er Wien sehr schätzte, an
den Auflerungen eines lebhaften, dabei doch behaglichen, seiner künstlerischen
Anlage entsprechenden Volkstums seine helle Freude hatte, lehnte er ab.
Im Herbste desselben Jahres wurde er zum Mitgliede der Berliner Akademie
gewählt.
Seine wissenschaftliche Tätigkeit hatte sich in diesen Jahren durchaus
in den zu Straßburg eingeschlagenen Bahnen fortbewegt. Die Rcgesten, zu
denen er immer wieder zurückkehrte, und für die er auf wiederiiolten Reisen
nach -Italien, zu denen ihn auch seine Sehnsucht nach dem Süden veranlafite,
Nachforschungen nach neuem urkundlichen Stoffe anstellte, sollte er jedoch
nicht vollenden. Fs rächte sich, daß er anfangs die auch für die staufische
Zeit unerläßliche Grundlage formaler Urkundenkritik, die er irrigerweise für
eine einseitige Besonderheit der Methode Sickels hielt, vernachlässigt hatte.
BiogT. Jahrbuch u. Deuucher Nekrolog, g. Bd. . 2X
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Scheffer-BoidionL ScSiwicker.
Mehr und mehr zog er sich in dieser dritten Berliner Zeit auf sich selbst i
/Airück, mehr und mehr machten sich die Wirkungen einer angestrengten,
ununterbrochenen Tätigkeit fühlbar. Das eine Auge, über das allein er seit
jungen Tagen verfügte, drohte, den Dienst xu versagen, ein sich langsam j
bildendes Leberleiden nahm bedenkliche Formen an. Noch einmal suchte j
er im Spätherbst 190 1 das vertraute Warendorf auf, gleich nach der Heim-
kehr wurde er an das Krankenlager gefesselt, das er nicht mehr verlassen
sollte. Zarte Fürsorge der Schüler umgab ihn, zum letzten Male leuchteten
ihm die Lichter des nach altem Brauche von ihnen aufgerichteten Weihnachts-
baumes, am 17- Januar 1902 schied er aus dem Leben.
Qudlea: Gesammelte Sdniften von Paul Sch.-B. 2 Bde. 1903, 1905, mit das Büdnb >
des \'crfas<er> (fli-t. Studien, verOff. von E. Ebering Heft 42, 43); ebenda Bd. 2, 399 — 4i'l
ein V erzeichnis der Schriften Scb.-B. — Hermann Bloch in der iiist. Ztscbr. 89 (1902^,
54—71; E. Dfimmler, Gedlehtainrede raf P. Sch.^. Bcriin 1902 (Abb. der k. piciiS.
Akademie der Wiss.); derselbe fan Neuen Aicliir der G«s» SSx lltere deutsche Gcscliidits-
künde 37 (1902), 76S— 770; F. Gttterbock, Aus Sch.-B. Leben in den Oesamm. Schriften
1, 3—62; K. Hampc in der Hist. Vterteljahrschrift 5 (1902), 280 — 290; Fritx Kiener in der
Ztsckr. fttr Gesch. des Obenrheins N.F. 17 i.i9<)2), 381—385; Wolfram in der StraSburger
Post vom a. Februar 1902. Karl Uhlirs.
Schwicker, Johann Heinrich,') Dr. phil., Schulmann und Schriftsteller.
* am 28. April 1839 zu Neu- Bessenova (Ujbesnyö) im Temeser Komitat
(Ungarn), f am 7. Juli 1902 in Budapest. — Früh beider Eltern beraubt, kam
Sch. 1857 nach Absolvierung des Lehrerseminars in Werschets als Hilfslduer
nach Csakova (Torontaler Kom.) Schon im darauffolgenden Jahre wurde er
als Hauptlehrer nach Grofl-Becskerek berufen, wo er bald zum dirigierendes '
I-ehrer vorrückte. Mit eisernem Fleiße vervollständigte er die Lücken seiner
Studien und legte 1863 die Mittelschulprofessorenprüfung in Budapest mit
vorzüglichem Erfolge ab. Bald darauf erwarb er sich auf Grund seiner
Dissersation »Ungarn und der bayerische Erbfolgekrieg« den Doktortitel an |
der philosophischen Fakultftt der Budapester Universität. Sein hervorragendes
Wirken im Kreise der Banater Lehrerschaft erregte die Aufmerksamkeit des
damaligen ungarisrhen Unterrichtsministers Baron J. Eötvös, der ihn im
Jahre 1869 zum Direktor des neuerrichteten Zentrai-Muster-Lehrerseminar&
in Ofen ernannte.
Reibungen mit dm Referenten im Ministerium und Intriguen von selten j
der magyarischen Kollegen verbitterten ihm seinen schweren Beruf und so
wurde er 1872 auf sein eigenes Verlangen als Professor fttr deutsche Sprache
und Literatur an das T.eopoldstädter Königl. Obergymnasium versetzt. Gleich-
zeitig luihilitiertc sich Sch. als Privatdozent für deutsche Sprache und
Literatur am Königl. Joseph-Polytechnikum. Unter der Regierung Treforts war
er als dessen Ratgeber und Mitarbeiter bei der Ausarbeitung der Mittelschul-
organisation tätig. Einen Einblick in diese Zeit gewähren vor allen die A^
beiten Sch.s aber »Das ungarische Unterrichtswesen« (1879), »Geschichte der
ungarischen Gymnasien« {1881), »Ungarns Volks- und Mittelschulen« i88s und
zahllose Artikel in der deutschen 'I'agespresse seines Vaterlandes. Für seine
Verdienste um das ungarische Mittelschulwesen wurde er mit der groikn
•) Totenliste 1902 Bd. VII io7* ,
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Scbwicker.
355
goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft (Pro artibus €t liikris) aus-
gezeichnet. Im Jahre 1887 verließ er das Lehramt und betrat, zum Reichs-
tagsabgeordneten der sächsischen Stadt Schäßburg gewählt, die politische
Laufbahn, der er bis zu seinem Tode treu geblieben ist. In dem Zeiträume
von 1887 — 1902 hat er zunächst den Schäßburger bis 1896 und dann den
Groftaner Walilkreis als Reicfastagsabgeordneter vertreten. Als solcher hat sich
Seh. mit all der Treue der Gesinnung und all dem rastlosen Fieifi, der ihm eigen
war, in den Dienst des kleinen siebenbfirgisch-sächsischen Völkchens gestellt.
Als Parlamentarier ist er wohl weniger hervorgetreten, da zur Erfüllung der
Aufgaben eines solchen, die unter den unnorin;ilen Verhältnissen des unga-
rischen Abgeordnetenhauses, wo es am wenigstens darauf ankommt, durch
die Überzeugungskraft sachüchef GrOnde zu wirken, der stille Geldirte die
nötigen Eigensdiaften nicht mitbrachte. Immerhin hat er mehrmals im
Reichstage das Wort ergriffen, so besonders im Jahre 1898, als er bei Be-
ratung des Kongniagesetzes für die nichtkatholischen Geistlichen in ableh-
nendem Sinne sprach, weil die Vorlage die Autonomie der Kirchen beein-
trächtige. Sch.s Haupttätigkeit als Reichstagsabgeordneter beschränkte sich
wie die so vieler sächsischer Abgeordneten auf Interventionen in den mafi-
gebenden Kreisen, mit denen er als Mitglied des Unterrichtsausschussta häufig
in Berfihrung kam. Auf diese Weise konnte er der evangelisch-sächsischen
Kirche manchen Dienst erweisen.
Was die literarische Tätigkeit Sch.s anbelangt, so läßt sich diese in zwei
scharf abgegrenzte Perioden einteilen. Mit jugendlichen Idealismus trat er als
siebzehnjähriger Jüngling in den Schuldienst ein. Sein Tagebuch, das er
als angebender Volksbildner sich anlegte, ist voll der kühnsten Pläne und
Entwürfe, voll von Notizen und Bemerkungen, die er in der einfachen Schule
gemacht. Sein rastloses Streben nach höherer Bildung, sein ernstes und
doch sympathisches Wesen bewirkten, daß der jugendlidie Autodidakt an
die Spitze der südungarischen Lehrerschaft berufen wurde, daß alte ergraute
Schulmänner bereitwilligst sich ihm unterordneten. Zahlreiche Briefe und
Zuschriften der südungarischen Lehrerschaft an Sch. legen Zeugnis dafür ab,
welchen Einflufl er auf seine Kollegen und auf seine Stammesbrüder aus-
geübt hat.
Diese aber liebte er von ganzer Seele und hell glänzten seine Augen,
wenn jemand das Loblied der braven Schwaben sang. Sch.s rastlosem Eifer
verdankt der »Verein der südungarischen Lehrer« sein Leben und wiederholt
Ist er dessm Vorsitzender gewesen. Was er in den Versammlungen des
Vereins nur im allgemeinen mitteilen konnte, das führte er später im
»Ungarischen Schulboten« und in der »Ungarischen Schulzeitung« weiter
aus. Aus dieser Zeit stammt seine »Deutsche Sprachlehre«, die zwölf Auf-
lagen erlebte und auch in Österreich eingeführt wurde, dann sein ^»Deutsches
Sprach- und Stilbuch«, das lange Zeit das einzige seiner Art in l'ngarn
war. Als Sch. dann vom Heimatsboden schied, blieb er doch noch weiter
mit seinem Volke in Berührung, so dafi dieses ihn noch 1870/71 zum
Abgeordneten des autonomen Katholikenkongresses wählte. Auch blieb
seine pädagogische Schulzeitung noch ferner bestehen und kam sogar in
mag>'arischer Sprache als »Tanügyi Hirado« heraus. Doch die l'renule übte
allmählich auch auf Sch. ihre Wirkung. Andere Pflichten, der erweiterte
^3»
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I
3 56 Schwicker* Schlesinger.
Horizont, das intensive politische (letriebe der Hauptstadt lenkten ihn mehr |
und mehr vom pädagogischen Gebiete ab. Auch anderes trug zur Schwächung
dieser seiner literarischen Tätigkeit bei. Vor allem die Rückkehr zu seiner
ersten Neigung, zur Geschichtsforschung. Und damit beginnt bei Sch.
die zweite Periode seiner literarischen Aibeit, in welcher er sich fast aus-
schließlich mit Geschichtsforschung und aktueller Staatspolitik befaßte. In
diesen Zeitraum gehören vor allen die folgenden Arbeiten Sch.s: »Kardinal
Martinuzzif (1*^74), Ungarische (Geschichtsbilder« (1875), ^^Statistik von
l'ngarn« (187.S), Die Vereinigung der serbischen Metropolien« (1881), 'Un-
garische Literaturgeschichte (1886), »Die Deutschen in Ungarn« (1881 u. 1887)
— Sch.s vielleicht meist genanntes Werk, auch jetst noch das umfassendste |
Buch aber das Deutschtum in Ungarn, das ihm inner- und anfteilialb des
Landes einen \amen gemacht hat. — »Die Zigeuner in Ungarn« (1887), »Ge-
schichte der Militärgrenze < (1889). Hierzu kommen noch Sch.s »Allgemeine
Geographie« (1874) und »Geographie von Ungarn« (1881). Weiterhin über-
trug er Benjamin Kaliays »Geschichte der Serben'^ und gemeinsam mit Julius
Schwan dessen historisch-politische Aufsätze, vornehmlich: »Die Demokratie
in Athen«, aus der ungarischen in die deutsche Sprache.
Mit diesen Werken war jedoch Sch.s Arbeitskraft nicht erschöpft. Eine
große Anzahl vaterländischer und auswärtiger, namentlich deutscher Zeit-
schriften haben Arbeiten, die aus seiner Feder geflossen sind, veröffonthcht,
so insbesondere die »Augsburger« später >Müncitener Allgemeine Zeitungs 1
deren ständiger Korrespondent Sch. fQr Ungarn war.
Sch. war Mitglied zahlreicher gelehrter Vereinigungen in Wien, Pn^
Berlin und Belgrad.
Biogr.: WnitWh, Biogr. Lexikon XXXll, 38a — Pdlas. Nag}- Lexikon. XIV, 1005.
Dr. Fr. Schuller.
Schlesinger, Julie, * 24. Märs 181 5, f 18. Juli 1902 zu Wien. — In den
Hochsommertagen 1903 eihielten die von Wien entfernten Freunde und Ver-
ehrer Julie Schlesingers Briefe mit von ihrer Hand geschriebenen Adressen,
der Hand, die über drei Jahre gelähmt war. Intime wufiten, dafl diese
Schriftzeichen der lange vorbereitete letzte Gruß an die Freunde war. Die
Briefe enthielten auch die Nachricht, daß die Dulderin ausgerungen hatte.
Nur von wenigen geleitet: der getreuen Nichte Friederike Kowy, deren
Gatten und Kindern und einigen Flreunden, die eben in Wien weilten, wurde ^
sie, die inmitten eines grollen Kreises Anteilnehmender gestanden hatten so
Grabe getragen. Floria Galliny und Elise Gompers, die in den letzten |
Leidenstagen oft bei der Kranken geweilt hatten, machten den Freunden
nähere Mitteilungen, die diesen verspätet zukamen. Sollte dieser einsame
Abgang der Abschluß des überreichen Lebens sein? Keine Blume, kein
Wort, keine Zeile ihr von den Freunden dargebracht werden, die sie in un-
erschöpflicher GQte immer neu erfreut hatte? Dagegen Idbnte sidi die Liebe
auf; einmal noch sollte ihr Andenken gemeinsam geehrt werden durch einen
Privatdruck, in dem Marianne Hainisch, Joseph Lewinsky und Floria Galliny
der seltenen Frau gedachten.
Juliens Eltern, das Ehepaar Schiel, stammten aus Breslau. Der Vater
war zur Zeit von Juliens Geburt in der k. k. Staatsgießerei in Wien bedienstet. '
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S^lesinger.
Später errichtete er eine eigene Schriftgießerei, tler erste Jude in Österreich,
dem dies bewilligt wurde, und zwar um so bemerkenswerter, als er Aus-
länder war.
»Schon als vierjähriges Kind«, berichtet Julie, »wanderte ich in die
Schale. Ich lernte rasch und gern, ward die bevorzugteste Schülerin und
verliefi mit zehn Jahren die Schule. Daheim erhielt ich noch Unterricht in
fremden Sprachen, Klavierspiel, Zeichnen. In Wahrheit hatte ich weniger
als nichts gelernt, und habe dies bis zum heutigen Tage ebenso lebhaft
empfunden als beklagt. Am 27. Mai 1829 fand die erste Konfirmation in
der Gemeinde statt. Im Dezember 1837 schloß ich den Bund der Ehe mit
einem Verwandten von mtttterlicher Seite, der mir seit meiner Kindheit be-
freundet war, in dessen Hände ich mit vollster Zuversicht das Glück meines
Lebens legen konnte. Ich las viel und vieles. Mein Blick fing an, sich zu
erweitern, ich gewann andere Einsicht in Verhältnisse, in das Leben wie in
die Menschen und ward dadurcli in gewissem Sinne eine andere. Besseres
aber als Bücher hat der Umgang mit edlen Menschen für mich getan, die
auf meinem Lebenswege zu finden ich das Glück hatte.
Zu den Freunden, die ich aus der Kinderzeit mit ins reife Leben hinOber-
brachte, gehört Frau Therese Meyer geborene Weikersheim. Die meine Ge-
spielin gewesen, ward mir Freundin und blieb es bis zn ihrem für die Ihrigen
und für viele zu früh erfolgten Tode. Diese Freundin war es, die mir zu-
erst Gelegenheit bot, mich auf humanitärem Gebiete zu versuchen. Der
glückliche Erfolg, von dem mein Wirken beim Theresien-Kjreuzervereine be-
gleitet war, flOflte anderen Vereinen Zutrauen ein und es trat im Jahre 1853
der Vorstand des israelitischen Taubstummeninstituts mit der ehrenden
Frage an mich heran, ob ich dem Vorstande des genannten Instituts bei-
treten wolle. Dieser Vorstand bestand bis dahin nur aus Herren. Es hatte
sich aber das Bedürfnis nach der Umsicht und dem Rate einer Frau bemerk-
bar gemacht und der Vorstand hoffte durch mich das Vermißte zu finden.
Gern folgte ich der an mich ergangenen AuSorderang« und durch 25 Jahre
war Julie S. den armen taubstummen Kindern eine Mutter. Nahezu täglich
brachte sie Stunden mit denselben zu und verkehrte mit jedem einzelnen
Kinde, beobachtete dessen F",ntwicklung und förderte es nach Möglichkeit.
Zudem führte sie den Haushalt des Instituts, der für die Bedürfnisse von
weit mehr als luu Personen aufzukommen hatte. All die Anerkennung und
all der Dank sowie das goldene Verdienstkreuz, das Julie S. im Jahre 1878
»für langjähriges, gemeinnütziges, humanitäres Wirken« verlidben wurde,
waren nur sdiwacher Entgelt, den Lohn fand sie im Gedeihen der
Kinder.
Mit dem 1 ode ihres Gatten im April 1883 begann für tlie Witwe ein
vdUig verändertes Leben. Sie verlieii Wien, um erst nach zwei Jahren zurück-
zukehren.
Im Herbst nahm die vereinsamte Witwe Aufenthalt in Gossensafi. In
der winterlichen Stille und Abgeschiedenheit und im alleinigen Verkehre mit
der bäuerlichen Bevölkerung hoffte sie sich am besten in die neue T-age zu
finden. Zwei Winter verbrachte sie dort, nur unterbrochen durch zeitweiligen
Aufenthalt in München, wohin Paul Heyse sie zog. Sie hatte von seinen
ersten Versuchen an das innigste Interesse an dem steigenden Wert und den
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1
3S8
SeUcsiiiger.
Erfolgen des Dichters genommen. Persönlich war sie ihm für die Teilnahme
unwandelbar dankbar, die er ihr bewiesen hatte, als er ihr am letzten Tage
von Julie Kettichs Todesjahr das verständnisinnige Gedicht, das seinen
Dichtungen einverleibt is^ mit der ihr gewidmeten »Syritha« sasandte.
Als sie nach Wien snr&ckkehrte, vollendete sie ihr siebzigstes Jahr. Die
Freunde erinnerten sich dessen wärmstens, wenn sie diesen Geburtstag andi
nicht so feierlich gestalteten wie den der f^eistesf fischen, rüstigen Achtzigerin.
An diesem wurde ihr Ehrung über Ehrung und das Haus Nr. lo auf der
Mölkerbastei dürfte vordem niemals eine so stattliche Auffahrt gesehen und
soviel Blumenschmuck getragen haben. Wie zehn Jahre früher, fehlte es aadi
nicht an Zuschriften und Gedichten. Eine Huldigung Bettjr Paolis ehrt so-
wohl die Geberin wie die Empfängerin und zudem weckt ihr Name die Er-
innerung an die '»Dreift, deren Freundschaft denkwürdig bleibt wie ihr
Wirken, an Marie von Ebncr-Eschenbach, Jda von Fleischl, Betty Paoli, an
die drei Freundinnen, die unserer Julie die wärmste Wertschätzung zollten.
Die grenzenlose Hingabe der opfermutigen Frau brach schroff ab, sobald
sie Unwflrdigkeit witterte; denn nur würdigen und wahrhaft Bedürftigen
wendete sie ihre Hülle zu. Die Unverstandenen, die in ihrer Eitelkeit Ge-
kränkten, die Anmaßenden, wie die sentimentalen Weltschmerzler kamen bei
ihr schlecht an. Diesen gegenüber offenbarte sich die Leidenschaftlichkeit,
die Strenge und die Härte, die mit zu ihrem Wesen gehörten. Gegen die-
jenigen, die ihr unwürdig schienen, war sie unnachsichtig und von dem ein-
mal gefaxten Urteile auch kaum mehr abzubringen.
Ihrer Beziehungen zum Burgtheater gedenkt Joseph Lewinsky folgende^
maßen :
Im Hause der berühmten Hofschauspiclerin Julie Rettich trafen hervor-
ragende Männer aus den Gebieten der Poesie, der Gelehrsamkeit und des
Staates zusammen. Eine führende Rolle in solchem Kreise zu spielen, war
nur einer Frau möglich, die eine große Persönlichkeit war. Dieser aa8e^
ordentlichen Frau war Julie S. durch Eigenschaften, die sie mit ihr gemein
hatte, die intimste Freundin. Was die beiden Frauen einander zuerst nahe
gebracht, aber bald fürs Leben verbunden haben mag, war wohl der männ-
liche Zug ihres Geistes. Vom Weibe hatten sie beide nur die adeligen
Seiten, nicht die sinnlich gefälligen. Sie bezauberten beide den Kopf und
das HerE der Männer, die sie kannten, nicht ihre Sinne. Ein zweites, inniges
Band umschlang die beiden in ihrer grenzenlosen, opferfreudigen Liebe so
den armen Kindern, in der sich den beiden Iduna Laube als dritte gesellte.
Ein dritter Punkt innigsten Vereines war ihr Verständnis und leiden-
schaftliche Liebe zur Poesie; auch das glänzendste Talent konnte sie nicht
blenden, nicht täuschen über seinen inneren Wert. Heyse bestand, als er in
jugendlichem Alter in diesen Kreis trat, die Probe glänzend und mag sich
das heute noch als Meister zur Ehre rechnen. Von der Dichtergeneration
der zweiten HUfte des neunzdinten Jahrhunderts hatte sie Heyse und den
ihm so verwandten Wilbrandt vor allen andern ins Herz geschlossen und
unwandelbar an ihnen gehangen ihr Leben lang. Der hohe Wert dieser
Liebe lag darin, daß dieselbe nie blind wurde für Schwächen einzelner Werke,
desto fester hielt sie an allem, was gelungen war, denn sie begleitete mit
leidenschaftlichem Interesse diese feinstimmigen und reichen Talente vom
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ScUesinger. Lono.
359
Beginne ihrer Laufbahn mit ebenso tiefem Verständnis als Herzensanteil an
ihrem künstlerischen wie menschlichen Schicksal.
Julie Schlesinger, Gedenkblätter von Freunden der Freundin. Wien, 24. Mürz 1903
Privaldrack. (Auszug).
LofiB» Hicffonjnniisi) (Poetendecknameftlr Heinrich Landesmann)»* 9. August
1831 zu Nikolshmi;, f 3. Dezember 1902 in Brfinn). — L. ist durch sein Leben
und Wirken, durch die Eigenart und Tiefe seiner Entwic kluiig, durch den
selbständigen Gedankengehalt der (ledichte und philosophischen Schriften
aus seiner reifen Zeit eine der merkwürdigsten Krs( heinungen der tleutschen
Literatur in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Er gehört zu den
bedeutenden Menschen, die aus der Not eine ganze Reihe werktätiger Tugenden
machten und, da er seine persönliche Not zur Vorstellung der allgemeinen
menschlichen Not erhob, und von den Tugenden, in die er sie verwandelte, der
Glanz einer schwer erkämpften, hochgestimmten und durchgeistigten Zufrieden-
heit ausging, war er innerlich berufen, im Dichten und Denken als Befreier,
Helfer und rröster zu wirken. Seine fröhliche, angeregte Jugend, die er erst
in seiner Vaterstadt Nikolsburg in Mähren und dann als UniversitfltshOrer in
Wien, inmitten einer Familie von starken geistigen Interessen verbrachte,
hatte frQh mit ph3rsischen Hemmnissen zu kämpfen. Schon mit sechzehn
Jahren verlor er das Gehör, bald darauf stellte sich eine Schwäche des
(iesichts ein, die ihm nur mit Mühe zu lesen und zu schreiben gestattete
und die nach und nach in völlige Blindheit überging, drei Viertel seines
Lebens, diejenigen, denen bleibende geistige Werke zu danken sind, sechzig
von achtzig Jahren war er nidit im Vollbesitz der beiden Hauptsinne, durch
die die Auflenwelt an den Menschen herandrängt Die äufiere Welt, die er
beschrieb, war wesentlich auf die Jugenderinnerung gestellt; ihre späteren
Veränderungen und das geistige Leben langer Jahrzehnte, das ihn umgab,
empfing er in höheren Jahren nur aus zweiter Hand. Kine >innrei( he Schnell-
schrift, die er mit seinen Angehörigen vereinbart hatte, eine Stenographie
der Finger in seiner inneren Handfläche, vermittelte ihm die Begebenheiten
der Welt, die poetischen und wissenschaftlichen Bttcher, die geschriebenen
und gesprochenen Worte der Freunde, mit denen er im regen geistigen Ver-
kehre blieb. Von der Liebe seiner Gattin und seiner Kinder umhegt, verfaßte er
in diesem Zustande, in dem ihm auch die Freuden geistiger Geselligkeit nicht
versagt waren, Gedichte, Novellen, Romane, philosophische Werke, die nicht
nur den Mangel der helfenden Sinne nicht verrieten, sondern zum Teil sogar
durch Anschaulichkeit der Schilderung und tiefes Eindringen in das Gedanken-
leben der Mitwelt, also VorzOge, die von äufieren Eindrücken abhängig sind,
die Wirkungen des Kmpfindungsausdrucks und des originellen Urteils ver-
stärkten. Wenn die Erwähnung dieses vielleicht einzig dastehenden Phänomens
der Skizze des L.schen Lebensganges vorangestellt wird, so geschieht es nicht
um seine Erscheinung in die Reihe der psychologisch-physiologischen Kurio-
sitäten hineinzustellen und die WQrdigung seiner literarischen Werke dadurch
zu einer relativen zu machen. Viele Tausende von dankbaren Lesern, die
von L.s Werken Genufi, Befriedigung und innere Erbauung empfangen haben,
') TotenUste 1903 Band VII 67*.
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$6o
Lonn.
hatten keine Ahnung von dem schweren persönlichen Schicksal des Autors,
das der Tapfere sich nicht nur zu einem erträglichen, sondern aas eigener
Kraft zu einem glOcklichen gestaltete. Und die Bedeutung seiner Werke
wäre ohne das Relief der stillen Grofitat des Gemüts und des Geistes, der
sie ihr Dasein verdanken, objektiv genommen dieselbe wie unter den tatsäch-
lich gegebenen Verhältnissen; dennoch gehört die Krwähnung der Bedingungen,
unter denen er schuf, wesentlich zu der inneren Geschichte seines Wirkens.
Sein Verhältnis zur Sinnenwelt war zweifellos mitbestimmend für die
Ausgestaltung seiner geistigen Persönlichkeit; weit entfernt, ihn arm zu machen,
hat es ihm eine besondere Art des Reichtums verliehen. Die Gerftuschlosig-
keit wurde zur fördernden Ruhe einer konzentrierten Entwicklung, die zur
zweiten Natur gewordene Kntbehrung, der er sich völlig angepaßt hat, zur
Seele eines überlegenen und dabei doch sehnsüchtig wehmütigen Humors.
Von Haus aus eine kontemplative Natur, vertiefte er sich \n der Zurück-
gezogenheit Das luftere Dunkel war gleichsam das Schutzdach seiner Origi-
nalität, die Stille wirkte als Abwehr zerstreuender und ablenkender Ein-
drücke. Mit einem erstaunlichen Gedächtnis und einer lebhaften Phantasie
begabt, ließ er nie merken, was ihm fehlte, wohl aber was er vor Anderen
voraus hatte: die Innerlichkeit der .\nschauung, die Versenkung in die
Gedankengänge, die Heiterkeit des Weisen, den der flüchtige W-echsel der
Dinge nicht berührt. Der persönliche Sieg über die Materie griff notwendig
wendig in sein Schaffen hinüber und machte ihn zum Meister in der Ver-
mittlung jener Stimmungen, in denen wir uns minder abhängig vom Drucke
der sinnenfälligen Alltäglichkeit fühlen. In seinen Romanen und Novellen
hat er mit ausgesprochenem Sinn für das Gegenständliche eine bunte soziale
Welt abgezeichnet und sogar eine besondere Vorliebe für die Fülle anek-
dotischer Begebenheit gezeigt — aber am meisten er selbst, eigentümlich in
der Richtung der Beschaulichkeit, in der Konsequenz des Denkens und in
der milden, ruhigen Klangfarbe des Stils, ist er in jenen Büchern, in denen
er, zugleich Poet und Denker, seine Auffassung vom Leiden am Leben und
seine Kraft, diesem Leiden in ein Genießen zu verwandeln, an die Betrach-
tung der unvergänglichen Dinge anknüpft. Hier lälit er in unserem Innern
eine Saite anklingen, die in ihm stärker tönt als in anderen Mensclien-
gemütern ; hier führt er uns mit sanfter aber sicherer Hand auf einen Punkt,
wo wir, taub und blind gegen alles unwesentliche Getriebe, uns als einen
Teil des ewigen Geistes, der im Naturleben waltet, fühlen.
Der äußere Lebensgang L.s tritt völlig gegen seinen inneren zurück.
Zu Beginn seiner Laufbahn sehen wir ihn jenen trefflichen jungen Männern
Österreichs beigesellt, die gegen den Druck, der auf dem bürgerlichen und
geistigen Leben lastete, mit den edlen und feingeschliffenen Wielen der
Intelligenz ankämpften und dadurch den Zorn der Zensur erregten, die mit
plumpen und machtlosen HAnden den hereindringenden Strom der Erkenntnis
abzuwehren suchte. L. sprach zunächst als Mitarbeiter vormärzlicher Zeit-
schriften manches freimütige Wort über die unhaltbaren Zustände. Sein erstes
Buch, »Wiens poetische Schwingen und tedern'', das im Jahre 1846 erschien,
und das gleidi den Schriften Anastasius Grüns, Moritz Hartmanns und
Bauemfelds die Forderungen der neuen 2^it verkündete, zog ihm Verfol-
gungen KU, die ihn zur Flucht nach Deutschland (erst Leipzig, dann Berlin)
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Lonn.
nötigten, von wo er während iles Revolutionsjahres nach der Heimat zurück-
kehrte, um sich der Bewegung anzuschließen. Später hat er in der Hut seiner
treuen Gattin Henriette (geb. Frankl)» die seine Pflegerin, sein Auge und
sein Ohr war, und die bald von den heranblühenden Kindern darin unter-
stützt wurde, lange Jahre (1873 — 1892) in Dresden gelebt. Die letzten Lebens-
jahre verbrachte er in Brünn, in der Nähe des älteren seiner beiden Söhne,
der in der mährischen Hauptstadt als praktischer Arzt tätig ist.
So wenig äußere Ereignisse seit 1848 in das Leben des Dichters und
Denkers eintraten, so reich gestaltete sich seine innere Entwicklung. Auf die
»Poetischen Schwingen und Federn«, die fein gestimmte Charakterbilder der
vormärzlichen österreichischen Poeten boten und die in jenem eigentümlich
herausgeschliffenen Stil gehalten waren, der durch den Druck der Zensur
mit bedingt \v:ir und der gleichsam an den verhängten und verschlossenen
Fenstern des Staatslebens diamantartig die Kraft der Schncidigkeit erprobte,
folgten 1848 die »Grflienberger Aquarelle«, die noch stark durch die Zeit-
stimmung beeinflufit sind, sich wie Meisterstücke einer anmutigen Feuilleton-
kunst lesen, aber schon die Wendung ins dichterisch Freie bezeugen.
Die Kunst der scharfen Antithese, die Freude am Gleichnis, das eine
Parado.xie verkörpert, die Neigung zur bedeutsamen Anekdote, der der Geist
im Sinne der Paramythie eine neue Wendung gibt, sind L. immer treu ge-
blieben; aber wenn der Wits in seinen ersten Werken vorzuwalten scheint,
wird er später in die Begleitung, in die zweite Stimme zurückgedrängt. In
den Gedichten L.s, von denen seit 1870 eine Reihe von Sammlungen (Hamburg
und Dresden) erschienen ist, ist die das Wort formende Klugheit völlig der
Empfindung dienstbar gemacht; wo tler Witz tiurchschlägt, ist es der philosophi-
sche der tiefen Melancholie, die alles bloÜ Scheinende dieses Lebens belächelt,
das Ungereimte leidenschaftlicher Regungen aufdeckt und in den Gegensatz
zwischen heiflen Augenblickswfinschen und der ungestillten Sehnsucht, die
durch unsere Existenz selbst gegeben ist, hineinleuchtet. Der Obergang, der sich
in den epischen Dichtungen vollzieh^ spiegelt eine reiche, aufwärtsstrebendc
Entwicklung. Von den 1848 erschienenen (Irätenherf^er A<|uarcllen, durch die
zahlreichen Novellen und Romane hindurch, gehl ein psy( hologischer Werde-
gang des Dichters, an dem die Gestalten Anteil haben. Man kann dies durch
eine lange Reihe von Produktionen verfolgen, durch die Romane »Gabriel
Solmar« (1868), »Spftte Vergeltung« (1879), »Der ehrliche Name« (1880), »Der
fahrende Geselle^ (Leipzig 1884), »Aufkrhalb der Gesellschaft« (1881), »Rind
des Meeres« {1882), *Vor dem Attentat« (1884), »Beide Töchter des Haupt-
manns« (1888), »Die Geheimrätin« (1891), »Auf dem einsamen Schlosse«
(Breslau 1887), wie durch die Novellensammlungen »Am Kamin« (Berlin 1857),
»Erzfthlungen des Heimgekehrten (185Ü), »Intimes Leben« (Prag 1860), »Novellen«
(mehrere Folgen 1864—1893), in denen die Vertreter der leidenschaftslosen
Betrachtung im Ciegensatze zu den leidenschaftlicheren Glücksjägern immer
mehr in das Lebensrecht eingesetzt und als die letzten Sieger im Lebens-
kampfe dargestellt werden. Im Roman »Der ehrliche Nanie ^ z. H., der eine
Fülle von Schicksalswechsel vorführt, und aus leidenschaftlichen Begehrungen
eine spannende Handlung herausspinnt, ist das physische übergewicht über
die handelnden Personen und die Grundstimmung der wahren Lebenskunst
durch ein gealtertes, unschönes Mädchen vertreten, dem die Ersflhlung in
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Lonii«
den Mund pelegt ist und das, durrh die notgedrungene Entsagung vom Wett-
bewerb im Lebenskampfe ausgeschlossen, sich durch Ironie un<l tätige> Mit-
leid über diese Kampfe erhoben hat. Die Verinnerlichung der Gestalten
in L.S Dichtungen liflt durch die Kunst hindurch jenen Prozeß erkennen, in
dem er sich selbst als Denker emporgellutert hat Er ist, wie Leopardi, der
Sänger des Pessimismus geworden, aber wenn er im Vollton der Lebens-
klage sich mit den Besten messen kann, die das Gefühl lösen, tlas uns vor
der Sjihinx des Daseins anwandelt, so ist er ganz eigentümlich in fler Kraft,
diesen Lebensschmerz tlerart zu objektivieren, tiaö er vom bewußten All-
gemeinleiden in eine Genugtuung an diesem Bewußtsein übergeht. Zuletxt
tönt die Klage bei ihm in die Ahnung einer höheren Welt aus, die freifich
nur in der Empfindung uns zu eigen werden, aber diese völlig mit Erkenntnis-
freudigkeit und beglückender Sehnsucht ausfüllen kann. Und diese Empfin-
dung ist für ihn kein Rausch, in den er sich träumend hineinversetzt, sondern
die letzte /utluchi einer rastlosen (iedankenarbeit. Er lehrt den Wert der
sogenannten Daseinsfreuden verneinen und vor der Verzweiflung, die sich an
solche Zweifel heften könnte, in die Befreundung mit der Natur hinabe^
flochten, deren Walten nicht mehr grausam erscheint, wemi man sich zu der
Vorstellung erhebt, ein Element ihrer Unendlichkeit zu sein. Und auf der
Höhe seiner Entwicklung tritt diese tiefernste Arbeit an die Aufgabe heran,
allen Denkversuchen nachzugehen, die die intclligible Welt erschöpfen wollten
um Allen gegenüber ein Verhältnis zu den letzten und höchsten Lebensfragen
zu gewinnen.
Diese philosophisch-poetische Entwicklung, in der L. das Stoffliebe
immer mehr zurOckdrftngt, um dem Wesen der erkenntnistheoretischen Fragen
nahezutreten und an diese die Erage nach dem Werte aller Erkenntnis und
dem wahren Lebensgenüsse anzuknüpfen, ist in einer Reihe L. scher Bücher
niedergelegt, deren Tiefe und Bedeutung erst allmählig voll erkannt werden
wird. So in »Natur und Geist im Verhältnis zu den Kulturepochen« (Teschen
1884), in dem Buche »Die Muse des Glflcksc und »Moderne Einsamkeit«
(Dresden 1894). In zweien dieser Bücher, in der Skizzensammlung »Der
Abend zu Hause«, die der Dichter seiner teuem Freunrlin, der geistesver-
wandten Poetin Nfarie von Ebner-Esrhenbach gewidmet hat, und in der für
jetlen tiefer angeregten Leser überaus wertvollen Schrift '>Der NaturgcnuÜ,
eine Philosophie der Jahreszeiten«, sind die Perlen philoso[)hischer Betrach-
tung noch mehrfau:h an episch-kOnstlerischen Zügen aufgefädelt, wfthrend in
dem Buche der Betrachtung »Der grundlose Optimismus« das poetische
Empfinden lediglich der erkenntnistheoretischen Untersuchung den Puls und
die Farbe, gibt und der philoso|)hischc Gehalt den ganzen Bau des Werkes
bestimmt. In der KniUitung zu dem ersterwähnten Werk spricht L. der leiden-
schaftslosen kontemplativen Art, das Dasein zu nehmen, den W^ert des höch-
sten Lebensgenusses zu. »Das Leben«, sagt er da, »sperrt einen leeren Rachen
auf, der fortwährend mit unserem Tun, Wirken, Leben, Geniefien gefüllt sein
will, um uns nicht zu verschlingen. Das heißt mit anderen Worten: das
Leben an und für sich ist nur Langeweile, l'nsere Zerstreuungen, Ver-
gnügungen, Beschäftigungen flicnen nur da/u, uns das Leben vergessen zu
machen. Jeder hat seine bestimmte Lebenszeit, Zeitvertreib ist daher Lebens-
vertreib.« »Dennoch«, heiflt es weiter, »hat uns die Natur eine Anhänglichkeit
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Lorm.
363
an dies öde leere Leben eingepflanst Der Mensch ist immerdar
ein Kind, das, wenn es noch so spät geworden, nicht gerne schlafen geht . . .
Naturwissenschaft und Philosophie werden sich noch hinge mit diesem Wider-
spruch zu beschäftigen haben . , .« Ks gibt aber einen Zustand, in dem die
Ausgleichang dieses Widerspruchs wenigstens ahnungsweise aufdämmert, und
dieser Zustand, der etwas märchenhaftes hat, ist die selbstgewählte Einsam-
keit, die L. einem »kuriosen Einkehrwirtschaftshaus vergleicht, das aufierordent-
liche Genüsse bietet und das doch von jedermann gemieden und nur in dem
Falle aufgesucht wird, wenn ein gar zu stark losbrechendes Wetter keine
andere Zuflucht übrig läßt«. I)aü diese Genüsse nicht illusorisch, vielmehr
Befreiung von jeder Illusion und die zuversichtlichsten Freuden sind, die dem
Sterblichen beschieden sein kOnnen, erweist er durch eine herzbewegende
Spiegelung dieses stillen Glfickes in seinem köstlichen Buche »Der Natur-
genuß«. An der Heilung eines vom Leben Verwundeten wird da die trost-
reiche Kraft der stillen Hini^ehimg an das Naturleben überzeugend offenbart.
Bei der Lektüre dieses merkwürdigen Buches hat man das (lefühl, tlalJ das
Unausgesprochene, das in Stifters »Studien« liegt, hier zu Worte gekommen
ist — dort die kOnstlerisch verschleierte Philosophie, hier die philosophisch
veihollte Kunst.
Wenn aber hier noch die ästhetische .Auffassung des Lebens überwiegt,
so erfüllt L. in seinem Buche Der grundlose Optimismus« die Aufgabe, die
er in seiner V'orredc im »Abend zu Hause« noch vertagte und die ihn offen-
bar viele Jahre innerlich beschäftigt hat: er geht an den sein ganzes inneres
Leben zusammenfassenden Versuch, die ethischen Kimsequenzen kontern-
plativen Verweilens einleuchtend zu machen und den Quietismus, wie er ihn
foflt, nämlich »die Ruhe der Leidenschaft«, die mit Lässigkeit der Pflicht-
erfQllung und Untätigkeit des Geistes nichts zu schaffen hat, als die wahre
Quelle des sittlichen Lebens aufzuweisen. Einen mühsamen, steilen und
hochinteressanten Weg geht L. in diesem »Buche der Betrachtung«, um
an ein Ziel, bei dem er sich beruhigt, zu gelangen. Der grundlose Opti>
mismus ist die volle Auflösung der pessimistischen Lebensdissonanzen, die
ans manchen seiner früheren Werke hervortönten. Um zu dieser Auflösung zu
gelangen, trennt er zunächst den flachen Lebenspessimismus, der im Grunde
nur die banale Antwort auf die banale Krage: »Wie geht es Ihnen?« ist,
von dem tiefen und furchtbar ernsten wissenschaftlichen Pessimismus, der an
die engen Grenzen der Erkenntnis heranführt und als dessen Hauptverireter
er Kant ins Auge iaflt
Was die Grenzen unseres Erkennens a prhri anlangt, stellt sich L. in
seiner tiefgreifenden Ausführung ganz auf den Boden der Kantschen »Kritik
der reinen Vernunft«, er wider^^etzt si( h aber der »Kritik der praktischen
Vernunft«, die nach seiner ( berzeuguiig zuletzt doch wierler einen W-rsuch
macht, das Meinen zum Wissen zu erheben. Daran reiht sich eine ungemein
scharfe Kritik der Hegeischen Ideenlehre, der Schellingschen Naturphilosophie,
der Schopenhauerschen Willenstheorie, der Hartmannschen Lehre vom Un-
bewußten und des Nietzscheschen Übermenschen. L.s Polemik gegen Nietzsche,
insbesondere seine .Auflehnung gegen den Nietzscheschen Prachtmenschen«,
ist eben so stark in den Argumenten wie im Temperament der .\bwehr. An
diesem Kampfe fesselt nicht nur die Führung der geistigen Waffe, sondern
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LOIID.
auch das Ringen starker Persönlichkeiten, das einen geschichtlichen Eindruck
macht.
Der Gang durch alle Systeme aber führt den Denker zur Idee der reinen
Vernunft als grundlosem Optimismus, die als Sehnsucht in uns gelegt ist
Aus der Spaltung der menschlichen Natur in ihre verstandesmifiig erkenn-
bare und in die nur in der höchsten Sehnsucht der Vernunft vorhandene und
sonst unerkennbare Beschaffenheit erklärt er das Schamgefühl der Menschen
in beiden Richtungen; der wahre Edelmut tue das (iute im \ erborgenen,
als schäme er sich, das Unerklärliche seines Tuns den Augen der V'erstaiides-
mäfligkeit, als etwas ihr Fremdes, Nichtzugehöriges preiszugeben. Ebenso
suche die materielle Persönlichkeit, solange sie noch unverdorben, also vom
Intelligiblen überhaucht ist, ihre bloß körperliche Beschaffenheit und, was
dem intelligiblen Anhauch als rla>< niedrigste Werkzeug der gemeinen Natur
offen widerspricht, mit unbesieglicher S( hani zu verbergen. Die menschliche
Natur ist für L. in einen sich überall autdrängenden Pessimismus und in
einen magischen unerklirlichen Optimismus serfallen, jener ist der Egoismus,
die Erhaltung des Selbst, dieser die Selbstverleugnung, die Oberwindung der
Natur. Der mystische Vereinigungspunkt der Gegensätze ist ihm das Gemüt,
das, vom grundlosen Optimismus verlassen, zur Klaviatur der Leidenschaft
wird, untl das, von ihm durchleuchtet, auch in Naturen, die sich nicht der
Erkenntnisgrenze in der Richtung auf das Unendliche bewulit werden, als
ein mächtiger Trieb walte, nämlich als die reine Herzensgüte. Ohne
durch den Pessimismus, durch die Verneinung des Willens zum Leben hin-
durch zu gehen, gelangen solche Naturen in den Besitz des Unerkennbaren
und zum Willen für das Leben Anderer. Wie Kant vor dem Begriffe der
Pflicht, bricht L. vor der F>rscheinung der Herzensgüte zum Schlüsse seines
Buches, das mit dialektischer Scharfe alle Anmaßungen vom Weissen des
Guten abgelehnt hat, in einem Hymnus aus, der in den Worten gipfelt:
»Der Anblick der reinen Herzensgute ergreift und erschüttert tiefer als die
Ideen des Denkers und die Wo'ke des Genies . . . .«
L. gehört zu den Schriftstellern, die in ihrer allmShligen Vertiefung zu
einer Harmonie des Denkens und Kühlens gelangten, zu der die, von der
Flut flüchtiger Interessen umrauschte Leseweh nur langsam zu folgen vermag.
Der Schatz von Gedanken aber, der in seinen philosophischen Schriften liegt,
die Fülle der Empfindung in seinen melodischen, feingestimmten Gedichten,
in denen die Gemütsquelle seiner Philosophie rein zutage tritt, gewinnen
immer mehr genußfreudige und dankbare Anhänger. Dieser blinde Seher
hat für lange hinaus geschaffen und den Menschen, die der Sammlung und
des Genusses der Selbstüberwindung fähig sind, Unverlierbares geboten. Und
selbst über die Fülle dieser Darbietungen hinaus ist nach seinem Tode noch
manches von der reichen Ernte seines Innenleb«ns zu erwarten. Die Heraus-
gäbe seiner Briefe durch Prof. Dr. August Sauer und die Veröffentlichung
seines Nachlasses durch Philipp Stein, die für die nächste Zeit bevor-
stehen, werden uns noch mit manchen wertvollen Urkunden seines Innen-
lebens vertraut machen. Beide Herausgeber werden durch L.s Tochter Marie,
die dem Dichter und Denker bei seinem Schaffen mit freudiger Üpferwillig-
keit zur Seite stand, wesentlich unterstützt.
Alfred Rlaar.
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von Delbrück.
Delbrück, Martin Friedrich Rudolf von.') ♦ 16. April 1817 zu Berlin,
f I. Februar igo^ ebenda. — Rudolf von I). gehörte zu den grodcn Männern,
deren Namen für alle Zeiten unlösbar mit der Cieschichte der Wiedergeburt
Deutschlands im 19. Jahrhundert verbunden sein werden. Sein Lebenswerk be-
stand zunächst in der Sicherung und dem Ausbau der wirtschaftlichen Einigung
Deutschlands im Zollverein und später im Reich; sein Lebenswerk war femer
die Neugestaltung der deutschen wirtsrhaftspolitischen desetzgebung in dem
freiheitlichen Geiste, der für die erwachende wirtschaftliche Kraft und Initiative
des deutschen Volkes die Balinen erschloß; und nicht das letzte seiner Ver-
dienste war die unmittelbare Mitwirkung an der politischen Einigung Deutsch-
lands im neuen Reiche, für die der wirtschaftliche Zusammenschluß im Zoll-
verein die unerläßliche Vorarbeit gewesen war. Sein reiches und mit der
vaterländischen (Icschichte auf das engste verflochtene Leben kann natürlich
in dieser Ski/ze nur im großen Umriß zur Darstellung gebracht werden,
D. selbst hat zwei Bände »Lebenserinnerungen« hinterlassen (Leipzig, Duncker
& Humblot, 1905), die allerdings nur bis zum Jahre 1867 reichen und mithin
nur die Periode des Delbrflckschen Wirkens bis zur Begründung des Nord-
deutschen Bundes, nicht auch Delbrücks Tätigkeit in Bund und Reich um-
fassen. Aber auch in dieser zeitlichen Beschränkung sind die Lebenserinne-
rungen D.s nicht nur als Autobiograj>hie sondern als (}eschichtswcrk von
außerordentlichem Werte. Der Nationalökonom (). Schmoller hat den ersten
Band der »Erinnerungen« als »eines der wertvollsten Denkmäler der preußischen
Beamten-, Geistes und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts«
bezeichnet, und der Historiker M. Lenz hat über das Gesamtwerk geschrieben:
^Das Ganze ist nach meinem Dafürhalten eine der wertvollsten Quellen zur
Geschichte unserer Einheitsbewegung, ja mehr als das, die Darstellung bereits
selbst eins der wert\ ollsten Kaj)itel aus unserer neueren Geschichte.«
Rudolf Delbrück wurde am 16. April 1817 in Berlin geboren. Seine Familie
war niedersächsischer Herkunft Ururgrofivater und Urgroflvater waren Geist-
liche gewesen. Der Grofivater war im Jahre 1783 als »advocafus aaiae* und
Ratsmann in Magdeburg gestorben. Rudolfs Vater hatte Theologie studiert;
im Jahre 1800 war er zum Erzieher des preußischen Kronprinzen, des nach-
maligen Königs Friedrich Wilhelm IV. bestellt und einige Jahre später auch
mit der Erziehung des Prinzen Wilhelm, des nachmaligen Königs und Kaisers,
betraut worden. In dieser seiner Stellung erwarb sich der Vater Delbrück das
besondere Vertrauen und Wohlwollen des Königs Friedrich Wilhelm III. und
der Königin Luise; er hatte Gelegenheit, in jenen bewegten Zeitläuften allen
Personen nahe zu treten, die durch Geburt, amtliche Stellung und wissenschaft-
liche Bedeutung damals in Preußen hervorragten; für den Lebensgang des
Sohnes ist das nicht ohne Bedeutung gewesen. Nachdem im Jahre 1809 die
Tätigkeit als Erzieher bei den Prmzen ein Ende gefunden hatte, machte der
Vater D. gröflere Reisen und widmete sich privaten Studien. Im Jahre 1815,
in bereits vorgerücktem Lebensalter, vermählte er sich mit der Tochter eines
Bürgers und Hausbesitzers in Potsdam.
Bald nach der Geburt Rudolfs siedelte die Familie nach Zeitz über, wo
der Vater D. die Stelle des Superintendenten übernahm. Bereits im Alter von
*) Totcnliste 1903 Band VIII 14*
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366
von Delbrttck.
6 Jahren verlor Rudolf seine Mutter, im Alter von 13 Jahren auch seinen
Vater; er wurde in dein kinderreichen Hause seines Oheims (iottlieb Delbrück
untergebracht, der im Jalvrc 1831 zum Kurator der Universität Halle ernannt
wurde. Am Pädagogium in Halle bestand Rudolf im Heibst des Jahres 1 833
die Abgangsprainng. An den Universititen Halle» Bonn und Berlin widmete
er sich juristischen, historochen» geographischen und volkswirtschaftlichen
Studien. Als den SchwerpunV:t seiner Studien bezeichnet er selbst die Oe-
se hichte, insbesondere die Beschäftigung mit dem I-esen und Exzerpieren
diplomatischer Aktenstücke aus der Zeit Heinrichs l\\ und Ludwigs XIII. von
FraakreldL »Diese Studien«, so schreibt er in seinen Erinnerungen, »sind
mir in meiner späteren Laufl>ahn von grofiem praktischen Nutzen gewesen,
weil ich an einer langen Reihe klassischer Vorbilder lernte, wie Instruktionen
an diplomatische Agenten, Berichte solcher Agenten an ihren Hof, diplo-
matische Noten und Protokolle zu schreiben sind." Aus jener Zeit seiner
Arbeiten in Rankes historischem Seminar datiert D.s Bekanntschaft mit den
späteren Historikern Waitz, Sybel, Wilhelm Giesebrecht u. a.
Die historischen Studien hatten in D. die Neigung geweckt, den aus-
wärtigen Dienst zu seinem Berufe zu machen. Die geringen Aussichten in
diesem Dienstzweige veranlaßten ihn jedoch, den Bäntritt in die innere Ver-
waltung ins Auge zu fassen. Entscheidend dafür war eine Besprechung, die
er mit dem Direktor im Auswärtigen Ministerium, Kichhorn, über die Berufs-
wahl hatte. Er hat seinen Entschluß niciit bereut. »Ich habe dieser Unter-
redung« — so schreibt er — »später olt gedacht, wenn ich mitunter in den
nämlichen Räumen, in welchen sie stattfand, an der Gestaltung unserer aus-
wärtigen Beziehungen mitwirkte. Ohne dem Auswärtigen Ministerium anzu-
gehören, habe ich die Tätigkeit, welche ich mir damals gewünscht hatte, in
vollstem Malie gefunden.
Nachdem D. im März die erste und Ende 1838 die zweite juristische
Prüfung bestanden und im August 1839 sein Referendariatspatent erhalten
hatte, wurde er im September 1839 bei der Regierung in Merseburg ein-
geführt und dort in den verschiedensten Zweigen der Verwaltung beschäftigt
Während seines Militärjahres, das er in Berlin bei der Artillerie abdiente, be-
stand er im Juni 1S42 die dritte juristische Prüfung, der seine Ernennung
zum kegierungsassessor folgte.
Unmittelbar darauf wurde er von dem Generalsteuerdirektor Küline als
Hilfsarbeiter — zunächst allerdings nur fQr eine kurze Frist — im Finanz-
ministerium eingestellt (24. Juli 1843). Kühne war unter dem Finanzminister
Maafien hervorragend an der Gründung des Zollvereins beteiligt gewesen.
Unter Kühne, zu dem er bald in ein enges, persönliches \'erhältnis trat, hatte
D. hauptsächlich CIowerbestcuer-Kontraventionssachen zu bearbeiten, eine
Materie, die ihn zwar mit den Details der Steuerverwaltung vertraut machte,
ihn aber im übrigen nicht allzusehr reizte. Bereits im Sommer 1843 trat er
in die Abteilung für Handel und Gewerbe Ober. Diese stand damals unter
der Leitung Heuths, den D. »den Erzieher der preußischen Gewerbsamkeit«
nennt. Hier hatte er zunächst die Angelegenheiten der Verkehrsanstalten in
tlen beiden westlichen Provinzen, später die technischen Gewerbesachen zu
bearbeiten; in dieser Stellung fertigte D. das erste Patent aus, das der da-
malige Artillerieleutnant Werner Siemens erhielt.
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von Delbrtick. ^iSj
Eine kurze Beschftftigang in der Handelsabteilung des Finan/.ministeriams,
während welcher er insbesondere eine Denkschrift über die Beziehungen des
Zollvereins zu den Vereinigten Staaten von Amerika auszuarbeiten hatte, leitete
seinen Ubertritt in das am i. Sept. 1844 neu errichtete Handelsamt ein. Das
Handelsamt war eine Halbheit an Stelle eines HandeUnunisteriums» zu dessen
Errichtung der König sich damals nicht entschlieHen konnte; D. bezeichnete
es als eine »Behörde, welche anregen und begutachten durfte, aber nichts
anzuordnen und auszuführen hatte«. Für D.s persönliche Ausbildung jedoch
war die Beschäftigung in dieser neuen Behörde, innerhalb deren ihm die
Bearbeitung der auswärtigen Handelsbeziehungen überwiesen wurde, von dem
gröfiten Nutzen. Er selbst schreibt:
»In keiner anderen Stellung wftre es mir möglich gewesen, meiner Aus-
bildung diejenige Reife zu geben, welche dieselbe während meiner jV^jährigen
Beschäftigung beim Handelsamt erhielt; denn in keiner anderen Stellung hätten
mir die gleichen Mittel und die gleiche Zeit dafür zw Gebote gestanden.«
Der Gegenstand seiner Studien war einerseits die kommerzielle Gesetzgebung
des Auslandes, andrerseits die Lage der einheimischen Industrie, von der er
sich insbesondere audi durch den Besuch und die eingehende Besichtigung
zahlreicher Fabriken ein Bild zu machen suchte.
Diese ruhige Ausbildungszeit kam D. in ganz außerordentlichem Mafie
zugute, als er im April 1848 in das damals endlich ins Leben gerufene Handels-
ministerium übertrat, in welchem er im Febr. 1849 zum Regierungsrat und
bereits im Mai desselben Jahres zum Geheimen Regierungsrat und vortragenden
Rat ernannt wurde. In dem neuen Ministerium fiel D. unter den verschiedmien
Ministem, die im Jahre 1848 einander ablösten, und schliefilich unter dem
Minister v. d. Heydt infolge seiner Kenntnisse und Arbeitsfähigkeit alsbald
eine besondere Stellung zu. Er war von nun an die treibende Kraft der
preußischen Handelspolitik.
Die Zeiten für den Zollverein und für Preuüens handelspolitische Stellung
in Deutschland waren damals von kritischem Emst. Seit einem Jahrzehnt
war die Entwicklung des Zollvereins zum Stillstand gekommen. Es hatte
den Anschein, als ob nichts mehr recht gelingen wollte. Der Versuch, durch
die Beiziehung Hannovers das Gebiet des Zollvereins zu ergänzen, war im
Jahre 1840 gescheitert. Die \'erhandlungen mit auswärtigen Staaten über eine
Regelung der Handelsbeziehungen stockten oder schleppten sich mühsam und
ergebnislos dahin. Im Innern des Zollvereins herrschten Meinungsverschieden-
heiten zwischen den beteiligten Staaten über Schutzzoll und Freihandel,
welche die zeitgemäße Fortbildung des Vereinstarifs verhinderten. Ja selbst
zwischen den einzelnen preußischen Ressorts bestanden Streitigkeiten über
die Opportunität einer differentiellen Politik in bezug auf Handel und Schiff-
fahrt. Diese Stagnation, die überall in Deutschland die Freude am Zollverein
verdarb, ging in eine akute Krisis über, als Österreich im Jahre 1849 begann,
sich aus Gründen seiner großdeutschen Politik in die Verhältnisse des Zoll-
vereins einzumengen.
Der österreichischen Politik war erst verliältnismäßig spät ein Licht dar-
über aufgegangen, in welchem Maße Preußen durch den Zollverein seine
Stellung in Deutschland befestigte und seiner i)olitischen Vorherrschaft den
Boden bereitete. Erst als der Fürst Metternich in der Leitung der öster-
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von Delbrttck.
reirhisrhcn Politik (lur< h <!on Fürsten S< hwarzenberg abgelöst worden war,
licÜ Österreich seine bisherige ( ilcichgültigkeit und Passivität gegenüber dem
Zollverein fallen. Dem Fürsten Schwarzenberg erschien für die Erreichung
seines politischen Zieles — »Grofideatscbland unter der Leitung GesamtOster-
reichs« — der handelspolitische Zusammenschlufl zwischen Osterreich und den
übrigen deutschen Staaten als die notwendige Voraussetzung. Für Preußen
war die v(»ti (")sterrcich seit 1S40 mit aller Fnergic verlangte Zolleinigung
mit Österreich aus jiolitisc heu (iründen unannehmbar; nicht minder aus wirt-
schaftlichen Gründen, denn bei der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Ent-
wicklung und 'der wirtschaftlichen Interessen mußten die beiden Parteien gans
entgegengesetzten handelspolitischen Zielen zustreben, Preußen einer mehr
freihändlerischen, Osterreich einer streng protektionistischen Ordnung. PoH-
tisch und wirtschaftlich aber konnte Österreich auf die Unterstützung der
süddeutschen Staaten rechnen, deren Machtstellung Treufien gegenüber des-
halb eine besonders große war, weil sie — solange Hannover und Oldenburg
außerhalb des Zollvereins standen — die Brücke zwischen den beiden Hälften
der preußischen Monarchie bildeten.
Die von Österreich gemachten detaillierten und ausführlich begründeten
Vorschläge faßten eine stufenweise Herbeiführung der Zolleinigung ins Auge.
»Der Plan war gut ausgedacht. Er blendete durch sein großes Ziel, er schien
ohne erhebliche Schwierigkeiten ausführbar zu sein, er versprach dem Verkehr
des Zollvereins greifbare, mit jeder Periode steigende Vorteile, er verhieß die
Bildung einer handelspolitischen Macht, welche durch das Sdiwergewicht
ihrer geographischen Lage und ihrer 70 Millionen Angehöriger nicht ihres-
gleichen in Europa hatte. Daß er, schon vom Beginn seiner Ausführung an,
dem Zollverein eine selbständige Handels]>olitik unmöglich machte und
Preußen jeiier eigenen Aktiiin l)LTaubte, schadete ihm außerhalb Preußens
sehr wenig, die schutzzOilnerischen Bestrebungen in Süddeutschland und die
politischen Tendenzen der Mittelstaaten fanden bei ihm ihre Rechnung. Daß
er fttr uns unannehmbar sei, stand außer Frage, die Frage aber war, wie wir
ihm begegnen sollten.«
D. war sich von vornherein darüber klar, daß man dem österreichischen
Vorschlag nicht mit einer glatten Ablehnung entgegentreten könne, sondern
nur mit Gegenvorschlägen, welche sich die berechtigten Wünsche nach einer
wesendidien Erleichtorang des Handelsverkehn zwisdien Ostwreidi und dem
Zollverein aneigneten. Der Vorschlag der vollständigen SEolleinignng zwisdien
beiden Teilen wurde also mit dem Vorschlage einer Annäherung des öster-
reichischen Zolltarifs an denjenigen des Zollvereins unter Abschluß eines
Handelsvertrags beantwortet. Außerdem aber suchte I). den Zollverein gegen-
über den österreichischen Aspirationen in sich selbst zu festigen, und dafür
war, solange die Festigung nicht durch den territorialen Ausbau herbeigeführt
werden konnte, der damals infolge einer zwischen Preußen und Hannover
herrschenden politischen Verstimmung unmöglich war, dtx einzige Weg eine
zeitgemäße Reform des Vereinstarifs. D. führte in jener schwierigen Zeit
die Verhandlungen auf fliesen verschiedenen Gebieten. Er wurde im Früh-
jahr 1850 zu Verhandlungen mit flen österreichischen Staatsmännern nach
Wien geschickt, er vertrat als Bevollmächtigter Preußens dessen Tarifvor-
schläge auf der Generalkonferenz des Zollvereins in Kassel, und schließlich
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von Ddbrtlck.
369
nahm er als handelspolitischer Sachverstäiuliger Preußens an den Ende 1850
in Dresden zusammen fjetretenen »freien Konfertmzcn« teil. Obwohl ein posi-
tiver Erfolg bei der Haltung der süddtnitscht-n Staaten und bei der durch
die territoriale Zerrissenheit bedingten Schwäche der preuüischen Position
nicht za enielen war, obwohl die Tage von Olmütx eine stark deprimierende
Wirkung auf den Vorkämpfer der handelspolitischen Hegemonie Preuftens
ausüben mußten, verlor D. nicht den Mut, bis ihm schliefllich der in aller
Stille vorbereitete entscheidende Zug gelang.
In Hannover hatten politische und finanzpolitische Sorgen eine günstigere
Stimmung für einen Zusammenschluß mit dem Zollverein aufkommen lassen.
D. benutzte seine Anwesenheit bei den »freien Konferenzen« in Dresden, um
mit dem hannoverschen Sachverständigen, dem Generalsteuerdirektor Klenze,
Fühlung zu nehmen und in vertrauliche Besprechungen einzutreten, die ganz
geheim geführt wurden und schließlich im August 1851 in Magdeburg bei
der Gelegenheit von Beratungen über die Klbschiffahrtsverhältnisse, bei denen
abermals I). und Klen/.e ihre Staaten vertraten, zum Abschluß gebracht
wurden. Das Ergebnis des Vertrags war der Anschluß des »Steuervereins«
an den Zollverein. Damit war Preuflen und dem Zollverein audi fQr den
Fall des Ausscheidens sämtlicher süddeutscher Staaten ein Gebiet gesichert,
das an Geschlossenheit den Zollverein in seinem bisherigen Zustande erheblich
übertraf. Preußen erkaufte diese entscheidende Befestigung seiner Position,
indem es Hannover einen V' orzugsanteil an den Zolleinnahmen, eine Änderung
in der Besteuerung des Salzverbrauchs und eine Ermäßigung der Zollsätze
des Vereinstarih für wichtige Einfuhrwaren zugestand.
Der Vertrag zwischen Preuflen und Hannover wurde am 7. September 1851
unterzeichnet und alsbald den sämdichen Zollvereinsstaaten mitgeteilt. Preußen
hatte den V'ertrag ohne Zustimmung und Kenntnis dieser St^iaten abschließen
können, da er erst am i. Januar 1854 in Kraft treten sollte und da die Zoll-
vereinsverträge bei rechtzeitiger Kündigung am 31. Dezember 1853 abliefen;
und Preuflen war zu der Kündigung entschlossen, wenn sich nicht die süd-
deutschen Staaten bereit finden lieflen, auf die Zolleinigung mit Osterreich
zu verzichten und die Erneuerung des Zollvereins auf Grund des preuftisch-
hannoverschen Vertrags zu akzeptieren.
Es ist bekannt, daß diese Politik von einem vollen Erfolge gekrönt war.
Die Versuche einer Zolleinigung zwischen Österreich und den süddeutschen
Staaten scheiterten schon daran, daß C)sterreich nicht in der Lage war, den
süddeutschen Staaten ihre bisherigen Zollrevenuen zu garantieren. Osterreich
selbst verzichtete unter diesen Umständen vorläufig auf seinen Eintritt in
den Zollverein und leitete Verhandlungen mit Preußen über einen Handel»*
vertrag zwischen dem Zollverein und Osterreich ein. Die Verhandlungen, die
vom Dtzt-rnber 1S52 an in Berlin geführt wurden und an denen D. abermals
in erster Linie beteiligt war, kamen am 19. Februar 1.S53 zum Abschluß. Der
Handelsvertrag enthielt bedeutende ZoUermäßigungen und die gegenseitige
Meistb^lfinstigung. Eine platonische Konzession an die bisher von Oster-
reich verfolgte Politik war es, daß der Vertrag für das Jahr 1860 weitere Ver-
handlungen über eine völlige Zolleinigung in Aussicht nahm.
Nachdem nunmehr auch (")sterreich sich auf diese Weise mit Preußen
geeinigt hatte, blieb den süddeutschen Staaten nichts übrig, als sich in das
Bio^. Jahrbuch u. Dcut»cher Nekrolog. 9. Bd. 24
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von Delbrttck.
Unvermeidliche zu fügen und die Zollverein.sverträge auf der durch den
preußisch-hannoverschen und preußisch-österreichischen Vertrag gegebenen
Grundlage zu erneuern. Die im März 1853 mit den süddeutschen Staaten
wieder aufgenommenen Verhandlungen führten auf dieser Basis zu einem
raschen Al»chlufi. Der Zollverein ist also aus dieser schweren Krisis ver-
größert und gefestigt hervorgegangen.
Die während der kritischen Zeit auf Veranlassung Österreichs beim Bundes-
tag im Anschluß an die Dresdener Konferenzen stattfindenden handelspolitischen
Beratungen hatten D. vorübergehend nach Frankfurt geführt und ihn dort in
Beziehungen zu Otto von Bismarck gebracht. Am 10. Juli 185 1 hatte die
Bundesversammlung einen handelspolitischen Ausschuß eingesetzt, der auf
Andringen Österreichs beschlofl, am i. Oktober 1851 eine Konferenz von
Sachverständigen zusammentreten zu lassen. Preußen entsendete D., dessen
Haltung auf diesem Konferenzen durch den Satz gezeichnet ist:
»Je weniger wir die Absicht hatten, am Bunde etwas zustande zu brwigen,
desto weniger wollten wir den Schein absichtlidber Verschleppung auf uns
laden.« In dieser Politik bestand zwischen den Berliner Instanzen, D. und
Bismarck, vollkommenes Einverständnis, wie der folgende, vom 5. Okt. 1851
datierte Bericht Bismarcks an den Minister von Manteufiel zeigt (Poschinger
1, 44):
»leb habe mich mit D. dabin verabredet, daß er bi> aul Euerer Exzellenz ferneren
Befehl ün »AUireiiicinen« sich m allem bereit eikUit, im »Besonderen« es aber tu keinem
Abschluß kommen läßt, d. h. daß er sich auf dem Gebiete jener überaus wohlrcdenik-n und
zu nichts verbindenden Erklärungen bewegt, welche E^eufien Uber die Dre:>dener Verhand«
lungcn abgegeben hat.«
D. selbst berichtet über sein erstes Zusammenwirken mit Bismarck:
»Herr von Bismardc war wenige Wochen vor meiner Ankunft in Frankfurt tum Bunde»-
tagsgcsundten ernannt; ich fand ihn und seine Frau noch beschftfligt mit der Einiicbtung
der Villa, welche sie an der Kschenheimer Landstraße gemietet hatten. Wir waren uns in
Berlin nur !>ebr ilücbtig begegnet, erst in Frankfurt lernten wir uns kennen. Ich hielt ihn
fiBr einen TendenspoUtiker, der die Förderung der konservativen Interessen tum lehenden
Gesichtspunkt Air die Behandlung un<icrer Beziehungen zu den deutschen Staaten machen
werde, und war sehr angenehm Ül)errascht, als mir sehun nach einigen Tagen klar wurde,
daß meine Ansicht irrig gewesen sei. Er war Uber die Bedeutung des Septembers- ertrage
fltlr unsere Pdittk nicht im Zweifel, und ab er die Oberzeugung gewonnen hatte, dafi die
Erhaltung des hannoverschen Ministeriums für die Ausführung des Vertrags notwendig sei,
war er ra-rh cntsrbln^^cn, bei der am Bunde ^>invebendcn Beschwerde der hannoverschen
Frovinzialland>cbalteu gegen die Regierung da> konservative Interesse dem preußischen
Staatsinteresse zu opfern. Es kam nicht dazu, weil in Hannover die Dinge eine andere
Wendung nahmen; meine Meinung Uber ihn stand aber seit diesem Vorgänge fest, so wenig
sie auch datnuN von meinem Berliner Kreise geteilt wurde. Kr war angenehm berührt, daß
ich gar nichts von einem »Berliner Geheimrat« an mir hatte, und so befanden wir uns in
dem besten Einvernehmen.«
Die Jahre nach dem Abschlufl der glücklichen Überwindung der den
Bestand des Zollvereins bedrohenden Krisis brachten für D. zwar keinen
Müßiggang, aber doch eine gewisse Ausspannung. Das Jahr 1853 führte ihn
nach England und -\merika: sein Minister sentlete ihn als Kommissar zu der
damals in New-Vork stattfindenden Gewerbe- und Runstausstellung, mit dem
Nebenatifbag, in Washington über die im deutschen Interesse liegenden Ab-
änderungen des amerikanischen Zolltarifs zu sprechen. D. benutzte die Ge-
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▼on Dclbrtick.
37»
legenheit tu Orientierungsreisen nach Kanada sowie nach dem Westen und
Süden der Union. Im Mai 1855 ging er als stellvertretender Vorsitzender der
preußischen Ausstellungskomnüssion zur £rötfnung der ersten französischen
Weltausstellung nach Paris.
Neben dieser Tätigkeit, die das Angenehme mit dem Nützlichen verband,
galten die Arbeiten D.s in doaii Jahrzehnt nadi der Erneuerung der Zollver-
einsvertrige der weiteren Erleichterung und Sicherung der auswärtigen Handels-
beziehungen, der HerbeifQhning von Verkehrserleichterungen im Innern des
Zollvereins sowie der zeitgemftflen Ausgestaltung der wirtschaftlichen Gesetz-
gebung.
Schon in den Jahren der Zollvereinskrisis war unter D.s. wesentlicher
Mitwirkung ein Handelsvertrag mit den Niederlanden zustande gekommen,
unterzeichnet am 31. Dezember 185 1, »der umfassendste Handelsvertrag, den
Preußen jemals geschlossen hat«; er verwirklichte zum erstenmal das Prinzip
der unbedingten Meistbegünstigung für Handel und Schiffahrt. Um dieselbe
Zeit wurden Additionalkonventionen zu früheren Verträgen mit Belgien und
Sardinien abgeschlossen, die wesentliche Verkehrscrleichterungen brachten.
1855 bis 1862 wurden die wirtschaftlichen Beziehungen des Zollvereins mit
Mexiko, einer Anzahl südamerikanischer Staaten (Uruguay, Argentinien, Para-
guay, Chile) durch den Abschlufl von Handdsvertrigen geregelt Im Jahie
1862 folgte ein Handelsvertrag mit der Türkei. Im Jahre 1860 wurde eine
Mission unter dem (Irafen Fritz Eulenburg nach Ostasien geschickt, um sich
über die Bedeutung dieser (Icbicte für die Industrie und den Handel des
Zollvereins zu orientieren und Handelsverträge für den Zollverein, die beiden
Mecklenburg und die Hansestädte mit den wichtigsten Staaten abznschliefien.
Der Erfolg der Mission bestand in Handelsverträgen mit Japan, Qiina und
Siam. »Der sofort in die Augen fallende Gewinn lag in der Stellung, welche
wir als Großmacht neben Großbritannien, Frankreich, Rußland und Amerika
gegenüber den ostasiatischen Reichen errungen hatten, in der politischen
Vertretung des ganzen, nicht zu Osterreich gehörenden Deutschland, welche
Osterreich nicht hatte hindern können, und in dem Eindruck, welchen das
Erscheinen unserer Flagge und das Auftreten unserer Diplomatie auf die zahl-
reichen in Ostasien etablierten Deutschen machte. Ks war ein Stück glück-
licher akdver Politik, welches Preußen als gleichberechtigt mit den See-
mächten und als Träger der realen Interessen Deutschlands im fernen Orient
erkennen ließ.«
Über seinen eigenen Anteil an diesem Erfolg schreibt D.:
»Meine Mitwiilning bei diesen Vertilgen konnte sieb nur in engen Grauen bewegen.
Ich besprach mit Graf Eulenburg^ die bei der Aufstellung der EntwQrfe festzuhaltenden Gc-
sicht^-punktc. ich versah die kaufmännischen Bcjjfleitcr der Mission mit den natürlich sehr
allgemein gehaltenen VVeii>ungen, ich verfolgte mu dem Icbhatie^tcn Interesse den Gang der
Verhandlungen, und ich wirirtc mit bei den EntschlieSangen Aber die Eigebnisse. Erteilung
von Instruktionen im Laufe der Verhandlungen war selten mJljflich und selten mitijj, denn
eine telegraphische Verhinchmg ga\> es noch nicht, und die Antwort auf einen Hcricht aus
Ostasien fand in der Kegel nicht mclir die bei Abgang de» Berichts vorhanden gewesene
Lage vor, tagletch konnten wir Bbeneugt sein, daB unser Bev<dlniichtigter emichen werde,
was zu ericichcn miiglich war.c
Die Vcrkchrserleichterungen im Innern des Zollvereins, die in jener Zeit
unter D.s Mitwirkung durchgeführt wurden und die zum großen Teil au3
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von Delbrttck.
D.s Initiative hervorgegangen sind, bestanden havipt'^ärhlich in der Aufhebung
der Durchgangsabgaben und in der Beseitigung oder Ermäßigung der Schiff-
fahrtsabgaben auf den HtnnenwasserstraÜen. Insbesondere zu erwähnen ist
die erhebliche Herabsetzung der Rhein- und Elbxölle und der Schiffahrts-
abgaben auf Lippe und Ralur, die Aufliebung der Moselzölle und die Er-
mäßigung der Abgaben für das Befahren der Wasserstraßen zwischen der Oder
und KIbe und des Bromberger Kanals Dazu kain eine Reduktion der Hafen-
abgaben, insbesondere für die zwischen jireuliischen Hafen verkehrenden See-
schiffe. Auch die im Wege internatiunaler Vereinbarung erfolgte Aufhebung
des SundzoUes, durch die der deutsche Handel von einer ungerechten und
schweren Last befreit wurde, ist in erster Linie ein Verdienst D.s gewesen.
Bei der inneren wirtschaftlichen Gesetzgebung jener Jahre war D., so sehr
auch der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der Handels- und Verkehrspolitik
lag, gleichfalls in erheblichem Umfange beteiligt. Aus seiner Feder stammt
der Entwurf zu dem Gesetz vom 17. Mai 1856, durch weh lies das Zollpfund
s= 500 g als allgemeines Landesgewicht in Preußen eingeführt wurde. Unter
seiner Leitung sind femer die beiden im Jahre 1861 Gesetz gewordenen
Novellen cur Gewerbeordnung ausgearbeitet worden, durch die zahlreiche
unhaltbar gewordene Beschränkungen des Gewerbebetriebs aufgehoben oder
wenigstens gemildert wurden. Auch an dem Zustandekommen des deutschen
Handelsgesetzbuchs, das im Jahre 1861 aus schwierigen und hingwiengen
Konferenzen der deutschen Bundesstaaten hervorging, hat ü. einen wesent-
lldien Antdl. Das gleiche gilt von allen denjenigen Mafinahmen und Ge-
setzen, die sich in jener Zeit auf eine Ordnung des MOna-, Papiergeld- und
Bankwesens richteten. Insbesondere war er beteiligt an der im Jahre 1856
vorgenommenen Neuorganisation der l'reußischen Bank, welche damals ihre
für die spätere Reichsbank in den meisten Punkten vorf)ildlich gewordene
Verfassung und die durch das gesteigerte Kreditbedürfnis der wachsenden
Volkswirtschaft gebotene Bewegungsfreiheit erhielt; femer an der gleichzeitigen
Beschrankung der Ausgabe des preuflischen Staatspapiergeldes und des Um-
laufs der außerpreußischen Papiergeldaeichen, der sog. »wilden Scheine«;
schließlich an dem Wiener Münzvertrag vom 24. Januar 1857, durch flen das
deutsche Geldwesen soweit einheitlich gestaltet wurde, als es ohne die Grund-
lage der politischen Einheit möglich war. Das preußische Münzgesetz vom
4. Mai 1857, durch welches das preußi.sche Geldwesen entsprechend den Be-
stimmungen des Wiener Münavertrags neugestaltet wurde, ist von D. verfafit»
der sich allerdings vergeblich darum bemOhte, bei dieser Gelegenheit die
Zwölfteilung des GfOsdiens durch die dezimale Einteilung zu ersetsen.
Wer D. wegen seiner liberalen wirtsc haftspolitischen Anschauungen för
einen Doktrinär hält — bei uns in Deutschland ist es ja Sitte geworden, den
wirtschaftlichen Liberalismus als doktrinär zu bezeichnen — , der möge sich
die Mühe nehmen, die Ausführungen nachzulesen, die D. in seinen Lebens-
erinnerungen bei der Besprechung der dem Wiener MUnzvertrag von 1857
vorausgegangenen Verhandlungen über den damals von Oaterreich zur Dis-
kussion gestellten Vorschlag auf Übergang zur Goldwährung macht. Bekannt-
lich hat I). nach der Gründung des Reichs auf das lebhafteste den Übergang
zur Goldwährung vertreten; die Gegner behaupten, aus theoretischem Doktri-
narismus. Wie wenig das der Fall war, wie sehr vielmehr D. die wirtschafts-
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von Delbrück.
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politischen Fra^an nacli der praktischen Sachlage beurteilte, zeigt seine Be-
gründung der ablehnenden Haltung, die damals — im Jahre 1854 — Preußen
gegenüber dem österreichischen Vorschlage einnahm.
Wir kannten — so schreibt D. — sebr wohl die Vorsflge, welche das Gold als Mttn»*
mctall vor dem Silber voraus hat, wir waren uns der Vorteile wohl bcwuflt, welche die
Goldwährung fUr den internationalen Verkehr darbietet, aber wir konnten an- diesen \'nr-
zUgcn und \'ortcilen ein Bedürfnis nicht herleiten, unser wohlgeordnetes MUnzweacu unter
Aufwenduncr sehr groSer Mittel durch ein anderes xa ersetzen. Und die Annahme eines
gans neuen MUnzsystems wurde von uns verlangt Zwar gestattete der Vorschlag den über-
gangf rur Doppehvahriinpf. aber für dic-c- Sv^tein erhol) sieh keine Stimme; die Erfahrungen,
welche Frankjeich gerade damals mit scaner Doppclwährung machte, würden allein schon
vor derselben zortlckgeschredct haben. Es blieb nnr die Einfidmuig der reinen Goldwihrung
flbrijr. Oie Voraussetzungen, durch welche 17 Jahre spftter diese Maflregd möglich gemacht
wurde, waren damals nicht vorhanden. Die 660000 kg GoJd, welche im Laufe dieser Jahre
gewonnen wurden, lagen noch im Schöße der Erde, und wir befanden uns nicht im Besitze
der gewaltigen, in Gold realisierbaren Forderungen, welche uns im Jahre 1871 die franzö-
sische Kriegskostcnentadildigung suflihrte. Oberhaupt aber war die Goldwthrung in einem
Verein souveräner Staaten nur denkbar, wenn gleichzeitig auf die Umlaufsfähigkeit der von
den einzelnen Staaten geprägten SilbermUnzen in dem Verein verzichtet wurde. Denn da
diese Münzen unterwertig ausgebracht werden mußten, so durften sie nicht in größeren
hlengen ausg^eprtgt werden, als zur Attsgfleiehungf der kleinen Zahlungen unbedingt erforder-
lich war, und da die Abmessung dieser Menge, in Ermangelung einer Zentralinstanz, den
einzelnen Staaten Uberlassen werden mußte, so hätte eine Gewehr für die Aufreehterhaltung
der Goldwährung nur in dem gegenseitigen Verbote des Linlaul» von Silberuiuuzeu ge-
funden werden kOnnen. Nicht eine Verbesserung, sondern eine kaum ertrtgltche Ver-
sdüechterung des bestehenden Zustandcs wUrde eingetreten sein.«
Während der geschilderten Periode des Ausbaus des Zollvereins erfuhr
auch die äußere Stellung D.s eine Veränderung; er wurde im Oktober 1859
zum Mini.steriaidirektor ernannt. Über seinen Cieschaftskrei.s und über das
Ziel, daü er in der neuen Stellung verfolgte, führt D. in seinen Erinnerungen
folgendes aus:
»Die Ministerialabteilung, zu deren Direktor ich ernannt wurde, überragte damals durch
die Vielseitigkeit ihres Geschäftskreises alle anderen Ministerialabteilungen: sie umfaSte die
Gesamtheit der wirtschaftlichen Interessen des Landes mit Ausnahme der landwirtschaft-
lichen, die HandelsverhiUtniase zum Auslände und die Besteuerung des \'erkehrs mit dem-
selben, die Abgaben vom inneren Verkehr, die Einrichtungen zur Förderungr des Handels,
der Schiffahrt und der Gewerbsamkeil, die gesamte Gewerbepolizei, mit Ausschluß der
Preß- und Schankgcwerbe, die gewerblichen L'ntcrrichtsanstalten. einschließlich der Schiff-
fahrtsschulen, das Geld- und Bankwesen, Maß-, Gewichts- und Eichungswesen waren ihr
flberwiesen, bei einem Teil dieser Materien unter Mitwhrknng des Finanz- oder Auswärtigen
Ministeriums. . . Über das Ziel, welclie^ h in meiner neuen Stellung zu verfolgen hatte,
war ich keinen Augenlilick im Zweifel. Ks g.ilt die Befreiung des Wirtschaftslebens durch
Aufhebung oder Erleichterung von Be>chrankungen oder Lasten, welche der inneren Be-
rechtigung entbehrten» oder eine Ermäßigung ohne Gefthrdung des aUgemeincn Interesse
suliefienc.
FQr die Arbeit D.8 nach dieser Richtung hin eröffnete sich eine neue
Är;i mit dem am 23. Januar 1860 abgeschlossenen Handel.svertragc zwischen
England und Frankreich. Mit diesem Vertrag beseitigte Englantl seine sämt-
lichen noch vorhandenen Schutzzölle und ging, indem es nur noch Finanzzolle
bestehen liefi, zum reinen Fiethandelss]rstem Aber. Franlcrdch beseitigte seine
Binfuhrverbote und gestand beträchtliche Ermftfligungen seiner Einfuhrzölle
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von Ddbrtkk.
zu. Außerdem enthielt der Vertrag das Prinzip der gegenseitigen Meist-
begünstigung, Der Vertrag, durch den das protektionistische Frankreich mit
seiner bisherigen Absperrungspolitik brach, erregte in der ganzen Welt das
grOflte Aufsehen und brachte die handelspolitischen Fragen flberall aufs neue
in Flnfl.
Für den Zollverein war die Teilnahme an den Verkehrseri^chterungen,
die Frankreich gegenüber England zugestanden hatte, geradezu eine Lebens-
frage.
»Weder politisch noch wirtschaftlich würden wir, bei unserer geographischen Lage und
unterer entwickelten Geweibtamkeit, et haben wüig e n können, von dem tot uincrer Tftr
liegenden Markte dct reiehHen iMoAn dn Kontinents ausgeschlossen zu sein, wenn dIeMr
Markt, wie sicher zu erwarten war und tatsächlich eintrat, beinahe dem ganzen übrigen
Europa geöffnet wurde. Aber dieser Grund, so gewichtig er war, war nicht der allein
cnüclieidaid«. Von ileidhein Gewicht war die Olicneugung, dafi taaet Ttrif tidi llber-
Idit habe.«
Dam kam, dafi der englisch -französische Vertrag den Grundsatz der
gegenseitigen Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation ent-
hielt, der in dem Vertrage zwischen dem Zollverein und den Niederlanden
vom 31. Dezember i8f;i zum ersten Male in Anwendung gebracht und in
dem Vertrage zwischen Preußen und Österreich vom 19. Februar 1853 zur
vollen Anerkennung gekommen war. »Indem er jetzt fiir die Besiehungen
zwischen Frankreich und Großbritannien angenommen und als fQr die franzö-
sische Handelspolitik leitend vcrkOndet wurde, erhob er den Anspruch, die
Grundlage des europäischen Vertragsrechts zu werden, und diese Grundlage
war in hohem Grade willlcommen. Sie war der Ausdruck des handelspolitischen
Friedens zwischen den Nationen, denn sie verscliluß die Quelle der Ver-
stimmungen, welche die ausschliefiliche Bevorzugung der Einfuhr eines
Landes vor denen der Qbrigen Linder zur Folge hatte. Wir wufiten aus
eigener Erfahrung, daft solche Verstimmungen zum Zollkriege führen.«
Frankreidh zeigte sich alsbald nach Abschluß seines Handelsvertrags mit
England geneigt, Verträge auf gleicher Grundlage mit den übrigen Mächten
abzuschließen. Bei den Verhandlungen, die Preußen unter Zustimmung der
übrigen beteiligten Staaten für den Zollverein mit Frankreich zu Beginn des
Jahres 1861 einleitete, fungierte D. als einer der drei preuflischen Unter-
händler. Sein Ziel war die Teilnahme des Zollvereins an den Zugeständ-
nissen, die Frankreich England gegenüber gemacht und anderen Staaten
angeboten hatte, sowie eine allgemeine Tarifreform auf Grund des mit Frank-
reich abzuschließenden \ ertrags.
