AETAS
AS; BEBE WES
"S m
Der.
BERKELEY
LISRARY
UNIvaaSITY OF
CALIFORNIA
AETAS KANTIANA
Das kritische Werk Emmanuel Kants, 1724-1804, bedeutet einen
entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Philo-
sophie; besser, der Philosophie überhaupt. Zwischen 1780 und 1800
liess Kant erscheinen : Die Kritik der reinen Vernunft, 1781; Die
Kritik der praktischen Vernunft, 1788; Die Kritik der Urteilskraft,
1790; Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft,
1793; Die Metaphysik der Sitten, 1797. Nicht aufgeführt sind dabei
jene unzáhligen Schriften, die dazu bestimmt waren, die in diesen
grundlegenden Werken ausgesprochenen Prinzipien zu verteidigen.
Kant hatte nicht nur Schüler und Bewunderer. An Gegnern fehl-
te es nicht. Es waren dies vor allem die Verfechter des Wolff'schen
und Leibniz'schen Rationalismus. Andererseitz waren es Fichte,
Schelling und andere Idealisten, die aus den von Kant aufgestellten
Prinzipien die extremsten Forderungen zogen.
Wenige Perioden waren so fruchtbar an Auseinandersetzungen
von Ideen, an Versuchen von Systembildungen. Die Kant'sche Kritik
gab den Anstoss zu einer ganzen philosophischen, kritischen und po-
lemischen Literatur. Sie ist auch heute noch sehr máchtig.
Trotz der verschiedenen und oftmals gegensátzlichen Strómun-
gen, die sie charakterisieren, bilded die Aetas Kantiana ein unteilba-
res Ganzes : etwa die ersten vierzig Jahre der Bewegung. Dieses Gan-
ze, diese Aetas Kantiana, besagt eine enorme Literatur. Sie umfasst
viel mehr als die gróssten Autoren dieser Epoche, sie seien nun kan-
tianisch oder nicht.
Dies ist der Grund, warum es nützlich, ja notwendig schien, die
Werke in einem móglischt vollstándigen Corpus zusammenzustellen.
Unter dem Namen Aetas Kantiana werden also, im Neudruck, die
Originale oder die bestem Ausgaben der reprásentativsten Werke der
Kant'schen Aera publiziert werden; mit Ausnahme, wohlgemerkt,
der grossen Gesamtausgaben, die leicht zugánglich sind.
IMPRESSION ANASTALTIQUE
CULTURE ET CIVILISATION
115 avenue Gabriel Lebon, Bruxelles
1968
Philoſophiſches
Magazin.
——Á——(WGÓ—
$erauségegeben
von
Johann Auguſt Eberhard.
Erſter Band.
——————————————————————————————————————————
HALLE,
bey Johann Jacob Gebauer.
1789.
Philoſophiſches Magazin.
AD—————— p»
$etauságegeben
von
Johann Auguſt Eberhard.
Erſtes Stuͤck.
— — — — — ——— —
— — ——
HALLE,
bey Johann Jacob Gebauer.
1788.
VOAN STACK
Vorbericht.
Si. Abſicht unb die Ginrid)tung dieſes
Magazins iff in ber vorlaͤufigen Nachricht,
welche in dem erſten Aufſatze dieſes erſten
Stuͤcks enthalten iſt, ſo ausfuͤhrlich angezeigt
worden, daß id) in dieſem Vorberichte daruͤ⸗
* 2 ber
Fur IV usc
ber nichts hinzuzuſetzen habe. Slut einige
Vortheile, fe) es mir erfaubt, mod) angw
fübren, bie id) mit von bem Plane vet»
ſpreche, mad) welchem wir unfere Gebanfen
über bie neueſten Angelegenheiten in bem
Reiche ber Philoſophie in furgen Aufſaͤtzen
bem Publico vorgufegen wagen.
Da natuͤrlicherweiſe unfere Unterſuchun⸗
gen aud) bisweilen polemiſcher Art ſeyn wet
den: ſo glaubten wir, daß es nicht anders
als vortheilhaft ſeyn koͤnne, wenn der Wider⸗
ſpruch ſich, ſo bald als moͤglich, einer neuen
Behauptung entgegenſtellte. Das wuͤrde,
dachten wir, den Nutzen haben, daß die
Meinungen von beiden Seiten beſſer verſtan⸗
den
fr OV cem
ben wuͤrden, wenn bie eine fo gut afó bie att»
bere, fammt ifren Grünben, nod) in frifd)em
Andenken waͤre. Hiezu wuͤrde nod) fommer,
daß, wenn wir ſelbſt eine Meinung nicht
recht verſtanden haͤtten, welches bey Mate⸗
rien abſtruſer Speculation wol nicht ſelten
der Fall ſeyn duͤrfte, die Belehrung uns ſo—
gleich auf dem Fuße folgen koͤnnte. Da es
uns nur um bie Wahrheit zu thun iſt: ſo
wuͤrden wir dieſe Belehrung ſogleich nutzen
unb unſern Jrrthum verbeſſern koöͤnnen. Auf
dieſe Weiſe wuͤrde man endlich nach und nach
ſich verſtaͤndigen, und — da ſo vieler Streit
aus Mißverſtand entſteht, — endlich vic
leicht auch wol gar vereinigen koͤnnen. Sollte
dieſes aber auch nicht erfolgen: ſo wird es
3 uns
exr VI 4
uns nicht bie geringſte Ueberwindung foffett,
tie Unterſuchung, ba, two fid), wenigſtens
tor ter anb, nichts gebeiblid)e8 mehr von
ihr erwarten láft, abjubred)en, ofne auf
ben fíeinen zweydeutigen Ruhm, as fefte
Wort gehabt ju haben, eiferſuͤchtig gu ſeyn.
Wenn der deutſchen Philoſophie in ihrem ge⸗
genwaͤrtigen Zuſtande das ſchwerlich zu et»
wartende Gluͤck nicht beſchieden iſt, die wich⸗
tigſten Gegenſtaͤnde des menſchlichen Nach—
denkens außer allen Streit ju ſetzen: ſo büt»
fen wir deswegen nicht alle Hoffnung aufge⸗
Den. Was heute nicht geſchieht, kann mot»
gen geſchehen, unb was in dieſem feben um»
vollendet bfeibt , fann in einem fünftigen forts
geſetzt werden; wenn wir nur feine Unterſu⸗
chung
war VIDI 5-2»
chung vot ber Zeit für geſchloſſen halten, unb
ibren Ausgang mit Wahrheitsliebe unb obne
Rechthaberey abmartert.
Die Kuͤrze bec Aufſaͤtze kann aud) een
Sytu&en haben, bof fie Mannigfaltigkeit uno
Abwechſelung in unfere Sammlung bringen
wird. So ungleichartig indeß die Materien
ſcheinen werden; ſo wird es ihnen doch nicht
ganz an einer gewiſſen Verbindung fehlen.
Sie werden wenigſtens groͤßtentheils durch
die Zeitumſtaͤnde veranlaßt ſeyn; es iſt aber
leicht zu bemerken, daß beynahe immer in
jeder merklichen Zeitperiode gewiſſe Unterſu—
chungen, die in einer Wiſſenſchaft zu gewiſſen
Zeiten herrſchend ſind, ſich mehr oder weni⸗
* 4 get
ruv VII. ^v»
get auj einander beziehen, unb durch ein ge»
wiffeó Band, ba& bem forgfáftigern Beobach—⸗
fet nidjt gang unſichtbar iff , aufammengefal,
fen werden.
Bey biefem erſten Stuͤcke Gabe id) nur
uͤber die Abhandlung von der wahren uno
falſchen Aufklaͤrung noch einige Worte zu
ſagen. Man hat ſich in derſelben bemuͤht,
dieſe wichtige und ſchwere Materie mit derje⸗
nigen Ruhe und Gelaſſenheit zu unterſuchen,
bie viele leſer an ben zahlreichen Schriften,
die ſeit einiger Zeit daruͤber erſchienen ſind,
noch immer vermiſſen werden. Anſtatt die
Graͤnzen der oͤffentlichen Aufklaͤrung mit Bil—
ligkeit und Unparteylichkeit aufzuſuchen, hat
man
fr» [X
man (ie burd) 6raufenbe Declamationen nur
nod) mebr verwirrt. Dieſe unüberfeate Hihe
unb leidenſchaftliche Indiſeretion iff in feimet
C rift merfid)er, afé in ben zwey Frag⸗
menten über oie Aufklaͤrung, — bie vor
furgem erfd)ienen (inb, unb ein Aufſehen ets
tegt haben, welches (fie burd) ihren innern
Gehalt nicht verdienen. Wie wenig ifr
Verfaſſer mit der Sache durchgaͤngig bekannt
ſey, laͤßt ſich ſchon daraus abnehmen, daß
er ben Galilaͤi wegen ber Wahrheit, daß
die Erde rund ſey, verdammen laͤßt.
Solche Fehler laſſen ſich ſelbſt durch die un—
geſtuͤmſte Declamation nicht verdecken. Dies
ſen Ungeſtuͤm der Declamation, ſo wie alle
die llebertreibungen des falſchen Pathos, ſollte
di. uͤber⸗
TAM X ve
uͤberhaupt ber arünblid)e Deutſche ben ſeich⸗
teſten unter ben. franzoͤſiſchen Schriftſtellern
nicht nachahmen, bie ihre Blaͤße in ſolche
Rauchwolken zu verhuͤllen ſuchen, welche,
anſtatt neues fict " geben, ba8 Tageslicht
beà rufigen gefunben Verſtandes verbunfeln,
bey bem wir, ofne fie, beffer (eben wuͤrden.
Halle, ben 13, Octob. 1788.
Der Herausgeber.
Inhalt.
& Yt S moi 22$ Dee 2 ud
Inhalt.
I. Vorlaͤufige Nachricht.
Ik Ueber bie Schranken der menſchlichen
Crfenntnig.
IU. Ueber bie wahre und falſche Aufklaͤrung.
IV. Cha⸗
AXII 4x25»
IV. Góaracferghge der Mexicaniſchen jns
bianer,
I. Koͤrperliche Bildung.
2. Haͤusliche Tugenden.
3. Oeffentliche Tugenden.
V. Epiſtel uͤber das Frauenzimmer.
VI. Recenſionen.
(p —t2
Nach⸗
I.
Nachricht
von dem Zweck und der Einrichtung dieſes
philoſophiſchen Magazins,
nebſt
einigen Betrachtungen uͤber den gegenwaͤrtigen
Zuſtand der Philoſophie in Deutſchland.
($i. Freunde ber Philoſophie haben fid) mit
cínanber oerbunben, bie zerſtreuten Giebonfen,
wozu ihnen bie neueſten Vorfaͤlle in ber. pbiloz
ſophiſchen Welt Gelegenheit geben, ſich einander
ſchriftlich mitzutheilen, und diejenigen, die eine
ſorgfaͤltige Pruͤſung aushalten, in dieſem Ma—
gazine aufzubewahren, und der Beurtheilung des
Publicums vorzulegen. Sie glauben, die jetzige
gute Regung, mit der man ſich ſelbſt fuͤr die dor⸗
Philoſ. Mag. 1. St. A nigſten
fM A 512349
nioftem Theile ber ſpeculativen Philoſophie su
intereſſiren ſcheint, nugen gu müffen, um cínige
nicht gang helle Gegenſtaͤnde ihrem beſten Lichte
naͤher zu brngen; ihre Periode moͤchte geſchwind
voruͤbergehen, und nicht ſo bald wiederkommen.
In ihren eigenen aber ſowol, als in den
allgemeinen Umſtaͤnden, worin ſich die gegenwaͤr⸗
tige philoſophiſche Aufklaͤrung in Deutſchland be⸗
findet, liegt noch verſchiedenes, was ihrem Plane
eine beſondere Geſtalt giebt.
Die philoſophiſchen Unterſuchungen ſcheinen
jetzt ein groͤßeres Publicum zu haben, als ſie ſich
tor funfzig Jahren ruͤhmen konnten. Der Gc
brauch der Landesſprache in philoſophiſchen
Schriften, die Eleganz, die Correction, die
Schoͤnheit ber Compoſition, worin einige ber be»
ſten Schriftſteller unſeres Vaterlandes ihre Philo⸗
ſophie gekleidet haben, das alles bat bie Phildſophie
allgemein beliebt und bekandt gemacht, es hat die
Schriften der Weltweiſen auch in ſolche Haͤnde
gebracht, bic ſonſt nur nad) bem gu greifen. pfleg:
tem, woraus fie fid) einen angenebmen Zeitver⸗
treib und hoͤchſtens eine geiſtreiche Unterhaltung
ver⸗
mv 3 ^c
verſprechen fonnten ; unfere philoſophiſchen Schrif⸗
fem finb angenehmer, und unſere angenehmen
Schriften ſind philoſophiſcher geworden, und
beide haben, wo nicht den philoſophiſchen Geiſt,
doch gewiß die Bekandtſchaft mit philoſophiſchen
Lehrſaͤtzen gemeiner gemacht.
Ob durch dieſe Verbreitung der Philoſophie
außer den Schranken der Schule die Philoſophen
fid) um ben. großen Haufen cin ſonderliches Ver⸗
dienſt erworben haben, daruͤber ließe ſich noch
ſtreiten. Die Erfahrung lehrt, daß, tie bic Beqguͤn⸗
ſtigung der falſchen Andacht von jeher die Heuch⸗
ler und Scheinheiligen, eben ſo die allgemeine
Verbreitung der Philoſophie die gedankenloſen
Nachbeter und affectirten Scheinphiloſophen ver⸗
mehrt hat. Das ſcheint aber deſto ausgemachter
zu ſeyn, daß die Wiſſenſchaft ſelbſt ſeit dieſer
Verbreitung an innerm Gehalt verlohren habe.
In dieſer Lage der Sachen hatte Herr Prof.
Zant in Koͤnigsberg ben Muth, der Philoſophie
eine Revolution vorzubereiten, mit ber fie entwe⸗
ber alles gewinnen ober. alles verliehren ſollte.
Das Werk, worin er dies unternahm, das durch
9f 2 bit
FW^uvT^ 4 5v
die ſcheinbare Leichtigkeit unb Zierlichkeit bec
Diction ſo gut den Uneingeweihten als den
Eingeweihten anzieht, muthete ſeinen Leſern eine
Geduld, einen Tiefſinn und ein Anhalten der
Forſchbegier zu, das in dem Verfaſſer deſſelben
ein uneingeſchraͤnktes Vertrauen zu ihrer Liebe der
Philoſophie vorausſetzte. Der Erfolg uͤbertraf
alles, was die ſanguiniſchſte Hoffnung von dem
waͤrmſten Enthuſiasmus erwarten konnte; die
Critik ber. reinen Vernunft und die darin entbalz
tene Philoſophie machten cine Senſation, derglei⸗
chen man in langen Zeiten nicht in der philoſophi⸗
ſchen Welt geſehen hatte; allein bey verſchiedenen
auf verſchiedene Art. Einige, die eben im Er—
richten ihres Lehrgebaͤudes befangen waren, wozu
fic die Materialien erſt zuſammentragen, prüfen
und verbinden mußten, fanden hier den groͤßten
Theil derſelben in Bauſch und Bogen verworfen,
und ſahen ſich einer großen Muͤhe uͤberhoben;
andere, bie ſchon ſelbſt an. ihrer Brauchbarkeit
gezweifelt, fanden ihre Zweifel beſtaͤtigt und mit
dieſer Beſtaͤtigung bie Ruhe det Gewißheit; am:
dere endlich, die ihre Kenntniſſe nur aus den
neueſten Buͤchern ſchoͤpfen, und bey denen immer
der letzte Recht hat, beteten nach, die meiſten
aber
fV n ^v»
aber wurden burd) bie S'übnbeit in ber. Unterneh⸗
mung, die Zuverſicht in ber Ausfuͤhrung, fo wie
burd) bie Cubtilitat ber Unterſuchung unb bit
Steubeit ber Terminologie, betaͤubt, unb von dieſer
Betaͤubung mógen fid) nod) wenige erholt haben.
Da wir unſere Zeitſchrift in dieſer philoſo⸗
phiſchen Criſis anfangen, ſo werden wir unſere
Leſer oft mit den Eigenheiten der Philoſophie des
Koͤnigsbergiſchen Philoſophen unterhalten muͤſſen;
unb wir werden dieſes mit befio mehr Vergnuͤgen
thun, ba wir zugleich oft Gelegenheit haben wer⸗
ben, feinem Scharfſinne Gerechtigkeit widerfah—
rem zu laſſen. Dieſe Theilnehmung an ben Un⸗
terſuchungen, wozu er unter ung das Feld eroͤff—
net hat, werden wir ſuchen, ſo viel moͤglich, der
Philoſophie nuͤtzlich zu machen, und da wir uns
bewußt ſind, daß wir alle noͤthige lInpartepfid)z
keit dazu mitbringen werden, ſo hoffen wir, daß
fic nicht ohne allen Erfolg ſeyn ſollen. Es kann
nicht anders als nuͤtzlich, und dem Schriſtſteller,
ber etwas neues wagt, ſelbſt willkommen ſeyn,
daß ſeine Gedanken von allen Seiten gepruͤft
werden. Ein jeder bringt zur Unterſuchung einer
Wahrheit feinen eigenen Geſichtspunct mit; je
A3 mehr
Fev 6 —
mehr dieſer Geſichtspuncte, deſto beſſer. nz
dem wir die neue philoſophiſche Sprache mit der
alten vergleichen werden, werden wir vielleicht
manchem Wortſtreite zuvorkommen, manchem
Mißverſtande ein Ende machen, und manche
Dunkelheit in den Kantiſchen Schriften heben,
uͤber die wir noch immer nach ſo vielen Commen⸗
tarien, Erlaͤuterungen, Abkuͤrzungen und Ausle⸗
gungen klagen hoͤren; indem wir das Alte neben
das Neue ſtellen werden, werden voir uns in ben
Stand ſetzen, die Nothwendigkeit und Graͤnzen
der philoſophiſchen Reformation genauer zu beur⸗
theilen, ben Werth von beiden richtiger zu ſchaͤ⸗
tzen, und dem Muthwillen, der bald das Eine,
bald das Andere, ohne beides gu kennen, ber
wirft, am beſten begegnen, indem wir endlich
auch bisweilen vor befugten Richtern bie Defen⸗
fion ber bisherigen Metaphyſik gegen ihre Anklaͤ⸗
ger zu Gunſten einer kuͤnftigen uͤbernehmen, — denn
die Gerechtigkeit will, daß man auch den verdaͤch⸗
tigſten Uebelthaͤter nicht ungehoͤrt verdamme —
ſo hoffen wir ihr ſogar vielleicht noch hie und da
vor dem Richterſtuhle einer erleuchteten Unpar⸗
teylichkeit Gnade zu verſchaffen.
Wir
—— 7 ^
Wir wollten Anfangs unſern Plan auf bloße
Recenſionen neuer Schriften einſchraͤnken; allein
nach reiferer Ueberlegung fanden wir, daß wir
dadurch entweder unſere Beurtheilung ihres In⸗
halts zu ſehr zuſammenziehen, oder die Anzeigen
zu ſehr verlaͤngern und durch unſer Dazwiſchenre⸗
den zu oft und zu lange wuͤrden unterbrechen
muͤſſen. Wir beſchloſſen alfo, bie Anmerkun⸗
gen, die ſich in weitlaͤuftigere Eroͤrterungen aus⸗
dehnen koͤnnten, ín eigene Abhandlungen abzu⸗
ſondern, die doch aber, wo moͤglich, nie mehr
als einen oder zwey Bogen, oft aber weniger,
einnehmen werden.
Wir glauben, auf dieſe Weiſe dem Beduͤrf⸗
niß einer jeden Art von Leſern entgegen zu gehen;
dem Beduͤrfniß dererjenigen, deren Geduld ſchon
vor dem Ende des zweyten Bogens erſchoͤpft iſt,
wie dem Beduͤrfniß derer, die nur einige Winke
brauchen, um zerſtreuete Gedanken anderer mit
ihrem eigenen Gedankenſyſteme zu vergleichen,
und, wo ſie hingehoͤren, einzufuͤgen wiſſen.
Die erſte Abtheilung unſeres Magazins
wird alſo eigene Aufſaͤtze, und die zweyte Recen⸗
A4 ſionen
K(vfA 9g ^
fionem. entbalten. — Die Aufſatze werden nicht aud
lauter ſpeculativen Abhandlungen beſtehen, fie
werden bisweilen mit Beobachtungen, SRadyridy
fe, kurzen Betrachtungen über. Sitten, Geſetze,
Begebenheiten, Charactere unb aͤhnliche Gegen—
ſtaͤnde abwechſeln. Es werden ſelbſt Gedichte
philoſophiſchen Inhalts nicht ausgeſchloſſen, und
wir haben Hoffnung, Beytraͤge von dieſer Art zu
erhalten, von denen wir uns verſprechen, daß ſie
bem Freunde ber deutſchen Dichtkunſt deſto intere
eſſanter ſeyn werden, da ſie die Bluthen eines
jungen Genies ſind, welche uns ſehr angenehme
Fruͤchte verkuͤndigen. Auch werden wir alle
fremden Beytraͤge, deren Mittheilung den Leſern
willkommen ſeyn koͤnnen, mit der groͤßten Dank⸗
barkeit aufnehmen.
Ueber
2.
Ueber bie Schranken der menſchlichen
Erkenntniß.
Et hoc habet animus argumentum divinitatis fuae,
quod illum divina dele&ant: nec ut alienis in-
teret, fed ut fuis.
Seneca.
Da Hauptverdienſt, welches ſich Herr Prof.
ZAant um bie Metaphyſik zu erwerben geſucht bat,
beſteht in der genauern Beſtimmung ber. Schranken
des menſchlichen Verſtandes. Ob er die Linie richtig
gezogen habe, welche das, was dem menſchlichen
Verſtande erreichbar ijt, von bem Unerreich aren
ſcheidet, das verdient bie ſorgſaͤſtigſte Unterſuchung,
und dieſe falle aus, wie ſie will, ſo verdient es vie⸗
len Dank, ſie veranlaßt zu haben.
45 In
fT Yo «v4»
In dieſer Unterſuchung ift nidjt bíe Stage von
den inoivioucllen unb zufaͤlligen Graͤnzen des
menſchlichen Verſtandes, die ins Unendliche mannig⸗
faltig und abwechſelnd ſeyn koͤnnen und wirklich ſind;
monníafaftig ín ben verſchiedenen Stufſen ber Cultur
ber Vernunft von bem ſtupiden Feuerlaͤnder bíó au
bem aufacffárten. Europaͤer, abwechſelnd von bem
unmiünbigen Kinde bis au bem verſtaͤndigſten Manne.
Es fraͤgt ſich, welches ſind die allgemeinen weſent⸗
lichen Schranken, die der menſchliche Verſtand, auf
keiner Stufe ſeiner Vervollkommnung, durch keine
Anſtrengung ſeiner Kraͤfte, uͤberſchreiten kanu.
Man kann die Frage aud) fo ausdrucken, von
welchen Gegenſtaͤnden ift es der menſchlichen Ver⸗
nunít moͤglich, eie gewiſſe Erkenntniß zu erhalten?
von welchen iſt es ihr hingegen unmoͤglich? Wer
bie erſtern durch einen kennbaren allgemeinen Chara⸗
cter bezeichnete, wodurch ſie ſich von den letztern un⸗
terſchiede, unb aus dieſem Charakter die Erkennbar⸗
keit der erſtern, ſo wie die Unmoͤglichkeit die letztern
zu erkennen herleitete, der wuͤrde die Schranken des
menſchlichen Verſtandes durch die beſtimmteſte Graͤnz⸗
linie angegeben haben.
Dieſe Graͤnzlinie ift num von jeher ſehr vet:
ſchieden gezogen worden; die ſteptiſche Philoſophie
bedurf⸗
Fou»T^ TY On
Beburfte qat feíne, benn fie hielt feine Crfenntnig
für aemig; bie dogmatiſche bezeichnete ibr Gebiet
bald mit weiten, bald mit engin. Schranken, eim
graͤnzenloſes Gehíet bat (ie fid) nid)t anycmaft. Es
ift ein. ungegruͤndeter Vorwurf, ben. man eiefer pbi
loſophie macht, bag fte ihre Herrſchaft über alle Ge⸗
genſtaͤnde ausdehne, daß (ie allen Zweifel ausſchließe
unb fid) alles moͤgliche tit Gewißheit zu wiſſen vere
meſſe. Sie iſt bet. ſteptiſchen Philoſophie entgegenge⸗
ſetzt, die an allem zweifelt, und um von dieſer ſich
zu unterſcheiden, braucht ſie nicht allen Zweifel zu
verwerfen, alle Graͤnzen der gewiſſen Erkenntniß zu
leugnen, ſie kann dieſe Graͤnzen bald enge bald weit—
umfaffemb zeichnen. Es ift eben fo ungerecht, oet
Philoſophie einen allgemeinen Dogmatismus voraus
werfen, die dem Gebiete ihrer gewiſſen Erkenntniß
einen weitern Umfang giebt, als diejenige mit dem
verdaͤchtigen Namen des Skepticismus zu brandmar⸗
ken, die ihre Schranken enger zuſammenzieht. Durch
alle dieſe Beſchuldigungen und Gegenbeſchuldigungen
wird in der Sache ſilbſt nichts ausgemacht; man
ſollte dieſe Art zu ſtreiten den Sachwaltern mißlicher
Rechteſtreite uͤberlaſſen; der philoſophiſche Crit:
ſteller ſollte ſich an der Unterſuchung ber Sache bal:
ten, bie Ouid) fol Mittel in nichts erleichtert
wird.
Alſo:
FMAvPT^ T:52 xm
Alſo: wer feín Skeptiker i(t, ber ift eim
Dogmatiker, unb e$ fragt fid) nur, mie weit ev e
ift. Das wirb von ben weitern oder engern Girán;
gen abfjanaen, worin er feine gewiſſe Erkenntniß ein⸗
ſchließt. Gine kurze Ueberſicht ber pbilofopbifdóen Sy⸗
ſteme ín. Ruͤckſicht auf dieſe Graͤnzbeſtimmung wird
vielleicht nicht ohne Nutzen ſeyn, um uns der richti—
gen Ausmeſſung des unbeſtrittenen Gebietes eines
vernuͤnſtigen Dogmatismus naͤher zu bringen.
Es muß, auf ben erſten Anblick, nicht menia bes
fremben, moni man bemerkt, daß ber aͤlteſte Dogma:
tismus ín feinem Gebiete gerabe oie Gegenſtaͤnde 6er
fair, oie bie neuefte "Dbilofopbie von bem ihrigen audr
ſchließt, unb diejenigen davon ausſchließt, auf bie bie
lettere bas ibriae cinfd)rántt. Plato unb Ariſtote⸗
les ſchloſſen die Gewißheit ven aller € innenerfennt:
niB au$, uub beſchraͤnkten fie blo anf bie Stegion ber
unfinntidyen over. SBerítanbesibeen ;. ele neuefte Philo⸗
fopbie verbannt fie aus dieſer Region unb. nimmt fie
bloß in ^er Sinnenwelt auf. So blieben bie Sachen
mit mehr oder weniger Veraͤnderungen bis zu dem
Anfange des vorigen Jahrhunderts, ba Bako Me
Logik mit den Regeln ber Erſahrungskunſt bereicherte.
Bis dahin hatte man nur bie Form ber Vernunfter⸗—
kenntniß bearbeitet und ſich in Anſehung der Gewiß—
heit ihrer Materie an das gehalten, was Plato und
Ariſto⸗
WMAPER 15 4
Ariſtoteles daruͤber philoſophirt Datten; unb dabey
hatte es auch Bako gelaſſen.
St erſte, ber an die Materie ber SBernunft:
erfenntnig bad)te, mar Des Cartes, Er ſuchte jus
et(t ein Senngeid)en auf, woran fic) bíe wabren 35e«
eriffe von den falſchen unterſcheiden ließen, unb
glaubte e$ ín ber. Begreiflichkeit derſelben geſunden zu
haben. Damit war nun zwar die Innſchrift an
dem Tempel bec Wahrheit entdeckt, allein fie war
nicht lesbar; Des Cartes hatte gelehrt, daß das
Begreifliche wahr ſey, er batte aber nicht geſagt,
woran ſich das Begreifliche erkennen laſſe. Indeß
ließ es fi) nod) wol errathen, daß bie Begreiflichkeit
der zuſammengeſetzten Begriffe in der Compoſſibilitaͤt
ihrer Merkmale beſtehe. ie zuſammengeſetzten 95e;
griffe ſetzen aber einfade voraus, woraus fie zuſam⸗
mengeſetzt ſind. Welches ſind biefe ? unb wie erhalten
wir ſie? Auf die erſte Frage antwortete Des Car⸗
tes: ber einfachſte Begriff, morauf ſich alles in ben
Koͤrpern aufloͤſen laͤßt, iſt die Ausdehnung, in den
Geiſtern der Gedanke. Das druckte er in ſeiner Zpra:
che aus: das Weſen des Koͤrpers iſt Ausdehnung;
des Geiſtes, Gedanke. Die erſtere war alſo die allge⸗
meine Materie ſeiner zuſammengeſetzten Begriffe von
Koͤrpern und ihren Erſcheinungen, und der letztere
von Geiſtern, ihren Eigenſchaften und Wirkungen;
alle
KXAVEM q4 039
affe Veraͤnderungen ber. Sóvper waren alfo Modifica⸗
tionen ber Ausdehnung, alle Veraͤnderungen ber Geiſter
Modificationen des Gedankens, obet oet Perceptionen.
Aus dieſer Materie mußten nun alle Begriffe
nach den Geſetzen des Begreiflichen zuſammengeſetzt
ſeyn; tiefe waren alfo bie Geſetze der Form. Wel⸗
ches (inb aber dieſe Geſetze der orm des Denkens?
Das blieb nod) immer im Dunkeln.
Die Geſetze der Form der Erkenntniß waren in
der ariſtoteliſchen Philoſophie in den Regeln ihrer
Syllogiſtik enthalten. Dieſe enthielt Regeln fuͤr
die categoriſchen und bedingten Vernunftſchluͤſſe;
bey den letztern liegt der Satz des zureichenden
Grundes, bep ben erſtern ber Satz des Wider—⸗
ſpruchs zum Grunde; denn das Geſetz der Schluͤſſe
vom Allgemeinen auf das Beſondere iſt weiter nichts
als ein beſonderer Fall, der unter dem allgemeinern
Geſetze des Widerſpruchs enthalten iſt.
Wenn der Enthuſiasmus, auch der philoſo⸗
phiſche Enthuſiasmus, es uͤber ſich gewinnen koͤnnte,
ſeiner auch noch ſo gegruͤndeten Liebe des Neuen
nicht, ohne Pruͤfung, alles Alte aufzuopfern: ſo
wuͤrde eine ſorgfaͤltige Zergliederung der Regeln der
ariſtoteliſchen Syllogiſtik auf die erſten Geſetze der
Form der Erkenntniß hinausgefuͤhrt haben. So
aber
^T^ 15 ^w
eber (ie tam biefe Regeln, für deren Brauchbar⸗
keit man, bey Strafe für. einen ſcholaſtiſchen Pedan⸗
ten gehalten zu werden, kein Wort mehr reden
burfte, ganz auf ber Seite liegen, unb erſchoͤpfte
allen ſeinen Fleiß auf die Bearbeitung des Stoffs
der menſchlichen Erkenntniß.
Cin Hauptgebrechen, welches die naturfor—⸗
ſchenden Metaphyſiker der Carteſianiſchen Philoſo⸗
phie vorwarfen, ar, daß fie bie einfachen 35e:
gríffe der aͤußern Sinne, oder, nad) ber Sprache
der Carteſianiſchen Schule, das Weſen der Koͤrper
nicht vollſtaͤndig genug angegeben haͤtte. Indeß
man (id uͤber dieſen Theil des Carteſianiſchen Cy:
ſtems ſtritt, trat ein logiſcher, oder, wenn man
lieber will, ein kritiſcher Metaphyſiker auf, der
der ganzen Unterſuchung eine neue Wendung gab.
Da man in den Schulen der Philoſophie bis auf
ben des Cartes immer mehr bie Form der Er—
kenntniß bearbeitet hatte, ſo war es ein wichtiger
Schritt zu ihrer groͤßern Vollkommenheit, daß fLor
cke in ſeinem beruͤhmten Werke vom menſchlichen
Verſtande ſich vorzuͤglich mit der Aufklaͤrung und
Berichtigung ihrer Materie beſchaͤfftigte. Daß et
daruͤber die Form ganz vergaß, daß er ſelbſt ihre
Geſetze zum Theil ganz fuͤr unnoͤthig erklaͤrte, das
wollen wir ihm jetzt nicht zum Verbrechen machen,
da
w^avr [r6 zu
ba es beo unà (tet, dieſen Mangel zu ergaͤnzen,
und das Brauchbare, was ſeine Vorgaͤnger daruͤber
enthalten, wieder hervorzuziehen. Der Weg, den
et betrat, um ben Inbegriff der Ideen aufjufin;
den, war allerdings der rechte, aber er verfolgte
ihn nicht weit genug. Er bemerkte ganz richtig,
daß man, um alle Arten der Ideen, die den
geſammten Stoff ber. menſchlichen Erkenntniß au;
machen, a priori au beſtimmen, fie nach beu
Erkenntnißvermoͤgen der Seele claſſificiren muͤſſe.
Indem er aber in dieſer Glajfification bloß bey ben
€ innen (teen blieb, die i)m, in feinen. &enfa;
tion$ : unb Steflerionáibeen, — bloß Ideen ber umwz
mittelbaren aͤußern unb innern Crfabrung gaben,
inbem er in bem Verſtande unb ber Vernunft bie
unleugbaren Quellen wahrer Ideen überíabz — fo
mußte ſeine Claſſification nothwendig unvollſtaͤndig
werden.
Hier ſtehen wir bey der Epoche, womit die
neuen. Graͤnzbeſtimmungen ber menſchlichen Erkennt⸗
niß anheben. Die Schranken derſelben mußten
nun enger gezogen werden, da ihre Materie ſo
ſehr war zuſammengezogen worden. Es waͤhrte
auch nicht lange, ſo begann der Idealismus auf
dieſem bequemen Grunde ſein (uftíaeó Gebaͤude auf⸗
zufuͤhren. KCocke ſchien die Folgen ſeiner Ideen—⸗
lehrt
17
lehre nicht geſehen zu haben, oder er hatte ſich, um
mit dem gemeinen Verſtande nicht zu verfallen, ſo
gut aus der Sache geholfen, als er konnte, und der
gemeine Verſtand batte fid) feine Behelfe gefallen laſt
ſen. Allein was er entweder nicht geſehen hatte, oder
nicht hatte ſehen wollen, das ſahen andere.
Wenn es keine andere Ideen giebt, als die
Senſations- und Reflexionsideen, fo folgt nothwen⸗
dig, daß alles Wirkliche bloß Veraͤnderung iſt, daß
es alſo nichts Selbſtſtaͤndiges giebt. Denn alle aͤußere
Empfindungen ſind bloſie Vorſtellungen von. Veraͤn⸗
derungen ber Koͤrper, alle Wahrnehmungen des innerm
Sinnes ſind nichts anders als Wahrnehmungen unſers
Erkennens und Begehrens. Mit dieſen Praͤmiſſen
brauchte es bei weitem nicht aller ber ſpitzfindigen Me⸗
taphyſik, auf welche Berkeley das Lehrgebaͤude ſeines
Idealismus auffuͤhrte, ja er konnte mit ihnen, wenn
er conſequent ſeyn wollte, ſo weit gehen, daß ihm in
bem ganzen Reiche bed Denkbaren nichts Selbſtſtaͤn
diges übrig blieb. Mit weit weniger Subtilitaͤt,
aber aud) mit weniger Schonung des gemeinen Ver—
ſtandes, wiewol mit mehr Conſequenz that Hume
den Salto mortal in das oͤde Reich des unbegraͤnzten
Nichts, und pflanzte das Panier des allgemeinen Idea⸗
iemus auf. Gr ſchraͤnkte das Reich bes Wirklichen auf
die bloßen Ideen ein; denn von dieſen allein haben
Philoſ. Mag. i. Gt. B wir
OST 358
wir eine unmittef&are Erfahrung, fie fnb e$ allein,
was wir al Wirklich wahrnehmen. Wir haben zwar
auch Vorſtellungen von Etwas, das aufer uns Wirk⸗
lid) ift; allein dieſe Vorſtellungen, bie in ber. gemei:
nen Cpradje Cmpfinbungen fjeifen, unterſcheiden fid)
Dío babutd) von ben Ginbilbungen, baf fie ftárfer
finb, nicht baburd), baf ibt Gegenſtand gegentvártíg
unb wirklich iſt. Die Cmpfinbungen. nennt Hume
Eindruͤcke, Impreſſionen, alle uͤbrige Vorſtellun⸗
gen Ideen; beide haben einerley Bilder gemein und
bieje ſind bloß nad) oem verſchiedenen Grade ihrer
Staͤrke bald Impreſſ ionen, bald Ideen. Die com;
plexen Ideen koͤnnen in einfache aufgeloͤſet werden;
beide folgen auf einander nach den Geſetzen der Con⸗
tiguitaͤt, oder des Nebeneinanderſeyns, der Aehnlich⸗
lichkeit unb ber Caußalitaͤt. Dieſe Caußalitaͤt ift
aber nichts weiter als bie Succeſſ ion ber. Eindruͤcke
und der Ideen, deren oͤftere Wiederholung uns durch
die Gewohnheit den Glauben einer urſachlichen Ver⸗
bindung unter ihnen aufdringt.
Nothwendig mußte durch dieſe Einſchraͤnkung
bet gewiſſen Erkenntniß des Wirklichen auf bie bloßen
Impreſſ ionen alle. Erkenntniß a priori, fo wie alle
Erkenntniß ber Gegen(tánbe ſowohl ber Sinnen alg
be$ Verſtandes, unb mit biefen alle logiſche Wahrheit
ter Erkenntniß des Wirklichen ausgeſchloſſen werden;
und
f^vr^ I9 4-34»
und fo war bie menſchliche Grfenntnig in ben enoften
Kreis eingefdránft, ber fid) benfen laͤßt. Der Gin:
flu, ben biefe unnatürtiche Grenzbeſtunmung auf os
gi£, Metaphyſik unb Steligion fat, mufte notbrmoen:
bíg viele für bie íntereffanteften Angelegenheiten if;
re$ Verſtandes unb Herzens befotat machen, unb fie
zur Unterſtuͤtzung berjeíóen aufforbern. — Was im
dieſer Abſicht iv England geſchehen ift, liegt jetzt
aufer unſerm Plane, bet bloß auf bie neuere Ger
ſchichte ber Grenzbeſtimmungen der menſchlichen Cr;
kenntniß in. Deutſchlond eingeſchraͤnkt iſt. Um aber
dieſe deutlicher aus einander zu ſetzen, muͤſſen wir wie⸗
ber etwas zuruͤckgehen.
Schon efe Cockes Werk über ben menſchlichen
Verſtand erſchien, hatte Leibnitz, durch eine vollſtaͤndi⸗
gere Aufzaͤhlung der Quellen unſerer Begriffe, einer
willkuͤhrlichen Verengung des Umfanges der menſchli⸗
chen Erkenntniß vorgebaut. lm bas Gebiet der menſch⸗
lichen rfc. mntnif, fo wie es Leibnitz gegen Locke ſowohl,
als gegen den Idealismus, den materiellen und ollgemei⸗
nen, zu behaupten ſuchte, gu uͤberſehen, unb oie Rechts⸗
gruͤnde ſeiner Behauptung mit den Einreden dagegen
vergleichen zu koͤnnen, ſey es mir erlaubt, die Leibnitzi⸗
ſche Theorie von den Quellen und dem Umfange der
menſchlichen Erkenntniß zu einer leichtern Ueberſicht
darzulegen. Ich werde nicht alle Eigenheiten des
923 Leib⸗
f^&*TM 20 vx
Leibnitziſchen Syſtems anfüfren bürfen, fonberm nuc
biejenigen, bie gu dieſer Theorie gehoͤren; unb ba
Wolf ín allen €ágen, bie hieher gehoͤren, mit ibm
übereinftímmt, fo wird e$ nicht nótbig fepn, ihn be:
fonber8 ju nennen. Ich faſſe fic in folgenbe Ce:
I. Da voit nidót nut Cinnen, fonbern aud) Bets
ſtand unb Vernunft faben: fo haben wir nicht
bloße unmittelbare Erfahrungsbegriffe; denn
aufer ben unmittelbaren Erfahrungsbegriffen bas
ben wir aud) mitte(bare, b. i. fold)e, bie aué
ben erſtern vermittelſt eine8. furgen. 3Bernunfts
ſchluſſes herzuleiten ſind. Dieſe Begriffe zu feug;
nen, iſt vergebens. Dergleichen iſt der Begriff von
Vorſtellungskraft. Die Materie der an⸗
ſchauenden Erkenntniß iſt Ausdehnung und Vor⸗
ſtellung.
2. Die Form der Erkenntniß kann alſo auch auf
unbildliche Begriffe angewandt werden.
3. Außer den Erſahrungsbegriffen haben wir Verſtan⸗
desbegriffe, ober abſtracte. Die hoͤchſten unter ifs
nen oder die ontologiſchen ſind uͤberſinnliche. Die
abſtracten Begriffe koͤnnen von dem menſchlichen
Verſtande nur vermittelſt der Zeichen vorgeſtellt
werden. Ihre Erkenntniß kann alſo nur ſymboliſch
ſeyn;
F^ oy «uu
ſeyn; follen fie anſchauend werben, fo müffen fie
in concreto vorgeftelIt werden.
4. Aus ben abſtracten Begriffen faffen fid) neue
Begriffe burd) willkuͤhrliche Verbindung zuſam⸗
menſetzen. Auch dieſe koͤnnen nicht anders zum
Theil anſchauend werden, als wenn ihre Merk⸗
male in concreto vorgeſtellt werden.
:5. Das iſt bie gefammte Materie, aus bet, nach
ben Gefe&en ber Sotm, bie auf bem Cage be8
Widerſpruchs ober des gauteid)enben Grundes
beruhen, das Syſtem der menſchlichen Erkennt⸗
nig muß zuſammengeſelzt werden.
6. Danach giebt es wahre Begriffe des reinen
Verſtandes eben ſo gut, als vermiſchte und ſinn⸗
liche Begriffe.
7. Eben fo Saͤtze, bie aus reinen Verſtandesbegrif⸗
fen, vermiſchten unb ſinnlichen Begriffen beſtehen.
8. Dieſe Begriffe ſind nicht leer, ſondern ſie ſind
nur nicht in abſtracto anſchauend.
9. Die aͤußern Gegenſtaͤnde dieſer Begriffe ſind
wirklich in concreto oder in dem Einzelnen,
B 3 und
unb ihre Wirklichkeit kann a priori unb a poftc-
riori erkannt werden.
10. Auf dieſe Weiſe wird die objective Wahrheit des
hoͤchſten Weſens erkannt.
Ir. Dieſes beſte Weſen giebt aud) ten Gegenſtaͤnden
der aͤußern Sinne ihr Daſeyn.
12. Die Qualitaͤten der Gegenſtaͤnde der aͤußern
Sinne, alſo auch die Ausdehnung, werden durch
die Sinne anſchauend erkannt. In dieſer Er⸗
kentniß wird das Einfache nicht unterſchieden;
ſie koͤnnen aber durch den reinen Verſtand deut⸗
lich erkannt werden, jedoch von dem menſchlichen
Verſtande nicht anſchauend, ſondern nur ſym⸗
boliſch.
13. Die Principien zu den Verſtandesbegriffen kom⸗
men nicht durch die Erfahrung in die Seele, ſind
ihr alſo angebohren.
So hatte bisher die deutſche Philoſophie durch
Erweiterung ber Cd)raufen ber menſchlichen Erkennt⸗
niß das Gebiet bes geſunden Verſtandes gegen ben ber
ſondern und allgemeinen Idealismus zu behaupten ge⸗
ſucht. Daß ſie dabey kritiſch verſahren, wenn man
unter
€XAMfH 25 wi
unter biefem Verfahren bie Serolieberung bet. Geſetze
verſteht, nad) welchen jebe$ Erkenntnißvermoͤgen, das
zu einer beſondern Claſſe von Begrifſen mitwirkt, vet:
mittelſt der Geſetze der Form, ſeine eigenthuͤmlichen
Begriffe hervorbringt, — das liegt am Tage; man
hat ihr dieſen Vorzug ſeit einiger Zeit durch einen
bloßen Machtſpruch abgeſprochen, der nicht einen Schein
des Beweiſes fuͤr ſich hat, wenn man nicht etwa das
daſuͤr will gelten laſſen, ba dieſe Kritik nicht eben
das herausgebracht hat, was die neuere herausbringt,
welches eine ziemlich arge petitio principii waͤre.
Die Metaphyſik dieſer Philoſophie erklaͤrte Herr
Kant für unbrauchbar, unb verwies auf ein kuͤnfti⸗
ges Metaphyſiſches Lehrgebaͤude, zu deſſen Errichtung
aber kein Anſchein ſeyn kann, da ihm ſeine Kritik
ſchon zum voraus den Zugang zu allen Materialien,
die dazu noͤthig waͤren, verſperrt hat. Wir duͤrfen
vorausſetzen, daß unſern Leſern bereits die Hauptzuͤge
dieſer Kritik bekannt ſind. Um alfo nicht Gefahr au
laufen, etwas ſo oft wiederholtes ohne Noth von
neuem zu wiederholen, will ich nur diejenigen von
den Hauptzuͤgen anfuͤhren, die die Vergleichung der
Grenzbeſtimmung der menſchlichen Erkenntniß mit der
Leibnitziſchen und Humiſchen erleichtern und zugleich
den Leſer in den Stand ſetzen kann, zu beurtheilen,
wie weit man (i) auf das Verſprechen verlaſſen bürfe,
B A mit
mx 24 nas
mit dieſer Kritik bem. Humiſchen allgemeinen Idea⸗
lismus am kraͤftigſten zu begegnen.
Zuerſt verwirft Herr Kant bie objective üt:
tigkeit der reinen Vernunftbegriſſe, oder, nach der
alten Sprache, der reinen Verſtandesbegriffe, und
zwar aus dem Grunde, daß dieſe Begriffe ganz leer
ſeyn; weil ſie nichts von Bedingungen der ſinnlichen
Anſchauung, d. i. keine Vorſtellungen von Raum und
Seit enthalten; bas wuͤrde nad, ber Leibnitziſchen Spra⸗
che heißen, weil ſie keine anſchauende Vorſtellungen
ſind, unb inabltracto feine anſchauende Merkmale ent:
falten. Nach bem Leibnitziſchen Syſtem enthaͤlt ber 95e;
griff des alletvollfommenften Geiſtes freylich nichts
raͤumliches und ſucceſſives; ob aber Raum und Zeit die
einfachſten anſchauenden Vorſtellungen ſind, das verdient
noch eine beſondere Unterſuchung. Nach eben dieſem
€wftem ift die Vorſtellung ſelbſt das einfachſte Merk—
mal des Begriffs eines Geiſtes unb. von Vorſtellun⸗
gen haben mir eine anſchauende Erkenntniß in con-
creto ín unſerm eigenen Selbſt. Leibnitz konnte alſe
mit Recht annehmen, daß der reine Verſtandesbegriff
bes allervollkommenſten Geiſtes kein leerer Begriff ſey.
Alſo nod) einmal: die Leibnitziſche Vernunſt⸗
kritik fuͤhrt auf andere Stctultate, als die Kantiſche;
allein ſie iſt genau und gruͤndlich. Die letztere nimmt
Raum
fM 25 ^ic
Maum unb Seit gu Formen ber ſinnlichen Anſchauung,
ober, nad) ber geroóbnlidhen Sprache, als bíe einfach⸗
(ten Merkmale bec finntid)en Begriffe; bíe erftere Aus⸗
befnung , unb für bie außerſinnlichen, 93orftellung arr,
Syene haͤlt ire Formen ber finntidjen Anſchauung fuͤr
ſchlechterdings unaufloͤslich; bíeje zwar aud) für un:
auflóélid), aber nur ben Cinnen, nidt bem Ber:
ftanbe, Das Raͤumliche unb Ausgedehnte entbált vie:
(e$, ba$ von bem Verſtande unb ber 3Bernunft nid)t
ofne Eins fann gedacht werden. Det Verſtand ente
fált alfo die einfachern Merkmale, woraus ín bet
ſinnlichen Vorſtellung ba$ Bild be$ Raͤumlichen unb
Ausgedehnten entſteht. Dieſe Betrachtung wird in
einem andern Aufſatze fortgeſetzt werden; es iſt daher
nicht noͤthig, ſie jetzt weiter zu verfolgen.
Ein zweyter Grund, warum Herr Kant die
reinen Vernunftbegriffe verwirft, iſt, daß ſie keine
Gegenſtaͤnde geben. Was heißt: e$ werden Gegen;
ſtaͤnde gegeben? Heißt es: ſie ſind außer dem Vorſtel⸗
lenden wirklich; fo ſehe id) nicht, mie bie Gegenſtaͤn⸗
de der ſinnlichen Ideen, darum daß ſie bildlich ſind,
mehr wirklich ſeyn muͤſſen, als die Gegenſtaͤnde des
Verſtandes, weil ſie nicht bildlich ſind. Heißt es:
die ſinnlichen Begriffe ſind anſchaueud; ſo iſt das aller⸗
dings wahr, ſie ſind unmittelbar anſchauend, aber
eid) bie Verſtandesbegriffe ſind anſchauend, nur mit⸗
B5 tel⸗
F^uvr- 206 wv
telbar, Denn (ie finb von ben ſinnlichen Begriffen
abgezogen, unb fónnen ín dieſen angefdjauet werden,
unb wenn fie aué abftracten Begriffen zuſammengeſetzt
(inb, fo bringen fie aud) au biefen bie mittelbar ans
ſchauenden Merkmale ber abſtracten Begriffe mit,
aus denen ſie zuſammengeſetzt ſind; und es iſt hier
wiederum nicht abzuſehen, was in den ſinnlichen Be⸗
griffen vorzuͤgliches ſey, woraus folge, baf fie einen
wirllichen Gegenſtand haben muͤſſen, dieſe hingegen
nicht.
Das Reſultat dieſer Betrachtungen ſcheint mir
zu ſeyn: daß man ohne Vermeſſenheit behaupten koͤn⸗
ne, die Grenzbeſtimmung der menſchlichen Erkenntniß
nad) bet Leibnitziſchen Vernunſtkritik duͤrfe nod) nicht
aufgegeben werden; alles was die Kantiſche Kritik
gruͤndliches enthaͤlt, ſey in ihrem Umfange enthalten,
und außerdem noch vieles, was dieſe ohne Grund ver⸗
wirſt. Das wird noch mehr einleuchten, wenn wir
unterſuchen, mit welcher von beiden man am beſten dem
Bumiſchen allgemeinen Idealismus begegnen koͤnne.
Das ſoll gerade das Hauptverdienſt ſeyn, wo⸗
von Herr Kant ſeiner Kritik den Ruhm ausſchließend
zugedacht hat, ſie ſoll nach ſeinen Prolegom. zu ei⸗
net kuͤnftigen Metaphyſik alle bie Wunden aus
dem Grunde heilen, die der Humiſche Idealismus
der
Fo 07)
bet Philoſophie geſchlagen fat, unb bie, nad) feinem
Ausſpruch, nod) feine Metaphyſik Gat beílen tónnen,
Dies Wunder foll nun feine Sriti£ baburd) vercid)ten,
baf fie eine Metaphyſik weranftaltet, welche, nad)
ber Vorrede ju ber neuen Ausgabe ber Kritik occ
reinen Yernunft, annimmt, die Gegenftanbe müf
fen fid) nad) unſeret Grfenntnif richten. Wenn dieſe
vielverſprechende Methode fo viel heißen foll, als: bie
Gegenſtaͤnde unſerer Erkenntniß müfjen. mit. unjeree
Erkenntniß, unb unfere Erkenntniß muf mit ben Ger
een(tánben uͤbereinſtimmen, fo balo unfere Erkenntniß
ben Geſetzen oec Form gemáf ift, bie ibren Erkenntniß⸗
vermógen ſelbſt voefent(id) ift: fo Dat fic bic Leibnitzi⸗
ſche Philoſophie in (brem gangen Umfange befolgt.
Die Vernunft ſchreibt, nach Herrn Kants Sprache,
in dieſer Philoſophie mehr als in irgend einer andern
der Natur ihre Geſetze vor, ja ſie nimmt mehr als
eine andere ben. Stoff ber Erkenntniß aud. ihrem Sym
net. So zergliedert fie bie Gríd)einungen ber Koͤr⸗
pet ín. ben Stoff, wozu fie bíe Clemente ín fid) ſelbſt
finbet; fo erhebt fie fid) mit biefen Glementen gu bem
Begriffe bee hoͤchſten Stealitát, unb (teiat von biefem
àu bec Wirklichkeit der aͤußern Objecte bec Sinnen herab.
Wenn alſo dieſe Methode alles das ſoll leiſten
koͤnnen, was Herr Kant von ihr verſoricht: fo ift
ber metaphyſiſche Stein ber Weiſen gefunden. Der
Humi⸗
fuv 28 ^v
Humiſche Idealismus iſt vernidjtet; bie Leibnitziſche
Philoſophie fatte ifm ſchon aum voraus feinen Unter⸗
gang zubereitet. v haͤtte demnach nicht feine 3ties
derlage durch Herrn Kants Vernunftkritik abwarten
koͤnnen, von der es zweifelhaft iſt, ob er durch ſie
fallen muͤſſe. Denn Herr ant erklaͤrt das Bewußt⸗
ſeyn der Vernunft vom Beharrlichen in uns ſelbſt und
von unſerm eigenen individuellen Daſeyn fuͤr Taͤuſchung.
Die Begriffe ber reinen Vernunft, bie alſo kein ſinn⸗
liches Anſchauen von Raum und Zeit enthalten, haben
ebenfalls keine tranſcendentale Guͤltigkeit; es exſiſtirt
alſo eben ſo wenig ein unendlicher Geiſt als die einfa⸗
chen Elemente der Koͤrper. Die Begriffe des Ver⸗
ſtandes ſind bloß Kategorien, durch welche bic Er⸗
ſcheinungen verbunden werden. Er beweiſet zwar das
unmittelbare Bewußtſeyn anderer Dinge außer uns;
allein wenn darunter die objektive Wirklichkeit einer
ſubſtantiellen beharrlichen Koͤrperwelt foll. verſtanden
werden, ſo iſt es mit dem bloß idealiſchen Seyn des Be⸗
harrlichen in uns ſelbſt nicht zu reimen; deſſen nicht zu
gedenken, was ſich gegen die Verſtaͤndlichkeit und Buͤn⸗
digkeit dieſes Beweiſes einwenden laͤßt. Die Brauch⸗
harkeit ber Kantiſchen Vernunftkritik gegen den Humi⸗
ſchen Idealismus iſt alſo bey weitem noch nicht ſo ausge⸗
macht, unb bie Unbrauchbarkeit bet Leibnitziſchen nicht fo
dargethan, daß die erſtere auf ben Truͤmmern von beiden
ihre rechtmaßig erworbene Herrſchaft gruͤnden koͤnnte.
Wenn
Wenn tvir nun bíe Leibnitziſche Grenzbeſtim⸗
mung ber menſchlichen Grfenntnif mit der Kantiſchen
veraleid)en : fo ſcheinet biefe ín 2(nfebung bes. Syocafié:
mus ſchwerlich weiter zu ſeyn, als bie Humiſche, in:
be bie Leibnitziſche bie rationelle Pſychologie, Cos⸗
mologie und Theologie in ihrem Gebiethe enthaͤlt, und
dieſen Theil ihres Gebiets Dat ihr, nad) meiner lUeber—
zeugung, die Kantiſche Vernunſtkritik nod) nicht ab;
gewonnen.
Da dieſe Abhandlung eigentlich nur beſtimmt iſt,
die Ueberſicht des Umfanges der menſchlichen Erkennt⸗
niß nach der Leibnitziſchen, Humiſchen und Kantiſchen
Vernunftkritik zu erleichtern, um ſolchergeſtalt zu eís
nec Einleitung ín bie Beurtheilung ber philoſophiſchen
Streitigkeiten zu bienen, melde Herrn Aants Kritik
der reinen Vernunft veranlaßt hat, ſo kann ſie ſich
nicht auf die ausfuͤhrlichen Unterſuchungen der beſon⸗
dern Theile derſelben einlaſſen. Dieſe ſollen nach und
nach in einigen folgenden Aufſaͤtzen dieſes Magazins
erſolgen, zum Theil ſind ſie ſchon in Herrn Hofrath
Feders Werke uͤber Raum unb Caufalítát, in Herrn
Prof. Flatt Fragmentariſchen Beytraͤgen und in Herrn
Mag. Maaß Briefen uͤber die Antinomieen verſucht
worden.
[AE
— — HQ
3.
WMV 30 "9
FO-HIHDHPP|PEPEPHT]HRS P!HCHIHEHEHHIHRÁHHESOS
3.
Ueber die tvabre unb falſche Aufklaͤrung,
wie auch
uͤber die Rechte der Kirche und des Staats
in Anſehung derſelben.
E. iſt ſeit einiger Zelt viel uͤber den Werth der Auf⸗
klaͤrung geſtritten worden; aber, ſo viel ich weiß, mehr
mit Declamationen als mit Gruͤnden. In dem Feuer
der Begeiſterung iſt an beyden Theilen keinem einge⸗
fallen, bie wahre Aufklaͤrung von ber falſchen, bie
Aufklarung in ber Sieligion von ber Aufklaͤrung
in oen übrigen Wiſſenſchaſten zu unterfdoeiben, um
alsdann mit oec Ruhe, womit man allein bie Wahr⸗
heit finben kann, bic Rechte ber Kirche unb be$ Staats
in Anſehung ihrer Grroeiterung oder Einſchraͤnkung gu
unterſuchen. Die Beſtimmung dieſer Begriffe und
bie Unterſuchung dieſer Rechte muß aus ben tief:
(ten. Gruͤnden ber Vernunftlehre unb des Naturrechts
hergenommen werden. Die Fragen, die dabey vot:
kommen, ſind groͤßtentheils bey weitem nicht genug
von
FM aT ma*Y
tot einanber unterfdjieben, unb nod weniger genau
unb grünb(id) beantwortet. Gegenwaͤrtige Abhandlung
ift beſtimmt eíne tiefere Unterſuchung derſelben zu ver⸗
anlaſſen, und wenn ſie dieſen Zweck erreicht, ſo wird
ſie nicht ganz unnuͤtz ſeyn.
Das Schickſal, bag durch ben Mißkrauch ife
Werth nach und nach zweifelhaft geworden iſt, hat
bie Auſklaͤrung mit andern Eigenſchaften des menſch⸗
lichen Geiſtes gemein; ſie ſollte alſo auch billig das
mit ihnen gemein haben, daß ſie, ſo wie ſie, nicht an
und fuͤr ſich ſelbſt, ſondern nur erſt dann, wenn ſie
uͤbertrieben wird, fuͤr ſchaͤdlich gehalten wuͤrde. Die
Namen eines Polyhiſtors, eines ſchoͤnen Geiſtes, ci
nes Empfindſamen, die ſonſt ſo ehrenvoll waren, ſind
jetzt Spottnamen geworden; koͤnnen fie das aber wol
ſeyn, menn wir (ie einem Haller, Leſſing, Hagedorn,
Stammler, Gellert unb. andern ihres Gleichen beyle⸗
gen? Sie (inb e$ alfo nur durch ben Stolz ber. fid):
ten Vielwiſſer, bie Taͤndeleyen ber falſchen ſchoͤnen
Geiſter unb die Affectation ber falſchen ober uͤbertriebe⸗
nen Empfindſamkeit geworden. Eben ſo kann der
Werth der Aufklaͤrung uͤberhaupt durch die falſche und
zu weit getriebene Aufklaͤrung verdaͤchtig geworden ſeyn;
man wuͤrde aber in dieſem Falle ſo gut, wie in jenem,
in Gefahr gerathen, etwas ſehr ſchaͤtzbares zu verwer⸗
fet, wenn man die Fehler unb befi Schaden ber fal⸗
ſchen
FAMEM 32 ve
ſchen Aufklaͤrung bie wahre wollte entgelten faffen.
Welches iſt aber eine wahre Aufklaͤrung und wodurch
unterſcheidet ſie ſich von derjenigen Mißgeſtalt, die
ihren Gang nachaͤfft, und ihren Ehrennamen zu
uſurpiren wagt? Um das beſtimmen zu koͤnnen, müf:
ſen wir erſt das Weſen der Aufklaͤrung genauer er⸗
forſchen.
1. Worin beſteht das Weſen der
Aufklaͤrung?
Es i(t-auffallenb, daß weder bie aufgeklaͤrteſten
aͤltern noch neuern Nationen fuͤr dieſe bald gewuͤnſchte
bald gefuͤrchtete Eigenſchaft des menſchlichen Geiſtes ein
Subſtantiv haben, das bem deutſchen Worte Aufklaͤ—
rung voͤllig entſpraͤche. Sie ſehen ſich genoͤthigt, wenn
ſie es uͤberſetzen wollen, ein Wort zu gebrauchen, das
mit unſerm Erkenntniß, Einſichten, gleichbedeutend
iſt; die Englaͤnder Knowledge, die Franzoſen
Connoiffances, lumieres. Die Aufklaͤrung befoͤr—⸗
dern heißt ihnen, die Sphaͤre menſchlicher Kenntniſſe
und Einſichten erweitern.
Die Frage kann daher bey dieſen Nationen gar
nicht vorkommen, ob bie Aufklaͤrung koͤnne ſchaͤdlich
ſeyn, ob man die Aufklaͤrung befoͤrdern oder hindern
muͤſſe; denn das wuͤrde heiſſen: ob es ſchaͤdlich ſey, ein
ein:
CMOTM 343 e
einſichtsvoller Mann gu ſeyn, o6 man Senntniffe unb
Einſichten Befórbern ober Dinbern folle ; fie entfált, in
ihter Sprache autgebrudt, eine zu auffallenbe linge
reimtheit, aí$ daß fie nut. fónnte aufaemorfen wer:
ben. So fefe fann bie Sprache qur Leitung be ger
funben SBer(tanbes bienen.
In ber franzoͤſiſchen unb engliſchen Sprache koͤn⸗
nen alfo dieſe Fragen nicht aufgeworfen werden; in
ber unfrigen koͤnnen fie es, umb fie finb es auch. Wo⸗
her kommt dieſes? Mich duͤnkt, das Wort Aufklaͤ⸗
rung enthaͤlt einige Nebenbegriffe, die durch die Aus⸗
druͤcke Erkenntniß und Einſichten nicht ganz erſchoͤpft
werden.
Es iſt wiederum eine Sonderbarkeit, bie mir
merkwuͤrdig ſcheint, baf man eínen Euler, Kaͤſtner,
Aluͤgel, Lichtenberg, wol gruͤndliche, tiefſinnige,
aber ſchwerlich aufgeklaͤrte Mathematiker nennt. Man
ſagt, daß ſie weit umfaſſende Kenntniſſe und Einſich⸗
ten in ihrer Wiſſenſchaft beſitzen; dé iſt aber nicht gez
woͤhnlich, von einer aufgeklaͤrten Geometrie unb Ana⸗
lyſis zu reden. Deſto oͤfterer rebet man von aufge⸗
klaͤrten Gottesgelehrten, von aufgeklaͤrten Weltweiſen,
Aer zten, Naturforſchern. Der Grund der Verſchie⸗
denheit dieſes Sprachgebrauchs ſcheim mir in den Ne⸗
benbegriffen des Worts Aufklaͤrung unb der Natur
Philoſ. Mag.i. Gt, € occ
f^fM 34 — mS
ber Wiſſenſchaften zu liegen, auf bie es angetoanbt
wird. Die mathematiſchen Wiſſenſchaften beduͤrfen
zu ihrer Vervollkommnung nichts anders, als oie Ver⸗
mehrung deutlicher und tiefſinniger Kenntniſſe; Irr⸗
thuͤmer und Vorurtheile koͤnnen ſich in ihrem Gebiet
nicht feſtſetzen; das iſt kein Feind, den ſie zu beſiegen
haben, wenn ſie ihre Graͤnzen erweitern, und ihr
Licht uͤber einen weitern Horizont ausbreiten wollen;
was ſie wiſſen, das wiſſen ſie entweder recht oder gar
nicht. In allen andern Wiſſenſchaften giebt es aber
ein gewiſſes Mittelding zwiſchen richtigen Einſichten
und Unwiſſenheit, das ſo lange den Schein der erſtern
annimmt unb ihre Stelle behauptet, bis eine gt
nauere und tiefſinnigere Unterſuchung es in das Reich
der letztern zuruͤckweiſt; zwiſchen der wahren Wiſſen⸗
ſchaft und der bloßen Unwiſſenheit ſteht noch die
Scheinwiſſenſchaft oder der Irrthum mitten inne.
Die Vervollkommnung der reinen Mathematik erfo⸗
dert alſo bloß die Befoͤrderung der Wiſſenſchaft und
die Verminderung der Unwiſſenheit; die Vervollkomm⸗
nung bet übrigen beſteht nicht blog ín der Vermeh⸗
rung der wahren Wiſſenſchaft und der Verminderung
bec Unwiſſenheit, fie erfodert aud) nod) bie Vermin⸗
beruna ber. Scheinwiſſenſchaft, b. i. bet. Irrthuͤmer
unb 93orurtfeile. Die 2iufflárung ſcheint alfo nicht
bloß Vermehrung bec Wiſſenſchaft umb Verminderung
der Unwiſſenheit, ſie ſcheint auch Verminderung der
Irr⸗
fM as e
Jerthuͤmer unb 93orurtfeife zu erforbern, fie ſcheint
nid)t bloß bee Unvollkommenheit ber ecftern Art, fone
bern aud) ber Unvollfommenfeit ber (eGtetn Art enti
gegengefeGt zu ſeyn, unb zwar bíefer letztern vorzuͤg⸗
lich; die von der erſtern Art ſcheint nur zu ihrem
Weſen zu gehoͤren, fofern bie. Irrthuͤmer unb Vorur⸗
theile ohne Vermehrung der wahren Wiſſenſchaft nicht
koͤnnen vermindert werden.
Die Fortſetzung dieſer Vergleichung der reinen
mathematiſchen Wiſſenſchaften und der uͤbrigen kann
uns mit bem Weſen bet Aufklaͤrung nod) naͤher bekannt
machen. Laſſen Sie uns ju dem Ende bie Eigenheiten,
wodurch ſich die reine Mathematik auszeichnet, noch
etwas weiter verfolgen.
Zu den Urſachen, warum dieſe Wiſſenſchaft
nie, wie alle andere, von ihrem Entſtehen an durch
Irrthuͤmer iſt entſtellt worden, von denen ſie durch
den Scharfſinn ihrer Verbeſſerer haͤtte muͤſſen gerei⸗
nigt werden, kann man, glaub ich, mit Recht auch
die rechnen, daß fie auf allen Stuſen ihrer Vollkom⸗
menheit nothwendig immer zu den gelehrten Kenntniſ⸗
fet gehoͤren mußte; daß fie alfo immer das aus Hhlie⸗
Benbe Eigenthum derjenigen bleiben konnte, tie ihre
Neigung, ihre Talente und ihr geuͤbter Verſtand zu
ihrer Bearbeitung geſchickt machte. Das kam daher,
€ 2 baf
fMsfM 36 ^c
baf ifr Beduͤrfniß nie allgemein mar, toíe ba8 5e
bürfnig ber S9teligion, bet Cittenlebre, ber Natur⸗
(febre; bíe Unfaͤhigkeit des rohern unb. unwiſſendern
Theils der Menſchen konnte daher nie, wie auf den
uͤbrigen Feldern ber. menſchlichen Erkenntniß, bae Un⸗
ftaut ber Irrthuͤmer unb Vorurtheile ausſtreuen. Da;
von war eine natütlid)e Folge, bag bie 2ínbauer ihres
Feldes nur feine Graͤnzen durch neue Anpflanzungen
erweitern durften. Die Verbeſſerer der uͤbrigen Zweige
der menſchlichen Erkenntniſſe, mußten aber uͤberdem
noch bie Wiſſenſchaft von Vorurtheilen unb. Irrthuͤ⸗
mern reinigen, womit ſie durch die Rohigkeit, Unge⸗
lehrigkeit und den Unwerſtand der Menge waren vete
dunkelt worden; um ju verbeſſern, mußten fie aufs
klaͤren.
Ein anderer Vorzug der mathematiſchen Wiſſen⸗
ſchaften, den ich zu der letztern Claſſe rechnen kann,
beſteht darin, daß ihre Begriffe und Wahrheiten zu
weit von dem Gebiete der Sinnlichkeit entfernt liegen,
als daß bie Einbildungskraft unb bie Leidenſchaften
des Menſchen einen Einfluß darauf haben koͤnnten.
Wie ſehr dieſe die Religion und Sittenlehre verdorben
haben, lehrt die Geſchichte des menſchlichen Verſtan⸗
des. Die Leidenſchaften haben in dem rohen Zuſtande
ber. menſchlichen Geſellſchaft das Naturrecht unb bie
Sittenlehre gebildet, und aus dieſen Zuͤgen ber Rohig⸗
keit
S)9AMTP 37 "34v
feit fat ble Cinbilbungéfraft bas Bild ihrer Glottfeit
àufammengefe&t. — Wer alfo 3teligion unb Sittenlehre
vervollfommnen molite, mufte erft bíefe &puren ber
Rohigkeit ausiófdjen, b. i. er mufte fie aufklaͤren.
Der letzte Characterzug, ben uns bie Verglei⸗
chung bcr. mathematiſchen Wiſſenſchaften mit ben uͤbri⸗
gen Kenntniſſen des Menſchen ſichtbar macht, liegt
in ber Beglaubigung ihrer Wahrheiten. Syn bec Ma⸗
thematik iſt dieſe Beglaubigung keine andere als die
vollſtaͤndigſte, ſtrengſte Demonſtration, die von der
Wiſſenſchaft, ber man fie nur nod) immer unvolifom;
ten fat nadjabmen £ónnen, ben Samen ber matber
matiſchen ecfa(ten fat. Die Lehren ber veinen 9a:
thematik haben entweder mathematiſche Gewißheit,
oder fie haben gat keine, mic ſind entweder durch Oe:
monſtration davon uͤberzeugt, oder gar nicht. Autho⸗
ritaͤt des Lehrers, uͤberredende Gruͤnde, bie bie (Cin
bildungskraft, die Neigungen und die Leidenſchaften
fuͤr eine Lehre gewinnen, koͤnnen hier nicht angebracht
werden. Sie koͤnnen es aber in der Religion, in der
Sittenlehre, in der Naturlehre und in allen unter
ihnen enthaltenen Wiſſenſchaften. Dieſer Theil der
eigenthuͤmlichen Natur von beiden Hauptarten der
menſchlichen Kenntniſſe iſt zum Vortheil ber mate:
matiſchen und zum Nachtheil der uͤbrigen entſcheidend.
Durch ihn haͤlt die erſtere alle diejenigen ſogleich von
€ 3 ibren
fM 38 ^u
ihren Graͤnzen a6, bie feiner Ueberzeugung bird)
Demonſtration faͤhig (inb; burd) ibn verfagt fie allett
ebren bie Aufnahme, bie fid) nicht mit bem Siegel
be$ ſtrengſten Vernunftbeweiſes rechtfertigen; indeß
die letzteren jedem eine Stimme vergoͤnnen, der ſich
des Rechtes, ſeine Meinung zu ſagen, anmaaßen will,
und Lehren aufnehmen, die nichts als die Mehrheit der
Stimmen, das Anſehen des Lehrers und oft die Rohig⸗
feit uno Bloͤdſinnigkeit der Glaͤubigen beguͤnſtigen fant,
Ein weſentliches Stuͤck der Aufklaͤrung iſt alſo
auch dieſes, daß ſie den Einfluß des Anſehens auf die
Ueberzeugung vermindert, und den Gebrauch des ei⸗
genen Urtheils an die Stelle der Unterwerfung unter
ein fremdes noch ſo ehrwuͤrdiges, ſo wie die Ueber⸗
zeugung aus innern Gruͤnden der Wahrheit an die
Stelle des blinden Glaubens ſetzt. So gebrauchen
die Franzoſen das Wort Philoſophie, wenn ſie es
ber Xeligion entgegenſetzen. Da ſie unter Religion
nur die poſitive verſtehen: ſo iſt ihnen Philoſophie der
Inbegriff aller Kenntniſſe, die wir der Vernunft und
der Erfahrung zu danken haben. Bey uns wird der
Gedrauch ber. Vernunft in. ber Religion nicht ausge;
ſchloſſen, wir haben eine Religionserkenntniß, die ein
Theil der Philoſophie iſt; bey uns kann daher dieſe
Oppoſition der Philoſophie und der Religion nichts
anders als Mißverſtand veranlaſſen.
Wenn
PAM" 39 ^
Wenn toit biefe Zuͤge gut genaueſten Schilderung
bet wahren Auftlaͤtung zuſammenfaſſen: fo wird fie
ín Verminderung ber Irrthuͤmer unb (n Vermeh⸗
tung ber beutlid)ften unb richtigſten Senntni(fe aus
ben angemeffenften Wahrheitsgruͤnden beſtehen. Der
vollkommen aufgeklaͤrte Menſch wuͤrde alſo derjenige
ſeyn, der ſich von allen Irrthuͤmern losgemacht und
ſeinen Verſtand mit der deutlichſten und richtigſten
Erkenntniß bet Wahrheit durch Vernunft, Erfah—⸗
rung und den vernunſtmaͤßigſten Glauben bereichert
haͤtte.
Allein dieſer Vollkommenauſgeklaͤrte iſt eben ſo
wenig, als der Vollkommentugendhafte, irgendwo
unter ben Menſchen ju. finden. Die menſchliche Voll⸗
kommenheit bildet ſich nach und nach; das gilt ſowohl
für ben Verſtand als für das Herz; fie fángt mit
ſchwachen Schritten an, unb geht (angfam, inter
vielem Schwanken, Fehltritten unb Zuruͤckweichen ber
hoͤchſten Stufe entgegen, ofne fie zu erreichen. Es
muß alſo nothwendig in der menſchlichen Aufklaͤrung
ſo unendlich mannigfaltige Stufen geben, als in der
menſchlichen Tugend. In beiden aber muß es einen
gewiſſen Anfang geben, worin fid) ihre Geſtalt zu bil⸗
den beginnt. In der Tugend iſt dieſes der feſte Vor⸗
ſatz, nur das zu thun, was man fuͤr recht erkennt, und
zwar weil man es fuͤr recht erkennt; ín bec Aufklaͤ⸗
€ 4 rung,
FXVF^ 40 màs
cung, nidjté für wahr gu halten, als wovon ung,
nad) forafáftiger Pruͤfung, Vernunſt, Erfahrung oder
vernuͤnftiger Glaube uͤberzeugt. Das, und nichts
anders, wird alſo das Weſen der Aufklaͤrung ausma⸗
chen; wer dieſe Gewohnheit beſitzt, wird auf den Na⸗
men eines aufgeklaͤrten Mannes mit Recht Anſpruch
machen koͤnnen; denn er iſt auf dem Wege, auf wel⸗
chem er allein der Wahrheit immer naͤher kommen und
ſie immer mehr ohne die Taͤuſchungen des Irrthums
wird erblicken koͤnnen.
Es iſt wichtig, daß wir dieſen Geſichtspunct,
worin wir das Weſen der Aufklaͤrung betrachten, feſt
vor den Augen behalten, wir werden ſonſt ſchwerlich
bie wahre Aufklaͤrung von ber ſalſchen zu unterſchei⸗
ben, unb bie mannigfaltigen Anmaaßungen einge⸗
bildeter Aufklaͤrer und Aufgeklaͤrter mit Sicherheit zu
beurtheilen im Stande ſeyn. Es iſt daher der Muͤhe
werth, daß wir uns von der Richtigkeit des angege⸗
benen Begriffs nod) durch einige Faͤlle, worin das
Wort gebraucht wird, zu uͤberzengen ſuchen.
Wir nennen den einen aufgeklaͤrten Landwirth,
der in der Verwaltung ſeiner Oekonomie nicht einer
gedankenloſen Routine folgt, und affe Verbeſſerungen
derſelben aus einer blinden Anhaͤnglichkeit an ein un⸗
gepruͤftes Herkommen verwirft. Und ein ſolcher wird
er
PAVERM 4y nav
e ſeyn, er mag uͤbrigens das Alte beybehalten ober
davon abgehen, wofern er nur beides nach ſorgfaͤltiger
Pruͤfung thut, und weder etwas eingefuͤhrtes beybe⸗
haͤlt, noch etwas neugewagtes annimmt, von deſſen
vorzuͤglichem Nutzen ihn nicht Nachdenken und Erfah⸗
rung belehrt hat. Eben ſo nennen wir einen Boerhave
einen aufgeklaͤrten Arzt, nicht wegen bet neuen Heilmit⸗
tel, die er zuerſt gebraucht, nicht wegen ſeiner Ver⸗
werfung alter und Einfuͤhrung neuer Curmethoden,
alſo nicht darum, daß er das Alte verworfen und das
Neue aufgebracht; ſondern darum, daß er die Theorie
unb Praxis ber Arzneykunſt auf Erfahrung unb un:
leugbare Grundſaͤtze ber Vernunft gebaut, unb ihren
Umfang durch neue Beobachtungen und Beſtaͤtigung
der alten mit ſeinen eigenen erweitert.
Dieſem alſo zufolge, daß das eigentliche Weſen
der wahren Aufklaͤrung bloß in dem durchgaͤngigen ſorg⸗
faͤltigſten Gebrauche der Vernunft, der Erfahrung und
eines vernunftmaͤßigen Glaubens beſteht, faͤllt es ſchon
ín die Augen, daß es eine eitie Anmaaßung ſey, fid)
durch bloßen Widerſpruch gegen allgemein angenom⸗
mene Meinungen das Verdienſt ber Aufklaͤtung jus
zueignen. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als daß man die
Verwerſung oder Beybehaltung gewiſſer Lehren zur
Loſung macht, wonach man die auserwaͤhlten Aufge⸗
klaͤrten von ber Heerde ber. Unaufgellaͤrten ſondert;
nichts
F(AVM 42 m9
nidté it gleichwol grundloſer. Der unwiſſendſte,
leerſte und ſeichteſte Kopf kann aus Neuerungsſucht,
und aus Begierde Aufmerkſamkeit zu erregen, alte
Wahrheit verwerfen und neue Irrthuͤmer behaupten,
wie ber aufgeklaͤrteſte Mann alte Wahrheit beybehal⸗
ten und neuen Irrthuͤmern ſich entgegenſetzen kann.
Weder das Alte noch das Neue in den Meinungen,
macht das Weſen bet Aufklaͤrung aus; ſondern bloß
bie Bewegurſachen, warum das (ine ober das An⸗
dere angenommen oder verworfen wird. Wer ſich
bloß durch Gruͤnde der Vernunft und der Erfahrung
beſtimmen laͤßt, Lehrwahrheiten, und durch vernuͤnfti⸗
gen Glauben, Geſchichtswahrheiten anzunehmen oder
zu verwerfen, ſie moͤgen uͤbrigens neu oder alt ſeyn,
deſſen Aufklaͤrung iſt eine wahre; wer ſeine Anſpruͤche
auf andere Gruͤnde baut, welche e$ ſeyn moͤgen, deſ⸗
ſen Aufklaͤrung iſt eine falſche, angemaaßte.
2. Kann unb ſoll bie Aufklaͤrung in dem
gegenwaͤrtigen Zuſtand der menſchlichen
Geſellſchaft allgemein ſeyn?
Wenn wir dieſe Frage nad) bem feſtgeſetzten Be⸗
griffe von Aufklaͤrung beſtimmen, ſo muß ſie dieſen
Sinn haben: Kann ein jedes Glied der menſchlichen
Geſellſchaft, in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande, zu der
velifommenen Ausbildung feines Verſtandes gelangen,
daß
WMPÉR 43 ^
baf ed in allem, was e$ annimmt ober vertoirft, aat
feiner 2(utforitát folgt, und fid) bfog burd) Girünbe
ber Vernunft unb. ber Grfabrung beftimmen laͤßt?
Wir müffn bie Frage auf ben aeaenmoártiaen
Suftanb der menſchlichen Geſellſchaft einfd)ránfen,
wenn wir uns ihre Beantwortung nicht unmoͤg⸗
lich machen wollen. Denn wie koͤnnen wir es
uns zu entſcheiden anmaagen , wie die goͤttliche
Vorſehung die Regierung der uns unbekannten Theile
des unermeßlichen Geiſterreiches verwaltet, ober was
fie fuͤr das menſchliche Geſchlecht in. ben durch Millio—
nen Jahre von uns entfernten Zeitperioden ſeines Da⸗
ſeyns zu veranſtalten für aut finden wird? Sn ber Er⸗
forſchung des Zuſtandes der menſchlichen Geſellſchaft
durch fo ferne Seiten ber Zukunft, kann uns bie Gre
fahrung gar. nicht unb die Vernunſt nue. zur Entde⸗
ckung ſeiner allgemeinſten Zuͤge belehren. Wir muͤſſen
alſo nur bey dem Vergangenen und Gegenwaͤrtigen
ſtehen bleiben. Und was zeigt uns hier te Erfah—
rung? Sie zeigt uns keinen Zeitraum, ſo groß oder
klein er mag angenommen werden, keine Geſellſchaft,
ſo eingeſchraͤnkt oder ausgebreitet ſie ſeyn maq, worin
bie Aufklaͤrung, ſelbſt mad) dem engern Begriffe,
oder ín alfen Gliedern ber. Geſellſchaft, in Anſehung
aller Gegenſtaͤnde ber menſchlichen Erkenntniß allge⸗
mein waͤre.
Die
FEM 44
Die unübemvinb(id)en Hinderniſſe biefee Allge⸗
meinheit der Aufklaͤrung liegen in den eigenthuͤmlichen
Characteren des Alters und des Umfangs der Geſell⸗
ſchaſt. Iſt bie Geſellſchaft nod) neu, ift fie noch in
iter Kindheit: fo (inb bie Senntniffe, wo nicht aller,
bod) einiger iret Gifieber, zwar al[gemeinet, aber auch
beflo begrángter. Der nefmtid)e Menſch i(t zwar aus
gleid) Arzt, Rechtsgelehrter, Gottesgelehrter, Na⸗
turforſcher; aber welcher Arzt? welcher Rechtsgelehr⸗
ter? welcher Naturſorſcher ? Schreitet bie Geſellſchaft
zu ihrer maͤnnlichen Periode fort: fo ift ihre Arzney⸗
kunde, ihre Rechtsgelehrſamkeit, ihre Theologie, ihre
Naturlehre vollkommner, ſie iſt weitumfaſſender,
richtiger, gruͤndlicher. Allein welcher einzelne Menſch
kann nun nod) alle dieſe mediciniſchen, juriſtiſchen, theo⸗
logiſchen, phyſiſchen, mathematiſchen und philoſophi⸗
ſchen Kenntniſſe in ſich vereinigen? Wenn wir daher
einige ſeltene Faͤlle ausnehmen, ſo iſt der große Mann
nur ín ſeinem Fache groß. Wilhelm oer Dritte, Koͤ⸗
nig von England, ein Mann, der ſich auf Menſchen
verſtand, War einſt uͤber eine Staatsangelegenheit
verlegen, man rieth ihm Newton ju Rathe zu zie⸗
hen; Newton! antwortete ber Koͤnig, bet iſt weiter
nichts als ein großer Philoſoph. Syn wie vielen Um⸗
ſtaͤnden, bey wie vielen mathematiſchen Aufgaben
haͤtte der Philoſoph, wenn man ihm gerathen haͤtte,
den
Vu 45 ^29
ben Monatchen 3u fragen, antroorten koͤnnen: Wil⸗
belm iſt weiter nid)té al$ ein großer &taütémann!
Die Ausdehnung ber Gefelfdjaft, bie voflform,
nere. Ausbildung bet Wiſſenſchaften vervollfommnet
nothwendig ba$ Gange, aber. bey weitem nicht eben
fo nothwendig jeben Theil. Die gegenmártige Welt
mag die alte Welt im Ganzen an Kenntniſſen über:
tteffen; aber es iſt weit geſehlt, daß ein jedes ihrer
Glieder ein jedes Glied der alten Welt an Kenntniſſen
und Geiſtesbildung uͤbertreffen ſollte. Die lyriſche
Muſik unſerer Opern iſt gewiß vollkommner, ſie iſt
ein ſchoͤneres Concert, als die lyriſche Muſik des goͤtt⸗
lichen Pindar; aber ſchwerlich wird jemand behau⸗
pten, daß ein jeder Capellgeiger ein groͤßerer Mann
ſey, als er. Dieſes Concert iſt ein treffendes Bild der
gegenwaͤrtigen Cultur ín Vergleichung mit ber Cultur
bet Vorwelt: es ift zuſammengenommen unb im Gan:
zen beſſer, abet barum iſt nicht jeder Mitſpieler beſſer.
Wenn alſo die Geſellſchaft aufgeklaͤrt iſt, ſo folgt
nicht gleich, daß jedes Glied derſelben in gleichem Grade
aufgeklaͤrt ſeyn muͤſſe. Das Erſte heißt weiter nichts,
als, die Geſellſchaft enthaͤlt Maͤnner, die den ganzen
Umfang der menſchlichen Kenntniſſe nach den richtig⸗
fte. unb ſicherſten Grundſaͤtzen der Vernunft unb bet
Erfahrung, ſo wie mit der ſorgfaͤltigſten, helleſten und
zuvetlaͤſſ igſten Kritik bearbeitet haben. Allein dieſer
Ge⸗
AV*AS. 46 p0à
Gebrauch bet Vernunft, ber Erfahrung unb bee Stt
tik ift einem jeben nur ín feinem eígenen ade moͤg⸗
lich; in einem fremben muß ec. fido frember Einſichten
bebienen , er muf (id) auf bie Senntniffe des Gad;
funbígen verfaffen, et mu beffen Urtheile trauen;
furj, ec muß ba$ einem Andern glauben, was et
nicht burd) eigene Unterſuchung, burd) eigenen. Ver⸗
munftgebraud), au$ eigener Crfafrung wiſſen kann.
Iſt biefe ſelbſt bey benen ber Fall, bie fid) ganz
ben Wiſſenſchaften unb ber Bildung ihres Verſtandes
widmen koͤnnen; wie weit mehr wird er es bey denen
ſeyn, die durch mechaniſche Arbeiten und die Sorge
für bie Erwerbung ber Nothwendigkeiten des Lebens
an ihrer Aufklaͤrung gehindert werden! wie weit
mehr werden dieſe genoͤthigt ſeyn, ſich auf frem⸗
de Einſichten zu verlaſſen, und ſtatt, ſich bloß
durch eigene Vernunft und Erfahrung, durch die
Authoritaͤt der Aufgeklaͤrteren in ihren Urtheilen
leiten zu laſſen. Wenn daher die richtigern Kenntniſſe
ber Aſtronowmie, ber Naturlehre ober ber Arzneytunde
bis ju ben niebrigern Claſſen ber Buͤrger herabkom⸗
men: fo fónnen fie bod) für biefe feine andere Beglau⸗
bigung, als burd) bas Vertrauen auf ble hoͤhern Kennt⸗
niſſe der Gelehrten, alſo bloß die Beglaubigung der
Authoritaͤt haben. Wenn unter dieſer Claſſe als aus⸗
gemacht angenommen wird, daß es einen Planeten
Ura⸗
&»ytAW 49. «wA
Uranus gebe, bag Saturn einen Ring fae: (o ift ift
das nid)t ausgemacht, weil fie e$ bucd) eigene Beobach⸗
tung voi(fen 3 ſondern weil (ie e$. ber Authoritaͤt bet
Aſtronomen glauben. Wie ſoll alfo bie Aufklaͤrung,
wenn wir darunter die Berichtigung unſerer Kennt⸗
niſſe durch eigenen Vernunftgebrauch und durch eigene
Erfahrung verſtehen, ſich je durch alle Kenntniſſe, oder
auch nur durch einige uͤber alle Menſchen allgemein
ausbreiten tónnen ?
3. Sann unb ſoll bie Aufklaͤrung im ber
Religion in bem gegenmártigen Quftanbe
bet. Gefellfd)aft allgemein werben ?
So fern bie Religion nicht tie Angelegenheit el;
nes gewiſſen Standes, fonbern eines jeden Menſchen
iſt, ſo fern iſt die Verpflichtung zu ihrer Erkenntniß
allerdings allgemein; daͤrin macht fie eine Ausnahme
von der Regel. Allein demungeachtet koͤnnen nicht
alle Claſſen von Menſchen zu einem gleichen Grade
der Vollkommenheit dieſer Erkenntniß verpflichtet ſeyn.
Und wie ſollten fie aud) ? da bie verſchiedenen Geiſtes⸗
faͤhigkeiten, womit die Menſchen gebohren werden,
und die Umſtaͤnde, worin ſie leben, ſo mannigfaltige
Grade der Ausbildung des Verſtandes nothwendig
machen. In dieſem Stuͤcke kann fuͤr die Religion
feine Ausnahme Statt finden. Die Vollkommen⸗
heit
CVM 18 S*L
feit ihrer Erkenntniß beruhet auf ter. Erweiterung,
der Richtigkeit und Gruͤndlichkeit unſerer Kenntniſſe
ín allen uͤbrigen Wiſſenſchaften; alle Uebung des Ver—
ſtandes an allen Arten der Erfahrungs- unb Ver—⸗
nunftwiſſenſchaften, den moraliſchen, phyſiſchen, ma⸗
thematiſchen, metaphyſiſchen, ift ein Beytrag zur Voll⸗
kommenheit unſerer Religionserkenntniß, die erſtere
befoͤrdert immer die letztere, unb letztere erfodert in
mer die erſtere. Es muß daher eine Religion der
Gebildetern und der Ungebildetern geben; beide koͤnnen
eben fo wenig gleich aufgeklaͤrt ſeyn, als jſeder Stand
in der Geſellſchaft in allen uͤbrigen Wiſſenſchaften
gleich aufgeklaͤrt ſeyn kann.
Dieſe Verſchiedenheit in den Graden ber Auf—⸗
klaͤrung ín ber Religion wird aud) nothwendig in bet
Art iret Beglaubigung fid)tbar roerben müffen. Nur
die Aufgeklaͤrtern werden ihrer 9teligionserfenntnig
durch ben Gebrauch ihres Verſtandes unb ihrer Ver⸗
nunft ben groͤßten Tiefſinn unb die groͤßte Gruͤndlich⸗
keit geben koͤnnen; alle uͤbrigen werden durch Authori⸗
taͤt uͤberzeugt.
Bey dieſer Vergleichung ber Religion bet. 2(uf:
geklaͤrten und Unaufgeklaͤrten iſt nur von der Religion
bet Vernunft bie Rede; alſo rur von benenStelíaioné:
wahrheiten, bie von ber menfdlidyen Vernunft koͤn⸗
nean
nen etfannt werden; auch biefe baben für ben llnauf;
geflárten, wenigſtens jum Geil, feine anbere lle;
berzeugungsgruͤnde als bie Authoritaͤt feines Lehrers.
Dieſe Art der Gewißheit iſt freilich nicht die gruͤnd⸗
lichſte, allein das nimmt ihr nichts von ihrer Staͤrle,
und die Staͤrke iſt gerade die Vollkommenheit der Ge⸗
wißheit, die einer Wahrheit am meiſten practiſche Kraft
giebt. Die Erfahrung beweiſt es hinlaͤnglich, daß
bie Ueberzeugung, die nur mit ihren tiefſinnigen
Beweiſen in dem Verſtande wohnt, bey weitem dem
Herzen nicht fo nahe liegt, atc diejenige innige Ueber—⸗
redung, bie durch das Gefuͤhl wirkt. Martyrer giebt
es nur in dem rohen Zeitalter einer Nation, mit dem
Fortgang tet Cultur nehmen fie von ſelbſt ab, und
unter einem raͤſonnirenden Volke hoͤrt man nichts
mehr von ihnen.
Unter den beſten und kraͤſtigſten Ueberredungs—
mitteln, die uns Erfahrung und Theorie an die Hand
giebt, ſteht bie eigene Ueberzeugung des Lehrers oben
an; von ifr erwartet die Dichtkunſt unb. Redekunſt
bie groͤßte Wirkung fuͤr ihre Werke; von ihr werden
auch gewiß die Wahrheiten der Religion fuͤr einen
jeden eine ber kraͤſtiaſten Empfehlungen, unb bep ben
Unaufgeklaͤrten ín. Anſehunq ber meiſten Wahrheiten
ihre einzige Empfehlung erhalten. Von dieſer Seite
betrachtet wird allezeit ein unſtraͤfliches exemplariſches
Philoſ. Mag. 1, Gt. D Leben
f^ 5o ^"249
Leben ber. Predigt beó Religionslehrers eine. Soft
geben, beren Abgang turd) feine Kunſt ber Beredt—
famfeit unb durch fein Blendwerk einer theatraliſchen
Declamation wird koͤnnen erſetzt werden. Das un;
verdorbene Gefuͤhl unb bet gerade Wahrheitsſinn des
gemeinen Chriſten urtheilt ſehr richtig, daß der
ſchwerlich ſehr uͤberzeugt ſeyn koͤnne, deſſen Ueberzeu⸗
gungen auf ſein Herz ſo wenig Kraft haben. Wenn
nun dieſe aͤußern Ueberzeugungsmittel die einzigen
ſind, die auf den gemeinen Chriſten wirken koͤnnen:
fo wird ber unſittliche ober leichtſinnige Prediger
ſchwerlich alles das mit noch ſo viel Beredtſamkeit
wieder aufbauen, was er mit einem aͤrgerlichen £e:
benswandel niederreißt. Es ift eine unmoͤgliche os
derung, daß bet gemeine Zuhoͤrer, der bie Wahr—⸗
heiten ber Religion unb Sittenlehre nicht in if:
ren innern Gruͤnden einſehen kann, nach deſſen
Worten thun ſoll, der ihm mit ſeinen Werken
en(iofig ift.
Nach eben den Geſetzen, mad) welchen bie Au—
thoritaͤt uͤberhaupt auf das Gemuͤth wirkt, entſteht
auch eie Ueberzeugung durch die Belehrungen bet. po:
ſitiven Religion. Die Urkunde, welche dieſes Anſe⸗
hen hat, iſt aus tauſend Gruͤnden ehrwuͤrdig, deren
Gefuͤhl kein weitlaͤuftiges Raͤſonnement, unb nichts
vor aller der ſpitzfindigen hiſtoriſchen Kritik erſodert,
womit
(f^ 5r - wues»
womit viele Apologeten des Chriſtenthums ben 5e;
weis feiner Wahrheit mehr verwitret und erſchweret,
als aufgeklaͤrt und erleichtert haben. Es wuͤrde
ſchlecht um den Glauben des Chriſten ſtehen, wenn
er ſo viele Gelehrſamkeit, Sprachkenntniß, Kritik
unb Geſchichtskunde beduͤrfte, als bie meiſten Ver—⸗
theidigungen der chriſtlichen Religion erfodern. Zum
Gluͤcke fuͤr die Tugend unb Gemuͤthsruhe des Cort
ſten kann er. alles dieſes zu ſeiner Ueberzeugung ent:
behren. Cr nimmt bie Thatſachen des neuen Teſta—
ments als voͤllig ausgemacht an, und wenn er ſie
nicht als ausgemacht annaͤhme, ſo iſt mir kein erſinn⸗
liches Mittel bekannt, ihn von ihrer hiſtoriſchen
Wahrheit zu uͤberzeugen. Dae Alterthum feiner Mrs
kunde, die Heiligkeit ihrer Tugendlehren, die Ver⸗
ehrung der großen Maͤnner, eines Luthers, eines
Zwinglins, die darin ihren Heldenmuth, ſeiner Vor⸗
eltern, die darin die Reinigkeit ihrer Sitten, ihren
Troſt und ihre Seligkeit gefunden, und mehr als
dieſes bie ruͤhrende und bewundernswuͤrdige ei
ligkeit des Stifters feiner Religion — das alles
giebt den Wahrheiten, die er in dieſer Urkunde
lernt, eine Sanction, die man, durch Raͤſonne⸗
ment und gelehrte Beweiſe zu erſetzen, vergebens
verſuchen wird.
D 2 4. Was
f^vY^ 52 — wu»
4. Was iſt faf(d)e Aufklaͤrung in ber
Religion?
Wenn dieſe Betrachtungen die allgemeinſte Erſah⸗
tung und eine richtige Kenntniß des menſchlichen Her⸗
zens auf ihrer Seite haben: ſo iſt leicht zu beſtim⸗
men, welche Aufklaͤrung in der Religion falſch und
ſchaͤdlich iſt. Nur die iſt es, welche die ehrwuͤrdige
Authoritaͤt einer wohlthaͤtigen poſitiven Religion bey
denen wankend macht, die noch auf keine andere Art
von den Wahrheiten, die zu ihrer Tugend und Ruhe
unentbehrlich (inb, koͤnnen uͤberzeugt werden ; bie das
belebende Feuer des Gefuͤhls durch Spott oder kalte
Zweifel in dem Herzen ausloͤſcht, ohne gewiß zu ſeyn,
es durch ein ſichrer leitendes Licht in dem Verſtande
erſetzen zu koͤnnen. Wenn irgendwo eine halbe Aufklaͤ⸗
rung, bie fid) auf ein wenig Wiſſen gruͤndet, ein gefaͤhr⸗
liches Ding iſt: ſo iſt ſie es in der Religion. Sie iſt ge⸗
tabe groß genug, um das Gebaͤude unſerer Nuhe unb
Tugend zu erſchuͤttern, aber nicht groß genug, dieſes
Gebaͤnde durch dauerhaftere Stuͤtzen zu befeſtigen;
es mug alfo mít feinen Grundpfeilern ſelbſt ſallen,
und derjenige, der nur die Beglaubigung ſeiner Re⸗
ligion verbeſſern wollte, muß, weil er keiner andern
faͤhig iſt, die Religion ſelbſt aus dem Herzen ver⸗
liehren.
Die
FKFAvf^ 553 ^»
fie Selbſtgefalligkeit, womit bet Halbaufge⸗
klaͤrte und der falſche Aufklaͤrer auf ſeinen ſchwaͤchern
Bruder herabſieht, giebt ihm einen Stolz, wel—
cher ohne Schonung mit der Gemuͤthsruhe deſſelben
ein ſchnoͤdes Spiel treibt, und ſich kein Bedenken
macht, die Bande ſeiner Pflicht zu erweitern, von
deren Feſtigkeit das Weib ſeines Herzens Treue und
Zaͤrtlichkeit, ſeine Kinder Erhaltung, Vorſorge,
Aufſicht, Erziehung, fo mie alle bie Seinigen ife
ganjes zeitliches Wohl ermarteten.
Das finb bie gewoͤhnlichen Folgen der falſchen
Aufklaͤrung, moie uns bie Erfahrung alle Tage Bey⸗
ſpiele davon zeigen kann, und nur die Erwaͤgung die⸗
fec Folgen kann ben weiſen Wahrheitsfreund Din;
dern, die Stuͤtzen der Authoritaͤt dem gemeinen Chri⸗
ſten verdaͤchtig zu machen, auf welchen die practiſche
Religion deſſelben ruhet; nicht Gleichguͤltigkeit ge⸗
gen bie Wahtheit, nicht bie eigennuͤtzige Politik, bie
den gemeinen Chriſten zu einer ewigen Unmuͤndigkeit
verbammt, um ihn gegen fein Elend unempfindlich
zu machen, unb um ihn ín ber zwiefachen Knecht⸗
ſchaft, der politiſchen und der kirchlichen, zu erhalten;
kurz, dieſe vermeinte Aufklaͤrung wird ihm verſagt,
nicht weil ſie Aufklaͤrung, ſondern weil ſie eine falſche
unb ſchaͤdliche Auſtlaͤrung ift.