Aber auch dieser neue Fortschritt sollte nicht erreicht werden, ohne daß
der Zollverein eine neue schwierige Krisis zu überstehen hatte.
Als im Spätsommer 1861 die Verhandlungen zwischen Freufien und
Frankreich an einigen Tarifhragen ins Stocken gekommen waren, erschien
Osterreich von neuem auf dem Plan. Osterreich hatte zwar stillschweigend
auf die im Vertrage von 1853 für das Jahr 1860 in Aussicht genommenen
Verhandlungen über eine volle Zollunion verzichtet; jetzt aber erklärte es den
gesamten Handelsvertrag mit Frankreich, der diesem die Meistbegünstigung
hinsichtlich der künftig vom Zollverein gegenüber anderen Mächten zu
machenden Zugeständnisse in Aussicht stellte, als unvereinbar mit dem auf
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von Delbrück.
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die Herbeiführung der Zollunion zwischen dem Zollverein und Osterreich ge-
richteten Geiste des Februarvertrags von 1853.
In Preußen ging man über die Einwendungen Österreichs hinweg, nahm
die Verhandlungen mit Frankreich Anfang 1862 wieder auf und brachte sie
Ende März 1862 zu einem vorläufigen Abschluß. Das Ergebnis wurde in
einer Depesche vom 2. April 1862, die eine ausführliche von D. entworfene
BegrOndung des vorlAulig vereinbarten Vertrags enthielt, den Vereinsregierungen
mitgeteilt Nunmehr erhob Österreich einen formellen Kinspruch gegen den
geplanten Vertrag, und als es damit keine Wirkung erzielte, als die preußische
Regierung vielmehr, ohne sich um den österreichischen Protest zu kümmern,
den Vertrag mit Frankreich dem Landtage zur Genehmigung vorlegte, ent-
schloß sich Österreich zu einem äußersten Schritt und bot in einer Depesche
vom 10. Juli den Vereinsregieningen den Abschluß einer Handels- und ZolN
Union auf der breitesten Grundlage an. In diesem Augenblick war also»
Osterreich bereit, seine bisherige protektionistische Handelspolitik und die-
protektionistischen Interessen seiner Industrie seiner großdeutschen Politik ztt
opfern. Der österreichische X'or'^chlag wurde mit der Motivierung, daß er
ausgesprochenermaßen ^ine Abänderung des mit Frankreich vereinbarten
Vertrags involvieren würde, von Preußen alsbald ablehnend beantwortet Der
Handelsvertrag mit Frankreich wurde von den beiden Häusern des preußischen
Landtags genehmigt, vom Abgeordnetenhaus mit allen gegen 12 Stimmen,
vom Herrenhaus einstimmig, und am 2. August 1862 erfolgte die l'iiter-
zeichnung. Sachsen, die thüringischen Staaten und Oldenburg hatten bereits
vorher ihre Zustimmung erklärt, der Beitritt Badens, Braunschweigs und
Frankfurts schien gesichert. Dagegen lehnten Bayern, Württemberg und Hanno-
ver — in Unterstützung der Osterreichischen Politik — den Beitritt zu dem Ver-
trage mit Frankreich ab. Die von D. entworfene Antwort schloß mit der
Erklärung, daß Preußen die definitive Ablehnung deS Vertrags als den Aus-
druck des Willens auffassen müßte, den Zollverein mit Preußen nicht fortzusetzen.
Indem sich die preußische Regierung entschlossen 7:eigte, die Annahme
des von ihr abgeschlossenen, für die Entwicklung des Zoll Vereinstarifs höchst
wichtigen Vertrags mit Frankreich durch eine eventuelle Kündigung des
Zollvereins zu erzwingen, verfolgte sie dieselbe Politik, die ein Jahnehnt
zuvor bei Gelegenheit des hannoversdien Vertrags einen so glOcklichen
Erfolg erzielt hatte. Als jetzt die Krisis auf dem Höhepunkt war, trat Herr
von Bismarck an die Spitze der Geschäfte (24. September 1862). Dieser
benutzte die erste Gelegenheit, um vor dem Landtage sein volles Kinver-
ständnis mit der Handelspolitik des abgetretenen Ministeriums zu betonen,
und entsprechend dieser Erklärung wurden die handelspolitischen Fragen
von D. weiter behandelt Über sein Verhältnis zu Bismarck, mit dem D.
von nun an auf die Dauer zusammen zu arbeiten hatte, bemerkt D.:
»Meine guten Beziehungen zu Herrn von Bismarck waren in den zwölf Jahren seit
ihier Entstehung nicht unterbrochen gewesen. Solange er Bunde^gc^andter war, besuchte
ich ihn alljährlich von Mainz aus; er war in der Zeit meines Mainzer Aufenthalts regel-
mlBig Strahwitwcr, und idi bab« manche heitere und intcretsante Mittage, aoJt^te mit
ihm oder im kleinsten Kreise in seiner Wohnung in der Gallenstraßc erlebt. Nach seiner
Abberufung von Frankfurt .<ah ich ihn bei seinen Besuchen in Berlin wiccUr. Ich konnte
seines Einverständnisses mit unserer Handelspolitik sicher sein, sowohl nach ihrer wirt-
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von Delbrttek.
schaftitchcn Seite Um, denn er war, wie damals die ganze konservatn c Partei, Freihändler,
alt auch naeh ihrer politischen Seite hin, denn c« galt die Verteidigung unserer SttlluDC
im Zollverein gegen die Bilittelstaatcn nad 6steiTeich.c
In Konsequenz der geschilderten Politik kfindigte Preufien Ende 1863
die Zoll Vereinsverträge, indem es sich gleichzeitig zu deren Erneuerung auf
der Basis des mit Frankreich abgeschlossenen Vertrags bereit erklärte. Die
wirtschaftliche Notwendigkeit des Zollvereins war inzwischen auch in den
widerstrebenden Staaten und in den schutzzöllnerisch gestimmten Kreisen zu
einer so allgemeinen Anerkennung gelangt, und die finanziellen Vorteile des
Zollvereins für die beteiligten Regierungen waren so betrftditlich, daß gar
nicht daran zu <Ienken war, da6 irgend ein Staat sic^ der Erneuerung des
Zollvereins auf der von Preußen als conditio sine qua rwn angebotenen Grund-
lage würde entziehen können. In der 'l at erklärten die \'ereins5taaten im
Laufe des Jahres 1864 einer nach dem andern ihren Beitritt zur Erneuerung
des Zollvereins. Österreich gab sich mit einem neuen Handelsvertrag zu*
frieden, der am 11. April 186$ zum Abschlufi kam. Der neue Zollvereins-
vertrag sollte am i, Januar 1866 ins Leben treten und abermals für 12 Jahre
in Kraft bleil)en. Hie ]>olitischen Ereignisse der folgenden Jahre Heften es
anders und besser kommen.
D. hatte die Verhandlungen über den französischen Handelsvertrag mit
aller persönlichen Aufopferung nach den verschiedenen Seiten hin geführt
und durchgehalten, in welchem Mafle er mit diesem seinem Werke inner-
lich verwachsen war, das war am deutlichsten in Erscheinung getreten, als
ihm der König im Mai 1862 die Ernennung zum Handelsminister anbot.
D. lehnte, trotzdem der König mündlich und schriftlich auf diese Ernennung
zurückkam, die (^hernähme des Handelsministeriums ab. Über die Gründe,
die er dem König auseinandersetzte, sclireibt er:
»In meiner jetzigen Stellung, sagte ich, kann ich gerade jetzt dem Könige und dem
I.4uide mehr ntttsen, denn als Minister. Der Abschlufi mit Fruikreich ist unsere giOOie
handelspolitische Tat seit (Irtlndung des Zollvereins, ihre glückliche Vollendung ist für die
handfl^politisclic Stellung Preußens in Deutschland und in Kuropa entscheidend, und tlamit
auch für seine j>olitische Stellung von unzweifelhaftem Werte. Meine Beteiligung an den
dem Abschlufi vorhergegangenen Verhandlungen, meine Fachkenntnisse, meine Eifalirang
in Zollvereinsangelegenheiten, meine Bekanntschaft mit den auf der Bohne und hinter der
Buhne handelndei\ Pcisonlielikciten und das persönliche Vertrauen, welches mir auch unsere
Gegner schenken, inaclien mich, wie ich ohne Cberhebung sagen kann, zu dem fUr die
glückliche Vollendung geeignetsten Mann. Dasu gehört aber, dafi ich die Dinge toü-
stftndig in der Hand behalte; ist das der Fall, so glaube icb den Erfolg Terbftrgen an
kttnnen. Werde ich dagegen Minister, so muß ich einen andern an meine Stelle >^etscn
— wen, weiß ich nicht — und die allgemeine Direktion, welche mir verbleiben würde,
reichte nidit aus, um eine Garantie für den Erfolg zu ttbemehmen.c . . . »Was ich dem
Ktfnig gesagt hatte, bemerkt D. weiter, war meine Oberseugnng; daneben lag etwas rein
persönli< ht«, über das ich geschwiegen hatte. P-s gibt Aufgaben, welche den Mcn'jchen
so vollständig in Beschlag nehmen, daß er, mag er wollen oder nicht, von ihnen nicht
loskommen kann. Eine solche Aufgabe war für mich die Durchführung der Politik ge-
worden, wie sie hi dem Vertragstarif und in dem MeistbegUnstigungspriniip ihren Aus-
dnick fand. Ihre Durchführung aus der Hand zu geben, w.ir ein mir nacrtriglicher Ge-
danke, sie war ein Stück meiner selbst geworden, das ich nicht opfern koimte. Daß ich
es nicht geopfert habe, habe ich niemals bereut, und, wie ich gleich hinzuftige, der König
hat mir nie darob gesOmtc
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TOB Delbrüdc
Die durch den \'ertrag mit Frankreich geschaffene handelspolitische
Ordnung wurde alsbald verallgemeinert durch die Handelsverträge mit
Belgien (22. Mai 1865), mit Großbritannien (30. Mai 1S65), urul Italien
(31. Dezember 1865). Alle diese Verträge enthielten die Zusage der gegen-
seitigen Meistbegünstigung, der Vertrag mit Groflbritannien stellte den
Zollverein in den britischen Kolonien nicht nur auf den gleichen Fufi wie
eine meistbegfinstigte dritte Nation, sondern wie das britische Mutterland
selbst.
Durch die Verträge des Jahres 1865 war das Ziel der auf die Krlangung
umfassender vertragsmäßiger Zolleriei« hterungen und der Meistbegünstigung
gerichteten Politik, im wesentlichen erreicht; D. konnte mit Recht sagen, daü
er am Schlüsse des Jahres 1865 nur noch wenige handelspolitische Au^ben
fand, welche der Lösung harrten. Da waren es die grofien politischen Er-
eignisse — der Krieg mit Österreich und die Errichtung des Norddeutschen
Bundes, der Krieg mit Frankreich und die Gründung des Reichs — , welche D.
vor neue und größere Aufgaben stellten.
In dem Krieg mit (Österreich sah D., im Ciegensatz zu der überwiegenden
öffentlichen Meinung in Deutschland, eine historische Notwendigkeit.
»Seit sechxelm Jahicn hatte idi f»t oluie Unterbrechung gegen Österreich gekämpft,
und wenn leb in dieser langen Zeit etwas gdenit hatte, so war es die Überxeugung, da6
fUx Preußen und Ö-iterreich nebeneinander in Deutschland kein Platz sei, und daß Österreich
nicht gutwillig Platz machen werde. Ich war mir sehr wohl bewußt, daß die gewaltsame
£rgreifung unseres Platzes ein gefährliches und schweres Unternehmen sei, aber ich holTte
xttveistchtfich auf sein Gelingen.c
Der Ausgang des Krieges und die Errichtung des Norddeutschen Bundes
mußten eine gründliche Umgestaltung des Zollvereins herbeiführen. Die
Verfassung des Norddeut'^rhen Rundes machte die deutschen Staaten nördlich
des Main zu einem einheitlichen Zoll- und Handelsgcbiet und wies alle auf Zölle,
Handel und Schiffahrt sich beziehenden Angelegenheiten der Bundesgesetzge-
bung zu. Die sich auf diese Materien beziehenden Bestimmungen der Bundes-
verfausung — SS 33 — 40^ 54 — sind von D. ausgearbeitet worden. Die not-
wendige Konsequenz der Verfassung des Norddeutschen Bundes war die
Aufhebung des im Zollverein geltenden Erfordernisses der Einstimmigkeit bei
verbindlichen Beschlüssen; denn die Zollgesetzgebung des Norddeutschen
Bundes durfte in Zukunft nicht mehr durch das Veto eines einzelnen süd-
deutschen Staates lahmgelegt werden. Durch Verträge des Norddeutschen
Bundes mit den SOdstaaten vom 8. Juli 1867 erhielt in der Tat der Zoll-
verein eine Verfassung, die nichts anderes war» als eine Erstreckung des
Norddeutschen Bundes in Zollsachen auf die Südstaaten. Der Bundesrat
des Norddeutschen Bundes wurde durch Bevollmächtigte der süddeutschen
Regierungen ergänzt zu einem »Bundesrat des Zollvereins', ebenso der Reichs-
tag des Norddeutschen Bundes durch Abgeordnete aus den süddeutschen
Staaten zu einem »Zollparlament«. Der Bundesrat des Zollvereins und das
Zollparlament Obten die Gesetzgebung in den gemeinschaftlichen Angelegen-
heiten des Zollvereins aus, einschließlich der Besteuerung von Salz und Tabak.
Aus dieser Verfassung des Zc^llvereins ist vier J:ihre später das Deutsche
Reich erwachsen, und der Vertrag vom 8. Juli 1867 ist durch den Artikel 40
der Reichsverfassung in Kraft erhalten worden.
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TOB Delbrick.
Die politischen Wandlungen jener Zeit hatten auch eine Änderung in
der persönlichen Stellung D.s zxxr Folge.
Bekanntlich hat der konstituieiende Reichstag des Norddentschen Boodes
eine wesentliche Anderong in dem ihm vorgelegten Vertragsentwurf vor-
genommen, indem er den Bundeskanzler, der in dem Entwurf als der vom
preußischen Minister des Auswärtigen ressortierendc Präsidialgesandte gedacht
war, zu dem verantwortlichen Bundesminister machte. Damit war gegeben,
daß nur der preußische Minister der auswärtigen Angelegenheiten, also in
dem vorliegenden Falle der Graf Bismarck selbst, als Bundeskanzler in Be-
tracht kommen konnte. Es war ferner klar, daß der Kanzler für die Ge-
schäfte des Bundes eines höheren Beamten als Gehilfen und Vertreters be-
durfte. Am 22. Juli 1867 ließ Graf Bismarck D. die pnnzijiiell und persön-
lich wichtige Frage vorlegen, oh er seine Vertretung übernehmen wolle, ob
die Wahl mehrerer Vertreter, je nach den verschiedenen Zweigen, sich
empfehlen möchte, und ob D. die Vertretung neben seiner Stellung im
Handelsministerium würde wahrnehmen können. D. erschien die Zusammen-
fassung der gesamten Verwaltung der Bundesangelegenheiten — gegenüber
der Möglichkeit einer Verwaltung der einzelnen Ressorts durch die preußischen
Minister gewissermaßen im Nebenberuf — als schlechterdings notwendig. Für
den Fall, daß diese Auffassung gebilligt und verwirklicht würde, erklärte er
sich bereit, die Vertretung des Bundeskanzlers zu übernehmen, allerdings
nicht neben seinen DirektorialgeschAften im Handelsmimsterium; er aberlieft
dem Grafen Bismarck die Entscheidung darOber, in welcher der beiden
Stellungen er nützlichere Dienste werde leisten können.
Die Entscheidung fiel in einem Präsidialerlaß vom 12. August 1867,
durch den die Errichtung eines Bundeskanzleramtes genehmigt und D. zum
Präsidenten der neuen Behörde ernannt wurde. Das Bundeskanzleramt und
spätere Reichskanzleiamt, ans dem in der weiteren Entwicklung die einseinen
Reichalmter hervorgegangen sind, war nach D.s Vorschlftgen bestimmt fQr
die dem Kanzler obliegende Verwaltung und Beaufrichtigung der durch die
Bundesverfassung der Kompetenz des Bundes zugewiesenen Angelegenheiten
sowie für die dem Kanzler zustehende Bearbeitung der übrigen Bundes-
angelegenheiten. Am 30. August 1867 erfolgte D.s Ernennung zum Wirk-
lidton Geheimen Rat. Im Jahre 1868 wurde er zum preuflischen Staats-
minister ohne Portefeuille ernannt.
Die Neugestaltung der politischen Verhältnisse Deutschlands brachte D.
auf die Höhe seines Schaffens. Sein Wirkungskreis wurde räumlich durch
die Erstreckung auf ganz Deutschland, sachlich durch die .Ausdehnung auf
die ganze innere und wirtschaftliche Gesetzgebung beträchtlich erweitert, und
zugleich wurde seine Tätigkeit von den Fesseln befreit, durch die sie bisher
infolge der Notwendigkeit der fortgesetzten Rflcksichtnahme auf Österreichs
Stellung im deutschen Bund und auf das Erfordernis der Einstimmigkeit in
allen Zollvereinsangelegenheiten beengt gewesen war. Der oberste Leiter der
Reichspolitik, der eiserne Kanzler aber, ließ in jener Zeit in wirtschaftlichen
Fragen D. in vollem Vertrauen die Zügel.
Ein Bild von der umfassenden und rastlosen Tätigkeit, die D. in den
neuen gr&fieren Verhältnissen entfaltete, kann kaum mit besseren Worten ge-
geben werden, als sie einer der Männer, die in jener grofien Zeit mit D.
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von Delbrllck.
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zusammengearbeitet haben, zu seinem achtzigsten Geburtstage niedergeschrieben
hat. Ludwig Bamberper schrieb zum i6. April 1807 in der »Nation^.
»Delbrücks historische Stellung erhebt sich zu ihrer vollen und wahren Höhe erst
ztigletcb mit dem Bcgim der groBen Zat der RdchsgrUndung. Man miift ilm wühiend
der Jahie von 1867 bis 1876 an der Arbeit geseben haben, um gaas betuteilen tu
können, was er für die Grundlegung un<! den Ausbau der Vcrfa-.Mmp und Gesctzgcbunp
jener Epoche gewaltigen Schaffens bedeutete. L'ntcr den frischen Eindrücken des selbst
Erlebten bexeicbnele ich den Präsidenten des Bundeskanzleramtes damals in meinen Zoll-
parlamentsbriefen als den Maschinenmeister und WerkfBbrer des eigentttmlidicn Apparates,
den der Kanzler sich für seinen Bedarf gebaut hatte. Alle Fäden flössen in seiner Hand
zusammen, und seine Hand hielt das ganze (jetricbe fortwährend in Bewegung. . . . Dann
begann mit dem ersten deutschen Reichstage das große Schaffen an der inneren, nament«
lieh der «iitschaftlidien Gesetzgebung, die Deutsebland auf die Grundii^ eines modernen
und homogenen Staatswesens zu erheben hatte. Es war ein freudiges, warmes Zusammen-
wirken zwischen Kegiening und Volksvertretung. Wie viele ausgezeichnete Männer arbeiteten
damals in Reih und (Jlied mit, deren Gleichwertige maik jetzt kaum mehr unter den Führern
findet i Im Mittdpankt des Ganzen stand, wie er jetzt bieB, der IPilsident des Reid»-
kanzleramtes. Fttr die Konzeption sowohl wie für die Ausführung hatte er, allen voran,
zuerst einzustehen. Man konnte sich das ganze betriebe nicht «ienkcn ohne seine stünd-
liche Gegenwart. Kr war der Erste in jeder Keich^tags■su/.ung und ging ali> der Letzte weg,
dazu in den wichtigen Kommissionen, und in wieviel veiscbiedenen RoUcn.«
Zur Bewältigung dieses gewaltigen ArbeitsstoHs hat sich D. einen vor-
trefflichen Mitarbeiter und Gehilfen in Otto Michaelis herangezogen. Michaelis,
einer der klarsten und scharfsinnigsten Nationalökonoinen jener Zeit, war
Redakteur der »Nationalzeitung«, als D. in der Zeit der Kämpfe um den
Handelsvertrag mit Frankreich die erste Verbindung mit ihm anknüpfte. D.
erzflhlt, dafi er damals — i86a — Michaelis zu sich bitten liefi und ihm
sagte, er sei davon aberzeugt, dafi die Opposition seines Blattes gegen die
allgemeine Politik der Regierung ihn nicht hindern werde, für die seinen
Grundsätzen entsprechende Handelspolitik der Regierung einzutreten; in
dieser Cber/.cugung sei er bereit, ihm alles auf die Verhandlungen über den
Handelsvertrag bezügliche Material jetzt und in Zukunft vertraulich zur \ er-
fügung zu stellen, um ihm die für die journalistische Aktion eiforderliche
vollständige Übersicht zu ermöglichen. Michaelis habe mit Freuden die Ge-
legenheit ergriffen, an dem positiven Schaffen der Regierung mitzuwirken.
Er hat dieser Politik als Journalist, als Mitglied des preußischen Abgeordneten-
hauses und als Abgesandter zum deutschen Handelstag sehr schätzbare
Dienste geleistet. D. glaubte in ihm den geeigneten Mann zu seiner amt-
lichen Unterstützung und Entlastung in seinem nach der GrOndung des
Norddeutschen Bunds so umfangreich gewordenen Arbeitsfelde gefunden zu
haben. «Seine Ernennung zum vortragenden Rate im Bundeskanzleramt —
so schreibt er — war einer der ersten Personalvorschläge, welche ich, als
Präsident der neuen Hehörde, dem damaligen Bundeskanzler machte.
Größere Verdienste als er, hat keiner meiner Mitarbeitet im Bunde und im
Reich sich um die Bundes- und Reichsinstitutionen erworben.« Dieses
Urteil D.S sei ergänzt durch die folgenden Worte Bambergers über Michaelis
und dessen Verhftltnis zu seinem Chef:
»Er war einer der feinsten und kundigsten Denker auf dem Gebiet der Nationalökonomie
und ein von hoher Bildung durchdrungener (;ei^t, der gerade Gegensatz zur Banausität, die
später über die Behandlung wirtschaftlicher Angelegenheiten hereingebrochen ist. Aber obwohl,
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von Ddbriick.
oder vielleicht auch weil er erat in reifen Jahren vom publizistischen Beruf zum öfi«it«
liehen Dienst duteh Delbrücks richtige Divinatton herangezogen war, bewegte er sieb in
seiner amtlichen Titigkeit weniger frei als sein Voigesctiter. Hier konnte nun beinahe
immer die Probe darauf machen, daf3 bcsst-r ist mit dem lieben Cott aN mit seinen
Heiligen zu tun zu haben. Es war auf privatem oder ülTcntlichen Weg beinah immer ver-
geblich, Michaelis von einem far ihn feststehenden Punkte abzubringen. Delbrück, ob-
wohl nichts weniger als tmklar und schwankend, war jedenceit allen Einreden oder Vor»
Schlägen in der angenehmstoi Weise saginglich.«
D.s Arbeit an dem neuen Deutschland blieb nicht auf das wirtschaftliche
Cicbiet beschränkt. In der entscheidenden Zeit wurde er vielmehr auch zu
den schwierigen Verhandlungen berufen, aus denen das deutsche Reich und
der deutsche Kaiser hervorgegangen sinil.
Seine im Zollverein erworbene Kenntnis der Verhältnisse und l'ersonen
in den einzelnen süddeutschen Staaten und Regierungen, die glückliche
Handf die er vom Jahre 1851 an bei den Verhandlungen mit den deutschen
Einzelstaaten gezeigt hatte, und schliefilich das unbedingte Vertrauen, das
König und Kan/.Ier in ihn setzten, marhten ihn zum berufenen Unterhändler
bei der \"crcinbarung der Grundlagen des neuen Deutschland.
Wenige l äge nach der Schlacht l)ei Sedan, am 5. September 1870 erhielt
D. ein Telegramm des Grafen Bismarck, der ihn auf Befehl des König ins
Hauptquartier nadi Reims berief. Es handelte sich um Erwägungen darüber,
wie der Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund und das
Kaisertum in die Wege zu leiten seien. Bald nach dem Eintreffen D.s in Reiais
ging dort eine Mitteilung der bayrischen Regierung ein, in der die (Über-
zeugung ausges|)rochen wurde, daß die Entwicklung der politischen \'erhält-
nisse Deutschlan<ls, wie sie durch die kriegerischen Ereignisse herbeigeführt
sei, es bedinge, von dem Boden völkerrechtlicher Verträge, welche bisher die
süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde verbanden, zu einem
Verfassungsbündnis überzugehen. Die bayrische Regierung knüpfte daran
den Wunsch, 1). möge zu Verhandlungen über die von ihr ausgearbeiteten
Vorschläge nach München entsendet werden
D. arbeitete, ehe er von dem Hauptquartier abreiste, eine Denkschrift
über die künftige Gestaltung aus, die im wesentlichen ein Bild dessen ent-
warf, was durdi die Versailler Verträge später geworden ist »Der Schtnfi
der Denkschrift — so teilt er in seinen Lebenserinnerungen mit ~> gab dem
alle Geister erfüllenden Gedanken zum ersten Male einen offiziellen Aus-
druck: ich begründete die unabweisbare Notwendigkeit für den König, sich
zur Annahme der Kaiserwürde zu entschließen.« Bismarck war mit der Denk-
schrift einverstanden und übergab sie dem König, der sich jedoch in der
Kaiserfrage die Entscheidung nocli vorbehielt.
Die eingehenden Verhandlungen, die D. in der zweiten Septemberhftlfte
in München mit der bayrischen Regierung führte und bei denen auch der
württembergische Minister v. Mittnacht zugegen war, bestärkten die Über-
zeugung, daß das deutsche Reich gesichert sei und lieferten die Grundlagen
für die Verhandlungen mit den übrigen süddeutschen Staaten, die D. sechs
Wochen später in Versailles zu führen hatte. D. nahm in die mit Baden
und Hessen in Versailles vereinbarte Verfassung alle bei der Münchener
Besprechung von Bayern angeregten und als zulässig erkannten Änderungen
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von Delbrfick.
unrl Erläuterungen der Verfassung des Nortldeutscheh Bundes auf, soweit sie
allgemeiner Natur waren, ebenso in den Vertrag mit Württemberg die in
München besprochene Sonclerbestimmung über Post und Tckgraphif. Auf
diese Weise wurden die in Versailles zu führenden abschlielkiulen \ crhand-
lungcn mit Bayern auf ein Minimum von streitigen l'unktcn reduziert. Daß
sie sich trotzdem nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten entwickelten und dafi
es des größten Taktes und der gröfiten Geschicklichkeit bedurfte, um sie zum
glücklichen Ende zu bringen, ist so bekannt dafl es hier nicht weiter aus-
geführt zu werden braucht.
Eiulo November war die Kiiiifiunjr erzielt und 1). komite nach Herlin
zurüc kreisen, um die Keichsverfassung im Norddeutschen Reichstag einzu-
bringen und zu vertreten.
»Du Kaisertum — > so bemerirt D. am Schlüsse seiner Brinnenii^n — hatte keinen
Gegen>!.irui meiner \"cThancIliin^cii gebildet, und icli kann seine Genesi'» im einzelnen nicht
darstellen. \ crschiedene Personen halben das Krgebnis gefördert; d;is N'erdienst, den
richtigen Augenblick erkannt und die richtige Komi gewühlt zu haben, gebUhrt dem
Grafen Bismarck.«
Die Verdienste Delbrücks um die Errichtung des Deutschen Reichs waren
der Anlafi dafür, dafi ihm im Jahre 1871 eine Dotation von 200000 Taler
gewährt wurde. Am 25. Jahrestag der Rcichsgründung, am 18. Januar 1896,
wurde Delbrück der Schwarze Adlerorden und damit der Adel verliehen.
Was die Tätigkeit anlangt, die D. in der inneren (iesetzgebung und
Wirtschaftspolitik in seiner Stellung als Präsident des Bundeskanzleramtes
und später des Reichskanzleramtes entfaltete, so erstreckte sie sich auf ein
so weites Gebiet dafi die persönliche und intensive Bearbeitung einzelner
Materien naturgemäfi hinter den Aufgaben der Oberleitung des Ganzen und der
Erteilung allgemeiner Direktiven zurücktreten mußte. Wollte man alles, was
damals unter D.s Leitung und Mitwirkung geschaffen und in die Wege ge-
leitet wurde, zur Darstellung bringen, so würde man die ganze Geschichte
der uineren Gesetzgebung und der Wirtschaftspolitik jener Periode schrnben
mflssen. Wenn aber in einzelnen Materien D. auf Grund der in seiner bis-
herigen Tätigkeit gew um lu 11 Erfahrungen oder auf Grund eines besonderen
Interesses in die Kin/.elheiten der Durchführung hinabstieg, so läßt sich sein
persöidicher Anteil an dem Zustatulegekommenen mangels eines Dokuments,
wie es seine nur bis zum Jahr 1867 reichenden »Lebenserinnerungen« sind,
nicht im einzelnen feststellen. Es seien deshalb nur die wichtigsten Züge
hervorgehoben.
Ein Teil der Arbeiten auf dem Gebiete der inneren wirtschaftlichen
Gesetzgebung, die D. noch als Direktor im preußischen Handelsministerium
eingeleitet oder fjefördert hatte, kamen erst nach der Krrichtung des I?undes
im Wege der Bundesgesetzgebung zu ihrem Abschluii. Hierher gehört vor
allem die Ordnung des Maß- und Gewichtssystems und der Gewerbegesetz-
gebung-
D.8 Anteil an dem Übergang Preufiens zu dem metrischen Gewichts-
system (Zollpfund) ist oben erwähnt worden. FOr die Einführung des vollen
metrischen Mafi- und Gewi chtsqrstems mat hte sich von der Mitte der 50er Jahre
an eine internationale I^cwcgung geltend, die auch in Deutschland immer
mehr an Boden gewann. Preußen beteiligte sich, nachdem es sich anfänglich
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SB2
von DelbiUck.
zurückhaltend gezeigt hatte, im Jalire 1865 an den beim Hundestag in
dieser Angelegenheit stattfindenden \'erhandlungen, aus denen ein auf das
Meter begründeter Entwurf einer deutschen Maß- und Gewichtsordnung
hervorging. Die Einführung dieser Maß- und Gewtchtsordnung in den ein-
seinen Staaten wurde durch die politischen Ereignisse hinausgeschoben; im
Jahre 1868 jedoch legte D. den gesetzgebenden Körperschaften des Nord-
deutschen Bundes eine Maß- und Gewichtsordnung vor, welche auf dem Ent-
würfe von 1865 beruhte; sie wurde Bundesgesetz und später auf Grund der
Versailler Verträge Reichsgesetz.
Auch eine einschneidende Änderung der Gewerbeordnung im Sinne des
Ausbaues der Gewerbe- und Koalitionsfreiheit wurde von D. bereits vor der
Errichtung des Norddeutschen Bundes vorbereitet Das preullische Ab-
geordnetenhaus hatte im Frühjahr 1865 einen Antrag auf Beseitigung der
Koalitionsbesrhränkungen angenommen, und der Handelsminister Graf Itzen-
plitz berief alsbald eine Kommission zur Vorbereitung eines entsprechenden
Gesetzes. Aber aliein schon durch die im Sommer 1866 eingetretene Er-
weiterung des Gebiets der preußischen Monarchie wurde eine umfassendere
Reform der Gewerbegesetzgebung, als sie in den aus den Beratungen der
Kommission hervorgegangenen Entwürfen enthalten war, zu einer anabweis-
baren Notwendigkeit. Bei der Einrichtung der Verwaltung in den neu er-
worbenen Provinzen wurde D.s Interesse vor allem anderen durch deren
Gewerbegesetzgebung in Anspruch genommen. »In Hannover, Kurhessen,
Schleswig-Holstein und Hessen-Homburg bestand noch der Zunftzwang, be-
gleitet von einer Reihe anderer GewerbebeschrSnkungen ; es wftre ein Bruch
mit ihrer gansen Vergangenheit gewesen, wenn die preußische« Verwaltung
hier nicht Wandel geschafft hätte. An die Einführung der preußischen Ge-
werhegesetzgebung, welche durch königli( he Verorrlnung sofort hätte er-
folgen können, war nicht zu denken; denn diese ( iesetzgebung war zu einem
System aneinander gereihter Novellen geworden, welches sich nur da er-
tragen ließ, wo es allmählich entstanden war, und sie war in Preußen selbst
als einer gründlichen Reform bedllrftig anerkannt Es blieb nur übrig, die
in den einzelnen Landen bestehenden Gesetse durch königliche Verord-
nungen von den em])findlichsten Beschränkungen des Gewerbebetriebs so
befreien.« Dieser Weg wurde beschritten.
Die umfassende Neuordnung der Gewerbegesetzgebung im Sinne der
möglichst wenig eingeschränkten Gewerbefreiheit erfolgte auf Grund eines
im Jahre 1868 vorgelegten Gesetzentwürfe durch die Geweibeordnung för
den Norddeutschen Bund vom ai. Juni 1869, deren Wirksamkeit später auf
das Reichsgebiet ausgedehnt wurde.
Kine besondere Her^•orhebung verdient D.s Anteil an der Neuordnung
des deutschen Geld- und Bankwesens. Diese Reform bildete eine der allcr-
dringendsten aber zugleich auch der allerschwierigsten Aufgaben, die das nen
geeinte Deutschland zu bewältigen hatte.
Die Mitarbeit D.s beim Wiener Münzvertrag von 1857, bei den Bestim-
mungen über den Umlauf papiemer Geldzeichen in Pteußen und bei dem
Ausbau der preußischen Hank ist bereits erwähnt. .'\ber vor der Gründung
des Reichs konnte auf diesem wichtigen Gebiete nur Stückwerk geschatten
werden; denn ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, wie es Deutschl^d
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von Delbrttdc.
383
dnich den Zollverein geworden war, bedurfte einer einheitlichen Organisation
seiner Umlaufsmittel und seines Bankwesens, und eine solche einheitliche
Organisation ist nur in einem Einheitsstaate, nicht in einem Staatenbunde
durchführbar.
Was Deutschland benötigte war einmal die Münzeinheit an Stelle der
sieben verschiedenen Mflnssjrsteme, die auch nach dem groBen durch den
Wiener Münzvertrag erzielten Fortschritte in Deutschland noch bestanden;
femer eine Beseitigung des Übermaßes papierner Geldzeichen und eine solide
Fundierung und einheitliche Gestaltung des Papierumlaufs; außerdem der
Anschluß an das System der Goldwährung, dessen Vorzüge an sich schon
bei den im Jahre 1854 mit Osterreich geführten, oben erwähnten Verhand-
lungen festgestanden hatten, das inzwischen durch die gewaltige Crold-
Produktion der fünfziger und sechziger Jahre in der internationalen Geld-
verfassung das entschiedene Übergewicht erlangt hatte und das infolge der
gesteigerten Goldgewinnung und vor allem auch durch die in Gold realisier-
bare französische Kriegskostenentschädigung für Deutschland durchführbar
geworden war; schließlich die Schaffung einer Zentralbank zur Regelung des
inneren Geld- und Kreditverkehrs, zur Überwachung der auswirtigen Be-
ziehungen des deutschen Geldwesens und zum Schutze der neu zu schaffenden
Goldwflhrung.
tTber den großen persönlichen Anteil, den D. an der Durchführung
dieser wichtigen Aufgaben genommen hat, ist der V'erfasser dieser Skizze von
D. selbst durch mündliche Mitteilungen und durch Überlassung von Doku-
menten in eingehender Weise informiert worden. D.s Rolle in der deutschen
Geld- und .Bankreform sind auf Grund dieser Mitteilungen ausführlich in
meiner »Geschichte der deutschen Geldreform« dargestellt.
D. hat von Anfang an die Ziele der Reform und die Wege zu ihrer
Durchführung klar erkannt und an diesen trotz zahlreicher und mächtiger
Widerstände festgehalten. Sein Operationsplan, der den obwaltenden Ver-
hältnissen durchaus angepaßt war, bestand darin, daß er in Anbetracht der
Schwierigkeiten, die inneihalb des Bundesrates einer befriedigenden Ordnung
der Frage des Staatspapiergeldes und der Reichsbank entgegenstanden, zu-
nichst mit aller Energie die Reform des Mfinzwesens erstrebte, um damit
die Grundlage für die weiteren Reformen zu schaffen. Von allen maß-
gebenden Personen war es I)., der mit dem größten Nachdruck die möglichst
einheitliche Ordnung des Münzwesens verlangte und der nicht nur die Über-
nahme der Mfinzgesetzgebung, sondern auch der gesamten das Münzwesen
betreffenden Verwaltungstfttigkeit auf das Reich befürwortete. Ebenso war
es D., der innerhalb der Regierung mit der größten Entschiedenheit den
Gedanken der Goldwährung vertrat und darauf drängte, die dur« h den Aus-
gang des Kriegs mit Krankreich und die französiche Kriegskostenentsrhädi-
gung geschatiene günstige Situation ungesäumt zur Durcliführung des Walirungs-
wechsels zu benutzen.
Schon bei der preufiischen Regierung, und in einzelnen Punkten noch
mehr bei den Regierungen der Mittelstaaten, fand D. mit diesen Ideen
Widerstand. Der preußische Finanzminister Camphausen stellte <len weiten
Gesichtspunkten D.s einen stark partikuluristisch und tiskalisc h angehauchten
Gedankengang entgegen. Die von D. geplante unitarische und zentralistische
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384
von Ddbfttdc.
Orclnuiif^ des Miin/wcsens hatte ehensowtiiig den ungeteilten Beifall des
preußischen l'artikuiaristen, wie die bei dem i bergang zur Goldwährung not-
wendige, aber erhebliche finanzielle Zobuflen in Aussicht stellende Silber-
abstofiung die S3rnipathien des fiskalisch rechnenden Finansministers hmd.
Schon der im Reichskanzleramt ausgearbeitete Gesetzentwurf über die Aus-
prägung von Reichspoldmünzen, der am lo. Oktober 1871 dem Bundesrat
vorgelegt wurde, war von der Pialtung des j)reußischcn Finanzmini-^ters be-
einflußt, wenn er auch in den Hauptpunkten, namentlich hinsichtlich der
einheitlichen Ordnung des Münzwesens, der Auflassung I).s entsprach. Da-
gegen wurden durch die Beschlasse des Bundesrats in die geplante deutsche
Münzeinheit erhebliche Breschen gelegt. Nicht nur wurde an Stelle der
Prägung der »KeichsgoldmUnzen« durch das Reich die Prägung auf den
einzelstaatlichen Münzstätten und an die Stelle des einheitlichen Gepräges,
enthaltend das Hiidnis des deutschen Kaisers, ein verschiedenes Gepräge, ent-
haltend das Bildnis des Landesherrn oder das Hoheitszeichen der freien
Städte gesetzt; darfiber hinaus wurde auch die Sorge für die Aufrechterhai-
tung der Vollwichtigkeit des Mfinzumlaufs und ebenso die Einziehung der
alten Lande^münzen zur Sache der Einzelstaaten gemacht. Camphausen
wurde der Vcrfediter dieses geradezti nnm/iglichen ^ Kompromisses« im
Reichstag, w;ihre!id I)., der von vornherein der I nterstützung seiner Ideen
durch eine überwältigende Mehrheit nn Reichstag sicher sein konnte, bei
der dritten Lesung mitunter leichten Herzens die Bestimmungen preisgeben
konnte, die Camphausen in der zweiten I..esung mit Eifer verteidigt hatte.
Insbesondere der Sachkenntnis und der unermüdlichen Tätigkeit Ludwig
Hanibergcrs ist es gelungen, durch die Rcichstagsverhandlungen den Ent-
wurf der verbündeten Regierungen so umzugestalten, daß dem Wesen nach
eine einheitliche Münzverfassung geschaffen und nur in der P'orm, nament-
lich in der Frage des Gepräges, dem Partikularismus einige Zugeständnisse
gemacht wurden, dafi femer der Übergang zur Goldwihmng gleich in dem
ersten sich auf das Münzwesen beziehenden Reichsgesetz, dem Gesetz, betr.
die Ausprägung von Reichsgoldmünzen, vom 4. Dezember 1871, im Prinzip
entschieden wurde. Der gesetzgeberische Abschluß der eigentlichen Münz-
rcform erfolgte auf den durch jenes erste Gesetz geschafienen Grundlagen
durch das Münzgesetz vom 9. Juli 1873.
Beträchtlich gröfiere Schwierigkeiten fand D. bei der Reform des Papier-
geld- und Bankwesens. Allgemein war man der Überzeugung, daß die Ord-
nung des Umlaufs von Staatspapieirgeld und die Neuorganisation der Noten*
banken in unmittelbarem Zusammenhang mit der Münzreform gehalten werden
müsse, wenn anders nicht das ganze Werk gefährdet werden sollte. Aber
hinsichtlich der Art der Lösung dieser Fragen bestanden nahezu unüberwind-
liche Interessenkonflikte und Meinungsverschiedenheiten einerseits zwischen
dem preufiisdien Finanzminister und den Regierungen der Obrigen Einzel-
staaten, andererseits zwischen dem preufiischen Finanzminister und dem Präsi-
denten des Reichskanzleramts. Für D. standen als Ziel folgende Punkte fest:
I. Ersetzung des umlaufenden Papiergeldes der Einzclstaaten durch
ein Reiclispapiergeld in wesentlich geringerem Betrage unter Gewährung
möglichster finanzieller Erleichterungen an die zur Einziehung ihres Staats-
papiergeldes genötigten Einzelstaaten;
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von DelbrOdc
385
2. Ordnung des Bankwesens unter Umwandlang- der Preufiischen Bank
in eine Reu hsbank.
Unter D.s Leitung und Verantwortlichkeit luUte Michaelis bereits Kiule
1872 den Entwurf eines Bankgesetzes ausgearbeitet, dessen Schwerpunkt
in der Umwandlung der Preußischen ßank in eine Reichsbank lag. Bismarck
hatte den Entwurf bereits gezeichnet, aber noch im letzten Augenblick gelang
es Camphausen, seine Einbringung zu verhindern. Camphausen wollte die
Notwendigkeit einer Reichsbank nicht einsehen, und es lag ihm sehr viel daran,
die PreulJische Bank, an deren Reingewinn der preußische Staat beteiligt
war, als preußisches Institut zu erhalten. Sein Widerstand bililete ein geradezu
unüberwindliches Hindernis für eine Lösung der Bankfrage, welche dem
Reichskanzleramt und der öffentlichen Meinung hfttte annehmbar erscheinen
können. Damit war auch die Ordnung der Papiergeldausgabe wesentlich
erschwert; insbesondere Bayern bestand darauf, daß die Papiergeldfrage nur
im Zusammenhang mit der Bankfrage geregelt werden dürfe. Aulierdem
aber sträubte sich Camphausen gegen die Cewährung von Erleichterungen
an diejenigen Bundesstaaten, die einen im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung
starken Betrag von Papiergeld ausgegeben hatten.
Infolge dieser Konflikte wurde im Jahre 1873 das Münzgesetz vorgelegt,
ohne daß gleichzeitig Entwürfe über die Reform des Papiergeld- und Bank-
wesens eingebracht worden wären. Der Reichstag aber bestand seinerseits
auf der schleunigen Inangriffnahme dieser Materien, indem er dem Münz-
gesetz einen Paragraphen anfügte, der über das Papiergeld und die Noten-
ausgabe einschneidende Bestimmungen traf.
Unter diesem Druck einigte man sich im Bundesrat über einen Gesetz-
entwurf über die Ausgabe von Reichskassenschein», der am sx. April 1874
Gesetzeskraft erhielt. Dieses Gesetz verfügte die Einziehung des Staats-
papiergeldes und seinen Ersatz durch Reichskassenscheine im Normalbetrag
von 120 Millionen M., die auf die Bundesstaaten pro rata ihrer Bevölke-
rungszahl verteilt werden sollten. Außerdem erhielten die Bundesstaaten,
die einen größeren Betrag an Staatspapiergeld ausgegeben hatten, als ihrem
Normalanteil an Reichskassenscheinen 'entsprach, einen in 15 Jahren zu
tilgenden Vorsc hufl in Reichskassenscheinen.
N'unmehr konnte auch die Einbringung eines Bankgesetzes nicht länger
verschoben werden, zumal sich I). bei der Beratung des Reichskassenschoin-
gesetzes im Bundesrat verpflichtet hatte, einen Bankgesetzentwurf so früh-
zeitig vorzulegen, daß die Beratungen im Bundesrat bis zum Beginn der
Herbstsession 1874 des Reichstags erledigt werden könnten. Da Camphausen
auf seinem entschiedenen Widerspruch gegen die Umwandlung der Preufiischen
Bank in eine Reichsbank beharrte, mufite sich D. mit dem Gedanken ab-
finden, einen Entwurf ausarbeiten zu lassen, der sich darauf beschränkte, die
Notenausgabe und den Geschäftskreis der bestehenden Notenbanken zu
reglementieren, ohne eine Reichsbank ins Leben zu rufen. Der wenn auch
nur vorlflufige Verzicht auf den Hauptteil der Bankreform wurde D. und
Michaelis nicht leicht; sie konnten sich einigermafien damit trösten, dafi der
Erlaß von NormativbestimmuniH n für die bestehenden Notenbanken der
späteren Errichtunjr einer Kcii hsbank in keiner Weise präjudizierte und
sie konnten außerdem, ahnlich wie bei der Münzgesetzgebung, auf eine
Biogr. Jahrbuch u. Dcuttcber Nekrolog. 9. Bd. 2^
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386
von Oelbrttdi.
energische Unterstützung des Reichstags für den Gedanken der Keichsbank
rechnen.
Als der Reichstag am x6. November 1874 die erste Lesung des Bank-
gesetzentwurfs begann, führte D. in seiner die Beratungen einleitenden Rede
aus, der Gedanke einer Reichsbank sei dem Reichskanzleramte »nichts
weniger als antipathisch« gewesen, aber wegen der Schwierigkeiten einzelner
Fragen, wie der Stellung der Rei( hsbank zu tlen anderen Notenbanken und
der Auseinandersetzung mit l'ieuüen sehe der vorliegende Kntwurf von einer
Keiclisbank ab. Im Kciclistag jedoch war eine überwälugendc Mehrheit
gewillt, kein Bankgesetx ohne Reichsbank zu genehmigen. Die zur Beratung
des Entwufb eingesetzte Kommission beschloft sofort nach ihrem Zusammen-
treten am 21. November mit 13 gegen 4 Stimmen »dafl die Kommission die
Diskussion des Bankgesetzes nicht für wünschenswert erachte, che ein Be-
schluß über die Einführung einer Reichsbank gefaüt sei.« Nach diesem
Beschluß vertagte sich die Kommission, um die Stellungnahme des Bundes-
rats abzuwarten.
Nunmehr gab Camphausen endlich seinen Widerspruch gegen die Reichs-
bank auf; er bequemte sich zu Vorschlägen Über die Umwandlung der
Preußischen Bank in eine Reichsbank, die der Bundesrat im ganzen an-
nehmbar fand und auf Orund deren die in den Bankgeset/cntwurf einzu-
fügenden Bestimmungen über die Reichsbank ausgearbeitet und vom Bundes-
rat genehmigt wurden. Mit dieser wichtigen Ergänzung wurde der Entwurf
vom Reichstag nach eingehenden Kommissions- und Plenarberatungen, die
vor allem durch die sachkundige Mitarbeit Ludwig Bambergers ihr Gepräge
erhielten, angenommen. Am 14. März 1875 konnte das Bankgesetz vollzogen
werden. I). bemerkt in seinen »Lebenserinnerungen« bei der Besprechungeines
im Mai 1.S61 von Preußen ausgearbeiteten Entwurfs einer Vereinbarung
zwischen den deutschen Staaten über die Erteilung neuer und die Verlänge-
rung bestehender Notenprivilegien, der ohne Ergebnis geblieben war:
»Es ist eine meiner liebsten diensdichen Erinneningen, dafi ich dreiiehn Jahre spster
in Gemeinschaft mit Herrn MichnSlis und dein Abf^cordneten Ih. B.uuber^cr il.is Reich-»
l>ni)k^rcstt/. habe suütandc bringen und damit die Materie auf die Dauer habe rcgehi
In handelspolitischer Beziehung, auf I).s ureigenstem Arbeitsfelde, hatten
die Umgestaltung des Zollvereins nach dem Kriege von i86d und schliefi-
lich die Begrfindung des Deutschen Reichs die staatsrechtlichen Schwierig-
keiten beseitigt, die bisher dem Ausbau der Tarifpolitik im Wege gestanden
hatten. Die freihändlerische Richtung der D.schen Handelspolitik selbst
wurde durch diese Umwälzungen nicht berührt. »Im Zeichen der Annähe-
rung an die Handelsfreiheit — so habe ich in meinen \ orträgen über
»Handelspolitik« (1901) ausgeführt — war der Zollverein groß geworden, und
die deutsche Volkswirtschaft war, trotsdem ihre industrielle Konkurrena-
fähigkeit damals gegenüber dem Auslande, namentlich gegenüber England
und I'rank reich eine wesentlich geringere war als heute, unter der liberalen
Tarifpolitik des Zollvereins erheblich vorwärts geschritten. Namentlich von
den fünfziger Jahren an. nachdem die kurze Zeit der von Süddeutschland
ausgelienden schutzzüllnerisciien Reaktion überwunden war und nachdem
die Verträge mit Hannover und Osterreich erhebliche ZoUermlfiigungen ge-
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▼im Delbrtick.
387
bracht hatten, und dann nach dem noch viel mehr freihändlerischen Ver-
trage mit Frankreich von 1862 hatte Deutschland in wirtschaftlicher Be-
ziehung einen so merkbaren Aufschwung zu verzeichnen, daß es durchaus
erklärlich und natürlich ers» hciiit, wenn die Leiter tlcr Handelsj^olitik des Zoll-
vereins auch nach der Begründung des Norddeutschen Bundes und des
Reichs auf der von ihnen betretenen Bahn weiter su gehen versuchten.«
Bei der Fortbildung des Zolltarifs im freihändlerischen Geiste wurde die
Regierung an Eifer und Radikalismus von der öffentlichen Meinung und
der Volksvertretung weit übertroffen. Das zeigte sich, als im Jahri- 1868
gleichzeitig mit einem neuen Handelsvertraf^ mit Osterreich, der wichtige
Zollermäßigungen entinelt, ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der im An-
schluß an den Osterreichischen Vertrag eine erhebliche Vereinfachung des
Zolltarife herbeiführen und nach dem Vorbilde Englands ein System reiner
Finanzzölle anbahnen sollte. Dieser Gesetzentwurf scheiterte in zwei Sessionen
daran, daß die Zollermäßigungen der freibändlerischen Mehrheit des Zoll-
parlaments nicht weit genug gingen; er kam erst im Jahre 1870 zur Annahme,
nachdem die Regierung auf den ganz besonders stark angefochtenen Petroleum-
zoll verzichtet hatte.
Der erste handelspolitische Akt des neuen Reichs war der in S n des
Frankfurter Friedens enthaltene unkündbare Meistbeglinstigungsvertrag mit
Frankreich. Man mufite sich mit der bloßen Meistbegünstigung begnügen,
nachdem der anfangs erstrebte Abschluß eines neuen Tarifvertrags von Frank-
reich mit der größten Hartnäckigkeit abpelelmt worden war.
In der Folgezeit war es der Reichstag, der zu einem weiteren Schritte
im freihändlerischen Sinne drängte. Im Mai 1873 wurde ein Antrag ein-
gebradit, der die völlige Beseitigung der Eisen- und Maschinenzölle ver-
langte; unterzeichnet war der Antrag von den konservativen Agrariern und
den liberalen Freihändlern. D. beantwortete diesen Antrag mit der Ankün-
digung einer Tarifnovelle, die wenige Wochen sjiäter eingebracht wurde und
Zollfreiheit für Roheisen sowie Zollermäliigungen für Eisenwaren und einige
andere Artikel enthielt. Die Vorlage wurde in der Fassung angenommen,
dafi für Roheisen sofort, für Eisenwaren usw. am i. Januar 1877 Zollfreiheit
eintreten sollte.
Dieses Gesetz war der letzte F.riolg der freihändlerischen Politik in
Deutschland. Die Folgezeit brachte einen völligen Umschwung in der
öffentlichen Meinung, in der Stellun^^nahme der N'oiksvertretung und in der
Ansicht des Kanzlers, einen Umschwung, dessen erste Vorboten D. veranlassen
sollten, von seiner amtlichen Stellung zurückzutreten.
Die schutzzöUnerische Strömung innerhalb der deutschen Industrie, die
nie ganz unterdrückt worden war, gewann allmählich wieder an Bedeutung.
Nachdem die kardinale Forderung aller wirtschaftlich tätigen Kreise Deutsch-
lands, die Schaffung eines einlieitlichcn deutschen Zollgebiets, hinter tier
bisher alles andere zurückgetreten war, im Deutschen Reiche in einer für
alle absdibaie Zeit geddierten Fonn erfüllt war, traten die Eänselinteressen
wieder mehr hervor. Die erheblichen ZoUermäfligungen und die wichtigen
Zollbefreiungen, die seit der Errichtung des Norddeutschen Bundes teils im
Wege von Handelsverträgen, teils im Wege der autonomen Zollgesetzgebung
herbeigeführt worden waren, hatten die schutzzöllnerisch interessierten Zweige
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388
von Delbrick.
der deutschen Industrie zu verschärftem Widerspruch herausgefordert. Dazu
kam die Handclskrisis von 1873 und in ihrem (lefolge eine schwere industrielle
Depression, die namentlich auf der Eisenindustrie lastete. So töricht es
wäre, wenn man diese Krisis — statt auf die voriiergegangene starke Ober-
prodaktion und Überspekulatton — auf die ausllndische Konkurrenz zurflck-
fQhren wollte, so begreiflich ist es andererseits, dafi die bedrängten Industrien
zur Krleichterung ihrer I>age nach verstärktem Schutze gegenüber dem fremden
Wettbewerbe riefen. Zu Heginn des Jahres 1876 wurde zum Zweck einer
umfassenden schutzzollnerischen Agitation der »Zentralverband deutscher
Industrieller« gegründet, der in der Folgezeit einen großen Einfluß auf die
Gestaltung unsrer Handelspolitik gewonnen hat Es traten ihm vor allem
bei die Eisenindustriellen, die Baumwollspinner, die Soda- und Zucker-
fabrikanten.
Ferner bereitete si( h in jener Zeit der (^bergang der agrarischen Parteien
aus dein Lager des I-reihandcis in das Lager des Schutzzolls vor, in Ver-
bindung mit dem Umschwung, den die Stellung der deutschen Landwirtschaft
damals im internationalen Verkehr erfuhr. Die deutsche Landwirtschaft, die
noch vor kurzem einen Überschufi an Produkten an das Ausland, namentlich
an den englischen Markt abgegeben hatte, fing an, den Druck der zunächst
von dem durch Eisenbahnen erschlo.ssenen Rußland ausgehenden (ietreide-
konkurrenz auf dem deutschen Markte selbst zu spüren; während die deutschen
Agrarier bisher nur an der Leichtigkeit des Exports und an dem möglichst
billigen Import landwirtschafdicher Geräte und Maschinen usw. interessiert
gewesen waren und infolgedessen sich durch einen stark ausgeprägten frei-
händlerischen Radikalismus hervorgetan hatten, erkannten sie jetzt mit einem-
mal ihr überwiegendes Interesse in der Erschwerung der Einfuhr landwirt-
schaftlicher Erzeugnisse.
befördert wurde der l'mschwung in den handelspolitischen Anschau-
ungen und Bestrebungen Deutschlands durch die protektionistischc Politik,
die in jener Zeit fremde Staaten, insbesondere Frankreich, Osterreich und
Rußland, verfolgten. Fürst Bismarck schien anfangs sich der wachsenden
schutzzollnerischen Strömung entgegenstellen zu wollen; noch am 22. No-
vember 1875 bezeichnete er im Reiclistag die Aufhebung aller Zölle mit Auf-
nahme einiger hoher Kinanzzidle auf 10 bis 15 Artikel als das erstrebenswerte
Ziel. Aber auch bei Bismarck trat bald ein radikaler Wechsel seiner handels-
politischen Auffassung ein, in dem Mafie, dafi er in den folgenden Jahren
mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit die FOhrung in der schntz-
zöllnerischen Umkehr der deutschen Tarifyolitik ergriE
D. war nicht gesonnen, den Umschwung mitzumachen. Als er die ersten
Anzeichen der beginnenden Meinungsverschiedenheit zwischen sich und dem
leitetulen Slaatsmanne bemerkte, ents( bloß er sich, alsbald die (Jeschäfte, die
er seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit soviel Geschick und Hingabe
geführt hatte, aus der Hand zu geben. Im Frühjahr 1876 erbat er seine
Endassung, die ihm am i. Juni 1876 gewährt wurde.
Über den akuten Anlafi und die näheren Umstände von D.s Rück-
tritt ist bei der vornehmen Diskretion, die dieser Staatsmann stets be-
wahrt hat, niemals etwas genaueres bekannt geworden. Bamberger erzählt
darüber:
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von Ddbifldc.
»D.S Klugheit und Selbsucbtung liefien ihn keinen AugcnUidi im Zweifel darttber,
was die niocke {geschlagen habe, als der Kanzler bei einem scheinbar fjoring-fugipen Anlaß
die nach den amtlichen Kegeln hcrkümmlichc Komi ihm gegenüber verletzte. Kr sagte
sich suglcich, dafl dies mit Absicht geschehen sei, und mit welcber Absicht, und Bismarck
kannte seinen Mann auch genug, tun zu wissen, doB hier der leiseste Wink genttge, um
verstanden zu werden. Die andern alle, welche nacheinander entfernt werden mußten, um
dem Geist der Kanitz und Mirbach die Bahn frei zu machen, waren minder feinfühlig und
trennten sich schwerer von Amt und Würde. Man erzählte sich damals, D. habe sofort
am Tage der Entdeckung des ersten Sjrmptoms bei Tisch gans trocken seiner erst seit
kunem ihm angetrauten Gattin gesagt: »Wir wollen uns nach einer andern Wohnung um-
sehen.« Sie konnte natürlich nicht fassen, warum die großartigen Amtsräunu- der Wilhelmstraße
ihrem an.si)ruchsluscn (<emabl nicht genügten, bis er ihr die nötige Autklarung erteilte.«
Mit seinem Abschiede aus dem Staatsdienste begann für D. der letzte
Abschnitt seines Lebens, von dem er selbst sagt: »Er war reich an ruhigem
Glück aber arm an erwähnenswerten Begebenheiten.« D., der bis in ein
vorgeschrittenes Alter Junggeselle geblieben war, hatte sich am i. März 1875
verheiratet, und zwar mit Klisc von Pommer-Esche, der Tochter des Ober-
präsidenten der Khcinprovinz Adolf von Pommer- Esche, mit dem I)., seit
er ihn bei .seinem Eintritt in das Finanzministerium al.s Geheimen übertinanz-
rat kennen gelernt hatte, in aulrichtiger Freundschaft verbunden gewesen war.
»WShrend des ersten Jahres meiner Ehe«, heifit es in den »Lebenserinne-
rungen«, nahm mein Amt nicht bloß meine 2^it sondern auch meine Ge-
danken in solchem Maße in Anspruch, daß es für meine Krau so wenig als
für mich, zu einer vollen Befriedigung kam. Ich wurde mir l)ewu(it, daß
ich ihr nicht das war, was ich sein wollte, und dieses Bewußtsein, wenn
es auch duichaus nicht der Grund meines Scheidens aus dem Dienste war,
hat mir den ernsten Entschlufi erleichtert«
Allerdings hat sich D. nach dem Rücktritt aus seiner amtlichen Stellung nicht
sofort ganz und gar ins Privatleben zurückgezogen, und noch weniger hat
er sich mit seineiri persönlichen Interesse von den öffentlichen Angelegen-
heiten abgewendet. Kr war innerlich zu sehr mit seinem Ivcbenswerke ver-
Hochten, als daß er ohne Anteilnahme die Dinge, die er solange geleitet
hatte, sich hätte entwickeln lassen kOnnen.
Bei den Reichstagswahlen im Sommer X878, die unter dem Eindruck
des Nobilingschen Attentats stattfanden und deren Ausfall entscheidend
werden sollte für den Umschwung der deutschen Handelspolitik, wurde D.
von einer .Anzahl führender Personen in der nationalliberalen Partei zur An-
nahme eines Reichstagsmandats gedrängt. T). hatte im Jahre 1858 ein ihm
angetragenes Mandat für das Abgeordnetenhaus und im Jahre 1860 die ihm
angebotene Ernennung zum Mitglied des Herrenhauses abgelehnt, und zwar
um Konflikte zwischen den Pflichten seiner amtlichen Stellung und seiner
Zugehörigkeit zu einem der Häuser des Landtags aus dem Wege zn gehen.
Ein solcher Gesichtspunkt konnte jetzt, nach seinem Au'^scheidcn aus dem
Dienste, nicht mehr in Frage kommen. Aber gleichwohl entschloß sich I).
nur ungern, dem wiederholten Drängen seiner Freunde nachzugeben und das
ihm angebotene Reichstagsmandat anzunehmen. Bestimmend für die An-
nahme mag schliefllich das Gefühl der Verpflichtung gewesen sein, für die
von ihm solange praktisch verwirklichten wirtschaftspolitischen Ideen gegen-
über der neuen Strömung mit seiner Person und seiner Autorität einzutreten.
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▼on Delbrttck.
D. wurde, ohne daß er irpcntl einen Schritt der Bewerbung getan hatte,
im Wahlkreise Jena gewählt. Das Mandat war ihm angehoten worden ohne
die Redingiinf; des Beitritts /u einer bestimmten Fraktion; er blieb fraktions-
los, hielt sich aber zu dem freihändlerisch gebliebenen Flügel der National-
liberalen.
Die von Bismarck eingeleitete »Tarifrefonn«, die in der Session 1878/79
nahezu das ganze Interesse des Reichstags absorbierte, gab D. Gelegenheit,
seine Sachkenntnis und seine Erfahrung zur Verteidigung der liedrohten
Handelsfreiheit einzusetzen. Mit derselben unermüdlichen PHichttreue und
strengen Sachlichkeit, die man an dem kegierungsvertreter gewohnt gewesen
war, führte er nunmehr als Abgeordneter im Plenum und in der Tarif-
kommission des Reichstags den aussichtslosen Kampf gegen eine Handels-
politik, die er für verderblich hielt. In derselben Legislaturperiode
beteiligte er sich an der Abwehr der ersten Versuche, die Gewerbefreiheit
durch die partielle Wiedereinführung des Zunftzwanges ein/tischränken. Ferner
nahm er an erster Stelle teil an der Finbringung und Begründung der Inter-
pellation über die Bedeutung iler im Mai 1Ü79 vom Reichskanzler verfügten
Einstellung der sur Durchltthrung der Münzreform notwendigen Silbenrerkiufe.
Aber so sehr von allen Seiten, auch von der gegnerischen, die Autöiität
und Sachlichkeit D.s anerkannt wurde, seine Stellung im Reichstage gestaltete
sich nicht so, daß sie ihm nach dem Vierteljahrhundert leitender und führen-
rler Tätigkeit in der Regierung eine Befriedigung hätte gewähren können.
Bamberger bemerkt zu dieser Tatsache:
»Es hatte sich gezeigt, daß deutsche parlamentarische und konstitutionelle Zustände
noch nicht die Reife erlani^ haben, wie In England zweihundert Jahre frOher. Alle ehe>
maligen Minister, die dasselbe Experiment unternahmen, haben dieselbe Erfahrung; gemacht.
Die Kalk, Hobrcrht, Achcnhai h nahim-n im P.irinmcnt keine Stelhm;,'^ ein. die ihrer früheren
ents|>rach. Ganx natUrlii l>. denn, wie die Dmge bei uns verlauten, hatten sie auch keine
Aussicht, vomBod» der i>.ulaniciitimchea Opposition wieder aaf die Mintsterhank zurttck-
zukommen.«
Bei den Neuwahlen im Jahre 1881 lehnte D. mit aller Bestimmtheit die
Wiederann, iIiiiH" eines Mandats ab. Aber auch als reiner Privatmann hat er
bis an seiii Lebensende das lebhafteste Interesse an den öffentlichen Dingen
bew.dirt, denen er nunmehr in der Hauptsache als philosophischer Zuschauer
gegenüberstand.
Ganz besonders widmete er seine Anhänglichkeit und Arbeitskraft dem
»Verein zur Beförderung des Gewerbeflei6es«, der von Beuth im Jahre 1821
gegründet worden war und zu dessen Vorsitzenden I). im Dezember 1858
gewählt wurde. Kr hat den \orsitz, der ihm Jahr für Jahr durch Neuwahl
wieder übertragen wurde, auch nach seinem Ausscheiden aus seiner atntlichen
Stellung bis wenige Jahre vor seinem 1 ode beibehalten und ihn mit der ihm
eigenen Pflichttreue und Umsicht geführt.
Auch unsrer Geld- und Bankver&usung, an deren Begründang D. in so
hervorragendem Mafle teilgenommen hat, bewahrte D. sein volles Interesse.
Als um die Mitte der neunziger Jahre die Bimetallisten einen entscheidenden
Vorstof^ gegen die (Irundlagen unsrer (ieldverfassung versuchten und die
Reichsregierung einen .\ugenblick zu schwanken schien, übernahm D. bereit-
willig den Ehrenvorbitz des damals gegründeten »Vereins zum Schutze der
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von Delbrtck. von Meysenbitg.
Deutschen Goldwährung«, und der Verfasser dieser Skizze ist Zeuge dafür,
in welchem Maße der greise Staatsmann aus dem Schatze seiner Krfahrung
und seines Wissens die Aufklärungsarbeit auf diesem schwierigen Felde unter-
stützte.
Als Schriftsteller ersten Rangs hat sich D. durch seine nachgelassoien
»Lebenserinnerungen« ein bleibendes Denkmal in der historischen Literatur
gesetzt. Zu seinen Lebzeiten hat er, dessen besten Jahre durch den Staats-
dienst überreichlich ausgefüllt waren, nur einige kleinere Schriften publiziert,
die alle in ihrer klaren Sachlichkeit den Stempel seines Geistes tragen. Im
Jahre 1857 veröffentlichte er ohne seinen Namen eine Schrift unter dem Titel
«Der Zollverein und das Tabakmonupol«, in welcher er die Einrichtung des
Tabakmonopols in Osterreich und Frankreich darstellte und auf Grund dieser
Darstellung die Unvereinbariteit dieses Monopols mit den Zollvereinsvertragen
nachzuweisen suchte. Zur Zeit der Kämpfe um den Bismarckschen Zolltarif
veröffentlichte er im Jahre 1S70 — gleichfalls ohne seinen Namen — in
den Mitteilungen des »Vereins zur lordcrung der Handelsfreiheit« eine Ab-
handlung unter dem Titel »Deutschlands Getreideverkehr mit dem Auslande«,
deren Zweck der Nachweis war, dafi Deutschland der Zufuhr von Getreide
aus dem Auslande nicht entbehren kann. Schliefilich hat er im Jahre 188 1
unter seinem Namen eine Schrift über »den Artikel 40 der Reichsveifassung«
herausgegeben, die sich mit den Fragen der in jenem Artikel übernntnmenen
Bestimmungen der Zollvercinsgesetzgebung befaüt. Karl Uelfierich.
Meysenbug, Malvida von,') Schriftstellerin, * 28. Oktober 1816 in Kassel,
t 26. April 1903 in Rom. — Gegen das Ende des XVII. Jahrhunderts,
nach der Aufhebung des Ediktes von Nantes, als — nach Taines Ausdruck —
la France setnda de sm mdlieitr sang, verlieft mit anderen Hugenotten auch ein
gewisser Rivalier seine Heimat Nimes, entkam den Verfolgern und suchte
Schutz hei protestantischen Germanen. Seine Nachkommen ließen sich in
Hessen nieder, und Philipp Rivalier errang — vielleicht mit Hilfe der
Freimaurerloge, in der er zu hohen Würden emporklomm — die Gunst des
Kurforsten Wilhelm I. in solchem Grade, dafi er eine glänzende Karriere bei
ihm machte, zu seinem persönlichen Rat und Hofmarschall avancierte, 1825 in
den Adelstand erhoben wurde und den Titel eines Frei he rrn von Meysenbug
erhielt. .Aus der Ehe, die er, z\ Jahre alt, mit der sechszehnjahrigen Johanna
Hansel schloß, gingen zehn Kinder hervor, von denen drei in weiteren
Kreisen bekanntgeworden sind: zwei Söhne Otto und Wilhelm, die im öster-
reichischen und badischen Staatsdienste hohe Stellungen errangen und in die
Entwickelung der deutschen Verhältnisse während der verfahrenen Bundes«
periorie mit nicht eben glücklicher Hand einzugreifen versuchten, und eine
Tochter Malvida, die alle ihre Geschwister um eine stattliche Reihe von
Jahren überlebte. In ihr wie in den politisi hen Brüdern lebte der französi-
sche Freisinn der väterlichen Ahnen und die bis zum F.igensinn zähe Opposi-
tionslust der Mutter; die verschietlenartige Mischung dieser Elemente f&hrte
unter der Einwirkung äufierer Umstände schliefilich zu der merkwürdigen
Tatsache, dafi nach ruhig protestantischer, keineswegs orthodoxer Normal-
») Toteiüi$te 1903 Baod Vill 75».
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392
von Meysenbup.
erziehung der Bruder in Wien zum Katholizismus und die Schwester in Ham-
burg zur freireligiösen (Jcmeindc übertrat. Spezifisch französisch aber ist in
Malvida der Hauptzug ihres Wesens: die anmutige Umgangsform, die ge-
selligen Manieren, die vollendete Liebenswürdigkeit, der sie ihre allgemeine
Beliebtheit, ja selbst ihre Wirkung auf solche Zeitgenossen verdankte, die in
ihr keineswegs einen bedeutenden Geist sahen. Auch die französische Sprache
beherrschte sie wenigstens in späteren Jahren tadellos, ja schriftlich besser
als die deutsche; unter tlen lucht seltenen syntaktischen Fehlern, die ihre
Schriften (Iure hsctzm, nehmen die Gallizismen einen besonders breiten Raum
ein. In ihrem elterlichen Hause sprach man jedoch fast immer deutsch.
Ihre Kindheit verfloU in ungetrübtem Glück. Die Nähe und der Glanz
des altväteris« hen Hofes, die l'ürsorge der literarisch wohlgebildeten Mutter,
die leichtsinnig genug war gegen alle damaligen Geptlogenheiten auch Theater-
volk ins H.uis zu ziehen und die Kinder beizeiten an der Geselligkeit der Großen
teiliiehtnen zu lassen, der Wohlstaiul und Faniilienkultus führten dem jungen
Wesen unablässig angenehme Eindrücke zu; beizeiten erwachten die beiden
Triebe, die es nie mehr verlassen sollten, die Lust zu lenien und der Drang
in die Ferne. F.ntschUii>fte sie doch eines J'ages allein dem Elternhause,
mit der Absicht sich in eine Postkutsche zu setzen und aus eigener An-
schauung wie Parsifal die Ferne« kennen zu lernen, von der sie so viel gehön
hatte; der Plan wurde natürlich vereitelt, aber die Freude einer Reise nach
Süddeutschland wurde ihr bald zuteil, und von da an bis in ihre letzten
Lebensjahre blieb sie fast immer auf der Wanderschaft. Diese Wanderschaft
wurde bereits eine unfreiwillige, als Malvida kaum fünfzehn Jahre alt war
und flie ersten erschütternden Augenblicke durchlebte. Kurfürst Wilhelm IL,
der seinem 182 1 verstorbenen Vater in der Regierung gefolgt war, dachte
tJaÜ das patriari:halis( he Dasein Serenissimi und seiner Maitressenwirtschaft
immer so weiter gehen wüule, als das Jahr 1830 herankam und der Pariser
Juli sein obligates Frho in unterschiedlichen deutschen Gauen fand; auch
die braven Hessen wollten auf die französische '>Anregung<t hin ihr Stückchen
Revolution haben, und wuterfüllle Massen wälzten sich, Stöcke schwingend
und Steine schleudernfl, durch die friedlichen Straßen Kassels, ja sie zertrüm-
n\erten heroisch einige Fcnstersclieiben im Hause des verhaßten Hofmannes
freilicii beim .Vnblick zweier Offiziere und einiger Reitersäbel im Hinter-
grunde zogen sie es vor, zu ihren Kocht(ipfen zurückzukehren und ihre Er-
lösung von ilen Fesseln der Tvrannis gemütlich abzuwarten. Wirklich ward
ihnen eine Lokalkonstitutioi^ verliehen und Meysenbug arbeitete sie aus,
ohne ilalJ er dadurch bei dem undankbaren Volke beliebter geworden wäre;
und da au« h sei>i Jugendges])iele, der Fürst, sich gar zu schwer in die neuen
\'erhähnisse finden konnte, die ihm zumuteten, seine absolute Herrschermacht
mit einer konstitutionellen Regierungsart zu vertauschen, so entschlossen
sich die beiden Kameraden tajtfer Reißaus zu nehmen, und in der trüben
Stille eines frühen Wintermorgens 1S32 erfolgte die fluchtartige Abreise. Nun
begann eine Periode wahren Zigeunerlebens, da es den E.vmonarchen nie
lange an einem Orte litt; schließlich war eine Trennung der F.ltern Malvidas
unvermeidlich, der X'ater zog mit seinem Fürsten in der Welt herum, bis
dieser sich Frankfurt als dauernden Wohnsitz erwählte, flie Familie ließ sich
hei der ältesten verheirateten Tochter in Detmolil nieder, von wo Malvida
von Meysenbug.
393
im Winter 1844/45 einen Ausflug in die Provence mitmachen durfte, EOg jedoch
1847 ebenfalls nach Frankfurt, wo der Vater am 28. Dezember 1847 fast
genau einen Monat nach seinem alten Freunde starb. — Dort erlebte Malvida
ilie Kröffnung des ersten deutschen Parlaments; es ist nur begreiflich, daß
der Eindruck ein erhebender war und dafl sie an das Ereignis jene ülasionen
knüpfte, von deren nur allzu natflrlicher Zerstörung sich seihst geschulte
Denker noch nach Jahrzehnten ni( lit erholen konnten.
Inzwischen waren ihr die Jahre vorübergezogen, in denen der Mensch
am bildsamsten ist, und ihren Lerntrieb hatte sie fast nur durch Bücher be-
friedigen können. Schon in der Kindheit hatte für ihr brennendes Verlangen
nach Kenntnissen und nach geistiger Vervollkommnung weder die Mutter
noch eine Gouvernante ausgereicht; es folgte die wichtigste Periode der Ent-
wicklung, in der jeder Mensch und namentlich jede Frau eines Führers
bedarf, der die schlummernden Kräfte erkennt, weckt und in die richtige
Bahn lenkt, selbst auf die Gefahr hin, persönlich nach vollbrachtem Werke
zum alten Kisen geworfen zu werden: und Malvida blieb das Glück versagt,
unter den EinHuU eines begeisternden Lchrecs zu geraten, ebenso wie ihr das
höchste Liebesglfick versagt blieb. Der Mann, der die volle Leidenschaft
ihres jungfrfiulidien Herzens fQr sich zu entzünden wuflte, ein Theologe
namens Theodor Althaus, spielte mit ihr wie er mit anderen spielte; sie
sell)st hat uns dieses Flrlebnis, und auch wie sie ihn in seiner letzten Krank-
heit ptlefite, genau beschrieben, und man bat l'nrecht getan in die Kinzel-
heiten ihres Berichtes Zweifel zu setzen. Diejenigen aber, die auf ihr Geistes-
leben persönlich nachhaltigen Einfluß gewannen, lernte sie erst in einem
Alter kennen, wo sich zu ihrer Liebenswürdigkeit bereits die Ehrwürdigkeit
gesellte. In iluer Jugend hatte sie zwar der Konfirmandennnterricht, der ihr
infolge des Wanderlebens später als den meisten zuteil wurde, zum Nach-
denken angeregt, aber im Kampfe mit der Lebenslust unterlag bei ihr das
Mysterium, unti gerade die Feier der Konfirmation, von der Kirche so klug
angesetzt, wurde bei ihr der äußere Anlaß zum Unglauben, zur kirchlichen
und infolgedessen auch politischen Opposition. Nun las sie Schriften Bettinas
von Arnim und Raheis; sie begann sich Goethe und Byron zu nähern, sie
empfand Natur und Musik; sie versuchte sich als Malerin mit Kopien italieni-
scher Landschaftsbilder; sie war oft pliysisch leidend und hielt sich nicht für
schön, sie erging sich in austührliclKii Niederschriften über religi(')se Gegen-
stände; sie heimste verschiedene Hcirutsanträge ein, über die sie später ihren
Leserinnen mit begreiflicher Gewissenhaftigkeit berichtet hat, und erkannte
bald, dafi mit Bällen und Diners kein Menschenleben, das diesen Namen
verdient, auszufüllen ist; alles trieb sie zu selbständigem, wenn auch nicht
tiefem Denken. Noch intensiver wurde dieses von dem Augenblick an, wo
ein chronisches Augenleiden sie zwang fler Malerei definitiv zu entsagen; und
da sie in der MuUe der kleinen Städte zeitig den unvergleichlichen Wert
der Arbdt sclilteen gelernt hatte, so bildete sich bei ihr etwa um das dreißigste
Lebensjahr der feste Vorsatz aus, ihre Gedanken in Tätigkeit umzusetzen und
ihre Arbeit der Arbeitsamkeit anderer zu widmen. Schon in Detmold ver-
suchte sie einen Arbeitsverein zu gründen; für ihr ganzes Leben aber empfing
sie natürlicherweise den stärksten Impuls dadurch, daß der Mann, den sie
liebte, überzeugter Demokrat war und sie daher in eine ganz bestimmte
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von Meytenbng.
Richtung trieb, die ihr sonst durchaus ferne gelegen hatte. Das Demokraten-
tuni, (las sie nachher so Iel)h:ift verfochten hat, lag ihr keinesfalls im Blut,
es entstand auch trotz allen mütterlichen Oppositionsgeistes keinesfalls aus
einem Kontrastbedürfnis oder aus Überdruß an traditionellen Gepflogenheiten;
im Gegenteil, die JugendeindrQcke und das Bewufltsein des Kleinadels hatten
ihrem Charakter für alle Zeit das eigentliche Gepräge erteilt, und wer ihre
Schriften mit Aufmerksamkeit liest, namentlich aber wer ihre Persönlichkeit
gut gekannt hat, der muß die Heobaclitunf; machen, daß trotz ihrer einfachen
Ihiterschrift M. M. eine emptindlit he Kxkiusjvität ihr eipen war, ein Standes-
bewuQtsein, das bis zum Kastengeist, ja zuweilen bis zum Snobismus ausartete.
Aber die Leidenschaft, die einzige wirkliche Leidenscha^ die sich dieser
kühlen und gerade wegen ihre Kühle sonst so sicheren Natur in ihrem ganzen
langen T.eben bemächtigt hat, war auch hier stärker als alle anderen Triebe
und wirkte um so nachhaltiger auf die (Jedankenwelt dc^ Opfers ein als
dieses sich bereits in einem \ orj^est hrittcncn und für solche Einflüsse besonders
zugänglichen Alter befand; bedenkt man daneben noch die allgemeinen Emp-
findungen der Enttäuschung und Unbefriedigtheit, die, wenn auch niemals
Öffentlich eingestanden, bei einem dreifiigjährigen Mädchen unvermddlich
sind; bedenkt man vollends, wie viel die Langeweile der kleinen Residenzen
und wie viel der in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sehr starke
»Zug der Zeit' hinzutaten, so begreift man wohl wie Malvida zur Dernokratin
werden mußte, aber man begreift auch wie es in Wahrheit um das Wesen
dieses halb unreifen, halb überreifen JJ)emokrati5mus bestellt war. Man muß
diesen Standpunkt festhalten, um gegen ihre Schriften, namentlich gegen
gewisse Partien ihrer Memoiren nicht ungerecht zu werden. Es waren nicht
historische, rechtsphilosophische oder gar nationalökonomische Studien, ühcr-
hau|n nicht sacldiche Motive, sondern rein persönliche Beweggründe, die für
ihre Anschauung aller Dinge maßgebend wurden.
Die Katastrophe trat auch für Malvida im Jahre 1848 ein. liereits vor-
her hatte die Passion für den demokratischen ^diger zu einer Entfremdung
zwischen Eltern und Tochter geführt; sie sollte diese Existenz völlig entwurzeln,
sie nicht nur von ihrer l-'amilie, sondern von ihrer gesamten Vergangenheit,
\{in Heimat, Vaterland und (Hauben trennen. Zwar nahm das persönliche
\ ei!i;iltnis zu dem Apostel, aus dem sie Ii ül)rigens bald ein munterer Zeilun^'^-
redakteur entwickelte, schnell das übliche Ende; aber die demokratischen
Grundsätze hatten nun einmal in dem verbitterten Herzen des unverstandenen
Mädchens Platz gegriffen und wurden nun, genährt durch Frankfurter Paria»
mentsreden und durch eine Reise nach Berlin, an dessen damals radikaler
Kammer sich die Revolutionäre kurze Zeit berauschen konnten, mit jener
Zähigkeit durt hgetührt. die den Fanatikern aller politischen Parteien eigen
ist und häufig zu festen Positionen verholfen hat. Schon wiederholt hatte
sich Malvida nnt kleinen Aufsätzen versucht, von denen einzelne in Zeitungen
abgedruckt wurden ; jetzt schrieb sie Agitationsartikel und fand es bewundems>
wert, wenn man den bewaffneten Aufetand, also die äufierste Gewalttätigkeit
predigte, dagegen erklärte sie es für die schlimmste Ungerechtigkeit, wenn
man so einem Hetzkaplan, der von dem siclieren \'erstcck seines Redaktions-
tisches aus die verblendeten Massen ins Feuer triel), einmal den Prozeü machte
und ihn für einige Jahre kalt stellte. Solche Ansichten hielt sie ganz ehrlich
V0& Meytcnbvg-.
395
für ihre »Idee«, und da sie in deren DurchfQhmng ihre Lebensaufgabe sah,
so nannte sie sich später eine » Idealist! n < und behielt diesen Titel bis an
ihr Ende bei, nicht ohne ihn der (")ffentiichkeit gegenüber mit einer gewissen
Intensität immer wieder zu betdnen. —
Zunäc hst wurde der Zubununenliang mit der Familie noch eine Weile
notdürftig und xur beideiseitigen Qual festgehalten. Aber eine Reise nach
Ost ende, die Malvida 1849 Gesundheitsrücksichten unternahm, zeigte
ihr so recht klar, wo sie allein aufatmen konnte und wie sehr sie der Erlösung
bedurfte; sie hat diese Reise später in einem eigenen Manuskripte beschrieben,
das nach ihrem Tode von ihren Hinterbliebenen zusammen mit einem poeti-
schen Versuch "Himmlische und irdische Liebe« herausgegeben wcuden
ist. Bald nach diesem ersten Blick in die Freiheit erwachte der Plan nach
Amerika zu gehen; doch kam sie einstweilen nicht über Hamburg hinaus,
wo sie von 1850 — 53 in vollen Zügen die Wonnen der Freiheit genoft. Sie
schrieb dort eine Reihe charakteristischer Briefe an ihre Mutter, die
Gabriel Monod in der »Deutschen Revue« 190^^) veröffentlirht hat. Sie zeigen,
wie beharrlich sie ihre I'rinzipien festhält, aber auch wie heiter sie das Leben
zu nehmen weiÜ; sie schwelgt in Musik und Theater, Ausflügen und Gesellig-
keit, freireligiöser Gemeinde und bunter Lektüre; sie wird von Emilie Wüsten-
feld an die neu gegründete höhere Mftdchenschule berufen und tritt in nahe
Verbindung mit Karl T-'röbel, der mit seiner Gattin die höhere Bildungs-
anstalt für (las weibliche (ies( hlot ht leitet. Dessen Bruder Julius, den Mine-
ralogen, hatte sie bereits in I ranklurt kennen und bewundern gelernt; jetzt
wird der Anschluß ein so enger, daß sie durch ihn schnell über alles aus-
gestandene Leid hinwegkommt und einmal schreibt, er sei »der einzige
Mann, den ich nach Theodor Althaus noch lieben konnte«; ein andermal
heifit es gar »ich glaube voraussetzen zu können, dafi ich durch eine Ver-
bindung mit Fröbel das höchste Herzensglück erlangen würde«. — Dazu kam
es nicht; Fröbel ging nach Amerika, wo er beim Panamakanal beschäftigt
zu werden hoffte, und seine Karriere vom Demokraten und Flüchtling
bis zum Konsul des Deutschen Reiches in Smyrna und Algier — erinnert stark
an den russischen Erfahrungssatz »bis zum dreißigsten Jahr ist er Revolutionär,
dann wird er ein braver Staatsbeamter«. Malvida freilich prophezeite »sicher
wird .sein Name noch neben Humboldt genannt werden«; aber mit dem
Orakeln, das sie übrigens bis an ihr Fnde Iiel)te. hatte sie nun einmal kein
Glück; schrieb sie docli damals mit der vollen Sicherheit überlegenen Wissens :
»Schleswig-Holstein wird durch Verrat und Frbärmlichkeit enden.«' Dagegen
hatte sie schon damals als Frauenrechtlerin Erfolg; und nachdem sie gelegent-
lich einer norddeutschen Lehrerversammlung im Namen der Frauen fröhlich
protestiert hatte, war es ihr wahrlich nicht zu verdenken, dafi sie diesen
Tendenzen weiter nachhing, bis sie schließlich den Staat sogar zur Züchtung
von Ammen und Kindermädchen veranlassen wollte, freilic h ohne an maß-
gebender Stelle diejenige (iegenliebe zu finden, ohne welche jeties es mufi«
und »es müßte« ein frommer Wunsch bleibt. Nie aber ist sie aus den
Schranken der Weiblichkeit herausgetreten; so beharrlich sie auf ihren Grund-
sfttzen bestand — sie nannte das gerne »Kämpfen« — *, so ferne lag ihr jeder
vulgäre oder massive Ton; auf diesem Takt beruhte zu jeder Zeit ihre grofie
persönliche Beliebtheit, wie sie denn bei allem Demokratentum stets mit einer
396
von Meyacnbuif.
gewissen sehnsü( litifren Bewunderung nach den Salons« des Ancien regime
zuriH khlickte und st lion zu Hamburg im stillen hoffte einen solchen selber zu
begründen. — Damals bot man ihr an Stiftsdame zu werden, was ihr recht
komisch vorkam; sie wollte den Vorschlag annehmen, wenn sie nicht selbst
zu kommen biauchte, die Einnahmen aber für ihre Zwecke oder, wie sie es
nannte, »im Dienste der Menschheit« verwenden dttrfte. Sie hauidelte also
in gutem Glauben, wenn sie wohl die Vorteile, aber nicht die Pflichten der
angebotenen Stellung zu übernehmen gedachte; hier wie anderwärts zeigt sich
der vorgebliche Idealismus einfach als Naivität. Der X'organg ist in den
Briefen anders geschildert als in den Memoiren; solche Widersprüche sind
aber selbst bei den ehrlichsten Autobiographen unvermeidlich. Sogar bei
Bismarck und Richard Wagner kann man die Wahrheit des Satzes bestätigt
finden, riaß Memoiren nur in sehr bedingtem Mafie als Geschichtsquellen an-
zusehen sind.
Die Hamburger Genossenschaften lösten sich bald auf, mehr durch innere
Zwi^tiukciten, wie der Deutsche sie nun einmal nirgends entbehren kann, als
infolge äußeren Druckes; Malvida ging zunächst zu Freunden nach Berlin,
und dann, als sie dort von der Polizei belästigt wurde, in das damals allge-
meine Asyl verfolgter Politiker, nach England. Noch kurz zuvor hatte sie
ihrer Mutter geschrieben »nach England zieht mich auch nicht der leiseste
Wunsch.« Jetzt hatte der gute Ruf fler gegen Politiker ganz gleichgültigen
englischen l'olizei, namentlich aber eine rege Korresp>ondenz mit zahlreichen
in London agitierenden Emigranten Malvidens Ansicht geändert; 1852 siedelte
sie dorthin Ober, hmd bei Johanna Kinkel, die das Leben der Flüchtlinge
in ihrem Roman »Hans Ibeles in London« so anschaulich geschildert bat,
liebevolle Aufnahme, und lernte 1853 endlich den Mann kennen, der auf ihr
ferneres Leben den weitesten und tiefsten Kinfluß gewinnen sollte. Alexander
Herzen war der Sohn eines russischen l-'iirsten und eines deutschen Bürger-
mädchens; in seiner Heimat hatte er sich durch eben die j)olitischen Umtriebe
unmöglich gemacht, die ihm noch jetzt die Sympathien russischer Studenten
und sonstiger Umstürzler zufahren. Geistig stand er weit Aber dem Niveau
der Durchschnittsdemokraten; er besafi tief eingewurzelte, freilich verworrene
und vielfaich unreife Überzeugungen, dazu Geist und Feuer, vor allem aber
war er Russe, also nicht nur liebenswürdig und originell, sondern auch mit
der Kenntnis eines Landes unfl \ olkes ausgestattet, von dessen Art zu iener
Zeit nur vereinzelte Europäer Kenntnis hatten und von dessen groliartigtr
Kunstproduktion nur verschwindend wenige Exemplare nach dem Westen
gedrungen waren. Herzen hatte nun schon in seinem Budie »Vom anderen
Ufer« versucht, dem Ausland etwas von der politischen Lage seiner Heimat
zu erzählen; M:ilvi(ia hatte dieses Buch bereits in Hamburg 1850 gleich
nach seinem Erscheinen kennen gelernt, und da es demokratisch, wenn
auch ohne Radikalismus, philosophierte — es sprach von der »bhissen
Konstitution in Deutschland« und polemisierte gegen Nationalversammlungen
ä la Frankfurt ebenso lebhaft wie gegen absolute Monarchen und Päpste — ,
so faßte sie eine lebhafte Zuneigung zu ihm und seinem Verfasser, zumal
sie für seine stilistischen Ungeheuerlichkeiten ebenso wenig Empfindung besaß,
wie für seinen Mangel an politischem Positivismus. Beides gipfelt ungefähr
in dem Satze: sdie abortierte Demokratie wird im Tode erstarren, indem sie
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von Meysenbug.
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in die verwelkte Brust der sterbenden Monarchie hineinbeiftt.« Die jetzige
Generation und vermutlich jede folgende ist etwas empfindHcher; seine
Schriften sind vergessen und 7.\v:\r nicht nur die wirklich veralteten, wie die
über - Rußlands soziale Zustände« und die »Briefe aus Frankreich und Italien ,
sondern auch die Memoiren eines Russen, in denen er mehr plaudert als
spekuliert und deren Inhalt eben kein anderer erzählen konnte als er. Die
deutsche Übersetzung dieser Memoiren (4 Bände, Hamburg 1855—59)
von Malvida her, was in dem Buche selber nirgends gesagt, aber authen-
tisch ist.
Die persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Flüchtlingen gestalte-
ten sich nun in London bald so innig, dali sie ihre Gedanken oft auch dann
abends brieflich austauschten, wenn sie im gleichen Hause wohnten und sich
den ganzen Tag mündlich ausgesprochen hatten; das Wichtigste war jedoch,
dafi der Russe, der seine Gattin in tragischer Weise verloren hatte, seine
beiden kleinen TiVchter dem nunnuhr fast vierzigjährigen deutschen Fräulein
zur Erziehung überwies. Dieser Aufgabe widmete sie fortan ihre volle Kraft,
und was sie hier vollbrachte, ist unstreitig die bedeutendste Leistung ihres
Lebens, erheblich wertvoller als alle ihre Bücher; zwar brai lite sie einen
tieferen Affekt nur dem einen der beiden Kinder, Olga, entgegen, aber die
Hingabe an diese war auch eine so innige und vollkommene, dafi sie nur
durch die mütterlichen Instinkte des Weibes zu erklären ist, und dafi hier
wirklich ein Verhältnis entstand, wie es sonst nur zwischen Mutter und
Tochter existiert, ja dali unreife Si hwarnier tlaraufhin später von Malvida in
einem Tone gesprochen haben, wie man sonst auf der Kanzel von Christus
spricht; anderseits könnt es auch nicht ausbleiben, dafi unwürdiger Klatsch
sich dieses schönen Familienlebens bemächtigte und das Auflerordentliche —
dabei so durchaus Natürliche — in trivialer Weise zu erklären suchte. Mal*
vida ist weder dem Vater ihrer Pfleglinge noch irgend einem anderen Manne
jemals näher getreten als sie selbst es berichtet hat; die Krklärungen des
über jeden \'erdacht erhaltenen r(")inis( hen Chirurgen, der sie während ihrer
letzten Krankheit behandelte, haben jeden Zweifel hieran aus der Welt ge-
schafft oder sollten es doch tun.
Bis zum Jahre 1859 dauerte das Emigrantenidyll in England; natürlich
blieb Malvida nicht immer in London, sondern auch dort verging kein Jahr
ohne grolJere oder kleinere Reisen. Ihre Begegnungen mit mehr oder weniger
berühmten V'olksbcglückern hat sie ausführlich genug geschildert: von (-lari-
baldi bis herab zu dem Meuchelmörder Orsini, dessen Bombenattentat sie
ebenso eifrig glorifizierte, wie sie gegen die gesetzliche Todesstrafe zu Felde
zog, und bis zu dem Anarchisten Mazzini, diesem in seiner mafilosen Wut
gegen Cavour schlimmsten Störer der echten italienischen PMnheits- und
Freiheitsbewegung, dessen Charakter sie in einem Aufsatze der »Neuen Freien
Presse von 1894 und später in ihren »Individualitäten« aus persönlicher
Freundschaft so ganz anders dargestellt hat als es die exakte Geschichts-
schreibung tut. Sehr viel beachtenswerter ist ihr Verhältnis zu Richard
Wagner, zumal sie diesem nicht wie die Meisten durch seine Musik, auch
nicht zunächst durch seine Dichtungen, sondern durch seine spekulativen
Schriften gewonnen wurde, die anderwärts seiner Kunst so wenig genützt
und seiner Person so viel geschadet haben. In Kassel und Detmold, ja
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▼OB Meysenbng.
selbst in I l inihur«,' hatte sie hcgreiflirhcrweise keine Gelegenheit gehabt, den j
Fliegenden Holländer oder den Tannhäuser zu hDrt n; nun gerieten ihr einige
Abhandlungen des verbannten Dresdener Hofkapellmeisters in die Hände, .
die Vereinigung von polituchem Ronununismiia mit kOnstierisdiem Emst und I
Freiheitsdrang imponierte ibr, sie schrieb an den Mann, erhielt eine artige ^
Antwort, und als er 1855 zu den denkwürdigen Konzerten nach London
kam, da erfolgte die persönliche Ik-kanntschaft, die später zu einer herzlichen |
Freundschaft führen sollte. Diese Freundschaft hat sie h in mancheni kriti- '
sehen Momente befestigt. Schon 1H59 ging .Malvida fiir tlen Winter nach
Paris; am Anfange des Jahres 1860 hörte sie daselbst die vielbesprochenen |
drei Orchesterkonserte, die Wagner in der italienischen Oper gab und die
ihm zum ersten Male den vollendeten Orchesterklang des Tristanvorspieles,
aber hintcrlu r irar Nchwere moralische Enttäuschungen und jenen materiellen
Schaden brai htcn, der nur (hir( li das croßmütim' Kinsc hrciten einer kunst-
sinnigen ru>>isclien Kürstin geheilt werden konnte; dann verlieli sie noch im
selben Jahre Kngland für immer, ging zunächst wiederum nach Paris und
wohnte dort der berüchtigten ersten AutfQhning des Tannhäuser bei, über
die Wagner seinen Oberaus charakteristischen und lebendig geschriebenen
aber, wie die inzwischen veröffentlichten Dokumente ergeben haben, keines-
wegs zuverlässigen Aufsatz {(lesammelte Schriften- VH. i die Welt
gesandt hat. Tatsache ist, daß sic h an jenem Abende nicht nur die \ou Wagner
angeschuldigten Cliquen, sondern das Publikum aller Schichten pöbelhaft
benahm und dafl Malvida den Mut hatte gegen die Roheiten der sogenannten
Aristokratie, in deren Mitte sie mit Wagners damals noch nicht von seinen
Anhängern vervehmtcn Gattin safi, persönlich energisch zu protestieren. Es <
ist ihr nicht zu verdenken, wenn sie in einer solchen Zeit, unter dem gewal- 1
tigen Eindrucke voti Wagners Persönlichkeit, ohne weiteres seine Theorie ,
vom Drama und vom Sprai hgesang einsog, oder daß sie sich mit gläubigem
Kiter der Schopenhauerschen i'hilosophie widmete; wie alle Wagnerianer
verfocht sie diese Systeme mit mehr Bestimmtheit als Logik, und man wird
es begreifen, dafi sie ihnen wie der vormärzlichen Demokratie und dem
Friedensapostolate bis zum letzten Atemzuge treu blieb, auch wenn eine
jüngere (leneration die V«Mkehrtheit jener Theorien erkannt hat und für ihre
Spiache kein ( »hr mehr besitzt. — Als dann bald nach der unwürdigen
Pariser Tannliau.serepisode Wagners Stern groÜartig aufging, als die Heim-
kehr nach Deutschland, die Münchener Glanzperiode, die wachsende Popu*
larität folgten, als er im Wirbel dieser Eindrücke seine alten Genossen, auch
seine treue Lebensgefährtin verstieß und seinem opferfreudigsten Pionier mit
schreiendem l lulank lohnte, da war Malvida verständig genug, nicht in das
Horn der ' (ittentlic hen Meinung zu stoßen, die mit billigem Hohn den
groiien Künstler seine menschlichen Schwächen büßen ließ; doch auch vor
der boshaften Geringst hätzung Hans von Bülows, die in W^agners Umgebung
nach der Katastrophe gepredigt wurde, hat ihr mildes Naturell sie immer
bewahrt »Hans von Üülow war ein bedeutender, geistvoller Mann; sonst
hätte ihn auch die Cosima nicht gdieiratet«, äußerte sie noch lange nachher.
Ihre \'erehruiig für Frau Cosima war und blieb unbegrenzt, während doch
gewöhnlich die Datnen, die einen großen Mann umschwärmen, derjenigen,
die er schließlich allen anderen vorzieht, nicht gerade wohlgesinnt zu sein
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399
pflegen. Aber Malvida besafi eben ein ehrliches Streben nach C^erechtigkeit;
so hat sie denn über die neuerdings so gefeierte Marie WesendoiK k, die
wirklich nur ein hübsches Püppchen uiui nicht eiiniKil musikalisch uar, ganz
anders geurteilt als die übrigen Wagnerianer, denen »der Meister« selbst in
seinen Liebesepisoden ein unfehlbarer EriOser ist Es darf jedoch nicht ver-
schwiegen werden, dafi seine Gesinnungen gegen die vortreffliche Freundin
niclu - irut der Art waren wie sie selbst wohl glaubte; er mochte sie zwar
gut leiden, er trieb auch unter l^niständen manch übermütigen Scherz mit
ihr, aber er war keineswegs von ihrer tiefen Seelcnverwandtschaft mit ihm
durchdrungen, und zu dem engsten, erhabensten Kreise seiner Olympier hat
er sie trotz ihres rührenden Eifers nicht gerechnet Bekanntlich hat er in
den letzten Jahrzehnten seines Lebens eine umfängliche Selbstbiographie an-
gefertigt und in wenigen Exemplaren mit einer due strenge Exklusivität
betonenden Gebrauchsanweisung drucken lassen; Malvida rechnete mitBestimmt-
heit auf eines dieser Exemplare, hat es jedoc h, soviel man konstatieren kann,
niemals erhalten. — Mit welchem Kifcr sie dann ihre Liebe zum Ehepaar
Wagner auf dessen Sohn übertrug, davon wird gleich die Rede sem.
In Frankreich duldete es sie nicht lange; so gut ihr auch die Pariser
Salons behagen mochten, ihr Hafi gegen den »Tyrannen« Napoleon war zu grofi
und bitter. Sie konnte ja nicht ahnen, dafi ihr dereinst das republikanische
Frankreich durch den Dreyfußprozeß einen ebenso tiefen Schmerz bereiten würde,
wie das »»freie England durch den Hurenkrieg. Mit Deutschland hatte sie
sich noch nicht ausgesühnt, erst viel später ward auch sie von der unwider-
stehlichen Genialität seines größten Staatsmannes zur Bewunderung fort-
gerissen; so siedelte sie denn 1861/62 definitiv nach Italien über, dem schönen
Lande der »liberaloni« und des parlamentarischen Regimentes, der Anarchisten
und des triumphierenden *spirit0 dentacratico*, der Revolutionen und Umzüge,
Feuerwerke und Böllerschüsse zu Ehren der l'rciheit. Dali gerade in Italien
das arbeitsame und alkoholscheue \'olk geflissentlich in Dumpfheit, Unwissen-
heit, Schmutz und Knechtschaft gehalten wird — und zwar nicht durch seine
Könige, die nach dem Grundsatz i7 re regna € nm govema zu völliger politi-
scher Untätigkeit verurteilt sind; auch nicht durch seine Minister, die in
steter Furcht vor dem serschmetternden Votum der Kammer ein jammervolles
Eintagsfliegendasein führen; vielmehr durch die Riesengrundbesitzer und
Kapitalisten, vor allem aber durch die 300 Allmächtigen, die nach allge-
meinem und direktem Stimmrecht, d. Ii. hier zumeist nach dem Tmuip der
Bestechung gewählten Abgeordneten, und ihre Gesetzgebung — , das konnte
sie nicht wissen, das hat ihr »Idealismus« zeitlebens nicht begriffen. Der
Idealismus glaubte dem entsetzlichen Elend der römischen Bevölkerung abzu-
helfen, indem er bei Spazierfahrten in eleganter Kutsche auf dem Pincio
reichlich Soldi unter tlie Bettler verteilte, deren mancher schon ein stattliches
Vermögen angesammelt hat, oder indem er bei zierlichen Teegesprächen
für sozialistische Parlamentarier schwärmte und gegen die gerichtliche Ver-
urteilung von Räubern und Mördern protestierte. Seinen Triumph aber, und
zwar einen durchaus nicht unverdienten, feierte er in Malvidas literarischem
Hauptu'erke, den Memoiren einer Idealistin, deren erster Band 1869 zu-
nächst in französischer Sprache in Genf erschien; das deutsche Original
wurde dann mit den beiden anderen Bänden 1Ö7Ö in Stuttgart gedruckt,
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400
von Meyicnbttg.
nachdem die vielgereiste Verfasserin, die inzwischen auf \Va<;iiers Veran-
lassung mehrmals auch nach Deutschland gekommen war, in Rom ihren end-
gültigen Wohnsiu aufgeschlagen hatte. Die Memoiren reichen bis zur Pariser
Tannhftuserauffübrung; die folgenden Jahrzehnte hat sie im Lebensabend
einer Idealistin (Berlin 1898) geschildert, und fOr den Rest ihres Lebens
gibt der ausgezeichnete Historiker Gab ri el Monod, der sich 1872 mit Mal-
vidas Pflegetochter Olga Herzen verheiratet hatte, im Vorworte zu den neuem
Auflagen der Memoiren einige ergänzende Mitteilungen. Wie man sieht,
wird der selbstgewiihlte Titel einer Idealistin mit konsequenter Hartnäckig-
keit aar Schau getragen. Ob mit Recht? — In den Memoiren läfit dieVer*
fasserin bei der Nachricht vom Tode des Zaren Nikolaus ihren Gefühlen
freien Lauf und bricht in einen Jubel aus, daß man sich unwillkürlich fragt,
ob es denn unter den Londoner Kmigranten keinen Odysseus gab, der dieser
Eur)'kleia ihr l*>oh!ocken an der Leiche verwiesen hätte. Natürlich fand sich
in jener Gesellschaft ein solcher Odysseus nicht; natürlich ist es auch, daß
Malvida über die wahre Tätigkeit des Zaren nicht gut informiert war, der
mit seinem energischen persönlichen Eingreifen über die Köpfe der Höflinge
hinweg so häufig nicht das Volk sondern dessen Blutegel, die betrügerischen
Bureaukraten i)ackte; vollkommen natürlich war es dann, daß die Exilierte sich
über den Tod ties Verhaßten, der ihren besten Freuntl verfolgte, aus vollem
Herzen freute. Aber warum man sol* he Kmptiiulungen gerade als Idealismus
anzusehen hat, dafür ist die \ erfasserin den lieweis schuldig geblieben. Im
übrigen besitzt ihr Buch vortrefRiche Eigenschaften. Es ist spontan en^
standen, ohne Koketterie und Effekthascherei, ja ohne Prtttentionen; es ist
von jenem Charme durchdrungen, der das alte Fräulein bis in ihre letzten
Lebensjahre hinein auszeichnete, und ihr so viele Seelen, große untl kleine,
gewann. Ks enthalt neben einigen leicht faßlichen (bedanken — allerlei
anschauliche Schilderungen aus einer längst verschollenen »guten alten« Zeit
und offene Bekenntnisse einer nach Selbständigkeit ringenden Natur; es er-
zählt in würdigem Tone von Frauenrechten und von Liebe; es ist durch-
tränkt von Hohn und Erbitterung gegen so veraltete Einrichtungen wie Staat,
Militär und Kirche; es plaudert harmlos von kleinen Städten Deutschlands
und grollen des Auslaiules, von Fürsten und Ministern, Salons und Palästen,
berühmten Männern und strebsamen Krauen, fremden Sitten und mannig-
fachen Reisen, kurz von allem was ein deutsches Mädchen gerne liest, und
überall in einer ansprechenden, freundlichen, oft durch einen Anflug schelmi-
scher Ironie gewürzten Manier. So bildet es in der an hübschen Memoiren
recht armen deutschen Literatur ein Pendant zu den gleichfalls vielgelesenen
»Jugenderinnerungenct Wilhelms von Kügelgen, der freilich mit der Selbst-
bezeichnung 'eines alten Mannes nicht nur den bescheideneren, sondern
auch den treffenderen Namen gefunden, übrigens vor Malvida den wesent-
lichen Vorzug der Kürze voraus hat; und wie seine Erinnerungen ihren
starken Erfolg hauptsächlich der Vereinigung von burschikosem Humor und
christlicher Frömmigkeit verdanken, so beruht der von Malvidens Buch wohl
zumeist auf der Kombination von weiblicher Grazie und individueller
Arbeitslust.
Wenn man direr .schriftstellerischen Tätigkeit gerecht werden will, so soll
man von ihren Büchern nur die Memoiren lesen. Als sie etwa dreißig Jahre
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▼on Meytenbug.
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nach deren erstem Bande den »Lebensabend« schrieb, da war sie nicht nur
erheblich matter und seßhaft geworden (obgleich sie noc h immer viel reiste),
sondern auch durch literarische und gescllschaftliciie Erfolge verwöhnt; sie
thronte ii^ ihrem hübschen Salon, den sie sich in einem einfachen Hause auf
dem Collis Oppius mit der Aussicht auf das Kolosseum und den Konstantins-
bogen eingerichtet hatte, empfing Alt und Jung, Hoch und Niedrig mit un-
verwüstlicher (keineswegs gleicher) Liebenswürdigkeit, aber geriet mehr und
mehr in die (jlewohnheit zu »orakeln«. Ihren Briefen, ja selbst den kleinsten
liillets gab sie mit \'orIiebe eine pointierte, gesucht literarische Form, als
erwartete sie im stillen, daß sie einstmals gedruckt werden würden. — Jungen
Leuten, selbst solchen die ihr persönlich ganz unbekannt waren, erteilte sie
mit Vorliebei ob gebeten oder nicht, Empfehlungsbriefe, ohne zu ahnen, mit
welchem Lächeln solche zuweilen aufgenommen wurden. — Als eine Dame
aus Bukarest ihr über die traurige Lage der Israeliten in Rumänien schrieb,
antwortete sie ganz ernsthaft mit Ratschlägen zur Resserutig. — Als eines
Tages Björnson sie besuchte, empfing sie ihn mit den Worten • Ihr Skandi-
naven habt jetzt die Welt erobert!« worauf der würdige alte Herr mit ruhigem
Stolze zur Antwort gab: »Ja wohl, wir und die Russen.« — Als sie von
Pausanias, einem Autor, den sie zuweilen zitiert aber nie gelesen hatte, durch
die Vermittelung eines befreundeten Philologen* ein ganzes Buch, die Be-
schreibung Attikas, kennen lernte, äußerte sie zum Übersetzer »Am meisten
hat es mich erfreut, daß die Athener dem Mitleid einen Altar gesetzt
hatten«. — Dieser Ton durchzieht den ganzen - Lebensahend , umi wenn es
sich um politische Feinde handelt, dann wird nicht mehr bloß gejubelt, wie
einst beim Tode des Zaren Nikolaus, sondern es wird gelegentlich der Neapler
Boutbonen von 1799 das weitere dekretiert, dafi »keine Flamme der Hölle
heiß genug wäre für solche Unmenschen. . . . Die Vernichtung wäre ein zu
großes Glück für solche Wesen. Die müssen braten in ewiger Qual! —
Also spricht der Idealismus, spricht eine die alt ist, aber treu bis an F.ntle.
Freilich, Nietzsche hatte andere Erfahrungen mit ihr gemacht. £r lernte
sie 187z in Bayreuth durch Wagner kennen, der damals zur Feier der Grund-
steinlegung seines Bühnenfestspielhauses eine imposante Aufiühning der
neunten Symphonie veranstaltete. Sc hon vorher hatte Malvida, ebenfalls auf
Wagners Anregung, die Piehurt der Tragödie gelesen, und nun war sie von
dem jungen Professor, der ihr so vieles von den (kriechen erzählen und dabei
so wunderbar Klavier spielen konnte, nicht minder entzückt als von seinem
Buche. Aber wie so viele, hat auch sie sich nur so lange für ihn interessiert,
wie er als Wagnerschriftsteller gelten konnte. Dafi er 1876, wo sie im ersten
Bayreuther Festspiele alle Wonnen des befriedigten Wagnerfanatismus durch-
kostete, unter dem Eindrucke der Proben tief verstimmt das Weite suchte,
erfüllte sie bereits mit geheimem Grauen; sie bemitleidete den armen Menschen
und hielt ihn für krank, sah aber noch eine Weile ganz giuidig auf ihn herab,
und in dem Sorrentiner Winter 1876/77, der den letzten vergeblichen Annähe-
rungsversuch zwischen den beiden groflen Männern bringen sollte, vertrug sie
sich mit ihm hauptsächlich deshalb, weil ein Schüler Jakob Burckhardts
dessen Kolleghefte über griechische Kulturgeschichte vorlas und Nietzsche
erläuternde Bemerkungen hinzufügte. Auch wußte sie es zu schätzen, daß
der Vereinsamte sich in traulichen Teestunden bei ihrem milden Geplauder
Biogr. jahrbuch u. Deuttcher Nekrolog. 9. Jid. 2Ö
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von Meyfcnbug.
behaglich fühlte, und so hat sie einen Teil der schönen Briefe, die er ihr in
kindliciicr Dankbarkeit sandte, mit einigen halb wohluolienden, halb weg-
werfenden Phrasen veröffentlicht, zunächst in der »Neuen Freien Presse«.
Von der ungeheuren markverzehrenden Geistesarbeit, in der er eben bei ihr
zeitweilig Erholung suchte, hatte sie keine Ahnung; seine Werke waren ihr
gleichgültig, und als er sich im »Fall Wagner« gar erkOhnte, an der Unfehl-
barkeit Wagnerischer Stilprinzipien zu zweifeln und über die massiven Theater-
puppen T^ayrcuths die ganze Lauge seines zersetzenden und dabei so unend-
lich produktiven, echt attischen Spottes auszu^iielk-ii, da erklärte sie ihm
einfach, und zwar immer im Tone von oben herab, daü sie nnt ihm nichts
mehr zu tun haben wolle. Er schrieb ihr darauf eine Karte, in der er »e
mit Kundry verglich und sich »der Gekreuzigte« unterzeichnete; danach
mufit er schon verrückt werden, es blieb niclits anderes übrig. Daß sie ihn
nie auch nur im geringsten verstanden hatte, beweist am besten ihr Aufsatz
über ihn in den Individualitäten (Herlin 1901); das sehr dickleibige Bui h,
das sonst außer einigen persönlichen Erinnerungen nur Kompilate enthält,
zeigt aufs neue, dafi sie sich bei Menschen vom Schlage Mazzinis besser
befond.
Ihr eigenes Philosophieren hielt sich nach wie vor ruhig in den Bahnen
Schopenhauers; am meisten davon findet man in ihren Stimmungsbildern
(Leipzig 1879; die zweite Auflage, vermehrt durch eine warm empfundene
Parsifalstudie, erschien i<SK.j. die dritte mit einer Biographie Herzens 1900).
Auch hier wie in den Betrachtungen über Goethes Leben (Goethe-
Jahrbuch XXI) kann von originellen oder treffenden Gedanken nur wenig die
Rede sein, während die erzählenden Partien wieder ihre schon gerühmten
Vorzüge erkennen lassen. Störend wird mancher vielleicht den allzu häufigen
Gebrau< h des Wortes edel« finden; offenbar war es ihr eigenes Bestrehen,
in allem für >edel zu igelten, untl man wird ihrer etwas altertümlich blasst-n
Schreibweise d;u> Prädikat gerne gönnen, etwa wie man die Korrespondenzen
kleindeutscher Hofdamen oder die Lieder ohne Worte Mendelssohns edel zu
nennen gepflegt.
Auf jeden Kall stehen ihre betrachtenden und autobiographischen Schriften
ueit über ihren dichterischen Versuchen: den Gesammelten Krzählungen
(Zürich 1885) und vollende ilem dreibäntligen Romane Phaedra (Leipzig
1885), von dem selbst ihre wärmsten V erehrerinnen nicht mehr zu sprechen
wagen. Hier sind in buntem Durcheinander, dabei in strenge kadenziertem
Schritte, die verschiedensten Objekte, vom Himmel Griechenlands und der
buddhistischen Weltanschauung bis zur sozialen Frage und Prostitution, nicht
ohne scharf tendentiöse Prinzipien nach Stilmustem des XVIII. Jahrhunderts
behandelt; es ist seltsam, daß ein so belesener Mensch wie Malvida sich so
über die eigenen Kräfte täuschen konnte. Immerhin besitzt diese >iPhaedra«
das Verdienst, den genialsten und geplagtesten Herausgeber von Euripides'
Hippolytostragödie, der in seiner Gewissenhaftigkeit die drei Bände durch-
gelesen hatte, zu einem vielsagenden ironischen Lächeln veranlallt zu haben.
Dieses Lächeln hat die streitbare Greisin auf manchem geistvollen Ant-
litz hervorgerufen, z. B. auf dem Theodor Mommsens und Bernhard v. Bülows;
ihr ^ Idealismus und ihre Kurzsichtigkeit verhinderten sie es zu bemerken
und die echte Wirkung ihrer weltverbcssernden Vorschläge zu erkennen.
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von Meysenbug^.
Man bedenke nur: «... das Geld, was jetzt für elendes Stückwerk hingegeben
wird, sollte verwendet werden, wahre Künstler zu befäliigen einmal im Jahr
Würdiges, Erhabenes, Vollendetes zu leisten und dies allen, auch den (leringsten
im Volke, zugänglich zu machen. Wenn die mit den Geschicken der \ ülker
Betrauten hieran denken wollten, anstatt an blutigen Streit und unfruchtbare
politische .Kombinationen, so wOrden sie mächtig dazu beitragen, Schöpfer
einer wahren Kulturwelt zu werden, was denn doch der eigentliche Zweck
des Daseins sein muß (Stimmungsbilder* 234). Solche und ähnliche Sätze
hat der jetzige deutsche Reichskanzler, in dessen Hause ihre Verfasserin viele
Jahre lang als intime Freundin verkehrte, massenweise gelesen; sie konnten
auf sein sarkastisches Gemüt nicht anders wirken als die »Phaedra» aut das
des grofien Darstellers der griechischen Literaturgeschichte. Indessen war
Malvidens gesellschaftliche Stellung in Rom noch auf etwas anderem, basiert
als ihrer schriftstellerischen Fruchtbarkeit und ihrem hohem Alter, ihrer
Liebenswürdigkeit und adligen Herkunft; das war ihr eminentes musikali-
sches Talent. In ihrer Jugend halte sie viel gesungen, während der Ham-
burger Zeit sogar in a-capella-Quartetten ; nur äulJere Umstände, darunter
auch ihr Augenleiden, hatten sie an eingehenden Instrumentalstudien ver-
hindert Zu hören bekam sie in England — bis auf vereinzelte Ereignisse —
natürlich noch weniger als in Kassel und Detmold; desto ausgiebiger war ihre
kontinentale Periode, und in dem langen Verkehre mit Wagner und Liszt
(dessen Kompositionen ihr gleichgültig l)Iiel)en), mit Hans von Hülow und
Xietzsche konnte sie ihre Kenntnisse ausdehnen und ihre Auffassung ver-
tiefen. Ein solches Verständnis seitens eines intelligenten Hörers tut jedem
ausübenden Musiker wohl, und so genofi sie während der letzten Jahrzehnte
ihres Lebens mitten in der römischen Musikwfistenei die herrlichsten Auf-
führungen in ihrem Hause. Stets hielt sie ein Piano b^it, auf dem sie
sich noch als Fünfimtlacht/.igjährige «las gciamte wohltemperierte Klavier aus-
bat; als an ihrem Geburtstage im Jahre 1900 ein Musiker, dessen Wofmung
sie nicht ohne Mühe erklomm, in magischem, ihre Augen schonendem Halb-
dunkel auf einem vorzüglichen Blüthnerflügel ihr und ihrer Familie erst eine
Reihe Bachischer Originale, dann ihr erklärtes Lieblingswerk, das große Adagio
aus Beethovens Hammerklaviersonate Opus io6, und schließlich Anfong und
Ende des l'arsifal vorgespielt hatte, da sprach sie mit einer Rührung, die
auf wahrhaft künstleris( lier Kmj)fänglichkeit beruhte, von der höheren Welt,
in die sie bald einzugehen hoffte und deren Wesen sie bei diesen Klängen
ahnte. Auch Historiker, wie der geistvolle Beethovenbiograph Romain
Rolland, und vorzügliche Geigenkünstler kamen zu ihr, besonders häufig
der große Cellist Valentin Müller, der ihr nur allzubald ins Grab folgen
sollte, und eine junge russische Violinmeisterin von einzigem Genie, deren
hinreißender Ton und Vortrag sie zu einer solchen Begeisterung entflammte,
daß sie jahrelang ihre Nähe nicht missen wollte, ihr überschwängliche Briefe
schrieb und ihr tlie Erziehung ihrer Lieblings-Wahlenkelin anvertrauen wollte,
ja sie vor Zeugen als heilige Cäcilia begrüßte. So durfte sie in ihrer stillen
Klause die erlesensten Duos und Trios genießen; und da die höchsten Werke
der Kammermusik, die klassischen Streichquartette und -Quintette, als solche
nicht aufgeführt werden konnten (die römischen Musikanten spielen in der
Regel nur für Geld und auch dann barbarisch), so half sich die heilige
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von Meysenbttg.
Cacilia, indem sie selbst die erste Violinstimme genau n.ich dem Wunsche
der Schöpfer vortrug und alles übrige aus der Partitur auf das Klavier über-
tragen lieU. Hierbei bewährte. nun Malvida ein Emphnden, das sich selbst
durch Wagnerische Vorschrihen nicht eindimmen Hefl. Wagn« hat z. B.
von Schubert immer nur im Sinne der Trivialtradition, d. h. als vom Lieder>
komponisten gesprochen ; von seinen Instrumentalwundem, soweit er sie Ober-
haupt anhörte, hat er nichts begriffen. Malvida lernte nun an ihrem Klavier
das große C-dur-Quintctt kennen, dieses hödiste Produkt aller Kammermusik
überhaupt, das einzige, tlas geistig und klanglich selbst über Beethovens
späteste Quartette hinaus einen Fortschritt bedeutet (den letzten, den diese
Kunstgattung getan hat); sie verstand es sofort und ward ihm in seiner
ganzen Fülle gerecht Ein andermal spielte man ihr in gleicher Weise
Beethovens Cis-moll-Quartett Opus 131 und las ihr nachher die Deutung vor,
die ihm Wagner in seiner Säkularsrhrift »Beethoven« gegeben hat; da be-
merkte sie ruhig und durchaus treffend: Ja, das ist alles ganz schön, aber
es lielie sich doch noch ganz anderes darüber sagen.« Als sie diis A-moll-
Quartett Opus 132, das den Dankhymnos eines Genesenden an die Gottheit
(in der lydischen Tonart) enthält, ebenso gehört hatte, bat sie sich selber
eine genaue sachliche und technische Analyse aus; sie rückte ihren Stuhl
ans Klavier, folgte trotz ihrer Kurzsi« htigkcit dem Interpreten durch jeden
Takt der Partitur und fragte ihn st hlieülich nur staunend »haben Sie sich
das alles selber ausgedacht?« — Und noch in einem anderen Punkte wagte
sie es, sich von den Gesetzen Wahnfrieds zu emanzipieren. Als 1895 Sieg-
fried Wagner nach Rom kam um ein Konzert mit Werken seines Vaters und
Großvaters zu geben, da setzte sie zwar mit nervösem Eifer Himmel und
Krde in Bewegung, um dem jungen Anfänger zu günstiger Wirkung zu ver-
helfen, zumal man ihr brieflich weiü gemacht hatte, daß er ein guter Musiker
wäre und die Massen zu inspirieren verstünde ; aber als er ihr später seine
Oper »Der Bärenhäuter am Klavier anzutleuien versuchte (was infolge techni-
scher Unfähigkeit mifilang, jedoch immerhin die vorhandenen Themen er-
kennen liefi), da verzog sie keine Miene, und kein Wort der Anerkennung
kam über ihre Lippen, während die geschäftige Partei bereits d«i Sohn als
berufenen Nachfolger des X'aters proklamierte und seinen Ruhm in alle Welt
posaunte. Selbst «.lie acht wirklich guten Takte, die das Vorspiel zum dritten
Akt enthält, gingen spurlos an ihr vorüber, obgleich sie echt wagnerisch
klingen und am Klavier besser wirken als im Orchester, wo eine schfiler>
hafte Instrumentation ihren Charakter verwischt. — Ein eigmitümlicher Zufall
wollte, daß die allerneueste und die allerälteste Musik fast genau gleichzeitig
bei ihr Eingang fanden: in denselben Sommertagen 1894, wo sie den ganzen
gewaltigen (lolgatha-Zyklus von Paul Cicisler am Klaviere verfolgte, erfuhr
sie durch einen Philologen von den Hymnen aus dem dritten vorchristlichen
Jahrhundert, die durch die französischen Ausgrabungen in Delphi zutage
gefördert waren. Sogleich veranlaflte sie die Gattin des deutschen BottdbtAen
/u einer Soiree, in der die wichtigsten Bruchstücke des eigentümlichen Fundes
durchgesungen wurden. —
Malvidens äußere Krscheinung war klein und zierlic h, ihre Konstitution
zart und emptindlich; dennoch hatte sie sich, zumal auf Reisen, oft viel zu-
gemutet. Allmählich merkte sie, daß sie aus dem Norden, den sie wegen
von Meysenbug. von MtnAner.
ihrer Angdiörigen jeden Sommer auEsndite, regelmftfitg ein physisches
Leiden mitbrachte; doch stellte sie ihre Fahrten auch dann noch nicht ein,
sondern suchte während der lu'iüen Monate Erfrischung in Sorrent 0(ler Isrhia,
einmal auch an der toskanischen Küste neben der Arnomündung, ein ander-
mal in Castel Gandolfo am rebenreichen Abhänge des Albanerberges, und
noch im letzten Sommer ihres Lehens in einer kleinen Villa am Volsker-
strande von Nettano. Aber die schmerzhaften Anfälle wurden h&ufiger tind
intensiver; dann suchte sie Heilung bei der Arimondaschen Elektrisiermaschine,
an deren Wunderkraft sie so felsenfest glaubte, dalJ sie nach jedem Gebrauche
ihres Stromes frischer erschien und überzeugt war neue Lebenskraft gewonnen
zu haben. Endlich, als auch dieses Mittel versagte, mußte sie einen Arzt zu
Rate ziehen; sie vertraute sich einem hervorragenden römischen Chirurgen
an, der sie seit Jahren aus intimem Verkehr gut kannte und dem sie auch
persönlich lebhaft zugetan war. Er konstatierte in mühsamer Untersuchung
einen Darmkrebs, der nur durch eine komplizierte und gefährliche Operation
zu entfernen war. Ohne weiteres wollte die beherzte Greisin sich ihr unter-
ziehen; der Arzt lehnte es jedoi Ii ab, ein so kostbares und gebrechliches
Leben aufs Spiel zu setzen. So behandelte er sie vorsichtig mit Palliativ-
mitteln, bis sie an einem hellen Frühlingstag im Beisein ihrer Angehörigen
verlosch. Ihrem Wunsche gemäfi wurde ihre Leiche im Krematorium an der
Via Tiburtina verbrannt; die Asche wurde unter den Zypressen des protestanti-
schen Friedhofes bei der Cestius-I'vrainidc beigesetzt. Linter einem einfachen
Tempelchen aus iKlIcm Travertin steht die dtinkelrote Maniiorvasc. unter ihr
die Inschrift Amorc I'iuc, über ihr ein Bronzemedaillon, diis die Züge der
Verstorbenen in arger Entstellung wiedergibt Auch das Lenbachsche Porträt,
dessen Reproduktion den »Lebensabend« schmückt, ist weder ähnlich noch
charakteristisch, vielmehr eine brutale Karikatur von manirierter Ausführung,
des großen Malers ebenso unwürdig wie des dargestellten Wesens; dagegen
enthalten die neuesten .\uflagen der Memoiren eine ansprechende Photo-
graphie aus Malvidens besten Jahren.
Rom. Friedrich Spiro.
Maufhner, Gustav Ritter von,*) hervorragender österreichischer Finanz-
mann, Direktor der k. k. priv. österreichischen Kredit-Anstalt für Handel
und Gewerbe, Mitglied des österreichischen Pferrenhauses, ♦ am 16. April
1848 zu Hofic in Böhmen, f im 55. l.ebensjahr nin iq. Mai 1902 zu Vöslau
bei Wien. — Die Familie, der M. entstammte, liat sich bedeutende Ver-
dienste um die F.ntwicklung tler i e.\tilindustric in Osterreich erworben. M.s
Grofivater errichtete in der kleinen Stadt HoKc bei Königgrätz in Böhmen
eine Weberei. Dieser Ahnherr der zahlreichen Familie M., von der heute
einzelne Zweige in Österreich, in Ungarn und im Deutschen Reich ansässig
sind, war ein wahres Wunder seiner Zeit: er erreichte ii:inili( h ein Alter von
105 Jahren, Ijüeb bis zu seinem Lebensende körperlich und gci'-ti.i: rüstig
und war bis kurz vor seinem Tode noch unermüdlich in seinem Geschäfte
tätig. Von der außerordentlichen Lebenskraft und Arbeitsfreudigkeit dieses
Patriarchen ist ein gut Teil auf seine Nachkommen übergegangen, und der
') Totenliste 1902 Ed. Vll 77*.
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von Muttiner.
Ahn konnte noch viele seiner Kinder and Enkel in hervorragenden und
glänzenden Stellungen sehen. Einer seiner Söhne war der Vater des im
Jahre 1004 verstorbenen Präsidenten der niedcröstcrreichischcn Handels-
und (lewerbekiiminer, des Mitgliedes des österreichischen Herrenhauses und
kaiserlichen Rates Mux Kreiherrn von M.
Kinder eines Schwiegersohnes, Emanuel M^, der nach dem Tode des
Schwiegervaters die von diesem gegründete Weberei in HoHc Qbemahm and
dieselbe zu einer heute noch dort bestehenden, mit Dampfkraft lleiriebenen
Fabrik ausf^estaltete, waren Gustav M. uml dessen jetzt noch lebende (je-
schwistcr: Krnst M., heute Besitzer einer bcdenti iidcn Spinnerei und Weberei
2U Hubentsc h bei l'rag, der gegenwärtig in Berlin lebende Schriftsteller Fritz
M., dann Alfred M., heute Direktorstellvertreter der L ngarischen Allgemeinen
Kredit-Bank in Budapest und Frau Marie Kuh, Gattin des ehemaligen Präsi-
denten des Prager medizinischen Doktorenkollegiums, Dr. Rudolf Kuh.
Gustav M. erhielt eine sehr sorgfältige Erziehung ; sein Studiengang umfafite
«gleich dem, den junge Leute, welche sic h dem Handel oder der Industrie widmen
wollen, in Osterreich aueh heute noch gewöhnlich einzuschlagen j)Hegen, die rea-
listischen Fächer: er besuchte die deutsche Oberrealschule in der Nikolander-
gasse in Prag und nach Absolvierung derselben die Prager deutsche Handels-
akademie. Im Jahre 1864 trat er, noch nicht siebsehnjährig, bei der kurs
vorher in Prag errichteten Hauptagentur der Gesellschaft für Lebens- und
Rentenversicherungen »Der .\nker als Kontorist ein. Die ziemlich eintönige
Arbeit in dieser damals unter der Leitung des Sekretärs Schlesinger stehen-
den Agentur vermochte aber den jungen Mann mit seinem lebhaften Geiste
nicht zu befriedigen. Als sein Bruder Emst M. im Jahre x866 nach Wien
übersiedelte, um sich dort eine Existenz zu gründen, gab Gustav seinen
Posten beim »Anker« auf und schloß sich dem Bruder an. Es gelang ihm
aber nicht sofort, in der Hauptstadt ein .\rbeitsfeld zu finden, das seinen An-
lagen und Neigungen, die ihn zum Bankfache zogen, vollständig entsprochen
hätte; er nahm also zunächst eine Stellung in einem Fabrikskontor an, die
er durch drei Jahre bekleidete. Endlich ging sein langgehegter Wunsch,
einen Posten in einer Bank und damit ein größeres Gebiet für seine Tätig-
keit zu erlangen, in Erfüllung: am 3. August 1869 trat er als Beamter bei
der Wiener Zentrale der österreichischen Kredit-Anstalt für Handel und Ge-
werbe ein. Dieses große Baiikinstitut, eine Gründung des Finanzministers
Freiherrn von Bruck, bestand zwar damals nocii nicht ganz 14 Jahre — die
Kredit-Anstalt wurde am 31. Oktober 1855 aal 90 Jalne konzessioniert —
spielte aber vermöge seiner für jene Zeit ganz gewaltigen Kapitalskraft und
seiner großen Rührigkeit neben der Notenbank der Monarchie, der privile-
gierten österreichischen Nationalbank, die erste Rolle unter den Wiener
Banken. Das .Xktienkapital der Kredit-Anstalt, das ursprünglich bei der
Gründung der Anstalt mit 100 Millionen (iulden ö. \V. festgesetzt, aber nur
mit 60 Millionen Gulden <>. \V. eingezahlt worden war, betrug im Herbste des
Jahres 1869 nach vorhergegangener zweimaliger Herabminderung 40 Millionen
Gulden Ö. W., während gleichzeitig das eingezahlte Aktienkapital der nach der
Xationalbank und der Kredit-Anstalt kapi tatkräftigsten unter den damaligen
Wiener Banken, der 1869 gegründeten Kranko-t österreichischen Bank, sich nur
auf 8 Millionen Gulden ö. W. Silber belief. Die Kredit-Anstalt besaß bereits
Toa Msvttuicr.
407
Filialen zu Pest, Brünn, Lemberg, Prag und Triest und eine Agentur in
Troppau; ihre bis zum Jahre 1869 bestandene Re|)rä.sentan2 in Alexandrien
hatte sie in clicscm Jahr im X'ereinc mit der Anglo-Osterreichischen Bank in •
die Austro-Egyptisc he Bank umgestaltet.
M. war in das Bankfach zu einer Zeit eingetreten, wie sie so interessant,
SO ereignisreich und so vildbewegt in der Geschichte des Bankwesens der
Österreichisch-Ungarischen Monarchie nie vorher dagewesen war und auch nicht
so bald wiederkommen dürfte. Es war die sogenannte »Periode des volkswirt-
schaftlichen Aufs( luviinges ,, oder, wie sie nach der großen Börsenkrise vom
9. Mai iiS73 genannt wurde, die »Ära des (iründiiiigsscliwindels . Die seit
dem Jahre 1867 in geradezu stürmischer Weise eingetretene wirtschaftliche
Aulwärtsbewegung war nach einem kurzen Rückschlag im Hochsommer 1869
in eine wilde Spekulation Übergegangen, die bald zum tollsten Schwindel
ausartete. Gleich Pilzen schössen die Banken, die Eisenbahn-, Industrie- und
Baugesellschaften aus der Erde. Der Bedarf an leitenden Kräften für alle
diese Institute war ein ganz ungeheuerer, und eineglänzendeZukunft schien jedem
zu winken, der es verstand, diese günstige Lage der Dinge für sich ent-
sprechend auszunutzen. Scharenweise entliefen die jungen lieanuen ihren
Bureaus, ja selbst die Handelsakademiker den Lehrsfilen, um als Bureau- und
Abteilungsvorstände, wenn nicht gleich als Direktoren neugegründeter Insti-
tute wieder aufzutauchen oder sich selbständig als Börsenspekulanten zu
etablieren. Auch der junge M. konnte der \'ersucluiiig, der so viele erlagen,
nicht widerstehen. Kr verlielJ nach kaum dreijähriger l ätigkeit in der Kredit-
Anstalt im Juhre 1872 seinen dortigen Posten und trat in die im Jänner 1871
von der Anglo-Osterreichischen Bank in Verbindung mit drei anderen kleineren
Banken gegründete österreichische Allgemeine Bank ein, deren geschäfts-
führender erster Prokurist und späterer Direktor Karl M., sein Bruder,
war. Die österreichische Allgemeine Bank übernahm von der Osterreichischen
Zentralbank, einem der drei kleineren bei der (iründung der Osterreichischen
Allgemeinen Bank beteiligten und später mit dieser fusionierten Institute,
die dieser Bank gehörige große Wechselstube am Stock-im-Eisen-Platz in
Wien nebst dem Haus, in welchem sich diese Wechselstube befand. M.
wurde der Leiter dieser Wechselstube, die zu den bedeutendsten von Wien
gehörte und sich eines sehr großen Kundenkreises erfreute. Er war damals
kaum 3S Jahre alt, nach heutigen Begriffen also für den selbständigen C'hef
einer so wichtigen \V)teilung des Hankgeschäftes noch ganz außerordentlicli
jung. Aber das war zu jener Zeit nichts Autfallendes; gab es doch damals
selbst Bankdirektoren, die nicht mehr Lebensjahre zählten; ja älteren Be-
suchern der Wiener GeldbOrse ist noch wohl die Gestalt eines ungefähr
zwanzigjährigen Bürschchens erinnerlich, das im Jahre 1872 nach Aufgeben
seiner bescheidenen Stellung in einem Manuf.iktiirwarengeschäft am l'ranz
Josephs-(^uai sich der Börse zugewendet hatte, um sich dort mit großem
Eifer auf die Spekulation in Maklerbankaktien zu werfen. Der junge Mensch
mit dem zierlichen Monocle im Auge erzielte, obwohl fast ohne jedes
Kapita! zur Börse gekommen, glänzende Erfolge und besafl bald eine
prächtig eingerichtete Wohnung, Wagen und Pferde und selbstverständlich
auch eine elegante und kostspielige Freundin«, bis die große Börseiikata-
strophe im Mai 1873 diesem »Roman eines Kindes« ein Ende machte, und
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408
von Maudmcr»
<\cT knabenhafte Spekulant unter Hinterlassung von 3/4 Millionen Gulden
ö. W. utilicu'Iirhctur Differenzen aus Kostgeschäften wieder in der Dunkel-
. heit seiner früheren Lebensstelhuit; verschwand. Die Krise machte ;iuch der
Osterreiciiiselien Allgemeinen Bank und damit der weiteren Laufbahn M.s in
derselben ein frOhceitigeff Ende. Die am 7. September 1873 veröffentlichte,
per 30. Juni 1873 abgeschlossene Bilanz dieser unglücklichen Bank, die ein
eingezahltes Aktienkapital von 18 Millionen Gulden ö. W. gehabt hatte,
gestand bereits einen Verlust von 4.3 Millionen Gulden ft. \V. des Aktien-
kapitals zu; die ;iuf 200 Guhien ö. W. lautenden Aktien der Anstalt, die vor
Ausbruch der Krise den Kurs von 375 erreicht hatten, sanken infolgedessen
auf 90 und bald noch tiefer; die Bank trat am 13. Mai 1874 in Liquidation.
Jetzt bewarb sich M. wieder um seinen früheren Posten bei der Kredit-Anstalt
Er mußte bei dieser aus seiner vorherigen dortigen Tätigkeit ein sehr gutes
Angedenken zurückgelassen haben, denn die Anstalt nahm — ein seltener
Fall — den reuig zurückkehrenden Flüchtling mit offenen Armen wieder
auf, und von nun an blieb M. der Kredit-Anstalt treu. Seine Lehr- und
VVanderjahre waren zu Ende, in raschein Fluge strebte er jetzt der Meister-
schaft zu.
Zunächst als Börsenvertreter beschäftigt, war er im Jahre 1876 bereits
als Adlatus des Bankdirektors im Korrespondenzbureau der Zentrale der
Kredit- Anstalt tätig; im Jahr 1878 wurde er nach ilem Ausscheiden des
Direktors Hermann Ritter von Wollf aus der Direktion als Direktorstellver-
treler in das Direktorenkollegium berufen; im Jahre 1880 wurde er Direktor.
Ein Jahr vorher hatte M. die einzige Tochter des Kredit-Anstalt-Di-
rektors Karl Weift Ritters von Weiflenhall als Gattin heimgeführt; er wurde
also jetzt ilcr Kollege seines Schwiegervaters. Das Familienband, das M.
mit Weiß verknüpfte, sollte sich auch für die Kredit-Anstalt als sehr segens-
reich erweisen. M., der an seinem Schwiegervater bis zu dessen Ableben
mit grolier V'erehrung hing, wurde der treue Schüler des viel älteren Kol-
legen, der seinerseits redlich bemüht war, seine reichen geschäftlichen Kennt-
nisse und Erfahrungen seinem Schwiegersohne zugute kommen zu lassen.
Karl Weifi war früher ein angesehener Kaufmann gewesen, der vornehmlich
den Verkehr mit den italienischen Provinzen der Monarchie gepflegt hatte. Als
das Lombardo-Venetianische Königreich für Österreich verloren gegangen war,
hatte sich Weiß einen anderen Wirkungskreis gesucht utul trotz mehrseitigen
Abratens die Stelle eines Direktors der Kredit-Anstalt aiigenommen. Die
Lage der Kredit-Anstalt war damals eine ziemlich ungünstige; der Kurs
ihrer Aktien war nahezu auf die Hälfte des eingezahlten Betrages gesunken.
Weiß, der sich als Kaufmann eines tadellosen Rufes und eines großen An-
sehens in der ( leschäftswelt erfreute und Mitglied der niederösterreichischen
Handels- und Ciewerbekainmer und <les Zensorenkollegiums der privilegierten
österreichischen Nationalbank sowie der Zensorenkollegien anderer Insti-
tute gewesen war, hatte sich als Direktor der Kredit-Anstalt bald durch
seinen ungeheueren Fleifi, seine Tatkraft und seine geschäftliche Gewandtheit
einen etuscheidenden Einflufi auf die Geschäftsführung der Anstalt erworben.
Seiner Vorsicht war es zum großen Teile zu verdanken gewesen, daß die
Kredit-Anstalt ohni- l- inbulk- an Kapital utul Kredit aus den pTschütterungcn
tler fürchterlichen Krise von 1873 hervorgegangen war, während welcher die
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Ton Mantlmer.
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ältesten Geschäftsliäuser der Monarchie ins Wankcii gekommen, und Institute
wie die k, k. privilegierte allgemeine östcrreichisrlic Bodon-Kredit-Anstalt,
Firmen wie Johann Liebieg & Comp, genötigt gewesen waren, um Staats-
hilfe anzusuchen. Die kluge Zurückhaltung des Direktors Weiß vor und
während der großen Krise hatte wesentlich dazu beigetragen, das Vertrauen
zu ihm in der Bankwelt zu festigen und zu erhöhen.
Das Beispiel dieses ausgezeichneten Mannes war nun bestimmend für die
weitere Entwicklung M.s, und die vornehme unrl vorsichtige Geschäftsführung
in der Kredit-Anstalt wurde auf diese Weise zur Tradition.
Als Direktor Weiü, der bis zu seiner im Jahre 1888 erfolgten Wahl in
den Verwaltungsrat den Vorsitz in der Direktion geführt hatte, sich im Jahre
1889 vollständig auf sein Altenteil, die Stelle eines Präsidenten des Ver-
waltungsrates der Kredit-Anstalt, zurückzog, trat M. als Vorsitzender an die
Spitze der Direktion; nach den Statuten der Kredit-Anstalt obliegt nämlich
die Oberleitung der (leschäfte dem von der (Generalversammlung gewählten,
aus mindestens 15 und höchstens 20 Mitgliedern bestehenden V'erwaltungs-
rate, das Vollzugs- und unmittelbare Verwaltungsorgan der Gesellschaft
ist aber die aus mindestens drei Direktoren bestehende Direktion; ihre
Mitglieder werden vom Verwaltungsrat ernannt, der auch stets einen Direktor
zum Vorsitzenden der Direktion bestellt. Den Posten eines Vorsitzenden
der Direktion bekleidete M. nunmehr durch dreizehn Jahre bis zu seinem
Tode. Seine hervorragende Hedeutung in der Kredit-Anstalt begann jedoch
nicht erst mit dem Zeitpunkte seiner Ernennung zum Vorsitzenden der Di-
rektion, sondern schon mit seiner Berufung in das Direktorenkollegium, und
von 1880 an war er bereits der eigentliche leitende Geist der Anstalt, und
sein Einfluß auf die Geschäftsführung neben dem seines Schwiegervaters der
maßgebende.
Unter den außerordentlich zahlreichen (ieschäften der Krctlit-.\nst.ilt
während M.s 22 jähriger Direktionsführung nehmen die Geschäfte mit der
österreichischen und der ungarischen Finanzverwaltung, obgleich nicht mehr
von der überwiegenden Bedeutung für die Anstalt wie früher, immer noch
einen sehr hervorragenden Platz ein; daO sie ungefähr seit 1880 eine wesent-
lich andere Gestalt angenommen haben wie vorher, war wohl zum weitaus
größteti TeUv durch die Verhältnisse bedingt, gleichwohl dürfen aber auch
M.s \ erdienste um diese geänderte Gestaltung nicht unerwähnt bleiben. Die
Kredit-Anstalt war aus der Finanznot der Staatsverwaltung heraus geboren
worden; den Zweck, zu dem sie gegründet worden war, bildete eingestan«
denermafien in erster Linie die Geldbeschaffung für den Staat, der in der
absolutistischen Zeit oft sehr große Not mit der rnterbringung seiner sich
rasch folgenden Aidehen hatte, so daß das österreii bist he l-"inanzministerium
damals stets einen eigenen Sektionschef besaß. de>sen Aufgabe es war, im
Auslande Geld für die i inanzverwallung aufzutreiben ; der letzte dieser für
das österreichische Finanzministerium im Auslände reisenden Sektionschefe war
der nachherige Gouverneur der k. k. privilegierten allgemeinen teterreichi»
sehen Boden-Kredit-Anstalt und später der Osterreichisch-ungarist hen Bank,
Alois Nfoser. gewesen. Die Aidehensunterhandlungen zwischen der Kinanz-
verwaltung und der K redit-,\nstalt trugen zu jener Zeit trotz des großen
Einflusses, den sich der Staat statutenmäßig auf die Leitung der Anstalt
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410
von Mauthner.
gewahrt hatte — die Wahl des Präsidenten und der beiden Vizepräsidenten
sowie die Hestellung aller Direktoren der Kredit-Anstalt bedürfen der Geneh-
migung seitens der Staatsverwaltung — häufig den Charakter von DuelJen,
bei weichen jeder der beiden Kontrahenten einen möglichst grofien Vorteil
Ober den anderen zu erringen suchte, und da die Finanzverwaltung der bcr
dürftige, die Kredit- Anstalt der gewährende Teil war, Qberdies in der
Anstalt auch meist die gewiegteren Kinan/männcr salien, so nahmen <lie
Verhandlungen nicht selten ein für die Hnanzverwaltung nicht eben erfreu-
liches Ende.
Das änderte sich gewaltig, als es den beiden Staaten der Monarchie
endlich gelang, dank der wenn auch langsam fortschreitenden Zunahme des
allgemeinen W'mIi] Standes aus dem Zustande der alljährlichen Fehlbeträge im
Staatshaushalte heraus und zu einer geordneten Finanz Wirtschaft zu gelangen.
Jetzt waren es nicht mehr die Kinanzverwaltungen, die sich um Anlehen,
sondern die Kredit-.Anstalt und ihre Geschäftsfreunde, die sich um die Ge-
schäfte bewarben, und das gab den Verhandlungen ein anderes Gesicht. Es
ist aber M.s unleugbares Verdienst, dafi er die gewaltigen Kapitalsansamm-
lungen, wie sie die modernen Grofibanken darstellen, nicht ausschließlich
vom Standpunkte tles Geschäftsmannes nur als Werkzeuge zum Geldverdienen
ansah, sondern daß er die sn/ialc Bedeutung dieser Institutionen richtig
erfaßte und sich auf den Standpunkt >tellte, eine (iroßltank gleich der Kretlit-
Anstalt sei nicht lediglich dazu tla, um eine mögliciist hohe Dividende zu
verteilen, sondern sie habe auch gewisse Verpflichtungen gegenüber der All-
gemeinheit. Diese seine moderne und man möchte sagen ideale Aufihissung
von dem Zweck einer Bank bewirkte, daß er bei den häufigen Verhandlungen
mit den Kinanzministorn der beiden Staaten (kr Monarchie niemals tlen
Patrioten vollständig hinter dem Hankdiroktor verschwinden ließ; sein \'er-
häitnis zu den i'inanzverwaltungen wurde ein geradezu freundschaftliches,
und bei all' den zahlreichen österreichischen und ungarischen Finanzmintstem
von Dunajewski und Szapäry angefangen bis zu Böhm-Bawerk und LukAcs
war M. außerordentlich beliebt und galt für einen wohlmeinenden Berater
und treuen Freund der beiden Finanzministerien. Daß dieses angenehme
\'crhältnis ihres leitenden Direktors zu den Schatzkanzlem der Monarchie
auch tler Kredit-.\nstalt zustatten kam, ist natürlich.
Von den großen in den Jahren 1880 bis 1902 in der Österreichisch-Un-
garischen Monarchie zur Durchfahrung gelangten staatsfinajziellen Operationen,
bei welchen M. in hervorragender Weise mitwirkte, und unter denen, ent-
sprechend der Ordnung der l'inanzen und dem gefestigten Kredite der beiden
Staaten der Monarchie, die Konversionen die Hauptrolle spielten, seien hier
nur die wi< htii,'stcn hervorgehoben:
in den Jahren 1881 bis 1884 führte die Kreditanstalt im Vereuie mit
den ihr befreundeten Grofibanken und Bankiersfirmen — man nannte diese
Vereinigung, der auch das Wiener Bankhaus S. M. v. Rothschild angehörte,
nach diesem Bankhause gewöhnlich kurzweg »die Rothschildgruppe » — die
Konversion der ungarisc hen 6° oigen Goldrente in eine 4" dige Goldrente
durch; innerhalb eines Zeitraumes von ungefähr vier Jahren wui<len von der
Kredit-Anstalt 400 Millionen (iulden in 6» uiger Goklrente aus dem Verkehre
gezogen, und dagegen 545 Millionen Gulden in 4"^oiger Goldrente in Umlauf
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von Manüifter.
411
gesetzt; es war dies das gröflte bis dahin von der Kredit-Anstalt durch-
geführte Finanzgeschäft.
Im Jahre 1893 folgte die Konversion der 5" oigcn österreichischen Noten-
rente und der 43/40/oigen und 5",üigen Kisenbahnstaatsschuldvers( hreibungen
der Kronprinz Rudolf -Bahn und der Vorarlberger Bahn in 4"oige öst^r
reichische Kronenrente und 4^/oige Eisenbahnstaatsschuldverschreibungen; es
wurden im ganzen um 299852100 Gulden ö. W. 43/40/oige und 5°/oige Obli-
gationen eingezogen, und dagegen 648345800 Kronen in 4" o igen Renten-
und Eiscnbahnstaatssrhuldverschrcibungen ausgegeben. In tlas gleiche Jahr
fällt tlie groüe Konversion von 465962510 Gulden ö. W. 5" oiger ungarischer
Notenrente und diverser Eisenbahn -Obligationen und -Aktien und von
16704400 Gulden 5- und 6<>/oiger ungarischer Eisenbahngoldprioritäten gegen
1062 Millionen Kronen 40/oiger ungarischer Kronenrente und 18 Millionen
Gulden 40/oiger ungarischer Goldrente.
In demselben Jahre 1803 begann auch die bedeutende, im Jahr iSo^
glücklich zu Kiulc urtührtc Operation der ( i()ldl>e>.chaffung für die Zwecke der
1892 von den Parlanienlen Österreichs und Ungarns beschlossenen Währungs-
refonn. Das Konsordum der Kredit-Anstalt übernahm von der österrreichisclien
Finanzverwaltung 150 Millionen Gulden 4<»/oiger österreichischer Goldrente
und von der ungarischen Finanzverwaltung 24 Millionen Gulden 40'oiger
ungarischer (}oldrente mit der Verpflichtung, den Gegenwert in effektivem
Golde zu leisten. Ks war in erster Linie der auüerordentlichcn Geschicklich-
keit, mit der M. diese groÜe Transaktion leitete, zu danken, daß es gelang,
die erwähnten bedeutenden Goldmengcn, die vornehmlich zur Einziehung
der österreichisch-ungarischen Staatsnoten bestimmt waren, ohne jede Beun-
ruhigung der auswärtigen Geldmärkte und der auswärtigen groflen Noten-
banken in die Monarchie zu ziehen.
Durch die österreichisch-ungarische Währungsreform wurde M. auch noch
vor eine andere Aufgabe gestellt: ihm wurde die Durchführung des unterm
2ü. Februar 1892 zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche
hinsichtlich der österreichischen Vereinstaler getroffenen Abkommens Ober-
tragen. Die österreichischen Vereinstaler waren die auf Grund des deutschen
Miinzbundes von 1857 in den Jahren 1858 bis 1868 in Österreich geprägten
l' iler und Doppeltaler, die im ganzen Gebiete des .Münzbundes von 1857
gesetzliches Kurantgeld waren. Als das Deutsche Reich im Jahre 1873 zur
Gokiwährung überging, setzte es die österreichischen Vereinstaler aulier
Kurs; diese Verfügung wurde jedoch im Jahr 1874 widerrufen. Die Folge
dieses Widerrufes, eines der unbegreiflichsten Fehler der deutschen Mänz-
gesetzgebung, war, daß die österreichischen Vereinstaler in DeutschLind
drei Reichsmark in Gold galten, auch noch zu einer Zeit, als durch das Sinken
des Silberj)reises der innere Wert dieser Taler schon W'eit unter den Wert von
drei Reichsmark gefallen war. Als im Jahr 1879 das fortgesetzte Sinken des
Silberpreises die l inanzverwaltungen Österreichs und Ungarns zur Einstellung
der freien Prägungen von Silber bewog, und das ö^erreichische Währungs-
silbergeld, weil es nicht mehr dem Bedarf entsprechend vermehrt werden
konnte, zu .seinem Silberwert auch noch einen Seltenheitswert erhielt und
dadurch bedeutend über den Wert des Harrensilber^ hinnuvstieg. da ergab
sich nun der merkwürdige Eail, daß eine und dieselbe Münze, der öster-
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von Mauthner.
reichische Vereinstaler, in Deutschland und in Österreich-Ungarn in gleicher
Weise gesetzliches Kurantgcld war, dabei aber in jedem dieser Staaten
einen verschiedenen und zwar einen weit über den Silbergehalt der Münze
hinausgehenden Wert besaß; in Deutschland galt der Taler drei Mark, in
Österreich-Ungarn i'/* Gulden ö. W.; in Deutschland war der Wert des
Vereinstalcrs gegenüber dem Gold ein fester, in Österreich-Ungarn, wo bis
zum Jahr 1.S92 kein gesetzliches Verhältnis zwischen dem österreichischen
Wälirungssilbcrgeld un(l dem (lolde bestand, war er ein schwankender, er-
reichte aber nie die Höhe wie in Deutschland. Infolge dessen waren die
österreichischen \ crcinstalfr l)ald fast vollständig nach Deutschland, als dein
Lande, wo sie höher bewertet wurden, ausgewandert, und im Jahre 1891
lagen j6 Millionen Taler oder 7»S Millif)nen Mark in österreichischen Vereins-
talern in den Kellern der Deutschen Reichsbank. Als nun in Österreich-
Ungarn die 1-estsetzung eines gesetzlichen Verhältnisses, einer Relation,
zwisc hen (len\ österreichischen Währungssilbergeld und dem Gold erl ogen
wurde, fcjrderten einige übereifrige \'erfechter des »Staatsinteresses«, man solle
die österreichischen Vereinstaler von der Relatioi^ ausnehmen und einfach außer
Kurs setzen, wodurch diese Taler, die bisher in österreich-lhigarn i'/z Gulden
ö. W. gegolten hatten, hier sofort auf ihren Harrenwert gefallen wären, der
damals nur beiläufig i Uiulden ö. W. für den Taler betrug. Gegen ein
solches X'orgehen erhoben sich aber gewichtige Stimmen nicht nur in Dcutsch-
lanfl. sondern auch in Österreich-Ungarn selbst; hier war es besonders der
damalige Referent für die WidirungsangelegeJiheiten in der österreich-l^nga-
rischen Hank, der die Anschauung vertrat, ein Staat müsse seine Prägung
ebenso respektieren, wie seine Unterschrift, und er habe kein Recht, eine
Uantlesmünzc bloß deshalb einfach außer Kurs zu setzen, weil hiedurch nicht
Angehörige ties eigenen, sondern solche eines fremden Staates einen Verlust
erleiilen würden; durch ein solches Vorgehen würde das Ansehen und der
Kredit der Monarchie im Auslande geschädigt werden, gerade in einem
Augenblick, in welchem sie beider besonders bedürfe. Die Kinanzvcr-
waltungen Österreich-Ungarns taten das, was unter den obwaltenden Um-
ständen das KlügNte war: sie leiteten diplomatische Verhandlungen mit
I)euts< hland ein, bei welchen sich die deutsche Reichsregierung außer-
ordentlii h entgegcnkonunend zeigte. Das Knde war ein Vergleich, wonach
Österreich-Ungarn sich verpHic htete, den dritten Teil der in Deutschland ange-
sammelten österreichischen Vereinstaler zum Preise von i Gulden ö. W. für den
Taler zu übernehmen und einzuschmelzen; den Verlust, der sich an den übrigen
zwei Dritteln dieser Taler durch den UnterschietI zwischen dem Werte des
österreichist hen Währungssilbers und des Harrensilbers ergab, nahm d;is
Deutsche Reich auf si< h. An den X'erhandlungen, die zu diesem für Öster-
reirh-Ungarn sehr günstigen Ergebnisse führten, nahm M. wohl nicht teil;
ihm wurde aber von den Finanzverwaltungen der Monarchie die Durchführung
der \ ereinbanmg übertragen, wonach von Österreich-Ungarn 8-/3 Millionen
'l'aler zu übernehmen, und dem Deutschen Reiche dafür die (iegenwerte
anzuschaffen waren. M. führte diese Transaktion in Herlin im persönlichen
Wrkehre mit dem Präsidenten des deutschen Reichsbankdirektoriums
Dr. Richard K<k h mit so vollendetem Geschick und zu so großer Zufrieden-
heit der Reiihsbank durch, daß der Prä.sident des Reichsbankdirektoriums
von MMithner.
sich bewogen fand, eine hohe deutsche Aufzeichnung für M. zu bean-
tragen.
Das Jahr 1897 brachte der Kredit-Anstalt beziehungsweise der Roth*
schildgmppe ein weiteres grofles StaatsgeschSft: die Gruppe übernahm von
der österreichischen Finanzverwaltung 116901000 Kronen und von der
ungarischen Finanzverwaltung 60 MiHionen Kronen in den von den l>eiden
Finanzverwaltungen neu geschaffenen 3'i"oigcn Invcstitionsrententitres.
Die letzte große staatsfinanzielle Oj>eration, an der M. mitwirkte, war die
Konverston der 4'j2"/uigen ungarischen Schankregalobligationen sowie einer
Reihe von 4'/t*^/oigen und 5 «/o igen ungarischen l^senbahnobligationen gegen
1087470000 Kronen 4<>/oiger ungarischer Kronenrente, welchen Riesenbetrag
die (iru])])e im Jahre 1901 von der ungarischen Finanzverwaltung übernahm.
M. war, als dieses Geschäft verhandelt wurde, schwer erkrankt, (ileichwohl
lieü er es sich nicht nehmen, bei den Verhandlungen mitzuwirken; die Be-
sprechungen fanden wiederholt an seinem Krankenlager statt. Die Beendigung
dieser Operation, die erst im Laufe des Jahres »1902 vollständig zur Durch-
führung gelangte, hat er nicht mehr erlebt
Neben diesen großartigen Finanzgeschäften führte die Kredit- Anstalt
wAhrend M.s Direktion teils allein, teils in Verbindung mit ihren Geschäfts-
freunden eine zahllose Menge von kleineren Operationen, vornchndich von
verschiedenen Emissionen für die Staatsverwaltungen, für Stallte, Eisenbahn-
gesellschaften usw. durch. Ungleich manchen seiner Vorgänger legte M. jedoch
auf die Finamtgeschftfte weniger Gewicht ab auf die Ausgestaltung der eigent-
lieh bankmäßigen Geschäfte, die mehr als die sich nicht regelmäßig wieder-
holenden und hinsichtlich ihres Erfolges oft von so vielen Umständen
abhäii^ni^en Finanzgeschäfte geeignet sind, einer großen Bank ein jährlit h
wiederkehrendes, sicheres Einkommen zu bieten; das Kommissions-, das
Eskompte-, das Kontokorrent-Geschäft usw. erfuhren unter ihm die sorg-
fältigste Pflege und nahmen einen gewaltigen Aufechwung. Diese Steigerung
des regulären Bankgeschäftes ließ schließlich das seit 1S69 auf 40 Millionen
Gulden o. \V. verminderte Aktienkapital der Kredit-Anstalt zu gering er-
scheinen. Es wurde also im Jahre 1809 eine Erhöhung des Kapitals um
10 Millionen Gulden o. W. auf 50 Millionen Gulden 6. \\ . oder 100 Millionen
Kronen durch Ausgabe von 62.500 neuen Aktien beschlossen. Obwohl die
neuen Aktien aufler dem Nominalbetrage von ao Millionen Kronen, auf den
sie lauteten, noch mehr als ao Millionen Kronen Agiogewinn hereinbrachten,
welcher Gewinn zur Bildung eines eigenen Kapitalsreservefonds verwendet
wurde, die gesamte Kapitalsvermehrung also über 40 Millionen Kronen
betrug, war es doc h niöpli« h, diesen ganzen Mehrbetrag im laufenden Geschäfte
fruchtbringend zu verwenden.
Weniger glücklich als im Finanz- und im eigentlichen Bankgeschäfte war
M. mit sdnen industriellen Gründungen. Gleich in die erste Zeit seiner
Direktionsführung fiel außer einigen kleineren Gründungen wie jener der
Mineralöl-Raffincrie-Akticn-Gesells( haft in Budapest usw. eine der größten
Unternehmungen dieser Art: 1883 gründete die Kredit-Anstalt im \'ereine
mit der Banque Jmpiriak Üttomaiu umi der Firma S. Bleichröder die Sotute
de la Rigk Co4$tUrenie des Takoes de r Empire OUoman oder die Tabak-Regie-
Gesellschaft des Türkischen Reiches. Sei es nun, daß M. durch die Kinder-
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von Maudiner.
kranklieiteii, mit doiu-ii dieses Institut längere Zeit zu kämpfen hatte,
geschreckt wurden war, bei es, daü er fühlte, daß industrielle Gründungen
überhaupt »ihm nicht lagen« — er verhielt sich seidier gegen derlei Unte^
nehmungen ablehnend. Als er endlich, von seiner Umgebung und zum Teil
auch von den Aktionären gedrängt, sich seit 1892 doch wieder zu einigen
solchen Geschäften entschloß, ließen gerade die bedeutenderen derselben zunächst
den erwarteten Krfolg vermissen. In ilem letzten von M. verfaßten Geschäfts-
berichte der Kredit-Anstalt, jenem über das Jahr 1901, mußte er zu >einein
Schmerze mitteilen, daß eine Anzahl der von der Kredit-Anstalt seit 1892
gegründeten Unternehmungen, darunter auch die grofie Skodawerke Aktien-
gesellschaft in Pilsen keine günstigen geschSftlichen Ergebnisse erzielt hatte.
Seither hat sich jedoch bei der Mehrzahl dieser Untemehniut\i;eTi eine
Wendung ^um Besseren vollzogen, und einige erfreuen sich sogar schon eines
besonderen (ledeihcns.
Der soliden Art M.s entsprach es, daß er bemüht war, die Kredit-Anstalt,
deren Aktie Jahrzehnte lang das beliebteste Spiel papier an den Börsen Oster-
reich'Ungams und Deutschlands war, von allem, was an ungesunde Speku-
lation oder an Spiel erinnerte, fernzuhalten. Die. von ihm aufgestellten
liilanzen waren klar und gaben insbesondere viele vor seiner Zeit häufig ver-
mißte Detailnachweisungen ül)er den jeweiligen i>ffektenbesitz der Anstalt.
Durch sorgfältige Reservierungen war er bestrebt, die Dividende auf einer
möglichst gleichförmigen Höhe zu halten, und tatsächlich geschah das vor
ihm. Unerhörte, dafi die Kredit>Anstalt öfter zwei und selbst drei Jahre hinter
einander eine gleich hohe Dividende bezahlte. Von den früher mitunter an-
läßlich der Bilanzveröffentlichungen vorgekommenen »Überraschungen ' wollte
er nichts wissen; um die spekulative Bewegung einzudämmen, die sich früher
viel mehr als jetzt stets an ilas Bekanntwerden der Bilanzzilfern der Kredit-
Anstalt knüpfte, traf er die Einrichtung, daß die Bilanzen immer erst zu vor-
gerückter Tagesstunde nach Schlufl der Börse veröffentlicht wurden.
M.S Solidität war aber durchaus nicht nach dem Geschmacke der spiel-
lustigen Elemente der Börse und auch nicht n u h dem Geschmack aller
Aktionäre. In der letzten Generalversammlung der Aktionäre, an welclier
teilnahm, in jener vom 3. .\i)ril 1902, beanstandete der Aktionär Alexander
Scharf die Höhe der Dividende als zu gering und erklärte die Kapitals-
erhöhung von 1899 für die gröflte Schädigung der Kredit-Anstalt. M.s An^
wort wurde zum geflügelten Worte: »Die Kredit-Anstalt ist kein Dividenden-
Automat«, rief er dem Tadler zu und führte aus, dafi, je größer die Summe
der einer Anstalt anvertrauten Kapitalien sei, umso breiter auch die Grund-
lage der eigenen Mittel sein müsse, um das Vertrauen ni( ht zu erschüttern.
»Dieses Vertrauen«, sagte er, *ii»t das Ergebnis der harten Arbeit von 45 Jahren;
verlieren kann man das Vertrauen aber in einer einzigen Nacht«. Die Miß-
stimmung der Börsenspieler gegen M. fand einen geradezu klassischen Aus-
druck darin, daß auf die Nachricht von M.s plötzlichem Tode der Kurs der
Kreditaktien an der Wiener Börse stieg. Es tauchte damals das Gerücht
auf, diese rätselhafte Steigerung sei auf Deckungskäufe zurückzuführen, die
zur Lösung von großen Baisseoperationen tles \'crstorbenen unternounnen
worden seien. Dem war aber nicht so; M. war durchaus kein Bürsenspieler,
nicht einmal ein Spekulant. »Hätte ich nur mit dem Finger gewinkt«, sagte
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von Mautluier.
4^5
er einnial, »so wären die Kreditaktien im Jahr 1895 auf fünfhundert ge-
gangen« — die Aktien notierten damals noch in Gulden — »aber ich wollte
nicht; ich Itin kein Spekulant, und auch die Kreditaktien sollen mit meinem
Willen nicht turbulenten Spekulationen dienen«. Von Haus aus in günstif^en
Verhältnissen, in jungen Jahren schon im Besitze sehr großer Einkünfte, da-
bei bescheiden, ohne grofle Bedürfriisse, ohne kostspielige Passionen und nicht
habgierig, stand er der ungeheueren Versuchung, die seine Stellung mit sich
brachte, mit kühler Ruhe gegenüber.
Die geschäftlichen Verbindungen der Kretbt-Anstalt mit üir befreundeten
Gesellschaften oder von ihr gegründeten l'nternehmungen brachten M. auch
in die Verwaltung zahlreicher anderer Institute. Er war seit 18S3 Mitglied
des Verwaltungsrates der Tabak-Kegie-Gesellschaft des Türlcischen Reiches,
seit 1888 Präsident des Verwaltungsrates der Aktien<Gesellschaft der Lokomotiv*
Fabrik,, vorm. G. Sigl in Wiener-Neustadt und seit 1890 Mitglied des Ver-
waltungsrates der von der Kredit-Anstalt im Jahre 1888 gegründeten Aktien-
gesellschaft Pe^eker Zuckerraffinerie in Pe< ek. Im Jahre iSgo wurde er auch
Mitglied der Direktion der von der Kredit-.\nstalt im Jahre 1882 gegründeten
Mineralöl-Raffinerie-Aktien-Gesellschaft in Budapest, im Jahre 1896 Mitglied
des Verwaltungsrates der Prager Eisen-Industrie-Gesellschaft in* Wien und
Mitglied des Direktionsrates der Ungarischen Allgemeinen Kredit-Bank in
Budapest, welches Bankinstitut im Jahre 1867 unter Mitwirkung der Kredit-
Anstalt, die später ihre Pester Filiale aufließ, ins Leben gerufen worden war.
Im Jahr 1897 wurile er Mit^'lied des N'erwaltungsrates der von der Kredit-
Anstalt in diesem Jahre gegründeten Hirtenberger Patronen-, Zündhütchen-
u. Metallwaren-Fabrik, vormals Keller & Comp, in Wien, Präsident des
Verwaltungsrates der in dem gleichen Jahr auch von der Kredit-Anstalt
gegründeten Aktiengesellschaft für Naphta-Industrie in Lemberg und Präsident
des Verwaltungsrates der »Providentia« allgemeine Versicherungsgesellschaft
in Wien, ebenfalls einer in diesem Jahr erfolgten (Gründung der Kredit-Anstalt.
Bei der im Jahre 1899 erfolgten Umwandlung der Pilsener Skoda-Werke in
eine Aktiengesellschaft wurde er Vizepräsident und nach dem Tode des
Präsidenten Emil Ritter von Skoda am 10. August 1900 Präsident des Ver-
waltungsrates der Skodawerke Aktiengesellschaft; im Jahre 1900 trat er auch
in die Direktion der Kaschau-Oderberger Eisenbahn. Alle ilit ^e zahlreichen
Stellen bekleidete M. bis zu seinem Tode, nur aus der \'erwaltung der
Prager Eisen-lndustrie-Ciesellschaft war er im Jahre 1899 ausgeschieden.
Obwohl seit seinem 17. Lebensjahre praktisch tätig, war M. doch weit
davon entfernt^ einer jener Öden »Praktiker« zu sein, deren geistiger Horizont
Ober die oft recht engen Grenzen ihrer geschäftlichen Erfahrungen nicht
hinausreicht, und die darum jeder neuen Erscheinung ebenso Verständnis- als
hilfhis gegenüberstehen. Mit unermüdlichem Meiß, unterstützt von einem
regen (Jeist und einer ungemein raschen Auffassungsgabe, hatte er sich ein
gründliches theoretisches Wissen erworben. Eine glänzende Probe hievon
legte er ab, als er im Jahre 1893 vom Osterreichischen Finanzministerium
zum Mi^^liede der damals zur Beratung der Währungsftagen einberufenen
Währungs-Enqu6te-Kommission ernannt wurde. M s in der sechsten Sitzung
der Kommission am 14. März 1892 erstattetes Referat erregte durch seine
Sachlichkeit und Klarheit selbst in dieser Versammlung der hervorragendsten
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4i6
von Maathner.
Volkswirte Österreichs Aufsehen; er stimmte im Aiischhiß an die Ausführungen
des gleichfalls der Kommission angehörenden früheren Generalsekretärs der
privilegierten österreichichen Nutionalbank, Wilhelm Ritter von Lucam, für die
Einführung der reinen Goldwährung und sprach als der erste unter den
Kommissionsmitgliedem ein freies Wort Über die damals viel umstrittene
Frage der Relation. Im Jahr 1896 wurde M. von der österreichischen
Regierung zu der damals stattgefundenen £nqu£te über das Aktien-Regulativ
bei gezogen.