23 €;
f^^ 5I eem
Es giebt alfo fein Recht, ber Aufklaͤrung Graͤn⸗
zen zu ſetzen, als das Recht der Weisheit und der
Menſchenliebe, am wenigſten kann irgend jemand
dazu ein vollkommnes Recht haben, nicht der Staat,
nicht die Kirche.
5. Hat die Kirche ein vollkommnes Recht,
die Graͤnzen der Aufklaͤrung zu
beſtimmen?
Die Kirche koͤnnte dieſes Recht nur uͤber ihre
Glieder haben, und dieſe ſind entweder ihre gemeinen
Glieder oder ihre Lehrer. Wir wollen nur unterſu⸗
chen, ob ſie dieſes vollkommne Recht uͤber ihre Lehrer
hat; alsdann wird ſich die Frage in Anſehung der
gemeinen Glieder von ſelbſt beantworten. Um ſie
recht deutlich und beſtimmt zu faſſen, wollen wir ſie
ſogleich fo ausdrucken: at eine Kirche bas voll:
kommne Recht, zu beſtimmen, wie weit ihr Lehrer
durch ſeinen Vortrag den Gebrauch der Vernunft
unb bie Erkenntniß ber Wahrheit in ber Religion be⸗
fürbecn foll, ober fann (ie ihn burd) bie Entſetzung
von feinem €ebramt nótbigen, fid) in dieſer Abſicht
innerfalb gewiſſer Graͤnzen zu falten, — hat fie baé
volltommne Recht, ihn an beſtimmte Lehrvorſchrif⸗
ten zu binden?
Es
FM 55 ^"uc»
Es ſcheint auf ben erſten Anblick, als wenn
man der Kirche dieſes Recht nicht abſprechen koͤnne.
Sie macht mit ihrem Lehrer einen Vertrag; und
man ſollte meynen, daß beide Theile dieſen Vertrag
nach ihrem Gefallen einrichten koͤnnten, daß ſich alſo
keiner beklagen koͤnnte, wenn er zu denen Bedingun⸗
gen angehalten wird, zu denen er ſich anheiſchig ge⸗
macht fat. Allein das ſcheint nur. Denn id) darf
nicht allesſverſprechen; ſondern nur das, was id) mit
gutem Gewiſſen leiſten kann. Habe id) etwas vetr
ſprochen, das ben Geſetzen ber Religion unb ter Tu⸗
gend entgegen iſt; muͤßte ich, um es zu leiſten, den
Pflichten ber Wahrhaftigkeit, ber Menſchenliebe, bec
Gerechtigkeit, der Keuſchheit entgegen handeln: ſo kann
ein ſolches Verſprechen ſeiner Natur nach nicht kraͤftig
ſehn. (ben fo wenig kann aud) jemand ein ſolches Ver⸗
ſprechen annehmen, oder ein vollkommnes Recht darauf
gruͤnden, mich zu der Erfuͤllung deſſelben auzuhalten.
Es iſt alſo immer noch die Frage, ob eine Kirche
das Recht fat, ein Verſprechen von (einem. Lehrer
anzunehmen, wodurch er ſich auf immer zu einem
unveraͤnderlichen Religionsvortrage anheiſchig macht.
Wir muͤſſen nemlich vorausſetzen, daß ber Zweck ei
net Religionsgeſellſchaft nicht bloß bie Uebung beó àu:
ßern Gottesdienſtes iſt, ſondern daß fie aud) ihre in
nere Religion zur Abſicht hat, und von dieſer iſt
D4 die
max 56 5
bíe SServollfommnung ihrer Religionserkenntniß einer
der weſentlichſten Beſtandtheile. In den proteſtanti⸗
ſchen Kirchen iſt bekanntlich das Lehren eines der
wichtigſten Stuͤcke des oͤffentlichen und Privatgottes⸗
dienſtes. Dazu ſind bie Predigten, bet Catechismus⸗
unterricht, dazu ſind die Erbauungsbuͤcher beſtimmt.
Wie laͤßt es fid) aber. benfen, bag ber, welcher Un;
terricht veríangt, feinem Lehrer fd)on jum vorau die
Wahrheiten vorfd)reiben fónne, bie et iin vortragen
foll ? Wer fid) will in ber Vernunſtlehre ober. ín bec
Sittenlehre untercid)ten faffen, ber wird fid) mad)
bem geſchickteſten unb gewiſſenhafteſten Lehrer in Dies
fen Wiſſenſchaften umfefen, et wird ven ibm Die
groͤßte Sreue unb Sorgfalt, bie zweckmaͤßigſte Voll⸗
ſtaͤndigkeit, die volllommenſte Deutlichkeit und Gruͤnd⸗
lichkeit verlangen. Wie koͤnnte er ſich aber einfallen
laſſen, ſeinem Lehter ſchon zum voraus die Wahrhei⸗
ten vorzuſchteiben, bie ec erſt von ifm lernen mill?
SRan fónnte zwar denken, ba bie Kirche bier
eine Ausnahme machen bürfe; benn ber Zweck ibre$
geſellſchaftlichen Gottesdienſtes fep rbauung. Allein
kann dieſe bey jeder Religionshandlung und bey jedem
Theile derſelben ihr unmittelbarer Zweck ſeyn? und
kann e$ ihr gleichguͤltig ſeyn, ob Wahrheit unb Ver⸗
nunft ihre Erbauung leitet ober nicht? Koͤnnte das
einer proteſtantiſchen Kirche gleichguͤltig ſeyn: —
FMaMT^ 57 8449
ſehe id) nid)t , womit fie e$ rechtfertigen will, ba fie
ben ganzen Pomp, unb fo viele gebeimnifivolle Ge:
bráud)e ber cómifcben Kirche vermorfen Dat, benen
fein unparteyijd)er Beobachter ire große SBirfung
auf bie &innen unb bie dunkeln Geſuͤhle abfpred)en
wird. Sagt (ie, baf fie fie vermoorfen babe, weit (ie
feine vernünftige Erbauung befórberten, weil Die
Gefuͤhle, bie fie erregten, entweder gat. feíne Reli⸗
gion$empfinbungen waren, ober nid)t rid)tige unà
vernunftmaͤßige Grfenntnig Gotte$, fonbern Aber⸗
glauben au ihrer Quelle batten : fo geftebt fie zugleich,
baf fie richtige Belehrung in ber Religion für ein roe:
fentíid)e$ Stuͤck ihres Zwecks haͤlt.
Dann aber kann ſie ihren Lehrer nicht weiter als
im Allgemeinen verpflichten, die Wahrheiten der Re⸗
ligion nad) (einen beſten Einſichten von ben 95ebürf:
niffen unb Faͤhigkeiten ihrer meiften Glieder vorgu:
tragen. Geht fie weiter, unb ſchreibt ibm eine un:
veránberfid)e Glaubensform vor, fo erf(árt fie, daß
fie keine Belehrung verlangt, unb baf ifr bie meitere
f5erid)tigung unb Aufklaͤrung ifrer Religion gleich—
guͤltig iſt. Soll fie ibr das nidt ſeyn: fo fann fie
ihren Vebrer nur. ju ihrem allgemeinen. Zwecke vet;
pflichten, unb bann muf (ie e$ feiner Weisheit unb
Gewiſſenhaftigkeit überlaffen , ben Grab ber Reinig⸗
feit unb bie Art ber Beglaubigung feiner Belehrun⸗
25 gen
F^wvf^ 5g "rem
gen ber Faͤhigkeit und ben Beduͤrfniſſen ſeiner Zuhoͤ⸗
tet anzumeſſen.
Eine kirchliche Verfaſſung, die in Abſicht auf
ihre Lehren auf ſolchen Grundſaͤtzen gebauet iſt, kann
allein den Naturgeſetzen und dem allgemeinen vernuͤnf⸗
tigen Kirchenrecht gemaͤß ſeyn; mit ihr kann die
Kirche ihren eigenen Zweck, ſich durch die Verehrung
des hoͤchſten Weſens zu veredeln, am beſten erreichen,
unb zugleich bie Pflichten der Religion und Men—⸗
ſchenliebe erfuͤllen. Denn ſowol bie Pflichten bec
Religion als der Menſchenliebe, verbieten, irgend je⸗
mand von der Anbetung Gottes in ihren Verſamm⸗
lungen auszuſchließen, irgend jemand, der dieſes Be⸗
duͤrfniß ſuͤhlt, an bem Genuß ber mannigfaltigen
Seligkeiten eines geſellſchaftlichen Gottesdienſtes zu
hindern. So befoͤrdert und verbreitet ſie, ſo viel an
ihr it, bie Verherrlichung des hoͤchſten Weſens, fo
vergroͤßert fie ben. Choe, deſſen Stimmen (id) zum
Preiſe des Ewigen vereinigen.
So viel und groß ſind die Segnungen einer
kirchlichen Verfaſſung, bie auf ben Grundſatzen bet
Reuigion unb Per allgemeinen. Gerechtigkeit rubet ;
unb bod) finb fie có nod) nid)t alle. Da es wichtig
ift, feine ibrer wohlthaͤtigen Wirkungen gu überfcben ;
fo duͤrfen mir aud) folgende nid)t verſchweigen.
Zufoͤr⸗
59 "we
Zufoͤrderſt Dringt eine ſolche Verfaſſung die
groͤßte Harmonie unter ihre Glieder, die im bem qe:
genwaͤrtigen Zuſtande ber. menſchlichen Geſellſchaft
moͤglich iſt. Diejenigen, welche fid) zur Verehrung
Gottes vereinigen, koͤnnen in den Faͤhigkeiten und
der Ausbildung ihres Verſtandes ſehr verſchieden ſeyn;
dieſe Verſchiedenheit iſt deſto groͤßer uit? mannigfalti—
get, je groͤßer ihre Anzahl iſt. Die Wiſſenſchaſten
werden taͤglich außer der Kirche durch fortgeſetztes
Nachforſchen und Beobachten zu einem hoͤhern Grade
von Vollkommenheit gebracht, unb die Gebildtern nu:
tzen dieſe Vervolllommung; dieſe Erweiterung und
Berichtigung ihrer wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe muß
aber nothwendig auch auf ihre Religionserkenntniß
wirken, (ie reiner, wuͤrdiger, und gruͤndlicher ma:
chen. Sollte nun dieſer vollkommneten Siteligionés
erkenntniß durch unveraͤnderliche Glaubensvorſchriften
aller Zugang zu der Kirche verſchloſſen werden: ſo
muͤßte endlich der Abſtand zwiſchen der Religion der
gemeinen und gebildetern Glieder ſo groß werden, daß
er keine gemeinſchaftliche Erbauung mehr zuließe, die
Gebildetern wuͤrden fid) von bem Gottedienſte bec
Kirche ausſchließen, unb er wuͤrde endlich bloß ben
Unmuͤndigen, ben Schwachen unb ben Armen am
Geiſte überíaffen werben. Ich darf nicht Gemerfen,
wie nachtheilig dieſes der Religion ſelbſt ſeyn wuͤrde,
iie feit diejenigen, welche fid) durch das Anſehn
der
ff^ Óo wa
ber Gebildetern leiten laſſen, aegen alle Religion wuͤr⸗
ben. eingenommen merben, wenn fie glauben koͤnnten,
baf bie, welche fie fid) jum Muſter yu. nefmen pfle⸗
gen, baburd), baf fic fid) von bem oͤffentlichen Got:
teóbienfte entſernen, alle Stefigion aufgegeben Dátten.
Su bem aebilbetern Theile ber Geſellſchaft gehoͤrt
«ud, ber Lehrer; denn eben dadurch, baf et anbere
en Einſichten unb Senntniffen übertrift, wird er gu
fenem Lehramte gejd)icft, eben deswegen Dat man e$
ihm übertragen. — Als ein Mann won vorjüglidjen
Senntniffen unb. gebilbeterm Verſtande foll et aud) bie
Bereicherungen ber Wiſſenſchaften zu nu&en fudjen, bie
nicht unmíttelbat zur Stelígion geboren, bie aber jut
Erweiterung unb Berichtigung bet Steligionéerfennts
nip tónnen angeroenbet roerben. — SBenn nun eine ger
nauere unb vollftánbigere Sríti£, Geſchichtsforſchung,
Pſochologie, Naturlehre gewiſſe allgemeinauéges
machte Wahrheiten in die Erkenntnißmaſſe der Ge⸗
ſellſchaſt gebracht bat, bie mit ben Glaubensvorſchrif⸗
ten ber Kirche in. Widerſpruch fteben, wie mirb er
fid) ba gu verfaíten haben? Seine Glaubensvorſchrift
fagt 4. B. bag gewiſſe Erſcheinungen am Himmel
uͤbernatuͤtliche Vorbedeutungen goͤttlicher Strafge⸗
richte, gewiſſe Gefuͤhle in bet Seele Cinmirfungen
boͤſer Geiſter ſind, indeß eine gruͤndliche Naturlehre
und Pſychologie alles dieſes natuͤrlich erklaͤrt; oder,
um
TAM 6G vr»
uim eínen wirklichen Sall angufüfren,, ber Confenfus
helveticus mad bie góttlid)e ingebung ber hebraͤi⸗
ſchen Vocalzeichen in ber. Bibel zu einem Glaubens⸗
artikel ber reformirten Kirchen ín ber Schweiz; eme
gruͤndlichere hiſtoriche Kritik ſetzt ben Urſprung dieſer
Zeichen viele Jahrhunderte nad) bet Verſertigung ber
Buͤcher des alten Teſtaments: wie ſoll er ſich bei
dieſen Glaubensartikeln benehmen? Gehoͤren ſie zu
Unterſuchungen, die bloß den Gelehrten beſchaͤfftigen
koͤnnen, liegen ſie außer der Sphaͤre des gemeinen
Chriſten, ſind fie für bie practiſche Religion gleich⸗
guͤltig, warum bat fie bie Kirche in ihre Glaubens—
vorſchriften gebracht? Haben ſie eine practiſche Wich⸗
tigkeit, befoͤrdern ſie den Aberglauben, wie wird der
Lehrer der Religion ſie mit Stillſchweigen uͤbergehen
koͤnnen? Geſetzt aber, baf er e$ wollte, geſetzt, daß
et ben Aberglauben, ohne in zu befoͤrdern, zu ſcho—
nen ſuchte, wuͤrde man es ihm vergoͤnnen? wuͤrde
man nicht ſein Stillſchweigen als eine Verwerſung
bec ſymboliſchen Lehren auslegen?
Das Gewiſſen des Lehrers befindet fid) hier in
einer peinlichen Verlegenheit, der ihn die Kirche
uͤberheben kann, ſo bald ſie ſich auf ihren allgemeinen
Zweck einſchraͤnkt. Dieſer erfordert weiter nichts,
als daß ſich die Glieder derſelben mit ihrem Lehrer
vereinigen, ihren gemeinſchaftlichen Gottesdienſt auf
die
fuf 62 ^c
bie Crfenntnig eines einzigen unfidtbaren Gottes,
einer alfmirfenben Vorſehung unb allweiſen Regie—
tuna unb eines fünftigen Zuſtandes ber Vergeltung zu
gruͤnden, welche practiſche Hauptwahrheiten bet Re⸗
ligion auch ihre áufere Beglaubigung aus ber Bibel
erhalten.
Laͤßt ſich die Vereinigungsformel auf ſubtilere
P'efrbeftimmungen ein, ohne bie ber allgemeine Zweck
ber. Kirche kann erreíd)t merben, bie cbnebem ber
Faſſungskraft des gemeinen Chriſten unerreichbar,
oder wol gar ein Gegenſtand gelehrter Streitigkeiten
ſind: ſo thut ſie etwas vergebliches, unnuͤtzes und
ſchaͤdliches. Zu dieſem Schaͤdlichen gehoͤtt bann vor:
zuͤglich, daß ſie ihren Lehrer und gerade den wuͤrdig⸗
ſten am meiſten in das ſchmerzhafte Dilemma bringt,
entweder ſeinen Einſichten oder ſeiner Aufrichtigkeit
Schranken zu ſetzen.
Ich weiß zwar, daß man dieſe peinliche Lage
dadurch zu erleichtern vorgeſchlagen hat, daß man
dem Lehrer ſeine Privatreligion freyließe, und ihn
nur zu der Uebereinſtimmung ſeines Vortrages mit
der oͤffentlichen Religion der Kirche verpflichtete. Daß
man ihn, ſeine Privatreligion zu haben, nicht hindern
kann, ſo lange er ſie in ſeinem Buſen verbirgt, das
verſteht ſich wol von ſelbſt. Wie aber, wenn er ſie
bekannt
KXofa 63 ^ic»
bekannt macht, es fey burd) € driíten, ober ín fe
nem limgange mit Fremden ober. ben. Gliedern bet
Kirche, aber bod) aufer bem oͤffentlichen Gottes—
bienfte? Wie wird bahep ber Gilaube an feine Aufrich⸗
tigfeit, mie ber Glaube an bíe Innigkeit ſeiner eige⸗
nen llebergeugung beſtehen, ber, mie wir oben geſe⸗
ben baben, für ben gemeinften Gbrifen gerade bee
ftárffte, unb oft ber einzige Mebergeugungégrunb iſt?
Allein aud) ín bem Falle, daß ber Widerſpruch
zwiſchen ber Privatreligion beá Lehrers unb ben Gau
bensvorſchriften ber Kirche nicht dieſe ſchaͤdliche Wir⸗
kung haͤtte: fo darf man fragen, ob fie das Recht
habe, das Gewiſſen ihres Lehrers in eine ſo gefaͤhr⸗
liche age zu ſetzen ?. Sie fann es mur de facto thun.
Denn, kann irgend ein Menſch das innere Recht haben,
von dem andern ein Verſprechen zu verlangen, oder
auch nur anzunehmen, das er ohne Verletzung der ewi⸗
gen Geſetze der Heiligkeit, der Aufrichtigkeit und
ber. Wahrhaftigkeit nicht halten kann?
Alle dieſe Folgen von ber Verpflichtung des Leh—
rers zur Uebereinſtimmung mit der Religion der Kirche
in ſeinem Vortrage, auch wenn ihr ſeine Privatreli⸗
gion widerſpricht, ſind ſo bedenklich, daß ich lieber
glauben will, man verlange nur, der Lehrer ſolle ſeine
Religionserkenntniß der Kirche nad) oen Geſetzen ber
volt.
64 wi
volifommen(ten Lehrweisheit mittheilen, unb (id) in
feinem. Vortrage nad) den Faͤhigkeiten unb. SDebürf:
niffen feiner Zuhoͤrer richten. Dieſe Weisheit haben
wir ihm bereits ſelbſt oben (S. 52.) zur Pflicht ge⸗
macht; wie mill mon das aber durch Glaubensvor⸗
ſchriften beſſer tbun ?
Die Religion hat gewiß nichts dabey verlohren,
baf ber Geiſt ber Seiten fid) gewoͤhnt bat, ben 33or:
trag ber 9teligionéleDrer nad) feiner Gruͤndlichkeit unb
Brauchbarkeit zur SBerbefferung bee Verſtandes unb be$
Herzens, unb nicht blog nad) emer knechtiſchen Beob⸗
achtung ber fogenannten Rechtglaͤubigkeit bis in. Den
unverſtaͤndlichſten unb unnuͤtzeſten € pi&finbigfeiten
gu beurtheilen. Die Ruhe unb. Tugend der Cbriften
hat ſich nicht anders als wohl dabey befinden koͤnnen,
daß man es Maͤnnern, wie Jeruſalem, Spalding,
Dieterich, Teller, Zollikofer, bie ber proteſtanti—
ſchen Kirche durch ihre Verdienſte um die Religion
und die Wiſſenſchaften Ehre machen, uͤberlaſſen hat,
mit Weisheit unb Gewiſſenhaftigkeit an ber Verbeſſe⸗
rung beé Verſtandes unb be$ Herzens ihrer Zuhoͤrer zu
arbeiten. Warum ſollte man fuͤrchten, dieſe Verbeſſe—
rung ihnen, und denen, die in ihren Fußſtapfen wan⸗
deln, noch fernerhin anzuvertrauen? Gerade der wei—
ſeſte, erleuchtetſte Religionslehrer weiß ſich am beſten
zu den Faͤhigkeiten und den Beduͤrfniſſen ſeiner Zuhoͤrer
herab⸗
fere 65 em
herabzulaſſen, unb man fat gar nicht zu beſorgen,
daß er fid) mit ſeinem Vortrage über bie Faſſungs⸗
kraft derſelben erheben und ihrer Erbauung ſchaden
werde. Er weiß, daß die weiſeſten Geſetzgeber ihren
neuen Staaten nicht ſogleich bie vollfonunenften Ge:
ſetze geben fónnen, unb baf ber erleuchtetſte Reli—⸗
gionéleDrer feinen Zuhoͤrern nid)t auf einmal ben gan⸗
zen Schatz feiner. "Drivatreligion mittheilen kann.
Was er davon mittheilen bürfe, unb mic? das
fómmt auf bie Faͤhigkeiten uno Beduͤrfniſſe ber Kirche
an, bic febr veránber(id) fínb, unb von benen man
beffen muf, bafi fie taͤglich wachſen werden. Das
Maaß ber 3teligionserfenntnig alfo gum Voraus burdj
Vorſchriften ſeſtſetzen, heißt bie Lehrweisheit hes ef:
rers unnuͤtz machen, und das einſchraͤnkenden Vor⸗
ſchriften zutrauen, was mit Weisheit beſſer ohne
Vorſchriften, unb ohne Weisheit nie mit Vorſchrif—
ten ausgerichtet werden kann. Das Reſultat dieſer
Betrachtung iſt:
Seine Kirche kann das innere Recht haben, ifs
ren Lehrer, auch nur durch die Entſetzung von ſeinem
Amte, gu zwingen, bcr Befoͤrderung einer vollkomm⸗
nern Religionserlenntniß durch ſeinen Vortrag Graͤn⸗
zen ſetzen zu laſſen. Wenn ſie es thut, ſo thut ſie es
de facto; unb handelt um nichts weiſer, als eim
Sranfer, ber feinem Arzte vor(d)reibt, welche 2irg:
pbilof. Mag. 1, Gt. E neyen
Fur 66 4v
neyen er ihm verorbuen fo? Cie fat alfo kein volle
fommnes Recht, bie Graͤnzen ber Auftlaͤrung, ſelbſt
nicht in ihrem eigenen Schooße, zu beſtimmen.
6. Hat der Staat das vollkommne Recht, die
Graͤnzen der Aufklaͤrung in der Kirche
zu beſtimmen?
Wir wollen zuerſt den ſchwerern Theil dieſer
Frage unterſuchen. Kann der Staat dieſes Recht,
bec Aufklaͤrung i ber Religlon ihre Graͤnzen zu bes
ſtimmen, im Namen ber Kirche ausüben? Dieſe
Frage beantwortet ſich von ſelbſt; denn wenn es die
Kirche nicht hat, wie ſoll es dann der Staat in
ihrem Namen ausuͤben koͤnnen? Kann ein Vormund
im Namen ſeines Muͤndels ein Recht ausuͤben, wel⸗
ches dieſer Muͤndel ſelbſt nicht beſitzt? Wenn alſo der
Staat ein ſolches Recht haben ſollte: ſo wuͤrde er es
immer nicht als Stellvertreter der Kirche haben. Als
ſolcher hat er alſo uͤber die Religion der Kirche keine
geſetzgebende Macht, kann ihre Lehrer durch keine
Vorſchrift an irgend cine beſtimmte Lehrſform binden,
mod) weniger ſie, um eine Abweichung von einer
ſolchen Lehrform, ihres Amtes entſetzen. Wenn er
dieſe Macht haben ſollte: ſo muͤßte ſie ihm, als Staat,
urſpruͤnglich zukommen. Koͤmmt (ie ihm zu?
Wollten
FAV 62. ^34»
Wollten toit ben Zweck der buͤrgerlichen Geſell—
ſchaft, wie Pufendorf, bloß auf bie aͤußere Sicher⸗
heit, ober, mie Locke, auf bie Beſchuͤtzung ber Steyr
heit unb be8 Eigenthumes einfdjránfen: — fo wuͤrde
man cin Recht be$ Staats über bíe Religion feinet
Unterthanen nur. mít vieler Muͤhe erkuͤnſteln koͤnnen;
es wuͤrde nicht weiter, als auf die Erhaltung der
Ruhe in der Kirche und durch die Kirche, gehen. Und
da wollen wir es dem Regenten nicht verargen, wir
wollen es ihm vielmehr Dank wiſſen, wenn er in An⸗
ſehung ber Kirche ſeine aufſehende Macht mit ber
groͤßten Sorgfalt und Strenge gebraucht. Die Ge—
ſchichte lehrt, wie viele Unruhen in den chriſtlichen
Staaten durch die Herrſchſucht der Geiſtlichen und
bie bloͤdſinnige Schwaͤtmerey der Laien erregt wor⸗
den ſind. Wie viele Scheiterhaufen haben fuͤr Ketzer
gebrannt, wie viel Blut iſt um Meinungen vergoſſen,
wie viel Kriege gefuͤhrt, wie viel. Empoͤrungen et;
regt! Wie viel vortreffliche Koͤnige haben unter dem
Dolche ſchwaͤrmeriſcher Unterthanen, wie viel unſchul⸗
dige Unterthanen unter dem Schwerdte ſchwaͤtmeri⸗
ſcher Koͤnige geblutet — Heinrich ber Vierte unb
die Bartholomaͤusnacht! — Dieſer Graͤuel hat
ſich die Kirche ſchuldig gemacht. Alſo ihre Hand zu
ſeſſeln, daß fie fid) aud) nicht bie kleinſte Ungerechtig⸗
keit, nicht die geringſte Beeintraͤchtigung der Unter⸗
thanen unter dem Vorwande der Rechtglaͤubigkeit
€ 2 erlau⸗
f-uvfr- 68 ^"
erlaube, das i(t bie heilige Pflicht, das iſt bas un;
veraͤußerliche Recht des Regenten, das Recht, durch
deſſen madame unb weiſe Verwaltung er ſich bet
Dankbarkeit unb ber Verehrung bey ber Welt und
der Unſterblichkeit bey der Nachwelt verſichert.
Verfolgungsgeiſt! Verketzerung! das ſind die
Ungeheuer, welche oie obrigkeitliche Gewalt gu. bán:
digen hat. Sie ſchlafen in dem erleuchteten Theile
ber Welt, unb das haben mir ber Aufklaͤrung zu
danken; wehe uns! menn wir ſie wieder wecken, ius
dem wir die Verbreitung des Lichtes der Erkenntniß
hemmen, und den Meinungen eine rechtliche Wich⸗
tigkeit geben. Gewaltſame Revolutionen (inb das
Werk ber finſtern Seiten, worin bie blinden, thieri—
ſchen Kraͤfte des Menſchen wirken; bie Zeit ber Auf—
klaͤrung unb bcr Philoſophie ſud bie Seiten ber Nuhe.
Wenn alfo ber Sroef der buͤrgerlichen Geſell⸗
ſchaft bloß Schutz der Rechte und Erhaltung der Si⸗
cherheit iſt: ſo kann ſich das Recht des Staats nicht
uͤber bie Befoͤrderung ber Religion erſtrecken; nicht
uͤber ihre Lehren, die koͤnnen keiner geſetzgebenden
Macht unterworfen ſeyn, nicht über ihre Handlun—⸗
gen, denn die intereſſiren ihn nur durch ihren Ein—
fluß auf die oͤffentliche Ruhe.
Doch
f^vrA 69 ö
Doch wir bürfen ifm aud) das Recht, bie Re—
ligion zu befoͤrdern, nicht abſprechen; denn wir duͤr—
fen ben Zweck der buͤrgerlichen Geſellſchaft nicht bloß
auf den Schutz eínídránfen. 2er Staat muß das
Recht haben, auch fuͤr die Geiſtesangelegenheiten der
Unterthanen zu ſorgen; allein nicht anders, als durch
die rechtmaͤßigen und ſchicklichen Mittel; und zu die—
ſen gehoͤren nicht die Glaubensvorſchriften, nicht die
Verhinderung der Irrthuͤmer durch Strafgeſetze.
Alle Unveraͤnderlichkelt der beſondern Religionslehren
erſtickt den Keim zu ihrer Verbeſſerung; ſie kann
alſo weder dem Lehrer noch dem gemeinen Gliede der
Kirche zugemuthet werden; es iſt kein Mittel zur
Vervollkommnung der Religion, der Staat kann alſo
aus feiner Pflicht zur S5efórberung des geiſtigen
Wohls der Unterthanen kein Recht dazu herleiten.
Er hat foglich kein Recht, den Lehrer der Kirche
burch Glaubensvorſchriften zu binden, weder als
Stellvertreter der Kirche, noch als Staat.
Dis Recht wollen die Verſechter willkuͤhrlicher
Grundſaͤtze im Staatsrechte unb. des Glaubens;zwan—
ges im Kirchenrechte nod) auf fofgenbe Art durchſe⸗
tzen. Sie ſagen: der Staat kann bem Richter Ge;
ſetze vorſchreiben, nach denen er in Streitſachen
Recht ſprechen muß; warum ſollte er nicht auch das
Recht haben, ben Religionelehrer an Glaubensvor⸗
€ 3 ſchrif⸗
70
ſchriſten binden koͤnnen? — Warum nicht? — weil
dis zwey ſo himmelweit verſchiedene Dinge ſind, daß
ſchlechterdings nicht der Schluß von dem Einen auf
das Andere gilt. Buͤrgerliche Geſetze und Glau—
benslehren! Eigenthum unb Gewiſſenspflicht! Mei⸗
nem Eigenthum, ſelbſt meinem Leben, kann id) entſa⸗
gen, ich kann es aufopfern: Kann ich aber meiner
Gewiſſenspflicht entſagen?
Doch wir muͤſſen dieſer Parallele tiefer auf den
Grund forſchen. In der Kindheit der meiſten buͤr⸗
gerlichen Geſellſchaften wurde einem jeden das Recht
durch feine Pairs nad) ber Mehrheit ber Stimmen
geſprochen, und zwar nach Geſetzen, in die der ganze
politiſche Koͤrper gleichfalls nad) ber Mehrheit bet
Stimmen gewilligt hatte. Hier war ein Vertrag, das
für recht zu erkennen, was bte Mehrheit beſtimmen
wuͤrde, fid) oem Urtheilsſpruche zu unterwerfen, der
nach eben dieſer Mehrheit abgefaßt wuͤrde.
Das Recht, buͤrgerliche Geſetze zu geben, wurde
in der Folge, ſo wie die richterliche Gewalt, dem
Regenten uͤbertragen. Dieſer uͤbertrug es von neuem
rechtsgelehrten Maͤnnern, die es in ſeinem Namen
verwalten. Nun vergleithe man:
1. Auf der einen Seite buͤrgerliches Recht uͤber
Mein und Dein; auf der andern, Wahrheit.
Ueber
FUMER TI «wa
Ueber das erftere Kann man Vertraͤge ſchließen,
kann man es auch uͤber die letztere? kann man
fid) durch einen. Vertrag anheiſchig machen ets
was fuͤr wahr zu halten, oder der Verbindlich⸗
keit, nuͤtzliche Wahrheiten mitzutheilen, entſagen,
und die Verbindlichkeit uͤbernehmen, Lehren,
bie man für irrig haͤlt, als Wahrheiten vorzu⸗
tragen? — Ferner: Der poſitive Theil des
Rechts kann durch bie Mehrheit bec Stiumen
feſtgeſetzt werden, kann das auch die Wahr⸗
heit? Kann irgend eine Lehre durch die Mehr—
heit der Stimmen ausgemacht, kann irgend
eine natuͤrliche Verbindlichkeit durch die Mehr⸗
heit ber Stimmen verünbett. merben? ? Kann
durch irgend eine poſitive Vorſchrift, die durch
bie groͤßte Mehrheit, ja durch bic vollſtandigſte
Einſtimmigkeit beliebt waͤre, irgend eine natuͤr⸗
lide Verbindlichkeit, bie Verbindlichkeit zur
Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, sut Ausbrei⸗
tung einer wohlthaͤtigen Religion aufgehoben
werden? Was heißt: man foll ott mehr ges
horchen, als den Menſchen, wenn es nicht
heißt: man ſoll ſich durch keine menſchliche
Befehle verpflichten laſſen, etwas gegen das
ewige, goͤttliche, unveraͤnderliche Naturrecht zu
thun?
€ 4 2. Auf
FARA 0) ^wuüsm
3, Muf bet einen Cite Verwaltung des Rechts
im Namen des Regenten; auf oec anbern Cite
Mittheilung ber Wahrheit in feinem eigenen
Samen, Der Buͤrger verfíangt, bap ibm bet
Richter Recht fpredoe, nad) ben Geſetzen, welche
der Regent fuͤr die heilſamſten haͤlt; der Chriſt
verlangt, daß ifm fein Lehrer bic Religion vor⸗
trage, von weicher ber Lehrer ſelbſt uͤberzeugt
iſt. Und doch wuͤrde der Richter verbunden
ſeyn, auf die Abſchaffung ſolcher poſitiven Geſetze
anzutragen, die dem Naturrecht entgegen ſind,
und gewiſſenhafte Gerichtshoͤfe erleuchten auch
die geſetzgebende Macht durch ihre Vorſtellun⸗
gen gegen ſolche ſchaͤdliche Geſetze; ſie machen
ſich dadurch der Verehrung aller tugendhaften
Buͤrger wuͤrdig, unb eine weiſe Regierung ver⸗
ſagt ihnen ihre Aufmerkſamkeit und Achtung
nicht.
Die Pflichten unb Rechte des Staats in fur
ſehung der Aufklaͤrung innerhalb der Kirche laſſen
fid) nun (o gufammenfaffen
Der Staat fann. nidjt bie wahre Aufklaͤrung
hindern, er iſt vielmehr verpflichtet ſie zu befoͤrdern;
et hat das Recht unb ift verpflichtet, bie falſche Auf⸗—
tlaͤrung js hindern, aber durch angemeßne Mittel,
und
73 ^")
unb 6a8 ſind nicht Lehrvorſchriften und Einſchraͤnkun⸗
gen der Freyheit zu lehren; es ſind Einrichtung der
beſten Anſtalten, worin kuͤnftige Lehrer gebi.bet wer—⸗
ber, verbunden mit bcr ſorgfaͤltigſten Pruͤfung ihrer
Gahen, Kenntniſſe, unb inſonderheit ihrer Gewiſſen—
haſtigkeit unb Lehrweisheit. Sich auf dieſe Mittel
einzuſchraͤnken, ift deſto noͤthiger, ba man leicht, in;
bem man oec falfcben Aufklaͤrung guvorfommen milf,
bie wahre hindern fónnte.
7. Hat ber Ctaat bie Pflicht unb das Recht,
bie 2lufffárung außerhalb ter Kirche
zu hindern?
Um dieſe Frage zu beantworten, muͤſſen wir
zwey Grundſätze voranſchicken, bie von ber hoͤchſten
Evidenz ſind:
1. Der Staat muß die buͤrgerliche Freyheit nicht
mehr einſchraͤnken, als es der Zweck der Geſell⸗
ſchaft noͤthig macht; mehr iſt in dem Vereini—
gungsvertrage derſelben nicht enthalten.
2. Er muß alſo ſeine Herrſchaft nicht uͤber ſolche
Gattungen von Handlungen erſtrecken, die je
der Buͤrger beſſer verrichtet, wenn er darin
ohne alle einſchraͤnkende unb verordnende
C s Vor⸗
Fu vq «vm
Vorſchriften feinen. eigenen. Einſichten uͤberlaſſen
wird. Sein Eigennutz wird ibn in feinen Geld⸗
geſchaͤfften hellſehender, ſeine vaͤterliche Liebe in
der Erziehung ſeiner Kinder ſorgfaͤltiger machen,
feine eigene Vernunft in bet. Grforíd)ung ber
Wahrheit fid)erer (eitem, als alle nod) fo gut
Deobadjtete Zwangsgeſetze fid) je verſprechen tón:
nen. Wohlgeordneter Eigennutz, Liebe unb
Vernunft werden durch be von ihnen abhan⸗
gende Handlungen von ſelbſt fuͤr den Zweck des
Staats arbeiten; alle Geſetze, wodurch er dieſe
Principien erſetzen will, werden ihre Federkraft
ſchwaͤchen, ihr Spiel verwirren und die politi⸗
ſchen Kraͤfte in Stockung bringen.
Was wird aus biefen Grundſaͤtzen folgen ?
Wenn der Staat die Pflicht und das Recht
haben ſollte, die Aufklaͤrung zu hindern, oder ihr
Geſetze vorzuſchreiben: ſo muͤßte die Schaͤdlichkeit
derſelben fuͤr die menſchliche Geſellſchaft augenſchein⸗
lich ſeyn. Kann man das von der wahren Aufklaͤ⸗
tung behaupten? Kann man beſorgen, daß bie Cty
weiterung der menſchlichen Erkenntniß durch den be⸗
ſten Gebrauch der Erfahrung und der Vernunft je
koͤnne ſchaͤdlich werden? Wie ſollte ſie das?
Sie
75
Sie kann der Ruhe des Staats gefaͤhrlich wer⸗
ben, (agen die Feinde ber Aufklaͤrung; fie fann ife
fidt auf bie Rechte ber Buͤrger, auf bie Pflichten
bet Regierung au6reiten, unb 2ínmaafungen veran⸗
laffen, bíe bem Anſehen ber. Geſetzgebung zu nahe
treten,
Eine wohlbefeſtigte, erleuchtete unb großmuͤ⸗
thige Regierung iſt uͤber dieſe kleinmuͤthigen Beſorg⸗
niſſe erhaben. Weit entfernt eine aufgeklaͤrte Beur⸗
theilung ihrer Verwaltung zu fuͤrchten, geht ſie ſelbſt,
nad) bem Beyſpiel eines großen Mannes, des x5,
Grafen von »X»erberg, dem oͤffentlichen Urtheil
entgegen, ſicher, den Beyfall, bie Liebe, die Dank⸗
barkeit und die Bewunderung ihrer Buͤrger, wie der
Fremden, zu erhalten; und zwar um deſto mehr, je
mehr ihre Beurtheiler unterrichtet und aufgeklaͤrt ſind.
Man beſorgt, der aufgeklaͤrte Buͤrger werde die
Sphaͤre ſeiner Freyheit erweitern wollen, aber man
beſorgt es ohne Grund. Wenn die Frage von buͤr⸗
gerlicher und politiſcher Freyheit iſt: ſo wird dieſe
Beſorgniß durch die Erfahrung uͤherall widerlegt.
Wo irgend ein Staat durch gewaltſame Convulſionen
erſchuͤttert wurde, ſo erregte ſie nie ein friedfertiger
Freund ber wahren Aufklaͤrung, ber an ber Vervoll⸗
kommnung ſeiner Vernunft im Stillen arbeitete; es
waren
fv 26 bem
paren immer die heimlichen Machinationen des un:
ruhigen Ehrgeizes, oder die oͤffentliche Wuth eines
ſtupiden, aberalaubifd)en, fanatiſchen unb verfuͤhrten
Poͤbele, die ſich durch Thaͤtlichkeiten der buͤrgerlichen
Authoritaͤt widerſetzten. Der aufgeklaͤrte Mann weiß,
daß ſeine buͤrgerliche Freyheit beſchraͤnkt iſt, und
wenn er ſie ohne Noth beſchraͤnkt glaubt, ſo thut er
ber Regierung Vorſtellungen, unb traut es ihrer
Weisheit und Guͤte zu, ſie ſo weit in Betrachtung zu
ziehen, als e$ bas oͤſſentliche Wohl zulaͤßt, womit
die Regierung bekanmer iſt, als der einzelne Buͤrger.
Was die politiſche Freyheit betrifft, ſo weiß der auf⸗
gektarte Mann, daß fie durch bie Staatsverfaſſung
beſtimmt wird; er weiß, daß die oͤffentliche Gluͤck⸗
ſeligkeit unter. jeder mit Weisheit verwalteten Regie—
tuugsform gedeihen kann. Was endlich bie moras
liſche Freyheit betrifft, ſo muß ſie nothwendig durch
wahre Aufklaͤrung wachſen; allein deſto beſſer fuͤr die
Ruhe und Gluͤckſeligkeit des Staats. Der ſtupide
unb unwiſſende Menſch ift natuͤrlich von bem unter:
ricbtetern abhaͤngig. Syn ben Seen ber allgemeinerm
Finſterniß ift der Einfaͤltige tn. ben Haͤnden beo Ver—
ſchlagnern; in dieſen ungluͤcklichen Zeiten unſerer Ge⸗
ſchichte rar bie Laienſchaft in ben Haͤnden bet Geiſt⸗
lichkeit, weil (ie nótfig batte, burd) ihre Einſichten
geleitet zu werden. Die Herrſchſucht unb ber. Ehr⸗
geiz der Geiſtlichkeit mißbrauchte ire geringe Ueber⸗
legen⸗
faf 79 rm
(eaenfeit an Senntnifien, um ben Stationen Seffefr su
ſchmieden. Wer hat fie zerbrochen, bieje Feſſeln?
Soll bie Freyheit nicht ned) Einmal dieſe Feſ—
ſeln tragen: ſo muß ſie eben die Wohlthaͤterinn davor
ſchuͤtzen, die fie davon erloͤſt hat. Die Aufklaͤrung
muß die Freyheit ſchuͤtzen. Schon von dieſer Seite
detrachtet, muß fie bem Staate ein Kleinod ſeyn, deſſen
Werth unſchaͤtzbar iſt. Nur ihr kann jede Regierung
ihre Ruhe, ihre Freyheit, ihre Unabhangigkeit ver:
dankent. Daruͤber ſollte (ie endlich die Geſchichte aller
Seiten belehrt haben. Wo nur der geiſtliche Deſpo⸗
tizmus dem weltlichen den Vertrag angeboten, und
wo die falſche Politik einen ſolchen Vertrag eingegan⸗
gen iſt: Leihe mir deinen Arm und ich will dir die
Voͤlker unterjochen helfen; da iſt die Regierung am
Ende ſelbſt mit unterjocht worden.
Ich ſehe alſo nicht, was eine weiſe und gerechte
Regierung zur Rechtfertigung ihrer Maaßregeln, die
Aufklaͤrung zu beſchraͤnken, anfübren fónne, e$ ſey
von Seiten des Rechts oder der Staatsklugheit.
4. Cu
F^ 78 uc»
249 OO $0 —— ——
4.
Einige Charakterzuͤge der Mexicaniſchen
Indianer.
Aus des
Herrn Thiery be Stenonville Traité de la
culture du nopal & de l'éducation de la
cochenille dans les colonies francoifes de
l'Amérique, précédé d'un voyage à Guaxaca.
Au Cap Francois, à Paris & à Bourdeaux
1787. In 8vo. premiere partie.
S. Abſchen, womit jeber gefuͤhlvolle Menſch bie
unmenſchlichen Behandlungen lieſet, welche die Einge⸗
bohrnen von Mexico von den Spaniern erlitten, und
die Unterdruͤckungen, worunter ſie noch bis dieſe
Stunde ſeufzen, muß dadurch noch verſtaͤrkt werden,
daß dieſe Ungluͤcklichen, an denen noch immer gegen die
geheiligtſten Rechte der Menſchen gefrevelt wird, keines⸗
weges eine veraͤchtliche Menſchengattung ſind, ſondern
daß fie, vermoͤge ihrer phyſiſchen unb moraliſchen An⸗
lagen einer Ausbildung faͤhig waͤren, bie ber Ausbil⸗
dung
Feivf^ 79 ^w»
dung keiner Curopáifdjen Station. etwas nadygeben
wuͤrde. Schon bet 2(6t Raynal fat fie ín feinem be;
fannten Werke auf eine Art aefdjilbert, bie einen je:
ben Menſchen von Gefuͤhl für fie mít Liebe, Achtung
unb Mitleiden einne)men tuf. Hier ſind einige
2üge von einem Augenzeugen, bie dieſe Schilderung
beſtaͤtigen.
1. Koͤrperliche Bildung. *)
Ich entſchloß mich, in eine Indianiſche Huͤtte,
die an meinem Wege lag, hineinzugehen. Ich ward
wohl aufgenommen, und man gab mir Brod und
Eyer, welches ohngefehr alles iſt, was man von die⸗
ſer ungluͤcklichen Menſchenclaſſe erwarten kann. Was
mich aber mehr ruͤhrte und entzuͤckte, das war die
vollkommne Schoͤnheit ber. Indianerinn, welche die
Frau von der Huͤtte war. Syd) ſuchte vergebens Feh—⸗
ler an ihr; ob ſie gleich halbnackend war, indem ſie
blog einen Nock von falbalatirtem Neſſeltuch, mit ror
ſenfarbenen Schnuͤren beſelzt, und ein Hemde, das
ihre Schultern entbloͤßt ließ, anhatte, ſo ſchien mir
tod) ihr Wuchs an Regelmaͤßigkeit ben Zuͤgen ihres
Geſichts gleich. Ich ſagte ihr, daß ſie ſchoͤn ſey,
das ſchien ihr Vergnuͤgen zu machen, und zwey alte
Frauen, die eine ihre Mutter, die andere ihre Baſe,
lach⸗
S. 69.
feM»T^ $0 ^"
lachten een ganzem Herzen daruͤber. Ich tat ihr
verſchiedene Fragen unb id) erfuhr, daß fie verheira—
thet ſey und Kinder habe. Dieſe Umſtaͤnde intereſſir—
ten mich nur noch mehr fuͤr ſie, und ihre Schoͤnheiten
hatten bereits meine Sinne verwirrt. Ich wagte es,
Gold vor ihren Augen glaͤnzen zu laſſen; allein ich
kam bald wieder zu mir ſelbſt. Ungluͤcklicher, ſagte
ich zu mir, was haſt du vor? Iſt das das Ziel deiner
Arbeiten? In einem fremden Lande, ohne Freunde,
ohne Stuͤtze, mit tauſend immer wiederkehrenden
Gefahren umgeben, wenn Óu ben Reizungen der
Wolluſt untetliegeſt! Unſinniger! Nach dieſen Ueberle—
gungen ging ich ſort, ohne ein Wort zu ſagen, ohne
mid) umzuſehen, unb id) ſchleppte mich ſeuſzend auf
der Heerſtraße fort. Nachdem ich eine halbe Meile
zuruͤckgelegt hatte, befand ich mich weit beſſer, ich
fanb tauſend verſchiedene Ideen, bie mich troͤſteten
unb erfreuten; fur » id) erfuhr, was £a Bruͤyere
fagt, bug nichts fo febr bas Blut erfriſcht, aí$ bet
Gefahr entgaugen zu ſeyn, fic) eine Thorheit oder ein
Vergehen vorwerfen zu muͤſſen.
2. Haͤusliche Xugenb. *)
Die Muͤdigkeit, bie Furcht mid) au verírren,
unb bie nid)t weniger lebhafte Beſorgniß, naf au moet;
ben, beftimmten mid), ob «8 gleid) nod) heller Sag
war,
N 6.7.
fAVf^ SI wc
tat, in eine von ben Indianiſchen Huͤtten, bie idj
am Wege faf, hineinzugehen. € ie mar wie bie
Koͤhlerhuͤtten in unſern Forſten gemacht, unb. man
konnte in derſelben nicht aufrecht ſtehen. Syd) fanb darin
eine Indianerinn, und ein kleines Maͤdchen, die aus
allen ihren Kraͤften Tordillas *) machten. Sie empfin⸗
gen mich ohne Umſtaͤnde, aber doch mit Ehrerbietung.
Sie verſtanden nicht ein Wort Caſtilianiſch, und ich
nicht ein Wort Mexicaniſch, dergeſtalt, daß wir uns
durch Zeichen unterreden mußten. — — — Als die
Nacht angebrochen war, kam der Hausvater mit fuͤnf
Kindern, wovon bas aͤlteſte ſunfzehn Jahr alt war;
drey andere, wovon das eine noch an der Bruſt lag,
waren in der Huͤtte geblieben; Totalſumme, acht Kin⸗
der. Der Vater, die Mutter, und ich, wir ſaßen
alle um einen kleinen Heerd von Holzſtuͤcken, in einer
Strohhuͤtte von funfzehn Fuß ins Gevierte. Dieſer
arme Indianer, erſchoͤpft von Arbeit, halbtodt vor
Hunger, fatte eine ſanfte Mine, unb die Phyſioqno⸗
mie eines guten Mannes. Cc machte mit cínige Ehr⸗
furchtsbezeugungen, abet heißhunqrig von Liebe bedeckte
er ſeine Kinder mit Kuͤſſen, und ſeine Blicke voll Zaͤrt⸗
lichkeit fuͤr ſeine Frau wendeten ſich nur gegen mich
aus bloßer Achtung. Er wußte einige Worte ſpaniſch,
allein
*) Die Tordillas ſind kleine Kuchen von Maygs, welche
bie vornehmſte Nahrung ber. Indianer ausmachen.
Philoſ. Mag. 1, Gr.
mMMM $82 4"
allein toit fpradjen nur toenig. Ein tiefes Stillſchwei⸗
gen herrſchte waͤhrend ber Mahlzeit. Es war das
Stillſchweigen des Vergnuͤgens, welches bisweilen die
Accente einer kurzen und ſanften Sprache, und dem
ruͤhrenden Geſchrey unſerer Dohmpfaffen aͤhnliche
Toͤne unterbrachen. So erwarteten die Freude, die
Zaͤrtlichkeit und die Ruhe bcn. guten Indianer, um ihn
wegen der Muͤhſeligkeiten des Tages zu entſchaͤdigen.
Er verdiente taͤglich nicht mehr als zwey Realen, ich
gab ihm noch zwey dazu, aber er ſchien mir gegen den
Gewinn fefe wenig empfindlich.
Ich ging zu Bette, das Herz bewegt uͤber dieſe
Scene, die ich mit der Scene meines Mittagseſſens
verglich, und ich ſagte: das ſind alſo die Herzen, die
man mit tanſend Dolchen durchbohrt, wenn man ihre
Weiber verfuͤhrt, den einzigen Troſt ihres Kummers
und ihrer Muͤhſeligkeiten! Solche Seelen lehret man
das Verbrechen, ben Schmerz und die Verzweiſlung,
wenn man ſie verdirbt.
3. Oeffentliche Tugenden.
Als bie Gerechtigkeit unb ber Friede, mübe ut
tet ben. Sterblichen zu (eben, von benen fie jeben Sag
neue Sránfungen erfufren , biefe undankbaren Gäſte
verlaſſen haben, fat man geglaubt, daß [ie ju bem
Jim:
weuvf^ 83 wa
Himmel zuruͤckgekehrt ſeyn, von bem fie ju uns fet,
abgeſtiegen waren. tan fat fij geirrt; nadjbem fie
bie verkfiebenen Gegenben ber. Crbe durchlaufen, im;
mer herumirrend, ünmer Óeunrufiget, fo haben fie
fid) in einen Winkel von bem noͤrdlichen America gu;
tügegogen, nad) 2D. SOumínguillo; biefe$ arme kleine
Doͤrfſchen, fo reizend durch feine Sage, durch ben 25;
Dang eineé Huͤgels am Sufammenflug bes Rio Granbe
unb des Las Bueltas, (dienen ihnen mürbíg, mit ihrer
Gegenwart beehrt gu werden. Da habe id) bie fanfz
ten Einfluͤſſe dieſer liebenswuͤrdigen Gottheiten em⸗
pfunden.
Es war bep folgender Gelegenheit. Waͤhrend
meines Abendeſſens fatte (d) einen Topith (ein Pfer⸗
devermiether) kommen laſſen, mit welchem ich Pferde
beſprochen hatte, die mich nach Quicattlan bringen
ſollten. Der Gauner hatte die Geſchicklichkeit, mich
um drey Piaſter zu betruͤgen, ohne daß ich es merkte.
Seine lebhafte und treuherzige Mine, und vielleicht
die Sorgen, wovon ich den Kopf voll hatte, vereinig⸗
ten fi, um mich ju uͤberraſchen. Der Caſero (Gaſt⸗
wirth) war es gewahr geworden unb fatte mich auf
merkſam darauf gemacht, allein der Topith war mit
meinem Gelde ſchon fort. Ich aͤrgerte mich, daß ich
mich hatte anfuͤhren laſſen, unb id) machte bem Caſero
Vorwuͤrſe, daß er mit nicht eher etwas davon geſagt
2 patte ;
Fr o gq 24
fatte. Allein id) dachte nidjt mefr an mein Gefb, unb
inbem (d) nad) ber fDroceffion ,. ber id) zugeſehen
fatte, auf bem oͤffentlichen Platze ſpatziren gebe, fefe
éd) zwey Indianer auf. mich jufommen, wovon eín
jeder einen fedj$ Fuß hohen €tab bielt, auf beffen
aͤußerſten Cnbe ihre ausgeſtreckten Arme bie Hand
ſtuͤtzten. Ich gab wenig barauf Acht, bis id) drey⸗
mal auf Mexicaniſch ſchreyen und dreymal pfeifen hoͤrte.
In dem naͤmlichen Augenblick koͤmmt mein Topith
ganz außer Athem und macht den Maͤnnern mit den
Staͤben, Unterſcheidungszeichen ihrer Gerichtsbarkeit,
viele große Verbeugungen. Es war wirklich der Al⸗
kalde und ſein Beyſitzer. Da ich ſie auf mich zukom⸗
men ſah, ſo erſparte ich ihnen die Haͤlfte des Weges.
Sie vernahmen meinen Topith mit vieler Gravitaͤt
in meiner Gegenwart, uͤber die Anzahl der Pferde,
die ich verlangt, und uͤber den Preis, den er dafuͤr ge⸗
fodert haͤtte. Gt geſtand alles bis auf zwey Realen.
Sie fragten mid) darauf, wie viel id) auegegeben
haͤtte; ich gab es ihnen genau an. Hierauf wandten
ſie ſich wieder gegen den Topith, und wollten von ihm
wiſſen, ob er mir den Tarif gezeigt habe. Er bekann⸗
te, daß er mir nichts davon geſagt; darauf verwies
ihm der Alalde ſtreng, obgleich kalt: erſtlich, daß er
mehr von mir gefodert, als die Verordnung erlaubt;
zweytens, daß er zwey Realen weniger angegeben
habe, als er wirklich empfangen. Indem ſie ſprachen,
unter⸗
FER 85 ey
unterſchied id) mit Huͤlfe des Mondſcheins bie Zuͤge
dieſer einfaͤltigen Beamten; id) bemerkte darin me:
der Zorn noch Unwillen, nicht die geringſte Spur von
Gemuͤthsbewegung veraͤnderte ihr Geſicht; ohne Lei⸗
denſchaft, wie das Geſetz, urtheilten und entſchieden
fie mie dieſes, unb nie haben roof Senatoren, Raths⸗
berren, Praͤſidenten ín. langen. Sleibern, in Pelzen,
in rothen ober ſchwarzen Amtsroͤcken, ín viereckigten
oder runden Huͤten, ein ſo erlauchtes und ehrwuͤrdi⸗
ges Anſehen haben koͤnnen, als dieſe armen ganz zer⸗
lumpten Indianer.
Nachdem ſie den Beklagten durch ſein eigenes
Geftánbnifi uͤberwieſen hatten, ließen fic fid) von ifm
bie gange Cumme, bie er erhalten fatte, wieder fer:
euégeben. Hernach ajngen fie ín mein 3íimmer, wo
id) Licht fatte , unb wollten auéted)nen, voas ifm ba:
von von Rechtewegen zukaͤme. Da fie abet wenig
mit bem Gelbe umzugehen wußten, fo fonnten fie bamit
nicht fertig werden; id) faf) mid) alfo genótfigt mid)
darein zu mífd)en, unb nachdem íd) inen klaͤrlich bat:
gethan, bag id) brep Piaſter unb zwey Realen
mebr gegeben fatte, aló id) fd)uíbig war: fo gab fie
mir ber Alkalde wieder unb überlieferte bad Uebrige
bem Topith, inbem et ifm aufga6, meine Pferde auf
bie Ctunbe, bie id) im vorgefd)rieben, Bereit. 3n
falten. — Ich war in Bewunderung, id alaubte gu
$3 traͤu⸗
F^ 86 ^v
ttáumen; eine fo einfache, fo ſchnelle unb fo wohlver⸗
waltete Gerechtigkeit ſchien mir ein. Traumgeſicht.
In meiner Begeiſterung gab ich dem Caſero, der,
durch ſeine Anzeige, mir dieſes ruͤhrende Schauſpiel
verſchafft hatte, einen Piaſter, und ich bat den Alkalde,
bie drey Piaſter unb zwey Realen, woruͤber ber Pro—
ceß geweſen war, zu behalten, um ſie unter die Armen
des Ortes auszutheilen. Ich haͤtte tauſend Piaſter
gegeben, um das Andenken dieſer ſchoͤnen Handlung der
Billigkeit zu verewigen. Denn man muß e£ fid) nicht
verhehlen, das beſte Mittel, vor den Menſchen Bey—
ſpiele der Weisheit unb ber Tugend zu erhalten, ift,
wenn man auch die kleinſten Handlungen, die das Ge⸗
praͤge davon tragen, ehret und belohnet. Die Men—
ſchen handeln immer nach einigen Bewegungsgruͤnden
des Intereſſe, und welches Intereſſe iſt wol edler,
als auf immer in der Achtung ſeiner Mitbuͤrger und
der Nachwelt zu leben! man lobe alſo die ſchoͤnen
Handlungen, und man wird bald eine Menge anderer
entſtehen ſehen.
|
87 ^u
5.
C»iftel
über das Grauenjimmcet
an eíne
junge Gráfin.
S... ſchoͤne Graͤfin! wer ba till
auf der Satire Rabenfluͤgeln
die Bahn nach Pindus Lorberhuͤgeln
durchflattern! — lieber ſchwieg ich ſtill
und ließe nie in Phoͤbus Hallen
um ſeinen Kranz ein Lied erſchallen,
eh' ich es wagt', um dieſen Preis
dem kleinſten angenehmen Kreis
von edlen Schoͤnen zu mißfallen.
Und gegen dieſe ſelbſt den Pfeil
des Witzes freveff)aft su wetzen,
heißt aͤchten Beifall wenig ſchaͤtzen;
denn welcher Muſe Roſenſeil
wird eine Leier wol umſchlingen,
zu der ein Dichter ſich erkuͤhnt
ber. ſanften Schoͤnheit Hohn zu ſingen,
84 die
wav 88 2»
bíe Opfet nur unb. Dank verbient,
ínbem, durch ihre Treflichkeiten
genaͤhrt, zum Kranz für unſte Saiten
der neidenswerthſte Lorber gruͤnt.
O! drum entweihe keine Blume,
die gleich der ſcharfen Neſſel ſticht,
den Kranz, den ſich im Heiligthume
der Pallas meine Muſe flicht!
Ein jedes ihrer Lieder gleiche
dem Veilchen, dem Vergißmeinnicht,
und Roſen, welche vom Geſtraͤuche
die Hand ber ſchoͤnſten Nymphe bricht!
Unſterblich ſingen alle Muſen,
wenn ſanfte Schoͤnheit ſie durchgluͤht,
und jedes ſchlechte Veilchen bluͤht
mit neuem Reiz an einem Buſen,
wo es Cytherens Hauch umweht;
ja ſelbſt die ſimple Wieſenblume,
die ſich durch blonde Locken dreht,
wird welkend noch zum Heiligthume
von fanften Liebenden erhoͤht.
Zwar giebt es, ſagt man, ſtarke Seelen,
wenn gleich nicht allzuviele, die,
um mit bewaͤhrter Kaͤlte fruͤh
ſich gegen Amors Pfeil zu ſtaͤhlen,
mf 89 ^c»
bie ſtoiſche Pheloſophie
zur einzigen Geliebten waͤhlen;
die Zaͤrtlichkeit und Sympathie
für Euch, o fanfte, ſchoͤne Seelen!
ju mitleidswerthen Schwaͤchen zaͤhlen,
unb fo rit ausgelernter Muͤh
ben. ſchoͤnſten Lebenspfad verfehlen —
denn Weisheit nenn' ich dieſes nie.
Nur wo Natur durch Blumenauen
mich zu der Weisheit Tempel fuͤhrt,
da folg ich gern, denn ihr gebuͤhrt
gewiß ein kindliches Vertrauen.
Und will ein Afterweiſer dann
mir Warnung in die Seele raunen,
ſo trau' ich nicht dem finſtern Mann,
der weiter oft durch truͤbe Launen
vom Ziele mich entfernen kann,
als alle ſchoͤne Zauberinnen,
die zwar, uns leichter zu gewinnen,
zu manchem Netz der Zaͤrtlichkeit
Cytherens feinſte Saben" ſpinnen,
doch die zu frommen Prieſterinnen
der Tugend und der Charitinnen
die weiſe Pallas ſelber weiht.
$5 Auch
CXwxT^ 90 «v
Jud) (ag uns, theure Graͤfin! ehrlich
und unparteyiſch bei dem Streit
verfahren! Ja! bie Zaͤrtlichkeit
iſt zwar dem Herzen oft gefaͤhrlich;
doch trotz dem reizenden Gewand,
das ihren Buſen leicht umhuͤllet,
deß Anblick ſchon Sartüffen? anb
mit ſtrengen Donnerkeilen fuͤllet,
fuͤhrt ſie am Seil der Froͤhlichkeit
weit ſicherer das Herz der Jugend
zum Blumenalter aͤchter Tugend,
als je die Unempfindlichkeit,
die uns in allen ſtrengen, kalten
und ſehr vernuͤnftigen Geſtalten
vergebens ihre Rechte beut.
Ja wer fuͤr Euch nicht fein empfinbet,
o Lieblinginnen der Natur,
wer nicht fon auf ber. Kindheit (ut
für feine Phyllis Kraͤnze winbet,
nid)t heimlich ſeufzend ihre Spur
verfolgt, nicht zaͤrtlich in die Rinde
der ſchattenreichſten Gartenlinde
den fruͤhgeliebten Namen graͤbt;
und nur wo ihre Heerden weiden
die Auen durch Geſang belebt,
weil hier der Genius der Freuden
fuͤr ihn auf Roſenwolken ſchwebt; —
Wen
FM 0L "vnam
Wen fruͤh nicht bie Gefuͤhle kroͤnen,
die Amor einſt zur Liebe nuͤzt,
iſt vor dem Zauber alles Schoͤnen
unb Edlen, leider! gleich geſchuͤzt!
Er wird bei Oeſers Magdalenen,
bei Guidos Amor, und beim Kuß
der Danae, wie beim Genuß
von Deiner Unterhaltung — gaͤhnen.
Fuͤr ihn iſt Greſſets Papagei
mit allem Witz und feinen Scherzen
nur eine fade Taͤndelei;
Er glaubt mit uͤberzeugtem Herzen,
daß Rouſſeau nur ein Schwaͤtzer ſei;
und findet Goͤckings Schwaͤrmerei,
für Nantchen, unb Petrarkas Schmerzen
mit Grekourts Liebe einerlei.
Er wuͤnſcht in ſchoͤnen Roſenlauben
der Freundſchaft nichts bei Mondenſchein,
als Morfeus Armen ſich zu weihn;
ihm wird kein Wink aus Phoͤbus Hain
den langen Morgenſchlummer rauben;
und nimmer, nimmer wird ſein Haar
den fauften Lorberkranz gewinnen,
denn nicht umſonſt ſind die Huldinnen
unb Muſen aus ber. Maͤdchen Schaar,
Euch
CT 92 ^w
Euch Schoͤnen nut. gab das Verhaͤngniß
zum Pathenpfand die Zauberkraft,
die uns zu neuen Weſen ſchafft;
Ihr reicht in Kummer und Bedraͤngniß
dem Herzen Lethens Schlummerſaft;
Ihr adelt, ſuͤße Charitinnen!
zu ſanften Freuden unſte Sinnen,
und laͤutert jede Leidenſchaft.
An Blumenſeilen der Empfindung
fuͤhrt Ihr uns leicht, beim Saitenſpiel
der Seelenharmonie, zum Ziel
der liebenswuͤrdigſten Verbindung
der Weisheit mit der Froͤhlichkeit.
An Eurer ſanften Hand durchwallen
wir gluͤcklicher die Lebenszeit;
wir lernen von Euch zu gefallen,
und lohnen Euch durch Zaͤrtlichkeit.
Ja Eure grade Seele lenket
des Forſchers ſchwankende Begier
nach aͤchter Wahrheit oft, der Ihr
die ſchoͤnſte Blumenhuͤlle ſchenket;
benn, edle Nymphen! wenn Ihr denket
fo denkt Ihr beſſer nod) als wir.
Und
Ku 93 ^w
iub endlich, laßt e$ uns geſtehen!
Ihr ſeid nicht alle Grazien,
bie von Cytherens Myrthenhoͤhen
Geiſt, Artigkeit und Witz umwehen;
auch viele ſchoͤne Statuen
ſehn mir ín Cypris Hainen (tefeu,
vor denen zwar mit Liebesflehen
kein Weiſer ſeine Kniee beugt,
doch wird er ſie noch lieber ſehen,
als rauhe Gothiſche Stopfaen,
die mancher Maͤnnerkreis ihm zeigt.
Wir ſpotten gar zu gern der kleinen
Vergnuͤgen ſchoͤner Eitelkeit,
die Tiefgelehrten jederzeit
ſo herzlich unbedeutend ſcheinen,
wie Maͤdchen — die Gelehrſamkeit.
Wir ſpotten gern der kleinen Schwaͤchen,
die, unter Reizungen verſteckt,
des Tadlers Auge nur entdeckt,
und ſuchen ſtets davon zu ſprechen,
um uns bei der Gelegenheit
an Eurer Schoͤnheit, Artigkeit
und edler Selbſtzufriedenheit
durch der Satire Pfeil zu raͤchen.
Doch
Fu 0j, 515
Doch tvir vergeſſen get. babet
bet Grouppen, bie um volle Flaſchen
bei minder edler Taͤndelei
nach faden Witz und Lachen haſchen,
vor welchen jede Muſe flieht.
Wir ſpotten nicht mit bittrem Witze
des edlen Ritters, der durchgluͤht
von Ahnenruhm, nur vom Beſitze
des neuſten Gauls begeiſtert ſpricht,
und ſelbſt im Kreiſe muntrer Schoͤnen
mit ziemlich rauh gewaͤhlten Toͤnen
für ſeines Jagdhunds Ehre ficht.
Wir klagen, daß von Evens Toͤchtern
ſo manche Treu' und Lieb' entehrt,
doch ſind wol viele von Veraͤchtern
der Schoͤnen Lieb' und Treue werth?
Sind viele wol der feinen Triebe,
der ſanften Seelenflamme werth,
mit der ſo oft verlaßne Liebe
ein zartes Maͤdchenherz verzehrt?
O! moͤcht', Ihr Schoͤnen! Euch zu raͤchen,
gu einem. Kranz bec Dankbarkeit
ein Dichter manchen Lorber brechen,
der willig Euch die Laute weiht!
der
FAV 05 ^
ber ſchon im leichten Fluͤgelkleide
Euch Liebesopfer dargebracht,
und bei des Fruͤhlings Blumenpracht
ſchon fruͤh auf Lieder ſuͤßer Freude
gum Lob ber Grazien gedacht;
der mehr durch Eure Faͤcher lernte,
als durch die Birkenruthe, die
mit ernſtlich angewandter Muͤh
ihn von den Muſen nur entfernte;
der, fruͤh vom Myrthenhauch umſpielt,
noch jetzt, wo Paphos Zefirn wehen,
mit frommer Dankbarkeit es fuͤhlt,
bafi er vor. Euren Kanapeen
mehr Bildung unb Geſchmack erhielt,
als an der vielgetruͤbten Quelle
der ſtaubigen Gelehrſamkeit;
ach! der zu ſpaͤt die lange Zeit,
da er in duͤſtrer Kloſterzelle
nur leſen lernte, noch bereut.
Cà leben bann bie edlen Schoͤnen!
die unſre Seelen mit Gefuͤhl
und jedes beßre Saitenſpiel
mit ihrem holden Beifall kroͤnen!
Mag
wAvf 96 wie
Mag 25oileau, Dop', unb Juvenal,
und iie bie ſtrengen Maͤnner feifen,
uné immerhin durch Cypott beweiſen,
daß — „auch die Liljen manchesmal
durch ſuͤßen Duft vergiften koͤnnen, —
Ich Friedlicher, beneide ſie
um dieſe Spoͤttereien nie,
und moͤchte ſelbſt nicht gern Genie
unb Reiz unb Tugend jemals trennen.
Am wenigſten, wenn mich, wie jezt,
die Ruͤckerinnrung jener Stunde,
o theute Graͤfin! nod) ergoͤzt,
da mir aus deinem holden Munde
der Weisheit Silberquelle floß,
an deren Ufer jede Bluͤthe
des Witzes und der Seelenguͤte
in ſchoͤnſter Harmonie entſproß.
Wohlan! ſtatt beißender Satiren,
nimm edle Graͤfin! dieſes Lied,
das keine Schoͤne ſchuͤchtern flieht;
denn jeder Ruhm, der Dich umbluͤht,
ſoll es als Opferbinde zieren!
Nicht wahr, Du glaubſt der Muſe leicht,
dies koſt' ihr wenig Ueberwindung,
indem ihr Jugend und Empfindung
zum Opfer reine Flammen reicht?
mf 97 ^
Ja wer mit zwanzig Blumenjahren
fid) unterſtuͤnd' in Phoͤbus Hain
ber Schoͤnheit Myrthen zu entweihn,
verdiente nod) bei grauen Haaren
von huͤbſchen Maͤdchen allgemein
verſpottet und verhoͤhnt zu ſeyn!
Kein Weibchen muͤßte je ſein Leben
durch Liebe, Witz und Zaͤrtlichkeit
zum Himmelsvorgenuß erheben;
kein Toͤchterchen durch Artigkeit
und holde Schoͤnheit ihn entzuͤcken,
wenn tauſend Juͤnglinge zerſtreut
und liebeſchmachtend nach ihr blicken;
Ihm muͤßte nie bie nfelinn
mit heitrem, unſchuldsvollem Sinn
die Stirne ſpaͤt durch Blumen ſchmuͤcken.
Doch jeden Dichter, welcher fruͤh
fuͤr Grazien und Pierinnen
die ſanfte Laute ruͤhrt, um ſie
durch fromme Demuth zu gewinnen;
wer meinem guten Hoͤlty gleich,
an geiſtiger Empfindung reich,
der Schoͤnheit Zauberkraft beſinget,
die mit der Weisheit in Verein
in Feſſeln alle Herzen zwinget,
die ſich den holden Muſen weihn —
Philoſ. Mag. 1. Gt. G
den
(aw 98 724
den Dichter müffe fruͤh jum Lohne
die ſtolz errungne Myrthenkrone
«u$ einer ſchoͤnen Hand erfreun!
Wenn leider! dann nach wenig Lenzen
ſein ſtiller Huͤgel ſich erhebt,
ſo muͤſſen ihn noch Roſen kraͤnzen,
auf denen ſanfte Zaͤhren glaͤnzen,
wenn Lunas Schimmer ſie umbebt.
Und ſeine Samlung kleiner Lieder,
die jedem Foliantenſchrank
auf Amors flatterndem Gefieder
enteilt — belohne ſtiller Dank
von Lippen tugendreicher Schoͤnen,
die ſie zum trauten Saitenſpiel
mit ſeelerhebendem Gefuͤhl,
wie Du, o edle Graͤfin! toͤnen.
Sei dies dann meiner Muſe Ziel!
ſo wird ihr Lorber lange gruͤnen,
und reizende Philoſophie
des Lebens wird alsdenn fuͤr ſie
zum blumichten Gewande dienen.
Ja,
FA^ 09 ^w
Ja, Graͤfin! biefe Wiſſenſchaft
den Reiz der Tugend zu empfinden,
ber Weisheit ungeſchwaͤchte Kraft
mit ſanften Scherzen zu verbinden;
bie ſeelenſtaͤrkende Gedulb
mit weiſem Laͤcheln auszuuͤben,
und, ſind wir ſelber außer Schuld,
uns nie zu graͤmlich zu betruͤben:
die ſchwere Kunſt, mit einem Band
von Roſen erſt das Herz zu fangen,
um uͤber Willen und Verſtand
den Sieg ſo leichter zu erlangen;
Fuͤr alles Schoͤne dies Gefuͤhl,
das in erhabnen Buſen gluͤhet,
und uns allmaͤchtig zu dem Ziel
der edlen Menſchenliebe ziehet;
die reizende Gefaͤlligkeit,
die uͤber alle Lebensauen
der Freude ſuͤße Veilchen ſtreut;
und dieſes innige Vertrauen
zum Schoͤpfer, das Zufriedenheit
mit Seinem Thun und ſeinem Willen
in jedem Traubenkelch uns beut,
bei welchem Ernſt und Heiterkeit
ſtets lieblich in einander quillen. —
G 2 Ja,
T^4*f^ roo """«
Ja, Girüfin! dieſe Harmonie
ber nuͤzlichſten Philoſophie
entlernen wir nicht duͤſtern Schriften,
die hinter Gatterthuͤren ſtehn,
bie (lernen voir. auf Blumentriſten,
wenn rir mít Dir ſpazieren gehn.
Selmar.
Recen⸗
Secemnftbo memi.
Ie
Verſuch uͤber Gott, die Welt, unb bie men[dy
lid)e Seele; burd) bie gegenwaͤrtigen pilofos
phiſchen Streitigkeiten veranlaft.
Berlin und Stettin 1788. 8.
D. Verfaſſer will die dogmatiſche Metaphyſik
gegen Kants Angriffe vertheidigen, und behauptet in
der Vorerinnerung: daß die transſcendentale Philoſo⸗
phie nur auf bem Wege bet Analyſis gefunben werde,
bag (ie feine neue Wahrheiten entwickeln fónne, bie
nicht vorher in ber Anſchauung, ober bem Geſuͤhle
gegeben. worden. Auf biefen Gedanken gruͤndet fid)
das Syſtem des Verfaſſers, ob er ihm gleich in der
Ausfuͤhrung nicht getreu bleibt, da er nicht genugſam
zeigt, wie wir durch Abſtraction zu den Begriffen
voit transſcendentellen Objecten, unb au Urtheilen uͤber
dieſelben gelangen. Wir koͤnnen dem Verfaſſer in ſei⸗
nen muͤhſamen unb oft febr ſcharfſinnigen Unterſuchun⸗
Ó 4 ge
FXMER yo4 "9
get nicht Schritt vor Schritt fofgen, zumal ba et
ſeinem Sybeengange nid immer bie leichteſte Me⸗
thode gegeben fat. — Wir wollen alfo nur ben Haupt⸗
infalt bes Werks anzeigen.
f£rfle Abtheilung: Von ben Grünben
ber gemeinen SBernunfterfenntnig von ber. &eele, bet
Welt unb Gott. (Cap. 1. Von Crfenntni unb
Daſeyn. (38enn e$ S. x8. feift: „Raum unb 3eit
finó in bet Anſchauung nicht eher gegeben, al8 bie
Objecte, unb werden von biefen abſtrahirt, fo ift das
eben bie Streitfrage, voorauf fo viel beruhet; oa
Stant ba$ Gegentheil behauptet, unb alfo biefen Satz,
fo nackt hingeſtellt, voͤllig verwerflich macht.) Cap. 2.
Von ber Ewpfindung unb analogiſchen Schlußart.
(Sir) bie unbeſtimmte Behauptung S. 37. daß wit
bie innere Natur der ſimultan unb ſucceſſ iv fid) eoexiſti⸗
renden Dinge nicht kennen, verwirft der Verfaſſer
den groͤßten Theil der Erkenntniß transſcendeutaler Ob⸗
jecte, die er doch in Schutz genommen hat; es ſey
bann, daß er unter Kennen ein anſchauendes unb voll:
ſtaͤndiges verſteht.) Cap. 3. Von der Phantaſie.
Cap. 4. Von dem Verſtande und der Vernunft in
engrer Bedeutung. EEs iſt etwas unerwartet, daß
in dieſem Cap. von Traͤumen gehandelt wird. f. $. 11.)
Cap. 5. Vom Willen unb feinen Trieben. (Die An⸗
merkung S. 92. baf Adam vor fcinem dalle bie finn;
liben
FMUT^ q05 ^29
lien: Ojecte durch bie Imagination eben fo abe be
handeln fànnen, voie bie Ideen feiner Phantaſie ſelbſt,
ift bod) wol nuc eine Satyre auf 'Doitet ?). Cap. 6,
Gemeine Weſenlehre ( Ontolegie) und Syllogiſtik.
(Sie bier gegebne Crtlárung des Verſtandes in engrer
SDebeutung, roonad) er bat Vermoͤgen, Vieles im
einzelnen Dinge gu unterſcheiden, fen fol, ift auf
ber cínen Seite ju enge; benn ber Verſtand beſchaͤffti⸗
get fid) mit Begriffen unb Urtheilen, wozu nicht bloß
das Unterſcheiden erforderlich iſt; auf der andern
Seite zu weit, benn aud) durch bie ſinnliche Erkennt⸗
niß unterſcheiden wir vieles im einzelnen Dinge.)
Cap. 7. Wie fid) bie Seele von bet Welt unterſchei—
bet. Cap. 8. Ahndung vom Subſtanzweſen. Cap. 9.
Von bet Welt. ( Die nad) bes 3Berf. Meinung hetero—
doxen Behauptungen von der Welt werden nur ganz
kurz abgefertigt. So heißt es z. B. S. 143. der
transſcendentale Idealismus wiederſpreche ber. gemei—
nen Erſahrung. Kann denn die Erfahrung uͤber
Dinge aufer der Vorſtellung entſcheiden?) Cap. ro.
Von ber Exiſtenz Gottes, als Weltſchoͤpfers. Wir
bringen Ordnung, Schoͤnheit, Harmonie gern hervor;
da wir nun dergleichen in der Welt bemerken, ſo
ſchließen wir analogiſch auf ein verſtaͤndiges, freies
Weſen, als Urheber derſelben. Cap. rx. Von der
Unſterblichkeit der Seele, und ihrer Gemeinſchaft mit
der Welt. Cap. 12. Ueber die Metaphyſik und
65 Hyper⸗
f^Avf^ ro06 c
Hyperphyſik, obe hen. Inbegriff ber Hypotheſen von
ſolchen benfbar fepn ſollenden Erfahrungen, bíe ber
Analogie ber phyſiſchen Weitveraͤnderungen wenig ge⸗
maͤß ſind.
Zweite Abtheilung: Syſtem einer trans⸗
ſcendentalen Philoſophie.
I. Weſenlehre. Cap. r. Moͤglichkeit bet trans⸗
fcenbentalen Grfenntnig. (Wir Dátten fier ermartet,
eine Beleuchtung ber Sragen zu fiiben : wie fontfeti,
ſche Urtheile a priori moͤglich ſeyn? unb o6 man eine
Erkenntniß von transfcenbentalen Gegenftánben haben
fónne? voit finben aber (tatt teffen einige Semerfun:
gen uͤber bie Deutlichkeit unb. Wahrheit bet empiri⸗
ſchen Grfenntnig.) Cap, 2. Von ben allgemeines
innerlichen Praͤdicaten (Categoríen , Praͤdicamenten,
Beſtimmungen des Reellen) und der Identitaͤt. (Wir
muͤſſen hier nur bemerken, daß der Verf. von dem
Kantiſchen Begriffe einer Categorie abweicht, und
daß er bloß die Einheit als die einzige Categorie
anfuͤhrt) Cap. 3. Von ben disjunctiven Praͤdica⸗
ten. Cap. 4. Subjectiviſche Beſtimmungen des
Dings, Grad der Realitaͤt oder Moͤglichkeit. Maaß
ber. Nealitaͤt, (einfache Voillkommenheit, ober Gut.)
S. 196. 197. wird die Meinung geaͤußert: das Bei⸗
ſammenſeyn aller Praͤdicate ſey die Exiſtenz; das Bei⸗
ſam⸗
f^ T Io7 ^w
menſeyn einiger bie Moͤglichkeit, unb zwar ber innetn,
bie innere, unb ber. áufern, bie áufere Moͤglichteit.
(Allein wenn id) alle Praͤdicate, bie innern unb áufern,
b. i. bie innere unb áufere Moͤglichkeit zuſammenſetze,
fo ift aud) ba$ Gange immer nur nod; Moͤglichkeit.
Der ganze Sjnbeariff ber fDrábicate fann aud) blog
in ber Vorſtellung beifammen ſeyn. Der Verf. ſcheint
auch die verzweifelte Sache ſelbſt aufzugeben, indem
er €. 196. ſagt: Dieſe Saͤltze leuchten durch Analyſe
der Begriffe ein; wer ſie laͤugnet, mit dem iſt nichts
anzufangen.) Cap. 5. Von den Verhaͤltnißen.
Uebereinſtimmung, Succeſſion, Cohaͤrenz unb. Inhaͤ⸗
renz (Caußalzuſammenhang).
2, Seelenlehre. Cap. 1. Egoitaͤt, Perſonali⸗
taͤt, Ginfad)beit. ap. 2. Von bem Willen unb
ber Freiheit. (entfált nichts Neues oter Befriedigen⸗
des.) Cap. 3. Von der Gemeinſchaft der Seele mit
dem Koͤrper, ihrer Praͤexiſtenz und Unſterblichkeit.
3. Weltlehre. Cap, x. Von bem Zuſammen⸗
fange ber Weltſubſtanzen. Der Egoismus vermor;
fen. — Die vorferbeftimmte lebereinftimmung verthei⸗
bigt. Cap. 2. Von ber Vollkommenheit ber Welt:
C$ giebt keine Blinbe Nothwendigkeit, feinen 3 ufall ;
Subſtanzen, die in$ Unendliche ire Vollkommenheit
vermehten, bringen eine groͤßre Summe von Voll—⸗
foin:
FMVER rp08 v2
fommenfjeit in ber Welt Gervor, als anbre; daher
Unſterblichkeit. Phyſiſches unb moraliſches Mebel.
4. Natuͤrliche Theologie. Cap. x. Abhaͤngige⸗
keit der Welt: Ein Fortgang der Urſachen ins Unend⸗
liche, ift unmoͤglich. Etwas gegen Spinoza u. f. w.
Cap. 2. Phyſicotheologiſcher Beweis des Daſeyns
G'otte$ wird verworſen: weil alles Vollkommene zur
Wuͤrklichkeit fommen muß, ſchon deßwegen; weil es
vollkommen iſt. Cap. 3. Beweis des Daſeyns Got⸗
tes a priori. (C$ ift von einem Schriftſteller, als ber
gegeniváctige, befremdend, menn mat hier aud) 3meís
(el von ber Art mit unter finbet: ,, Bielleid)t giebt es
fein abjotut unendliches Subſtanzweſen, fo wie e$
feine abfotut unenblid)e Sigur geben Éann. ,,)
Dritte XMbtbeilung: Etwas uͤber Santé
riti ber reinen 9Sernunft. — Cap. r. Von Erkennt⸗
nif unb Daſeyn. Cap, 2. Von ber Orbnung bet
e"ften. SSegriffe. Cap. 3. Von bet Analyſis unb
Syntheſis. Cap. 4. SBerfud) einer Beurtheilung be
Kantiſchen Angriffs auf bie alte Metaphyſik. Cap. s.
Schwierigkeiten, Sant mit (id) felbft zu vereintgen.
Viele Vorwuͤrſe, bie in dieſer Abtheilung gegen das
Kantiſche Syſtem vorgebracht werden, treffen daſſelbe
nicht. So heißt es S. 335. „Nach Kants Syſteme
iſt das, welches unter den Schemen Raum und Zeit
ſub⸗
"^f^ 109 ^"
ſubſumirt unb ín bie Form des Denkens gebracht tvitb,
ſo wie dieſe Scheme und Formen, an und fuͤr ſich —
Süidté., Kant behauptet nur, daß bie Sinnenwelt
verſchwinde, wenn man bie ſubjective Einrichtung
unſrer Siunnlichkeit aufhebt, Grit. b. r. V. x. Ausg.
€. 42. unb beweiſet ausdruͤcklich, daß bie Eriſtenz
bec Dinge außer uns nothwendig ſey, Grit. 2te Ausg.
S. 274. Als ein Beiſpiel, voie ber Verf. gegen bie
Kantiſchen Behauptungen zuweilen ſtreitet, mag die
Widerlegung des Beweiſes ber erſten Antinomie, rit,
X. Mué£g. €. 370. 371. dienen, melde S. 371. fo
lautet : „Wie fani mai aber nun fagen, bag bic 98elt
weder enblid) nod) unenb(íd) (ep? Iſts benn nidt
notfwenbig, I) baf entweder bie Erſcheinungen der
benfenben Cubftangen niemals angefangen haben unb
níemaf$ enben merben, oder bafi fie einen Anfang
unb Cnbe haben? 2) Daß ein Weſen in. ber Welt,
welches auf einmal nut einen. begrángten 9taum mit
bec Vorſtellung umfpannen fann, bie Welt (tufenrocife
mit ben Gebanfen umfaffen fónne, oder nit?
Vom Nichts (affen fid) freilich Widerſpruͤche prábiciren,
aber die Erſcheinungen ſind ja nicht Nichts. Sonſt
hoͤrte alles Denken auf, weil nad) Kants eigner Dei
nung gar nichts da iſt, woruͤber wir raiſonniren koͤn⸗
nen, als die Erſcheinungen unb ihre Sormen. ,
So
FMAvÉ^ IrIO «uw
So wie toir mit Vergnuͤgen Bemerfen, daß üt
6er. ganzen Abhandlung mande fdjarfe Blicke vorfom:
men, fo finben fid) dergleichen aud) im dieſer britten
Abtheilung 3. 5. €. 379. 1. 391. ꝛc. Was 6. 4.
€. 410. :«. gefaat roítb, leuchtet uné vàllig ein. Denn
menn baé Noumenon für míd) weder móglid) nod)
unmóglid), wenn e$ ein ens rationis, ein Nichts
für mid ift, fo fann fcin Glaube an baffelbe (tattfin:
ben, ber bod) nothwendig eine Erkenntniß ber Moͤg⸗
lichkeit bet Sache voraus[cet.
8.
2.
KVER III ^"
FO 7H-7]])H-H £4 3 ]HPHEIPIHHHHLHSS
2.
Zweifel libet bie Kantiſchen Begriffe von Qeit
unb Raum, von Adam Weishaupt.
Nuͤrnberg 1788. 8.
J. Abſicht der Reſultate, die Kant aus ſeinen
Unterſuchungen uͤber bie Natur ber. menſchlichen Gv;
kenntniß zieht, ſtimmt der Verfaſſer mit ihm uͤberein.
Er glaubt mit ihm, daß unſte ganze Philoſophie
nur eine Philoſophie der Erſcheinungen ſey; nur ge⸗
langt er, wie er ſagt, in ſeinem Syſteme, zu eben
den Reſultaten auf einem ganz andern Wege — auf
bem Wege ber Erfahrungen (S. 7.). Das, worin
er von Kant vorzuͤglich abweicht, iſt die Behauptung;
daß weder ber Verſtand, noch bie Sinnlichkeit ges
wiſſe Formen und Bedinqungen haben, daß alſo
Raum und Zeit nicht die Formen der Sinnlichkeit
ſeyen, und daß wir dieſe beiden Vorſtellungen nicht
nnabhaͤngig von ber Erfahrung beſitzen (S. 8.).
Um
1I12 ö
Um ſeine Meinung ins Licht zu ſetzen, giebt der
Verf. zuerſt eine kurze Darſtellung des Kantiſchen
Syſtems in Beziehung auf Raum und Zeit 6. 3.;
alsdann geht er die moͤglichen Vorſtellungsarten von
Raum und Zeit durch.
Die erſte Vorſtellungsart, nach welcher Raum
und Zeit als Nichts gedacht werben, kann bie San:
tiſche nicht ſeyn; benn menn R. unb 3. Formen bet
Sinnlichkeit ſeyn ſollen, ſo koͤnnen ſie nicht Nichts
ſeyn. Nach dem rohen Begriffe ſtellt man ſich den
Raum als Nichts vor; nicht ſo aber die Zeit, dieſe
iſt im gemeinen Leben nichts andres, als ein beſtimm⸗
tes, groͤßres ober kleineres, Zeitmaaß. $. 4. 5. 6.
Sweyte Vorſtellungsart, $. 7.: Der 9taum
als Etwas, vorzuͤglich als Subſtanz, betrachtet.
( Wenn es S. 48. heißt: „alle &ubftanyen*finb un:
durchdringlich, befinden fid) außer einander, unb wer—
ben dadurch ber Grund unſrer Vorſtellung von Aus—
dehnung; „ſo ift das theils cine pet, princ. — denn
dis iſt es gerade, was Kant laͤugnet — theils offen⸗
bar ein zu allgemeiner Satz. Nur unſrer ſinnlichen
Vorſtellungsart nad) befinden fid) bie Subſtanzen au
fet einanbers aber nit als íntelligibele Gegenſtaͤnde,
ba fállt alles Außereinanderſeyn weg.) Der Raum
kann nad) bem Kantiſchen Syſteme keine Subſtanz
ſeyn,
F*A»f^ ry15 ^w34«*
fen, $. 9.3. benn als fofde fónnte ec feine Form
ber Sinnlichkeit ſeyn, weil et. eine von dieſer abges
ſonderte Crifteny haͤtte. Er fann aber aud) aufer
dieſem € v(teme niemals eíne Subſtanz feyn, $. 9.;
benn, waͤr er eine Subſtanz, fo waͤren alle anbere
Dinge, weil (ic nid)t aufer tem Raume (inb, keine
Subſtanzen, alles waͤre Modification emer. einzigen
Subſtanz. (Dis ſtuͤtzt (id auf $. 7, unb faͤllt mit
biefem weg. Die bei dieſer Gelegenheit gemachten
Anmerkungen uͤber Spinozas Syſtem gehoͤren gar
nicht hieher, denn es iſt von dem Kantiſchen Syſteme
die Rede, welches mit jenem in dieſer Hinſicht gar
nichts gemein hat; ſie ſind uͤberdem zum Theil
unbefriedigend, unb unerwieſen, wie z. B. dieſe
S. 51:1: baf beim Spinoza alles auf verwor—
renen Begtiffen von Raum und Aucedehnung
beruhe.)
Wenn man ($. 10.) ben Raum als ein Accidenz
hetrachtet, ſo giebt es dabey drey Faͤlle: der Raum
iſt entweder 1) ein ausſchließendes Praͤdicat der
Dinge außer uns, oder blos objectiv; oder 2) eine
aus ſchließende Eigenſchaft, unb Accidenz unicer € cele,
b. i. blos ſubjectiv; oder 3) er ift ein Accidenz vor
beiden zugleich, b. b. theils objectio, theils ſub⸗
jectiv — ein Verhaͤltniß.
Philoſ. Mag. 1. St. H Die
— 114 «aet
Die Meinung, bie ba$ erfle annimmt, ift
(8. 11.) bie dritte Vorſtellungeart vom Siaume, unb
nicht ſowol falid), als unvollſtaͤndig. Sie erklaͤrt
nur, was Raum unb Zeit am ſich, aufer ber Vor—
ſtellung ſeyn — und ba ſind fie nichts als bie Gegen—
ſtaͤnde ſelbſt; ihr Aufeinanderfolgen, unb ihr Neben⸗
einanderſeyn — aber bie Frage: was unſte Vorſtel⸗
lung von Zeit unb Raume ſeye? woher dieſe entſtehe?
Bleibt unberuͤhrt. (Die $. 7. bemerkte petit. princ.
fait bier woieber in bie Augen.)
Die vierte Vorſtellungsart (6. 12.) betrachtet
ben Raum als blos fubjectiv; unb biefe i(t bie Stan:
tiſche. Waͤren Raum unb 3eit blos fubjectio, truͤ⸗
get ^ie aͤußern Gegenſtaͤnde gar nichts dazu bei; fo
muͤßten und koͤnnten wir auch Gegenſtaͤnde außer uns
gewahr werden, wenn auch keine Gegenſtaͤnde waͤren,
wenn auch keine auf uns wirkten. Wir haͤtten dann
alle Gruͤnde, das Daſeyn ber Dinge aufier uns zu
leugnen. Denn da alle Dinge nur mit Raum und
Zeit vorgeſtellt werden koͤnnen, da der Raum die
Form unſrer Sinnlichkeit iſt, da wir ſogar, kraft
dieſer Form, Gegenſtaände erkennen wuͤrden, wenn
aud) keine vorhanden waͤren: fo ſind alle Dinge blos
in unſrer Vorſtellung wirklich. (Folgende Bemer⸗
kungen fallen von ſelbſt in die Augen: 1) Geſetzt, der
aufgeſtellte Satz waͤre richtig, ſo muͤßten wir uns die
Fol⸗
F.M IIS nA: 7^2]
Folgen barau$ gefallen faffen. — Die (eere Declama⸗
tion, bit der Verf. €. 60. unb 61. hinzufuͤgt, fann
nidjt$ beweiſen. 2) Der fegnfollenbe Beweis be$
aufaeftellten Gates iſt cine loge Wiederholung be$
Satzes felbft. 3) Wird vom Moͤglichen aufs Wirk—
lide geſchloſſen. Wenn die aͤußerlichen Dinge nicbtà
gu unſern Vorſtellungen beytragen, fo ift es moͤglich,
daß wir Vorſtellungen von Dingen, als außer uns,
haben, und daß es ſolche Dinge demohnerachtet nicht
giebt; aber deswegen noch nicht wirklich. 4) Iſt
es ein bittweiſe angenommener Satz: wenn der
Raum und die Zeit — die nur Einrichtungen unſrer
Sinnlichkeit, nach Kants Syſteme, ſind — von den
aͤußerlichen Gegenftauben unabhaͤugig (inb; fo koͤnnen
auch die Vorſtellungen von den Dingen im Raume
und in der Zeit davon abhaͤngig ſeyn. 5) Der Verf.
verraͤth eine Unbekanntſchaft mit bem Kantiſchen Sy⸗
ſteme (verat. S. 64.), gegen welche er in ber Vor—
erinnerung fo ſehr proteſtirte. Kant ſagt ausdruͤck⸗
lich: Eine Anſchauung findet nur ſtatt, ſo ſern uns
der Gegenſtand gegeben wird; dieſes aber iſt nur da—
durch moͤglich, daß er das Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe
afficire, Crit. ate Aueg. €. 355. unb an einem an:
bern Orte. ( €. 274 :€.)) beweiſet ec fegar das Da:
ſeyn ber Gegenftánbe aufer uns.) Die mreiter aus—
gefuͤhrte Widerlegung ber Kantiſchen Theorie $. 13.
bis 15. ſtuͤtzt fid) auf $. 12.
$a Die
116 ae
Die fünfte Erklaͤrungeart nímmt ben. 9taum
und e 3eít, als theils objecti, theils fubjectio am.
Wenn nuc fünf Erklaͤrungsarten einer Sache moͤglich
ſind, (tec Verfaſſer fordert jeden auf, cine ſechste
vom Raume zu finden,) und wenn vier davon falſch
beſunden werden, fo muß die fünfte bie wahre ſeyn.
Es bieibt alfo nichts uͤbrig, als anzunehmen, daß
Raum und Zeit theils objectiv, theils ſubjectiv, alſo
Verhaͤltniſſe, ſeyn. F. 16 :c. erlaͤutert ber Verfaſſer
ziemlich vollſtändig, voie er (if dieſen von ibi in
Schutz gcenommenen Begriff bcé Raumes unb der
Zeit vorſtelle, und was von Seiten der vorſtellenden
Kraft unb. der Gegenſtaͤnde aufer. derſelben dazu etr
ſordert werde.
m
Philoſophiſches Magazin.
— — —
Herausgegeben
von
Johann Auguſt Eberhard.
$weytee Stuͤck.
HALLE,
bey Johann Jacob Gebauer.
1788.
HR cv C
I.
Ueber bie tranéfcenbentale Aeſthetik.
D. , bet mit einem forſchenden Auge bie
Welt bet. Erſcheinungen Betradjtet, kann die Frage
keinesweges gleichguͤltig ſeyn, ob die Dinge, die ihm
feine Sinne vorſtellen, wirkliche, und aufer ber Vor⸗
ſtellung vorhandene Gegenſtaͤnde ſeyen, ob ihnen we⸗
nigſtens dergleichen zum Grunde liegen, oder ob er
fid) gleichſam vor einem Zauberſpiegel befinde, unb
mit leeren Blendwerken unaufhoͤrlich getáufdot werde?
Man ſieht leicht, daß die Beantwortung dieſer Frage
von der Natur der Vorſtellungen abhange, die bey al⸗
len Wahrnehmungen gum Grunde liegen, als bie einfach⸗
ſten aller ſinnlichen Vorſtellungen, ob fie bloß für bie finn
[ide Grtenntnif, ober aud) für ben 9Berftanb unauflóstid)
finb ? Alles aber, was wahrgenommen wird, tbeilt fid) in
zwey Gattungen, deren eine die Gegenſtaͤnde enthaͤlt,
die als außer uns, die andere aber diejenigen, die nicht als
außer uns vorgeſtellt werden. Die Faͤhigkeit, Gegen⸗
Philoſ. Mag. a. St. J ſtaͤnde
F(AvK^ I1 ^T
ſtaͤnde von br erſtern Art wahrzunehmen, ift bec
aͤußere Sinn, fo wie men unter oem. innern. oenje:
nigen verſteht, ber uns Gegenſtaͤnde von oer andern
Art amchauen faft. *) Daß nun dasjenige, was
bey allen Gegenſtaͤnden des aͤußern Sinnes nothwen⸗
digerweiſe gum Grunde liegt, der Raum ſey, imglei⸗
chen
*) €» alaubte ich ben Unlerſchied zwiſchen aͤuherm unb
innerm Sinn angeben gu muͤſſen, in Beſiehung auf
bie Unterſuchungen in Kants* traneſcendentaler Aeſthe—
tif. Das was inan gewoͤhnlich unter aͤußern Sinnen
denkt, fani bier. eicbt gemeint ſeyn, weil ſonſt bie
Behauſtung, daß der Raum ihre allgemeine Form
ſey, nicht beſtehen koͤnnte. Geruch und Geſchmack
ſtellen keine Erſcheinungen im Raume ver; unb daß
ein Menſch, ber ber Geſichtsfaähigkeit gaͤnzlich beraubt
waͤre, durch das Gefübl cine Vorſtellung vom Raume
bekommen mürec, laͤßt fi aud) nicht erweiſen.