An äußeren Ehren hat es M. auf seiner so erfolgreichen Laufbahn nicht
gefehlt. Im Jahre 1883 war ihm für seine Wirksamkeit bei der Gründung der
türkischen Tabak-Regie-Gesellschaft der türkische Medschidi6-Orden I. Klasse
verliehen worden; im Jahre 1884 wurden seine Verdienste um die glückliche
Durchführung der großen ungarischen (loldrentenkonvcrsion durch die Ver-
leihung des (österreichischen kaiserlichen ( )rdcns der Eisernen Krone III. Klasse
anerkannt, womit nach den damaligen ürdensstatuten <lie Erhebung in den
erblichen Ritterstand verbunden war; 1893 Mrurde ihm aus Anlaß der in diesem
Jahre zustande gekommenen grofien österreichischen und ungarischen Kon*
versionsoperationen der Orden der Eisemen Krone II. Klasse verliehen; im
Jahre 1894 'erhielt er in Anerkennung der von ihm bei den Transaktionen hin-
sichtlich der Vereinstaler geleisteten Dienste den preußischen Kronenorden
II. Klasse mit dem Stern; im Jahr 1899 wurde M. endlich die seltene, vor
ihm noch nie von einen» liankdirektor in Österreich erreichte Auszeichnung
zu Teil: am 21. September 1899 erfolgte seine Ernennung zum lebensläng-
lichen Mitgliede der Osterreichischen Pairskammer, des Herrenhauses. M.
nahm seine Aufga!)c als Mitglied dieser hohen gesetzgebenden Körperschaft,
in der er sich der X'erfassunfispnrtei anschloß, sehr ernst; er beteiligte sich
eifrig an den Arbeiten des Hauses uml galt dort bald als eine Autorität in
volkswirtschaftlichen Fragen. Hervorgetreten ist M. im Herrenhaus als Bericht-
erstatter der Spezialkommission zur Vorberatung der von der Regierung im
Herrenhaus eingebrachten Gesetzesvorlage betreffend fundierte Banksdiuld-
verschreibungen. Dieser Entwurf bezweckte die Ausdehnung des in Osterreich
nach der großen Börsenkrise von 1873 durc h das (lesetz vom 24. April 1874
gewährleisteten Schutzes der Rechte von Pfaii(il)riefl)esitzoru auch auf die
Kechte der Besitzer fundierter Bankschuldvcrschreibungen; das sind nämlich
die von Banken unter Hinweisung auf eine besondere Fundierung (als
Kommunal-, Eisenbahn-, Meliorations-, Industriekredit-Schuldverschreibungen
usw.) zur Ausgabe gelangenden verlosbaren Obligationen, die in Osteneidi
in den letzten Jahrzehnten in großen Summen in Verkehr gesetzt wurden.
Die Anträge der Kommission wurden von M. in den Sitzungen des Herren-
hauses vom 17. Oktober und vom 27. November 1901 vertreten, und M., der
Nichtjurist, verteidigte dieselben siegreich gegen die Angriffe .zweier der
bedeutendsten österreichischen Rechtsgelehrten, des damaligen Hofrates und
jetzigen Ministers Ritter von Randa und des Hofrates und Universitlts-
professors Grünhut.
Von dem großen \'crtrauen, das M. sowolil bei der Regierung als in den
Kreisen der Hochfinanz genoß, zeugt es, daß im Jahr 1892, als I redierr von
Hopfen seine Stelle als Präsident des Verwaltungsrates der Südbahngesell-
schaft zurücklegte, allgemein M. als der berufenste Nachfolger Hopfens und
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von Mnulhner.
als der Einsige beceichnet wurde, der geeignet wftre, diese gröfite öster-
reichisch ungarische Privatbahn aus ihren mißlichen Verhältnissen — die
Dividende der Südbahn war damals unter i"'o gesunken — herauszuführen.
Ks kam jedoch anders: Hopfens Nachfolger wurde einer der ersten Aristo-
kraten der Monarchie, Prinz Egon zu Hohenhilie-Walilenhurg-Srhillingsfürst.
Im Jalire 1901 war M., wohl infolge von Überarbeitung, schwer erkrankt.
Die ersten Anzeichen eines Nierenleidens stellten sich ein. Von ärztlicher
Seite wurde ihm geraten, sich aller Anstrengungen zu enthalten. Mit schwerem
Herzen verzichtete M. auf sein Lieblingsvergnügen, die Jagd, aber von der
ihm nahe gelegten Zurückziehung von den Geschäften wollte er nichts wissen;
er scheint seinen Zustand selbst nicht für gefährlich gehalten zu haben.
Als ein Wiener iilatt da.s Gerücht verzeichnete, M. beabsichtige, seinen
Direktorsposten in der Kredit-Anstalt zu verlassen, und solle in den Ver-
waltungsrat der Anstalt kooptiert werden, da beeilte er sich, diese Nachricht
energisch zu dementieren. Aber ein Gewalligerer sollte bald ihn selbst
dementieren. Er hatte sich zwar in kurzer Zeit scheinbar wieder erholt und
versah seine Herufsgeschäfte mit gewohntem Eifer; aber seine eingefallenen
Züge und seine totbleiche (iesiclitstarbe verrieten (ien fortschreitenden körper-
lichen Verfall. Im April 1902 fühlte sich M. wieder sehr leidend und wurde
von schweren asthmatischen Anfällen heimgesucht.
Um Erholung zu finden, Übersiedelte er am 19. Mai mit seiner Familie
in den Badeort Vöslau bei Wien, wo er im Hotel Back Wohnung nahm.
Am Abende dieses Tages wurde er plötzlic h, nachdem er eben mit gutem
Appetite gespeist und mit einem seiner Söhne eine Partie Schach gespielt
hatte, von Atemnot befallen und stürzte bewußtlos zusammen. Der rasch
herbeigerufene Vöslauer Badearzt, Dr. Krischke, konnte nur noch den ein-
getretenen Tod feststellen; M. war einem Herzschlag erlegen. Sein Leichen-
begängnis, das am 22. Mai in Wien stattfand, gab Zeugnis von der allge-
meinen Verehrung und Beliebtheit, deren er sich erfreut hatte; mehr als
200 Kränze schmückten seine Bahre, und Tausende von Leidtragenden
begleiteten ihn zu seiner letzten Ruhestätte. iM., der als Jude geboren war, ist
auch als Jude gestorben; er hatte die größten bis dahin in der Monarchie
dagewesenen finanziellen Konversionen geleitet, aber zu einer religiösen
Konversion war er nicht zu bewegen gewesen, obgleich oder vielleicht gerade
weil ein Glaubenswechsel ihm manchen Stein des Anstoßes aus dem Wege
geräumt hätte, und er auch den Schein meiden wollte, als mache er, der
Geschäftsmann, (Jcscliafte mit seiner C^berzeugung.
M. war von mittlerer GröÜe und von gedrungenem, kräftigem Körper-
baue; sein Gesicht wär bis zu seiner schweren Erkrankung voll und von
gesunder Farbe; das Haar und der starke wohlgepflegte Schnurrbart, der ihm
fast das Aussehen eines Offiziers in Zivil gab, waren in seinen jungen Jahren
dunkel, aber frühzeitig ergraut, die Augen blau und von sehr freundlichem
Ausdruck. Ein wohlgetroffenes Bild M.s brachte die österreichische Illu-
strierte Zeitung in ihrer Nummer vom 25. Mai 1902.
Im persönlichen Verkehre war M. von außerordentlicher Liebenswürdig-
keit und einer bei Bankdirektoren nicht immer vorkommenden Bescheidenheit;
gegen seine Untergebenen wohlwollend und gerecht Er war in der Kredit-
Anstalt über die Köpfe einer Menge von Vordermännern hinweg vom kleinen
Biofr. Jahrbuch u. Deutscher N«krol«t> 9. Bd. 27
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418
von M»ttdiner.
Beamten bis zum leitenden Direktor aufgestiegen und hatte lange Jahre das
Personal referat in der Anstalt geführt, zwei Tatsachen, von denen jede für
sich allein {gewöhnlich schon hinreicht, um den Tk'treffeiuien bei der Beamten-
schaft mindestens nicht beliebt zu machen; bei M. war dies jedoch anders:
die Trauer um ihn war unter den Beamten der Kredit-Anstalt allgemein, und
aus eigenem Antriebe veranstaltete die Beamtenschaft ihrem hingeschiedenen
Chef am 24, Mai 1903 im Vestibfile des Anstaltsgebäudes eine wQidige
Totenfeier.
M s Ii(.'l)i*nswür(liges Wesen, sein durch und durf h vornehmer Charakter
hatten ihm vidi' Freunde in allen Kreisen der (iesellschaft erworben; er war
ein häutiger (iast bei den Hochwildjagden des Chefs des Wiener Hauses
Rothschild, des Freihenm Albert von Rothschild. Ein besonders freundschalt-
Ucher Verkehr hatte sich, seit die Boden-Kredit-Anstalt der Rothschildgroppe
l)eigetreten war, swischen M. und dem Direktor der Boden-Kredit-Anstalt,
Theodor Ritter von Taussig, entwickelt; an schönen Tagen konnte man die
beiden Bankgewalligen häufig miteinander in den Slralien der Stadt lust-
wandehi sehen, und wohl manches groüe Geschäft mag so in peripatelischer
Weise konzipiert worden sein.
M. war ungemein musikalisch, ein grofler Freund der Oper, der selten
eine Premiere versäumte. Die Musik bildete neben der Jagd und dem Berg-
sport — er war ein tüchtiger Tourist und begeisterter Naturfreund — vor-
nehndich seine Zerstreuung. Auch für die schöne Literatur hatte er ein
grofies Interesse; der vielbeschäftigte Kinanzmann fand nicht nur Zeit, sich
mit allen hervorragenden Werlcen der Dichtkunst, aus denen er gerne zu
zitieren pflegte, vertraut zu machen, er war auch selbst poetisch tätig. Aufler
einer Menge formschöner Isrrischer Gedichte hat M. auch a TheaterstQcke
geschrieben: ein Schauspiel »Der moderne Timon«, dessen Tendenz sich —
charakteristisch für M. — gegen die Anbetung des goldenen Kalbes kehrt,
und ein Lustspiel Die mißglückte Kur*; diese beiden Dramen ließ er im
eigenen Verlag als Manuskript drucken, sie sind jedoch nicht im Buchhandel
erschienen, die Exemplare wurden von M. nur an seine intimsten Freunde
verteilt Als Fachschriftsteller hat sich M. durch eine Reihe von Zeitungs-
artikeln, von denen die meisten in der »Neuen Freien Presse« erschienen sind,
bekannt gemacht.
M. war seit 1879 mit Helene Weiß von Weißenhall, der Tochter des
früheren Vorsitzenden Direktors und späteren Präsidenten des \'erwaltungs-
rates der Kredit-Anstalt, Karl Weifi Ritter von Weiflenhall, vermählt gewesen.
Aus dieser Ehe, die sich sehr glttcklich gestaltete, entstammen drei Söhne
und eine Tochter. Das Familienleben M.s war ein auflerordentlich inniges;
seine Familie ging ihm über alles, in ihrem Kreise suchte und famd er nach
der aufreibenden Arbeit des Tages am liebsten seine Erholung.
M. war wohl kein bahnbrechender Geist auf dem (iebiete des Bank-
wesens, er hatte nicht die Genialität und den weiten Blick Lucams und nicht
die Vielseitigkeit Hopfens, auch der stürmische Tatendrang und der kOhne
Wagemut seines Kollegen von der Boden-Kredit-Anstalt, des Direktors Taussig,
waren seinem ruhigeren Wesen fremd; aber er besaß im höchsten Grade das,
was die Franzosen fion sois nennen: gesunden Menschenverstand und prak-
tische Klugheit; er war die verkörperte kaufmännische Anständigkeit und
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von Mauthncr. Lohmcyer.
419
Solidität Gerade diese Eigenschaften ihres leitenden Direktors waren aber
für die Kredit-Anstalt und damit fttr die ganze Bankwelt Österreich-Ungarns
in den Jahren nach der großen Krise von 1873, durch die das Vertrauen in
das gesamte Bank- uiu! Akticnwesen aufs tiefste erschüttert worden \\;ir. wert-
voller, als es hiinnielsturniendc Genialität gewesen wäre. Das Ansehen der
Kredit-Anstalt im Auslände beruhte mit auf dem Zutrauen, das man der
Persönlichkeit M.s entgegenbrachte. »Wir waren seit vielen |ahren auf die
finanriellen Auslassungen und Mafinahmen Gustav M.s in Würdigung seines
Genies gespannt hinzuhorchen gewohnt, weil wir in seinen Urteilen und Hand-
lungen die höchste finanzwirtschaftliche Klugheit der (*)sterreichisch-Ungari-
schen Monarchie verktirpert sahen«, so schrieb der Hannoverische Courier <
in seiner Nummer vom 24. Mai 1902. Während der langen Dauer seiner
Direktionsführung war M. in Wahrheit, wie er sich wohl auch gerne nennen
hörte, »der gute Hausgeist der Kredit-Anstalt«.
Friedrich Schmid.
Lohmeyer, Julius,') Schriftsteller, ♦ 6. Oktober 1835 zu NeiÜe, f 24. Mai
1903 zu Charlottenburg. — L. war der Sohn eines Apothekers. Er verlebte als
Knabe eine glückliche reiche Jugend. Sein Vater war ein Mann von hervor-
ragender Begabung und besonders naturwissenschafdicher Bildung, der mit
größtem Eifer die Entdeckungen und Erfindungen, vor allem auf galvanisch-
elektrischem Ciebiet, welche die vierziger und fünfziger Jahre brachten,
verfolgte. Sein Arbeitszimmer glich einem chemisch-physikalischen Ka-
binett Er trat mit Gaufi und Weber in Göttingen, Steinheil in München,
den großen Erfindern jener Tage, in Verbindung und erbaute damals den
ersten elektromagnetischen Telegraphen in Preußen {siehe offizieller Bericht
für Post und Telegraphie). Vor allem als Botaniker und Sammler auf ver-
schiedenen Naturgebieten bereiste er seine Heimatsprovinz, stets von seinen
beiden Söhnen begleitet, die mit allen erdenklichen Fangapparaten für ihre
ansehnlichen Naturaliensammlungen beladen waren.
Julius L. sollte die v&terliche Apotheke übernehmen und wurde von
einem Freunde seines Vaters in diesen Stand eingeführt. Seine Neigungen
aber gingen schon von der Schülerzeit an auf Dichtung und Literatur. Er
studierte Naturwissenschaft und übernahm- nach abgelegtem Staatsexamen die
königl. Hofapotheke in Elbing.
Als Festspiel- und politischer Dichter trat er in jener Zeit mit dem
»Kladderadatsch« in Verbindung, an dem er im nationalen Sinne seit 1866
mitarbeitete und wurde 1868 von Emst Dohm in die Redaktion berufen.
L. machte sich vor allem in den Kriegsjahren 1870/71 durch seine vater-
ländischen Gedichte, die jetzt vielfach in Sammlungen und Schulbücher über-
gegangen sind, bemerkbar (Kriegsgedenkbuch des »Kladderadatsch«, 2. Auf-
lage) mit seinem Freunde Johannes Trojan.
1873 begründete er das nationale Jugendweik »Beutsdhe Jugend«, unter
Mitwirkung namhafter Dichter und Künstler, vor allem Joh. Trojan, Victor
Blütbgen, Frida Schanz. Hermann Kletke u. a., ein Werk, das wfthrend seines
>) Totenlifte 1903 Band VIII 71
27*
42D
Lohmeyer.
fast 25jährigen Bestehens einen weitgehenden Einfluß auf die gesamte Jugend-
literatur nach der künstlerisch-poetischen Richtunf,' hin ausübte und besonder^
höchste Anerkennung in den Kreisen der |)a(iai;ot;is( hen W elt fand, avich
von selten des Unterrichtsministeriums als >'Muster der Jugendliteratur«
empfohlen wurde. War doch die Jugendliteratur bis zu jener- Zeit mit
wenigen Ausnahmen: Güll, Hey, Robert Reinick, dem trockensten Dilettantis-
mus verfallen gewesen; vor allem forderte die Deutsche Jugend« und die
aus dieser hervorgegangene Jugendliteratur wieder Humor. Phantasie, poetisch-
künstlerischen Geschmack und Sinn für technisch edlere Form in des Kindes
Seele. Denn auch bedeutende Künstler wandten, angeregt durch L.s
Bestrebungen, der deutschen Jugendliteratur ihre Meistergaben au. — In
den Jahren bis 1885 gab L. eine Reihe von mehr als 20 Kinderbüchern mit
namhaften Künstlern, vor allem Feder Flinzer, mit dem er eine ganze Reihe
beliebt gewordener Bücher schuf, Oskar Fletsch, Paul Thumann, Carl Röhhng,
Woldemar Friedrich, Hernian \'ogel, Paul Mohn, Alexander Zick heraus,
die wohl zu den» schönsten gehören, was die künstlerische Kinderliteratur
hervorgebracht hat, und an Robert Reinicks Jugendkaiender und Ludwig
Richters köstliche Schöpfungen anknüpften. Wir nennen unter diesen: »Unser
Hausglück«, »Fragemäulchen«, »Komische Tiere«, »König Nobel«, »Kater
Murr«, »^Lachende Kinder , Die Prinzenreise«, -Die Reise ins Mcer<, »5>o
gehts in der Welt; ( Sprcf fiende Tiere* 3. Teil), Sonnenscheinchen«, >:Fahrt
zum Christkind f erschienen in großen Auflagen. Auüenlem L.s Jugend-
erzählungen Junges Blut« und »Jugendwege und Irrfahrten« (Union, Stutt-
gart, a. Auflage), »Bunter Straufl« (Geibel & Humblot). In jene Zeit fillt
auch die Begründung von »Julius Lohmeyers Vaterländischer Jugendbücherei«
(F. J. Lehmann in München), die von einer groflen Reihe namhafter Patrioten
unterstützt und gefördert wurde.
L.s Bestrebungen, die Anschauungswelt in der Jugend zu pflegen, leitetiii
ihn zu der Herausgabe der Wandtafeln für den historischen Unterricht (i — 24),
der Bilder zum Neuen Testament (i—- 12) und schliefilich mit seinem Freunde
Felix Dahn zu der Veröffentlichung von Anschauungsbildem aus deutscher
Sage und Götterlehre.
Mehr und mehr wandte sich L.s Interesse der i'oj)ularisierung der Kunst
zu. Seine liei den grollen Berliner Künstlerfesten zur .\ufführung gelangten
bei deorg Stilke und sjiäter in Mevers \'olksbüchern erschienenen Künstler-
festspiele: »Albrecht Dürer , ' Die Malcrhölle«, »Tizian« u. a. und eine grolie
Reihe von Kunstartikeln leiteten diese Periode seines Schaffens ein, die 1880
zur Herausgabe der Studienmappen deutscher Meister (i — X2 C. T. Wiskott)
führte, an denen Ludwig Knaus, Adolf Menzel, Franz Defregger, Ludwig
Passini, Gesels'h.i]), I'aul Meyerheim und :\ndcrc namhafte Künstler sich
beteiligten. In den neunziger Jahren erschienen seine '(Jedichte eines Opti-
misten« (Liebeskind, Leipzig), »Auf Pfaden des Glücks«, Lebenssprüchc
(Georg Wiegand, Leipzig), die NovellenbSnde »Die Bescheidenen« (Carl
Reifiner, Dresden) und »Wir leben noch« (Adolf Bonz & Co., Stuttgart),
Humoresken« (3. Aufhage. G. Grotes Verlag), »Kinder-Lieder und Reime«
(L. Fernau, Leipzig), 'Der Stammhalter , Lustspiel.
Seine immer wachsenden Beziehungen zu vielen unserer ersten Künstler,
zu Schriftstellern und Männern der Wissenschaft fanden ihren umfassendsten
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Lohmeyer. HaflTncr.
421
Ausdruck in der SchOpfung des großen Gedenkwerkes »Das Goldene Buch des
deutschen Volkes an der Jahrhundertwende« (J. J. Weber, Lci|)zig), das eine
Gesamtüberschau namhaftester Farhinänncr über deutsche Kultur unter Vor-
führung der Mauptvertretcr unter den Lebenden auf allen Gebieten des
Staates, der Wissenschaft, der Technik, Literatur und Kunst in Bild, Wort
und biographischer Oiarakteristik bietet.
Als die vaterländische Bewegung sich vor allem au! Anregung Kaiser
Wilhelm II. der Schaffung einer starken Seemacht zuwandte, begründete L.
zur Unterstützung der von den Gegenparteien bedrohten zweiten Flotten-
vorlage die seinerzeit vielgenannte "Freie Vereinigung für eine starke deutsche
Flotte« (sogenannte Professorenvereinigung), unter deren Mitgliedern die
erlauchtesten Männer in Wissenschaft, Literatur, Kunst und Technik als
Kronzeugen fQr die Notwendigkeit einer Vermehrung und Stärkung deutscher
Seonacht eintraten. Im Verfolg dieser Bestrebungen, vor allem auch für die
Jagend, als der Zukunft unseres Volkes, liefl L. die Sammlungen - Zur See
mein Volk! , See- und Flottenlieder und Meerespoesien (Breitkopf c^' Haertel),
»l'nter dem I)rei/.a< k' (\'elhagen ^: Klasing), Auf weiter Fahrt ' (Dieterichsche
Verlagsbuchhandlung, ih. Weicher), Selb-stcriebnisse deutscher Seeofhziere
und KolonialtruppenfQhrer, folgen. Von Letzterem erschienen vier Bände.
Seine gesamten nationalen Bestrebungen fafite er seit Herbst 1901 in der
»Deutschen Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegenwart zusammen,
einer nationalen Revue großen Stiles, welche die ersten Mäiuier der Literatur
und Wissenschaft unter ihre Mitarbeiter zählt und als eine Hochwarte
deutscher Kultur im nationalen Sinne immer breiteren Fuß in den Kreisen
unserer Gebildeten fafit.
Nach dm Tode des Dichten erschien: Julius Lohmeyer, Gesammelte Dichtungen,
von seiner Gattm henui^pegeben, mit einem \'orwort von \'iktor filfithgcn und dem Bildni;»
des Verstorbenen. Verlag von \V. XOh.u h \ Co.. Berlin - 1 eipzig. — (lediicbtnisrede für
Julius Lobmeyer von i'rof. v. Soden und Huf- und Giirnison^iircdiger Johannes Keßler,
Chariottenburg 37. Mai 1903. — Die von Lohmeyer bei;rtlndete Literarische Vereinigung
in Ik-rlin. der Verein »Hcrlincr Künstler« und die Stiidt Charlottenbnrg stifteten ein Grab-
dcnkuuil mit dem Relief de- l)icliter>. Auch wurde eine neue StiaBc in der Nilho des
Charlottenburger Schlosses »Lohmeyer^traÜe« benannt. R. R,
Haffner, Traugott,') StadtschultheiO von Marhac h a. N., * 24. Juni 1853,
f 24. Juni 1903. — Nach dem Besuch der Lateinschule seiner Vaterstadt
Marbach wandte sich H. der Notariatslaufbahn zu. Von 1877 — 1883 Poiizei-
kommissftr in Ludwigsburg, wurde er 1883 zum Stadtschultheißen (Bürger-
meister) von Marbach gewählt. Dieses Amt, in welchem er überaus segens-
reich gewirkt hat, brachte es mit sich, daß ihm auch die Obhut über Schillers
Geburtshaus mit seinen Reli<iuien, Handschriften und Bildnissen anvertraut
war. In der Hauptsache waren diese S( hillereriiiiierun*,'en im Jahre i<S5q in
das damals aus Privatbesitz erworbene Schillerhaus gestiftet wortlen, besonders
von den Nachkommen Schillers; in den folgenden Jahrzehnten war nur hin
und wieder noch ein Stück hinzugekommen. Die erste wirkliche Bereicherung
seit 1859 erfuhren sie, als im Jahre 1890 die Erben von Schillers Schwieger-
*) Totenliste 1903 Band Vill 45*.
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422
Haffncr.
tochtcr aus (lern Nachlaß von Schillers ältestem Sohn Karl zwölf Kamilienbild-
nisse nach Marbach stifteten, darunter die von Ludovikc Simanowiz während
Schillers Aufenthalt in Schwaben (1793 '94) gemalten Bildnisse Schillers und
seiner Frau. Einen weiteren Ansporn, diesen Besitz an Bildnissen und Hand-
schriften zu mehren, gab H. die aus Anlaß des vierten Deutschen Neu-
philolof^entages in Stuttgart vom Württembergischen Verein für neuere
Sprachen während der Pfingstwochc 1890 veranstaltete Ausstellung von Hand-
schriften, Bildnissen usw. schwäbischer Dichter, in der Schiller besontlers reich
vertreten war. Ihr ist die Anregung zu einem Museum und Archiv der schwä-
bischen Dic hter üherhau|)t zu verdanken, das dauernd vereinigen sollte, was
hier vorübergehend zu sehen war. H. suchte die ihm durch diese Ausstellung
bekannt gewordenen Bildnisse un<l Hands( hriften Schillers aus dem Privat-
besitz für Marbach zu gewiimen; an käufliche Erwerbungen von Bedeutung
konnte der von ihm geleitete, seit 1835 bestehende Marbacher Schillerverein
jedoch nicht denken. Da fand H. durch Vermittlung des Dichters J. G. Fischer
in dem (Ich. Koinnierzienrat Dr. Kilian v. Steiner in Stuttgart einen frei-
gebigen Förderer seiner Bestrebungen. Auf Schillers Todestag 1891 machte
dieser zum erstenmal eine Stiftung von Handschriften nach Marbach, der in
den nächsten Jahren weitere, äußerst wertvolle Zuwendungen von Hand-
schriften und seltenen Drucken folgten. Diese umfangreichen Vermehrungen
führten mit Notwendigkeit zu dem Gedanken, für die in den unzureichenden
Räumlichkeiten des Schillerhauses angesammelten Schätze, die dort nicht
feiiersi< her bewahrt und nicht entsprechend aufgestellt werden konnten, ein
besonderes (Jebämle zu erstellen, ein Ziel, dessen Verwirklichung über die
Kräfte des kleinen Marbacher Schillervereins weit hinausging.
Bei wiederholten Besuchen in Marbach hatte König Wilhelm II. von
Württemberg mit großer Freude von dem raschen Anwachsen und der erhöhten
Bedeutung der Samndungen des Schillerhauses Kenntnis genommen. In einem
Handschreiben vom S. Mai 1895 an H. erklärte es der König für eine Pflicht
und .Aufgabe des ganzeii Landes, das den Ruhm genießt, die Heimat Friedrich
Schillers zu sein, das Werk, welches seine Geburtsstadt begonnen hat, in einer
der Bedeutung Schillers entsprechenden Weise weiterzuführen und zu vollenden.*
König Wilhelm 11. gab die .\nregung zur Umbildung des Marbacher Schiller-
vereins zu einem Schwäbischen Schillerverein, der außer der Erstellung eines
Museunisgebäudes und Fortführung der Satrimlungen alles in den Kreis seiner
Ik'strebungen ziehen sollte, was <lie Verbreitung der Kenntnis der Schöpfungen
und der Persönlichkeit Schillers wie der Wirkungen, die er auf die gei.stige, sitt-
lii he und patriotische Entwicklung des deutschen Volkes her\ orgebracht hat, in
irgend einer Weise zu fördern vermag . Die Anregung des Königs, der sich
als erstes .Mitglied des Schwäbischen Schillervereins einzeichnete und das
Protektorat über denselben übernahm, fand freudigen Widerhall und opfer-
willige l'orderer weit ül)er Württemberg und (las Deutsche Reich hinaus.
Scluin im .Mai 1901 konnte der Grundstein zum Schillermuseum gelegt werden,
das sit h dem 1876 enthüllten Standbild des Dichters gegenüber erheben
sollte. Als stell vertreteniler Vorsitzender und Schriftführer des Schwäbischen
Schillervereins war der ebenso bescheidene wie tatkräftige H. im Verein mit
den beiden Vorsitzenden, Kabinettschef Frhr. v. (iriesinger und Geh.
Kommerzienrat Dr, v. Steiner, unermüdlich tätig, selbst als ein beginnendes
Haffner. Volknumn. ^23
Leiden, das ihn hin und wieder ;\uf^ Krankenhigcr warf, ihm dir Arbeit
überaus erschwerte. Kr hatte die Freude, dali Dank der Liberalität Steiners
und anderer Freunde der Sache neben zahlreiclien auf Schiller, seine l ainilic
und sdneii Kreis bexfiglicheii Handschriften auch der ganze im Besitz von
Uhlands Erben befindliche Nachlaß dieses Dichters, der von Justinus Kemer,
Gustav Schwab und Berthold Auerbach, der Hauff-Köllesche Nachlaß und
eine große Anzahl von Handschriften und Briefen anderer schwäbischer
Dichter dem alten Marbacher (".rundstock in rascher Folge hinzuwuchsen.
Auf den Tag, der für die Einweihung des mit einem Kostenaufwand von
rund 260000 Mark erstellten Schillermuseums in Aussicht genommen war,
den 8. Mai 1903, verlieh ihm der König von Württemberg die große goldene
Medaille fQr Kunst and Wissenschaft am Band des Friedrichsordens; die
Einweihnng selbst aber mußte auf den 10. November verschoben werden,
besonders auch mit Rücksicht auf eine neue Erkrankung H.s. Am 24. Juni
1903, seinem 50. (leburtstag, erlag er seinem schweren Leiden, bis in die
letzten Tage beschäftigt mit dem Werk, mit dem sein Name unlösbar ver-
knüpft bleiben wird. Seine Züge bewahrt das Ölgemälde, welches von dem
dankbaren Marbach zu dauerndem Gedächtnis des um seine Vaterstadt hoch«
verdienten Mannes auf die hundertste Wiederkehr von Schillers Todestag in
das Schillermuseum gestiftet wurde.
Wenn auch eigene literarische Tätigkeit ihm ferne lag, so war H. im
Laufe der Jahre doch mit allem, was Schiller betrifft, aufs beste vertraut
worden und hat mehr als einen Schilleriorscher durch Nachweise und anderes
aufs uneigennützigste unterstützt Richard Weltrich, auf dessen Anregung hin
er mit großem Erfolg um die Aufhellung von Schillers Stammbaum bemüht
war, hat darum (Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 2. März 1S99, Nr. 51)
H. mit vollem Recht einen \fann genannt, »dessen wissenschaftlichem l.ifcr,
zuverlässiger Sachkenntnis und treuer, selbstloser Hingabe die Schilier-
forschung manchen schätzenswerten Aufschluß verdankt.«
Otto Güntter.
Volkmann, Dicderich, Cleheimer Kegieruiigsrat und Rektor a. I). der
kgl. preuß. Landesschule Pforta, • 13. September 1838 in Bremen, f 13. Juli
1903 in Tabarz. — Sohn eines Bremer Gymnasiallehrers, wandte sich V.
selbst 1857 durch das Studium der klassischen und deutschen Philologie in
Bonn und Breslau - 1861 promovierte er — der Lchrerlaufbahn zu; er be-
gann sie Michaelis 186 1 an der Lamlesschule Pforta und beschloß sie an
derselben Schule 37 Jahre später; nur wenige Jahre wirkte er an andern
Schulen: vom Sommer 1873 bis Herbst 1874 war er Direktor des (jyumasiums
in Görlitz, von da an bis zum August 1878 des Elberfelder Gymnasiums.
Im Oktober 1878 kehrte er als Rektor nach Pforta zurück und hat 20 Jahre
lang die Landesschule in segensreicher Tätigkeit geleitet, bis zunehmende
Nervosität ihn veranlaßtc, Herbst 189S in den Ruhestand zu treten. Er zog
nach Jena, wo er erst aufs erfreulic hste sich zu erholen schien, <lann aber,
kurz vor Abschluß einer mit regstem Eifer wieder aufgenommenen wissen
*) Totenliätc 1903 Band \ III ii;*.
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1
^24 Volkmann.
schaftlichen Arbeit, im Ucginii des Jahres 1900 nervösem Siechtum anheim-
fiel, (las ihm nur selten erhiubte sieh von der Lagerstatt zu erheben. Im
Juli 1903 suchte er Erleichterung in dem Thüringer Waldort Tabarz; dort
erlag er wenige Tage nach seiner Ankunft einer hinzugetretenen Lungen-
entzündung. Verheiratet war V. seit 1866 mit Clementine Breslau, Schwester
des nachmaligen Oberbürgermeisters von Erfurt; von seinen fünf Söhnen hat
sich der zweite, seit 1804 Offizier der südwestafrikanischen Schutztruppe, 1004
ganz besondere verdient gemacht bei der Bekämpfung der aufrührerischen
Hereros.
Aus der kurzen Darlegung des äußerlich so einfach verlaufenen Lebens^
ganges erhellt, dafi von Vs. Tätigkeit sprechen davon sprechen heifit, wie er
an der Landesschule PtOrta gewirkt hat. Als ^^ in Pforta eintrat, waren so
auspe]irägte Pers(>nlic hkeiten an ihr tätig, wie der Geschichtsforscher Carl
Peter, der PlaKmikcr Steinhart, der Literaturhistoriker Kobersteiii, der
Sprachforscher Corssen u. a. nuhr, denen von Wilamowitz-Moellenclorff in
der Vorrede zu seinen Reden und Vorträgen einen den Schreiber wie die zu
Rühmenden gleichmäßig ehrenden Nachruf geschrieben hat; als er PforU
verließ, lehrten dort Männer, die pädagogisch den .erstgenannten nicht nach-
standen, didaktisch ihnen gewiß überlegen waren, aber doch, dem nivellierenden
Zuge der Zeit },'cniäß. nicht einen so tiefgreifenden Einfluß auszuüben ver-
mochten wie jene Lehrer des ^a-lehrten von Wilaniowitz. V. war es gewiß
nicht zu Dank, dali er selbst mitwirken mußte, dem Drange der Zeit nach
Vielseitigkeit im Lehrplan der alten Schule nachzugeben und so manche
Eigentümlichkeit — ich nenne z. B. die lateinische Versifikation — au&u-
geben. An den durch das Alter bewährten eigenartigen Einrichtungen des
Alumnats lieli er al)er niclit rütteln, ohne sicli freilich Änderungen im ein-
zeliu-n und wirklichen durch neue Anscliauun^en ^'e^el)enen Hesserungen zu
verschlielien; im besonderen war die in das Alunnuitsleben wie den Lehr-
plan gleichmäßig eingreifende Einrichtung des „Studientages ^ (eines den
Schülern in jeder Woche zur Privatlektüre besonders in den klassischen Sprachen
freigegebenen Tages ohne Unterrichtsstunden) ein von ihm mit Erfolg ver-
teidigtes A\>// ine tanf^ere. Als Leiter der Schule wollte er, wie er selbst ein-
mal sa<,'te, seine Lntergebenen, jedem seine Eigenart lassend, nur auf das
gemeinsame Wohl der Schule ..stimmen'', \ielleicht hätte er in manchen
Fällen, bei Lehrern wie Schülern, kräftiger zufassen können, vielleicht hätte
er seine Abneigung gegen die vielen Formalien, gegen die ärgerlichen Be-
richte an die vorgesetzte Behörde, die, wie sonstige unangenehme Arbeiten,
öfter über Gebühr liegen blieben (und die er doch so meisterhaft und, wenn
die Zeit drängte, so schnell abzufassen wußte), mit größerer Energie be-
knmi^fen sollen; aber der Mann, als (lanzcs in seinem Tun und Lassen ge-
nommen, war doch ein ganz hervorragender Kcitor J'ortcnsis. Eine hoch auf-
geschossene, schlanke Gestalt, das Gesicht umrahmt von frühzeitig ergrautem,
frühzeitig weiß gewordenem, kurzem Vollbart, das Auge Milde und Wohl-
wollen blickend, strahlte er eine natürliche WdkU üi.. der sich jeder
l)eugte, uiul zugleich eine Liebenswürdigkeit, die das Herz aller, die zu ihm
in nähere Beziehung treten durften, gewann. Ihm war nichts so zuwider,
wie sich in Pose zu setzen; er ließ im N'erkehr mit dem Jüngsten wie
dem Altesten so gar nicht den Vorgesetzten fühlen; doch kam es darauf an,
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Volkmaon. Büchner.
so wußte er, namentlich nach oben hin, den Standpunkt des Rcctor Pottensis
mit vollem Bewußtsein zu vertreten. Wie \'. in den l agen der (Jesundheit im
gern aufgesiuluen geselligen Kreise ein vorzüglu her Krzidiier war voll ent-
zückenden Humors, der doch nie verletzte, so war er auch bei den vielen
Gelegenheiten, die seine Stellung zu öffentlichem Auftreten bot, ein aus-
gezeichneter Redner, zumal wenn er frei sprach; seine vorbereiteten und ab-
gelesenen Reden waren trefflich, aber zuweilen etwas akademisch. Aber
sonderbar: derselbe Mann, welcher, ob er nun Schülern eine Strafrede zu
halten hatte oder ob er \or grolk-r auserwählter Corona die Jahrhunderte
alte Schule vertrat, kaum je ein Wort gesprochen hat, das er oder andere
nachher ungesproclien zu wünschen nötig hatten, derselbe Mann ängstigte
sich vor jedem solchen Auftreten, und eine unbedeutende Tischrede, die er
halten sollte, konnte ihm den Schlaf rauben. Als im Jahre 1893 das 350-
jihrige Jubiläum der Schulpforte bcvor-t war V. vor Aufregung über die
ihiri dabei als Rektor hevorstehci\den Aufgaben geradezu krank und kaum
noch arbeitsfähig; und wie hat er doch nachher, als er vor den vielen
hunderten von studierten Leuten den glückwünschenden Ansprachen nun zu
antworten hatte, das meisterlich zu tun verstanden, voll Würde und voll Humor,
in herzlicher Einfachheit und doch getragen von dem Bewußtsein, daO er an
historischer Stätte sprach ! Es liegt wohl auf demselben Felde, wenn det über-
zeugte Anhänger des klassischen Altertums, der seinen Anschauungen auch
auf der Dezemberkonferenz in Herlin iSqo uiuitnwundenen Ausdruck gab,
der feinsinnige Philologe, der in alten wie neuen Sprachen vielseitige und
tiefgehende Kenntnisse und überzeugende Urteilskraft besaß, nur wenig und
nichts von grOfierer Bedeutung veröffentlicht hat; er konnte auch da nicht
zu rechter Zeit den Abschlufi finden, war mit dem Erreichten nicht zu-
frieden; und als er im Ruhestande endlich mit seinen Arbeiten über die
Si'Hpton'S reruni Alcxandrl Mai^ni kurz vor der Fertigstellung zum Druck stand,
da nahm ihm, tragisch genug, lähmende Krankheit die Feder für immer aus
der Hand.
V. war begeisterter Patriot, ein mit Herz und Mund seinem Bismarck
und seinen Königen ergebener Mann, aber — ein Sohn einst der Republik
Bremen — ein freier Mann und abhold jedem Anflug von Byzantinismus;
er war ein herzeiisfrommer Christ und regelmäßiger Kirchgänger, aber feind
jedem /,lIrschau^tellen äuljeier leligi(')^er l'ormen und leerem .Gepränge und
jedem Ubergriff der Kirche ins wellliche debiet.
Vgl« Ecce der Laadesschule Pfoita 1903 (von H. Schleyer) und danach Buisians
Jahresbericht Ober die Fortschritte der klass. Altertumswissenschaft, Bd. 1 23 (Biogr. Jahrb.),
S. 1—9' Max Hoffmann-Pforta.
Büchner, Otto,') Kunsthistoriker, * 25. August 1869 in Krefeld, f 18. August
1903 in Erfurt. — Er besuchte das Realgynniasium, später das (iynmasium
seiner Heimatstadt und trat aus der Sekunda 1886 bei der Firma G. D. ßädeker
in Essen ein, um sich als Buchhändler auszubilden. Nach Ab.schlufi der
Lehrzeit fand B. 1889 bis 1893 Anstellung bei der Verlagsgesellschaft »Union«
in Stuttgart, war hierauf vorübergehend Privatsekietär bei Fr. v. Lipperheide
>) lotciilistc 11^3 Band Vi II 18*.
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426
Bttchner. Oldenbourg.
in Tirol und dann wieder iti Halle a. d. Saale uiul Krefeld als Buchhändler
tätig. Im Jahre 1895 gab er seinen bisherigen Beruf auf unti ward in Solingen
bis 1898 Redakteur der »Sulinger Zeitung«. Da erwachte in ihm eine
Qiibezwmglidie Neigung zu den Kunstdenkmftlem vergangener Zeiten und ver-
anlaflte den Neunundzwanzigjihrigen abermals zu einschneidendem Berufewech-
sei. Als Student der Kunstgeschichte trat er 1 898 an der Universität Mflnchen
wiederum in die Reihen der Anfänger. In Berlin und Jena setzte er seine
Studien fort und schloß sie 1902 in Heidelberg ab mit einer hervorrafjenden
Doktordissertation über »Die mittelalterliche (irabplastik. ni Nord- Thüringen
unter besondrer Berücksichtigung der Erfurter Denkmäler« (in erweiterter
Form zu Strafiburg bei Heitz erschienen). Von Ostern 1902 bis dahin 1903
nahm B. als Gehilfe von Prof. Paul Weber in Jena an der Einrichtung des
dortigen städtischen Museums teil und wandte sich, als diese Arbeit vollendet
war, nach Weimar, wo er sich sogleich in die Bau- und K imstdenkm;iler der
Stadt vertiefte und Stoff zu Vorträgen tlarüber sammelte. Die Leiter der
kunstgeschichtlichen Ausstellung, die im Herbst 1903 in Erfurt stattfand, be-
riefen ihn Anfong August d. J. nach Erfurt als Hilfearbeiter bei Vorbneitang
und Anordnung der Ausstellung. Mitten in dieser Tätigkeit wurde B. von
einer hitzigen Krankheit befallen, die seinem hoffnungsvollen Leben am
18. August frühzeitig ein rasches Ende setzte; die Feuerbestattung fand in
Kisenach statt. Auüer der Doktorarbeit erschienen von B., und zwar zumeist
erst nach seinem Tode, verschiedene gehaltvolle Abhandlungen, nämlich in
der »Zeitschrift für christliche Kunst« 1903^: »über die gravierten Grab-
platten im Erfurter Dom«; »Über den sogenannten Wolfram und die Ilteren
Bronzekunstwerke des Erfurter Domes«; »Über Tier^mbolik in der christ-
lichen Kunst«; »Liturgische Sftttgröhrchen« ; und in den Mitteilungen des
Krfurter (ieschichtsvereins eine umfänL'li( he Arbeit über den Scvcrisarkophag
zu Krfurt und seinen Künstler, samt Übersetzung der i'i/a et trattslatio ^Mncti
Mitteilungen der Familie. — Vita in der Distertitimi. — Leipx. Illustr. Zeitung^ 1903 .
Nr. 121 S. 334. — Overroann Im Erfurter »Allgemeinen Anseiger« vom 3i. August 1903. —
illrr in cJer Zeitung »Deutschland« (Wcinmr) Nr. 23a vom 25. AugttSt 1903, iweites Blatt. —
Mitteilungen des Erfurter (ieschichtsvereins XXV S. VII. P. Mitzschke.
Oldcnbourg, Rudolf/) ♦ 15. Dezember 181 1 zu Leipzig, f 10. Oktober 1903
in München, Verlagsbuchhändler und Buchdruckereibesitzer, Begründer der
unter der Finna seines Namens in München (mit Zweigniederlassung in Berlin)
bestehenden angesehenen Verlags- und Buchdruckereifirma, Inliaber des kgl.
bayer. Verdienstordens vom hl. Michael 4. Klasse. — O. war der Sohn des
Leipziger Großhändlers (jeorg Martin Oldenbourg und dessen Ehefrau Karo-
line geb. Lübeck, einer Tochter des Hofgerichtsadvokaten Lübeck zu Weimar.
Die Vorfahren seines Vaters lebten in Hannover, in der Gegend von Hoya
an der Weser. O. besuchte das Nikolaigymnasium in Leipzig. Der Aufent-
halt in der Stadt des Buchhandels mag ihm die Anregung gegeben haben,
sich auch seinerseits auf diesem Gebiete zu versuchen. Jedenfalls trat er
1827 als 15 */i jähriger Jüngling in eine Buchhandlung in Lübeck ein, um den
•j Totenliste 1903 Band VI 11 83*.
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Oldenbourg.
427
Buchhandel zu erlernen. Hatte er während seiner fünfjährigen Lehrzeit nicht
selten Veranlassung, über dio Ht'handlung zu klagen, der er sich nach flen
strengen Anforderungen der damaligen Zeit ausgesetzt sah, so gestaltete sich
sein Leben um so angenehmer, als er 1832 zur C' bernahme einer (leliilfenstelle
in der bekannten Frommannschen Buchhandlung nach Jena ging. Hier ver-
brachte er fast anderthalb Jahre. Als er aus dem Fronunannschen Kreise
schied, liefl der buchhändlerische und geistige Ertrag jener Jahre erkennen,
wie gut er seine Zeit zu nützen verstanden hatte.
Kr wandte sich nun naeh London, wo er durch X'ermittlung eines Leip-
ziger Freundes eine Anstellung in einer Buchhandlung erliahen liatte, deren
Inhaber ein Deutscher war. Das Geschäft war bei seinem Eintritt im ent-
schiedenen Niedergang begriffen und deshalb nicht dazu angetan, ihm ein
Iftngeres Verweilen darin wünschenswert erscheinen zu lassen. Da ihm auch
sonst das englische Geschäftsleben keine Befriedigung gewährte, so ergriff
er die erste sich ihm darbietende Gelegenheit, um nach Deutschland zurück-
zukehren.
Wieder in der Heimat, war es zunächst die Bucliliandlung von Schmerber
in Frankfurt a. M., die ihm anregende und lohnende Beschäftigung bot. Diese
Stellung war wohl an sich schon eine solche, wie sie seinen damaligen
Wünschen und Neigungen am meisten entsprach. Eine ganz besondere Be-
deutung sollte sie aber für ihn daihirch erlialteii, daß sie ihm den Eintritt
in die grolie ("ottasrlie Burhhandhnig in Stuttgart vermittelte und damit
seiner Laufbahn endgültig Richtung und Ziel wies.
Eine Annäherung an das Cottasche Geschäft zu suchen, war O. durch
seinen Prinzipal und Freund Schmerber selbst veranlaflt worden, der die
latenten Kräfte in ihm, die ihn zu einer Wirksamkeit im größeren Betriebe
befähigten, früh wahrgenommen und sich vorgesetzt hatte, ihm die Möglich-
keit zu ihrer Verwertung zu verschaffen. Dank dieser Unterstützung erreit hte
er es, daü die Cottascfie Buc hhandlung ihn 1836 zum Geschäftsführer ihres
Münchener Zweiggeschäftes, der literarisch-artistischen Anstalt, ernannte.
In München sah er sich einem umfangreichen Pflichtenkreise gegenüber.
Man hatte ihm neben den rein buchhändlerischen Angelegenhdten auch die
Wahmdminng der gcschäftlirlien Interessen der »Augsburger Allgemeinen
Zeitung«, eines weiteren großartigen l nternehmens des Cottaschen Verlages,
anvertraut. Wie viele Reisen hat er in jenen Tagen nicht nach Stuttgart *
und Augsburg unternommen, um in mündlicher Au.ssprache zu ordnen, was
sich schriftlich nicht so rasch und so gründlich hätte erledigen lassen! Es
würde hier zu weit führen, alle Unternehmungen au&uzählen, die damals
vorwiegend durch ihn ins Leben gerufen wurden. Nur einer der grOfiten
mag gedacht werden:
Im Jahre 1843 gründete er die Hibelanstalt der Cottaschen Buchhandlung.
Den neuen (Geschäftszweig wußte er in kurzer Zeit so zu entwickein, tiall er
lange eine Quelle beträchtlichen Gewinns blieb, an dem er partizipierte, da
er für diesen Geschäftszweig inzwischen Handlungsgesellschafter der Firma
geworden war.
Man sollte meinen, eine so weit verzweigte Tätigkeit, zu der sich
noch die tägliche N'ot tier kleitien .Aufgaben des laufendei\ (ioschäftes ge-
sellte, O. völlig beansprucht hätte. Das war jedoch keineswegs der Fall.
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428.
Oldenbourg.
Er fand iiof h die Zeit, im jähre iS^K ein weiteres (iex liäft /u eröffnen und
mit Billigung der übrigen Gebelbehaftcr unter der iirma senics Namens für
eigene Rechnung zu betreiben. Durch dieses legte er den Grund zu seinem
später so groflen Verlage.
Der erste Verlagsartikel, der seine Firma trug, war das heute DOCh
blühende und im hohen Ansehen stehende Journal für (jasbcleurhtunp und
Wasserversorgung . Der mit diesem Unternehmen eingeschlagenen Ric htung
ist sein Verlag immer treu gebliehen, aueh als später noch andere Materien
in den Bereich der Verlagstatigkeit gezogen wurden. Es ist O. als ein be-
sonderes Verdienst anzurechnen, dafi er als einer der ersten deutschen Ver-
leger das Aufblühen der technischen Wissenschaften in Deutschland, das
etwa um jene Zeit einsetzte, richtig erkannte und buchhändlcrisch zu verwerten
wußte, wie außer der genannten Zeitsc hrift auch noch andere Unternehmungen
technischen Charaktere bezeugen, die auf seine Anregung hin entstanden.
Unterdessen hatte zunehmende Kränklichkeit in dem Hauptinhaber der
Cottaschen Buchhandlung, dem Freiheim Georg von Cotta, den Wunsch
nach möglichster Verringerung der auf ihm ruhenden Geschäftslast entstehen
lassen. Als daher die Münchener Niederlassung der Firma in der Zeit von
1860 — 1868 aufgelöst wurde, erwarb O. ansehnliche Teile von ilirem Verlag
und führte sie seinem eigenen Geschäfte zu, indem er unter völliger Be-
schränkung seiner Wirksamkeit auf dieses zugleich endgültig aus der Cotta-
schen Buchhandlung ausschied.
Durch die Erwerbungen aus dem Cottaschen Verlage vermehrte O. die
Zahl seiner Unternehmungen so beträchtlich, daß sein Geschäft schon von
dem Augenblicke an, wo es allein für sich auftrat, zu den größeren seiner
Art gezählt werden mußte. Ks immer weiter auszubauen und der Größe
entgegenzuführen, in der es heute eine Zierde des deutschen Huchhandels
bildet, blieb von nun an seine stete Sorge. Er erwarb zu diesem
Zwecke 1873 die Pustetsche Buchdnickerei, Übernahm das Jahr darauf den
bayer. Zentral-Schulbücherverlag und grOndete in den Jahren 1883/ 1884 eine
eigene Groü-Buchbinderei. Alle diese großangelegten Unteniehmungen, die
die weitgehendsten Anforderungen an .sein Können stellten, wußte er in der
geschicktesten Weise einzuleiten und durchzuführen. Die wichtigste, aber
auch die, die ihm die meiste Mühe verursachte, war dabei wohl die An-
gUederung des umfangreichen Schulbücherverlages an seine Firma.
Hand in Hand mit diesem mehr kaufmännischen Wirken ging seine
eigentliche verlegerische Tätigkeit. Ihr waren neben anderen Werken Unter-
nehmungen wie die 30 Bände umfassende naturwissenschaftb« lu- \'olksbibliothek
' Die Naturkriifte , die in Gz Bänden erschienenen drei Sammlungen -Novellen-
schatz«, Baumeisters Denkmäler des klassisi hen .Altertums und in neuerer
Zeit H. V. Sybels siebenbändige Geschichte der Begründung des Deutschen
Reiches durch Wilhelm 1. zu danken. Von diesen wiederum beansprucht
wohl das zuletzt genannte Werk die größte Beachtung, jedenfalls war es die-
jenige Unternehmung, die O. mit besonderer Genugtuung erfüllte, und die
ihm ii^ der .\rt ihres literarischen und buchhändlcrischen Eindruckes den
Abend seines Lebens verschonte.
Ks versteht sich von selbst, daß ü. zu den geistigen Großen Münchens
beinahe von Beginn seines Aufenthaltes in dieser Stadt an in rege Beziehungen
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Oldenhourg.
•429
getreten war. Emanuel Geibel, Justus v. Liebig, die Mehrzahl der bedeuten-
den Männer, die König Max II. von Bayern um sich vereinigte, Paul Heyse,
T.euthold und viele andere waren seine Freunde, ebenso die großen (lelehrten
Martins. Pettenkoter, Sybel und Voit, die ihm auch als Autoren seines \'or-
lagcs nahe standen. Das Band treuer Freundschaft, das ihn mit Heinrich
V. Sybel verknüpfte, wurde erst durch dessen Tod gelöst.
Dies der ftuftere Rahmen, in dem sein den Zeitraum von fost 80 Jahren
umspannendes Berufsleben sich bewegte. Welche inneren Kräfte seines
Wesens waren es nun, die ihn befähigten, in der geschilderten Weise erfolg-
reich tätig zu sein? Sicherlich vor allen sein durchdringender Verstand,
seine durch nichts zu lähmende l'atkratt und seine strenge Recht.schaffenheit.
Aus dem ersterwähnten erwuchs ihm der scharfe t'berblick über große Ver-
hältnisse im Leben und in der Literatur und die klare Einsicht in das Wesen
der Dinge. Die Vereinigung beider aber schützte ihn vor Fehlgriffen, indem
sie ihm das richtige Augenmafi für die Faktoren gab, mit denen er bei seinen
Unternehmungen zu rechnen hatte. Während dann seine Tatkraft ihn zu
festen Fntschlüsscn und zum Handeln führte, war es hauptsächlich seine
Rechtschaltenheit, die ihm den guten Ruf gründete und das Vertrauen seiner
Autoren erwarb.
Erscheint O. so bereits als eine bestimmt ausgeprägte Persönlichkeit,
als ein offener und zuverlässiger Charakter, so werden einige weitere Züge
seines Wesens diesen Kindruc k noch vertiefen. Kr war von großer Treue
gegen alle, die ihm näher getreten waren, ficsonders schön zeigte sich das
in seinem Verhältnis zu seinen Angestellten. Hier Ijetonte er stets, daß jeder,
der in seinem Hause tätig sei und seine Pflicht tue, mit dem Gefühl erfüllt
werden müsse, dafi er ein sicheres Unterkommen gefunden habe. Zu rühmen
ist femer die hohe Auffassung, mit der er seinem Beruf gegenüberstand.
Sie ließ erkennen, dafi er, wenn er als guter Geschäftsmann auch zunächst
darauf aus war. finanziell realisierbare Werte zu schaffen, doch höhere Inter-
essen als tlas hlolie ( )eldver<lienen hatte. In diesem Zusannnenhange sei
auch des regen Kifers geilacht, mit dem er bis in das höchste Alter hinein
das unermefiliche Kapital idealer Bildung zü mehren sich angelegen sein
lieft, das sich ihm schon in den Tagen fröhlicher Jugend tief in Herz und
Geist gesenkt hatte.
In seitler äulJeren Krscheinung war O. ein kräftiger, über die mittlere
(iröße hinausragender Mann mit gut entwickelten (lesichts/ügen unter einer
in der Jugend dunklen, später weiüen Haarfülle und mit kurzgehaltenem
Backenbart. Seine Bewegungen waren energisch, und bei der Unterlialtung,
die er durch geistvolle Bemerkungen zu beleben wufite, liefi auch das Spiel
seiner Mienen seinen beweglichen und lebhaften Geist erkennen. Nach Be-
tätigung und Anerkennung im öffentlichen Leben zu streben, lag ihm fern;
er hat öffentliche Ämter mit Ausnahme des eines Handelsappellrichters und
verschiedener Ehrenämter im Dienste des Jiörsenvereins der deutschen Buch-
händler stets abgelehnt. Politisch hielt er zur liberalen Flagge in München,
ohne indessen als Parteimann hervorzutreten. Staunenswert war das Interesse,
das er noch in hohen Jahren für Menschen und Dinge an den Tag legte.
Die sinnliche Frische und Lebenskraft des Jünglings waren auch dem Greise
fast ungeschwächt erhalten geblieben.
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Oldenboui];. von Poleni.
Sein Lebt'nsbiki wäre iiiuollstäiuli^, wollte man nicht auch seines
Familienlebens Erwähnung tun. Hier war er ganz Mensch und liier kannte
er nur den einen P^hrgeiz, ein liebevoller Ciatte und treusorgendcr Vater zu
sein. Er hatte sich am 6. Juni 1843 mit Emilie Blochmann, einer Toditer
des weitbekannten Pädagogen Dr. Karl Blochmann in Dresden, veifaeiratet.
Mit ihr, dem Vorbild einer deutschen Hausfrau, ist er mehr ab 60 Jahre in
glücklichster, mit vier Söhnen und fünf Töchtern gesegneter Ehe vereinigt
gewesen. Nichts Reizvolleres ließ sich denken, als ihn im letzten Jahrzehnt
seines Lebens bei gr()ßeren Familienfesten inmitten der Seinigen zu sehen.
Wie ein Patriarch alter Zeiten war er da von seiner Gattin, seinen Kindern,
Enkeln und Urenkeln umgeben. Nach Menschenlos hat es ihm dann frei-
lich auch an schwerem Leid nicht gefehlt: zwei veifaeiratete TOchter und
eine verheiratete Enkelin sah er vor sich ins Grab sinken.
So hat er bis kurz vor seinem iMule gelebt. Erst als der Tod sich ihm
nahte, fand er einen müden Mann; während er noch seiniii 90. Geburtstag
in voller geistiger unil körperlicher Rüstigkeit unter ehrender Teilnahme des
bayerischen Herrscherhauses und weiter Kreise der Bürgerschaft und des
Buchhandels hatte feiern können, war dann doch nicht allsu lange danach
ein merkliches Schwinden der Kräfte eingetreten. Dann ist er hingesunken
wie ein welkes Blatt, das der Herbstwind zur Erde hinabträgt, wie es iti dem
Nachruf stimmungsvoll heißt, den eine große Münchener Zeitung ihm witlniete.
Tnter den Segnungen, die ihm im Laufe eines langen Lebens zuteil
geworden, ist nicht die geringste, daß er in seinen Söhnen treue und ver-
ständnisvolle Mitarbeiter fond. Sie führen jetst sein Lebenswerk in seinem
Geiste weiter, indem GeneraNKonsul und Kommerzienrat Rudolf Ritter
von O. und k. b. Handelsrichter Paul (). die Verlagsabteilung der Firma
leiten, während Kommerzienrat Hans O. deren technischen Betrieben vor-
steht. Die Firma beschäftigt zurzeit ein Personal von über 400 Beamten
und Arbeitern.
Benutst« Literatur: 1 iigc^zcitungen und die fan TOtttehenden grüOtenteils wört-
lich wiedergegebene biographische Einleitung des VerfaMen cum Jahigang 1905 des
Orfizicllcn AdreQbiu-Iics des Deutschen Buchhandel'^, da$ auch ein sehr gutes Bild ^upfer>
stich) Oldcubourgs nach einer Photographie aus den siebziger Jahren enthält.
Polenz, Wilhelm Christoph Wolf von,*) * 14. Januar 1861 zu Ober-
Cunewalde in der sächsischen Öberlausitz als der älteste Sohn des Kammer'
herm und Klostervogts von Polenz, f 13. November 1903 zu Breslau. —
P. stammt aus einem alten thüringisch- sächsischen Adelsgeschlecht, dessen
historisch verbürgte Urkunden bis zum Jahre 1180 zurückgehen; bis zum
14. Jahr von Hauslehrern unterrichtet, katn P. dann in das Internat des »Vitz-
thumschcn Gymnasiums« zu Dresden, wo Professor Diestel, ein von vielen
Seiten gerahmter Pädagoge, für P. von Einflufi wurde. Im Eltemhause fand
der Knabe besonders bei seiner genial veranlagten Schwester Hertha Ver-
ständnis, welche auch später als Schriftstellerin mit Erfolg an die Öffentlich-
keit trat Nach Ablegung des Abiturientenexamens diente P. zunächst im
') Tolenlistc 1903 Band V III 87*.
Max Bierotte.
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von Polens.
Dresdener riardcreiterregimeiu, dessen Rittmeister Moritx von Egidy auf P.
starken und nachh;dtigen Kindruck machte, sein Freiwilligcnjahr ab.
Nach Ablauf des Militärjahres studie rte P. mehr seiiicm \':iter zu Liehe als
eigener Neigung folgend, in Breslau, Berlin und Leipzig Rechtswissenschaft. In
Berlin wirkte auf P.» der auch viele außerhalb seines Fachs liegende Kollegien
besuchte, besonders Heinrich von Treitschke. Nach Beendigung seiner Rechts-
studien trat P. bei dem Dresdener Geric ht ils Referendar ein. Immer offener
treten jetzt bei dem jungen V. literarische Interessen an den Tag, die ihm
nicht selten aus den Kreisen seiner Geburt offene Anfeindung eintragen. Als
P. sich mit Emily Beatrice Robinson, einer jungen Engländerin, verlobt
hatte, trat er endgültig aus dem Staatsdienst, um sich nunmehr ganz der
Literatur zu widmen. Jetzt ging P. nach Berlin, wo er auch mit dem
Naturalismus und seinen wichtigsten Vertretern in Berührang kam. Hier in
Berlin trat P. besonders Moritz von Egidy nahe, dessen Persönlichkeit und
dessen Ideen auf den junp:(Mi Schriftsteller von großem Einfluß waren. Bald
zog sich P., für das (iroUstadtleben nicht geschaffen, auf das väterliche Land-
gut Ober-Cunewalde zurück, das er dann kurz darauf selbst übernahm, um
es bis an das Ende seines Lebens, das fast ausschließlich der Landwirtschaft
und freier Schriftstellerei gewidmet war, zu verwalten. Aus seiner Ehe gingen
vier Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen hervor. Noch kurz vor seinem
Tode hatte P. noch eine eingehende Studienreise nach Amerika gemacht.
Mit dem im Jahre iSqjj erschienenen dreibändigen Roman »Der Pfarrer
von Breitendorf« errang nun Polenz seinen ersten großen Erfolg. Das in den
späteren Auflagen um einen Band gekürzte Werk erOftnet einen aus drei
Romanen bestehenden Zyklus, in dem P. vorwiegend das landliche Leben
seiner Heimat darstellt. Im »Pfarrer von Breitendorf« wird das Ringen eines
Menschen um eine feste individuelle Lebensanschauung in einer Weise dar-
gestellt, die P. sogleich als hervorragenden Psychologen erkennen läßt. Es
ist ein ethischer, aber kein künstlerischer Fehler, daß der Held des Buches,
ein liberal gesinnter, von unbezähmbarem Wahrhaftigkeitsdrang erfüllter
Landgeistlicher, zu einer festen Weltanschauung trotz alles Kftropfens nicht
kommt.
Das künstlerisch Wertvollste an dem »Pfarrer von Breitendorf« ist neben
der kulturellen Bedeutung der<lariii bcliandelten Prohk-nie und der auftretenden
Typen, das reiche, warme Innenleben dieses Pfarrers, der auf der Suche
nach Walirheit und Menschen in die Gefahr kommt, zugrunde zu gehen. Die
Wandlung, die Gerland durchmacht, läßt sich in einem Worte ausdrücken:
»Er hat die negative Seite des Christentums, die es auf eine unerhörte
Dasei nsentwcrtung abgesehen hat. überwunden und findet Gott von neuem,
nach dem er sich des Freien und (löttlichen in sich bewußt geworden ist.
So weicht das Christentum der Demut bei ihm einem Christentum heiligen
Stolzes, und aufrecht, selbst ein Teil Gottes, verehrt er nun den, den er
vorher im Staube seines Angesichts angebetet hatte.
Die bedeutendste Dichtung, die P. überhaupt geschaffen, ist der nach
dem »Pfarrer von Breitendorf« erschienene Roman: »Der Büttnerbauer«. Das
Buch gehört in die Reihe der Werke, die wie Immermanns »Oberhof«, Kleists
»Michael Kohlhaas , Otto Ludwigs »Erbförster», Dichtungen spezifisch männ-
lichen NaturemptinUens, Natur aus erster Hand geben.
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432
vonPoleni.
Der »Büttnerbauer« schildert den lanp^samcn, aber unabwendbaren Verfall
eines bäuerlichen Besitzes. Ks ist ein lioher künstlerischer \'()rzug. daß P.
hierbei nichts auf den Zufall gestellt hat, und daü die ganze Geschichte von
einer inneren, unerbittlichen Notwendigkeit beherrscht wird. Traugott Büttner
geht nicht an irgendwelchen verhängnisvollen Eigenschaften zugrunde, kein
Unfall beschleunigt — wie so oh in unseren Romanen — das V'erhängnis,
natürlich, wie ein 'Va^ auf den andern, reiht sich Glied an Glied, bis der
Mann, den wir gesund und aufrecht kennen lernten, seinen Hof und seine
Heimat im liesiue eines intriguanten Juden sehend, sich erhängte. Der Unter-
gang des Bauern hat etwas Typisches und erscheint wie ein Ausschnitt aus
dem Leben der Allgemeinheit. Nicht bei allen wird der Mund im Schmerze so
verstummen wie bei diesem Bauern, aber alle, die den unerbittlichen Gesct/c n
der fortschreitenden Natur und der Geschichte gegenüber so hartnäckig auf
dem Hoden der Tradition und des Natürlichen verharren, müssen so oder
ähnlich zugrunde gehen. So ist der Büttnerbauer' nicht nur die Tragödie
des Bauern, sondern die Tragödie des schlichten Naturmenschen überhaupt.
Diejenigen, die auf die hohen künstlerischen Qualitäten des »Büttnerbauer«
bei seinem Erscheinen besonders aufmerksam gemacht haben, sind Theodor
Fontane und I.eo Tolstoi.
Nach dem Hüttnerbauer erschien als Heschluß des großen Tryptichon
der ) Grabenhäger , dasjenige Werk de> Dichters, in welchem, wenn es auch
an Bedeutsamkeit dem »Büttnerbauer« nachsteht, das reichste Leben herrscht.
Der Roman zeigt uns, wie ein leichtlebiger und flacher Kavalier von zwei
Seiten noch einmal erzogen und zu einem andern Menschen gemacht wird;
durch sein Weil) und die tägliche Pflichtübung, die die Aufrechterhaltung
seines verschuldeten Besitztums erfordert. Diese Wandlung wird in diesen
Romane meisterhaft geschildert.
Das Leben und Treiben auf einem gruben Kittergute — 1*. hatte zu
diesem Roman eingehende Studienreisen nach Ostelbien unternommen —
ist noch nie in einem deutschen Roman mit solcher Sachkenntnis und An-
schaulichkeit geschildert worden.
Das Kütistlerisc he aber hat bei aller Sachlichkeit nicht gelitten. Die
Menschen auf Grabenhagen sind vorzüglich gezeichnet und ihre Beziehungen
zu einander mit fast Zolascher Naturtreue geschildert. — Nie aber verfällt P.
ins Lüsterne. Er ist offen und vorurteilsh-ei genug, um zuzugeben, daß es
auch in den Kreisen, aus denen er selbst stammt, nicht allzuweit her ist.
Mit Interesse sehen wir in dem .so wahrheitsgetreuen Buche, wie der Ritter-
gutsbesitzerstand ebenso wie der Kaufmann in der Stadt und der Industrielle
heute dem Materialismus verfallen ist. Geld ist hier ebensosehr der angebetete
Götze als irgendwo anders. Der Geburtsadel macht, wie die (Jestalt uml
das Gebahren eines reichen Konunerzienrates zeigt, mit dem Geldadel schon
längst gemeinsame Sache.
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
ist das in dem Buche behandelte soziale Problem. So hat es auch, von den
künstlerischen ()ualitätcn abgesehen, für alle So/ialetliiker fast wissenschaft-
lichen Wert. — stellen diese drei großen Romane ein Werk von kultur-
historischer Bedeutung dar. Die groüen Fragen unserer Zeit, die religiöse
Frage, die Frage nach der sozialen Stellung des Arbeiters und des Arbeit-
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von Polenz.
433
gebers sind in wenigen deutschen Erzählungen unserer Zeit mit so viel Sach-
kenntnis iiikI ruhiger Sachlichkeit und mit so wenig aufdringlicher Tendenz
behandelt worden.
Von den noch ülirigcn drei Erzählungen großen Stiles, welche P. ge-
schrieben ha^ verdient der zweibändige Roman »Thekla LUdekind« die
emsteste Beachtung. Er fQhrt uns seit seinem ersten Roman »Sühne« zum
ersten Male wieder in das Leben und Treiben des Stadtlebens hinein. Auch
hier ist P. durchaus zu Hause, aucli hier liringt er — P. selbst hat ja viele
Jahre in der Stadt zu<;ehracht — nur Selbstbeobachtetcs. Aber man merkt
wohl, daß er hier nicht so aus dem Vollen schöpft und mit dem Milieu so
verwachsen ist wie da, wo er uns auf die D&rfer und in den Wald führt
oder mit uns durch wogende Kornfelder schreitet. Die Frauenfrage ist der
Inhalt des Romans. Im Mittelpunkt steht das Leben einer Frau. Nicht um-
sonst ist der Untertitel dieses liuches »Geschichte eines Herzens«. P. offen-
bart in diesem Huche eine eindringende Kenntnis der weiblichen Psyche,
wie sie unsere modernen Romanschriftsteller selten oder fast nie aufzuweisen
haben. Es ist wahr, daß es in dem Buche vielfach an Temperament fehlt.
Wirklich leidenschaftliche Akzente werden kaum angeschlagen. Die abgeklärte
und nie aufdringliche Art indessen, in der P. hier zur Frauenfrage Stellung
nimmt, entzieht das Buch dem Tendenziösen und verleiht ihm wieder, wie
den Vorgängern, kulturgeschichtlichen Wert.
Die Philosophie, die P. in dem Huche predigt, gipfelt in dem SchluÜ-
wort des Romanes: »Nicht mit dem Kopfe bauen wir unser Leben, sondern
mit dem Herzen.« Dieser Satz ist für alle Wendungen der ErzShlung maß-
gebend. Aber gerade die Lebensgeschichte Thekla LQdekinds ist, ohne
dafi es P. beabsichtigt ha^ ein Beweis dafür, wie sich auf dieser Philosophie
ein glückliches Leben nicht aufbauen läßt. Der Weltanschauung, der P.
in diesem Huche Ausdruck gegeben, wird nicht jeder l)ei|)tli( liten ; in
psychologischer Hinsicht hingegen ist » Thekla Lüdekind-' vielleicht der beste
Fraoenroman unserer realistischen Schule.
Nach der »Thekla LOdekind« erschien der Roman »Liebe ist ewig«.
Er spielt in der bayrischen Hauptstadt und führt ebenfalls ein Frauenschicksal
vor. Das Buch ragt weit über einen Unterhaltungsroman üblicher Art hinaus,
stellt aber ebensowenig- wie der sehr akademisch gehaltene, das moderne
Literaicnium nicht immer richtig schildernde »Wurzellocker« einen Fort-
schritt in dem Schaffen des Dichters dar. Beide Werke bedeuten wenig
neben den epischen Dichtungen, die uns P. bis dahin geschenkt hatte. Im
Nachlasse des Dichters hat sich indessen ein sehr bemerkenswertes Roman-
fragment, »Glückliche Menschen«, vorgefunden, welches beweist, daß P. bei
längerer Lebensdauer wieder den Weg zu seiner Kunst gefunden hätte, welche
weit über seinen letzten beiden Romanen stand.
Neben diesen großen epischen Dichtungen hat F. noch eine große Reihe
von Erzählungen und Novellen geschrieben, unter denen die Novelle »Wald«
und die Studie »Versuchung« besondere Beachtung verdienten. Die Novelle
»Wald«, sicher die künstlerisch vollendetste des Dichters, ist eine durch
und durch deutsche Herzens- und Seelengeschichte, wie sie gerade in der
modernen deutschen Novellenliteratur ganz einzig dasteht. Die Heldin
der Erzählung ist die von unsern Romanschriftstellern immer wieder
Btogr. JtiuibMk u. Dcutiehir Nekrolog^. 9. Bd. 3g
434
von Poleni.
dargestellte unverstandene Frau, die schlicülicli ihrem Gatten und ihrer Pflicht
untreu wird, um sich einem andern zu ergeben. Mit grolier Künstlcrschaft
ist geschildert, wie allmählich die Liebe in der Seele der verbitterten Frau
erwacht, welche jahrelang dumpf und gleichgüliig neben ihrem rauhen, ver-
schlossenen, ganz in seinem Waidmannsberuf aufgehenden Gemahl dahin-
gelebt hat. Der Wald aber lebt in dieser Novelle wie in wenigen anderen
deutschen Erzählungen.
Außer den genannten Novellen hat 1'. noch von kleineren Dichtungen
eine Samndung von I)orfges( hichten unter dem Titel >' laiginsland « veröffent-
licht. Auch diese ansprui hslosen Erzählungen entbehren poetisch und kultur-
geschichtlich nicht eines gewissen Wertes. Der stiernackige GroBbauer, der
»die Glocken von Krummseifenbach« stiftet, wirkt wie eine Zeicluiung
Leibis. Die prächtigste Studie des Bandes ist aber die Schlufigeschichte
»Zittelgust's Anna«.
Auch auf dramatischem (lel)iet hat sich V. wiederholt vcrsuclit. Im
ßu( hhandel sind drei Dramen von ihm erschienen, das vieraktige i raucrspiel
»Heinrich von Kleist«, die Tragödie »Andreas Bockholdt« und die Dorf-
tragödie »Junker und FrOner«. »Heinrich von Kleist« wurde in Dresden
zur Auffülirung gebracht. Das Stück hatte bei dem Publikum einigen Erfolg,
wurde aber von der Kritik mit Recht abgelehnt. Als psychologische Studie
hat das Stück seinen Wert, als Drama hat es keine (^)ualitäten. Ganz das-
selbe gilt von dem Trauerspiel »Andreas Bockholdt«, das zum grotien Schmerze
P.S nie aufgeführt wurde. Dies Drama steht ganz unter dem Einflufl Egidys
und wurde zu der Zeit, als P. im engsten Verkehr mit diesem stand, konzipiert
Andreas Bockholdt, ein vielbeschäftigter Gefängnisarzt, versucht in s^nem
Berufe die schöne, aber naive Weltanschauung Egiilys in die 'Tat umzusetzen,
und tut dies mit einer Konsequeiu, die ihn in mehr tragikomische als tra^dsche
Situationen bringt. Die bei weitem wertvollste unter den dramatischen Arbeiten
P.s ist ohne Zweifel die Dorftragödie »Junker und Fröner«. Hier bietet P.
zum ersten Male einen ländlichen Stoff im dramatischen Gewände. Aber
nicht der moderne Bauer, sondern der Bauer der Fronzeit wird uns vor-
geführt. Das Stück s])ielt um die Mitte des achtzehnten Jalirhunderts, zu
einer Zeit, da bereits die .Aufklärung in voller Blüte stand und trotzdem der
deutsche Bauer formell noch Leibeigener war. In diesen Widerspruch sind
die Repräsentanten des Junker- und Bauernstandes hineingestellt. Der wackere
Bauer Christian Noack geht im Kampfe um sein Recht zugrunde. In diesem
Stück sind wirkliche Ansätze zu einer echten Tragödie enthalten. Besonders
der zweite Akt hat ergreifende Partien und ist dramatisch sehr geschickt
aufgebaut.
Was an (Icdic hten von P. vorliegt, hat einen sehr ungleichen Wert. Die
ersten Gedichte waren dem N'ovellenbande »Karline« beigegeben. Die Ge-
dichte dieses Bandes zeigen neben der stark erzieherischen Tendenz, die fast in
jedem Stücke zum Ausdruck kommt, einen au&dlenden Mangel an lyrischem
Schmelz und an der echten Lyrikern wie Goethe, Mörike und Heine stets
eigenen Weichheit in <ler Linienführung. .Aus dem Nachlaß P.s ist indessen ein
Gedichtband »Krnte/.t-it veröffentlicht worden, tlcr poetisch viel wertvollere
und reifere Dichtungen enthält als der Band »Karline«. P.s letztes Werk
ist »Das Land der Zukunft«. Es ist die Frucht seiner angehend«» Studien*
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von Polenz. Niessen.
435
reise durch Amerika und bietet, da sie keine Reisebeschreibung gewöhnlichen
Stiles ist, des Interessanten und Fesselnden genug, um speziell in der Literatur
über Amerika einer der bemerkenswertesten Beiträge zu sein.
Dr. Heinrich 11 genstein.
Niessen, Wilhelm (Joseph), Bildhauer, Architekt und Maler, * 29. Juni
1827 zu Köln a. Rhein, f 17. November 1903 in München, Sohn des Kauf-
manns Anton Niessen und dessen Gattin Rosa Rebekka Niessen, verwitwete
Euskirchen, geb. Hourscheidt. — N. wichnete sich, narh Ableistung; dos
Militiirdienstes, unter dem seit 1845 in Köln tätigen I )(Hnbildhauer Christian
Mülu der Kunst, übersiedelte 1850 an die Münchener Akademie, wo er bei
Max Widemann die Antike studierte und seit 1852 bei Xaver Schwanthaler
(dem Vetter des am 28. November 1848 verstorbenen berühmten Ludwig
Scliwanthaler) an der Vollendung der Giebeigruppen für tlie Propyläen Ver-
wendung fand. Später in der von b)s. (labriel Mayer, (vgl. Allg. Deutsche
IJiographie« 1K85, .\XT, 120) gegründeten und heute noch unter der Direktion
des Kommerzienrates Franz Mayer einen wahren Weltruf genießenden ■ Kunst-
anstalt für kirchliche Arbeiten« lieferte N. die Modelle zu 32 Figuren und
begründete, seit 1855 selbständig schaffend, sein eigenes Atelier, aus welchem
zahlreiche Aufträge hervorgingen, u. a. eine Madonnenstatue« (in Holz), ein
»Trauernder Genius« als Grabdenkmal (in Bronze ausgeführt), die Figuren
der vier "Evangelisten* und die Statuen von »Petrus und Paulus in dorn
nach M. liergers /cichtiungon durch A. Siekinger (1H07 und 1H73) für die
Münchener Frauenkirche ausgeführten iiochaltar, welcher auÜerdeni von Moritz
von Schwind mit Bildern und von Jos. Knabl mit plastischen Gruppen pracht-
voll geschmückt wurde. Damals hatte der Künstler wohl noch keine Ahnung,
dafJ er in demselben Bauwerk eine weitere Stätte seiner ers]>ricfilichen Tätig-
keit, ja geradezu eine auszeichnende Lel>enstätigkeit finden werde. Nachdem
N. zur vollen Zufriedenheit der Besteller einen nach eigenen Plänen erbauten
und mit Plastik augestatteteten Altar für die klösterliche Frziehung-sanstalt
zu Zangberg vollendet und mit Frl. Apollonia Rommerskirchen aus Köln
zu München seinen eigenen Herd begründet hatte, wurde unserem Künstler
der Auftrag zu einem großen Altarbau in der »Johann N< pomuk-Ka])elle ^
der vorgenannten Frauenkirche. Die bestimmt ausgesprot henen Wünsche <ler
Stifter gewährten der gestaltenden Phantasie sehr willkonnnenen S]»ielraum.
Die aus drei Stämmen bestehende Familie des Grafen von Arco (Arco-
Zinneberg, -Stepperg und -Valley) verlangte die Ausschmückung der früheren
Apollonia-Kapelle, wofür N., im Gegensatz zu der in der Frauenkirche seither
beliebten polychromierten Holzarchitektur, die Verwendung des Steinmate-
rials in Vorschlag brachte, so zwar, daß zu den Figuren weißer Marmor,
zu dem ornamentreichen .Aufbau aber roter Sand-^tein ohne weitere Fassung
dienen sollte. N. verspra* h sich gegenüber der larhenprächtigen Wirkung
der alten Glasfensterbilder einen imposanten Kindruck der Rulle, ein Projekt,
welches freilich, vereinzelt und gegen die herkömmliche Tradition, sich hier
nur teilweise erfüllte. Man experimentierte damals noch etwas zuviel; die
Kunst des »Restaurierens« mußte durch viele bittere Erfahrungen und Fehl-
griffe erst zum (immerhin noch fraglichen) Nutzen der Neuzeit errungen und
erprobt werden. Auch nalim N. die dem Kölner Dom zukommende sog.
28»
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436
Niesscn.
»Frühgotik« zum Vorbild, während die Entstehung der Frauenkirche einer
der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts entsprechenden, speziell süddeutschen
Bauperiode angehört. N. rechnete mit nicht völlig gleichwertigen Koeffizienten.
Das Rc'Miltat war jcddrh iiiiiiiei originell und ehrenwert. Auch der Wechsel
von lebensgroßen Kiguren und halbmeterhuhen Statuetten brachte erfreuliche
Wirkung, ebenso wie der architektonisch-klare Aufbau durch den reizenden
Austausch der Ornamente und anderen bildnerischen Schmuckes völlig in
ausklingenden Wechsel gebracht wurde. Da die vielköpfige Zahl der Patrone
der gräflichen Stifter, deren Frauen und Kinder in der gewissermaßen sakralen
Adoration der WelterloMnig gipfelte, so crgat) sich nelicn der dogmatischen
Symbolik noch eine Fülle von fialenbewachten Nischen und Konsolen, über-
sponnen von Krappen und heraldischem Beiwerk: ein wahrer Wald von
zierlicher Schönheit und streng logischer Stylistik, unterbrochen von sclbst-
redenden, dem Auge Ruhepunkte gewährenden Reliefs und figürlichen Gruppen,
welche sich an den drei Seiten der Kapelle, zweimal sogar bis auf zwanzig
Meter Höhe, aufbauen. Kein Wunder, daß N., bisweilen mit zehn (lehilfen
arbeitend, die Zeit von 1867 — 77 zur Ausführung brauchte. So entstand ein in
seiner Weise wahrhaft unvergleichliches Werk, welches hoffentlich noch einer
sp&ten Nachwelt Zeugnis ablegt fttr echte, adelige Pietät und sinnige deutsche
Kunstfertigkeit Dann wird audi eine Reproduktion des Ganzen und seiner
einzelnen Teile erfolgen, woran vorerst noch niemand dachte. Auch die
Zeitgenossen ließen wenig darüber verlauten, mit Ausnahme von Anton
Mayer, welcher in einer kleinen Schilderung der Frauenkirche (München 1863),
insbesondere in seiner weitläufigen »Geschichte und Beschreibung der Dom-
kirche« (M. 1868, S. 338 ff.) und in einem »kleinen Begleiter durch die Dom-
und Pfarrkirchet (1875, S. 69 ff.) eingehend referierte. Ein Bericht erfolgte
auch in der Beilage 69 der »Augsburger Postzeitung« vom 28. Oktober 1875.
F. A. Specht in der Festschrift zur vierten Säkular- Feier der Einweihung
(M. 1894 bei Hraun und Schneider S. 12) fiatte jedoi h nur wenige Zeilen dafür.
In der Folgezeit entstanden neben kleineren Leistungen ein '^Kreuzweg« mit
14 Reliefstationen in Kalkstein für Fronhofen und eine Wiederholung in
Eichenholz für die von M. Berger erbaute und von J. Knabl mit Altilren
und Standbildern ausgestattete Pfarrkirche zu Haidhausen (vgl. Nr. 322
!'.ayeris( her Kurier« vom 19. November 1880). N. setzte sich auch jetzt
no( h nicht zur Kulie. Zur Ausführung .seiner großen Arbeiten hatte er in
der vielbelebten, zum südlichen Campo-Santo führenden »Spitalstraße« zwei
Häuser erworben und seine Ateliers dahinein verlegt. Als er derselben nicht
mehr bedurfte, baute N. die Räume um und versah die Häuser mit einer
einheitlichen Fassade in dem von ihm so wohl gekannten und geliebten
strengen und doch gefälligen Spitzbogenstil. Auch hier gab es Statuen und
Hauspatrone, die einen Krker und Balkon flankieren, vielfach verschlungenes,
ornamentales Zierwerk, wodurch das Ganze als echtes Künstlerheim sich
präsentiert. Hier oblag N. zu seines Herzens stiller Erquickung der Malerei.
Was seine an dieses Material nicht gewohnte Hand schuf, war einfMh gfifl-
lich. Scheffel sagt mit Recht: »'s ist ein eigner Spa6, dafi jeder das «m
liebsten treibt, wozu er just am wenigsten Beruf hat '. F.inmal brachte N.
einen ganzen Saal voll Skizzen und I<andschaften nebst Studienköpfen in
den Kunstverein. Die auf seinen Namen überhaupt nicht dressierte Presse
Niessen. Reimer.
437
— N, hafite alle Reklame — schwieg. Und das war gut. Als es fünfzig
Jnhrc waren, daß der Künstler in Münclion weiltr und srhnf, da veranstaltete
N. eine KoUektivaussteilunj^ aller ^t incr architcktonisc hen und plastischen
Arbeiten in dem prächtigen Raliiuen des eigenen Hauses, mit demselben
Erfolge. Erst zu seinem Grabe kamen ehrende Deputationen der »Mttnchener
KQnstler-Genossenschaft«, vom »Freien Künstler- Bund« mit Reden und
Kränzen, auch vom Offizierkorps des zweiten Infanterie-Regiments, bei welchem
Dr. Niessen, der einzige Sohn des Künstlers, als Oberstabsarzt eine geachtete
Stelle bekleidet; auch der Sängerkreis der Alten« ließ seine Trauerklage
um den (jeschiedenen stimmungsvoll erklingen.
(Vgl. den BegribBisbcricht in Nr. 546 »Neueste Nachrichten« 21. November 1903).
Nur die Kunsthistorie ist noch im RUck$tan<I : Pccht in .seiner >Gesch. der MOnchener Künste
18S8. S. 30.S iK-nnt l.loß (Ion >Iuil.>o]u'n Ano-.Mt.ir«, Singer i^<)8 II, }o6 und H<>tticher
1S9H 11, 151 wiUiucn iluii wenige Zeilen und in Mcrli>s Lexikon der »Kölner Künstler«
(sofwr in der zweiten Ausgabe von Richartc>Keu8en 1^95, S. 622) ist nur der Name seines
Bruders, des Malen Johann Niessen, verxeichnet. Hyac. Holland.
Renner, Ludwig") Oberkonsistorialrat, Hofprediger, Dr,tiuol., Dr. phil.^
* 10. Aj)ril iS^.j im Fnrsthaus Lohra, f 29. \ovfmber 1903 in Wernige-
rode. — Nach Abs( hhiU meiner theologischen Studien in Halle 1853 — 56,
wo besonders Tholuck und Julius Müller nachhaltigen Einfluß auf ihn
aasübten, wurde R. als Erzieher der Printen Heinrich XVIII. und XIX.
von Reufi-KOstritz bestellt und verdankte diesem Vertrauensamt, neben vor-
übergehender Tätigkeit am Gymnasium zu Gütersloh, wohin er seine Zöglinge
begleitete, 1860 längeren Aufenthalt an den Bildungsstätten atn (ienfer See:
(lenf, \'evey, Lausanne unci sodann in Italien, speziell in Rom seilest. Als
Frucht seiner Studien hier erwuchs ihm eine Arbeit über «Die Kunst in den
Katakomben«, auf Grand deren er nach seiner Rückkehr in Leipzig zum
Dr. pkiL promovierte. 1865 schlofl sich dann die in Halle abgelegte Prü-
fung für das höhere Lehramt an, bei welcher er mit Ehren sich für drei Fächer
die I nterrichtsfakultas bis l'rima erwarb. Schon stand er mit einem Schritt
im höheren Schulaint, da ihm bereits im folgenden Jahre eine Lehrstelle am
Domgymnasium in Magdeburg angetragen wurde. Doch gleichzeitig bot sich
ihm ein Pfarramt in Suderode am Harz, und er entschied sich für das letztere.
Aber Zeit seines Lebens hat er darum doch den schulischen Dingen sein leb-
haftes und tätiges Interesse bewahrt. 1870 wurde ihm das Oberpfanramt
in Langensalza übertragen unter gleichzeitiger Ernennung zum Superinten-
denten der Kphorie. Fünf Jahre darauf siedelte er als Superintemlent nach der
alte?i, s( hönen Har/.residenz Wernigerode über, die ihm von nun an seine
bleibentle Heimat wurde. Durch das Vertrauen des fürstlich-stolbergischen
Hofes wurde er bald — seit 1877 — zum Schloflpfarrer und Hofprediger be-
rufen und hat dies Amt fost 25 Jahre, bis 190 1 seine Gesundheit erlahmte,
verwaltet. — In seiner weiteren kirchlichen Tätigkeit innerhalb der preußischen
Landeskirche ist K. einer der Begründer und tätigsten I-örderer der «positiv-
unicrten« Grupj)e geworden. Insbesondere ist seine Mitwirkung an den
synodalen Arbeiten — sowohl in der Provin/ial- wie in der Generalsynode
t) Totcnliste 1903 Band VIll 91*.
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43»
Renner, von Ringboffer.
- eine (lauLinde und erfolgreiche gewesen, bereits iS;:; uunlc er von
Langensalza aus zur ersten, neu ins Leben getretenen Trovinzialsynode ent-
sandt; späterhin war er regelmäßig durch königliche Ernennung deren Mit-
glied; dem Provinsialsynodalvorstand hat er von 1884 bis 1895 angehört und
ist 24 Jahre lang als Syno(laldei)utiertL'r Mitglied der theologischen Prüfungs-
kommission beim Konsistorium in Magdeburg gewesen, wo er wesentlich die
praktischen Kacher (Kthik, l'ädagogik u. a.) vertrat. Auf seine Anregung hin, die
auf der l'agung der Provinzialsynode von 1896 als sein Antrag zum Beschluß
erhoben wurde, ist 1897 für die Theologie- Kandidaten der Provinz das sog.
Lehrvikariat — Einffihrung in das praktische geistliche Amt durch einen
bewährten Geistlichen während eines Jahres zwischen 1. und II. theologischer
Prüfung — obligatorisch gemacht worden. In der Generalsynode ist seine Arbeit
l)esonders in der Vorbereitung und Kinführung der neuen Agende licrvor-
getreten. Kin wesentlicher Teil tles Entwurfs war ihm 1891 zur Ausarbeitung
übertragen. So hatte er auch als Obmann der Agendenkommission in der
über die Annahme entscheidenden Sitzung vom 10. November 1894 das
wichtige» die Besprechung einleitende Referat, und als bei den Beratungen
über das Ordinationsfonnular sich über die Stellung und Bedeutung des
Apost«)likums in demselben tiefgehende prinzipielle Meinungsverschiedenheit
ergal), fand er den vermittelnden Ausweg, der das Werk vor dem Scheitern
rettete. In demselben Jahre hat die theologische Fakultät in Halle seiner wissen-
schaftlichen und kirchlich-praktischen Tätigkeit durch Verleihung der Doktor»
würde ihre Anerkennung bezeugt, die sich auch auf eine 1886 veröffentlichte
Schrift ' Lebensbilder aus der Pietistenzeit« stützen konnte. — Besonders in
die Kämpferreilien der positiven Union« hat sein Tod, wenn auch nicht
unerwartet, eine schmerzlich empfundene Lücke gerissen.
Ringhoffer, Emanuel Ritter von, Professor, k. k. Regierungsrat, * 33. Dez.
1S.23 zu IVag, t I. Dez. 1903 ebenda. — R. erhielt seine fachmännische Aus-
bihlinig am l'olytechnikum in Wien, nach dessen Absolvierung er die Akademie
der bildenden Künste in Wieti besuchte; er wirkte hierauf durch sechs Jahre als
Assistent an der Lehrkanzel für Jiauw issenschatten in Wien und wurde 1850
zum supplierenden Professor dieser Wissenschaften an der technischen Lehr-
anstalt in Brünn ernannt. Vor Antritt seines Lehramtes unternahm er mit
liewilligung des Ministeriums eine Reise nach Deutschland und Frankreich
behufs eingelienden Studiums der Organisation der technischen Institute. Im
Jahre wurde R. ordentlidier Professor in Brünn; 1864 wurde er an das
polytechnische I .andesinstitut zu Prag berufen, wo er bis zu seiner Pensio-
nierung verblieb, um die er aus Gesundheitsrücksichten schon im Jahre 1S82
ansuchen mußte. Im Jahre 187 1 war R. Rektor des Polytechnikums; aufier-
dem war er sechs Jahre als Fachvorstand tätig. An der Ausführung größerer
Bauten hat er sich nicht beteiligt; er lebte nur in seinem Lehramte. 1864
erschien sein (lamals rühmlidi bekanntes Werk „Lehre vom Hochbau"*, das
im Jahre 1.S78 eine zweite Auflage erlebte. Im Jahre 1879 erhielt R. den
litel eines Regierungsrates, bei seiner I'ensionierung wurde ihm der Orden
der Eisemen Krone III. Klasse verliehen und einige Jahre später der erbliche
Ritterstand. Trotzdem blieb er immer der bescheidene, anspruchslose Mann,
Kohlschm id t.
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von Ringhoffer. Hagemann.
439
der sicli nicht gerne in den Vordergrund drängte und den alle, die ihn
kannten, seiner vielseitigen Kenntnisse und seines biederen Charakters wegen
verehrten und schätzten. A. Birk.
Hagemann, Georg,') Dr. p/ül.^ Professor der Philosophie an der Universität
Münster i. W., * 17. November 1832 2u Beckum in Westfalen, f 6. Dezember
1905 zu Munster i. W. — H., ein bedeutender Philosoph der katholischen
Richtung, besuchte das Gymnasium zu Recklinghausen, hierauf die Akademie
7U Münster. 1S56 wurde er zum katliolischen Priester or<liniert. 1855 56
löste er die Preisfrage der philosopliis< licn Fakultät, was für seine künftige
philosophische Lehrtätigkeit von entscheidendem Eintiusse war. Einige Jahre
war er hierauf Erzidier im Hause des Grafen von Galen; 1860 wurde er
Prftses in dem gräflich Galenschen Konvikte für adelige Gyronasias'ten zu
Münster; 1861 erwarb er den philosophischen Doktorgrad an der Münsterer
Akademie; 1862 habilitierte er sirli /u Munster als Privatdozent für Philosophie.
Kurz vorher (1862) war der früliere ()r(linarius der Philosojihie in Münster,
hranz Jakob Clemens, gestorben. Auf seine Stelle wurde Dr. Albert Stöckl
von Eichstätt berufen. Als derselbe 1870 freiwillig wieder nach Eichstätt
zurückkehrte, verhinderten die damaligen religiös -politischen Bewegungen
(Vatikanum, Altkatholizismus, 2^ntrumsbildung, Kulturkampf) die Beförderung
des Privatdozenten Dr. H. zum Professor. Krst 188 1, nach fast 20 Jahren,
wurde er außerordentlicher, vorerst noch unbesokleter Professor in Münster;
1884 endlich ordentlicher Professor der IMuIosophie.
Allgemein wird an H. dessen treue und gewissenhafte Amtsführung, Be-
scheidenheit und Herzensgfite gerühmt; desgleichen seine hervorragende
Tüchtigkeit als Dozent: sein Vortrag zeichnete sich durch Klarheit der Ge-
danken und Lebendigkeit aus und war durch ein prächtiges Or^jan unterstützt.
'l'rotz beständiger reger Ceistestätigkeit hinterließ H. (abgesehen von
Artikeln in Zeitschriften, z. P. deni Literaris( lu'n Handweiser von Hülskanij)
in Münster) nur drei Werke gröberen ümfanges, nämlich; 1. Logik und Noetik,
erstmals erschienen 1868, bei Herder in Freiburg. 2. Metaphysik, 1869.
3. Psychologie, 1869. Sämtliche drei Werke sind seitdem oftmals in Neu-
auflagen erschienen und bilden zusammen die »Elemente der Philosophie«,
einen Leitfaden für akademische Vorlesungen sowie znin Selbstunterrichte.^
Die weiter [;ej)]anten 'Peile dieses Leitfadens (Ethik und Juridik, Ästhetik,
Geschichte der Philosophie) sind leider nicht zur Ausführung gelangt.
H. konnte nur schwer zu einem Abschlufi seiner Arbeiten gelangen;
Schon 1873 rühmte ein Kritiker (v. Hartsen) von den H.schen Schriften:
Dieselben nähmen eine hervorragende Stelle in der neueren T-iteratur ein,
ilätten einen bedeutenden Wert für den angehenden Studierenden der Philo-
sophie; seien keine bloße Kompilation, zeichneten sich aus durch sittlichen
Ernst, Scharfsinn und Kritik, Vollständigkeit und Reichtum des Inhaltes,
Streben nach Klarheit, unterhaltende Schreibweise, reiche Literaturkenntnis,
interessante Daten usw.
H. vertrat in der Philosophie den christlichen, näherhin katholischen
Standpunkt, im Anschlüsse an Aristoteles und die mittelalterliche Scholastik,
») Totenlistc 1903 Biuid VIII 45».
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Hagemann.
mit einigen undtrcii Männern (z. H. der Jesuitcnsrhule, Clemens, Kleutgcn
usw.), schon bevor Papst Leo XIII. durch seine Enzyklika ^Aetemi J^afris*
1879 die alte aristotelisch-schoiastische Philosophie in der Form des Tho-
mismus zunächst für die katholische Welt wieder nachdrQcUich in Erinne-
rung brachte. '
Doch kann H. nicht als Thoniist bezeichnet werden; dazu war der
Einfluß der modernen Wissenschaften auf ihn ein viel zu großer. Seine Lehr-
bücher wurden dann auch von strengen Thomisten (wie Commer, Schneider, '
Gloßner) einer Kritik unterzogen. Auch die Bezeichnung Neuscholastiker
oder Neuaristoteliker paflt nicht auf ihn. Zwar übernahm er viele erprobte
Grund- und Bausteine aus der alten aristotelisch-scholastischen Philosophie,
aber in Detailfragen weicht er vielfeu:h von der »alten Schule« ab, zumeist
wenn Krgel)nisse der modernen, bes. naturwisscnschaftlirhcn Forschung in
Betracht koinuu-n. IL will nichts wissen von einer hlolJcn Repristination
des Alten, sondern hat ein organisciics Weiterentwickeln und Weiterbauen
auf den alten bewährten Grundlagen im Auge. Mit gutem Grunde kann
man H. einen Anhänger der sogenannten »immerwährenden Philosophie«,
phihsopJua permms, nennen, von welcher bereits Leibniz redet als von einem
ewigen, nicht auf die Denkarbeit eines einzigen Philosojihen aufgebauten
Systeme, an welchem alle aufrichtigen und ernsthaften i'orscher zu ihrem
Teile partizipieren.
An H.S Logik und Noetik rühmte die Kritik die durchsichtige Dar-
stellung, die erstaunliche Literaturkenntnis, den Reichtum an gut gewählten
Beispielen. Die strengen Thomisten tadelten freilich die Abhängigkeit von
modernen Prinzipien (der sog. Rewußtseinstheorie), sowie die zu geringe
Beriu ksi« htigung der Scholastiker und der späteren Kommentatoren des
Aristoteles.
H.s Psychologie wird als das beste unter seinen Werken bezeichnet.
Er will darin die richtige Mitte einhalten zwischen einseitigem Apriorismus |
und Empirismus, zwischen reinem Idealismus und einer mechanischen Welt-
und Scelenerklärung. Im Gegensatz zur aristotelisch-scholastischen Psychologie
verwirft Ii. den sog. (Jemeinsinn, wie überhaupt die inneren Sinne, des-
gleichen die Lnterscheitlung in konkui)iszible und iraszible Affekte; er will
nichts wissen von einem sinnlichen und intellektuellen Gedächtnisse, eben-
sowenig von einem sinnlichen und geistigen Bewußtsein. Die WoUbdie
Unterscheidung von rationaler und empirischer Psychologie wird abgeldmt
De.sgleirlu !i w ird der sog. tätige Intellekt verworfen, welchen die aristotelisch-
scholastisciie l'hilosophie zur Erklärung des Abstraktionsprozesses eingeführt
hatte, usw. (leradc in <ler Psychologie zeigt sich die Vertrautheit H.s mit
den modernen psychologischen und physiologischen Theorien. H. bekennt
selber, dafi er hier vielfach von Ulrici abhänge, dem bekannten 1884
verstorbenen Vertreter eines sogenannten spekulativen Theismus. Im An-
schlüsse daran ist H. besonders bemüht, die mechanische Seelentheolie
TL-rbnrts zu bekämpfen, die Selbsttätigkeit und Willensfreiheit der Seele ZQ
retten.
Auch die .Metaphysik H.s zeichnet sich durch Vollständigkeit und Reich-
tum des Inhalts aus, wenn auch über die Beweiskraft mancher Ausführungen
verschiedene Ansichten möglich sind.
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Hagemuin. Mommsen. 44T
H. wird unter den neueren auf kalholiscliem Boden stehenden Philosophen,
7.. W. Tilmann l'os( Ii, Cutherlet, Willmann, Braig usw., immer einen hervor-
ragenden Platz einnehmen.
Litentur: i. Philosopliisclie Moimtsliefte, 24. Bd. 1888 (Thiele). — 2. Zeitschrift ftir
Fhilowphie und phflosoph. Kritik, 61. Bd. 1872 (v. Haitsen]^ — 3. Philosophisches Jahr-
buch der Görresgcscllschaft, 2. Bd. 1890 'Tlrupp). — 4. Literarische Rundschau für das
katb. Deutschland, hrsg. v. Moberg, 28. Jhrg. 1902. 5. Jahrbuch für Philosophie und
spekulative Theologie, 5. Jhrg. 1891; dann 10. Jhrg. 1896, sowie 13. Jhrg. 1S99
(GloSner, Commer, Schneider). — 6. Lttenrischer Handweiser, hrsg. v. Htllskamp, 1903
Nr. 788. — 7. Chronik der k. Universität Mflnster 1903/04.
Dr. St. Schindele.
Mommsen, Theodor,*) * 30. November 181 7 in Garding, f i. November
iqo3 in Charlottenburg. I. Lehrjahre. (Christian Mathias) Tlieodor
Motnmsen wurde am 30. NovL'inhcr i.Siy in (lardiiig im siulwestlichen Schles-
wig als der älteste Sohn des zweiten Predigers (Diiikonsj Jens M. (geb. 1783),
eines geborenen Friesen, und dessen Gattin Sophie EHsabeth, geb. Krumbhaar
aus Altona, geboren. Als der Knabe drei Jahre alt war, wurde der Vater nach
Oldesloe in Holstein versetzt, nachdem er in einer Eingabe darauf hin-
gewiesen hatte, dafi die Notwendigkeit, Privatstunden zu geben, und die
Marschluft seine Gesundheit schon sehr "angegriffen habe; hier wuchs Theodor
in dem einsam auf einem Hügel gelegenen Pfarrhause mit seinen beitlen
jüngeren Brüdern Tycho (geb. 1819) und August (geb. 1821) und zwei
Schwestern, von denen eine in zartem Alter starb, heran. Der geräumige
Garten war das Revier der drei Knaben, die nur wenig mit anderen Kindern
in Berührung kamen; und unter dem Birnbäume, der den Garten überragte,
wie der Garten das Städtchen, mag Theodor seine ersten Gedichte geträumt
haben. Der Vater, dessen amtliche Einkünfte (.^76 Rtlr.) auch jetzt nicht
ausreichten, um l'rau und Kinder, sowie Ncine alte Mutler und durch Klementar-
ereignisse verarmte Sciiwestem zu ernähren, war offenbar ein vorzüglich huma-
nistisch gebildeter Mann, in dem, wenn er auch in enge und ihn bedruckende
Verhältnisse gebannt war, mehr steckte, als ein Dorfpfarrer; er wußte sich
durch seine Humanität und seine liebevolle Fürsorge die Liebe seiner Pfarr*
kinder in hohem Maße zu erwerben, konnte es aber trotz wiederholter Sup-
pliken nicht erreichen. <laß ihm eine Pfarre übertragen wurde; ihm ver-
danken wir«, so schreibt Tycho in seiner Autobiographie (veröffentlicht von
J. Ziehen in Bnrsians Jahresber. Uber die Fortschr. d. klass. Altertumswiss.
für 1904, Biograph. Jahrbuch 27, S. 103^.) »die Liebe für alles Sprachliche
und die Neigung zur Poesie, welche er in uns nach seiner sanften und
innigen Weise zu übertragen wußte, ohne daß wir ein Soll und .Muß dabei
kennen lernten; meiner Mutter dagegen, die sich durch ihre sdilichte Recht-
lichkeit und praktische X erständigkeit auszeichnete, das, was dieser .\rt Gutes
in uns su finden sein mag. Sie ließ nicht immer, wie der Vater, alles, was
an Wildheit und Unart der Knaben vorkam, gelten, und wir sind ihr dafür
noch im Grabe flen höchsten Dank schuldig.« Der Vater allein unterrichtete
die Knaben in den — allerdings nicht regelmäßig abgezirkelten ~ Stunden,
die er von seinen Amtsgeschäften und Lektionen erübrigte; seine Bezüge
hätten nicht dazu ausgereicht, seinen Söhnen einen Hauslehrer zu halten
oder sie von früher Jugend an in ein Internat zu schicken. Doch legte er
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Mommscn.
auf ihiv Kr/ichung das grollte (lewicht. l inl wenn er ihnen, «lic weniger
als andere Knaben vom Lernen abgezogen wurden, die Liebe zur Wissen- I
Schaft einimpfte, so muflte andererseits das ländliche Milieu dazu beitragen,
ihre KOrper zu stählen und neben der Erziehung der Mutter die kemhafte,
tüchtige Art der S( hleswig-Holsteiner, aus denen gerade in jener Zeit so j
viele hervorragende Menschen hervorgegangen sind, ihnen ein Beispiel zur
Selbsterziehung des Pflirhtbewuütscins gehen. Dem Manne, der später be-
rufen war, das hohe Lied von der Tüihtigkeit des altitalienischen Bauem-
standes anzustimmen, mögen mitunter die Eindrücke, die er aus seiner
nordischen Heimat mit sich ins Leben genommen hatte, in den Bildern aus
uralter Zeit wieder lebendig geworden sein. Und man wird auch nicht irre
gehen — mag auch in dem abges( hiedenen Pfarrhause wenig politisiert
worden sein — wenn man vermutet, daß die Keime zu M.s politischen An-
schauungen sich schon in jener Atni()S|)hare entwii kelten, in welcher der selbst-
bewuliie Unabhängigkeitssinn des freien und intelligenten Bauern und der
nationale Widerstand gegen die dänische Herrschaft zugleich mit dem Sehnen
nach einem einigen und starken Deutschland erstarkt waren. —
Es zeugt schon von einem hohen Grade von Energie und Ruhe, daß die
beiden älteren Brüder, als es notwendig wurde, die Studien in einen regel-
mäßigen Lehrplan ausmünden /u lassen, nach einem sclbstgema« hteii. nur |
vom Vater gebilligten Lekiionsplan arbeiteten, wobei wir« — so erzählt der
eine von ihnen — »zugleich Lehrer und Schüler waren.«
Am 4. Oktober 1834, also in verhältnismäßig nicht jungen Jahren, trat
Theodor M. zusammen mit Tycho in die Prima des Christianeum in Altona
ein und wurde ein jalir später in die Selecta verset/t, der er 2^ z Jahre an-
gehörte.^) Kin Stipendium der S( ludilerschen Stiftung ermöglichte «lern
Sohne des Landpfarrers das Studium. In welcher Weise die einzelnen Lehrer,
der Direktor Eggers, der als feiner Philologe geschildert wird, der Senior
des Professorenkollegiums Klausen, den er in einem Festgedichte feierte,
u. a. auf M. eingewirkt haben, läßt sich kaum mehr feststellen. Wohl aber
mußte es von der größten Bedeutung für <lie Entwicklung der Brüder sein,
daß sie aus der Knge der heimatlichen \'erhältnisse zum ersten Male dauernd,
wenn auch nicht inmitten, so doch neben d;is Getriebe einer Stadt wie Ham-
burg versetzt wurden, deren weitreichende geschäftliche und gesellschaftliche
Beziehungen notwendig den Gesichtskreis dessen erweitem mußten, der mit
ihr in Berührung kam; eine Anzahl von Frauen und Männern, auch aufierhalb
der Schule, übten bedeutenden Kinfluß auf Herz und Charakter aus. Nichts-
destoweniger wurde es den beiden Brüdern, die an die stille und harmonische
W'ürde des N'aterhauses gewöhnt waren, anfanglich schwer, sich in den ihnen
roh erscheinenden Ton ihrer Mitschüler zu schicken, und namentlich Theodor
entbehrte in seinem starken Empfinden für die Schönheiten der Natur das
Landleben. Die Großstadt erschien ihm Öde, wie die WOste, und er fßhlte
sich vereinsamt. Der erste Verlust, der ihn tief ergriff, war der seiner jungen
Schwester. Aber auch sonst überkamen den heranwachsenden Jüngling nieder-
gescldagene, weltsrlunei/.lichc Stimmungen, die ihren Ursprung nicht nur in
der Nachemplindung zeitgenössischer Poesie, sondern auch in einem ureigenen
Zuge seines Wesens hatten, das sich damals zuerst, fowtisch und Goethes
hohes Ideal vor der Seele, auf sich selbst gestellt, durch die großen Probleme
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Mammaen.
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tles Lebens (lurcli/.uringeii l)ci,'ann. Kr rang sich vom t"hri>ten zum Dcisten,
vom Deistcn zum Atheisten durcli, da sein Wahrheitsdrung ihm nicht ge-
stattete, zu postnlieren und seine Kritik unbezwinglich rege wurde. Aber
gerade die Schärfe setner Kritik machte ihm vor sich selbst bang^ bis er
sein melancholisches Selbstverzweiieln, »dafi wir nichts wissen kOnnen«,
wieder überwand.
Da ihn, wie er seihst bekennt, die eigentlich grammatische Philologie
nur wenig anzog und er auch der in Tabellen aufgelösten Geschic hte keinen
Geschmack abgewann, trieb er neben der Schule was sich ihm gerade bot,
neuere Literatur, besonders englische und französische, kursorische Lektüre
der alten Schriftsteller, die ihn gerade anzogen, und was der Tag mit sich
brachte. Tn einem >^ wissenschaftlichen Vereine interpretierten die Schüler
der Selei ta lateinische Sc hriftsteller, stellten Redeübungen an und schrieben
und ili>putierten auch über allgemeine Themen; er ersetzte manches, was
tlie Schule nicht bot, besonders im Deutschen'; M. trat im Herbst 1837 bei;
als (^uästor und Archivar, als Präses und Sekretär konnte er zum ersten Male
sein Organisationstalent betätigen. »Mir ist es in diesem Kreise«, so schreibt
er in y\v] späteren Jahren, »zum erstenmal nach einer fast einsam verlebten
Jugend deutlicli geworden, daß der Mensch sich am Menschen schleifen
muß, wie der Diamant am Diamanten, und welcher fruchtl)arc Segen in
diesem gemeinsamen Streben liegt. Weiter bringt es keiner, als einer in der
Reihe der Mitstrebenden zu sein, und es ist auch nicht nötig, denn es gibt
nidits höheres«. Wohl aber erkannten seine Genossen schon damals das
"Kraftgenie ihres Mitarbeiters, wenn ihm auch manche Kritik nicht erspart
blieb. Kr seinerseits beteiligte sich nicht nur lebhaft an den Kritiken der
von anderen, aurli von Hruder Tycho eingelieferten Aufsätze, deklamierte
nicht nur Cioethesche Gedichte und interpretierte Horazische und Klo{)stock- *
sehe Oden, sondern hielt auch »halbextemporäre« Reden über gegebene
Themata und lieferte schriftliche Arbeiten ein. Der von ihm vorgetragene
Aufsatz »Zur Einleitung in die Schriften des jungen Deutschlands« bezeichnet
als dxs Hauptziel des jungen Deutschland allseitiu'i- F.manzipation, Befreiung
von allem Widernatürlichen, sieht in dem jungen Deutschland die Äußerung
des Zeitgeistes und schließt: Der Liber-ilismus, nicht mehr auf Politik be-
schränkt, gewinnt immer mehr geistigen Boden, breitet sich immer weiter in
den Gemütern der Menschen aus. In Berlin entstehen ganze Gesellschafts-
kreise, die mit Herz und Sinn modern sind, namentlich — auch ein Fort-
schritt der Kultur — von ausgezeichneten I rauen (Rahe! Varnliagen, Charlotte
Stieglitz). Wir selbst endlii Ii, die wir doch auch liberal sein wollen, sind
wir junge Deutsche oder nicht? Habt ihr erkannt, daß der heilige (leist in
dem jungen Deutschland ist, so verleugnet ihn nicht.« Auch die anderen
Aufsätze, die M. dem Vereine einreichte, gestatten einen Einblick in den
Gedankenkreis des Zwanzigjährigen, und wenn es auch töricht wäre, das Bild
eines fertigen Mannes in ihnen zu suchen, so weisen sie doch neben vorüber-
gehenden Einflüssen solche auf, <lic dauernd auf ihn eingewirkt haben, und
zeigen wesentliche Züge seiner I'erNÜnlichkeit.
Am überra.schcndsten ist wohl in formeller Beziehung die vollständige
Abhängigkeit vom Schillerschen Stile, nur hie und da können einzelne
Pointen an den späteren M. erinnern. Aber auch inhaltlich tritt keine
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Einwirkung so stark hervor, wie die der deutschen idealistischen Aufklärunps-
)>hiloso|>hie Kants und Schillers; diese hat aber, so sehr er spekulativen
philosophischen Krorterungen abgeneigt war, über seine Jugend hinaus in ihm
nachgewirkt. So hat er sich schon damals so weit von dem Pfarrhause emanzi-
piert, daß er die »Lehre von der Vorsehung« ablelmt, namentlich weil sie der
menschlirlien Freiheit widerstreite, und tladurch u. a. die lebhafte Kritik
des Ehrenmitgliedes des Vereins, eines Pastors Möller, 3) hervorgerufen. Die
vernunftgemäüc Kntwirklung. der Korts( hritt dos Menschengeschlechts scheint
ihm selbstverständlich; obwohl er al»er im ganzen unter dem Einflüsse des
zeitgenössischen Liberalismus steht, so will er doch den Egoismus als »Grund-
trieb nicht anerkennen. Mit historischen Kragen beschäftigt er sich nament-
lich in dem Aiifsat/e Weh hes sind die Erfordernisse einer guten Biographie?«-,
in woh hcMn er Druniann tadelt, daß er durch eine Aneinantlerreihung von
Uiograpiiien die (Jes< hi( hii- zu ersetzen dachte, als Hauptaufgabe jeder Lebens-
beschreibung die Charakteristik betont und, indem er als Vorbedingung psycho-
logische Erfahrung und praktisch erworbene Menschenkenntnis fordert, doch
• lie subjektiven (Ircnzen der Annäherung an die Wahrheit betont — und in
dem Aufsatze »(lenies sind notwenilige Cbel in welchem er die Kernfrage
der Bedeutung des Individuums behandelt; die (Gegenwart so schreibt der
junge NL, "ist die Tochter der Vergangenheit und in dieser ist die Richtung
des ganzen und des einzelnen begründet'; -der Zeitgeist beruht auf dem
Kausaliiätsverhähnis zwischen N'ergangenheit und Gegenwart«; »das ^enie ist
der Apostel des Zeitgeistes, der mit leisem Ohre das, was zur weiteren Ent-
wicklung nötig ist, die Zeitbedürfnisse erlauscht, der, selbst ein Sohn des
Zeitgeistes, ihn hervorruft und hegt, der, das Künftige ahnend im Busen
tragend, seiner Zeit vorausgeeilt ist, der die Zukunft ins Leben ruft und mit
prophetischer Begeisterung verkündigt. ' — Die eigene Zeit erschien ihm
allerdings unproduktiv, der damaligen ( lesamtstimmung entsprechend, weil
die Kritik das schaffenile Element überwiege und unterdrücke, und aus dieser
Stimmung heraus ist kurze Zeit vor seinem Abschiede von Altona, nach einer
niehrwöc hentlichen Krankheit und inmitten der Vorbereitungen zur Prüfung,
iler letzte Aufsatz: Warum schadet vieles Kritisieren?-' verfaßt; die hier
nie<lergelcgten inneren Erlebnisse sind nicht nur für den jungen NL charak-
teristisch, sondern bilden vielfach den Schlüssel auch für seine späteren
Stinnnungen und Taten, für jenen Kampf zwischen eindringendem, mitunter
zersetzendem Scharfsinne, in welchem er eine Gefahr für mutiges Handeln er-
blickte, und temperamentvoller Begeisterung, aus welcher er den kategorischen
Imperativ tler PHicht und tlen Mut zum Handeln schöpfte. Es ist kein Zu-
lall, daß er, der schon damals gelegentlich intuitiv und mit durchdringender
Skepsis seine Kritik an den römischen Sagen und ihrer Überlieferung übte,
doch seine Antrittsrede als Präses des wissenschaftl. Vereins über den Text:
Immer strebe zum Ganzen! < hielt, und daß er seinen Zuhörern die Maxime
einzuprägen suchte: Wissen und handeln, erkennen und wirken — das sind
die beiden großen bleen, deren eine, je nach seinem Charakter, den Menschen
fesseln nuiß. Der Zweifel erscheint ihm als Cnglück. '>Wenn wir uns für
eine Partei entschieden haben und dennoch auf unsere Meinung nicht schwören,
nicht alles an ihre Richtigkeit setzen können, so sind wir nicht glücklich.
Gewiß zu sein, aus t berzeugung zu glauben, ist ein nur zu oft vergeblich
Mommsen.
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und gerade von den Besten vergeblich ersdintes GHuk.« Die Selbstkritik
ist ihm etwas Selbstverständiit hcs : Man sagt wohl, daß die meisten eher
geneijit sind, ihre Leistungen zu überschätzen, allein bei den weni|;sten, die
einigcrmallen scharfsichtig sind, wird dies der Kall sein, (iewöhnlic h kritisiert
man sich selbst am schärfsten und findet das von den anderen (lelobte oft
so schlecht, dafi man sich über ihre Verblendung wundert.« Dagegen führt
die Kritik oft zur »Erkältung des Herzens«. »Jede erhebende, jede be-
geisternde Idee ist aus Wahrem und Falschem gemischt, und wenn nun die
Kritik an die Stelle des schönen Wahns die nackte Wahrheit setzt, ... so
ist es dem Menschen, der diese Erfahrung öfter machte, nicht zu verdenken,
wenn er gegen alles Gute und Cirolic miütrauisch wird und den Menschen
im allgemeinen für ebenso schlecht als dumm erklftrt« Und so fragt er »ob
es nicht vorzuziehen sei, manchmal seine Begeisterung falsch zu richten, als
sie ganz aufzu'^i^iVm.
M. verlieii m Begleitung seines Bruders Tycho, nachdem er bei dem
übluhen Festakte eine latcinisthc Rede über die Vorteile, welche das (ivm-
nasium dem V'aterlande gewährt, gehalten hatte, — eine Rede, die er freilich
bei der privaten Alnchiedsfeier in rechter Abiturientenstimmung selbst als
Produkt einer in der Zwangsanstalt hergestellten »Galeerensklavenarbeit« be-
zeichnete — mit dem Zeugnis der Reife ausurc stattet, am 6. April 1838 das
C'hristianeum ; im Vaterhause, in der Schule und durch eigenes Studium treff-
lich vorbereitet, mit den schärfsten Waffen, mit kritischem Drange und
warmer Begeisterung, ausgerüstet, bezog er die Landesuniversität Kiel, um
in das Heiligtum der Wissenschaft einzudringen.
Am 4. Mai 1838 inskribierte er sich, wie er selbst sagt, von einem Hange
zur Jurisprudenz gezogen, an der juristischen Fakultät, und obwohl der Lehr-
körper der Universität damals nicht groß war, so umfaßte er do( h in jenen
Jahren eine Anzahl von Gelehrten, die später zu grolier Berühmtheit gelangten,
so G. Hanssen, dessen kameralisiische N orträge M. besonders interessierten,
and den er noch nach 40 Jahren als seinen hochverehrten Lehrer nannte;
den Privatdozenten Ed. Osenbrüggen, der damals u. a. Ober römische Staats«
altertümer vortrug und sich auch speziell mit römischem Strafrechte befafite,
und den M. neben dem O. Professor di r Jurisprudenz liurchardi als seinen
Lehrer in der Jurisprutlenz und den Mtcrtüinern l)e/eichnete ; vor allem al)er
Otto Jahn, an dessen Res])rechuiigen uhi-r antitpiarische (iegenstände M. mit
Eifer und Nutzen teiinalnn, so tlaü er sich gerne als dessen Schüler in der
Epigraphik bezeichnete; auch G.Waitz, dessen Kolleg über deutsche Geschichte
M. in seinem letzten Universitätsjahre besuchte; aber auch Wilda, dessen
grundlegendes Buch über das germanische Strafrecht in jener Zeit erschien,
und J. G. Droysen; ferner den weniger bekannten Michelsen, der über römische
fieschichtc nach Niebuhr' vortrug. liörte aber auch bei X. I'aick, der
ein Freund seines \ aters war, Verfassungsgeschichle und vaterländischen Recht
und Vorlesungen über Rriminalrecht von E. Hermann.
M. selbst legte in seinem Curricitltm vifae seine Studien dar. »Ich
hörte«, so schreibt er, »Institutionen bei Prof. Burchardi, Pandekten bei
Prof. Kicrulff; iti diesen VorträL^en l)()t sich mir auf der einen Seite ein
reiches, sorgfältig geordnetes Material, auf der andern eine geistrei( he, scharfe
Auffassung der leitenden Prinzipien, und nachdem ich die Pandekten, wie
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Mommsen.
es zu gehen pflegt, eine Zeitlang angestaunt hatte und zu der Ahnung ge-
kommen war, daß in diesem formlosen Stoff ein wunderbarer Geist wohne,
machte ich mich mit Ernst daran, und es gelang mir bald, in dieser Wissen-
schaft wenn auch nicht heimisch zu sein, doch mich in ihr heimisch zu
fühlen. Ich wäre auch schwerlich zu anderen Beschäftigungen übergegangen,
wenn mich nicht äußere zum Teile ökonomische Rücksichten bewogen hätten,
die im Herbste 1840 angeschlagene Preisaufgabe zu bearbeiten.« »Die anti-
<iuari.s( hen Studien, die ii h jetzt kennen gelernt hatte, fesselten mich; die
/(Xfs iuJhhjfiac, die römische Koinizialverfassung, das Studium der römischen
Inschriften, zu der mir meine zu anderen Zwecken erworbene Kenntnis des
Italicnischen den Weg bahnte, endlich die /f.v Scn'ilia rcpctundarum und das
Kriminalrecht aus der Zeit <ler tjuacstioncs pcrpctuae beschäftigten mich lange
Zeit und drängten die eigentliche Jurisprudenz sehr zurück, und nur meine
Cberzeiigung, dalJ auch der römische Staat erst von tler römischen Juris-
|)rudenz sein Licht empfange, hielt mich von dem gänzlichen übertritt zu
einem anderen Fache zurück. <^ In detn wissenschaftlich, literarisch und
politisch interessierten l'niversitätskreise namentlich bei den jüngeren Dozenten,
aber auth bei den Studienkollegien gab es der Anregungen genug, die bei
M. erstaunlich reiche Früchte zeitigten, wenn er auch wenige Jahre später,
von Verehrung für Horghesi erfüllt, gewiß seiner wahren Kmpfindung Ausdruck
leiht, indem er schreibt, daß ihm in seiner Studentenzeit das Glück nicht
geworden sei, mit Männern zu verkehren, die ihm imponiert hätten. Die erste
Freisarbeit aus dem Jahre 1S41 über die l'nhuni aerarn ist ungedruckt ge-
blieben.^) Zu Ostern 184^? legte er das juristische Amtsexamen in Kiel ab
und erhielt den ersten Charakter. Während er dann durch i' i Jahre ;ils
Mäd<henlehrer an einer von N'erwandten in Altona geleiteten Schule wirkte,
l»ronioviertc er summa tum laude mit einer Dissertation, ^Ad lt\i^<:m d( scrihis
et viatorihus et De auitorltate , die er am S.November 1843 gegen drei Oppo-
nenten, unter denen Nitzsch war, verteidigte, nachdem er schon im Früh-
jahre seine erste betleutendere, imter den .Auspizien Jahns verfaßte Schrift:
iolle:^i'is et sodalinis /^omanorum die ebenfalls aus einer Preisaufgabc
hervorgegangen war, hatte erscheinen lassen. In dieser Zeit in Altona schrieb
er auch eine Anzahl eingehender Kritiken und Abhandlungen, und noch im
Jahre 184.1 gab er eine schon vor Jahren begonnene an jene erste Preis-
schrift anknüpfende Schrift -Die römischen Tribus in administrativer Be-
ziehung« heraus, die seinem Bruder Tycho gewidmet ist. »Dir bin ich es
.schuldig gewonlen ' — so schreibt er in der Widmung — , »daß ich über den
Pandekten den Homer nicht vergessen habe; ohne die philologische Anregung,
ilie ich in unserem ununterbrochenen Verkehr empfing, hätten meine For-
schungen schwerlich die Richtung genommen, wovon diese Abhandlung
zeugt.« Schon seine DiNsertation machte auf Professor Barkow in Greifswald,
der sie durch einen neuen Kollegen O. Jahn erhalten hatte, solchen Eindruck,
daß er den jungen Mann der Fakultät, allerdings vergeblich, zum Professor
vorschlug. Auch Savigny, Lachmann, Rudorff wurden auf ihn aufmerksam.
Ks ist in der Tat nicht nur die Fruchtbarkeit seines geistigen Schaffens,
tlie schon bei dem jungen Mommsen überrascht, sondern weit mehr, daß —
weini auch mancherlei Kinzelresultate seiner damaligen Forschung veraltet
sind — manche der Grundpfeiler seiner späteren Auffassungen schon ganz
Mommsen,
447
feststehen, daß seine Methode schon damals eif^entlitli aus<^ebiklct ist und
daß ihn diese Methode im Zusanimenliange mit seiner erstaunhch ausge-
breiteten Quellen- und Litcraturkenntnis schon damals befähijjit, sich und der
Wissenschaft den Weg für Dezennien vorzuzeichnen. Man ])ilegt mit Recht
als seine Vorgänger Rubino und Niebuhr zu bezeichnen; M. selbst charak-
terisiert ihre Forschungs weise, indem er von ihnen sagtS): »Die gründliche
Erforschung jedes einzelnen Punktes wirft Licht auf das ganze Altertum und
dieses wieder in seiner Totalität erleuchtet das Einzelne, so daß durch diese
Wechselwirkung zuletzt tlas Detail wie der Begriff ins klare tritt. * Nichts-
destoweniger tritt er von Anbeginn den »l*hantasien<« und »Konstruktionen«
Niebtthrs und vor allem den »Postniebuhrianem« entgegen. Und wenn er auch
sich »nie mit einseinen Resultaten, sondern erst mit der ganzen Wahrheit,
mit dem vollen Bilde der Sache befriedigen will«, so betont er floch von
vornherein die Xotwendii^keit der netailuntersuchiin<fen als (;Mind]a<;e der
ges< hi( htlichen Darstelliini; und der modernen philologischen Jurisprudcn/ ;
»den strengen Fleiß, die gründliehe Kenntnis und den sorgfältigen Gebrauch
des kritischen Handwerkszeugs« als »Base jeder bleibenden Leistung« —
eine Forderung, welclie wohl heute dank M.s Lebensarbeit wenigstens theo-
retisch zu den Selbstverständlichkeiten gehört, aber in einer Zeit, in welcher das
Naturrecht nicht überwunden und die spekulative Philosophie auf dvi Höhe
ihrer Kntvvicklung war, nur von den Wenigsten erfüllt wurde und erfüllt
werden konnte. Es ist für .M.s wissenschaftliche Eigenart bestimmend ge-
worden, dafi er in einer Zeit, als sich die histori.sche Rechtsschule unter
Savignys Führung die Herrschaft zu erringen begann, als Jurist von der
Philologie, die damals auf sprachlichem und monumentalem Gebiete vordrang,
die Forschungsmethode entlehnte, die er selbst kennzeichnet als: »die rück-
sichtslos ehrliche, *iin irrolien wie im kleinen vor keiner Mühe scheuende,
keinem Zweifel ausbiegcnde, keine laicke der Überlieferung oder des eigenen
Wissens übertünchende, immer sich selbst und andern Rechenschaft legende
Wahrheitsforschung.«' ^) Als Jurist ist M. an das von den Romanisten, die
infolge der praktischen Bedeutung des römischen Rechtes doch wesentlich
Zivilisten blieben, allzu sehr vernachlässigte, erst gerade in jenen Jaliren
wegen seines historisclien Interesses ernsthafter behandelte r(')niis< he Strafrec ht
heraufietteten und von vornherein sii h klar darüber gewesen, weh he IJnnu n^'e
von Delaüuntersuchungen angestellt werden mußten, bevor eine befriedigende
Gesamtdarstellung möglich wäre; so ist es kein Zufall, dafi sein letztes großes
Werk, der Schlußstein seiner Lebensarbeit, das römische Strafrecht gewesen
ist, — wenn er auch 50 Jahre vor dessen Erscheinen gleichsam intuitiv die
Hauptprobleme, z. B. die I'rage und Hedeutung der Provokation, die Tn-
trennbarkeit des römischen Strafrechtes vom Strafprozesse richtig erfaßt hatte.
Es gehörte aber dazu vor allem eine richtige Auffassung vom römisc hen Staate,
der seinerseits »erst von der römischen Jurisprudenz sein Licht empfängt«« und
dessen Zentralbegriff, das Imperiumj schon dem SechsundzwanzigjShrigen so
deutlich war, wie keinem seiner Zeitgenossen. Aber der Staat, sein Zivil-
recht, wie sein Straf- und' Staatsrecht konnten in ihrem historischen Werden
nur verstanden werden, wenn er aus sich heraus verstanden und nicht moderne
Kategorien in ihn hineingetragen wurden. Es mußte also, nachdem Niebuhr
die Kritik der Überlieferung weit gefordert hatte, in dem vollen Bewußtsein,
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MotnniscTi«
daß den Gegensatz reinster Auffassung der Tradition und idealster Rt kon-
struktion, den wir alle bezwingen möc hten, vollkommen niemand lösen kann ,
der Wiederaufbau dadurch vorbereitet werden, daß alle Quellen, welche
noch SU uns sprechen können, gesammelt und gesichtet und dafl sowohl
die Sprachwissenschaft, der die groflen Meister gerade neue Wege gewiesen
hatten, als auch Epigraphik und Numismatik, die im großen ganzen noch
mehr von Dilettanten aus Sport betrieben wurden, in den Dienst der Gesnnit-
aufgaben gestellt wurden. Schon M.s F.rstlingsschriften zeigen dies Bestreben;
er erzählt selbst, daß ihn an der Universität besonders > das Studium der
römischen Inschriften lange Zeit beschäftigt und die eigentliche Jurisprudenz
sehr turOckgedrängt habe« ; das BQchlein über die Kollegim schlieflt aber mit
einem Hinweis auf Bocckhs griechisches Inschriftenwerk und mit dem heiflen
Wunsche, daß ein vollständiges Corpus der lateinischen Inschriften ausge-
arbeitet werde, als dessen Leiter M. sich seinen Lehrer Otto Jahn i rhottt. —
M.s überquellendes Temperament hat sich aber niemals in die Gelehr-
samkeit eingeschlossen; er mochte die Bücher nicht als Ersatt für das lebendige
I^ben betrachten, und Geselligkeit war ihm Bedürfnis, eine Geselligkeit,
welche die Jntcresscn erweiterte und Witz und Laune beim Glase Wein die
Zügel schießen ließ. Aus dieser Geselligkeit heraus ist das Liedeibuch
dreier Freunde geboren, der beiden IJrüder Theodor und Tycho und ihres
Studiengenossen Theodor Storm. Im Juli 1843, bei Gelegenheit eines Besuches
Storms in Altona, wurde der Plan, eine Auswahl von Gedichten anonym
herauszugeben, besprochen, aber da sich kein Verleger hierfür fand, entschloß
man sich die Namen beizufügen. Obwohl Storm der einzige Dichter unter
den dreien war und Tycho später wenigstens aN Übersetzer Pindars und
Shakespeares bekannt wurde, ist tlocli 'Theodor .M. lier Führende in dem
'Ter/eiteT), der, weim er aui h als Jüngling mitunter den 1 )ii hterberuf in sich
zu fühlen glaubte und noch bis in sein spätes Alter Lust und Freude an
dichterischer Gelegenheitsproduktion hatte und (mit Wilamowitz zusammen)
Gedichte Carduccis und Giacosas »Eine Partie Schach« ins Deutsche über-
trug, doch 'niemals eigentlich von der Zunft war. Ein so gewaltiger Meister
der Sprache er auch gewordeti ist, ein so feines Empfinden für l'oesie in seiner
grolk'ii mul tieshalb klin^llerisch veranlagten Seele Platz fand, sind seine
Jugend verse doch bei aller mitunter gewollten Künstlichkeit des Reimes hart.
Der Inhalt und die Schärfe des Gedankens scheinen hlufig die Form zu
sprengen. So ist es auch bezeichnend, dafl in der Sammlung kein einziges
LiebesgeUicht von Th. M. ist, dafi sein Name aber im ersten und im dritten
Buche weitaus vorwiegt, in welchen tlie Stoffe sich an Sagen und Märchen
anlehnen oder <leni Leben der Gegenwart entnommen sind, das seiner
scharfen Satire und Kritik freien Spielraum gewährt. Der Spott ergießt sich
namentlich gegen die zeitgenössische Literatur seit Chamissos Tode, gegen
die Clique:
»Das bückt sich und das streichelt sich, d.is drängt sich und das treibt steh.
Das gibt ein Much und einen Band, da scliickt ihr's dann nach Leipzig« —
so wird sie charakterisiert. ' Der Bandwurm der Makhamcn^ findet ebenso-
wenig (iradc, wie < Mondscheinduft und Lindenglanz, um aus der Haut zu
fahren!«, wie »die Herren von Adel, die sich am Pamasse drängen« und wie
Heinrich Heine, gegen welchen M. die folgenden Verse einrückt:
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Mommacn.
449
»Auch ich war von der Gemeinde
Und trug dem Bandelier:
Einstmals da waren wir Freunde —
Bewabi« mich Gott vor Dirl«*)
Und doch ist im »Liederbuch«, wie ii^ jener Zeit fast selbstverständlich, der
Einfluß Heines neben dem von Croethes Faust nicht zu verkennen. Aber das
Urteil, das sich in M.s Strophen ausspricht, ist unwillkürlich nicht nur ein
ästhetisches, sondern auch ein ethisches. Zwar hciüt es im K-xodus«:
»In dieser Zeit ist's nicht genug, wenn uns ein Lied geraten;
Politisdi soll der Dichter sein, das helflt man Liedertaten.
Es ist die Welt doch weit genug und viel kann drinne wohnen»
Und sind doch nicht hloß Pressen drin und Konstitutionen.
Man liebt und phantasiert so fort, und das ist keine Schande;
Im Helsen hat gar Vieles Raum nf>ch bei dem Vatcrlande.
Ihr sollt nicht alle Pauken sein, was Wenigen nur ziemte,
Und Stimmen gebe nicht der Zeit, al« wer die Zeiten stimmte« —
dann aber weiter:
»Ks ist nicht leicht, die Poesie zu paaren der Gesinnung;
Nur Einen fand ich, der's verstand, und groß ist doch die Innung.
O ihn, ans dem die Jugend spricht, nicht den Lebcnd^[en tadl* ich;
Ein Dichter ist er, das ist wahr, und also ist er adlig.«
Wenn sich aber auch hier die Begeisterung für den »Lebendigen«, für G. Her-
we|^, ausspricht, so wird doch das hob nach der zweiten Sammlung (21
Bogen < ), die Hcrwegh herausgab, eingeschränkt. Auch der Streit zwischen
Herwegh und Frciligrath ( im Sandmeer die Oase^ wird mit Interesse ver-
folgt. Die volle Bewunderung gehört aber Kd. Mörike, von dem M. singt:
. . . »Da fand ich in dem eignen Bett von Moose
Eiblflhend im gehcinuten Tal von Schwaben
Des retchen Liedersommeis letste Rose.« — —
Daß und warum das »Liederbuch« selbst eigentlich unpolitisch sein will,
kündigt M. im Einleitungsgedichte an:
. . . >Frcmd bleiben wir in Schiras und Egypten,
Denn unsre ganze Kunst ist, mit den treuen
Gesellen uns am guten Tag zu Irenen,
Zu weinen wiederum mit den Betrübten.
Wohl habt ihr Re^t, da6 unsre Lieder anders
Noch klingen sollen, daß sie klingen werden ,
Wie Schwerterklang am üter des Skamanders.
Doch ist CS noch ni-ht Zeit sich zu geberden.
Als trügen uns die IManken eines Branders,
Denn seht! wir mauern jetzt noch in der Erden!«
Aber doch läfit M. den Kaiser Barbarossa mit sehr deutlich politischem Hin-
weise in einem KyfiEhäuser-Gedichte aus dem J. 1841 sagen:
»Geht heim ihr Kinderl denn der Moigen grauet,
Bald wird mein Adler seine Flügel breiten.
Nicht jenem, welcher vor- und rUckwflrts schauet —
Ihm, der nur vorwärts streckt den schwarzen Nacken»f)
Hab ich des Kampfes Hitse auTcrtniuet.«
BiofT, Jahrttoeh a. Deatsdi«r Nekrolog. 9, Bd. 39
450
Mommscn.
j^um Schluß aber heiflt es:
»Bis dahin Ia<>set immerhin euch unser Lied gefallen I
Man horcht ja andern \"öfjeln auch, nicht bloß den Nachtigallen*
Wir finden wohl ein Publikum, denn seit dem König Necbo,
Dem ersten, welcher Kapwein trank, fand jedes Lied sein Edio.
Es 1 V un^ et v i-^ Cbcrmut im Leben nachgeblieben,
Den hal)cn wir für's Publikum in Versen aufgeschrieben.
FUr's Handwerk sind sie freilich nicht, noch für die Abgemuckten.
Dem jungen Volk lu Liebe ist's, dafl wir sie aUc dnickten.
Fragt ihr in Deutschland nur nicht lang, wo dieser Vers gewachsen!
Die X'ciichen sind dieselben ja in Holstein und in Sachsen.
Kucb legen wir sie an das Herz, des Landes lieben Leuten 1
Am besten wisset ihr es dodi, wohin die Lieder detiten.« —
Aber weder Wissensc haft ihk h Dichtung waren geeignet, dem Kandidaten
und dann dem Doctor juris das Leben zu fristen. Obwohl O. Jahn, der seinen
Schüler auch von Greifswald aus nicht aus dem Auge verlor, nicht daran
zweifelte, dafl dieser Ober kurz oder lang zur akademischen Karriere üb«^
gehen werde, mußte er sich doch zunächst durch Privatunterricht seine Existenz
sichern. Es wurde ihm dies dadurch erleichtert, daß ihm venn'andte Damen,
bei denen er schon als Gymnasiast und als Student verkehrt hatte, Inhaberinnen
zweier Mädchenpensionate in Hamburg waren. So wurtle er Mädchenlehrer
und unterrichtete Geographie und Geschichte, Literatur und deutlichen Auf-
satz, aber auch Französisch und Latein. Er fand sich auch in diese neue
Tätigkeit und gewann ihr manche freundliche Seiten ab, obwohl seine Ge-
sundheit, offenbar durch das Übermaß verschiedenartiger Arbeit, litt Dabei
schrieb er nicht nur gelegentlich für die Neuen Kieler Blätter«, an deren
Crimdung, wie es scheint, sein Studienfreund Carstens beteiligt war, politische
Beiträge,'*') sontlern auch gelegentlich für den »Merkur«, sammelte für da.s
»Volksbuch« mit Storm schleswig-holsteinsche Sagen und Reime") und trat
mit Wienbarg, dem Kritiker des »Jungen Deutschland«, und mit dem von
ihm im »Liederbuche verspotteten Dr. Wille in Verbindung und übernahm
Korrespondenzen aus Hamburg für Wienbargs Organ, die literarisch-kritischen
Blatter der »Hamburger Börsenhalie ; diese Tätigkeit führte ihn öfters ins
Theater, das er freilich im allgemeinen nicht loben konnte; doch erlebte er
hier wohl seine erste Faustaufführung, sah Grillparzers »Traum ein Leben«,
konnte Fanny Elsler bewundem und begeisterte sich namentlich für Döring.
Bei alledem kam die Geselligkeit nicht zu kurz, die ihn aufler zu seinen
Verwandten in literarische Krei.se und in die Häuser Hamburger Großkauf-
leute fiihrtc, mit denen er gelegentlich über den Sozialismus diskutierte,
und wenn Jahn, l'reller, Olshausen durch Hamburg kamen, tauschte er mit
ihnen seine Gedankey aus. Bald aber eröffnete sich ihm eine weitere Bahn.
Im April 1844 erfuhr er, dafl ihm das dänische Reisestipendium, für zwei Jahre
je 300 Speziestaler, verliehen worden sei. Erleichtert atmete er au^ dafl ihn
das Glück doch nicht verlassen habe, und noch mehr ab 30 Jahre später hat er
dankbar anerkannt, was ihm damit gegeben wortlen war, als er im preufiischen
Abgeordnetenhause bei ( lokgenheit der Stiftung von l'rivatdozontenstipendicn
erklärte: »ich wäre ohne Zweifel nicht Gelehrter, wenn ich niclit als geborener
Schleswig-Holsteiner in der Lage mich befunden hätte, als — wie man es da-
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MommteB.
mals offixiell formulierte — königlich dänischer Untertan ein Reisestipendiiiin
zu erlangen, welches in dieser Weise keinem preußischen Studenten gegeben
wird^t.") Mit Rücksicht offenbar auf seine eigenen Erfahrungen erschien ihm
stets (las Stadium zwischen Doktorat und Habilitation als die eigentlich aus-
schlaggebende Zeit für den künftigen wissenschaftlichen Lebenslauf. Als
offisielles Ziel seiner geplanten Reise nach Italien galt die Vorbereftvog für eine
aus erster Hand geschöpfte Ausgabe der römischen Gesetzesurkunden, welche
den alten Haubold ersetzen sollte. Jahn verwendete sich bei der Berliner
Akademie, damit diese sein Unternehmen unterstütze, und M. brachte sich
Rudorf! und namentlich Savigny dadurch in Erinnerung, daß er seine
oskischen Studien bei der Zeitschrift für historische Rechtswissenschaft ein-
reichte, da er keine Lust hatte, sich vor $r. Exzellenz dem Staatsminister
Savigny posönlich so verneigen, so unendlich er auch den Rechtsgelehrten
verehrt. Zugleich wendete er sich an die Pariser Aknflcmic, damit diese
ihm in dem von ihr geplanten Corpus insrnp/hnum den Teil lic lef^tbus et
semitus consultis ühergt-bc. Während al)cr der letztere Plan zu keinem Ziele
führte, gewährte die Berliner Akademie eine kleine Unterstützung. '3)
II. Wander jähre. Als M. das Schul joch abgeschfittelt und jeder seiner
Schfllerinnen Verse ins Album geschrieben, als er von der Heimat und seinen
Nächsten, von manchen guten Freunden und Freundinnen nicht ohne Wehpiut
Al)S( hie(l genommen hatte und Mitte September im Hamhurger Hafen das
Schiff bestieg, das ihn zunächst nach Havrc bringen sollte, erschien ihm, der
seine wissenschaftlichen Ziele fest ins Auge gefaßt hatte, die nächste Auf-
gabe, die er übernommen, nur als eine erste Etappe seiner weiteren wissen-
schaftlichen Entwicklung und der allgeroeinen Erweiterung seines Gesichts-
kreises; er fühlte es selbst, daß er bisher nur in der Provinz gelebt hatte und
wollte das Versäumte nachholen in der bestimmten Hoffnung einst, wenn
auch vielleicht mit leeren Map]>eii, er doch sicherlich mit erweitertem Blick
und freierem Sinn in seine Heimat zurückzukehren. Er wollte nicht nur
sehen, was auf Steinen und Pergament stand, sondern audi die weite Welt
und ihr Leben. Allerdings kam er sich wie hineingeschneit in die Weltsudt
Paris vor und muBte sich erst besinnen, bevor er so recht zum Arbeiten und
zum Sehen kam. Aber wie er sich schon in Ronen an der ihm neuen französischen
Gothik erfreut hatte, so bewunderte er in Paris, das ihm auch als Stätte der
Julirevolution und als letzte Ruhestätte Börnes ein geweihter Boden war, die
herrlichen modernen Bauwerke, namentlich die Madeleine, und brachte
anfangs jeden Morgen im Louvre zu, um sein Auge an die Meisterwerke zu
gewöhnen. An den Abenden bewunderte er die Rachel als PJudre, aber auch
die kleinen Theater, an denen die ausgezeichnetsten Komiker wirkten. Hase,
von Geburt ein Deutsclier, Konservator der Manuskrij)te an der Bibliothek,
nahm ihn freundlich auf, uml er vertiefte sich in die handschriftlichen
Inschriftensammlungen, in Nonius und Asconius und in die Briefe Ciceros.
Dabei fand er Zeit zum Verkehr mit französischen Gelehrten, wie mit einer
früheren Schülerin, die in Paris verheiratet war, und mit Dr. Emil Braun,
dem Sekretär des Deutschen archäologischen Instituts in Rom, der zuf&ilig zur
selben Zeit in Paris weilte.
Aber trotz aller .Schönheit und trotz frut hti);ircr .\rbeit zog es ihn ge-
waltig nach dem gelobten Lande Italien hin. So ging er im November über
«9*
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452
Mommsen.
Lyon nach Montpellier, wo sich zuerst des Südens tiefblauer Himmel über ihm
wölbte, und Nimes, dessen Amphitheater der erste gewaltige Rest antiker
Baukunst war, dem er nahen konnte; dann über Genua nach den toskanischen
Städten, Pisa, wo er die Kunst des Ducento bewundernd in sich aufnahm,
Pistoia und Florenz, wo das Studium der Ciceronischen Briefe in der Laurentiana
nicht selten durch Wanderungen im Arnotale und nach Fiesole unterbrochen
wurde; von da nach Weihnachten nach Siena und, sobald eine Diligenza
gefunden war, unaufhaltsam nach Rom. Eine dunkeläugige Italienerin, welche
tlie Gedanken des Forcsticrc nicht unliebsam durch ihre Neckereien gestört
hatte, wies ihm von der letzten Station, La Storza, die Peterskirchc, die sich
gewaltig vom Abcndhimmel abhob. Als er am Abend des 30. Dezember
durch die Porta Flaminia einfuhr, war das Ziel seiner Sehnsucht erreicht,
und jubelnd brach er in die Worte aus: »Welt geh nicht unter, Himmel
fall nicht ein!« Kr meldete sich gleich im »preußischen« archäologischen
Institute auf dem Monte Tarpeo und, nachdem er gastlich empfangen und
ihm eine Wohnung zugewiesen war, eilte er noch nächtlicherweile auf das
Forum, um vor den erhabenen Trümmern des Altertums seine Andacht zu
verrichten. Und in seiner Wohnung auf dem Kapitole umwehte ihn das
Weben seiner historischen Phantasie. Er hörte den Wind um seinen Hügel
pfeifen, wie er wohl um Romulus gepfiffen hatte, und dann vertrieb er sich
den Traum mit einem kritischen: »\'ia! an den glauben wir ja nicht mehr.-
Nun nahm er Rom in vollen Zügen in sich auf. In Gesellschaft von
Hettner u. a. wurden untertags Museen und Ruinen durchstreift, und am
Abende fand man sich in einer üsterie oder im Caffe dei Greci oder auch im
Karneval auf dem Korso beim Kampfe der Moccoli zusammen. M. hatte das
lebhafteste Gefühl, hier in Rom die glücklichste Zeit seines Lebens zu ver-
leben. Die plastische Kunst, überall herrlich, schien ihm doch in Rom am
mächtigsten zu wirken, und er dankte seinem Schicksale, ihre schönsten
Werke noch in einem Alter gesehen zu haben, das volle Empfänglichkeit be-
sitzt. Und nicht minder wertvoll war es ihm, daß er Gesellen gefunden hatte,
wie er meinte, daß man sie sonst nur auf einer deutschen Universität finden
könne, so daß ihm in Rom eine neue, schönere Studentenzeit anging. Der
Mittelpunkt dieser Gesellschaft aber war das archäologische Institut. Das
von Gerhard mit Unterstützung Niebuhrs und Bunsens gegründete »preu-
ßische« archäologische Institut auf dem Kapitol war schon damals der
Mittelpunkt der deutschen und der italienischen, wie der fremdländischen
archäologisch - antiquarischen Forschung. Nach mancherlei finanziellen
Kalamitäten war die Privatvereinigung, die es erhielt, gerade damals durch
die Unterstützung Friedrich Wilhelms IV. und des Herzogs von Luynes in
ihrem Bestände gefestigt worden, und die Aufgaben des Instituts erweiterten
sich von Jahr zu Jahr. M) Neben Dr. E.Braun, der als erster Sekretär die
Verbindungen mit allen Teilen Italiens, aus denen Fundberichte und
Demonstrationsobjekte zusammenströmten, in rühriger Weise anknüpfte und
unterhielt und in den Adunanzen und Führungen die Kunstschätze des Alter-
tums temperamentvoll erläuterte, wirkte als zweiter Sekretär Wilhelm Hcnzen.
der unter det) Auspizien Borghesis, des Gönners und Bundesgenossen des
Institutes, sich in liie ejjigraphischcn Studien vertieft hatte, die immer mehr
zur Geltung kamen. So wurde das Institut für die jungen oder bejahrten
Mommscn.
453
Ragaz/.i, die über die AIi>en k;\mcMi, die hohe Schule der Altertumswissen-
schaft, die hier an Ort und Stelle nicht als etwas Kreiiules erlernt, sondern
mit geradezu leidenschaftlicher innerer Anteilnahme gei)tlegt wurde. Hier
wurde in Gegenwart M.s in derAdunanz vom lo. Januar 1845 dessen Buch
über die Tribus von Dr. Braun vorgelegt und seither war M. auch ein regel-
mftfliger Teilnebmer an den Sitzungen. Er bemächtigte sich mit der ihm
eigenen Energie und Orientierungsfähigkeit des neuen wissenschaftlichen
Materiales, das jeder Stein in Rom darbot. Schon am 31. desselben Monats
teilt er eine topographische Untersuchung über das römische Comitium mit
und beteiligte sich dann sowohl an der Polemik mit dem Jesuiten Secchi,
dessen wissenschaftliche Unehrlichkeit ihn empörte, als auch an jeder Diskusdon
über neu auftauchende epigraphische Fragen, welche hier von den besten Sach-
kennem erörtert wurden, im engen Vereine mit Henzen, mit dem ihn bald
warme Freundschaft verband. Bis zum Jahre 1847 weisen die Publikationen
des Institutes ein halbes hundertmal M.s Namen auf, neben denen von Braun
und Henzen und den damals schon berühmten von Gerhard, Welcker,
Thiersch, die in diesen Jahren Rom besuchten.
Aber gerade die genauere Kenntnis des Bfaterials mufite M. in seiner
Überzeugung von der Mangelhaftigkeit der mehr zufftlligen, unsystematischen
Einzelarbeit und der in Deutschland üblichen anti(iuarischen Methoden be-
stärken. Ks war damals seine .Absicht, zusammen mit Heinrich Brunn eine
Ubersetzung der epigraphischen Abhandlungen Bart. Borghesis herauszu-
geben, um die wissenschaitlidie Welt, jenseits der Alpen mit den Forschungen
des einzigen Mannes bekannt zu machen, der damals in umfassender Weise
mit wissenschaftlicher Akribie und Kritik epigraphische und numismatische
Fragen in vorbildlicher Weise tiehandelte und seine Untersuchungen nicht
der Lokalhistorie, sondern der wissenschaftlichen Erforschung des römischen
Altertums dienstbar machte. M. erhoffte davon geradezu eine Revolution in
der antiquarischen und historischen Literatur, die Möglichkeit dort wieder
anzuknöpfen, wo Scaliger aufgehört hatte. Seinen nie verweigerten Rat erbat
M. zunächst schriftlich, kaum daß er in Rom angekommen war, und ihn be-
suchte er, nachdem er eine epigraphische Reise durch Umbrien gemacht und
in Florenz: abermals kollationiert hatte, am 14. Juli 1845 in seinem welt-
abgeschiedenen Felsenneste Sn. Marino. Dieser Tag, an dem der Altmeister
der italienischen Wissenschaft und der 27 jährige Deutsche Ragazzo, der ndi
als seinen Schaler bekannte und über die Alpen gekommen war, um die
Grundlagen für eine neue antiquarische Wissenschaft zu legen, einander nahe
kamen, verdient in der Geschichte der Wissenschaften festgehalten zu werden.
»Ich muß mich mit Gewalt daran erinnern, daß er aufliört und ich anfange,
um nicht an meinen epigraphischen Studien ganz zu verzagen«, schreibt M.
an Henzen und trägt in sein Tagebuch ein: »Der hat mir imponiert als
Gelehrter wie noch niemand.« >5) M. weihte Borghesi in alle seine PlSne ein,
und dieser unterstützte ihn bei jeder Einzelheit mit seiner reichen epi graphischen
Erfahrung. Der wichtigste dieser Pläne war das Corpus inscriptionum Lat'wamm,
für welches, nachdem der seit bestehenile erste Entwurf mit seinem
Urheber Kellermann zu Grabe getragen war, die Berliner Akademie Otto
Jahn in Aussicht genommen hatte, im Frühjahre 1845 hatte Jahn M. zu
künftiger Mitarbeit bestimmt. M. hielt damals sein Schicksal schon für so
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MonmiteiL
gut wie entschieden. »Meine goldene Freiheit!« so schreibt er: Ich habe
angenommen — wie konnte ich anders? aber es reißt an meinem Herzen,
daß ich Vaterland, wissenschaftliche Bestrebungen, gewohnte und liebe Ver-
hältnisse tauschen soll — um einer Carri^ willen.« Aber er bedang sich
aus, dafl in Italien nur gesammelt, in Deutschland, wo die wissenschaftlichen
Hilfsmittel vorhanden waren, redigiert würde. Er will sich nicht »auf ewig
in die hesperische Gefangenschaft verbannen« und ist entschlossen, wegen
des Corpus inscriptumum und der mit ihm verbundenen vielfach mechanischen
Tätigkeit nicht alle seine wissenschaftlichen Bestrebungen zu Grabe zu tragen.
»Wie viel lieber als anderm Leuten Ziegel machen, baute ich selbst Häuser!«
so ruft er aus und er gesteht, dafi er, »obgleich ein armer Teufel, Idcht-
sinnig genug gewesen wäre, das schnöde Gold für seine besten Jahre zurück-
zuweisen wenn er es nicht für Pflicht gehalten hätte, »daß wo solche Not
ist, wie hier, jeder zugreifen muß, wer da kann, und daß die wahre Tüchtig-
keit darin besteht, an der Kcke, wo man eben steht, sei es Offizier, sei es
Soldat 2u spielen.« Indessen war es noch nicht so weit Die Schwierig-
keiten häuften sich. Die französische Akademie hatte im Jahre 1845 Hiren
eigenen Plan, ein Corpus mscr. Lat. ausarbeiten zu lassen, noch nidit auf*
p;cgeben, und da sie schon Borghesi für einen Teil der Arbeit gewonnen
hatte, schien M. eine Konkurrenzarbeit gänzlich untunlich sowohl mit
Rücksicht auf die Uncntbehrlichkeit Burghesis als auch zur Vermeidung einer
wissenschaftlich unfruchtbaren und verbitternden Konkurrenz zwischen deut-
sehen und französischen Forschem, welche die Stellung beider Teile den
Italienern gegenüber nur erschwert hätte. Aber auch als diese Schwierigkeit
beseitigt war, verblieb die größere, daß einer starken Partei der Berliner
Akademie die materiellen Lasten zu groß und M. und Jahn weniger geeignet
erschienen, die Arbeit zu übernehmen, als der Oberlehrer Zumpt, dessen
Oheim selbst in der Akademie war. Trotzdem Bcwi^esi den Plan mit Be>
geisterung begrOflte, trotzdem Savigny, Lachmann, Geihaid sich mit aller
Energie für den von Jahn mit M. ausgearbeiteten Entwurf*^) einsetzten, schien
der Plan doch schon im Jahre 1846 gescheitert zu sein. M. machte den
Vorschlag einer Probearbeit, und da Jiihn aus verschiedenen Gründen davon
nichts wissen wollte und dem jüngeren Genossen freiwillig alles w^eitere
flberliefi, reichte er die Bearbeitung der Inschriften Samnium ein, nachdem
die Akademie auf Anraten Savignys den Vorschlag angenommen und
600 Rth. als Subvention bestimmt hatte; unter diesen 600 Rth. waren aoo,
welche Savigny persönlich durch Abtretung seines akatlemischen Gehaltes zur
Verfügung gestellt hatte. »7) Während dieser Verhandlungen hatte M. rüstig
weitergearbeitet. Als nächstes Ziel hatte er sich in Übereinstimmung mit
Borghesi die epigraphische Durchforschung des damaligen Königreiches
Neapel gesetzt, dessen inschriftliche Überlieferung wenig bekannt^ «id. ifaldi
Fälschungen verdunkelt war. Von Sn. Marino zog er die adriatlKte Säiale
entlang südwärts und dann nach Neapel, wo er die ganze neapolitanische
Inschriftenlitteratur, namentlich die Munizipalgeschichten durcharbeitete und
die Inschriften des Museo Borl>on'uo kopierte, im Oktober schiffte er sich mit
dem Numismatiker Julius Friedländer, durch den er zuerst in die Numismatik
eingeführt wurde, und Dr. Schrader nach Palermo ein und blieb drei Wodiien
in Sizilien. — Nach einem Winteraufenthalt in Rom durchstreifle er . im
ile
Mommscn.
455
Sommer und Herbst 1S46 Süditalicn abermals nach allen Richtungen hin,
zeitweise wictlcruni in liegleitmig 1- riedländers und seines Bruders 'I'ycho.
Mit diesen beiden war es ein fröhliches Wandern; eniej Zeichnung Fried-
Iftndeis, in der flbermütigen Laune des Augenblickes hingeworfen, zeigt M.
in recht bedenklicher Stellung, halb auf dem Mulo, halb auf der Leiter eine
Inschrift eines Brückenbogens abschreibend. Aber bei den einsamen Streifungen
galt es auch die größten Strapazen ertragen und mitunter die größten
Schwierigkeiten überwinden und in dem großenteils unwirtlithen Lande, in
welchem der Fremde auf das Kntgegenkommen der Eingeborenen angewiesen
war, der Preti und Landedel leute, die 2um Teile mißtrauisch, zum Teile neu-
gierig dem Forestiere entgegenkamen, die gewonnen, deren lokalpatriotische
Empfindungen geschont werden mußten. Manche der Beziehungen, die M.
damals anknüpfte, haben Dezennien hindurch vorgehalten, und der gute
Humor hat ihn nur selten verlassen. Aber in Momenten der Mißstimmung,
die schon den Jüngling gelegentlich ergriffen haben muß, haderte er wohl
mit dem Geschicke, das ihn dazu verdammte »zu sammeln und in infinitum
stt sammeln unter Widerwärtigkeiten und Schwierigkeiten, von denen sich
niemand eine Idee machen kann, der nicht die Freunde und die Gasthäuser
in den neajuilitanischen Provinzen kennt« — und schildert, wie die Menge ihm
über die Schulter sieht, während er auf einem öffentlichen Platze eine Inschrift
abschreibt, und siih über den fränkischen Narren lustig macht, der alle
Buchstaben abschreiben will. Da sehnte er sich wühl nach dem ruhigen
Schreibtische zurflck, bis er auf der Piazza von Sorrent sich Ober das Treiben
des Volkes belustigend oder in Neapel oder in Rom im Kreise der heiteren
Genossen bei Falemer oder Wein von den Kasteiii nicht nur auf die Aben-
teuer, sondern auch auf die wissenschaftlichen Ergebnisse mit Freude zurück-
blickte.
Aber nicht nur, daß er damals das vollständige Material für die Samm-
lung der neapolitanischen Inschriften zusammenbrachte und sich Aber die
Grundlagen jeider wissenschaftlichen Inschriftensammlung klar wurde und dafi
von seiner Hauptarbeit eine ganze Reihe epigraphischer Analekten abfielen,
anknüpfend an seine oskischen Studien wurde er durch die unteritalischen
Inschriften weiter zum sprachlichen Studium der unteritalischen Dialekte
geführt, deren Frucht das im Jahre 1850 erscheinende Werk »Die unter-
italischen Dialekte« war, das für diesen Teil der Sprachwissenschaft wie für
die vorrOmische Geschichte Italiens grundlegend geworden ist, wenngleich
sich grade M. seiner Mängel bewufit war. Ebenso legten seine damaligen
numismatischen Studien den Grund zu seiner ebenfalls 1850 erscheinenden
Abhandlung über das römische Mütizwesen.
Kaum einen anderen seit (ioethe hatte Italien so rei( h bes( henkt, wie
M., weil keiner wie er dem reichen Lande seine Gaben abzugewinnen wußte.
Nachdem er im Mai 1847 Borghesi nochmals besucht und ihm seine epi-
graphischen Manuskripte vorgelegt hatte, kehrte er über die Alpen zurQck.
Er ging über Wien, und Ende Juli war er in Berlin, wo, nachdem M. die
Bearbeitung fler Inschriften von Samnium und eine Denkschrift > über Plan
und .\usführung eines Corpus inscr. /,(//.« vorgelegt hatte, tlurch Savignys
Bemuhen sich eine günstige Wendung in der Angelegenheit der Inschriften-
sammlung anzubahnen schien. An den Forderungen des Herrn Zumpt und
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seiner Anhänger scheiterte sir abermals, obwohl M. zu Konzessionen bereit
war. Lachmann trat infolge<lessen aus der Akadcnuckoinmission aus. M. fand
harte, aber gerechte Worte gegen die Schwache und Halbheit der Akademiker ]
und schrieb: »ich verzichte, freilich mit blutendem Herzen auf ein Werk, in
dem ich eine Stellung nach aufien und für mich einen Lebenszweck zu haben
meinte.« '9)
Nach der Heimat r.urürkgekehrt, sonnte er sich in dem väterlichen
Garten in Oldesloe und freute sich des Wiedersehens mit manchen Jugeml-
freunden in Altona. In Kiel schien sich ihm schon zum zweiten Male, freilich
nur vorübergehend, die Aussicht auf eine Professur zu eröfhien, und Jahn riet
ihm sich in Leipzig zu habilitieren. VorUufig aber muftte er ans materiellen
Gründen wieder seinen Unterricht in rier Mädchenpension aufnehmen.
Nichtsdestoweniger suchte M. die Früchte seiner italienischen Reise
unter Dach zu bringen uiul nanu-ntlich das neapolitanische Tnschriftenwerk.
Als er es nach zwei Jahren bis auf die JnJues fertiggestellt hatte, entschloß
er sich, wenn auch mit Widerstreben, von der Berliner Akademie eine Sub-
vention von laoo Talern zu erbitten. Obwohl er über M.s Verhalten In den
früheren Verhandlungen erbittert war, stellte P.<)eckh doch den Antrai; die
Hälfte dieser Summe zu gewähren, so daü, dank der Opferwilligkeit des Ver-
legers (1. Wigand, die Horghesi — niai^^istro patrotw am'no — gewidmeten '
hiscriptions regni A'capoiilani Latimu nach zweijährigem Drucke im Jalue
1852 erscheinen konnten. — Neben den Vorarbeiten zu dieser Mustersammlung
war M. im Winter 1847—48 mit einer Unzahl von Detailuntersuchungen und
Arbeiten auf jenen anderen von ihm in Italien in Angriff genommenen Ge-
bieten bes«-häftigt.
Alle Wissens« liattlirhen Entwürfe und Pläne konnten aber M. nicht ver-
hindern, als der I ruhinig des Jahres 1848 anbrach, seine ganze Person in
den Dienst der Politik, des Vaterlandes und der Freiheit zu stellen; der
kategorische Imperativ der Pflicht rief ihn, wie damals die besten Minner
Deutschlands, unter die Fahnen, und er hat im Jahre 1848 so wenig wie in j
seinen letzten Jahren es verstanden, wie sich die Ängsterlinge in der Studier-
stubc zurückhielten, wenn «ler Ruf zur Tat an sie erging. Er nahm an einem
Tumulte in Hamburg teil, und nur eine \'erletzuiig, die er sich dabei zuzog
und die, obwohl unbedeutend, ihn dienstuntauglich machte, zwang ihn von
seinem Plane abzustehen, sich, wie seine Brüder Tycho und August, den
gegen Dänemark ziehenden Freischaaren in Schleswig-Holstein anzuschliefien.
Um so freudiger ergriff er die Gelegenheit, Deutschland und seinem engeren
\'aterlande mit der Feder zu dienen, als er auf Olshausens Wunsch in die
Redaktion der in Reiuhburg erscheinenden «Sc hleswig-Holsteinischen Zeitung
eintrat, die seit dem 15. April als Organ der provisorischen Regierung heraus-
gegeben wurde. Obwohl an ihr auch andere hervorragende Minner ge-
legentlich mitarbeiteten, war doch M., dessen erster Leitartikel am 94. April
erschien, durch Monate hindurch die eigentliche Seele des Blattes. Der 1
Schwung und die liegeistcrung der Zeit trugen den jungen Journalisten
und, indem er bald Berichte schrieb, bald staatsrechtliche Tageslragcn in
klarer Weise auseinandersetzte, bald in tlammenden Worten zur Tat auf-
rief, bald mit beifiender Ironie die Lauen verspottete, bildete er sich
jenen glänzenden Stil, der ihn spiter be£ihigte, nicht nur das Aktuelle,
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Monunsen.
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sondern auch das scheinbar Tote wieder lebendig zu machen — während er
zugleich durch sein tatkräftiges Kingreifen in die Pohtik aus nächster Nähe
all die kleinen Triebkräfte kennen lernte, die zu den grolien Resultaten der
Geschichte führen.^) Es waren arbeitsreiche Monate. Am 23. April wurde die
Schlacht bei Schleswig geschlagen, über die M. am 25. in seiner Zeitung
berichtete; noch 40 Jahre später schrieb er an einen Freund: »Ich denke
immer noch gern an meine Beschreibung der Schleswiger Schlacht, die ich
als journalistischer Schlachtenbummler mitgemacht habe und dann, nachdem
ich die Nacht die 6 Meilen von Schleswig nach Rendsburg gelaufen war,
den anderen Tag beschrieb.« Am 25. wohnte er einer Versammlung des
Zentralwahlkomitees in NeamOnster bei, in welcher q. a. Droysen und Waitz,
von Mommsen auch in seiner Zeitung wärmstens empfohlen, als Kandidaten
für das Frankfurter Parlament aufgestellt wurden, während Prof. (Lorenz) Stein
aus Kiel infolge von M.s Einspruch abgelehnt wurde. Es schien ihm
am wichtigsten, Männer von Gesinnung zu wählen. »Sie sollen nicht die
Form allein schaffen für Deutschlands Einheit, sie sollen in vielen Teilen
Deutschlands auch den Geist schaffen; sie sollen die Pommern zu Deutschen,
sie sollen die MOrder Gagems zu Bürgern machen. Das alles müssen sie
tun durch ihre sittliche Kraft, gehoben durch den Zwang von aufien und den
Drang von innen.« Dagegen sollten ausgeschlossen sein »alle verdächtigen
Charaktere, alle Feilen und Lauen, alle Schwankenden und Phantasten, alle
Volks- und Fürstenschmeichler« — aber auch «die in tlie alte Staatsmaschine
eingepreßten Geister, die Schreibmaschinen der Bureaus, die devoten Pfründner
der Staatskirche, die gehorsamen Leutnants und Majore, die ihres be-
schränkten Untertanenverstandes sich bescheidenden Spieftbürger, die Männer
der Hundetreue.« Dies schien ^L um so wichtiger, als ihm »die Gefahr
einer Reaktion im ScholJe des tlcutschen Parlamentes selbst« — infolge der
Unreife grolier Teile des \'olkcs — schon damals idcht so chimärisch« er-
schien. Man solle ' nicht zu viel Gewicht auf die Schlagfrage: Republik oder
Monarchie« legen, da diese nur zu Miflverstftndnissen und unnützen Dis^
kttssionen führte und ihm auch die Ffirstengewalt nur als eine historische
Kategorie erschien, sondern von den Kandidaten vielmehr fordern, daß sie
für spezielle Dinge, namentlich für das allgemeine aktive Wahlrec ht und für
eine gewisse Zentralisation eintreten; daß sie verspreciun dazu mitzuwirken,
alle diplomatische und militärische Wirksamkeit von den bisherigen Bundes-
staaten auf die Zentralgewalt zu übertragen, den Schwerpunkt der Zentral»
Verwaltung auf das Nationalparlament zu verlegen und das künftige Bundes-
haupt mit wahrhaft konstitutionellen Garantien zu umgeben, und sich namentlich
in der Frage: Republik oder Monarchie^ dem Ausspruche der Majorität zu
unterwerfen. M. selbst gab das Schlagwort aus: »Keine Isolierung, keine
Reaktion, keine .Anarchie. Dem entsprach die politische Haltung der
Schleswig-Holsteinischen Zeitung selbst: »Um jeden Preis die Einheit Deutsch-
lands«; dem gegenüber sollte die Verfessungsfrage zurücktreten; und wenn
auch die Gefehr einer Hausmachtpolitik, welche die Folge des Erbkaisertums
sein konnte, hervorgehoben und eine nicht monarchische Spitze der Zentral-
gewalt prinzipiell bevorzugt wird, wird doch die Meinung ausgesprochen,
daß die Zentralisation unter einem Krbkaiser zustande kommen wird wegen
der Stärke und des berechtigten .Anspruches auf Hegemonie Preußens, das eben
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Mowimtcn»
bestehe, während der einheitliche deutsche Staat erst geschaffen werden
müsse. Wir andern Deutschen brauchen Preußen notwendiger, als Preußen
uns.« — Nichtsdestoweniger polemisiert M. am lo. Juni gegen die Deutsche
Zeitung von Gervinus, weil sich das Erbkaisertum mit der Natur eines Bundes-
staates nicht vereinigen lasse und nur dem Doktrinarismus entsprungen sei;
eine definitive Lösung der Frage sei derzeit noch nic ht inöpli< h. I^ie staat-
lichen Formen müüten sich eben nach den Hcdürfnissen ri( hten. Sehr ener-
gisch trat M. für den konstituierenden Charakter der Frankfurter Nationalver-
sammlung, der »alleinigen Inhaberin der deutsdien Staatsgewalt« ein; es war
recht deutlich, gegen wen sich die Worte richteten: »wer iluren Beschlüssen den
Gehorsam weigert, der ist ein Rebell, und die Behauptung, dafl ein Beschluft
der Nationalversammlung nicht bloß insinuiert, sondern akzeptiert werden
muü, ist Hochverrat gegen I )eutschlantl.< Aber obwohl aui h allgemeinere
Fragen, z. B. die soziale Frage unter Berufung auf englische Ökonomen
und auch auf Engels* »Lage der arbeitenden Klassen in England« in einem
liberalsosialpolitischen Sinne in dem Blatte behandelt wurden und M. die
österreichischen Verhältnisse im Sinne ungarischer Sympathien und mit
scharfer Verurteilung der Kamarilla und des Panslawismus besprach und
ausdrücklic h feststellte, daß Deutschland auch von Österreich absehen könne,
traten doch allmählich die lokalen Fragen immer mehr in den Vorder-
grund. In einer Versammlung in Rendsburg am 13. Juni, an welcher
M. als Schriftführer teilnahm, wurde eine Resolution für die augenblick-
liche Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, für allgemeines Wahlrecht
in dem von der Ständeversammlung su beschliefienden Wahlgesetze für die
Provinzialversammlung und pef^en jede Teilung Schleswigs gefaßt, und
in den folgenden Wochen verfolgt M. in seinem Blatte die Tätigkeit der
Stände und kritisiert ihre Tätigkeit, berichtet über die finanziellen Vorlagen
und preist eine reine Einkommensteuer, nicht ohne immer wieder gegenüber
der partikularistischen Antiquität des »meerumschlungenen Patriotismus« den
gesamtdeutschen Standpunkt zu betonen. Die Dinge ging^ nicht, wie BL
gehofft hatte. Waren ihm ohnedies die Hände in mancher wichtigen Frage
gebunden, so lieli er sich nicht hindern, in den .Angelegenheiten seiner engeren
Heimat energische Worte zu ünden gegen die Schlaffheit und den bösen
Willen einer nicht geringen Minorität der Stände. Er hatte schon seit dem
Juni das Gefühl, dafi das Regiment weder der einen noch der anderen Partei
gehörte, sondern ausschließlich den Ungeschickten und dafi es seine tägliche
Beschäftigung war, sich über die I.auen und über die Renommisten zu ärgern.