Wenn man ſagt, daß durch die ſucceſſive oder ſimul⸗
taniſche Betaſtung mehrerer neben. einander ſeyender
Koͤeber die Vorſtellung von Raume entwickelt werden
muͤſſe, ſo folgt das nicht. Es wuͤrde dadurch bloß
bie Vorſiellung mehrerer von. einander verſchiedener,
abcr nicht dem Raume nach außer einander befindli⸗
cher, Gefuͤhle entſtehen; ja nicht einmal bie Vorſtel⸗
lung von etwas außer uns daſeyendem; denn das
Gefuͤhl ſtellt bie Gegenſtaͤnde nicht vor, inſofern fie
außer uns ſind. Wenn aber auch die Vorſtellung vom
Raume durchs Gefuͤhl entwickelt werden koͤnnte, fo
muͤßte doch das Merkmal der Impenetrabilitaͤt darin
verwebt ſehn.
fXvfh IIQ e$»
den baf ble 3eit alle Vorſtellungen des innern Sin⸗
nes Begleite, ijt eine SSeimerfung , bie einem aufmetf,
famen. Beobachter nicht leicht entgehen kann. Allein
die wahre Natur unb. Beſchaffenheit des Raums unb
der Seit mit voͤlliger Gewißheit zu beſtimmen, (moo:
von doch das Urtheil uͤber die ganze Welt der Erſchei⸗
nungen abhaͤngt,) ift mit viel groͤßern Schwierigkei—
ten verknuͤpft, und die Behauptungen der groͤßten
Weltweiſen ſind daruͤber getheilt. Entweder nimmt
man an, daß Raum unb Zeit bloß Formen unſrer
Sinnlichkeit ſeyn, d. i. bloß eine gewiſſe Cinrichtung
unſres ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgens bebenten, nad)
welcher mit gezwungen ſind, uns Me ſinnlichen Ger
genſtaͤnde ſo und nicht anders vorzuſtellen, daß alſo
nichts außer unſrer Vorſtellung ihnen entſprechendes
vorhanden ſey; oder man erklaͤrt ſich fuͤrs Gegeutheil,
und iſt alſo der Meinung, daß dem Raume und der
Zeit auch außer unſerer Vorſtellung etwas entſpreche.
Die erſtre Behauptung (ft e$, die in unſren Tagen
an dem beruͤhmten Koͤnigsbergiſchen Weltweiſen einen
fo großen Vertheidiger gefunden fat, unb woruͤber
mir jetzt einige Bemerkungen zu machen erlaubt ſey.
Da tie Theorie des gedachten ſcharſſinnigen Den⸗
kers nicht allein von bem bisher faſt allgemein fuͤr
guͤltig erkannten metaphyſiſchen Syſteme, ſondern
auch von der Vorſtellungsart abweicht, die ſich der
ja ſchlich⸗
FT I20 «ua
ſchlichte Menſchenverſtand vom Naume unb. von. bec
Zeit macht, ſo mußte er ſie allerdings mit ſtrengen,
untadelhaſten Beweiſen ausruͤſten, wenn er fie gegen
alle Augriffe ſicher ſtellen wollte, Ob dieſes nun. ger
ſchehen feo, daran laͤßtiſich, fo viel ich einſehe, nod)
immer zweifeln, und daß es, wenn es durch Kant
nicht geleiſtet wurde, auch nicht habe geſchehen koͤnnen,
das (ap: fid) mit allem Rechte vermuthen.
Der Geiſt des Kantiſchen Syſtems fuͤhrt unver⸗
meidlich auf bie Behauptung, bie aud) Kant an meh⸗
term Orten áufert, bag mir von ben Dingen, voie fte
an fid ſeyn moͤgen, ſchlechterdings nidjt$ wiſſen, baf
mit in Abſicht aller ibrer innern unb áuferlid)en Be⸗
ftimmungen eine gaͤnzliche Unwiſſenheit zu geſtehen ge
zwungen ſind, und von keiner einzigen derſelben ſagen
koͤnnen, daß ſie ihnen zukomme oder nicht zukomme;
ja daß uns ſogar nicht einmal von der Moͤglichkeit un⸗
ſerer Begriffe (der logiſchen) auf die Moͤglichkeit
ber Dinge (bie reale) zu ſchließen vergoͤnnet ift. (Ct.
b. r. V. r. Ausg. €. 596.) Wenn nun dies alles
ſeine Richtigkeit hat, ſo duͤrfte dadurch auch die Moͤg⸗
lichkeit und Wahrheit der Behauptung, daß Raum
unb Zeit bloß ſubjective Fotmen ber Sinnlichkeit ſeyn,
daß ihnen in den Dingen an ſich gar nichts entſpre⸗
che, aufgehoben werden; benn in Abſicht einer Be⸗
ſtimmung der Dinge an ſich koͤnnen wir weder etwas
beja⸗
F^u»T IA2I mra
bejahen, nod) verneinen, unb ihnen fofafíf auch bas
fprábicat des Raumes unb ber Seit rocher abſprechen,
nod) zuerkennen. Hieraus laͤßt fid) qum voraus ein⸗
feben, bag bie Beweiſe für bie angefuͤhrte Behaup⸗
tung in ber transfcenbentalen Aeſthetik nicht ganz bin:
laͤnglich feyn, ſondern hoͤchſtens nur fo weit reichen
koͤnnen, als nothwendig tft, um darzuthun, daß
Raum unb Zeit bey uns ſubjective Formen ber Sinn⸗
lichkeit ſeyn; woraus aber noch nicht erhellt, daß ſie
bloß ſolche ſind, und daß ihnen in den Dingen außer
ber Vorſtellung nichts entſpricht. ») Wenn aber die
Kantiſche Theorie von Naum unb Zeit unerſchuͤtterlich
feſt ſtehen ſoll, ſo iſt der Satz, daß wir uns in einer
gaͤnzlichen Unwiſſenheit gu fSeftimmungen ber Dinge
3 an
*) Man bat geglaubt, bie &anti(be Zbeorie baburd) ju
tetten, ba nan fagte: ,, Der Satz, daß dem Raum
unb ber 2eit, meni (ie aud) fubjectioc Formen ber
Sinnlichkeit ſeyn, bed) etmas außer bcr Vorſtellung
entſprechen fónne, ſey eiue blofe Hypotheſe unb alſo
unjufáffig ; uͤberdem ſpreche man ben Dingen an fid
ellc Praͤdieate des Raums unb ber 3cit ab.,,— 2lbct
man bebadcbte dabey nicbt, v? daß eine Wahrheit, bie
ſelbſt nicht Hypotheſe, ienbern apodictiſch gewiß ſeyn
ſoll, auch die Moͤglichkeit des Gegentheils aufheben
muͤſſe. 2) 2f man bic Praͤdicate des Ruums unb
ber Zeit, ben Dingen an fib nur abſpreche, inſofern
man (ie als innerliche Praͤdicate von ibuen bt:
tractet.
f^uvT^ [22
an fid) Sefinben, nothwendig verwerflich; denn es
werden in dieſer Theorie die Praͤdicate von Raum
und Zeit den Dingen an ſich abgeſprochen. Dies
wird nod) mehr beſtatiat, wenn mar bedenkt, daß fid)
bie Behauptungen von der Nichtigkeit unſrer Erkennt—
niß der Dinge an fid) auf die transſcendentale Aeſthe—
tik ſtuͤtzen. Es iſt naͤmlich unmoͤglich, aus einem
Satze ſein Gegentheil, einen ihm widerſprechenden
Satz herzuleiten; es iſt folglich unmoͤglich, aus
einem Satze, worin ich bie Moͤglichkeit, über Dinge
an ſich zu urtheilen, dadurch anerkenne, daß ich ihnen
gewiſſe Beſtimmungen (Raum und Zeit) abſpreche,
den Satz herzuleiten: daß es ſchlechthin unmoͤglich ſey,
uͤber Dinge an ſich zu urtheilen, ihnen irgend eine
denkbare Beſtimmung zuzuſchreiben, oder abzu—
ſprechen.
Ich weiß nicht, auf welcher Seite dem Kantiſchen
Syſteme mehr Abbruch geſchehen duͤrfte, wenn man
entweder die Lehre von Raum und Zeit aͤnderte, um
der Behauptung getreu zu bleiben, daß man von den
Dingen an fid) gat nichts wiſſen koͤnne, oder menn
man dieſe Behauptung aufgaͤbe, um die Guͤltigkeit
jener Lehren zu vertheidigen. So viel ſehe ich inzwi⸗
ſchen ein, daß auf ber einen Seite bie apodictiſche Ges
wißheit, die Kant bey Unterſuchungen dieſer Art
ſchlechterdings verlangt ( Vorr. gut Gr. b. t. V.), in
Ki:
KMOTA 123 ^WAc»
ſeinem Syſteme zugleich mit ber ſtrengen unb genauen
Wahrheit feiner transicenbentalen Aeſthetik aufgeboben
werde; unb baf/auf ber anbern Seite bíe wichtigſten
Saͤtze feines Lehrgebaͤudes verlohren gehen.
Nach dieſer allgemeinen Betrachtung uͤber die
Moͤglichkeit der Beweiſe, wodurch im Kantiſchen
Syſtem bie einzig ſubjective Natur des Raums unb
der Zeit erhaͤrtet werden ſoll, will ich die einzelnen
Gruͤnde, die zu dieſem Behuſe gebraucht werden,
ganz kurz etwas naͤher erwaͤgen.
Vom Raume.
Kant ſagt I. „Der Raum ift fein empiriſcher Be⸗
griff, der von aͤußern Erfahrungen abgezogen waͤre.
Denn damit gewiſſe Empfindungen auf etwas außer
mid) bezogen werden (b. i. auf etwas ín einem art;
bern. Orte des Raumes, als darin id) mid) befinbc) ;
imgleichen damit id) fic al8 aufer cinanber, mithin
nicht bloß als verſchieden, fonbern als (n verſchiedenen
Orten vorſtellen koͤnne; dazu muß die Vorſtellung des
Raums ſchon zum Grunde liegen. Demnach kann
die Vorſtellung des Raums nicht aus den Verhältniſſen
der aͤußern Erſcheinung durch Erfahrung erborgt ſeyn,
ſondern dieſe aͤußere Cefabrung it ſelbſt nur durch ge;
gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich.
J4 Die
KMPT^ [q24, —
Die Wahrheit be& Unterſatzes in dieſem Schluſſe
raͤume ich ein, und bin uͤberzeugt, daß die Vorſtellung
des Raums zum Grunde liege, ſo bald wir uns irgend
etwas als außer uns, oder als außer einander geden⸗
ken. Aber mit dem daraus hergeleiteten Schlußſatze,
daß der Raum demnach kein empiriſcher Begriff ſey,
ſondern vor aller Erſahrung ín ber Seele vorhergehe,
Bin ich deewegen noch nicht einverſtanden: weil bet
Oberſatz, worauf er ſich ſtuͤtzt, nach meinem Beduͤn⸗
fen unrichtig ift. Dieſer Oberſatz lautet: Eine Bot;
ſtellung A, bie bei einer Vorſtellung B. nothwendig
zum Grunde liegt, iſt nicht aus B genommen, ſon⸗
bern muß vor derſelben daſeyn. Allein wenn B
nicht gedacht werden kann ohne A, oder wenn A dem
B nothwendig zum Grunde liegt, ſo iſt freilich noth⸗
wendig, daß A geſetzt werde, fo bald B aefeGt wird;
aber es giebt zwey Faͤlle: entweder geht A vor B
vorauf, oder es wird zugleich mit demſelben gegeben,
und nachher durch Abſtraction davon abgeſondert, und
allein gedacht. Der Satz: bie Vorſtellung A (bie
bey B nothwendig gum Grunde liegt) kann nicht aus
B genommen ſeyn, ſondern muß vor demſelben voti
aufgehen, iſt demnach augenſcheinlich unrichtig; und
mithin auch alles, was daraus hergeleitet wird. Wenn
alfo aud) bie Vorſtellung des Naums bey jeder Empfin⸗
dung, die ich auf etwas als außer mir beziehe, und
worin id) etwas als außer einander gedenke, noth—
wendig
PT I25 ^w»
wendig um Grunde liegt, fo ſolgt bod) daraus nicht,
daß ſie vor den Empfindungen des außer mir und
außer einander befindlichen vorauſgehe; ſie kann auch
zugleich mit denſelben gegeben, unb. nachher durch Ab⸗
ſtraction zu einer beſondern Vorſtellung gemacht wer⸗
den. Der Raum kann alſo gar wohl ein empiriſcher
Begriff ſeyn.
Da hier noch nicht bewieſen iſt, ſondern aus den
vorliegenden Schluͤſſen erſt gefolgert werden ſoll, daß
der Raum nichts in den Dingen außer der Vorſtellung,
ſondern bioß eine ſubjective Form ſey: ſo laͤßt ſich auch
hier nod) das Gegentheil annehmen. Man koͤnnte
demnach ſagen: der Raum iſt ein Verhaͤltniß, das den
Dingen, ſofern fie als aufer tir, ober als aufer ein⸗
ander erſcheinen, nothwendig zukoͤmmt; daher kann
id) dieſelben, in ſofery id) fie als außer mir, ober als
aufer cínanber ver(telle, nicht ohne ben Raum 9er
benfen ; bie Vorſtellung des Raums liegt babey notf:
voenbíg aum Grunde, unb mito eben dadurch, baf
Vorſtelllingen von Dingen, als aufer mir, unb als
außereinander, geſelzt werden, aud) mit geſetzt. Nach—⸗
her wird ſie durch Abſtraction zu einer abgeſonderten
Vorſtellung gemacht, unb ift alſo allerdings ein. em;
piriſcher Begriff.
35 Kant
126 4^
Stant Befauptet ferner :
II. „Der 9taum iff. eine nothwendige 9Aorftel:
luna, a priori, bie affen aufern 2fnfdjauungen jum
Grunde liegt. Man fann fid) niemat$ eine SBorftefz
[ung davon madjen, bafi fein 9taum fey, ob man (id)
gleich oan; wohl tenfen faun, baf feine Gegenſtaͤnde
batín angetroffen werden. Cr wird affo als bie 5e;
bíngung ber Moͤglichkeit ber. Erſcheinungen, unb
nicht als eíne von ifnen abhangende Seftmmung
angeſehen, unb ift eine Vorſtellung a priori, die
nothwendigerweiſe aͤußern Erſcheinungen 3um Grun⸗
be liegt.,
Sin dieſem Argumente wird aus ber Nothwen⸗
bigfeit ber. Vorſtellung vom Raume, unb ber Zufaͤl⸗
liafeit ber Erſcheinungen ín bemfelben hergeleitet, daß
bie letztern allererſt butd) ben Staum móglid) werben,
unb daß bicjer aljo nid)t eine von ihnen a6fangenbe
Beſtimmung, fonbern vie(mefr eine a priori vor (5s
nen vorbergcbenbe Verſtellung ſeyn müffe. — Sant et:
f(árt fellft, mie ev bep ats wolle verſtanden wiſſen,
baf bir Jtaum eine nothwendige Vorſtellung ſey, in:
bem ec fingufeGt: man fann e$ fid) niemals benfen,
baj kein Raum'ſey, ober, welches eben bas ift, man
fann ben Gegenſtand der Vorſtellung vom Staume ín
Gedanken nie aufheben; unb ber Schluß, woraus die
Priori⸗
mM^T I27 ^»
Prioritaͤt bet Vorſtellung vom Jtaume ,erfártet werden
ſoll, iſt vollſtaͤndig dieſer:
Wenn etwas (A) eine nothwendige Vorſtellung
iſt, etwas andres aber (B), das in A angetroffen
wird, ift feine nothwendige Vorſtellung, ſo ift A die
Bedingung der Moͤglichkeit von B, und nicht von B
abhangig. Nun aber iſt der Raum eine nothwendige
Vorſtellung (er kann in Gedanken nicht aufgehoben
werden), die Erſcheinungen hingegen, die darin an—
getroſfen werden, fino keine nothwendige Vorſtellun—
gen «fie laſſen ſich alle wegdenken). Alſo iſt ber
Raum bie Bedingung bet Moͤaglichkeit ber Erſcheinun—
gen, uno nicht von ihnen abhangig.
Gegen dieſen Schluß ift, moie mir deucht, fot
gendes zu erinnern: wenn A eine nothwendige Vor⸗
ſtellung ift, unb das darin enthaltene B. nicht, fo be:
beutet das blof cin Verhaͤltniß, das A unb B. gegen
mein 9Bor(tellungévermógen haben, nicht aber ein fol:
d$, das ibnen unter einanber gufáme; moburd) ir
Grund (bie 95ebingung) ber Moͤglichkeit, fomol von
A, als ven B, ganz unbeftimmt bleibt; unb e$ giebt
hiebey eren Faͤlle: entweder ift A ber Grund (bie Be—
dingung) ber Moͤglichkeit von B, oder B von A,
oder beibe faben ben Grund ibrer Moͤglichkeit in einem
tritten C. Aus A, welches eine nothwendige Vorſtel⸗
lung
(FAV i28
lung ift, fan man, in fofern es eine notbwenoige
yorfiellung iſt, nicht bie Moͤglichkeit eines nicht
nothwendigen B, welches ín bem nachherigen Bewußt—⸗
ſeyn in A angetroffen wird, begreifen. Daher iſt
bet Oberſatz in bem vorliegenden Schluſſe offenbar ur
zulaͤſſig; mithin fáfft auch bie darauf beruhende Fol⸗
gerung weg: daß der Raum, der eine nothwendige
Vorſtellung ift, die Bedingung ber Moͤglichkeit bet
Grídeinungen, tie darin angetroffen rocréen, nicht
nothwendig ſind, und alſo keine von ihnen abhangende
Beſtimmung ſey.
Inzwiſchen, wenn man den Satz auch zugeben
wollte, daß die nothwendige Vorſtellung des Raumes
die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſcheinungen ſey;
fo ſolgt bed) daraus ned lange nicht, daß der Raum
als cine, von ben Erſcheinungen unabbángige , notf:
wendige Vorſtellung a priori, daſeyn müff. Gt
fann aud) dann cin empiriſcher Begriff ſeyn. Denn
I. menn A (ber Raum) bie Bedingung, ober bet
Grund eer Moͤglichkeit von B (eem Erſchei⸗
nungen) iſt; fe folgt: daß A geſetzt fep, fo»
bald B geſetzt wird. Nun fann A entweder
voranfachen, oder zugleich mit B gegeben, unb
nadie bavon abgeſondert unb befonberó wot;
geſtellt
FT I29 *"—*
geſtellt werden Cf. I.); alfo A fann ein empiris
ſcher Begriff feyn.
. Wollte man aber einwenden, ein empiriſcher Be⸗
griff koͤnne nicht nothwendig ſeyn: ſo iſt einmal
davon hier gar die Rede nicht, und der obige
Schluß wuͤrde alſo dadurch, wenn es auch wahr
waͤre, nicht richtig werden; und ſodann liegt
bie Nothwendigkeit ber Vorſtellung des Raumes,
wenn er auch ein empiriſcher Begriff iſt, vor
Augen. So bald mir ben Raum als nicht ba:
ſeyend vorſtellen, oder ihm das Praͤdicat der
Exiſtenz abſprechen wollen, beziehen wir eben
dadurch unſre Gedanken auf etwas außer uns,
und ſtellen uns alſo eben dadurch den Raum als
daſeyend vot; unb weil ric" feinen Widerſpruch
benfen fónnen, fo vermóaen mir nicht, ihm qu:
gleich bas 'Drabirat bed Daſeyns abzuſprechen.
Der dritte Kantiſche Lehrſatz vom Raume
lautet:
III. „Auf dieſe (Nr. I1. gedachte) Nothwen—⸗
digkeit a priori gruͤndet fid) bie apodictiſche Gewißheit
aller geometriſchen Grundſatze, und die Moͤglichkeit
ihter Conftructienen a. priori, Waͤre naͤmlich dieſe
Vorſtellung des Raums ein a pofteriori erworbner
Be⸗
WT Iq130 ^vi
Begriff, bet aus bet. allgemeinen. aͤußern Erfahrung
geſchoͤpft mare, fo wuͤrden Bie erſten Grundſaͤtze bet
mathematiſchen Beſtimmung nichts als Wahrnehmun—⸗
gen ſeyn. Sie haͤtten alſo alle Zufalligkeit ber Wahr—⸗
nehmungen; unb es waͤre eben nicht nothwendig, daß
zwiſchen zween Puncten nur cine grade Linie fen, fon:
dern die Erſahrung wuͤrde es ſo jederzeit lehren. Was
von der Erfahrung entleint iſt, hat aud) nur compar
rative Aligemeinheit, nàauid durch Induction. Man
wuͤrde alſo nuz ſagen koͤnnen, fo viel sur. Zeit nod) be;
merkt roorben , ijt kein Raum gefunben worden, ber
mehr al$ drey Abineſſungen fatte *).,, — 2illein
1. kann auf der Nothwendigkeit der Vorſtel—⸗
lung des Raums a priori die apodictiſche Coe;
wißheit bet geometriſchen Grundſaͤtze nicht beru—⸗
Den; denn a) bie Geometrie ſtuͤtzt keinen einzi⸗
gen ihrer Grundſaͤtze auf die Vorſtellung des
Ranmes, inſofern fie nothwendig ift, b. f.
infefetn voit ins. oen Raum nicht wegge⸗
denken koͤnnen; es gilt ihr vóllia gleich, ob
der Raum exiſtirt oder nicht. Sie nimmt den
Raum,
) Dieſer Lehrſatz wird zwar in Der zweyten Ausgabe het
Grit. b. e V. S 40. etwas anders vorgetragen; al⸗
fen. im Weſentlichen iſt feine Veraͤnderung vorge⸗
nommen worden, wie Kant ſelbſt behauptet. (Vorr.
qur aten Ausg. €. 37. 42.
FAT 131r "vr
Raum, infofern ec vorgeftelIt wirb, und fest ſeine
Beſtimmung ſeſt. Koͤnnten wir uns aad) ber
Raum wegdenken, fo wuͤrden mir zwar zugleich
mit ifm bie Moͤglichkeit des Satzes, daß mir
ſchen zween Puncten uur Cine grade Linie ſtatt—
finde, uͤberhaupt aufheben, (weil alsdann gar
kein Außereinanderſeyn, keine Entſernung gedacht
wuͤrde,) aber dadurch nicht dieſen Satz moͤglich
machen koͤnnen: daß cé zwiſchen zween Puncten
mehr als Eine grade Linie gebe. b) Wenn ich mir
Etwas (A) uͤberhaupt nicht weggedenken kann,
ſo iſt es deswegen nicht nothwendig, daß ich
dem A die Beſtimmungen b. c. d. beylegen muß;
oder wenn A eine nothwendige Vorſtellung iſt,
fo haben deswegen ſeine Beſtimmungen b. c. d.
noch keine apodictiſche Gewißheit; denn ſonſt
muͤßte die Vorſtellung der Beſtimmungen b. c. d.
mit der Vorſtellung von A, bloß ſoſern es da
iſt, oder mit der bloßen Vorſtellung der Exiſtenz
des A nothwendig verbunden ſeyn. Dies iſt
aber unmoͤglich; denn die bloße Vorſtellung von
Exiſtenz iſt durchaus tunbeſtimmt. (ſ. Cr.
S. 599.)
Geſetzt aber, die apodictiſche Gewißheit der
geometriſchen Grundſaͤtze finge von ber Noth—
wendigkeit der Vorſtellung des Raums ab, ſo
felat
132 5
folgt weiter nichts, als daß die gedachte Noth⸗
wendigkeit gegeben ſeyn muͤſſe; ihr Grund aber,
ob fie a priori oder a pofteriori muͤſſe entſtan⸗
ben ſeyn, ift gang unbeſtimmt. Wenn
3. behauptet wird: ber 9taum ſey feina pofteriori
ervoróner Begriff, meil fonjt bie erſten Grund⸗
ſatze bet matbematijden Beſtimmung blofe Wahr⸗
nebmuraen, unb mitbin gufallig ſeyn wuͤrden, fo
ſcheint mir dabey zweierley zu bebenfen ju ſeyn:
a) Wenn ein Begriff a pofteriori erworben iſt, fo
folgt nit, daß alle &ate, bie einen Bezug bat:
auf Üaben, Wahrnehmungen ſeyn; aud) bet
Verſtand kann fid) batauf begiebenbe Urtheile zu
Stande bringen, die dann weder Wahrnehmun⸗
gen, noch zufaͤllig ſind; welches Stant ſelbſt zu⸗
giebt. (Crit. S. 158 u. f.) b) Es ift ein ur;
erwieſener, ja unerweislicher Satz, ber aus eir
ner unvollſtaͤndigen Induction hergenommen iſt,
daß es ſchlechterdings keine Wahrnehmung gebe,
wodurch bie bem Cubject A zukommende Be⸗
ſtimmung g apodictiſch gewiß wuͤrde, daß eine
Wahrnehmung nie etwas enthalten koͤnne, deſ⸗
ſen Aufhebung uns auf Widerſpruͤche fuͤhrte;
oder, das wir von der Wahrnehmung getrennt
zu denken nicht im Stande waͤren. Wer mit
mir an ber Richtigkeit ber. Beweiſe Nr. I. II.
zwei⸗
Ni133
zweifelte, unb babeo bie erſten mathematiſchen
Grundſaͤtze fuͤr Wahrnehmungen hielte, der
wuͤrde das vorliegende Argument fuͤr einen bitt⸗
weiſe angenommenen Satz anſehen, und behaup⸗
ten: bie mathematiſchen Grundſaͤtze ſeyen ein
Beweis, daß man auch aus der Wahrnehmung
etwas apodictiſch gewiſſes ſchoͤpfen koͤnne.
Nach dieſen Betrachtungen ift alſo, moie mlt
deucht, nicht ju leugnen, daß bie apodictiſche Gewiß⸗
heit der geometriſchen Grundſaͤtze nicht auf der Noth⸗
wendigkeit der Vorſtellung des Raumes a priori,
ober auf bet Unmoͤglichkeit fid) den Raum wegzudenken
beruhe; daß dieſelbe beſtehen koͤnne, wenn auch der
Raum ein a pofteriori erworbener Begriff iſt. Was
aber bie Allgemeinheit ber gedachten Grunbfáge betrift,
ſo iſt dieſelbe zugleich mit der apodictiſchen Gewißheit
gegeben; eins ſolgt aus dem andern.
Ich gehe
IV. Zu dem vierten Lehrſatze, den Kant von
dem Raume aufſtellt. Er lautet: Der Raum iſt kein
discurſiver, oder, wie man ſagt, allgemeiner Begriff
von Verhaͤltniſſen der Dinge uͤberhaupt, ſondern eine
reine Anſchauung. Denn erſtlich kann man. fid) nue
einen einzigen Raum vorſtellen, und wenn man von
Philoſ. Mag. a. Gt. K vie⸗
— 134 ^"^
elelen Stáumen rebet, fo verſteht man darunter nut
G cile eines unb beffelben aflcínigen Staumeé, Dieſe
Theile tónnen aud) nidjt vot bem einigen allbefaſſenden
Naume, gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus
feine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehn, fon:
dern nur in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich
einzig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der
allgemeine Begriff von Raͤumen überbaupt. beruht
bloß auf Einſchraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in
Anſehung ſeiner eine Anſchauung a piãori (bie nicht
empiriſch iſt) allen Begriffen von denſelben zum Grunde
liege. So werden auch alle geometriſche Grundſaͤtze,
z. B. daß in einem Triangel zwey Seiten groͤßer ſeyn,
als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen
von Linie und Triangel, ſondern aus der Anſchauung,
und zwar a priori mit apodictiſcher Gewißheit abge⸗
leitet., Hiebey fann id)
x,bie Bemerkung nicht vorbeylaſſen, daß eine
Anſchauung a priori, bie Diet angenommen
toitb, nad) Santé cígenen Crflárungen nicht denk⸗
Bat ſey. Eine Anſchauung iſt eine Vorſtellung.
(Cr. b. r. V. x. Aufl. S. 19.) Sollte fie
a priori ſeyn, ſo muͤßte ſie ſchlechterdings nicht
vom Objecte hergenommen werden (S. 128.)
und eine Anſchauung iſt doch nur moͤglich, ſofern
uns ber Gegenſtand gegeben wird, dieſes aber
iſt
** 135 ^39
£ft wiederum nur dadurch moͤglich, baf et ba$
Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe afficire. (S. 19.)
Eine Anſchauung a priori iſt demnach unmoͤg⸗
lich, und kann mithin auch in Anſehung des
Raumes nicht zum Grunde liegen. Hieraus ift,
wie e$ mic ſcheint, ſchon hinlaͤnglich klar, bag
der vorliegende Beweis nicht brauchbar ſeyn
koͤnne.
2. Wenn ein discurſwer oder allgemeiner Begriff
derjenige iſt, der mehrern Dingen als Praͤdicat
zugeſchrieben wird, ober ber unter mehrern in;
bivibucllen Beſtimmungen vorfómmt, fo iſt bet
Raum eín folder; er wird foroof bem Quadrate,
als bem Triangel al$ Praͤdicat beygelegt.
9. Was ben Beweisgrund anbetrifft, woraus erhel⸗
len ſoll, daß der Raum eine reine Anſchauung
ſey, ſo iſt der erſte Schluß vollſtaͤndig dieſer:
Dasjenige, was nur ale cín einziges vorgeſtellt
werden kaun, iſt kein diſcurſiver Begriff ꝛc.
Der Raum kann nur als ein einziger vorgeſtellt
werden; alfo iſt er fein diſcurſiver Begriff ꝛc.
Hiebey iſt a) im Oberfa&e angenommen, daß im
Subjecte deſſelben eine hinreichende Bedingung
bec Wahrbheit tec Urtheils ꝛc liege, ober daß es
in der Natur desjenigen, was nur als ein einzi⸗
K2 ges
KMSTA 136 / mac
ges vorgeſtellt werden kann, gegrünbet ſey,
daß daſſelbe kein discurſiver Begriff ſeyn koͤnne;
welches aber eines Beweiſes ſehr noͤthig bebuvft
haͤtte. b) Da ber Raum nad) ben vorigen Lehr⸗
fá&en eine Vorſtellung ijt, fo fann ber Unterſatz
aud, fo ausgebrüdit werben: Man fann fid) nut
eine eingige Vorſtellung madjen, bie das au£brüdtt,
was roit ben 9taum nennen. Nun müfte Det
Schluß fo lauten: Gine Vorſtellung A , bíe fo
beſchaffen ift, bag man fid) nur dieſe eingige Vor⸗
ſtellung machen fann, bie ba$ ausbrüdt, was
man A nennt, í(t, fein discurſiver Begriff 1c.
Der 3iaum iſt eine Vorſtellung A , ꝛc. Alſo ift
bet Raum kein discurſiver Begriff ꝛc. Ser
Oberſatz, als allgemein verneinend, kann ſchlecht⸗
Din umgekehrt werden; unb muͤßte bann fo (au:
ten: Sein biscurflver Begriff ift eine 9Borftellung
A, bié fo 2c. Wenn biefer Satz feine Richtig⸗
feit haben folíte, fo müfte fid) au£ ber Natur
eines affgemeinen Begriffs einſehen faffen, warum
et nicht eine ſolche 3Bor(tellung (A) ſeyn fónnte.
Nun ift abet eine Vorſtellung A , tie fo beſchaf⸗
fen ift 2c. eine ſolche Vorſtellung, von bet. man
fein Merkmal roegbenfen, unb ju welcher man
fein. Merkmal hinzuſetzen fann, menn fie bie
naͤmliche Vorſtellung bleiben foll.
Von
FAM 137 «wi
Von einem allgemeinen. SSegriffe abet. fan
tian weder ein Merkmal wegnehmen, nod) zu im
fingufe&en, wenn et bie námtíd)e Vorſtellung bfeibett
foll (benn ber Inbegriff der Merkmale macht die $Bot;
ſtellung aus.) Ein discurſiver Begriff iſt daher eine
Vorſtellung A, die ſo beſchaffen iſt, daß man ſich nur
dieſe einzige Vorſtellung machen kann, die das ausdruͤckt,
was man A nennt. (Man kann ſich z. B. nur eine
einzige Gerechtigkeit, nicht mehrere Gerechtigkeiten
vorſtellen.) Wenn alfo aud) bet Raum eine ſolche
Vorſtellung À :c. ift, fo folgt daraus nicht, daß et
fein biécurfiver Begriff ſey.
Wenn fetnet als eín zweyter Beweisgrund (bie
ſcheint wenigſtens aus dem Vorhergehenden erſtlich
zu erhellen) fuͤr die Behauptung, daß ber Raum fein
discurſiver Begriff, ſondern eine reine Auſchauung
ſey, hinzugeſetzt wird: daß die Theile des Raums nicht
vor dem einzigen allbefaſſenden Raume, gleichſam als
deſſen Beſtandtheile (daraus ſeine Zuſammenſetzung
moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur in ihm gedacht
werden koͤnnen, ſo heißt das: Wir koͤnnen uns jetzt,
nach unſerm jetzigen Bewußtſeyn, bie Theile des Rau⸗
mes nicht iſolitt gedenken, unb daraus die Vorſtel⸗
lung des Ganzen zuſammenſetzen. Hieraus folgt aber
nicht, daß dies in den erſten Augenblicken, wo wir
nn$ ber Vorſtellung des Raumes bewußt wurden, auch
K3 ſo
A138 ux
fo war; unb bafi roit aud) 9a nicht au& ber Vorſtel⸗
lung der Theile die des Ganzen zuſammenſetzten; viel⸗
mebr muß bey bet Vorſtellung einer extenſiven Girófe,
ſofern wir uns derſelben bewußt werden, die
Vorſtellung der Theile nothwendig voraufgehen, wie
Kant ſelbſt behauptet. (S. 162) Eine leere Form
aber, die ohne unſer Bewußtſeyn a priori im e;
muͤthe (áge, unb bie Vorſtellung ber Theile des Rau⸗
mes erſt moͤglich machte, kann unter dem einzigen, all⸗
befaſſenden Raume nicht gemeint ſeyn; denn es ſoll ja
aus dem vorliegenden Satze erſt bewieſen werden, daß
eine ſolche vorhanden ſey; alſo muß man darunter den
Raum, inſofern wir uns deſſen bewußt ſind, verſtehen.
Da ſich nun von dieſem nicht beweiſen laͤßt, daß die
Vorſtellung der Theile ſchlechterdings nicht vor der
Vorſtellung des Ganzen voraufgehen koͤnnen, ſo laͤßt
ſich auch aus ſeiner ſogenannten weſentlichen Einzigkeit
nicht folgern, daß in Anſehung feiner eine Anſchauung
2 priori allen Begriffen von demſelben aum Grunde
liegen muͤſſe.
Der letzte Lehrſatz lautet:
V. Der Raum wird als eine unendliche, gegebne
Groͤße vorgeſtellt. Nun muß man zwar einen jeden
Beqriff als eine Vorſtellung denken, bie ín einer um:
enbliden Menge von. verfdyiebenen moͤglichen Vorſtel⸗
lun⸗
fM T1390 — Nu
lungen (als ihr gemeinſchaftliches Merkmaſ) enthal⸗
ten iſt, mithin dieſe unter fid) enthaͤlt; aper. fein 95er
griff, als cin ſolcher, fann fo gedacht werden, als 05
et eine unendliche Menge von 3Borftellungen ín fid) ent;
hielte. Gleichwol wird ber Staum fo getad)t (bent
alle Theile des Naumes ins Unendliche fino zugleich.)
Alſo ift bie urſpruͤngliche Vorſtellung vom Raume An⸗
ſchauung a priori, unb nicht Begriff.
Hiebey ſind mir ſolgende Schwierigteiten auf
gefallen:
Y. Der Cof enthaͤlt einen Schluß von den meiſten
Begriffen auf alle, und beruht auf einem bitt⸗
weiſe angenommenen Urtheile. Denn bevor
nicht aus dem Weſen eines Begriffes gezeigt
worden iſt, (unb dies iſt unmoͤglich,) bag et
nicht eine unendliche Menge von Vorſtellungen
in ſich enthalten koͤnne, darf man auch nicht
ſchließen, daß der Raum, bey dem dies der Fall
iſt, kein Begriff, ſondern eine Anſchauung
a priori ſey.
2. Der Raum wird als eine Groͤße vorgeſtellt, und
daher koͤmmt es, daß die unendliche Menge von
Vorſtellungen nicht als unter ihm, ſondern als
in ihm enthalten gedacht wird. Der Grund
$4 bit:
FT" y410. ^us
hievon (iegt alío gar nicht barin, daß et eine An⸗
fdjauuny a priori ift.
5. Cine Anſchauung a priori iſt unmóglid), (f. vom
9taume IV, x.)
Von bet Seit.
Die SSemerfungen, bie id) bey ben £efrfágen vom
Staume gemacht babe, gelten aud) alle, mit bec. gebóris
$en Anwendung, vou bett SDebauptungen, bie Sant in
Ruͤckſicht ber Zeit aufftellt, veil bie Dice gebrauchten Be⸗
weisgruͤnde ben obigen vóllig áfnfid) (inb. Nur nod)
zwey Anmerkungen mug id) bier hinzuſetzen. Die
erſte betrifft den erſten Lehrſatz, in welchem behauptet
wird, daß bie Zeit a priori im Gemuͤthe gum Grunde
liegen muͤſſe, weil ſonſt bae Zugleichſeyn, unb Auſein⸗
anderfolgen gar. nicht in die Wahrnehmung fommen
wuͤrde. Es iſt freylich wahr, wir koͤnnen uns kein
Zugleichſeyn, oder Aufeinanderfolgen gedenken, ohne
die Vorſtellung der Zeit; aber es iſt auch umgekehrt
eben ſo wahr, daß wir uns keine Zeit vorſtellen koͤn⸗
nen, ohne uns ein Zugleichſeyn oder Aufeinanderfol⸗
gen zu denken. Man koͤnnte alſo mit eben dem Rechte
ſchließen, daß dieſe Vorſtellungen a priori zum Grunde
liegen muͤßten, weil ſonſt die Zeit gar nicht in die
Wahrnehmung kommen wuͤrde. (f, Abels Verſ. über
die
fAAVER I4r X33
bíe Statut ber ſpecul. Vern S. 185. 1c.) obgleich weder
dieſer, nod) bet. Kantiſche Schluß gültig ift. (j. vom
9taume I.)
Meine zweyte Anmerkung aebt auf ben Giebanfen
überfaupt, bay die 3eit bie Form unſres innern & ins
nes ſeyn fof, So viel íd) einſehe, fann bie Zei nicht
die Form des innern Sinnes in dem Verſtande genannt
werden, ín welchem vom Raume geſagt iſt, daß er
bie Form des aͤußern Sinnes ſey. Denn daß (it
nicht daſſelbe Verhaͤltniß gegen unſre Sinnlichkeit Das
ben koͤnne, als der Raum, erhellt 1) ſchon daraus,
was Kant ſelbſt behauptet, daß ſie auch eine Bedin—
gung für bie aͤußerliche Wahrnehmung ift; denn Diet:
au$ iſt £lar, bag ihre Anwendbarkeit nicht von bem
abhange, was wahrgenommen wird; welded aber
bey dem Raume der Fall iſt. Denn, wenn das nicht
waͤre, ſo muͤßte dieſer auch eine Bedingung fuͤr die
Wahrnehmung durch den innern Sinn ſeyn koͤnnen,
welches aber widerſprechend ift. Die Seit nun vot;
zugsweiſe bie orm des innern Sinnes gu nennen,
baju í(t gat. kein Grund vorhanden. 2) Der Raum
wird als enthalten in. ben Gegenſtaͤnden des aͤußern
Sinnes vorgeſtellt; die Zeit aber nicht al enthalten
ín ben Gegenſtaͤnden des innern Cinued, — Wenn alſo
ber Raum bie Form des aͤußern Sinnes genannt
werben kann, weil er ben Gegenſtaͤnden deſſil⸗
K5 hen
fX 142. "ww
Ben nothwendig zum Gieunbe liegt, ober in denſelben
enthalten iſt; ſo kann dieſes nicht auch auf die Zeit
angewandt werden, in Beziehung auf den innern
Sinn. Sie liegt nicht den Gegenſtaͤnden deſſelben
zum Grunde, iſt nicht in denſelben enthalten; ſondern
begleitet nur bie Reihe unſrer 93ovftellungen, oder
ber Thatigkeiten unſres Vorſtellungsvermoͤgens. Da⸗
Der iio die Vorſtellungen des innern Sinnes (ſo wie
alle) in bet Seit, aber nicht bie bed außern im Stau:
mc; man kann bemnad) bie Seit nid)t für oic. Form
des innern Sinnes Daten, ín ber SSebeutung, worin
ber 9taum bie Sorm des áufern iſt; fonbern vielmehr
baé, was allen Gegenftánben des innern Sinnes gum
Girunbe lieat, was darin nothwendig entfjalten ift, üt
Vorſtellung; biefe müfite man alfo bie Form des ín
nern Sinnes nennen; unb es fann ber daraus ent:
fpringenbe Unterſchied nidjt ofne wichtige Folgen
ſe yn.
Wenn bie von mir gemadjten Bemerkungen ihre
Nichtigkeit haben, fo folgt daraus, daß man aud) bert
Schluͤſſen, welche Sant aud ben vorgetragenen 35e:
Dauptungen bereitet, nicht beyſtimmen fónne. Es
iſt alſo nicht bewieſen: 1) daß Raum und Zeit ſchlech⸗
terdings keined objective Beſtimmungen ber. Dinge
ſeyn, die uͤbrig blieben, wenn man von allen ſub⸗
jectiven Bedingungen bec. Sinnlichkeit ab(tvabirte;
2)
FT 43. x.
2) baf (ie bloß fubjective Bedingungen, Formen ber
Sinnlichkeit ſeyn, der Raum fuͤr den aͤußern und die
Zeit fuͤr den imnnern Sinn. Der Raum ift allerdings
das Einfachſte in den Gegenſtaͤnden des aͤußern € in;
ne$, unb für bie ſinnliche Erkenntniß unauftóstidy ;
aber deswegen nicht für ben Verſtand. 3) Daß fii)
mur bie empiriſche Realitaͤt derſelben behaupten laſſe,
b. h. ihre Guͤltigkeit ín Anſehung aller Gegenſtaͤnde,
inſofern dieſe als Erſcheinungen genommen werden;
daß man aber auch zugleich ihre transſcendentale Idea⸗
litát annehmen muͤſſe, b. fj. taf fie Nichts ſeyn, [or
bald man vor ben ſinnlichen Bebingungen abſtrahirt,
oder unjre Art unb Weiſe, Gegenſtande anzuſchauen,
weglaͤßt. (Kant ſagt (ier vom Raume, daß er nichts
ſey, wenn man ihn, als etwas, das den Dingen an
ſich ſelbſt zum Grunde liege, annehmen wollte. Dle—⸗
ſes iſt voͤllig richtig, und auch nach dem Leihnitziſchen
Syſteme wahr. Wenn man den Raum nicht fuͤr
eine bloß ſubjective Form oder Einrichtung unſrer
Sinnlichkeit gelten laͤßt, fo haͤlt man ihn deswegen
noch nicht fuͤr etwas, das den Dingen an ſich ſelbſt
zum Grunde liegt; ſondern man kann auch annehmen,
daß er eine von den Dingen an ſich allererſt abhaͤngige
Beſtimmung ſey.)
Zuletzt werden noch einige allgemeine Anmerkun⸗
gen hinzugefuͤgt. Die erſte, die ich hier nur beruͤhre,
ent⸗
fMXOTR py44. "m4
enthaͤlt eine wiederholte Erklaͤrung des eigentlichen
Sinnes ber transſcendentalen Aeſthetik; unb laͤuft alſo
darauf hinaus: Alle unſre Anſchauung iſt nichts, als
die Vorſtellung von Erſcheinung; die Dinge, die wir
anſchauen, ſind nicht das an fid) ſelbſt, wofuͤr mir fie
anſchauen, auch ſind ihre Verhaͤltniſſe nicht ſo beſchaf⸗
fen, wie ſie uns erſcheinen; und wenn wir daher die
ſubjective Beſchaffenheit unſter Sinne aufheben, fo
muͤſſen alle die Beſchaffenheiten und Verhaͤltniſſe der
Objecte im 9taum unb ín ber Zeit, alfo bie ganze Sin⸗
nenrocít, ja felb(t 9taum.unb Zeit verfdyroinben. Von
ben Dingen on fif, wie fie abgefonbett von allet
Receptivitaͤt unſrer Sinnlichkeit beſchaffen ſeyn moͤgen,
wiſſen wir gar nichts.
Dieſe ganze Behauptung ſtuͤtzt ſich auf die Lehre,
daß Raum unb Zeit bloß ſubjective Formen unfteé
aͤußern unb innern Sinnes ſeyn, unb wird daher ju
gleich mit jener zweifelhaft; (ob fie gleich groͤßtentheils,
nur in einer etwas andern Bedeutung und aus andern
Gruͤnden, wahr iſt; wie ich gleich bemerken werde.)
Daher laͤßt fid) nun aud) nicht mit einem entſcheiden⸗
ben Tone jagen: 1) die Meinung, daß unfte Sinn⸗
lichkeit nichts als die verworrene Vorſtellung der Din⸗
ge ſey, und lediglich das enthalte, was den Dingen
en fid) ſelbſt zukoͤmmt, aber nur unter einer Zuſam⸗
menbáufung von Merkmalen und Theilvorſtellungen,
die
fT p)5 5
bie rir nicht mit Bewußtſeyn auseinander ſetzen, ſey
eine Verſaͤlſchung des Begriffs von Sinnlichkeit, wel
che die ganze Lehre derſelben unnuͤtz und leer mache.
2) Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie habe allen
Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſrer
Erkenntniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct ange⸗
wieſen; indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom
Intellectuellen bloß als logiſch betrachte, ba er offen⸗
bar transſcendental ſey, und nicht bloß die Form der
Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, ſondern den Urſprung
und Inhalt derſelben betreffe, ſo daß wir durch die
erſtere die Beſchaffenheit der Dinge an ſich ſelbſt nicht
bloß undeutlich, ſondern ganz und gar nicht erkennen.
Was ben erſten €t anbetrifft, fo fet er 1) bie
unerwieſene Behauptung voraus, bai Raum unb Zeit
bloß ſubjective Einrichtungen unſrer Sinnlichkeit ſeyn;
2) iſt von Leibnitzen niemals behauptet worden, daß
unſere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene
Vorſtellung der Dinge an ſich ſelbſt ſey, welche ledig⸗
lid» das enthalte, was ben Dingen an ſich ſelbſt zu⸗
koͤmmt. Eine Erſcheinung, nach Leibnitz nus Sinne,
iſt nicht ein Dina an fid) ſelbſt, unb bic Theile ber;
ſelben ſind nicht Beſtimmungen eines Dinges an fid)
ſelbſt, ſondern eine Erſcheinung iſt eine Art und Weiſe,
wie ein Ding auf unſre Sinnlichkeit wirkt. Nun
liegt alſo einer Erſcheinung freylich immer ein Ding an
ſich
MavrA T46 wA
fid) yum Grunte; aber dies macht bie Erſcheinung nod)
nidt aue, fonbern e$ wird dazu nod) bie2(rt unb Weiſe,
wie unfre Sinnlichkeit afficit mírb, erforbert, Es
gehoͤrt alfo gu einer Erſcheinung etwas Objectives (bet
Gegenſtand aufer un$, ber bem (run? bavon übets
faupt, unb von ber inbívibuelleg. Beſtimmung beriels
ben entbá(t), unb fobann etas Subjectives, das
unfre Sinnlichkeit hinzufuͤgt. Hebt man alfo unfte
Sinnlichkeit auf, fo verſchwinden alle Erſcheinungen,
bie ganze Sinnenwelt, als fotd)e, unb weil Raum
und Zeit davon abhangen, auch dieſe (naͤmlich als
ſolche, inſofern fie eine ſinnliche Vorſtellung ſind.)
Was den zweyten Satz anbelangt, ſo trifft der darin
enthaltene Vorwurf die Leibnitziſche Philoſophie nicht.
Leibnitz wußte ſehr gut, daß der Unterſchied des Intel⸗
lectuellen von bec Sinnlichkeit nicht bloß loqiſch, ſon⸗
bern transſcendental ſey. Denn 1; wies er bem Ver⸗
flanbe Gegenſtaͤnde an, bíe burd) bie Sinnlichkeit gat
nid)t vorgeſtellt werden fónnen. — 2) 95ilbete er fid)
aud) nidjt ein, bag man durch eine bloße Aufloͤſung
bec Theile ober Merkmale einer. Erſcheinung, als fof,
diet, (moburd) logiſche Deutlichkeit ent(tebt,) auf ba$
Syntellectuelle fomme; ba man fid) den intelligibeln
Gegenſtand eines Koͤrpers denke, wenn man ſich alle
darin enthaltene Theile und ihre Zuſammenſetzung
mit voͤlligem Bewußtſeyn vorſtellt; aud) bet fo analy,
ſirte Koͤrper bleibt nach ſeinem Syſteme noch immer
Er⸗
fr lig7 ^0
Erſcheinung. Wenn er alfo behauptet, baf durch Er—
hebung ber vermorrenen ſinnlichen Vorſtellung sur deut⸗
lichen, Verſtandeserkenntniß entſtehe, (o behauptet er
einmal damit nicht, bafi alle Verſtandeserkenntniß auf
die Art entſpringe, und ſodann kann er unter Erhebung
zur Deutlichkeit nicht blog tie Auseinanderſetzung der
derkmale ber Erſcheinung, als ſolcher, verſtehen, fon:
dern eine Abſonderung der Merkmale, bie durch unſre
Sinnlichkeit hinzukommen, unb in ber Art unb Weiſe
liegen, wie dieſe von dem Gegenſtande afficirt wird;
wodurch bann eine Vorſtellung deſſen entſteht, ma.
der Gegenſtand an ſich iſt, oder was ihm an ſich ſelbſt
zukoͤmmt, alſo wahre Verſtandeserkenntniß, die aber bey
uns nut abftract unb alfo ſymboliſch, nicht anſchaulich
ſeyn kann. Wenn Leibnitz unter der Deutlichkeit
ber. Verſtandeserkenntniß bloß eine logiſche Deutlich⸗
keit, und unter der Verworrenheit der ſinnlichen bloß
ein Unbewußtſeyn der Merkmale verſtanden haͤtte, ſo
ließe ſich auch gar nicht einſehen, wie er ſchlechthin alle
ſinnliche Erkenntniß verworren haͤtte nennen. koͤnnen;
denn er mußte doch wiſſen, daß ich, wenn ich mir ei—
nen Baum vorſtelle, mir aud) bcc Zweige, Blaͤtter ꝛc.
bewußt bin.
Daß bey einer Unterſuchung uͤber die eigentliche
Beſchaffenheit derjenigen Gegenſtaͤnde, die uns durch
unſre Sinnlichkeit vorgeſtellt werden, ín Beziehung
auf
FAVERM 48. "many
auf ben Unterſchied ber Crfenntnig be$ Verſtandes, bie
fhebeutung einer Erſcheinung nicht in Anſchlag fomme,
bie in ber Phyſik, in bfof empiriſcher Hinſicht guͤltig
iſt, verſteht ſich von ſelbſt. In dieſer Bedeutung un⸗
terſcheidet man eine Erſcheinung von dem, was der
Anſchauung des Gegenſtandes weſentlich anbángt, für
jeden menſchlichen Sinn, unb ín ben meiſten Verhaͤlt⸗
niſſen deſſelben zum Gegenſtande, gilt, und was man
ben Gegenſtand an fid) ſelbſt (in empiriſcher Bedeu⸗
tung) nennt; unb verſteht alfo darunter eine An⸗
fdauung, bie nur ín Beziehung auf ciue befonbere
Stellung ober Organifation dieſes ober jene& Sinnes
gülrig ift. So ift ber 9tegenbogen, ín dieſem Ver⸗
flanbe, eine bloße Crfdeinung, bie Stegentropfen abet
fin^ bie Sachen an fid) ſelbſt. Es erbellet aber leicht,
daß man ín ber. erſtern Hinſicht einen Schritt weiter
gehn, und die Regentropfen, ſo wie alles, was durch
bie Sinne vorgeſtellt wird, wenn es aud) ber An,
ſchauung weſentlich anhaͤngt, und fuͤr jeden menſchli⸗
chen Sinn gilt, fuͤr bloße Erſcheinung halten d. i. zu⸗
geben muͤſſe, daß dies alles, als ſolches betrachtet,
wegfalle, ſobald unfre Sinnlichkeit aufgehoben wird,
(f. 05.) daß e$ folglich nit Dinge an ſich, in trant;
fcenbentalec Bedeutung, , barftelle.
Wenn id) ín meinen Betrachtungen ben Weg bet
Wahrheit nicht gang verfeblt Babe, wenn id) nidt
ganz
ff I149 5
ganz (rte gegangen bin, fo fann man wenigſtens nicht
mit einſtimmen, roenn Kant von ſeiner tranéfcenbene
talen Aeſthetik fagt, baf fie nicht bloß cine ſcheinbare
Hypotheſe, fonbern fo geri. unb ungezweifelt fep, äls
jemals von einer Theorie, bie gum Organon dienen
foll, gefordert werden fónne; man muf vielmebr eins
geſtehen, baf fid) gegruͤndete Zweifel dagegen vorbrin⸗
gen laſſen, die das Urtheil des Denkenden allerdings
zuruͤckhalten duͤrften. Die Folgen, die ſich hieraus
herleiten laſſen, koͤnnen nicht anbere, als febr wichtig
ſeyn, ba (ie bie Beſtinmung ber. Grenzen, die man
bem menſchlichen Verſtande zu ſetzen Dat, Getreffen.
Hievon zu reden, behalt ich mir auf ein andermal vor.
J. G. ££, Maaß.
philoſ. Mag. a. St. e II.
150
——»»———————————————————
II.
Heber bie logiſche Wahrheit
obet
bie transſcendentale Giüftigfeit ber
menſchlichen Erkenntniß.
—J ber. Vergleichung der Leibnitziſchen Vernunft⸗
kritik mit bet Kantiſchen *) fat ber Beweis von der
tranéfcenbentalen Guͤltigkeit ber menſchlichen Grfennts
ni nut angebeutet. merben fónnen, — Die neuern
Schwierigkeiten gegen biefe Guͤltiglkeit machen indeß,
nachdem fie einmal ba ſind, eine weitere Rechtferti—
gung aller Schritte, welche die bisherige Metaphyſik
dazu verſucht hat, nothwendig. Sie hatte die logi⸗
ſche Wahrheit ihrer Vernunfterkenntniß vorausſetzen
zu koͤnnen geglaubt; und da dieſes Recht den bloßen
geſunden Verſtand ſo allgemein auf ſeiner Seite hat:
fo hielt Leibnitz jut Vervollkommnung ber Metaphy⸗
ſik nichts weiter. noͤthig, als an ber Beſeſtigung ber
erſten Grundſaͤtze ber menſchlichen Erkenntniß zu arbei⸗
tear.
*) €. 1r. €t. Nr. 1I,
FMSTM ISI o ae
ten, inbem er uͤber ire. transſcendentale Guͤltigkeit
oder ihre logiſche Wahrheit vollkommen ruhig war.
Er ſchloß fo: bie Grundſaͤtze des Widerſpruchs unb des
zureichenden Grundes haben transſcendentale Guͤltig⸗
keit, folglich muͤſſen alle Wahrheiten, die darauf ge⸗
bauet ſind, ſie auch haben, es koͤmmt bloß darauf an,
daß ſie unter einander und mit ihren erſten Gruͤnden
nach den Regeln der Syllogiſtik verbunden ſind. Daß
die geſunde Vernunft nothwendig ſo ſchließen muͤſſe,
erkennt Hr. Kant ſelbſt; er haͤlt es aber fuͤr eine Illu⸗
fion. Er fagt: (S. 297. ber Gr. b. v. V. erſte
Ausq.) „In unſerer Vernunft (fuljectio als ein menſch⸗
„liches Erkeuntnißvermoͤgen betrachtet, (iegen Grund⸗
„regeln unb Maximen ihres Gebrauchs, welche gaͤnz⸗
„lich das Anſehen objectiver Grundſatze haben, mo;
„durch es geſchiehet, daß bie ſubjective Nothwendig⸗
„keit einer gewiſſen Verknuͤpfung unſerer Begriffe zu
„Gunſten des Verſtandes, fuͤr eine objective Nothwen⸗
„digkeit, der Beſtimmung ber Dinge an fid) ſelbſt, ges
„halten wird. Cine Illuſion, bie gar nicht gu ver:
„meiden | üt.
Der Satz des yureidjenben Grundes hat alſo,
nach Hru. Kants eigenem Geſtaͤndniß, das hier ge⸗
wiß von großem Gewichte iſt, wenigſtens eine allge⸗
meine ſubjective Nothwendigkeit; wir fuͤhlen uns ſo
gar gedrungen, dieſe Verknuͤpfung unſerer Begriffe
$2 auf
FMSTA I152 4"
auf bie Gegenftánbe uͤberzutragen. Das iſt nun zwar,
feiner Meynung nad), eine bloße Illuſion, gleichwol
aber doch eine unvermeidliche.
tan fat bie Illuſionen bisher nur in ber ſinuli⸗
den Erkenntniß zu fürd)ten gehabt, unb man fat fid)
fiber bíe Furcht vor denſelben baburd) beruhigt, baf fie
burd) bas Cid)t des Verſtandes unb ber ?Bernunft koͤn⸗
nen entbedt unb berichtigt werden. Die optiſchen
Taͤuſchungen (inb zwar bem Urtheile be Geſichtes uns
ausweichlich, es kann ſich von den Irrthuͤmern der
Perſpective nicht losmachen; allein die Wiſſenſchaft
weiß aus den Elementen, worin das irrige Urtheil
gegruͤndet iſt, — aus ber Entfernung, bet Lage, bem
Medium, — den wahren Ort, die wahre Groͤße, Be⸗
ſchaffenheit, Geſtalt und Farbe des Gegenſtandes zu
entraͤthſeln. Der Sinnlichkeit koͤmmt alſo ein anderes
Erkenntnißvermoͤgen zu Huͤlfe, um aus ihren Urthei⸗
len die Wahrheit herauszufinden. Welches Erkennt⸗
nißvermoͤgen bleibt aber nun uͤbrig, um den Zauber
der Taͤuſchung zu loͤſen, der, gleich Salomonis Sie⸗
gel, die Kraͤfte des Verſtandes verſchließt?
Die Taͤuſchungen der Sinnen entſpringen aus
ihrem Unvermoͤgen und aus ihren Schranken. Ihr
Wirkungsktreis iſt in aller Abſicht febr begraͤnzt. So
vieles, das fid) ihrer Entdeckungskraft entzieht, giebt
ihren
153 5
ihren Bildern in der Vorſtellungskraft eine Geſtalt,
die nothwendig dem, was ſie ſind, unaͤhnlich ſeyn muß.
Daher kann ein Sinn ſeine Urtheile berichtigen, wenn
er die Gegenſtaͤnde ſeinem Empfindungskreiſe naͤher
bringt, oder gar — wie das Geſicht die Empfindungen
des Gefuͤhls, — einen andern Sinn zu Huͤlſe nimmt.
Aus dieſen Bemerkungen hat man mit Recht ge⸗
ſchloſſen, daß aller Irrthum, — unb mithin alle Sáu:
ſchung, ſeinen Grund in den Schranken, alle Wahrheit
hingegen ihren Grund in der Kraft des denkenden We⸗
ſens habe; daß man ſich alſo nur verſichern duͤrfe,
was in einer Vorſtellung oder in einem Urtheile aus
den Schranken des Erkenntnißvermoͤgens, dem es zu⸗
gehoͤrt, entſtehe, um darin das Wahte vor dem Fal⸗
ſchen zu unterſcheiden. Bey den Urtheilen der Sinne
hilft hier bisweilen der Verſtand, bisweilen hilft ſich
der Sinn ſelbſt, bisweilen helfen ſich die Sinne ein⸗
ander. Alſo ein Erkenntnißvermoͤgen wird ín bec tnr
terſuchung der Wahrheit bald durch ein anderes, bald
durch ſich ſelbſt unterſtuͤtzt; das Gewehr, welches die
Wunde geſchlagen, muß ſie ſelbſt wieder heilen. Wenn
dieſes den Sinnen moͤglich iſt, warum ſollte es nicht
aud) bem Verſtande moͤglich feyn ? Die Sinnen thun
es, inbem fie ihre Svaft verſtaͤrken, fid) Deutlichkeit
und Licht verſchaffen; der Verſtand muͤßte es thun,
indem et ín der Zergliederung ſeiner Begriffe fortgebt,
£3 feine
Vu»*^ [Ty54j ^wux*
feine etften Grunbíáge fefter macht, unb in biefen ife
Band mít ben Gegenftánben gu bemerfen fudit.
Sollte aber bie Uebertragung ber ceinen Vernunft⸗
erkenntniß auf Me Giegenftánbe, bie ifr entſprechen,
durchgaͤngig eine bloße Illuſion feon, fo mürbe ba$
Uebel unheilbar feyn, unb, anftatt bie Sáufdjung aufus
been, müfte ibre Unuͤberwindlichkeit immer einleuch—⸗
tender werden, je mebr ber 33er(tanb mit ber Zerglie—
berung feiner Begriffe tiefer einbránge, unb bie Ver⸗
nunft zu ber Entdeckung ber Quellen bec Wiſſenſchaft
fortruͤckte. Allein bann roürbe biefe llebertragung
keine Sáufdjuug, fein Irrthum mebr ſeyn, e roürbe
Wahrheit, bie unlaugbarjte Wahrheit ſeyn; benn was
iſt Wahrheit, wenn es nicht die Uebereinſtimmung
mit den nothwendigſten Geſetzen des Verſtandes und
der Vernunft iſt?
Das muͤſſen wir alſo verſuchen, und wenn auch
unſer Verſuch nicht gelingt, wenn wir das Abenteuer
nicht beſtehen, wenn ſich der Abgrund, der unſere
Erkenntniß von ihren Gegenſtaͤnden ſcheidet, nicht
ſchließen foll: fo wird vielleicht ein anderer gluͤckli⸗
cherer auf den Truͤmmern der Opfer, die ihn fuͤllen,
bas entgegengeſetzte Ufer erreichen. Das Unterneh—
men, die ſpeculative Vernunft mit bem geſunden
Ver⸗
I55 5
Verſtande in Harmonie gu bringen, wird wenigſtene
nie den Tadel eines billigen Richters verdienen.
Man hat immer unter der logiſchen Wahrheit
ber Erkenntniß ihre Uebereinſtimmung mit ben Geaen:
ſtaͤnden derſelben verſtanden. Dieſer Begriff ift ohne
Zweifel zunaͤchſt von der Wahrheit ber Erfahrungser⸗
kenntniß abſtrahirt. Dieſe Erkenntniß berichtigen wir,
indem wir das, was wir fuͤr ihre Gegenſtaͤnde halten,
durch alle bie Mittel pruͤſen, bie voir in unſerer Ge:
walt haben. Wir betrachten einen Gegenſtand, wenn
wir zweiſelhaſt (inb, ob er eine Flaͤche, ober ein ot:
per i(t, ín ber. Naͤhe; wir nemen das Geſuͤhl zu
Huͤlfe, wenn un$ ba$ Geſicht im Zweiſel laͤßt. Wenn
die Erkenntniß Vernunfterkenntniß iſt: ſo unterſuchen
wir, ob ſle durch die Erfahrung beſtaͤtigt werde, und
wenn roit das finden, fo urtheilen voir, daß fte logi;
ſche Wahrheit habe. Allein dieſe Art der Pruͤfung
laͤßt ſich nicht uͤberall anbringen. Wir koͤnnen nicht
alle Gegenſtaͤnde in der Naͤhe, wir koͤnnen ſie nicht
alle durch andere Sinnen pruͤfen. Die Vernunft hat
zwar ausgemacht, bag ber Mond cine Kugel, unb
keine bloße Scheibe ſey, weil er uns bey ſeinem Um—
drehen beſtaͤndig unter der Geſtalt einer Scheibe et:
ſcheint; allein wir koͤnnen uns von dieſer Wahrheit
weder durch die Betrachtung deſſelben in der Naͤhe,
nod) durch bie Betaſtung verſichern. Einige Vernunft⸗
? 4 wahr⸗
f^Y^ [r56 «wx»
wahrheiten haben endlich Gegenftánbe, bie gaͤnzlich
außer der Sphaͤre der Sinnenerkenntniß liegen, und
dieſe koͤnnen von ber Erfahrung weder Beſtaͤtigung
noch Widerlegung erwarten.
Wie koͤnnen wir uns alſo von ihrer logiſchen
Wahrheit verſichern, wenn dieſe logiſche Wahrheit in
der Uebereinſtimmung unſerer Erkenntniß mit ihren
Gegenſtaͤnden beſteht? 7L if dieſe 3cage bat man aeant;
wortet: aus ihrer metaphyſiſchen Wahrheit folgt notfs
wendig ihre logiſche, bie Cine iſt mit ber andern un:
zertrennlich verbunden. Das heißt nichts anders, als:
ſo bald die vorſtellende Kraft ſich nach ihren nothwen⸗
digen Geſetzen etwas als moͤglich oder außer ſich wirk⸗
lich denkt: ſo muß es moͤglich und außer ihr wirklich
ſeyn; und es kann nicht anders moͤglich und wirklich
ſeyn, als die vorſtellende Kraft durch eben dieſelben
Geſetze genoͤthigt wird, es ſich zu denken. Wenn die
Geometrie uͤberzeugend bewieſen, daß bie Scheibenge⸗
ſtalt die nothwendige Eigenſchaft einer Kugel iſt, von
welcher Seite ſie betrachtet werden mag: ſo iſt ſie ruhig;
ſie fuͤrchtet nicht, daß der Mond eine andere Koͤrper⸗
figur haben werde; ſie ſieht ihn von allen Seiten als
eine Scheibe, ſie weiß daß dieſe Eigenſchaft in dem
Weſen der Kugel nothwendig gegruͤndet ſey. Wie ſie
das Eine durch das Andere in ihrer Erkenntniß nach
dem Satze des zureichenden Grundes nothwendig be⸗
ſtimmt:
FMvfe 157 4»
ftímmt: fo ttágt fie kein Bedenken, dieſe Nothwen⸗
bigfeit aud) auf ben Gegen(taub derſelben uͤberzutragen.
So (tanben die Sachen bisher in ber deutſchen
Philoſophie; man hatte ſich berechtigt gehalten, in
bem Beweiſe ber. metaphyſiſchen Wahrheit einer. Cr
fenntni aud) ben Beweis ihrer logiſchen Wahrheit
zu finden; und dieſes Recht war immer noch unange⸗
fochten geblieben. Allein iſt es wirklich ein unbeſtreit⸗
bares Recht? Das hat man nun angefangen in Zwei⸗
ſel zu ziehen.
Ich, meines geringen Theils, bin von der
Gruͤndlichkeit dieſes Rechts voͤllig uͤberzeugt; allein
das thut nichts zur Sache; denn andere ſind es nicht.
Sie greifen meine Beſugniß an, unb wenn id) fic vet;
tíeibigen will, fo muf id) bie Grünbe anfüfren,
matum id) mir dieſelbe zueigne. yd) bin mir bewußt,
baf mid) dabey fein. Intereſſe ber Bequemlichkeit, ber
Schule, be$ Syſtems unb ber Vorliebe beſticht, ja aud)
nicht einmal bie Furcht, eine Wiſſenſchaft aufsugeben, ber
id) einen grofen S beil meineé Lebens aufgeopfert fabe,
Wenn aud) eim betraͤchtliches Stuͤck ihres Reiches
muͤßte verlaſſen werden: ſo wuͤrde doch noch immer
ein weit betraͤchtlicheres Land übrig blelben, auf wel⸗
chem der menſchliche Verſtand mannigfaltige Blumen
und Fruͤchte des Geiſtes erzeugen, oder wenigſtens in
25 der
—i1538
ber Anbauung deſſelben feine Kraͤfte uͤben koͤnnte. Sjn:
nerhalb ber Graͤnzen dieſes Landes liegen die unbeſtrit—
tenen fruchtbaren Selber ber Ontologie, ber Pſycho⸗
logie, ber Vernunftlehre, ber Aeſthetek uno bee Cit:
tetlebre, bie nur die Joánbe geſchickter und unverbrof
ſener Arbeiter ſodern, um für bie Nahrung und baé
Vergnuͤgen des Geiſtes gleich ergiebig zu werden.
Allein auch an der Bearbeitung der beſtrittenen Wiſſen⸗
ſchaften der Kosmologie und der Theologie brauchen
wir die Haͤnde nicht ſinken zu laſſen; wir koͤnnen an
ihrer Erweiterung immer ſortarbeiten, wir koͤnnen (ie
immer mit neuen Wahrheiten zu bereichern ſuchen,
ohne uns auf bie transſcendentale Guͤltigkeit dieſer Wahr⸗
heiten vor der Haud einzulaſſen. Auf dieſe Art haben
ſelbſt die Mathematiker die Zeichnung ganzer Wiſſen⸗
ſchaften vollendet, ohne von der Realitaͤt des Gegen⸗
ſtandes derſelben mit einem Worte Erwaͤhnung zu thun.
Das laͤßt fid) mit einem merkwuͤrdigen Beyſpiele betes
gen, mit einem Beyſpiele, das zu treffend und zu
lehrreich iſt, als daß ich es nicht ſollte hier anfuͤhren
duͤrfen. Apollonius und ſeine Ausleger haben die
ganze Theorie der Kegelſchnitte aufgebauet, ohne irgend⸗
wo die Art zu lehren, wie die Ordinaten auf den
Durchmeſſern dieſer krummen Linien applicirt werden,
und gleichwol ruhet darauf die Realitaͤt der ganzen
Theorie. Waͤre dieſe Application nicht moͤglich: ſo
waͤre aud) bie Conſtruction ber Kegelſchnitte nicht aué:
zu⸗
—159 ^w"
zufuͤhren; ed wuͤrde ungewiß feo, o5 e£ ein Cubject
gebe, bem bie Eigenſchaſten gufommen, welche üt
allen ben ſchoͤnen Problemen ber Theorie von ilm 6e
miefen fin, *)
Die ?fmvenbung dieſes Verfahrens anf. die 9e:
taphyſik iſt leicht. Man laſſe den Beweis von der
Wirklichkeit ber Subjecte der Monadologie und Theo⸗
logie vor der Hand noch ausgeſetzt ſeyn; das was die
Wiſſenſchaſt von ihren Eigenſchaſten beweiſet, wird
indeß nicht weniger Wahrheit haben, und wenn wir
das ganze Buch der Vernunft daruͤber durchgeleſen ha⸗
ben, wer weiß, ob wir nicht endlich noch die Ueber—
zengung von ber. Wirklichkeit ihrer Subjecte auf. bem
letzten Blatte finden?
Doch
Eustotius, Memur, et Commendiuur cum Apollonio I,
affumunt rectas lineas ordinatim diametris fectio-
num conicarum applicatas, licet mullibi doceant
eas applicare: & forte Apollonius eam praxin in
librum fuum VIII. circa problemata conica diftu-
lera. Haec vero fuppofitio legitima eft, pofita
definitione feu natura ipfarum rectarum ordinatim
diemetris applicatarum. Subjefhum enim definitum
aſſumi potefl , ut affec'iones variae de eo demonflren-
fur, licet praemiffa nou fit ars fubjeclum ipfum ef-
formandum delineandi. Jo. Alph. Borelli Admonitio
ver f. Ausg. von Apollonii Con, Sect. XXII,
fr^ 160 ^"
Doch ofne uns mit eínem wer weiß: zu 6e
gnuͤgen, ohne abzuwarten, ob uns nicht vielleicht die
Zeit bie Entdeckung dieſes letzten Blues ungeſucht
darbieten wird, laſſen Sie es une wagen ſeinen Inhalt,
nach dem Beyſpiel der Mathematiker, durch eine kuͤhne
Divination zu finden.
Es fómmt fier auf zwey Stuͤcke an: erſtlich
auf die transſcendentale Guͤltigkeit der Form unſerer
Erkenntniß, und zweytens auf die Realitaͤt der Ma⸗
ferie oer reinen Vernunfterkenntniß.
Syóre richtige Form erhaͤlt unſere Erkenntniß
durch die Verbindung ber Wahrheiten nad) bem Satze
des Widerſpruches und des zureichenden Grundes.
(S. dieſ. phil. Mag. r. €t. S. r4.) Was dieſen
Gruudgeſetzen der Vernunft gemáfi iſt, das ift wahr,
und wenn wir uns ſeiner Wahrheit bewußt ſind, gewiß.
Es fragte ſich nur, ob die nach dieſer Form gedachten
Gegenſtaͤnde eben fo wahr unb gewiß ſind, ober ob
alles in ben Gegenſtaͤnden fo ſey, wie wir es nad)
dieſen Geſetzen erkannt haben, oder endlich, ob nach
Herrn Kants Sprache dieſe Geſetze eine transſcenden⸗
tale Guͤltigkeit haben?
Die bisherige Metaphyſik hat dieſes als unfeug:
bar angenommen. Hat ſie daran recht gethan? Wenn
ſie
f^Avr^ rÓ6r wa
fie affe ire SBernunfterfenntni$ nad; dieſen Geſetzen
formt, wenn fie fid) bie Gegenſtaͤnde tiefen Gefe&en
gemáf ben£t, unb menn fie gugícid) dieſe Geſetze aus dem
Weſen ber Vernunft felb(t nimmt: fo erbellet von
neuem, baf fie, wenigſtens in. Anſehung ber Sornt,
gerade bas tut, was Hetr Sant von cíner ádten
Metaphyſik fobert, — ſie verlangt, baf fid) tie Ges
genftánbe nad) ber Erkenntniß richten. Alſo nod) einr
mal: — Kann ſie das verlangen ?. ober, welches einet;
ley ift, haben bie Grundgeſetze ber. menſchlichen Er⸗
kenntniß transſcendentale Guͤltigkeit?
Wir wollen unſere Unterſuchung ſo einrichten,
daß wir von bem Satze des zureichenden Grundes am;
fangen, wir wollen dem Beweis deſſelben eine ſolche
Wendung geben, daß ſeine Abhaͤngigkeit von dem
Satze des Widerſpruches etwas leichter als bie bisheri⸗
gen ín bie Augen faͤllt; wir wollen bie transſcenden⸗
tale Guͤltigkeit des Satzes des Widerſpruchs beſſer
auseinander ſetzen; auf dieſe Weiſe wird dann auch
eben dieſe transſcendentale Guͤltigkeit des Satzes des
zureichenden Grundes einleuchten.
Diejenigen Philoſophen, die ben Cat ſelbſt an:
nehmen, ob ſie gleich bisher keinen Beweis deſſelben
buͤndig genug gefunden haben, wollen ihn als einen
Grundſatz zulaſſen, ben man aud) ohne Beweis anneh⸗
men
f2.vTr^ I1602 ^"
men kann. Das mürbe nun zwar turf ben Gebrauch
bet beſten Mathematiker, fel6ft des Euklides autfjor
riſirt werden, ber unter ſeinen Axiomen einige Cá(e
hat, die wol noch eines Beweiſes beduͤrfen, die aber
ohne Beweis vorgetragen werden, weil man ſie fuͤr
notiones communes oder xo»«s m»was hault, bít
jedermann bereit i(t, ohne Beweis gugulaffen.
Allein in ber Philoſophie duͤrfen wir dieſes Ver—
ſahren nicht nachahmen, unb am wenigſten mit bem
Satze des zureichenden Grundes. Der Mathematiker
fat alle Geſetze der Methode beobachtet, unb alle Fo—⸗
derungen ſeiner Wiſſenſchaft erfüllt, menn die Be⸗
weiſe ſeiner Lehrſaͤtze in richtiger Verkettung an die
Axiomen anſchließen, uͤber die er mit ſeinem Leſer iſt
eins geworden. So bald man ihm eines von ſeinen
Axiomen leugnet: ſo fallen freylich auch alle Lehrſaͤtze,
bie von demſelben abhangen. Das iſt aber. ein fo ſelte—
ner Fall, baf er nicht glaubt, ibm bie unverwickelte
Leichtigkeit feines 9Bortrageó unb bic ſchoͤnen Verhaͤlt⸗
níffe feine Lehrgebaͤudes auſopſern zu müffen.
Die Philoſophie mug gefaͤlliger ſeyn. &o Bab
eines ihrer Axiome in Zweifel gezogen, ober gat at:
leugnet wird, ſo mu fie es, wofern fie es anders ge:
brauchen will, mit Beweiſen unkerſtuͤtzen, zumal
wenn es in allen phyſiſchen unb moraliſchen Wiſſenſchaf⸗
ten
F^»f^ 1605 ^»
fen von fo weitem Umfange ift, als bcr Caf des gu
reichenden Gruudes. Nun kann dieſer Satz nicht an;
ders als a priori bewieſen werden; denn ein Beweis
durch Induction iſt unmoͤglich. Die Gruͤnde der
Dinge ſind in vielen Faͤllen ſo verſteckt, daß die Er—
fahrung ſie nicht immer entdecken kann. Diejenigen
alſo, die ſeine Allgemeinheit leugnen, koͤnnen eben ſo
viele Erfahrungen gegen denſelben anfuͤhren, als ſeine
Vertheidiger fuͤr ihn. Wenn alfo ber Satz des zurei⸗
chenden Grundes a priori ſoll bewieſen werden: ſo
muͤſſen wir ihn aus einem hoͤhern Grundſatze herlei⸗
ten. Nun giebt es fein hoͤheres Axiom, als ben Satz
des Widerſpruchs. Die allgemeine Wahrheit des
Satzes des zureichenden Grundes kann daher nur aus
dieſem demonſtrirt werden; und das kann, glaub ich,
am deutlichſten ſo geſchehen:
Allẽs hat entweder einen Grund, oder nicht alles
fat einen Grund. Sm letzten Falle koͤnnte alſo et:
was moͤglich und denkbar ſeyn, deſſen Grund Nichts
waͤre. Wenn aber von zwey entgegengeſetzten Dingen
Eines ohne zureichenden Grund ſeyn koͤnnte: ſo koͤnnte
auch das Andere von den beyden Entgegengeſetzten ohne
zureichenden Grund ſeyn. Wenn z. B. cine Por—⸗
tion Luft ſich gegen Oſten bewegen und alſo der Wind
gegen Oſten wehen koͤnnte, ohne daß im Oſten die
Luft waͤrmer unb verduͤnnter waͤte: fo wuͤrde dieſelbe
Por⸗
Fou 164 ^uae
fportíon Luft fid) een fo gut gegen Weſten bewegen
fónnen, als gegen Often; dieſelbe Luſt wuͤrde (id) alio
zugleich nad) zwey entgegengeſetzten Richtungen bewe⸗
gcn koͤnnen, nad) Oſten unb Weſten ju, unb alſo ger
gen Ojten unb nidt gegen Oſten, 5. i. e$ koͤnnte et:
was zugleich ſeyn unb nicht ſeyn, welches widerſpre⸗
chend und unmoͤglich iſt.
Zwey Saͤtze, ble einander widerſprechen, kann
ich nicht zugleich fuͤr wahr halten: welchen von beyden
werde id) aber nun fuͤr wahr halten koͤnnen? — Den⸗
jenigen, deſſen Praͤdicat bereits als eine Beſtimmung
in bem Begrifſe des Subjects entfalten ift, ober durch
etwas aufer demſelben beſtimmt wird. Dieſe SDeftim:
mung des Subjectes fe mun eine nothwendige
ober zufaͤllige Beſtimmung, fe muf id fie mir vor(tes
(en, wenn (d) mír ben einen unter. zwey voiberfpres
chenden Saͤtzen als wahr unb moͤglich vorſtellen will.
Sie muß alſo Etwas ſeyn, denn ſonſt wuͤrde auch das
Nichts koͤnnen vorgeſtellt werden; d. i. der Grund
von der Wahrheit eines wahren Satzes muß Etwas
ſeyn; denn der Grund iſt das, woraus man erkennen
kann, warum etwas iſt, und warum es ſo und nicht
anders iſt. Warum iſt bet Satz wahr: ein hoͤlzer⸗
nes Dreyeck kann verbrannt werden? weil zu dem
Subject die Beſtimmung gehoͤrt, daß das Dreyeck
von Holz iſt. — Warum kann es eben jet verbrannt
wer⸗
* 165 «wc»
werden? — Weil man es ins Feuer gelegt hat. Die
Beſtimmung des Subjects, baf es von Holz ift, ift
der Grund, daß es an ſich moͤglich iſt, es zu verbren⸗
nen; die Beſtimmung, daß es eben jetzt im Feuer
liegt, ift der Grund, marum e$ eben jetzt kann ver:
brannt metben, Wenn alfo von írgenb einem Sub⸗
jecte zwey roiberfpredjenbe "Drábicate móglid) finb: fo
muf Etwas feyn, marum ibm ba$ Eine unb nidjt das
Andere gutómmt.
Dieſer Beweis ift alfo auf ben Satz bes Wider⸗
ſpruches zuruͤckgefuͤhrt; benn feine ganje Kraft liegt
barín: Wenn ber Satz bes zureichenden Grundes nidjt
allgemeine Wahrheit Dátte; fo tónnte Ein &ubject gu;
gleid) zwey widerſprechende fDrábicate faben. — Gr
mírb alfo transícenbentale Guͤltigkeit haben, fo bald
ber Caf be Widerſpruchs fie Dat. — Hat er bie? Wir
fónnen freylich nid)t in Abrede fepn, bag ber Satz des
Widerſpruchs eine ſubjective Gewißheit fat. Ich
muß irgendwo bey einer erſten Wahrheit ſtehen blei⸗
ben, woran die Kette aller uͤbrigen befeſtigt iſt. Dieſe
erſte Wahrheit kann ihre Gewißheit von keiner andern
Wahrheit in der Reihe erhalten, ſonſt wuͤrde ſie nicht
bie erſte ſeyn. Was hewegt mid) alſo, fie anzuneh⸗
men? Nichts anders, als das Bewußtſeyn, daß ich
nichts widerſprechendes denken kann. Wenn ich es
verſuche, ſo fuͤhl ich, daß die eine Operation meiner
Philoſ. Mag. 2. Gr. M vor⸗
FLU (i60 ^nm
vorſtellenden Saft bie anbere zerſtoͤhrt. Was allé
Etwas, was alfo denkbar fepn fof, darf nichts mibet:
ſprechendes enthalten, es darf nicht zugleich A und
nicht A ſeyn. Kann ich das nun auf jeden Gegenſtand
uͤbertragen; kann es auch keinen Gegenſtand, kann es
nichts von mir verſchiedenes geben, worin etwas wider⸗
ſprechendes, etwas deſſen Praͤdicat zugleich A unb
nicht A waͤre? Ich ſehe, daß es in meinen Gedan⸗
fen nicht ſeyn kann, unb zwar nicht barum, weil e$
dieſe Gedanken, oder weil es uͤberhaupt Gedanken
ſind, ſondern weil es ein voͤllig unbeſtimmtes A iſt,
das durch das eben fo unbeftimmte Nicht A zerſtoͤrt
unb aufgehoben wird. Es muß alfo nicht bloß vor
meinen Gedanken gelten, es muß eine allgemeine Guͤl⸗
tigkeit haben, ich muß es von meinen Vorſtellungen
auf die Gegenſtaͤnde uͤbertragen koͤnnen. Der Grund⸗
ſatz des Widerſpruchs iſt alſo ein objectiver Grundſatz,
und, der Satz des Grundes, wenn er von ihm ſeine
Gewißheit erbalt, muß es aud) ſeyn.
Hier haben wir dann die Quelle der unvermeid⸗
lichen Nothwendigkeit, ben ſubjeetiven Geſetzen der
Vernunft eine objective Kraft zu geben, die Herr Kant
eine Illuſion nennt, welche gar nicht zu vermeiden iſt.
Sollte es eine bloße Illuſion ſeyn: ſo muͤßte die Ueber—
tragung unſerer Erkenntniß, aud) menn fle auf ihren
erſten Grundſaͤtzen beruhet, ein Irrthum ſeyn, und
Jie
"CMTR 167 "n
dieſe erſten Girunbfáge müften feine objective Wahr⸗
Deit haben. Kann man inen abet bíefe, wie wir ers
wieſen zu Daben glauben, nicht abſprechen: fo (at
alle unfere Grfenntnif, bie dieſen Grunbfágen gemáf ift,
gleichfalls ihre unleugbare logiſche Wahrheit, unb bie
Nothwendigkeit, ihr eine objective Kraft zu geben, iſt
keine Illuſion.
Die Schwierigkeiten, die bey der transſcenden⸗
talen Guͤltigkeit der Form an ſich ſelbſt vorkommen,
ſchienen alſo gehoben. Allein damit waͤren wir nicht
viel weiter, menn. keine Materie moͤglich waͤre, bie
dieſer Form zum Stoffe bient, uno der Erkenntnißkraft
Gegenſtaͤnde gaͤbe, die eine Subſiſtenz haben, welche von
ihr verſchieden iſt.
Es iſt bekannt, daß der Verfaſſer der Crit. der
reinen Vernunft keinen Stoff der Erkenntniß zulaͤßt,
als das, was er die Form der Anſchauung nennt, naͤm⸗
lic) den Raum für ben aͤußern Sinn, und die Zeit fuͤr den
innern. In welche enge Graͤnzen er die Erkenntniß durch
dieſe Beengung ihres Stoffes zuſammenziehe, iſt bereits
ín dieſem Magazine *) beinerkt worden. Um aber das
nicht zu wiederholen, was uͤber dieſen Theil ſeiner
Theorie iſt erinnert worden: ſo ſey es uns erlaubt,
bie dort bloß angedeuteten Vetrachtungen bier etwas
weiter fortzufuͤhren.
$a eit
*) 1. €t, S. 19.
1608
Sie reichen vor der Hand wenigſtens ſo weit,
daß wir annehmen duͤrſen: 1) die Formen der Er—
kenntniß des Herrn Kant, ſeyen nur Formen der
Sinnenerkenntniß, keinesweges aber der Verſtandes⸗
erkenntniß; 2) ſie ſeyen alſo nur die einfachſten Be⸗
griffe dieſer Sinnenerkenntniß; 3) die einfachſten Be⸗
griffe der Verſtandeserkenntniß ſeyen unbildlich und
uͤberſinnlich; 4) dieſe Verſtandeserkenntniß ſey in
abſtracto bloß ſymboliſch, unb nur in concreto arn:
ffauenb, unb ba$ einfadjfte anſchauende Merkmal
berfelben fey Vorſtellung.
Der reine Verſtand des endlichen Geiſtes, bet;
gleichen der menſchliche iſt, hat alſo keinen Gegenſtand,
deſſen Erkenntniß in dem menſchlichen Geiſte anſchauend
ſeyn kann; daruͤber ſind alle ſtreitende Parteyen eins.
Nur behauptet die eine Partey, daß dieſer Gegenſtand,
ob er gleich keine unmittelbar anſchauende Erkenntniß
zulaͤßt, dennoch ein wahrer Gegenſtand ſey; und ſie fin⸗
bet bie Gruͤnde für dieſe Meinung ſelbſt in ben Bildern
des Raumes und der Zeit, die die erſten Elemente aller
Sinnenerkenntniß ſeyn ſollen, in dem Beduͤrfniß, von
dieſen Bildern außerhalb der Sphaͤre ber. Sinnener⸗
kenntniß Grund anzugeben. Eine kurze Seralieber
rung derſelben wird uns vielleicht davon uͤber⸗
zeugen.
Bey
f^»f^ 169 UL
Bey ber Seit finben fid) ber Schwierigkeiten bie:
ftt Zergliederung weniger ; wir wollen alfo bamit an:
fangen. Die concrete Seit, obet bíe Seit , bie roit
empfinben , i(t nichts anders, afó Me Succeſſion un:
ſerer Vorſtellungen; benn aud) bie Succeſſion in. der
Bewegung laͤßt fid) auf bie Cucceffion ber Vorſtellungen
jurüdóringen. Die concrete Zeit i(t alfo etwas Su:
ſammengeſetztes; ijre einfache Glemente ſind Vorſtel—
tungen. Da alle endliche Dinge in einem beſtaͤndi⸗
gen. Fluſſe (inb: fo koͤnnen dieſe einfachen Elemente nie
empfunben werden; ber innere Sinn kann fie nie ab:
acfonbert empfinben ; (ie werden immer mit etwas em:
pfunben, das vorferaeft unb nadfofgt. Da feret
bec Fluß ber Veraͤnderungen allec enblid)en Dinge ein
ſtetiger ununterbrochener Fluß ift: fo ift kein empfinb:
baret Theil ber Seít bet fleinfte, ober ein vàllig einfa⸗
dr. Die einfad)en Elemente ber concreten Seit. [ies
gen alfo vàllig außerhalb ber &pbáre ber Sinnlichkeit;
das i(t ber Beobachtung ber bisherigen Metaphyſik
gar nicht entgangen, unb Leibnitz bat daruͤber mit
ſeinem gewoͤhnlichen Tiefſinne philoſophirt. Ueber
dieſe Sphaͤre der Sinnlichkeit erhebt ſich nun aber der
Verſtand, indem er das unbildliche Einſache entdeckt,
ohne welches das Bild der Sinnlichkeit auch in Anſe⸗
hung der Zeit nicht moͤglich iſt. Er erkennt alſo, daß
zu dem Bilde der Zeit zufoͤrderſt etwas Objectives
gehoͤre, dieſe untheilbaren Elementarvorſtellungen, wel;
M3 dr
[£o Ae ol 170 wu
che zugleich mit ben (ubjectiven Gruͤnden, Me ín
ben. Schranken des endlichen Geiſtes liegen, fuͤr die
Sinnlichkeit das Bild der concreten Zeit geben. Denn
vermoͤge dieſer Schranken koͤnnen dieſe Vorſtellungen
nicht zugleich ſeyn, und vermoͤge eben dieſer Schran⸗
fen koͤnnen (ie ín bem Bilde⸗ nídt unterſchieden
werden.
Wenn die concrete Zeit nicht ohne objective
Gruͤnde moͤglich iſt, ſo wird es auch die abſtracte
nicht ſeyn, wofern ifr Begriff vollſtaͤndig abgezogen,
und folglich wahr ſeyn ſoll. Nur was in der erſtern
Vorſtellungen und beſtimmte Vorſtellungen ſind, das
ſind in der letztern unbeſtimmte auf einander in einem
ſtetigen Fluſſe folgenbe Veraͤnderungen. Die Elemente
der abſtracten Zeit ſind alsdann untheilbare Augenblicke,
und dieſe Augenblicke verhalten ſich zu der abſtracten
Zeit eben fo, voie die unbeſtimmten Einheiten zu der
abſtracten Zahl. Es iſt alſo eine doppelte Verwirrung,
wenn man die Elemente der Zeit fuͤr leere Vorſtellun⸗
gen haͤlt, fuͤr Vorſtellungen, die keinen Gegenſtand
haben, und zwar darum, weil ihnen die Form der
Anſchauung fehlt. Denn den Elementen der concreten
Zeit feit dieſes Anſchauende nicht, e$ ift die Vorſtel⸗
lung ſelbſt; (S. 169.) bie. Elemente der abſtracten
Zeit haben zwar unmittelbar. nichts anſchauendes,
ſie haben es aber mittelbar in dem Concreten, von
dem
funr x7x T 1 78
bem bie abfttacte Seit abgezogen iſt. Dieſe Materie
ließe fid) nod) weiter verfolgen; wir gedenken aber 6ey
einer. andern Gelegenheit wieder darauf zuruͤcczukom⸗
men und ſie noch von andern intereſſanten Seiten zu
betrachten.
Bey der Zergliederung der Zeit muͤßten wir alſo,
um ſie auf Einmahl zu Ende zu bringen, in das Gebiet
des Verſtandes übergeben, unb dieſes Erkenntnißvermoͤ⸗
gen wuͤrde dann in ſeiner eigenthuͤmlichen Region, zwar
nicht bildliche, aber darum keine weſenloſe, begriffleere
Gegenſtaͤnde haben. Die vielſeitige Gleichartigkeit der
andern Form bec Anſchauung, des Raͤums, mit bet
Zeit, uͤberhebt uns der Muͤhe, von der Zergliederung
derſelben alles das zu wiederholen, was ſie mit der
Zergliederung der Zeit gemein hat, und erlaubt uns,
unſere Unterſuchung bloß auf das einzuſchraͤnken, was
ihr eigenthuͤmlich iſt. Die erſten Elemente des Zu—
ſammengeſetzten, mit welchem der Raum zugleich da
iſt, ſind eben ſowol, wie die Elemente der Zeit, einfach
unb aufer bem Gebiete ber Simlichkeit; fie ſind Ver—
ftanbesmefen, unbildlich, fie koͤnnen unter. keiner ſinn⸗
lichen Form angeſchauet werden, ſie ſind aber dem un—
geachtet wahre Gegenſtaͤnde, das alles haben fie mit
den Elementen der Zeit gemein. Allein nun hat der
Raum noch etwas eigenthuͤmliches, und deſſen Zer—
gliederung ift einigen Schwierigkeiten mehr unterworfen.
$4 Der
FP^APVPM r72 "wu
Der concrete Raum iſt mit bem Sufammenge:
fe&ten zugleich ba, unb dieſes 3ufammengefeGte i(t bet
Koͤrper; bec Koͤrper iſt aber, ſofern er zuſammengeſetzt
iſt, ein Aggregat einfacher Subſtanzen. Hier ſind
zwey Schwierigkeiten ſtatt Einer. Denn erſtlich
ſagt man, der Koͤrper iſt ein Inbegriff von Erſchei⸗
nungen; der Raum, der mit ihm zugleich da iſt, iſt
eine Erſcheinung, oder Etwas, deſſen Bild ſeinen
Grund in den Schranken der Vorſtellungskraft hat;
was iſt er aber an ſich?
Wenn das: was iſt der Koͤrper an ſich und außer
bet Erkenntniß? fo viel heißt, als: was iſt er außer
aller Erkenntniß? ſo iſt die Frage ungereimt, und
man kann von keinem Philoſophen eine ungereimte
Frage vermuthen. Die ganze Critik der rein. Vern.
ſagt auch nur: was iſt er außer der ſinnlichen Er⸗
kenntniß? Daß aber. die transſcendentale Aeſthetik bit:
fet Kritik alle unſere Erkenntniß auf diejenige einſchraͤnkt,
bey welcher Raum unb Zeit als bie einfachſten Merk⸗
male aller unſerer Vorſtellungen oder als Formen der
Anſchauung zum Grunde liegt, das iſt bereits bemerkt
worden. Wir haben aber auch gegen dieſe Critik
Erinnerungen gemacht, von denen wir glauben, daß
fie einige Erwaͤgung verdienen.
Die
FMAMEM 173. ^ac»
Die Glemente ber. Koͤrper, bie (egten. Gruͤnde
be$ Ausgedehnten, finb alfo aufer bem Gebiete bet
Sinnlichkeit, bie Sinnlichkeit fann un$ nicht fagen,
was fie an fid), ohne bie Sorm ber Anſchauung des
aͤußern Sinnes (inb. — Aber ber Verſtand fann e$,
unb wir faben aefefen, ba zwar bie Merkmale bet
Begriffe dieſes Erkenntnißvermoͤgens nicht bilblid), nicht
finnlich ſind, aber daß ſeine Begriffe nichts deſto we⸗
niger ihre wahren Gegenſtaͤnde haben.
Alſo fuͤr den reinen Verſtand iſt der letzte Grund
der Erſcheinungen, die wir an dem Koͤrper wahrneh⸗
men, und mithin auch des Raums, in den einfachen
Subſtanzen.
Was iſt aber zweytens das Subſtanzielle, das
Subſtratum der Accidenzen, die von den Subſtanzen
zu erkennen ſind? Das iſt die andere Schwierigkeit,
die der Unterſuchung uͤber den Raum eigenthuͤmlich iſt.
Hier darf man wieder die Fragen unterſcheiden: Was
ift e$. für bie Sinnenerkenntniß? Nichts. — Denn
bie Sinnen (tellen uns nur 9Beránberungen, unb alfo
Accidenzen vor. Was ift e abet (ür ben 3Berftanb? —
Das Fortdaurende, wovon die Accidenzen SDeftimmun:
gen ſind, die Kraft, welche ihren Grund enthaͤlt.
Dieſes Beharrliche, dieſes Subſtanzielle liegt freylich
außer der Sphaͤre der Sinne, der Verſtand kann ſich
9 5 bavon
FTT I74 was
Pason feine anſchauende Vorſtellung made; es
muf aber bafeyn, menn bie Grundgeſetze ber 3Becnunft
einen objectiven Werth, logiſche Wahrheit ober trans⸗
ſcendentale Guͤltigkeit haben. Wenn alſo keine Form
ber Anſchauung dabey gum Grunde liegt: fo beroei(t,
baé nur, baf es nicht ben Sinnen erfennbar ift; benn
nur für biefe finb die Formen bet Anſchauungen not,
wendige Bedingungen bet GrfenntniB, keinesweges
aber fuͤr den Verſtand.
Co glauben wir alſo die transſcendentale Guͤl⸗
tigkeit ober bie logiſche Wahrheit ber menſchlichen Gr;
kenntniß, ſowol von Seiten ihrer Form als ihrer Ma⸗
terie, nad) unſerer Ueberzeugung, vor ber Hand qe;
tettet zu haben. Die Schranken, die wir uns vorge⸗
ſchrieben haben, verbieten uns, dieſe Materie jetzt
weiter auszufuͤhren; roit werden aber noch oͤſter, die⸗
ſelbe zu beruͤhren, Gelegenheit nehmen.
III.
175 unc
«9f Re e 0e) e e He e etm
III.
Beytrag zur Geſchichte ber Baͤrte.
— —ñ —ñ—
Sue Meberfdorift ſcheinet etwas fo unwichtiges zu
verſprechen, daß es ſchwerlich in. eine Zeitſchriſt auf
genommen zu werden verdienet, welche nicht bloß dem
Zeitvertreibe, ſondern ber Aufklaͤrung ber interefjante:
ſten Gegenſtuͤnde gewidmet iſt. Alleuſalls tóunte man
nad) derſelben hoͤchſtens einen. entbehrlichen Beytrag
zur Geſchichte ber Moden erwarten. Allein geſetzt
auch; ſollte nicht aud) dieſe fo koͤnnen betrachtet vei:
den, daß ſie dem philoſophiſchen Beobachter zu einigen
intereſſanten Bemerkungen koͤnnte Gelegenheit geben?
line nur auf dieſe Art wuͤnſche id) dieſen kleinen Bey⸗
trag zur Geſchichte ber Barte nuͤtzlich gu machen. €
ſoll zugleich zu einer Probe von dem Stolze und der
Eitelkeit der Geiſtlichen in den vorigen Jahrhunderten
dienen, und nebenher wird man ſich vielleicht daraus
von ber Veraͤnderlichkeit ber Eitelkeit uͤberzeugen fon:
nen, bie, nachdem e3 bie Mode will, 6alb auf eíne
Tracht, bald auf bie entgegenſtehende einen. Werth
ſetzet.
Ich
(TA 176 wa
Sid) weiß nid)t, ob mam bereits bemerkt fat,
baf in bcn mittleren Seiten ber Bart ein Kennzeichen
war, wodurch (id) bíe Layenſchaft von ber Geiſtlichkeit
unterſchied. Das fdjeinet roeníg(ten$ nod) nidt fo
Defannt zu ſeyn, baf die fe&tere ifr geſchornes Sinn
für einen Vorzug hielt, beffen fid) bie Layen ohne ba$
groͤßte Verbrechen nid)t anmafen fonnten. — &ie hielt
uͤber dieſen Vorzug ſo ſtreng, daß ſie ſogar Wunder
erdichtete, um einen fo laͤcherlichen Vorzug ber Geiſt⸗
lichkeit gegen die Layen zu behaupten.
Ein Benedictinermoͤnch des Kloſters Ct.
Emeran im eilften Jahrhundert erzaͤhlet folgende Ge⸗
ſchichte *). „Ein Mann vom hoher Geburt wurde
„eines Pferdediebſtahls beſchuldigt. Der Graf der
„Provinz, zu welcher er gehoͤrte, befahl ihm, ſobald
e tt die That vernommen, das Pferd entweder wieder⸗
zugeben oder ben Werth deſſelben zu bezahlen. Der
„Beſchuldigte, uͤber dieſen Beſehl beſtuͤrzt, verſprach,
„durch jeden Beweis, ben man verlangen wuͤrde, fid)
„von dem auf ihn gebrachten Verdacht zu reinigen.