Zu Mit haeiis wollte er seinen Abschied nehmen und bat daher Jahn, jetzt
die Leipziger Angelegenheit zu fördern. Persönliche Oppositionsartikei führten
aber schon jetzt zu heftigen Interpellationen von Seite der Stände, und die
Regierung wies nun ihre Zeitung an, die Stände ungeschoren zu lassen. Da
Versuche, das Blatt in Privathände zu bringen, fehlsdilugen, ging M. schon
Anfangs Juli mit der (^berzeugung, in seiner Heimat überflüssig zu sein, und
mit dem Gefühle der Scham, daß die großartig angekündigte Schilderhebung
in nichtü verlief. — Um seine Existenz zu fristen, suchte er möglichst bald
wieder Beschäftigung bei einer Zeitung, und ging nach Frankfurt, wo ihm
der Gegensatz zwischen der »Parlamentsidylle«, für die die vcndiiedenen
Wirren nur Redestoffe seien, zwischen der Beratung der Grundrechte auf der
Monussen.
459
einen Seite und der tatsäc Iiliclien Haltung der Regierungen auf der anderen,
der Gegensatz zwischen Theorie und Praxis viel zu denken gaben. Er war
Zuhörer bei einer Beratung der Linken im »Deutschen Hofe«, bei welcher
ihm auch R. Blums vorsichtige Zurückhaltung auffiel, die ihn ebenfalls fQr
die Zukunft nichts Gutes ahnen lieft. In dieser wenig freudigen Stimmung
erhielt er die Nachricht, daß der sächsisclie Minister v. d. Pfordten sich Jahn
gegenüber bereit erklärt hatte, M. von Mii liaelis 1848 an mit einem Gehalte
von 400 Kdi. als außerordentlichen Professor der Jurisprudenz in Leipzig
anzustellen.
Dann trat der Wendepunkt in Schleswig und in Deutschland überhaupt
ein, als es durch den Vertrag von Malmft klar wurde, dafi Preufien von der
nationalen Politik sich lossagte. Noch am 29. August, als Olshausen aus der
provisorischen Regierung ausgetreten war, polemisierte die Schleswig- Hol-
steinische Zeitung zwar gegen die Berliner Junkerpartei, sah aber doch in
Preufien den »Staat des Fortschritts«, der »sich zu Deutschland erweitem
müsse«. Dann schlägt sie heftigere Töne an, fordert den Landtag zum
Handeln, zur Steuerverweigerung auf, greift die neue verhafite Regierung an
und droht: >'es wäre möglich, daß vor der lauten Anklage einer Politik,
worin die deutschen Fürsten abermals Si hmach gcliäuft haben auf das deutsche
\'olk, die noch keineswegs gesicherten Throne wieilerum erzittern . Doch
erkennt sie resigniert an, daß sich Schleswig-Holstein einem von der National-
versammlung und den konstituierten Gewalten rechtsgültig abgeschlossenen
Waffenstillstände fügen müsse und wirft noch in mehreren Artikeln (16. — 21.
Sept.) auf Grund der der Nationalversammlung vorgelegten Aktenstücke einen
Rückblick auf die Gcscliichte des Waffenstillstandes. M. scheint in dieser
Zeit wieder mitL'caibeitet uiul von Kiel aus flie »Briefe über die Landes-
versammlung ^ und die neuen Parteibildungen geschrieben zu haben, legte
aber Ende September die Feder nieder.
Das ihm eigene strenge Pflichtgefühl, das er auch von den anderen
forderte, hatte ihn in den politischen Kampf geführt, und er hatte ausgeharrt
mit der aus seinem starken Temperamente entspringenden Begeisterung, die
er als eine Grundberiingung des Erfolges betrachtete, solange er glaubte,
nützlich wirken zu können. »Gehen wir zugrunde, so sind schuld daran
die Klagenden und die Zagenden, die bedenklichen kränklichen Seelen, die
superklugen Politiker, die den grofien Text der Geschichte mit ihren Frage-
und Ausrufungszeichen versehen, die nachhinkenden Kleinmeister, welchen
der herrlichste Sieg nicht genug Resultate gibt, die armen Seelen, welche
keinen (ilauben haben an den Gott in der Geschichte, kurz all die hoffnungs-
lose Feigheit, die kopfschüttelnde Klugheit, die wie ein bleiernes Schwer-
gewicht den edlen Enthusiasmus Deutschlands niederziehen möchte.« Aber
es liegen genug Äufierungen vor, die beweisen, dafl er von vornherein die
tatsächlichen Machtverhältnisse, das Widerstreben der Machthaber gegen die
neue Entwicklung, die Unreife des Volkes, die Stärke der Reaktion und die
philiströse Furcht vor der Anarchie richtig beurteilte. Darum wird er auch
am leidenschaftlichsten und beredtesten, wenn er die wirklichen Verhaltnisse
mit beißender Satire dem erstrebten Ziele gegenüberstellt. Schon am 31. Mai
schreibt er in einem Artikel, der überschrieben ist: »Die Einheit Deutschlands
praktisch angewandt« u. a.: »Wir haben uns sehr geirrt. Die Idee eines
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MommseD.
einigen und starken Deutschlands hat in fler Praxis einen Kommentar er-
halten, der geeignet ist, die ruhige Vernunft zum Wahnsinn und die Thorheit
zur Ehre xn bringen. — Das einige Deutschland ist ein solches, wo jeder
deutsche Regait im militärischen und politischen Verhalten zum Ausland
seinen eigenen Willen hat, wo Preußen gar nicht zu wollen braucht, was
Hannover will, und umgekeiirt. Das einige Deutschland schließt nicht aus,
<laü ein cleuts( iier Fürst sich weigert sein Kontingent zu stellen. Das einige
Deutschland schließt nicht aus, daß ein tleutsches Land einen Separatfrieden
schüeflt. Das einige Deutschland kanji viel vertragen, unbeschadet seiner
Einheit, gerade wie das heilige römische Reich, trotz Neutralitfttserklftrungen
und Baseler Friedensschlüsse, das heilige rOmische Reich blieb. Das einige
Deutschland ist eine Koalition mehrerer Fürsten, mit einer Phrase dazu. Das
einige Deutschhind ist ein pcriodiscii wiederkehrender Traum des deutschen
Michel, der in \ er>en vortrefflich, in Prosa schlecht und in der Praxis
nirgends an seinem Platze ist. Das einige Deutschland ist ein Hohn der
Dänen, die Schadenfreude Englands. Aus Versehen ist Deutschland einig
gewesen vier Wochen lang; aber umsonst erschraken die Nachbarn, daß es nun
Ernst werden möchte. Schon lenken wir ein in das alte zerfahrene Geleise
des ewigen Zwiespaltes, und das erste Opfer ist Schleswig-Holstein.^ Wenn
er trotzdem noch ausharrt und von den deutsrlien Fürsten, deren viele sind
und uneinige, an das deutsche Volk, das eine und Gott geb' es einige«
appelliert, die Organisation des Volkskrieges gegen Dänemark verlangt und
die Pläne einer wirksamen Wehrverfassung fQr Schleswig-Holstein diskutiert,
wenn er immer wieder zur Tat aufruft, so entspringt dies, wie bei manchen
seiner Zeitgenossen weniger dem (Ilauhcn an die Möglichkeit, die ersehnten
Ziele /u erreichen, als dcni (ietühl der \ eri)Mi< htung, kein Mittel unversucht
zu lassen und den Kampf nicht aufzugeben. Den Schlüssel zu dieser Stimmung
gibt M. selbst, in viel späterer Zeit, wo er») von Ludwig Bambergers revo-
lutionären Unternehmungen und der »in seinem Kopfe wie in zahlreichen
anderen damit vereinigten Einsicht in die so gut wie vollständige Aussichts-
losigkeit des Beginnens spricht und hinzufügt: Aber w'er jene Zeiten mit-
durchlebt hat, wird sich der | ugendstimmungen erinnerti, der Zeit, wo die
junge Welt meinte, das einige, freie Deutschland dadurch schaffen zu helfen,
dafi jeder, für sein Teil wenigstens, sich aufopferte.« —
Seine Beratung nach Leipzig, wo er im Herbste 1848 eintraf betrach-
tete M. »als eine der vielen unerwartet glücklichen Fügungen« . . woran
er erkenne, daß er ein Sonntagskind sei, und als eine Krlftsung von »der
Gold in Goldschaum verwandelnden, alle intensive .Arbeit tötenden Hesrhäfti-
gung mit tiem Journalisiercn.« ") In Leipzig, einem der geistigen Brennpunkte
Deutschlands, wohnte er zusammen mit Jahn im Hause G. Wigands; es wurde
ihm dank der geistig angeregten und gleichgestimmten, ernsten und humor-
vollen Geselligkeit, zu der sich aufier M. und Jahn, Haupt und dem Lessing-
biographen Danzel die Verleger S. Hirzel, K. Reimer, G. Wigand regelmäßig
zusammenfanden, zur zweiten Heimat. ->) Au( h seine wissenschaftliche Tätigkeit
beschrankte sich keineswegs auf seine X'orlesungen, obwohl fiie acht- und
zehnstündigen Pandekten- und Institutionenkollegien dem des Lehrens und
der Pandekten Ungewohnten genügend Zeit rauben mnflten; im Jahre 1850
kündigte er außerdem eine Vorlesung »Abschnitte aus der römischen
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Mommsen.
(jts( hirhtc« an, deren Thema mit seinen damaligen Arbeiten wohl in engerem
Zusammenhange stand. Den wissensc haftlichen Vereinigungspxmkt bildete die
neu gegründete Leipziger Gesellst halt der Wissenscliattcn, in deren Berichten
und Abhandlungen M. der eifrigste Mitarbeiter war; hier . erschienen u. a.
seine grundlegenden Untersuchungen Ober das römische MOnzwesen, seine
Abhandlung über den Chronographen vom Jahre 354, die der Ausgangspunkt
für eine Reihe chronologischer Untersuchungen sowie für seine später wieder
aufgenommene licsrhäftigung mit den (hiellen des ausgehenden römischen
Reiches wurde. CJeradezu bedeutsam für die Geschichte der Wissenschaften
war in diesem Leipziger Kreise das Zusammentreffen bedeutender Gelehrter
und kluger, gebildeter, weitausschauender Verleger. M. hat es G. Wigand
nie veigessen, daft er in uneigennütziger Weise den Druck der neapolitani-
schen Insdbriften trotz eines nur ungenügenden Zuschusses der Berliner
.Akademie ermöglichte, und mit Hirzel nnd Reimer schloß M. damals die
\ ertrage über das römisc he Staatsrecht und die römische (ieschichte.
Namentlich Karl Reimer, der in dem Freunde niclit nur den führenden Geist,
sondern auch die Energie erkannte, mit der er wissenschaftliche Pläne zu
Ende führte, hat ihn auf jede Weise in großzügiger Weise unterstützt — Aus
demselben Kreise ist auch das literarische Zentralblatt hervoigegaingen, an
welchem M. anfangs eifrig mitarbeitete; die vielen von ihm besprochenen
Schriften zeigen, in wie mannigfaltiger Weise er sich auch außerhalb des
Faches geistig betätigte. Der freundschaftliche Umgang mit Gust. Freytag,
der dannls in Leipzig die »Grenzboten« redigierte, mit Danzel, mit Hirzel,
dem Goethe-SamnUer, regten den dichtenden Gelehrten auch literarisch an.
Namentlich Goethe, den er kannte und liebte, wie wenige, war und blieb der
literarische Schutzgott dieses Kreises. Sein hundertster Geburtstag wurde
festlich begangen, und unmittelbar darauf unternahmen die Genossen eine
gemeinsame Wallfahrt nach Weimar.
Auch dies Idyll der Arbeit und der Freundschaft wurde durch die
leidige Politik gestOrt. Schon vor seiner Berufung nach Leipzig hatte Jahn
seinen Freund M. scherzhaft gebeten, seine S}mipathien für die Linke bis zum
linken Zentrum zu mäßigen und sich an den gutmütigen Fortschritt des
»Deuts( hen Vereins« in Leipzig zu gewöhnen. M. nahm in der Tat mit
seinen engeren Freunden lebhaft teil an den Verhandlungen dieses Vereines,
der für die Anerkennung der vom Frankfurter Parlament zu beschließenden
Verfassung und für die preufiische Spiue eintrat Im Januar wurde an die
sächsische Regierung und den Landtag wegen Publikation der Frankfurter
Grundrechte petitioniert. Auf das Gerücht von einer Ministerkrise, welche
das offene Kinlenken in die Bahnen der Reaktion bedeutet hätte, verfaßte
M. im Auftrage seiner Freunde^) am 23. Januar eine Adresse an den Minister
von der Pfordten, in welcher, gegenüber einem partikularistischen Beschlüsse
der sächsischen Kammer, das Vertrauen ausgesprochen wird, dafl der Minister
auch künftig nicht vei^jessen werde, dafi er vor allem ein Deutscher sei. Es
heif5t tla: »Ist auch der souveräne Unverstand für den Augenblick zur Herr-
schaft gelangt, so sind doch seine Tage gezählt; die betörte Mehrheit im
Volke wird die Augen öffnen und endlich begreifen, daß nur in und mit
Deutschland für unser sächsisches Land eine bessere Zukunft gedeihen kann.«
Am f. März sprach u. a. M. »über den gegenwärtigen Stand der Deutschen
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MominsM«
Verfassungsfrage«, und es wurde eine Adresse an das Krankfurtcr Parlament
um möglichste Beschleunigunf^ der zweiten Lesiinp der \'ertassung, sowie
eine energiscl\e Erklärung in betreff der Ketht^verbindlichkeit der deutschen
Reichsveifusung, wie sie aus den Berätungen der Nationalversammlung her-
voffgefaen würde, beschlossen. Als dann M. von einer Osterreise zur Hochseit
seines Bruders und zu seinen Verwandten zurückgekehrt war, auf der er mit
Schmerz gesehen hatte, wie die Dinge in Schleswig-Holstein ihren T auf bringen,
bereitete sich auch schon die letzte grolle Krise vor, die allen Hoftiuingen
ein Ende maihte. Am selben Tage, an welchem die preußische zweite
Kammer aufgelöst wurde, am 27. April, stellte Haupt im DentiHzhen Vereine
den Antrag, dem Rate und den Stadtverordneten von Leipzig den Dank aus-
zusprechen für die Schritte, welche diese an den Koniu; und das Gesamt-
ministerium getan hatten, um auf Anerkeinumg der deutschen X'erfassung
zu dringen; der Antrag wurde angenoninien und in der Zuschrift an die Stadt-
verordneten zugleich erklärt, daii die Sachsen keinem deutschen Volkütanune
nachstehen werden an Mut und Entschlossenheit, das Palladium der deutschen
Einheit und Macht siegreich zu behaupten. Mommsen unterstützte den Antrag
und wies zugleich darauf hin, dafi in Württemberg der Widerstand des Volkes
den König zum Nachteilen bewogen habe. Jahn stellte sogar zur Erwägung,
ob es nicht angebr.K ht wäre, dalJ der Verein sich noch energischer äiiOere.
als die Stadtverordneten. Der Antrag Haupts wurde einstimmig angenommen
und femer beschlossen, den Vereinsausschuü zu allen Schritten zu ermächtigen,
die er zur Herbeiführung des notwendigen Zieles, Anerkennung der Ver-
fassung, für geeignet halte. Aber schon am 30. April hatte Beust über seine
liberalen Kollegen im Ministerium gesiegt und den Landtag aufgelöst; am
3. Mai schon wurden in Dresden Harrikaden gebaut. In Leipzig aber hatten
sich alle politischen \'ereine zu gemeinsamem Handeln für die Durchführung
der Reichsverfassung geeinigt Da aber auf den Beschluß des Kommunal-
gardeausschusses, nicht allen, die sich meldeten, Waffen zu verteilen, die
radikaleren Vertreter in dem Ausschuß der gesamten politischen Vereine remon-
strierten, weil sie den bewaffneten Zuzug nach Dresden organisieren wollten,
erklärten der Deutsche und der V'aterlandsverein, daß sie aus dem Gesamt-
ausschusse »ausgetreten seien, weil die Mehrzahl dieses Ausschu.sses den Be-
schluß gefaßt habe, gegen die Kommunalgarde und die Behörde der Stadt
Gewalt zu brauchen.« Auch als am folgenden Tage, dem 5. Mai, versucht
wurde, die Spaltung auf ein Mifiverständnis zurückzuführen, blieb der Deutsche
Verein bei seinem Beschlüsse und hielt sich ferne. Auch der Grund von M.s
Austritt war, daß er f^egen jede Unterstiit/unj^ des Dresdener Aufstandes ein-
getreten war, den er offenbar für völlig aussiihtslos ansah.
Aber es brach die Zeit heran, in welcher auch sehr gemäßigte Gesinnungen
nicht vor Verfolgungen eines so skrupellosen Gegners wie Beust schützten«
Als der Leipziger akademische Senat sich weigerte, nach der oktroyierten
Verfassung einen Abgeordneten zu wählen wurden M., Haupt und Jahn sus-
pendiert und wegen ihrer Tätigkeit im Deutschen Vereine Kriminalunter-
suchungen gegen sie eingeleitet, die im {)ktol)er 1850 in erster Instanz zur
Verurteilung M.s zu 9 Monaten, Haupts zu i Jahr Landesgelangnis und zur
Freisprechung Jahns führte. In zweiter Instanz wurden alle drei ad msianiia
freigesprochen. M. erhielt die Nachricht, als er im Februar 185 1 am Sterbe-
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Moumwn*
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bette seines Vaters weilte. Sobald er in Oldesloe, tief bewegt durch den
eigenen Verlust und durch den ehrfurchtgebietenden Schmerz seiner Mutter,
die dringendsten Angelegenheiten geordnet hatte, eilte er nach Berlin an das
Krankenlager Lachmanns, in dem der ganze Leipziger Kreis seinen pater
fanulias und in wissenschaftlichen wie in menschlichen Dingen seine höchste
Instanz verehrte. Nach Lachmanns Tode (13. März 1851) nach Leipzig zttrQck-
gekehrt, mufite er mit seinen beiden Genossen Beusts unappellabeln Sprach
über sich ergehen lassen, durch welchen alle drei »zum Besten der Uni-
versität«, weil sie während der Maitage »öffentliches Ärgernis gegeben und
ein sehr schlechtes Beispiel für die akademische Jugend aufgestellt liätten,
ihres Amtes, trotz des gerichtlichen Freispruches, enthoben wurden (22. April).
So kam alles xuaammen: Zerstörung aller politischer Hoffnungen, die schwersten
personlichen Verinste, Vernichtung d«r materiellen Existenz. M. hat mit
staunenswerter Spannkraft, allerdings in jeder Wdse gestQtzt durch seine
Freunde, unter denen Karl Reimer vor allen genannt zu werden verdient,
in ungesehwächter Arbeitskraft die Krise überwunden. In jene Zeit fallen
außer dem Drucke der Inscripttoncs regni Neapolitani M.s Arbeiten über das
Preisedikt Diokletians und seine Erlftnterungen zu den römischen Feldmessern
in der Lachmannschen Ausgabe, sowie aufler verschiedenen epigraphischen
Analekten und Besprechungen die Anzeigen literarischer und historisch-
politischer Werke im Zentralblatte, die zeigen, daß trotz allem seine Anteil-
nahme an der deutschen Frage und namentlich an Srhleswig-Hcjlstein nicht
vermindert war. Und daß trotz allem auch der Humor nicht zu kurz kam,
beweisen mancherlei literarische Spifle, die aus dem Freundeskreise hervor-
gingen. «5)
Kin Ruf als Professor des römischen Rechtes nach Zürich, den ihm wahr-
scheinlich S. Hirzel vermittelt hatte, entriß ihn der schwierigen Situation.
Aber trotz des freundlichen Empfanges, der ihm im Mai 1.S52 zuteil wurde,
trotzdem die Züricher Regierung ihm unaufgefordert im Frühjahre 1853 den
vollen Ordinariatsgehalt zubilligte, was er dankbar anerkannte, gelang es M.
wShrend seines mehr als zweijährigen Aufenthaltes in Zttrich (Frühjahr i8ss
bis Sommer 1854) nicht, sich in die damals sehr engen Verhältnisse der Stadt
hinein/ugewöhnen. Die deutschen Professoren betrachteten damals Zürich
nur als Durchgangsstation, und M., der den angeregten l,eipziger Kreis, mit
dem er freilich brieflich in regem Verkehr blieb, schwer vermißte, litt sowohl
an Vereinsamung, als an dem Zwange der steifen obligaten Professorendiners,
während er sich nur dem Physiologen Ludwig und Hitzig freundschaftlich
anschloß und gegen Ende seines eigenen Aufenthaltes den Abgang seines
Faknltätsknllcgen Krxleben lebhaft bedauerte. Weder die politischen Ver-
hältnisse des Kleinstaates, die Ihm nicht zusagten, noch auch seine Lehr-
tätigkeit konnten ihm einen Krsatz bieten, da er über die ni.ini,u'lhafte \'or-
bildung der Studenten mit Ausnahme derer, welche aus den Züricher Kantons-
schulen hervorgegangen waren, zu klagen hatte und höchstens auf zehn Hörer
rechnen konnte. Um so mehr vertiefte er sich in seine wissenschaftlichen
Arbeiten. Außer der Arbeit an der römischen Geschichte, die auch eine
Arbeitskraft wie die M.s hätte ganz in Anspruch nehmen können, nützte er
aus, was ihm die Cingebuim an Material für seine wissensrhaftlichen Zwecke
bot; wenn auch ungernc, unterzog er sich der Ptlicht einen populären N'ortrag
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vor dem ihm niclit synipatliischen Publikum zu halten und sprach über die
Schweiz in römischer Zeit, sammelte und gab die lateinischen Inschriften der
Schweizer Eidgenossenschaft für die Züricher antiquarische Gesellschaft her-
aus, deren Mitglieder, namentlich F. Keller, er schfttxen gelernt hattet); er
wurde mit den Resten des Altertums in der Schweiz so vertraut, dafl er es
au( h ül)ernahm, den Schwei/er Raedeker in antiquarischer Beziehung umzu-
arbeiten. Aus demselben Arbeitskreise ginj^cn in lortsetzung früherer Arbeiten
seine Studien über die nordetruskischen Alphabete hervor. Dazu kam aber
seit dem Jahre 1853 die ermüdende» in diesem Stadium großenteils medianisdie
Arbeit am Cotfus mur^^mim, namentlich die Herstellung der Scheden.
Denn die Neapolitaner Inschriften hatten so deutlich gezeigt, daß nur M.
geeignet sei, das ganze Corpus zu s( haffen, daß die Berliner Akademie ihren
Zuinpt fallen ließ. Diese Bedingung hatte auch Ritsehl in Bonn gestellt,
als er sich in Verbindung mit M. der Akademie gegenüber zur Bearbeitung
der archaischen Inschriften, die gleichsam den Prodromus zum Corpus bilden
sollte, bereit erklärte. Audi M.s sonstige Bedingungen, durch Gerhard aber-
mals energisch befürwortet, wurden jetzt angenommen, insbesondere auch die
Mitwirkung Henzcns, namentlich für die stadtrömischen Inschriften, und
de Rossis, die er forderte. Im Juni \^^2> wurden diese beiden Gelehrten und
M. zu Korrespondenten der Akademie ernannt, und M. wurde für die Vor-
arbeiten zum Corpus für 6 Jahre eine Remuneration von je 400 Rth. bewilligt.
Dabei genofl M. trotz allem die wunderbare Natur, und eine fröhliche
Wanderung auf den Rigt und nach Meiringen, welche die drei Leipziger
Genossen M., Haupt und Karl Reimer im Sommer 1852 gemeinsam untef^
nahmen, erfrischte ihn nach den Mühen des ersten Züricher Semesters; ein
andermal überkam ihn die Lust am Klettern bei Gelegenheit eines .Ausfluges
nach Haiden so sehr, daß er den Säntis bestieg. Von Karl Reimer immer
wieder aufgefordert, entschloß er sich zu Ostern 1854 ihn und die anderen
Freunde in Leipzig zu besuchen. Es zog ihn wohl schon ein geheimer Wunsch
dahin, den er erst in einem Briefe äußerte, als er nach mehrwöchentlichem
Aufenthalte Leipzig verließ, um über Eisenach, wo er Bruder Tycho und
seine Mutter besuchte, nach Berlin z.u gehen. In Marie Reimer, der schönen
Tochter Karls, glaubte er den Emst und die Heiterkeit gefunden zu haben,
die man brauche, um das schwere Lebm mit Würde und Anmut zu ertragen;
und dieser Glaube an die Fraa, die durch nahezu ein halbes Jahrhundert
seine treue Gefährtin werden sollte, t&uschte ihn nicht; sie hatte nach ihres
eigenen Vaters Zeugnis eine gewisse Stärke, über Nebendinge keine Grillen
zu fangen; sie wußte ihm die kleinen Dinge des Lebens zu ordnen, wie sie
sich in den großen der Führung seines starken Geistes unterordnete. M.
wagte den Sdiritt in die Ehe, weil er seiner Frau jetzt eine wenn auch be-
scheidene Häuslichkeit bieten konnte, zu der sein Gehalt als Züricher Professor
(700 Rth.!) nebst seiner Remuneration aus Berlin, seinen KollegWBpMm
und seinen literarischen Einnahmen ausreichte, ohne daß er befürchten mußte,
(lurcii ökonomische Sorgen geknickt zu werden; allerdings setzte er auch die
Hoffnung auf eine glänzendere materielle Zukunft in seine verständige Rech-
nung ein. Am 16. April 1854 wurde die Verlobung publiziert, ohne da£.
gerade die Vielen, die derartige Ereignisse immer vorausahnen, fibeniwtt
gewesen wftren. Mitten in den Sorgen um seine erkrankte Brau^ um die
. •'^•iwnrirr
Mommsen.
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Einricluung der neuen Häuslichkeit in Zürich, um die Bc'>< haffung des Heimat-
scheiiies für die Hochzeit, die dem politisch ("Febraiulmarkten von dem
tlänisrhen wie von dem .sächsi.s<:heii Polizeistaate auf jede Weise erschwert
wurde, traf ihn ein Ruf des preuüibchen Unterrichtsminiüters Räumer. Er
sollte als Oidinarius fflr rOmisdies Recht an die Universität Breslau kommen
und seine Professur mit einer Bibliothekarstelle verbinden. Da er jedoch die
Bibliothekarstelle auf Rat seiner Freunde ablehnte, entschloß sich der Minister,
ihm auch, abgesehen von diesem Nebenamte, auskömmliche Bedingungen zu
stellen. Die Hauj)tsache für M. war, daß er nach Preußen kam, daß er
hoffen konnte, von der preußischen Regierung für das Inschriftenunternehmen
der Berliner Akademie, so oft es nötig wurde, Reiseurlaub zu erhalten, und
daß er and seine Freunde von vornherein Breslau nur als eine Etiq>pe auf
dem Wege nach Berlin betrachteten. Aach hoffte er in Breslau gröflere
Kollegien zu haben, als in Zürich. Darin täuschte er sich allerdings; denn
nachdem er im Hause seines Scliwiewervaters, der eben im Begriffe war, mit
seinem (ies( hätte nai h Herlin zu übersiedeln, am 10. Septeniber 1854 seine
Hochzeit gefeiert und nach kurzer Hochzeitsreise in Breslau angekommen
war, wurde es ihm rasch klar, daft hier die Studentenschaft sehr flaa, die
Rinpaukerei in vollem Flore war. Das Beste daran war, daß er in diesem
Wintersemester von allen Vorlesungen frei war, da sich für sein Privatkolleg
(Obligationenrecht) nicht bloß kein einziger Student gemeldet hatte, sondern
auch in die erste \'orlesung nicht einmal die Neugier einen Hospitanten
geführt hatte; erst im Somraersemester brachte er es auf 12 Hörer. Auch
mit sdnen Kollegen war er nicht sonderlich zufrieden, noch auch mit der
Geselligkeit; an wenige Personen, darunter Wattenbach and Roepell, schlofi er
sich in Breslau an ; er bemühte sich auch hier, nach dem Muster der Leipziger
Gesellschaft, die wissenschaftliche Arbeit an der Breslauer Universität zu
organisieren, während er selbst bei rastloser Arbeit an der römischen Ge-
schichte und den Inschriften noch Muße fand, in unglaublich kurzer Zeit seine
bedeatende Untersuchung Aber die neugefundenen Stadtredite der latinischen
Gemeinden Salpensa und Malaca durchzufahren. Sein glOckliches Daheim und
seine Arlieit brachten ihn Ober manchen Schmerz, den Tod seiner Mutter,
über i'l)erarbcitung und manche rnannehmlichkciten hinweg. Namentlich
drückten ihn auch die trostlosen politischen Zustände in dem Preußen nach
Olmütz, in dem Lande, auf welches er für Deutschland seine Hoffnungen
gesetzt hatte. In Breslau selbst fand er nichts als Zopitum, Schlaffheit und
schlesischen Partikularismus. Auch nach dem Tode des Zaren Nikolaus, als
manche wohlmeinende Personen auf eine Emanzipation Preußens vom russi-
schen Einflüsse hofften, erklärte er, keine Hoffnung auf eine Änderung der
politischen Zustände zu haben, solange Fried rif h Wilhelm IV. regierte. Nichts-
destoweniger nahm er wietler gelegentlich am politischen Leben teil und tat
in Verbindung mit Freunden das Seinige, um entschiedenere Liberale, z. B.
Simson, bei den Wahlen durchzubringen. Schon dies, dazu die Emennang
tarn Ehrendoktor der Philologie in Greifswald bei einer oppositionellen Uni-
versitätsfeier, genügte in Verbindung mit seiner politischen Vergangenheit,
ihm von Berlin aus eine wohlmeinende private Verwarnung vonseiten des
Ministerialreferenten Job. ."Schulze zuzuziehen, die er mit der ebenfalls auf
privatem Wege, durch Reimer, zurückgesendeten Antwort quittierte, daß er
Biogr. Jahrbudi «. D«utfehcr Nekrolog. 9. Bd. 30
466
Mommsen.
sich nie, auch nur durch Stillschweigen, an dem mitschuldig machen werde,
was er aus Uberzeugung mißbillige. Diese Umstände schienen seine von ihm
und von Karl Reimer wie von Haupt in Berlin herbeigesehnte Benifung
nach Berlin weiter in die Feme zu rücken als je. Sachliche Rücksichten
hätten sie entschieden befürwortet Denn M. hatte die Redaktion des Corpus
unter der stillschweigenden Voraussetzung übernommen, daß der Druck nicht
früher beginnen sollte, bevor er in Berlin angestellt sei. Kr arbeitete in den
Brcslauer Jahren außer an der Geschichte hauptsächlich an den Vorarbeiten
für das Corpus^ das ihm immer unendlicher, »tau mere ä boire*^ erschien,
wenn man es nach den strengen GrundsAtxen der Kritik, die er in seinen
Neapolitaner Inschriften angewendet hatte, und nicht nach Boeckhscher Art
machen wollte. Als man ihn nichtsdestoweniger von Berlin aas drängte, mit
dem Dru( ke zu begiinicn, antwortete er mit dem Anerbieten seiner Demission.
Zu gleicher Zeit kam ein Ruf aus München unter günstigen Bedingungen, da
sich namentlich tler König von Bayern für die Berufung M.s interessierte.
M. lehnte nichtsdestoweniger ab, da sich Aussicht auf Beilegung der Krise
im Corpus und Hoffnung auf eine Berufung nach Beriin ergab. Auf einer
epigraphischen Rei.se, die er im Sommer und Herbste nacli Wien, Sieben-
bürgen, Pest, Venedig und dem Frianl unternahm, trat ihn die Nachricht von
seiner Berufung nach Berlin als Akademiker mit einem Gehalte von 1500 Talern
laut einem Erlasse, welchen der Prinz von Preußen am 27. Oktober, also
wenige Tage nadidem er die Stellvertretung seines Bruders übernommen,
vollzogen hatte, dank der nie nachlassenden Zähigkeit Haupts und der Inter*
vention Alex, von Humboldts. Im Frühjahr 1858 siedelte M. nach Berlin
über. Er hatte die l-.mpfindung. jetzt auf einen Posten gestellt zu sein, wo
er eine große Unternehmung mit großen Mitteln durchsetzen konnte und wo
er hingehörte.
Auf diesem Posten hat er noch 45 Jahre lang au^eharrt Aber sdion
als er nach Berlin kam, war seine wissenschaftliche Stellung klar umrissen.
Wenn er sich zu Beginn seiner Wanderjahre seine Ziele gesteckt hatte, so
hatte er in den 14 Jahren, die seitdem verflossen waren, schon alle Funda-
mente gelegt, auf denen er nunmehr das Gebäude der römischen Altertums-
wissenschaft in unermüdlicher Arbeit neu aufbaute. Er selbst hat in weit
späteren Jahren seine Stellung in der Wissenschaft und die Einflüsse, die auf
ihn in seiner Werdezeit eingewirkt haben, in den folgenden Worten zusammen-
gefaßt: »Es ist mir beschieden gewesen, an dem großen Umschwung, den
die Beseitigung zufälliger und zum guten Teil widersinniger, hauptsächlich
aus den Fakultätsordnungen der Universitäten hervorgegangener Schranken
in der Wissenschaft herbeigeführt hat, in langer und ernster Arbeit mitzuwirken.
Die Epoche, wo der Geschichtsforscher von der Rechtswissenschaft nichts
wissen wollte, in der der Rechtsgelehrte die geschichtliche Forschung nur innere
halb seines Zaunes betrieb, wo es dem Philologen wie ein Aliotrium erschien,
die Digesten aufzuschlagen, und der Romanist von der alten Literatur nichts
kannte als das Corpus iuris, wo zwischen den beiden Hälften des römischen
Rechts, dem öffentlichen und dem jjrivaten, die Fakultätslinie durchging, wo
der wunderliche Zufall die Numismatik und sogar die Epigraphik zu einer
Art von Sonderwissenschaft gemacht hatte und ein Münz- oder Inschriftenzitat
auflerhalb dieser Kreise eine Merkwürdigkeit war — diese Epoche gehört der
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Monim>en.
467
Vergangenheit an, und es ist vielleicht mit mein Verdienst, aber vor allen
Dingen mein Glück gewesen, dafi ich bei dieser Befreiung habe mittun
können. Was ich, ausgegangen von ernsten Studien des römischen Privat-
rechts, dabei meinen älteren philologischen Freunden, vor allen Jahn, Haupt,
VVclcker, Lachmann, an innerer Anregung und äuüerer Förderung verdanke,
wie dann das Land Italien mit dem ewig belebenden Atem seines Bodens
und in Italien die Lehre unseres Altmeisters Borghesi, die treue Arbeits-
gemeinschaft mit meinen Freunden Henzen und Rossi befreiend und den Blick
erweiternd auf mich gewirkt haben, das habe ich lebhaft und dankbar immer
empfunden, wo ich in die Lage kam, mir zu vergegenwärtigen, was ich gefehlt
und was ich recht getan.« . . .*7)
Allerdings beziehen sich diese Worte auch schon auf die gewaltigen Werke
der zweiten Hälfte seines Lebens. Aber so gewaltig sie sind, so waren sie
doch nur die Ausführung jener genialen Intuition in bezug auf Kritik und
Rekonstruktion, zu der nur gelangen konnte, wer sich schon frühe wie M.
eine zentrale und universale Stellung zum Gesamtgebiete seiner Wissenschaft
erobert hatte, wie sie in der Römischen Geschii htc zum Ausdrucke kommt.
in. Die römische Geschichte. Welciier Zufall die Veranlassung
dazu war, dafi dasjenige Geschichtswerk des 19. Jahrhunderts entstand, das
zum eisernen Bestände der Weltliteratur wurde, erzählt M selbst in einem
Briefe an G. Freytag Wissen Sic, wie ich dazu gekommen bin, die römische
Geschichte zu schreiben? Ich hatte in meinen jiniuen Jahren alle möglichen
anderen Dinf^c im Sinn, Bearbeitung des Kunisi lun K riminalrechts, Heraus-
gabe der römischen Legalurkunden, allenfalls ciu i'andektenkompcndium,
aber dachte an nichts weniger als an Geschichtschreibung. Da traf mich
die bekannte Kinderkrankheit der jungen Professoren, dem gebildeten Leipzig
zu gegenseitiger Belästigung einen \'ortrag über irgend etwas zu halten, und
da ich eben an dem (thorischen) .\ckergesetz arbeitete und mit diesem
selbst doch bei meiner künftigen Frau mich allzu sc hlecht eingeführt haben
wurde, so hielt ich einen politischen Vortrag über die Gracchen. Das Publi-
kum nahm ihn hin, wie ähnliche Dinge auch, und ergab sich mit Fassung
darein, von dem berühmten Brüderpaar auch femer nur eine dunkle Ahnung
zu haben. Aber unter dem Publikum waren auch K. Reimer und Hirzel
gewesen, und zwei Tage darauf kamen sie zu mir und fragten mich, ob ich
ihnen nicht für ihre Sammlung eine römische Geschichte schreiben wollte.
Nun war mir das zwar sehr überraschend, da mir selbst diese Möglichkeit
noch nie in den Sinn gekommen war, aber Sie wissen ja, wie es in jenen
Jahren der Wirren und Irren herging, jeder traute sich alles zu, und wenn
man einen Professor neckte: wollen Sie nicht Kultusminister werden ? so sagte
er gewöhnlich zu. So sagte ich denn auch zu, aber ich sagte es doch auch
mit darum, weil jene beiden M.änner mir imponierten, und ich dachte: weim
die dir das zutrauen, so kannst du es dir selber auch zutrauen. Wer von
ihnen beiden den Gedanken gefaßt hat, weiß ich nicht, und wenn ich es
wflfite, würde ich es nicht sagen. Sie wissen, wie grundverschieden die
beiden Persönlichkeiten auch waren, in ihrem Wirken und Schaffen schieden
wir die Weidmänner nicht .... Das aber möchte ich, daß Sie dem Publi-
kum sagen: wenn es richtig ist, wie ich es ja wohl glauben muß, daß mein
Geschichtswerk dankbare Leser gefunden hat, so gehört ein guter Teil des
30»
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468
Mommscn*
Dankes, vielleicht der beste, den beiden Männern, die mir diese Aufgabe
gesetzt haben.« Im Oktober 1849 schreibt M. an Henzen, daß er bich vor-
linfig in das Studium der Kaisergeschichte vertieft habe, und im Juni 1850
heifit es in einem Briefe an denselben: »Ich habe teils meiner Snbnstenz
wegen, teils weil die Arbeit mich sehr anmutet, zugesagt und wirklich an-
gefangen, eine lesbare, ni( ht allzu ausführliche römische Geschi< hte — Dar-
stellung, nicht l'ntersuchung — zu schreiben. Zu solchen Arl)eiten ist es
wahrlich hohe Zeit; es ist mehr als je notig, die Resultate unserer Unter-
suchungen einem größeren Kreise vorzulegen, um uns nicht gftntlich vom
Plata verdrängen zu lassen.« *9) Der Plan hatte aber noch keineswegs alle
Fihrlichkeiten überstanden. Als M. im Sommer 1851 schon an dem Ent-
würfe eifrig arbeitete, aber »gedrückt durch die unendliche Schwierigkeit
des Unternehmens« an sich verzweifelte, wendete sich Prof. Peter durch
Preller an M., damit dieser ihm für seine römische Geschichte in drei Bänden
einen Verleger verschaffe; M. schlug ihn als Ersatzmann für sich vor, erhielt
aber vcm den »Weidmännern« einen Korb. Dann war es aber auch die
materielle Lage des suspendierten und disziplinierten Professors, die M. zum
Ausharren zwang. Er nahm einen Vorschufi von 350 Tlr. auf das ausbe-
dungene Honorar, und K. Reimer, der bei der Teilung der Weidmannschen Buch-
handlung den Kontrakt über die römische Geschichte übernommen hatte
(Ende 1^52), steigerte freiwillig das ausbedungene Bogenhonorar auf 15 Tlr.
Gold fOr die erste Auflage von aooo Exemplaren und auf 10 Hr. Gold für
eine zweite Auflage von 3000 Exemplaren. M., der sich anfangs gegen die
Honorarerhöhung sträubte, erschien diese letztere Bestimmung ganz über*
flüssig, und er war - im Gegensatze zu der Zuversicht des weitbli( kenden
Verlegers der Ansicht, daß sein Buch beim Publikum auf eine schlechtere
Aufnahme zu rechnen haben w;erde als die in derselben Sammlung erschei-
nende griechische Gesdiichte von Curtius, nicht nur wegen der konailianteren
Natur von Curtius, sondern audi, weil es zwar hergebracht sei, die Marathon-
kämpfe zu bewundem, dagegen die römische Geschichte nicht als politisch
indifferent angesehen werde. "Reimer jedoch bliel) hei seinem F.ntschlusse
und war auch ferner der kluge, ruhige und j^raktische lierater und Förderer.
— DaO aber nichtsdestoweniger diese Römische Geschichte nur von M. ge-
schrieben werden konnte, ist nidit nur in dem Sinne richtig, dafi nur ein
Gelehrter von jener senden wissenschaftlichen Stellung der Rechtskunde,
den Monumenten und der Philologie gegenüber, daß nur eine Persönlichkeit
von dem inneren Reichtum und der speziellen Anscliauungsweise M.s sie
schreiben konnte, sondern auch in flem engeren Sinne, daß seine keineswegs
bewußt zum Zwecke der Geschichtschreibung durchgeführten wissenschaft-
lichen Vorarbeiten für Form und Stoffverteilung mitentscheidend geworden
sind. Es ist nicht unwesentlich, dafi ihre Veranlassung die Beschäftigung
mit einem Ackergesetze und mit den Gracchen war, daß sich M. gerade an
der Lachmann-Rudorffschcn .Ausgabe der römischen Feldmesser beteiligte
und durch das Studium der Urkunden des römischen Staates zu der Auf-
fassung der sozialen Entwicklung gefuhrt wurde, welche die Grundlage seiner
Darstellung von der hundertjährigen Katastrophe der römischen Republik
bildet; es ist nicht unwesentlich, daO er sich eingehend mit der. leben<ägsten
Quelle fQr die Agonie des römischen Freistaates, mit den Cicefobtieien»
Mommscn*
469
beschäftigte und, hierin Drumanns Spuren folgend, die lebendige und der
traditionellen Darstellung widersprechende Anschauung von den auf der
politischen Huhne agierenden Persönlichkeiten gewann; und ebensowenig ist
es unwesentlich, daß seine älteren kriminalistischen Arbeiten ihn zum Ver-
ständnisse der zentralen Begriffe des römischen Staatsrechtes, seine sprach-
vergleichenden Studien, zti welchen er zufällig durch seine Beschäftigung
mit dem oskischen Gesetzestexte geführt war, zu einer klaren Auffassung der
ältesten Völkerschichtung in Ttniien, seine numismatischen Arbeiten ihn zur
Anschavinng der Verkehrsverlialtnissc hingeleitet hatten — so daß die Frühzeit
wie die Spätzeit der römischen Republik ihm in einem neuen Lichte erschienen.
Das Werk war ursprünglich auf drei Bände veransdilagt, von denen der
dritte die Geschichte des römischen Kaiserreiches enthalten sollte. Aber die
bisherige Arbeitsri« htung M.s sowohl wie andi*namttitlich das Bewußtsein,
daß eine erschöi)fen(]e Darstellung des Kaiserreiches vor der Sammlung der
lateinischen Inschriften nicht gut möglich sei, ma<hcn es begreiflich, daß
die Ausarbeitung des geplanten dritten Bandes immer mehr in den Hinter-
grund trat, während die Geschichte der römischen Republik M. als ein
Ganzes erschien. Das Brouillon des ersten Bandes wurde in Zürich schon
in den letzten Tagen des Jahres 1852 beendigt, obwohl die Pandekten M.
mehr als ihm für die Einheitlichkeit des Werkes zuträglich erschien, in An-
spruch nahmen. Aber die mit der Schlußredaktion verbundene Abschrift
machte viel Ärger und Arbeit. Die Kapitel über die Literatur, in der er
nicht genügend va Hause tu sein glaubte, sendete er an Ritsehl aar Durch-
sicht. Grofie Überwindung kostete es ihm bei der Abschrift, massenweise
Seitenblicke auf die moderne Zeit, die eigentlich mehr auf die Gegenwart
als auf die Vergangenheit ein Streiflicht warfen, hinauszustreichen, weil, wie
er selbst gestand, sein Herz dieser Dinge voll war. .\n Henzen schrieb er
nach dem Erscheinen des ersten Bandes: »Über den modernen Ton wäre
viel zu sagen. Sie kennen mich genug, um zu wissen, dafi er nicht gewählt
ist, um das Publikum zu kajolieren. Direkte Anspielungen, die sich hundert-
fach darboten, sind durchgängig verschmäht. Aber wollen Sie eins bedenken:
es gilt doch vor allem die .Mten lierabsteigen zu machen von dem phan-
tastischen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums erscheinen, sie
in die reale Welt, wo gehaßt und geliebt, gesägt und gezimmert, phantasiert
und geschwindelt wird, den Lesern versetzen — und darum mußte der Konsul
ein Bürgermeister werden usw. Es mag zu viel geschehen sein; glauben
Sie nicht, dafi ich eigensinnig gegen den Tadel mich opponiere, aber meine
Intention, denke ich, ist rein und richtig; die möchte ich vertreten.« 3*) —
Fr arbeitete sich müde an dem ersten Bande und ließ ihn ohne das l iteratur-
kapitel in die Welt gehen, weil er ungeduldig war ihn abzustoßen und au( h
mit anderen, persönlichen Dingen beschäftigt war. Im November 1853 ging
das Manuskript an Reimer; anfangs Juni 1854, als M. schon verlobt war,
erhielt er die ersten gedruckten Exemplare, mit der Dedikation an seinen
Freund Haupt geziert. Damals arbeitete er schon am zweiten Bande, an der
Darlegung der sullanischen Verfassung, die ihm als eine fler interessantesten,
aber bei dem Mangel an einer Hauptquelle und der Zerstückelung des Quellen-
materiales auch als eine der schwierigsten Partien erschien. Gerade deshalb
dachte er damals auch daran, für »die quellenlose, die schreckliche 2Seit vom
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470
MoiMUSttli
Ende des erhaltenen Livius bis auf Cicero« die Helege in einem eigenen
Bändchen zu geben — ein Plan, der jedoch nicht zur Ausführung gelangte.
Die Literatur der gntccbiBchen Zeit machte ihm abermals Bedenken, weil er
meinte, der Graeea nicht genügend Herr zu sein. Nach mancherlei Unter-
brechung nahm er die Arbeit an Cäsar und Pompeius nach seiner Heirat in
Breslau wieder auf, war sich aber noch im Februar 1855 noch nicht darüber
klar, ob er das Werk bis Actium oder nur bis zur Schlacht bei Fhilippi
fortführen werde. Er arbeitete nun mit der größten Heftigkeit, überarbeitete
sich, um aus der Arbeit heraunnkomm«!, in der er sich nun sdion so lange
bewegt hatte, dafi sie ihm wie eine Zwangsjacke erschien. Am i. April 1855
beendigte er das Bronillon, und im Juni begann der Druck, während M.
noch an dem letzten Teile arbeitete. Aus praktischen Rücksichten erschien
eine Teilung wünschenswert, und so erschien der jetzt sogenannte zweite
Band zu Weihnachten 1855, der dritte Band im Frülijalir 1856, jener den
Züricher Freunden Ludwig und Hitzig zugeschrieben, weil er noch größten-
teils in Zürich konzipiert war, dieser Otto Jahn. — Aber schon war auch
eine neue Auflage von 4 — 5000 Exemplaren nötig geworden. M., der das
Gefühl hatte, daß ihm mancherlei klarer geworden war, als zur Zeit, da er
zu schreiben begann, und daß die letzten Bände genauer und ebenmäßiger
gearbeitet waren als der erste, machte sich sofort mit Freude an die Revision,
obwohl er damals schon wieder tief in den Inschriften steckte. Am meisten
schien ihm in der Darstellung der Anfangsepoche zu ändern, wo er infolge
der hypothetischen und problematischen Natur des Dargestellten immer wieder
einreißen wollte; deshalb wurde das erste Buch wesentlich verändert; ein
Tviteraturkapitel wurde hinzugefügt, wie er es denn überhaupt am liebsten
gesehen hätte, wenn Jahn die Zeit gefunden hätte, die Literatur- und Kunst-
abschnitte für die zweite Auflage kritisch zu lesen, untl wenn Bötticher, nach
dessen »Tektonik« er sich gerichtet hatte, zu bewegen gewesen wäre, die
Abschnitte über die Kunst durchzuarbeiten. Dazu kamen außer der Ver-
wertung der neu aufgefundenen Fragmente des Licinianus seine neueren
Untersuchungen, namentlich über die staatsrechtliche Stellung der römischen
Untertanen, ein tieferes F.ingehen auf die Verhältnisse des Ackerbaues —
zu welchem Zwecke er nicht nur nochmals die römischen Ackerbauschrift-
steller durcharbeitete, sondern sich auch in Schriften über moderne Land-
wirtschaft zu orientieren suchte. Außerdem wurde noch das Werk äußerlich
übersichtlicher gestaltet und eine Karte der römischen Chausseen beigegeben.
Aber vom dritten Buche an sollte alles im wesentlichen beim alten bleiben.
M. versuchte eben nur eine Anzahl schwieriger Fragen, die in der ersten
Bearbeitung entweder ganz beiseite gelassen oder nach der hergebrachten
Meinung besprochen worden waren, nach eigener Untersuchung schärfer und
sicherer zu bestimmen. Die »Prinzipien« sind dieselben gebliebff»^-«<^iHU
daß er allerdings versuchte, den umgehenden Mißdeutungen und Mißver-
ständnissen gegenüber seinen Standj>unkt sc harf zu betonen. Eine solche
Selbstinterpretation, auf die M. selbst den größten Wert legte, ist namentlich
die Einschiebung auf Seite 457 — 59 der 2. Auflage des 3. Bandes, die unver-
ändert auch in die folgenden Auflagen übergegangen ist: i >^ /i^.^^:
»Wohl aber wird es gerade hier am Orte sein, das, was der Geschieht!^
Schreiber stillschweigend überall voraussetzt, einmal ausdrücklich zu fordern
Momnuen.
und Einspruch zu tun gegen die der Einfalt und der Perfidie gemeinschaft-
liche Sitte, geschichtliches Lob und geschichtlichen Tadel von den gegebenen
Verhältnissen abgelöst als allgemeingültige Phrase zu verbrauchen, in diesem
Falle das Urteil über Cäsar in ein Urteil über den sogenannten Cäsarismus
umzudeuten. Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die
Lehrmeisterin des laufenden sein, aber nicht in dem gemeinen Sinne, als
könne man die Konjunkturen der Gegenwart in den Berichten über die Ver-
gangenheit nur einfach wieder aufblättern und aus denselben der jiulitischen
Diagnose und Rezcptierkunst die Symptome uiul Spezitica zusammenlesen;
sondern sie ist lehrhaft emzig insofern, als die Beobachtung der älteren
Kulturen die organischen Bedingungen der Zivilisation Qbeifaaupt, die über-
all gleichen Grundkrftfte und die überall verschiedene Zusammensetzung der*
selben offenbart und statt zum gedankenlosen Nach ihmen vielmehr zum
selbständigen \achschöi>fen anleitet und begeistert. In diesem Sinne ist die
Geschichte Casars und des römischen Cäsarentums, bei aller unübertroffenen
Grotihcit des Werkmeisters, bei aller geschichtlichen Notwendigkeit des
Werkes wahrlich eine schärfere Kritik der modernen Autokratie, als eines
Menschen Hand sie zu schreiben vermag. Nach dem gleichen Naturgesetz,
weshalb der geringste Organismus unendlich mehr ist, als die kunstvollste
Maschine, ist auch jede noch so mangelhafte Verfassung, die der freien Selbst-
bestimmung einer Mehrzahl von Bürgern Spielraum läßt, unendlich mehr als
der genialste und humanste Absolutismus; denn jene ist der Entwicklung fähig,
also lebendig, dieser ist, was er ist, also tot. Dieses Naturgesetz hat audi
an der römischen absoluten Militirmonarchie sich bewährt und nur um so
vollständiger sich bewährt, als sie, unter dem genialen Impuls ihres Schöpfers
und bei der Abwesenheit aller wesentlichen Verwicklungen mit dem Ausland,
sich reiner und freier als irgendein ähnlicher Staat gestaltet hat. Von Cäsar
an hielt, wie die späteren Bücher dies darlegen werden und Gibbon längst
es dargelegt hat, das römische Wesen nur noch äußerlich zusammen und
ward nur mechanisch erweitert, während es innerlich eben mit ihm völlig
vertrocknete und abstarb. Wenn in den Anfängen der Autokratie und vor
allem in Cäsars eigener Seele noch der hoffnungsreiche 'I'raum einer Ver-
einigung freier Volksentwicklung und absoluter Herrschaft \v*altet, so hat
schon das Regiment der hochbegabten Kaiser des julischen Geschlechts in
schrecklicher Weise gelehrt, inwiefern es möglich ist, Feuer und Wasser in
dasselbe Gefiifi zu fassen. Cäsars Werk war notwendig und heilsam, nicht
weil es an sich Segen brachte oder auch nur bringen körnig sondern weil,
bei der antiken auf Sklaventum gebauten, von der republikanisch'konstitutio-
nellen Vertretung völlig abgewandten X'olksorganisation und gegenüber der
legitimen in der Entwicklung eines halben Jahrtausends zum oligarchischen
Absolutismus herangereiften Stadtverfassung, die absolute Militärmonarchie
der logisch notwendige Schluftstein und das geringste Obel war. Wenn ein-
mal in Virginien und den Carolinas die Sklavenhalteraristokratie es so weit
gebracht haben wird wie ihre Wahlverwandten in dem sullanischen Rom, so
wird dort auch der Cäsarismu'^ vor dein Geiste der Geschichte legitimiert
sein;^') wo er unter anderen Entwicklungsverhältnissen auftritt, ist er zugleich
eine i raize und eine Usurpation. Die Geschichte aber wird sich nicht
bescheiden, dem rechten Cäsar deshalb die Ehre zu verkürzen, weil ein
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Mommsen.
solcher \V ahi>prii( h fien schlechten Cäsaren gegenüber die Einfalt irren und
der Bosheit zu IvUg und Trug Gelegenheit geben kaiui. Sie ist auch eine
Bibel, und wenn sie so wenig wie diese weder dem Toren es wehren kann,
sie mifizuverstehen, noch dem Teufel, sie zu sitieren, so wird auch sie im-
stande sein, beifles zu ertragen, wie zu vergüten«.
In dieser inhaltlich wie stilistisch meisterhaften Stelle ist zum Teil in
polemischer Form in der Tat M.s Gesamtauffassung aufs deutlichste nieder-
gelegt für alle, die sehen wollen und nicht blind sind. Dafi er aber miß-
verstanden wurde, zum Verteidiger des modernen Cisarismus, sum Heroen-
verehrer und Erfolganbeter im gewöhnlichen Sinne gestempelt wurde, nidtt
nur vom deutschen und ausländischen Publikum, das durch das Kunstwerk
hingerissen wurde, sondern auch von der gelehrten Welt, welche noch die
Anmerkungen zu dem Kunstwerke vermilite, hatte seine l'rsache nicht nur
in der Darstcllung.sweise, die darauf ausging, nicht den antiken Geist durch
moderne Anschauungen zu ersetzen, wohl aber antike technische Ausdrücke
durch moderne zu veranschaulichen — sondern vor allem auch darin, dafi
M.S durchaus evolutionistische Auffassung in den fünfziger Jahren nur von
wenigen erfaßt werden konnte und rlic Sih!:i<:\vorte, (he für die M.sche
Geschichtsschreibung damals gci)rägt wurden, ohne eingehende Cberprüfung,
wie es zu gehen pflege, von der folgenden Generation übernommen wurden
und um so lieber Übernommen wurden, als sie mit mandhen Mueren politischen
Strömungen übereinzustimmen schienen. Das Große aber in M.s Römischer
Geschichte, wodurch sie für alle Zeiten — ganz abgesehen von der kritischen
I'orscherarbeit und der künstlerischen Gestaltungskraft — einen Markstein in
der Geschi« hfo der Geschicht'^schreibung bilden wird, ist gerade die zum
ersten Male konse«|uent durchgeführte evolutionistische Geschichtsauffassung,
die dazu führte, daü er einerseits die verschiedenen Seiten des Volkslebens
einheitlich und zusammenhängend auffaßte und darlegte, und daß er anderer-
seits die Triebkräfte der Entwicklung historisch-induktiv in einer Weise auf-
zeigte, die vielfach den von Darwin in der Geschichte der organischen Welt
aufgewiesenen analog ist Kr erkennt es als Aufgabe des Geschichtsforschers,
»die sukzessive \'olkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die
Steigerung von der unvollkommenen zu der vollkommenen Kultur und die
Unterdrückung der minder kulturfiUiigen oder auch nur minder entwickelten
Stämme durch höherstehende Nationen so weit möglich rflckwirts zu verfolgen«
(R.G. I, 8). "Die Klemente der ältesten Geschichte sind die Völkerindividuen,
die Stämme« (R.(i. 1, q), und deshalb wird dieser Kampf ums Dasein, wie
man es spater nannte, der zum l l)erleben des Lebensfähigsten führt, an dem
Kampfe der \ülker nachgewiesen. »In dem gewaltigen Wirbel der Welt-
geschichte, der alle nicht gleich dem Stahl harten und dem Stahl geschmei-
digen Völker unerbittlich zermalmt« (R.G. III, 299), gewann das römische
Volk, das diese Eigenschaften in hervorragendem Maße besaß, die Oberhand,
allerdings erst allmälilif h; denn "alle Geschichte geht nicht von der Einigung,
sondern von der Zersplitterung der Nation aus (R.G. I, 40) und »die Geschichte
einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein großer Synoekis-
mos« (R.G. I, 82). Der Ciegensatz der nationalen Zentralisation und der
kantonalen Selbständigkeit ist ein allgemeiner; dem Umstände, daß Rom den
»Einheitsgedanken folgerichtiger, emstlicher und glücklicher festhfllt, als irgend-
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ein anderer italischer C'.aii « , dem System der Zentralisierung hat Rom scino (Iröße
lediglich zu verdanken (K.Cr. 1, loi). Zu dieser Zcntrali.sierung gehört nicht
nur die straffe Zuäummenfasäung der staatlichen Befehlsgewalt im Imperium,
sondern Mch die durch die Gleichheit des Rechtes zuerst in der alten Bauem-
gemeinde, dann in der Verschmelzung der plebeischen NeubOi^er mit den
Altbürgern sich ausdrückende Gemeinsamkeit und Einheitlichkeit der ches
Roniani, sowie >die tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles
Gute und Große in der menschlichen Entwicklung sich gründet« (R.G. I,
324; vgl. 259). In der römischen Gemeinde war alles, »was gut und groß,
das Werk der bürgerlichen Gleichheit« (R.G. 1,812). »Die große nationale
Entwicklung« war aber »überall eine Tochter der Not«, da »den Nationen
die Ausgestaltung des Volkstums nur aus schwerem Kamp! und wohlbe-
standener Gefahr erwächst« (R. und A. 123); so wurde der Volksstamm der
Kelten »wie der Erbfeind, so auch der unfreiwillige Begründer der itali-
schen Nationalität« (R. und A. 321); denn daß in dem Kampf mit den
Kelten »Rom die Führung nahm, das ist der Ausgangspunkt der römischen
Hegemonie oder des römischen Reiches oder des geeinigten Italiens« (R. und
A. 137). In dem schwersten Kampfe, den Rom su bestehen hatte, ist sein
grofier Gegner Hannibal nicht etwa an der Genialität römischer Feldherren,
sondern an der (Vganisation dos römisch-italischen Gesaintreiches gescheitert,
an dem römischen Hurgersinne und dem ZusaininengehorigkeitsgefUhl der
Bundesgenossen, das von M. dem Vögte- und Plantagensystem der Karthager
gegenübergestellt wird (R.G. I, 499). Die Umgestaltung der sozialen Ver-
hültnisse» das durch den Gegensatz der antiken Stadtverfassung und der Welt«
herrschaft bedingte Abweichen von der politischen Grundrichtung, die damit
zusammenhängende Entwicklung einerseits der Demagogie und andererseits
des übermächtigen Prokonsulates führten zu dem Endresultate des Cäsaris-
mus, den M. nicht idealisiert, aber begrihen hat.
Mit M.S evolutionistischer Grundautfassung hängt auch sein historisches
Werturteil zusammen. »Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der
Freiheit, ist ein sittliches Problem«, nicht ein mechaniscbes (R.G II, 451). 3^) Von
Kants Freiheitsbegriff und der Auffassung des Gesetzes als sittlicher Notwendig-
keit (R.G. III, 205) ausgehend, glaubte M. von früher Jugend bis in sein Alter
»an den notwendigen endlichen Sieg des Kdlen über das Gemeine« (R. und
A. 89), welcher sich in dem historischen Prozesse vollzieht. Da »das ethische
Fundament schliefllich die Entscheidung gibt« (R. und A. 193) und die Ethik
ein gesellschaftlicher Begriff ist, der sich im Staate ausdrückt, werden die
Menschen nicht in Schlosserscher Art abgekanzelt, sondern in die gesellschaft-
liche und staatliche ^Entwicklung hineingestellt und aus ihr heraus begriffen,
nach ihrem \'erhältnisse zu dieser Entwicklung beurteilt. Deshalb erscheint
Cäsar mit seinen Vorgängern seit Gaius Gracchus als historisch durchaus
gerechtfertigt, weil er der grofle »Werkmeister« eines historisch notwendigen
Werkes war; weil er, »wo er zerstörend auftrat, nur den ausgefftllten Spruch
der geschichtlichen Entwicklung vollzogen« hat (R.G. III, 567); weil »sein
mächtiges Ideal: eines freien Gemeinwesens unter einem Herrscher — ihn nie
verlassen« hat (K.G. III, 21 1). Aber nicht die persönliche Größe entscheidet
für M. das historische Werturteil. Bei dem politischen Gegenpol Casars, bei
Sulla »einer von den wunderbarsten, man darf vielleicht sagen einer einzigen
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Erscheinung in der Geschichte * (R.G. II, 366), dem \'ertreter der römischen
Oligarchie, »über die es kein Urteil gibt, als unerbittliche und rücksichtslose
Verdammung«, stellt M. ausdrflcklidi fest: »Das von der Genialität des
Bösen bestochene Lob venQndigt sich an dem heiligen Geist der Geschichte«
(R.G. II, 571), wenn er auch rQckhaldos anerkennt, was Sulla trotz allem
geleistet hat.
Aus seiner cvolutionistischen Auffassung aber ergibt sich für M., obwohl
er von Kant ausgegangen ist, eine Ablehnung jedes absoluten, nicht der
Geschichte entnommenen Mafistabes, sowie die Verachtung der sdir weit ver-
breiteten sozusagen kriminalistischen, formal-juristischen Beurteilung histori»
scher N'orgänge. »Für die Geschichte gibt es keine Hochverratsparagraphen;
wer eine Macht im Staat zum Kamj)f aufruft gegen die andere, fler ist
gewiß ein Revolutionär, aber vielleicht zuj^leich ein einsichtiger und preis-
würdiger Staatsmann« (R.G. II, 93); über nichts ergießt er so bitteren Spott,
wie über die Legitimisten aller Art. »Wenn eine Regierung nicht regieren
kann, hOrt sie auf legitim zu sein und es hat wer die Macht auch das Recht,
sie zu stQtzen«; in diesem Falle ist die »aus der sittlichen EmpOrung der
Tüchtigen und dem Notstande der Vielen« heraufbeschworene Revolution
legitim (R.G. III, 93)- —
Mit M.s Gesamtauffassung würde es sich nicht vertragen, wenn er in
der l'at, wie wohl mit Hinblick auf seine glänzenden Charakteristiken der
Scipionen und Gracchen, des Marius und des Sulla, des Cicero, Cato, Pom-
peius, wie Cäsars selbst, behauptet wurde, die grofie ElnzelpersOnlichkeit als
das eigentlich Treibende, Schöpferische angesehen hätte. Zusammenfassend
hat sich M., während er an seiner Römischen Geschichte arbeitete, in seiner
Schrift »Die Schweiz in roniisi lur Zeit über chis Problem ausgesprochen:
»Die rechte Ge.schichtsschreibung sucht nicht in möglicher Vollständigkeit
das Tagebuch der Welt wiederherzustellen, auch nicht den Sittenspiegel zu
exemplifizieren; sie sucht die Höhen und die Oberblicke, und von glück-
lichen Punkten in glücklichen Stunden gelingt es ihr hemiederzusehen auf
die unwandelbaren (besetze des Notwendigen, die ewig feststehen, wie die
AI|HMi, und auf die mannigfaltigen Leidenschaften der Menschen, die wie die
Wolken um sie kreisen, ohne sie zu ändern«. 33) Allerdings »das Moment der
sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte« und darf »auch in der
romischen nicht ungestraft verkannt« werden (R.G. 11,451), wenn auch gerade
das römische Volk »das einzige Problem gelöst hat, sich zu beispielloser
innerer und äußerer (}röße zu erheben, ohne einen einzigen im höchsten
Sinne genialen Staatsmann«. Aber M. ist auf dem Standpunkte geblieben,
den er in seinem Gymnasialaufsatze dargelegt hatte, oder hat sogar dem
Milien in seiner R.G. noch größeren Einfluß zugeschrieben, als in seiner
Jugend. Er sagt von Sulla: »Der Staatsmann baut nur, was er in dem ihm
angewiesenen Kreise bauen kann« (R.G. II, 373) und von Cäsar: »Es gehört
dies mit zu Casars voller Menschlichkeit, daß er im höchsten Grade durch
Zeit und Ort bedingt ward; denn eine Menschlichkeit an sich gibt es nicht,
sondern der lebendige Mensch kann eben nicht anders als in einer gegebenen
Volkseigentümlichkeit und in einem bestimmten Kulturzug stehen. Nur da-
durch war CAsar ein voller Mann, weil er wie kein anderer mitten in die
Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte und weil er die kernige Eigen-
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Mommsea.
475
tümlichkeit der römischen Nation, die reale bürgcrlit hc Tüchtigkeit vollendet
wie kein anderer in sich trug; wie denn auch sein Hellenismus nur der mit
der italischen Nationalität längst imiig verwachsene war« (K.G. III, 468).
M.S Interesse hängt darum auch eigentlidi nicht an dem »besonderen Ereignis,
dem individuellen Menschen, wie wunderbar sie auch erscheinen mOgen«,
sondern an der »genetischen Konstruktion« (R.G. II, 451) und eine authenti-
sehe AufJtTung, die er während der Niederschrift des III. Bandes getnn hat,
geht dahin, daiJ dieser Prozcü Cäsar gegen Pompeius, der Prätendentenkampf,
wo nicht Nation gegen Nation streitet, unsäglich öde sei. Allerdings ist es
aber auch M.s Überzeugung, daß der gewöhnliche Mensch zum Dienen bestimmt
ist und sich nicht sträubt Werkzeug zu sein, wenn ein Meister ihn lenkt (R.G.
III, 377). Wenn er deshalb auch die »freie und gemeinschaftliche Bewegung
der Massen nach dem als zweckmäßig erkannten Ziel« als das anerkennt,
was die Übclstände des Parteilebens vergütet (R.G. II, 71), so weist er doch
der Intelligenz die Führung zu (R.G. II, 94). Deshalb könne »nur der Angster-
ling und wer mit der albernen Angst der Menge Geschäfte macht, den Unter-
gang der bfirgerlichen Ordnung in Sklavenaufetänden oder Proletariatsin-
suirektionen« prophezeien (R.G. II, 79; vgl. III, 471), wenn auch »die Aufgabe,
das Proletariat zu beseitigen, die ganze Ma^t und Weisheit der Regierung
erfordert und zu oft übersteigt« : deshalb sei jede bloß auf das Proletariat
gebaute Herrschaft des Staatsoberhaupts unsicher (K.G. II, 108; vgl. 204).
Auch sonst fehlt es natürlich nicht an politischen Urteilen allgemeiner Art;
es ist für M. selbstverständlich, dafi »schöpferisch . . . unbedingt und ausschliefi-
lich die Freiheit« ist (R.G. III, 333); daß, wenn »eine absolute Monarchie
ein grofles UnglQck für die Nation« ist, so doch ein »minderes als eine ab-
solute Oligarchie (R.G. II, 115); daß eine gewisse Erblichkeit in dem Wesen
der Aristokratie liegt, insofern staatsmännische Weisheit und staatsmännische
Erfahrung von dem tüchtigen Vater auf den tüchtigen Sohn sich vererben
und der Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschen-
brust rascher und herrlicher zur Flamme entfacht« (R.G. I, 789); ein gewisser
Hohn richtet sich gegen die Männer der materiellen Interessen, gegen das
Kay)ital, das seinen Kampf gegen die Arbeit »natürlich wie immer in strengster
f orm Rechtens« (R.G. II, 74) führt, wenn auch gerade M. nicht verkennt,
daü die Tenden/politik einem Kampf gegen die materiellen Interessen selten
gewachsen ist (R.G. III, 170). —
Dafi M., der Pompeius vorwarf, dafi er zwar »nicht grausam war, wie
man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im guten wie
im bö.sen ohne Leidenschaft * (R.G. III, 11), 34) die Geschichte, die er schrieb,
innerlich miterlebte mit aller Leidenschaft, deren er fähig war, ist selbstver-
ständlich; er wäre sonst kein großer Historiker geworden. Kr hat es auch
— in Entgegnung einer Besprechung von Preller — ausgesprochen, daß es an
der Zeit sei, dafi diejenigen, welche, wie er, Geschichte miterlebt hatten und mit-
erlebten, jenes tönchte sine ira et studio beiseite legten und anfingen zu begreifen,
dafi Geschichte weder gemacht noch geschrieben wird ohne Haß und Liebe,
Und deshalb ist richtig, was Gutzkow 35) in einer Besprechung, die M. als ge-
scheiter als ziemlich alle anderen l)ezeirhnetc, schrieb: »Mommsen lebt in seinem
Werke«; »M. schwebt nicht, wie der Geist über den Wiissem, über dem politi-
schen Treiben; er ist mitten darin — und mit welcher LeidenachaftI« Richtig
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476
MCMDlDSm.
ist aber auch, was derselbe sagt: M. berücksichtigt nicht bei seinem l'rteil allein
die Moral der zehn Gebote und des bürgerlichen Friedens, welche die Heidel-
berger Historiker als den 2^11stab der GrOfle gebrauchen; er ist ein Staats-
mann . . .« Das soll aber nicht lusifien, dafl M. seinen Parteistandpunkt in die
Geschichte hineingetragen hätte. Der Parteistandptinkt, für den er sich leiden-
schaftlich erwärmt, ist vielmehr das, wr\s er mit einem Lieblin^^sansdruck als
den ''heiligen Geist- tler Ge^rhi< hte seihet l)L'/ei(hnet, eine \'or^tellung, die
allerdings von der kantischen vernunftgenialien Freiheit ausgegangen, aber
durch das Medium des Entwicklungsgedankens hindurchgegangen ist. —
Das unvergleichliche Buch, das ein nationaler Schatz des Deutschen und
durch die zahlreichen (Übersetzungen ein Bestandteil der Weltliteratur ge-
worden ist, ist ein in sich abgeschlossenes, auf sich beruhendes Kunstwerk.
Deshalb bewahrte auch M. ein richtiges Gefühl davor, es in den späteren
Auflagen in irgendwie wesentlicher Weise zu verändern; wenn er auch einzelnem
nach den positiven Resultaten neuerer Forschung veifoesserte, eingreifend waren
diese Änderungen nicht. Man hat wohl mit Recht hervorgehoben, dafi seine
Darstellung der älteren republikanischen Geschichte noch stärker unter dem
Finfliisse des Livins steht, als es der Fall gewesen wäre, wenn er sie nach
den l nttrsurhunf:en über den <^>uellenwert Diodors geschrieben hätte; auch
sonst hat er ja selbst in den be>onders feinen Untersuchungen, die er in den
beiden »Römische Forschungen« genannten Sammelbänden zusammenfafite,
in den beiden Dezennien von 1858 bis 1878 Ergänzungen und Veihesserungen
zu seiner Römischen Cleschichte geliefert Sie waren nicht so einschneidend
wie diejenigen, welche sich für die erste Hälfte fies ersten Randes ergeben
hätten, wenn er die Entwicklung der Sprarln ergleichung in der zweiten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, der Prähistorie, deren Anfängen er mit
wohl berechtigtem Mißtrauen gegenüberstand, und wohl auch der wirtschafts-
geschichtlichen Betrachtungsweise nachträglich hätte berücksichtigen wollen«
Er hat es :ibsirhtlich nicht getan, um die Einheit des literarischen Kunst-
werkes nicht dur<h eine Restaurierung zu gefährrlen. Der zweite und dritte
Band haben auch im engeren wissenschaftlichen Sinne kaum darunter gelitten,
dali er nicht an ihnen herumänderte; sie wirken nicht nur mit der gleichen
unverglmchlichen Frische, wie vor einem halben Jahrhundert — die Forschung
dürfte hier, wo keine wesentlichen neuen Erkenntnisquellen hinzugekommea
sind, in wenigen Punkten über seine Gesamtresultate hinausgekommen sein.
Aber auch wo die wissenschaftliche Forschung mit der Zeit mehr er-
gänzen als berichtigen wird, darf nicht vergessen werden, welche ungeheure,
nahezu einzigartige Fors( hertätigkeit, der »Römischen Geschichte zuijruiule
liegt , eine Forschertätigkeit, welche man nur dann voll ermessen kann, wenn
man vergleicht, was vor M. für römische Geschichte ausgegeben wurde.
Dadurch, daß er erkannte, dafi es sich bei der uns vorliegenden Tradition
großenteils nicht eiimial um Sagen, sondern um späte literarische Fabdei
handelte, konnte er entschlossen den ganzen Wust verwerfen und auch von
den Nicbuhrschen Konstruktionen absehen. Andererseits bot er aber an
Stelle einer Aneinanderreihung von nicht nur unrichtigen, sondern sogar
künstlichen und zu falschem Pragmatismus verwebten l^nzeltatsadien ein
Gesamtbild des älteren Rom, das aus der reinen Quelle der Staats- und
privatrechtlichen Institutionen erwuchs, die, unverfälscht, in ihren Rudimenten
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Mofuinsra»
477
die Spuren der älteren Entwicklung in sich trugen. Diese Methode, zwei
Dezennien später im Staatsrecht ■ zur vollen Entfaltung gebracht, bleibt die
Grundlage auch zukünftiger Forschung', auch wenn und gerade weil sie auch
auf anderen Gebieten zur Anwendung kommt. —
Schon wahrend der Arbeit am ersten Bande hatte M. es eigentlich auf-
gegeben, die Kaiserseit im unmittelbaren Anschlüsse an die Geschichte der
Republik darzustellen, es mußte ihm schon (hunals klar sein, daß die von ihm
erstrebte Sammlung und Verarbeitung des inschriftlichen Materiales der Dar-
stellung vorangehen müsse. Nach dem Abschlüsse der drei ersten Bände
aber, als er schon mitten in den Corpusarbeiten steckte, äußerte er sich, daß
er, wenn ihn nicht ein Menschenfreund pensioniere oder er einmal wieder
abgefaßt werde, er nicht sehe, wie er wieder an dies Buch kommen solle,
um es fortzuführen; er meinte, es werde eben, wie jedes andere deutsche
Geschichtswerk, ein Stückwerk bleiben. Hirschfeld aber berichtet, daß er es
nicht lange vor seinem Tode ausgcsj^rochen hat, daß er dem Corpus Inscrip-
ttonum die \ olIendung seiner Römischen Geschichte geopfert habe. 5^) Nach
seinem sechzigsten Geburtstage versendete er als Dank für die ihm dar-
gebrachte Festschrift cwei Abhandlungen zur römischen Kaisergeschichte, die
er scherzhaft als IV. Band der Römischen Geschichte bezeichnete und denen
er als Motto die Worte beisetzte: »Gerne hätt' i(h fortgeschrieben — Aber
es ist liegen blieben .57) In seinem Nachlasse aber fanden sich einige Skizzen
aus späterer Zeit zu einer Darstellung einzelner Kpisotien und Probleme der
Kaisergeschichte, so über das erste Auftreten des Christentums, über die
Beamtenaristokratie, die Ereignisse unmittelbar nach Cftsars Tod.^ M. hat
namendich durch den II. Band seines Staatsrechtes, durch die itRts gtsütt
D. Augusti<f^ und mancher Einzelabhandlungen, in welchen das ganze neue
Material verwertet und verbunden wurde, auch für die eigentliche zentrale
Kaisergeschichte erst die wissenschaftlirlu' (Irundlage geschaffen. Kr setzte
jedoch mit der Darstellung nicht hier wieder ein, sondern im Jahre 1885
mit einem V. Bande: »Die Provinzen von Cflsar bis Diokletian«, der in der
Tat nur von ihm und überhaupt nur geschrieben werden konnte, nachdem
durch die Inschriften rlie römische Welt außerhalb Roms, die durch die
Traditon so sehr vernachlässigt ist, bekannt gcwortien war. M. sagt es in
der N'orbemerkung: »Was hier gegeben winl, die Geschichte der einzelnen
Landesteile von Cäsar bis auf Diokletian, liegt, wenn ich nicht irre, dem
Publikum, an das dieses Werk sich wendet, in zugänglicher Zusammenfassung
nirgends vor, und daß dies nicht der Fall is^ scheint mir die Ursache zu
sein, weshalb dasselbe die römische Kaiserzeit hftufig unrichtig und unbillig
beurteilt Wenn auch diese Aufgabe ganz neuartig gestellt und ganz neu-
artig gelöst war, wie sie sich eben .VI. aus der Inschriftenarbeit ergeben hatte,
wenn auch einer der kompetentesten Beurteiler nicht ansteht, »diesen Band
an wissensdiaftiidier Bedeutung und Ffille neuer Resultate noch über seine
Vorgänger zu stellen«,39) so ist nichtsdestoweniger wenigstens die erste Hflifte
des Satzes richtig, mit dem M. die Einleitung abschliefit: »Mit Entsagung
ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung möchte es gelesen sein. Diese
Entsagung legte der Stoff selbst auf, weim er auch lebendig wird unter der
Hand M.s, der es versucht, »durch diese oder durch jene zufällig erhaltene
Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren de* Werdens, allgemeine
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478
Mommsen.
Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen I.andesteile, mit den für
jeden derselben durch die Natur rles lindens und der Bewohner gegebenen
Bedingungen durch die Phantasie, weiche wie aller Poesie so auch aller Historie
Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen so-
sammenzu&ssen.« Die Schilderung der griechischen Provinzen, Syriens und
Judäas sind gewiß Meisterwerke, aber sie sind etwas ganz anderes, als was
die drei ersten Bände sind, an die sie eigentlich nur äußerlich angegliedert
wurden, l'nd es ist nicht zu verkennen, daÜ auch M. in den 30 Jahren
ein anderer geworden war. Man konnte nicht mehr behaupten, wie Gutzkow
von ihm, wenn auch stark übertreibend, gesagt hatte: »Die Geschichte ist
bei M. eine augenblickliche, geistvolle, dSmonische Improvisation« ; es waren
jetzt auch die Worte grodenteils vermieden, an denen sich die Pedanten
gestoflen hatten; es war gewiß ein noch reiferes, klassischeres Werk als die
ersten Bände. Kben deshalb aber, weil es eine (Iahe für Feinschmecker war.
riß es auch nicht mehr so hin. M. hatte Unrecht, von einem sutci's if estime
seines 5. Bandes zu sprechen, aber der Erfolg war in der Tat ein ganz
andersartiger, als vor 30 Jahren.
Er war schon an den 5. Band zagend herangetreten, zweifelnd, ob er
der darstellend -schöpferischen Arbeit noch fftbig sei, und hatte in seiner
Beschci<!onheit einzelne Abschnitte seinem Schwiegersöhne Prof. v. Wilamo-
witz übergeben, um ein oltem s tai hin.iniiisches und künstlerisches l'rteil zu
erhalten, von dem er die Publikation abhängig machte. Vollends nach dem
5. Bande, als er ungezählte Male nach den 4. Bande gefragt wurde und mit
ungezählten abwehrenden Bemerkungen antwortete, war seine Gnindstimmung
die, welcher er einem Kollegen gegenfiber An 1 huck gab: »Ich habe nicht
mehr die Leidenschaft, Casars Tod zu schildern«. 4") Wold ist es richtifi, daß
auch mancherlei andere Krwägungen dieser Stimmung /u Hille k.mKu — daß
er in dem 4. Bande weniger eine wissenschaftliche Notwendigkeit erblickte,
weil wenigstens die Greschichte Roms und des Hofes, auch durch seine anderen
Arbeiten die Verfassung verhftltnismftfiig besser bekannt waren, als die Pro-
vinzen; daß ihm selbst des Tacitus großartig-maniricrte Schilderung, die doch
die (Grundlage aller Kenntnis der stadtrömischen Dinge im ersten Jahrhundert
ist, sehr unsympathisch war; daß ihm schließlich, wenn er auch selbst einige
der wichtigsten Punkte, namentlich die Stellung des Staates zu den Christen,
zuerst aufgehellt hat und er insbesondere in seinen letzten Jahren durch seine
spätrOmischen Studien in die Kirchengeschichte hineingeführt wurde, zwar
keineswegs das Verständnis für die Entstehung und Entwicklung des Christentums
fehlte, obwohl er sich selbst einen ^liomo m'niime eccksiast'u'us<i nannte, wohl aber
die Freude an der Darstellung der Zersetzung unfl Krsetzung des antiken durch
den nazarenischen Geist. Wenn er in den Sech/igerjahren an die Fortsetzung
der Geschichte geschritten wäre, hätte er all' diese Hemmnisse überwunden.
»Aber es ist liegen blieben.« Er hat dem, was er fttr die erste wissenschaft-
liche Pflicht ansah, das höchste Opfer, seine besten Jahre dargebracht, indem
er das Werk, welches sein größtes Kunstwerk, also sein Individuellstes, war,
unvollendet zurückließ. Allerdings konnte er sich sagen, daß die Römische
Ge.schichte auch in ihren drei Händen sich zu einem Ganzen rundete, und tiaß er,
indem er sich an die Spitze und in den Dienst von großen gemeinschaftlichen
Unternehmungen stellte, diesen den Stempel seiner Individualitit aufdrückte.
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MbWIlHtliHi
479
IV. M. als Akademiker und wissenschaftlicher Organisator.
M. ist aK Akademiker nach Berlin berufen worden. Daß er diesen Ruf
wahrlich nicht als Ruf auf einen Ruheposten betrachten konnte, legte er in
seiner Antrittsrede am 8. Juli 1858 vor der Versammlung seiner neuen Kollegen
dar, mit denen sich im Laufe der Zeit die bedeutendsten Gelehrten Deutsch*
lands zusammenfanden. »Den Platz in Ihrer Mitte, meine Herren, verdanke
ich zunächst dem großen wissenschaftlichen Unternehmen, wovon Sie einen
wichtigen Teil in meine Hand zu legen für gut gefunden haben; und wenn
ich in Ihrem Beschlüsse mich den Ihrigen zu nennen eine ernste Auf-
forderung finde, dieser Ehre auch wert zu sein, so ist mir zugleich durch
Sie eine bestimmte Aufgabe gestellt worden« .... Nach dem Hinweise
auf die notwendigen Vorarbeiten, welche durch die Namen Niebahr nnd
Savigny gekennzeichnet sind, und auf das griechische Corpus als den Vor-
läufer des Lateinischen legte er dar, in welchem Sinne er die ihm gestellte
oder richtiger von ihm ennählte .\ufgabe erfaßte. »Große F'rfolge werden in
jeder Wissenschaft nur dem Ernst und dem Geist des einzelnen Arbeiters ge-
lingen und lassen sich nicht durch Akademiebeschlüsse erzielen; wohl aber
vermögen sie es dem Talent und selbst dem Genie die Stätte zu bereiten,
ihnen die Materialien zurechtzulegen, deren sie bedürftig sind. In diesem
Sinne fasse i<'h meine Aufga!>e und hoffe ich sie von Ihnen aufgefaßt zu
sehen. Es ist die Grundlej^'unj; tk-r historischen Wissenschaft, daß die .\rchive
der Vergangenheit geordnet werden. In der Abteilung, tiie Sie mir und
meinen Mitarbeitern übertragen haben, hotten wir Ordnung zu stiften und
einen guten Katalog herzustellen« (R. u. A. 34 ff.)' — In diesen Worten ist
aber auch die hohe Aufgabe eingeschlossen, die M. den Akademikern fiber^
haupt zuschrieb. »Abhilfe kann für (die) wie der Wurmfrafi an der Wissen-
schaft haftende Kraftverschwendung nur gefunden werden in der Assoziation ;
denn dies ist ja die Organisation der Arbeit und die Konzentrierung der
individuellen Kräfte« (R. u. A. 46). Sie allein bietet die Ergänzung zu der
durch die Arbeitsteilung bedingten Einengung des Arbeitsgebietes des einseinen
Forschers, das Gegengewicht gegen das Sonderstreben des deutschen Gelehrten,
durch das Bewußtsein, das Glied eines großen Ganzen zu sein« (vgl. R. u. A.
67. 116). -^.Auch die Wissenschaft hat ihr soziales Problem; wie der Groß-
staat und die Ciroßindustrie, so ist die Großwissenschaft, die nicht von Einem
geleistet, aber von Einem geleitet wird, ein notwendiges Element unserer
Kulturentwicklung, und deren rechte l'räger sind die Akademien oder sollten
es sein« (R. u. A. 209). Da aber diese Aufgaben die KrSfte des einzelnen
Mannes und der lebensfähigsten privaten Assoziation übersteigen, müsse der
Staat die Geldmittel durch sein berufenes' Organ, die Akademien, zur Ver-
fügung stellen (R. u. A. 47). Dieser klare Einl)lick in den Gesamtbetrieb der
Wissenschaft fügte sich in M.s Gesamtauffassung vom Verhältnisse der Wissen-
schaft zum Staate und zur Regierung, »die nicht vergessen kann, dafi Preußen
grofi und deutsch geworden ist auf den Wegen und durch die Macht des
Geistes«. In seinem Anteile an der Gesamtarbeit getröstete er sich für das,
was er aufgab. »Die Menschen kommen und gehen; die Wissenschaft bleibt.
Wer an akademischer Tätigkeit sich l)eteiligt hat, der darf der Hoffnung
sich getrösten, daß, wenn er die Arbeit niederlegt, ein anderer für ihn ein-
tritt, vielleicht ein Geringerer, vielleicht ein Besserer; immer hat er das
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48o
Monuiiscii*
Privilegium, mehr als andere mit seiner Arbeit über seine Spanne Zeit hinaus
zu wirken (R. u. A. 156).
M. aber hatte die Genugtuung, das gewaltige Werk des C. J. Z., das
Werk seiner pflichtbewuftten Resignation, nach halbhundertjähriger organi-
satorischer und kritischer Arbeit in der Gestalt nahem vollendet zu sehen,
die er ihm vorgezeichnet hatte. Als Zweck des C. /. Z. hatte er schon in
seiner Denksdirift von 1847 definiert: »die sämtlirheji lateinischen Inschriften
in eine Sammlung zu vereinigen, sie in bequemer Ordnung /.usanmienzustellen,
dieselben nach Ausscheidung der falschen Steine in einem möglichst aus den
lebEten zugänglichen Quellen genommenen Text mit Angabe erheblicher
varkttK UcHoms kritisch genau wiederzugeben und durch genaue Iiußus den
Gebrauch derselben zu erleichtem«. Die Hauj)tarbeit lag, da »alle Kritik
ohne Zurückgehen auf die letzten Quellen Stückwerk ist«, einerseits auf der
Autopsie, andererseits auf der genauen Durchforschung der schier unüberseh-
baren Literatur und namentlich der in den verschiedensten Bibliotheken zer-
streuten epigraphischen Manuskripte. Die Klarheit, mit welcher M. den Stoff
Überblickte, ermöglichte ihm von vornherein sowohl die musterhafte Organi»
salion der Arbeit selbst durchzuführen, wie auch das Werk selbst so anzulegen,
wie es für den Gebrauch am praktischsten war. Sowohl für die Arbeit wie
für die spätere Benutzung stellte sich immer deutlicher die geographische
Anonlnung als die wünschenswerte heraus, und von vornherein wurde auch
der größte Wert gelegt auf die von Nichtsachverständigen wenig gewürdigte
Herstellung der IndiceSf zu welcher tiefgehendes Verstindnis notwendig war
und durch welche das Werk erst brauchbar wurde; ebenso wie in seinen
späteren Editionen verzichtete M. im C. I. L. mit Ausnahme des i. Bandes,
der die ältesten Inschriften und daher größtenteils singuläre Stücke enthält,
auf ausführliche Kommentare in Boeckhs Art, die für viele einzelne Gruppen
außerhalb des Werkes veröffentlicht wurden, und verlegte die Vergleichung
und Zusammenstellung des lifateriales, welche die Vorbedingung für jede
weitere Verarbeitung ist, eben in die ImMm, Er selbst hat es keineswegs
verschm&ht, nicht nur die Grundlinien auch fOr diese festzustellen, sondern
einige auch selbst zu bearbeiten. Er war eben im ganzen wie im einzelnen nicht
nur Leiter, sondern auch Arbeiter, ebenso wie seine beiden (Jenosscn Henzen,
der die Bearbeitung der stadtrömischen Inschnltcn und die Durcharbeitung
der 40 Foliobände des Fälschers Ligorio übernahm, und de Rossi, dessen
Hauptaufgabe es war, die epigraphischen Handschriften namentlich der
Vaticana auszubeuten. 41) Zu diesen drei gesellten sich dann für die Bearbei-
tung einzelner Teile u. a. Bormann, Dessau, Domaszewski, Dressel, Hirsch-
feld, Hübner, Hülsen, Joh. Schmidt, Wilinanns, Zangemeister hinzu. Im
Jahre 1863 erschien der erste, die republikanischen Inschriften enthaltende
Band, herausgegeben von M., mit den Konsularfatsten von Henzen, 1872 und
1877 in zwei Teilen der $. Band (Gallia asa^k$a), 1873 der 3. Band (Orient
und Osterreich), 1883 der 9. und 10. Band (Süditalien), alle von M. selbst
bearbeitet. Aber, so schreibt sein vertrautester Mitarbeiter: »der Anteil M.s
an ticm Corpus ist nicht nach den Bänden zu bemessen, die er unter seinem
Namen herausgegeben hat, so umfangreich diese auch sind; den Unteritalien
gewidmeten Bänden hat er die seinen neapolitanischen Inschriften im Jahre 185»
vorausgeschickte Vorrede 30 Jahre später wieder beigegeben und der Freude
Mo m iHS C ii»
48t
über das Gelingen des Werkes, an dem er damals verzweifelt hatte, wie dem
Dank an die hingeschiedenen Stützen desselben: Tiorghcsi und an seinen
Verleger Wigand, wie an die noch mit ihm tätigen Arbeitsgenossen bewegten
Ausdruck gegeben. »Das Steuerruder«, i^agte er in dieser Vorrede, »das ich
durch drei Dezennien in guten und b<}sen Zeiten geführt habe, lege ich jetzt,
wo mein Leben mit diesem Werke zur Neige gegangen ist, nieder.« Aber
noch mehr als zwanzig Jahre hat er das Schiff geführt und den ihm anver-
trauten Schatz fast ganz in dem sicheren Hafen geborgen Noch im Jahre
vor seinem Tode vollendete er die Neubearbeitung der lateinischen Inschriften
des Orients, und in den letzten Wochen seines Lebens beschäftigte ihn der
Gedanke an den Neudruck der im i. Bande veiOSenÜichten Urkunden.
Aber mit alledem ist doch seine Tätigkeit an dem Werke kaum zur Hfllfte
bezeichnet, denn den unverkennbaren Stempel seines Geistes trAgt ein jeder
Band der Sammlung. Als der Tod einen treuen Genossen mitten in der
Arbeit abl)erief, ist er selbst eingetreten, um den verwaisten Band zu vollenden.
Bis an das Ende seiner Tage las er unermüdlich die Korrekturbogen des
ganzen Werkes und liefi ihnen seine durchdringende Kritik angedeihen. Er hat
seine Hilfe nie aufgedrAngt, aber auch nie verweigert, und ein jeder der Mit-
arbeiter, die im Laufe eines halben Jahrhunderts dem Corpus beigetreten
sind, ist sein Schüler und sein Schuldner geworden. 4^) Die X'ortrefflichkcit
der Organisation, die M. für da^ Corpits geschaffen, zeigte sich aber auch in
seiner Fürsorge dafür, daß es ni( iu während des Erscheinens noch auch nach
seinem Tode veralten sollte; wenn er ursprünglich in Aussicht genommen
hatte, da6 das ganze Werk auf einmal erscheinen sollte, so stellte sich dies
allerdings als unmöglich heraus, wie denn auch M. selbst anfänglich die Zeit,
die für die Bearbeitung nötig sein würde, und die Zahl der Inschriften — er
meinte, es würden 80000 sein, während ihrer bis jetzt mehr als die doppelte
Zahl gezählt werden — unterschätzte. Durch die Verbindung mit dem
Archäologischen Institute in Rom, später auch mit den französischen Gelehrten,
welche die so reiche epigraphische Schätze bergende Provinz Afrika verwalten,
durch die unzähligen Anknüpfungen mit allen lokalen gelehrten Vereinigungen
und Sammelpunkten konnte die Forschung immer auf dem laufenden gehalten
werden. Die zu diesem Zwecke gegründeten Zeitschriften, namentlich die
Ephemens t'pigraphlca, die Supplemente und Neuautlagen einzelner Bände er-
hielten und erhalten das Gesamtunternehmen stets auf dem Stande, der durch
die neuen Forschungsergebnisse erreicht ist. So hat das C. I^L. auf die
Altertumswissenschaft schon bei M.s Lebzeiten befruchtend gewirkt, wie kein
anderes Werk. Nicht nur M.s eigene grundlegende Schriften der Spätzeit
wären ohne das Corpus unmöglich gewesen; seine »Römische Chronologie
bis auf Cäsar ' (1. .Aufl. 18:^8; 2. Aufl. 1859), die durch die Polemik mit seinem
Bruder August noch besonderes persönliches Interesse hat, ist ihm unmittelbar
ans seinen Vorarbeiten fOi den i. Band in Verbindung mit seinen früheren
Schriften über Cassiodors Chronik und den Chronographen von 354 erwachsen;
die römische Prosopographie aber, die Sorge seiner letzten Jahre, wäre ohne
das Corpw; undenkbar. Vor allem aber die Forschungsmethode und mit ihr
die Anschauung vom römischen Staati-, namentlich der Kaiserzeit ist vollstänclig
umgewandelt, und die unzähligen Untersuciiungen, die in und außerhalb Deutsch-
lands erschienen sind und grdflere oder kleinere Teile des römischen Altertums
K«fr. Jahibiich ti. Detiteehcr Nekiploir* 9>Bd. 3I
482
Monunscn«
erhellt haben, sind als unmittelbare Ausläufer des Corpus zu betrachten.
Man kann sogar sagen, dalJ M. eiur( h das Corpus in noch extensiverer Weise
auf die gelehrte Produktion eingewirkt hat als durch die römische Geschichte,
welche als individuelles Kunstwerk mehr bewundert als nachgeahmt wurde,
und durch sein rOmisches Staatsrecht und seine zugehörigen Forschungen,
welche infolge der Seltenheit der Vereinigung juristischer und historischer
Anlage unci Methode von anderen nur in geringerem Maße ergänzt wurden. —
Gewissermaüen eine lokale Ergänzung zum Corpus waren M.s Bemühungen,
die römisch-germanische Altertumsforschung in Deutschland zu organisieren.
»Die Gebiete des Römerstaates, welche in unsere Grenzen fallen, sind iDr
die geschichtliche Forschung von sehr viel höherer Bedeutung als im Bereich
der Provinzen die meisten übrigen, wenn audi ausgedehnteren; die grofien
Problomo des Grenzschutzes, der Militärorganisation, der Völkerwanderung
finden hier ihre wichtigsten Hrennpunkte.« — »Sollte cn nicht möglich sein,
so gut wie wir ein archäologisches Keichsinstitut für Rom und für Athen haben,
etwas Ahnliches auch in Deutschland für die römisch-germanischen Aller*
tOmer ins Leben au rufen?« (R. u. A. 549!) Als die nftchste und wichtigste
Aufgabe der organisierten Lokalforschung erschien M. die einheitiidie Er*
forschung des Limes, des römischen (Irenzwalles gegen die Germanen. Kin
erster Versuch scheiterte trotz des Interesses, flas Moltke der Aufgabe ent-
gegenbrachte. M. nahm jedoch die Sache wieder auf. Er veranlalite im
Dezember 1890 den Zusammentritt der Limeskonferenz an Heidelberg, deren
Beschlüsse zu einer einheitlichen Organisation der Arbeit in den verschiedenen
deutschen Bundesstaaten und im weiteren Verlaufe zur Begründung des Reichs-
limesmuseums führten, für dessen Grundstein M. die Urkunde im Jahre 1900
verfaßte.
" Auch in die Organisation jenes älteren gewaltigen Unternehmens, das
die mittelalterliche, wie das C. /. L. die römisdie Forschung auf neue Grund-
lagen gestellt hat, der M<mumenta Germamae hat M. mitentscheidend eingegri&n,
da er nach dem Tode Haupts als \'ertreter der Berliner Akademie die Ver-
hanfllungen leitete, aus welchen die rmgestaltung der privaten Cresellsehaft
für ältere deutsc he Geschichtskunde in einen von den Akademien geleiteten,
auf Arbeitsteilung beruhenden Organismus hervorging. 43) Bei dieser Gelegen-
heit wurde u. a. der ursprüngliche Plan derart erweitert, dafi zu den übrigen
Abteilungen unter dem Namen ^Auetorts aiiäfttissimi* eine neue Serie von
Ausgaben hinzutrat, welche die Schriftsteller der Übergangszeit vom Alte^
tum zum Mittelalter umfaßte. M. übernahm die Leitung dieser Abteilung
und hat sie bis zum Jahre 1898 zu Knde geführt. Schon in früheren Jahren
war er durch seine Forschungen auf dem Gebiete der römischen Chronologie
und der Fasten ebenso wie durch das Studium der Inschriften und der Rechts*
bücher der Spfttzeit des Römertums nahegetreten, und er beklagte es oft, dafi
gerade hier, wo die Quellen reichlich fließen, seit dem von ihm sehr bewun-
derten Gothofredus .so wenig wissenschaftlich gearbeitet wurde, während man
sich mit Vorliebe jenen alten Zeiten zuwendete, wo häufig die Hypothese
an die Stelle der (Quellen treten muß. Er hatte sich bald auch hier von der
vollstAndigen Unzulänglichkeit der philologischen Vorarbeit überzeugt und
hat dann auch diese grofie wissenschaftliche Lücke vollständig ausgefüllt
Schon im Jahre 1882 erschien seine Ausgabe des Jordanes, 18910. die Aus-
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gäbe der Chronica minorm Ja«f. IV. V. VI. VII. in welchen eine text- und
quellt-nkritischc Arbeit von unerhörter Schwierigkeit durchgeführt und eine
der wichtigsten Quellen der Spätzeit eigentlich erst zugänglich gemacht wurde,
1894 der Cassiodor, dessen Hauptwerk, welches nahezu allein uns die Kenntnis
d«r iimeren Struktur des ostgotischen Staates vermittelt, durch die chronologi-
sche Scheidung seiner Bestandteile eist fQr exakte historische .Untefsnchangen
über die Gotenzeit verwendbar wurde. Die Einleitungen dieser Ausgaben
sind eingehende für den Schriftsteller grundlegende Untersuchungen, der text-
kritische Apparat von jener Knappheit und Präzision, die dem M. eigentüm-
lichen praktisch -wissenschaftlichen Blicke und der im C. I. L. musterhaft
durchgeführten wissenschaftlichen Technik entspricht, mit Abweisung alles
Überflüssigen und jeder »siatiaHo tnuBtiamSj die fiuUees ein tief eindringendes
Stück gelehrter Arbeit Eigentliche Kommentare werden auch hier vermieden;
aber M. hat in einer grofien Reihe von Artikeln im Neuen Archiv, der Zeit-
schrift der Mcmumenta Germaniae, seine philologische Arbeit zu historischen Re-
sultaten zusammengefaßt, so daß z. H. seine ostgotischen Studien, die im An-
schlüsse an die Bearbeitung Cassiodors im Jahre 1889 erschienen — zugleich
mit »Das rOmische Militftrwesen seit Dioklettanc — eigentlich als vollgültige
Fortsetsnng seines römischen Staatsrechtes erscheinen können, da sie einen
Teil des spätrömischen Staatswesens nicht weniger durchdringend beleuchten,
wie jenes die Republik und den Prinzipat. Hat doch die Spätzeit sein Inter-
esse in immer erhöhterem Maße in Anspruch gcnomincn, und der Gedanke
lag ihm nicht ferne, wenn er noch geglaubt hätte, daß ihm die Arbeitszeit
gegönnt gewesen wäre, dem Staatsrechte des Prinzipates ein Verwaltungsrecht
des Dominates hinzazufügen, dessen Haapdinien in meisterhafter Weise in
dem im Jahre 1893 erschienenen »Abriß des römischen Staatsrechts« gezeichnet
sind. — Aber er wurde notwendig auf diesem Wege noch weiter geführt,
schon frühe zu Studien über Paulus Diaconus, dann, als sich kein passender
Bearbeiter für die Papstleben fand, zu seiner Ausgabe des ersten Teiles der
Gtsta pontificum für die Mmmmmla Genmmiat and den mit ihr zusammen-
hftngenden verwickelten Fragen der Entstehungsgeschichte dieser wichtigen
Quelle der Geschichte der Kirche und Italiens. Er meinte zwar gelegent-
lich durch derartige Forschungen die Grenzen seines Arbeitsgebietes zu über-
schreiten. »Indes habe ich andererseits immer gesagt« — schreibt er in der Ab-
handlung über »Die Bewirtschaftung der Kirchengüter unter Papst Gregor I.« —
»und soviel ich vermochte, auch' dazu getan, dafl die dmikle Scheidezeit
zwischen Altertum und Neuzeit von beiden Seiten zu beleuchten ist, und dafl
die Wissenschaft davor steht wie die Ingenieure vor dem Tunnelbau: man
setzt an beiden Seiten an und ninmit sich beiderseits vor, irnzulanglichkeiten
einander zu verzeihen und etwaigen Hegegnens sich zu erfreuen.« Man darf
heute wohl sagen, daß M. den Stollen so weit vorgetrieben hat, daß die
wesentlichen Schwierigkeiten des Zusammentreffens überwunden sind, und dafl
er so in den letzten Dezennien seines Lebens chronologisch das Werk beendet
hat, das er in den ersten Dezennien seiner wissenschaftlichen Arbeit damit be-
gonnen hatte, dafl er die römische Geschichte an jene angrenzenden Forschungs-
gebiete anknüpfte, welche damals allein die Urzeit Roms erhellen konnten. —
Da M. in seinem Streben nach lückenloser Vollständigkeit kein Quellen-
gebiet unbeachtet ließ, hat er sich seit seiner ersten italienischen Reise auch
3i*
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484
Mommicti.
der Münzkunde zugewendet und die Münzen schon für seine früheti sprach-
lichen, wie für seine späteren Untersuchungen herangezogen, einzehie Münz-
gruppen behandelt, seine Studien in den Schriften »Über das römische Münz-
wesen« and »Über den Verfall des römischen Mflnzwesens in der Kaiserzeit«
und im Jahre 1860 in dem Werke »Geschichte des römischen Münzwesens«
niedergelegt. Was dieses Buch ist, hat M. im Vorwort genau bezeichnet:
»weder eine Metrologie soll es sein noch eine römische Münzkunde, sondern
eine Geschichte des römischen Münzwesens, die freilich wie billig auf Maß-
wie auf Münzkunde sich stützt, aber weder diese zu erschöpfen beabsichtigt
noch sich auf diese beschrftnkt«. Zum ersten Male hat M., um ein voUk
kommenes Bild zu gewinnen, die ebenso widitige wie schwierige Frage dber
das Münzrecht als Teil des Staatsrechts, sowie die rechtliche Betrachtung des
Oeldes überhaupt in seine rntersuchungen hineingezogen — und niemand
war dazu so berufen wie er, der Jurist — ; um die ges( hichtli( he Entwick-
lung des römischen Münzwesens richtig darzustellen, mußte er auch das
italienische Münzwesen in zusammenfassender Weise erörtern, und hier
wiederum hat er weit ansgreifen mOssen in das grofie Gebiet der antiken
Münzkunde, indem er den ältesten asiatisch-griechischen Systemen, unter deren
Einfluß das älteste italienische Geld sich entwickelt hat, einen ganzen Ab-
schnitt seines Hin lu's ut widmet hat. y\uf das ihm nicht kongeniale archäo-
logische Gebiet hat er nicht übergegriffen, wie er denn auch ein Numis-
matiker im technischen Sinne nicht eigentlich gewesen ist. 44) Doch verdankt
ihm die römische Numismatik aufler jenen durchgreifenden Arbeiten zum
guten Teile die Begründung der von seinem Schüler Sallet geleiteten Zeit-
schrift für Numismatik und vor allem im Jahre 1886 die Anregung und den
Plan zum Corpus ni/mtnorum, das unter Leitung Imhoofs begonnen werden
konnte; eine ihm 1893 zu seinem Doktorjubiläum gewidmete Ehrengabe wies
M. «fiesem Zwecke zu; zu dem eisten Halbbande dieses Werkes, das sich
dem C. /. L. ebenbürtig zur Seite stellen soll, konnte er noch selbst im Namen
der Akademie das Vorwort schreiben. —
Nicht minrier kräftig hat er aber eingegriffen, als es sich um die Nutz-
barmachung iler neuesten zugänglichen Quelle der Altertumsforschung, der
Papyri, handelte, »M. ist wohl der erste gewesen«, so schreibt sein Schüler
Wilcken, »der klar erkannte, dafi diese braunen Fetzen, aus denen das Alter»
tum zum Teil mit Stimmen, die wir noch nicht gehört hatten, zu uns ^ricbt,
für die verschiedensten Zweige der Altertumsforschung von größter Bedeutung
sind.« »Die große Fundgrube für alle Forschungsgebiete«, so hat er . . die
ägyptischen Papyri genannt. " Sein Interesse wurde besonders durch ihre
Bedeutung für die Kenntnis der ägyptischen Verwaltung, die so stark auf
die römische der Kaiserzeit eingewirkt hat, erregt. Aber zugleich erkannte
er, dafi es für ihn zu spit war, selbst die ganze große Arbeit, die sich dar-
bot, zu bewältigen, und fand sich mit der ihm eigenen weisen Selbstbeschrän-
kung »in das Zusehen, was nicht ganz leicht ist« — nicht ohne jedoch
Einzelnes selbst zu bearbeiten und für seine wissensc haftlichen Zwecke heran-
zuziehen. Um so eifriger betrieb er aber die Organisation auch dieses
Studienbereiches zum Nutzen der jüngeren Generation; er stand an der Wiege
des Archivs für Pai^rusforschung und hat im ganzen wie im dnzelnen die
Einrichtung der Papyruspublikationen des Berliner Museums vorgeseichnet,
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Mommsen.
485
deren praktische Anlage deutlich seine erfahrene Hand verrät Als Ziel für
viel spätere Zeiten schwebte ihm aber ein allgemeines Corfm papyrorum vor.4S)
Der wissenschaftliche Großbetrieb war unter Leitung über die Grenzen
der Nation hinausf^ewachsen und beanspruchte schon größere Kapitab'en, als
einer einzelnen gelehrten Kürpcrsc halt zur Verfügung standen. Schon das
C, I. L. erforderte die Mitarbeit auch italienischer und französischer Gelehrten.
Ztt den Mmameida Germamae steuerten mehrere Akademien bei. Das Corpus
nummonm und, wenn es einmal Zustandekommen sollte, das Corpus papyrorum
erforderte das organisierte Zusammenwirken aller Kultumationen. Nament-
lieh M.s nicht in die Schranken der nationalen Kultur gebanntem Geiste
mußte es naheliegen, sobald sich Cielegenheit und Möglichkeit bot, die
wissenschaftliche Arbeitsteilung auf einer weiteren Basis zu organisieren. Die
Veranlassung zu den ersten Schritten auf diesem Wege was das Unternehmen
des Tkesaurus liuguae LaAuUf dessen Rahmen zu weit fQr die Kräfte einer
einzelnen Akademie gespannt war. Der von M. Hertz angeregte Gedanke
einer Kooperation der Akademien von Berlin, München und Wien zu diesem
Zwecke wurde von einer Berliner Thesaurus-Kommission, der auch M. als
Berichterstatter angehörte, aufgegriffen und von M. sofort erweitert. Er kam
im Mai 1892 nach Wien zu dem Zwecke, ein Kartell der Akademien deut-
scher Zunge und im weitnen Verlaufe eine Vereinigung der gelehrten Körper-
schaften der Kultumationen einzuleiten. W. v. Härtel und Ed. Suess wurden
hier gewonnen und wußten die Wiener Akademie zu überzeugen und mit
ihrer Hilfe die gelehrten Körperschaften von München, Ixipzig, Göttingen
heranzuziehen M. entwarf die Statuten, unrl schon im Januar 1893 traten
die Delegierten dieser Körperschaften in Leipzig zusammen. M. und Suess
vertraten hier den Statutenentwurf ; jedoch war es gerade die Berliner Aka-
demie, die nur auf Vereinbarungen von Fall zu Fall, namentlich aber für
den Thcsaunts^ eingehen zu wollen erklärte und sich femer dagegen aus-
.sprach, daü weitere Einl ulungen zum Beitritte erfolgten — eine Haltung, die
zu M.s pers(')nlicher Meinunjj; in Widerspruch stand und ihn wohl auch mit
veranlaüt haben dürfte, bald darauf das ständige Sekretariat der Berliner
Akademie niederzulegen. Indes erwuchs aber in der Tat aus dem Kartell
der Deutschen Akademien die internationale Assoziation der Akademien der
Kulturnationen. Auf der Göttinger Kartellversammlung vom Jahre 1898
wurde die Erweiterung des Kartelles beantragt und auf dem Münchener
Kartelltag im Frühjahr iSqq beschlossen. Im Herbste 1899 fand die kon-
stituierende Versammlung der — übrigens vom deutschen Kartelle unabhän-
gigen — intematioiialen Assoziation in Wiesbaden, im April 1901 deren
erste Generalversammlung in Paris statt, an der als Vertreter der Berliner
Akademie auch M. teilnahm. »Diese Assoziation hat den Zweck, wissen-
srhaftlirhc Unternehmungen, welche von der Gesamtheit der vereinigten
Körperschaften ofler von eiiter Gruppe derselben oder von einer einzelnen
derselben in Angriff genommen oder empfohlen werden, zu unterstützen, und
sich über Einrichtungen zur Erleichterung des wissenschaftlichen Verkehrs
zu verständigen.« 46) — Wenn M. als Mitglied der Akademie sich auch als
Nachfolger Leibnizens fühlte (vgl. R. u. A. 44, 49), so hat er durch die An-
bahnung dieser die wissenschaftlichen Großbetriebe vereinigenden Assoziation
in der Tat dessen Programm den geänderten Zeitverhältnissen entsprechend
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MomiiMCB«
in die Wirklichkeit übersetzt, nachdem er durch eigene Arbeit erst den Inhalt
für eine solche Organisation geschaffen hatte.
V. Juristische Schriften. M.s juristische Schriften können nor infier-
lieh von seinen Übrigen Arbeiten getrennt werden; denn der römische Staat
als Ganzes stand immer im Mittelpunkt seiner Forschung, ob er nun den
»Katalog« der verschiedenen Quellen uud Urkunden des Altertums herstellte,
oder das Römertum in seiner Entwicklung darstellte oder die Einrichtungen
des Staates als solche ins Auge faßte. Zivilist im Sinne der praktischen
Jurisprudenz, welche moderne Verfailtnisse mit antiken Denkformen sn be-
wältigen strebt, ist er deshalb auch nie gewesen, da er die Jurisprudenz vom
historischen Gesichtspunkte aus behandelte und audi auf diese Weise »die
Fakultätslinie« übersprang, (icrade dadurch hat er aber auch die römischen
privatrechtlichen Institutionen von einer ganz andern Seite anzusehen gelehrt,
damit den wesentlichsten Programmpunkt der historischen Schule der Juris-
prudenz tatsächlich durchgeführt und vor allem gelehrt, was und dafi der
Jurist vom Philologen lernen könne, wie er schon in einer These seiner
Dissertation behauptet hatte.
Auch auf diesem Gebiete hat er zunächst die quellenmäßige Grundlage
hergestellt, durch Sammlung und kritische Behandlung zunächst der inschrift-
lich erhaltenen Staatsurkunden, 47) dann auch der Überreste der römischen
Jurisprudenz. So hat er nicht nur die sogenannten *Fragmatta VatüoMa*
und die '^Mnakanm ei Jtmmmanm kgtm tüHaih* ediert und zu Gaius, zu
Ulpian, SU den ASxAv cum Beiträge geliefert, sondern vor allem fQr das
Hauptwerk, aus dem unsere Kenntnis der römischen Jurisprudenz fließt, für
die Digesten, erst die textkritische Grundlage geliefert, deren — so unglaub-
lich es klingt — in den vier Jahrhunderten seit Erfindung der Buchdrucker-
kunst dies Buch noch entbehrte, obwohl oder weil es nicht nur zu histo-
rischen Forschungen, sondern täglich von tausenden von Juristen mittelbar
oder unmittelbar in der Praxis verwendet wurde. Der Text der FifimUma
war zwar schon lange als der beste erkannt worden; aber M. zuerst sorgte
fOr eine genaue Kollation, in welcher die verschiedenen korrigierenden und
bessernden Hände unterschieden und bestimmt wurden, und konnte auf diese
Weise Verbesserungen nach alten Vorlagen und willkürliche Veränderungen
unterscheiden. Zugleich zog er die griechische Obersetzung der Basiliken
zur Textverbesserung henn, sonderte die bnmchbarai alten Fragmente und
Handschriften aus und warf die unbrauchbaren mit Entschiedenheit über Bord,
so daß er sichere Kriterien für die Herstellung des ursprünglichen Textes
gewann. Die große .Ausgabe {»adsumpto in operis societatem Paulo Kntfgcro<f)
erschien in den Jahren 1866 — 1870, die kleine stereotypierte Ausgabe, ergänzt
durch die Institutionen und den Codex JysHmaim von Kröger und durch
die Novellen Justinians von Schoell, seit 1873 in neun Auflagen, die sidi
heute in den Händm aller Juristen befinden4^. — Erst als diese philologische
Tätigkeit beendet war, konnte sich an sie der Diesten-Index und das
Vocabularium iuris Romani anschließen. 49)
Noch als Achtzigjähriger unternahm er, offenbar angeregt durch seine
intensive Beschäftigung mit der Verwaltung der nachdiokletianisdien Zeit,
eine kaum minder umfangreiche Au^;abe, die Edition des Codex Tkeodo'
siamiSt im Auftrage der Berliner Akademie. Er hat den Text und die Frvlt-
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gomena noch selbst beendigt, auf jenen und auf die ersten Bogen dieser
noch sein Imprimatur setzen können, als ihm das Augenlicht s< hon zu ver-
sagen drohte. Für den jungen M. hätte die Ausgabe des Theoäosianus^ wie
sdne anderen Arbeiten zur spfttrOiniscben Zeit nur den Beginn neuer zu-
sammenfassender Arbeiten bedeutet. So hat er nur hoffen können, dafl hier
von Spftteren ausgebaut werde, wozu er die Fundamente gelegt hat. —
Das großartigste Beispiel aber, auf welche Weise aus der Zusammen-
fassung allen Materials der gewaltige Bau des römischen Staates in Gedanken
wieder aufgerichtet werden kann, hat er für Königtum, Republik und Prinzipat
in seinem Römischen Staatsrecht gegeben. Was E. Mach von der Natur*
Wissenschaft sagt: sie »verla6t das Mosaikbild mit Steinchen und sucht die
Grenzen und Formen des Bettes zu erfassen, in dem der lebendige Strom
der Erscheinungen fließt. Den sparsamsten, einfachsten begrifflichen Ausdruck
der Tatsiichen erkennt sie als Ziel ' das gilt auch von M.s Römischem
Staatsrecht: »Wie in der Behandlung des Privatrechts« — so sagt er selbst
in der Einleitung — »der rationelle Fortschritt sich darin darstellt, dafi neben
und vor den einzelnen Rechtsveriiältnissen die Grundbegriffe systematische
Darstellung gefunden haben, so wird auch das Staatsrecht sich erst dann
einigermaßen ebenbürtig neben das Privatrecht stellen dürfen, wenn, wie
dort der Begriff der Obligation als primärer steht über Kauf und Miete,
so hier Konsulat und Diktatur erwogen werden als Modifikationen des Grund-
begriffes der Magistratur.« In diesen Worten ist zugleich der ganze immense
Unterschied zwischen den filteren HandbQchem der »Staatsaltertümer«
und dem Staatsrechte niedergelegt. Das Ziel hatte ihm schon von Jugend
auf vorgeschwebt, und er hätte den Plan der Ausarbeitung seit der Leipziger
Zeit auch dann nicht aus den Augen gelassen, wenn Hirzel nicht auf die
Erfüllung der »vor vielen Jahren mit leichterem Sinn, vielleicht auch mit
Leichtsinn« gegebenen Zusage gedrängt hätte. Als er aber die Römische
Geschichte abgeschlossen hatte und sich darüber klargeworden war, dafl er
durch parallele Bearbeitung des Zivil- und Kriminalrechts der ältesten Zeit
zu manchen neuen Aufschlüssen gelangt war, war es das C. I. Z., das in
seiner ersten Berliner Zeit seine volle Kraft in Anspruch nahm. Schwerlich
wäre aber der Grundriß, der in seinen Jugendschriften schon angedeutet, in
seine Römische Geschichte mit festen Linien eingezeichnet ist, so vollständig
ausgefüllt worden, wenn nicht die mühsame und arbeitsreiche Katalogisierung
des Materials in den fünfziger und sechziger Jahren vorausgegangen wäre.
Erst im Jahre 187 1 erschien der erste, in den Jahren 1874 und 1875 der
zweite Band des Römischen Staatsrechts. Wie die Geschichte den Längs-
schnitt, so bedeutet das Staatsrecht den (Juersihnitt durch rlie römische
Entwicklung, und wie die Darstellung der Geschichte durch die Zeitfolge,
so wird die des Staatsrechtes durdi die sachliche Zusammengehörigkeit be-
dingt, 80 dafl dieses ids die notwendige sachliche Ergänzung jener erscheint.
»Es ist der allgemeine Teil der Darstellung des römischen Gemeinwesens,
der hier . . . gegeben wird, der Versuch eine jede Institution darzustellen
sowohl als (ilied des (ianzen in ihrer Besonderheit wie in ihrer Beziehung
zu dem Organismus überhaupt.« Wenn M. lunzufügt: »ich wenigstens bin
mir bewnflt, alle Arbeits^ und Denkknft daran gesetzt zu haben, um jedes
brauchbaren Bausteins habhaft zu werden und jeden Gedanken zu Ende zu
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denken« — so ist damit jene gans einzige Verbindung von induktiver und
deduktiver Fofsdiiing oder, um mit M. zu reden, von Philologie und Juris-
prudenz angedeutet, aus welcher das Werit erwachsen ist Das Zuendedenken
bezieht sich aber nicht nur auf das Zurückgehen auf die bewußt von den
römischen Juristen erfaßten staatsrechtlichen Gedanken, obwohl M nach-
gewiesen hat, daß die zeitgenössische Tlicorio auch in staatsrci luln her Be-
ziehung weiter vorgeschritten war, als man geahnt hat, sondern auch auf die
Rekonstruktion und Darstellung derjenigen Begriffe, unter welche die tat-
sächlichen Funktionen des staatlichen Organismus subsumiert werden können,
auch wenn sich die römische Jurisprudenz nicht bis zu ihnen erhoben bat.
Ks ist fiie Zusammenfassung aller Äußerungen des römischen Staates unter
einheitlichen Gesichtspunkten, eine Aufgabe, die deshalb geboten, at)er wohl
auch nur deshalb ohne Rest lösbar war, weil sich der römische Staat mehr
wie jeder andere unabhängig von ftufleren umwälzenden Einflüssen ent-
wickelt hat.
Jede Tätigkeit des römischen Staates drückt sich aus in der Magistratur,
und (loshall) geht M. von dieser aus. »Es liegt im Wesen der töniisrhen
Gemeiiule , so hebt das Römisrlie Staatsrecht an, daß die Darstellung ihrer
Rechtsordnung den Ausgang nehmen muß von den Beamten derselben; wie
denn auch ihre in Form des Gründungsberichts uns aufbehaltene uralte Selbst-
schilderung den König älter macht, als die Stadt und das Volk. Die Dar-
stellung des Gemeinderates, sowie die der Gemeindeversammlung können
derjenigen der Magistratur schon darum nicht voraufgehen, weil beide nur
in Gemeinschaft mit der Magistratur befähigt sind zu handeln und jcfler
Beschluß des versammelten Rats oder der versammelten (lonieinde zugleich
auch ein magistratischer Akt ist.« Da aber die ursprüngliche Vollgewalt
der Magistratur auf das Königtum zurückweist, HUt auch dieses, den Aus-
gangspunkt bildend, unter die Darstellung der Magistratur, in welcher der
allgemeine Begriff der Beamten und der Amtsgewalt, das im/>rriuM, die Kolli-
sion der Beamtengewalt, die Kollcgi.dität und die Kom]>etenz entwickelt
wird, sowie daran anschließend die der Magistratur eigentümlichen \'or-
bedingungen, Ehrenrechte und Beschränkungen. Erst nachdem dieser all-
gemeine Teil abgehandelt ist, folgt in der ersten Hälfte des zweiten Bandes
die Darstellung der einzelnen ordentlichen Beamten vom Könige bis zur
niedrigsten Stufe des Vigindsexvirates und bis zu den außerordentlichen Ge-
walten. Die außerorflentlichen konstituierenden Gewalten leiten historisch
hinüber zur »Beamtcnaligewalt militärischer Färbung«, zum Kaisertum, zum
Prinzipal, deren Darstellung die zweite Hälfte des zweiten Bandes gewidmet
ist, eingeleitet durdi den Nachweis, daß auch der Prinzipat Magistratur ist —
wodurch das Staatsrecht der Republik und des Prinzipates von dem Staats-
rechte der nachdiokletianischen Zeit und des Dominates scharf geschieden
ist. Schon durch diesen Nachweis hat eigentlich M. die Aufgabe gelöst,
deren Lösung bisher, wie er selbst sagt, noch nicht versucht worden war.
Eben deshalb konnte aber auch die kaiserliche Gewalt mit derselben logischen
Schärfe aus den gegebenen Voraussetzungen, namentlich aus dem prokonsu-
larischen w^erimn und der tribunizischen potestas^ entwickelt werden, wie die
übrigen Magistraturen. — Die erste Abteilung des dritten Bandes, die nach
längerer Pause im Jahre 1887 erschien, behandelt die römische Bürgerschaft
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Mbnunseo.
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und zwar das einst ausschließliche Bürgerrecht der Geschlechter, aus dem
der Patrizierstand erwächst, und sein Korrelat, die Klientel, aus der die
Plebs hervorgeht, bis Patrizier und Plebeier zu einem einheithciien Gemein-
wesen zusammengehfit werden, die staatlichen Rechte und Pflichten der
einzelnen and deren Organisation in der Volksversammlung; daran schlieflt
sich das zurückgesetzte Bürgerrecht und das bevorzugte der Nobilität und
des Ritterstandes, ferner das N'erhältnis zum Auslande, zu den Verbündeten,
den Untertanen, den (lemeinden im Staate. Man wird vielleicht behaupten
können, daß dieser Teil noch tiefer in das Römertum eindringt, als die
vorhergehenden, weil, während in diesen das Funktionieren des Staatsorga-
nismus dargelegt wird, hier seine Entstehung, seine Grundlagen bloflgelegt
werden; es sind die Kategorien, in denen sich die rftmische Geschichte be-
wegt, scharf und klar umrissen, wie sie nur vor dem Auge dessen stehen
konnten, der sie aus der Persjicktivc einer tauseiuljährigen Entwicklung er-
blickte. — Nicht minder schwierig war die Aufgabe der abschließenden
zweiten Abteilung des dritten Bandes, die schon im Jahre 1888 folgte. Es
handelte sich hier darum, den dritten Faktor der rOmischen Verfassung —
neben Magistratur und Bürgerschaft — den Senat, in allen seinen Funktionen
darzustellen. Während sich aber die Organisation des Senates aus der Or-
ganisation der patrizischen und der patrizisch-plebeischen Gemeinde ergab,
war seine Funktion rechtlich um so schwerer zu fassen, als seine bindende
Befugnis, die aiutoritas^ in historischer Zeit jeder Bedeutung bar war, seine
beratende Befugnis als consUbm rechtlich nicht bindend und tatsSchlich und
historisch von der entscheidendsten Bedeutung war, so dafl es sich darum
handelte, das tatsächliche senatorische Regiment der späteren Republik
darzustellen und doch so darzustellen, daß nicht vergessen wurde, daß formal
juristisch tlie tatsächlich gebundene Magistratur regierte, bis der Senat zum
Mitsouverän des Fritueps wurde und eben in der Dyarchie des Prinzipates
seine tatsächliche Bedeutung verlor. Nur ein Jurist, der Historiker war und
die juristischen Begriffe nicht als historische Realitäten betrachtete, konnte
diese Aufgabe lösen, nur M. ein Römisches Staatsrecht als einheitliches Ganzes
zu Ende führen. —
Diese Einheitlichkeit tritt vielleicht noch deutlicher als in dem großen
Werke, in dem »Abriß des römischen Staatsrechts« hervor, der 1893 er-
schienen ist »Hier ist der Versudi gemacht worden, die wesentlichen
Momente des öffentlichen Rechts der Römer systematisch zu ordnen unter
Weglassung der knapper Zusammenfassung nicht fähigen Belege.« Nach
Abstreifung des antiquarisch-philologischen Apparates gibt diese »anspruchs-
lose Arbeit«, infleni sie von der Bürgerschaft ausgeht und dann nach Be-
sprechung der Magistratur zu den von dieser geleiteten Komitien und Senat
fortschreitet, in knappster gedanklicher Zusammenfassung und in jenem
ökonomischen Stile, der dem alten M. eigentümlich ist, gleichsam die
Essenz aus dem ganzen römischen Staatswesen. Wenn M. jetzt, nach
50 Jahren, dessen gedachte, was ihm beim Abschluß seiner Universitäts-
studien als Ziel vorgeschwebt hatte, so mußte er sich sagen, daß das Ziel
erreicht und daß der römische Staat durch seine Arbeit und sein Genie
von den römischen Inschriften und der römischen Jurisprudenz das Licht
empfangen hatte, das er hatte entbehren müssen, seitdem er von der anti«
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Moounacii.
quariüchen Forschung in Altertümer, von den Juristen in Kechtsiälle aufgelöst
worden war. —
Nun erst konnte er xn dem Gegenstände zorQckkehren, von den er
eigentlich ausgegangen war und dessen Bearbeitung er in klarer Einsicht der
Erkcnntnisinoplirlikt'itcn auf die Zeit verschoben hatte, in welcher eine sicher
fundierte Anschauung von dem zentralen Begriffe, dem römischen Staate,
möglich war, zum römischen Strafrechte. M. schreibt selbst in dem Voru'orte
zu seinem 1899 erschienenen ROmisdien Strairecht: »Ich hitle nicht gewagt,
diese Au^abe su unternehmen, wenn ich midi nicht dabei auf mein römisches
Staatsrecht hätte stützen können, und ich darf diese Arbeit, obwohl sie in
der Methode abweicht und nicht mit Diokletian abschließt, sondern mit
Justinian, als ergänzende Fortsetzung jenes Werkes bezeichnen.« Nicht nur
darin lag die Schwierigkeit der Aufgabe, daU eine halbwegs wissenschaftliche
Bearbeitung des römischen Strafrechtes bisher nicht existierte, sondern haupt-
sächlich darin, »dafl es ein römisches Strafrecht als Ganses nicht gibt«
(S. 126); »daß überhaupt die Konstruktion eines römischen Straf rechts,
welchen Begriff die römische Jurisprudenz selbst nicht aufgestellt hat, ohne
eine gewisse Willkür sich nicht durchführen läßt« (S. 525); es handelt sich
für M. um »die Ausscheidung des Straf rechts als des ethischen Rechts im
eminenten Sinne« aus der gesamten übrigen Rechtsmaterie, eine Ausscheidung,
die von den Römern selbst nicht durchgeführt war. Deshalb Itftt nch M.
in diesem Spätwerke gans gegen seine sonstige Gewohnheit auch auf philo>
sophische Begründungen ein. »Das Strafrecht ruht auf dem sittlichen Pflicht-
begriff, insoweit der Staat dessen Durchführung sich zur Aufgabe gemacht
hat. Eine sittliche Pflicht, deren Einhaltung der Staat vorschreibt, ist ein
Strafgesetz; die NichtciiUialtung einer solchen Vorschrift ist das Verbrechen;
dasjenige Übel, welches der Staat dem die Vorsdirift nicht Einhaltenden an-
fügt, ist die Strafe. Das Verbrechen wird durch die Strafe als angehoben
betrachtet, die öffentliche Ordnung als damit beglichen« (S. 3!.). »Der Be-
griff des Verbrechens beruht auf der Sittlichkeit der Menschennatur. Die
Verletzung des dem Menschen obliegenden Verhaltens findet ihre Richtschnur
zunäclist an dem eigenen Pflichtgefühl, dem Gewissen des einzelnen. Un-
bestimmt in seinen Grenxen und keinem flnfleren Zwang unterworfen, erlangt
dieser Pflichtbegriff im Staate bestimmten Inhalt und festen Rückhalt; die
Strafordnung ist das verstaatlichte Sittengesetz« (S. 65). »Die Umwandlung
des Sittengesetzes zum Strafgesetz fordert positive Feststellung des Tatbe-
standes und diese ist von der Willkür untrennbar. Je mehr die gesellschaft-
lichen Verhältnisse sich komplizieren und je enger das Strafgesetz dem Sitten-
g^ets sich ansusdiliefien versucht, desto eingrei^der wird diese Willkür« (S. 91).
»Aber die durch das Strafredit dem Gemeinwesen über den einzelnen ein-
geräumte schwerwiegende Gewalt soll ernstliche Anwendung nur da finden,
wo das Gewissen des Handelnden selbst die Handlung mißbilligt o<ler miß-
billigen sollte« (S. 92). Diese in ihrer Absolutheit an Kantsche Ideen
anknüpfende Auffassung wird andererseits wiederum ergänzt durch die
Ausführung, daß Sitten- und StrafgeseU wandelbar sind. »Dk etliische
Grundlage des Strafrechts bringt es mit sich, daft wie die menschliche Natur,
so auch die menschlichen Verbrechen bei allen Völkern und zu allen Zeiten
bis zu einem gewissen Grade sich gleichen .... Aber andererseits ist das
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Moramsen»
491
Stralrecht mehr noch als andere Gebiete abhängig von der Individualität des
einzelnen Volkes und von dem die einzelne Epoche behcrrs( ht-ndi-n (leiste«
(S- l>as Sittengesetz ist der Entwicklung der \'ölker entspre( lu iid ein
ewiger Wellenschlag von Steigen und Fallen; das Strafgesetz ist die von
ftaflerlichen Bedingungen abhängige Summe der zaneit von der Gesamtheit
dem einzelnen aufgelegten Sittengebote« (S. s^s).
Wie nun M. im Staatsrechte von dem vollen In^eriumy der eigentlich
jede andere Magistratur ausscliließenden Königsgewalt ausgehen mußte, so
geht er im Strafrerhte von der Hauszucht, dem Kriegsrecht und namentlich
der magistratischen Koerzition aus, die prin7.ij)iell im Gegensatze zum Straf-
rechte steht, obwohl dieses aus j«ier hervorgegangen ist (vgl. S. 899). »Das
Stralrecht beginnt, wo der Willkür des Trigers der Strafgewalt, des er-
kennenden Richters, Schranken gesetzt werden durch das Staatsgesetz ....
Das römische öffentliche Strafrecht beginnt mit dem valerischen Gesetz,
welches chis Torlesurteil des Magistrats über den römischen Krieger der
Bestätigung durch die Bürgerschaft unterwarf, das römische private mit der-
jenigen Ordnung, welche dem Prätor die definitive Strafentscheidung aus
der Hand nahm und bei der bedingten die Erledigung der Bedingung an
Geschworene wies. Ks gibt in Rom fortan kein Delikt ohne Kriminalgesetz,
keinen Strafprozeß ohne Prozeügesetz, keine Strafe ohne Strafgesetz« (S. 56 f.).
Der Anfang des öffentlichen Strafrechts ist die Selbsthilfe der Gemeinde
gegen die direkte Schädigung des Gemeinwesens, wobei der schädigende
Mitbürger sein Bürgerrecht verwirkt und dem Landesfeinde gleichgestellt
wird (vgl. S. 59, 900); aber darüber hinaus hat sich das öffentliche Stralrecht
schon in vorgeschichtlicher Zeit auf solche Übeltaten erstreckt, welche neben
der Schädigung des einzelnen zugleich die öffentliche Sicherheit gefährden
und deren Vergeltung daher nicht mehr flem Geschädigten und den Seinen
anheimgestellt wird. Femer entsteht aber das von dem öffentlichen Straf-
rechte im Rechtsgange wesentlich verschiedene Privatstraf recht dadurch, daß
der Staat den obligatorischen Vergleich an die Stelle der Selbsthilfe oder
des freiwilligen Vergleiches, namentlich bei den Eigentumsdelikten, durchsetzt.
Jedes Urteil ist ein magistratischcr Spruch (S. 135), und dtthalb muß
auch im Strafrechte von den Magistraten, den Stratlaehörden, ausgegangen
werden, da ja nur aus der gesetzlichen Hindung ihrer Koerzition das Straf-
recht entstanden und durch sie bedingt ist. Deshalb werden die einzelnen
StrafbehOrden von der Zeit des komitialen Prozesses bis zum StralprozeA
vor dem Senate des Kaiserreiches und vor dem Ptm^s und zum dioUe-
tianischen Beamtengericht verfolgt, und daran anschließend die Formen des
Strafjirozesses, da bei der gleichzeitigen Entstehung und dem Zusammen-
hange des Deliktes mit dem Rechtsgange Strafrecht und Straf}>ro/eü. wie M.
schon ein halbes Jahrhundert früher erkannt hatte, nicht vonemander getrennt
werden kOnnen. Daran schließt sich die Darstellung der einzelnen Delikte,
weldie im Gegensatze zu M.s sonstigem Verfahren nach logischen Kategorien
gegliedert sind. -Diese Gliederung, durch die Zufälligkeiten der Rechtsent-
wicklung und der Rechtsüberlieferung bedingt, erhebt keinen Anspruch auf
systematisc lien Wert und will lediglich für den Rechtsgelehrten wie für den
Geschichtsforscher das logisch oder historisch Zusammengehörige nach Mög-
lichkeit zusammenfassen« (S. 530). Nach der Erörterung des Begriffes und
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492
Mommsen.
der Entstehung der Strafe folgt eine Darstellung der einzelnen Strafarten,
die ebenfalls erst durch die Strafbehörden, die sie auferlegen und vollstrecken,
und durch die Art des Strafprozesses verständlich werden.
Mit dem Strafrechte schließt sich gleichsam der Kreis, den M. in mehr
als halbhundertjähriger Arbeit gezogen hatte. Die philologische, juristische,
historische Arbeit war lückenlos — mit Ausnahme etwa des ^ Bandes der
römischen Geschichte — getan und der römische Staat von Romulus bis
Diokletian wieder aufgebaut, darüber hinaus der folgenden Generation als
Vermächtnis die Beleuchtung der diokletianischen Monarchie und der »dunklen
Scheidezeit zwischen Altertum und Neuzeit«, die Katalogisierung der Münzen
und Papyri hinterlassen. Da hat es ihn nun gereizt, den vollendeten Bau
einmal mit anderen Staaten zu vergleichen. Wie er das tat, ist charakte-
ristisch für seine Anschauungsweise und seine Selbstbeschränkung. Er richtete
an eine Anzahl von Kachmännern Fragen »zum ältesten Strafrecht der Kultur-
völker «,5°) die er nebst den Antworten mit den folgenden Worten einbegleitete:
»In meinem römischen Strafrecht habe ich mich alles Vergleiches der römischen
Ordnungen mit nicht römischen in strenger Beschränkung enthalten. Die
historisch-philosophische Bedeutung solcher Zusammenstellungen für unser
Ahnen über die Urzustände des Menschengeschlechts und unser Wissen über
seine weitere Entfaltung kann nicht hoch genug angeschlagen werden; aber
der Einzelforscher wird durch dieselben nur zu leicht in die Irre geführt,
zumal weil er alsdann halb als kompetenter Sachkundiger, halb als von
fremder Hand abhängiger Laie zu reden genötigt ist. Im allgemeinen wird
zweckmäßig auf jedem wissenschaftlichen Gebiet der Verlockung zum Ver-
gleichen zunächst nicht nachgegeben und erst von höherer Warte aus das
Gesamtergebnis entwickelt. Dieser Auffassung bin ich in jenem Werke gefolgt,
möchte nun aber weiter die allgemeineren Probleme wenigstens zur Dis-
kussion stellen, nicht durch dilettantisches Übergreifen in andere Forschungs-
kreise, in denen die Beschäftigung mit einem einzelnen Abschnitt niemals
Stimme im Kapitel geben kann, sondern indem ich auf Grund persönlicher
Beziehungen angesehene Spezialforscher veranlaßte, über die dem Strafrecht
zugrunde liegenden allgemeineren Fragen sich zu äußern.« Es sind auf
vier Druckseiten in ihrer durchdachten Präzision meisterhafte Fragen, die
von ihm selbst für das römische Strafrecht in ebenso knapper Form beant-
wortet sind. —
Die Bibliographie von M.s sämtlichen Werken umfaßt nicht weniger als 1513 Nummern;
allerdings sind in ihr auch die kleinsten Publikationen, die Übersetzungen und Neuautlagen
seiner Werke aufgenommen. Aber schon eine aus jener exzerpierte chronologische Zu$.immen-
stcllung nur der wichtigsten selbständigen Werke und prinzipiell wichtigsten oder umfang-
reichsten Aufsätze seiner Berliner Zeit laßt die Arbeitskraft des Mannes schier unbegreiflich
erscheinen :
1858: Römische Chronologie. — 1860: Römisches MUnzwesen. — 1S61: Ausgaben
der Chronik des Cassiodor und der Fragmenta l'aticana. — 1863: Corpus ifucriptionuw
Latinarum L und Römische Forschungen L — 1864: Ausgabe des Solinus. — 1S63:
Res gestae divi AugusH. — 1866 — 1870: Ausgabe der Digesten. — 1868: Ausgabe de>
Veroncser Livius-Palimpsestcs. — 1870: Index zu den Plinius-Brtefen. — 1 87 1 : Römisches
Staatsrecht L — 1872: C. L L. vol. V p. L — 1873: C. L vol. III p. l u. II und
Analecta Liviana. — 1874: Römisches Staatsrecht II 1. — Ltx colonioi Iulia< Genctivac. —
1875: Römisches Staatsrecht II j. — 1877: C. L L. vol. V p. II. — «879: Römische
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MommMn.
493
Forschungen II und Quellen der I.angobardengeschicllle des Paulus Diakoiuis. — 1880:
Decret de- Conmiodus über den Saifiis lUirunUafiuf. — 1881: C. L L. VIII von Wil-
tnanns, fortgeführt von M. — 1882: Aufgabe des Jordanc». — 1883; C. I. L. voJ. IX u. X
p. I ti. II; (tmtt Res geshu dM AmgusH. — 18S4: Die Konskriptionsordnungf der rOmischen
Kaiserzeit; Die italische B<identcilung. - 1S85: Rfiniischc Geschichte, V. Bd.; Die Örtlich-
keit der Varusschlacht. — 1887: Römisches Staatsrecht III'i. — 1888: Rnmischcs Staats-
recht Jll j. — 1889 — 1902: C. /. L. vol. III äuppl., I — IV. — 1889: üstgotische Studien;
Das rOroisehe MiHtBrwesen seit Diokletian. — 1890: Ausgabe der Fragm. VaHcaita und
die Mosaic. it Romanartnn Ugum coUaüo; Der Religionsfrevel iwch rOmischem Recht. —
iSqi: Chronica minor a / , . — 1892: Comtnentarius ludorum saecularium quiniorum et
seftimarum; Chronica mitutra Jj^: Zum rümiscben Bodenrecbt; Judicium Ugititnum, —
1893: Chromiea mktora IIA; C. I. L,\ (Nenbearbeitttng) ; Abrifl des römischen Staatiiechts;
Die Bewirtschaftung der Kirchengüter unter Papst Gregor I. — 1894: Ausgabe von Cassio-
dors l'arith", ChrontCti minora Il j u. III ,. — 1895: Chronica tninorn III ,; Ausgabe
des Solinus (^Neubearbeitung). — 1896: Chronica minora WVy — i8y8: Chronica mi'
m*ra 111-4 ; Ausgaben der Get^ pontificum Romamvnm und des Eugipius. — 1899:
Römisches Strafrecht. — 1902: C. I. Z. III suppl. — 1903: Ausgabe des Rufinus. —
MK14: Ausgabe des CodiX Thfodosianut. — Hierbei sind weder berilcV.-;iclitigt die meisten
gr< liieren epigraphischen Arbeiten, die der Erläuterung einzelner Inschriften und Inschriften-
gruppen dienen, noch andi die meisten der Aufs&tse im Hermes, in der Zeitsdirtft der
Savigny-StÜhmg tisw., die nicht genidesu von prinzipieller Bedeutung sind. —
VI. M. als Politiker. Daß M. trotz des Übermafies an wissenschaft-
licher IJesrhäftigung, das er .sich aufgebürdet hatte, in Berlin über kurz oder
lang wieder in den Strudel der Politik hineingezogen wurde, war .selbstver-
ständlich. £s war gerade der Beginn der neuen Ära, und noch von Breslau
aus hatte er an der Gründung der Preufiischen Jahrbücher teilgenommen, welche
•bald zur hervorragendsten Zeitschrift des preußischen Liberalismus wurden;
schon in ihrem zweiten Hefte erschien ein Artikel aus M.s Feder, dessen Kon-
fiskation von Reimer befürchtet wurde. Seit dem Jahre 1859 ^'^^^^ bleierne
Druck, der durch ein Dezennium auf Deutschland gelastet hatte, und namentlich
in Norddeutschland begannen die liberalen Geister sich wieder zu regen und
zu organisieren. Im März 1860 hielt M. beim Festmahl des Ausschusses des
Deutschen Nationalvereins eine Tischrede auf die liberalen aus der Majorität
der Volksvertretung hervorgegangenen Minister der neuen Ära, wenn er auch
ihr Sündenregister nicht verschwieg und namentlich betonte, daß man erwartet
habe, es würden den C^bergriffen des Pfaffen- und Junkertums stärkere
Schranken entgegengesetzt werden. 5') Im Jahre 1861 unterschrieb er den
Aufruf des Zentralwahlkomitees der deutschen Fortschrittspartei. 5^) Es
folgte Bismarcks Konflikt mit dem liberalen preufiischen Abgeordneten»
hause. M.s Vergangenheit, seine Verbindungen mit den Führern des Libera-
lismus, seine- wissenschaftliche Stellung ließen auch ihm keine Wahl, mn
so mehr, als die schleswig-holsteinsche Angelegenheit in den Mittelpunkt
der Politik rückte. Die Stadt Halle und der Saalkreis wählten ihn, wie er
selbst sagt, ohne detaillierte Kenntnis seiner politischen Ansichten, in das
Abgeordnetenhaus, wo er sich selbstverständlidi der von Twesten geführten
liberalen Partei anschlofi. Er betrachtete es als sein Mandat, »Herrn von
Bismarck und den Seinigen gegenüber die Verfassung zu verteidigen« (R. u.
A. 373) und hat in den Jahren 1865 und 1866 in die Verhandlungen ein-
gegriffen, einmal um als Universitätslehrer für die Besserung der Stellung
der Elementarlehrer wie für die bessere Dotierung und Ausgestaltung der
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MonuDsen.
Universität iiiul ihrer Institute, sowie der Akademie einzutreten, indem er warnend
auNrief: Hüten sie sich, m. H., daß aus diesem Staat, «ler ehemals der Militir-
staat und der Staat der Intelligenz zugleich war, die Intelligenz verschwinde
und nichts bleibe als der reine Militirstaat!« — das andere Mal, am als
Jurist gegenüber dem »Interpretations-Ministerittm«, welches die Vcrfassmif
nicht auf einmal abschaffe, sondern sukzessive durch Interpretation, seine
Meinung in betreff der durch Hilfsrichter herbeigeführten Verurteilung Twe^tens
und I'rentzels wegen Reden im l'arlamente darzulegen. 53) In die sciilcswig-
holsteinsche Frage griff er nach dem dänischen Kriege mit einem Send-
schreiben Ober die Annexion Schleswig- Holsteins (vom 5. April 1865) an seine
Wähler ein, in welchem er auseinandersetzte, daß vom Standpunkte Deatsdi-
lands als Minimum eine Militär-, Marine- und Zollkonvention mit Preußen
geforficrt werden müsse. Zugleich aber wendete er sich mit Ent-
srhif N nlieit gegen den schädlichen l'artikularismus und gab seinen Lands-
leutcn /.u bedenken, ob es nicht in ihrem eigenen Interesse sei, die ganze
Annexion der halben Annexion vorsuxiehen. Er gab zu, daß er sich selbst
an dem Abgeordnetentage in Frankfurt und an den Beschlossen des Abge-
ordnetenhauses zugunsten der Thronfolge des Augustenburgers im Jahre 1863
heteilifTt habe, fand aber, daß sich die Lage durch den Krieg und die
nationale Stellung, in die Preußen gedrängt wurde, vollständig geändert habe.
»Es gehört allerdings einige Naivität dazu«, so sagt er, »unter den Umstanden,
wie sie jetzt nun einmal sind, einem Deutschen anzusinnen, Preufie zu werden,
der es nicht werden muß«, und erkennt die mancherlei Nachteile an, die den
Herzogtümern aus einem Anschlüsse an Preußen erwachsen würden. Aber
der Rechtsanspruch des Augustenburgers allein könne kein Gegenargument
gegen die Macht der N'erhältnisse und für die Aufrichtung eines neuen Klein-
staates sein. »Ich bin nie Legitimist gewesen und habe aus der Geschichte
gelernt, daß der Legitimismus nichts ist als das Gespenst in der Politik, ein
wesenloser Schemen, der, angerufen, verschwindet.« Er werde es ertragen,
wenn ihm Inkonsequenz vorgeworfen werde; was er aber nicht zu ertragen
vermöchte, wäre, wenn er sich sagen müßte, um den Schein der Konsequenz
zu retten, an dem einmal gesprochenen Wort wider besseres Wissen und Ge-
wissen festgehalten zu haben. — Die Dinge entwickelten sich freilich viel
rascher, als man erwarten konnte, und das Jahr 1866 brachte noch ganz andere
Dinge, als die Annexion Schleswig-Holsteins, u. a. auch die Beilegung des
Verfassungskonfliktes. M., der von 1867 — 1873 nicht mehr im Landtage saß,
war trotzdem bei den Kreignissen von 1870 keineswegs bloß unbeteiligter
Zuschauer, als der Zustand, den er schon im Jahre 186^ als politisches Pro-
visorium be/.cH hnet hatte, durch die Organisation abgelöst wurde, die ihm
seit seiner Jugend als das Endziel vorgeschwebt hatte, sondern setzte auch seine
Persönlichkeit ein, als man seiner bedurfte. Mitte Juli des Jahres 1870 wendete
sich die preußische Regierung an ihn mit der Bitte, seine hohe Autorität in
Italien zugunsten Deutschlands in die Wagschale zu werfen. Die Folge waren
zwei Tkiefe, welche in den Mailänder Blättern >I.a Perseveransa* utid //
StYo/o veröttentlif ht wurden, in dciu n M. Italien vor den Liebeswerbungen
Napoleons warnte und ausführte, dali Italiens Platz an der Seite des geeinigten
Deutschlands sei. Er tat es nicht leichten Herzens; denn er woflte lnriät
was dieser Schritt dem von ihm gepflegten wissenschaftlichen internationalen
Ifoniottcn*
495
Zusammenarbeiten der Kultumationen schaden würde. »Aber was kam im
August 1870 auf die Insrhriftenarbeit und auf intemationale Freundschaft
an? ... Wie der einzelne Soldat seinen Schuß abgibt, ohne zu fragen, ob er
überflüssig sei, so tut in solchen Zeiten ein jeder, was ihm im Dienst des
eigenen Landes zu tun iftdich scheint, ohne nach den weiteren Folgen xa
fragen.« — Als er vom Jahre 1873 — 1879 als nationalliberaler Abgeordneter
für Cottbns-Spremberg-Calau wieder dem Landtage angehörte, schien es ihm,
wie er sagte, eine Ehre und eine Lebensaufgabe für die besten Männer der
Regierung und des Hauses, »nachdem unsere Nation nach auüen hin glücklich
konsolidiert ist, nun auch die größere, schwierigere, aber auch freudigere Auf-
gabe zu lOsen, sie aadi im Innern auszubauen und fOr Kunst und Wissen-
schaft dasjenige zu tun, was von oben her dafür geschehen kann.« (R. u.
A. ai5.) Er ergriff das Wort, wenn es sich um Universitltslragen handelte,
sei es um für die Ausgestaltung des Sprachunterrichtes einzutreten oder um
gegen die Einwirkung konfessioneller Momente auf Besetzungsfragen zu pro-
testieren; sei es um für die bessere Dotierung und größere Zugänglichkeit
der königlichen Bibliothek in Berlin zu pl&dieren ; sei es um die Reorganisation
der Museen zu befürworten. Er erlebte und forderte den groflartigen Auf-
schwung des wissenschaftlidien Betriebes in Berlin und erkannte trotz mancher
Kritik gerne und dankbar an, was nach dem Jahre 1870 in dieser Beziehung
geleistet wurde. — Im Jahre 1881 wurde M. vom ersten Koburgcr Wahlkreise
in den Reichstag entsendet und schloß sich der sog. Sezession an, die sich
infolge des Umschwunges in der Bismarckschen Wirtschaftspolitik von den
Nationalliberalen unter Führung Bambergers, Rickeits u. a. lossagte und in
die Opposition ging, die ihn sofort in hefdge Fehde mit Ksmarck verwickelte.
Die oppositionelle Haltung, die er vor 1866 und von nun bis an .sein
Lebensende beibehielt, zunächst kurze Zeit im Reichstage, dann auch außer-
halb des Reichstages, war die notwendige bol^'c seiner historischen, politi-
schen, ethischen Auffassungen, seiner Weltanschauung. Er war am meisten
beeinflufit von dem aus der Aufklftning hervorgegangenen Liberalismus, wie
ihn Wilhelm von Humboldt reprSsentierte, der »es unternommen hat, den Staat
nach seiner allgemeinen humanen Seite hin zu begreifen und zu beschränken«
und »den Menschen nicht um der Sache, die Kraft nicht um des Resultats
willen zu vernachlässigen, den Staat so zu gestalten, daß in ihm dem einzelnen
das höchstmögliche Maß der Kraftentwicklung, d. h. der Freiheit und damit
des Glückes, verbleibt« (R. u. A. lao). Von diesem Standpunkte aus mochte
er nichts wissen von den »sogenannten Parteien der materiellen Interessen«
und fand nur einen tatsächlichen und ethischen, nicht aber einen prinzipiellen
Unterschied /wischen Ikhel und dem Grafen Kanitz, von denen der eine den
Staat zugunsten der Handarbeiter, der andere zugunsten der (Großgrund-
besitzer exploitieren wolle. Und da es M. mit seinem Liberalismus Ernst
war, so wollte er den Nationalliberalen nicht auf ihrem abschOssigen »Weg
der Gewissenbeschwichtigung« folgen (R. u. A. 474). Vom gleichen Stand-
punkte aus vertrat er unbedingte Toleranz und bedauerte, daß ernste Kämpfe
durchzufechten waren gegen Mächte, die von seiner Generation in der Jugend
verachtet wurden (K. u. A. qi), und trat gleich zu Heginn der antisemitischen
Bewegung (1880) in einer Erklärung und in einer namentlich gegen Treitschke
gerichteten Streitschrift gegen dies retardierende Moment der deutschen
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Mommsen.
Einheitsbestrebungen auf, indem er zugleich den Juden empfahl, möglichst alle
Schranken zu beseitigen, die sie von den übrigen Deutschen trennen konnten
(R. u. A, 410 ff.). Nicht nur in dieser Beziehung schienen ihm »die dehu-
manisierenden Tendenzen« der Zeit unter dem »Proletariat sowohl wie in den
sogenannten besseren Kreisen ein neues Barbarentum großzuziehen« (R. u, A. 64).
Gegen all' dies zu Felde zu ziehen schien ihm Pflicht. Aber trotz alledem
betonte er immer wieder, daß der Generation, welcher es beschieden war,
diis große Ziel der nationalen Kinheit zu erreichen, das sie vor sich fan<l,
als sie zu denken begann, der Reichstag und die Reiclisfahne um keinen
F*rcis zu teuer sein könne, möge da kommen, was da wolle (R. u. A. 410).
Allerdings war aber sein nationales Kinheitsideal kein rein formales; der
deutsche Staat, wie jeder andere, schien ihm des ethischen Fundamentes zu
bedürfen und des inneren .Ausbaues. (lerade durch die Erfolge, so führte er
in seiner Rektoratsrede im jähre 1874 aus. sei bei allen emsthaften Männern
das (»efühl dessen, was Deutschland noch felile, zu einer schmerzhaften Deut-
lichkeit, zu einem peinlichen Druck gesteigert; es ruhe sich schlecht auf
Lorbcern; die Losung der Zukunft aber sei, den gestalteten Staat so auszu-
gestalten, daß deutscher Handel und deutsches Gewerbe, deutsche Kunst und
deutsche Wissenschaft, deutsche Gesellschaft und deutsches Leben der Macht-
stellung der Nation ebenbürtig bleibe oder ebenbürtig werde (R. u. A. 6).
Kr war deshalb auch weit entfernt von jeglichetn Chauvinismus. Sein Blick
blieb ungeblendet durch die Krfolge der deutschen Politik, und so sehr er
sie mit ganzem Herzen begrüllte, blieb er iloch den Auffassungen, die er im
Jahre 1848 gewonnen, treu. Kr betonte es gerne, daß gerade der deutsche
Gelehrte den N'orkanipf mit Khren geführt habe und daß »was das vielver-
höhnte unpraktiNche Professorcnparlament gewollt hat, das einige Deutsch-
land mit der preußischen Si»itzf ,, lucht umsonst von ihm angestrebt worden
sei (R. u. .A. 8). Kr hatte 1848 wie 1865 empfohlen, «den Weg, den der Zoll-
verein und in umfassenderer Weise das Frankfurter Parlament gewiesen, einer
großen für alle gemeinsamen, nach Möglichkeit die Selbständigkeit der einzelnen
l,ands( haften schonenden, aber wo dies nicht möglich ist, unerbittlich «lurch-
greifenden Generalmediatisierung« und betont, daß ein deutsches Parlament
ilas einzige .Mittel zur ( berwindung des Partikularismus sei; er ging auch
schon im Jahre 1865 so weit zu erklären, daß zur ^praktischen Wiederauf-
nahme des großen Gedankens, der in der Paulskirche waltete jedes
Mittfl, auch <las der (jcwalt, gerec htfertigt sein« werde; »denn die Notwen<lig-
keit und die Nation reden beide im kategorischen Imperativ, und da der
nationale Staat jede Wunde heilen kann, darf er auch jede schlagen« (R. u. A.
375- .S^of.). Im Jahre 1865 wie 1848 erklärte er, ) daß die am mindesten unvoll-
kommene Realisierung des zukünftigen deutschen Staats gegenwärtig der
preußische ist« (R. u. A. 378). Das in der preußischen Verwaltung verkörperte
Pflichtgefühl, die Zentralisierung des preußischen Staates hatten M. dies als
historische Notwendigkeit erkennen lassen, nicht minder als die F^inigung
Italiens unter Rom; er erkannte auch an, daß die schließlichc Einigung Deutsch-
lands im Kriege gegen (Österreich und Frankreich nicht minder eine «Tochter
der Not« war, wie die der Italiker gegen die Kelten (R. u. A. 123. 129). Des-
halb war seine Stellung, solange es sich um die Einigung handelte, gegeben: »dem
rechten xMann liegt das Ideal im Ziel und nicht in den Wegen« (R. u. A. 471).
Mommaen.
497
Wenn er aber auch dies alles anerkannte und sogar betont, dafl des
preuflischen Staates »Eigenart von jeher in scharfer Ausprägung des monarchi-
schen Grundgedankens bestanden hat < (R. u. A. 104), so war er deich weit
entfernt davon, seine Hberalcn Kulturidealc oiifcrn zu wollen, um so weniger,
als es seiner Grundanschauung entsprach, in der Entwicklung dieser Kuhur-
ideale das ethische Fundament des Staates zu erblicken. Er sah aber aus
der Bismar^kschen Saat den Interessenkrieg henrorwachsen und sah in dem
' bei hm üimium contra orrinrs , wie er es nannte, eine Schädigung der Nation
(R. u. A. 475). Er sah die Intelhgenz und den Liberalismus in seinem Sinne
als politischen Faktor vollständig zurückgedrängt, zum Teile, wie er zugibt,
allerdings aus eigener Schuld. Was er als die von Gaius Gracchus her-
rührende »Taktik der Demagogen und Tyrannen« bezeichnet hatte: »auf die
materiellen Interessen sich stützend die regierende Aristokratie zu sprengen«
(R.G. n, 117), konnte M. wenn es sich um die Zerreibung des liberalen
Bürgertums handelte, in welchem er den Führer der X.ition erblickte, iiiilit
gerechtfertigt erscheinen. \'on demselben Standpunkte aus, von dem er den
aus dem Interessenkriege geborenen Cäsarismus in Rom als historische Not-
wendigkeit erkannte, aber gegenüber jedem auf Selbstbestimmung beruhenden
staatlichen Organismus ethisch verurteilte, verurteilte er die unter der Ägide
Bismarcks, des »größten aller Opportunisten« (R. u. A. 472), sich vollziehende
Machtsteigerung der Staatsmaschine, welche die Selbstbestimmung einschränkte,
und kämpfte gegen sie an, weil er sie nicht als historische Notwendigkeit
ansah. Ks schien ihm geradezu ein Gebot des gesunden Menschenverstandes,
ebenso wie ein Gebot der Ethik, sich gegen die Abkehr vom Freihandel und
gegen die staatssozialistischen Versicherungsgesetze zu wenden.
Es schien ihm aber auch geboten, dafi alle ehrlich liberalen Elemente
gemeinsam gegen die drohende Gefahr sich verbänden, und in einer Auf-
sehen erregenden Rede trat er am 24. September 1881 in einer Charlotten-
burger Wählerversammlung für die Wahl des Kandidaten der l'"ortschritls])artei
in den Reichstag ein. Kr trat auf das schärfste gegen »die Wirtschaftspolitik
der neuen Propheten« auf; er verurteilte sie als »gemeinste Interessenpolitik,
eine Interessenpolitik, die dadurch um so nichtswürdiger ist, weil die Inter-
essen miteinander eine Koalition schließen, um diejenigen auszubc i die
sich ihr nicht anschließen wollen« und fuhr fort: 'Es ist ferner nicht bloß
eine Politik der gemeinsten Interessen, sondern auch — warum soll ich es
nicht sagen? — eine Politik des Schwindels.« Er erläuterte an dem Beispiele
der Konservativen, die »nichts sind als Komspekulanten und Branntwein-
brenner«, den Interessenkrieg und warnte ebenso vor dem Ruin der Staats-
finanzen durch die Versicherungsgesetzgebung wie vor dem »System Richelieu c^,
bei welc hem »es im ganzen Staate nur einen Diener gibt, der selbständig
wirken darf 4 und außer ihm nur willenlose Gesellen.
In einem Schreiben an die Wähler des neunten sehleswig-holsteinschen
Wahlkreises erklärte er sich zur Annahme eines Reichstagsmandates bereit
trotz des schweren Opfers, das er sich dadurch in seiner »letzten Wissenschaft*
liehen Erntezeit« auferlege, weil er es als Pflicht betrachte, sich zu stellen,
da einmal der Ruf: »Zurück auf die Schanzen!^ erklungen war. Er erklärte
sich keineswegs als prinzipiellen Gegner der Verstaatlichung; könne man doch
gerade »an der (ies< hichte des Posiwesens den Fortschritt der neuen Zeit
Viiogt, Jahrbuch u. Deutscher Nekrolog. 9. ltd. \2
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Moomscn.
gegen die Kulturperiode des sogenannten Altertums ermessen; die Kon-
zentrierung des großen Kiscnbahnverkehrs in der Hand des Staats ist eine
Notwendigkeit geworden, welcher sich auch derjenige nicht verschliclit, der die
damit verbundenen C belstände wolil erkennt. Aber die gesunde Verstaatlichung
beraht entweder darauf, dafi die also konzentrierte Tätigkeit billiger und
solider geleistet wird, als die individuell au^elfiste, oder darauf, dafi, wo die
Monopolisierung eines Geschifts durch das Großkapital droht, es besser ist,
rulcr vielmehr weniger schlimm, von dem Staat abzuhängen, als von einer
in ^i< h geschlossenen Kapitalistengesellst li.ift. Aber liei den neuen Projekten
handle es sich Bismarck nicht um volkswirtschaftliche Krwägungen, sondern
nur um Machtfragen. Und »alle diese Pläne, welche aus der rechten Tasche
des Volkes etwas in die linke stecken, haben, von anderen abgesehen, die
Eigentümlichkeit, daß etwas unterwegs anderswohin gerät.« Es handle sich
Bismarck in Wirklichkeit darum tlie liberale l'artei zu brechen; die selb-
ständige Cjemeinde ZU vernichten, sowie die freie Assoziation und das selb-
ständige Beamtentum. Von dem Lassalleschen Prograuune unterscheide sich
das System dadurch, daß »die Staatsomnipotenz in der Form des Minister^
absolutismus sehr wohl durchführbar ist und oft in der Geschichte dagewesen,
zuweilen als vorübergehender Eingriff eines allzu mächtigen Geistes, aber
auch dauernd als die letzte Phase einer untergehenden Nation. Der Parallelen
enthalte ich mich; sie könnten nicht schmeichelhaft sein. Ks gehöre zuni
Verhängnis der deutschen Nation, dali sie ihre Lebensbedingungen ^ gegen einen
Mann, den sie mit Recht ihren Retter, in gewissem Sinne ihren Schöpfer nennt«
verteidigen mUsse.M) — M. wurde zwar nicht in seiner Heimat, aber in Cobuig
in den Reichstag gewählt Schon vor seiner Wahl war namentlich die otä"
ziöse Norddeutsche AUgem. Zeitung« über ihn hergefallen, die u. a.
behauptete, daß »bei M. das Keuer wiederum im Dache sitzte und daß er
»so wenig von seinem eigenen Zustande Kenntnis habe, > daß er in einem
schlcswig-liolsteinisi hen Wahlkreise die Leute glauben machen will, daß er
noch genügend Fähigkeiten besitze, um sie im Reichstage zu vertreten.«
Der Minister von Puttkamer aber behauptete im Reichstage unter heftigen
Angriffen auf M. am 15. Dezember, die Rede erinnere mehr an Kleon, als
an Perikles. M. replizierte, indem er sich gegen PiUtkaniers Ausfälle ver-
wahrte, aber zugleich konstatierte, daß nach dem Zusammenhange seiner Reile
vom September unter den neuen Propheten unmöglich die Minister gemeint
sein konnten. Am 24. Januar 1883 aber polemisierte Bismuck selbst im
Reichstage gegen jene Rede M.s mit den Worten: »Diese konstitutionelle
Hausmaierei, die der Abg. M. mit einer für einen so angesehenen Geschichts-
schreiber ungewöhnlichen Feindschaft gegen die Wahrheit mir vorwirft —
ich kann nur annehmen, daß die \'ertiefung in die Zeiten, die 2000 Jahre
hinter uns liegen, diesem ausgezeichneten Gelehrten den Blick für die sonnen-
beschienene Gegenwart vollständig getrübt hat — sonst hätte er unmöglich
in Reden, die er gehalten hat, mir Schuld geben können, dafi die »Reakti-
vierung des absoluten Regiments« erstrebt werde - .\m folgenden Tage er-
klärte M., daß er den Ausdruck »konstitutionelle Hausmaierei« niemals
gebraucht habe, ihn auch mit tler geschuldeten Ehrerbietung gegen den
Herrscher nicht für vereinbarlich halte. Er lasse keinen Zweifel gegen seme
Königstreue aufkommen, wenn er es auch nicht liebe, sie im Munde zu führen,
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MiMDinseii.