.Dieſe Reinigung ſollte alſo auf Sbefebt des Grafen
„in Gegenwart vieler Zeugen, vermittelſt des gewoͤhn⸗
„lichen Waſſerurtheils vor ſich gehen. Die Rich—⸗
„ter
*) Narratio Orhloni de Miraculo, quod accidit nuper
cuidam Laico; in Pezii Thef. Anecd. T. III. P. II.
P. 397-
Fok^F^ 177 «wem
» tet unb Zeugen famen neb(E ben Parteyen an. bem
» beftimmten Orte zuſammen, bie *Drobe vourbe vot;
»9enommen, unb bet Beklagte ſchuldig Defunben.
„Durch biefen Ausgang ber Sache rourbe er. áufec(t
„niedergeſchlagen; er ſcheuete fid) nid)t nur vor ber
„Wiedererſtattung be$ Pferdes, fonbern aud) vor bem
»Sorne beó Grafen, von bem er mute, bof er ifn
„nicht fdonen wuͤrde. Er berief alfo alle Geiſtliche
„der Gegend zuſammen, um von ihnen zu vernehmen,
„wie er fid) von einem Verbrechen befreyen koͤnne, an
» bem er fid) gany unfdjulbig roüfte. ,,
» Det Rath bet verfammleten Geiſtlichkeit ging
»babin: et folle alle feíne Suͤnden überbenfen, eine
s allgemeine Beichte ablegen, unb Beſſerung verſpre⸗
„chen. Die Antwort bes Beſchuldigten mar, et babe
„dieſes alles ſchon getfan, unb wiſſe fid) feiner Suͤnde
„zu erinnern, die er nicht bereits gebeichtet habe.
„Hier erhob Einer aus der Verſammlung ſeine Stim⸗
„me und ſagte: wie kannſt du das behaupten, da ich
„an dir eine Suͤnde wahrnehme, die bu uns nicht ge
„beichtet haſt und auch nicht einmal fuͤr eine Suͤnde
„haͤltſt ? denn da du ein Laye biſt und nach Art der
„Layen ſchlechterdings einen Bart tragen ſollteſt, ſo
„haſt bu bir, als ein Veraͤchter des goͤttlichen Geſetzes,
» gleid) einem Geiſtlichen, mit glattem inne einherzu⸗
» tbe angemaßet. Dieſe Suͤnde, ob du fie aleid)
» fi
178
„fuͤr nichts haͤltſt, ift fo groß, bag bu ſchlechterdings
y» nidt von bem Verbrechen, deſſen man bid) beſchul—
» bígt, Fannft losgeſprochen werden, wofſern bu nidyt
„Buße thuſt, unb Gott, es fünftia zu vermeibett,
„verſprichſt. Als der Beſchuldigte dieſes hoͤrte, ant⸗
„wortete er: Siehe, ich verſpreche hiermit, daß,
„wenn mich Gott von dem Verbrechen, deſſen ich
„verdaͤchtig bin, losſpricht, kuͤnftig fein Schrermeſſer
„uͤber meinen Bart kommen ſoll. Hierauf ging man
„wieder zu dem Waſſer, und alle waren begierig zu
„ſehen, ob ihm ſeine Beichte dieſes neuen Verbrechens,
, unb ſeine Zuſage e$ kuͤnſtig zu vermeiden, etwas Get;
„fen wuͤtrde. Die Probe wurde wiederholet, unb fie
„fiel zu ſeinem Vortheil aus. Alle, die gegenwaͤrtig
„waren, preiſeten Gott uͤber bie Unſchuld des Beklag—
„ten unb uͤber bie Offenbarung bet goͤttlichen Gerech⸗
„tigkeit; allein der reuige Suͤnder vergaß der Barm⸗
„herzigkeit Gottes, bie ihn losgeſprochen hatte, vet:
„lachte ſeine Zuſage, die er ihm gethan, ſich nicht fer⸗
„ner gu ſcheeren, unb ließ fid) feinen Bart mit einem
Scheermeſſer abnehmen. Doch die goͤttliche Rache
„blieb nicht aus; der Verbrecher wurde kurze Zeit
» batauf von feinen Feinden gefangen, welche ibm die
„Augen ausftaden. Dieſe Geſchichte, welche id) von
„einem Geiſtlichen gehoͤrt habe, ſetzt unſer Benedicti⸗
„nermoͤuch hinzu: habe ich zu erzaͤhlen nicht unterlaſ⸗
„ſen koͤnnen, damit Einige, durch ein ſolches Exem⸗
» vd
FAMEM 170 ^*à4*9
» pel. erſchreckt, zur wahren Beſſerung gebracht wer⸗
„den. Dies it eit Beytrag gu ber Geſchichte ber
Verſolgungen ber geſchorenen Sinne; allein endlich
fam bie Reihe, verfolgt zu werden, and) an bie bártiz
aen. Als ſich bie Layenſchaft aus der fangen Verach—
tung, worin ſie die Geiſtlichkeit gehalten hatte, zu
erheben begann, als Adel, Herren und Ritter
durch ihren kriegriſchen Putz anfingen, Aufmerkſam—⸗
keit und Bewunderung auf ſich zu ziehen, ſo fingen
auch die Geiſtlichen an, nach ihrem ritterlichen Schmu⸗
cke und Ehrenzeichen luͤſtern zu werden. Das glatte
Sinn war nicht mehr if Stolz; fie fingen an fid) deſ⸗
felben zu ſchaͤmen, unb bíe Baͤrte mit allen ihren ver;
ſchiedenen Verzierungen nachzuahmen. Dieſe geiſtliche
Vartſucht rat bereits im funſzehnten Jahrhundert fo
weit eingerlſſen, daß verſchiedene Domcapitel ín Frank⸗
reich fid) genoͤthiget ſahen, in ihren Cotiftéverorbnun:
gen ben Baͤrten ihrer Stifteherren ben. Krieg anzu—
kuͤndigen. Vielleicht hatte man ihnen unter den Fuß
gegeben, daß, ba bie Geiſtlichkeit auf. ihre Baͤrte fo
erpicht fep, man ein recht huͤbſches Einkommen aus
dem Verkauf der Privilegien, Baͤrte zu tragen, von
ihnen wuͤrde erheben koͤnnen. Dazu war vor allen
Dingen noͤthig, zuerſt ein Edict zu publiciren, worin
der Geiſtlichkeit das Tragen der Baͤrte verboten wuͤrde.
Der beruͤhmte Du Prat, welcher unter der Regie—
rung Franz des Erſten Kanzler von Frankreich war,
fam
Fxivf^ 190 ^"
fam zuerſt auf biefen Gebanfen, unb. auf Anſuchen
des Koͤnigs Stans machte ber damalige Pabſt eine
Bulle bekannt, worin er der franzoͤſiſchen Geiſtlich⸗
feit befahl, ihre Kinne zu ſcheeren, unb. bevollmaͤch⸗
tigte den Koͤnig, von denjenigen Geiſtlichen eine Taxe
zu erheben, welche eine Befreyung von den Verfuͤgun⸗
gen der Bulle zu kaufen wuͤnſchten. Die Biſchoͤfe
und alle Beſitzer fetter Pfruͤnden bezahlten die Taxe
unverzuͤglich, unb retteten ire Baͤrte; allein bie nies
drige Geiſtlichkeit, die nicht reich genug war, das
Privilegium zu erkaufen, mittelſt welches ſie die Decke,
welche die Natur ihren Kinnen gegeben hatte, haͤtten
erhalten koͤnnen, ſah ſich genoͤthigt, ſie der Schaͤrfe
des Scheermeſſers preis zu geben. So lange Franz
lebte, unterdruͤckten ſie ihre Wuth; allein ſobald als et
tobt rat, gaben (ie ihr uft unb ließen fie auf Wil⸗
belm ou Prat, einen. Sohn des Kanzlers, fallen.
Dieſer Praͤlat fam eben triumphirend von ber Sríbens
tinifden Kirchenverſammlung zuruͤck, roo er fid) burd)
feine Beredtſamkeit hervorgethan Datte, unb fefste feine
Reiſe nad) Clermont fort, um von btefem Bisthume,
zu welchem in ber neue Sónig Heinrich oer Sweyte
ernannt fatte, £Sefig zu nehmen. Det. neue Praͤlat
fatte eínen von ben fdjón(ten unb. bufdjiaften Baͤrten
in eem Koͤnigreiche. Er Batte den erſten Oftertag
dazu auserſehen, feinen. oͤffentlichen Einzug in feine
Kirche zu halten, und den Gottesdienſt in allem Glanze
des
f^AvT —XY81 "erm
be$ pontificaliſchen Pompes au celebriren. Allein zu
ſeinem unausſprechlichen Erſtaunen fand er, daß man
ihm die Thuͤre des hohen Chores vor der Naſe zuge,
ſchloſſen hatte, und durch ſie — denn ſie war von
ehernem Gitterwerk — erblickte er drey Stiftsherren,
bie ihn erwarteten, um ihn auf eine Art zu empfan;
gen, welche ihm gar nicht ſchmeckte. Der eine hielt
in ſeiner Hand ein Scheermeſſer, der andere eine
Scheere, und der dritte ein altes Statutenbuch der
Kirche von Clermont, mit ſeinem Finger auf die
beyden Worte in einem der Statuten zeigend —
»barbis rafis, — indeß bie andern beyden von Zeit
zu Zeit die fuͤrchterlichen Waffen ſchwenkten, welche
Seine Hochwuͤrden Gnaden mit dem Verluſt Dero
Bartes bedroheten. Vergebens ſtellte ihnen der Praͤlat
vot, daß, ob er fid) gleich gern ben Statuten ſuͤgen
wollte, doch die Heiligkeit des Sabbaths es nicht ver⸗
ſtattete, daß ſie ihm an einem ſolchen Tage den Bart
abſchnitten, indem dieſes ein knechtiſches Werk fev.
Die Stiftsherren waren gegen alles dieſes taub; alles
was ſie ſagten, war: „laß dich ſcheeren, oder bleib
braufen,,, Cr mar fo halsſtarrig, als fie; unb ließ
es fid) (ieber aefallen, abzuziehen, als feinen Bart
preis zu geben. Er nafm aud) dieſe Niederlage unb
die Nothwendigkeit, worin er ſich ſah, entweder ſein
Bisthum oder ſeinen Bart zu verlieren, ſo ſehr zu
Herzen, daß er krank wurde, und bald darauf ſtarb.
Philoſ. Mag. 2. St. N Du
F^AYF^ YI82 "mà
Du ptat tar nidt ber einzige Praͤlat, bem fid) fein
Capitel, ín Betreff ſeines Bartes, widerſetzte. An—⸗
ton Caracciolo war won bem naͤmlichen Koͤnig Hein⸗
rid) ju bem Bisthum Croyes in. Cbampagne et:
mannt; allein das Capitel rocigerte ficb, in ale Biſchof
anzunehmen, woſerne ec fid) nicht gefallen liege, fein
Kinn ſcheeren zu laſſen; dieſem wollte er fid) nit uns
terwerfen, allein er. fano zu gleicher Seit Mittel, fein
Bisthum au befalten, benn er fatte Ginfluf genug
bey dem Sónige, um von ibm einen. Befehl an baó
Capitel ausguroitfen, ihn mit feinem Barte anzuneh⸗
men. Dieſer Beſehl iſt datirt vom 28ſten November
1551. Fuͤnf Jahre hernach fand ſich Johann von
Morvillers in einer aͤhnlichen Lage. Das Capitel
von Orleans, zu welchem Bisthum er war befoͤrdert
worden, wollte ihn nicht aufnehmen, ehe und bevor
er nicht ſein Kinn durch den Barbier haͤtte qualificiren
laſſen, ben Statuten gemaͤß in bem Chore zu erſchei⸗
nen, Er erhielt indeß bie Erlaubniß, ohne geſchoren
zu ſeyn, von dem Capitel inthroniſirt zu werden, weil
er zu ſeinem Gluͤck ein Befehlsſchreiben von dem Koͤnige
in der Taſche hatte, worin verordnet war, daß er bey die⸗
ſer Gelegenheit von den Statuten muͤſſe dispenſiret wer⸗
den, weil Se. Majeſtaͤt vorhaͤtten, ihn zu Geſandſchaften
in ſolchen Landern zu gebrauchen, wo er nicht ohne Bart
erſcheinen koͤnnte.
IV.
—183 "9
re$ r99ro9r9ro9 n9 $9 029099 ^96
IV.
Rhapſodie
uͤber
das Verdienſt.
SS tens taufóet in bem Strom ber Seiten
eine 98elle nad) ber anbern fin;
unb ber Ocean bet. Ewigkeiten
ſammelt iren. bleibenden Gewinn.
Sanft getränket wachſen am Geſtade
Palmenſproͤßlinge zu 38álbern. auf,
ſtreuen Schatten auf des Wandlers Pfade
und erquicken ihn im matten Lauf.
Wie der Hauch die leichten Luͤfte theilet,
und mit Toͤnen, die die Laute ſchallt,
zu ber Echo fernen Kluͤften eilet,
bic fie dann vervielſacht wlederhallt —
alſo ſchwimmt in immer weitern Kreiſen
ſpaͤte Wirkung um die Urſach' her,
und aus edlem Thatenſchweiß der Weiſen
quillt der Enkelwelt ein Segensmeer.
Na
Heil
f^Avf^ 184. às»
Heil ben Edlen, bíe be8 Erdenlebens
kurze Dauer bis zum Sternenzelt
dehnen! — deren Fackel nicht vergebens
noch der Zukunft ferne Nacht erhellt!
Heil den Edlen, denen Lorberkronen,
die die unbeſtochne Nachwelt flicht,
jene wirkungsreichen Siege lohnen,
bie nut bleibendes Verdienſt erficht.
Weſenlos und eitel, gleich dem Schatten,
flieht der Meiſten Leben! — Weit vom Ziel,
wie des Bogens ſchlaffe Senn', ermatten
ihnen Thaͤtigkeit und Selbſtgefuͤhl;
Nur ein Muth, der Lohn und Ehre fodert,
weil er duldend keinem Kampf entflieht,
iſt ein Feuer, das unſterblich lodert,
wenn es in des Edlen Bruſt ergluͤht.
Nicht am Staub, der ſeinen Geiſt umhuͤllet,
weilt der Edle, traͤg, und thatenlos;
und dies Leben, das am Grab verquillet,
ſcheint ihm, dem Unſterblichen! nicht groß;
Nicht im Freudentaumel, bet. vermorren
eitie Scenen au. einanbet. veibt,
pfüdt ev Blumen nur, bie ſchnell verborrer,
ſondern pflanget. ſelbſt ber. Ewigkeit.
Jeden
U(Ox3vFA 195 4e
Jeden Trieb, ber (ei^ im Buſen fpielet,
zeitigt er durch Ernſt zur Maͤnnerkraft,
unb ber Weisheit hehre Palme kuͤhlet
jede raſch entglommne Leidenſchaft.
Selbſt die Wolluſt, dieſes Lebens Wuͤrze,
wie der Selbſtbetrogne gern ſie nennt,
taͤuſchet ihn umſonſt, weil er die Kuͤrze
ihrer ſuͤßen Schmeicheleien kennt.
Jenſeit dieſes Lebens enger Schranken
winkt das Ziel, wohin mit ſichrer Hand
er den Bogen wirkender Gedanken,
ernſten, unverwandten Blickes ſpannt;
Stets ber ernſten Tugend wuͤrdig handeln,
und hinan zu ihrem Heiligthum
des Verdienſtes ſteile Pfade wandeln —
iſt fein Wechſelbrief auf Ehr' unb Ruhm.
Gleich dem Landmann, der an heitern Tagen
in der Saat, die kaum der Furch' entbluͤht,
ſchon die Segenſchwangern Erntewagen
und den Freudenkranz der Schnitter ſieht —
blickt ſchon im Entſchluß zur That des Weiſen
Auge zur Vollendung froh empor,
und die Hymnen, die ihn kuͤnftig preiſen,
cubren jetzt ſchon ſein empfindlich Ohr.
N3 Wenn
186 ^w»
Wenn zu Staub be& Lebens Blume finfet,
wirkt durch Schoͤpſerkraft nod) ſein Verſtand;
denn zu Wirklichkeit und Leben winket
der noch was er dachte, that, empfand.
Ein Gedanke wirkt auf Millionen,
ſchafft zu Gaͤrten Wuͤſten um, und lenkt
wilde Fluthen, ober ſtuͤrzet Thronen —
wann ihn eine groſſe Seele denkt.
Ein Gedanke von dem reinen Feuer
eines hohen Genius entfacht,
und in Einklang mit der großen Leier,
die der Vorſicht Rechte ſpielt, gedacht;
hallt durch jegliches Jahrhundert wieder,
welches ec zur ſanften Bildung rief,
und beſeelt der Weisheit Jubellieder,
die vor ihm in rauhen Buſen ſchlief.
Wie beſtrahlt vom milden Sonnenlichte
tauſendfache Purpurtrauben gluͤhn,
und aus dem Geringſten ihrer Fruͤchte
wieder nene Rebenhuͤgel bluͤhn —
alſo muͤſſen, von dem Geiſt beſchienen,
der den Staub zu Gottes Bildniß weiht,
auch Gedanken einſt zu Thaten gruͤnen
und zu Fruͤchten fuͤr die Ewigkeit.
Durch
f^ 197 9
Durch ber. &innfid)feit zu weiche Bande
an den Staub gefeſſelt, der ihn traͤgt,
aber mit dem hoͤhern Vaterlande
burd) oen Geiſt, der ſich allmaͤchtig regt,
benkt, und wirket — enger noch verbunden,
fampft oer Menſch hinauf zum Sternenzelt,
und den Sieg der ſchnellen Lebensſtunden
front der Beyſall einer ſpaäͤten Welt.
Und er ſolte noch am Eitlen kleben,
dieſer Freund der Gottheit, deſſen Bild
durch ein edles thatenreiches Leben
ſerne Zukunft mit Bewundrung fuͤllt?
Nein! entzuͤckt begruͤßen wir die Hallen
deines Tempels, o Unſterblichkeit!
und mit frommer Eiferſucht, die allen
Deinen Helden Opferweihrauch ſtreut.
Deinen Helden, die vor Schwerdt und Speeren
niederſanken, noch vom Feind geehrt;
oder die an duftenden Altaͤren
milde Sittlichkeit ihr Volk gelehrt;
Deinen Helden, die zum Trotz der Wellen
kuͤhn die erſte Barke ausgehoͤhlt;
oder die, den Erdkreis zu erhellen,
ſpaͤt verborgner Lampenfleiß beſcelt.
9t 4 Denn
188 ^w
Denn am Harmonienband ber Liebe
fuͤhrt mit ſanfter, muͤtterlicher Kraft,
das Verhangniß alle ſuͤßen Triebe
ernſter Kunſt, und ſchoͤner Wiſſenſchaft.
Wer der Herrſchaft goldne Zuͤgel lenket,
Samen in die Fruͤhlingsfurche ſtreut;
Schlachten ordnet, oder Frieden denket —
foͤrdert gleich bie Allvollklommenheit.
Wer wie Friedrich ſelbſterkaͤmpfſten Staaten
jedes Segens goldnes Fuͤllhorn leert;
und ein Muſter nie erreichter Thaten
den Monarchen aller Zeit gewaͤhrt;
ſich im Panzer ewige Trophaͤen,
in der Toga Friedenstempel baut,
und mit holdem Blick von Marmorhoͤhen
auf der Muſen Veilchen niederſchaut; —
Wer mit ſtrenger unentweihter Rechte
das ihm anvertraute Ruder lenkt;
ſelbſt die ſuͤße Ruh erſparter Naͤchte
gern dem Flehn gedruͤckter Armen ſchenkt;
Wer, des Friedens Kuͤnſte zu beſchatten,
Pallas heilige Oliven pflanzt,
unter deren Schutz auf Blumenmatten
Fleiß und Reichthum mit den Freuden tanzt;
Wer
FMAvYA 180 ^
Wer aud) ín be$ Wirkens eng'te Schranken
vom Verhaͤngniß eingeſchloſſen ward,
doch mit edlem Biederſinn Gedanken,
Geiſt und Kraft zum Wohl der Menſchheit ſpart;
bald durch ſanfter Tugend Lockungstoͤne
junger Herzen Saitenſpiel beruͤhrt,
bald durch Bildungskraft des Staates Soͤhne
mit der beſſern Buͤrgerkrone ziert; —
Dieſen allen winken jene Kronen,
die im Tempel der Unſterblichkeit
alle ſchoͤngelungne Gbaten. lohnen,
welche niedre Abſicht nicht entweiht.
Dieſen allen huldigt die Empfindung
reger Ehrſucht, die ſo ſuͤß uns taͤuſcht,
wenn ein Held nach kuͤhner Ueberwindung
jedes Kampfs von uns Bewundrung heiſcht.
Dieſen Helden, die das Erdenleben,
das als Raupenſtand der Thor verhoͤhnt,
ſchon zur Goͤtterthaͤtigkeit erheben,
die Unſterblichkeit und Ehre kroͤnt;
Dieſen Helden laßt uns Maͤler bauen
und der Muſen Lobgeſaͤnge weihn:
laßt uns ſtolze Marmorſaͤnlen hauen,
und mit Blumenkraͤnzen fromm umſtreun!
N5 Zwar
CMM 1900 X
Sivas Bebürfen Cie ber. Mormorſaͤule
nicht; auf allen Lippen ſchwebt ihr Ruhm!
doch bafi bier ber. Juͤngling ſtumm verweile,
hier bey des Verdienſtes Heiligthum
unruhvolle Herzensſchlaͤg' empfinde,
und ſich dann, zum Heldendienſt der Welt,
jeder Wolluſt traͤgem Schlaf entwinde —
ſey ihr Ehrendenkmal aufgeſtellt!
Nicht vergebens haucht um ihre Huͤgel
noch der Athem der Begeiſterung;
und uns hebt zum Ruhm auf ſtolzem Fluͤgel
ihrer Thaten Ruͤckerinnerung;
Wie der Eiche Saft durch jede Roͤhre
junger Aeſte friſches Leben briugt,
wirkt das ſanſte Beyſpiel ihrer Ehre
auf ein Herz, das Thatendurſt durchdringt.
Moͤge dann in ſteten Harmonien
That und Wirkung aller Edlen ſtehn!
moͤgen Lorbern, welche ſie umbluͤhen,
fib aud) einſt um unfte Locken drehn!
Kein Gedank' entffattre je vergebens
unſerm Geiſt in leere Zukunft hin,
uub bie kleinſte Welle dieſes Lebens
mee" einſt unſern bleibenden Gewinn!
Selmar.
Recen—
Recenſionen.
I.
Sragmentari(de Beyträge
aur
Beſtimmung unb SDebuction des Begriffs unb
Grundſatzes ber Gaufalitát, unb zur Grund—
legung ber natürlid)en X Geologie, in Beziehung
auf bie Kantiſche Philoſophie. Von Joh.
Friedr. Flatt. Leipzig 1788. 8.
S. in dieſem Werk enthaltnen ſcharfſinnigen tnter:
ſuchungen muͤſſen uns um deſto willkomnmer ſeyn, je
hoͤher das Ziel iſt, zu. dem der tiefdenkende Verfaſſer
Dinjfivebt', ein Ziel, deſſen Erreichung ben kuͤhnſten
Flug der menſchlichen Vernunft gebietet, und deſſelben
wuͤrdiger iſt, als irgend ein andrer Gegenſtand unſrer
geſammten Erkenntniß. Die Erhaͤrtung ber. Wahr—⸗
heit und Rechtmaͤßigkeit des Beweiſes der Exiſtenz
Gottes iſt es, worauf die angeſtellten Unterſuchungen
des Begriffs von Urſache, unb ber Grundſaͤte bet
Caußali⸗
FM 194. ^v
Caußalitaͤt abzwecken; bie affo ſchon in dieſer Studis
ſicht jedem Denkenden ſchaͤtzbar ſind, der es fuͤhlt,
daß das practiſche Poſtulat welches Kant ſtatt der
Vernunfterkenntniß vom Daſeyn Gottes ſubſtituirt,
die Stelle derſelben nicht erſetze — der es fuͤhlt, daß
Glauben aus Beduͤrfniß immer ein Glauben, und nie
eine unerſchuͤtterliche Ueberzeugung ſey, an der doch
in dieſem Falle dem ganzen menſchlichen Geſchlechte
unendlich viel gelegen iſt, und ſeyn muß.
Der Verfaſſer hat bie Kantiſchen Behauptungen,
die Lehre von der Caußalitaͤt betreffend, mit wahrem
philoſophiſchen Geiſte geprüft, unb durch ben Ueber—
blick uͤber das gedachte ganze Syſtem, der nicht ſelten
hervorleuchtet, bewieſen, daß er ſeinem Gegenſtande
gewachſen war.
Um deswillen glaubt auch Recenſ. in der Darle⸗
gung der Gedankenreihe deſſelben etwas ausfuͤhrlichet
ſeyn zu muͤſſen.
Die ganze Abhandlung iſt in vier Fragmente
abgetheilt.
Erſtes Fragment.
In dieſem erſten Fragmente unterſucht der Verf.
tie verſchiedenen Beſtimmungen des Begriffs von llt;
ſache,
FM 195 ^w-
fade, unb bringt alle Erklaͤrungen beffelóen untet brey
Arten. Der Begriff von Urſache kann
I. durch ben Begriff ber Scit beſtimmt werden: A
ift oie Urſach von B, wenn ed. beftánbig ver B
votfergeft. Dieſer Begriff, ben Hume aboptirt,
wird von Verfaſſer der ceinfinnlidoe genannt $
unb deswegen als der einyigmógliche vermorfen»
weil Der Vorderſatz, worauf fib Hume fiut,
wenn er ihn fuͤr den einzig moͤglichen erklaͤrt, daß
nemlich alle unſre Begriffe Abriſſe von ben Gu
pfindungen unſrer aͤußern oder innern Sinne ſeyn,
unrichtig iſt. Doch erklaͤrt ſich der Verſaſſer
dahin, daß nur dieſer Begriff in einer empiriſchen
Seelen- obet Koͤrperlehre vorkommen duͤrſe. (Al⸗
lein da die reinempiriſche Seelenlehre nicht bloß die
Wirkungen ber ſinnlichen Erkenntnißkraͤfte, fen
dern auch die des Verſtandes unterſuchen kann
unb muß, ba aud) dieſe zu ben empiriſchen Ge⸗
geuſtaͤnden gehoͤren, fo ſcheint bie gedachte Be⸗
hauptung nicht beſtimmt genug gu ſeyn, unb eis
gentlich ſoviel ſagen zu wollen: wenn man in
der Seelenlehre annimmt, daß wir ſchlechterdings
nicht im Beſitze andrer Begriffe ſind, als ſolcher,
die von Eindruͤcken auf unſre Sinne entſtehen, ſo iſt
auch kein anderer Begriff einer Urſache zulaͤſſig, als
der reinſinnliche.) Der Begriff einer Urſach kann
2)
WP» 1906 4
2. butd) Cateaorien, ofne Cinmifdjung ber Seltbe:
dingung, beſtimmt werden. Man verbinbet bert
Verſtandesbegriff Grund mit bem Verſtandeshe⸗
griffe Wirklichkeit, und denkt ſich einen Begriff
von Urſache, der gat feine Seitbebinqung ín fid)
ſchließt: wenn man fid) A als das vor(tellt, was
den Grund eines von ihm reell verſchiedenen B
enthaͤlt. Dieſer heißt der reintransſcendente
Begriff von Urſache, und er liegt in Leibnitzens
Syſteme zum Grunde. Sehr buͤndig widerlegt
der Verſ. den Einwurf, den Kant dagegen macht,
wenn et (Gr. b. v. 3B. S. 30. ate Aufl.) lagt:
„Vom Begriffe ber Urſach wuͤrde id), wenn id)
bie Zeit wegließe, in der etwas auf etwas amt:
ders nad) einer Regel folgt, in ber. reinen Cate:
gorie nid)té weiter finben, als bag e$ fo etwas
fto, woraus fid) auf ba$ Daſeyn eines anbetn
ſchließen (apt; unb e wuͤrde baburd) Urſach unb
Wirkung gar nid)jt von einander unterſchieden
werden fónnen.,, Denn nad Leibnitz ift ein
Grunb nicht bloß fo etwas, woraus fid) auf et⸗
was andres ſchlieſſen laͤßt (welches freylich von
der Wirkung in Beziehung auf die Urſach auch
gilt,) ſondern etwas (A) wotaus begriffen moet;
den kann, warum etwas andres (B) und
warum es grade ſo und nicht anders ſey, (Nouv.
eff. fur l'ent. hum. L. 1V. ch. 17. Theod.
P. I,
W^f^ 197. ^w
P.L. $. 44.) Dies ift nun ſchlechterdings auf
bie Wirkung nicht anwendbar; aus der elden laͤßt
ſich wol ſchließen, daß die Urſach daſey, daß
ſie ſo und nicht anders ſey, aber nicht begrei⸗
fen, warum ſich dies alles ſo verhalte.
Die Schwaͤche des Kantiſchen Ginmurfé wird
nod) fetner daraus gewieſen, daß Sant ſelbſt ber
reintransſcendenten, von aller Zeitbedingung
freien, Begriff der Urſach gebrauche, weil ſonſt
eine offenbare Ungereimtheit heraue kommen wuͤr⸗
be, wenn er einmal behauptet (Cr. b. v. V. r(te
Ausg. S. 37. 2te Ausg. €. 54. 1.) taf tein
trandfcenbentafeó Object. unter. einer. 3citbebins
gung ſtehe; unb an einem anbern Orte ſagt:
(Droleg. zu einer jeden fünftigen. 3etapf.
€. 153. 179.) bap bem Menſchen, als einem
Dinge an ſich, unb ber Gottheit Caufalitát durch
Vernunft zugeſchrieben werden muͤſſe.
Endlich wird gegen Hrn. Jacobi (Ideal. und
Real. S. 94. c.) gezeigt, daß ber Begriff ber
Gleichzeitigkeit eben ſo wenig, als der Begriff
von Succeſſion, nothwendig in ben Begriff von
Urſache gebóre. — Denn erſtlich verwechſelt Sar
cobi ben Begriff von Grund und Urſach; alecanm
ſtuͤtzt er ſeinen Beweis auf den unerweislichen
Philoſ. Mag. 2, St. O €o$,
CA^ ro9gg wax
Satz, daß ber SBernunftf-ariff von Urſach unb
Wirkung aus bem Vethaͤltniſſe des Praͤdicats
jum Subjecte, bet Theile gum Ganzen genom⸗
men ſey; und endlich ſchließt er, daß, weil der
Begriff gar nichts von einem Hervorbringen
ober Entſtehen enthalte, das objectiv waͤre, llt:
ſach und Wirkung zugleich nicht in einander ſeyn
muͤſſen. Aber daraus, daß A unb B nidt auf
einander folgen, (apt (i) nur alsdann auf Gleich⸗
zeitigkeit ſchließen, wenn man vorauéje&t, baf
beyde in bet Zeit eriftiren. Nun laͤßt fib aber
ber Begriff ber Seit keinesweges auf das blof
Objective (bie Dinge an fid) amvenben; unb
es giebt fe(b(t nad) Sjacobis eigenen Worten feine
objectiv teelfe Succeſſion. Daher wird Syacobi$
S5efauptung von bem Verſaſſer mit Sted)t. vcri
worfen. — Cublid) ent(tefr
3. Cin Begriff ber Urſache von gemiſchter Natur,
wenn man die Beſtandtheile der beyden vorigen
ganz, oder zum Theil in einen Begriff vereinigt.
Dieſer Begriff laͤßt ſich auf dreyerlei Art beſtim⸗
men: a) Kann man die Zeitbedingung bloß auf
das, worauf ſich die Urſach bezieht, (die Wirkung)
einſchraͤnken, und ſagen: Urſach iſt das, was
den Grund von der Entſtehung eines andern,
ober bem Daſeyn deſſelben in oer Seit uͤberhaupt
ent:
fMMTM I99 ^ac?
enthaͤlt. So naͤhert fid) ber Begriff bem vein,
transicenbenten, b) Kann man aud) zugleich bie
Urſach ſelbſt bet Seitbebingung untermerfen; unb
benft fid) ben Begriff fo: A ift 0er Grund von
B, menn e$ &eftánbig vor demſelben votferaebt
unb baffelbe nothwendig 6e(timmt. Dieſer Be⸗
griff fommt bem reinſinnlichen náfer; unb fíeat
bey ber unentwickelten Vorſtellung der Menſchen
von Urſache yum Grunde. c) Sam man ben Ver⸗
ſtandesbegriff Nothwendigkeit bloß mit ber Vorſtel⸗
lung von Succeſſion verbinden; und ſich den Be⸗
griff ſo denken: A iſt die Urſach von B, wenn es
etwas iſt, worauf B nothwendig folgt. Dieſer
Begriff liegt zwiſchen den beyden vorigen in der
Sy itte.
Sweytes Scagment,
Dieſes Sragment enthaͤlt Bemerkungen uͤber bie
Ableitungen oer Begriffe von Urſachen, unb ber bat:
auf fid) beziehenden allgemeinen. Grundſaͤtze. Man
fann bey ber Deduction bes Begriffs von Urſache einen
doppelten Weg einſchlagen; entweder man [e&t bie allz
gemeinften Grundſatze oer Caufialitát (alle, was ge⸗
ſchieht, ober überbaupt: alle Sufátliqe, Dat eine llt:
fad) voraus, unb (eitet bieraus bie iealitat bed Be⸗
gri[f$ von Urſache fer; ober man ſucht dieſe Realitaͤt
O 2 dar⸗
"W^iv'f^ ooo ^w
darzuthun, ofne bie Voraus ſetzung jener. allgemeinen
Grundſaͤtze.
Recenſ. bemerket gleich anfangs, daß bet 95e;
griff von Deduction fiet in. einem andern Sinne ge:
nommen merbe, aí ec in Santé Gr. b. r. V. vore
fómmt. Der Verfaſſer verftet unter Deduction ei⸗
nes Begriffs einen Beweis der objectiven Guͤltigkeit
deſſelben, eine Darlegung ber Gruͤnde, aus denen et:
hellt, daß er nicht eine leere Vorſtellung ſey, ſondern
daß ihm in den Objecten außer der Vorſtellung etwas
correſpondire. Nach Kant bedeutet die Deduction der
reinen Verſtandesbegriffe eine Darlegung der Gruͤnde,
aus denen ſich ergeben ſoll, daß die angeblichen Catego⸗
rien wahre Categotien, b. i. Verſtandesbegriffe ſeyn,
die einzig unb allein a priori im Verſtande ihren Ur⸗
ſprung haben.
Ob nun gleich dieſer doppelte Begriff der De⸗
duction vom Verfaſſer ſelbſt (p. 54. 55.) ausdruͤck⸗
lich unterſchieden wird, ſo ſcheint doch die Verwechſe⸗
lung beyder Bedeutungen zuweilen, und beſonders bey
Beurtheilung der Kantiſchen Deduction des Begriffs
von Urſache, zu einigen Mißverſtaͤndniſſen unb viet
leicht nicht ganz beſtimmten Urtheilen Anlaß gegeben
zu haben.
Das
FRA» 20I "X
Das wotliegenbe zweyte Fragment theilt (id) itt
zwey Abſchnitte.
1. Ueber die Deduction des Begriffs oder
der Begriffe von Urſach.
Zuerſt werden die bemerkungswertheſten Deductlo⸗
nen des Begriffs von Urſache aufgeſtellt, die uns von
den alten griechiſchen Dogmatikern uͤbrig geblieben ſind.
Einige derſelben beruhen offenbar auf bem allge⸗
meinen Princip: Nichts entſteht ohne Urſach; oder
auf dem noch allgemeinern: Alles was anders ſeyn
koͤnnte, als es iſt, ſetzt eine Urſach voraus. z. B. die
von Sextus aufbehaltene (Adv. Phyf. I. S. 200.
ff. Pyrrhon, hypot. L. IIl. C. III. S. 17.)
Andere, faͤhrt ber 9Berfaffer fort, finb von bem
allgemeinſten Gefetse ber. Gaufalitát unabbángig; uns
tec. biefen zeichnen fid) biejenigen aud, bíe von bet Er—
zengung oͤrganiſirter Koͤrper, obet uͤberhaupt von ber Re⸗
gelmaͤßigkeit mehrerer Naturbegebenheiten hergenom⸗
men ſind. Man ſchloß: weil der Saame Urſach iſt
von bern, was daraus erzeugt wird, (adv. phyf. J.
196.) und weil ſo viele Naturbegebenheiten nur unter
gewiſſen Umſtaͤnden erfolgen; ſo muß man dem Begriſſe
von Urſache allerdings Realitaͤt zugeſtehen. Dleſer
O3 Be⸗
F^" 202 ""-À9«s
Beweis iſt, nad) bem Urtheile tee. Verſaſſers nicht
in ber Staͤrke vorgetragen, bie er haben kann.
Noch ſchwaͤcher ſind andre Deductionen, in denen
theils eine petitio principii, theils ein Trugſchluß
entba(ten iſt. Su ber erften Art gehoͤrt bie, welche
Sextus adv phyf. I. 197. anfübrt; unb ju ber an:
bern foigenbes ſonderbare Dileum: (adv. phyf. I.
S 204.) „Wenn jemanb bie Wuͤrklichkeit ber Urſachen
leuanet, fo befauptet et feinen. af entweder ohne
Urſach, ober nicht. Sym erften all ift feine Behaup⸗
tung níóté, unb ím anbern widerſpricht et fid) felb(t;
weil eben baraué, baf et [eine SSebauptung auf cine
Urſach ſtuͤtzt, nothwendig folgt, baf e Urſachen gebe. ;,
Es ift offenbar, bafi bier Idealgrund unb Realgrund
mit einanber verwechſelt voerben.
Die neuern Weltweiſen faben fid) beſonders auf
SBeranfaffung des Humiſchen Skepticiſmus das Ver—
dienſt gemacht, die Luͤcken, welche die Alten in den
gedachten Deductionen uͤbrig ließen, entweder ganz
oder zum Theil auszufuͤllen. Die Methode, deren ſie
ſich dabey bedienten, ift dreyfach; fofetn man auf bie
Quellen Ruͤckſicht nimmt, aus welchen ber Begriff
von Urſach und die Realitaͤt deſſelben abgeleitet wird.
Die Deductionen nach der erſten Methode ſind rein⸗
empiriſch, oder ganz von der Erfahrung abhaͤngig
(a
203
(a pofteriori) ; bie nad) bet zweyten, von oet Erfah⸗
rung gans unabbángig (a priori, im (trenoften
Sinne), unb bíe endlich nad) ber dritten, falten fid)
ín oet Mitte zwiſchen ben beyden erſten.
Bey einer Deduction der erſten Art leitet man
den Begriff von Urſache bloß aus der Erfahrung her,
und muß dennoch die Rechtmaͤßigkeit, oder objective
Realitaͤt deſſelben auf die Behauptung ſtuͤtzen: daß
in der Erfahrung das liege, was der Begriff enthaͤlt.
Dieſen Weg zeichnete Locke vor; und viele folgten ihm
auf demſelben nach. Hume (verm. Schr. 1I. Sf.
VAI. Verſ. S. 173.) leitete aus der Verfahrungsart
her, daß dem Begriffe von nothwendiger Verknuͤpfung
zwiſchen ſogenannter Urſach unb Wirkung feine Reali⸗
taͤt zukomme, da die Erfahrung nur lehren koͤnne, daß
A unb B gewoͤhnlich mit einander verknuͤpft ſeyn.
Dies muß man entweder zugeben, oder die Lockiſche
Methode verlaſſen, oder ſich tiefer in die Unterſuchung
der Frage einlaſſen, inwieſern die Idee (der Begriff
ſoll es heißen, nad) bem von Hr. Kant richtig ange;
gebnen Unterſchiede) der Nothwendigkeit, aus der Er⸗
fahrung geſchoͤpft und in derſelbengegruͤndet ſey. Dies
letztre haben Tetens (Phil. Verſ. B. 1. S. 317.)
Feder (Ueb. 9taum unb Cauß. S. 146.) unb Jacobi
( Ideal. unb Real. €. 106.) gethan.
O14 Von
KM 204 ^w
Von gang entgeaenaefc&ter Art ift. eine Deduction
des vorliegenden Begriffes nach der zweyten Methode,
welche Kant ín ber Qr. b. v. V. befolgt. Er ſtellt
ben Grundſatz auf: „Die Categorien (gu welchen ber
Begriff von Urſache gehoͤrt) muͤſſen a priori im Ver—
ſtande zum Grunde liegen, weil ſie die Erfahrung aller⸗
erſt moͤglich machen; und in dieſer Hinſicht muß ihnen
auch objective SRealitát gutommen, ,, — (€r, b. v. V.
r. Auf S. 92.) Dieſem Grundſatze gemáf, fc&t
ber Verf. hinzu, bebucirt er bie Jicalitat bes Begriffs
von Urſache baber, weil obne benfelben bas Erfah—⸗
rungéuttei(, bag etwas entftebe, ober aefcbebe,
nid)t nióglid) feo. Man finbet bier bie obem gemachte
Bemerkung beſtaͤtigt.
Da der Verfaſſer unter einem reellen Begriffe
einen ſolchen verſteht, dem etwas wirkliches in den
Objecten, oder den Dingen, ſofern ſie außer unſrer
Vorſtellung, und von derſelben unabhaͤngig ſind, ver⸗
ſteht (p. 55 ), unb zugleich annimmt, Kant habe in
ſeiner Deduction die XXealitát des Begriffes von lr;
fad) darthun wollen, fo liegt bier offenbar ein Mißver⸗
ſtaͤndniß zum Grunde, das auch noch unten einen nicht
unwichtigen Einfluß aͤußert. Es iſt Kants Abſicht
nicht, und kann es nicht ſeyn, in der Deduction der
Categorien zu zeigen, daß ihnen in den Dingen außer
unſrer Vorſtellung etwas reſpondire; denn er erweiſet
ja
FMAMT 205 ^um
ja ausdruͤcklich, daß mir von dieſen nichts wiſſen, fot:
dern bloß mit Erſcheinungen, b. i. mit jubjectioen
Vorſtellungen zu thun haben. Sym Kantiſchen Z inne
bedeutet die Realitaͤt, oder objective Guͤltigkeit der
Categorien; das Verhaͤltniß derſelben zu den Erſchei⸗
nungen, wodurch Erfahrung allererſt moͤglich, und
ihre eigne Exiſtenz a priori nothwendig gemacht wird.
Die Realitat der Categorien ín dieſer Bedeutung bat:
zuthun, bas ift es, was Sant ín feiner Deduction bet:
ſelben leiſten will: (Grit. b. r. 3B. r. Aufl. S. x28.)
Es fann dennoch aud) nid)t bey bem Begriffe von Mt
fade feine Abſicht ſeyn, au zeigen, baf bemfelben etwas
in ben Dingen auper unſrer Vorſtellung entſpreche,
unb daß man ſeine Realitaͤt in dieſer Bedeutung au:
erkennen muͤſſe.
Die noch uͤbrige dritte Methode, den Begriff
von Urſache zu deduciren, die man die gemiſchte
nennen koͤnnte, haͤlt ſich zwiſchen den beyden vorigen
in der Mitte. Im Allgemeinen betrachtet, ſagt der
Verſaſſer, beſteht ſie darin, daß man aus irgend einem
nothwendigen ſubjectiven Geſetze des Verſtandes die
Nothwendigkeit ableitet, den Begriff von Urſache mit
gewiſſen empiriſchen Wahrnehmungen zu verbinden,
in welchen an ſich die Vorſtellung von urſachlicher
Verknuͤpfung nicht enthalten iſt. Dieſe Methode
naͤhert ſich der erſten dadurch, daß ſie etwas reinem⸗
O 5 piti:
fav 206
piriſches vorausſetzt, námlid) dies, bag có ſolche em;
piriſche Wahrnehmungen gebe, worauf ber Begriff
von Urſache angewandt werden muß. Denn ſo lange
dieſe ſehlen, (d. i. ſo lange es in der Erfahrung nichts
giebt, was entſteht; oder uͤberhaupt, was zufaͤllig iſt,)
bleibt auch der Begriff von Urſache ein leerer Begriff.
Seine Realitaͤt kann alsdann nach dieſer Methode
nicht erwieſen werden. Auf der andern Seite aber
naͤhert ſich dieſe Methode der zweyten dadurch daß ſie den
Satz, daß es Urſachen gebe, nicht aus ber Crfaf;
rung, ſondern aus der Anwendung eines nothwendigen
Verſtandesgeſetzes a. priori auf bie Erfahrung ableitet.
Dieſe gemifd)te Methode laͤßt nun mehrere Modifica⸗
tionen zu. Man kann entweder die Frage: ob der
Begriff von Urſache à priori, ober empiriſchen llt:
ſprungs ſey, gang auf ber Seite (iegen laſſen, obet
mit in Anſchlag bringen, unb bann entweder bie Prio⸗
titát des Begriffs ober ben reinempiriſchen, ober einen
gemiſchten Urſprung deſſelben annehmen.
(Von ben angegebenen Faͤllen aber deucht uns
der eine unmoͤglich zu ſeyn, naͤmlich der, wo man
dem Begriffe von Urſache einen reinempiriſchen Ur⸗
ſprung zuſchreibt. Wenn man in ber gemiſchten De⸗
ductionsmethode (von ber hier die Rede iff) annimmt,
daß der allgemeinſte Grundſatz der Caußalitaͤt: nichts
entſteht ohne Urſache, in einem nothwendigen Geſetze
des
Feu 207 "nee
des Verſtandes aegrünbet fey, un^ alſo a priori ím
SBer(tanbe (iege: fo mug man aud) eben bai, wenn
man nid)t inconfequent. ſeyn will, von. bem Begriffe
bet Urſach behaupten. Denn wenn eec Verſtand, ver:
móge feiner Natur, unb unabbángig von ber Erfah—
tung, mit bet Vorſtellung von etwas, das ent(tef)t,
bie Vorſtellung einer Urſach verbinbet, fo. muß er aud)
a priori unb unabhaͤngig von ber Grfabruna, im 95e;
fi&e des Begriffs von Urſache ſeyn. 26er man fóunte
eünvenben: bie Behauptung, daß der alfgeincinjte
Grunbja& ber Caußalitaͤt a priori im Verſtande lieae,
wolle nur fo vief ſagen: ber Verſtand fey fo eingerich—
tet, baf er, wenn ifm fomof bie 3Borftelfung von Gt:
was, baé entſteht, als aud) bie Vorſtellung einer Ur—
ſach aus irgend einer Quelle gegeben werden, alsdann
ſichs nicht denken koͤnne, daß Etwas, das entſteht,
keine Urſach habe, daß er alsdenn dem Entſtehenden
eine Urſach abzuſprechen nicht vermoͤge. Indeſſen
muß man auch unter dieſer Bedingung einraͤumen, daß
ber Begriff von Urſache a priori im Verſtande angus
treffen ſey. Denn wenn das nidjt waͤre, fo wuͤrde
1. der Satz, daß das allgemeinſte Principium der
Caußalitaͤt a priori im Verſtande liege, gar keine
Bedeutung haben. Von einer Vorſtellung, in
deren Beſitz ber Verſtand nicht a priori ift,
kann man weder ſagen, daß er ſie einer gewiſſen
an⸗
fv 208 ^"
anberm bavon verſchiedenen Vorſtellung an fid, a
priori, unb unabbángig von bec Grfabrung ablpre;
den, nod) baf et fie berfelben nídyt abſprechen tónne,
2, St € ab: bafi bas allgemein(te Geſetz bec Caußa⸗
litaͤt a priori im Verſtande liege, kann weiter
feine Bedeutung faben, als biefe : Mit der Form,
bie im Verſtande ift, fofern er Etwas denkt,
das entſteht, ift aud) a priori bie Form
nothwendig verbunben, bie daſeyn muß, fofern
et eine Urſach bentt. — woher e$ denn Cómmt,
baf ct, ſobald beyde 3Borftellungen yum Semuts
feon tommen, fie nid)t von einanber trennen fann.
Wenn man alfo annimmt, baf oce hoͤchſte Grund⸗
fats der Gaufalitát a priori im Verſtande liege,
fo mu$ man dies aud) von tem Begriffe einer
Urſach einraͤumen. Da nun jene in der gemiſchten
Deductionsmethode angenommen wird, ſo kann es
auch keinen Fall geben, wo man nachderſelben ver⸗
ſahren, urb. bem Begriffe von Urſache zugleich ci
nen reinempiriſchen Urſprung zugeſtehen koͤnnte.)
Noch eine andre Modification ber gemiſchten Zoe;
ductionsmethode, die ber Verf. für zulaͤſſig erklaͤrt, crit:
ſteht daraus, wenn man ſtatt des allgemeinſten Princip
der Caußalitaͤt: nichts entſteht ohne Urſoch, ein weniger
allgemeines, etwa dies: alles was regelmaßig entſteht,
fat eine Urſach, als ein Princip. a priori ſubſtituitt.
Auf
KMe*^ 209 5r.»
Auf dieſe Betrachtungen ſolgt eine Pruͤfung
der verſchiedenen angefuͤhrten Methoden, nachdem
erſt vorlaͤufig bemerkt iſt, daß man bey einer ſolchen
Pruͤfung wohl Achtung geben muͤſſe:
1, ob es bloß darum zu thun ſey, den Urſprung des
Begriffs zu erſorſchen, oder zu erklaren, wie wir
zum Beſitze deſſelben kommen? eder vielmehr
barum, bie Rechtmaͤßigkeit des Beſitzes, b. i.
bie objective Realitaͤt des Begriffes vor Augen
zu legen. Eine Deduction der erſtern Art nennt
ec eine empiriſch pſychologiſche, unb eine bec
letztern Art eine metapbyfifcbe, welcher er oer
Namen einer Deduction eigentlich nur einraͤumt.
2. (uf bie genaue Beſtimmung des Begriffes von
Urſache, und
3. endlich darauf, ob man die empiriſche oder trans⸗
ſcendentale Realitat erweiſen will.
I. Was die erſte von ben oben angefuͤhrten De—
ductions methoden betriſt, bie reinempiriſche, ſo faͤllt
beo derſelben bie empiriſch pſychologiſche mit der meta⸗
phyſiſchen Deduction zuſammen. Denn wenn in dem
Begriffe von Urſache weiter nichts iſt, als was wir aus
der Erfahrung genommen haben, fo ift eben dadurch
erwie⸗
F^ 2fyo 349
ettoiefen, baf ibm etwas í(n ben Gegenftánben bet
Erfahrung entfprece, unb baf er alfo Realitaͤt habe.
Denn menn das nid)t waͤre, fo wuͤrden wir ben 25e:
griff gut nicht haben. Der Begriff von Urſache iſt
nun entweder reinſinnlich, oder reintransſcendent, oder
gemiſcht, (f. Fragm. I.) unb die Realitat deſſelben im
allen drey Faͤllen entweder empiriſch, oder transſcen⸗
dental, b. h. es reſpondirt bem Begriffe nicht allein
etwas in. den Gegenſtaͤnden, wie fie und. (n. der Ctr
fahrung erſcheinen, ſondern auch in ihm als Dinge an
fij. Nimmt man den reinſinnlichen Begriff, fo kann
lI. ſeine empiriſche Realitaͤt im hoͤchſten Grade
wahrſcheinlich gemacht werden. Wir bemierken,
daß auf cin gewiſſes A (fo viel voir wiſſen, ims
mer) eim beſtimmtes B foífge; unb es ift alfo
hoͤchſt wahrſcheinlich bag A immet vor B vorfet:
gehe. ( Da es aber hier nicht um ben practiſchen
Gebrauch des Begriffs von Urſache, wo wir
uns allerdings mit einem hohen Grade der
Wahrſcheinlichkeit behelfen koͤnnen, ſondern um
die ſpeculative Anwendung deſſelben zu thun iſt,
ſo iſt, nach unſerm Beduͤnken, mit Wahrſchein⸗
lichkeit nichts erwieſen.)
2. Die transſcendentale Realitaͤt des Begriffs aber
kann durch dieſe Methode gar nicht ausgemacht
wer⸗
FeA*FA 2IYI - "we
werden. Sf&enn man aud) bewieſen fjat, bag bem
S5eariffe von Urſache ín ben Gegenſtänden bet
Grfafrung, b. i. in. ben Erſcheinungen, etwas
entípred)e, fo ai(t bod) ba$ deswegen nid)t von
ben Giegenftanben, al$ Dingen an fid).
Die Deduction oes transfcenoenten Begriffs
von Urſache, die empiriſch waͤre, koͤnnte nach dem
Verfaſſer ſo eingerichtet werden: Wir ſind durch ein
Gefuͤhl, das fid) bey allen Menſchen, ſofern fie ver⸗
nuͤnftige und moraliſche Weſen ſind, nothwendig fin
bet, genoͤthigt, gewiſſe Erfolge als abhaͤngig von utt;
ferm Willen zu betrachten (ohne bie Vorſtellung von
dieſer Abhaͤngigkeit wuͤrde Freyheit unb Moralitaͤt auf;
gehoben werden.) Daher muͤſſen wir den Begriff von
Abhaͤngigkeit unb Realgrund als reell erkennen. Auch
behauptet Kant ſelbſt, (Prol C. 153.) taf dem Men⸗
ſchen, als einem Dinge an ſich, Caußalitaͤt durch
Freyheit zukomme.
(Bey dieſer Deduction findet Rec. folgendes zu
bedenken:
I, Das gedachte Gefuͤhl ift gang unentwickelt, unb
bloß fubjectío; es ſtellt uns das Verhaͤltniß unſrer
Haudlungen gegen ben Willen vor, wie cá als
Erſcheinung, nicht wie es an ſich iſt. Denn
durch
Fay 2I2 wu
burdj ein Gefuͤhl, ba alle Gefuͤhle finnlid fib,
fónnen nur Erſcheinungen vorgeſtellt roe sen.
Wenn mit alfo gleich bur) baffeibe gezwungen
máren, gewiſſe Erfolge für abbangig von unſerm
Wollen zu falten, fo folgt bod) daraus nicbt, taf
fie es in ber That (inb; tafi aljo bem transſcen⸗
denten Begriffe von Urſache transjcenbentale
Realitaͤt zukomme. Aber
2. kann auch nicht die empiriſche Realität deſſelben
durch irgend ein Gefübl erwieſen werden: denn
ſonſt muͤßte ein reiner Verſtandesbegriff durch ein
Gefuͤhl, alſo durch ſinnliche Erkenntniß vorge⸗
ſtellt werden. Dies iſt aber unmoͤglich, unb ger
gen des Verfaſſers eigne Aeußerungen, wenn er
(C. 80.) ſagt: ber ſinnliche Gegenſtand laͤßt
ſich zwar anſchauen, aber nicht inſofern an⸗
ſchauen, als er, oder irgend etwas in dem⸗
ſelben, der Categorie correſpondirt.
3. Die angefuͤhrte Behauptung Kants kann hier
gar nicht gebraucht werden; denn ſie iſt, wie
der Verfaſſer ſelbſt bemerkt, (S. 68.) ein klarer
Widerſpruch gegen ſein uͤbriges Syſtem, da er
als transſcendent. Idealiſt eine gaͤnzliche Unwiſ⸗
ſenheit von den Dingen an ſich geſteht und geſte⸗
hen muß.)
II.
f^ 213. —
II. Die Beurtheilung ter. zweyten, ber Santi
ſchen Methode, ben Begriff von Urſache gu bebuciren
verfpart ber Verfaſſer auf ben folgenden Abſatz, weil
fie nit der Beurtheilung des ollgemeinften Princips
der Caußalitaͤt zuſammenhaͤngt. Hier macht er nur
bie doppelte Bemerkung, daß die gedachte Deduction
nicht [o unabhaͤngig vom Empiriſchen ſey, als Sant zu
behaupten ſcheine, und daß ſie darauf angelegt ſey,
die transſcendentale Realitaͤt des Begriffs von Urſache
voͤllig umzuſtoßen. Denn, ſagt er weiter, entweder
wird dabey die Wahrheit des Urtheils: es entſteht
etwas, vorausgeſetzt, ober nicht. Im erſten Salle
beruht die Richtigkeit der Deduction auf einer empiri—
ſchen Wahrheit, bie nod) dazu von Sant nirgends ere
wieſen wird. Im andern Falle laͤßt fid bie empiri—
ſche Realitaͤt des Begriffs von Urſache nur hypothe—
tiſch behaupten.
(Allein hier ſcheint die Sache aus einem etwas
unrichtigen Geſichtspunct betrachtet zu ſeyn.
1. Wenn Sant behauptet, das Erfahrungsurtheil:
es entſteht oder geſchieht etwas, feo gar nicht
moͤglich, wenn nicht der Begriff von Urſache
ſchon zum Grunde laͤge; fo koͤmmt à hier gar
nicht auf die Wahrheit eher Unwahrheit des ac:
dachten Urtheils, b. i. darauf an, ob tim auper
Philoſ. Mag. 2. €t. P un⸗
24 "wu
unſrer Vorſtellung etwas entfprifjt, oder nicht;
ſondern bloß auf das Daſeyn deſſelben in der Vor⸗
ſtellung, welches von niemanden gelaͤugnet wer⸗
den kann. Kant wollte bloß die Prioritaͤt, und
das nothwendige Verhaͤltniß des Begriffs von
Urſache zu den Erſcheinungen darthun, nicht, wie
ber Verfaſſer zu glauben ſcheint, (p. 70.) bie
empiriſche Realitaͤt beffelben in bem Verſtande,
worin ſie der Verfaſſer nimmt, und worin ſie
die Beziehung des Begriffs auf etwas in den
Gegenſtaͤnden bec Erſahrung aufer der Vorſtellung
ihm entſprechendes bedeutet.
2, Wenn Kant ín feiner transſtendentalen Aeſthetik
die Zeit zu einer bloß ſubjectiven Form des innern
Sinnes macht, fo kann er. freylich bem BVegriff
von Urſache, in dem eine Zeitbedingung (die
Vorſtellung vom Vorhergehen und Nachfolgen)
iſt, keine Anwendbarkeit auf unſinnliche Objecte
zugeſtehen; allein damit ſpricht er doch dieſelbe
nicht jedem Begriffe von Urſache ab, nicht dem
reintransſcendenten, worin gar keine Zeitbedin⸗
gung Statt findet. Er kann auch, nach ſeinem
Syſteme dieſem Begriffe die transſcendentale
Realitaͤt weder zugeſtehen noch abſprechen.)
Einige Widerſpruͤche des Kantiſchen Syſtems,
die der Verfaſſer bey dieſer Gelegenheit anfuͤhrt,
ſind
ffe DIS ^»
ſind nad) des Verfaſſers Urtheil nicht aufzuloͤ⸗
ſen. Kant behauptet z. B. an dem einen Orte
(Gr. d. v. $3. S. 240. t(te Aufl.) Categorien
muͤſſen auf Erſcheinungen als ihre einzige
Gegenſtaͤnde eingeſchraͤnkt werden; und an
einem andern: (prol. 177. 179.) Categorien
fónuen aud) von Dingen an fid) prábícirt met:
ben. Ferner: (Grit. II. Aufl. S. 186.) oie
Categorien fónnen einzig unb allein auf. füintid)e
Anſchauungen angemanbt werden, weil fonft
alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Object,
wegfaͤllt; unb man fid) durch kein Beyſpiel faß⸗
lich machen kann, was denn unter dergleichen
Begriffen eigentlich fuͤr ein Ding gemeint ſey.
Und ati einem andern Orte? (S. 305.) die teinen
Categorien haben ohne formale Bedingungen der
Sinnlichkeit transſeendentale Bedeutung.
Wenn uͤberdem, ſetzt der Verfaſſer hinzu, die
letzte Bedingung zur Anwendung ber. Gateóotlerr
nothwendig waͤre, daß man ſich durch irgend ein
Beyſpiel muͤßte faßlich machen koͤnnen, was fuͤr
ein Ding unter dergleichen Begriffen eigentlich
gemeint fep; fo müfite man auf ihren Gebrauch,
felbft itt Abſicht occ Erſcheinungen, Verzicht
thun. Denn cin Gegenſtand, mít deſſen ſinnlicher
Vorſtellung ble reine Categorie durch den Ver—⸗
ſtand verbunden wird, laͤßt ſich zwar anſchauen,
pa ic:
fu*- or Ó wma»
affein nicht inſofern anſchauen, als et, ober it;
genb etwas in demſelben, jener Categorie cotre:
fponbirt. Alſo kann man fid) aud) burd) fein
Beyſpiel faflid) machen, was unter. berafeid)en
Begriffe benn eigentlid) für ein Ding gemeint fey.
Man muf alfo entroeoer auf ben Gebrauch ber
Gategorien gánjlid) Verzicht tun, ober ifre An⸗
menbbarfeit aud) aufer oem Felde ber Erſcheinun⸗
gen. gugeben.
Man fiet hieraus, wie ſchwankend das Santi
ſche Syſtem gerade in der Hauptſache ſey, naͤmlich in der
Beſtimmung der Grenzen des menſchlichen Verſtandes.
III. Nach der dritten, der gemiſchten Methode
wird eine doppelte Deduction des reintransſcendenten
Begriffs von Urſache vorgeſchlagen. Man kann
1. aus bem ſubjectiv nothwendigen Geſetze der
Wahrſcheinlichkeit und aus dem Wahrnehmungs⸗
urtheile, daß es regelmaͤßige Auſeinanderfolgen
gebe, den Satz ableiten: daß es irgend ein 4
gebe, worin die Wirklichkeit von irgend etwas
anderm gegruͤndet ſey. Je oͤfter auf ein gewiſ—
ſes A ein beſtimmtes B fofat, deſto wahrſcheinli—
cher ift cá, dag A ben Grund von B, ober irgend
ein C ben. Grunb von bem Aufeinanderfolgen
des
fM L7
des A unb B entfalte. (Allein ta c8 fiet auf
ſpeculative Grtenntnig anfómmt, bie gewifi ſeyn
muß, unb bie gedachte Methode mur Wahrſchein—
lichkeit aiebt ; fo ijt ſie, wie e$ ſcheint, nicht zulaͤſſig)
2. Kann man das allgemeinſte Princip bee Caufa:
litaͤt: alles was entſteht, oder uͤberhaupt, alles
zufaͤllige, fest eine Urſach Cim reintransſcendenten
Sinne) voraus, unmittelbar aus einem noth—
wendigen, vor aller Erſahrung hergehenden
Denkgeſetze herleiten, und durch die Anwendung
deſſelben auf Wahrnehmungen bie Realitaät des
Begriffs von Urſache erhaͤrten. Hiebey koͤmmt
es, außer der Anwendung aufs Empiriſche, auf
zwey Fragen an: a) Iſt der gedachte allgemeinſte
Grundſatz ber Caußalitat in einem nothwendigen
Denkgeſetze a priori gegruͤndet? unb b) Iſt bas
objectio wahr, worauf un$ nothwendige Denk—
geſetze fübren ?
Hievon im fofgenben Abſatze dieſes Sragmenté.
2. lleber oie Ableitung der allgemeinſten
Grundſaͤtze oec Caufialitar,
A. Ueber die Ableitung der Grundſaͤtze bet
Caußalitaͤt von einem nothwendigen Denkgeſetze; oder
P3 S5eant;
Few» 218 ^"
Beantwortung ber gebadjten tagen, — Der Verfaſſer
ſchraͤnkt fid) auf folgende beyde allgemeinſte Grund⸗
ſaͤtze der Caußalitaͤt ein, bey denen ber reintransſcen⸗
dente Begriff von Urſache zum Grunde liegt:
I. alles, was entſteht,
2. alles, was anders ſeyn koͤnnte, als cs ift,
und uͤberhaupt alles zufaͤllig exiſtirende ſetzt,
els ſolches, cine Urſach im reintrangſcen⸗
denten Verſtande voraus.
Der erſte dieſer Grundſaͤtze heißt der Grundſatz
ter Entſtehung, der andre bet Grundſatz oer 3uz
faͤlligkeit.
J. Was die erſte Frage betrifft, ſo laͤßt ſie ſich
bejahen; und die Wahrheit der Behauptung kann auf
eine doppelte Art erwieſen werden. Man kann
T. ein empiriſch erweisbares Denkgeſetz zum Grunde
legen, unb daraus bie Grundſaͤtze bcr Caußali—⸗
taͤt ableiten. Es laͤßt ſich naͤmlich nicht allein
das allgemeine Geſetz: kein Urtheil iſt ohne
Grund, ſondern auch folgendes ſpeciellere, als
Erfahrungsſatz aufſtellen: der Verſtand kann
tein Urtheil (bag nicht unmittelbar evident iſt)
fuͤr
219 v4»
fuͤr wahr halten, unter ber Vorausſetzung, taf
es aus keinem Grunde a priori hergeleitet wer
ben koͤnne. Nun kann aber. ber Verſtand, als
ſolcher, alle Urtheile, die ſich auf das Objective
beziehen, nur inſofern fuͤr wahr halten, als ſie
mit feinen. nothwendigen Denkgeſetzen uͤberein⸗
ſtimmen; und wenn er alſo durch ein ſolches Ge⸗
ſetz genoͤthigt iſt, unter der Vorausſetzung der
Bedingung C bem Subjecte A das Praͤdicat B
abzuſprechen, fo iſt er aud) genoͤthigt, bem. Ob⸗
jectiven, das der Vorſtellung A entſpricht, das
Objective, das ber Vorſtellung D. cefponbirt, ats
zuſprechen, unter ber Vorausſetzung einer objecti
ven f5ebingung, bie ber Vorſtellung C cot:
tefponbirt,
Wenn alfo ber Verſtand das Urtheil: A ift B,
unter der Vorausſetzung, daß es weder in der
Vorſtellung A unb B gegruͤndet ſey, nod) aus
irgend einer dritten Vorſtellung C als einem
Grunde a priori abgeleitet werden koͤnne, nicht
fuͤr wahr halten kann, ſo kann er auch die Ver—
bindung des objectiven A mit dem objectiven B
nicht fuͤr wahr halten, (als wirklich denken) wenn
er vorausſetzt, daß ſie weder an ſich nothwendig,
noch aud irgend einem objectiven Grunde a priori
begreiflich fep, So fülrt ta$ oben angegebne
P4 noth⸗
Four 220 "rb
nothwendige Denkgeſetz auf ben Grundſatz: Alles,
was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt, (was nicht
an ſich nothwendig iſt) ſetzt als ein ſolches eine
Urſach im reintransſcendenten Verſtande voraus.
(Bey dieſer Schlußſolge, fo ſcharſſinnig fie
aud) vorgetragen ijt, ſcheint uns doch cine Bedenklich⸗
feit übrig zu ſeyn. Wenn es erwieſen ift: Der Ver—⸗
ſtand kann bem Subject A das Praͤdicat B nicht bey:
legen, unter Vorausſetzung der Bedingung C. (b. f,
menn es im an einem idealen Wahrheitsgrunde fehlt);
fo folgt daraus bod) nicht, bap ber Verſtand bem ob;
jectíven A das objective B nid)t beylegen koͤnne, untet
Vorausſetzung ber objectieen. Bedingung C. (b. i.
wenn ce vorausfe&t, daß cé an einem objective. obe
Siealatunbe von ber Wirklichkeit ber 2Berbinbung vott
A un B febfe.) Die Bedingung der beyden Urtheile
iſt offenbar verſchieden und verwechſelt, Der Schluß
wuͤrde in ſchulgerechter Form ſo ausſehen.
Jedes Urtheil: ALB, kann nicht ſuͤr wahr gehalten
werden, unter der Vorausſetzung der Bedingung C. (o. t
wenn es an einem idealen Wahrheitsgrunde fehlt,
d. i. wenn das Urtheil nicht in ſich nothwendig
iſt, und vorausgeſetzt wird, daß kein Grund
deſſelben a priori daſey.)
Das
fuf 221 ^"
Das Urtheil: bem objectiven A koͤmmt das ob:
jective B. zu, ift ein Urtheil, wobey bie Vorausſetzung
bec Bedingung C, welche D i(t, (tatt finbet, (b. i.
wobey bíe Vorausſetzung ſtatt finbet, baf tie
Verbindung be8 objectiven A mit bem objectíven
B weber an fid) nothwendig, ned) baf cin. obz
jectiver Grund derſelben a. priori bafey.) Alſo
kann es nicht fuͤr wahr gehalten werden.
Es ift offenbar, bag C im Unterſatze etwas
andres bedeute, als im Oberſatze; daß alſo der Schluß
vier Hauptbegriffe habe und nicht zulaͤſſig ſey.
Es kann alſo, nach unſrer Einſicht, der Grund—
ſatz, daß alles, was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt,
(mas nicht an fid) nothwendig iſt,) inſofern es ein fol;
d$ ift, eine Urſach im reintransſcendenten Sinne
vorausſetze, auf dieſem Wege nicht aus nothwendigen
Denkgeſetzen hergeleitet werden. Da ſich nun der
uͤbrige heil dieſer Deduction auf den gedachten Schluß
ſtuͤtzt, ſo kann Recenſ. bey dieſer Art, die allgemeinſten
Grundſaͤtze der Caußalitaͤt zu deduciren, mit dem Ver—
faſſer nicht einerley Meynung fen.)
Man kann aber bey der Ableitung der allgemein—
ſten Grundgeſetze ber. Caußalitaͤt aus nothwendigen
Denkgeſetzen
?s5 2,
F^Avf^ 2252 "we.
2. ben umaefefrten , ben analytiſchen Weg einſchla⸗
gen, ba bet vorige fontfjetifd) war. Bey biefet
Methode, fagt ber Verfaſſer, fanm man vou
bem empitiſch erweisbaren Satze ausgehen, daß
alle Menſchen bey ihren Urtheilen uͤber entſtandene
Dinge, ſofern fie dieſelben als entſtanden denken,
den Grundſatz der Entſtehung vorausſetzen.
Hieraus ſolgt, daß cine ſubjective Nothwendig⸗
keit vorhanden ſey, jedes entſtandne Ding, als
ſolches, als verurſacht von einem andern zu
denken. Da nun dieſe Nothwendigkeit nicht in
einer Taͤuſchung der Phantaſie, oder in irgend
einer Gewohnheit ihren Grund haben kann, ſo
muß dieſer in einem Verſtandesgeſetze a priori
liegen. Dies Verſtandesgeſetz "ift, nad) bem
Verfaſſer, das im vorigen Abſatze angefuͤhrte,
welches dann zugleich den allgemeinern und von
aller Zeitbedingung freyen Grundſatz der Zufaͤl⸗
ligkeit giebt.
(Ob nun gleich bie Wahtheit dieſes letztern
Satzes, unſrer Einſicht nad, nicht erwieſen ift, (f. ben
vorigen Abſ.) ſo folgt doch aus dem Grundſatze des
Entſtehens ter Grundſatz der Zufaͤlligkeit unmittelbar,
und muß ſich entweder aus irgend einem Verſtandesge⸗
ſetze herleiten laſſen, oder ſelbſt als ein Verſtandesge⸗
ſetz betrachtet werden. Denn auf die Zeitbedingung
koͤmmt
f^AfA 223 ^w
koͤmmt es bey bem erſtern offenbar gar nidjt an, Nicht
die ganz heterogene Vorſtellung be$ Daſeyns in oer
Zeit, die als ſolche nur ein Vorhergehn vorausſetzt,
kann uns zwingen, menn wir uns etwas, bac entre:
Det, denken, aud) eine Urſach im transſcendenten
Sinne anzunehmen, (onbern bie Vorſtellung deſſen,
das entſteht, inſoſern wir daſſelbe als zufaͤllig
denken.
Zuletzt widerlegt ber Verfaſſer einige Einwuͤrfe.
die Kant der Ableitung des Grundſatzes der Caußali—
taͤt aus einem Verſtandesgeſetze entgegenſtellt, die aber
an ſich ganz unbedeutend ſind.
lI. Beantwortung bet zweyten von ben oben
votgelegten Fragen: Iſt bad worauf uns nothwendige
Denkgeſetze fuͤhren, auch objectiv wahr? Objectiv
wahr aber Dat eire dreyſache Bedeutung. Es heißt
1) alles was in Anſehung der Menſchen allgemein,
und unveraͤnderlich ſubjectiviſch iſt, was von allen
nothwendigerweiſe ſo und nicht anders vorgeſtellt wird;
2) alles, was von jedem Weſen, ſofern es Verſtand
hat, fuͤr wahr gehalten wird; 3) alles, was auch außer
der Vorſtellung da iſt; jede Vorſtellung, der auch in
den Objecten, in den Dingen außer dem Verſtande,
etwas Wirkliches entſpricht.
In
f^^ 224 — Tnm
In bem er(ten Sinne muf bie objective Guͤltig⸗
feit dem allgemeinften Grundſatze ber Gaufalitát aller;
dings zugeſtanden roerben, nad) bem was in bem vori—⸗
gem erwieſen iſt. Was aber im erften Sinne objectio
mafjr i(t, bas müffen roít aud) für objectiv güítig im
zweyten unb brítten Sinne halten. Denn r) faben
mir nídt allein gar feinen. Grunb, das Gegentbeil
angunebmen, fonbern ſind genótbigt, unfte Denkgeſetze
auf das Wirkliche anzuwenden, und eben deswegen
aud) eine Harmonie derſelben mit ben Urtheilen andrer
Geiſter gelten zu laſſen. 2) Die Einwuͤrſe, die man
dagegen macht, ſind nichtig; ſelbſt der Kantiſche: daß
man keinesweges von der ſubjectiven Nothwendigkeit,
ben angefuͤhrten allgemeinen Grundſaͤtzen ber Caußali⸗
taͤt gemaͤß zu urtheilen, auf die objective Guͤltigkeit
derſelben ſchließen koͤnne. (Cr. b, v. 38. 2te Aufl.
S. 168.) Kant muß, wenn er nicht mit ſich ſelbſt in
Widerſpruch ſallen will, das Gegentheil annehmen.
Senn ec legt ſelbſt gewiſſen Saͤtzen (z. B. bem Grund⸗
geſetze der Sittlichkeit, dem Satze der Einſtimmung
und des Widerſpruchs, und den daraus nothwendig
folgenden Saͤtzen,) theils ausdruͤcklich, (Grundl. zur
Met. d. Sitt. S. 28.) theils ſtillſchweigend, objective
Guͤltigkeit im zweiten Sinne bey. (Grit. I. Aufl.
S. 52.) Auch wenn er der Idee bet practiſchen 93er;
nunft von der vollkommnen Harmonie der Sittlichkeit
mit det Gluͤckſeligkeit objective Realitaͤt beylegt, (Cr.
IL. Aufl.
FAMEM 225 ^vi»
I. Aufl. €. 837.) fo wird fier das Ojective aat im
britten. Sinne genommen; unb bie Behauptung ift
offenbar ungüítig, wenn man nidjt eine vollfommene
Mebereinftimmung der ſubjectiv nothwendigen Ver—
ſtandsgeſetze, und deſſen was daraus nothwendig folgt,
mit dem Objectiven vorausſetzt.
B. Ueber den Werth andrer Deductionen von
denſelben GirunbfáGen, unb uͤber das Verhaͤltniß der—
ſelben zu der obigen Ableitung.
Hier werden die Beweiſe kurz beurtheilt, die
Wolf, Lambert und andre von dem allgemeinſten
Grundgeſetze Det. Caufalitát gegeben haben.
Drittes Stagment,
Meber die Anwendung bed Grundſatzes ber Cnt:
ftebung unb ber Zufaͤlligkeit auf transienbentale Ob⸗
jette, unb über bie transfcenbentale 9tealitát des Be⸗
griffs von 3Beránberung.
I. Gruͤnde oafür.
Daß es ím transfcenoenten Sinne reelle Ver⸗
aͤndrungen gebe, folgt
X. aus ber. Veraͤndrung ber Erſcheinungen (f. lt
richs inftit, log. & met. p. 240.)
2-
f^uvfR 256 6*3
c. Aus ben von stant ſelbſt aufgeſtellten Principien bet
Moral unb Moraltheologie — aus von ifm ſelbſt
behaupteten Saͤtzen, bag bet Menſch, als ein
vernuͤnftiges und freyes Weſen, ein Ding an
ſich, (rot. S. 153.) unb daß es fuͤr die Ver⸗
nunft nothwendig ſey, eine vollfommne Harmo⸗
nie der Gluͤckſeligkeit mit der Sittlichkeit zu hoffen.
Es giebt drey Faͤlle. Entweder a) iſt Veraͤnde⸗
rung eines Menſchen, als eines Dinges an ſich, gar
nicht moͤglich. Aber dann faͤlit erſtlich die Frey⸗
heit unb mit ifc alle Moral ſchlechterdengs weg.
Senn Freyheit verlangt Veraͤnderlichkeit, unb bie
Giebote ber Moral: bie Handlung A fell. ſeyn,
ſetzen voraus, baf aud) non A fcn fónne. Set:
ner faͤllt die Hoffnung einer ber Sinnlichkeit ges
nau angemeſſenen Gluͤckſeligkeit gaͤnzlich weg;
denn entweder muß ſie der Menſch ſchon beſitzen,
oder er bekoͤmmt ſie nie. Oder b) Veraͤnderung
des Menſchen, als eines Dinges an ſich, iſt
moͤglich zwar, aber nicht wirklich. In dieſem
Falle waͤre erſtlich die Freyheit, als Vermoͤgen
betrachtet, zwar moͤglich, aber, und mit ihr der
Trieb zur Vervolikommnung, ganz unnuͤtz und
zwecklos, welches nach Kant ſelbſt unmoͤglich iſt.
(Grit. II. Aufl. €. 678.) Sodann auch koͤnnte
der Menſch, als Ding an ſich, in. dieſem Falle
eben ſo wenig hoffen, als ám erſten. Denn
wenn
F^Avf 227 ^w
wenn er ftetá unveránoert ift, fo muf er bie
bec Cittlid)feit angemefne Gluͤckſeligkeit entwe⸗
der ſchon befigen, obet et bekoͤmmt fie nie. Senn
Gluͤckſeligkeit, bie ev bloß als Erſcheinung su hof⸗
fen haͤtte, kann keine Triebfeder fuͤr ihn, ſofern
er ein wollendes, alſo intelligibeles Weſen iſt, ſeyn.
¶Man koͤnnte nod) hinzu ſetzen: Kant ſagt ſelbſt,
Crit. b. pr. V. Es ſey abgeſchmackt, bie ber
Sittlichkeit vollfommen angemeßne Gluͤckſeligkeit
in der Sinnenwelt anzunehmen, oder zu hoffen;
ſie ſey nur in der intetelligibeln denkbar. Wenn
dies iſt, wenn der Menſch, als Ding an ſich,
die gedachte Gluͤckſeligkeit jetzt in der Sinnenwelt
nicht genießt, ſie aber in einer intelligibeln genießen
wird, ſo muß es als Ding an ſich, nothwendig
wirklich veraͤndert werden.)
Es bleibt alfo nichts uͤbrig, als daß c) Veraͤnde⸗
rung des Menſchen, als eines Dinges an ſich,
nicht allein moͤglich, ſondern auch wirklich ſey.
Hieraus folgt, daß bet Begriff ber Veraͤnde⸗
rung auch auf transſcendentale Objecte anwendbar ſey,
unb wenn das iſt, fo laͤßt ſich oer Grundſatz:
„Jede Veraͤnderung, und uͤberhaupt, alles was
entſteht, ſetzt eine Urſach im reintransſcendenten
Sinne
FXXTM 2028 ^"
Sinne voraus, auf transſeendentale Gegen⸗
ſtaͤnde ausdehnen. Eben dies kann man auch von
dem Grundſatze der Zufaͤlligkeit behaupten; denn
aus ber Veraͤnderung bec Zuſtande folgt ihre (unber
dingte) Sufálligfeit nad) bem reinen Verſtandesbegriffe
nothwendig. Auch Kant ſelbſt ift genoͤthigt, bem 3Bet;
ſtandesbegriffe ber Zufaͤlligkeit trausſcendentale Siealí,
taͤt einzugeſtehen. Denn da er dem Menſchen, als
einem Dinge an ſich, Freyheit zuſchreibt, ſo muß er
wenigſtens auf die Selbſtbeſtimmungen, wodurch ſich
bie Freyheit aͤußert, alſo auf etwas transſcendentales,
den Begriff von Zufaͤlligkeit anwenden.
Folglich muf auch vec Grundſatz oer Sufáfz
ligfeit auf intelligible Degenfiánoe angevoanot
werden.
JI. Ueber ie Einwuͤrfe gegen ber. tranéfcenbett:
talem Gebrauch der Begriffe von 3Beranberung unb
Sufálligfeit, unb ber allgemeinſten Grundſatze ber
Caupalítát.
Hier Geurtfeift ber Verfaſſer groͤßtentheils ſehr
gruͤndlich das, was Sant gegen bie transſcenden—
tale Realitaͤt jener Begriffe und Grundſaͤtze einge:
wandt hat.
Vier⸗
feAvYAM 2290 "3
yierttes Srtagment.
f£ inleitung suc Grundlegung oet natürticben
Theologie.
I, Allgemeine Bemerkungen über oie Art, das
Daſeyn Gottes zu beweiſen.
Wenn bie objective Guͤltigkeit unſrer nothwendi⸗
gen Denkgeſetze ausgemacht, oder wenn es gewiß iſt,
daß unſern Vorſtellungen, die in nothwendigen Denk⸗
geſetzen gegruͤndet ſind, aud) in bem Obiecte aufer ber
Vorſtellung etroaé entſpreche, [o fiebt man dieſe Ueber⸗
einſtimmung unfrer Denkgeſetze mit bem. Objective
entiveber als zufaͤllig, ober als nothwendig an.
Im erſten Salle kann man aus dieſer zufaͤlligen
Harmonie auf einen hoͤchſt verſtandigen Urheber derſel—
ben ſchließen; unb fo einen logiſch⸗ theologiſchen
Beweis bec Daſeyns Gottes vor allen uͤbrigen vorbet:
gehen laſſen.
Im andern Falle laͤßt ſich der cosmologiſche Be⸗
weis der Grifteng Gottes mit bem phyſicotheologiſchen,
hiſtoriſchen und moraliſchen ſo verbinden, daß durch
dieſe die Luͤcken deſſelben ausgeſuͤllt werden.
Der Verfaſſer haͤlt alſo den moraliſchen Beweis
des Daſeyns Gottes nicht für ben einzig moͤglichen,
unb die Wendung, die im Stant (Berl. Monatsſch.
1786. Oct.) giebt, mit allem Recht fuͤr unbefriedi⸗
gend. Denn man verwichkelt fid) dabey ín folgende
Schwierigkeiten:
Philoſ. Mag. 2. Gt. Q i,
1, Die Idee ber Harmonie ber. Gilüdffeligfeit mit
ber Sittlichkeit foll objective Realitaͤt erhalten
burd) bie ?BorauéfeGung des Daſeyns Gottes;
unb dieſe foll allerer(t aus jener. Sybee abaefeitet
werden. (vergl. deutſch. Muſ. 1787. Febr.)
( Man koͤnnte nun freylich das Widerſprechende
hierin leugnen und die Sache ſo vorſtellen: Die
Idee von der gedachten Harmonie leitet uns auf
die Idee eines exiſtirenden Gottes; nun ſetzen
wir aus einem practiſchen Beduͤrfniſſe voraus,
daß dieſe Idee objective Realitaͤt habe; wodurch
bann aud) bie Idee von bet Harmonie ber Gluͤck⸗
feligfeit mit ber Sittlichkeit zugleich objective
Siealitát erhaͤlt. Inzwiſchen koͤnnen Beweiſe
von der Art niemals eine Ueberzeugung gewaͤh⸗
ren, da eine Vorausſetzung aus Beduͤrfniß nie
ein Wahrheitsgrund ſeyn kann. Bey der Idee
vor einer volltommnen Harmonie ber Gluͤckſelig⸗
keit mit der Sittlichkeit, kann man (denn wor⸗
aus iſt erweislich, taf man muf?) fid) aus ei:
nem practijdjen Beduͤrfniſſe gebtungen fübten,
bic(elbe realiſirt zu benfen ; ba mir bie aber nicht
fónnen ofne bie Sybee eines wirklichen Gottes,
fo benfen wir uns biefe Idee von eínem exiſtiren⸗
ben Gotte realifirt, b. i. roit (tellen uns Gott
al[o voirfíid) vor, um uns jene Harmonie al
aufer un$ roirflid) benfeh gu fónnen. Es bleibt
alſo
2.
KXAMFM 231 ^"
alfo ſowol bie Vorſtellung von ber Exiſtenz Gottes,
al$ bie von ber Uebereinſtimmung ber Gluͤckſelig⸗
feit mit ber Sittlichkeit eine (eere Vorſtellung.)
$ant widerſpricht fid) ſelbſt, wenn er einmal fagt :
(Berl. Monatsſch. 1786. Oct, €. 316.) „Die
Vernuuft 6ebarf ber Vorausſetzung eíne& unab:
haͤngigen hoͤchſten Guts unb einer. oberſten In⸗
telligenz nicht, um die Triebfedern zur Beob⸗
achtung der moraliſchen Geſetze daraus ab⸗
zuleiten, ſondern nur, um dem Begriffe vom
hoͤchſten Gute objective Realitaͤt zu geben. ,, Und
das andremal (Cr. I. Aufl. S. 813.): „ohne
einen Gott — — ſind bie Ideen der Gittr
lichkeit zwar Gegenſtaͤnde des Beyfalls und der
Bewunderung, aber nicht Triebfedern des
Vorſatzes unb ber 2íusübung. ,,
IL Verſuch uͤber ben Beweis ber Abhaͤngigkeit
des Daſeyns aus den Veraͤndrungen. Dieſer Abſchnitt
theilt ſich in die Beantwortung zweyer Fragen.
A. Laͤßt ſich von der Veraͤnderlichkeit, oder den
Veraͤnderungen der Form des Daſeyns irgend eines
Objects A, auf die Abhaͤngigkeit derſelben von irgend
einem von A verſchiedenen Weſen ſchließen?
Wenn das Beharrliche des transſcendentalen Ob⸗
jects A, ober die Materie beffelben — M, aus dem Zu⸗
ſtande, ober der Form b ober non a, ín bie Form
a uͤbergeht, fo ift biefe nicht abfolut nothwendig mit
M
$423
FXuT^ 232 «ws
M vetfunben, e8 mug alſo ein objectiver Grund daſeyn,
aus welchem fid) biefe Verbindung begreifen lágt. Die⸗
ſer Grund (legt entweder bloß ín bem Objecte A, obet bloß
ín einem aͤußerlichen Objecte B, obet in beiden zugleich.
Sym eríten Salle bat bie Entſtehung ber. dorm
2 ibren Grund entmocber in M allein, oder (n einer at
bern Form b, obec in M fofetm e$ mit b verbunben
if. Stimmt man das erfte an, fo benft man M entz
weder obne alle Form, ober. a(8 exiſtirend unter
irgend einer Sorm, — Sym etften Salle £ann a nicht
bie Wirkung von M allein ſeyn; benn das Wirken bed
M [e&t das Griftiren. deſſelben voraué; unb dies ift
gar nidjt denkbar, ofne eine gewiſſe Form des Exiſti⸗
rens. Daher muß das Daſeyn des M unter einer ge;
wiſſen Form als vorhergehend gedacht werden. (Allein
dieſer Schluß ſcheint auf einer Verwechſelung des Be⸗
griffs von Form zu beruhen. Da nach des Verfaſſers
Erklaͤrung S. 179. Form die veraͤnderlichen Beſtim⸗
mungen bedeutet, jede veraͤnderliche Beſtimmung aber
von M getrennt gedacht werden kann; fo laͤßt (id) aud)
M gedenken ohne eine gewiſſe Form des Exiſtirens,
unb e$ kann daher bec Grund von a blos in M fiegcn.
Waͤre eó unmoͤglich, bag M obne eine acmiffe Form, in
dem angegeigten Sinne, exiſtirte, fo wuͤrde baburd)
auch der Gottheit die Exiſtenz abgeſprechen werden,
der man keine veraͤnderliche Beſtimmungen beylegen
Bonn, wie bec Verf. ſelbſt einráumt (S. x71.)
Da
fMMTA 223 ^"
Da nun das Reſultat dieſer Unterſuchungen: baf
aus der Veraͤnderlichkeit der Form des Daſeyns die
Abhangigkeit dieſer Form von einem aͤußerlichen Prin⸗
cip folge, zum Theil auf dieſem Satze beruht, daß
die Materie des Objects, dem die Form zukoͤmmt,
nicht ſelbſt den hinreichenden Grund ihrer Form ent:
halten koͤnne; ſo kann Recenſent das gedachte Reſultat
nicht für gang erwieſen halten.
B. Die zweite, beantwortete Frage iſt: Laͤßt
ſich aus der Abhaͤngigkeit der Form des Daſeyns auch
bie Abhaͤngigkeit der Materie, ober beo Beharrlichen,
das den wechſelnden Formen zum Grunde liegt,
folgern?
Sid) kann mir, ſagt der Verf., Mnicht als exiſti⸗
rend denken, aufer unter einer gewiſſen Form. Wenn
alſo jede Form des Daſeyns von M míttef&ar ober uri
mittelbar von einem unabhaͤngigen Weſen B afbángt ;
fo bànat aud) bie Grifteng des Weſens A, befjen Ma⸗
terie — M unb deſſen Form — x ift, von B a6.
Die Verbindung des M mit x macht bíe Grifteng vont
A aus. Iſt alſo die (ete in. B aegrünbet, fo mug es
auch bie erfte ſeyn. Alſo muß bie vorgelegte rage be
jabt werden.
(Hiegegen, deucht uns, [iege fid) folgendes et;
innern:
I. Zugegeben, daß es erwieſen fep, daß fid) von bet
Veraͤnderung der Form des A auf bie Abhaͤn—⸗
Q3 gig⸗
KVMSMTR 224 ^e
gigkeit berfelben von einem von A verfdoiebenen
Weſen ſchließen laſſe, fo liegt Diet wieder bet
Satz jum Grunde, ber, nad) unfeter Einſicht,
nídt yum Grunde liegen follte (f. À.)
4. Hievon abgefebn, unb gugegeben, baf jebe Form,
des Daſeyns von M won einem. unabfángigen
Weſen B. abfange, fo folgt bod) daraus nicht,
bap bie Grifteny des Weſens A, beffen Sta:
terie — M ift, von B abfángig ſey, (ín bem
Sinne, worin e$ bet Verfaſſer nimmt, nad) wet;
dem e$ fo viel bebeutet, als ben wirkenden
Grunb feiner Eriſtenz in etwas anberm haben)
ſondern nur, bag B baju mitwirken muͤſſe. B
ift bie Conditio fine qua non vom exiſtirenden
A, aber. deswegen nicht ber mirfenbe Grund.
A kann nicht exiſtiren, ohne irgenb eine $orm —
x, dieſe abet kann nut von B hervorgebracht
werben; menn alfo A eriftiren foll, fo fann ba$
nicht anberé geſchehen, als wenn B bie orm x
Dervorbringt. Hiedurch ift nun aber. gar. nidjt
beſtimmt, ob bet wirkende Grund ber Gri(teng
des À in B obct ín írgenb einem andern Dinge
C D — Y Z liege.)
m.
|
An
FMAMERP 235 ^24»
e7297297o9 7960297972979 ^.97.97.9
An
die Herrn Herausgeber
der
Berliniſchen Monathſchrift.
hr Novemberſtuͤck dieſes Jahres enthaͤlt die erfreu⸗
liche Nachricht, „daß man bie Ausfuͤhrung bes Planes,
vier deutſchen Weltweiſen der neuern Zeiten ein
Denkmal zu errichten, wieder vorgenommen habe.
Laſſen Sie mich zufoͤrderſt meinem Vaterlande zu bie:
ſem oͤffentlichen Denkmale, das es ſeiner eigenen Weis⸗
feit, Bildung, Aufklaͤrung, unb Freyheit zu benfen, et;
richtet, mit aller Waͤrme, mit allem Stolze, den mir
das Gefuͤhl giebt, es das meinige zu nennen, Gluͤck
wuͤnſchen. Außer England iſt alſo Preußſen bas. eim
zige Land in der Welt, das nicht bloß Fuͤrſten und Hel⸗
den durch Erz und Stein zu verewigen ſucht; es iſt
alſo ein Land ber Freyheit unb ber Aufklaͤrung. Syn den
Gegenden der Knechtſchaft heiligt nur die Schmeicheley,
in den Gegenden der Finſterniß der Aberglaube, den
Gegenſtaͤnden ſeiner politiſchen und religioſen Furcht
oͤffentliche Denkmale; unter. einem freyen unb aufge—
klaͤrten Volke bie oͤffentliche Erkenntlichkeit, ben Gegen:
ſtaͤnden ſeiner Bewunderung und ſeiner Achtung; ſei⸗
nen Fuͤrſten, ſeinen Helden, ſeinen Weiſen. Selbſt
in dem geiſtreichen Frankreich, wuͤrde ſich die Hierar⸗
chie dieſem oͤffentlichen Zeichen der Verehrung ſeiner
Q4 Wei⸗
CAM 236 um
Weiſen, — ſeiner 2Descartes, ſeiner Gaſſendis, —
els einem Werke ber. Irreligion, widerſetzen. Syd) ver;
einige mid) aljo mit inníget Sreube, au bem (lauten
Beyfalle, mit welchem meine Mitbuͤrger aus allem
Standen einen Plan aufgenommen haben, der nur
in den Herzen vortrefflicher Menſchen entſtehen konnte.
Belehren Sie mich aber uͤber einen Zweifel, met;
cher die Wahl der Weltweiſen betrifft, denen Sie Ihr
Denkmal zugedacht haben. Ich vermiſſe Einen darun—
ter, von dem es mich ſchmerzen wuͤrde, wenn ſich
mein Vaterland, und die ganze deutſche Nation, ihm
zu keiner Dankbarkeit ſollte verpflichtet halten. Wenn
kein deutſcher Weltweiſer ein Denkmal der Achtung von
den Deutſchen erhielt: ſo konnte ſich Chriſtian Wolf
nicht beklagen; ev theilte bie oͤffentliche Gleichguͤltigkeit
mit allen verdienten Unſterblichen ſeines Standes. Es
lein wenn die Nation gegen einige dankbar iſt: fo ift
Gleichguͤltigkeit gegen Einen Verachtung, und gegen
Einen, der ihnen gleich iſt, Ungerechtigkeit.
Syd) fenne weder Ihren Maaßſtab des philoſo—
phiſchen Verdienſtes, noch die Gruͤnde, welche Ihre
Wahl beſtimmt haben; allein id) bin uͤberzeugt, daß,
wenn die unſterblichen Maͤnner, die Ihr Denkmal
zieren ſollen, — ihre Stimmen fátten zu geben gehabt,
ſie wuͤrden einmuͤthig ſich den eben ſo unſterblichen
Wolf zugeſellet haben. Drey von ihnen machten ſich
eine Ehre daraus, von ihm gelernt, und der erſte, ſich
mit ihm auf ſeinem Wege begegnet zu haben.
Wenn Sie ſeinen unermuͤdeten Fleiß, ſeinen philo⸗
ſophiſchen Geiſt, feine zahlreichen Schriften, feine un;
ermeßliche Litteratur, feine alle Theile ter Philoſophie
und der Mathematik in Ein Syſtem zuſammenfaſſende
Wiſ⸗
237
Wiſſenſchaft fuͤr nichts rechnen wollen: ſo behaͤlt er
ſelbſt alsdann noch Verdienſte genug, die auf unſere ganze
Dankbarkeit Anſpruch machen. Es iſt wahr, ſeine meiſten
Schriften ſind lateiniſch, unb konnten alſo nicht unmittel⸗
bar auf alle Staͤnde wirken. Allein geſetzt, bafi dieſer Theil
ſeiner Arbeiten für ſeinen Ruhm verlohren feyn ſollte, wel⸗
ches große Recht auf unſere Erkenntlichkeit bleibt ihm
dem ungeachtet nicht noch uͤbrig! Und haben ſelbſt dieſe
Schriften nicht auf die Bildung ber gelehrten € tánbe qe:
wirkt, haben fie uns nicht eiie beſſere Theologie, eine be];
ſere Rechtsgelehrſamkeit, eine beſſere Philoſophie votz
bereitet?
Syd) hoͤre, bafi man dieſem Theile feiner Schriften
vorwirft, fie ſeyn trocken unb ſchwerfallig. Rathen Sie ja
niemand, ben Euklides, nod weniger den Neuton auf:
zuſchlagen, wennS ie glauben fonnen, baf in ein trockner
unb ſchwerfaͤlliger Vortrag a6fd)recfen wuͤrde bein mas
iſt trockner, als Neutons Philofophize naturalis prin-
cipia mathematica? unb bod) wuͤrden Sie dieſem
ſchwerfaͤlligen Philoſophen, wenn et cin Deutſcher gewe⸗
ſen waͤre, wol ſchwerlich eine Stelle unter denen verſagt
haben, die das Denkmal verewigen ſoll.
Vielleicht wird man Wolfs deutſchen Schriften den
Vorwurf nicht machen, den man ſeinen lateiniſchen
macht. Sie ſind kleiner, gedraͤngter und popularer; fie ha⸗
ben alſo vermuthlich mehr unmittelbar auf bie Verbrei—
tung der Philoſophie in Deutſchland gewirkt; ich ſage
nur, vermuthlich auf die Verbreitung der Philoſophie,
aber mit groͤßter Zuverſicht darf ich behaupten, daß ihre
Wirkung auf oie deutſche Sprache bie vortheilhafteſte aec
weſen iſt. Wolf gab das erſte Beyſpiel unter den deut⸗
ſchen Philoſophen von der PN Reinigkeit unb Rich:
L5 tig:
238
tiafeit der Sprache. Gr war in Opitzens unb Logaus
Schule qebilbet; bie Sprache dieſer beutfdyen Dichter
war ihm durch ſeinen Lehrer Gryphius uͤberliefert. Mit
ihrem klaſſiſchen Stempel praͤgte er ſich eine proſaiſche,
philoſophiſche Sprache, die aus ſeinen Schriften in Sul⸗
zers, Lamberts und Mendelsſohns Schriften ge⸗
floſſen iſt, ſich mit der Sprache des gemeinen Lebens der
aufgeklaͤrten Staͤnde vermiſcht hat, und der es die Deut⸗
ſchen zu danken haben, daß ſie eine firirte philoſophiſche
Sprache beſitzen, die allen andern Voͤlkern ſehlt.
Das alles iſt ein Theil ſeiner Rechtsanſpruͤche auf
die Verehrung ſeines Vaterlandes. Bey ſeinen Lebzeiten
ward ihm dieſe Verehrung nicht verſagt; und er ſand ſie
nicht allein unter ſeinen deutſchen Mitbuͤrgern; er fand
(ie aud) bey den Auslaͤndern mehr al irgend ein Deutſcher,
meni Sie Leibnitz unb Tſchirnhauſen ausnehmen.
Er war in allen Academien von Europa aufgenommen,
und Rußland wuͤrde ihn mit Vergnuͤgen, als Praͤſiden⸗
ten, an der Spitze der ihrigen geſehen haben.
Selbſt ſeine Verfolgungen, in denen er ſo glorreich
obſiegte, muͤſſen ſeinen Ruhm erhoͤhen. Und hierin finde
ich einen neuen Grund, warum ich die Freunde des philoſo⸗
phiſchen Verdienſtes in ben preußiſchen Staaten auffotz
dern zu muͤſſen glaube, den Weltweiſen Wolf in ihrer
Hauptſtadt vor bem Denkmale des Ruhms nicht auszu⸗
ſchließen. Dort war der Brennpunkt, wo die Strahlen
der Halliſchen Verunglimpfungen ſich vereinigten, wo
die Flammen der Verfolgung ausbrachen und uͤber dem
Haupte des Weltweiſen zuſammenſchlugen. Dort waren
aber auch, unter den erſten des Staats, ſeine dankbarſten
Schuͤler unb waͤrmſten Verehrer, bie ben verfolgten, abet
nídjt unterdruͤckten Weltweiſen im ben Augen bet —*
raſch⸗
fMEM 239 "uk
tofd)ten Monarchen rechtfertigten. Und unter dieſen der
Große, der ſich im Stillen zu dem bildete, was er ſeinem
Volke und der Welt dereinſt ſeyn ſollte, Friedrich der
Zweyte! Seine erſte Philoſophie ſchoͤpſte er aus
Woifs Schriften; und die Wirkung dieſes erſten
Studiums hat ſich in dieſem großen und feſten Geiſte
ſein ganzes eben hindurch gegen allen pott. der fran;
zoͤſiſchen fdónen Geiſter erbaíten. — Und auf dieſem
€ djaupla&e ſeiner &dymad unb ſeines Ruhmes wollte
man 98oífen von feinem Antheile an. einem. Dent:
male gu Ehren ber SBeltroeifen auc[dtiefen ?
Vielleicht aber haben bie ruhmwuͤrdigen Unter⸗
nehmer der Denkmale ihre Wahl auf diejenigen ein—
geſchraͤntt, bie in Berlin gelebt haben? — denn ich
rathe blindlings umher, um ihre Bewegungsgruͤnde
zu finden. Allein ſo konnten ſie Leibnitzen nicht in ihte
Wahl aufnehmen; er lebte nicht in Berlin, er war ſo⸗
gar kein eigentlicher Buͤrger des preußiſchen Staats.
Ueberdem gehoͤrt jeder Staatsbuͤrger, der ſeinem Va⸗
terlande Ehre macht, dem Sitze der Regierung zu,
bit ibm ín bem ganzen Umſange ihrer Herrſchaft ba
feinen. Standort anmeifet, wo fie feine. Wirkſamkeit
für ben Staat am nuͤtzlichſten bált. Auch bat Seid⸗
li fein Standbild in ber Hauptſtadt, ob ber 9X onard)
gleid) ihm eine Befehlshaberſchaft ferm. von. berfclben
auverttaut batte.
Berſtehen Sie mid) nit unrecht. Ich Bu
weit entfernt, Einen von den vier Weltweiſen, uͤber
welche die Stimmen der Unternehmer ſich vereinigt
haben, von ihrem Antheile an dem Denkmale auszu⸗
ſchließen — ob ich gleich erſt noch lernen muß, war⸗
um Sulzer Wolfen verdraͤugen ſoll — am meiſten
wuͤrde
fx» T* 2410 ^w»
wuͤrde id) untroͤſtbar ſeyn, wenn Cie den juͤngſten un
tet ihnen, den Weltweiſen Moſes Mendelsſohn,
den ich in dieſer ehrenvollen Verbindung, ohne Ruhm⸗
redigkeit, kaum meinen unvergeßlichen Freund nennen
darf, uͤbergangen haͤtten. Die Nation ſetzet durch
ſeine oͤffentliche Verewigung nicht allein ihrer Liebe der
Weltweisheit, ſondern aud) ihrer erleuchteten Duld⸗
ſamkeit das ruͤhmlichſte Denkmal, fie. verwilligt ihm
nicht nuc eine oͤffentliche Schadloshaltung dafuͤr, daß
er nicht die Ehre, und die preußiſche Academie der
Wiſſenſchaften nicht das Gluͤck hat haben koͤnnen, ihn
au ben Ihrigen gu zaͤhlen: fte ſtellt aud) ein großes
Beyſpiel auf, das allem Staͤnden taͤglich die große
Wahrheit prebigt: daß uns kein Unterſchied ber. Na⸗
tion, der Religion und des Standes hindern muß,
den Mann von ſeltenen Geiſteskraͤften und von weit—⸗
umfaſſenden Verdienſten zu ehren.
Ich bin alſo weit entſernt, den Enthuſiasmus
der Verehrung und der Erkenntlichkeit fuͤr ihre Weiſen
ín meinen Mitbuͤrgern einzuſchraͤnken; (d) moͤchte ihm
lieber noch mehr Ausbreitung geben. Ich moͤchte Ihnen
gern noch einen ſeltnen Mann nennen, einen Mann,
den wir eilen muͤſſen, zu dem unſrigen zu machen, wenn
uns nicht die Zierde der deutſchen Litteratur, der deut⸗
ſchen Schaubuͤhne, der deutſchen Philoſophie entriſſen
werden foll, Der Mann, bem ein Fuͤrſt, ber dem
preithiſchen Koͤnigshauſe durch die Bande ber Ver⸗
wandtſchaft, der Neigung und der Geſinnungen zuge⸗
hoͤrt, in ſeinen gluͤcklichen Staaten eine ſorgenfreye
und ruhmvolle Muße verſchaffte, um ſich unter den
Helden und weiſen Regenten auch als erleuchteten
Beſchuͤtzer der Wiſſenſchaften auszuzeichnen, — kurz,
Leſ⸗
CX 24r ^w
Leſſing ſollte, nad) feinem Tode, ín Preußens Haupt ⸗
ſtadt wenigſtens einen Stein haben. Ich moͤchte bie
Aufmerkſamkeit meiner Mitbuͤrger noch fuͤr eine
andere Art von Weiſen, für bie erſten unſerer vater⸗
laͤndiſchen Dichter intereſſiren, wenn ich es nicht fuͤr
beſcheidener halten muͤßte, dieſen Aufruf einer wichti⸗
gern Stimme, als die meinige iſt, zu uͤberlaſſen.
Sid) endige alfo, wie id) angefangen habe: Beleh⸗
ren ſie mich, warum man den deutſchen Weltweiſen
Wolf von einem Denkmale deutſcher Weltweiſen aus⸗
geſchloſſen hat? Wie auch Ihre Antwort ausfallen
mag: ſo werde ich e$ mit jur groͤßten Ehre ſchaͤtzen, wenn
bie Unternehmer des Denkmals meinen geringen Bey⸗
trag dazu anuehmen wollen. Meine Abſicht ift blog,
mich uͤber die Beſorgniß zu beruhigen, daß die Nach—
welt, welche wieder bie XXicbter des Verdienſtes rich⸗
tet, vielleicht Wolſs Bildniß vermiſſen koͤnnte; ja daß
vielleicht, rie einft in Rom das Bildniß des Bru⸗
tus unb Caſſius, Wolfs Bildniß deſto mer hervob⸗
glaͤnzen moͤchte, je weniger es geſehen wuͤrde.
J. 2f, Eberhard.
|
Snbalt
des zweyten Stuͤcks.
I. Neber bie transſcendentale Aeſthetik, von
Herrn M. Maaß. S. 150.
II. Ueber die logiſche Wahrheit oder die trans⸗
ſcendentale Guͤltigkeit der menſchlichen
Erkenntniß. €. 150.
III. Beytrag zur Geſchichte der Baͤtte. €. 175.
IV. Rhapſodie uͤber das Verdienſt. &. 183.
V. Recenſionen. €. 191.
VI. An die Herren Herausgeber der Berlini⸗
niſchen Monathſchrift, uͤber das Denk⸗
mal, welches vier Weltweiſen errichtet
werden ſoll, von J. A. Eberhard. €. 235.
Philoſophiſches Magazin.
*
e
$erauégegeben
vorn
Johann Auguſt Eberhard.
Drittes Stuͤck.
HALLE,
bey Johann Jacob Gebauer.
1789.
I.
Weitere Anwendung ber Theorie oon bee
logiſchen Wahrheit ober Der tranfcenbentaten
Guͤltigkeit bec menſchlichen Erkenntniß.
— ⸗
D. tranſcendentale Guͤltigkeit des Satzes von
bem zureichenden Grunde ſtehet aio feſt, unb. mig
koͤnnen dieſen Satz nun weiter anwenden. Bis bas
hin war dieſe Anwendung bereits (St 2. &. 161. u. f.)
auégefübrt, baf wir gemi waren, bet (e&te Girunb
ber Formen ber ſunlichen Anſchauung mute etwas
ſeyn, was nicht ſinnliche Anſchauung, b. i. was nicht
bildlich, nicht ſinnlich iſt, — des Raͤumlichen, was
nicht raͤumlich, des Succeſſiven, was nicht fucceffiv
Philoſ. Mag. 3. Gr, R iſt.
m^ 244 73
it. Sy ben innern Ofjcften. ber Vorſtellungen iſt
alſo etwas Denkbares, das nicht als etwas Bild⸗
liches oder Sinnliches gedacht wird. Einige die⸗
ſer Objekte werden aber zugleich als aͤußere gedacht:
ſind alſo unter den Gegenſtaͤnden unſerer Vorſtellun⸗
gen einige auch in der That aͤußere, koͤnnen wir ihnen
eine aͤußere Realitaͤt — cine Moͤglichkeit ober Wirk⸗
lichkeit — außer unſerer Erkenntnißkraft mit einiger
Gewißheit beilegen? Das iſt die Frage, zu der wir
nun vorruͤcken duͤrſen, ohne zu beſorgen, daß wir im
geringſten etwas uͤbereilt haben.
Wir gingen von bem Cate aus, alles Moͤgliche
muß einen zureichenden Grund haben. Wir fanden,
daß dieſer Satz nicht bloß eine ſubjektive Wahrheit
habe, ſeine allgemeine nothwendige Wahrheit wat
auch eine objektive. Denn wir konnten in keinem
Gegenſtande von zwey entgegengeſetzten Beſtimmun⸗
gen die eine mit Ausſchließung der andern denken,
ohne etwas entweder wirklich zu denken, oder doch
wenigſtens vorauszuſetzen, welches die eine von dieſen
Beſtimmungen beſtimmte. Das mußte der Satz ſa⸗
gen wollen, den Hr. Kant mehrmals wiederholet:
der menſchliche Verſtand ſchafft ſich erſt die Natur,
indem et feine Begriffe unb Regeln auf. bie. Gegen⸗
ftánbe amenbet. Wenn er anberé etwas verſtaͤndli⸗
ches entfalten ſoll, jo kann er keine andere als ſolgende
Aus⸗
245 5
Auslequng zulaſſen: die allgemeinſten Gruͤnde der
Erkenniniß, ber Satz des Widerſpruches unb des gus
reichenden Grundes, ſind mit den allgemeinſten Gruͤn⸗
ben ber Dinge, bie erfannt werden, einerley Die
menſchliche Seele erkennt dieſe Gruͤnde ín fid) ſelbſt
durch ihren Verſtand, und ihre Vernunft erkennt
nad) denſelben alles wahre Erkennbare. Der Satz
des zureichenden Grundes hat alſo objektive GE
tigkeit.
Daß die Wahrheit dieſes Satzes eine objeftíve
ſey, erhellet noch daraus, daß die Vorſtellungen
des denkenden Subjekts eben deswegen nicht ohne
ihren zureichenden Grund ſeyn koͤnnen, weil in dieſem
Subjekte, als Objekt betrachtet, keine Beſtimmung
ohne Etwas ſeyn kann, das ſie, mit Ausſchließung der
entgegengeſetzten, beſtimmt.
Das, was in dem denkenden Weſen eigentlich
das Subjektive bey dieſem Satze iſt, bas iſt fein Be⸗
wußtſeyn, daß es ſich in dem Denken der Praͤdikate
eines gewiſſen Gegenſtandes aufgehalten fuͤhlt; das
Gefuͤhl des Stockens, des Schwankens, bec Verlegen⸗
heit, bie nicht eher gehoben wird, als bis ein beſtim—
mender Grund zu bem Einen von zwey entgegenge⸗
ſetzten Praͤdikaten den Ausſchlag giebt; aber dieſes
Oubjektive ſetzt das Objektive voraus. Koͤnnte irgend
02 ín
f^ 2416. ^m
in einem gebad)ten ober. benfbaren Gegenftante eítva
ofne beftimmenben Grund ſeyn; fo brauchte das ben:
fente Weſen ibn nid)t ju. ſuchen, nit abzuwarten,
es koͤnnte ohne Zaudern, ohne Stocken, ohne Anſte⸗
hen aufs Gerathewohl zu der erſten der beſten Beſtim⸗
mung uͤbergehen, es wuͤrde nichts zu beſorgen haben,
ein Mißgriff waͤre nicht moͤglich. Eben ſo wenig
waͤre das geringſte Mißbehagen, die fleinfte * atuft,
moͤglich, einen ſolchen Mißgriff getüan ;a ' "^en;
pber, menn ibm ein Gegenftanb dargeſtellt wuͤrde,
beffen Mannigfaltiges nid)t zu einanber pafte, nidjt
mit einander 3ufammenfinge, wort irgend ein Theil
keinen Grund haͤtte, oder einen andern, als den die
uͤbrigen Theile angeben: ſo ließe ſich nicht ſagen, war⸗
um ein ſolcher Gegenſtand mißfiele, da das denkende
Weſen das Zuſammenhaͤngende in dem Gegenſtande
nicht zu dem Gefuͤhle des leichten Fortwirkens ſeiner
Kraͤfte nothwendig beduͤrfte. Gin Gegenſtand aber,
worin etwas iſt, das fehen Grund hat, oder das
bem Grunde ber. übrigen Theile, mit denen e£ einer⸗
(ey Grund haben foll, nid)t gemáf ift, — ein ſolcher
Gegenſtand mißfaͤllt. Warum beleidigt auf einem
Gemaͤlde ein Schatten ohne undurchſichtigen Koͤrper,
ein undurchſichtiger Koͤrper ohne Schatten, ein
Schatten, den der Koͤrper nach den Regeln der Optik
nicht werfen kann? Warum wuͤrde ín einer bramati
ſchen Vorſtellung eine Iphigenia, bie in Todes⸗
ſchmerz,
FAMEM 242. ^wich
ffmerg, mit aefenftem Haupte und erſchlafften Glie—
dern, mit Thraͤnen in den Augen an dem Halſe ihrer
Mutter einen engliſchen Tanz, oder den Deſſauiſchen
Marſch ſaͤnge, — warum wuͤrde die beleidigen?
Das Unangenehme, das Widrige, das Zuruͤckſtoßende
ín allen dieſen Gegenſtaͤnden liegt e$. in etwas an;
derm, als darin, daß in demſelben Etwas iſt, das
keinen objektiven Grund hat?
Ich will aus dieſen Bemerkungen nicht zu viel
Vortheil ziehen, aber doch auch nicht gern weniger,
als ich berechtigt bin. Syd) aglaube aber, ich ſey
voͤllig berechtigt, daraus zu ſchließen, daß ſie die
(St. 2. S. 168. u. (f) bewieſenen Saͤtze mit unwi⸗
derſtehlicher Kraft beſtaͤtigen, und
X. bag ber Satz des zureichenden Grundes ein
voͤllig allgemeiner Satz ſey;
2. bag feine Wahrheit nicht bloß ſubjektiv, fo
dern auch objektiv ſey;
3. bag ſelbſt unſere Vorſtellungen demſelben ge:
maͤß ſeyn muͤſſen, fo ſern fie Objctte ſind.
Wenn (dj hier etwas wiederhole, obet vict:
mehr nachhole, ſo geſchieht es, um eine Wahrheit,
auf bie fo viel ankoͤmmt, von allen ihren intereſſanten
Seiten gu zeigen, unb nad) alfen ibren Richtungen ju
Befeftigen. — Wir muften erſt wegen bet. objcftiven
983 Git
CMAvTM 218. ^w
Guͤltigkeit dieſes Satzes uͤberhaupt ſicher ſeyn, wenn
wir zu ſeiner aͤußern Ohjektivitaͤt unb zu ſeiner trang;
ſcendentalen Guͤltigkeit, wie es Hr. Kant nennt,
oder zu ſeiner Anwendung auf Gegenſtaͤnde, die außer
uns, und keine bloße Erſcheinungen ſind, ohne Be⸗
ſorgniß uͤbergehen wollen.
Y. Einige unſerer Vorſtellungen haben Gegen⸗
ſtaͤnde, die wir uns als aͤußerlich denken.
Daß die innern Gegenſtaͤnde unſerer Vorſtellun⸗
gen, wenn ſie Erſcheinungen ſind, in Etwas ihren
Grund haben muͤſſen, das nicht Erſcheinung iſt, das
iſt, wie ich glaube, an den ſinnlichen Bildern von
bem Raume unb ber Zeit uͤberzeugend bewieſen toot;
den. Sind aber dieſe unſinnlichen Gruͤnde ber. Gt;
ſcheinungen auch aͤußere Gegenſtande, haben ſie ein
bloßes ideales, oder haben ſie auch ein reelles Daſeyn,
ein Daſeyn außer der Vorſtellung, gibt es Dinge an
ſich, wie ſie Hr. Kant, ovzos ovra , wie fie Plato,
wahre Dinge, wie ſie Leibnitz, Wolf und Baum⸗
garten nennen?
Wir unterſcheiden unter unſern Vorſtellungen
voffenbar einige, deren Gegenſtaͤnde wir aufer uns
denken, deren Urſachen wir außer uns ſetzen; wir
nennen ſie aͤußere Empfindungen. Bume nennt ſie
Im⸗
FM 2419. ^wacs
Impreſſionen, alle ü6rigen nennt. er Ideen 9),
unb er wird mit bcr Beſtimmung ihres Unterſchiedes
bald fertig; fie unterjbeiben fi, feiner. Meinung
nad), turd) nichts weiter, al$, bag bie Ideen ſchwaͤ—
dr unb bíe Sympteffonen ſtärler (in^. — Es laͤßt
fic) kaum etwas feid)tcreó denken, als das angenehme
Geſchwaͤlz, womit uns bet elegante Hume über dieſe
daterie unterhaͤt. Daß ſeine Impreſſionen, oder
unſere aͤußere Empfindungen gewoͤhnlich eine groͤ⸗
ßere Staͤrke haben, als feine Ideen, ober bie Vor⸗
ſtellungen, die keine Empfindungen ſind, das wird
man wol ſchwerlich für eine febr neue Entbeckungq bat:
ten duͤrfen. Es (ft bad gemeinſte Mittel, woburd)
wir unſere Empfindungen von andern Vorſtellungen
unterſcheiden; aber ein allgemein ausreichendes iſt
es gewiß nidt. Wir finb ojt genoͤthigt, andere zu
gebrauchen, unb ber gemeinſte Menſch gebraucht ſie.
Er ſchließt nach einem unerlernten aber untruͤglichen
Grundſatze, daß eine Vorſtellung keine Empfindung
ſey, wenn ihr Gegenſtand etwas enthaͤlt, bas wider—
ſprechend und unmoͤglich iſt, oder keinen Grund hat.
Die Wahrheit, welche bey dieſem Schluſſe zum
Grunde liegt, ift keine andere, als daß ein Gegen:
ſtand nicht außer feiner. Vorſtellung wirklich ſeyn koͤn⸗
ne, menn nicht alles in ibm bem Gate des Wider—⸗
ſpruches unb des zureichenden Grundes gemäß iſt.
R4 Soll⸗
) Treat. on hum. Nat. B. I. P. I. S. I. S. 12,
f^f^ 250 "uc
Sollte et. irgendwo einen. Schatten geſehen zu haben
glauben, ohne daß eim undurchſichtiger Koͤrper vor;
handen waͤte, ſo wuͤrde er uͤberzeugt ſeyn, daß er es
ſich bloß eingebildet habe, geſetzt, daß auch die Vor—
ſtellung alle Staͤrke einer Empfindung gehabt haͤtte.
Das entſcheidende Kennzeichen, woran der bloße
geſunde Verſtand etwas fuͤr eine Empfindung erkennt,
iſt alſo die Staͤrke der Vorſtellung, verbunden mit der
Moͤglichkeit des Gegenſtandes ſowol an ſich, als mit
den vorhergehenden, begleitenden und nachfolgenden
Umſtaͤnden. Hingegen erkennt eben ber geſunde Ver—
ſtand eine Vorſtellung fuͤr eine Einbildung, ſo bald er
fid) ihrer 93ergefellfdaftung mit feinen vorhergehen⸗
den oder gleichzeitigen Vorſtellungen bewußt iſt.
Dieſe Urtheile des geſunden Verſtandes laſſen
ſich durch die ſchaͤrfſte Unterſuchung rechtfertigen.
Eine jede wirkliche Vorſtellung muß einen unmittelba.
ren zureichenden Grund haben, warum ſie eben jetzt,
warum ſie nicht fruͤher und nicht ſpaͤter, unter dieſen
unb feinen andern Umſtaͤnden wirklich iſt. St die⸗
ſer Grund ein bloßer innerer Grund: ſo ſuchen wir
ibn nicht ín einem aͤußern von bem denkenden Subjekte
verfd)iebenen Gegenſtande; bie Vorſtellung ift bloß
vermoͤge eines Geſetzes des denkenden Subjektes ſelbſt
vorhanden; ihr Grund iſt ſubjektiv. Iſt der Grund
der
FMVEM 25r ^ac»
ber Vorſtellung nicht blog ít einem Geſetze be& ben:
fenben. &ubjefteó: fo muf er ín ifrem Dbjette, et
muf ein objettivet ſeyn.
Danach unterſcheide id) bíe Theile einer Total⸗
vorſtellung, ſo wie die Folge in den Reihen meiner
Vorſtellungen. Den naͤchſten Grund derjenigen Reihe,
worin die Vorſtellungen nad) bem bloßen ſubjektiven
Geſetze der Einbildungskraft auf einander folgen, ſuche
ich nicht in Gegenſtaͤnden außer mir; ſo bald aber die
Folge ber. Vorſtellungen dieſen Grund ín einem fub;
jektiven Geſetze ber Seele, in bem Geſetze ber Einbil⸗
dungskraft gar nicht haben kann, ſo muß ſie einen
Grund außer mir haben, in Dingen, die von mir
verſchieden ſind, und die ich die Gegenſtaͤnde meiner
Vorſtellungen nenne. Man hat ſich dieſes Satzes als
eines Entſcheidungsgrundes in einem aͤußerſt verwickel⸗
ten Falle bedient, um danach auszumachen, ob eine
gewiſſe Vorſtellung eine bloße Vorſtellung der Einbil⸗
dungskraft, oder eine wirkliche Empfindung ſey. Es
iſt in der Theorie der Muſik eine beruͤhmte aber
ſchwere Frage, ob die ſogenannten Nebentoͤne (toni
ſecundarii) wirklich gehoͤrt werden, oder ob ſie bloß
bie Einbildungskraft zu ben Haupttoͤnen hinzuſetzt.
Man verſteht unter dieſen Nebentoͤnen bie. Octave,
Duodecima, Decima quinta und Decima ſeptima, die
mit dem Grundtone der Saite zugleich gehoͤrt werden,
R5 und
KAAVEM 252 4*1
unb c8 ift befannt, daß Xameau auf bie Erfahrung,
daß jeber Girunbton von dieſen Socbentónen bealeitet
werde, einen Theil feiner Theorie des Generalbaſſes ae:
bauet hat. Dieſe Nebentoͤne ſind ſo ſchwach, daß man
ſie, nach ihrer Staͤrke, nicht fuͤr Empfindungen halten
duͤrſte, unb gleichwol ſind ſie es. Das Humiſche
Kennzeichen der Impreſſionen oder Empfindungen
laͤßt uns hier alſo voͤllig im Bloßen. Man hat ſich
daher mit einem andern Mittel helfen muͤſſen, und
das geben uns die Geſetze ber Einbildungskraft unb
ber aͤußern Sinne an die Hand. Nach bem Geſetze
der erſtern erregt eine Vorſtellung andere, die mit
ihr vergeſellſchaftet ſind. Wenn alſo mit der Em—⸗
pfindung des Grundtones die Vorſtellung der uͤbrigen
Toͤne, die zu dem harmoniſchen Dreyklange gehoͤren,
kann erregt werden: ſo kann man fragen, warum die
Quinte des Grundtones nicht als Nebenton mit ihm
gehoͤrt wird, da ſie eben ſo genau und noch genauer
mit ihm vergeſellſchaftet iſt, als die Duodecima; nicht
die Tertie, die eben ſo genau und noch genauer mit
bem Grundtone vergeſellſchaftet iſt, als die Decima
ſeptima? Der Grund von dieſer Erſcheinung iſt alſo
nicht ſubjektiv, er ift ín feinem Geſetze bed. empfin⸗
denden Subjektes; er muf alío objeftio ſeyn; ba8
heißt: wir müffen un& bie Nebentoͤne nicht bof ein:
biben, wir muͤſſen fie empfinben, iir müffen fie
wirklich bóren, Wir haben alfo Recht zu fdliefen,
der
FMMEM 253 ^um
óet Grund der 93or(tellungen, bet fein fubjeftiver
feyn kann, muf ein objeftiver ſeyn. Dieſer Schluß
fann ín taufenb Fallen binreidjen, um uns von bet
áufern Objektivitat unferer Vorſtellungen gu uͤberzeu⸗
gen. Bismweilen finben wir abet oiefen Grund ín den
Objekten ſelbſt, und dann iſt unſere Ueberzeugung,
daß fie Empfindungen ſind, nod) vollſtaͤndiger Wenn
id) den Koͤrper, ber einen Schatten verurſacht, wirk—
lich ſehe, ſo zweifle ich nicht mehr, daß der Schatten
kein bloßes Bild der Einbildungskraft ſey. Bey der
vorliegenden muſikaliſchen Frage laͤßt ſich zeigen, daß
qut die Schwingungen ber aliquoten ober erſchoͤpfen—
den Theile der ganzen Saite, nicht von den Schwin⸗
gungen der ganzen Saite zerſtoͤrt, und alſo gehoͤrt
werden koͤnnen, und das iſt der Grund, warum die
Tertie unb Quinte, bie durch die Schwingungen von $
unb * entítefen, nicht, bie Octave aber, Duodecima
u. f. m. bie burd) bie &dymingungen $, 3 u. f. tv.
entſtehen, allerbingé zu bem Grundtone mitten.
Syd) Babe biefe8 Beyſpiel aefüffentlidy fo weit⸗
fauftig ausgefuͤhrt; weil es mir bie 9Bernunftmáfig:
feít des Verfahrens, wonach bie gefunbe SBernunft
jur Urſach einiger unſerer Vorſtellungen áufere. Oe:
genſtaͤnde annímmt, ín einem febr hellen Lichte bat:
guftellen ſcheint. Synbem fie ín ben SRorftellungert von
einzelnen Dingen zweyerley Reihen unterjd)eibet, in
deren
fMvER 254. "wav
deren einer fie. entweder einen ſubjektiven Grund
wahrnimmt, oder einſieht, daß fie feinen aͤußern ob⸗
jektiven haben kann; (n deren andern fie hingegen ent:
weder einen aͤußern objektiven Grund erkennt, oder
wenigſtens erkennt, daß fie feinen ſubſektiven haben
kann, — indem die geſunde Vernunft dieſe zweyerley
Reihen voit Vorſtellungen einzelner Dinge unterſchei⸗
det: ſo glaubt ſie ſich genoͤthigt, zweyerley Arten von
Vorſtellungen anzunehmen, Einbildungen und Em—
pfindungen, und die letztern von den erſtern an dem
Kennzeichen zu unterſcheiden, daß ſie durch wahre
Gegenſtaͤnde außer ihr verurſacht werden, worin alles
bem Satze bed zureichenden Gtundes gemaͤß ſeyn
muß; die andern aber nicht.
2. Die Gegenſtaͤnde unſerer Empfindungen
ſind wirklich.
Dieſe Betrachtungen ſetzen, wofern mich nicht
alles taͤuſcht, die objektive Kraft des Satzes vom
Grunde außer allen moͤglichen Zweifel. Ja! ich darf
noch folgendes hinzuſetzen, — und das bin ich gern
zufrieden, fuͤr ein ſo großes Paradox gelten zu laſſen,
als man will, ob es mir gleich darum nicht weniger
wahr ſcheint. Ich ſelbſt Bin ein Objekt, meine Vor⸗
ſtellungen ſind Objekte; ſie ſind die Objekte meiner
Betrachtungen, ſo oft ich ſie deutlich zu machen ſuche.
Ich
8ſ 255
Ich betrachte meine Anlagen, Kraͤfte, Fertigkeiten,
Tugenden unb Fehler; id) unterjcflbe meine Vor—
ſtellungen von mir, dem betrachtenden Subjekte. Wenn
das auf den erſten Anblick paradoxer ſcheint, als daß
wir uns ſelbſt in einem Spiegel betrachten: ſo kann
es bloß daher kommen, daß wir dieſes gewohnter ſind
als jenes. Die erften Grundſaͤtze der Vernunft muͤſ—
ſen alſo eben darum auch eine objektive Nothwendig,
feit haben, weil man ihnen eine ſubjektive nicht abfpre:
chen kann; ja ſie haben nur darum eine ſubjektive,
weil ſie eine objektive haben. Denn das Geſetz der
Vernunft iſt nichts anders als ein beſonderes Geſetz,
das unter dem allgemeinen Geſetze des zureichenden
Grundes enthalten iſt; e$ iſt dieſes allgemeine Geſetz
angewendet auf bie Folge deutlicher Vorſtellungen.
Ich ſehe wohl, daß dieſe Betrachtung ſich noch
bis zu einer. groͤßern Evidenz ausfuͤhren ließe, unb et:
warte nur die Veranlaſſung dazu, die uns auch nicht
fehlen wird, ba die Art, auf bem Wege der Unterſu—
chung zu reiſen, die die Einrichtung dieſer Zeitſchrift
mit ſich bringt, es ſehr wohl erlaubt, daß wir unſere
Tagereiſen nad) Belieben abbrechen unb wieder fort⸗
ſetzen, bag wir vorwaͤrts unb ruͤckwaͤrts geben, unb
nach allen Richtungen ausbeugen koͤnnen. Jetzt alſo
ſey es mir erlaubt, die bisherige Betrachtung in einen
kurzen Nebenweg zu lenken.
Hier
FX» 256 4»
Hier i(t bie erfte augenſcheinlichſte objektive Guͤl⸗
tigkeit der erſten Gruͤnde und Geſetze der Erkenntniß
ſichtbar. Die Vorſtellungen, nicht bloß ſo fern ſie
Vorſtellungen, ſondern fo ferm fie Objekte fino,
müffen ibnem gemáfi ſeyn Muͤſſen fle bas nit:
fo (inb fie nut. Geſetze für dieſe 3Borftellungen, bic in
oiefem Augenblicke wirklich (inb: fo koͤnnen in jedem
kuͤnftigen Augenblicke andere Vorſtellungen nad) ans
dern Geſetzen ſeyn, ſo giebt es keine allgemeine
Gruͤnde, keine nothwendige Geſetze, mit welchen
id in meine Anſchauungen Einheit bringen kann.
Denn die Allgemeinheit und Nothwendigkeit dieſer
Geſetze und Gruͤnde meiner Vorſtellungen kann nicht
davon abhangen, daß ſie Vorſtellungen uͤberhaupt,
oder Vorſtellungen von dieſer oder jener Sache ſind,
ſondern bloß davon, daß ſie uͤberhaupt Etwas, daß
ſie Objekte ſind. Das Subjektivwahre in der Er⸗
kenntniß iſt veraͤnderlich, zufaͤllig, mannigfaltig; nur
das Objektivwahre iſt unveraͤnderlich, nothwendig,
allgemein. Entweder es giebt keine allgemeine Ger
ſetze bet Vorſtellungen, ober ſie ſind objektiv guͤltig.
So zerſtoͤrt der kritiſche Idealismus ſich ſelbſt; denn
aller Streit daruͤber iſt unmoͤglich, wenn e$ feine allge⸗
meine Erkenntnißgruͤnde giebt, wenn dieſe nicht für
alle Subjekte, ja nicht einmal fuͤr das nehmliche Sub⸗
jekt immer gelten muͤſſen. Sie muͤſſen aber objektiv
guͤltig ſeyn, wenn ſie das ſollen.
Alſo:
FMAMf^ 257 ^3
Alſo: toir ſelbſt und unfere Vorſtellungen finb
auch Objekte; ſie ſind es fuͤr uns ſelbſt; ſie koͤnnen es
fuͤr andere denkende Weſen ſeyn, wenn es derglei⸗
chen giebt. Sind fie abet. Objekte: fo giebt es bet;
gleichen fuͤr Eine Art unſerer Empfindungen, naͤmlich
fuͤr die inneren. Eine ganz natuͤrliche Analogie koͤnnte
und nun uͤberzeugen, daß ſo, wie bie innern Empfin⸗
dungen wirkliche Gegenſtaͤnde haben, bie aͤußern bet;
gleichen ebenfalls haben muͤſſen, und zwar, wie jene
innere, fo dieſe aͤußere. Es koͤmmt nut barauf art,
daß wir die aͤußern Empfindungen von den uͤbrigen
Vorſtellungen unterſcheiden, und dazu giebt uns, wie
oben iſt gezeigt worden, bie geſunde Vernunft Kenn—
zeichen an, die den erſten Gruͤnden der menſchlichen
Erkenntniß gemaͤß ſind.
Wenn wir nun nach dieſen vorlaͤufigen Betrach⸗
tungen die Theorie ber bisherigen Metaphyſik mit
Hrn. Rants Theorie vergleichen: fo ſagt bie letztere:
1) Raum und Zeit ſind die Formen der ſinnlichen
Anſchauung aller unſerer Erkenntniß; wir haben
das uͤberſetzt: fie ſind bie einfachſten Begriffe
derſelben, bie Clemente, woraus (ie zuſammen⸗
geſetzt iſt;
2) ſie ſind in irgend etwas erkennbares voͤllig un⸗
aufloͤslich;
3) dieſe
F^Avf^ 258 wm
3) biefe Sormen ber ſinnlichen Anſchauung, ober,
bieje einfadyen Begriffe, haben bloß fubjcftive
Grünbe ;
4) fie finb affo blofie Erſcheinungen, ohne irgend
etwas, das nidt Erſcheinung, ober, mie e
Br. Sant nennt, cin Ding an fij, b. i. ein
wahres Ding, ein orras cv ift, von bem wir
irgenb etwas erkennen.
Die Leibnitziſche Theorie ſagt:
1) Raum und Zeit ſind nur Formen, d. i. die
einfachſten Begriffe der Sinnenerkenntniß;
(Phil. Mag. St. 2. S. 168.)
2) ſie ſind nur fuͤr die Sinnen, nicht aber fuͤr
ben Verſtand unb die Vernunft, unaufloͤslich;
(Ebend. S. 169.)
3) fie haben aufer den ſubjektiven aud) objektive
Gruͤnde;
4) unb dieſe objektiven Gruͤnde (inb. keine Erſchei⸗
nungen, ſondern wahre erkennbare Dinge.
Die erſten zwey von dieſen Saͤtzen ſind bereits,
wie es mir ſcheint, beftiedigend bewieſen worden;
den dritten haben wir in der gegenwaͤrtigen Abhand⸗
lung darzuthun geſucht, indem wir uns durch die ob⸗
jektive Guͤltigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde
von
259
von der Wirklichkeit der Gegenſtaͤnde unſerer Empfin⸗
dungen uͤberzeugt haben. Um aber hier nicht den ge⸗
ringſten Schein einer Luͤcke zu laſſen: ſo mag folgende
Fortfetzung unſerer Unterſuchungen, das, was zur
voͤlligen Ueberzeugung von der Beziehung unſerer Er⸗
kenntniß des Wirklichen auf aͤußere Gegenſtaͤnde fehlt,
noch ergaͤnzen.
3. Die Gegenſtaͤnde der aͤußern Empfindun⸗
gen (inb nicht bloß innere Gegenſtaͤnde, fons
bern aud) áufere, unb ifte letzten Girünbe
finb Dinge an (id).
Daruͤber ift alfo fein Streit, baf bie Vorſtel⸗
lungen der Einbildungskraft von den Empfindungen
dadurch unterſchieden werden, daß ſich letztere auf
wirkliche Gegenſtaͤnde beziehen; allein vielleicht ſind
dieſe Gegenſtaͤnde feine aͤußere, bloß innere. —
Der Grund, wonach die geſunde Vernunft ur⸗
theilt, daß es wirklich aͤußere Gegenſtaͤnde ſind, den
wir bereits angefuͤhrt haben, und der darin liegt,
daß die Vorſtellungen ber Sinne durch bie Verknuͤ⸗
pfung ber VBeſtimmungen in bem Objekte beſtimmt
werden, — dieſen Grund koͤnnen wir noch allgemei⸗
ner, und eben dadurch noch faßlicher darſtellen.
Philoſ. Mag. 3. St. e Un⸗
mAuvr* 260 ^w
Unſere Cmpfinbungen müffen nothwendig aud)
eiten Grund ihrer Wirklichkeit ober eine Urſach außer
ſich haben; denn ihr innerer iſt nicht zureichend.
Sind fie gar nicht Wirkungen unſerer Kraft, iſt das,
was wir unſere Seele, unſer Ich nennen, gar keine
Kraft, iſt es eine bloße Erſcheinung, alſo ſelbſt nichts
als Vorſtellung: nun ſo muß irgendwo eine Kraft
ſeyn, die die wirkende Urſach dieſer Vorſtellungen iſt,
denn alles muß ſeinen zureichenden Grund haben.
Iſt ſie aber eine Kraft: ſo muß eine Urſach daſeyn,
bie fie zu bet Einen von ben unenbfíd) vielen moͤgli⸗
chen Vorſtellungen 6eftimmt. Das ift. nun entrocbet
ein raͤumliches und ſucceſſives Ding außer ihr, oder
es iſt ein nicht raͤumliches, nicht ſucceſſives Ding,
kurz das, was wir die unendliche Subſtanz nennen.
In dem letztern Falle haben wir ein Ding an ſich,
unb zwar außer uns, ofne raͤumliche unb ſucceſſive
Gegenſtaͤnde — der Berkleyiſche Idealismus. In
bem erſtern Salle haben wir aͤußere Objekte.
Iſt alles dieſes nicht: nun ſo habe ich meine
Vorſtellungen, weil ich fie habe. Veftram fidem,
Quirites! ruft hiebey ein neuerer Beſtreiter bet
bloßen Subjektivitaͤt unſerer Erkenntniß aus, ift das
eine Antwort, iſt das ein Grund? *) Auf dieſen
Gruͤn⸗
*) $t. Soft. weishaupt über hie Gruͤnde umb Gewish.
der menſchl. Erkenntn. S. 162.
F-uvf o6r wu»
Gruͤnden alfo müfite bie Widerlegung des Berkleyiſchen
Idealismus beruhen, bie Jor. Kant in ber. St. ber r.
Vern. S. 275. n. X. verſucht hat. Denn fo voie et fie
vortraͤgt, trifft fie ihn ſchlechterdings nicht. Von ben
zweyerley moͤglichen Gruͤnden der Vorſtellungen, den
veraͤnderlichen der Welt, unb bem nothwendigen Ber
ſen, hat Berkley das letztere gewaͤhlt; und hierin iſt
ſein Idealismus gewiß zuſammenhaͤngender, als der
kritiſche Idealismus des Hrn. Kant, und der allge⸗
meine des ſeichten Hume.
Es iſt hier nicht der Ort, von dieſen ſucceſſiven
Objekten zu ber Wirklichkeit der nothwendigen Sub⸗
ſtanz hinauf, oder von der Wirklichkeit der nothwendi⸗
gen Subſtanz zu der Wirklichkeit der ſucceſſiven Objekte
herabzuſteigen; der Verſuch dazu mag in ein anderes
Blatt ausgeſetzt bleiben. Wir geben jetzt gleich zu
ben Dingen an fid fort, — o bald wir genoͤthigt
finb, aͤußere Gegenftánbe unfetec Cmpfinbungen , bie
raͤumliche unb fucce(five Dinge finb, angunebmen , fo
müffen wir aud) bie Wirklichkeit von ingen an. fid)
etfennen ; benn bie (e&ten objektiven Gruͤnde bet
concreten Seit. (inb 93orftellungen, unb bie le&ten ob;
jektiven Gruͤnde be$ concrete unb wirklichen Raumes
ſind einfache unraͤumliche Subſtanzen, Dinge an ſich,
wahre Dinge, keine Erſcheinungen, ovrws ovra, unb
fo fern fie aufer der Sphaͤre ber. Sinne liegen, unb
o2 nur
CA^ 262 «um
sut von bem Verſtande fónnen vorgeſtellt werden,
Noumena. ('Dbif. Mag. €t. 2. €. 169 — 173.)
QC» twáte alfo die Wahrheit, ba Raum unb
Seit jugleid) fubjefrive und objeftive Gruͤnde babet,
bie oen. Santé Commentatoren kaum als Hypotheſe
zu roibetlegen wuͤrdigen, voͤllig apodiktiſch erwieſen *).
Es waͤre bewieſen, daß ihre letzten objektiven Gruͤnde
Dinge an ſich ſind; und wir muͤßten, — wenn der
ein Dogmatiker iſt, der mit Gewißheit Dinge an ſich
annimmt, — es koſte was es wolle, uns dem
Schimpfe unterwerfen, Dogmatiker zu heißen.
*) Wir empfehlen, was daruͤber in ber Allg. deutſchen
Bibl. B. 66. Gt. 1. €. 94. u. ff. tnb $5. ga. 6t. a.
€. 471. u. ff. mit vieler. Gruͤndlichkeit geſagt iff,
nachzuleſen.
|
II.
FAM 263 / ux»
$0909 ro$ro$9 n9 o9 729 c9 2$ ^) 9^9
II.
Ueber das Gebiet des reinen CBerftanbes.
— —ñ—— —
W. haͤtten uns alfo in ben bisherigen Unterſu—
chungen uͤberzeugt, daß es Dinge an ſich, oder wahre
Dinge, Dinge, die keine Erſcheinungen ſind, geben
muͤſſe. Dieſe Dinge an fid), bie einfachen Subſtan⸗
zen, die endlichen ſowol als die unendliche, ſind dem
reinen Verſtande erkennbar. Das leugnet Hr. Kant;
er behauptet, aud) durch ben reinen Verſtand erken⸗
nen wir nicht das geringſte von ihnen. Die Begriffe
dieſes Vermoͤgens ſind bloße Kategorien, die ohne
Anſchauung gat keine Vorſtellungen geben. Die Gu;
ſcheinungen der Koͤrperwelt ſind alſo bloße ſubjektive
Modifikationen der Sinnlichkeit, die keinen objektiven
Grund haben, gar nichts von dem Objekte vorſtellen;
und nach dieſer Analogie, ſtellt uns unſere Erkenntniß
Gottes nichts von ihrem Objekte vor, nichts von der
Wirklichkeit, nichts von den Eigenſchaften dieſes hoͤch⸗
ſten Weſens.
Syd) habe bisher bem Gebiete des Verſtandes
einen Umfang gegeben, den ihm alſo der kritiſche
S3 Idea⸗
(avrR 264. xà
Idealismus abſpricht. Hr. Kant fat bie Graͤnzen
dieſes Gebietes ſo enge zuſammen zu ziehen verſucht,
daß ſie weiter nichts mehr in ſich ſchließen, als die
wenigen allgemeinen Begriffe, denen er ausſchlie⸗
ßungsweiſe ben ehemals mehr umfaſſenden Namen
der Kategorien zugeeignet hat. Da er ſogar von
dieſem eingeengten Boden auch nur eine ſehr geringe
Nutzung zulaͤßt: ſo wird das Beduͤrfniß dringend,
die Gerechtſame des Verſtandes auf ſein altes, unter
fo vielen Revolutionen beſeſſenes Reich geltend zu ma:
chen. Seine Kategorien oder allgemeinen Begriffe
ſollen nemlich zu weiter nichts dienen, als bie Sot;
men der Anſchauung zu verbinden, oder in Einheit
der Apperception zu bringen. Da ferner die Erkennt⸗
niß der reinen Vernunft, wie er behauptet, leer iſt,
weil ihr die Formen der Anſchauung fehlen, es alſo
feine Dinge an fid), d. i. feine ſolche, bie nicht C
ſcheinungen finb, kurz, feine wahre Dinge giebt, auf
welche feine. Kategorien koͤnnten angewendet werden:
fo ſehen mit uns ín ein Zauberland verſetzt, nachdem
wir aud bem Reiche be8 93er(fanbed. vertrieben fib;
toit leben untec bloßen Traumbildern, unb finb nicht
ſicher, o6 mir uns ſelbſt für ctroa$ Beſſeres falten
bürfen.
Das toürbe bie unausbleibliche Folge ber Ein—
ſchraͤnkung des Verſtandes auf die bloße Erkenntniß
der
mr 265
bet Sategotien, unb ber Anwendbarkeit bet Kalego⸗
rien auf bloße Erſcheinungen ſeyn. Es mürbe nichts
wirklich ſeyn, als meine Vorſtellungen; denn ihre
Materie waͤren Erſcheinungen ohne objektive Gruͤnde,
und die Begriffe des Verſtandes haͤtten bloß das Ge⸗
ſchaͤft, dieſe Materie zu verbinden; bie Gegenſtaͤnde
der Sinnlichkeit waͤren keine Dinge an ſich, die Ge⸗
genſtaͤnde des Verſtandes aud) nicht. Die Philoſophie,
welche Hr. Kant die dogmatiſche nennt, und die er,
meiner Einſicht nad), mit Unrecht der kritiſchen ente
gegenſetzt, — denn es kann eine kritiſche geben, die
dogmatiſch iſt, — dieſe Philoſophie glaubt mit unum⸗
ſtoͤßlichen Gruͤnden dargethan zu haben, daß Erſchei⸗
nungen der Koͤrperwelt ihre objektive Gruͤnde haben
muͤſſen, die aber außerhalb des Geſichtskreiſes der
Sinnlichkeit liegen, und nut Gegenſtaͤnde, aber
wahre Gegenſtaͤnde des Verſtandes und der Vernunft
ſind *).
lm und davon zu uͤberzeugen, muͤſſen wit
das Erkenntnißvermoͤgen, das wir Verſtand nen⸗
nen, allerdings genauer zu erforſchen ſuchen. Ich
weiß, daß ich in dieſer Unterſuchung nichts neues
werde ſagen koͤnnen; Plato, Ariſtoteles, inſonder⸗
heit aber. Leibnitz, Wolf, Baumgarten unb ar
dere tieſſinnige Dogmatiker, haben alles, was hieher
e 4 gehoͤrt,
*) Phil. Mag. €t. a. N. a. unb St. 3. N. rr.
F^A»f^ 266 -^-2x*
gehoͤrt, fo Befriebigenb auseinander geſetzt, baf id) ed
Éíof zu wiederholen brauche; alleim es ift vergeſſen,
ſeitdem man die Philoſophie popular gemacht hat,
und ihr Studium mit den Schriften der letzten Meſſe
anzufangen pflegt. Von dieſer Seite, muͤſſen wir
geſtehen, haben bie Kantiſchen Zweiſel, fo wenig fte
mir neu. ſcheinen, einen großen Werth Sie noͤthi⸗
gen uns, die Gruͤnde unſerer Ueberzeugung einet
neuen Pruͤfung zu unterwerfen, unb bie Quellen,
aus benen wir ſie aefd)ópft, nad) aller ihrer Siefe zu
untetfüdjen 5; was bavon ber Crfelg feyn mag, fo wird
et immer Gewinn ſeyn.
Co lange man das Wort Verſtand gebraucht
hat, ſo lange hat man immer Verſtand und Sin⸗
nen, vovs unb &e5c;s , Intellectus unb Senſus eit
ander entaegengefcet.
fen Unterſchied ber Crfenntnifarten dieſer bei;
ben Vermoͤgen beſtimmte man fo, baf man bie Gin;
nenetfenntnif auf ble Vorſtellungen be$ Einzelnen, e8
ſey durch bie Oinnen, menn mic un das Vorgeſtellte
als gegenroártig, ober butd) bie Ginbilbungstraft,
wenn wir es uns als abroefenb vor(teliten; bie Ver⸗
ſtandeserkenntniß hingegen auf die Vorſtellungen des
Allgemeinen einſchraͤnkte. Aus dieſem Unterſchiede
leitete man einen andern her, den naͤmlich: g^ bie
(n;
f^^ 262 wa
Sinmenerkenntniß aus bildlichen, bie Verſtandeser⸗
kenntniß hingegen aus unbildlichen Vorſtellungen 6er
ſtehe; wenn man das Bildliche allgemein fuͤr alle
Vorſtellung des Zuſammengeſetzten nimmt; denn in
jedem Einzelnen ift immer unendlich viel Mannigfalti⸗
ges enthalten, es ſeyen Beſtimmungen in einander
ober aufer einander, unb ſucceſſive ober. neben einan⸗
ber ſcyende.
Dieſe Art, die Erkenntniß der Sinnen und des
Verſtandes ju unterſcheiden, nimmt Hr. ant gleich—⸗
falls an, und er weicht von ſeinen Vorgaͤngern nur
ín folgenben Stuͤcken ab.
Der aͤlteſte Begriff des Verſtandes war Vermoͤ⸗
gen unbildlicher Vorſtellungen. Zu dieſen rechnete
man nicht allein die abſtrakten Begriffe, die wegen der
Allgemeinheit ihres Gegenſtandes unbildlich ſind,
ſondern auch diejenigen Begriffe des Einzelnen, die
es wegen der Einſachheit ihres Gegenſtandes ſind.
Das Unbildliche, das beiden Arten der Begriffe
und ihren Gegenſtaͤnden gemein iſt, hat bisweilen die
Alten verleitet, ſie mit einander zu verwirren, und
aus dieſer Verwirrung ift vielleicht manches unver—
ſtaͤndliche in der Zahlenlehre des Pythagoras, der
Ideenlehre bes (gto, unb in ber Theologie des Ari—
ftoteles entftanben, — Dieſe Verwirrung ſelbſt beweiſet
S5 indeß,
F2uMF 268 «m2
indeß, baf fie bie €rfenntni des unbildlichen Einzel⸗
nen mit in das Gebiet be8 Verſtandes begriffen.
S dieſem letztern gehoͤrten von je ber das hoͤchſte
Weſen, die menſchlichen Seelen, und, ſeit der Theorie
der Monadologie, die einfachen Elemente der Koͤrper.
Dieſe koͤnnen, ba fie einfad) ſind, keine Beſtimmun⸗
gen des Zuſammengeſetzten haben; die Geiſter, da ſie
das Zuſammengeſetzte zuſammennehmen, und ihm
durch die Vorſtellung diejenige Einheit geben, die
ihm an ſich nicht zukommt; die Elemente der Koͤrper,
da ſie die letzten Gruͤnde des Zuſammengeſetzten ſind,
und alſo keine von den Beſtimmungen haben koͤnnen,
die bem Zuſammengeſetzten, als Zuſammengeſetzten, aus
kommen; keine Ausdehnung, denn ſie ſollen die
Gruͤnde der Ausdehnung; keine Farbe, denn ſie ſollen
die Gruͤnde der Farben ſeyn.
Zu den Verſtandesweſen, oder zu denen Dingen,
die die Alten Noumena nennen, gehoͤren alſo auch
die unbildlichen einzelnen Dinge; Gott, meine Seele,
bie einfachen Elemente des Koͤrpers. Man Dat bis⸗
fer bie aͤußere objektive Wirklichkeit dieſer Verſtandes⸗
weſen als gewiß angenommen, ba man fie vermit—⸗
telſt der erſten Grundſaͤtze der Erkenntniß bewieſen
geglaubt hat. Die Kantiſche Vernunftkritik ſpricht
dieſen Grundſaͤtzen alle Guͤltigkeit ab, fo bald fie aus
fer
F^avr- 269 4wài49
fec bet Gebiete. bec Erſcheinungen angetvenbet. wer⸗
ben , unb zwar deswegen, weil, nad) dieſer SBernunft:
friti£, alle Erkenntniß von Dingen, bie feine Gr:
ſcheinungen finb, leer ift. Wir glauben bewieſen au
fabem, ba dieſe Grunbfáge eine transſcendentale
Guͤltigkeit faben, weil ire Wahrheit gang allgemein
ift, unb weil fie nothwendig auf Dinge füfren, bie
feine Grfdjeinungen (inb. Hr. Kant (eugnet, baf
írgeno etwas von dieſen Singen erfennbar ſey; et
behauptet, baf roit gar nichts von inen miffen, baf
wir von ifnen fein einziges "Drábifat weder bejahen
noch verneínen koͤnnen; unb zwar deswegen, teil bec
Vorſtellung von benfeben bíe Formen ber ſinnlichen
Anſchauung fehlen.
Wir haben geſtanden — und welche gruͤndliche
Philoſophie hat je etwas anderes geſagt? — daß den
Vorſtellungen von denſelben allerdings die Formen der
Anſchauung fehlen; allein wir haben geglaubt, bat:
aus nichts weiter ſchließen zu duͤrſen, als daß ihnen
alſo, fofetn fie Gegenſtaͤnde des Verſtandes ſind, keine
bildliche, ſinnliche, anſchauende Praͤdikate beyge⸗
legt werden duͤrfen. Wer von uns beiden richtig ge⸗
ſchloſſen, wird vielleicht beſſer in die Augen fallen,
wenn wir die Schluͤſſe ín ihrer voͤlligen Form darle⸗
gen. Herr Kant ſchließt:
Alle
270
Alle Vorſtellungen, die keine Erſcheinungen ſind,
ſind leer von Formen der ſinnlichen Anſchau⸗
ung.
Alle Vorſtellungen von Dingen an ſich finb- Vor⸗
ſtellungen, die keine Erſcheinungen ſind.
Alſo ſind ſie ſchlechterdings leer.
Dieſer Schluß hat augenſcheinlich vier Hauptbegriffe;
ich glaube daher, daß man nur ſchließen koͤnne: alſo
ſind dieſe Vorſtellungen leer von den Formen
der ſinnlichen Anſchauung, d. i. ſie ſind nicht
bildlich.
Wenn ſie dann nicht ganz leer ſind, wenn ſie
etwas Reelles enthalten, was ift dieſes Reelle ? Gt:
was Bildliches, etwas Sinnliches iſt es nicht, und
kann es nicht ſeyn. Alles Bildliche war entweder ei—
ne Vorſtellung bec Sinne oder ber Einbildungskraft,
und die Vorſtellungen dieſer beiden Erkenntnißvermoͤ⸗
gen ſind einzelne Dinge. Das unbildliche Reelle, bie
nicht ſinnlichen Merkmale des Einfachen, koͤnnen alſo
nichts anders als allgemeine Dinge ſeyn. Dieſe
allgemeinen Dinge ſind die Gattungen und Arten,
wovon eine jede durch ihr Weſen und Eigenſchaften
ſich von den andern unterſcheidet. Dieſe ſind nun
allerdings, abgeſondert von bem Einzelnen, nicht wirk⸗
(id); allein ſie ſud e$ bod), bie hoͤhern Gattungen
unb
Fr 27Y "mra
unb Arten mittelbar, bie niebriaften Arten unmittel⸗
bar, in den unter ihnen enthaltenen einzelnen
Dingen.
Wenn wir alſo alle Beſtimmungen des Einzelnen
klaſſificiren wollen: ſo gehoͤren ſie entweder zu ſeiner
Individualitaͤt, oder zu bcm Weſen unb ben Attri—
buten der Art und aller der Gattungen, unter denen
es enthalten iſt, bis zu der hoͤchſten dieſer Gattungen.
Die Beſtimmungen, die zu der Individualitaͤt des
Dinges gehoͤren, koͤnnen wir nur durch Empfindung
erkennen; allein ſehr vieles, daß uns auf dieſem We—
ge von demſelben nicht bekannt werden kann, laͤßt
ſich durch den Verſtand und die Vernunft erkennen.
Dieſe Verſtandeserkenntniß kann nun zwar ohne alles
Bildliche ſeyn, wir koͤnnen aber gleichwol gewiß ſeyn,
daß fie etwas [cc reelles enthaͤlt, daß fie folglich nicht
ganz leer iſt.
Das Mittel, wie ſich der endliche Verſtand von
ber Realitaͤt bet wahren allgemeinen Erkenntniß über:
zeugen kann, iſt ſo einfach, daß man ſich wundern muß,
wie es von dem kritiſchen Idealismus hat koͤnnen
uͤberſehen werden. Der endliche Verſtand erhaͤlt
feine allgemeine Erkenntniß durch Abſonderung desje—
nigen, was mehrern einzelnen Dingen, mehrern
Arten, mehrern niedrigern Gattungen gemein iſt; ſo
ſteigt
evt 072 ^w»
ſteigt er von bem niebrigften S5egriffe bis gu bem
bód)ften empor. Wenn nun dieſe allgemeinen Dinge,
fo fern fie das Einzelne enthaͤlt, etwas Reelles ſind:
ſo muͤſſen ſie es auch noch ſeyn, wenn ſie der Ver⸗
ſtand abgeſondert betrachtet. Dieſe Realitaͤt muß ih⸗
nen nothwendig auch alsdann bleiben, wenn ſie der
Verſtand als Beſtimmungen eines Dinges denkt, das
nie der Gegenſtand der Erfahrung werden kann; und
wenn die reine Vernunft nach ihren ewigen Grund⸗
ſaͤtzen genoͤthigt wird, die Wirklichkeit eines ſolchen
einfachen Dinges, es ſey endlich oder unendlich, zu
bejahen: ſo kann ſie der Umſtand nicht hindern, von
dieſer Wirklichkeit gewiß ju ſeyn, daß e$ nie ber Ge⸗
genſtand einer moͤglichen Erfahrung werden kann.
Denn was fehlt bec Erkenntniß dieſes Dinges ? nichts
weiter als die anſchauende Vorſtellung desjenigen,
was zu ſeiner Individualitaͤt gehoͤrt. Allein hindert
dieſe Unwiſſenheit, daß das denkende Weſen eine
große Menge Praͤdikate von ihm erkennt, die zu
dem Weſen und den Attributen deſſelben gehoͤrt?
Ich muß hier ein Beyſpiel gebrauchen, von deſ⸗
ſen paſſenden Anwendbarkeit wir uns erſt weiter un⸗
ten werden uͤberzeugen koͤnnen. Die Sinnen und die
Einbildungskraft des Menſchen in ſeinem gegenwaͤrti⸗
gen Zuſtande koͤnnen ſich von einem Tauſendeck kein
genaues Bild machen, d. i. ein Bild, wodurch ſie
es
F^APEM 273 ^T»
es à. $5. von einem Neunhundertundneunund⸗
neunzigeck unterſcheiden fónntem. Allein fo bald id)
weiß, daß eine Figur ein Tauſendeck iſt: ſo kann mein
Verſtand ihr verſchiedene Praͤdikate beylegen, die alle
Attribute einer Figur von einer ſolchen Anzahl von
Seiten ſind; ich weiß, daß ihre Kubikwurzel zehn,
daß ihre Quadratwurzel nicht rationell iſt, ich weiß,
ob ſie eine figurirte Zahl iſt oder nicht, u. ſ. w.
Hier iſt alſo ein Fall, wo der Verſtand von einem
Gegenſtande vieles erkennt, ohne daß die Sinnen und
die Einbildungskraft ſich ein beſtimmtes Bild von
ihm machen koͤnnen. Wie laͤßt es ſich alſo beweiſen,
daß der Verſtand von einem Dinge an ſich deswegen
gar nichts weder bejahen noch verneinen koͤnne, weil
ſich die Einbildungskraft kein Bild von demſelben
machen kann, oder weil wir nicht alle die Beſtim⸗
mungen kennen, bie zu ſeiner Individualitaͤt gehoͤren?
Ich bin alſo uͤberzeugt, daß man ber Erkennt—⸗
niß des reinen Verſtandes oder der reinen Vernunft
ihre logiſche Wahrheit oder ihre transſcendentale Guͤl⸗
tigkeit darum noch nicht abſprechen koͤnne, daß dabey
keine Formen der Anſchauung zum Grunde liegen, oder
daß ſie keine ſinnliche oder bildliche Merkmale ent⸗
haͤlt. Sie enthaͤlt Vorſtellungen von Dingen, die
keine Erſcheinungen ſind, und dieſe Vorſtellungen ſind
zwar von allem Bildlichen, aber darum nicht ganz
ſchlech⸗
f^^ 204 wues
ſchlechterdings, leer. Sie Begreifen nur nicht bie
Merkmale, welche zu ihrer Individualitaͤt gehoͤren,
oder dieſe Merkmale ſind, wie in der Erkenntniß von
dem unendlichen Weſen, nicht anſchauend; aber ſie
fiib immer nod) Vorſtellungen von ben gemeinen 95e:
ftimmungen des Dinges, von feinem Weſen, von fei
nen mefentlidem Stuͤcken, von feinen Attributen,
von feinen Vermoͤgen, unb warum ſollen dieſe Cer
genftánbe Écine Realitaͤt haben?
Der kritiſche Idealismus faat : deswegen nid)t —
bie Thaͤtigkeit des Gemuͤths fann nut ben €toff zu
einer 93orftellung Bearbeiten, aber nicht felbft aus
Nichts verfdjaffen, es muf alſo 3u bem Vorſtellungs⸗
vermoͤgen uod) ein anderes Vermoͤgen gefóren , ein
Vermoͤgen afficiet gu werden, eine Empfaͤnglichkeit,
eine Receptivitaͤt des Gemuͤths, elder ber Stoff,
den die Thaͤtigkeit bearbeiten ſoll, erſt gegeben wer⸗
den muß; dann, erſt dann wird aus dieſem Stoffe
eine Vorſtellung; bie Receptivitaͤt, ber bet Stoff ae
acben wird, i(t bie €innlicbEeit, bie Thaͤtigkeit, bie
ifn bearbeitet, ift der Verſtand. Alſo deswegen ift
eine Vorſtellung des reinen Verſtandes ſchlechterdings
(ect, das ift, fo gut als gar feine, weil fie unmittel⸗
bar feíne bildliche ober ſinnliche Merkmale enthaͤlt,
das heißt, nad) bet Terminologie bes kritiſchen Idea—
lismus, weil dabey' keine Formen der Anſchauung
zum Grunde liegen.
Einige
TAM 275 ue
Einige Anmerkungen über dieſes Verhaͤltniß beg
Verſtandes zu der Sinnenerkenntniß fuͤhren uns viel⸗
leicht zu dem Punkte, wo ſich der kritiſche Idealismus in
den Dogmatismus heruͤber fuͤhren laͤßt, d. i. zu dem
Punkte, wo wir ſehen, wie der reine Verſtand aus
der Sinnenerkenntniß diejenigen Vorſtellungen erhaͤlt,
mit denen er etwas von den Dingen an ſich erkennt.
Wir muͤſſen hier zufoͤrderſt fragen, was das
heiße: „der Sinnlichkeit wird ber Stoff gegeben, ben
ber Verſtand bearbeiten foll.,, Dieſen Stoff koͤnnen
voit nicht anders erhalten, als in den Empfindungen;
in ben innern, ín ben aͤußern. Alſo: bie Seele eti
haͤlt den Stoff, ben bec Verſtand bearbeitet, ínbem
fie empfindet; bie Gmpfinbunger geben. der Empfaͤng⸗
lídfeit beó Gemuͤths ober ber Cinnfid)feit irem
Goff. Wer giebt aber bie Empfindungen? denn
wo etwas gegeben werben foff, ba muf; Etwas ſeyn,
welches giebt; ober, deutlicher, was i(t bie Urſach
unſerer &mpfinbungen ? Hier bleibt uns keine weitere
Wahl, als zwiſchen den aͤußern Gegenſtaͤnden und
zwiſchen der Schoͤpferkraft, welche die Empfindungen
durch eine unmittelbare Einwirkung auf das Gemuͤth
hervorbringt. Denn bie bloße Empfaͤnglichkeit des
Gemuͤths bringt fie nicht ſelbſt hetvor, fi ift eine
bloße Empfaͤnglichkeit, fie empfaͤngt, ihr wird gege⸗
ben, fie wird affieirt, fie verhaͤlt fid) gans leidend
Philoſ. Mag 5. St. T Wir
FMTM 276 ^u»
Wir mógen waͤhlen, welches von beiden wir wollen,
bie Schoͤpferkraſt ober. die Einwirkung der Kraͤfte
ſinnlicher Gegenſtaͤnde: fo kommen mit auf Dinge
an ſich.
Doch wir wollen annehmen, der Stoff ſey da
und er mag in die Empfaͤnglichkeit des Gemuͤths ge
kommen ſeyn, wie er mill: voie. bearbeitet ihn mu
ber 93erftanb ? Was heißt, ber Verſtand bearbeit⸗
ihn? — Es fani zweyerley heißen.
Erſtlich: Wir koͤnnen keine allgemeinen B⸗
griffe haben, die wir nicht von den Dingen, die wi
durch die Sinnen wahrgenommen, oder von dener
deren wir uns ín unſerer eigenen Seele bewußt ſiud
abgezogen haben. In dieſem Sinne iſt cá unleugbai
daß bie Sinnenerkenntniß bem Verſtande einen. €tof
geben. mug, ben er Óeatbeitet, unb ber kritiſch
Dogmatismus barf e$ nicht (eugnen. — Denn bie af
gemeinen Dinge (inb nid)t anberá, als ín bem Gir
zelnen wirklich; der Menſch fann aber das Einzeln
nicht anders, als durch die Sinne unb bie Einbildungt
kraft vorſtellen. Die Sinnen muͤſſen alſo dem Ver
ſtande ben Stoff geben, ben. er bearbeitet — alleí:
wie? — den er bearbeitet, indem er. die gemeiner
Beſtimmungen der Gegenſtaͤnde der Cmpfinibunget.
unterſcheidet, und (ie, ohne bie Beſtimmungen be.
&ir
FRAME 277. "49
Einzelnen denkt, das i(t, inbem ec fie von ihnen abi
ſtrahirt.
Das waͤre alſo die Eine Art, wie der Verſtand
den Stoff, den ihm die Sinne geben, bearbeitet.
Allein es giebt noch eine andere Bearbeitung dieſes
Stoffes. Denn
Zweytens koͤnnen aus demſelben wieder Begriffe
zuſammengeſetzt unb verbunden werden. Der ety
ſtand ſteigt naͤmlich, vermittelſt der Abſtraktion, au
immer hoͤhern und allgemeinern Dingen, bis zu den
hoͤchſten unb allgemeinſten hinauf, bie in ben ontolo⸗
giſchen Begriſſen oder bem Sategorien vorgeſtellt wer—⸗
den. Alle dieſe Gattungen und Arten der Dinge
unterſcheidet der Verſtand durch ihre weſentlichen
Stuͤcke unb ihre eigenthuͤmlichen Attribute Gc ur
terſcheidet ben Zirkel von. andern krummen Linien, for
wol durch die Gleichheit ſeiner Halbmeſſer, als durch
die Gleichheit des Quadrats ſeiner Ordinaten mit
ben Rektangeln der Segmente; er erkennt den endli—
een Verſtand ſowol ar ſeiner Unwiſſenheit, als an ſeit
ner Fehlbarkeit; das erſte gehoͤrt zu ſeinem Weſen,
das andere iſt eines ſeiner Attribute. Außerdem er—
kennt er in allen niedrigen Gattungen und Arten alle
weſentlichen Stuͤcke und Attribute, die den hoͤhern
Gattungen zukemmen; unb wenn ihm oie Attribute
Wa der⸗
Cx»TM 278. "net
derſelben bekannt finb: fo erfennt bie Vernunft aus
ihnen das Weſen, fo voie (ie ein Attribut aug einem
anbern Befannten, unb bie Attribute alle aus bem
Weſen herleitet, wenn bem Verſtande dieſes Weſen
eher bekannt iſt.
So erhaͤlt alſo der Verſtand, mit Huͤlfe der
Vernunft, neue zuſammengeſetzte Begriffe; ſo wie er
ſelbſt, durch die Abſtraktion, zu immer allgemeinern
und einfachern hinaufſteigt, bis zu den Begriffen
des Moͤglichen und Gegruͤndeten, die allen Dingen,
als Dingen, ohne den Unterſchied der Gattung und
Art, wozu fie gehoͤren, zukommen.
Wenn wir hier die eigenthuͤmlichen Gegenſtaͤnde
des Verſtandes nod) genauer beſtimmen wollen: fe
ſind es ſowol die erſten Gruͤnde aller Erkenntniß und
alles Erkennbaren uͤberhaupt, als auch die erſten
Gruͤnde des Erkennbaren in jeder Gattung von Din⸗
gen, und dieſe ſind das Weſen derſelben. Das war
e$, was bie Alten unter bem Verſtande (»z«) Begrif
fen, wenn fie ihn nod) von der Vernunſt (2oyos) utr
terſchieden; wenn fie ihn alſo nídt für ba$ ganze
obere Erkenntnißvermoͤgen, ſondern nur fuͤr einen
Theil deſſelben, mit Ausſchließung ber Vernunft, naf
men. Sie definirten alsdann den Verſtand durch die
Erkenntniß ber Principien, qvosis Tuv epxor; denn
dieſe
fe^ 279. "r9
dieſe Principien koͤnnen keine anbere, als ble erſten
Grundſatze unb bie Weſen ber Dinge ſeyn. Aus ben
Begriffen dieſer Weſen ſetzt die Vernunft, mit Huͤlfe
der erſten Grundſaͤtze, auf die ſich alle Regeln der
Vernunftſchluͤſſe ſtuͤtzen, neue Begriffe zuſammen, lei⸗
tet daraus neue Wahrheiten her, und dieſe ſind ins⸗
geſammt Gegenſtaͤnde bet. Verſtandeserkenntniß.
So koͤnnten wir dann allerdings ſagen: der
Verſtand bearbeitet den Stoff, der dem Empfindungs⸗
vermoͤgen oder der Sinnlichkeit erſt gegeben werden
muß. Das heißt naͤmlich, ber Verſtand, deſſen Gt:
kenntniß allgemeine Erkenntniß ift, muf feine Be⸗
griffe aus den Vorſtellungen der Sinne von dem Ein⸗
zelnen abziehen, unb aus ihnen, mit Huͤlfe ber Ber;
nunft, allgemeine Wahrheiten zuſammenſetzen. Al⸗
lein folgt daraus, daß er alſo keine Dinge an ſich er⸗
kenne? Muͤſſen die allgemeinen Begriffe, woraus
ſeine Wahrheiten beſtehen, ſinnliche oder bildliche
Merkmale enthalten, wenn ſie Realitaͤt haben, wenn
fie nicht ſchlechterdings leer ſeyn ſollen? Folgt bat:
aus: bag bie Verſtandesweſen, die Noumena, mut
in dem Verſtande, nur innere Gegenſtaͤnde, nie aͤußere,
ſeyn koͤnnen? Den erſten Theil dieſer Theorie des
Verſtandes hat die dogmatiſche Philoſophie vom Plato
an, bis auf Leibnitz, angenommen; ſie hat aber nie
begreiſen koͤnnen, wie der andere Theil, oder der kri—
€3 tiſche
f^Mu"f^ 480 «49
fritifde Idealismus, barau$ gefolgert toerben
tonne,
Doch wit müffen bicfe Unterſuchung nod) weiter
verfolgen ; denn e8 ſcheint, wir finb bamit nur fo
weit gekommen, daß bie Hauptbegriffe ber allgemei⸗
nen Wahrheitn feine. ſinnliche Anſchauungen beduͤr⸗
ſen Wenn es aber Anſchauungen gaͤbe, die nicht
ſinnlich (inb: fo wuͤtrden dieſe Wahrheiten, nad Hr.
Kant ſelbſt, von Dingen an. fi) ſelbſt gelten; denn
ibre Hauptbegriffe wuͤtden Objekte haben *). Allein
dieſe nicht ſinnliche Anſchauung leugnet der kritiſche
Idealismus. Aber aus welchen Gruͤnden? Hr.
Kant ſagt **): „Wir haben zwar oben nicht bewei⸗
» fett koͤnnen: bof bie ſinnliche Anſchauung uͤberhaupt,
»„ſondern daß fie es nut fuͤr uns ſey; mir. konnten
»Aber aud) nicht beweiſen: daß nod) eine andere An—⸗
„ſchauung moͤglich feo, unb, obgleich unfer Denken
„von jener Sinulichkeit abſtrahiren kann, fo bleibt
» 00d bie Frage, ob es alsdann nicht eine bloße Form
„eines Begriffs ſey, und ob bey dieſer Abtrennung
y» überall ein Objekt übrig bleibe. ,,
Man kann nicht beweiſen, daß eine anbere An⸗
ſchauung, als die ſinnliche, deren Form Raum und
Zeit
*) Ctit. dar. V. S. 253. 0. A.
*) Ebend. €. 2352.
FX»r^ 28r "ua
Seit iſt, moͤglich fep. Die Leibnitziſche Philoſophie
glaubt das bewieſen zu haben, unb ihre Beweiſe koͤn⸗
nen durch ein bloßes Nein! nicht entkraͤſtet werden.
Wir heziehen und zufoͤrderſt, uͤber dieſen Punkt, auf
das, was bereits davon in dieſem Mag. St. 2.
€. 142. unb €. x68 — 174. iſt geſagt worden; unb
wir fe&er nur nod), gu. mehrerer Deutlichkeit, foL
gendes Dingu.
Wenn bie Gormen der ſinnlichen Anſchauung,
oder die einfachſten und allgemeinſten ſinnlichen Merk⸗
male, Zeit fuͤr den innern Sinn, Raum fuͤr den aͤu⸗
fen ſeyn ſollen: fo haben wir ſchon geſehen, baf
Vorſtellung das erſte Element der concreten Zeit,
unb einfache Subſtanz das erſte Element des concre⸗
ten Raums ſey. Dieſe erſten Elemente aber fnb keine
Erſcheinungen mehr; denn ſonſt wuͤrden ſie nicht die
ſchlechterdings erſten Elemente ſeyn; ſonſt wuͤrde,
wenn die Vorſtellung ſelbſt und das vorſtellende
Subjekt noch Erſcheinung waͤre, wieder von neuem
Vorſtellung unb vorſtellendes Subjekt, unb fo ind un⸗
endliche, muͤſſen angenommen werden. Alſo ſind die
wahren Dinge, die Dinge an ſich, die Dinge, die
keine Erſcheinungen ſind, vorſtellende Kraͤfte, ein:
fache Subſtanzen, deren Accidenzen Vorſtellungen
ſind. Denn dieſe koͤnnen keine Erſcheinungen ſeyn;
ſie koͤnnen bloß durch den Verſtand erkannt werden.
& 4 eie
Fu" 282 wu
Sie finb aber wahre tranfcenbentafe Gegenſtaͤnde
(nad) Hrn. Santé Sprache); fie fiub fein unbeitimm:
tes Etwas; benn (ie (inb fo Deftimmt, baf id) ife
Geſchlecht von allen andern unterfdjeiben fann, bie
nídt ju ijnen gefóren. Cie ſind Subſtanzen, id)
unterſcheide fie alfo von ben Accidenzen; fie ſind vor⸗
ſtellende Kraͤfte, dadurch unterſcheide ich ſie von den
bewegenden; ich erkenne außerdem in ihnen eine
Menge Attribute, eigentyuͤmliche und gemeinſchaft⸗
liche; ich kann ſie in Klaſſen theilen, wieder jede
Klaſſe charakteriſiren, und von jeder Klaſſe verſchie⸗
dene eigenthuͤmliche und gemeinſchaftliche Attribute
beweiſen. Die Begriffe von allen dieſen Beſtimmun—⸗
gen und Praͤdikaten ſind zwar allgemeine; aber es iſt
oben, wie ich glaube, bewieſen, daß man ihnen des⸗
wegen, weil ſie allgemein ſind, nicht alle Realitaͤt ab⸗
ſprechen kann. Das, was in ihnen nicht enthalten
iſt, das iſt, nach Hrn. Kants Sprache, bloß die ſinn⸗
liche Anſchauung, nach der gewoͤhnlichen das, was
ju ihrer Individualitaͤt gehoͤrt. Dieſe beiden Aus—
druͤcke bezeichnen aber im Grunde einerley Sache;
denn die Beſtimmungen des Einzelnen werden von
bem menſchlichen Verſtande nur durch die Sinnen ets
kannt, die Vorſtellungen des Einzelnen ſind ſinnliche
Vorſtellungen oder ſinnliche Anſchauungen.
Die allgemeinen Begriffe der Ontologie oder
die Kategorien ſind, nach dem kritiſchen Idealismus,
WAT 283 ^x»
„bloße Sunftionem des Denkens *), tvoburd) mir
» fein Gegenftanb gegeben, fonbetr nut ba$, was im
» oet Anſchauung gegeben voerben mag, gebadyt miro. ,,
Das heißt nun: r) bie ontologiſchen Begriffe (inb
bie allgemeinften Begriffe, fie ſind alfo nut in bem
Einzelnen wirklich, unb biejes Einzelne fann von ber end⸗
lichen 3Gorftellungsfraft nur burd) eie Cinnen erfannt
werden; 2) fic entfalter bie Sorm ber. Verſtandes⸗
erfenntníg, inbem fie biefe SDegriffe nad) ben. alíger
meinſten Gefe&en ber Form, námlid) nad) bem Cate
bes Widerſpruchs unb des guteidjenben Girunbe zu⸗
ſammenſetzen: 3) fie müffen aber. aud) eine Materie
faben , tie zuſammengeſetzt wird, fo bald fie in con-
creto follen gebad)t roerben. Das einfad)fte Merk⸗
maí dieſes Ctoffé ift Vorſtellung, — das allgemeine
fte voi ben Beſtimmungen be$ Einfachen, — unb bar
von erfa(tem wir eine anfdjauenbe Idee burd) ben
inner Sinn. Das ift es alfo, road in ber Anſchau⸗
ung gegeben wird, unb was bem teínen Gebraudje ber
Kategorien — o, i. ihrem Gebraudje ju. ben Girünben
beà Ranms unb ber 3eit, bie alfo nid)t raͤumlich unb
fucceffío finb, unb uͤberhaupt bey allem, 1023 weder
ráum(id) nod) fucceffto, obet zwar ſucceſſiv, aber. nidjt
ráumíid) ift, — feinem Gegenítanb giebt. Es iff
alfo hier ein Etwas, das feinem Gattungsbegriffe
nach viele reelle Praͤdikate enthaͤlt, ein Etwas, mo:
€5 von
*) Crit. ber t. V. S. 352. a. 9f.
Wax 28, ^ud
von eine gtofe Menge ewiger Wahrheiten gelten,
deſſen Indivitualitaͤt aber dem endlichen Verſtande
unbetannt iſt. Und um dieſes dunkeln Theils willen
verwirft der kritiſche Idealismus alles uͤbrige dem
endlichen Verſtande erkennbare; er erklaͤrt das ganze
Etwas fuͤr voͤllig dem menſchlichen Verſtande uner⸗
kennbar, für vóllig — x. Hr. Kant druͤckt fid) bat;
fiber ín einem Tone an$, ben man faum ín ber ui;
terſuchenden Philoſophie einer beutfden Kritik ber
reinen Vernunft erwarten ſollte. Er fagt: „Allein
das ſchlechthin, bem reineu Verſtande nach, Inner⸗
liche bec Materie, ift aud) eine bloße Grille *).,,
Mit welchem Rechte? — um das zu beurtheilen,
wollen wir die Reſultate der Leibnitziſchen und Kanti⸗
ſchen Vernunftkritik, ſo weit ſie hieher gehoͤren, noch
einmal ſummiren, und durch deutliche Nebeneinan⸗
derſtellung mit einander vergleichen; es wird ſich viel⸗
leicht fo am leichteſten uͤberſehen laſſen, um moie vitt
fte von einander abweichen.
Kantiſche Krit. ber reinen £eibnipi(de Krit. bet vets
Dernunft. nen Vernunft.
X, Es muj ber Erſchei- x. Eine Erſcheinung muf et.
nung etwas entſprechen, nen letztenGrund haben,
das nicht Erſcheinung iſt. der nicht Erſcheinung iſt.
2. Von
*) Grit. b. t. V. €. 277. a. 9f.
P^AVER 285 9
Kamiſche Reit. ber reinen Leibnitziſche Reit. bet rei:
Vernunft. nen Vernunft.
2. Von dieſem Etwas 2. Die ju bet. Smbívibua:
weiß id) nichts. litaͤt dieſes Etwas ge:
hoͤrigen Beſtimmungen
unterſcheide ich nicht,
ich habe davon keine
klare Idee.
3. Ich habe gat feinen 3. Ich habe nut einen Be⸗
Begriff davon. griff von ben S5eftim:
mungen, bie au feinec
Gattung geboren. Die:
fem Begriff fann id)
burd) eine Definition
deutlich angeben, unb
aus demſelben — eíne
Menge Praͤdikate Bet
leiten, die weſentliche
Stuͤcke und Attribute
des Dinges enthalten.
4. Dieſes Etwas, worauf 4. Dieſes Etwas, web
ſich bie Erſcheinung be-⸗ ches feine Erſcheinung,
zieht, kann daher kein kein Phaͤnomenon ift,
Noumenon heißen. kann daher ein. Nou⸗
menon heißen. Denn
ich kann es befiniren,
und aus ſeiner Defini⸗
tion
f^» 2896
Rantiſche frit. ber reinen. Leibnitziſche Crit. ber vel:
Vernunft. nen Vernunft.
tion verſchiedene Wahr⸗
heiten herleiten, die
ewige Wahrheiten (inb.
Ich kann das unendli⸗
che Weſen, einen end⸗
lichen Geiſt, dergleichen
die menſchliche Seele iſt,
die Elemente der Koͤr⸗
per nad) ihren Gat;
tungsbegriffen durch
Definitionen unterſchei⸗
den, und daraus ver⸗
ſchiedene, theils allen
gemeine, theils einer
jeden Gattung eigen:
thuͤmliche Attribute er:
kennen. Das Erkennt⸗
nißvermoͤgen, das die⸗
ſes erkennt, ift ber Ver⸗
ſtand, und die Gegen⸗
ſtaͤnde des Verſtandes
ſind Noumena, wie
die Gegenſtaͤnde *
Sinne pbàánomera.
5. Wenn dieſes Etwas ein 5. Die unſinnliche 2nd
Gegenſtand ſeyn ſollte, ſchanung iſt Vorſtel⸗
lung;
F^uvY^ 287 "we
Dernuníft.
folíte, ber citt Stoume:
non máre: fo imüfte es
eine anbere Anſchauung
geben, als bie ſinnliche.
6. Denn in einem jeden
Gegenſtande muß eine
Anſchauung ſeyn, wir
koͤnnen aber nicht be:
weiſen, daß es noch an⸗
dere Anſchauungen, als
die ſinnliche geben koͤn⸗
ne, ob wir gleich nicht
auch das Gegentheil be⸗
weiſen koͤnnen.
Kantiſche Crit. ber reinen Leibnitziſche Crit. ber rei⸗
nen Vernunft.
lung; denn das iſt der
einſachſte Gegenſtand
des innern Sinnes,
unb die einjachſte Ma⸗
terie der concreten Zeit.
6. Wenn wir auch keine
anſchauende Idee von
dieſer einfachſten Mate⸗
rie haͤtten: ſo koͤnnten
wir doch vieles von ihren
allgemeinen Beſtim⸗
mungen beweiſen. Die⸗
ſen Weg Dat in. Anſe—
hung der Elemente der
Koͤrper Wolf einge⸗
ſchlagen; Leibnitz hat
geglaubt dieſe Materie
beſtimmen zu koͤnnen,
uno fic ift ihm ber ein:
facte Gegenſtand des
innern Sinnes, das
einfachſte Element bet
concreten Zeit, Vor—⸗
ſtellung.
7. Das
CXvT^ 388 ^w»
Rantifbe Reit. ber reinen £eibnipi(be Brit. ber rei⸗
Yernunft.
nen Vernunft.
7. Das Etwas, welches 7. Das Etwas, welches
ben. Erſcheinungen ent:
ſprechen muß, ift nur
ein trangeneentale$ Ob;
feft, ein Etwas — x,
wovon wir gar nichts
wiſſen, nod) uͤberhaupt
(nach der gegenwaͤrti⸗
gen Einrichtung unſe⸗
res Verſtandes) wiſſen
koͤnnen.
der letzte Grund der Er⸗
ſcheinungen iſt, enthaͤlt
allgemeine Beſtimmun⸗
mungen — a, die uns
erkennbar, und zu der
Individualitaͤt gehoͤri⸗
ge — x, bie uns nicht
klar erkennbar ſind. Al⸗
ſo iſt das ganze Etwas
in Anſehung ſeiner Er⸗
fennbarteít —— a t x.
Wenn toit. affo, außer bem, was zu ber Indi⸗
vidualitaͤt eines Gegenſtandes gehoͤrt, noch vieles von
ihm zu erkennen im Stande ſind, inſonderheit die Be⸗
ſtimmungen, die ihm als einem hoͤhern Dinge zu⸗
kommen, und die zu ſeiner Gattung und Art, und den
Gattungen, worunter es enthalten iſt, gehoͤrt; wenn
dieſes der Verſtand thut, und wenn die Vorſtellungen
des Verſtandes Noumena ſind; wenn es endlich, wie
Hr. Kant ſelbſt zugiebt, ein Etwas geben muß, das
keine Erſcheinung iſt, auf das aber die Erſcheinungen
fuͤhren: fo muß bet. Verſtand von Gegenſtaͤnden etr
was erkennen, die feine Erſcheinungen ſind, unb bey
denen
FXu»*^ 289 ^"
benen feine. ſinnliche Anſchauung gum. Grunde liegt;
dieſe Gegenſtaͤnde muͤſſen Noumena ſeyn.
Dieſes Gebiet des reinen Verſtandes iſt es alſo,
was die Leibnitziſche Vernunſtkritik behaupten gu. koͤn⸗
nen, und wodurch ſie die Graͤnzen des Verſtandes
uͤberhaupt uͤber die Graͤnzen des kritiſchen Idealismus
ausdehnen zu muͤſſen glaubt. Wenn mir bi? Gruͤnde
fuͤr die Ausdehnung dieſes Gebietes einleuchtend ge⸗
nug dargeſtellt haben: ſo wird das nun deutlicher ge⸗
worden ſeyn, was wir oben nut angedeutet haben:
X. bafi die Leibnitziſche Philoſophie eben ſowol cine
Vernunftkritik enthaͤlt, als die Kantiſche; denn fie
gruͤndet ihren Dogmatismus auf. cíne genaue Zerglie⸗
derung ber Erkenntnißvermoͤgen, indem (ie genau an⸗
zugeben ſucht, was durch ein jedes moͤglich iſt; nue
die Reſultate von beiden ſind verſchieden. Sie kann
alſo, wenn ſie getren dargeſtellt wird, nicht unkritiſch
genannt werden. 2. Daß bie Leibnitziſche Philoſo⸗
phie alles Wahre der Kantiſchen enthalten kann, aber
außerdem noch mehr. Zu dieſem Mehr iſt ſie durch
bie gegruͤndete Erweiterung des Gebietes des Ver—
ſtandes im Stande, wozu fie ihre kritiſche Zergliede—
rung ber Erkenninißvermoͤgen berechtigt.
cc
x290 59
—— —
III.
Ueber
den weſentlichen Unterſchied der Erkenntniß
durch die Sinne und durch den Ver⸗
ſtand.
, wuͤrde tod) gu viel. über bie Theorie ber Sin⸗
nenerfenntnif unb. ber Verſtandeserkenntniß im Dun⸗
keln bleiben , wenn wir nicht aud) über ben weſentli⸗
chen Charakter einer jeden von dieſen beiden Erkennt⸗
nißarten einiges Licht zu verbreiten ſuchten. Hr.
Stant *) hat ber Leibnitziſch-Wolfiſchen Philoſophie
vorgeworfen: „ſie habe ben Begriff von Sinnlichkeit
y» unb Erſcheinung verfaͤlſcht, unb zwar dadurch, daß
„ſie ben Unterſchied ber Sinnlichkeit von bem Intel⸗
„lektuellen bloß als logiſch betradbte. ,, Gegen die
bloß logiſche Betrachtung dieſes Unterſchiedes behau⸗
ptet er: „daß er offenbar transſcendental ſey, und
„nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlich⸗
„keit, ſondern den Urſprung und Inhalt derſelben
„(der ſinnlichen uub intellektuellen Vorſtellungen) bc
y tteffc. »»
36
*) Grit. ber c. 8$. G.. 44. o. A
F^x»T^ 20r raw
Ich verweiſe jufórberft auf ba$, was, wie es
mir ſcheint, gegen dieſen Vorwurf an einem andern
Orte. (f. Phil. Mag. St. 2. S. 144. u. f.) be
rei:$ fer richtig iſt bemerkt worden, unb ſchraͤnke
mich jetzt bloß auf einige Erlaͤuterungen ein, wodurch
die Sache vielleicht noch etwas weiter aufgeklaͤrt wer⸗
den kann.
Der Unterſchied zwiſchen der Sinnlichkeit und
dem Verſtande ſoll alſo nicht bloß logiſch ſeyn, und
zwar deswegen nicht, weil er auch transſcendental
iſt. — Er koͤnnte doch aber zugleich logiſch und
tranſcendental ſeyn. Wie iſt aber bte. Unterſchied
zwiſchen den Erkenntnißvermoͤgen transſcendental?
Der Verſtand kann die Erkenntnißvermoͤgen als O6:
jecte, woruͤber er. nachdenkt, nicht anders von einan:
ber. unterſcheiden, als durch bie Arten vou Vorſtellun⸗
gen, die durch dieſelben moͤglich ſind, und dieſe Arten
von Vorſtellungen nicht anders, als durch die Gegen—
ſtaͤnde, auf die ſie ſich beziehen. Nun hat die Leib—
nifsijd) ; SSotfild)e Philoſophie die beiden Hauptvermoͤ—
gen der menſchlichen Erkenntniß einmuͤthig durch zwey
gang verſchiedene Arten von. Gegenſtaͤnden ganz aus:
druͤcklich von einander unterſchieden. Sie ſagt: Die
Gegenſtaͤnde des Verſtandes ſind unbildliche, der
Sinnlichkeit hingegen bildliche Gegenſtaͤnde. So
ſetzt Leibnitz bie SSerftanbesibeen den Bildern ent:
Philoſ. Mag 3 St. u gegen,
fFAVTM 292 ""
gegen, inbem er unter dieſen basjeníge verſteht, was
fid) bie Seele durch bie Sinne unb. Einbildungskraft
vorſtellt. Wir fónnen uns, fagt er, von ber Ewig—
feit fein Bild, aber wol eine Verſtandesidee machen *).
Eben fo ſagt Wolf **): Die ſinnlichen Ideen ſind
Bilder; und folglich ſind alle nicht bildliche Ideen
Verſtandesideen.
Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie geht in bet
Beſtimmung des transſcendentalen Unterſchiedes des
Verſtandes unb ber Sinnlichkeit nod) weiter; fie zeigt
ihn noch von einer andern Seite; indem ſie dem
menſchlichen Verſtande die allgemeinen Dinge, und der
Sinnlichkelt die einzelnen zu Gegenſtaͤnden giebt. (o
unterſcheidet Wolf Sinne, Einbildungsktaft unb Ver⸗
ſtand dadurch, bafi bie erſtern bad gegenwartige, die
andern das abweſende Einzelne, ber Verſtand Dinger
gen das Allgemeine vorſtellt ***). Eben das geſchieht
in
*) Nouv. Eff. fur l'Ent, hum. L. II. Ch. 29. €. 220.
221. ll y regne la méme confufion de I' Image avec
l' Idée. Nous avons une Idéc complette et juíte de
l'eternité, puisque nous en avons la definition,
quoique nous n'en ayons aucune image. Und vors
ber: le ne faurois avoir|l'Image d'un Chilogone,
et il faudroit qu'on eut les Sens et l' Imagination
plus exquis et plus exercés pour le diftinguer par
li d'un Polygone, qui eut un coté de moins,
**) Wolfi Pfych. rat. $. 86.
v») Ej. Pfych. emp. $. 275. not.
f^AMF^ 293 ^"
in ber beutfjen Ueberſetzung von A. G. Baumgar⸗
tens Metaphyſik und in Meyers Unterſuchung uͤber
die Natur des Verſtandes.
Leibnitz endlich weiſet bem Verſtande nod) ei;
neu dritten eigenthuͤmlichen Gegenſtand an, unb baé
fino bie notbicenoigen YOabrbeiten 3 er iſt, faat
et 0, la faculté. d'avoir des Idées diftinttes
avec le pouvoir de reflechir et d'en tirer des
verités neceffaires.
Hier haben wir alfo eíne Unterſcheidung des Ver⸗
ſtandes und der Sinnlichkeit durch ihre eigenthuͤmlichen
Gegenſtaͤnde. Die Gegenſtaͤnde des Verſtandes (inb
unbildliche, allgemeine Ideen und nothwendige
Wahrheiten; die Gegenſtaͤnde der Sinnlichkeit ſind
bildliche Ideen, Ideen des Einzelnen unb uz
faͤllige Wahrheiten.
Es iſt wahr, Leibnitz, Wolf und Baumgarten
haben geglaubt, es ſey allen unbildlichen un? allgemei⸗
nen Ideen gemein, bag fie nur durch deutliche Er—
kenntniß, ſo wie allen bildlichen und allen Ideen des
Einzelnen, daß ſie dem menſchlichen Verſtande nur
durch undeutliche Erkenntniß moͤglich ſind, und das
Dat dieſe Weltweiſen ohne Zweifel bewogen, den Ver—
ua ſtand
*) Nouv. Eff. fur I Ent. hum, L. ll, Ch. 21. G. 131.
Fear 294 rat
(tant durch das Vermoͤgen zu befiniren, fid bie Sa⸗
chen deutlich vorguftelien. — Mean wuͤrde fie hieruͤber
am uͤberzengendſten rechtfertigen koͤnnen, menn e$ fid)
zeigen ließe, daß fuͤr den menſchlichen Verſtand alle
deutliche Erkenntniß keine andere, als allgemeine und
unbildliche ſeyn kann; und ich glaube, daß das nicht
unmoͤglich iſt.
Des Cartes hatte zuerſt die Ideen nach ihrem
formellen Unterſchiede zu claſſificiren verſucht; allein
er hatte ihre Claſſen weder vollſtaͤndig, noch durch ge—
naue Definitionen angegeben; er batte nod) bie klaren
unb deuntlichen in ine Claſſe geworfen. Gleichwol ift
bie Slarbeit ber Idee, bie id) von. einer. arbe babe,
nod) febr verſchieden, von ber, bie id) a. 95. von eis
nem Dreyeck habe. Die rotbe Farbe unteríd)eibe id)
gear, menn id) fie febe, von ber blauen u. f. w. aber
íd) kann ihren Unterſchied nicht angeben, id) kann kei—
nem andern durch eine Beſchreibung eine klare Idee
davon beybringen. Leibnitz ſuchte dieſer Unvollſtaͤn⸗
digkeit abzuhelfen, indem er die Ideen, deren Merk—
male ich unterſcheiden und angeben kann, von denen
unterſchied, bey denen id) das nicht kann. er enb:
liche Verſtand iſt nun nicht im Stande, die innern
individuellen Unterſchiede, wodurch ſich die einzelnen
Dinge von einander unterſcheiden, anzugeben und mit
Bewußtſeyn ſich vorzuſtellen. Alſo bleiben ihm keine
als
f^ 205 ^"
als bie gemeinſchaftlichen übrig. — Dieſe erfennt et
aber nur beſonders durch Abſtraction; uno Abſtraction
ſetzt voraus, daß die gemeinſchaftlichen Beſtimmungen
von den eigenthuͤmlichen des Einzelnen ſind unterſchie⸗
den worden; dieſe gemeinſchaftlichen Beſtimmungen
machen bann, wenn fie in Einem Begriffe zuſammen⸗
gedacht werden, dieſen Begriff deutlich. Daß ſich
Leibnitz fo unb nicht anders bic deutlichen Begriffe ae:
dacht babe, iſt aus dem ganzen Gange ſeiner Medi—
tationen de Cognitione, Veritate et ldeis, mor:
in er. (Dre genauere Beſtimmung zuerſt vortrug, aur
eenkfeintíd) *). Alſo bic deutlichen Begriffe des
menſchlichen Verſtandes ſind feme andern, als die all
gemeinen. Wenn dann nun dieſe allein durch den
Verſtand vorgeſtellt werden koͤnnen, wenn der menſch⸗
liche Verſtand allein von allgemeinen Dingen deutliche
Erkenntniß haben kann, unb menn bie abſtrakte Gr:
kenntniß der allgemeinen Dinge ohne Deutlichkeit nicht
moͤglich ift: fo fonnte bie Leibnitziſch- Wolftſche Phi—
loſophie, duͤnkt mich, ſehr wohl den Verſtand, nach
Gefallen, eben ſo gut durch das Vermoͤgen deutlicher,
als allgemeiner Erkenntniß definiren. Waͤhlte ſie die
erſte Definition, fo betrachtete fie ber Verſtand (o;
giſch; waͤhlte fie bie lettere, fo betrachtete fie. ihn
tranéfcenbental ; ober. nad) einer anbern Terminologie,
Uu 3 in
9$) In ber AG. Erud. An. 1684. unb in f, Opp. T. 1I.
G. 14. unb ff.
õæi⸗ 296 ^»
ít bem erſtern Salle bezeichnete fie ihn nad) ber form
ober bem formellen Unterſchiede feiner Grfenntnig; im
fe&tern fingeaen nad) ihrer Materie ober nad, ihrem
materíellen Unterſchiede. Es wat aber voͤllig gleich⸗
guͤltig, welchen von beiden Charakteren ſie in ihrer
Definition gebrauchen mochte, da, fuͤr den endlichen
Verſtand, der eine immer durch den andern beſtimmt
wird, da, fuͤr dieſen, alle deutliche Erkenntniß allgemeine
unb alle allgemeine in abſtracto deutlich ſeyn muß. Sie
hatte aber nod) einen beſondern Bewegungsgrund,
warum ſie den Character der Deutlichkeit dem Cha⸗
racter der Allgemeinheit der Erkenntniß vorziehen zu
muͤſſen glaubte, und das war der , daß dieſer aud)
auf ben unendlichen Verſtand paßt; denn bet unend?
liche Verſtand erkennt nicht allein die allgemeinen, ſon⸗
dern auch die einzelnen Dinge und zwar im hoͤchſten
Grade deutlich.
Nach dieſen Bemerkungen laſſen Sie uns nun
ben Vorwurf, ben. for. Stant ber Peibnigifd) ; Wol⸗
fien Philoſophie über ihre Definition des Verſtan⸗
des macht, mit wenigen Worten noch einmal beleuch⸗
ten. Sie beweiſen, glaub ich, folgende Saͤtze un⸗
widerleglich:
I. Die Leibnitziſch Wolfiſche Philoſophie betrach⸗
tet den Unterſchied zwiſchen dem Verſtande und
der Sinnlichkeit nicht bloß logiſch.
Denn
Fevr^ 297 wmm
Denn ſie unterſcheidet ben menſchlichen Ver⸗
ſtand von der Sinnlichkeit, auch durch die Materie
ſeiner Begriffe. Seine Ideen ſind allgemeine
Dinge, die Ideen der Sinnlichkeit ſind einzelne
Dinge. Wo ſie den Unterſchied zwiſchen dieſen
beiden Erkenntnißvermoͤgen logiſch oder von Sei⸗
ten ihrer Form angiebt, da thut fie es, weil
(ie uͤberzeugt ift, daß in bem endlichen Verſtan—⸗
de die Materie durch die Form, ſo wie die
Form durch die Materie, beſtimmt wird. Alle
deutlichen Begriffe des endlichen Verſtandes koͤn⸗
nen nur allgemeine, unb alle allgemeinen Be⸗
griffe koͤnnen nur. deutliche ſeyn.
2. Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie charakteri⸗
ſirt die Begriffe des menſchlichen Verſtandes auch
von ihrem Urſprunge und Inhalte. —
Von ihrem Urſprunge.