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weil er nicht mit einer Gesellschaft zusammengestellt werden wolle, welche
diesen Namen mir zu häufig gebrauche, t^lirigens war ^t :un 14. Juni
genötigt, Herrn von Kardorft gegt-niiher ilicsclbe Tatsache nochmals festzu-
stellen. — Nichtsdestoweniger lieli Bismarck im Februar gegen M. — wie
übrigens damals auch gegen andere freisinnige Abgeordnete — die Ehren-
beleidigungsklage erheben, und am 15. Juni spielte sidi vor dem Berliner
Landgericht II die Aufsehen erregende Verhandlung ab, in welcher der Staats-
anwalt eine Geldstrafe von 600 M. beantragte, wi ll M. die neue Wirtschafts-
politik eine Politik des Schwindels genannt hatte, ol) diese nun von einem
hohen oder geringen Manne in die Hand genommen werde. M. verteidigte sich
konform seinen Aufierungen im Reichstage dahin, dafi es ihm nicht eingefallen sei,
den Reichskanzler als Person beleidigen zu wollen, während sein Verteidiger
darauf hinwies, daß der Kathedersozialismus gemeint gewesen sei und daß
der Kampf der politischen Meinungen vor das Forum des Reichtages und
nicht des Gerichtes gehört. Das Gericht schenkte dem Angeklagten natürlich
vollen Glauben und sprach ihn nach kurzer Beratung frei. M. ist aber
Bismarcks Vorgehen zeitlebens als nicht ^enUema^üAe erschienen. —
Wenige Tage nach dem Prozesse sprach M. auf dem sächsischen liberalen
Parteitage in Dresden und erhob gegen Hisinarck den Vorwurf, er segle
nicht mehr mit den vollen Segeln der Geschichte; Einheit und Freiheit
seien untrennbar, neben den Dynastien drücke der Reichstag praktisch die
deutsche Einheit aus. 55)
Noch im Jahre 1884, als es sich um die Verlängerung des Sozialisten-
gesetzes handelte, trat er als Reichstagsabgeordneter mit einer Zuschrift an
ein Koburger Blatt hervor: Ȇber die Schwere der Gefahr, welche unserer
ganzen Zivilisation in der sozialistis( lu-n Bewegung droht«, so schrieb er,
»täuscht sich niemand, dem das Vaterland wirklich das Höchste und Letzte
ist; mit allen anderen Parteien kann man sich vertragen und unter Um-
ständen paktieren, mit dieser nicht.« Nichtsdestoweniger sah er jetzt in dem
Gesetz »ein Erzeugnis eines sehr gerechtfertigten, aber wenig überlegten
Volkszoms«, da es den Zweck, den es erreichen wolle, geradezu schädige,
wie sich schon aus den Reichstagswahlen ergeben habe. Ganz abgesehen
von den allgemeinen Botlenkcn gegcti Ausnahmegesetze, fördere nichts die
Sozialisten besser, als das N'ietleihalten der sachlichen Diskussion. Kr sei
daher für einen L bergangszustand, der zur Aufhebung des Gesetzes führen
solle, während der Reichstag die Verantwortung für eine sofortige Aufhebung
der Regierung gegenüber nicht tragen könne. Von der Regierung vor die
Wahl der Verlängerung oder der völligen Aufhebung gestellt, würde er aber
trotz allem für die Verlängerung als das kleinere übel stimmen. 5^)
In der folgenden Legislaturperiode war M. nicht mehr Mitglied des
Reichstages, aber auch nach seinem Austritte aus dem Vertretungskörper
blieb M. Politiker. Er selbst hat, als ihm der Wahlverein der Liberalen zu
seinem 80. Geburtstage gratulierte, geantwortet: »Zum Volksvertreter hat mich
Gott nicht geschaffen und nur die Not gemacht, aber ein guter Bürger denke
ich gewesen zu sein und zu bleiben.« 57) Die Einzelheiten der Politik waren
nicht seine Sache. Und er hat politisch in den letzten zwei Dezennien seines
Lebens am intensivsten und auf die weitesten Kreise gewirkt, gerade weil
er nicht in Detailfragen, sondern sozusagen nur in deutschen und gesamt-
3a'
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500
MomiDMD.
europäischen Lelieiisfragen d;is Wort ergriff und sein von der Höhe seines
wissenschaftlichen inid ethischen St:in(li)unktes aus gesprochenes Wort all-
überall vernommen wurde. Namentlich suchte sein historisch geschultes
politisches Denken den Zusammenhang der deutschen ^twicklung mit der
Weltpolitik zu erfassen. Allerdings war er sich bewuflt, »daB die Humanität
innerhalb der Politik nur ein einzelner und nur ein sekundärer Faktor« ist.S^
Aber als ein Sohn der Aufklärung und ein Kämpfer von 1848, konnte er
niemals vergessen, daß er nicht nur ein Deutscher war, sondern aiirli im
weiteren Sinne ein Bürger jener Gesamtzivilisation, die sich aus dem römischen
Reiche herausentwickelt hatte» deren Äußerungen er wie wenige andere zu
verfolgen imstande war. Wenn er also auch der Friedenskongresse spottete,
wi lrhe nur die Zahl der schönen Worte vermehrten, so warnte er doch vor
jedem (k'danken ein Weltreich zu gründen. Der Gedanke schien ihm nicht
germanisch, unrl er warnte vor dem ewigen Frieden, den das Römertum
durch sein Weltreich der älteren Kulturwelt gebracht hat dadurch, dall es
aus dem Rechte des Stärkeren die letzten Konsequenzen zog; »denn wenn
also eine Nation bereichert wird, so vergeht eben die göttliche Welt mit
ihrer glänzenden Mannigfaltigkeit und wohl tritt ein Frieden ein, aber der
Frieden des Grabes«. Allerdings erschien ihm unter dem Eindrucke des
I)e\vaffncten Friedens die Hoffnung seiner Jugend, daß ein friedliches untl
freunilliciies Nebeneinanderstehen der großen Nationen unserer Kulturwolt
sich ausbilden und befestigen werdc", nahezu eitel; allem er betrachtete es
vor allem als Aufgabe der deutschen Nation, die letzte Konsequenz, welche
zum Erstarren der Kulturwelt führen würde, solange wie möglich hinaus-
schieben zu helfen, und zu diesem Zwecke schien ihm kein Opfer zu grofl
(R. U. A. 142, i94f.). M. berichtet vom jüngeren Scipio: «Bis auf seine Zeit
hatten die Zensoren bei der Niederlcgung ihres Amtes die Götter angerufen,
dem Staat größere Macht und Herrlichkeit zu verleihen; der Zensor Scipio
betete, da6 sie geneigen möchten den Staat zu erhalten. Sein ganzes Glaubens-
bekenntnis liegt in dem schmerzlichen Ausruf« (R. G. II, 84). In diesem
Zusammenhang versteht man die Worte, mit denen M. seine akademische
Rede vom 22. März 1875 schloß: Möge die Kraft der Nation uml ihrer
Herrs( lu r das, was sie geschaffen hat, auch erlialten! (R. u. A. ^t>.} Auch
die Kolonialpläne, die ihm mituiMer mehr auf unverständige Eroberungslust,
als auf zivilisatorische Aufgaben zurückzugehen schienen, wies er von der
Hand, und in bezug auf Osterreich blieb er dem kleindeutschen Programme,
dem er seit 1848 anhing, treu. Er schrieb noch im Herbste 1902: »Wir
sehen wohl ein, was. wir durch die große chirurgische Operation von König-
grätz verloren haben ; aber wir halten sie doch für heilsam und in ihren
Folgen dauern<i, Fine organische X'erbiiulung mit Osterreich
wollen wir vor allem in unserem Interesse nicht; wohl die engstmögliche
geistige Gemeinschaft und eine Allianz wie der Dreibund in seinen grünen
Tagen war, aber nicht mehr. . . . Kann Deutsch-Österreich fortbestehen, so
kann es das nur durch sich selbst als ein zweiter deutscher Staat. Daran
haben allerdings auch wir ein sehr lebhaftes Interesse.« Aber obwohl er
betonte, daß sich geraile die Reichsdeutschen die Frage vorlegen müßten,
* ob ihr Emtrcten für deutsch-österreichische Interessen nicht mehr schadet als
nützt, so scheute er sich doch nicht mit aller Kraft seines Temperamente^
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Mommi»cn.
seiner Leidenschaft für die Konnationa]en in Osterreich einzutreten, als sie
im Jahre 1897 ihren Verzweiflungskampf gegen Badcni führten. 59)
Wie mit den Deutschen in Österreich das nationale Band, so verbanden
ihn mit Italien wissenschaftliche und persönliche Sympathien und all jene
köstlichen Kritmerungen seiner italienischen Fahrten; auch schien ihm nach
der Begründung des deutschen Reiches der Staat Italien »wie kein anderer
in Europa« mit Deutschland enge verbunden zu sein (R. u. A. 55); aber so
sehr er auch selbst in Italien gefeiert wurde, verkannte er nicht, dafi alle
Italiener vor allem die enge Verwandtschaft mit den Franzosen empfanden
(R. u. A. 466) und erblickte in dem unstaatlichen Konglomerat, das lateinisclie
Rasse genannt wird, »ein namhaftes KIcincnt der politischen Konfusion« (K.
u. A, 318} — dies um so mehr, als er, iler >'in fünfzigjähriger Arbeit den
Segen und die Freuden« internationalen Zusammenarbeitens auf Wissenschaft«
Hchem Gebiete erfahren hatte, »die schwere Schädigung, welche der deutsch-
französische Krieg den wissenschaftlichen Arbeiten zugefügt hat«, »das
schwere T'n^dück des dauernden nationalen Konflikts mit Frankreich schwer
empfand und sich über die allmähliche Besserung der Beziehungen wissen-
schaftlich und menschlich freute (R. u. A. 430!.). Nicht minder wertvoll
erschien ihm ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland und
England, das ihm in seiner Jugend als Asyl des Fortschrittes, als das Land
der politischen und geistigen I'reiheit erschienen war, und obwohl er in der
»Rechtsfrage zwischen Kngland und der Transvaal- Republik F.nglands \'or-
gehcn verurteilte und die Dinge beim re( hten Namen nainite, betonte er doch,
daß bei der Annexion der Burenrepubliken kein deutsches Interesse im Spiel
sei und tat, was an ihm lag, um durch Aufklärung der öffentlichen Meinung
der Verbitterung zwischen den beiden grofien Kulturvölkern entgegenzu-
wirken.*»)
Am energischsten trat er aber auf, wenn es ihm schien, daß die deutsche
Kultur selbst in tiefahr sei. Deshalb trat er gegen das Zedlitzsche Schul-
gesetz und gegen die Lex Heinze in die Schranken und nahm an der Gründung
des Goethebundes teil. Der Fall Spahn aber, als ein Hochschullehrer wegen
seines Glaubensbekenntnisses, also aus konfessionellen Rücksichten eine Pro-
fessur erhielt, veranlaBte ihn im November 1901 zu jenem flammenden Protest,
der in und außerhalb Deutschlands gehört wurde und überall Widerhall er-
weckte. Es geht durch die deutschen Universitätskreise (las Gefühl der
Degradierung. Unser Lebensnerv ist die voraussetzungslose Forschung, die-
jenige Forschung, die nicht das findet, was sie nach Zweckerwägungen und
Rücksichtnahmen finden soll und finden möchte, was andern außerhalb der
Wissenschaft liegenden praktischen Zielen dient^ sondern was togisch und
historisch dem gewissenhaften Forscher als das Richtige erscheint, in ein
Wort zusammengefaßt: die Wahrhaftigkeit.* »Auf ihr ruht die deutsche
W^'ssenschaft, die das ihrige beigetragen hat zu der Größe und der .Macht
des deutschen Volkes« (R. u. A. 432 ft.) — und deshalb wußte M., daß er
im Gisamtinteresse des deutschen Volkes sprach, und erwartete und fand
wenigstens cum Teile den begeisterten Widerhall, den seine geistige Tat
verdiente. Die Schwachmütigen allerdings erschraken vor den Worten des
Greises, die gerade da trafen, wo man devote Rücksichtnahme gewöhnt war,
und die Böswilligen versuchten vergebens sie so mißzuverstehen, als hätte
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502
Mommsen.
er für die eine Konfession gegen die andere Partei ergriffen und Intoleranz
gepredigt, obwohl er nur die Lehrfreiheit und che Ehrhchkeit der Kor^cliung
verteichgte. — Noch weiter aber rückten (he Ängsthchen von ihm ab und
noch begeistertere Zustimmung fand er, als er nach der rechtswidrigen An-
nahme des Kardorffschen Antrages im Reichstage, durch welche die schatz-
zöUnerischen Handelsverträge ermöglicht wurden, in welchem er einen Staats-
streich und den Beginn eines Tnistur/es der Reichsverfassung erblickte, seine
Stimme erhob (Dezember 1902). Er bot seinem P'reunde und politischen
Berater Th. Harth einen Artikel für flessen Zeitschrift an, »der die schlimmen
Eigenschaften der So/ialdemokralie, daneben aber ihre Tüchtigkeit, ihre
Opferwilligkeit, ihre Disziplin den Ostelbiern und den Kaplänen gegenüber
auseinandersetzt«; er war der Ansicht, da6 »alles um alles« gehe und dafi
es in solchen Momenten »eines jeden Schuldigkeit ist für die Sache einzu-
treten .'") I-'r führte in diesem meinem politischen Sclnvanengesange aus, daß
nur ein Zusaniniensi hluU aller nicht in die reaktionäre X'erschwörung ver-
wickelter Parteien, also mit Ausschluß der Scheinliberalen und mit Einschluß
der Sozialdemokraten, noch Rettung bringen könne; daß es ein perfider
Köhlerglaube sei, die Nation in Ordnungs- und in Umsturzparteien zu gliedern,
da doch in letzter Linie jede T'artei auf den Umsturz des Bestehenden hin-
arbeite; dalJ sich alles jxilitiN» !u- Zusammengehen nicht auf die letzten Ziele,
sondern auf die nächsten beziehe; und dafJ gegen den Absolutismus eines
Interessenbundes des Junkertums und der Kaplanokratie ein Zusammengehen
zwischen dem ehrlichen Freisinn und den durch die Habsucht der Interessen-
cliquen gedrückten und zum teil erdrückten Arbeitermassen in die Tat um-
gesetzt werden müsse. Er war freilich nicht Sozialdemokrat geworden und
warf gerade der Sozialdemokratie ihre Intransigenz vor.^-) Aber er sah doch
nur in diesem Zusammengehen > was uns noch retten kann". Er ist jetzt
wie einst nicht vor dem Radikalismus der Tat zurückgeschreckt, wetm sie
ihm geboten schien, wenn die ihm teuersten Interessen bedroht waren; aber
das Programm, das er im Jahre 1848 ausgegeben: »Keine Reaktion, keine
Isolierung, keine Anarchie« hat er durch diese letzte Kundgebung ebenso
verteidigt, wie seine Verurteilung der Interessenpolitik aufrechterhalten und
seinen Satz verfochten, daß die (ieschichtc keinen Hocliverratsparagraphen
kennt. Was aber bewundernswert an >einer Knt\vi( klung war, ist, daß er
noch in diesem spätesten Alter den realen '1'at.saciien fest ins Auge geblickt
und sich ihnen angepaßt hat, dafl er, der sich einst für das Sozialistengesetz
ausgesprochen hatte, bei voller Wahrung seiner Prinzipien sein ursprüngliches
ethisches l'rteil Über die »staatszerstörende« Sozialdemokratie revidiert hatte.
Wie in der Wissenschaft, so gilt in der i'olitik von ihm, daß er seine Gesamt-
anschauung festhielt und seine Ziele nicht aus dem Auge verlor, aber sich
den Tatsachen nicht verschloß und mit der Kraft des Gedankens und der
Tat rücksichtslos auf den Wegen wanderte, die er für die richtigen hielt,
unbekümmert um alles andere, als um die Wahrheit. —
VII. M.^ l eben und Person lichkeit. Berlin war der natürliche End-
punkt von M s Wanderjahren. Nichtsdestoweniger war auch hier — sogar
al)gesehen von den politischen \'erhältnissen — gar mancherlei, was nicht
nach seinem Wun.sche war und ihn mitunter tief herabstiinmte. Je mehr er
sich auf ein Zusammenleben mit seinem Schwiegervater und Freunde und
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Mommsen.
Berater in allen praktischen Dingen des Lebens, Karl Reimer, gefreut hatte,
um so schwerer traf ihn der Tod flieses \ ortreff liehen \fannes wenige Monate
nach seiner ( hersiedehnig. 'I rotz allen wlNsciischaftiichen Lebens fühhe er
sich in den ersten Jahren unbehaglicii, und er selbst schrieb die Schuld teil-
weise seiner für Berliner Verhältnisse allxu knappen materiellen Stellung, teils
dem Umstände zu, dafi er genötigt war infolge seiner Veipflichtungen gegen
das Corpus Inscrlptionum in seinen besten Jahren gerade die Arbeiten zurück-
zustellen, die ihm wissensehattlich am meisten am Herzen lagen, namentlich
wohl das römisciie Staatsretht. Im Jahre i<S6i dachte er daran, einem Rufe
an die Bonner, 1868 an die üöttinger Universität Lolge zu leisten; beide
Male wußte man ihn in Berlin zurflckzuhalten, das erstemal dadurch, dafi
er, da er auf eine intensive Lehrtätigkeit ungeme verzichtete, in Überein-
stimmung mit den Wünschen der Berliner philosophischen Fakultät, zum
Professor an dieser ernannt wurde, das zweitemal nach einem Gutachten
von Haupt, der namens der Akademie erklärte, daß fliese einen Ersatz für
M. nicht finden könnte und daß durch M.s Abgang die Tätigkeit und das
Ansehen der Akademie geschädigt würden. Aber noch einmal, im Jahre 1874,
war M. entschlossen, Berlin zu verlassen und nach Leipzig zurückzukehren,
mit dem ihn so liebe Erinnerungen verbanden; da starb Haupt, und die
einstimmige Wahl der Akademie, die M. an dessen Stelle zum ständigen
Sekretär der philosoj^hisrh-historischen Klasse berief, bewog ihn /ii bleiben/'^)
In demselben Jahre wurde er Rektor der Universität Berlin, nni der sein
Name auch durch sciiu Lehrtätigkeit ewig verbunden bleiben wird.
Man hat wohl g<^sagt, dafi M. kein glänzender Redner war. Doch ist
das nur in dem Sinne richtig, dafi weder seine fiufleren Mittel, seine dünne
und hohe Stimme, noch seine kritische Anlage ihn befähigten in Treitschkes
Art rhetoris< h-patlR'tis( he Wirkungen zu erzielen und daß er andererseits
an die Denkfähigkeit und auch an die \orbildung seines Auditoriums nicht
geringe Anforderungen stellte und nicht für das iHeft« diktierte. Deshalb
konnte man wenigstens in den letzten Jahren seiner Lehrtätigkeit beobachten,
dafi sich z. B. in dem an Präzision unvergleichlichen Kolleg »Römisches
Staatsrecht für Juristen <, das die Grundlage für den »Abriß des römischen
Staatsrechts wurde, die Reihen der Zuhörer schon lange vor Semesterschluß
lichteten. Diejenigen aber, welche bis zum Schlüsse folgten, waren fasziniert
von der unübertrefflichen Klarheit der Gedankengänge und der lichtvollen
Darstellung. Wenn man dem Vortragenden folgte, gab es keine dunklen
Ecken und keine toten Punkte. Er war auch im einzelnen sehr genau vor-
bereitet und pflegte bei wichtigen oder strittigen Fragen die entscheidenden
Quellenstellcn anzuführen oder auch /\\ l)c->|>rechen, ohne doch den Aufbau
<Ies Vortrages durch IL'iufung des Lnwichtigen zu stören. Dabei gestaltete
er aber nicht aus seinem Kollegienhefte heraus, sondern aus dem Vollen
seines Wissens, in unmittelbarer Intuition, sei es, daß er aus den allgemeinen
staatsrechtlichen Begriffen einer Zeit heraus logisch die historisch gegebenen
Einzelinstitutionen entwickelte oder dafi er die handelnden Persönlichkeiten
abzeichnete, wie sie ihm vor der Seele standen, nicht anders, als er einen
persönlichen Bekannten geschildert hätte. Das Divinatorische seiner Ge-
staltungsgabe trat bei stilchen (jelegenheiten ;un deutlichsten her\'or, und
wie dem Leser der romischen Geschichte die aus vereinzelten zerstreuten
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Mommsen.
AiultnituiigLMi in den (,)ucllcn lebenswahr und lebensnotwendig hingestellten
Persönlichkeiten eines Marius oder Sulla, so werden seinen Hörern die Charak-
teristiken des Kaisers Konstantius, des Legitimisten, und des Kaisers Julian,
des Romantikers auf dem Throne der Cäsaren, unverge61ich bleiben.
Weit größeren Wert als auf die Vorlesungen legte M. allerdings auf die
Übungen; denn die Flemente der historischen Wissens( haft sind, man möchte
sagen, noch einfacher und noch sclbstverstan<lli( her als die der S[)rach W issen-
schaft und der Mathematik; und eben darum weder lehrbar noch lehrhäit«;
»die Getstesfähigkeit, auf der sie beruht, . . . kann ohne Zwdfel durdi den
weiteren Bildungsprozefl wesentlich gesteigert werden, aber eigentlich nicht
durch theoretische Lehre, sondern nur durch |)raktische Übung«; als not-
wendige Propädeusis aber betrachtete er (he Kenntnis der Sprache und die
Kenntnis des Rechts der Kpnche, PhilolnM-j^^. m^,! jurisprudenz (K. u. A. loff.).
Diese Kenntnisse wurtien von ihm vorausgesetzt, und er konnte sich an Er-
mahnungen an historische und philologische Studenten nicht genug tun, die
Fakultätsgrenzen ja nicht zu beachten, sondern eingehende juristische Studien
zu pflegen, ebenso wie er es besonders gerne sah, wenn Juristen an seinen
f'biingen teilnahmen; und es fanden sich in der Tat in dieser Pflanzschulc
der (ielehrten der Altertumswissenschaft junge Männer sehr verschiedener
wissens( haltlii her Richtungen zusammen, aus denen sich dann die Hot h-
schuUehrcr der deutschen l niversitäten nicht minder, wie die Mitarbeiter am
Corpus Inseripäomm und den anderen grofien wissenschaftlichen Untemeh»
mungen rekrutierten. Schon im Seminare selbst konnten sich die Arbeiten
auf einem verhältnismäßig hohen Niveau halten, und da es bekannt war, dafi
M. ziemlich ausgebreitete Vorkenntnisse voraussetzte und für die Prüfung
nichts zu holen war. war fler Kreis der Teilnehmer trotz des Weltrufes, den
das M.sche Seminar genob, im allgemeinen ein kleiner. Dies ermöglichte
die engere Berührung zwischen Lehrer und Schülern und erhöhte den intimen
Reiz dieses Allerheiligsten der Altertumswissenschaft Schon wenn sich der
Jünger nach Überwindung eines ehrfürchtigen Schauers in dem engen Biblio-
theks/imnier im letzten Stocke ilcs engen Charlottenburger Häuschens meldete,
war ra^ch eine Beziehung zwischen Lehrer und S< luder hergestellt, wenn ihn
M. meistens iles Morgens, aber schon nat h mehreren Arbeitsstunden inmitten
seiner Bücher im grauen Schlafrocke empfing und ihn mit den wunderbaren
<lurchdringenden Augen, die Lenbach zu malen unternommen hat, mustert^
ihn nicht etwa prüfen<l, sondern tastend nach seinen wissenschaftlichen Be-
strebungen und Wünschen ausfra^'te, ermutigend, aber docli gelegentlich un-
verständige Pemerkungen mit einer ironischen oder energischen Wendung
im Gespräche niederschlagend. An dem ersten Seminarabende pflegte dann
M. einige Arbeiten vorzuschlagen, sah es aber gerne, wenn ein Hörer sich
selbst ein Thema wählte, das sich ihm aus seinen bisherigen Studien er-
geben hatte. Ein jeder muflte dann seine Arbeit schriftlich zu einem ht-
stimmten Termine einem anderen Teilnehmer des Seminares als Referenten
übergeben, und Arbeit und Referat wurden erst dann M. übermittelt, so daß
immer mindestens zwei Teilnehmer vollständig über das zu besprechende
Thema orientiert waren, während auch die anderen, wenn es anging, sich
vorbereiteten. Die Besprechung der Arbeit führte dann M. am nächsten
Seminarabende selbst durch, oder vielmehr er bdiandeile ~inf>d|£«ig|M»'
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Mmninsen.
505
sammeiifassenden Kritik den rn-gcnstaii(! scll)staii<lig und crüiiUcrio so an einem
Beispielf, wie die riitcrsurhung hätte geführt werden sollen, stellte sie in
den weiteren Zusaninienhang der römischen Kntwi<'klung und zeigte, bis
welchen Grenzen sie mit dem vorhandenen Materiale vordringen könne.
Nicht nur die einzelnen oder gehäuften Frageseichen und Verweisungen,
die der Schüler in seiner Arbeit fand, und die Kritik, die er klopfenden
Herzens anhörte ijnd die milde und anerkennend war, wenn M. den Ein-
druck hatte, daß einer sein Bestes getan, aber scharf und vernichtend, wenn
er auf wissenschaftliche l'nehrlichkeit stieß, sondern vor allem <ier Aufbau
der Forschung, den M. vor seinen Augen vollzog, die Darlegung, wie ein
.wissenschaftliches Resultat gewonnen werden kann, >var fOr den Hörer be-
lehrend und für den, der folgen konnte, geradezu ein ästhetischer Genuß. —
Nachdem M. nahezu ein Vicrtcljahrhundert gelehrt und intensiv wie
wenige gewirkt hatte, lieli er, um die Hauptlast der Lehrtätigkeit auf jüngere
Schultern abzuwälzen, im Frühjahr 1885 seinen Schüler, Freund und Mit-
arbeiter am Corpus Otto Hirschfeld von Wien nach Berlin berufen, der ihm
seidier seine wesentlichste wissenschaftliche Stütze wurde, während er selbst
nur noch durch wenige Semester, zuletzt im Jahre 1887 Vorlesung und Übungen
abhielt, obwohl er sich nach wie vor an den Sitzungen der philosophischen
Fakultät beteiligte. Auch jetzt bis in die letzte Zeit pflegte er des Morgens,
so wie ihn tlie Statuette von Pracht darstellt, in seinen Pelz gehüllt, die
Tasche unter dem Arme, von seiner Wohnung in ('harlotteni)urg zur Tram-
way zu gehen, im Wagen eifrig zu lesen, während der Schaffner den Fremden
bedeutungsvoll belehrte, dafl dieser kleine in sich versunkene Mann der große
Mommsen sei, den jedes Kind in Berlin kannte, und den Vormittag über
auf seinem Stammplatze in der königlichen l^ibliothek eifrig zu kollationieren
oder sonst zu arbeiten. Aber er pflegte auch den gesellschaftlichen l'mgang
mit den Kollegen weiter. So standen ihm aiilJer Hirschfeld und einigen
anderen engeren Fachgenossen numentlicli Sciiercr und in .späterer Zeit
Hamack nahe, und in der »Graeca* traf er mit seinen näheren Freunden
regelmäßig zusammen. Durch seine politische Stellung war er in Beziehungen
zu L. Bamberger gekommen, aus welchen eine warme Freundschaft erwuchs,
und .dlwöchentlich einmal kehrte er in Berlin, meist zusammen mit H. von
Sybel, l)ei seinem alten I-'ieunde Ad. Delbrück ein, dessen Familie er auch
in Hernigsdorf wiederholt besuchte. Dabei verschmähte er es nicht, an der
großen Geselligkeit Berlins teilzunehmen, was ihm nur durch sein unglaublich
geringes SchlafbedQrfnis ermöglicht wurde, ebenso wie er sich daheim an der
Jugend, die ihn umgab, erfreute. Sein kleines, durch die fürsorgende Haus-
frau wohlgeordnetes Haus war nahezu zu enge für seine elf Kinder,^) denen
er mit zärtlicher Liebe anhing; sein tiefinnerliches Verhältnis zu seiner dattin
spiegelte sich in der hohen Achtung wieder, die er vor der Frau und ihrem
häuslichen Berufe hegte; bei festlichen Gelegenheiten freute er sich auch die,
welche schon flOgge geworden waren, um sich zu versammeln, und zu Sil-
vester fehlte es für keinen aus seiner Umgebung an einer kleinen, mit einem
Scherzworte begleiteten Gabe, bei keiner Hochzeitsfeter seiner näheren Um-
gebung an einem Hochzeits-Karmen, wie er auch aus der Feme, von der
Reise aus seinen Töchtern manchen neckischen Vers zusendete, der deutlich
zeigte, wie der Vater stets der Seinen gedachte.
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506
Mommsen.
Doch Wiircn ihm die KtMM.n — nach Italien, aber auch nach Frankreich,
nach Süddcutschland — meist durch das Corpus Inscriptiomm veranlafit, nicht
nur eine Gelegenheit cur Arbeit, sondern auch eine Veranlassung, Land und
I^ute kennen zu lernen und zu geniefien. Er war auch da in Arbeit und
Geselhgkeit unermüdlich, und manche schnurrige Anekclote weiß von seiner
Fröhlichkeit namentlich in Rom zu erzählen. Noch im letzten Dezennium
seines lA-bens, als ihn rc[;eIniäUij,f eine seiner Töchter begleitete, war es nicht
innner die Tochter, die zuletzt ermüdete.
Sein 60., sein 70., sein 80. Geburtstag wurden von der ganzen wissen*
srhaftlichen Welt gefeiert, und er wurde mit all den Ehren Qberhäuft, die
wissenschaftliche Körperschaften verleihen können; von den staatlichen so-
genannten Flirunfren wußte er Ii fer?izuhalten, soweit es ohne Aufsehen
anging. Aber .uk Ii jene waren iliin, soweit sie offiziell und nicht persönlich
waren, eher eine La.st. Sie haben ihn wohl nit ht einen Tag seines Lebens
mit seinem Willen von der Arbeit abgehalten. Wirkliche Freude empfand
er über die Verleihung des Nobelpreises im Jahre 190z, weil sie ihn mancher
materieller Frwägungen für die Zukunft Oberhob; er hat übrigens sogleich
eine nicht unbeträehtlit lie Summe einem gemeinnützigen Zwecke, der Volks-
bibliothek in ( "liarK ittenbur^', gewidmet.
Aber wenn er, der das seltene S( lii( ksal hatte seinen Ruhm zu erleben
und ihn trotz seines hohen Alters nicht zu überleben, dem Schaffenskraft
auch Schaffensfreude bedeutete und der feurig, wie in der Jugend, fort-
arbeitete bis ihn der kalte Tod anrührte, doch den Leiden des Alters nicht
entging, so war dies die Folge seiner unerbittlichen Wahrhaftigkeit gegen
sich selbst. Allerdings hat er es in der wunderl)ar weisen Rede über das
Alter ausgesprochen, daß es unter natürlichen Hetlint^ungen für den Mens( lien
wünschenswert ist, den Becher des Daseins bis zum letzten Tropfen leeren
zu dürfen ...... Und uns Forschern vor allem sagt ja die eigene Er-
^rung, dafi die grofie wissenschaftliche Leistung nicht anders völlig gelingen
kann, als in vicljähriger rastlos fortgesetzter Arbeit. Fs ist vielleicht richtig,
d.iß Männern wie (lauß und wie Rockh die großen .\percus, flurth die sie
die Frkenntnis der Welt gefördert haben, sämtlich in ihren Jugendjahren
aufgegangen sind; aber die Saat ist nur die eine Hälfte der wi.ssenschaft-
lichcn Tätigkeit, und die Zeit der Ernte nicht minder unentbehrlich, wenn
ein bedeutender Forscher seine Bestimmung erfüllen soll«. Und er führt
aus: »Die gewohnte Tätigkeit versagt auch dem Greise nicht; die in früheren
Jahren gezogenen l'mrisse füllen in liebevoller Nacharbeit allmählich sich
aus und das W erk des Lebens wächst au< h unter den schwächer werdenden
und ermüdenden Händen dennoch Strich für Strich, bis endlich der Tod es
fertig erkl&rt« (R. u. A. 59 ff.). Er hat sich selbst genauer gekannt, als die
ihn beobachteten und sich schon frühzeitig nicht über das allgemeine Los
der Mensehen, daß sie altern, hinweggetäuscht und seine Aufgaben danach
gewählt. F.r hat aut h dies mit der ihm eigenen Energie durcligeführt unti
so in allem wesentlichen sein Werk vollendet und im spätesten Alter noch
geleistet, was kein Jüngerer ihm gleich tun konnte. Aber eine niederge-
schlagene Stimmung drang immer häufiger durch, wenn ihm das Schicksal
irgend einen Schmerz zufügte. Im Frühjahr 1869 raffte ihm der Tod plötz-
lich einen hoffnungsvollen Knaben weg, an dem er mit zärtlicher Liebe hing.
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Mommsen.
im Jahre iSSo eint- löjährii^H' Tdclitcr. Am 12. Juli «Icsselhen Jahres zer-
störte ein durt h l nvorsiclitigkcit cntstamleiier Hraiui einen Teil seiner Biblio-
thek und seine Notizen^5) und einige entlehnte Manuskripte, die unersetzlich
waren; and obwohl die Bibliotheksverwaltungen in keiner Weise rekrimimetten
und seine Freunde das \'erIorene zu ersetzen suchten, vergaß er doch nie
des 5>un{^lü( kselif^'eii ÜramleN. Dann kamen <lie jioh'tis< hen Ärgernisse, die
ihn mit manchem seiner I reunde entzweiten, und iler Hismarck-l'rozeli. Dann
lichtete der Tod die Reihen seiner Aitersjienossen und der Jüngeren; nament-
lich Scherers Tod (1886) traf ihn tief; 1890 starb A. Delbrück; nionand wird
es vergessen, wie er am Sarge Bambergers, nachdem er ihm ergreifende Worte
nachgerufen hatte, in sich zusammensank (1899); wenige Jahre darauf entriß
ihm der 'l'od seinen Bruder Tyeho, mit dem ihn trotz mancher Verschieden-
heit des Cliarakters j^erade die liebevolle l-ürsorjLje <les Hedeutenderen und
Anerkannten gegenüber dem weniger Begünstigten verband. Im Jahre 1895
legte er das ständige Sekretariat der Akademie, einige Jahre darauf alle seine
Ehrenämter nieder. Immer häufiger blickten die Augen starr, wie nach Innen
gewendet, immer tiefer legten sich die Falten zwischen Mund und Wangen.
Und vielleicht noch mehr, als die schweren persönlichen Verluste, bedrückte
seinen auf das Ganze gerichteten Sinn die Lage des Staates, dessen von den
Interessenkämpfen dur<'h\vühlte Gegenwart ilm nicht liefriefligte und dessen
Zukunft er schwarz sehen mußte, weil nametitlich u\ Norddeutschland die
Klasse der Intelligenz, der nach seiner Ansicht die Führerschaft gebührte,
indan sie sich von den libaalen Idealen abkehrte, nicht diejenige Energie
in der Verteidigung höchster Güter entwickelte, die er sein ganzes Leben
betätigt hatte, und die aufstrebende Arbeiterklasse ihm unfähig erschien, die
historische Führuni( zu ül)ernehmcn. Ks hat ihn daher he-^onders tief ver-
stimmt, daß der Sammelruf, den er im Herbste 1901 in seinen Artikeln
über »Universitätsunterricht und Konfession« an die Verteidiger der voraus-
setzungslosen Wahrheitsforschung ergehen liefi, gerade an norddeutschen Uni-
versitäten keine einstimmige Zustimmung und gerade in den Kreisen, auf die
er bauen wollte, sogar teilweise Opposition fand. Seine Stimmung drückte
sich auch ein Jahr später iku h der Annahme des Kardortf^( hen Antrages
unii seinem Artikel »Was uns noi h retten kann « in den Worten aus, mit
denen er den Applaus beantwortete, als er auf dem freisinnigen Parteitage
erschien: »Klatschen Sie nicht, meine Herren, es ist jetzt keine Zeit zum
Beifallklatschen.«**)
Bald darauf, kurz nach Neujahr iqo^ traf ihn der letzte, härtcNte Schlag,
als seine liebe Krau aufs Krankenbett gew(Mfen, der Spra» he beraubt wurde,
l^nd als er sich aufraffte, um seinen Si hmer/, durch neuerlii he energis( he
Arbeit zu übertäuben, merkte er immer deutlicher, daß sein Augenlicht be-
denklich abnahm und dafi er vor der Erblindung stand. Davor hat ihn aber
ein gütiger Gott bewahrt. Trotz allem unbezwungen, hat sein Creist und sein
Körper ausgeharrt, bis er, mit den letzten abschlieflenden Arbeiten seines
letzten großen Werkes, des CoJe.x 21ieodofttuiii< . hesch.Tftigt, vom Schlag ge-
troffen niedersank und, ohne das I?ewußtsein wiedererlangt zu h<aben, nach
drei l agen am i. November 1903 seinen letzten Atemzug tat. —
Die wissenschaftlichen und persönlichen Taten eines Mannes wie M. sind
seine beste Charakteristik, und wenn man es versucht, die Lebensäufieningen
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Mommsen.
ciiuT so starken und reichen l'ersonlichkeil unter einem (iesii luspunkte /u-
sainmenzufiisben, so läuft man (Gefahr, sie einseitig aufzufassen, weil die Ab-
stiaktioii, nur ein mattes Spiegelbild des Lebens, nicht das Leben selbst
wiedergeben kann. Vollends venerrt aber wird das Bild, wenn man es im
Kranz der Anekdoten betrachtet, den Tradition und Legende schon darum
gewunden haben, der Anekdoten, die bestenfalls eine Augenblicksstimmung
illustrieren wollen, l'nd aurli die sogenannten charakteristischen Züge, welche
ja doch nichts anderes sind als Abweichungen von der naturgemäßen menscli-
sichen Entwicklung« heben das Bild aus der Umgebung heraus, die es erst
verständlich macht Man darf nicht vergessen, daS auch M. »im höchsten
Grade durch Zeit und Ort bedingt ward«, dafi er als Gelehrter mitten in
der Entwicklung der Wissenschaft, als Mensch mitten in der Entwic klunt; der
deutschen Kultur steht und ein Stii( k dicsiT Entwicklung ist. Die .\ufgaben
waren durcii den IMatz, auf welclien er gestellt war, vorgezeichnet, und die
l'rage kann nur sein, was gerade seine Persönlichkeit befähigte, unter den
gegebenen Voraussetzungen einen so groflen Teil der Kulturaufgabe zu be-
wältigen.
Allerdings wird die Energie des Mannes in Denken und Handeln, die
schier unermeßliclie Arl)eitstnasse, die er bewältigt, erst verständli<h durch
eine X'orbedingung, durc h die stählerne Harte seines Körpers, der die größten
Strapazen ertrug, ohne zu ermüden oder ermüden zu dürfen, der nur eines
Minimums von Schlaf bedurfte und der immer wieder, wenn er zeitweise im
letzten Dezennium zu erlahmen gedroht hatte, zu konzentriertester Arbeit
angefeuert wurde, bis er endlich auch diesem stählernen Willen den Dienst
für immer versagte.
Aber keinem Beobachter, der das (Iiiirk hatte, M. in seiner geistigen
Werkstatt zu belauschen, ja keinem litirer, der seine Vorlesungen besuchen
konnte, keinem, der mit ihm sprach, wird es entgangen sein, daß er das
weite Gebiet, mit dem er sich beschäftigte, mit souveräner Sicherheit und
Raschheit beherrschte. Es schien kein latentes Wissen zu geben, sondern
jede Tatsache in jedem Momente zur Verfügung zu stehen. Die Tatsachen
schienen sich wie von selbst in ihren logischen und genetischen Zusammen-
hang einzuordnen; deshilh erschien auch keine neue wissenschaftliche Er-
fahrung überraschend; denn sie mußte sich von selbst in die klare Ordnung
dieses Geistes einfOgen. In dieser Schnelligkeit und Fülle der Assoziation
äußerte sich das Funktionieren eines aufiei^ewöhnlich organisierten Gehirns,
dessen Assoziationsfasern übemormal ausgebildet waren, dessen Nervenbahnen
übernormal schnell funktionierten. Auch M.s außergewöhnliches Gedächtnis,
das ihm gestattete, bei der Ausführung der ausgedehntesten Arbeiten gewisse
sonst übliche Hilfsmittel und Vorarbeiten vollständig zu verschmähen, war
nur eine Folge dieser Anlage.
Aus ihr folgte aber auch vor allem jene Zentraleigenschaft, unter die
man alle übrigen subsumieren kann, M.s absolute intellektuelle und ethische
Wahrhaftigkeit. Denn bei tler klaren Anordnung, bei dem Zusammenhange
aller wissenschaftliclien und menschlichen Erfahrungen, die er in sich auf-
genommen, mußte jede N'orstellung, welche mit den anderen nicht überein-
stimmte, störend wirken, und der Denkprozeß konnte erst dann zum Ab-
schluß gebracht werden, wenn alle Vorstellungen neu revidiert, beriditigt
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Mommsen.
509
und miteinander in Übereinstimmung gebracht waren. In diesem Sinne ver-
stand er ilie -im großen wie im kleinen vor keiner Miilu* sc heuende, keinem
Zweifel ausbiegende, keine Lücke der t^berlieferung oder des eigeru-n Wissens
übertünchende, immer sich selbbt und andern Rechenschuft legende Wahr-
heitsforschung« (R. u. A. 459); in diesem Sinne betnurhtete er auch als sdnen
»Lebensnerv« die Wahrhaftigkeit, als »erste Bedingung für den echten Er-
folg« »den Mut der Wahrhaftigkeit« und jede Abweichung als unverzeihliche
»Sünde wider den Heiligen Geist« (R. u. A. 432 ff.). Forschung und Be-
tätigung des als richtig Erkannten fielen daher auch notwendig für ihn zu-
sammen; er äußerte sich einmal, daß er sich nie, auch nur durch Still-
schweigen, an dem mitschuldig machen werde, was er aus Überzeugung
mifibillige und dafl man eben ein Licht nicht hindern könne zu leuchten.
Ihm war es dank seiner Anlage und seinem Temperamente ernst mit dem
kategorischen Imperativ und deshalb war ihm eine Trennung zwischen
geistiger Arbeit und praktischer Betätigung, zwischen Wissenschaft und Praxis,
zwisclieii (beschichte und Politik einfa<h unverständlich.
Aus diesem Drange nach Wahrhaftigkeit entsprangen aber aucli die beiden
Seiten setner wissenschaftlichen l'ätigkeit, die Kritik und die zusammen-
fassende Rekonstruktion — in gegenseitiger Ergänzung und im charakteristi-
schen Widerstreit. Was er von O. Jahn schrieb, gilt von ihm in gesteigertem
Maße: Wahrhafiif^keit war der Kern und ('.rund seines Wesens. Auf die
Forschung bezogen entsprang daraus jener besondere Sinn für das Sicher-
stellen des Positiven und Faktischen, jenes Bestreben, zuerst und vor allem
die Überlieferung rein und klar und vollständig zu ermitteln und darzulegen«
(R. u. A. 458). Er konnte nicht ruhen, bevor dies so vollständig wie möglich
geschehen und jedes Hilfsmittel der Kritik angewendet war, um so weit
möglich die wahren Tatsachen und diese allein aus dem Wüste der wider-
spruchsvollen Überlieferung herauszuschälen. Andererseits konnten ihm diese
übriggebliebenen Bruchstücke nicht genügen, und er verlangte nach dem
Garuen, nach der ganzen Wahrheit Die römische Geschichte nicht minder
wie das römische Staatsrecht zeugen von dieser synthetischen, rekonstruieren-
den, produktiven Arbeit, weKhc ein mögliches oder das einzig nuigliche
widerspruchslose Gesamtbild wiederherstellte und die verlorenen Teile nach
den gegebenen Anhaltspunkten oder auch mit schüpferiM'hei Phantasie er-
gänzte, ob es sich nun um einen Te.vt oder um eine Persönlichkeit odt r um
eine politische Entwicklung handelte. Er hat niemals die Herstellung der
Bausteine für den Endzweck gehalten, niemals »Uber die Mittel den Zweck
vergessen«, und mit seinem Sinne für das Wesentliche die Hyperakribie ver-
achtet, die ihre Hauptaufgabe in der Anhäufung gleichgültiger Noten und
Zitate erblickt, aber auch niemals geglaubt, ein Gebäude ohne Bausteine
aufrichten zu können. Alier wenn auch Kritik und Synthese derselben
Wurzel, dem Drange nach einheitlichem, widerspruchslosem Erkennen ent-
sprangen, so war er sich doch des durch die Unvollkommenheit der mensch-
lichoi Erkenntnismittel bedingten Widerstreites zwischen beiden bewuflt
Pflicht und Anlage führten ihn zur rücksichtslosen Kritik, und doch sagte er
sich schon als Jüngling, daß sie häufig zur »Erkältung des Herzens« fidue.
Pflicht und Teniperament führti-n ihn zur gewaltigen kühnen Synthese.
Während die Kntik die Freude an der eigenen Arbeit rauben konnte, führte
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MoininscQ«
die Hef;eisteruiig trotz der Möglichkeit des Irrtums zur ( )rij.'inalität, Lebendig-
keit, zur S( h.iffensfreude. In M.s Lehen üherwog hald jene, bald diese.
Diese machte ihn in seinen besten Juli ren zum gewaltigsten Geschichtsschreiber,
jene zum einschneidendsten Forscher. Aber wenn Zeiten der Depression
periodisch seit seiner Jugendzeit und häufiger mit zunehmendem Alter wieder-
kehrten, so waren es die Zeiten, da die Kritik überwog und seine Produktion
hemmte, als er, mitunter infolge von (^Überarbeitung otler Nachlassen der
körperlichen und geistigen SjKuinkraft, nicht imstande war, zu schaffen.
Aus demselben Drängen nach vollständiger Erkenntnis erklärt sich auch
die merkwürdige Erscheinung, dafi die Umrisse des gewaltigen wissenschaft-
lichen Lebenswerkes, welches erst der Greils abschlofl, schon dem Jüngling
feststanden, jene geniale Intuition, mit weicher er in seinen ersten Schriften
Resultate vorwegnahm, die er eigentlich erst in seinen letzten erwiesen hat,
jene Kühnheit, mit welcher in der Rc')misclK-n (ieschichte« z. 13. Resultate
des Staatsrechtes vorweggenommen sind. Was er in einem Jugemlaufsatze
ausgesprochen hat, daü der Darsteller vor der Ordnung des Matenales über
die Ansicht seines Gegenstandes mit sich aufe reine gekommen sein müsse,
und sich nicht etwa erst während des Schreibens seine Ansicht bilden dOrfe, gilt
auch für .seine gesamte Leliensarbeit, deren Plan schon vorlag, als er auf die
Wanderscliaft ging, so d.iß er dann die l'mrisse ausfüllte, indem er allerdings
alle Quelleii heranzu/ichcn strebte, wie er es als ernsteste X'erptlichtung der
Wahrheitbforsthung empfand, und im i orischreiten des Baues auch an den
Umrissen ftnderte, wo es das Material verlangte. Geradeso charakteristisch
ist es auch in dieser Beziehung, dafl er von den allgemeinen Begriffen der
Jurisprudenz und dem /entralbegriff »Staat ausging, aber durch seine uner-
müdliche philologische Arbeit erst das tiefere Verständnis des römischen
Staates begründet hat.
Derselbe Drang nach Wahrheit, der ihn die Lücken des VVi.ssens immer
wieder empfinden lieft und in der eigenen Arbeit nur die selbstverständliche
Pflichterfüllung sah, hielt ihn ferne von jeder Überhebung und Eitelkeit und
nährte in ihm die innere lk-s( heidenheit des wirklich grofien Mannes, die
insbesondere in seinen letzten Jahren sich geradezu zu einer Überbescheiden-
heit steiget te, namentlich dann, wenn er das (lefühl hatte, daß seine Arbeits-
kraft erlahmte, und andererseits neue Kragen in Theorie und Praxis der
Losung harrten. Gerade daß er, wie kein anderer, sich bis ins höchste Alter
die Fähigkeit bewahrte, auch was neu war, richtig abzuschätzen, statt es in
der bequemen Art des Alters einfach abzulehnen, stngerte in ihm das Be-
wußtsein der relativen Unzulänglichkeit des einzelnen dem ewigen Flusse
der Erscheinungen gegenüber, wenn er auch natürlich wußte und wissen
muüte, was seine Leistung für die (lesc lui hte der W issenschaft l)e<leutete.
Aber es ist bezeichnend für ihn, daß er in seiner Vorlesung zu sagen pHegte,
Gibbon sei das bedeutendste Werk, das je über römische Geschichte ge-
schrieben wurde, obwohl es in gelehrter Beziehung nicht überschätzt werden
dürfe. So erkannte er stets gerne fremde Arbeit an, wie die Hunderte be-
zeugen, die er gerne unfl fast väterlich gefCtrdert hat, deren menschliches
und wissenschaftliches S» hicksal er wachsam unii gütig verfolgte, und tluldete
sogar in seinem Scmmare, wo ihm Anfänger gegenübersaßen, gerne Wider-
s[>ruch, wenn dieser ihm begründet erschien oder aus ehrlicher wissenschaftlicher
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Mommsen. ^ 1 1
Forschung und Überzeugung hervürgin^^ Dagegen war er in der Tat überall
unerl)itt!ich gegen Unehrlichkeit in der i'orst hung, ob sie nun auf Phantasterei
oder Schwarbe zurückging, und gegen aufgeblasenen Dilettantismus. An Kaiser
Wdhehn 1. schätzte er, daü er ^ war, was ein rechter Mann sein soll, ein
Fachmann« (als Militär) (R. u. A. 165). Damit war natürlich nicht gemeint,
dafl ein Mann und Gelehrter seinen Interessenkreis möglichst einschränken
solle, wohl aber, dafl jeder die Pflicht habe, das selbst abgesteckte Gebiet
so intensiv zu bebauen, wie irgend möglich, und dagegen sich einer Un-
zulänglichkeit auf jedem anderen Ciebiete bewußt zu bleiben. Kr selbst
suchte die Bildung seiner Zeit mit seinem Ueiste zu umfassen und bedauerte
es lebhaft, daü er infolge seiner Erziehung den modernen Naturwissen-
schaften fremd gegenüberstand.^) Dagegen beherrschte er seit seiner Jugend
die modernen Kultursprachen und tat sich etwas darauf zugute, sich in
jeder, dank seinem feinen Sprachgefühle, mit ausgesuchter Eleganz aus-
drücken /u können, wie er denn auch auf das formale Si)rachstudium den
größten Wert legte. Kr verfolgte uiul schätzte auch bis in sein Alter die
Produkte der fremden Literaturen; nicht leicht war ihm ein französischer
Roman zu schlecht, um ihn durchzufliegen. Allgemeine Kultur war ihm
selbstverständliche Vorbedingung. Mit leiser Ironie hat er das «inmal für
den des* li!< litsschreiber ausgeführt: »Dichten ist ein Übermut, sagt der Poet
Geschiclitssclireiber s{)ielen ist es noch viel tnehr; denn von Rechts wegen
müßte der Historiker alles wissen und die eigentliche Kunst desselben be-
steht darin, daß er sich das Gegenteil nicht merken läßt.« Aber in Wirklich-
keit ging M. so weit, dafl er sich trotz seiner Beherrschung der griechischen
Sprache, seiner Kenntnis der griechischen Literatur und Geschichte, nicht
leicht wissenschaftlich auf das an das seinige grenzende Gebiet der griechi*
sehen Altertumskunde vorwagte.^) Daß er aber von diesem seinem festen
Standpunkte aus gelegentlich die Ueichtsinniget' und Unehrlichen aus dem
Tempel der WLssenschaft davonjagte, hat nicht minder dazu beigetragen, ihm
den unbegründeten Vorwurf der Intoleranz zuzuziehen, wie seine (Gering-
schätzung der Schwächlinge in der Wissenschaft, die übernommene Pflichten
nicht erfüllten, der ^paulo-poit-facturi die keine »Fertigmacher« waren. Denn
wie er sich selbst jede scheinbar unbedeutendste .Arbeit zumutete, wenn er
sie für notwendig hielt, und häufig genug auf sich nahm, was Kleinere zu
tun verschmäht oder vernachlässigt hatten, so verlangte er ein gleiche-' au( Ii
von allen Mitarbeitern. «Alle Wi.ssensehaft-, so führte er an, «beruht auf
dem Ineinandergreifen der verschiedenen arbeitenden Kräfte, und ihre sittliche
Bedingung ist die gegenseitige Anerkennung der Arbeitenden« (R. u. A. 66).
Aus dieser Anerkennung heraus haben sich M.s schönste und herzlichste
Freundschaftsbündnisse entwickelt, die mit seiner Arbeit zusammen mit den
schönsten Teil seines Lebens bildeten, so das mit Uenzen und mit de Rossi.
Sein Bewußtsein, ein Teil des Ganzen zu sein, hat ihn nicht nur zum wissen-
schaftlichen Organisator, sondern auch zum geselligen Menschen gemacht,
und Geselligkeit war ihm von den Studentenjahren an bis in sein spätes Alter
Bedürfnis. Kr verstand es in gleicher Weise den Gelehrten und den Politiker
und den Geschäftsmann in zwangloser Weise durch seine Konversation, Witz und
Humor zu bezwingen, wie die gefeierte . Weltdame in Rom, l^aris oder
Berlin und das schüchterne junge Mädchen, dem es vor dem berühmten
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512
MoRumen.
Manne graute, zu bezaubern, und mit den Studenten in der kheinweinkneipe
zu trinken und zu plaudern, dali sie sich schier verwunderten, wie der strenge
Gelehrte tu ihnen herabzusteigen verstand, und jeder doch ein meist scherz-
weise ausgestreutes belehrendes und pointiertes Wort mit sich nach Hause
nahm, das mehr Lebensweisheit als Schulweisheit enthielt — Er gab sich
eben wie in der Wissenschaft, so in in tler Geselligkeit ganz und ohne Rück-
halt, und hier trat natürlicli sein Temperament und seine mitunter atzende
Kritik noch stärker hervor. Auch hier war er immer vollständig bei der
Sache und dafl er jeden Inzidenzpunkt gleich in allen seinen Zusammen-
hängen sah, machte ihn zum schlagfertigsten Causeur, der stets das wesent-
liche traf; dafi er aber auch keitu- Schwäche übersah, verlieh ihm eine
souveräne Ironie, die, auch wenn sie sich humorvoll äußerte, manche steif-
leinene (Irr>ße verletzt hat, besonders da sowohl falsches Pathos als auch in
konventioneller \Vei^e zur Schau getrageiie Verehrung vor dem berühmten
Manne ihn, der jeden falschen Aufputz verschmähte, innerlich verletzte.
Seiner intellektuellen entsprach seine ethische Wahrhaftigkeit, die ihn
auch nicht den geringsten Widerspruch zwischen Denken und Handeln ertragen
ließ. Der kategoris( he Imperativ war ihm derart in Fleisch und Blut über-
gegangen, daß die Äußerung einer klaren F^rkenntnis für ihn geradezu ein
Zwang war, und da sich seine Ced.uiken in wissenschaftlicher Beziehung
auf dem Gebiete der Staatswissenschalten bewegten, so war die Politik nur
die ethische Seite seiner intellektuellen Betätigung. Es entsprach seiner An-
sicht von der Bedeutung der intellektuellen Stände im Staate, wenn er aus-
rief: Die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, wo die sogen, gelehrte Welt
in dem Wahne stand, sich von der realen Gegenwart emanzipieren zu dürfen,
ja zu sollen ' (R. u. A. qa) und weim er für die gebildeten Kreise den
patriotischen Schwung, die selbstlose Opferwilligkeit« reklamierte, »welche
das höchste Privilegium der vollen sittlichen Bildung ist und für welche die
niederen Kreise wohl die Empfänglichkeit, aber nur in geringem Mafie die
Initiative besitzen (R. u. A. 25). Man kann auf ihn anwenden, was er von
Leibniz sagte: Kr konnte nicht anders leben und empfinden als im Ganzen
der menschlichen Entwicklung, d. h. im Staate; und stets hat er als Gelehrter
wie als Mensch sich als Staatsbürger empfunden (R. u. A. 41). Daher ver-
schwand bei ihm das persönliche Interesse vollständig, und wo er es für
notwendig oder nQtzlich hielt, sich in einer Öffentlichen Angelegenheit zu
äuOern, tat er es ohne jegliche Berechnung mit dem vollen Einsätze seiner
Person und mit der ganzen Wucht seines Temperaments. Deshalb haben die
Manifeste, die von dem Alten in Charlottenburg ausgingen, stets ihre volle
Wirkung geübt, nicht nur wegen der hohen wissenschaftlichen Autorität, von
der sie ausgingen, nicht etwa weil die Worte auf die Goldwage gelegt ge-
wesen wären, sondern weil ein jeder es spürte, dafl der Hauch einer groflen
Seele von ihnen ausging; und man bewunderte mit Recht seine ewige Jugend,
weil ihm w ie dem Jüngsten die Hemmungen fremd waren, die aus Opportunis-
mus und Bedenklichkeitsfanatismus hervorzugehen pflegen. Aber trotz seiner
Verachtung gegenüber aller Konvention und allen falschen Werten, ertrug er
sie, wo er nuinie, daß es weniger Schaden anrichte sie nicht zu beachten
oder zu ertragen, als gegen sie anzukämpfen ; so ist er nie in die Gefahr geraten,
gegen Windmühlen zu kämpfen, und behielt stets das wesentliche fest im
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MonmiMi)»
5»3
Aage. Aber in dieser Synthese des real Gegebenen mit dem Idealen, !i< sein
Leben durchzieht, liegt allerdings rlersclbe Widerstreit, wie zwisrhcn Kritik
und Konstruktion. Kr sieht die hi'ininciulen Momente, beklagt die Dc-
humanisicrung und die moruli.schen Seuchen, die sich gleich.suni epidemisch
verbreiten, die »Rebarbarisierung« tief und beobachtet mit steigendem Mifl«
Men »die durch den Interessenkrieg herbeigeführte Schädigung«, die neue
Parteibildung auf Grund der Interessengegensätze und betrauert, daß »für
die unparteiische Abwägung der Rechte überhaupt und der kollidierenden
Interessen kein Träger mehr gefunden wird' (vgl. R. u. A. 64. 91. 411. 475);
aber mag ihn dies alles auch zeitweise niederdrücken, so hält er es doch
um so mehr als Pflicht, »das heilige Feuer des selbstlosen Patriotismusc zu
wahren, mit seiner ganzen Person einzutreten, wo es not tut, und zu erinnern
an »den notwendigen endlichen Sieg des Kdlen über das Gemeine« — eine
»Erinnerung, deren wir freilich bedürfen!«
Quellen. Zu Icbiuiftcin Daiikc bin ich vor allem der Familie Munimscns verpflichtet,
welche mir in der gütigsten Weise Auskünfte erteilte und Mitteilungen in reichlichem MaOe
vermittelte; außerdem namendicli Herrn Prof. Otto Hirschfeld und Herrn Ptof. U. v. Wiluno-
witi-Milllcndürf. — Sehr reiches Material fUr die Keiintiii>- der Persönlichkeit liicten die von
Hirschfeld nach M.s Tode gesaniinelten : »Reden und Aufsätze« (Berlin 1905. — Zitiert
als »K. u. A.«) und natürlich auch die Übrigen Werke M.s. Diese sind jetzt vollständig
susunmengestdit in: »Th. M. als SchrUbteUer — Ein Vetxetclmis seiner Schriften von
K. Zangemeister, im Auftrage der König). Bibliothek bearbeitet und fortgesetzt von Kniil
Jacobs« fBerlin 1905. — Zitiert als Z.-J.>. Herrn Dr. laiobs, der jeden küiifti{,'eii Bio-
graphen durch seine Arbeit der mühevollen bibliographischen \'orarbcit Uberhoben hat, liin
ich auch flir die Mitteilung seiner Aushingebogen und manchen Wink zu Danke verpflichtet.
— Außer einigen an },'ecigncter Stelle zitierten Artikeln über M. führe ich ferner hier
folgende Aufsätze an, die durch ihre nar>tellung[ oder durch Mitteilung von Materi.al für
mich von besonderem Interesse waren: C. Bardt, Ih. M. (Berlui, Weidmann. 1903. — Ge-
schrieben 187s). — Th. Barth, Th. M. in »Die Nation« XXI. Jahrg. Nr. 6 (7. Nov. 1903).
— H. Blumner, Th. M. (Separatabdr. der N. Züricher Zeitung 1903, 4. — 6. Nov.). — E. Bor-
mnnn, Tli. M., Ansprache bei der Gedenkfeier der Wiener L'niver-itiit am 30. Nov. 1903
(Wien 1904, Selbstverlag), — E. Costa, 7". M., Discorso inaugurak J>cr l' a/sno 1^04 — j
netP tMuerHA Ji Bologna (Bol^nat SUUfU. Up. Smcc, Manii, 1904, — Abdruck: Boiogna,
ZanichttU igoj). — A. Dovc, Zur Erinnerung an Th. M. in Bcilaffe z. »Allgcm. Zeitung«,
München 2. u. 3. Kebr. 1904 Nr. 26. 27. - (). Gradenwitz, Th. M. in »Zeitsehr. der Savi<,Tiy-
stiftung f. Kcchts^jeschichle« Köm. Ablh. Bd. XXV (I904j. — A. 1 larn.'ick, Rede bei der Begräbnis-
feier Th. M.S (Leipzig, Hinrichssche Bucbh. 1903). — O.Hir>chfeld, Gedächtnisrede aCTTh. M.
in: Abhandlungen der kgl. preuß. Akademie der Wiss. vom Jiüire 1904 (zitiert: Hirschfeld, Ak.).
— O. Hir>chfe]d, M. (Rede, jjehaltcn zum .So. Geburtstag, abgedruckt in »Der Zcitfjei>.t«f
Beiblatt zum »Berl. Tageblatta, Nr. 48, 30. Nov. 1903). — Ch. Huelsen, Zum Gedächtnis
Th. M., Rede gehalten in der Institutssitzung am 11. Des. 1903, in »Mitteil, des K. D
Archiloi. Instit« Rom 1903, Bd. Will. — J. Kaer>l. Iii. M., in »Historische Viertelj.ahrs-
schrift« 1904 S. 31V ' • 1". Lehmann, M.s Lebenswerk, in »Berliner Neueste Nach-
richten«, 8. u. lu. November 1903. — O. Sceck, Zur Charakteristik M.s, in »Deutsche
Rtmdsehatt« Bd. XXX, 4. Jan. 1904. — E. Schwaitx, Rede auf Th. M., in »Nachrichten von d.
königl. CSes. d. Wissensch, zu Göttingen; Gesch. Mitteilungenc 1904 Heft i. — Außerdem
brachten natürlich die meisten deutsehen und italienischen Zeitiinpcn Nachrufe. — Recht
verkehrt ist die Auffassung M.s bei A. Guilland, L Allcmagnc nauv<lU et ses histwicm
(Paris, Alcan, 1899).
«) Totcnliste 1903, Band VIII 77*.
') Dies nach: y>I)rei Aufsätze Th. M.s aus seiner Schulzeit. Eine Krtnnerungsgabe zum
üu. Gcburt^ta^'e. überreicht vom k. Cliristiancum in Altona«. Als Manuskript gedr. Berlin,
BiofT. Jahrbuch u. Dtuucbcr Nekrolog. Bd. 9. 33
514
Monunscii«
Wi-idmann, 1S97. — Dazu »JalircshiTicht des k. riiristiaiK-um«! /u Altona über das Srluil-
jahr i88i> — 89«, S. 29; ferner Ad. Wacliholtz, Aus l'h. M.s Schulxcit, in »i-\-«t-<chri(t der
48. Vers. O. Phil<rf. u. SchuImftDner in Hamburg dargcbr. vom Lehrerkollegium des
k. Chiistieneiuns zu Altonac (1905), S. 31— 54 und Tycbo Autobiogmphie.
3) Vgl. Festschrift usw. 46; auch 43.
4) \'gl. Hirschfeld, Ak. S. 5.
5) Dieses und die folgenden Zitate aus den angefflhiten Jugendselirtften und insbe*
sondere aus den Kritiken in der N. Jen. AUg. Lit-Ztg. III und aus der Ztschr. f. d.
AltiTtiimswiss, I— ^IIL — Vgl. auch die 9. These der Dissertation : •»Xii-f'uhrii cum splcn-
dofi f/t tum errores in to positos esse, ut historiam toiam esse hypol/u-ticam sive ignorarct
sivc tugareU und dazu die von Hirschfeld, Zeitgeist zitierte Stelle aus »Die römischen
Tribus« S. VII.
*) K. u. A. S. 459. \'gl. auch die spöttische 14. These der Dissertation : y>Jurisems-
sultutn a philo toi^p disccre posst ; an possit philologus ah illo, adhuc dubüanäum,^.
7) Vergl. auch Allg. D. Biogr. : Stonn, von E. Schmidt.
<) Vgl. dazu seine Beurteilung Heines in Lit Zentnübl. 185t, 799 ^ Z.-J. 199 und
R. u. A, S. 416,
9j Gemeint sind natürlich der österreichische und der preußische Adler.
»•) Z.-J. 5. 6. 7.
«») Z.-J. 8. 9. 10.
**) Rede im ])reußischen Abgeordnetenhause am 9. Mttra 1875.
■3) Vgl. liirschfeld, Ak. S. 7.
'*) Vgl. hierzu Michaelis, Sioria dcll' Istttuto archcologico (Jermanico 1^1879).
'S) Vgl. hierzu u. zum Folgenden Hirschfeld, Ak., nam. S. 9 und Costa a. a. O.
'*) Harnack, Gesch. d. ktSn. preuB. Ak, d. Wiss.. II, S. 5050".
''') Vgl. Savi^ys Antrag an die Akademie bei Hamack a. a. O. Ii, 517 ff.
Vgl. Hamack a. a. O. 11 S. 522 — 54a
*9) Die Geschichte der Verhandlungen Uber das Corpus ist dargestellt von Hirsdifeld,
Hierzu und zum Folgenden vgl. »Schleswig- Holsteinische Zeitun«^« fverantw.
Redakteur A. K. Haiisnen) Nr. 1 (15. April 184SJ — Nr. I48 (4. (Jkt. 1S48): Mouimsens
Handexemplar in der Kön. Bibliottiek in Berlin; Mommsens Artikel sind kemtlich teils
durch die Chiffre (M, seit Ende August T), teils durch ein von Mommsens Handschrift
hinzugefügtes »M.«, teils bloß durch den Stil. Daz,»i »Die Schlacht hei Schleswig«,
abgedruckt in K. u. A. S. 363 ff. mit Anmerkung auf S. 363 und Z.-J. Nr. 118 — 119.
") jR. u. A. 468 f.
»J) Vgl. die von Belger, Haupt als akadem. Lehrer (1879) S. 32 zitierte Stelle aus
einem Briefe Mummsens. — Femer Uber den Leipziger Aufenthalt namentlich Jahn,
Biograph. Aufsätze (1866): Th. W. Danzel; Allgem. D. Biogr. »O. Jahn« von Michaelis.
Über den Leipaiger Kreis auch Gomperz, Essays u. Erinnerungen S. 27 ff. — Berichte fiber
den »Deutsch i-n Verein« fmden sich in der »Ldpciger Ztg.c vom Jahre 1849.
^) Freundliche Mitteilung von Dr. Jacobs.
'5) Vgl. Z.-J. zu 1849—1852 und namentlich S. VI und X (Litt. Zentralblatt).
Vgl. auch Blflmner a. a. O. 6 f.
>7) Aus dem Danke ans Anlafl seiner Quinqnagenarien m ntrofite tun; xitiert von
Gradenwitz a. a. O. 6 f.
'*) Veröffentlicht in der »National-Zeitung«, Morgen-Ausgabe, Berlin 17. November
1903» 56. Jahrgang Nr. 606.
*9) Vergl. Hirschfeld, Ak. S. 17 f.
r>) Ilirschfeld, Ak. S. 18 Anin.
3') Zusatz der späteren Auflagen: »Als dies geschrieben wurde, im Jahre 1857, konnte
man noch nicht wissen, wie bald durch den gewaltigsten Kampf und den herrlichsten Sieg,
Ak. S. 6 ff.
«i^ Vgl. Hiischfeld, Ak. S. 13.
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Monunsdii
den die r.cschirhfc Hc- Mcnsclicnfjcsclilcclit'i hi-^hcr verzeichnet hat, denrselben diese furcht-
bare Probe erspart und dessen Zukunft der unbcdinf^cn, durch keinen lokalen Cäsarismus
auf die Dauer zu hemmenden sich !>clbst beherrschenden Freiheit gesichert werden sollte.c
3>) Vg^. Gutzkows Besprechmg »Ein gdcrHntes Geschichtsweikc in seinen »Unter-
haltungen am häusl. Herd« N. F. II (1857) S. .^nf^iT.
33) >Die Schweiz in r lüis, her Zeit« (MUu d. antiq. Ges. in Zürich Bd. IX Abt. 2
Heft i), zitiert von Hirschkid, Zeitgeist.
M) VgL die voa G. Luinbroso, T, Af^ Ricordi (Roma igoj) mi^^ilte Äuflerun;
M.S vom Nov. 1893: »CMÜH mn rittet ^cki m» ha patthnt, U» «mv« äi tModeee
avtrme.*
35) Gutzkow a. a. O. 399.
36) Hirschfeld, Ak. S. ao.
37) Z.-J. 761.
3») Hirschfcld a. a. O. S. 19.
39) Hirscbfcld a. a. O. S. 19.
4*>) Hirschrdd «.«.OS. ao..
4«) Hirschfeld, Ak. S. 16. 21.
4») Hir5chfdd, Ak. S. 24L
4j) Neues Archiv I S. 3 ff.
44) Vgl. hieixtt und xum folgenden Dresael, Zeitschr. f. Numismatik XXIV (1904),
S. 367 ff. (mit einem Verseichnls der numismatischen Schriften Th. M.s). — Dazu Hirsch-
feld, Ak. 27 fr.
45) Das \'orhcrgehcnde aus Wilcken, Archiv für Papyrusforschung III/2 (1904)
S. 147 IT. — Dazu Hirschfeld, Ak. 3of.
4^) Zu dem Vorhergehenden vgl. W. His, Zur Vorjreschichte des deutschen Kartells
und (icr iiitcrn.iti<m.-ilen Assoziation der Akademien (mit Aktenstücken) in: Berichte über
die X'erhandl. d. k. .sächs. Gesellüchaft d. Wissensch, zu Leipzig. Math.-pbys. Klasse.
54. Bd. (1902), Anhang.
47) Jetzt nach M.'s Anordnung zusamroengestellt in »Juristische Schriftenc I (1905).
*') ^ "J 5"3- 5^9- '->-4 Da/u die Kinleitung M.s zur großen Ausgabe, in welcher
die kritischen Grundlagen dargelegt werden, und Gradenwitz a. a. O. S. 22 ff.
49} Graden witz a. a. O. S. 25.
5") Herausgegeben mit einem Vorworte von Binding (Leipzig 1905).
5>) Z.-J. 296; Nat.-Ztg. Jhig. XUI (1860) Nr. laj.
5*) Z.-j. 309.
53) Vgl. Sitzung vom 17. März 1865 und vom 9. Februar 1866.
54) J.-Z. 866. 867. — »An die übenden Wihler des Reicfaswahlbesirfcs Coburg.«
55) Bericht der »Neue freie Presse«, 20. Juni i88a, IforgenblatI Nr. 6398 und »Allgem.
Ztg.« Beilage zum 21. Juni 18S2 Nr. 172.
56) »(Berliner) Volkszeitung« 1^*84, 16, April, Nr. 90. Vgl. Z.-J. 993, 994.
5f) VgL Barth a. a. O.
Vgl. Umschau IV Nr. 38 (19OO» 15. SepL).
S») Z.-J. 1364 (N. fr. Pr. Nr. 11923, Wien. 31. Okt. 1897).
^) Z.-J. 141 7 — 1420. 1492. Dazu Harth a. a. O.
A<) Barth a. a. O.
6») Nation XX, 11 (11. De?.. 190a) — Z.-J. 1463.
63) Vgl. Hirschfeld, Ak. S. 36 f.
^) Er hatte im gaiuen 16 Kinder, von denen ihn 6 Sühne und 6 Tochter überlebten.
Die ilteste Tochter ist seit 1878 mit U. v.Wilamowitz verheiratet
^5) Darunter niclit, wie die Sage ging, ein .Manuskript des IV. Bandes der rfimischcn
Geschichte. — Wühl über sollen C<w/tM-Manuskripte beschädigt worden sein.
^) Vgl. Barth a. a. ü,
^7) \ gl. üove a. a. O. S. aoa.
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5i6
Momnmen. Plank. MflUbscbcr. Waldersee. BUnuuck.
'•^) Man vjtJ. übrigen«! die 13. These seiner Doktordissertation: *lUud Gracra nen It'
guHhtr cum verum esse tum pr<tbandum, cum res Uraecae pkilologorum siut, Latinac
Plank, Joseph (Hd. VI, 366). »Josef I'l ii.k. Ak.uicniischcr Maler. lanc Leben»-
skizze von I)r. 1 r. W aldiur.« s.-A. aus den >innj>bmckct Nacbricbtenc. Innsbruck, Wagnet«
sehe Universitat.-)-HuchhandlunK. 1905.
MtthlbMher, Eafelbert (Bd. VIII, 344), * (wie in der Totenliste rickti|f angegeben)
4. Okiober, nicht wie S. 344 steht 84. Oktober 1843.
Waldcrsec, Graf (Bd. 1\, 7). Graf Walderscc hat >.ich noch in späten Leben>-
jaliren zu einer Charakteristik ManteufTeU vcranlaUt gesehen, die zum Teil auch an die
Öffentlichkeit gelangt ist, jedoch an derselben Stelle auch von seiten sweier hoch angesehener
Generale sehr liostimmten Widerspruch erfahren hat. Im y. Hände der r,f>rhichte do>
Krieges von 1S66 von Genera! Oscar von Lcttow-\'ori»crk (Berlin 1902» findet »ich
5. 259 der teilwci>e Abdruck dieser vom Grafen Waldersce dem Verfa>ser zur VerfUgimj;
gestellten Charakteristik Manteufrels. in deren Eingang Walderaee angibt, mit Man-
teuffel wiederholt Zusamnicnst iü«.- jjclialtt zu halien. Seiner Beurteilung, auf welche ein-
zugehen außi-rliall» der Atits,Ml)c «liescr I ),iiH|clhiii;; liegt, ist von den diuralen v. d. Burg
(^zuictzt kuinniandieicniier (icncral iles II. AniKckorps) und (iraf \\ artcnslcljcn - Carow
(zuletzt kommandierender General de» III. Armeekorfi«), die beide zu Manteaffel in engen
dienstlichen Hezielumgcn gestanden haben 1 Wartcn-<Icbcn als Chef des St.ibeS der VOD Man-
tcufTel befelilij^tL-n Südarmee, \. d. Mmj,' .1!- ( In f des Stat)eN der ( )kkup.itionsaimee» spStcr
auch in .StiaUburg; mit Knt>chicdcniieit entgegengetreten worden (^ebenda .S. 2Ö1/363). Der
VollftBndigkeit halber sei hier darauf hingewiesen. Hugo Jacobi.
Bismarck, Herbert Fürst (Bil. I\, 105). Sollte einmal die Hri\ itkotre^pondenz Her-
berts mit ».einem \';(ter, speziell die l.ojidoner aii> den Jahren 1S81 dci OtTentlichkeit
ttbcrgebeit werden, woran tretlich soi>ald wohl kaum zu denken tat, so wird dann namentlich
die Intimität interessieren, mit welcher Lord Granville sich damals durch Herberts Vctmttt«
hing an den Vater a nnl!. , um diesen zu bewegen, in »ler ägA'ptischen Frage die Führung
zu Ubcmehnien, was jiiNm.trck ablehnte. Die von Lord Fitzinaurice verfaütc zweibändige
Biographie GranNille^ (Lon^^mans, (.irectt and Co., London i<^oj), die Eiml Daniels im
133. Hefte der Preußischen Jahrbücher zum Gegenstand einer historisch nicht ganc ein-
wandfreien Darstellung gemacht h.-it (»Die englischen Liberalen und Fürst Bismaickc),
würde dann, soweit die Be/iehun^'cn Cranvilles zu Bismarck in Betracht komnion. manche
Uberraschende Lrgiduung erfahren. Daniels eignet sich auch die in dem Bneiwechsel des
englischen Botschafters in Berlin, Lord Ampthill, mit Granville vertretene Anffanong
an, daß die freundliche Aufnahme und die viele Anerkennung, die Heibcit damals in
London gefunden, lediglich ein verabredeter di]ilomatischer Kunstgriff gewesen sei, um
damit den Vater zu gewinnen. Der Botschafter >elb.si hatte an Granville geschrieben: »eine,
angenehme Wahrheit, ein wohlverdientes Kompliment, geiuBert durch einen engüsehen
Staatsmann, hätten eine zauberhafte Wirkung auf den großen, aber leicht verwundbaren
Minister der enjptindlich>tcn Natii>n in der Welt".. K» lie<;t hierin doch eine naive ( bcr-
scbätzung dcü Wertes englischer Komplimente tUr Bismarck. .-\uch konnte Ampthill sich
bald darauf in Friedrichsruh Oberzeugen, da6 mit leeren Komplimenten dort kein Gcsdiift
zu machen war. Den Sohn einer andern großen Firma, auch wenn sie Konkurrentin ist.
wolilwnllcnd und ehrenvoll aiif/iinelniien. entspricht so sehr den kntirni;innischen geschäft-
lichen iruditiouen, daß inuu .-.ich Uber die gute Aufnahme lierberls bei Granville nicht
weiter tu wundem braucht. Sie war sdbstversMndlieh. Audi war es nidit GnnviUe allcb,
sondern die gesarate vornehme englische Gesellschaft eiBseUieSlich der Toiy- Opposition,
Ludo M. Hartmann.
Bismwck. Ratjeel.
selbst der Hof, namentlich der Prinz von Wales, der heutige König, beteiligten sich daran.
Vornehme englische Familien schalTten sich z. B. damals, belustigt durch licrbcits S|)Ott
Ober die kleinen englisdien WeingUser, fllr ihre Tafeln grofle Gliser nach deutscher Art
all. Man behandelte ihn als den Sohn des bedeutendsten Staatsmannes der Zeit mit vielen
Artigkeiten, die aber /ujjleich auch dem verständigen, wolihmterrichteten jungen Diplomaten,
dem tapferen Soldaten und dem heitern, jovialen GcselUcbaftcr galten. Ein unbedeutender
Mensdi wBrde auch als Bismarcks Sohn in England so nicht aufgenommen worden sein.
Granville« Brief an Herbert selbst ist doch mehr als eine auf den Vater berechnete Platitüde,
zumal als Absrhicd-liriof.
Bei dieser Gek-genheit sei noch ein Satzfehler S. 118 berichtigt, »Arcco*. ist fUr
Heibeit Bismarck nicht »Schiednpntdkc, sondern Sehildspruch gewesen.
Hugo Jacobi.
Ratzel, Friedrich (Bd. 144—152). Aus gefälligen Mitteilungen der Witwe ent-
nehme ich, daü K. als Apothekergehilfe kurze Zeit nicht in Mörsch, sondern in Mörs in
der Rheinprovins lebte, dafi seine Besiehungen ni den wflittembeigischen Temi^em nicht
cti^'c waren, wie ich nach einem C^esptScb mit ihm Uber diesen Gegenstand vermutet
hatte, daU er l)ei .\uxonne nicht am linken, sondern am rechten Ohr beschudij,^ wurde und
dali seine Stimmung in den letzten Jahren keineswegs dauernd, sondern nur gelegentlich
jene Verdttsterung zeigte, die mir bei einigen persttnlichen ZnsammenkQnften aufgefallen
war. Der Literaturnachweis ist durch die nach der Vol!cn<liing des vorliegenden Artikels
erschienenen Werke »GlUck-iiiscln und Traume. Cosammelte Aufsätze aus den Grenzboten.
Leipxig, F. W. (irunow. 1905« und »Kleine Schriften von Friedrich Ratzel. Ausgewählt
und herausgegeben durch Hans Helmolt. Band l — 2. München und Berlin, R. Oldenbouig.
iyü5 — 1906« zu ergänzen. Das letstere enthält nicht nui eine trefTliche Lebensbeschreibung
and Würdigung des Ventorbenen, sondern auch ein Verzeichnis der ihm gewidmeten
Nachrufe. Viktor Hantzsch.
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1
I
L Alphabetisches Namenverzeichnis
zum
Deutschen ?
S'ckrolo}; vom
L
Name
Verfasser Seite
AI(icnkiri:hcn, Joseph
r. l.aucheri
202
Anneli, Moriz Ktllcrv.
//. Fricdjutii;
Arnold, Hiipo
IL Holland
23
AOmiis, Robert
JLL Jlollana
LZ2
Asmusscn, Anton
J. Sass
li;»rtels, Max
2äl
Bauern feind, (lustav
//. /Miami
tSo
Baumgartner, Mcinricli
F. Laudiert
2üS
Henncoke, Erich
2ÜÜ
Uerger, Hugo
//tinlc^ch
USl
Beschorner, Oskar
Paed
2S2
Bismarck, Herbert
Kürst V.
IL. yacol^: loi.
5i6
Bittong, Kranz
y. Sass
26
|{rauii, Friedrich v.
Kohlschmidt
III
Braun, Karl Otto
II. Holland
Brausewetter, Otto
iL Sc hm er her
205
Bricglcb, Klard
F. lirümmer
Brosius, Ignaz
A. Birk
m
Brunner, Job. Paul
F. Lauchcrt
198
Brunner, Moritz R. v.
C. M. Danzer
112
Buchenberger, Adolf
F. Xicolai
?9
Buchholz, Wilhelm
. 1. Frcih.v. Menst
266
Burk, Karl v.
h'ohlschmidl
il3
Buttel, Paul
y. Sass
Clar. Konrad
Passet
114
("nyrim, Viktor
Pasd
Cohn, Meyer Alexander
£. Schmidt
I2k
uar bis 3J_. Dezember 19« )4.
Name
Verfasser Seite
Derne] ius, Kmst
A. Jctcnmann
2S5
Detmer, Heinrich
y. Sass
ill
Dettweiler, Peter
Dr. Insold
Dietrich, Anton
Ii. Schmeroer
200
Dietz, Karl
Pagd
— 0 — .
Dräsche, Anton
Paffd
Kckennann, Christian
y. Sass
270
Eggcr von Möllwald,
Alois
152
Khrensberger, Hugo
F. /.auchert
Knibdc, Emilie v, d.
Ph. Usch
ii9
Emminghaus, Herrn.
Pagd
Evclt, August
■1 Znnder
22
Fellner, Stephan Karl
C. ll'ol/sgrulter
165
Fellner, 'i'homas
IL Krctschmayr
1^
Flock, Joseph
F. Lattchert
222
FrieO, Gottfried
F. I.auchert
•21
FUrstenheim, Emst
Pagd
■^04
Fux, Josef
//. Schmtrbcr
122
Garcke, August
Pagd
■^04
GeorgKünig V.Sachsen
0. Kaemmcl
11
Giese, Otto
y. Sass
§2
Goebel, Eduard
F. Brümmer
319
Godin, Amclie
IL Jhlland
90
Graff, Wilhelm Paul
F. Hrümmer
Grillenberger, Otto
F. Lauchert
206
Grob, Konrad
//'. L. Lehmann
Grün, Albert
F. Brümmer
338
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Namcnveneichnis.
Name
I I.u lini.iiin. < "icrliairl
1 i.icnsciniaiui, Ludwig
Huulick, Ediiaid
üutftein, Adalbert v.
Heibeig, Aste
Heincniann, Otto v.
Hcisr;itli, Friedrich
His, Wilhflni
Hoffmann, Joseph
Hofmeister, Adolph
Holaus, Blasius
Holdheini, Paul
Holst. Hermann v.
Hulzniann, Philipp
Hopfen, Haas v.
Huppeft, C Hugo
Ideler, Karl
Jfiler. I<7nntius
Jessen, Otto
Joder, Julian Chry-
sostomus
JoUy, Friedrich
Kalin, Vranz
Kiiiscr, Pius
Kanitz, Felix
Kanoldt, Edmund
Kariowa, Otto
Kelkr. Pius
Kirclihoft', Gustav
Kiöpfer, Victor
Knabl, Karl
Ktfbner. Heinrieb
Koch, Karl t.
Kcippen, Fedor v,
Ki>e«;tcr. Karl
Kottniann, August
Kottulinsky, Adalbert
Graf V.
Krug, Arnold
Landerer, Albert
Laiigerbans, Robert
Legerlotz, Gustav
Lehmann, Heinridi
Verfasser Seite
Süss
SS
F. Uriimmcr
32«
G, Adter
342
F. Brammer
319
y. Satt
100
IV. ScArader
49
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W. Spaiteholsi
231
H, SekmerUr
200
A, VorUrg
166
F, Lmuktri
191
A. Teichmtam
3*0
A. Wahl
61
A. liirk
271
IJliSchalk-IIopfcni^o
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3»4
3»5
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211
jf. Sass
F, Latuktrt
191
Pttgel
316
A. Teichmann
285
F, Lanchert
210
y, J/antisch
184
R. Fr kr. v. Uck-
WtUrg
80
A. Teichmann
284
F. Lttuehtrt
202
78
A. Freih.v. Mensi
267
ff, HoUand
88
315
Pagd
326
F. ßr Ummer
310
Pas^d
279
Pagd
335
H. Zwiedimek
336
7. 5;«»
169
/•■. Franek
3«!
Pagd
335
F. Brammer
3>»
7. Satt
97
Name
Lenli.u-li, Franz. v.
: Licrscli, Ludwig Willi.
Lorenz, Ottokar
Maison, Rudolf
I
Männlicher, Ferdinand
Ritter v.
Mannstaedt, Wilhelm
Maitius, Gtotg
Mollinary, Anton Frei-
1 hcrrv. Monte Pastello
Montbacb, Mortimerv.
Motz, Paul
Muller, August
Malier, Robeft
MO]ler>Fhlm, Adolf
Najmajer, Marie v.
Nirüchl, Joseph
i öhlschMger, Karl v.
Oppenbcimcr, Zach.
Ott, Karl Edler v.
Philippi, RudolCAman-
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Pichler, Max R. v,
Plehn, Friedrich
Ratsei, Friedrieb
Ratsenbofer, Gustev
Regenstein, Charlotte
i Reinbold. Otto
Rettich, Karl
Keutcr, Riebard
Ribarz, Rudolf
Riq^l, Fmnz
RoUett, Hemuum
Roth, ArnoUl
Rttdiger, Otto
Sallmann, Carl
Sauermann, Heiitticb
Sauerwein, Georg
Schell, Wilhelm
Schinner, Iheodor
Schirrmacher, Fried-
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327
A.F\nik»v.Mmei
F. Brammer
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F. I^iuchert
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331
P.ii^d
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V, Jfamtstek
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A. Pirk
372
Pügd
327
V, Hanheek 1 44, 5 1 7
Z. Siebt
289
F. Brammer
30a
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327
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16S
P. Mitzsehke
252
H. Schmerier
208
G. Hem^gmamt
330
P. ToMttig
230
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134
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268
Pk, Losch
160
y. Sass
100
f.. Meyer
234
Ph. Losch
160
A. Teichmann
258
A, Vorierg
76
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^2() Namen verxeichnis.
Name
Verfasser Seite
Name
Verfasser
Seite
Sohlumprecht, Rupert
//. Holland
204
Vochcicr, Joseph
F. Lauchcrt
20s
Schneider, Justus
Ph. Losch
Vogt, Gideon
Ph. Usch
L62
Schüblcr, Adolf v.
A. Birk
Volck, Wilhelm
A, J 'orherg
85
Schuhes. Karl
F. ßr Ummer
■^00
Vorster, Johannes
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Sccgen, Josef
y. Mauthner
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Seidel, August
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Waldersee, Alfred
Silbeniagl, Isidor
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Graf V.
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Ii 5»6
Spicss, Alexander
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280
Wannenmacher, Frani
Stabcnow, Louis
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82
Xaver
A, Zandtr
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Staub, Hermann
A. T<ichmann
2S9
Watterich, Joh. Ba})-
Stell wag V. Carion,
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176
Carl
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305
Waetzoldt, Christian
Stengel e, Benvenut
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209
Stephan
y. Sass
246
Stcrnfcld, Alfred
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Weigert, Karl
Pagcl
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Strauch, Hermann
A. Teichmann
Weitbrecht, Karl
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^ enuiyr, Karl v.
A'. FreUi. v. Le-
Wendt, Ferdinand
F. /tr Ummer
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118
Woltersdorf, Theodor
Th. lyi
StUbel, Alfons
V. Hantzsch
112
Szanto, Eniü
Th. (iom/>ers
Zahn, Friedrich Wilh.
Pagel
3.16
Zenetti, Benedikt
F. /wuchert
121
TiUicra, Karl
IL Holland
66
Zettel, Karl
H. Holland
22
Thierfeldcr, Benjamin
Pasel
2&1
1 Zimmermann, Alfred
115
II. Alphabetisches Namenverzeichnis
zu den
Nachträgen und Ergänzungen.
Name Verfasser
MUhlbacher.Engclbcrt
Niessen, Wilhelm
Oldenbourg, Rudolf
Name
Verfasser Seite
Bi Sner, Otto
/'. Mitzschke
C ans, Adi)lf
Georg IV. A. Kahl-
baum
M8
Delbrück, Rudolf v.
A'. Heißerich
1 laffner, Traugott
0. Güntter
411
1 iagemann, Georg
St. Schindele
Lohmeyer, Julius
A'. A\
419
Lorm, Hieronymus
^l^andcsniann, H^
A. Klaar
152
Mauthncr, Gustav
Ritter V.
F. Schmid
405
Meyj^enbug, Malvida v.
F. .Sfiro
m
Mommsen, Theodor
L. .IL Hartmann
411
Plank, Joseph
Polenz, Wilhelm v.
' Renner, Ludwig
j RinghofTer, Kmanuel
R. V.
" Scheffer-Boichorst,
: Paul
j Schlesinger, Julie
Schwicker, Heinrich
LL Holland
.)/. Bierotte
IL Hgenstein
Kohlschmidt
A. Birk
Seite
43 S
426
412
438
A'. i 'lUiri
Schuller 354
N'olkmann, üicderich Hoßmann'PfoiXai 425
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Digitized by Google
1 ■
Digitized by Google
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Digitized by Google