Denn ſie ſagt: Die Sinnlichkeit erhaͤlt ihre
Ideen durch die Empfindung; der Verſtand
durch Abſtraktion unb Sufatimenfetung eer. Ver⸗
nunft. Beides aber erfordert Deutlichkeit.
Von ihrem Inhalte.
Denn ſie ſagt: Die Ideen des Verſtandes ſind
allgemeine und unbildliche, die Ideen der Sinn⸗
lichkeit einzelne und bildliche.
M 4 exit
KeuMf^ 208 ^m
Mit welchem Rechte kann man. num Befjaupten
„die Leibnitziſch- Wolfiſche Philoſophie hat ben Be⸗
„griff von Sinnlichkeit unb Erſcheinung verfaͤlſcht,
s unb zwar dadurch, daß (ie ben Unterſchied ber Sinn⸗
„lichkeit von dem Intellektuellen bloß als logiſch
„betrachtet;, dadurch, „daß fie annimmt, er ber
„treffe bloß bie Form ber Deutlichkeit und Undeut—⸗
„lichkeit, nicht aber den Urſprung unb Inhalt ber;
„ſelben?, Wer das nad) den augenſcheinlichen Be⸗
weiſen des Gegentheils behauptet, kann man bey dem
eine ſorgfaͤltige und tiefeindringende Unterſuchung, eine
reifliche Erwaͤgung der Sache vorausſetzen? Und
wenn er dann ſo entſcheidend und zuverſichtlich verur⸗
theilt: Sie hat verfaͤlſcht! — Doch wir bleiben in
den Schranken, die uns unſer Zweck vorſchreibt, und
der iſt, den Liebhaber philoſophiſcher Unterſuchungen,
durch genaue Auseinanderſetzung der Gruͤnde und Ge⸗
gengruͤnde, ín den Stand zu ſetzen, ſelbſt ſein Ur⸗
theil zu faͤllen.
Nachdem hinlaͤnglich iſt erwieſen worden, daß
bie Leibnitz- Wolfiſche Philoſophie ben Begriff des
Erkenntnißvermoͤgens der Sinnlichkeit nicht verfaͤlſcht
Dat: fo koͤnute der Beweis, bag man ihr feine 2Bets
faͤlſchung des Begriffs ber Sybeen , ober ber Modifi⸗
fationen. bicfe& Vermoͤgens, vormerfen kann, übetr
füiffig feinen, — Um indeß nichts ju uͤbergehen,
was
Fea 209 nad
was bie S5eurtfeilung dieſes Vorwurfs erleichtern
und die Unſchuld der verurtheilten Philoſophie in ihr
voͤlliges Licht ſetzen kann: fo unterwerfe ic) ber Gut;
ſcheidung ſorſchender Wahrheitsfreunde folgende Be—
merkungen.
X. Es ift ungegruͤndet, taf bie Leibnitziſch- aot:
fifde Philoſophie alles Erſcheinungen nenne, was bloß
undeutlich oder verworren vorgeſtellt wird. Sie ſetzt
ausdruͤcklich hinzu, was durch bie Sinnen undeutlich
oder verworren vorgeſtellt wird; das thut Wolf *), das
thut Baumgarten*), Engelhard **5, Xeufcb p,
das thun alle Leibnitzianer, die ich nachgeſchlagen habe.
Leibnitz hat zwar nirgends, (o viel id) weiß, cine
eigentliche Definition von Erſcheinungen gegeben; in—
deß iſt es aus den Beyſpielen ſowohl, als aus den
Erklaͤrungen, womit er das Wort, wenn er es ge⸗
braucht, bisweilen begleitet, augenſcheinlich, bag er
nichts anders darunter verſtanden habe. So ſagt
et T2: „Die natuͤrlichen Erſcheinungen, ober. das,
was an ben Koͤrpern er(deint.,, Das kann nichts
Uu 5 anberé
*) JFolfii Cofm. $. 27;. Phaenomenort dicitur, quid.
quid fen/&i obvium confufe percipitur.
**) Met, $. 425.
***) Intt. Phil. theor. Met. $. $06.
1) Met. $. $39.
11) Conf. Nat. contra Atheos. in ben Opp. T. 1. G.. 5.
f^^ 500 ^4»
anders fier, af, ba$, was wir und burd) oie
Sinne unbcutlíd) vorſtellen; bent alle ríd)einungen
an den ZAótpern (inb 93or(teffungen burd) bie Sinne.
Nichts anders i(t bet Sinn von ber Definition bec
Marquiſe ou Cbatelets „Erſcheinungen finb. Bil⸗
„der, bie aus ber Verwirrung mehrerer Jiealitá:
„ten entſtehen *)., Denn Bilder ſind Vorſtellun⸗
aen des Zuſammengeſetzten; dergleichen Vorſtellun⸗
gen des Zuſammengeſetzten aber ſind bie Empfin⸗
dungen *).
Hieraus iſt offenbar, daß die Inſtanz, welche
Hr. Sant ***) bem Leibnitziſch-Wolfiſchen Begriffe
entgegenſetzt, dieſen Begriff gar nicht treffe. Der
geſunde Verſtand denke ſich, ſagt er, die Idee von
Recht undeutlich, deswegen koͤnne man aber nicht
ſagen, daß dieſer Begriff eine bloße Erſcheinung ent⸗
halte. Es iſt unleugbar, daß das keinem einfallen
koͤnne, der unter Erſcheinung nur das verſteht, was
an bert Koͤrpern, ober durch die aͤußern Sinne un:
deutlich vorgeſtellt wird; denn das Recht iſt keine Be⸗
ſchaffenheit des Koͤrpers und kein Gegenſtand irgend
eines aͤußern Sinnes.
2. Eben
*) Inft. Phyf. C. 179.
**) €. Wolfii Pfych. rat. $. $5. $5.
***) Crit. b, e, V. S. 43. a. 3l.
N⸗301 5
2. Eben ſo ungegruͤndet iſt es, daß der Charakter
einer Erſcheinung in der L. W. Philoſophie nur von
der Form der Deutlichkeit und nicht auch von ihrem
Urſprunge und Inhalte hergenommen ſey. Ihren
Urſprung bezeichnet das Merkmal in der Definition:
Etwas das durch die Sinnen undeutlich vorgeſtellt
voírb: unb ihren Inhalt, bag dieſes cine bildliche
Idee unb bie Vorſtellung von einem einzelnen in:
ge iſt.
Was ift alſo num nad) o. Kant eine Erſcheinung ? —
Eine Modiſication ber Sinnlichkeit *) ; bie Sinnlichkeit
aber iſt ^as Vermoͤgen modificirt zu werden **); alfo
eine Modification des Vermoͤgens modificirt su werden.
Nach dieſem Muſter koͤnnte id) folgendergeſtalt defini⸗
ren: ein Gedicht iſt ein Produkt der Dichtungskraft; die
Dichtungskraft iſt ein Vermoͤgen zu produciren; alſo
waͤre ci. Gedicht cin Produkt des Vermoͤgens zu pre:
duciren. Ich uͤbergehe jetzt, daß ein Vermoͤgen, eine
Moͤglichkeit veraͤndert zu werden, durch die moͤglichen
Veraͤnderungen, wenn ſie wirklich werden, nicht
ſelbſt veraͤndert wird. Die Moͤglichkeit ber. Veraͤn—⸗
derungen wird durch die Veraͤnderungen nicht ſelbſt
veraͤndert. Wenn ich alſo das uͤbergehe, ſo bleibt
doch immer noch der Vorwurf gegen dieſe Definition
zuruͤck, daß (ie einen. Zirkel enthaͤlt, ber nicht aerin:
ger
*) Ebend. €. 20. 45. u. a, m. O.
**) Ebend. S. 19. 44.
fau 3062 "i
aet. it, a(4 menn id) bas Empfindungsvermoͤgen durch
bas Vermoͤgen Empfindungen gu faben, unb bie mp:
findungen durch Vorſtellungen des Empfindungsver⸗
moͤgens erklaͤren wollte. Wenn alſo die Leibnitziſch⸗
Wolfiſche Philoſophie die Erſcheinung durch das be:
finirt, was verworren durch die Sinnen vorgeſtellt
wird: fo wird dieſe Erklaͤrung immer das Ver—
dienſt haben, daß fie von bet. erflárten Sache einen
ver(tanbfid)en Charakter angiebt.
Um uns davon zu uͤberzeugen, duͤrfen wir uns
ſeine Theorie uͤber die Natur der Erſcheinungen etwas
genauer auseinander zu ſetzen ſuchen. Hr. Kant et;
kennt ſelbſt, daß ſich die Erſcheinungen auf Dinge an
ſich beziehen, d. i. in Dingen, die keine Erſcheinun⸗
gen ſind, ihten Grund haben. Das in ihnen, worin
die Erſcheinung gegruͤndet iſt, unterſcheiden wir nicht;
indeß iſt es das Merkmal, wodurch ich die eine C;
ſcheinung von der andern, die rothe Farbe von der
blauen unterſcheide; das aber, ſagt Leibnitz, was ich
unterſcheide, ohne mir ſeine Merkmale bewußt zu
ſeyn, ſtelle ich mir verworren vor. Ferner: id) ſtelle
es mir verworren, durch die Sinne, vor; wenn es
gegenwaͤrtig ift, empfinde id) es, unb dieſe Cmpfine
dung kann die Einbildungskraft wiederholen. Ich
ſtelle mir. alſo etwas Einzelnes vor, unb ba ba enb;
líde vorftellenbe Weſen bie unenblid) mannid)faltigert
$e
f^*^ 203 "4
Beſtimmungen des Ginge(nen nid)t unterfd)eiben fann :
fo ift bie f(are Vorſtelluug von bec Cade, deren
Merkmale (ie nid)t unterfd)eibet, vermorcen; fie. ift
eine Erſcheinung, fie. ift. ein Bild, eine Abbildung,
menn id) annehme, daß ifre Urſach etwas auper. mir
wirkliches ijt.
Wenn voir nun fagen: die Materie fteffen. mir
uns aíé ausgedehnt vor, bie Ausdehnung ſey aber
eine Erſcheinung, fo wollen mir. damit nicht mebr
unb nid)t meniger, als: mit fónnen bie einfachen
Gruͤnde bes Ausgedehnten in bem Bilde nicht unterſchei—
den; ſie liegen außer dem Gebiete der Sinnlichkeit,
fic koͤnnen nur von dem Verſtande, nad) ihren allge;
meinen Beſtinmmungen, gedacht werden.
Wir koͤnnen auf dieſem Wege noch weiter gehen,
wir koͤnnen die Frage beantworten, welches die hin—
reichenden Gruͤnde der Erſcheinungen ſind. Denn
wenn die Erſcheinungen verworrene Vorſtellungen
ſind; fo muͤſſen fte, aufer. ihren objektiven Gruͤnden,
aud) einen ſubjektiven Grund im dem Unvermoͤgen
haben, alle Merkmale des Gegenſtandes zu unter—
ſcheiden. Auf dieſe doppelte Art von Gruͤnden fuͤhrt
uns ſelbſt die Erſahrung alle Augenblick. Die Far—
ben muͤſſen andere objektive Gruͤnde haben, als die
Ausdehnung, die Ausdehnung andere als die Farben.
Allein
FXAMEM 2304 ^x»
Allein bie Gegenſtaͤnde Bleiben oft einerley unb die Gt;
ſcheinungen finb verfdyieben , ber gruͤne Wald wird in
der Ferne blau, und der viereckigte Thurm wird rund.
Gewiſſe Lichtſtrahlen beruͤhren das Auge, das von
dem Gegenſtande entfernt iſt, zu ſchwach, ſo ſchwach,
daß bie beſchraͤnkte Vorſtellungskraft fie nicht mehr
appercipirt. Dieſer Grund der Erſcheinung iſt alſo
ſubjektiv. Die Erſcheinungen moͤgen nun aͤhnlich oder
verſchieden ſeyn: ſo muͤſſen ſie einen Grund ihrer
Aehnlichkeit unb Verſchiedenheit in. ihrem Objekte fos
wol als in ihrem Subjckt haben. Die beſondern unb
zufaͤlligen Erſcheinungen, die zu den allgemeinen und
nothwendigen hinzu kommen, haben bald den Grund
ihrer Aehnlichkeit, bald ihrer Verſchiedenheit in dem
Subjekte. Der Grund der Erſcheinung einer runden
oder einer elliptiſchen Figur liegt nicht immer im Ob⸗
jekte, et. liegt oft in der Entfernung und bem Stand—⸗
puncte des Subjektes, oder ín ber Perſpektive; ber Zir⸗
kel ſcheint oft eine Ellipſe, und der viereckichte Thurm
oft rund.
Und hier ſtoßen wir noch auf einen Unterſchied
des Verſtandes und der Sinnlichkeit, ber zu ben wich⸗
tigſten gehoͤrt. Die Gruͤnde der Verſtandeserkennt⸗
niß ſind bloß objektiv; die Gruͤnde der Sinnenerkennt⸗
nig aud) ſubjektiv; die erſtere enthaͤlt, ſofern fie 33e;
ſtandeserkenntuiß ift, Wahrheit, bie andere enthält,
ſofern
T^Xf^ 2305 ^w»
fofetn (ie Sinnenerkenntniß ift, Schein; bie Aehn⸗
lid)feit bet etfteren mit bem Gegenftanbe iſt eine ojfene
Bate; bie Aehnlichkeit ber. letztern mit dem egens
ſtande ijt eine verborgene, unb eine bejto verbotge;
nere, je mehr fubjeftive Girünbe bie Vorſtellung des
fobjefteó abánbern. — Die Wahrheiten der Verſtan—⸗
deserkenntuiß ſind nothwendige unb ewige, ber &in:
nenerkenntniß 3ufállige unb Zeitwahrheiten, aud) bars
um aufállige, voeil fie oft von der gufálligen Beſchaf⸗
fenheit bes. Subjektes abhaͤngen. Da enbfid) allec
Schein in ben Schranken ber. Vorſtellungekraft ge;
grünbet it; fo ficht man nun, daß nur das wahr
ſeyn fónne, was nidt in bem llnvermógen der
Vorſtellungskraft gegruͤndet iſt; daß aber aud)
alles, was nicht darin gegruͤndet ift, was alſo im
dem Gegenſtande gegruͤndet ſeyn muß, wahr ſeyn
muͤſſe.
So hing Leibnitzens Theorle von bem formel:
len Unterſchiede der Erkenntniß mit ſeiner Theorie
uͤber bic Koͤrper zuſammen. Nicht allein bie Sieben:
beſchaffenheiten (qualitates ſecundariae) Farbe, Ton,
Waͤrme u. ſ. w. waren ihm Erſcheinungen, auch die
Hauptbeſchaffenheiten, Ausdehnung und Bewegung
waren es, und er ſuchte verſtaͤndlich zu erklaͤren, was
das Reale in dem Gegenſtande und das Unvermoͤgen
in bem Subjekte zu dem Bilde von einem jeden bey:
tragen.
f^^ 306 n».
tragen. — Und das ift e$, worin ſeine Dernunft,
friti£ von. ber Kantiſchen abweicht. Meine Abſicht
it, eine vernünftige Wahl zwiſchen beiden gu et:
[eid)tern, unb wenn aud) bie bisherigen Semet:
fungen über ben weſentlichen Unterſchied be& Ver—⸗
flanbeá unb ber Cinnlid)feít mit bagu etras bey;
tragen , fe haben fie iren Zideck erreicht.
IV.
"ou 307 ^ae
DM e ])C! OM) OO H)!IeCOHe Hk Me»
IV.
deber
bie Unterſcheidung ber Urtheile ín anafptifde
unb fontbeti(d)e.
4f bec Vergleichung ber Leibnitziſchen und Kan⸗
tiſchen Vernunftkritik ſtoßen wir auf eine neue The⸗
orie, die der letztern zur Stuͤtze dienen ſoll, auf die
Theorie uͤber bie Unterſcheidung ber Urtheile, bie Jor.
Kant analytiſche unb ſynthetiſche nennt. Ehe wir
dieſe Theorie ſelbſt unterſuchen, wird es nicht uͤber—
fluͤſſig ſeyn, ihren Zuſammenhang mit beiben Ver—
nunftkritiken ſo weit anzudenten, als es ſich wird
thun laſſen, ohne ihre Unterſuchung geendigt zu haben;
es wird ſich dann am beſten beurtheilen laſſen, was
die Theorie fuͤr beide Syſteme fuͤr ein Intereſſe hat.
Leibnitz behauptet, voie wir geſehen haben, daß
der menſchliche Verſtand Dinge an ſich, wie es Hr.
Zant nennt, zu erkennen im Stande fep; Hr. Kant
leugnet es. Der erſtere vertheidigt die logiſche Wahr⸗
heit der reinen Verſtandeserkenntniß, oder, nach
Hr. Kants Sprache, bie objektive Guͤltigkeit ber
Pphiloſ. Mag. 5. €t. & teinen
me^ 308 ^w"
reinen Vernunfterkenntniß; ber (e&tere. beſtreitet fie.
Der erſtere behauptet, baf e$ reine Vernunfturtheile
gebe, deren Hauptbegriffe ſo von einander verſchieden
ſind, daß das Praͤdikat weder ganz noch zum Theil
mit dem Suhjekt einerley, obgleich in demſelben ger
gruͤndet iſt. Solche Urtheile, ſetzt Leibnitz hinzu,
koͤnnen wir auch von Dingen an ſich ſelbſt erkennen,
und ſie vermehren oder erweitern unſere Erkenntniß
von denſelben; auch das beſtreitet Hr. Kant. Bey
dieſer Beſtreitung nimmt er zu den ſchon im erſten
Stucke dieſ Mag. angefuͤhrten Gruͤnden noch ſeine
Theorie von ben analytiſchen unb ſynthetiſchen Urthei⸗
fen zu Huͤlfe. Sie nun dieſe feinem kritiſchen Idea⸗
lismus zu Statten komme, das muß erſt kuͤrzlich aus⸗
einander geſetzt werden.
Wenn wir Dinge an ſich, wie ſie Hr. Kant
nennt, oder einſache Dinge, bey deren Erkenntniß
bie eite Bedingung ber ſinnlichen Anſchauung, naͤm⸗
lich der Raum, fehlt, die alſo keine Erſcheinungen
ſind, ja gar das unendliche einfache Weſen, wo beide
Bedingungen ber Anſchauung, Raum unb Seit ſehlen,
erkennen ſollten: fo muͤßten wir fie a priori erken⸗
nen. Die ganze Metaphyſik entfált aber , wie Jor.
Kant befauptet, lauter analytifcbe Urtheile, unb
baburd) wird fie eine Wiſſenſchaft, Die un$ ju ben
angelegentlichſten Beduͤrfniſſen unfere$ Verſtandes
und
f^^ 309 "wu
unb Herzens vóllig unnuͤtz iſt. „Man fann unf,
fagt er *), fein einziges Buch aufyeigen, fo moie
„man etroa einen Euclid vorgeigt, unb fagen, baé ift
„Metaphyſik, bier findet ihr ben vornefinften Zweck
„dieſer Wiſſenſchaft, das Erkenntniß eines hoͤchſten
„Weſens, und einer kuͤnftigen Welt, bewieſen aus
„Principien ber reinen Vernunft., — Und warum
nicht? — „Denn, fabrt er fort, man fam uns
„zwar viele Saͤtze aufzeigen, bie apodiktiſch aevi
„ſind, und niemals beſtritten warden; aber dieſe
»fino insgeſammt analytiſch, unb betreffen mehr
„die Materialien unb. ben. Bauzeug zur Metaphyſck,
„als die Erweiterung unſerer Erkenntniß, die doch
„unſere eigentliche Abſicht mit ifr ſeyn foll. ,,
Alſo alle Urtheile ber Metaphyſik ſind analytiſch,
und darum koͤnnen ſie uns nicht zu der Erkenntniß
des hoͤchſten Weſens ſuͤhren! Was ſind dann aber
dieſe analytiſchen Urtheile, und wie unterſcheiden
ſie ſich von den ſynthetiſchen? Die analytiſchen
Urtheile, ſagt uns Hr. Kant, ſind ſolche, die bloß
erlaͤuternd ſind, und zu dem Inhalt der Erkenntniß
nichts hinzuthun; die ſynthetiſchen hingegen ſolche,
die erweiternd ſind, und die gegebene Erkenntniß
vergroͤßern ).
Xa Dieſe
) Prol. iu e. k. Met. S. 33.
**) Ebend. €, 25.
310 nds.
Vorausgeſetzt, baf dieſen Definitionen tvafjte
Begriffe entſprechen, wovon wir uns aus Gruͤnden,
die wir bald anfuͤhren werden, nicht uͤberzeugen koͤn⸗
nen; ſo fehlt ihnen ſchon zu derjenigen vollſtaͤndigen
Deutlichkeit, die zu ihrer leichten Anwendung unent⸗
behrlich iſt, wie es mehrern ſeiner Leſer geſchienen hat,
nicht wenig. Eine ſolche Deutlichkeit wuͤrde aber bey ſo
neuen unb bisher fo wenig bemerkten Begriffen, wo:
fuͤr fie Hr. Sant ſelbſt haͤlt, vorzuͤglich nuͤtzlich gewe⸗
ſen ſeyn. Wie neu fic dieſem Weltweiſen ſcheinen,
ſagt er uns ſelbſt mit ausdruͤcklichen Worten: „Dieſe
Qinteifung,,, heißt e$ *), „iſt in Anſehung bet
„Kritik des menſchlichen Verſtandes unentbehrlich;
„und verdient daher in ifr klaſſiſch au ſeyn; ſonſt
wuͤßte id nicht, daß (fie irgend anderwerts einen
„betraͤchtlichen Nuhen haͤtte. Und hierin find ich
„auch die Urſache, weswegen dogmatiſche Philoſophen,
„die die Quellen metaphyſiſcher Urtheile immer nur
„in der Metaphyſik ſelbſt, nicht aber außer ihr in den
„reinen SSernunftgefe&en uͤberhaupt ſuchten, tiefe Ein⸗
„theilung, die ſich von ſelbſt darzubieten ſcheint, ver⸗
„nachlaͤſſigten, unb wie ber beruͤhmte Wolf, ober ber
„ſeinen Fußſtapfen folgende ſcharfſinnige Baumgar⸗
„ten, den Beweis von dem Satze des zureichenden
„Grundes, der offenbar ſynthetiſch ift, im Satze bed
„Widerſpruchs ſuchen fonnten. ,,
Nur
*) Ebend. €. zi.
CAMP SII xo
Nur in Lock's Verſuchen über ben menſchlichen
Verſtand findet Hr. Kant einen Wink ju dieſer Gin:
theilung. Ein Nachfolger unb. Commentator des Koͤ⸗
nigsbergiſchen Philoſophen hat indeß, nach ihm dieſen
ganzen Unterſchied in des D. Cruſius Weg zur Ge—
wißheit unb Zuverlaͤſſigkeit ber menſchl. Erk. 6.260.
voͤllig ausfuͤhrlich angezeigt gefunden; und es iſt nicht
wenig merkwuͤrdig, daß ein fo ſcharſſinniger Dogma⸗
tiker, wie Cruſius, durch die tieſe Bekanntſchaft
mit dieſem Unterſchiede von feinem feſten unb weit—
umfaſſenden Dogmatismus nicht hat koͤnnen geheilt
werden. Sollte es dann daher ſo ausgemacht ſeyn,
bag Wolf unb Baumgarten, welchem letztern moe;
nigſtens H. Kant einen großen Scharfſinn zuerkennt,
aus Unkunde dieſes Unterſchiedes ſich in das weſenloſe
Reich ihres hartnaͤckigen Dogmatismus ſo unwieder⸗
bringlich verirret haben?
Wir werden über dieſe unvermeidliche Frage viet:
leicht etwas mehr Licht erhalten, wenn wir erſtlich
den Unterſchied von dem, was er analytiſche und
ſynthetiſche Urtheile nennt, etwas genauer zu beſtim⸗
men ſuchen, hiernaͤchſt uns verſichern, ob er bis auf
den von Hr. Kant angegebenen Zeitpunkt gar nicht
bekannt geweſen, und endlich ob er, richtig verſtanden,
nicht in jeder bisherigen gruͤndlichen Metaphyſik zum
Grunde liegt. Wenn wir inſonderheit gluͤcklich ge:
X3 nug
F^»fh 2ay2 «wu
sug waͤren, biefen letzten Punkt aufs Steine gu Bein
gen: fo more, felb(t nad) Hr. Kants ſtrengſter Fo⸗
berung ble Crfenntnif ber Dinge an fid) unb alfo audj
bie Erkenntniß eine$ hoͤchſten Weſens gerettet.
Um zu einer. genauern Beſtimmung ber angege⸗
benen Urtheile zu gelangen, wird es am beſten ſeyn,
wenn wir von einer ſorgfaͤltigen Klaſſifikation aller
moͤglichen Praͤdikate ausgehen, utm gu verſuchen, ob
wir uns nicht vielleicht mit den von Hr. Kant ange⸗
fuͤhrten, unb von feinen Auslegern, fo viel ich weiß,
noch nicht vermehrten Beyſpielen begegnen; denn die⸗
ſe Beyſpiele werden uns am ſicherſten leiten, um ſeine
Definitionen mit andern vergleichen zu koͤnnen.
In allen allgemeinbejahenden Urtheilen iſt
entweder das Pradikat mit bem Subjekte einerley,
oder nicht; unb wenn eo mit ibm einerley iſt, entwe⸗
ber ganzlich ober nur aum Theil einerley. Sym erſtern
Falle enthalt das Praͤdikat alle Beſtimmungen be$
Subjekts, wodurch es jederzeit von allen andern Din⸗
gen kann unterſchieden werden, es fep nun. unentiot:
ckelt, wie ín dem Satze: alle Dreyecke ſind Dreyecke,
alle Sórper ſind Koͤrper; ober durch eine Definition
entwickelt, als: alle Dreyecke ſind dreyſeitige Figu—
ren, alle Koͤrper ſind ausgedehnte Dinge, bie Srág:
heits⸗ und Bewegungskraft haben; das ſind gans
iden⸗
313
identiſche, oder, wie ſie einige genannt haben, leere
Urtheile. Nun kann aber auch das Praͤdikat nur mit
einem oder mit einigen, nur nicht mit allen Beſtim—
mungen des Subjekts einerley ſeyn; dieſe ſind zum
Theil identiſche Urtheile, wie das Urtheil: alle
Dreyecke (inb. Figuren; alle Koͤrper ſind ausgedehnt.
In allen dieſen Urtheilen ift das Praͤdikat bae
Subjekt ſelbſt; oder ein Theil von dem Weſen des
Subjekts, eines ſeiner weſentlichen Stuͤcke. Ich
glaube alſo, man hat Recht anzunehmen, daß Hr.
Kants Beſchreibung der analytiſchen Urtheile auf ſic
paſſe. Analytiſche Urtheile waͤren dann, nad) einer
genauern Definition, ſolche, in welchen das Praͤdikat
das Weſen des &ubjetté ſelbſt ober eines ſeiner weſentli⸗
chen Stuͤcke ift. Denn, dieſe ſagen im Praͤdikat nichts,
„als das, mat im Begriffe des Subjekts ſchon wirklich,
„obgleich nicht fo klar unb mit. fe dentlichem Bewußt—
„ſeyn enthalten war;, das iſt beſtimmter: deren
Praͤdikat bie Sacherklaͤrung des Subſekts ober eines
Merkmals dieſer Sacherklaͤrung ift.
Es wird fib, toic ich hoffe, bald uͤberzeugend
barthun laſſen, daß dieſe genauere Erklaͤrung ber ana:
lytiſchen Urtheile nichts weniger als uͤberfluͤſſig iff.
„Was ín bem Begriff des Subjekts ſchon wirklich,
„obgleich nicht ſo klar und mit gleichem Bewußtſeyn
Ea » 9€
f^uvF oAÓyQ ew»
„gebacht tvoar,,, dieſe Beſchreibung ber Praͤdikate
der analytiſchen Urtheile ſcheint mir etwas zweydeutig
zu ſeyn. Es giebt Praͤdikate, welche Attribute des
Subjekts ausſagen. Dieſe werden durch das Weſen
des Subſjekts beſtimmt. Sind fie aber mit unter benen
begriffen, „die in bem Subjekte, nur nicht fo klar
unb mít a(eid)em Bewußtſeyn, gebad)t maren ?,, Sad)
Jor. Santé Theorie von ben fontbetifben Urtheilen
müffen fie nicht barunter begriffen fegn; denn et
fprid)t der Mathematik bie ſonthetiſchen Urtheile nicht
ab, ja er behauptet, daß dieſe Wiſſenſchaft bie eíny
zige Ico, bie ſynthetiſche Urtheile a priori entbaíte ;
alles ahet, vas fic von Groͤßen beroeifet, finb Attri—
bute ober unveránberlid)e Affektionen derſelben.
Es giebt alfo Urtheile a priori obet nothwendige
Wahrheiten, beren "Drábifate Attribute bes Subjekts
fib; das i(t: Beſtimmungen, bie nidót gum Weſen
bed Subjekts aebóren, ober in dieſem Weſen ihren
zureichenden Grund haben Von dieſer Art ift 3. 95.
bie Wahrheit: alle Dreyecke ſind bie Haͤlften von
Parallelogrammen, die mit ihnen gleiche Hoͤhen und
Grundlinien haben. Die Frage, ob es dergleichen
auch außer der Mathematik gebe, mag vor der Hand
noch ausgeſetzt bleiben.
Demnach waͤre der Unterſchied zwiſchen analyti⸗
ſchen und ſynthetiſchen Urtheilen dieſer: analytiſche
waͤren
WXVEM IB ^w»
voáren ſolche, beren Praͤdikate das Weſen ober einige
von ben weſentlichen Stuͤcken des Subjektes ausia;
gen; deren Praͤdikate feine Beſtimmungen ausſagen,
die zu dem Weſen und den weſentlichen Stuͤcken des
Subjekts gehoͤren, waͤren ſynthetiſche. Das muß
Hr. Kant ſagen wollen, wenn er ihren Unterſchied
fe angiebt, daß bie erſtern bloß erlaͤuternd, bie (et:
tern aber erweiternd ſind, wofern wir uns bey ſeinen
Erklarungen etwas Beſtimmtes denken ſollen.
Ich habe den Vegriff der ſynthetiſchen Urtheile
bisher nur verneinend angegeben: ihre Praͤdikate ent:
halten Beſtimmungen, die nicht zu dem Weſen und
ben weſentlichen Stuͤcken des Subjekts gehoͤren. Sur
foͤrderſt waren es die Attribute deſſelben, doch nur bey
den nothwendigen und ewigen Wahrheiten, bey den
Zeitwahrheiten waren es bie Modifikationen unb Ver—
haͤltniſſe des Subjekts. Von der erſten Art iſt der
Satz: dieſer Stein iſt jetzt warm; von der letztern
der Satz in Hr. Kants Beyſpiele: einige Koͤrper ſind
ſchwer. Die Bewegung ſelbſt iſt die Veraͤnderung
eines Verhaͤltniſſes des Koͤrpers, und das Fallen eine
zufaͤllige Beſtimmung der Bewegqung in Anſehung
ihrer Richtung; denn in einem Syſtem von Koͤrpern
koͤnnte ſich ein jeder Koͤrper ſo gut in entgegengeſetzter
Richtung, als nach einem von ihren Mittelpunkten
bewegen.
X 5 Die
316 uem
Die fontfjetifd)en Urtheile, menn fie nothwendige
und eroige Wahrheiten finb, faben alfo Attribute ju
ibren Praͤdikaten; finb fie Zeitwahrheiten, aufállige
Beſchaffenheiten ober Verhaͤltniſſe. Dieſer Begriff
von ſynthetiſchen Urtheilen verſchafft uns die Antwort
auf eine Frage, uͤber die uns Hr. Kant unbefriedigt
gelaſſen hat. Er fagt uns 5), welches „das gemein:
ſchaftliche Princip der analytiſchen Urtheile ſeyn
unb es ift natuͤrlich zu fragen: welches iſt das at;
meinſchaftliche Princip der ſynthetiſchen Urtheile?
Der Paragraph 2. c). antwortet bloß, daß e$ ein an:
deres ſey. Alſo nicht der Satz oes Widerſpruchs;
aber welcher dann? Das ſuchen wir vergebens.
Nach der bisherigen ausfuͤhrlichern Zergliede⸗
rung der ſynthetiſchen Urtheile kann es kein anderes
als der Satz des Grundes ſeyn. Und nun haͤtten
wir folgende Claſſifikation der Urtheile: 1) Solche,
deren Praͤdikate das Weſen oder ein weſentliches
Stuͤck des Subjekts ausſagen, nad) bet bisherigen
Terminologie dans ober sum Theil identiſche Ur—
theile. 2) Solche, deren Praͤdikate Affektionen
des Subjekts ausſagen. Von dieſen Affektionen ſind
einige beſtaͤndige und unveraͤnderliche, naͤmlich die
Attribute oder die Eigenſchaften deſſelben, einige
aber zufallige unb veraͤnderliche, naͤmlich feine zufälli—⸗
gen
9*) Prol. S. 25.
PMAMYM 2337 "wa
een SSefdjaffenfeiten, feine Modifikationen. Beibe
Arten von Urtheilen finb, nad) ber bisherigen Cpra:
dye nicht icentifcbe, nad) Jor. Kants Sprache fone
tbetifd)e, wovon bie erſtern nothwendige unb erige
Wahrheiten, bie letztern aber zufaͤllige unb Zeitwahr⸗
heiten ſind.
So haͤtten wir alſo bereits die Unterſcheidung
der Urtheile in analytiſche und ſynthetiſche, und zwar
mit ber ſcharfſten Angabe ihrer Graͤnzbeſtimmung,
ans bem fruchtbarſten unb einleuchtendſten Einthei⸗
lungsgrunde hergeleitet, und mit der voͤlligſten Get
wißheit, daß die Eintheilung ihren Eintheilungsgrund
gaͤnzlich erſchoͤpſft. Wir haͤtten fie, nut unter. einem
andern Namen. Allein was thut der Name zur
Sache? Bereichert man die Wiſſenſchaft, wenn man
(ie nicht butd) neue Begriffe, Saͤtze ober Beweiſe et;
weitert? Erleichtert man fie, renn man biof ifr
Woͤrterbuch wergrófert? Mit welchem Rechte fami
man alſo ſagen, daß Wolf und Baumgarten dieſe
Eintheilung uͤberſehen haben?
Die Frage: iſt die Unterſcheidung der Urtheile
ín analytiſche unb ſynthetiſche ſchon vor bem 3Ber:
faffet ber Sit, ber rein, Vern. bekannt geweſen?
voáte alfo fo qut moie beantwortet. Da e8 bey biefec
Unterſcheidung ber Urtheile bloß auf bie Unterſchei—
dung
veavf^ 23pgy 5
bung ifrer "Drábifate anfómmt, unb bíefe von Wolf
unb Baumgarten genau finb unteríd)ieben , unb voll
ftànbig fíaffifuiirt morben, ja, ba fie ben llutet:
fdjieb berfelben auébrüdf(id) burd) ibentifd)e unb nit
identiſche begeid)net haben: fo fefe id) nid)t, mie mar
£$ leugnen fann, baf bie Unterſcheidung dieſer Ur⸗
theile ben beiden Weltweiſen fey befannt geweſen.
Wir duͤrfen indeß Diet einen andern Unterſchied
ber nichtidentiſchen Urtheile, welche nothwendige unb
ewige Wahrheiten ſind, nicht uͤbergehen, um nichts
vorbey zu laſſen, was Hr. Kants Theorie der ana⸗
lytiſchen unb ſynthetiſchen Urtheile und ihre Anwen⸗
dung auf die Dinge an ſich rechtfertigen kann. Die
Praͤdikate ber ſynthetiſchen Urtheile waren, nad) un;
ſerer Erklaͤrung, Affektionen des Subjekts. Sind
dieſe Affektionen, wie ín ben nothwendigen Wahr⸗
heiten, Attribute: ſo kann hier ein neuer Unterſchied
bemerkt werden. Sie koͤnnen entweder a priori oder
a pofteriori erkannt werden. for. Sant ſcheint bloß
bie nicht ſchlechterdings nothwendigen Wahrheiten
unb von ben ſchlechterdings nothwendigen Wahtheiten
bie letztere Art ber. Urtheile, deren nothwendige Praͤ—⸗
dikate nur a pofteriori von bem menſchlichen 93er:
ſtande fónnen erkannt voerben , unter. feínen ſyntheti⸗
ſchen Urtheilen zu verfteben. — Denn, bie Urtheile bet
Mathematik auégenommen, (inb nut bie Crfabrungs;
urtheile
F.M 3190 «ic
uttfeife fontfetifd), — Allein dann ift. ſeine Definition
der ſynthetiſchen Urtheile augenſcheinlich zu enue,
Die ſollen bie Erkenntniß erweitern; das kann nichts
anders heißen, als, ſie ſollen Praͤdikate enthalten, die
nicht ber Gattungsbegriff des Subjekts, ober ein etl
mal der Definition deſſelben ſind. Dennoch iſt der
Satz: Alles nothwendige ift. ewig, «llc notbz
wenoige Wahrheiten fino ewige YOabrbeiten,
augenſcheinlich ein ſynthetiſcher Satz, uub ted) faun
et a priori erfannt werden, unb bod) enthalt er. fei
€rfabrungsuttbeil.
Doch bavon wird fid) (n ber Folge nod) weiter
reden fajen. — Jetzt fómmt es nid)t barauf an, ob
mit Germifbeit auszumachen fcy, was von beiben or.
ZXant unter feinen ſynthetiſchen Urtheilen ver(tebes
benn beide Arten derſelben ſind laͤngſt befannt gewe⸗
ſen. Verſteht er nur die Urtheile darunter, deren
Praͤdikate Affektionen des Subhjekts (inb, bie nicht ín
dem Weſen des Subjekts allein gegruͤndet ſind, oder
doch von dem menſchlichen Verſtande nicht daraus
koͤnnen erkannt werden: fo fann man das gelten laf:
fen; denn die Definitionen ſind aud» darin willkuͤhr—
(id), daß man ein neues Kunſtwort in einem beliebi⸗
gen Umfange beſtimmt. Allein alsdann haͤtte ſeine
Definition muͤſſen beſtimmter ausgedruckt werden;
denn Urtheile, die unſere Erkenntniß erweitern, koͤn⸗
nen
320
nen aud) ſolche ſeyn, deren Praͤdikate ſolche Affektio—
nen des Subjekts (inb, welche man aus bem 35e
grífe des Sabjekts Deríeiten kann; ober es batte
muͤſſen bewieſen werden, baf bet menſchliche Verſtand
gat feine ſolche Praͤdikate ju erkennen im Stande
ſey.
Nach Hr. Kants Definition iſt alfo zwiſchen
dieſen beiden Arten der Urtheile kein Unterſchied;
denn beide erweitern unſere Erkenntniß, das heißt,
fie haben Praͤdikate, bie tein Merkmal bet Deſinition
des Subjekts enthalten. Es giebt aber einen Unter⸗
ſchied zwiſchen ihnen und zwar einen Unterſchied, der
gar nicht unbemerkt geblieben iſt.
Jacob Bernoulli hat ihn bemerkt und durch
eine Terminoloqie bezeichnet, die ihm eigen iſt, und
welche verdient haͤtte, allgemeiner zu werden. Er
ſagt: allgemein bejahende Urtheile ſind entweder un⸗
beſtimmte (indefinita) ober beſtimmte (definita);
ein jedes unbeſtimmtes Urtheil ift allgemein mabr,
aber nicht ein jedes allgemein wahres Urtheil iſt ein
unbeſtimmtes. Denn ein unbeſtinuntes Urteil. ift
ein ſolches, deſſen Subjekt der Gattungsbegriff iſt,
von dem das Praͤdikat ausgeſagt wird; es giebt aber
auch allgemeine Urtheile, deren Subjekte die unter
einem gewiſſen Gattungsbegriffe enthaltenen Arten
und
F^ 32r ^wuüz*
tub Individua (inb, unb bas finb Beftimmte. Die
fDrábifate dieſer letztern fónnen alfo nur au8 ber Ge;
fabtung erfannt roetben , fie mógen nun jufállige 95e;
ſchaffenheiten, ober Moͤglichkeiten von aufálligen 95e;
ſchaffenheiten, ober ſolche 2(ttribute feyn, bie man
«u$ bem Weſen des Suͤbjekts nid)t herleiten kam.
Was die unbeſtimmten Urtheile anbetrifft, ſo iſt ihr
Praͤdikat entweder der hoͤhere Begriff, zu welchem das
Subjekt gehoͤrt, als: Alle Dreyecke ſind Figuren, oder
e$ iſt ber Unterſchied des Subjekts, als: Alle reps
ecke haben drey Seiten; oder es iſt ein Attribut des
Subjekts, unb alsdann entweder ein gemeines
oder ein eigenthuͤmliches. Vielleicht waͤre es ju
wuͤnſchen, daß es eine Terminologie gaͤbe, wodurch
man alle dieſe Arten der Urtheile leichter unterſchei⸗
den koͤnnte; ihre eigenthuͤmlichen Regeln ließen ſich
alsdann vielleicht deutlicher angeben, unb leichter be;
weiſen. Dieſe Terminologie aus den bereits bekann⸗
ten logiſchen Schriften zuſammenzuſuchen, wuͤrde eben
nicht ſchwer ſeyn, menn man nicht befuͤrchten bürfte,
daß ſie wegen ihrer Trockenheit und barbariſchſcheinen⸗
den Stbtilitaͤt mißſallen wuͤrden.
Folgender Abriß mag ein Verſuch ſeyn, bie Ur⸗
theile nach der Verſchiedenheit ihrer Praͤdikate zu
klaſſificiren.
I. All⸗
Four 322 "x
X. Allgemeine Urtheile, beren Subjekt ber hoͤhere
Gattungsbegriff iſt, bem das Praͤdikat beyge⸗
legt wird. Unbeſtimmte Urtheile, Iudicia
indefinita, Bernoulli.
1. Urtheile, deren Praͤdikat Merkmale ſind, die
jum Weſen des Subjekts gehoͤren. Weſent⸗
liche Urtheile. Analytiſche Urtheile,
Kant.
a. Das ganze Weſen, ober. der hoͤhere Begriff,
worunter das Subjekt gehoͤrt, nebſt dem ln:
terſchiede des niedrigern Begriffs, alſo die
Janze Definition, ganz identiſche Urtheile.
Iudicia totaliter identica.
b. Der hoͤhere Begriff ohne ben Unterſchied bed
niedrigern Begriffs, zum Theil identiſche
Urtheile, Iudicia partialiter identica.
2. Urtheile, deren Praͤdikat ein Attribut des
Subjekts ift: Nichtweſentliche. Syntheti⸗
ſche Urtheile a priori, Kant.
a. Deren Praͤdikat ein. eigenthuͤmliches Attti⸗
but (attributum proprium) iſt. Xeci⸗
prokable Urtheile, Iudicia reciproca-
bilia.
b. De⸗
FAY 323. «1
b. Seren Praͤdikat ein. gemeines Attribut (at-
tributum commune) ift. Nichtrecipro⸗
Fable Urtheile. ludicia non reciproca-
bilia.
JI. Allgemeine Urtheile, beren Praͤdikate aus bec
Erfahrung erkannt werden, unb deren Subjekt
daher alle unter. einem hoͤhern Begriffe entfat;
tene. Individua ſind. Beſtimmte Urtheile.
Iudicis definita. Bernoulli. Allgemeine ſyn⸗
thetiſche Urtheile a. pofteriori. Kant.
Der Grund zu dieſer Claſſifikation liegt bereits
in der Theorie der ariſtoteliſchen Philoſophie von den
Praͤdikabilien, welche einen wichtigen Theil ihres
Organons ausmacht. Dieſe Praͤdikabilien waren
nichts anders, als eine vollſtaͤndige Aufzaͤhlung alles
moͤglichen Praͤdikate eines Urtheils, oder der in einem
Dinge denkbaren Beſtimmungen. Wollten wir ſie mit
unſerer heutigen Terminologie vergleichen: ſo wuͤrden
bie vier erſten, bie Gattung (eos), bie Art (sides),
ber Unterſchied (A«gops), das Eigenthuͤmliche (13),
bie Beſtimmungen entbalten , bie wit das Weſen,
bie weſent lichen Stuͤcke unb bie Gigenfdjaften nennen.
Von biefen le&tern faffen fid) einige nur. aus tet Gr:
fafrung erfennen, anbere laſſen fid) au$ bem SiBejen
Philoſ. Mag. 3. 6t. 9 des
FAMEM 324 ^"
des Dinges feríeiten; wovon biefe in bem Urtheilen
vorkommen wuͤrden, die Bernoulli unbeſtimmte, jene
aber in denen, bie ec beſtimmte nennt. Das fünfte unb
letzte ber. Praͤdikabilien ift das Zufaͤllige (accidens,
s'ug.Be5x95), welches wieder in das trennbare
und untrennbare getheilt wurde, wovon das
erſtere unſere zufaͤlligen Beſchaffenheiten oder
Modifikationen des Dinges ſind, das letztere
aber zu den Attributen deſſelben gerechnet wer⸗
den muß.
Die eigenthuͤmlichen Beſtimmungen (propria)
oder Attribute wurden wieder im vier Modos einge⸗
theilt, wovon nur das zum zweyten und vierten Mo⸗
dus gehoͤrige einige Wichtigkeit hat; dieſes ſind unſere
eigenthuͤmlichen Attribute, jenes unſere gemeinen. So
giebt Bernoulli ihren Unterſchied ſelber an; und
er erlaͤutert dieſen Unterſchied durch folgende Bey—⸗
ſpiele: „daß die Semiordinaten des Zirkels die mitt⸗
„lern Proportionallinien zwiſchen den Segmenten
„ſeines Durchmeſſers (inb, ift ein Proprium quarti
» modi, ober, nad) unſerer Sprache, ein eigenthuͤm⸗
» lid)es Attribut bed Zirkels; bag aber bie Quadrate
»ber Ordinaten mit ben Stectangeln ber. Segmente
»be8 Durchmeſſers (m Verhaͤltniß finb, ift eim
,Proprium fecundi modi, ober ein gemeines
» Xt;
FM 325 à»
„Attribut des Sirfeló, benn es fómmt aud) bet
» llipfe gu. »
Daß alſo ber Unterſchied zwiſchen analytiſchen
und ſynthetiſchen Urtheilen, wenn er in weiter nichts
beſteht, als daß bie erſtern bloß erlaͤuternd, bie letz⸗
tern hingegen erweiternd ſind, ſchon alt ſey, ſcheint
mir hinlaͤnglich bewieſen zu ſeyn.
Nun iſt noch die Frage uͤbrig: ob die Metaphy—
ſik gar feine ſynthetiſchen Urtheile enthalte. 93er:
ſteht man unter dieſen Urtheilen ſolche, welche wir
unbeſtimmte reciprokable unb nichtreciprokable ae;
nannt haben: fo ſehe id) nicht, wie man ber Me—⸗
taphyſik alle ſynthetiſchen Urtheile abſprechen wolle.
Wenn fid) bie Saͤtze: Alle endlichen Dinge finb vers
aͤnderlich, und, das unendliche Ding iſt unveraͤnderlich,
a priori beweiſen laſſen: Jo ſind fie ſynthetiſche Saͤtze
apriori. Denn bie Begriffe ihrer Praͤdikate ſind von
den Begriffen ihrer Subjekte verſchieden; ſie ſind keine
weſentliche Stuͤcke, ſie ſind Attribute derſelben; ſie ſind
Propria quarti modi. Wollte man ſagen: aber eben
deswegen ſind ſie doch in ihnen gegruͤndet, und alſo
ſchon durch ſie beſtimmt: ſo ſage ich das naͤmliche
aud) von bem Praͤdikate des Satzes: bie Semiordi—
naten des Zirkels ſind die mittlern Proportionallinien
$23 ber
f^^ 326 ^w»
bet Segmente des Durchmeſſers; aud) bieft? i(t ein
Attribut be$ Zirkels, ba8 ín bem Weſen beffelben ad
gruͤndet i(t, unb burd) das Weſen deſſelben beſtimmt
wird. Es iſt doch aber augenſcheinlich etwas anders,
durch das Weſen beſtimmt werden und dieſes Weſen
ſelbſt ſeyn. Eine Wageſchale wird durch das Gewicht
zum Sinken beſtimmt, iſt aber das Sinken und das
Gewicht einerley?
Wenn aus allem dieſem nun folgt, daß unſere
reine Vernunfterkenntniß aud) ſynthetiſche Saͤtze ent;
haͤlt: ſo iſt eine reine Vernunftwiſſenſchaft mit ſolchen
Saͤtzen moͤglich, und unſere bisherige Metaphyſik iſt
eine ſolche. Denn fie enthaͤlt nicht allein reine Ver⸗
nunftwahrheiten, die auf dem Satze des Widerſpruchs,
ſondern auch ſolche, die auf dem Satze des zureichen⸗
den Grundes beruhen; ſie enthaͤlt nicht allein analy⸗
tiſche, ſondern aud) ſynthetiſche Urtheile. Wenn ihr
Hr. "Kant dieſe letztern batum abſpricht, weil er bem
Satze des zureichenden Grundes nur einen regulati⸗
ven Gebrauch, nicht aber einen. conftitutiven guae:
(tebt: fo kann er dieſes nid)t anders, als vermóae
feiner Theorie, wonach ben 93erftanbesibeen feine
Gegenſtaͤnde aufer oem Verſtande entfpred)en, biefer
Grundſaltz feine ebjeftíoe Guͤltigkeit haben, unb nicht
auf Dinge an fid, oder auf Dinge, bie keine Erſchei⸗
num:
fM 327. om
nungen finb, angeroenbet werden folf, unb das ſcheint
im ber zweyten unb orítten Abhandlung des gegens
waͤrtigen Stuͤcks unſers phil. Mag. binfanaltd) roiber:
legt zu ſeyn. Muͤſſen aber bey den Erſcheinungen
Dinge an ſich, oder Dinge, die keine Erſcheinungen
ſind, zum Grunde liegen, muß das Zufaͤllige eine
nothwendige Urſach haben, bie nicht empfunben wet:
den kann, find die Formen der Anſchauung nur die
einfachſten Vorſtellungen fuͤr die Sinnlichkeit, nicht
aber fuͤr den Verſtand, kann der Verſtand, wie in
den beiden vorhergehenden Unterſuchungen iſt bewie⸗
ſen worden, von ihnen verſchiedenes mit Gewißheit
erkennen: ſo fuͤhrt uns die reine Vernunft auf die
Erkenntniß ber einfachen Subſtanzen unb des vol
kommenſten Weſens; es giebt ſynthetiſche Urtheile
fuͤr die Erkenntniß der reinen Vernunft, in Wolfs
unb Baumgartens Metaphyſik ſind dergleichen ent⸗
halten.
So beruhete alſo auch die Verſchiedenheit der Leib—
nitziſchen unb. Kantiſchen Vernunſtkritik ín ber Unter⸗
ſcheidung der analytiſchen und ſynthetiſchen Urtheile
auf derjenigen Theorie, die eine jede uͤber die objektive
Guͤltigkeit oder die logiſche Wahrheit der Begriffe
und Urtheile des reinen Verſtandes annimmt. Wir
hoffen dieſe logiſche Wahrheit außer allen Zweifel
3 ge⸗
F^w»*^ 228 ^w
geſetzt zu haben. Hr. Sant feugnet fie, unb auf bie:
ſes Leugnen gruͤndet ec die Verwerfung ber. bisherigen
Metaphyſik; er gruͤndet darauf die Behauptung, daß
die bisherige Metaphyſik keine ſynthetiſche, ſondern
bloß analytiſche Urtheile enthalte. Einige kurze Be⸗
merkungen werden zeigen, daß hier der kritiſche
Idealismus ſein eigenes Werk zerſtoͤhrt. Entweder
die ſynthetiſchen Urtheile a priori ſind das, was fie
in Wolfs und Baumgartens Schriften ſind, oder
ihre Wahrheit (Ginftimmung mit bem Objekt) *) iſt
nichts denkbares *).
Herr RKant theilt bie ſynthetiſchen Urtheile in
Urtheile a pofteriori unb a priori ein. Die erſtern
ſind mít ben Erfahrungsurtheilen einerley, unb ba:
Bey fat e$ feine Schwierigkeit; beide SBernunftfritü
fen formen barín überein, daß fie anfdjauenbe 95e;
9tiffe enthalten muͤſſen. Was ift aber nun eín wah⸗
tcs ſynthetiſches Urtheil a priori? lm wahr qu feyn,
ſagt Jr. Kant, muf es mit bem Gegenftanbe über:
einftimmen, e$ muf alfo eínen Gegegſtand haben; ba8
alles fagt Leibnitz aud): ein jeher Gegenftanb, fett
abet Jor. ant hinzu, muß fónnen. erfabten wetben,
oder: et ftebt untet ben. nothwendigen S5ebingungen
der ſynthetiſchen Einheit des Mannigfaltigen, une
zwar,
*) Crit. b. e. V. C. 157. a. 9f.
**) G. was oben C, 310. geſagt iff,
zwar, wohl Bemerft, des Mannigfaltigen der An⸗
ſchauung in einer moͤglichen Erfahrung; und
bas ſagt Leibnitz nicht. Und wohl ihm, daß er es
nicht ſagt; denn, wenn er e$ ſagte, fo wuͤrde feine Civ
kenntniß Gottes keine Wahrheit haben, und was
er dabey verliehren wuͤrde, das wird ſich vielleicht
einmal kuͤnftig zeigen laſſen.
Alſo: die ſynthetiſchen Urtheile, wenn ſie wahr
ſeyn ſollen, muͤſſen einen Gegenſtand haben, und ein
jeder Gegenſtand muß unter ben. nothwendigen Be—
dingungen der Einheit des Mannigfaltigen ber An⸗
ſchauung in einer. moͤglichen Erſahrung ſtehen. Gt;
fahrung erfodert nach Hr. Kant ſelbſt Empfindung *),
Empfindung (ft Modifikation der Sinnlichkeit **),
die Modifikationen der Sinnlichkeit ſind Erſcheinungen,
Vorſtellungen, die nur ín mir vorhanden ſind ***).
Die ſynthetiſchen Urtheile finb wahr, heißt bann, Vor⸗
ſtellungen ſtimmen mit Vorſtellungen uͤberein. So
weit bringt uns alſo der kritiſche Idealismus mit ſei⸗
uec Theorie ber ſynthetiſchen Urtheile.
$2 4 Wie
*) Prol. $. 1$ — 23.
**) Grit. ber v. 95. €. 20. 42. fo. a. 9I.
***) €benb. €, 104. 391. 490. a. 3f.
Fav 330 ^m
Wie weit bringt un ber Leibnitziſche Dogmatis⸗
mus? — Er ſagt: bie analytiſchen unb ſyntheti⸗
ſchen Urtheile a priori (wenn man fie. bann unter⸗
ſcheiden milf) fónnen nur unterſchieden werden nad)
ber Mrt, tie das "Drábifat burd) das Subjekt be:
ſtimmt wird; bie erftern ſind wahr, menn das Praͤ⸗
bifat das Weſen ober ein weſentliches Stuͤck; bie lets
tet, wenn e8 ein X(ttribut des Cubjefté i(t; bas Ding,
beffen Weſen, weſentliche Stuͤcke ober Attribute fie
ausſagen, mag uͤbrigens empfunden werden koͤnnen
ober nicht. Iſt feine Wirklichkeit außer ber Vorſtel—⸗
lung anderweitig erwieſen: ſo koͤnnen und muͤſſen alle
wahre analytiſche und ſynthetiſche Urtheile von dem⸗
ſelben gelten, ſie muͤſſen logiſche Wahrheit haben.
Sie ſind ſchlechterdings nothwendig wahr, und alle
ſchlechterdings nothwendig wahte Urtheile ſind allge⸗
meine; alſo ſolche, die uns bie gemeinen Beſtim⸗
mungen vorſtellen. Sie geben uns alſo die gemeinen
Beſtimmungen eines wirklichen Dinges, von dem
wir uns bie Beſtimmungen, die zu ſeiner Individua⸗
litaͤt gehoͤren, nicht vorſtellen koͤnnen, alſo diejenigen,
die durch den reinen Verſtand und die Vernunft er⸗
kannt werden; ſie ſind alſo keine ſchlechterdings leere
Erkenntniß, unb, fo fern bie Erkenntniß, die fie ent
halten, mit ihrem Gegenſtande übereinftimmt, ift fie
eine logiſch wahre.
Wenn
ff^ 331 e»
Wenn man alfo ben Unterſchied zwiſchen anafy:
tiſchen unb ſynthetiſchen Urtheilen a priori im bie
Metaphyſik bringen will, wenn dieſer Unterſchied ei:
nen Sinn haben ſoll: fo kann er nur auf bie 33er
ſchiedenheit der Beſtimmungsart des Praͤdikats durch
das Subjekt gegruͤndet werden, und das Principium
bet Wahrheit in ben analytiſchen kann nut ber. Satz
e$ Widerſpruchs, bcr ſynthetiſchen aber ber Cat
des zureichenden Grundes ſeyn. Da aber alles wahr
iſt, was dieſen Saͤtzen gemaͤß iſt: ſo iſt dieſer Unter—
ſchied fuͤr die logiſche Wahrheit eines Urtheils voͤllig
unnuͤtz, und der Streit, ob ein Satz ein analytiſcher
oder ein ſynthetiſcher ſey, in Ruͤckſicht auf ſeine
logiſche Wahrheit, ein unerheblicher Streit; denn
beide Arten koͤnnen logiſch wahr ſeyn. Daß aber der
gauge Unterſchied, menn er nicht nad) bem Einthei—
lungégrunbe bes Leibnitziſchen Dogmatismus beftimmt
wird, feinen Sinn habe, i(t augenſcheinlich. Denn
die ſynthetiſchen Urtheile koͤnnen in der Theorie des
kritiſchen Idealismus keine Gegenſtaͤnde außer der
Vorſtellung haben, da ſie ſich auf nichts beziehen
koͤnnen, das außer der Vorſtellung wirklich waͤre,
und ihre logiſche Wahrheit alſo nur in der Ueberein—
ſtimmung einer. Vorſtellung in uns, mit eben derſel—
ben Vorſtellung in uns beſteht; ber kritiſche Idealis⸗
mus ſetzt eine Theorie voraus, bie bic ganze lIntet:
$5 ſchei⸗
—332 ^m
ſcheidung gu einem. Spielwerk macht. Das endliche
Reſultat aus allem dieſem iſt: Entweder die Erſchei⸗
nungen ſind in wahren Dingen, bie aufer der Vor⸗
ſtellung wirklich ſind, gegruͤndet, und es giebt eine
Erkenntniß dieſer Dinge an ſich, naͤmlich durch den
Verſtand; unb bann iſt ber Dogmatismus gerecht—⸗
fertigt: ober fie ſind bloße Erſcheinungen, bloße Vor—
ſtellungen; dann ſind die ſynthetiſchen Urtheile nichts
Denkbares, denn ihre Wahrheit beſteht in ber Ueber⸗
einſtimmung einer Vorſtellung mit ſich ſelbſt.
Ausführlichere Erklaärung
uͤber
die Abſicht dieſes philoſophiſchen Maga—
zins. Veranlaßt durch eine Recenſion des
erſten Stuͤckes deſſelben in der Allg.
fitt. Zeitung.
D. es eine Hauptabſicht dieſes philoſophiſchen
Magazins iſt, durch daſſelbe cine ſreye Mittheilung
der Urtheile uͤber die gegenwaͤrtigen Unterſuchungen
in der ſpekulativen Philoſophie zu befoͤrdern: ſo kann
uns die freymuͤthigſte Beurtheilung ſeines Inhalts
nicht anders als ſehr willkommen ſeyn. Wir haben
dieſes bereits in der Ankuͤndigung des Plans unſeres
Magazins erklaͤrt, unb es erhellet aus dieſer Ankuͤn⸗
digung hinlaͤnglich, daß es ganz vorzuͤglich zu unſerm
Plane gehoͤrte, in unſern Unterſuchungen inſonder⸗
heit das Unterſcheidende in des Hrn. Prof. Kant
Kritik der reinen Vernunft zu begreifen, und dadurch
die
bie fo eft wiederholte billige Auffoderung ber Ver⸗
theidiger derſelben anzunehmen.
Es iſt demnach allerdings unſere Abſicht, in bie;
ſem Magazin eine gruͤndliche und ruhige gemeinſchaſt⸗
liche Unterſuchung ber Grundſaͤtze der Kantiſchen
Vernunftkritik zu eroͤffnen. Und da in der Allgem.
fitt. Zeit. bie Schriften für unb wider dieſe Kritik
von Vertheidigern derſelben beurtheilt werden: ſo ge⸗
ſtehen mir, daß gleich vom Anfange an, unſere Au⸗
gen auf dieſe beliebte litterariſche Zeitung ſind gerich⸗
tet geweſen, unb daß wir durch ihren Kanal bic bt:
ſten und gruͤndlichſten Beurtheilungen unſerer Un—
terſuchungen, in dem Tone des Glimpfes und der
Ruhe, erwartet haben. Das iff aud) von phi—
loſophiſchen Unterſuchern abſtrakter Spekulationen
gewiß nicht zu viel erwartet. Der geſundere
Theil der Leſer kann unmoͤglich ben apoſto—
liſchen Feuereiſer theilen, womit die Miſſionarien,
von welcher Partey es ſeyn mag, ihre den meiſten
Leſern unverſtaͤndlichen unb unbrauchbaren Spekula⸗
tionen predigen, und der ungeſundere Theil beluſtigt
ſich bloß an dem ſchnoͤden Schauſpiele eines gelehrten
Athletengefechts, das ſich ihm die Philoſophie zu geben
billig ſchaͤmen ſollte.
Wir
K^AMT^ 335 x»
Wir faben affo Grnft ohne Bitterkeit, Intereſſe
ohne Hitze, ſtrenge Beurtheilung mit Glimpf und
Aufrichtigleit ohne Vertuſchung ſeiner eigenen Bloͤßen
ober Verſchweiguug ber Staͤrke des Beurtheilten er;
wartet. Ob unſere Erwaͤrtung in ber Anzeige des
erſten Stuͤckes iſt erfuͤllet worden koͤmmt uns nicht
zu, zu entſcheiden.
Einige wenige Anmerkungen uͤber dieſe Anzeige
moͤgen hier Platz finden, weil fie uns zu náferer 95e;
ftimmung ber Cinrid)tung unb des Gefid)tépunfteg
unſeres Magazins nótfig fdjeinen. — Der Stecenfent
9laubt unferm Magazine daraus nichts gutes eiffa:
gen ju fónnen, daß wit, aufer eigentlichen philoſophi⸗
ſchen Abhandlungen, auch andere Aufſaͤtze darin auf;
nehmen. Dieſem Vorwurfe haͤtten wir leicht dadurch
koͤnnen aus dem Wege gehen, daß wir unſerm Ma—
gazine eine andere allgemeinere Aufſchrift, z. 95. ei;
nes vermiſchten Magazins gegeben haͤtten. Wir
haben aber die gegenwaͤrtige aus mehrern Urſachen
recht gefliſſentlich gewaͤhlt. Wir glaubten zufoͤrderſt,
daß ſie zu ſeiner Hauptbeſtimmung am beſten paſſe,
und daß Materialien zu philoſophiſchen Betrachtungen
aus der Geſchichte, der Voͤlkerkunde und dem
menſchlichen Leben, dieſer Beſtimmung nichts weniger
als entgegen ſeyn; zumal wenn ſie, wie es wenigſtens
unſere
mAvf^ 556 wu
unſere Abſicht it, aus ciem philoſophiſchen Geſichts⸗
punkte dargeſtellt werden. Hiernaͤchſt glaubten wir auch
an ſolche Leſer denken zu duͤrfen, die an den ermuͤdenden
Cicfulationen. unb. den ſpitzfindigen Streitigkeiten
nicht das warme Intereſſe nehmen koͤnnen, das ihnen
fuͤr uns andere Schulgelehrten ſo viele, gute und
ſchlechte, Gruͤnde zu geben pflegen. Dieſe verlangen
mit Recht, wenn ſie eine Zeitlang dem Fluge der
Spekulation durch ihre unſichtbaren Regionen oder
ihrem Gange durch unſtuchtbare Wuͤſten gefolgt ſind,
auf einem zugaͤnglichern und fruchtbarern Boden aus⸗
ruhen zu koͤnnen; unb mir haben Beweiſe, daß vet:
ſchiedenen febr ehrwuͤrdigen Leſern von dieſer Art un⸗
ſere Einrichtung nicht mißfallen hat. Daß tir abet
audj au fole Leſer benfen mußten, dazu nótbigte un$
bie Erfahrung, bic mir mehrmals gemacht 6aben,
bof ein zudringlicher Eifer einiger Liebhaber De6 triti;
ſchen Idealismus bie Stufe verſchiedener Perſonen er;
ſchuͤttert hatte, die bis dahin mit ihrer Philoſophie,
unb zwar, wie có uns ſcheint, mit Recht, bie Gran:
aem bes bloßen geſunden Verſtandes nicht zu über;
ſchreiten gewohnt waren.
Endlich glaubten wit daß es nicht unſchickli⸗
cher ſey, in einem philoſophiſchen Journale Zuͤge aus
der Geſchichte und der Voͤlkerkunde oder philoſophi⸗
ſche
ſ337 cm
fe Aufſaͤtze in dem Kleide ber Dichtkunſt anfgunef:
men, als in einem Journale, das, wie der deutſche
Merkur, vorzuͤglich den Werken des Geſchmacks gewid⸗
met iſt, gruͤndliche und tiefſinnige Abhandlungen aus
dem Felde der eigentlichſten Philoſophie. So wie ein
geſchmackvolles Luſtſchloß auch ein ungeſchmuͤcktes
Boudoir enthalten kann, ſo wird man auch einem
ſumplen wirthſchaftlichen Buͤrgerhauſe ein angemeſſenes
beſcheidenes Putzzimmer nicht verſagen koͤnnen. Daß
uͤbrigens dieſer Theil der Einrichtung nicht ſeinen
Grund ín bem Mangel an andern Materialien habe,
wird die Folge am uͤberzeugendſten beweiſen. Wir be⸗
ſorgen daher aat nicht, daß bas, was ber ungluͤckweiſ⸗
fagenbe Recenſent hinzuſetzt: „eine ſolche Einrichtung
f» das Verderben ber Zeitſchriften,, ber unſrigen
bevorſtehe. Da dieſe eine ſehr beſtimmte Abſicht hat,
ſo werden wir von ſelbſt die Feder niederlegen, ſo
bald dieſe Abſicht erfuͤllt iſt, und mir hoffen, daß bie:
ſes fruͤher geſchehen werde, als ber Zeitpunkt des ge:
weiſſagten Verderbens herankoͤmmt. Sollte er uns
aber noch eher uͤbereilen, ſo beſcheiden wir uns gern,
daß wir abtteten muͤſſen, fo bald wir nicht mehr das
Gluͤck haben, unſern achtungswuͤrdigen Leſern zu ge—
fallen. Da uͤbrigens dieſe nichtwiſſenſchaftlichen Auf⸗
ſaͤtze nicht weſentlich in unſern Plan gehoͤren: ſo wird
ihre Rubrik oft leer bleiben, es ſey, daß wir ſie mit
nichtẽ
— 338 5
nichts unterhaſtendem anzufuͤllen haben, ober daß ihnen
bie wiſſenſchaftlichen Aufſaͤtze keinen Platz laſſen.
Was die Beurtheilung des Gedichtes uͤber das
Frauenzimmer betrifft: ſo koͤnnten wir um deſto
leichter davon ſchweigen, da der Verfaſſer deſſelben
ſeine Vertheidigung nicht von uns verlangt hat; wenn
wir nicht uͤber die Art, wie es beurtheilt iſt,
einige Bemerkungen zu machen haͤtten, die kein bloß
individuelles Intereſſe haben. Der Dichter hat dem
Recenſenten mit zu viel Wegwerfung von der Gelehr⸗
ſamkeit geſprochen. Wer ſo viel Scherz verſteht, daß
et begreift, man koͤnne, ohne cin Verbrechen ber be⸗
leidigten Gelehrſamkeit zu begehen, zu einer geiſtrei—
chen jungen Dame ſehr wohl mit einiger Verachtung
von ſtaubigten Folianten reden, dem wird das gewiß
nicht anffallen. Ein Gedicht, dem jeder ſogleich die
Farbe bes. Scherzes anſieht, unb womit ein geſell⸗
ſchaftlicher Streit geendigt, nicht entſchieden wet:
den ſollte, iſt kein theologiſches Bedenken uͤber einen
Gewiſſensfall; die Philoſophie der Vernunft iſt nicht
die Philoſophie des Geſchmacks, und die Moral des
Dichters iſt nicht die Moral des Menſchen. Wer aber
zu ber Beurtheilung eines Gedichtes einen fo ſalſchen
Maaßſtab mitbringt, daß er dabey, wie jener Mathema⸗
titer, fragen kann, qu'elt- ce que cela prouve?
ber
339 ^ wan
bem iſt es erlaubt, voie ber Stecenfent, aud) 5a um
terhaltendſte Gedicht ſchleppend gu finden. Uebrigens
iſt die Stimme Eines Kunſtrichters nur Eine Stim⸗
me, und die Stimme eines ungenannten, der keine
Gruͤnde (eines Urtheils anfuͤhrt, fo gut wir gar keine.
Selbſt ein Wieland, der es ſo wenig noͤthig haͤtte,
fuͤhrt, mo et tadeln mug, Gruͤnde ſeines Tadels au,
unb bet Verfaſſer des beurtheilten Gedichts fat füc
das Urtheil dieſes großen Mannes fo viel Achtung
und fuͤr die Spiele ſeiner eigenen Muſe ſo wenig Vor⸗
liebe, daß et uns ausdruͤcklich aufgetragen hat, in feis
nem Namen zu verſichern, daß, wenn ein Mann mit
Wielands ſicherm Geſchmack unb. ſchonender Huma⸗
nitaͤt, ín einer fo belehrenden Kritik, wie z. B. bie
vortrefliche Kritik des Voſſiſchen Muſenalmanachs
b. Sy. ün t. Merk. Jan., ſein Gedicht vermerfen
ſollte, er ber er(te ſeyn wuͤrde, Der dieſes Urthen
unterſchriebe.
Philoſ. Mag 3. St. 3 VI.
VI.
Oborláufige Crflárung
bes
fDerfaffet8 oet Briefe über bie Antinomie
ber Vernunft, in Ruͤckſicht auf bie Recen⸗
(iom biefer Briefe in ber allgem. fitt.
Zeitung.
S. unvollkommen meine Briefe uͤber die Antino⸗
mie der Vernunft immer ſeyn moͤgen, ſo konnten doch
wenigſtens nicht alle darin vorgetragne Zweifel gegen
das Kantiſche Syſtem damit abgewieſen werden, daß
man mir, wie der Recenſent in der allgem. Litt. Zei⸗
tung thut (Nr. 20. 1789.), ſagte: „dieſe Zweifel
wuͤrden fid) von ſelbſt bey mir verlohren haben, wenn
ich meine Bekanntſchaft mit den Kantiſchen Werken
nod) ein: paar Jahre haͤtte aͤlter werden laſſen.,
Was dieſen legten, fo oft unb gegen fo viele wieder⸗
Doíten Vorwurf: baf id) mit ber Santifdjen Philo⸗
ſophie nicht hinlaͤnglich bekannt fep, betrifft: fo finbe
4d) in ber gangen Recenſion feinen. Beweis, baf id)
ibn
FCwT^ 341 ^"
[5n verdiene, unb glaube alfo für jet nicht noͤthig zu
haben, mid) bagegen zu rechtfertigen.
Das, was bet Jor. Recenſent gegen mein Rai⸗
ſonnement einzuwenden der Muͤhe werth geachtet hat,
betrifft bloß eine beylaͤufig beruͤhrte Nebenſache.
Ich habe in den erſtern der gedachten Briefe
geſagt, was ich vielleicht haͤtte weglaſſen koͤnnen: daß
die Kantiſche Philoſophie, gegen ihre eigenen Prin⸗
(ipia, ben dogmatiſchen Satz auſſtelle: „Raum
unb Zeit koͤmmt ben Dingen an ſich ſelbſt nicht zu,
und daß dieſer Satz etwas von den Dingen an ſich
ſelbſt behaupte.
Der Recenſent erklaͤrt dieſes für ein Spiel mit
Worten, und ſetzt hinzu: „der Satz: Raum und
Zeit ſind Formen der bloßen Anſchauung, ſpricht den
Dingen an ſich Raum und Zeit ab, ohne denſelben
eine dem Raum und der Zeit entgegengeſetzte Be⸗
ſchaffenheit beyzulegen, d. h. ohne von ben Singen
en fid) etwas poſitives zu bebaupten.,, — Syd) ar(tefe
gern, bafi id) ben. angefüfrten Satz nicht haͤtte dog⸗
matiſch nennen follen; wenn nad ber Grflárung des
Stecenjenten ju. einem bogmatijd)en Cate, fo mie audj
gut Behaupten, nod) gehoͤrt: baf er bejabeno ſey;
unb wenn baburd), baf id) einem Dinge eine gemiffe
232 Be⸗
fXVER 342 ^Yuky
Beſtimmung geradezu abfpredje , nicht bie contrabíctor
riſch entgeuengefete pofitio von ifm behauptet wird.
Aber auf ben Ausdruck fómmt es nit an; bie
Sache ift dieſe: Wenn bie Dinge an fid) fefóft và
lig — x für un$ finb, wenn wir gar nichts von il
nen etfennen, un$ in einer gánjfid)en Unwiſſenheit
allec ihrer Beſtimmungen befinben: moie i(t e8 alóbann
moͤglich von einigen Beſtimmungen zu fagen, daß fie
ihnen nidjt zukommen ? Wenn id) einem Dinge eine
Beſtimmung abfpredjen vill, fo muf id) fie mit einer
SBorftellung dieſes Dinges vergleichen fónnen ; dies if
aber unmóglid), wenn mir das Ding gaͤnzlich unbe:
kannt iſt. Wer z. 95. gar nichts vom Golde wuͤßte,
^o fid in einer gaͤnzlichen Unwiſſenheit aller. feiner. $5e;
ſtimmungen Befánbe, ber koͤnnte aud) nídt fagen:
ba$ Gold iſt nid)t ſchwarz.
Wie iſt alſo nach Kantiſchen Grundſaͤtzen der Be⸗
weis uͤberhaupt moͤglich: daß Raum und Zeit bloß
Formen der Anſchauung, daß ſie ſchlechterdings
nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich ſelbſt ſeyn?
Das iſt die Schwierigkeit, woruͤber ich Be⸗
lehrung wuͤnſchte, und die der Hr. Recenſent nicht
einmal von fern beruͤhrt hat.
Ich
FM 543. "em
Ich fefe uͤbrigens wol eit, baf bie Briefform,
bie id) in meiner. kleinen Schrift waͤhlte, gegen bie
SXaterie zu ab(ted)enb fep, unb werde daher bie in
dieſer drift angeſtellten Betrachtungen in bem naͤch⸗
ſten Stuͤcke dieſes philoſ. Magazins concentrirt vor⸗
tragen. Da es mir nicht darum zu thun iſt, Recht
zu behalten, ſondern nur die Wahrheit zu entdecken,
ſo verlange ich keine Nachſicht fuͤr meine Beweiſe,
und werde dem Hrn. Recenſenten fuͤr jede gruͤndliche
Belehrung uͤber Fehltritte in der Sache danken;
auch dann, wenn er mich uͤberzeugt, daß ich den
Weg bet Wahrheit gang unb gar verfehlt habe; toc;
ches aber nut durch untadelhafte Beweiſe wird ge
ſchehen koͤnnen.
|
83 VII.
FAM 344 "mx
ft$040909 040 TIC OG 4006902024
VII.
Der 3eifig unb bie Maus.
Cine Sabel.
C. Zeiſig, ber ben Buͤchern naf,
im Simmer eines Schuigelehrten,
nid)t obne Neid bie Maͤuſe faf,
bíe gierig Blatt unb. Band verzehrten,
rief einſtens: O wie gluͤcklich ſeyd
Ihr, denen hier nach freyem Willen
ſich mit Gelehrſamkeit zu fuͤllen,
Erlaubniß unſer Herr verleiht.
„Bleib, ſprach ein Maͤuschen, ohne Neid
in Deinen goldenen Gegittern,
Wir ſuchen wahrlich hier nicht die Gelehrſamkeit,
die Buͤcher nur — weil ſie uns fuͤttern.
Recen⸗
Recenſionen.
34
I.
Ueber bie Gruͤnde ber Gewißheit bet menſch⸗
lichen Erkenntniß. Zur Pruͤfung der Kanti⸗
ſchen Kritik der reinen Vernunft. Von
Adam Weishaupt, Herzoglich Sachſen⸗ Go;
thaiſchem Hofrath. Nuͤrnberg, bey
Grattenauer. 1788. 8.
$3. Hofrath Weishaupt fáfrt fort, fif) um bie
Aufklaͤrung bed. gegentvártigen Streits über ba$ Ob;
jeftive in unferec reinen Verſtandeserkenntniß verbient
zu machen. Er ſteigt Bier in biefer kleinen aber lehr⸗
reichen Schrift auf die erſten Gruͤnde des kritiſchen
Idealismus zuruͤck, und ſucht dieſen in allen ihren
auffallendſten Folgen nachzugehen, um bie Unſtatthaf⸗
tigkeit der erſtern durch die offenbare Ungereimtheit der
letztern einleuchtend zu machen. Wir koͤnnen es ihm
uͤberall anſehen, daß es ihm um Wahrheit und gruͤnd⸗
35 liche
*⸗ 348 ^w»
liche Ueberzeugung, ſo wie um eine vernuͤnftige Beruhi⸗
gung durch die Aufloͤſung der Probleme, die uns Alles
in und um uns alle Augenblicke vorlegt, ſo weit ſie
der eingeſchraͤnkte Verſtand aufzuloͤſen vermag, zu
thun iſt. Dieſer an ſich lobenswuͤrdigen Gemuͤths⸗
faſſung ſchreiben wir einige Ausbruͤche des Unmuths
zu, womit et fid) gegen bie Theile des kritiſchen Sybeas
lismus auslaͤßt, die ſeine ganze Ruhe erſchuͤttern umb
es unmoͤglich zu machen ſcheinen, ſich mit den Vertheidi⸗
gern derſelben uͤber ihre Gruͤnde zu verſtaͤndigen. Da
wir ihm nicht durch alle Theile ſeiner Unterſuchung
folgen koͤnnen, ohne zu weitlaͤuftig zu werden: ſo be⸗
gnuͤgen wir uns, nur einige merkwuͤrdige Reſultate
derſelben auszuheben und zu dieſen einige Anmerkun⸗
gen hinzuzuſuͤgen. Wenn dieſe Anmerkungen aud)
bisweilen Zweifel aeger. die Genauigkeit eines oder
des andern Urtheils des V. enthalten ſollten: ſo wer⸗
den ſie doch nur ſſeine Gruͤnde und Beweiſe betreffen;
ſie werden die Hauptſache ſeines Syſtems unberuͤhrt
laſſen — denn in Anſehung dieſer, ſind wir voͤllig
ſeiner Meinung, wir haben uns gleichfalls von bet
Gruͤndlichkeit des kritiſchen Idealismus nicht über;
zeugen koͤnnen; — noch weniger werden fie ber. Ach⸗
tung fuͤr des V. philoſophiſche Verdienſte Eintrag
thun. Es iſt ſo leicht, ein Syſtem, das eine ſo neue
Sprache enthaͤlt, und zwar in Subtilitaͤten uͤber die
Unterſcheidung des Objektiven von dem Subjektiven
un⸗
unredjt 3u verſtehen, unb Balb das Objektive ín Bev
Sprache mít bem Objeftioen in ben Begrif—
fen, bald das Erkennen mit bem Seyn gu vermi
ſchen. Der Rec. glaubt fid) gar nicht vor aͤhnlichen
Irrthuͤmern ſicher, fo aufrichtig er fid) aud) bemuͤht,
ſie zu vermeiden; er haͤlt es daher fuͤr einen vorzuͤg⸗
lichen Nutzen dieſer Zeitſchrift, daß ſie darin, ſo bald
ihre Verfaſſer eines Beſſern belehrt werden, auf der
Stelle koͤnnen berichtigt werden; denn das ſcheint
das beſte Mittel gu. ſeyn, um fid) einander zu vet;
ſtaͤndigen. Man wuͤrde außerdem einen Gegner
nicht widerlegt haben, wenn er noch fuͤr ſich anfuͤh⸗
ten koͤnnte, daß man ſeine Meinung nicht genau ge
faßt habe.
Der Plan der ganzen Schrift iſt ſehr einfach
unb einleuchtend. Nach einer allgemeinen Betrach⸗
tung uͤber die Gruͤnde der menſchlichen Erkenntniß
folgt eine Darſtellung des Kantiſchen Syſtems; hier⸗
auf eine Beurtheilung, und endlich eine Widerlegung
deſſelben.
Hr. W. hat, nach unſerer Meinung, die Streit⸗
frage, auf bie es in bem Streite zwiſchen bem kri⸗
tiſchen Idealismus unb jeber 2írt des Dogmatismus
anfómmt, richtig gefaßt, nur bleibt er dieſer al(aes
meinen Beſtimmung der Streitfrage nicht uͤberall
getreu. Es koͤmmt naͤmlich darauf an, ob alle unſere
Er⸗
350
Erkenntniß bloß ſubjektiv ſey, oder ob es auch einige
gebe, die wir mit Recht fuͤr objektiv halten koͤnnen.
Er druͤckt das ſo aus: ob alle unſere Erkenntniß ei⸗
nen bloß ſubjektiven Grund, naͤmlich in der Receptivi⸗
taͤt des erkennenden Subjekts, oder auch einen objekti⸗
ven Grund in den Gegenſtaͤnden habe. Wir bemer⸗
ken hiebey ſogleich eine kleine Zweydeutigkeit in dem
Ausdrucke: Grund, die in der Folge auf die Unter⸗
ſuchungen des V. einigen Einfluß hat. Man kann
darunter das principium cognofcendi, man fann aber
aud) bie Urſach derſelben verſtehen, ſofern fie eine
Modifikation des Denkenden ift. Die erften prin-
cipia cognofcendi (inb bie erſten Vernunftwahrhei⸗
ten füc unfere reine 3Bernunfterfenntni& unb bie anf
fdjauenben Urtheile für unfere Erfahrungserkenntniß.
Die er(ten principia cognofcendi unſerer einem
fBernunfterfenntni& faben eine unleugbare nothwen⸗
dige objektive Guͤltigkeit; unb eben fo alles, was
aus ihnen richtig gefolgert wird. Wenn der Verf.
bey der Befeſtigung dieſer objektiven Guͤltigkeit ge⸗
blieben waͤre: ſo, ſcheint es uns, wuͤrde er ſich ſeine
Unterſuchungen um ein großes erleichtert haben. So
aber verſteht er hauptſaͤchlich unter Grund der Er⸗
feuntnif bie Urſach derſelben. Das thut er ſogleich
in der allgemeinen Beurtheilung der Gruͤnde der Er⸗
kenntniß, bie et F. 4 — 7. voranſchickt. Wir be
merken Bier nur 6e) bem dritten Balle, ben (id) ri
WCAVEA 35t o ^"uky
$8. vorlegt, daß námíid unſere Erkenntniß durch
ein hoͤheres Weſen gewirkt werde, daß die Syſteme,
| welche biefe$ befaupten, bie Folgerungen, bie er bat:
«u$ herleitet, ſchwerlich anerkennen werden. €»
geſteht Carteſius nicht, daß durch ſein Syſtem der
gelegentlichen Urſachen das Daſeyn aͤußerlicher Ge⸗
genſtaͤnde uͤberfluͤſſig werde, eben ſo wenig geſteht dieſer
Philoſophh mit Malebranche unb Berkeley, daß
wir von dem Daſeyn dieſes Weſens eine geringere
Gewißheit haben, als von dem Daſeyn und der Ein⸗
wirkung der Koͤrperwelt. Auch weiß Berkeley die
Spontaneitaͤt bey ſeinem Idealismus ſehr wohl zu be⸗
haupten, und alle haben der Schwaͤrmerey, die der
Verf. beſorgt, in ihren Theorien hinlaͤnglich vorge⸗
beugt. — Ob das, was der Verf. von den Urſachen
ſagt, (5. 11.) bie Jor. Sant zu ſeinem Syſtem vet;
anlaßt haben koͤnnen, wirklich gegruͤndet ſey, getrauen
wir uns nicht zu beurtheilen. Es iſt kuͤrzlich dieſes:
„Locke habe die große Entdeckung gemacht, daß man
„alle unſere Erkenntniß von der Erfahrung ableiten
„muͤſſe, daß die abſtrakten und allgemeinen Begriffe
„nichts anders ſeyen, als die darunter begriffenen In⸗
»bivibua, unb daß daraus folge, dieſe allgemeinen
„Begriffe ſeyen auf kein Weſen ín. ber. Natur an;
»wendbar, als auf diejenigen, von welchen ſie abge⸗
„zogen, — daß aber die ſcholaſtiſche Lehre von der
„Ewigkeit, Nothwendigkeit und Unveraͤnderlichkeit
„der
WeAMT^ 352 ^"
» bet Weſen ber Dinge bald verurfadjt, baf tnan von
„dieſen Folgen abgewichen fep, unb ben Weſen ber
» S ínge eine Art von engerer uno abgefonoertec
» fExiflens (?) aegeben babe. — Man fjabe angefangen
»von Tugend, Gerechtigkeit u. f. ro. als von Din⸗
„gen zu teben, bie von Ewigkeit eir für fido felbft
»beftebenoes Daſeyn baben, (?) Am ſtaͤrkſten
» babe fid) dieſer Unfug in ber febre von Gott at:
„zeigt; einige blog von Menſchen ab(trabirte Soll:
„kommenheiten, als 9Berftanb, Wille, Güte, u. f. 1v.
„habe man auf Gott angemenbet, — Daraus feyen
„falſche unb antfropomorpbi(tije Vorſtellungsarten
„von Gott entſtanden. Sein endliches SBefen babe
» icgeno cine enolicbe f&igenfcbaft mit oem unz
„endlichen Weſen gemein, alle nod) fo febr ver:
» atéferte menſchliche Gigenfdjaften bleiben ünmer nur
„endliche Gigenfd)aften; aus eben temfelbigen Grunu⸗
„de muͤſſe man fonft nidjt obige Eigenſchaften allein,
»fonbern eben fo gut taufenb anbere, als Nuͤchtern⸗
„heit, Maͤßigkeit, Cparfamfeit, Seufdbeit, Be—
„gnuͤgſamkeit, Geduld, Beſcheidenheit, Schamhaf—
„tigkeit wu. ſ. w. von Gott in einem unendlichen Gra:
„de brjafen.,, — Jud) nennt Jor. 98. biefe Vorſtel—
lungsarten, an bie aud), wie et fagt, Cartes, od'e,
Leibnitz, Wolf, 25sumgarten ihren Vortrag an.
geſchloſſen (S. 43.), Widerſpruch und Unſinn.
Wenn alle unſere Erlenntniß von ber Erfahrung muß
ab⸗
f^»T^ 353 ^R
abgeleitet werden, aud) unſere 3Berftanbeeerfenntnig ;
wenn bie S5egriffe be8 Verſtandes nichts anders (inb,
als bie unter (nen begri(fenen Synbivibua, ober, mie
wir e$ verſtehen, roenn (ie feinen aubern. Dingen au;
fommen, als von benen fie wirklich (inb abgezogen
worden: fo feen wir nid)t eiu, rote ber. Verſtand gu
ber Erkenntniß des hoͤchſten Weſens gelangen fónne.
Wenn ferner dem unendlichen Weſen keine Realitaͤt
des endlichen um deswillen kann beygelegt werden,
weil eine jede Realitaͤt in dem endlichen Weſen (ſelbſt
die Realitaͤt, daß es ein Ding iſt,) endlich ſeyn
muß: fo bleibt augenſcheinlich fuͤr das unendliche Se:
ſen nichts als der allerleerſte Begriff uͤbrig, und es
iſt uns voͤllig unbegreiflich, wie Hr. W. hoffen koͤnne,
mit ſolchen Vorderſaͤtzen ben kritiſchen Idealismus zu
widerlegen. Denn da alle Dinge, bie feine Erſchei⸗
nungen ſind, außer bem Geſichtskreiſe ber Sinne
liegen, alſo unmittelbar nicht erfahren werden koͤn—
nen, bie Verſtandesbegriffe, unter denen wir fie. ben:
fen wollten, alſo nicht von ihnen haben abgezogen
werden koͤnnen, und ihnen folglich nicht zukommen:
ſo muß die Erkenntniß derſelben gleichfalls ganz leer
ſeyn, unb es iff aud) um das Objeftive unſerer Gs
fenntni$ ber Grünbe der Erſcheinungen gethan. Wir
beſorgen beynahe, den Verf. nicht recht verſtanden
zu haben, und wuͤnſchen aufrichtig, belehrt zu wer—
den. Die Darſtellung und Beurtheilung, die Hr.
(V^ 354 40
$9, von bem Kantiſchen Syſtem giebt, müffen toi
ben Vertheidigern beffelben ſelbſt zu beurtheilen uͤber⸗
laſſen. Wir uͤbernehmen z. B. nicht, zu entſcheiden,
ob es dieſem Syſteme gemaͤß iſt, menn e$. €. 119.
6. 29. heißt: „Es wird geſagt, ba ſolche ſubſtanti⸗
elle Dinge, welche bey ben. Erſcheinungen jut Grun⸗
» be liegen follen, voxgava (inb,,, ba or. Kant (Git.
, b. t. V. €. 253. a. 21.) ausdruͤcklich fagt: „ Das
„Objekt, worauf ſich die Erſcheinung bezieht, kann
„nicht Noumenon heißen., Vergl. phil. Mag.
St. 3. S. 282. Von den Noumenen wuͤrde
ich etwas wiſſen, von den transſcendentalen Ob⸗
jekten aber. weiß id) nichts, unb eben barum, ſetzt
Hr. Kant hinzu, koͤnnen dieſe keine Noumena ſeyn.
Da der Verf. ſeine Widerlegung der gaͤnzlichen Sub⸗
jektivitaͤt unſerer Erkenntniß mur gegen ihre Unah⸗
haͤngigkeit von der Koͤrperwelt gerichtet hat: ſo tref⸗
fen bie Folgerungen, womit er dieſe SfGiberlegung
füórt, fo gut ben Idealismus Berkeleys, als ben
kritiſchen Idealismus des H. Kant. Beide duͤrften
verſchiedene von dieſen Folgerungen wol nicht zulaſſen,
andere aber zwar zulaſſen, aber durch des Verf.
Gruͤnde nicht bewogen werden, ſie fuͤr falſch zu hal⸗
ten. So werden ſie nicht zugeben, daß eine Illuſion
aufhoͤre, ſo bald ich weiß, daß ſie Illuſion ſey
(S. 164.). Das wird durch alle perſpektiviſche Illu⸗
ſionen widerlegt. Die Illuſion iſt nur in der ſinnlichen
Er⸗
f^a»T^ 355 ^*^
Erkenntniß, biefe ift anſchauend unb fann durch feint
nicht anfdjauenbe Grfenntni ihre ſinnliche Gewißheit
verliehren. Es muͤſſen daher die Annehmlichkeiten
des Lebens, wenn ſie auch nur auf einer Taͤuſchung
beruhen, nicht nothwendig verlohren gehen, ſo bald
ich weiß, daß die Erkenntniß ihrer aͤußern Urſachen
eine Taͤuſchung iſt. Sollten ſie aber wirklich verloh⸗
ren gehen, fo wuͤrde ber Idealiſt dieſes als eim uns
vermeidliches Ungluͤck anſehen. Einen andern Be—
weis von der aͤußern Wirklichkeit der Koͤrperwelt hat
ſich der Verf. dadurch erſchweret, daß er den Begriff
des unendlichen Weſens ſo ohne alle dem menſchlichen
Verſtande erkennbare Eigenſchaften beſtimmt haben
will, daß dadurch keine denkbare Beziehung deſſelben
auf die Welt uͤbrig zu bleiben ſcheint. Am Ende
(S. 204.) verſpricht der Verf. eine Fortſetzung ſeiner
Unterſuchung, die ſich mit dem Speciellen des Kan—
tiſchen Syſtems beſchaͤftigen ſoll. Wie ſehen dieſet
Fortſetzung mit deſto mehr Erwartung entgegen, da
ſie vielleicht eine Aufloͤſung bet Zweifel, die mit Dice
vorgetragen haben, enthalten wird. M
*
philoſ. Mag. 3. St. Aa II.
i⸗356 5
«3 309 31 32939 03949-3991 390 200 209-
IT.
Ueber ben thieriſchen Magnetismus, von G.
Meiners, SDrofeffor ber Weltweisheit in Goͤt⸗
fingen. 8. femao, ben Meyer, 1788.
€. 340.
W.n der ſo beruͤchtigte Gegenſtand vorliegender
Schrift in der Geſchichte der Arzneywiſſenſchaft der
neueſten Zeit wichtig und intereſſant iſt, — ſo iſt
ers gewiß nicht weniger in der Geſchichte der Philo⸗
ſophie unſerer Tage — und wenn die leider! ſelbſt
unter Aerzten ſo große Ausbreitung dieſes gegen alle
geſunde Grundſaͤtze der Philoſophie unb Heilkunde
ſtreitenden Unſugs, bem gegenwaͤrtigen Zuſtand bet
Medicin keine Ehre bringt, ſo bringt ſie wahrlich auch
dem der Philoſophie Schande. — Jene hat viel gethan,
die ſchaͤndende Makel zu tilgen, unſere beſten Aerzte
haben wacker dadegen geſtritten, ich nenne nur einige
Deutſche, Hofmann, Elſner, ub den vortrefflichen
Tahn, bie Zierde ber Schweizerſchen Aerzte — dieſe
Maͤnner haben gewiß nicht „eine ernſtliche Pruͤfung
„geſcheut, aus Furcht auf facta zu ſtoßen, welche
„zu
„zu erfíáren unb zu widerlegen fie nid)t im Stande
„ſeyn mochten, — inbef fie betradjteten die Sache
hauptſaͤchlich von mediciniſcher Seite. Wie wuͤnſchens⸗
werth war es nun aber, daß auch philoſophiſche Lehret
uns ihre Gedanken uͤber die merkwuͤrdige Erſcheinung
in unſerem Zeitalter mittheilten: daß ſie uns die prag⸗
matiſche Geſchichte dieſer Verirrung des menſchlichen
Verſtandes, mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf die geſamte
Denk- unb Handlungsart unſerer Zeitgenoſſen —
bem Reſultat des Studiums einer Menge vorgegang:
ner und gleichzeitiger die Menſchheit intereſſirender
Vorfaͤlle — lieferten.
Dieſen Wunſch zu erfuͤllen, trit nun einer der
erſten philoſophiſchen Lehrer auf einer unſerer beruͤhm⸗
teſten Univerſitaͤten auf; und liefert uns dazu, nicht
etwa einen Verſuch, ſondern ein vollendetes Werk, wor⸗
in er (nach den eigenſten Worten der Vorrede) alles
geſagt hat, was er uͤber und wider den Magnetismus
zu ſagen wußte, — ſo daß er weiter keine Einwendun⸗
gen und Gegenſchriften leſen wird, — und womit er
zur Beſtreitung von verfinſternden und verwirrenden
Denkarten beygetragen zu haben glaubt. Doch da
dieſe beiden Aeußerungen zu ſehr auffallen moͤchten,
fo verſpricht uns der Hert Profeſſor Gegenſchriften unb
Critiken in dem Fall zu leſen, wenn ſein Buch von
neuem ſollte aufgelegt werden; — wuͤnſcht alſo das Pu⸗
Aa 2 blicum
blicum fernere Aufklaͤrung verfinfternber unb. vertit:
renber Denkungsarten, (o weiß e$, auf welche Art
e$ bicje vom Hrn. «rof. erfjalten kann.
Nach einigen gewiß fefe uͤbertriebnen Cobpreifun:
gen des Betragens unſers Deutſchlandes gegen. ben
Magnetismus, vor bem Betragen Frankreichs, (nut
ein, der — zum Theil noch fortdaurenden — Ge⸗
ſchichten in Str. Be. Br. 3. M. unb nod) (cbr viel
anderen beutíd)en Ctábten, gang unkundiger Mann
fann fagen: , mut in wenigen Staͤdten fanb er et;
„klaͤrte Anhaͤnger, wurde nut. an menigen franfen
„verſucht, — nur menige obet. gat feíne Proſelyten
„wurden gemadit,, :c. 2. unb faben nidt Frank⸗
teíd)$ arofe Aerzte ebenfalls kraͤftigen Widerſpruch
gleich von Anfang gemacht? man erinnere ſich an
Thouret, Retz, die Commiſſairs der Academie und des
Koͤnigs,) zeigt uns Hr. M. den eigentlichen Geſichts⸗
punct, den er bey ſeiner Unterſuchung hat, an, —
er will naͤmlich die wahre Natur des Phaͤnomens, das
eine ſo allgemeine Aufmerkſamkeit und ſo ſtreitende
Urtheile veranlaßt hat, ohne alle Uebertreibung oder
Hinzudichtung von Umſtaͤnden erzaͤhlen, unb bann un:
terſuchen, ob man bie Symptome magnetiſirter Per⸗
ſonen aus den bisher bekanten Kraͤften und Geſetzen
ber Natur erklaͤren ober nicht erklaͤren fónne; — aber
auch dieſes will er nur auf eine ſehr eingeſchraͤnkte
Art
F^AYf^ 359 ^c»
Art feiffen, benn er nimmt bloß auf bie favatet:
Zuͤrcherſchen und bie Wienholt unb Bickerſchen Bre⸗
mter Geſchichten Ruͤckſicht.
Der erſte Abſchnitt ſeiner Schrift erzaͤhlt alſo die
Bremer und Zuͤrcher Erſcheinungen, theils aus ge⸗
druckten Actenſtuͤcken, vornaͤmlich ber bekannten Wien⸗
holtſchen Schrift, unb deſſelben Verfaſſers ungedruck⸗
ten Briefen an Herrn Hofrath Feder. Dieſe Erzaͤh⸗
lung ift ſehr gut gemacht, unb mit mehreren Be⸗
merkungen der Widerſpruͤche und ſonderbaren Behaup⸗
tungen ber Herren Magnetiſeurs begleitet, bie frey⸗
(id) jebem Unparteyiſchen fein. gefunbec Menſchenver⸗
(tanb eingeben mufte.
Der zweyte Theil bet. Schrift foll num ben 3u:
ftanb náfer beſtimmen, ín melden bie maanetifirten
Perſonen butd) bie. Manipulation ober. ihnen gleich—
geltende Bewegungen des Magnetiſeurs verſetzt wer—⸗
ben, — ſchraͤnkt fid) aber bloß darauf cin, Geſchich⸗
ten von Schlafwandlern — ín Exſtaſen gerathnen —
verzuckten Schwaͤrmern u. f. vo. aus Lorry — Moritzens
Magazin — unb ein paar anderen Schriften au et;
zaͤhlen, unb der Herr "rof. behauptet: „Der mag;
„netiſche Schlaf iſt keinem bisher beobachteten natuͤr⸗
„lichen und unnatuͤrlichen Zuſtande vollkommen gleich,
„aber allen natuͤrlichen und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnden
Aa 3
fur 360 ^"nbm
»fo aͤhnlich, taf man ifn mit einem jeben berfclben
„von einer ober mehreren Seiten veraleidóen, unb
» tbe deswegen feín. eingigeó Cymptom des magne:
„tiſchen Schlafwandlens angeben kann, baé man nicht
„auch ſchon in anderen geſunden oder kranken Perſo⸗
„neu wahrgenommen haͤtte.
Sym ber dritten Abtheilung — ſucht ber Hr.
Verf. darzuthun, daß die Phantaſie maͤchtig genug
ſey, ohne alle andere mitwirkende Urſachen ſolche
Symptome zu erzeugen, als man von den magneti⸗
ſchen Schlaͤferinnen erzaͤhlt. — Natuͤrlich fuͤhrt er
den Beweis a pofteriori; unb ba, nad) feinem eig:
nen GeftànbniB, ihm biefe Art von Lectuͤre ziemlich
ftemb iſt, fo Bat feim guter Genius in glücffidyer
SBeife an einen Potpourri gemiefen, ber allerbingé ber
allerbefte i(t, um batin zu finben, roaé man nur im
met verlangen fann ; naͤmlich bie Ephemerides .- Mi-
fcellanea .. unb Acta Naturae curioforum. Dieſe
Sammlung fann unb barf man, bekantlich, nur
mit grofer Sorgfalt unb. genauer. Critik gebrauchen;
vb bie8 Jor. 9X. getban, mógen fofgenbe zwey
Geſchichtchen, bie er uns daraus erzaͤhlt, zeigen: „Ein
ſiebenjaͤhriger Knabe erhielt nicht nur das erſtemal
die Blattern von bloßem Schreck uͤber den Anblick
des Kindes einer Bettlerinn, das noch die Flecken
uͤberſtandner Blattern auf bem Geſichte trug, fot
dern
4^ 206r wu»
bern. ein aͤhnlicher ſchreckenvoller Anblick brachte bicfem
Kranken ín feinen reiſern Jahren nod) einmal die—
ſelbe Krankheit. —, „Ein Arzt, von welchem biet
viele vortrefliche (272) Beobachtungen vorkommen,
verſichert, bag er von angeſehenen Jungfrauen, Frauen,
und Witwen gehoͤrt habe, daß ſie das bevorſtehende
Monatliche nach Belieben zuruͤckhalten koͤnnen, wenn
fie einen carmeſin ſeidenen Faden fo oft um ihren Gold⸗
finger waͤnden, als ſie wollten daß ihre Zeit Tage
aus bleiben ſollte; andere brauchten ſtatt bec ſeidenen
Faden Pfefferkoͤrner — von welchen man doch eher
glauben koͤnnte, baf fte durch mediciniſche Kraͤfte bie
von ihnen gehoffte Wirkung hervorgebracht Dátten, ,,
(das Monatliche zuruͤckhalten? gewiß nichts weniger!)
Was ſoll man nun aber zu folgenden Stellen ſa⸗
gen — (S. 152.) „Den meiſten Leſern werden
alle angefuͤhrte Beyſpiele von Heilungen, Laͤhmungen
und Krankheiten, welche die von Schrecken oder
Furcht getroffene Phantaſie hervorgebracht bat, meni:
ger wunderbar vorkommen, als die Beyſpiele von
Contuſionen, Schmerzen an beſtimmten Oertern, und
ſogar von Geſchwuͤren, welche alle durch bic GinbiC
dungskraft erzeugt wurden. Ein geſunder unb ſtar—
ker Mann von 30 Jahren ſah im Traum einen
Fremdling in polniſcher Kleidung auf ſich zukommen,
ber. ín ber rechten Hand einen Stein Diet, unb bar
Aa 4 tnit
f^APM 362 4-0
mit (o ſtark er fonnte bem Traͤumenden auf. ble Ge
genb des Magens ſchlug. Sad) bem empſangnen
Schlag erwachte der Traͤumende und empfand uͤber
dem Magen einen heftigen Schmerz. Er zuͤndete des⸗
wegen Licht an, unterſuchte die ſchmerzende Stelle,
unb fand zu feinem groͤßten Crítqunen, bafi in bct
Gegend, mobin bec Srembling im Traum geſchlagen
fatte, eine heftige Contuſion entftanben mat,,, unb
Seite 154:— „Eine nod) viel feurigete Einbildungs⸗
kraft fatte bet Scholaſtiker Arnoldus, biefem tráumte,
baf ct von einem Kater ím Fuß aebiffen voerbe, unb
als ec fid am felgenben Sorgen unterſuchte, fanb er,
baf er an ber gebiſſenen Stelle eine. SBunbe ober cin
Geſchwuͤr fatte, ;,
Der Herr Verfaſſer will un$ nun bereden,
jene Contuſion, unb dieſes Geſchwuͤr ſouen Wirkun—
gen ber feurigen Einbildungskraft ſeyn! — Credat
Judaeus apella — non ego. Wie offenbar ſind
nicht fiev Urſache unb Wirkung verwechſelt! voir. fof;
ten glauben, aud) einem Nichtarzte muͤßte dies Balb
einfeudjten; ober haͤtte fid) bod) .r. M. bey einem
Arzte batüber erfunbiot, gewiß feiner fann eínen fo
eroben Irrthum begehen, aufer etwa cin elenber o:
ſephi, ber Jo. Meiners ausſchreibt. —
Nun geht Hr. M. weiter zu einer Behauptung
— daß auch ohne Huͤlfe der Phantaſie die erzaͤhlten
Sym⸗
f^uvr^ 2363 ^X»
Symptome ín ſolchen Kranken als bie manipufirten
Frauenzimmer waren, durch die bloße Manipulation
haͤtten erfolgen koͤnnen; und beweiſt dies wieder, auf
ſeine bisher angezeigte Manier, aus den bekanten
von ben groͤßten Aerzten unb andern Beobachtern auf;
gezeichneten Wirkungen ber Frietionen. Was er bat:
uͤber ſagt, iſt bloß aus Lorry unb Tiſſot, wobey wol
noch beſſere Quellen zu benutzen geweſen waͤren —
unb einigen Reiſebeſchreibern entlehnt — bin unb moie:
ber. finben fid) gang. unrid)tige Sefauptungen, fo S.
IÓ68. baf ein großer Theil von Nervenkrankheiten vou
ber unterdruͤckten Ausduͤnſtung herruͤhre u. f. vo.
Zum Beſchluß durchgeht Jor. M. nod) bie auf?
fallenbften Erſcheinungen bey ben. magnetiſchen Schlaͤ⸗
ferinnen beſonders, um — iie et. fagt — bem Vor—
wurf, nidt alles erfíart gu faben, vorzubeugen;
aber wir müffen offenherzig geſtehen, baf uns Erklaͤ⸗
rungen, wie folgende ift, hoͤchſt ſonderbar vorkom⸗
men. „Mehrere Gegner des Magnetismus, heißt
es S. 211. „haben es fuͤr bloße Erdichtung erklaͤrt,
daß die magnetiſchen Schlaͤferinnen durch die Beruͤh—
rung der Finger gedruckte und geſchriebene Schrift le—
ſen koͤnnen, und zwar am meiſten aus dem Grunde,
weil eine Kranke, die Hr. Dr. Rhode in Bremen be—
ſuchte, ein von ihm geſchriebnes Wort nicht zu leſen
vermochte; aber der einzige Fall beweiſet gar nichts
Aa 5 ge⸗
364 c
gegen bie Richtigkoit der von ben. Magnetiſeurs at:
geſtellten Beobachtungen unb gegen bíe 3uvetlaffigfeit
ihrer Erzaͤhlungen; Bemeifet nut, bag bie Seinbeit
ber &inne nicht immer ín gleichem Grade bey ſolchen
fDeríonen erbóft fep,,, unb mum weiter fein Wort
von Crflárung hieruͤber! — Uebrigens i(t bann. at:
lerdings ín biefem Abſchnitt recht febr viel. wahres
unb gutes enthalten; befonber$ gehoͤrt hieher, was
uͤber die Arzneyen, die ſich die Schlaſwandlerinnen
ſelbſt verordnen, geſagt wird, — „beſonders fuͤhren
die Magnetiſeurs es als etwas ihrer Hypotheſe guͤn⸗
ſtiges an, daß die Kranken ſich oft dem Scheine nach
ſchaͤdliche, oder unwirkſame, oder paſſende Arzneyen in
zu großen Quantitaͤten verordneten, unb daß alle fo:
che Arzneyen doch die heilſamſten Wirkungen her⸗
vorgebracht haͤtten; allein man konnte wiſſen, daß
bie Einbildungskraſt von Nervenkranken ſtark genug
ſey, die Natur von Arzneyen gaͤnzlich zu verwandlen,
unb baf fie alſo die Wirkſamkeit von heilſamen Mit⸗
teln unglaublich vermehren, unwirkſamen neue Kraͤf⸗
te mittheilen, unb ſchaͤdlichen ihr Gift nemen koͤn—⸗
ne., Dieſe aus einzelnen Faͤllen vie. gu geſchwind
allgemeingemachte Behauptung wird aber doch nicht
Entſchuldigung fuͤr die ganz unverantwortliche Drei⸗
ſtigkeit ber verwirrten Aerztekoͤpfe ſeyn ſollen, die bem
Eigenſinn ihrer verwirrten Patienten auf eine ſolche
Art zu befriedigen, ſich unterſtunden!! — Voͤllig ſtim⸗
men
f^A»f^ 365 ^u»
men fir mit Jor. Meiners überein, wenn er am
Cube dieſes Aufſatzes fagt — die gewoͤhnlichen Fol⸗
gen dieſer fatalen Operation, muͤſſen doch immer Ent⸗
fráftung des Koͤrpers unb. Schwaͤchung des Geiſtes
ſeyn!
Dies ſind unſere Bemerkungen uͤber dieſe
Schrift — Was man am meiſten von dem Herrn Verf.
haͤtte erwarten und hoffen koͤnnen, und was wir zu
Anfang dieſer Recenſion angedeutet haben — philoſophi⸗
ſche Bemerkungen — die vermißt man hier ganz; —
daß er im mediciniſchen Theil Bloͤßen giebt, koͤnnte
man ihm leicht vergeben, aber er haͤtte ſich nie in
dies Feld wagen ſollen.
Am allerauffallendſten war uns aber — der
Anhang dieſer Schrift, den wir nun noch kuͤrzlich
anzeigen muͤſſen. Ein uns ganz unbekanter Lyoner
Arzt, Petetin, hat neulich eine ganz abentheuerliche
Schrift Sur la decouverte des phenomenes, que
préfentent la Catalepfie et le Somnambulisme,
herausgegeben; worin nun bíe Hauptſache eine im
erhabenſten Ton Derbecfamirte Krankheitsgeſchichte
eines Frauenzimmers iſt, die ſich durch Beſorgniß,
ihren dreyjaͤhrigen Sohn zu verlieren, die heftigſten
hyſteriſchen Zufaͤlle zugezogen hatte, bie mit fuͤrchter⸗
lichen Convulſionen, gaͤnzlicher Betaͤubung und nem;
pfind⸗
366
pfindlichkeit, und der unwiderſtehlichſten Luſt zu ſin⸗
gen begleitet waren — er beweiſt bann, daß ſeine
Kranke, bey voͤlliger Taubheit der Ohren, Blindheit
der Augen, Unempfindlichkeit der Geruchnerven —
mit dem Magen gehoͤrt, geſehen, gerochen, — ſie lieſt
mit den Fingerſpitzen — der Magen lernt durch Uebung
beſſer ſehen, und (— zum Beweis der wahrhaften
Blindheit —) die Perſon wird ſchwindlicht, und
faͤllt in convulſiviſchen Schlaf, wenn man iht ſcharf
ins Auge ſieht — quatre Experiences beweiſen,
daß bie im Magen angehaͤufte unb im. Gehirn erzeug⸗
te electriſche Feuchtigkeit, an allem dem Unheil ſchuld
fo — be Seele, meint. Jor. Petetin, fep wenig
baran gelegen, ob ſie durch Augen ober Magen fcbe
u. ſ. w. — Aus dieſer allen geſunden Menſchenver⸗
ſtand empoͤrenden Schrift, liefert uns nun Hr. Prof.
Meiners einen funfzig Seiten ſtarken Auszug, und
fen Endurtheil daruͤber Seite 315. iſt: Es iſt in ei⸗
nem hohen Grad unwahrſcheinlich, daß der Magen
einer kranken Frau alles das geleiſtet habe, was ihr
Arzt erzaͤhlt; allein eben fo unwahrſcheinlich iſts,
daß ein nicht unberuͤhmter Mann, der ein anſehnli⸗
ches Amt bekleidet, durch die Erdichtung von Nach
richten, deren Falſchheit bald erfunden werden wuͤrde,
ſeinen guten Namen habe aufé Spiel ſetzen wollen,
man muß alſo durchaus annehmen, daß die vorge⸗
tragnen Facta, wo nicht alle, doch wenigſtens zum
theil
mur» 367 "n
ffeil wahr ſeyen! — und zwey Selten ſpaͤter heißt
es: — Wenn nur ein Theil der neuen Erſcheinungen,
die Hr. Petetin beobachtet haben will, beſtaͤtigt wer⸗
den ſollte, ſo koͤnnte man mit Recht ſagen, daß dieſe
Beobachtungen über bie bisher unentdeckten Faͤhigkei—
ten des Magens außerordentliche Veraͤnderungen
in manchen wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen
hervorbringen werden! Hierin erkenne den Philoſo⸗
phen wer da mag! Iſts nicht, als haͤtte ſich hier Hr.
Meiners mit ben Treuen des Zirkels sum Motto ge;
waͤhlt: — „Und auf ben Mund ben Finger! Ach un:
term Mond' ift. mancherley, wovon nichts traͤumt die
Traͤumerey, $ifofofep!,, — Weit beſſer ſind bie Be—⸗
merkungen uͤber Dr. Gmelins Schrift, die ſich am
Schluſſe befinden,
u.
In⸗
Inhalt
des dritten Stuͤcke.
L Weitere Anwendung bet. Theorie von bee logiſchen
Wahbrheit ober ber tranſcendentalen Guͤltigkeit ber
menſchlichen Erkenntniß. €.243
1L. Ueber baé Gebict be$ reinen. Sherftanbes. 263
Ill. tieber ben weſentlichen Unterſchied ber Erkenntniß
burd) bic Cinne unb ben. SBeritanb, 290
IV. ileber bie Unterſcheldung ber. Urtheile in analp:
tiſche unb ſynthetiſche. 307
V. Ausfuͤhrlichere Erklaͤrung uͤber die Abſicht dieſes
philoſophiſchen Magazins. Veranlaßt durch cine
Recenſion des erſten Stuͤckes deſſelben in. ber. Ullg.
Litt. Zeitung. 333
VI. Vorlaͤufige Erklaͤrung des Verfaſſers der Briefe
über bie Antinomie bee Vernunft, in Ruͤckſicht auf
bie Recenſion dieſer Briefe in ber allgem. Litt.
Zeitung. 340
VIL. Der Zeiſig unb die Maus. Eine Fabel. 344
VIII. Recenſionen. 345
—
Philoſophiſches Magazin.
⏑æ——
Herausgegeben
von
Johann Auguſt Eberhard.
Viertes Stuͤck.
HALLE,
bey Johann Jacob Gebauer.
178 9.
I.
Mebet
ben Urfprung ber menſchlichen
Crfenntnif.
D) faben voit unſere wirkliche Erkenntniß?
Dieſe Frage haben wir bisher noch immer auf der
Seite liegen gelaſſen. Gleichwol darf ſie nicht ganz
uͤbergangen werden. Der kritiſche Idealismus be⸗
antwortet ſie nicht, und, ich glaube, er kann ſie nicht
beantworten. Um uns zu verſichern, ob unb mie weit
et e$ koͤnne, müjfen mir wiederum etwas zuruͤckgehen.
I. Was iff ber Grund ber Wirklichkeit ber
empirifen GCrfenntnif ?
Alle Erkenntniß iſt entiocber empiriſche ober Ct;
kenntniß a priori. Die feGtere, wenn fie. nicht leer
ſeyn foll, muri Anſchauungen ober ſinnliche, bildliche
Philoſ. Mag. 4. St. S5 Merk⸗
FRAYfM 370 "ux
derkmale entfalten, deren Formen ober. einfadjfter
Elemente für bie Cinnen, Staum unb Seit iſt. Was
ift empirifdbe Grfenntni$ ? Empfindung; eine. m
pfinbung aber it ein Eindruck eine$ Gegenftanbes auf
bac Gemuͤth ober eine Modifikation ber Sinnlichkeit.
XDas mibificirt aber bie Sinnlichkeit ? was ift bet
Dinreid)enbe Grund, bag in biefem Augenblicke, ba
id) baé Papier fefe, auf welchem id) ſchreibe, meine
Sinnlichkeit fo unb nid)t anber$ mobificrt wird?
Der Gegenftanb. — Allein bet Geaen(tanb ift ſelbſt
eine Vorſtellung, benn et. iſt eine Erſcheinung, eine
ſinnliche Vorſtellung; waͤte ec feine Erſcheinung, fo
waͤre er ein Ding an ſich, von Dingen an ſich, weiß
ich nichts, aud) nicht, ob fie wirklich (ub.
Dieſes gilt ſo wohl von den einfachen Subſtan⸗
zen, bie ber letzte Grund der Koͤrper finb, aló aud)
von ber unendlichen Subſtanz, die bie wirkende lr:
ſach aller endlichen Subſtanzen iſt. Da ſie keine Er⸗
ſcheinungen ſind: ſo erkenne ich nichts von ihnen,
auch nicht das, daß ſie wirklich ſind. Folglich kann
ich, weder die erſteren noch die letztere, als die Gruͤnde
der Wirklichkeit meiner Empfindungen anſehen.
Fuͤr die Wirklichkeit meiner empiriſchen Erkennt⸗
niß weiß mir alſo der kritiſche Idealismus keinen be⸗
ruhigenden Grund anzugeben; alle ihre erkennbaren
Gruͤn⸗
FM 37X "Tes
Qirünbe (inb bloße fubjeftive. — Der Menſch, faat er,
fann mit feinen. Gedanken nicht aus fid) herausgehen,
bie erſten Gruͤnde ſeiner Crfenntni, ber Cat des
Widerſpruchs unb des zureichenden Grundes gehen
nicht auf Dinge an fid), ober ſolche, bie feine Gr:
fdeinungen finb, roit fónnen mit Huͤlfe berfelben nid)té
von bem Coub(tantiellen, nid)t$ von ber raft unferet
eigenen Seele, nid)tó von ben einfachen Elementen
der Sórper, nichts von bem hoͤchſten Weſen erfenner,
fie haben keinen conftitutiven, fie faben einen blog res
gulativen Werth, b. i. fie fónnen uns nicht auf bie
unfinnliden Grünbe ber Erſcheinungen (übren, fie
dienen bloß, dieſe Erſcheinungen unter. einander ju
verbinden. Wir finden alſo keinen Grund fuͤr unſere
Empfindungen in unſerer Seele, denn wir erkennen
ſie fuͤr keine Kraft; aber auch nicht außer ihr; denn
auch außer ihr erkennen wir keine Kraͤfte, keine end⸗
lichen, feine unendliche. So kann uns alfo bet fri
tiſche Idealismus nirgends auf einen erkennbaren
Grund unſerer empiriſchen Erkenntniß hinweiſen.
Denn uͤberall muͤßte, der letzte Grund derſelben ein
Ding an ſich ſeyn, ein vorgeſtelltes oder gedachtes
Ding an ſich wuͤrde aber, dem kritiſchen Idealismus
zufolge, ein Unding ſeyn.
Ehe wir zu der Frage uͤber den Urſprung der
Erkenntniß a priori, oder der Vernunfterkenntniß
iba fom
VPox»r- 37? ^na
fommen, müffn wir fefen, wie fid) von jeher bet
menſchliche Verſtand biefe Stage zu heantworten ver;
ſucht hat. Alle Syſteme, die ſich mit der Unterſu⸗
chung dieſer Frage abgegeben haben, mußten den
Grund ber Wirklichkeit unſerer Empfindungen ent:
weder in der Einwirkung der aͤußern Gegenſtaͤnde oder
des hoͤchſten Weſens oder in der Kraft unſerer eigenen
Seele, oder in allem dieſem zuſammengenommen,
ſuchen. Die erſte Antwort mußte natuͤrlich die roheſte
ſeyn, das iſt, diejenige, die ſogleich der erſte unun⸗
terſuchte Schein an die Hand giebt: die aͤußern Ge⸗
genſtaͤnde drucken ſich, wenn wir empfinden, in der
Seele ab; die aͤußern Empfindungen ſind alſo nichts,
als Einwirkungen der Gegenſtaͤnde, wobey ſich die
Seele ſelbſt leidendlich verhaͤt. So Balb man bie
Natur der Koͤrper genauer unterſuchte, ihre Wirkun⸗
gen beſſer kennen lernte: ſo bald mußte dieſes Syſtem
fallen. Des Cartes bemerkte, daß alle Wirkungen
ber Koͤrper Bewegungen ſeyen; et mußte alfo fragen,
wie koͤnnen aus Bewegungen Vorſtellungen entſtehen?
Nur Bewegungen koͤnnen es ſeyn, welche die Ideen
vor ben Farben wirken; dieſe Bewegungen werde ich
aber in den Farben nicht gewahr, die Farben muͤſſen alſo
Erſcheinungen ſeyn. Hier war nur noch ein Schritt
zu thun, um zu ſchließen, daß auch die Ausdehnung eine
Erſcheinung ſeyn muͤſſe; unb man wundert ſich, war⸗
um ein Mann von Des Cartes Tieſſinn, dieſen ſo
nahen
FMFR 073 ^wuüxw
nafen Schritt nid)t gethan Babe, unb, wie es ſcheint,
mit Recht. Allein wie oft iſt man ín ben Wiſſen⸗
ſchaften 5e bem nádjften , gluͤcklichſten Schritte ſtille
geftanben! Es (dint, als wenn ber Verſtand auf
bem Wege, ben er nidjt ofne Muͤhe zuruͤckgelegt bat,
alle feine Kraft erſchoͤpft habe. Das ift natuͤrlich bet
Fall gerade bey den Erfindern; ihr friſcher Nachfol⸗
ger, wenn er ihnen an Geiſteskraft nicht nachſteht,
wenn dieſe in aud) aum Erfinden ausruͤſtet, — ihr
Nachfolger, der ihren langen Weg nicht zu ſuchen,
nicht ju bahnen, nur ju geben, — ber nicht ju et:
finben, nur zu lernen Braudjt — hat nod) Kraft
uͤbrig, ben eroͤfneten Weg weiter zu verfolgen. Was
den Des Cartes in ſeinem Gange aufhielt, war, daß
er bey der metaphyſiſchen Theorie der Farben von der
Bewegung der Lichttheilchen ausgegangen war, die
in ben Farben verborgen lag, unb bie ihm wegen i;
tet Unaͤhnlichkeit mit ifrer SGirfung in bem vorſtellen⸗
ben Weſen nichts anberé uͤbrig (ie, als die Farben für
Erſcheinungen zu halten, b. i. fuͤr Bewegungen bet
Lichtmaterie, die ber Seele bey. bem Empfinden ver:
borgen bleiben, und die ſie ſich unter dem Bilde von
Farben vorſtellt.
Da alſo bey allen vermeynten Einwirkungen der
Materie auf die Seele, Bewegung noͤthig war, und
es ſich nicht begreifen ließ, wie aus Bewegungen
Bb 3 Ideen
FMTM 474. ng!
Sybeen werden koͤnnen: fo ſchien dem Philoſophen
nichts anders uͤbrig, als eine Einwirkung zu leugnen,
die ſich nicht begreifen ließ. Dieſe Hypotheſe hatte
wieder andere Schwierigkeiten; indeß beantwortete
ſie doch die Frage. Sie gab einen befriedigenden
Grund an, warum ein Menſch in einem gegebenen
Augenblicke eine Empfindung, und zwar dieſe unb
keine andere Empfindung habe? Die Kraft ber um:
endlichen Subſtanz wirkt ſie, und zwar auf Veran⸗
laſſung einer Bewegung in der Koͤrperwelt.
Leibnitz, ber ſich ín dieſer Theorie, fo wie ir
vielen andern, ben ehrenvollen Namen des Conci⸗
liators verdiente, nahm aus der Carteſianiſchen
Philoſophie, was er darin als vorzuͤglich erkannte,
und ergaͤnzte es mit dem, was ihm darin noch zu
fehlen ſchien. Er fragte, wie, aus den Bewegun⸗
gen in den Lichttheilchen, in der Seele das Bild von
ben Farben werden koͤnne? In dem Mannichfalti⸗
gen ſelbſt, d. i. in dem Bewegungen, alſo in dem
Objekt kann ber Grund nicht allein liegen; alſo muß
auch etwas in dem Subjekt ſeyn, welches den Grund
enthaͤlt, warum dieſe Bewegungen in dem Sinngliede
des Geſichts, von der Seele unter dem Bilde der
Farben vorgeſtellt werden. Wenn das vorſtellende
Subhjekt dieſe Bewegungen durch das Geſicht empfindet,
unterſcheidet e$. fie nicht mehr, es iſt (id) ihrer nicht
mehrt
mehr bewußt. Saad) feiner Theorie war affobet natürli
che zureichende Grund bec Empfindungen theils objektiv
theils ſubjektiv, und bem zufolge iat alſo nicht bec
ganze voͤllig genugthuende Grund bloß in bem 9Xtan:
nigfaltigen oder dem objektiven, ſondern zum Theil in
dem ſubjektiven, das dieſes Mannichſaltige aufnimmt
oder vorſtellt. Eine nothwendige Folge aus dieſen
Vorderſaͤtzen ift, das bie Aehnlichkeit bes Objekts —
bey den Farben der Bewegungen — mit der Empfin⸗
dung uns verborgen ſeyn muß; ſie muͤſſen einander
vielmehr unaͤhnlich ſcheinen. Das war ohne Zweifel die
Urſache, warum et dieſe Vorſtellungen durch bie Cin:
nen undeutliche, verworrene, d. i. Erſcheinungen
nannte; verworrene Vorſtellungen, ſofern bae Man⸗
nichfaltige darin nicht unterſchieden wird, Erſcheinun⸗
een, fofern fie mit bem. Objekte nicht bie bemerkbare
Aehnlichkeit haben, bie zu ber Wahrheit erfobert
wird, wenn man ſie dem Scheine entgegen ſetzt.
So weit, glaub ich, wird Hr. Kant mit der
Leibnitziſchen Theorie uͤber die empiriſche Erkenntniß
zufrieden ſeyn; und ein jeder, der den Beruf in ſich
fuͤhlt, fo tief ín ber Erſorſchung ber Gruͤnde ber
Dinge fortgubríngen , wird eó mit warmem Dank et;
kennen, ba. dieſer Weltweiſe ben. Muth gehabt Dat,
mit aller der Kraft und dem Nachdrucke, wozu ihn
ſeine Verdienſte und Talente berechtigen, eine Theorie
Bb 4 wie⸗
f^» 376 uc»
wieder ín Bewegung gu bringen, bie ber. Bfofen ae
meinen SBerftanbespbilofopbie fo fart fállt, baf fie
vielen ein Aergerniß, unb nod) mehrern eine S bot:
brit ift.
Go ſehr fid) indeß bie bloße gemeine Verſtan⸗
betpbilofopfie gegen biefe Theorie (trauben mag, weil
fie aufer bem Gebiete liegt, auf ba$ fie fid) einge:
ſchraͤnkt füb(t: fo liegt fie bod) unenblid) vielen. ihrer
eigenen. Urtheile zum Grunde. Sie fann fid) bod)
nicht entbted)en, angunemen , baf etwas vorbanben
ſeyn muͤſſe, warum eine Cmpfinbung ber anbetm,
i. S5. bie Cmpfinbung von Einer geraden Linle bec
von cíner anbern aeraben Linie áfnlid), hingegen die
eíne von ber andern, 3. 5D. die Empfindung bec blauen
Farbe von oer von ber roten Farbe verſchieden fe.
Sie muß ferner. erfennen, bag dieſer Grund, weder
ein bloßer ſubjektiver noch ein bloßer objektiver ſeyn
koͤnne. Denn in einigen Faͤllen bin ich mir bewußt,
daß die ſubjektiven Gruͤnde dieſelben geblieben ſind,
und daß die Empfindung doch veraͤndert iſt, — ich
ſtehe an meinem vorigen Platze, und an dem Orte,
wo ich einen rothen Koͤrper ſah, ſehe ich jetzt einen
blauen, den man an die Stelle des rothen geſetzt
hat; — bisweilen bin ich mir bewußt, daß die
ſubjektiven Bedingungen geaͤndert ſind; ich habe in
bec Nahe einen gewiſſen Thurm viereckig geſehen, id)
habe
habe míd) von demſelben entfernt, unb num (efe id)
ifn tuno.
Was dieſer fubjeftioe Grund bey ben Erſcheinun⸗
gen ſey, das hat Hr. Kant, ſo viel ich weiß, nicht
beſtimmt; CLeibnitz wagt cá, weiter zu geben, unb
auch dieſes qu beſtimmen; es (inb, nad) feiner Sei:
mung, bíe Schranken des Subjekts, welches ba6
Mannigfaltige in der Erſcheinung aufnimmt oder
vorſtellt. Die Analogie koͤmmt ihm hier augenſchein⸗
lich zu Statten; denn haͤtten wir ein betraͤchtlich
ſchaͤrferes Geſicht: ſo wuͤrden wir einen Thurm noch
in der Entfernung viereckig ſehen, worin er uns bey
den gegenwaͤrtigen Schranken unſerer Geſichtsſchaͤrfe
rund erſcheint.
Bis hieher ginge alſo Hr. Kant von der Leib⸗
nit; » Wolfiſchen Philoſophie darin ab, daß dieſe
basjenige, was das Subjekt, welches ben Stoff ober
das Mannichfaltige aufnimmt, zu bet Erſcheinung
beytraͤgt, naͤher beſſimmt — es (inb feine Schran⸗
ken — indeß er diſſeits dieſer Beſtimmung ſtehen
bleibt. Eine Erſcheinung, ſagt Leibnitz, iſt eine Vor⸗
ſtellung ber Seele, bie theils in ihren Schranken,
theils in bem Objekte, iren Grund hat; eine Ct;
ſcheinung iſt eine Modifikation des Gemuͤths, ſagt
Hr. Kant, die theils durch den Stoff oder das
$565 Man⸗
fr 378 n
Mannigfaltige, theils burd) hie Form abet bas fuf:
nefmenbe beftimmt wird.
Syd bin nicht fidet, o5 id) dieſen Theil bec
Crit. b. r. 28. redit verftanben babe; ob ba$ mart
meine Schuld fe, weiß id) nit, das weiß id) wohl,
bag id) feine Muͤhe geſpart babe, ihn recht zu vet;
ſtehen. Um gewiß ju werden, will ich fagen, voie
(d) mit bie hieher gehoͤrige Stelle bec Crit. d. r. V.,
bic man als klaſſiſch anfuͤhrt, erklaͤre; jede Beleh⸗
tung daruͤber, fie ſey ſanft ober rauh, ſoll mir will⸗
kommen ſeyn. — Hr. Rant fagt *): „Dasje⸗
„nige, welches macht, daß das Mannigfaltige der
„Erſcheinung (alſo nicht Gegenſtaͤnde) in gewiſſen
„Verhaͤltniſſen geordnet werden kann, nenn ich Form
„der Grfdjeinung., — Das wird in ber Allgem.
fitt. Seit. Str. ro. 1789. alfo commentirt: „Das
„Ordnen aljo, wovon in ber Crit. b. r. 9B. bie
„Rede i(t, geſchieht in und durchs Aufnehmen des
„gegebenen Stoffs, (des Mannichfaltigen) der die
„Form der Anſchauung, die er doch wol nicht außer
„dem Gemuͤthe bat, unb bie bod) mol eine Bedin⸗
»gung bet Anſchauung ift, im Gemuͤthe an;
,»nimmt,, — Dieſen Commentar commentire íd)
toieber folaenbetgeftalt? Es ift etwas im Gemuͤthe,
welches die Form, die Bedingung, der ſubjektive
Grund
*) Git. b. x. V. S. 34. 2. A.
379
Grund der Anſchauung des Raumes und der Zeit
iſt, und das ſind ſeine Schranken, welche machen,
daß das Gemuͤth das Mannichfaltige gleichzeitige
nicht unterſcheidet, und alſo ſich daſſelbe unter dem
Bilde des Raumes vorſtellt, ſeine Veraͤnderungen
aber ſucceſſiv entwickeln mug, unb durch bie Vorſtel⸗
lung ihrer ſtaͤtigen ſucceſſiven Entwicklung das Bild
der Zeit erhaͤlt.
Dieſe Form, dieſe Bedingung, dieſer innere,
ſubjektive Grund der Anſchauung oder der Erſcheinung
ſind die Schranken der vorſtellenden Kraft: jede
Anſchauung hat alſo zweyerley Gruͤnde, ihr aͤußerer
Grund iſt das Mannichfaltige, ber Stoff, die Ma—⸗
terie, die mit dem innern Grunde, mit der Form
zuſammengenommen die Erſcheinung, die Empfindung
ausmacht. Dieſe Erklaͤrung des Commentators ſcheint
freylich mit einer andern Stelle in der Crit. der r. V.
(S. 267. a. A.) nicht uͤbereinzuſtimmen; wo Hr.
Kant Materie für bie Erſcheinung, bie Empfindung
ſelbſt nimmt. Hier iſt alſo eine Zweydeutigkeit und
keine unwichtige; vielleicht wird ſie ſich in der Folge
noch heben laſſen.
Wir folgen indeß dem Commentator, und gehen
noch etwas weiter. Alſo die Form, oder der innere
Grund der Erſcheinungen, der Anſchauungen, der
Emp⸗
ex»f^ 380 "mà
Cmpfinbungen, ift etwas in bem Gemuͤth, ba$ ba$
Mannigfaltige auſnimmt; mad) Ceibnitz: finb baf
bie Schranken be$ vorftellenben Subjekts, vermóge
welcher e$ das Mannigfaltige níd)t unterſcheidet, es
alſo undeutlich, verworren und ſein Aggregat nur im
Ganjen mit Bewußtſeyn vorſtellt. Dieſen Theil ber
Leibnitziſchen Theorie verwirft die Kritik der reinen
Vernunft mit einer Art von Unwillen, von dem wir
wol einſehen, daß er ſich auch leicht ihren Leſern mit⸗
theilen kann. „Leibnitz, ſagt ſie, ließ den Sinnen
„nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤft, bie Vorſtel⸗
„lungen bes Verſtandes zu verwirren unb zu vetuit;
„ſtalten., (Crit. ber. t. $8. S. 276. a. A.) Oe;
nauer: Leibnitz behauptet, daß das Mannichfaltige in
den Erſcheinungen, welches die unendliche Vorſtel⸗
lungokraft — woſern es eine giebt — — untet:
ſcheidet, von der endlichen nicht unterſchieden, d. i.
verworren vorgeſtellt wird; er behauptet, daß das
ſinnliche Bild mit bet vollfommen deutlichen Vorſtel⸗
lung des Mannichfaltigen, woraus es beſteht, keine
bemerkbare Aehnlichkeit habe. Wenn das veraͤchtlich
ſeyn ſoll: ſo iſt es wenigſtens nicht zu aͤndern. Ein⸗
ſchraͤnkung ber Saft it Ohnmacht, unb Ohnmacht
iſt freylich nichts hertliches. Was ift abet. aud) bie
endliche Vorſtellungekraft gegen das Ideal bet un;
endlichen? Das ganze Argument ift alfo, um wenig
zu ſagen, ein bloßes argumentum movens; eine
Art
CY 381 7*4»
Art von Argumenten, ie ber Philoſoph Billig ber
Stebnerbüfne uͤberlaſſen follte.
Doch id) fefe, id) fd)roeife gu oft von bem Pla⸗
ne dieſer M6fanb(ung ab, bie bloß bie Leibnitziſche
Storie be$ Urſprungs ber. menſchlichen Grfenntnig
mit ber Santifd)en vergleid)en foflte, inbem ich bie
Einwuͤrfe ber letztern gegen bie erſtere gu weit verfols
9e, unb íd) bemerfe , baf die Beleuchtung biefer Cin;
wuͤrfe bequemer ín einer. ausfuͤhrlichern Unterſuchuug
uͤber das, was bie Grit. ber r. V. Xeflerionsbez
griffe nennt, vorgenommen erben fann, unb bafin
mag fie ausgeſetzt bleiben.
Um alfo ten. Faden ber. aegentoártigen Unterſu⸗
dung ba wieder aufsunefmen, mo wir ibn Baben fallen
laſſen: fo fd)eínen mír nun beibe Vernunftkritiken, bie
Leibnitziſche unb Kantiſche, daruͤber ein$ zu feyn, daß
bie empiriſche Erkenntniß eine Vorſtellungskraft, eine
vorſtellende Subſtanz vorauszuſetzen.
Der Hauptumſtand, worin ſie in dem Begriffe
von dieſer Subſtanz, und einer Subſtanz uͤberhaupt
von einander abgeben, beſteht darin, daß bie Kanti⸗
ſche behauptet, unſere reine Vernunfterkenntniß von
ber Subſtanz ſey — x, ober wir erkennen ſchlechter⸗
dings keine Beſtimmung von derſelben durch die reine
Ver⸗
* 382. ^"
Vernunft; bie Leibnitziſche hingegen, dieſe reine 9Bet:
nunfterkenntniß (ey — a t x, d. i. wir. erkennen
verfdjiebene allgemeine Beſtimmungen ber Subſtanz
utib bie Erkenntniß ber ganzen Synbívíbualitat einer
eingelnen Subſtanz fe) bem endlichen Verſtande uns
móglid). Nach ber reinen. (unfinnfidjen) Categorie,
fagt Hr. Kant, i(t eine. Subſtanz ein bloßes Cub:
jekt in cinem categoriſchen Urtheile. — Dagegen
ſcheint mir fdjon folgenbed gu (treitem: durch dieſen
Begriff wuͤrde bie Subſtanz in bem teinen Verſtande
nid von bem Accidens unterſchieden werden; denn
aud) Accidenzen koͤnnen logiſche Subjekte ſeyn, ich
faun fagen: die Gerechtigkeit iſt eine Tugend, Be—⸗
truͤgen iſt Suͤnde, Gerechtigkeit und Betruͤgen ſind
aber Accidenzen. Ich ſehe wol, daß dieſer Begriff
von Subſtanz und Accidens eine Folge von Hr. Kants
Theorie des reinen Verſtandes iſt; allein gegen dieſe
Theorie laſſen ſich noch einige nicht unerhebliche Zwei⸗
fel machen, fie verdient daher nod) eine beſondere
ſorgfaͤltige Unterſuchung. Vor der Hand wollen wir
nur den Begriff von Subſtanz ſo weit aufs Reine zu
bringen ſuchen, als es ſich wird thun laſſen, ohne
dieſe Theorie des Verſtandes zu beruͤhren.
In dem Logiſchen Subſekt betrachte ich nur das
Verhaͤltniß des Begriffes von tem Subjekte zu ſei⸗
nem Praͤdikate in Anſehung ihres Umfanges. Die
menſch⸗
FXAYFM 383. 5
menſchliche Seele i(t ein. Geiſt, heißt: ber Begriff
von einem Geiſte iſt von weiterm Umfange als der
Begriff von einer. menſchlichen Seele u. f. vv. Da
ift es gleichguͤltig, ob das Subjekt eine Subſtanuz ober
ein Accidens ſey. Aber nun betrachte ich die Sub—
ſtanz auch als Subſtanz, und dann ſind mir ihre
Beſtimmungen nicht bloß logiſche Praͤdikate; ſie ſind
Wirkungen derſelben, ich betrachte ſie als eine Kraft.
So denke ich mir meine Seele als eine Subſtanz,
wenn ich uͤberlege, daß ſie es ſich bewußt iſt, was
ich jetzt ſchreibe, daß ſie die Gedanken, die ich jetzt
aufzeichne, wirkt. Eine Subſtanz kann alſo auch
für ben reinen Verſtand fein bloßes Gubjeft, fie muß
eine thaͤtige, wirkſame Saft femi. — Dieſe Kraft ift
das Beharrliche, welches Wolf zu einer Subſtanz
erforderte. Hr. Kant forbert e$ aud) dazu; allein
erſtlich erſordert er es nur, ſoferne fie ſinnlich vor
geſtellt wird, unb folglich zweytens, ſoſern es zur
Wahrnehmung der Zeit nothwendig iſt; es iſt daher
drittens dieſes beharrliche, als das Subſtantiale von
allen Zeitbeſtimmungen abgeſondert, als tranéfcenbens
taler Gegenſtand nach ſeiner Sprache, eine vóllig
leere Vorſtellung.
Wenn die Subſtanz ſinnlich vorgeſtellt, oder die
Subſtanz in ber. Erſcheinung, wie e$ Hr. Kant ir⸗
gendwo (Crit. d. v, $8, QD, 525. a. A.) zu verſtehen
zu
Few 384 ^M»
ju geben ſcheint, etroad von bem vorſtellenden Cub;
jekte verſchiedenes it: fo muß es ber Sórper fen;
unb eine foíde € docinfubftang iſt ber. Sótper aud) in
bem Leibnitziſchen Syſteme. 98a$ abcr. fof[. bie
wahre Subſtanz für eje ſinnliche GrfenntniB. ſeyn,
ba bie Sinnen lauter Veraͤnderungen waͤhrnehmen,
und die Subſtanz an ſich ſelbſt nur dem Verſtande
erkennbar ſeyn kann? Es giebt alſo entweder feine
wahre Subſtanzen, obet e$ giebt einen Verſtandes⸗
Begriff von benjelben, — unb dieſer Verſtandesbegriff
ift fein anberer, als bie Kraft, welche bie 2c
cibengen roirft. Laſſen fie uns verfucben, mie wir bie:
fen. Verſtandesbegriff finden koͤnnen.
„Wir haben daher, (naͤmlich weil wir die Sub⸗
ſtanz nicht empfinden) ſagt der elegante Hume *),
von deſſen metaphyſiſchem Tieſſinne wir ſchon mebrere
Proben geſehen haben, „keine Idee von Subſtanz,
„die von einer Sammlung beſonderer Eigenſchaften
„verſchieden waͤre, auch hat es keinen Sinn, wenn
„wir davon ſchwatzen ober daruͤber ráfonniren. ,,
Gin einzelnes Ding, das eine Subſtanz waͤre, eine
wirkliche Subſtanz, waͤre alſo eine Sammlung von
Veraͤnderungen. Die Seele z. B. eine Sammlung
von Vorſtellungen, von denen einige mit Bewußtſeyn
be⸗
*) Treat. on hum. Nat P. L B, Jl. Sect. VI. S.
36.
F"Avf^ 385 wx»
begíeitet, unb unter biefen einige bentlid) waͤren.
Dieſe Vorſtellungen müffen. — was freylich X5ume
auf der Oberflaͤche ſeiner Impreſſionsphiloſophie nicht
finden kann — dieſe Vorſtellungen muͤſſen, vermoͤge
des Satzes vom zureichenden Grunde nach dem Ge⸗
ſetze ber. Stetigkeit auf einander fo(gen; das heißt:
es darf keine durch einen Sprung zum Bewußtſeyn
kommen, es kann keine ganz aus Nichts entſtehen,
ſondern eine jebe muß feit bem Entſtehen ber Sub⸗
ſtanz als ein Differentiale bet. kuͤnftigen klaren Vorſtel⸗
(ung durch alle fließenden Grade fid) bem Bewußt⸗
ſeyn genaͤhert haben. Daß alſo dieſe Vorſtellung zum
Bewußtſeyn koͤmmt, davon iſt der Grund in dem
nach allen ſeinen gegenwaͤrtigen, vergangenen und kuͤnf⸗
tigen Veraͤnderungen voͤllig beſtimmten Dinge, und
darum iſt dieſes Ding eine Kraft, darum iſt es eine
Subſtanz.
Das ift ber unſinnliche oder reine Be—
griff von einer endlichen Subſtanz, das iſt dieſe
Subſtanz fuͤr den reinen Verſtand, das iſt ſie als
Noumenon. Man kann nicht ſagen, daß dieſer Be⸗
griff ſchlechterdings leer ſey; denn er kann durch eine
Definition deutlich gemacht werden, die Subſtanz
kann vermittelſt dieſer Definition von bem Accidens
unterſchieden werden; es koͤnnen alle Praͤdikate, die ihr
als Subſtanz, bie ifr als einer endlichen Sub⸗
Philoſ. Mag. 4. St. €tc ſtanz,
"Mv 386 «v2
ftany, einer Sraft unb einer endlichen Svaft, einem
Dinge uͤberhaupt unb einem endlichen Dinge, zukom⸗
men, von ihr gedacht werden; die Endlichkeit der
Kraft iſt der Grund, warum ihre Vorſtellungen des
Einzelnen Erſcheinungen ſind. Wie kann man ſagen,
daß man von dem nichts denkt, was man als den
Grund von Etwas denkt, und was man durch eine
Definition unterſcheiden kann?
Leibnitz fat alſo ben. innern Grund ber empi⸗
riſchen Erkenntniß angegeben, er iſt in der Kraft der
denkenden Subſtanz. Dieſe iſt ſelbſt keine Erſcheinung,
ſie iſt ein Noumenon. Nach dem kritiſchen Idealis⸗
mus iſt nichts ohne Anſchauung erkennbar; er kann
alſo keinen innern Grund der empiriſchen Erkenntniß
angeben; er muß ſagen, dieſe Vorſtellungen ſind da,
weil ſie da ſind, und ſind ſo, weil ſie ſo ſind; ob er
gleich geſteht, daß die Erſcheinungen anders ſeyn koͤnn⸗
ten. Eben ſo wenig kann der kritiſche Idealismus
einen aͤußern Grund von der Wirklichkeit der ganzen
Folge der Vorſtellungen angeben; denn dieſer muͤßte
zuletzt in der nothwendigen Subſtanz ſeyn, bie glei—
chergeſtalt ein Ding an ſich, und alſo nicht erkennbar
iſt. Die Leibnitziſche Philoſophie findet ben letzten
aͤußern Grund der Wirklichkeit der endlichen Kraͤfte
in der unendlichen Subſtanz, und die Zwiſchengruͤnde
von tec Beſchaffenheit unb ber Intenſitaͤt ihrer Vorſtel⸗
(nien
f^^ 387. "mà
lungen ín ben. von ber. Seele verſchiedenen Weltſub⸗
ſtanzen, deren Wirkungen fie. fid) mit ben Modifi—⸗
kationen durch ihre eigene Einſchraͤnkung, unb nad)
den Geſetzen der Perſpektive vorſtellt.
2. Was iſt ber Grund ber Wirklichkeit ur
ſerer Vernunfterkenntniß, oder unſerer Er⸗
kenntniß a priori?
Kann uns der kritiſche Idealismus dieſe Frage
beantworten? — Wir muͤſſen es verſuchen. — Wenn
bie Erkenntniß a priori nicht (eer ſeyn foll, ſagt ber
kritiſche Idealismus, fo mu fie
r. teíne Anſchauungen enthalten, ole
2. Mitd) bie Categoriem ober bie reinen Ber:
(tanbesbegriffe Einheit des Bewußtſeyns
erhalten.
Die reinen Anſchauungen ſind Raum und Zeit;
wie kommen dieſe Anſchauungen in die Seele? Das
iſt eine Frage, die man unmoͤglich vorbeygehen kann.
Durch die Sinne nicht; denn ſie ſollen allen Empfin⸗
dungen vorgehen, fie ſollen alfo in ber Seele geweſen
ſeyn, ehe die Seele Empfindungen gehabt hat. Wer
da ſagte, ſie ſind der Seele anerſchaffen, angebohren,
der wuͤrde wenigſtens eine Antwort geben; allein auch
€ca biefe
Fr 388 ^
biefe Antwort, fo bürftia (ie it, fann bie Philoſophie
be$ kritiſchen Idealismus nidjt entfalten, denn (ie
fennt fein Weſen, das erſchaffen fann, bie Vorſtel⸗
(ung des unendlichen Weſens iſt fuͤr fic (eer.
Einer von H. Santé Epitomatoren *) ſagt
zwar: „der Kantiſchen Theorie von Erkenntniſſen
„a priori liege Leibnitzens Lehre von angebohrnen
„Begriffen offenbar zum Grunde, obgleich ſie Hr.
„Kant nirgends angebohren nennt, vermuthlich um
„nicht zu der Vorſtellungsart Anlaß zu geben, die
„Locke (o (djón woiberlegt fat.,, Eine beſondere Se:
likateſſe! £-eibnit; hat (id) bod) nicht abhalten (affen,
biejen Ausdruck beyzubehalten, nadjbem er ihm einen
wahren Sinn untergelegt fatte, gerade fo, wie ber
große Keppler von (id) fel6(t fagt, baf et es fogat
mít bet Terminologie bet Aſtrologie gemacht fabe.
Indeß wenn man ben kritiſchen Idealismus
auch dieſe Antwort wollte geben laſſen, ſo iſt ſie doch
immer unzureichend. Wenn wir das zu beweiſen im
Stande ſind: ſo wird es ſich zeigen, daß der kritiſche
Idealismus die Leibnitziſche Theorie von den ange⸗
bohrnen Begriffen mißverſtanden oder verdorben habe,
und daß die Entdeckung der einen Hauptquelle unſerer
i
*) $. 9. Schmid ín ſ. Woͤrterbuche, Art. 21 priori,
f^ 389 vm
Erkenntniß, námlid) ber reinen Sinnlichkeit, bie
ber eben anaefüfrte Schriftſteller dem H. Sant recht
ausdruͤcklich zueignet, nichts weniger als eine wahre
Bereicherung der Philoſophie ſey.
Das, was bet kritiſche Idealismus reine An⸗
ſchauungen nennt, iſt der menſchlichen Seele nur in
ihren Gruͤnden angebohren. Eine Anſchauung, die
ihr auf eine andere Art angebohren waͤre, wuͤrde ge;
rade eine ſolche qualitas occulta ſeyn, als urſpruͤng⸗
liche vegetative Kraft, Sympathie und Antipathie
gewiſſer Koͤrper, und dergl. Und fo konnte fid) Leib⸗
nitz unmoͤglich es denken, wenn er von einem zuſam⸗
mengeſetzten Begriffe, und von den ſinnlichen Bildern
ſagte, daß ſie uns angebohren ſeyn.
Raum unb Seit (inb ſinnliche Bilder; wenn bie
uns alſo angebohren ſeyn ſollen, ſo kann man das
nicht anders verſtehen, als, wir haben ihre Gruͤnde,
b. i. die Beſtimmungen, welche ihte Merkmale au$;
machen, von bem erſten Augenblicke unſerer Wirklich⸗
keit in uns. Wir haben bereits an einem andern
Orte (Phil. Mag. St. 2. S. 169. u. ff.) die Be⸗
griffe von Raum und Zeit in ihre erſten Elemente
aufzuloͤſen verſucht, wir koͤnnen alſo uͤber dieſen Punkt
hier ganz kurz ſeyn.
€c3 Cine
Fur 490 ux»
Cine wirkliche Seele (ángt an wirklich gu ſeyn,
inbem fie wirkliche Vorſtellungen fat; denn blofie
Vermoͤgen (inb nichts Wirkliches. Sie fat alío 330r:
ſtellungen, unb zunaͤchſt 3Bor(teffungen vou fid ſelbſt;
biefe folgen auf einanber, fie fat alfo Vorſtellungen
von Seit; fie fat SGorftellungen von Dingen, bie
bebarren utib veránoert werben, von Verſchieden⸗
beit, von Einem, von Vielen; alle dieſes zuſam⸗
mengenommen macht, finnlid) vorgeftelít, ba$ Bild
vom Raume.
Alſo fat bie Seele, fdjon efe fie Empfindungen
mit Bewußtſeyn fat, bie bunf(en Grünbe ju bem
Bilde des Raumes unb ber Seit im Allgemeinen in
ſich; und dieſe ſind ihr dann anerſchaffen,
I. ſofern ifr bie Gruͤnde deſſelben in ihren eige⸗
nen Beſtimmungen anerſchaffen ſind,
2. ſofern ihre Vorſtellungekraft bie. Schranken
hat, die einer menſchlichen Seele weſentlich
ſind.
Das alſo, zuſammengenommen, ſind die Gruͤnde
der allgemeinen noch unbeſtimmten Bilder von Raum
und Zeit, mit dieſen iſt die Seele erſchaffen. Wenn
bie Seele bie Sinnenwelt mit Apperception zu emu
pfinden anfaͤngt: ſo bekoͤmmt ſie Vorſtellungen mit
Be⸗
FeAvf^ 391
Bewußtſeyn, von Giegenftanben, in meldjen ſie biefe
f'ifber unter unenblid) mannigfaltigen SXobififatio:
nen wahrniumt. H. Sant mag num untet Worm
ber Anſchauung bie Schranken der Erkenntnißkraft
verſtehen, wodurch das Mannigfaltige zu dem Bilde
der Zeit und des Raumes wird, oder dieſe Bilder im
Ugemeinen ſelbſt — bann id) bin zweifelhaft (f. S.
378.) — fo ſieht man nun, in welchem Sinne bei
de koͤnnen angebohren genannt werden. Wer ſie ſich
ſelbſt urſpruͤnglich, nicht in ihren Gruͤnden, anerſchaffen
dentt, der denkt ſich eine qualitatem occultam.
Stünmt er aber eine ver ben beiden obigen Erklaͤrungen
an: fo ift feine Theorie entiveber ganz ober gum Theil
in ber Leibnitziſchen Theorie entfalten; unb man fiet
bier micberum, daß wir afeid) 2Infangs (Phil. Mag.
€t. 1. S. 26.) Grunb atten ju Befaupten : ba alleg,
was bie Kantiſche Vernunftkritik gruͤndliches enthaͤlt,
ſchon in der Leibnitziſchen entfalten ſey.
Die Leibnitziſche Theorie belehrt uns alſo uͤber
den Urſprung der Formen der Anſchauung, der reinen
Anſchauungen a. priori; ob es der kritiſche Idealis⸗
mus thue, wird man aus den obigen Unterſuchun⸗
gen beurtheilen.
3. Urſprung der Categorien.
Nach bem kritiſchen Idealismus muß bie Er—
tenntnig a priori auch unſinnliche Begriffe enthalten,
Cc 4 um
392 ^"
um bie 2fnfdjauungen in. Cinfeit be$ Bewußtſeyns zu
bringen. Darauf füfrt et das Geſchaͤfft biefer Be⸗
griffe zuruͤck. Wir wollen jetzt annehmen, daß ihre
ganze Anwendbarkeit in dieſe Graͤnzen eingeſchraͤnkt
ſey, um die Frage zu ſimplificiren: wie kommen aber
dieſe Begriffe in bie Seele? Hr. Kant nennt ſeine
Categorien Funktionen des Verſtandes. Was ſind
Funktionen oder Verrichtungen eines Erkenntnißver⸗
moͤgens, wenn es nicht die Vorſtellungen ſind, die es
wirkt? Funktionen des Verſtandes (inb alſo allgemeís
ne Vorſtellungen. Hat alſo bie menſchliche Seele
Verſtand: (o wirkt fie allgemeine Vorſtellungen, in
bem fie fid) das Allgemeine ifret eigenen Veraͤnderun⸗
$en unb Beſtimmungen vor(tellt; ffe wirkt alſo bie
Vorſtellungen von Grund, 3ufammenfang, Noth⸗
wendig, Zufaͤllig, Veraͤnderlich, Unveraͤnderlich,
Urſach, u. ſ. w. indem ihre Veraͤnderungen gegruͤndet,
verknuͤpft, zufaͤllig, nothwendig ſind, von andern
verurſacht werden, andere verurſachen, u. ſ. w.
Hier giebt uns die Leibnitziſche Theorie wieder
den Grund der Wirklichkeit auch unſerer allgemeinen
Begriffe an, der ſich aber nicht angeben laͤßt, wenn
man nicht eine denkende Kraft annimmt, die von dem
Anfange ihres Daſeyns Vorſtellungen wirkt, und eine
unendliche Subſtanz, bie dieſe denkende Kraft hervor⸗
btingt.
Laſſen
Far 393 "ace
Laſſen Cie uns wieberum, um Gruͤnde unb Ge:
gengruͤnde leichter uͤberſehen au Eónnen, bie Reſultate
beider Vernunftkritiken uͤber den Urſprung ber menſch—
lichen Erkenntniß neben einander ſtellen.
Rantiſche Krit. der reinen. Leibnitziſche "rit. bet cei:
Vernunft.
nen Vernunft *).
I. Sinnliche Anſchauun- r. Die Vorſtellungen des
gen ſind einzelne Vor⸗
ſtellungen, welche von
der Einrichtung des vor⸗
ſtellenden Subjekts ab⸗
hangen.
2. Sie gehen daher nicht
auf Dinge an fib, fon:
bern. auf Erſcheinun—⸗
gen.
Einzelnen baben — fo:
wohl ihren Grund in
bem Objefte, als in
bem vor(telfenben Sub⸗
jekte.
Sie ſind Erſcheinun⸗
aen (Phil. Mag. €t. 3.
S. 299. u. jf.) unb fa;
ben, als ſolche, mit bem
Qeaenítanbe keine be;
merkbare Aehnlichkeit;
weil ſie die einzelnen Re⸗
alitaͤten deſſelben nicht
unterſcheiden. Die all⸗
Cc 5 ge⸗
Wenn mir uns bier, gegen unſere Gewohnheit, qu
entſcheidend ſollten auszudrucken ſcheinen: ſo wird
ſich der billige Leſer erinnern, daß wir nicht in un⸗
ſerm eigenen, ſondern in Namen des Leibnitziſchen
Syſtems reden.
FMRvTM 394 T4
Kantiſche Rrit. ecr reinen £eibnitsi(dbe rit. bet veis
Vernunft. nen Vernunft.
gemeinen Beſtimmun⸗
gen in bem Mannig—⸗
faltigen bed Gegenſtan⸗
des werden durch den
Verſtand unterſchieden;
bic zu ihrer Individua⸗
litaͤt gehoͤrigen Beſtim⸗
mungen ſind der endli⸗
chen Vorſtellungskraft
nicht erkennbar. Was
heißt aber, auf Erſchei⸗
nungen gehen? Heißt
es, ſie ſind Erſcheinun⸗
gen? — Das haben
wir hier vorausgeſetzt.
— Oder heißt es: ihre
Gegenſtaͤnde (inb (tr
fdeinungen? — Das
hieße bann: bie Gegen:
ftánbe von Erſcheinun⸗
gen ſind Erſcheinungen,
welches ungereimt iſt.
3. Dasjenige, welches 3. Die Schranken des
macht, daß das Man-⸗ vorſtellenden Subjekts
ſind
FT
Zantiſche Brit, ber reinen. Leibnitziſche Rrit. bet rei⸗
Vernunft,
nigfaítige der Erſchei⸗
nung angeſchauet wird,
ift bie Form bet. Gv:
ſcheinung. (Grit. b. r.
$8. €. 20. a. 2f.)
4. Die reinen Sormen
der Anſchauung finb
Raum und Zeit.
nen Vernunft.
ſind der ſubjektive
Grund oder die Form
der Erſcheinung.
4. Raum und Zeit ſind
Erſcheinungen; denn ſie
haben ſubiektive Gruͤn⸗
de in der endlichen
Vorſtellungskraft. Die
Schranken dieſer endli⸗
chen Vorſtellungskraft
ſind alſo 1) die Formen
der Erſcheinungen von
Raum und Zeit. 2)
Nun koͤnnen aber der
Raum und die Zeit ohne
bie Modifikationen unb
Unterſchiede ber Dinge,
bie ihre letzten objekti⸗
ven Gruͤnde ſind, ge⸗
dacht werden. Sie
koͤnnen auch ohne eine
beſtimmte Groͤße, ohne
be⸗
396 wa»
Rantiſche rit. ber reinen Leibnitziſche Brit. bet rei⸗
Vernunft.
nen Vernunft.
beſtimmte Schranken
und Grade gedacht wer⸗
ben, mie bie Bewe—
qung ofne einen e:
ftimmten Grab bet Ge
ſchwindigkeit. Dann
ſind fie abſtrakte, allge;
tneine Seit umb Stau,
b. i. ſowol in Anſehung
ihrer innern Beſtim—⸗
mungen, als ín (n;
ſehung ihrer aͤußern
Schranken unbeſtimm⸗
ter Raum, unbeſtimm⸗
te Zeit. Es iſt mir
nicht voͤllig gewiß, in
welchem Sinne der kri⸗
tiſche Idealismus den
Ausdruck, reine Sorm
ber Anſchauung, ge:
braucht, ob in bem
Sinne rx. obet 2.
(f. €. 378.)
Kantiſche Brit. ber reinen Leibnitziſche Rrit, ber reie
Vernunft.
nen Dernunft,
5. SDiefe Sormen bet ſinn⸗ 5. Wenn untet. bet orm
lichen Anſchauung (inb
a priori im Gemuͤthe;
denn 1) (inb fie bie Xez
ceptivitàt oes Sub⸗
jets, von ben. Gegen:
ftánben afficirt zu wer⸗
ben, unb biefe muf
notfroenbíg vor allen
Anſchauungen — biefet
Objekte vorhergehen.
6. Allein 2) muͤſſen ſie
auch als Formen aller
Erſcheinungen vor allen
wirklichen Wahrneh⸗
mungen gegeben ſeyn.
der ſinnlichen Anſchau⸗
ung die Receptivitaͤt
oes Subjekts verſtan⸗
den wird: ſo iſt ſie der
ſubjektive Grund der
Erſcheinungen, unb die⸗
ſer muß in der verſtaͤnd⸗
lichen Erklaͤrung der Er⸗
ſcheinung, zwar nicht
mit Prioritaͤt der Zeit,
aber allerdings mit Pri⸗
oritaͤt des Grundes, vor
der Erſcheinung ſelbſt
gedacht werden. (f.
Phil. Sag. €t. 2. €.
124. u. ff.)
.Wenn Wahrnehmun⸗
gen Empfindungen mit
Bewußtſeyn ſind: ſo
ſind ſie Vorſtellungen
von wirklichen und mit⸗
hin von einzelnen voͤl⸗
lig beſtimmten Dingen.
Dieſe
*8A398 «won
Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche Ait. bet vei»
Vernunfſt.
nen Vernunſt.
Dieſe niedrigern Dinge
koͤnnen nicht ohne die
Beſtimmungen der hoͤ⸗
hern ſeyn, zu denen ſie
gehoͤren; in der Subor⸗
dination der Dinge ge⸗
hen daher die hoͤhern
den niedrigern — vot.
Hingegen koͤnnen die
niedrigern ohne die Be⸗
ſtimmungen der hoͤhern
nicht gedacht werden:
ſie gehen ihnen alſo in
der Subordination der
Dinge nach. Aber dar⸗
aus folgt nicht, daß die
erſtern den letztern auch
der Zeit nach vorgehen
muͤſſen; denn bey der
Entwickelung der Be⸗
griffe zur Klarheit iſt
bie Ordnung umge⸗
kehrt. Wenn man alſo
unter der reinen Form
der Anſchauung die all⸗
ge⸗
F^" 399 wa
Kantiſche Arit. ber reinen Leibnitziſche "Brit, ber rei:
Vernunſt. nen Vernunft.
gemeine Zeit und den
allgemeinen Raum ver⸗
ſteht, ſo gehen in dieſer
Entwicklung der Be⸗
griffe die Wahrnehmun⸗
gen der Form vor.
7. Nichts was im Rau⸗ 7. Das kann 1) heißen:
me angeſchauet wird, kein ausgedehntes oder
iſt ein Ding an ſich. raͤumliches wirkliches
Ding iſt ein Ding
an ſich; bas ift al:
lerbing8 wahr, unb
von Leibnitz zuerſt ge»
fert morben. 2) Das
ausgedehnte ober raͤum⸗
liche wirkliche Ding hat
keine objektiven Gruͤn⸗
de, die Dinge an ſich
ſind: und das iſt falſch;
denn das ausgedehnte
Ding iſt, wie jebe Cre
ſcheinung, ein Phae-
nomenon bene fun-
datum, d. i. e$ fat
ſub⸗
Pvt 400 ane
Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche Reit. ber cei»
Dernun(t,
empiriſcher Begriff, ber
von aͤußern Erfahrun⸗
gen abgezogen waͤre.
Denn damit gewiſſe
Empfindungen auf et:
was außer mit bezo⸗
aen werden, (b. i. auf
etwas ín einem. anberm
Orte des Raums, al$
darin id) mich befinde);
imgleichen damit ich ſie
als außer einander, mit⸗
fin nicht bloß als vet:
ſchieden, ſondern als in
verſchiedenen Orten vor⸗
ſtellen koͤnne, dazu
muß die Vorſtellung
nen Vernunft.
ſubjektive und objek⸗
tive Gruͤnde. Was
mir von dieſen Grün:
ben durch ben Verſtand
erfennen, ift bereits S.
284. angezeigt worden.
8$. Der Raum iſt kein 8. Die Apperception, oder
der klare Begriff des
Raums iſt allerdings
ein empiriſcher Begriff,
oder ein ſolcher, der
von den aͤußern Erfah⸗
rungen abgezogen iſt.
Denn alle unſere ſinn⸗
liche Begriffe werden
durch bie Cmpfinbune
gen klar. Conft müfte
unà bet Flare. Begriff
davon anerſchaffen feyn,
welches niemand be⸗
haupten wird. ( Die
Widerlegung der Gruͤn⸗
de gegen den empiri⸗
ſchen Urſprung des
klaren
Fu 4o0p wu
Rantiſche Reit. ber reinen Leibnitziſche rit. ber vei»
Dernun(t. nen Dernunft,
des Raumes fdon klaren Begriffs vom
jum Grunde lie: Staume f. in bid.
gen. phil. Mag. €t. 2. e.
123. u.(f.) Das, was
un$ anerſchaffen iſt,
ſind die Gruͤnde unſeres
Begriffs vom Raume,
der vor aller Empfin⸗
bnng durch die aͤußern
Sinne dunkel iſt, wie
in der gegenwaͤrtigen
Abhandlung Nr. a. ift
bewieſen worden; und
daher erſt durch Empfin⸗
dung und Abſtraktion
muß klar werden. Es
iſt alſo kein Widerſpruch
zwiſchen den Saͤtzen:
1) die reinen Anſchau⸗
ungen, oder einfachſten
Merkmale der Erkennt⸗
niß durch die Sinnen
gehen vor allen Wahr⸗
nehmungen oder Em,
pfindungen vorher, und
ſie ſind davon abſtrahirt.
philoſ. Mag. 4. €t. "Db Denn
FMMÉM 402. ^ev
Kantiſche "Brit. ber reinen Leibnitziſche Reit, ber tei»
Detnunft,
nem Dernunft.
Denn al$ ounPele Be⸗
griffe gehen fie vorber,
aí$ Flare finb fie von
ihnen abſtrahirt.
9. Der Raum iſt fuͤr en 9. Das Nebeneinander⸗
aͤußern Sinn die ein:
zige Anſchauung a pri-
ori ; denn niemand kann
a priori eine Vorſtel⸗
lung einer Farbe noch
irgend eines Geſchmacks
haben.
ſeyn der einfachen Oub⸗
ſtanzen nach dem Geſe⸗
tze der Staͤtigkeit kann
ohne ihre Modifikatio⸗
nen und Wirkſamkeiten
gedacht werden, ( Nr.
4.) und daher hat die
Seele die Gruͤnde des
Raumes in ſich, und
kann einen dunkeln all⸗
gemeinen Begriff vom
Raume ohne Farbe und
Undurchdringlichkeit ha⸗
ben; ja, wenn das
wirkliche ausgedehnte
Ding kein ſichtbares
und fuͤhlbares iſt, wie
mehrentheils die Luft:
ſo erkennt ſie den Raum
durch ſeine ſichtbaren
und fuͤhlbaren Graͤnzen.
So
FA^ 403 ^49
Rantiſche Reit. ber reinen Ceibuipifcbe Krit. der veis
Dernunft.
nen Dernunft.
So baíb ber wirkliche
Raum ſichtbar ift: fann
fie ihn nidjt ofne Far⸗
ben empfinben, Da bíe
Farben burd) bíe Gin:
wirkungen auf das Ge⸗
ſicht empfunden wer⸗
den: ſo koͤnnen ſie auch
nicht ohne ein ausge:
dehntes Ding empfun⸗
den werden; denn Thaͤ⸗
tigkeiten muͤſſen ín
Subſtanzen und Kraͤf⸗
ten ſeyn, und deren ſtaͤ⸗
tiges Nebeneinander⸗
ſeyn, wenn es empfun⸗
den wird, iſt der objek⸗
tive Grund der Erſchei⸗
nung der Ausdehnung.
Das iſt der Grund, war⸗
um zwar Ausdehnung
ohne Farbe aber nicht
Farbe ohne Ausdehnung
kann vorgeſtellt werden.
ro. Der Raum unb bie xo. Die Bilder von
Seit ift eine Oíníóau; — Raum unb Zeit finb
Dd 2
in
404 «wu
Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche it. ber veis
Vernunft.
nen Vernunft.
ung, bie urſpruͤnglich in ihren Gruͤnden
in der Seele.
von ihrem Urſprung an
in der Seele. Da ſie
abet Erſcheinungen (inb,
fo ſind fie nidt ín dem
Verſtande urſpruͤnglich
in derſelben, daß ſie
nicht aus etwas, das
nicht Raum und Zeit
iſt, erklaͤrbar waͤren;
ſenſt waͤren fie qualita-
tes occultae. Sie (inb
Phaenomena bene
fundata, námlid ge:
grünbet (n bem Einfa⸗
djen, womit bie Seele
erſchaffen it, unb das
fie in fif fefb(t am;
ffaut; aus biefen ein;
faden Gruͤnden ſind
dann die Bilder des
Raums unb bet Zeit
erklaͤrbar, und daher
koͤnnen ihre allgemeinen
Begriffe nidt$ ut:
ſpruͤngliches fen.
Die
f^AvY^ ^ 405 às»
Die biéferige Gegeneinanber(tellung ber Leib⸗
ni&ifden unb Santifdyen Kritik bet. reinen Vernunft,
ift beſtimmt, bem Leſer bie Entſcheidung zu erleichtern,
welche Theorie, bie Leibnitziſche ober ber kritiſche Ide⸗
alismus, uns am befriedigendſten uͤber ben Urſprung
uuſerer Erkenntniß belehre.
Ich bemerke zu mehrerer Erlaͤuterung nur noch
folgendes: Die Kantiſche Vern. Krit. ſagt oben S.
394. 395. 9t 3. „dasjenige, welches macht, bap ba$
„Mannichfaltige ber Grfd)einung angeſchauet wird;,
vollſtaͤndig heißt es in der angezogenen Stelle der Kri⸗
tik: „in gewiſſen Verhaͤltnißen geordnet angeſchauet
„wird. S. 398. N. 6. bet Leibnitziſchen Vernunft⸗
krit. heißt e$ durch einen Druckfehler: Dieſe niedri⸗
gern. Dinge koͤnnen :c. das muß fo geleſen werden;
Die hoͤhern Dinge koͤnnen ohne die Beſtimmung
der niedrigern gedacht werden, die unter ihnen
enthalten ſind; in der Subordination der Dinge ge⸗
hen daher die hoͤhern den niedrigern vor. Damit
ſcheint H. Kant Krit. b. v. V. 4te Antinomie ín ber
Anmerk. uͤbereinzuſtimmen. Die Leibnitziſche Theorie
ſetzt e$ deutlicher auseinander unb giebt ben. Grund
davon an.
—
Db3 II.
II.
Berichtigung eines Urtheils in ber allgem.
gitt, Zeitung.
e. bet alígem. Litt. Seitung (Stt. 3. 1789.) fiv
bet fid) eine Stecenfion ber Sragmentarifd)en Beytraͤge
zur SDeftimmung unb Deduction be$ Begriffs unb
Grundſatzes ber Caufalitát von Hrn. Flatt. Nicht
leicht werden die Luͤcken, die dieſe Beurtheilung ent⸗
haͤlt, dem Auge eines aufmerkſamen Beobachters
verborgen bleiben. Schon dem allgemeinen uͤber die
Flattiſche Grit gefaͤllten Urtheil fehlt nicht menig an
der gehoͤrigen Buͤndigkeit. Sie ſoll dem ungemei⸗
nen Tiefſinne ihres Verfaſſers Ehre machen (S. 18.)
und doch ſoll dieſer Hrn. Kant durchaus nicht verſtan⸗
den haben, ſondern bloß widerlegen, was Kant nicht
behauptet (S. x9.) unb endlich ſollen alle feine An⸗
griffe auf das Kantiſche Syſtem auf eigentlichen Wort⸗
ſtreit hinauslaufen (S. 21.). Dieſer tiefſinnige Mann
ſoll alſo nicht zwey Worte geſagt haben, die eine Be⸗
herzigung verdienten!
Auf
fef 407 ^44
Auf bie Pruͤfung ber vom Hrn. Flatt gefüfrtem
Beweiſe laͤßt fid) ber Jor, Recenſent nicht ein, ſondern
glaubt dieſelben dadurch abfertigen zu koͤnnen, daß et
Hren. Flatt eines doppelten Mißverſtaͤndniſſes — bes
ſchuldigt.
1) Einmal ſoll Hr. Flatt den Kantiſchen Aus⸗
druck Categorie der Urſache nicht verſtanden haben,
unb vorzuͤglich deswegen (S. 19.), weil er Hrn.
Kant beſchuldige: er habe den reinen Verſtandesbe⸗
griff der Cauſalitaͤt ſo unbeſtimt gelaſſen, daß nach
ſeiner Entwickelung kein Unterſchied zwiſchen Urſache
und Wirkung uͤbrig bliebe. Dieſe Beſchuldigung,
meint ber Hr. Recenſent, habe Hr. Flatt durch ſol⸗
gende Stelle beweiſen wollen (Grit. b. r. V. n. X.
€. 301.): „Vom Vegriffe ber Urſachen würbe id,
wenn id) bie eit wegließe, in bet etas auf etwas ane
ders folgt, àj ber reinen Kategorie nichts weiter finbert,
als bag er etmaé fep, roorau$ fid) auf ba$ Daſeyn
eines andern ſchließen laͤßt, unb e$ wuͤrde baburd)
Urſach unb Wirkung gat nicht von einanber untet;
fdjieben werden fónnen, ,, Allein (fagt ber Hr. Rec.
€. 20.), $ant befauptet keinesweges, baf ber Un⸗
terſchied zwiſchen den Begriffen von Urſache unb
Wirkung von der Zeitbedingung abhange, ſondern er
zeigt nur, daß ohne bie Zeitbedingung (ohne Succeſ⸗
ſion) die Anwendbarkeit der von einander verſchiede⸗
Dd 4 nen
Kuh 408 ac
pen. Begriffe von Urſache unb Wirkung auf einen gez
gebenen Stoff unbeftimmt bleiben müfte, inbem
man, menn nicht ba$ eine be gegebenen vorherginge
unb ba$ anbre folgte, nicht unterjd)eiben koͤnnte, wel⸗
d$ bet Grund unb welches bie Solge waͤre.
Allein
8) fat bet Hr. Recenſent ben ganzen Gedanken
nicht in. ſeinem Zuſammenhange dacrgeſtellt,
unb widerlegt, was sr. Slatt nicht bes
bauptet bat, Es i(t rn. Flatts Abſicht
nidt, bie Unbeſtimtheit des reinen Verſtan⸗
desbegriffs ber Caufatitát nad) Santé Syſteme
burd) bie angefüfrte €telle aus ber Grit. b.
t. 98. zu beweiſen, fonbetn er fübrt biefe
Stelle bloß an aí$ einen Ginmurf gegen
bie Beſtimmtheit oes Leibnitziſchen Des
griffs bet Urſache; wie er (C. 8.) au$;
druͤcklich fagt.
b) Es folgt aud) au$ ben Kantiſchen Behauptun⸗
gen allerdings, bag ber Unterſchied zwiſchen
ben Begriffen von Urſache unb Wirkung von
bet Seitbebingung abfange. Denn font wuͤr⸗
be ber Begriff von Urſache, mie nad) bem
Leibnitziſchen Syſteme, obne bie Qeitbebin:
gung, hinreichend feyn, ba$ barunter zu fub:
fumi
K"vf^ 409 "à
ſumirende vor bem zu unterſcheiden, was ur
ter ben Begriff der Wirkung ſubſumirt wer⸗
den muß; es wuͤrde alſo die Anwendbarkeit
ber Begriffe von Urſach unb Wirkung auf ci
nen gegebenen Stoff beftimmt feyn, inbem
man, ofne baf das eine des Gegebenen vor;
Derginge unb das anbre nachfolgte, unter;
ſcheiden fónnte, welches der Grund unb. vel:
ches die Folge waͤre; wie es in dem unendli⸗
chen Verſtande verſchieden ſeyn muß. Wenn
in dem einen Begriffe der Urſache weiter
nichts iſt, als daß er etwas ſey, woraus ſich
auf das Daſeyn eines andern ſchließen laͤßt
(Gr. b. v. V. a. a. O.); fo enthaͤlt ec nidjté
weiter, als was in bem reinen Begriffe bet
Wirkung auch iſt, und unterſcheidet ſich von
biefen nicht.
€) Der Hr. Rec. fat demnach durch dieſen Com
mentar uͤber den angefuͤhrten Kantiſchen Satz
keinesweges widerlegt, was Hr. Flatt uͤber
die Begriffe von Urſache und Wirkung
(S. 7. xc.) uͤberhaupt unb aud) gegen orn.
Kant geſagt hat.
2. Das zweyte Hrn. Flatt aufgebuͤrdete Miß—
verſtaͤndniß foll bem — Ausdruck Ding an
Dd 5 ſich
fr^ 410 4-245
(db betreffen. Hr. Flatt behauptet, unb unterſtuͤtzt
dieſe Behauptung mit ſcharfſinnigen Gruͤnden: daß
der Satz des zureichenden Grundes, der Begriff von
Veraͤnderung u. ſ. w. auch auf Dinge an ſich (außer
dem Gemuͤth exiſtirende Gegenſtaͤnde) angewandt wer⸗
den koͤnnen. Um das Kantiſche Syſtem zu verthei⸗
digen, leugnet der Rec. dies alles, weil, nach ſeiner
Meinung, jede Vorſtellung eines Dinges an ſich ein
Unding iſt (S. 22.). Dies glaubt er ſo beweiſen zu
koͤnnen (€. 21 22.): Soll der außer bem Gemuͤ⸗
the vorhandne Gegenſtand, eine Vorſtellung in dem⸗
ſelben werden, ſo muß er die Form der Vorſtellung
annehmen, bie bem vorſtellenden Subjekte durch
das Vorſtellungevermoͤgen angehoͤrt; denn dadurch
kann er nur zur Vorſtellung werden. Dieſe Form
aber kann er außer dem Gemuͤthe nicht haben; denn
ſonſt ware er eine Vorſtellung getefen, ef et etwas
vorſtellte. off mun alfo das Ding an fido felbft,
ín wiefern ed aufer bem Gemuͤthe vorhanden ift, feine
bloße Vorſtellung feyn, fol ber ifm in bet Vorſtel⸗
(ung entfpredjenbe Stoff nicht eine. Vorſtellung ohne
die Form einer Vorſtellung ſeyn, ſo muß alle Vor⸗
ſtellung des Dinges an ſich ſchlechterdings unmoͤg⸗
lich ſeyn.
Ein Gegenſtand, ſofern er außer dem Gemuͤthe
vorhanden iſt, kann freylich nicht die Form einer Vor⸗
ſtel⸗
FER AY 6
ſtellung haben, infofetn fic Form einer Vorſtellung
ift; aber wenn daraus folgen ſoll, daß jede Vorſtel⸗
lung deſſelben unmoͤglich ſey, ſo wird dabey voraus⸗
geſetzt: daß keine Beſtimmung deſſelben mit irgend
einem Praͤdikate uͤbereinkommen koͤnne, die ihm im Ge⸗
muͤthe unter der Form der Vorſtellung beygelegt wird.
Dieſer ohne Beweis angenommene Satz ift deſto
unzulaͤſſiger, da Hr. Flatt gerade das Gegentheil:
daß die nothwendigen Denkgeſetze mit den Geſetzen
der Dinge außer der Vorſtellung uͤbereinſtimmen,
aus Gruͤnden behauptet.
Jedes endliche Vorſtellungsvermoͤgen hat
Schranken Ceine Form), unb kann fid) daher bie
Dinge nicht im hoͤchſten Grade deutlich vorſtellen,
nicht vollſtaͤndig fo, role fie an ſich, außer bem Ge:
muͤthe, unb ín bem unenbliden Verſtande finb,
(nid)t anber$ a( unter. ber. ihm angehoͤrigen Form).
Einige *Drábifate, bie baffelbe ben Dingen zuſchreibt,
finb ín feinen Schranken gegtünbet, unb fommen
daher nidjt mit ben. Beſtimmungen ber Dinge, wie
fie an fid) finb, voͤllig überein. — Da aber nicht alle
fDrábifate, bie ba8 endliche Vorſtellungsvermoͤgen
ben] Dingen beylegt, nothwendig in ben Schranken
deſſelben ihren Grund haben, ſo koͤnnen auch einige
unter ihnen ſeyn, die mit den Beſtimmungen der
Dinge,
FXMT^ 412. "A
Dinge, wie fie an fid) unb in bem unendlichen Ser;
ftanbe (inb, vàllig ü6ereinftimmen. — Su. bjefen fani
aud) das Praͤdikat des zureichenden Grundes 1t. ge⸗
hoͤren. Folglich wenn wir uns von den Dingen an
fid) vorſtellen, daß fie einen. zureichenden Grund far
ben :c.; fo ift dieſe Vorſtellung nicht nothwendig ein
Unding. Man vergleiche hiemit, was in dieſem phil.
Mag. St. 2. S. 154. 165. 166. und St. 3.
Q. 304. 305. vorkommt.
m.
|
III.
FMAVER A18 uc
9099729729779 7-979 7297.9 29729779
III.
Cinige merkwuͤrdige Aufklaͤrungen fiber bie
Unruhen ber Proteſtanten in ben Sevenni⸗
ſchen Gebürgen.
Aus ten Eclairciffemens hiftoriques für les
caufes de la révocation de l'Edit de Nantes,
et fur l'état des Proteftans en France de-
puis le commencement du regne de Louis
XIV.jusqu à nos jours. 1788. Seconde
partie, Chap. V. p. 277.
$5. ſchrecklichen Scenen der Cevennifden Unru⸗
hen ſind in den Annalen der Intoleranz ſo beruͤhmt
und durch ſo viele beredte Federn geſchildert worden, daß
ſich daruͤber wenig oder nichts neues mehr ſagen laͤßt.
Wenn man auch nur dasjenige geleſen hat, was Vol⸗
taire bavon ín bem Siécle de Louis XIV, Tome
21. C. 338. u. ff. Gotf. Ausg. erzaͤhlt, fo fann
man fid) fdjon von ben Greueln, welche auf einer
Seite ber Blutdurſt des Verfolgungsgeiſtes, unb
auf der andern die Wuth der verzweifelnden Unter⸗
druͤck⸗
—44 5S
bruͤckten verurſacht Bat, einigermaafen. eine Vorſtel⸗
lung madjen. — ín deſto groͤßeres Geheimniß Bat Bins
gegen bisher bie gebeimen Triebſedern bebedft, mel;
che an bem Hofe Ludwigs be$. XIVten biefem bluti⸗
gen Schauſpiel berr erſten Anſtoß gegeben. unb c6 fo
[ange in Bewegung erfaíten haben. Der. unpartepis
ſche unb wohl unterrichtete Verfaſſer ber Eclairciffe-
mens hat, wie uͤber den ganzen Gang der Religions⸗
verfolgungen unter Ludwig bem XlIVten, fo audj
uͤher biefen Theil berfelben ein großes Licht verbceitet.
Wir glauben daher nichts uͤberfluͤſſiges zu tfun, menn
wir die Entdeckungen, die er uͤber die Maaßregeln
des Hoſes gut Unterdruͤckung ber Sevenniſchen Unru⸗
hen im Jahr 1703, gemacht hat, unſern Leſern mit⸗
theilen. Es wird daraus erhellen, wie große Uebel
die Giferfud)t der Miniſter, bie Cabalen ber. Guͤnſt⸗
linge und der Verfolgungsgeiſt der Geiſtlichen unter
einem ſchwachen, verbleudeten unb, andaͤchtelnden
Koͤnige anrichten koͤnnen.
* *
*
Was iſt alío ber wahre Urſprung dieſer Unruhen
geweſen? Es war zuerſt bie Abweſenheit bet Seel⸗
ſorger, unb bann das Unzuſammenhaͤngende bet bei⸗
ben Syſteme ). Die Seelſorger, butd) harte Edikte
und
*) Naͤmlich ber Gelindigkeit unb bet Haͤrte in ber Be⸗
—— der Proteſtanten, mit denen der Hof
mehrmals wechſelte.
KMOT^ 415 wide
nnb ſchreckliche Todesſtrafen zur Flucht gezwungen,
hatten zu ihrer Gemeinde geſagt: „Der Geiſt des
„Herrn wird bey Euch ſeyn; er wird eher durch den
„Mund ber Kinder unb der Weiber reden, als daß
„er Euch verlaſſen ſollte., Dieſe Ungluͤcklichen hiel⸗
ten alle Regungen ihrer Wuth gegen die katholiſchen
Prieſter fuͤr Eingebungen des heiligen Geiſtes. Aber,
wenn wir dieſen wilden Bergbewohnern vorwerfen,
daß ſie ſich einer ſolchen wahnſinnigen Wuth uͤberlaſſen
haben, duͤrfen wir aud) dabey vergeſſen, daß man
ihre Kirchen niedergeriſſen, ihr Land der Frechheit der
Soldaten uͤberlaſſen, ihnen ihre Kinder genommen,
die Haͤuſer derer, welche man die Widerſpenſtigen
nannte, geſchleifet, und die Eifrigſten unter ihren
Seelſorgern geraͤdert hatte? Man war dabey nachlaͤſ⸗
ſig geweſen, ſie in unſerer Religion zu unterrichten,
und in der ihrigen hatten ſie nur unſinnige Propheten
zu Leitern. ey der erſten Nachricht dieſes Auf⸗
ruhrs warf ſich eine jede den beiden Parteyen,
die den Hof theilten, der andern vor, die Urſach davon
geweſen zu ſeyn. Wenn die Gewaltthaͤtigkeiten waͤ⸗
ten fortgeſetzt worden, ſagte bie eine, ſo haͤtte es
keinen Aufſtand gegeben; wenn die Gewaltthaͤtigkeiten
gar nicht waͤren gebraucht worden, ſagte bíe anbere,
wenn man allezeit bey bem Syſtem ber Bekehrungen
den Unterricht und die Gelindigkeit gebraucht haͤtte,
ſo waͤren keine Unzufriedene geweſen.
Seit
(avr 416. Rñ⸗
Seit bem. Jahre 1686 fatte bet. Herzog von
Noailles bie Nothwendigkeit eingefefen, einen Theil
von biefen 9Bálfern aus ihrem Vaterlande gu vertreis
ben; et fatte ben Vorſchlag getan, ,,baf man biet:
» jeniaen Bergbewohner aufgreifen ſollte, bie, voie ec
»fagte, feinen Handel trieben, unb benen die Rauh⸗
» eit ber Himmelsgegend, unb bie Beſchaffenheit
» bet Luft einen milben Geift einflóéten.,, Bavilles
Briefe beroeifen, baB, ſeit der Widerrufung des Cbifté
von Nantes, eine Art von kleinen Kriegen beſtaͤndig
in den Sevenniſchen Gebirgen geweſen ſey, wovon man
nie geſprochen fatte, unb wovon man nirgends als in
ſeinen Briefen eine Spur findet. In einem von den⸗
ſelben, bet vom 29ften October 1703 datirt iſt, ſagt
er: „Wir hatten in dem letzten Kriege nur acht
„ſchlecht eingerichtete Bataillonen, und feiner von ben
„Anfuͤhrern durfte ohne Auftrag etwas vornehmen.
Der Hof wurde bep dieſer ſcheinbaren Ruhe betro⸗
gen, unb als das Syſtem ber Regietung veraͤndert
wurde, die Truppen ſich zuruͤckgezogen hatten, der
Intendant ſeine Macht verlohr, fuhr einer von den
Vorſtehern der Miſſionen fort, dieſen Bergbewoh⸗
nern ihre Kinder wegnehmen zu laſſen, unb behielt fie
in ſeiner Wohnung, bis daß (ie in Nonnenkloͤſter aes
bracht wurden. Wir haben, ſelbſt zu unſern Zeiten,
das ruhige Volk in Paris, bey dem bloßen Geruͤcht
eines gegebnen Befehls zur Aufſhebung unvorſichtiger
und
417 4A
unb gefaͤhrlicher von einigen Knaben auf ben Gaſſen
getriebener Spiele, unb bloß auf bie geáuficrte Angſt
einiger Muͤtter in bem. letzten Auflauf, ín Hitze ger
rathen, einen von benen, bíe biefen Befehl vollyoaen,
umbringen, unb ín bem Andgfall eíner. aufrüfrifdoen
Wuth bie Hauptſtadt unb ben Hof ín Schrecken ſetzen
geſehen. Die Bergbewohner drangen in das Haus
ihres Verfolgers, riſſen einige von ihren Kindern
aus ſeinen Haͤnden und brachten ihn ums Leben. Als
fie wegen dieſes Verbrechens verfolgt wurden, verthei⸗
digten fle fi. — Die Mordthaten und Brandſtiftun⸗
gen verſetzten alle die Laͤnder, die dieſes Gebirge um;
geben, in eine ſehr große Furcht. Die Truppen,
bie fid) zuruͤckgezogen hatten, famen in. ſechs Mona—⸗
ten nicht wieder; und indem das Uebel von Tage zu
Sage ſtaͤrker wurde, wollten die beiden Parteyen,
die ben Hof theilten, auf gleiche Weiſe dieſes Unaluͤck
dem Koͤnige verbergen. Dieſenigen, die ihn uͤberre⸗
bet hatten, daß eine allgemeine Bekehrung geſchehen
unb es feinen einzigen Blutstropfen koſten wuͤrde, rans
ben fid) auf eine ſchreckliche Art betrogen. Diejeni⸗
gen, die der Meynung geweſen waren, daß man von
der Strenge nachlaſſen und die Truppen zuruͤckberu—
fen ſollte, mußten ſelber einſehen, daß ſie in mehr
als einem Stuͤck gefehlt hatten, weil ſie auf der einen
Seite, indem ſie aus ihrer Nachſicht ein Geheimniß
machten, die Leute nicht beruhiget hatten, vielmehe
philoſ. mag. 4. St. Ee ben
FXAMEM Arg ^w
ben Cifet bet. Verfolger zu beſtaͤrken geſchienen, unb
weil auf ber andern Seite bie vorherigen Grauſam⸗
keiten den Koͤnig in die betruͤbte Nothwendigkeit ver⸗
ſetzt hatten, gegen ſeine Unterthanen ſtets die Waffen
zu gebrauchen. Was war in dieſer Verlegenheit zu
thun? Man mußte bem Koͤnige bie Groͤße unb Staͤr⸗
ke des Uebels zu verbergen ſuchen; und die Frau von
Maintenon, welche den beiden entgegengeſetzten
Meynungen wechſelsweiſe beygeſtimmt hatte, war für
dieſen letzten Entſchluß.
„ESs iſt nicht noͤthig (ſagte fic), bag ſich bet
„Koͤnig mit ben Uniſtaͤnden dieſes Krieges beſchaͤfftige;
„das wuͤrde bas Uebel nicht heilen, unb wuͤrde im
» feft fdjaben. ,,
Als man ben. Marſchal von Montrevel abſchi⸗
cken wollte, um ben Krieg in dieſem Gebirge zu fuͤh—
ren, fo ſuchte man Vorwaͤnde, bie ben Koͤnig qu bie:
fer Crnennung bewogen, ofne baf er bie mabre Ur⸗
faf bavon mutfmafen konnte. Der Herzog ou
Maine ließ fid) au dieſer ift aebraudjen, unb ver⸗
lanate als eine Cbrenbegeugung einen Marſchal von
Frankreich, um in der Provinz zu kommandiren,
wovon er Gouverneur war. In der Rathsverſamm⸗
lung, zu der Montrevel gelaſſen ward, wurde von
einigen Unruhen geſprochen; man ſagte aber, es waͤre
ein
Fo»Y^ 419 On»
ein blofes Strohfeuer. Der Kriegsminiſter
ſchrieb an den Intendanten der Provinz: „Nehmen
„Sie ſich in Acht, daß Sie nicht dieſer Sache den
„Schein cines. ern(t(id)en Srieged geben.,, — Und
wird man nicht burd) bie Vergleichung dieſer vet:
ſchiedenen Befehle, beren einige nod) nidt óffentfid)
bekannt finb, das fonft unauflósbare Raͤthſel von ber
langen Unthaͤtigkeit des Marſchal von Montrevel
erklaͤren koͤnnen?
Er gab den unter ſeinen Befehlen ſtehenden
Officieren nicht die geringſte Gewalt. Er hielt, die
etwas unternehmen wollten, zuruͤck. Gr ſagte, daß
„die Refſormirten unſichtbare Geiſter waͤren, daß e$
„vergeblich ſey, ſie aufzuſuchen, und daß dieſer Krieg
„mit Klugheit und nicht mit dem Degen gefuͤhrt wer⸗
„den muͤßte. »
Sf8enn ein. Officiet, von ben Widerſpenſtigen anr
gefallen, einen Sieg über. fie etfielt; fo ſchrieb ihm
bec Marſchal, gut Antwort auf feine Nachricht, einen
Brief voller $Sormürfe, unb mar nur batauf bebadjt,
ihm Stillſchweigen zu gebieten.
Die proteſtantiſchen Schriftſteller konnten dieſe
lange Unthaͤtigkeit nicht begreifen; es war fuͤr ſie eine
Begebenheit, worin etwas wunderbares lag. Die
Ee 2 Berg⸗
(FH UC 420 ^ac
Bergbewohner fafen Diet offenbar ben Schutz, momit
ber Himmel über ire Waffen radjte, unb alle Weiſ—
ſagungen ihrer Propheten erfüllt. — 26er fobalb man
au Verſailles aufaefórt fatte bie Wahrheit gu verheh⸗
len, erhielt Montrevel einen. beynah entfdyeibenben
Sieg.
Endlich wurde der Marſchal von Villars nach
dieſer Provinz geſchickt, und in den Nachrichten dieſes
großen Mamnnes, die oͤffentlich bekannt ſind, wollen
wir nur dieſe zwey Dinge bemerken; das eine iſt dies
Geſtaͤndniß: „Was die Neubekehrten anbetrifft, ſo
„habe ich von vernuͤnftigen Leuten, von Geiſtlichen,
„Großvikarien u. b. m. erfahren, bag unter zehntau⸗
„ſenden vielleicht nicht zwey geweſen ſind, bie wirk⸗
„liche Bekehrte raren;,, bas andre, baf er die Ru—⸗
he in dieſer Provinz wieder einfuͤhrte, indem er die
ſtrengen Marterſtrafen aufhob, fein Verſprechen un:
verbruͤchlich hielt, mit den Widerſpenſtigen ſich dahin
verglich, daß ſie in die Koͤniglichen Armeen uͤbergehen
und dabey ihre Gewiſſensfreyheit genießen ſollten.
Das, was Ludwig der XIVte ſeit der Widerrufung des
Edikts von Nantes, einigen wahnſinnigen Bauern
bewilligte, welche die Waffen gegen ihn fuͤhrten, konn⸗
te dies wol zwey Millionen getreuer Unterthanen vet;
ſagt werden, die in vielen ſchwierigen Lagen, worin
ber Staat fid) befunden, allezeit ihre Liebe für! ben
Koͤnig und das Vaterland bewieſen haben?
Da
FM 42r "us
Da biefet Vergleich nicht zu €tanbe gekommen
war, wegen ſolcher Umſtaͤnde, bie nicht von bem Wil⸗
len Ludwig des XIVten abhingen, fo oͤffnete Villars
denjenigen Bergbewohnern, die ihr Vaterland ver⸗
laſſen wollten, die Grenzen des Koͤnigreichs. Die
Auswanderung war wenig zahlreich, ſo wahrſchein⸗
lich iſt es, daß, wenn man zur Zeit der Widerrufung
nicht mit eben ſo vieler Unvorſichtigkeit als Ungerech⸗
tigkeit das Edikt gegen die Auswanderungen erneuert
haͤtte, das vorher in einem ganz verſchiedenen Falle
war gegeben worden; wenn man nicht die Proteſtan⸗
ten im Koͤnigreich einzuſchließen geſucht haͤtte; wenn
man ihnen das Recht ihren Glauben und ihr Vater⸗
land zu waͤhlen gelaſſen haͤtte; fo waͤren bie Aus—⸗
wanderungen weniger betraͤchtlich geweſen. Wir wol⸗
len noch ein paar Worte hinzuſetzen. Ich will nicht
verhehlen, daß ſie unſere Kirchen entheiligten, um die
Zerſtoͤhrung ihrer Gotteshaͤuſer ju raͤchen, daß fie un:
ſere Prieſter die ſchrecklichſten Quaalen ausſtehen
ließen, um ben elenden Tod ihrer Seelſorger gu. và:
chen, daß ſie einige hundert katholiſche Kinder ums
Leben brachten, um den Raub ihrer eigenen Kinder
zu raͤchen. Dieſe Wiedervergeltungen erwecken Schau⸗
der, was aber dieſen Abſchen verdoppelt, iſt, daß
man fid) von beiden Seiten auf gleiche Art der nt:
heiliqung, bet Gottloſigkeit, der Wuth unb ber ófr...t
lichen Raͤuberey beſchuldigte. Iſt es nicht ſeibſt ein
€e3 wenig
FAM 422. ^v
wenig ungerecht, fid) nue ihrer Wildheit zu erinnern?
Und, um dieſe traurige Betrachtungen mit einer
angenehmern Bemerkung zu beſchließen, will ich eine
Stelle aus einer Schrift des Herrn von Malesher⸗
bes anfuͤhren, welche er noch nicht herausgegeben
bat. „Ich geſtehe,„ (fagt er, indem et von if;
rem Oinfüürer tebet,) „daß dieſer Held, ohne je
» -Dienfte getban zu baben, ein großer Feldherr ward,
» lof. durch feine natuͤrlichen Anlagen, daß dieſer Cas
„miſard, ber einſt e$ wagte, (n Gegenwart eines. wil:
» ben Haufens, ein Verbrechen zu beſtrafen, welches
Tur durch aͤhnliche Verbrechen beſtand; daß dieſer
» ungebilbete Bauer, ber. ín feinem zwanzigſten Jahre
»ín eine Geſellſchaft gut gebifbeter Perſonen aufge:
»nommen, ihre €itten annafm, unb ifre Liebe unb
„Achtung fid) erwarb, daß dieſer Mann, ber eine uns
» ruhigen Lebens gewohnt war, unb ber mit Recht auf
» ſein Gluͤck ſtolz ſeyn fonnte, bod) genugſame natuͤr⸗
„liche Philoſophie hatte, um fünf unb dreyßig Jahre
„hindurch eines ruhigen unb. einſamen Lebens zu gt;
„nießen, mir einer von ben ſeltenſten Charakteren
»fdeinet, ben je uns bie Geſchichte geſchildert fat.
—
WAVE 423. ^wacy
CNIPSIPSIPSI PPSIPSQPSDQUSUASU PX PÉXPSJISKJPIPSPS JÁS IP JS JP)
IV.
S etubíg unu g.
(n Theophron.
GC. bann endlich, endlich ausaefampfet,
Stiefenfampf bet. 3meifelnben 9Bernunft !
unb ihr Ceelen(türme ſeyd gebámpfet,,
vor ber Ruhe fanften SBieberfunft.
Schon ju lang' entfloh fie biefem Herzen,
das ſo zaͤrtlich die Natur erſchuf,
unb vergebens horcht' id) unter Schmerzen
banger Sehnſucht ihrem ſanften Ruf.
Wie ein Kind, das ſich im Wald verlieret,
wenn ein finſtrer Abendſturm ergrimmt,
und es jedes Rauſchen irre fuͤhret,
nicht ber Mutter leiſen Laut vernimmt ;
alſo ſchwaͤrmt' ich traurig und alleine
leitungslos, und ohne eigne Kraft,
lang' in falſcher Weisheit dunklem Haine
unter Stuͤrmen raſcher Leidenſchaft.
Ee 4 Ach!
feu»f^ 424. "AY
Ach! weraebens rief au& beſſern Seiten
mir bíe Dolbe muͤtterliche Ruh
Ruͤckerinnrung (rüber. Seligkeiten
aus der Kindheit Roſenlauben au.
Denn bie Warnung ihres ſuͤßen Mundes
floh vor jedem Hauch des Zweifels ſchon,
und das Laſter kraͤnkte oft mein wundes
Jugendherz durch Spott und Hohn.
Suͤße Ruͤckerinnrung jener Zeiten,
da der Kindheit ſchoͤnes Blumenkleid
ſelbſt ben fruͤh sum Summer eingeweihten
Geiſt des Denkers taͤuſchend noch erfreut;
da der Gluͤckliche noch nicht empfindet,
daß ein Licht, womit er froͤhlich ſpielt,
einſt in ſeiner Bruſt die Glut entzuͤndet,
die des Herzens Ruh durchwuͤhlt.
Suͤße Ruͤckerinnrung jener Tage,
die der Unſchuld Blumenfruͤhling kroͤnt,
ba ber. Seelenleier feine Klage
fehlgeſchlagner Hoffnung nod) enttónt ;
ba, geſtimmt zu Lieb' unb. Mitgefuͤhlen,
jede Saite noch von ſelber ſchallt,
wenn ber Freude Zephyrn fie umſpielen,
die von allen Huͤgeln wiederhallt.
Ach!
KMAMFA 425 "uc
Ach! ba Freude mod) ble ecften cime
freyen Denkens aud. ber. Seecle (oct,
beren (eid)ter Saft erft in ber Baͤume
ſpaͤtem Stamm durch Zweifelkaͤlte ſtockt,
wenn die Luͤftchen, bie beym Morgenlichte
noch den Sproͤßling ſchmeichleriſch umwehn,
Stuͤrme werden, die des Wipfels Fruͤchte,
nur vergebens oft, um Schonung flehn.
Holde Ruͤckerinnrung! deiner Freuden
ungetreue ſuͤße Schmeicheley
wuͤnſchte seem getaͤuſcht, bep ſpaͤtern Leiden,
oft zum Troſt mein Buſen ſich herbey;
wie ſich gern das Auge wieder ſchließet,
wenn es ploͤtzlich einem Traum entwacht,
ber des Lebens Wermuth uns verſuͤßet
unb uns froher als bie Wahtheit macht.
Doch umſonſt! die Taͤuſchung kehrt nicht wieder,
die dem Geiſt Genuß und Hoffnung gab,
und es ſinkt auf unſre Augenlieder
oft ſtatt deß ein finſtrer Traum herab,
lange kaͤmpfen wir dann mit den Schrecken
einer eingebildeten Gefahr,
wachen weinend auf, und ſpaͤt entdecken
wir, daß Taͤuſchung nur die Angſt gebahr.
€t5 eo
F^ 426. ^um
So entſchleicht, Theophron! aud) ter Knabe
oft der Flur, die ihn als Kind empfing,
wo er lang', geſtuͤtzt vorn Liljenſtabe
ſuͤßer Schwaͤrmerey, fo gluͤcklich ging;
ſtuͤrzt fid) bann, nod) fern von ber geraden
Bahn ter Wahrheit, vor Begierde blind,
ohne Ariadnens Zauberfaden,
in des Forſchens Labyrinth.
O bet Zeiten, ber id) ohn' Erſchuͤttern
meines Innern nie gedenken kann,
da auch ich, nicht ohne Furcht und Zittern,
dieſen bangen Seelenkampf begann;
ach! als Dunkel meinen Pfad umhuͤllte,
der ſich durch des Zweifels Dornen wand,
und kein Troſt den Durſt nach Wahrheit ſtillte,
ben mein ſchmachtend Herz empfand.
Hingewelkt ſchon waren alle Bluͤthen
meiner fruͤhern Kraͤnze, lange Zeit
ſtand ent6iattert von des Nordes Wuͤthen
jede Laub' ertráumter. Sicherheit.
Aengſtlich traut' ich nicht den falſchen Wegen
unbeſorgter Jugendfroͤhlichkeit,
wo zu ſpaͤt, vom ſchnellen Sturm betrogen,
einſt der Segler ſeinen Wahn bereut.
Sorg⸗
F^w*f^ 427 way
Sorgſam fpáft id) brum nach ſichrer Wahrheit
im umnebelten Ideenland,
aber mich betrog durch Afterklarheit
manches Licht, das fruͤh im Sumpf verſchwand;
Traurig ſah' ich jede Stuͤtze wanken,
die mir einſt der Hoffnung Rechte lieh,
und der Pfeil der forſchenden Gedanken
traf das Ziel der Wahrheit nie.
Ernſt und furchtbar, wie Gewittergrauen,
waͤhnt' ich lang" ber Gottheit Heiligthum,
kniete knechtiſch, ohne Herzvertrauen,
nur vor ſeiner Allmacht Schreckensruhm,
opferte mit Seuſzern alle Freuden
meiner Jugend dem Allguͤtigen,
ach! und waͤhnte mich durch Buß und Leiden
ſeinem Dienſt zu heiligen.
Bittre Taͤuſchung! o wie durft ich waͤhnen,
daß des Herzens Quaal den Gott gewinnt,
deſſen liebſte Opfer nur die ſchoͤnen
Freudenhymnen der Geſchoͤpfe ſind?
O wie durft ich durch erpreßte Zaͤhren
duldender, verlaßner Zaͤrtlichkeit
einen vaͤterlichen Schoͤpfer ehren,
bet durch Güte jeden Wurm erfreut?
Zwar
fuut 428. ^nm
Zwar ein Gott, vor bem bie Crbe bebte,
war ber Donnerer auf. Sinai,
und der Liebe ſanfter Hauch umſchwebte
Aarons ſtrenge Suͤhnungsopfer nie;
Unerbittlich ließ, nach Prieſterwahne,
ſelbſt der Dulder auf Morias Hoͤh'n *),
gegen Freunde bec 33ernunft die Fahne
wuͤthender Verfolgung wehn.
Doch der Gott, den die Natur verkuͤndigt,
liebt als Vater ſein verlaßnes Kind,
wenn es auch kein Opferblut entſuͤndigt,
unb ihm keine Marterthtraͤn' entrinnt,
aber dieſen Gott der Liebe birget
der bethoͤrten Seele Menſchenwahn,
und des Aberglaubens Schrecken wuͤrget
Lieb' und Hoffnung, die ihm kindlich nahn.
Truͤb' und traurig, wie umwoͤlkte Naͤchte,
ſcheint die Weicheit, wenn uns troſtentbloͤßt
einſt des Aberglaubens Rieſenrechte
iu den Abgrund der Verzweiflung ſtoͤßt.
Selbſt die Tugend winket dann vergebent
in der Freude roſigem Gewand;
und die reinſten Blumen unſres Lebens
morden wir mit eigner Hand.
Weh
*) Der Huͤgel, worauf bee. Temel ſiand, vorzugsweiſe
überbaugt ſtatt Judada's Hoͤhen geſetzt.
—429 ^X
Weh bem femen! ber mít heißer € eefe
fruͤh im Sampf nad) Wahrheit unterliegt ,
für ibn roitb bie SfBelt jut. Syammerbófte ,
unb jum Fluch bie Weisheit, Ne ibn trüat.
Selbſt ben Dolch in eignes Blut gu tauchen,
ruft ifm oft bie falſche Hoffnung gu,
benn ben Gei(t in Martern auszuhauchen
ſcheint im leichter Sauf ber Seelenruh.
Langſam ſchlich auch meines Denkens Sorgen
truͤb umhuͤllt unb blumenlos vorbey;
dennoch waͤhlt' ich gern der Tugend Sorgen
vor der Wolluſt ſuͤßer Schmeicheley;
Muthig wollt ich nur den Kranz erſiegen,
der aus traͤgem Schlaf den Forſcher weckt,
oder muͤßt' ich — kaͤmpfend unterliegen,
doch von keiner ſchnoͤden Furcht befleckt.
Zwar der Spoͤtter rief: „was iſt die Tugend?
ein Phantom, das Menſchentrug erfand,
eine Goͤtzin leichtgeruͤhrter Jugend,
eine Puppe in des Kluͤgern Hand,
eine Buhlerin, bie alle Freuden
dieſes Lebens dem Betrognen raubt,
deſſen Haupt ſie fuͤr gewiſſe Leiden
mit ber Zukunſt Taͤuſchungskranz umfaubt, ,,
» Waͤhnſt
Fur 430 4wà4*»
„Waͤhnſt bu, baf ber Nerven Florgewebe
deiner Seele Wirkung nidt befd)rántt ?
unb baf bier erfparter Caft ber Rebe
bid) im Paradieſe wieder traͤnkt?
Hoffſt du, daß der Liebe Schaͤferſtunden,
die der Wirklichkeit Genuß umſchlingt,
hier aus Thorheit unbenutzt verſchwunden,
eine friſche Jugend mieberbríngt. ,;
» taf. ben frommen Wahn bethoͤrten Schwachen,
baf Genuß burd) Pflicht umgraͤnzet fep ;
auf ber 9Bollu(t leichtgebautem Nachen
ſegle kuͤhn, von Vorurtheilen frey ;
benn ba$ Alter naft, bie Sráft" erinatten,
in. ber Adern Bach gerinnt bas 95(ut,
unb verficgen wird bey Abendſchatten
bald auf ewig deine €ebenóflut).,, —
Doch der Reue troͤſtungsloſes Stoͤhnen
aus ſo manches Frevlers Felſenbruſt,
und der hingewuͤrgten Unſchuld Thraͤnen,
nach verrauſchter kurzen Sinnenluſt;
ach! der Freude fruͤh verwelkte Bluͤthen,
wenn des Laſters wilder Sturm ſie trifft,
und des Spoͤtters innre Furcht — verriethen
bald mir dieſer Lehre ſchnoͤdes Gift.
Spaͤt,
Weavf^ 431 ^"uc»
Cát, nad) mandem Irrgang, kehrt ich wieder
auf der Einfalt bluͤthumſtreute Spur,
und vergnuͤgter toͤnen meine Lieder
jetzt im Mutterſchooße der Natur;
Sie, die alle Weſen eng verbindet
und durch jedes Veilchens Lieblichkeit
Gott als milden Schoͤpfer mir verkuͤndet,
ſchenkt von neuem mir Zufriedenheit.
Ja der Gott, dem uͤberall die reine
Herzens andacht ihren Weihrauch ſtreut,
die zu Tempeln alle Fruͤhlingshaine,
alle Huͤgel zu Altaͤren weiht,
dieſer Gott, der die erhabne Seele
eines Klopſtock Engeljubel lehrt,
aber auf ſein und der Philomele
Lied mit gleicher Vaterguͤte hoͤrt;
Deſſen Huldigung in enge Schranken
duͤſtrer Hallen Menſchenwahn verſchließt,
da er doch in keimenden Gedanken
ſchon die Hymnen ſeiner Kinder lieſt:
dieſer Gott, den alle Weſen meinen,
wenn ſie froͤhlich Blumenopfer weihn,
oder iflavifd) (tomm vor Bildern meinen,
dieſer Gott nur fol ber. meine feyn,
Nicht
FA^ 432. ^w
Nicht vergebens ei ich au& ber Ferne
der Verirrung Seinem Tempel zu,
denn hier winket mir vom hoͤchſten Sterne
bis zum Veilchen alles Troſt und Ruh;
jeder Saft der hingewelkten Bluͤthe
traͤnkt' unendlich friſches Gras und Laub,
und mein Geiſt, der Aushauch Seiner Guͤte,
ſtuͤrb auf ewig mit bem Staub? —
Nein! in dieſem Thale nur begonnen,
waͤhrt mein Leben bis zur Ewigkeit,
wo zur Frucht des Gluͤcks, durch Edens Sonnen,
jeder Erdentugend Keim gedeiht;
wo zur Perle jede bange Zaͤhre
wird, die hier vom Aug' des Dulders rinnt,
jeder Dorn zum Palmenkranz der Ehre,
den der Tugend Held am Ziel gewinnt.
Wie, ofn" ihre Ordnung zu verletzen,
Welten fid) um ferne Welten drehn,
werden auch nach ewigen Geſetzen,
Gluͤck und Tugend in Verbindung ſtehn;
nuc damit die Hoffnung jenes Lebens
unenthehrlich werde, winkt der Lohn
fruͤher Edelthaten, nicht vergebens!
ſpaͤt erſt an der fernen Gottheit Thron.
Die⸗
CMT 493 wo
Dieſer Gíaube (ert uns edel handeln
unb ber Sugenb unfer Herz zu weihn,
nidt um hier auf Blumen fdon gu wanbetn,
ſondern nut des Giles werth zu feyn;
dieſer Glaub' erleichtert ſanften Seelen,
wo Entſcheidung gilt, durch Einen Blick
in bie beßre Zukunſt, oft das Waͤhlen
zwiſchen Seelenruh und Außengluͤck.
Seelenruh! des Himmels ſchoͤnſte Gabe]
Zwillingsſchweſter der Zufriedenheit!
(eit aud) mich an deinem Liljenſtabe
ungeſtoͤrt nun durch die Lebenszeit;
laß mich keinen Sterblichen beneiden,
dem Gott Hoheit, Gold und Witz verliehn
doch vielleicht nicht jene ſtille Freuden,
melde mir in beinem Schatten bluͤhn.
Zwar den Kummer andrer zu verſuͤßen,
flog fuͤr mich des Reichthums Fuͤlle nicht,
doch mir ward ein Herz, das jeden Biſſen
eignes Brod den Armen froͤhlich bricht.
Zwar nur wenig laute Freudenſcenen
ruͤhren meine ſanftgeſtimmte Bruſt,
bod) ber Lieb' unb Freundſchaft ſuͤße Thraͤnen
lohnen vielfach dieſen Scheinverluſt.
Philoſ. Mag. 4. Gt. Ff
Alſo
FMFRM 434. ncm
Alſo waͤgt ſchon unſerm Erdenleben
Gott nach Weisheit alle Guͤter zu,
und des Forſchers redliches Beſtreben
nad) Gewißheit kroͤnt ble Seelenruh;
heiter leb' auch ich durch ſie die Stunden,
die ich ſonſt bey bangem Gram verlohr,
denn ſeit dieſe Daͤmmrung hingeſchwunden,
bricht die Hoffnung lieblicher hervor.
Otufjig leb' id) nun, bis einſt ein Engel
meines Lebens Fackel untertaudjt,
ſinke ſanft bann, wie ein Blumenſtengel,
den ein Abendzephyr niederhaucht:
jedem Edlen, der in Zweifelnaͤchten
meiner Seele frommer Fuͤhrer war,
will ich bann nod) Dankeskraͤnze flechten,
und den ſchoͤnſten um Theophrons Haar.
fef 435 «ic»
t4 4946040 4409049469444?
V.
Grundſaͤtze ber. reinen. Mechanik.
X.
En Koͤrper im Allgemeinen iſt ein ausgedehntes
wirklich vorhandenes Ding.
In der Geometrie iſt ein Koͤrper bloß der Be⸗
griff des Ausgedehnten, ohne Daſeyn, alſo nur ein
innerer Gegenſtand unſerer Vorſtellungekraft. In
der allgemeinen Naturwiſſenſchaft und insbeſondere in
der Lehre von der Bewegung kommt zu dem Begriffe
ber Ausdehnung nod) ber Begriff des Daſeyns, voor
durch der Koͤrper ein aͤußerer Gegenſtand unſerer Vor⸗
ſtellung wird. Die Wirklichkeit der Koͤrper nehmen
wir an, ohne uns um einen Beweis fuͤr dieſelbe zu
bekuͤmmern. Wer ſie auch leugnen wollte, muͤßte
doch den Schein zugeben, und es koͤmmt alsdann nur
darauf an, bie Geſetze des Scheins richtig zu entr
wickeln. Es kann ſehr wohl ſeyn, daß die Ausdeh⸗
nung nichts Selbſtſtaͤndiges, ſondern nur ein nach
gewiſſen Geſetzen beſtimmter, ín nicht ausgedehn⸗
ten. Dingen gegruͤndeter Schein (Phaenomenon
bene fundatum) iſt; allein dem ohngeachtet ſehen
552 voir
Fav 436 dm
toit ét der Naturwiſſenſchaft die Ausdehnung als eine
Grundeigenſchaft (qualitas primaria) der aͤußern
Dinge an, welche wir durch die Sinne wahrnehmen
koͤnnen. Ausdehnung ift nun einmal bie Form, ur;
ter welcher wir alles, was wir unmittelbar wahrneh⸗
men, uns darſtellen. (fe übrigen ſinnlichen Wahr⸗
nehmungen verknuͤpfen mit mit bem Ausgedehnten,
als demjenigen, worin ſie gegruͤndet ſind, oder woran
ſie ſich zeigen. Der Begriff der Ausdehnung iſt ein
reiner Verſtandesbegriff, der ſich nicht durch die Er⸗
fahrung, ſondern mit der Erfahrung entwickelt. Er
iſt ein weſentliches, ſehr wichtiges Stuͤck der Aus⸗
ſteuer, welche unſer Geiſt von der Natur erhalten
hat. Weil der Begriff der Ausdehnung ganz rein
und frey von allen innern und aͤußern Beſchaffenhei⸗
ten ber wirklichen koͤrperlichen Dinge ín ber. Geome⸗
trie gedacht wird, ſo iſt dieſe dadurch von der Erfah⸗
rung ganz unabhaͤngig. Sie betrachtet bloß die For⸗
men der Groͤßen und ihrer Zuſammenſetzung aus gleich⸗
artigen Theilen, welches alles Producte und Opera⸗
tionen des Verſtandes ganz allein (inb, Nun ſetze
tan zu bem Begriffe ber Ausdehnung nod) ben Be⸗
griff des Daſeyns, fo wird un$ biefed ein. neues $elb
von Unterſuchungen eroͤffnen, bie gleichfalls von bet
Crfabrung unabhaͤngig ſeyn müffen, voenn wir nuc
vermógen aud bem allgemeinen Begriffe von Da⸗
ſeyn richtige Folgerungen ju ziehen, unb biefe mit
ben
FAY 437 ^"
ben Lehren der Geometrie unb Analyſis zu vetr
fnüpfen.
2.
Daſeyn (wotfanben ſeyn) ift fortbauern, umb
Wirkſamkeit, bie Diet zugleich mit Leidensfaͤhigkeit
verfuüpft it, beſitzen.
Den Begriff von Sertbauer. erfjalten mir burd)
innere Erfahrung, ba wir uné unſerer verſchiedenen
Suftánbe bewußt (inb, unb bíefelben al$ gufammen:
Dángenb in einem Subjecte befinblid) erkennen. Die:
fen Begriff tragen wir auf aͤußere Gegenftánbe. bet,
unb faffen bey Sórpern die Beſtimmung des Bewußt⸗
feynà weg, fo ba Fortdauer ein Sufammenfang vott
Suftánben eines Subjects ift, ofne baf eine güde
pber ein Sprung zwiſchen inen gebad)t wird. Die
SBerfnüpfung biefer Suftánbe ift ein Werk unfeter
Vernunft; bod) mug bie Sábigfeit, aus einem Su(tanbe
ín ben folgenben uͤberzugehen, in bem Koͤrper gegruͤn⸗
bet fepn. — Der Segriff von Fortdauer ift von bet
ſinnlichen Erfahrung gang unabfángig. Er iff ba$
abſtracte Merkmal des Daſeyns, welches unſere
Vernunft den Dingen außer uns beylegt.
Der Begriff von Wirkſamkeit iſt nichts anders,
als ber Begriff von Urſache, auf bie Koͤrper ange:
wandt. Die 93orftellung des Verhaͤltniſſes zwiſchen
Urſache unb Wirkung iſt eim reiner Verſtandesbegrifß
$í3
⸗ 438 «3
zu deſſen Anwendung die Sinnlichkeit nur den Stoff
giebt. Wir muͤſſen ben Koͤrpern irgend eine Wirk⸗
ſamkeit beylegen, ſonſt waͤren es entweder bloß ſub⸗
jectiviſche Vorſtellungen, oder es muͤßte alle Veraͤnde⸗
rung des Zuſtandes durch Kraͤfte, die nicht koͤrperlich
ſind, erfolgen. Dieſe waͤren entweder Vorſtellungs⸗
kraͤfte, oder von einer unbekannten Art. In dem
letztern Falle muͤßten wir alle Unterſuchungen uͤber die
Veraͤnderungen der Koͤrper gleich aufgeben, eben da⸗
Der, weil bie Urſachen der Bewegungen unb. Veraͤn⸗
derungen ganz unbekannt waͤren: in dem erſtern Falle
aber eben fo gut, weil bie Geſetze vorſtellender Kraͤſte
unb ber Sórpet gang unafeidjartig (inb, unb weil wir
beide erſt ihrer innern Natur nad) kennen muͤßten,
um zu beſtimmen, wie durch Vorſtellungen koͤrperliche
Veraͤnderungen hervorgebracht werden. Es moͤgen
Bewegungen durch Vorſtellungskraͤfte gewirkt werden
koͤnnen, aber ſolche Bewegungen ſind kein Gegenſtand
der Mechanik.
Wir muͤſſen die Urſachen aller Veraͤnderungen
in ber Koͤrperwelt ſelbſt ſuchen, wenn wir einen Zu⸗
ſammenhang derſelben entdecken und ihre Geſetze
entwickeln wollen. Wirkt ein Koͤrper auf einen an⸗
dern, ſo iſt dieſer letztere einer Veraͤnderung faͤhig,
unb daher muͤſſen wit im Allgemeinen das Vermoͤgen,
Veranderungen ju leiden, mit bem Vermoͤgen, Ver⸗
aͤnde⸗
439 ^w
aãnderungen feroorgubringen , verknuͤpſen. Cin Koͤr⸗
pet, bet blog wirkte, ohne ju leiden, waͤre von einet
gang anbern Art, aí8 bie leibenéfáfigen, Hier ift
aber von ben. Sórpern überfaupt bie Rede.
3.
Der natuͤrliche Koͤrper, im Gegenfate gegen ben
geometriſchen, ſey ebenfalls ein zuſammenhaͤngendes,
gleichartiges Ganzes, wie der geometriſche, ſo lange
von dem Koͤrper uͤberhaupt die Rede iſt. Er koͤnnte
freylich Zwiſchenraͤume haben, bie mit einem fremden
Stoffe angefuͤllt waͤren, welcher Fall aber in bie be⸗
ſondere Naturlehre gehoͤrt. Es koͤnnten auch die Zwi⸗
ſchenraͤume ganz ohne etwas Wirkliches gedacht wer⸗
den, wenn die herumliegenden Theilchen ſich gegen⸗
ſeitig hinderten, in den leeren Raum einzudringen.
Doch hat dieſe Vorſtellung ihre Schwierigkeiten, und
wuͤrde durch ihre Unbeſtimmtheit unbrauchbar ſeyn.
4.
Man kann alſo in einem Koͤrper, ſo wie wir
ihn hier betrachten, keinen Theil angeben, der nicht
Wirkſamkeit haͤtte. Dieſes gilt von den kleinſten
ſinnlichen Theilen, und auch von ſolchen, die nicht
mehr empfunden, ſelbſt nicht einmal durch ein noch
ſo kleines Verhaͤltniß zum Ganzen angegeben werden
koͤnnen, das iſt, den Elementen des Koͤrpers. Die
$f4 er(ten
FA^ 440. "va
erſten Grünbe der Wirkſamkeit eines Koͤrpers (inb
freylich fein Gegenſtand ber. Erfahrung; durch feine
Theilung, felbſt nicht durch eine intellectuelle, kann
man auf dieſelben kommen; der Koͤrper wird nicht
aus ihnen zuſammengeſetzt, ſondern entſteht aud den⸗
ſelben. Inzwiſchen muͤſſen wir dieſe erſten Gruͤnde
bec Koͤrper auf irgend eine Art uns anſchaulich ma;
chen. Anſtatt der Monaden, wie dieſe erſten Gruͤn⸗
de nach Leibnitz heißen, nehme man die Graͤnzen der
koͤrperlichen Theile oder die Elemente des Koͤrpers. So
entſteht die Wirkſamkeit des Ganzen aus ben. wirt;
famen Elementen, wie ber Inhalt eines geome⸗
triſchen Koͤrpers aus den Graͤnzen ſeiner Theile ge⸗
funden wird, wenn man gleich die Groͤße dieſer Theile
nicht angeben kann, ſondern nur. Verhaͤltniſſe derſel⸗
ben, ohne auf die Quantitaͤt zu ſehen, angiebt. Man
bedient fid auch in ber Geometrie des Ausdrucks,
Element, wenn von den letzten Verhaͤltniſſen der Un⸗
terſchiede zweyer Linien, Flaͤchen ober. Koͤrper bie Re⸗
be iſt, weil man dieſe Unterſchiede nicht als Puncte,
Linien und Flaͤchen anſehen kann, wofern die geome⸗
triſche Ausdehnung ein ſtetiges Ganzes bleiben ſoll.
5.
Man kann auch jedem Puncte der koͤrperlichen
Ausdehnung eine Wirkſamkeit, freylich eine ohne alle
Graͤnzen kleine, zuſchreiben. Denn, ſo wie die Wirk⸗
ſam⸗
Vu» qqjr 69
famfeit des Koͤrpers burd) feine gange Ausdehnung
vetbreitet iſt, ohne bag man auf fe&te wirkſame Theile
fommt, fo (inb aud) innerhalb des koͤrperlichen Raums
unenbíid) viele Puncte aebenfbar, aus welchen bet
9taum afier nicht zuſammengeſetzt wird. Wir fón;
nen daher die Puncte, ob fie gleich nut. abſtracte 35er
griffe ſind, mit bem Begriffe von Wirkſamkeit vet:
binden, und dadurch die Wirkſamkeit des Ganzen
innerhalb der ganzen Ausdehnung auf eine anſchauli⸗
che Art verbreiten. Insbeſondere wird dieſe Vor—
ſtellung dazu dienen, daß die Wirkſamkeit des Gan:
zen als in einem gewiſſen einzigen Puncte vereinigt
ſich wird anſehen laſſen, welchen man nun fuͤr den
Koͤrper ſelbſt nehmen kann. Dadurch wird bie 2n:
wendung der Geometrie und Analyſis auf die Lehre
von ber Bewegung ſehr erleichtert. Wo dieſe Ver—
tauſchung eines wirklich vorhandenen Koͤrpers mit ei⸗
nem Puncte deſſelben, welcher immer eine. BloSe Ab⸗
ſtraction iſt, zulaͤſſig ſey, muß jedesmal gehoͤrig be⸗
wieſen werden, oder die zufolge dieſer Vorausſetzung
gefundenen Saͤtze leiden noch einige Einſchraͤnkung.
6.
Die Wirkſamkeit der Koͤrper iſt theils eine ge⸗
genſeitige ber Elemente derſelben, theils eine aͤußere,
wodurch fie in andern Koͤrpern Veraͤnderungen Der;
vorbringen. Durch die erſtern ſind die Beſtandtheile
$f5 bet
PMSTR 442. A
bet Koͤrper ju einem beſtimmten ober unbeftimmten
Ganjen mit einanber verfnüpft; aber wir fónnen von
dieſen Sráften, worin ber 3ujammenfang ber koͤrper⸗
lichen S eile, ihre ſpeciſiſche Beſchaffenheit, oft aud)
ire Geftalt gegrünbet iQ, aus blofen Begriffen nichts
erfennen, — C$ fommt (ebigfid) auf Grfafrung am.
Wir fónnen , um bie Urſachen ber. Crfdjeinungen uns
finntid) 3u madjen, einigen Elementen eine. anziehen⸗
be, anbern eine zuruͤckſtoßende Straft beylegen ; wir
fónnen bie Grabe dieſer Wirkſamkeit unb. bie Groͤße
be$ Wirkungskreiſes auf mancherley Art abgeánbert
gedenken; voit. fónnten audj, um etwas beſtimmteres
zu ſetzen, bie zuruͤckſtoßenden Kraͤfte bloß ben gleich⸗
artigen Elementen gegen einander, die anziehenden
den ungleichartigen Elementen beylegen; allein es
fuͤhrt uns alles dieſes hoͤchſtens nur ſo weit, daß wir
in unſere Wahrnehmungen Einheit bringen, und es
zu einem Regulativ gebrauchen. Ein Philoſoph wird
hieruͤber ſo, ein anderer anders denken. Eutſcheiden⸗
de Gewißheit iſt hier nicht moͤglich, ohne Nachtheil
fuͤr die Lehre von der Bewegung, weil hier die Koͤr⸗
pet, fo wie fie ſund, genommen werden, bie Gruͤnde
ihrer Zuſammenſetzung aber unbefannt bleiben koͤnnen.
7.
Die Wirkſamkeit ber Koͤrper auf andere außet
ihnen aͤußert ſich entweder durch Veraͤnderung in der
Zu⸗
FM 443. mz»
Sufammenfe&ung ber docile, ober durch Bewegung
be$ Ganzen mít ober ofne eine. Veraͤnderung ber 3us
fammenfe&ung. Von bet er(tern Art toerben mir bloß
butd) bíe Grfabrung belehrt, unb mógen ju bet Cr;
klaͤrung ber Erſcheinungen bie Begriffe von anziehen⸗
ben unb zuruͤckſtoßenden Kraͤften, Verwandtſchaft
und Fremdheit gebrauchen, ohne darum etwas mehr
zu leiſten, als viele Erſcheinungen auf Eine zu brin⸗
gen, welches aber in der That genug iſt. Es moͤgen
auch bey ſolchen Wirkungen der Koͤrper auf einander,
wodurch ihre Zuſammenſetzung veraͤndert wird, Kraͤfte
in den Elementen entbunden oder gebunden werden,
ſo daß neuer Stoff entſtanden oder der vorher beobach⸗
tete vermindert zu ſeyn ſcheinen kann. Alles dieſes
gehoͤrt in die beſondere Naturlehre.
8.
Hier iſt bloß von der Wirkſamkeit der Koͤrper
auf einander die Stebe, fo fern fie einer ben andern
án Bewegung ſetzen, oder ihre Bewegungen gegen⸗
ſeitig aͤndern, ohne andere Veraͤnderungen in einan⸗
der hervorzubringen, als etwa locale Veraͤnderungen
in ber Zuſammenſetzung der Theile, wie z. B. bey
dem Stoße elaſtiſcher Koͤrper oder bey der Bewegung
fluͤſſiger Koͤrper. Die Bewegung geſchieht entweder
durch unmittelbare Beruͤhrung oder durch irgend ein
verknuͤpfendes Mittel (z. B. ein Seil, einen Stab),
oder
KT 444, ma
ober burd) eine auferfat& des Koͤrpers auf anbete
Koͤrper fid) erſtreckende raft.
9.
Das Vermoͤgen bet Koͤrper, Bewegungen in
andern hervorzubringen, kann ſehr verſchieden ſeyn.
Iſt es in einem Koͤrper fuͤr jeden Theil von einer ge⸗
gebenen Groͤße daſſelbe, ſo iſt der Koͤrper in allen
ſeinen Theilen gleichartig; im gegenſeitigen Falle iſt
er ungleichartig. Wenn zwey Koͤrper von gleichem
Inhalte unter einerley Umſtaͤnden ungleiche Bewe⸗
gungen hervorbringen, obet uͤberhaupt ungleiche Wirk⸗
ſamkeit aͤußern, ſo beſtehen ſie aus verſchiedener Ma⸗
terie. Es iſt naͤmlich Materie das Reale des $t:
pers, wovon beffen Wirkſamkeit in Ruͤckſicht auf Be⸗
wegung anderer Koͤrper abhaͤngt. Dieſes iſt etwas,
das ſich unmittelbar weder zaͤhlen noch meſſen laͤßt,
ſondern was bloß aus den Wirkungen erkannt wird.
Es wird darauf ankommen, ob man die Wirkungen
auf eine beſtimmte und allgemeine Art wird meſſen
toͤnnen. Alsdann wird bie Menge bet Materie in
einem gegebenen koͤrperlichen Raume den Wirkungen
proportional ſeyn.
10.
Maſſe eines Koͤrpers iſt gleichfalls an ſich we⸗
bet zaͤhlbar, nod) meßbar; abet bod) ift fie in bem jw
fau:
(f^ 445. ^"
ſammengeſetzten Verhaͤltniſſe der Materie in einerg
gegebenen Raume und des koͤrperlichen Inhalts, wenn
wir die Materie durch eine Groͤße auf irgend eine
Art darſtellen.
11.
Der Ort (die Lage) eines Punctes wird in der
Geometrie am einfachſten durch bie Groͤße ber "Det;
penbifel beſtiumt, welche von demſelben auf drey ſich
einander ſenkrecht ſchneidende Ebenen gelaſſen werden.
Der Durchſchnittspunct dieſer drey unveraͤnderlichen
Ebenen iſt unveraͤnderlich, unb ein feſter Punct, auf
welchen jeder andere Punct bezogen wird.
Man kann auch den Ort eines Punctes durch
die Entfernung deſſelben von einem feſten Puncte
und durch die Lage dieſer Entfernungslinie gegen eine
beſtimmte Ebene angeben. Die Lage einer Linie AP
gegen eine Ebene wird durch zwey Winkel beſtimmt,
beren einer derjenige iſt, welchen eine in. ber. Ebene
durch den feſten Punct gezogene gerade Linie mit der
Durchſchnittslinie der Ebene und einer durch die
Linie AP auf dieſelbe ſenkrecht geſtellten Ebene macht;
der andere der Winkel der Linie AP mit dieſer Durch⸗
ſchnittslinie iſt. So wird in der Aſtronomie der ſchein⸗
bare Ort eines Weltkoͤrpers in Abſicht auf die Ebene
des Aequators durch Rectaſcenſion unb Declination,
in
f^vF^ 446 ^ue
in Abſicht auf bie Gfliptif durch Laͤnge unb Breite,
unb ín Abſicht auf ben Horizont burd) Azimuth unb
Hoͤhe angegeben, San fónnte ben Ort eines Punctes
nod) auf anbere Arten beftimmen; aber jene beiben
Methoden finb bie bequemften.
Bey einem eimelnen Puncte iſt noch von feinem
Orte bie 9iebe; aud) bey zwey Suncten. nod) nidjt,
als welche bloß eine Entfernung haben. Von brey
Puncten wird ber Ort ober bie. Lage des einen P in
Abſicht auf bie beiben anbern A, B, burd) bie beiden
fDerpenbife beftimmt, welche, in ber Ebene bet brey
fpuncte, eines auf bie Cinie durch A unb B, das att
bere auf bie durch A ober B geaen bie €inic AB fenf;
tete gefaͤllt werden. Ober. man 6efttmmt bie Linie
AP un^ iren Winkel mit AB. Sind mehr als brey
Puncte in einer. Ebene vorfanben, fo genügt e$ füt
jeben an zwey Perpendikeln obet. emet. Cntfernung&
linie unb. bem Winkel berfeíben mit einer. gegebenen
Linie in der Ebene, ín welcher bie Puncte befindlich
ſind.
12.
Die Bewegung eines Punctes iſt in der Geo⸗
metrie die ſucceſſive Veraͤnderung ſeines Orts, wenn er
in allen Puncten einer begraͤnzten oder unbegraͤnzten
Linie, die als Spuren ſeines Weges bleiben, nach
einander gedacht wird. Die Linie kann man entweder
durch
FXPYR 447 5
durch die Bewegung be$ Punctes entſtehen laſſen,
oder man gedenkt ſie ſich vor der Bewegung des
Punctes auf derſelben, und unterſcheidet bey der Be⸗
wegung den ſich bewegenden Punct von den Puncten
der beſchriebenen Linie.
I3.
Die relative Bewegung eines Puncts ift bie
fGeránberung ber. Groͤßen, wodurch fein Ort. gufofge
6. rir. beſtimmt wird. Abſolute Bewegung ift ber
Weg be$ Punctes felb(t, ſowol ber Groͤße nad), ale
aud) mít Ruͤckſicht auf bie Richtung in jebem Puncte
be$ Weges. Dieſe abfolute Bewegung deutlich bar:
zuſtellen und zu zergliedern, dienen die zuſammenge⸗
hoͤrigen Veraͤnderungen der Groͤßen, wodurch der Ort
des ſich bewegenden Punctes in jedem Puncte ſeines
Weges beſtimmt wird. Bey jeder dieſer beſondern
Veraͤnderungen ſetzt man die andern bey Seite, und
erleichtert ſich dadurch die Vorſtellung der abſoluten
Bewegung.
14.
Die Zerfaͤllung der Bewegung eines Punctes
iſt die Beſtimmung der relativen Bewegungen aus
der abſoluten. Die Zuſammenſetzung der Bewe⸗
gung iſt bie Beſtimmung ber abſoluten aus ben te:
lativen. Bey ber Zerfaͤllung unb. Sufammenfegung
ber
(T^ 4489. ass
ber Bewegung, wird gewoͤhnlich der Ort burd) drey
Perpendikel auf drey gegebene Ebenen, oder wenn
die Bewegung in einer und derſelben Ebene geſchieht,
durch Perpendikel auf zwey gegebene gegeneinander
ſenkrechte Linien beſtimmt. Die abſolute Bewegung
wird alsdann durch die geradlinichte Bewegung dreyer
oder zweyer Puncte, mad) gegebenen. Richtungen,
dargeſtellt.
15.
Das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten in
je zwey Puncten einer krummlinichten Bahn, iſt das
letzte Verhaͤltniß der von dieſen Puncten aus beſchrie⸗
benen Wege, wenn der zu dieſen Wegen gehoͤrige
relative Weg nad) einer. gewiſſen Richtung unveránr
derlich iſt.
Die Geometrie und Analyſis wiſſen nichts von
Zeit. Denn wenn gleich bey der Bewegung, ſo weit
ſie in der Geometrie betrachtet wird, eine Succeſſion
iſt, ſo folgt doch nicht, daß mit derſelben der Be⸗
griff der Zeit nothwendig verknuͤpft ſey. Bey bloß
intellectuellen Vorſtellungen von Groͤßen und den For⸗
men ihrer Zuſammenſetzungen, auch der ſucceſſiven,
kann keine beſtimmte Dauer gedacht werden; alſo
muß, eben wegen ber Unbeſtimmtheit, die Dauer gang
entfernt werden. Dagegen geben mir bern. 2Beor,
wel⸗
A49 ^"2cv
welchen ber Punct nad) einer ber. relativen Bewegun⸗
gen beſchreibt, durchaus gleiche Theile, ober laſſen
das Perpendikel, welches ſeinen Ort nach einer ge⸗
wiſſen Richtung beſtimmt, immer mit gleichen Thei⸗
len zunehmen oder abnehmen, indem die andern bei⸗
den Perpendikel (bey der Beziehung des Ortes auf
drey Ebenen) und der Weg des Punctes ſelbſt mit un⸗
gleichen Theilen ſich veraͤndern. Wir vergleichen den
abſoluten Weg mit jenem relativen ſich gleichfoͤrmig
veraͤndernden Wege, unb nennen dieſes Verhaͤltniß
der abſoluten und relativen Veraͤnderung des Ortes
das Verhaͤltniß ber abſoluten unb relativen Geſchwin⸗
digkeit; daher auch das Verhaͤltniß ber abſoluten We⸗
ge, die zu gleichen relativen gehoͤren, das Verhaͤltniß
der Geſchwindigkeiten heißt. Nur muͤſſen hier, weil
die Verhaͤltniſſe ſich mit der Groͤße der Wege aͤndern,
die letzten Verhaͤltniſſe genommen werden, die von
ber Groͤße der Wege unabhaͤngig ſind *).
Die
*) Folgende Stelle aus Newtons Methodo fluxionum
wird dieſes ſehr gut erlaͤutern und beſtaͤtigen. Er
ſagt, es komme bey dieſer Methode auf zwey Pro⸗
bleme an, deren eine heißt: Longitudine deſeripti
ſpatii femper (i. e. quovis Temporis momento )
data, invenire velocitatem motus Tempore pro-
pofito ; ba$ andere: Velocitate motus femper: data,
invenire longitudinem ſpatii defcripri Tempore
propofito. Sun fügt biefer grofe Mathematiker
pbilof. t1jag. *. Gr. Q 3 bin:
f^. 450 ^w au.
Die SDerpenbifel, wodurch ber Ort eines fid) be
totgenben *Duncte$ an jeder Stelle feine. Weges 5e;
flimmt roitb, finb bie Coorbinaten ber krummen Linie,
welche ber Punct beſchreibt. Die Differentialen ober
Fluxionen der Coordinaten und des Weges verhalten
fid) wie bie relativen Geſchwindigkeiten nad) ben Rich—
tungen ber Coorbinaten unb bíe abfolute Geſchwindig⸗
feit auf der Bahn felb(t. — Das Differential einer bec
Coorbínaten iſt unveraͤnderlich, unb vertritt bie € telle
ber Seit. Gin Differential muß immer unveraͤnderlich
genommen werben, roenn man die Differentiale einer
Groͤße
Ding: Cum autem hic Tempus tantum conſide -
randum veniat, tanquam expofitum «t menfurt*
tum aequábili motu locali, et praeterea, cum folae
quantitates ejusdem generis invicem comparari
valeant, ut et velocitates, quibus augentur aut
minuuntur: Idcirco in iis, quae fequuntur, Tem.
pus formaliter non confidero, fed fuppono, quod
una.ex fuppofitis Quantitatibus homogenea cum
aliis crefcat aequabili luxu, ad quam ceterae, tane
quam ad Tempus referantur, quae ideo per Anz-
logiam non inconcinne dici poteft Tempus. Quo-
ties igitur Tempur in fequentibus invenierur (eam
autem faepiufcule uſurpavi perfpicuitatis et diítine
&ionis caufa) hoc verbum fumendum eft, non
quafi Tempus intellexiffem in fua forma/i fignifica-
tione, fed tanquam fignificans Quantitatem | illam
a Tempore diverfam, cujus aequabili incremente
«el Fluxu Tempus exponitur et meníuratur.
mA 45r ^34
Groͤße (n ihren verſchiedenen Zuſtaͤnden vergleichen
will. Bey der geradlinichten Bewegung braucht man
in der Geometrie alles dieſes nicht. Dieſe iſt, wenn
man ſie in der Geometrie betrachten wollte, gleich⸗
foͤrmig.
16.
Die Richtung der Bewegung iſt, wenn bet
Punct eine gerade Linie beſchreibt, dieſe Linie ſelbſt,
nach der Gegend, wohin er ſich bewegt; wenn der
Weg eine krumme Linie iſt, iſt die Richtung die Be⸗
ruͤhrungslinie in dem Puncte, wo ſich der beſchreiben⸗
de Punct befindet. Wenn die Bewegung in einer
und derſelben Ebene geſchieht, ſo wird die Richtung
durch die relativen Geſchwindigkeiten nach den be⸗
ſtimmten Richtungen der zerfaͤllten Bewegung eben
ſo beſtimmt, wie durch die Differentialen der Coordi⸗
naten. Bieibt der Punct nicht in derſelben Ebene,
ſo wird ſowol die jedesmalige Lage der Ebene, in wel⸗
det fid) zwey naͤchſte Elemente ber Bahn befinden,
als bie Nichtung (m dieſer Ebene durch bie relati⸗
ven Geſchwindigkeiten oder die Differentialen der Coor⸗
dinaten nad) ben Richtungen dieſer Geſchwindigkel⸗
ten beſtimmt.
x7.
Der Ort eines Koͤrpers wird durch elnen fes
ner Puncte auf dieſelbe Art, wie der Ort eines Punctes
Gg4 in
Fre 452 wa
in bet Geometrie angegeben. Es kommt babey fcey:
lich nod) auf mefrere "Duncte des Sórperé an, um
feine Lage vállig zu beſtimmen. — Sn fer. vielen Faͤl—
len genügt eó, wenn ber Ort beéjenigen Punctes
angegeben wird, ín welchem bie ganje Wirkſamkeit
vereint gedacht werden fann.
Dieſe Beſtimmung ift ganj geometrifj. Sm
Allgemeinen (inb bie Ebenen ober bie Cinien, auf mels
che ber. Ort des Koͤrpers bezogen voítb willkuͤhrlich.
Hingegen in der Natur ſelbſt ſind uns die Koͤrper ge⸗
geben, und die Ebenen oder Linien, wodurch wir
ihre Oerter beſtimmen, ſind nicht willkuͤhrlich, weil
man ſolche waͤhlen muß, die zu den Beobachtungen
atm bequemſten liegen, ober bie ſonſt Vottheil für die
Berechnung unb Meſſung verſchaffen.
18.
Die Bewegung eines Koͤrpers iſt ebenfalls
die Veraͤnderung ſeines Orts, der auf einen feſten
unveraͤnderlichen Punct bnrd) eine ber geometriſchen
Methoden bezogen wird. Hier iſt bloß von der fort⸗
ſchreitenden Bewegung die Rede, bey welcher alle
Puncte nach parallelen Richtungen fortgehen. An⸗
dere Bewegungen, als die drehende um eine Axe, die
ſchwingende Bewegung geſpannter Saiten ober bet
Lufttheilchen, die Bewegung fluͤſſiger Koͤrper in Roͤh⸗
ren,
K*u»f^ 453
tem, 65 fie afeid) aud) aus allgemeinen Grundſaͤtzen
Detgeleitet roerben koͤnnen, follen Diet bey Seite gt;
ftt. erben.
Die Bewegung eines Koͤrpers, unb eines geome⸗
triſchen Puncts oder einer Linie, ſind darin unter⸗
ſchieden, daß die letztere bloß etwas Subjectives ent⸗
haͤlt, und nach irgend einer bloß mathematiſchen Vor⸗
ausſetzung oder Bedingung geſchieht; dagegen die Be⸗
wegung eines Koͤrpers durch aͤußere Urſachen, nach
beſtimmten Geſetzen, hervorgebracht und veraͤndert
wird, alfo auch, wenn keine aͤußere Urſache vorhan⸗
ben iſt, ganz ungeaͤndert bleibt.
Der feſte unveraͤnderliche Punct kann der Haupt⸗
punct eines Koͤrpers ſeyn, ben man als unbewegt an;
fleht. Freylich laͤßt es ſich durch Erfahrung nie Ber
weiſen, daß ein Koͤrper ruhe. Wenn aber ein Sy⸗
ſtem von Koͤrpern mit einem unter ihnen eine und
dieſelbe Bewegung nad) einer gewiſſen Nichtung Dat,
indem ſie zugleich, dieſen ausgenommen, ſich wie es
ſey, bewegen, ſo ruhte dieſer Koͤrper in Beziehung
auf die andern. Dieſes fuͤhrt uns auf den Begriff
vom abſoluten und relativen Raum.
19.
Raum iſt bie abſtracte unbegraͤnzte Ausdehnung,
worin allenthalben ein Koͤrper vorhanden ſeyn, ſich be⸗
wegen, und auf andere Koͤrper wirken kann.
G83 In
Syn ber. Geometrie ocbraud)it man den Raum,
wenn man. (fn nótfía finben follte, nut, um barin
Linien zu ziehen, Gbenen ju legen, Koͤrper fid) zu
gedenken und neben einander zu ſtellen. Aber man kann
ſich Linien und Ebenen gedenken, ohne den nach allen
Seiten und Richtungen ansgedehnten Raum dabey
mitzunehmen. Bey der Erzeugung eines Koͤrpers,
z. B. eines Kegels, gedenkt man ſich keinen andern
koͤrperlichen Raum, als den durch bie Kegelflaͤche bes
graͤnzten. Wenn man Koͤrper neben einander ſtellt,
um ſie zu vergleichen, z. E. zwey verſchiedene Pyra⸗
miden von einerley Grundflaͤche und gleicher Hoͤhe, ſo
iſt es ganz gleichguͤltig, wie ſie neben einander geſtellt
werden, außer daß ſie nur zwiſchen denſelben paralle⸗
len Ebenen liegen Euklides gebraucht den Begriff
des Raums zur Stereometrie nicht. Syn ber Me—
chauik hat man aber den Begriff des Raums noͤthig,
weil wirkliche Koͤrper einen durch aͤußere Urſachen be⸗
ſtimmten, nicht willkuͤhrlichen Ort haben, und als
wirkend in Abſicht auf andere betrachtet werden. Eine
andere Urſache, warum ber Begriff des Raums nó:
thig wird, ift ber im vorherg. $. angegebene Fall,
wovon gleich in der Folge.
Im gemeinen Leben ſagt man, es iſt Raum
fuͤr einen Koͤrper da, wenn es moͤglich iſt, daß er in
einer gewiſſen naͤhern Verbindung mit andern Koͤrpern
vor⸗
455 Tun,
vorhanden ſey. Oder: der Koͤrper hat Raum ſich zu
bewegen, wenn andere Koͤrper es ibm nicht unmoͤg⸗
lich machen, ſeinen Ort zu veraͤndern. Hier iſt Raum
die Bedingung der Moͤglichkeit des Daſeyns und der
Bewegung. In der allgemeinen Mechanik wird
man den zuerſt gegebenen abſtraeten Begriff einer. uns
begraͤnzten geometriſchen Ausdehnung am brauchbar⸗
ſten finden.
20.
Der Raum fann entweder leer gedacht tverben,
wenn nichts vorhanden iſt, was die Bewegung eines
Koͤrpers aufhalten oder veraͤndern koͤnnte, außer den
Urſachen, die als Bedingungen ſeiner Bewegungen
angenommen werden, naͤmlich andere beſtimmte Koͤr⸗
per, die auf gewiſſe Art auf jenen wirken, z. E. die
Sonne und die Planeten, in Abſicht auf die Erde,
wenn aud) ſonſt der Himmelsraum ganz frey ift.
Oder ber Raum wird mit einer fluͤſſigen Ma—
terie angefuͤllt gedacht, die zwar allenthalben dem be⸗
wegten Koͤrper ausweicht, aber doch ſeine Bewegung
durch ihren Widerſtand aͤndert.
2I.
Der abfolute 9taum iſt berjenige, in welchem
ein Punct unbewegt iſt; der relative Raum, in wel⸗
884 chem
fF 456. "wc?
dem fein Punct ruhet, obgleich in demſelben eim
Punct vorhanden iſt, oder ſeyn moͤchte, welcher in
Abſicht auf die in dieſem Raume bewegten Koͤrper ruht.
In dem Falle, daß ein Syſtem von Koͤrpern
fich um einen Punct bewegt und zu gleicher Zeit nach
einer gewiſſen gemeinſchaftlichen Richtung getrieben
wird, gedenke man ſich den Theil des unbegraͤnzten
Raums, in welchem das Syſtem ſich befindet, von
dem uͤbrigen abgeſondert, und gebe die gemeinſchaft⸗
liche Bewegung der Koͤrper allen Puncten dieſes ab⸗
geſonderten Raums, nad) derſelben Richtung, fo laſe
ſen ſich die gegenſeitigen Bewegungen der Koͤrper des
Syſtems ohne die gemeinſchaftliche Fortruͤckung aller
betrachten. Dieſe Bewegungen ſind aber wirklich nur
relative, mit welchen man die Bewegung des abge⸗
ſonderten Raums verknuͤpfen muß, um die abſoluten
Bewegungen zu erhalten. Es wird vorausgeſetzt,
daß alle Koͤrper des Syſtems dieſelbe gemeinſchaftliche
Bewegung nach einer gewiſſen Richtung haben; ſonſt
wird der Fall zu ſchwer, als daß man ſich durch die
Abſonderung des bewegten Raums von dem undbe⸗
wegten helſen koͤnnte.
Auf der Erde hat man ein Beyſpiel an den Be⸗
wegungen auf einem Schiffe; am Himmel an den
Bewegungen der Sonne, der Planeten und der Ko⸗
meten,
CO&AVf^ 452 ^34»
meten, welche Koͤrper zuſammen eine gemeinſchaftliche
Bewegung nach einer gewiſſen Gegend des Univerſums
haben. Der Mond und die Erde machen ein Sy⸗
ſtem aus, worin aber beide nicht auf gleiche Art ge⸗
gen die Sonne getrieben werden.
22.
Die Theile des von einem Koͤrper beſchriebenen
Weges ſind Merkmale ſeiner Fortdauer. Die
Fortdauer zerfaͤllt auf aͤhnliche Art in Abſchnitte, wie
ber beſchriebene Weg in Theile. Wenn auf ben be;
wegten Koͤrper aͤußere Urſachen wirken, ſo geben die
Theile bed beſchriebenen Weges nicht allein Merkmale
der Fortdauer, ſondern auch des in Abſicht auf die
Bewegung veraͤnderten Zuſtandes ab. Sie ſind alſo
nun nicht geſchickt, die Abſchnitte der Fortdauer zu
meſſen. Zu dem Ende muß der Koͤrper ganz frey
von allec aͤußern Einwirkung gedacht werden.
23:
Die Seit ift ein Abſchnitt in ber gortbauer eines
von aller aͤußern Einwirkung ftepen bewegten Koͤrpero,
und proportional dem beſchriebenen Wege.
Ein ruhender Koͤrper giebt feine. aͤußere Sect:
male der Fortdauer; ein bewegter Koͤrper, welcher
der Wirkung einer aͤußern Urſache ausgeſetzt iſt, auch
G85 nicht
FMOTR 259. «wa
nit ($. 22.); wird aber bie Bewegung bird) feine
áufere Urſache veránbert, fo ift fie gang allein. eit
Merkmal ber Fortdauer des Koͤrpers in. bem Zuſtan⸗
de, worin er ſich befindet, ſo fern wir dieſen Zuſtand
bloß als etwas Inneres anſehen, das durch bie Ver⸗
aͤnderung des Orts nicht veraͤndert wird. Die Ab⸗
ſchnitte des Weges ſind alfo reine Merkmale ber Ab⸗
ſchnitte der Fortdauer oder der Abſchnitte der Zeit,
und daher ſind die Wege den Zeiten proportional.
24.
Die Bewegung eines Koͤrpers ift gleichfoͤrmig,
wenn keine aͤußere Urſachen auf ihn wirken. Sie iſt
alsdann auch geradlinicht, weil jede krumme Linie in
jedem ihrer Puncte eine beſtimmte, veraͤnderliche ober
unveraͤnderliche Kruͤmmung fat, bie Bep einem wirk⸗
lichen bewegten Koͤrper von einer aͤußern Urſache ab⸗
haͤngen mnf.
25.
Wenn aͤußere Urſachen auf einen. Koͤrper toitfen,
ſo wird entweder bloß die Laͤnge des Weges geaͤndert,
welchen er ſonſt, ohne jene Einwirkung, in irgend
einem Abſchnitte ſeiner Fortdauer wuͤrde beſchrieben
haben. Die Bewegung bleibt geradlinicht, iſt aber
ungleichfoͤrmig. Oder die Richtung wird bloß ge⸗
énbert, nicht aber ber Weg, ber in einer gewiſſen
gerit
FRAYTM 459. ^w»
Seit nad) bet geraden Cinie beſchrieben waͤre. Die
Bewegung bleibt nun gleichfoͤmig Ober es wird
ſowol die Laͤnge des Weges als bie Richtung deſſelben
geaͤndert, und die Bewegung iſt krummlinicht und
ungleichfoͤrmig zugleich.
26.
Die Selten. werden bloß durch Zahlen ausge⸗
druͤckt, welche fid) wie bie gleichfoͤrmig beſchriebenen
Wege verhalten. Wir koͤnnen ſie nicht anders als
durch Zahlen darſtellen, wenn wir fie von ben 28e:
gen ſelbſt unterſcheiden, da der Begriff von Zeit nichts
Sinnliches iſt, welches unmittelbar gegeben werden
koͤnnte. Die Einheit der Zeit iſt voͤllig willkuͤhrlich,
wie jede Zahl⸗Einheit. Man nehme einen willkuͤhr⸗
lichen Theil des gleichfoͤrmig beſchriebenen Weges, und
nenne bie Seit, bie ber Koͤrper dazu gebraucht, bie
Einheit ber 3eit, fo giebt jeder andere Weg dieſes
gleichfoͤrmig bewegten Koͤrpers, dividirt durch jenen
feſtgeſetzten Weg, die Zeit. Und der Weg, dividirt
durch bie Zeit, giebt bie Einheit fuͤr den Weg.
27.
Man mufi fid) alfo einen Koͤrper A gedenken,
der ſich gleichfoͤrmig bewegt, um durch die Wege
deſſelben die Zeiten zu meſſen. Bey der Be—
wegung eines andern Koͤrpers B, es ſey nun einer
gleich⸗
^" (460 "em
oleichfoͤrmigen ober. ungleichfoͤrmigen, wird bie Zeit
butd) ben Weg des Koͤrpers A, ben dieſer mit B gu,
gleich beſchreibt, vermitteljt irgend einer Einheit für
die Wege als eine Zahl dargeſtellt.
In der Natur haben wir zweyerley Einheiten
fuͤr die Zeit, die wir auch beide gebrauchen, die Zeit
einer. Umdrehung bet Erde um ihre Axe, unb die
Zeit eines Umlaufes derſelben um die Sonne. Die
Umdrehung der Erde ſehen wir als gleichſoͤrmig am,
ſo daß ein Punct des Aequators oder eines Parallel⸗
kreiſes auf der Erde die Bewegung, die er hat, ohne
aͤußere Einwirkung fortſetzt. Wenigſtens ſetzen mit
den Einfluß des Mondes, den dieſer etwa haben koͤnn⸗
te, bey Seite. Nun nehme man den Umfang des
Aequators oder irgend einen Theil deſſelben zur Ein⸗
heit des Weges, ſo iſt ein Tag (Sterntag, nicht
Gonnentag) ober die bem angenommenen Theile pror
portionale Seit ( Ctunbe, Minute, Secunde,) bie
Einheit bet Seit, Die Seit be$ lmlaufe$ um bie
Sonne, aí$ Einheit betradjtet, ift ein Syabr. Wir
nehmen bie Jahre gleid) groß, wiewol hier eine gang
kleine Ungleichheit Statt haben moͤchte. Nur ſind
hier die Abſchnitte des Weges nicht den Zeiten pro⸗
portional, ſondern, wie die Aſtronomie lehrt, ſind
bie Flaͤchenraͤume um bie Sonne ben Zeiten propor;
tíonaf , bie kleinen Abweichungen wegen ber. Cinmir:
kung
"vr. 46r s
fung ber dirigen Himmels koͤrper nicht geredjnet. Da⸗
her müffen die Abſchnitte des Syabré durch Umdre—
hungen ber Erde unb Theile derſelben ausgedruͤckt
werden.
28.
Das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten bey
gleichfoͤrmigen Bewegungen iſt das Verhaͤltniß ber
Raͤume, die in gleichen Zeiten beſchrieben werden.
Wenn der Weg eines Koͤrpers A durch s, die
Zeit burd) t, ín Beziehung auf eme gewiſſe Einheit,
bezeichnet wird, fo it ber ín ber Zeit ; Cinfeit
beſchriebene Weg.
Wird der Weg eines andern Koͤrpers B durch
S, bie Seit durch T ausgebrudt, fo iſt für dieſen
S
q der in ber acit ; Ginfeit beſchriebene Weg. Alſo
derhalten fid) bie Geſchwindigkeiten mie * : . Der
Kuͤrze wegen nennt man den Quotienten TE
ſchlechtweg bie Geſchwindigkeit, welche alsdann nichts
anders als der in einer beſtimmten Zeit gleichfoͤrmig
beſchriebene Raum iſt, aus deſſen Groͤße bie Geſchwin⸗
digkeit erkannt wird.
29.
f^AYFR 462. ^n
29.
Bezeichnet man. für denſelben Sórper A irgend
eine Seit butdy t, unb eine andere Zeit burd) t t At;
beéaleid)en den Weg ín jener Seit durch s, ben Weg
in biefer bur s t As, fo i(t bey ber gleichfoͤrmigen
AS
Bewegung 47 —— bet Geſchwindigkeit. Bezeichnen
As
toit biefe durch v, fo ift Ato"
40.
Iſt bie Bewegung ungleichfoͤrmig, fo ift ble Ge
ſchwindigkeit veránberlid), unb ín jebem 3eítabfd)nits
te, er mag fo klein, als man will, genommen werden,
von einer anberm Groͤße. Die Geſchwindigkeit in
ſedem Puncte des Weges iſt ſo groß, als diejenige ſeyn
wuͤrde, mit welcher er gleichſoͤrmig fortgienge, wenn
bie aͤußern Urſachen von dieſem Puncte des Weger an
aufhoͤrten auf ihn zu wirken. Dieſe Geſchwindigkeit
Às
wird burd) ber Quotienden "i deſto genauer angeger
ben, je kleiner der Naumtheil As und bas dazu gehoͤ⸗
rige Zeittheil At iſt. Sie kann aber doch nicht voͤllig
genau dadurch angegeben werden, ſo lange As und At
noch endliche Groͤßen ſind, die ſich durch Maaß und
Zahl darſtellen laſſen. Mm die Geſchwindigkeit voll
Font
FMOT^ 463 ^X
fommen darzuſtellen, muf man anftatt T bie Gráni
t
ze fe&en , welcher fid) dieſer Quotient ofne Ende ná
fert, je kleiner As unb At genommen werden. Dieſe
d
wird butd) ^ bezeichnet, wo ds unb dt bie verſchwin⸗
benben Unterſchiede zweyer Wege unb Selten bezeichnen,
auf deren Verhaͤltniß bie Groͤße derſelben keinen Cin;
fluß hat. Die veraͤnderliche Geſchwindigkeit heiße v,
fo iſt bie allgemeinſte Formel ber. Mechanik dieſe:
— — V
dt
Ote gilt aud) für gleichfoͤrmige Bewegungen, tvo
ble Geſchwindigkeiten eben. fo gut. burd) bie kleinſten
ff8ege unb Seiten als durch groͤßere Wege unb Zeiten
dargeſtellt werden.
3t.
fun ift bie rage, mo ble Urſache bet verá
berten Bewegung zu ſuchen iſt. Wenn wir bie. Wir⸗
kung intellectueller Kraͤfte ausſchließen, ſo liegt ſie in
den Koͤrpern ſelbſt. Was ſonſt ſie enthalten koͤnnte,
liegt außer unſerm Geſichtskreiſe, und kann alſo in
unſere Philoſophie und Rechnung uͤber Bewegung
nicht hineingebracht werden. Wollen wir den Naum
außer den Koͤrpern mit einer hoͤchſt feinen fluͤſſigen
Mate⸗
⸗464 ^at
Materie ausfüllen, fo wird dieſe, wenn fie ſelbſt tut,
bloß Bewegung vermindern, nicht beſchleunigen koͤn⸗
nen, und zwar nur nach der Richtung der Bewegung.
Bewegte fie fid) gleichſfoͤrmig nach derſelben Richtung,
fo wollen mir nod) nicht fragen, woher fie dieſe Des
wegung babe, fonbern nut, woher bet Strom urn:
aufhoͤrlich ſortfließe, wie c8 bod) ſeyn muf, menu
wir barín cine Urſache der Bewegung fudyen vollen.
Bewegt fid bíe fluͤſſige Materie ín einem. Seife obet
fonft ín bie Stunbe, fo í(t wieder bie Frage, woher
bie Ablenkung von ber geraben Linie, welche auf$
neue eine aͤußere Kraft bey dieſer flüffigen Materie
vorausſetzt. I: Damit wird nidt bie Moͤglichkeit, felbft
nicht bie Wahrſcheinlichkeit einer. folem Materie ges
feugnet, nur das wird geleugnet, daß fie Urſache
ber Veraͤnderung ber Bewegung anberé als burd) ben
Widerſtand feyn koͤnne. Es wird ſogar in einem voll;
ſtaͤndigen Syſtem der Mechanik nothwendig ſeyn, die
Wirkungen einer ſolchen fluͤſſſgen, beweglichen, wider⸗
ſtehenden Materie zu unterſuchen.
32.
Die Fortdauer eines Koͤrpers enthaͤlt ben Be⸗
griff von etwas Unveraͤnderlichem, das aber mit vers
aͤnderlichen Beſtimmungen verknuͤpft iſt. Ein innerer
Grund bec Veraͤnderlichkeit kann nicht ín einem Koͤr⸗
per gedacht werden, man muͤßte ihn dann ſich als
ſelbſt⸗
K^AvYM 465 ^w
ſelbſtthaͤtig gedenken, wozu Vorſtellnngs⸗ unb Willens⸗
kraft gehoͤren wuͤrden, ober man muͤßte ihn aus un:
gleichartigen auf einander wirkenden Theilen zuſam⸗
menſetzen, wovon bier nicht die Rede ift, ſondern erſt
in der ſpeciellen Phyſik gehandelt werden kann. Hier
im Allgemeinen betrifft alle Veraͤnderlichkeit bloß die
Bewegung, nad) ihrer Richtung und Geſchwindig⸗
keit. Warum die eine oder die andere oder beide auf
dieſe unb feine andere Art ohne aͤußere Urſachen ge⸗
aͤndert wuͤrden, laͤßt ſich aus einem innern Grunde
nicht begreifen. Die Abweichung von der Richtung
koͤnnte fo qut auf bie eine als bie andere Seite aer
ſchehen, unter eínem grófern ober kleinern Winkelz
die Geſchwindigkeit fónnte fif) mehr ober weniger
veraͤndern, eben ſo gut zunehmen als abnehmen, oder
ſo gut abnehmen als zunehmen. Es muß ein aͤußerer
Grund der Veraͤnderung der Bewegung da ſeyn, und
wenn der Koͤrper aus der Ruhe in den Zuſtand der
Bewegung verſetzt wird, eine Urſache dieſer Bewegung.
Sonſt koͤnnen wir uͤber Bewegung gar keine Betrach⸗
tungen anſtellen; alles waͤre willkuͤhrlich, wenn wir
die Urſache des Ueberganges von Ruhe zur Bewegung
unb bet Veraͤnderungen ber Bewegung in ber Koͤr⸗
per ſelbſt ſuchen wollten.
Wir ſchreiben alſo dem Koͤrper ein Beharrungs⸗
vermoͤgen zu, das iſt, eine Unveraͤnderlichkeit ſeiner
Philoſ. Mag. 4. Gt. $5 Fort⸗
A466
Fortdauer in Abſicht auf Ruhe und Bewegung, ſo
fern nicht aͤußere Urſachen auf ihn wirken. Zufolge
dieſes Beharrungsvermoͤgens beſchreibt er eine gerade
Linie gleichfoͤrmig, wenn er in Bewegung iſt, und
alle aͤußere Urſachen einer Veraͤnderung entfernt met;
ben. Das Beharrungsvermoͤgen ift nidt als eine
Kraft anjufeben , als welche eine beſtimmte Urſache
der in einem andern Koͤrper gewirkten Veraͤnderungen
iſt. (Von Hervorbringung oder Zuſammenſetzung oder
Entwickelung iſt hier nicht die Rede.) Ein Srpet
braucht keine Kraft zur Fortdauer, obgleich Kraft
erfordert wird, ſeine Fortdauer anders zu beſtimmen,
das iſt, ſeinen Zuſtand in Abſicht auf Ruhe oder Be⸗
wegung zu veraͤndern.
33-
Inzwiſchen finbert ba8 Uwermoͤgen be$ Koͤr⸗
pers, feine Bewegung durch eine innere raft zu aͤn⸗
dern, nicht, daß er nicht in einem andern Koͤrper
eine beſtimmte Bewegung hervorbringen koͤnne.
Denn der Begriff des Daſeyns enthaͤlt nicht bloß den
Begriff einer bedingten Unveraͤnderlichkeit, ſo fern
aͤußere Urſachen bey Seite geſetzt werden, ſondern
auch den Begriff von Wirkſamkeit. Jene bedingte
Unveraͤnderlichkeit iſt nur der erſtere Grad des Seyns;
die Veraͤnderlichkeit des Zuſtandes ſetzt wieder Wirk⸗
ſamkeit voraus, oder man muͤßte die Urſachen außer
bec. Koͤrverwelt ſuchen. Ohne dieſe Wirkſamkeit,
als
fAvrA 462
als eine Folge aus bem Begriffe bed Daſeyns, koͤnnen
wir gar keine Unterſuchungen uͤber die Bewegung an⸗
ſtellen. Intellectuelle Urſachen ſollen bier ausgeſchloſe
fen ſeyn; ein fluͤſſgges Mittel, welches einige zur Gt;
klaͤrung der Bewegungen gebraucht haben, fónnen mit,
ohne einen Kreis in der Erklaͤrung ju becefen, auch
nicht annehmen: es bleibt alſo nichts uͤbrig, als den
Koͤrpern ſelbſt eine gegenſeitige Kraft beyzulegen.
Freylich wird hiedurch nicht erklaͤrt, wie dieſe Wirk⸗
ſamkeit in den Koͤrpern gegruͤndet iſt; ſie wird nur
fuͤr eine nothwendige Eigenſchaft derſelben erklaͤrt.
34
Die Wirkſamkeit beſteht entweder in einem Be⸗
ſtreben der Koͤrper ſich einander zu naͤhern, oder ſich
von einander zu entfernen. Da wir den Grund der
Wirkſamkeit nicht entdeckt, ſondern blog ihre Noth—⸗
wendigkeit eingeſehen haben, ſo koͤnnen wir fuͤr keine
ber beiden Arten von. Wirkſamkeit entſcheiden. In—⸗
zwiſchen bleibt das Beſtreben der Annaͤherung das
vorzuͤglichere, weil bey demſelben es moͤglich iſt, daß
mehrere Koͤrper ein bleibendes Syſtem ausmachen,
dagegen bey bem. Beſtreben fid) von einander zu ent;
fernen keine wiederlehrende Bewegung Statt findet.
35.
Man nehme affo, unb fep e$ aud) nur alt ben
cingigen brauchbaren dall unter zweyen, bíe nur móg:
$62 lid)
CAMERM 468. vues
lij (inb, att baf bey ben wirklichen Koͤrpern ein gegen⸗
ſeitiges Beſtreben ſich einander zu naͤhern Statt fin⸗
det. Dieſe Kraft wird in den Koͤrpern, ſie moͤgen
ruhen oder fid bewegen, in jenem Falle eine Bewe⸗
gung, in dieſem eine Veraͤnderung der Bewegung,
entweder bloß in Abſicht auf die Geſchwindigkeit oder
auch in der Richtung, hervorbringen. Sn fo fern bie
Richtung be8 Koͤrpers mit ber Richtung ber Kraft,
bie auf ibn wirkt, uͤbereinkommt, ober einen ſpitzen
Winkel mit derſelben macht, wird die Bewegung des
Koͤrpers beſchleunigt, und die Kraft heißt daher eine
beſchleunigende Kraft. Waͤre aber die Bewegung
des Koͤrpers ber Nichtung ber Kraft entgegengeſetzt,
vder machten beide Richtungen einen ſtumpfen Win⸗
kel mit einander, ſo wird zwar die Bewegung lang⸗
ſamer gemacht, allein dieſe Retardation iſt eine rela⸗
tive Beſchleunigung, ſo wie die abſolute Verminde⸗
rung einer negativen Groͤße eine relative Vergroͤße⸗
rung derſelben iſt.
( Der Schluß ín bem naͤchſten Stuͤcke.)
Aluͤgel.
VI.
(vr 469 73
FSIPSIPSIASIA IISVPSUISqKQPSVHÀIASI PS) POPSIPSIPSQIPSVIPSUIPS(PR A JP
VI.
Heber bie 9(ntinomie der reinen
Ch ernunft.
Sn wir ben Sinn ber. tranófcenbentalen Aeſthe⸗
fif des Hrn. fant gufammenfafjen, fo ift er furg
biefer: Ger reine Raum unb die reine Seit (inb bloße
Formen unſrer Cínnlidjfeit; b. h. ber hinreichende
Grund, warum wir die Dinge im Raume und in
ber Zeit anſchauen, liegt lediglich im ber ſuhjectiven
Beſchaffenheit unſres Gemuͤths; oder dieſe iſt der
hinreichende Grund des empiriſchen Raumes und der
empiriſchen Zeit.
Leibnitz dagegen lehrt: Raum und Zeit ſind
zwar Erſcheinungen, und, als ſolche, in den Schran⸗
fen unſrer Erkenntnißkraft gegruͤndet; ihre Gruͤn⸗
de ſind aber auch objective, und in den wahren
Dingen (den Dingen an ſich), außer unſrer Vor⸗
ſtellung, folglich nicht zureichend in der ſubjectiven
Beſchaffenheit unfter. eingeſchraͤnkten Erkenntnißkraft
anzutreffen.
Hh 3 Herr
PM 470. MP
Herr Sant fofgert aus feiner Theorie tveiter s
ffüenn toit bie fubjective Beſchaffenheit unſrer Sinn⸗
lid)feit auffeben, fo verſchwinden Raum unb 3eit ;
folglich aud) bet. Synbegriff aller Erſcheinungen ín bern:
ſelben; unb bie ganze Sinnenwelt exiſtirt bemnad)
nicht an ſich ſelbſt, ſondern nur in uns.
Die Leibnitziſche Theorie behauptet: Die Dinge,
die wir im Raume und in der Zeit anſchauen, ſind
Erſcheinungen. Zu einer Erſcheinung gehoͤrt etwas
objectives, und etwas ſubjectives. Das Objective
find an ſich ſelbſt exiſtirende einfache Kraͤfte, die
nad) bem Geſetze ber. Staͤtigkeit wirken; das Cub:
jective aber dabey iſt die verworrene und bildliche
Vorſtellung individueller Beſtimmungen dieſer wirken⸗
den Kraͤfte, welche, als ſolche, in den Schranken unſres
Erkenntnißvermoͤgens gegruͤndet iſt. Der Inbegriff
der Erſcheinungen im Raume und in der Zeit, oder
die Sinnenwelt exiſtirt demnach nicht bloß in uns;
und wenn wir die ſubjective Beſchaffenheit unſres Ge⸗
muͤths aufheben, ſo verſchwindet zwar die bildliche
Geſtalt derſelben; aber das zu ihr gehoͤrige Objective
bleibt uͤbrig.
Daß Hrn. Kants transſcendentale Aeſthetik in
unſrer Ueberzeugung noch einige Luͤcken uͤbrig laſſe,
das haben wir in dem zweyten Stuͤcke dieſes phil.
Mag.
PRAMKR S ATYO àe»
Mag. (Nr. I.) un gu eroͤrtern Gemüft, unb ín eben
biefem Stuͤcke (S. x69. 1€), wie aud) ín bem drit—
ten (€. 248. :. unb Nr. IL), ift bie Wahrheit
bec Leibnitziſchen Theorie vert(eibigt rootben, bie aud)
$t. &ant íi Grunbe felbft anerfennt, wenn ec (Gr.
b. r. V. a. Xf. €. 538.) fagt: „den Grfdeinungen
müfje ein transſcendentaler Giegenftanb yum Grunde
liegen, oec fie afe blofie Vorſtellungen beftimmce, ;,
Wir fónnten uns alfo hiebey Derufigen, wenn
nidjt bem Leibnitziſchen Syſteme von einer anberm
Seite fet durch bie Kantiſche Vernunfteritik bee Un⸗
tergang gedrohet wuͤrde. Aus einer dogmatiſchen
Vorſtellungsart der Welt naͤmlich ſollen unvermeidliche
Ungereimtheiten fofgen, die Vernunft ſoll fid) in noth⸗
wendige Widerſpruͤche verwickeln, wenn ſie voraus⸗
ſetzt, daß die Sinnenwelt an ſich ſelbſt, außer dem
Gemuͤthe exiſtire (€t. S. 507.), und der transſcen⸗
dentale Idealismus dagegen ſoll das einzige Mittel
ſeyn, dieſe Widerſpruͤche zu heben (Cr. d. r. V., d.
Ant. õter Abſchn. unb €. 506.).
In ben Beweiſen des, nad) Hrn. Kant, viet;
fad)en Widerſtreits der Vernunft uͤber bie cosmologi⸗
ſchen Ideen, ſtuͤtzen ſich entweder die Argumente fuͤr
den einen der widerſprechenden Saͤtze auf ſinnliche,
unb die für ben andern auf Verſtandesvorſtellungen,
Hh 4 oder
FMVERM 472. ^w
pbet fie gehen bey beiden widerſtreitenden Urtheilen
von Erkenntniſſen der Sinnlichkeit aus. Im erſten
Falle ſtreitet bie reine Vernunft mit ber Sinnlichkeit,
im andern aber die Sinnlichkeit mit ſich ſelbſt. Da
die Sinnlichkeit, wie Leibnitz lehrte, nicht bloß durch
objective, ſondern auch durch ſubjective Gruͤnde, die
ſehr verſchieden ſeyn koͤnnen, beſtimmt wird, ſo ſind
beide Arten des Widerſtreits moͤglich. Hingegen kann
reine Vernunft mit reiner Vernunft nicht ſtreiten;
denn ſie wird lediglich nach objectiven Gruͤnden be⸗
ſtimmt (ſ. Phil. Mag. 3. St. S. 304.). Daher
ſcheint uns zwar der Ausdruck: Antinomie der rei⸗
nen Vernunft nicht ganz bequem gewaͤhlt zu ſeyn;
abet wir erkennen es mit Dank, daß Hr. Sant bie
Widerſpruͤche, die aus der Verwechſelung der ſinnli⸗
chen mit der Verſtandeserkenntniß, beſonders in Ruͤck⸗
ſicht auf das Verhaͤltniß eines nothwendigen Weſens
zur Welt, entſtehen, in ihr gehoͤriges Licht geſtellt hat.
Leibnitzens Theorie der Sinnenwelt koͤnnte frey⸗
lich ferner keinen Anſpruch auf Wahrheit machen,
wenn es gewiß waͤre, daß ſie auf Ungereimtheiten,
von irgend einer Art, umnvermeíblid) fuͤhrte; allein
wir glauben uns übergeugt zu haben, baf in ihr oie
bet bogmatifd)en 93orftellungdart ven ber Welt vots
geworfnen Widerſpruͤche nid)t gegrünbet ſeyn, baf bier
ſelben vielmehr theils auf einer Taͤuſchung berufen,
die
bie durch Leibnitzens Vernunftcritik zuerſt Gintánglid)
zerſtoͤhrt iſt, theils aud) mit bem transfcenbentalen
Idealismus zugleich megfaflen. Sollten wir fo atüdf:
lid) ſeyn, von bem allen eine gruͤndliche Ueberzeugung
àu haben, fo mürbe ber transícenbentale Sjbealismué
nídjt bet einzige Weg ſeyn, auf bem mat vor ben ges
badjten Widerſpruͤchen eine ſichre Zuflucht fudjen duͤrfte.
Die ganze Antinomie der reinen Vernunſt ſoll,
nach Hrn. Kant, auf der ſophiſtiſchen Beſchaffenheit
des folgenden Vernunftſchluſſes beruhen (Cr. b. c. V.
a. X. S. 497): „Wenn das Bedingte gegeben iſt,
ſo iſt auch die ganze Reihe aller Bedingungen deſſel⸗
ben gegeben; nun ſind uns Erſcheinungen als bedingt
gegeben; alfo 1€. ,,
Syn biefem Schluſſe, lehrt ber transfcenbentafe
Idealismus (498 :€.), ift ein Sophifina figurae
dictionis entfalten. Der Oberfag nimmt bas Be⸗
bingte (n tranéfcenbentafer SDebeutung einer reinen
Categoríe; ber linterfa& aber ín. empirifd)er Bedeu⸗
tung eines auf bloße Erſcheinungen angewandten Ver⸗
ſtandesbegriffs. Wenn das Bedingte ſowohl, als die
Bedingungen Dinge an ſich ſind, ſo iſt mit dem Be⸗
dingten zugleich die vollſtaͤndige Reihe der Bedingun⸗
gen, mithin auch das Unbedingte zugleich gegeben;
denn jenes ift nuc durch dieſe Reihe moͤglich. Dage⸗
$565 gt,
474 a
een, toenn id) mit bloßen Erſcheinungen au thun far
be, fo gilt das keinesweges. Erſcheinungen finb bloße
Vorſtellungen, und daher gar nicht gegeben, wenn
ich nicht zu ihrer Kenntniß (d. h. zu ihnen ſelbſt;
denn ſte ſind nichts, als empiriſche Kenntniſſe,) gelange.
Wenn man demnach gegen dieſe Lehren des
transſcendentalen Idealismus bewieſen hat: daß die
Erſcheinungen nicht bloge Vorſtellungen, oder empi⸗
riſche Kenntniſſe ſeyn, ſondern daß zu ihnen auch et⸗
was Objectives, aufer unſerm Gemuͤthe exiſtirendes
gehoͤre; ſo verſchwindet die ſophiſtiſche Beſchaffenheit
des vorliegenden Arguments, mithin auch, wenn ſie
hierauf beruhet ( Cr. S. 497.), bie ganze Antinomie
der reinen Vernunft.
Ohne uns jetzt bey den Folgerungen aufzuhalten,
bie ſich hieraus, verbunden mit bem, was uͤber Leib—
nitzens Theorie der Sinnenwelt anderwaͤrts geſagt
ift (f. Phil. Mag. 2. €t. €. 169 x. 3. €t. S.
248. €. u. &.); wollen mir gleid) zu einer naͤhern
Sbetrad)tung ber Argumente fortgehen, womit ber
tranéfcenbentale Idealismus bie Behauptung untetr
ſtuͤtzt, daß fid) bie menſchliche Vernunft in nothwendige
Widerſpruͤche uͤber die cosmologiſchen Ideen ver—
wickele, wenn ſie die Welt, nach der dogmatiſchen
Vorſtellungsart von derſelben, fuͤr ein Ding an ſich
ſelbſt
WAT 475. Ti
ſelbſt aeften (ágt; unb alſo (nad) ber Lehre des trans:
fenbentalen Idealismus) einen eingebildeten und
falſchen Begriff von derſelben zum Grunde legt.
J. Der erſte Widerſtreit betrift die Idee von
der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Zuſammenſetzung des
gegebnen Ganzen aller Erſcheinungen; unb ſolgende
beide, in Ruͤckſicht auf dieſe Idee ſich widerſprechen⸗
de Saͤtze, ſollen gleich ſtreng bewieſen werden koͤnnen:
I) Die Theſis: bie Welt hat einen Anufang, in
bet Zeit, unb iſt bem Raume nad) in Graͤn⸗
zen eingeſchloſſen.
2) Die Antitheſis: die Welt hat keinen Anfang
und keine Graͤnzen im Raume, ſondern iſt,
ſowol in Anſehung der Zeit, als des Raums
unendlich.
Der fuͤr die Antitheſis gegebene Beweis lautet
fe *):
» San fe&e: bie Welt fabe einen 2fnfang. Da
bet Anfang ein Daſeyn it, wovor eine Seit vorher⸗
gebt,
*) Da es qut. Aufloͤſung des Widerſtreits hinreichend
iſt, Gruͤnde gegen die Statthaftigkeit des Bewei⸗
ſes fuͤr einen der widerſprechenden Saͤtze anzuge⸗
ben; ſo beruͤhre ich nur die Argumente fuͤr die
Antitheſis.
wav 476 Sup
geht, barín das Ding nidt i(t, fo muß eine Seit vot:
Dergeganaen ſeyn, darin bie Welt nid)t mar, 5. b.
eine (eere Zeit. Nun ift aber ín einet leeren Zeit kein
Entſtehen eines Dinges moͤglich, weil tein. Theil ci:
ner ſolchen Zeit vor einem andern irgend eine unter⸗
ſcheidende Bedingung des Daſeyns vor der des Nicht⸗
ſeyns an fid) hat (man mag annehmen, bafi fie von
fid) ſelbſt, oder durch eine andre Urſache entſtehe).
Alſo kann die Welt keinen Anfang haben, ſondern iſt
in Anſehung der vergangnen Zeit unendlich.
Man nehme ferner an: die Welt ſey dem Rau⸗
me nach endlich und begraͤnzt, ſo befindet ſie ſich in
einem leeren Raume, der nicht begraͤnzt iſt. Es wuͤr⸗
de alſo nicht allein ein Verhaͤltniß der Dinge im
Raum, ſondern aud) ber Dinge sum Raume ange⸗
troffen werden. Da nun die Welt ein abſolutes Gan⸗
zes iſt, aufer welchem fein Gegenſtand ber Anſchau—⸗
ung, unb mithin fein Correlatum ber Welt, ange;
troffen wird, womit dieſelbe im Verhaͤltniſſe (tee, fo
wuͤrde das Verhaͤltniß der Welt zum leeren Raume
ein Verhaͤltniß derſelben zu keinem Gegenſtande
ſeyn. Ein ſolches Verhaͤltniß aber, mithin aud) bie
Begraͤnzung der Welt durch den leeren Raum, iſt
nichts. Alſo iſt die Welt, dem Raume nach, gar
nicht begraͤnzt, d. i. ſie iſt der Ausdehnung nach
unendlich.
Beide
F^A»f^ 477 "à
Beide Theile dieſes Beweiſes (tü&en fi) auf bie
Vorausſetzung, baf nan eine leere Seít vor ber Welt,
unb einen leeren Raum aufer. ihr annebmen muͤſſe,
fobaíb man fid) dieſelbe als enblid) im Staume unb
in ber eit vorftellt. Denn aus dieſer voraufaebens
ben leeren. Seit ift bie Unmoͤglichkeit eines Weltan⸗
fangé, unb au$ bem begrángenben leeren Staume bie
Unmoͤglichkeit, bag bie Welt im Raume endlich fty,
abgeleitet.
Wer dieſes annimmt, dem wollen wir es zu ver⸗
theidigen uͤberlaſſen; Leibnitzens Vernunftceritik lehrt
das nicht. Nach dieſer iſt uͤberhaupt nicht die Frage:
ob eine unendliche leere Zeit die Reihe der Weltver⸗
aͤndrungen, unb ein unendlicher leerer Raum bie Men—⸗
ge der zugleich ſeyenden Dinge beſtimme, oder nicht;
denn die Frage waͤre ungereimt; ſondern: ob die
Menge der zugleichſeyenden Dinge und die Reihe der
Weltveraͤnderungen endlich ſey, oder unendlich? Raum
und Zeit ſind Erſcheinungen; ihre letzten Gruͤnde lie⸗
gen in bem Einfachen (Ph. Mag. 2. €t. €. 169 ꝛc.),
welches bemnad) ber Grund (bíe Bedingung) ihrer
Moͤglichkeit iſt. Sofern (ie Erſcheinungen ſind, wird
ihr Grund auch in den Schranken unſres Erkenntniß⸗
vermoͤgens angetroffen.
"Eie haben daher uͤberhaupt keine abgeſonderte,
fnt ſich beſtehende Exiſtenz, und ifr empiriſches
Da⸗
—⸗478 ^w
Daſeyn ift ſogar zum Theil von ber fubjectioen Be⸗
ſchaffenheit unſres Erkenntnißvermoͤgens abhaͤngig.
Mithin ſind ber leere Raum unb die leere Seit unger
reimte Dinge, bie nicht außer unb vor ber. Welt an;
getroffen werden, und die Endlichkeit derſelben der
Ausdehnung und Succeſſion nach unmoͤglich machen
koͤnnen.
Herr Kant iſt mit den Gruͤnden gegen die Moͤg⸗
lichkeit des leeren Raumes und der leeren Zeit zufrie—
den (ſ. Anm. zur Ant.), behauptet aber dennoch,
ohne einen Beweis hinzu zu fuͤgen: daß man dieſe
Undinge vor und außer der Welt durchaus annehmen
muͤſſe, wenn man eine Weltgraͤnze dem Raume und
der Zeit nach annimmt.
Inzwiſchen ſcheint dieſes vielleicht nur durchaus
nothwendig zu ſeyn, und iſt es in der That auch nur
dann, wenn man ſich die Welt in ihrer bildlichen
Geſtalt als an fid) unb außer bem Gemuͤthe exiſti⸗
rend vorſtellt; mithin Phaͤnomene, als ſolche, und
wahre Dinge (Dinge an ſich) mit einander verwech⸗
ſelt. Bey dieſer Vorſtellungsart der Welt hat die
Einbildungskraft keinen objectiven Grund, bey irgend
einem Puncte des Raumes oder der Zeit ſtehen zu
bleiben; ſondern fie geht uͤber jeden gegebnen Punct
hinaus; und wenn alſo die Menge der zugleichſeyen⸗
den Dinge, und die Reihe der Veraͤnderungen, als
end⸗
— 479 ux»
endlich angenommen werden, fo fe&t fie vor dieſe Rei⸗
fe eine (eere. Seit, unb aufer bem Inbegriff bet. et:
ſtern einen leeren Raum.
Dieſen Betrug bec Sinnlichkeit fat Leibnitz gus
erſt vollſtaͤndig aufgedeckt, und gewieſen: daß die
Dinge in der Welt, die wir anſchauen, daß Raum
und Zeit ſelbſt, Phaͤnomene, und, als ſolche, nicht
Dinge an fid) ſelbſt ſeyen; daß bas Bildliche in unf
rer Vorſtellung lediglich in den Schranken unſres Er⸗
kenntnißvermoͤgens ſeinen Grund habe, und außer
dem Gemuͤthe nicht angetroffen werde.
Mithin folgt es aus Leibnitzens Syſteme nicht,
daß man einen leeren Raum außer, und eine leere
Zeit vor einer im Raume und in der Zeit endlichen
Welt annehmen, und alſo zugeben muͤſſe: daß dieſe
extenſive und protenſive Endlichkeit der Welt unmoͤg⸗
lich ſey.
Folglich ſcheint ber Widerſtreit ber Vernunft
uͤber dieſe erſte cosmologiſche Idee gaͤnzlich weg⸗
zufallen.
Was ich hier vorgetragen habe, iſt auch nicht
etwa eine unerlaubte Ausflucht, wodurch ber Sinnen⸗
welt irgend eine intelligible untergeſchoben wuͤrde, um
bem; Raume unb. bet. Zeit aus bem Wege zu gehn;
ſondern nur eine kritiſche Abſondrung deſſen, was in der
Sinnen⸗
FMAT^ 480. ^"
Sinmenwelt objectiv unb fubjectio ift, was alfo wirk⸗
lich aufer uns epiftírt, unb was von unſrer Sinn,
lichkeit hinzugethan wird. Sollte aber bewieſen wer⸗
den: daß nad) Leibnitzens dogmatiſcher Vorſtellungs⸗
art der Welt ein leerer Raum außer ihr und eine
leere Zeit vor ihr angenommen werden muͤſſe; ſo
mußte auch der Begriff von der Sinnenwelt, den er
lehrte, zum Grunde gelegt, und der gedachte kritiſche
Unterſchied nicht aus den Augen geſetzt werden. Nicht
das Bildliche in unſter Vorſtellung von ber Sinnen⸗
welt, ſondern die einfachen Kraͤfte, in denen die (es
ten Gruͤnde aller Erſcheinungen liegen, mithin auch
des Raumes und der Zeit, (welche demnach nicht um⸗
gekehrt die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſchei⸗
nungen ſind) exiſtiren, nad) Leibnitzens Doginatismus,
an ſich ſelbſt, von unſrer Vorſtellung unabhaͤngig.
Wollte aber Hr. Stant bloß behaupten, daß die⸗
jenigen einen leeren Raum außer und eine leere Zeit
vor der Welt, wenn dieſelbe endlich ſeyn ſoll, anneh⸗
men, unb folglich bie Unmoͤglichkeit einer Begraͤn⸗
gung ber Welt in ber Seit unb. im Raume zugeſtehen
müffen, welche fid) bie &innenroeít in ihrer bildlichen
Geftaít als an (id) unb aufer bem Gemütbe exiſtirend
vorítellen, unb bem Raume unb ber Seit ein abfor
fute$ Daſeyn zuſchreiben: fo fann ba$ jugegeben mets
ben; benn wenn bloß dieſe Vorſtellungsart von bet
Welt
VMAMÉM 48r wu
Welt als widerſprechend unb unſtatthaft bargeftellt
werden ſoll, ſo trifft das ſehr gut mit dem, was Leib⸗
nitz lehrte, zuſammen.
Was nun insheſondre ben erſten Theil bet 95e
weiſes der Antitheſis anbetrifft; ſo ſey mir daruͤber
nod) folgende Bemerkung erlaubt. Wenn voir. von
bem, was bisher geſagt iſt, gang abſehen, unb ein:
raͤumen: wenn die Welt einen Anfang haben ſoll, ſo
muß eine leere Zeit vor ihr voraufgegangen ſeyn; und
ferner: in einer leeren Zeit iſt kein Entſtehen irgend
eines Dinges moͤglich: fo ſcheint die Wahrheit ber
Folge, daß die Welt keinen Anfang haben koͤnne, doch
noch in einem zweydeutigen Lichte zu ſtehen. Es
ſcheinen naͤmlich vier Hauptbegriffe in bem gebrauch⸗
ten Schluſſe zu liegen, der foͤrmlich ſo lautet:
Was in einer leeren Seit entſtanden ſeyn
muͤßte, das kann keinen Anfang haben (denn in der
leeren Zeit iſt kein Entſtehen moͤglich);
Nun muͤßte, wenn bie Welt einen Anſang haͤtte,
eine leere Zeit vor ihr voraufgegangen ſeyn;
Alſo kann die Welt keinen Anfang haben.
So lange die leere Zeit vor der Welt dauerte,
konnte freylich die Welt nicht entſtehen (denn der
Philoſ. Mag. 4. St. Ji An⸗
"^AvT^ 482 nm
Anfang bet Welt madjt bie Fortdauer ber leeten Zeit
unmoͤglich); aber baraus folgt nid)t, daß bas Cnt
ſtehen ber Welt uͤberhaupt unmóglid) war. 9Benn
dieſes folgen follte, fo muͤßte bewieſen ſeyn, baf das
Aufhoͤren ber leeren Zeit vor ber. Welt unmoͤglich ge:
weſen mate,
IL. Der zweyte cosmologiſche Zankapfel ift bie
Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Theilung eines
gegebnen Ganzen in der Erſcheinung. Die wider⸗
ſprechenden &age ſind:
1) Die Theſis: Jede zuſammengeſetzte Subſtanz
in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und
es exiſtirt uͤberall nichts, als das Einfache,
und das, was daraus zuſammengeſetzt iſt.
2) Die Antitheſis: Kein zuſammengeſetztes Ding
in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und
e$ exiſtirt uͤberall nichts Einfaches in derſelben.
Deer Beweis des erſten Theils der Antitheſis
lautet:
„Man nehme an: Ein zuſammengeſetztes Ding
Aaf$ Subſtanz) beſtehe aus einfachen Theilen. Weil
alles aͤußre Verhaͤltniß, mithin auch alle Zuſammen⸗
ſetzung
fe&ung aus Cub(tanyen nue im Raume moͤglich ift:
fo muB , au$ jo viel Theilen das Sufammengele&te bes
ſteht, aus eben fo viel Theilen aud) ber. Raum beftes
ben, ben e$ einnimmt. Nun beſteht ber Raum nicht
aus einfachen Theilen, ſondern aus S9tüumen. Alſo
muß jeder Theil des Zuſammengeſetzten einen Raum
einnehmen. Die ſchlechthin erſten Theile aber alles
Zuſammengeſetzten ſind einfach. Alſo nimmt das Gin;
fache einen Raum ein; und wuͤrde ein ſubſtanzielles
Zuſammengeſetzte ſeyn, welches fid) widerſpricht.,
Hier, glaube id), kann man bie Theſis unb An—
titheſis mit ihren Beweiſen zugeben, ohne deshalb
etwas widerſprechendes zu behaupten. Denn in der
Theſis wird bewieſen: daß oie Vernunft bie Ge;
mentarſubſtanzen, als bie erſten Subjecte aller. Zu—
ſammenſetzung, unb folglich vor derſelben als ein⸗
fade Weſen denken muͤſſe; ob mir gleich dieſelben
nie außer ben Zuſtand ber. Verbindung ſetzen und ifo;
liren koͤnnen (Cr. b. rv. V. Bew. b. Theſ.). Qa:
gegen iſt der Sinn der Antitheſis bloß der: daß das
Einfache nicht angeſchaut werden koͤnne, daß kein
Theil eines Gegenſtandes der Sinne, als ſolches,
einer Erſcheinung, als Erſcheinung betrachtet, ſchlecht⸗
bin einfach ſey (Qnm. zur Antith.).
Auch Leibnitzens Syſtem lehrt eben dies. In
einer Erſcheinung, als ſolcher, kann kein Theil der
Ji 2 klein⸗
FPMAVERM 484 eA
kleinſte feyn ; jeber Theil ift. wieder eine Erſcheinung,
und folglich zuſammengeſetzt; wir koͤnnen durch die
Sinne nie das Einfache erkennen (Pit. Mag. 2. €t.
S. 146.). Aber daraus folgt nicht, daß es an ſich
uͤberall nicht da ſey; denn das waͤre der Schluß: was
ich nicht empfinde, das iſt nicht. Die einfachen, wir⸗
kenden Kraͤfte liegen der Erſcheinung zum Grunde,
und werden von dem Verſtande, aber nur von dem
Verſtande, nach ihren allgemeinen Beſtimmungen er⸗
kannt. Der Grund einer gegebenen Erſcheinung iſt
alfo für ben Verſtand nicht ins unenblid)e wieder eine
Erſcheinung.
Ob alſo gleich in dieſen Behauptungen nichts
miberjpred)enbeé liegt; fo fey e$ mir bod) erlaubt, zu
dem Beweiſe der Antitheſis noch eine und die andre
Anmerkung hinzu zu ſetzen. In dem erſten Theile
deſſelben ſcheint mir entweder ein Schluß mit vier
Hauptbegriffen zu liegen, oder das voransgeſetzt zu
ſeyn, was bewieſen werden ſollte. Es wird naͤmlich
ſo geſchloſſen:
1) Jedes aͤußre Verhaͤltniß iſt nur im Raume
moͤglich;
Die Zuſammenſetzung aus Subſtanzen iſt
ein dergleichen Verhaͤltniß;
Alſo ꝛtc.
2)
FAT 485 ^»
2) Was nut im Raume moͤglich ift, beffen
Theile (fofern e$ ein aus Subſtanzen gu:
ſammengeſetztes Gange ift, ober: deſſen aug
€ubftangen zuſammengeſetzte Cbeile — ef;
men (eit Sujammenfe&ung aus Cubitangen
nur im Raume móglid) ift) jeder einen Theil
bes Raumes cin, ben ba$ Gange einnimmt 5
Nun ift ba$ Sufammengefe&te nuc im Stau:
me moͤglich:
Alſo nemen alle Theile beffelben (aud) bíe
ſchlechthin einfadjen) einen € eil des Raumes
ein, ben das Gange einnimmt.
Folglich mu aus fo viet Theilen ba8 Zuſammen⸗
gefe&te beſteht, aus eben fo viel Theilen ber 9taum
befteben, ben es einnimmt.
Soll aber bie Form dieſer Schlußfolge ben
Schein des Unrichtigen verlieren, fo muß ber Ober—
ſatz in dem zweyten Schluſſe ſo lauten:
Was nur im 9taume moͤglich ift, deſſen ſaͤmmt⸗
liche Theile (auch die ſchlechthin einfachen, die es der
Vorausſetzung gemaͤß hat) nehmen jeder einen Geil
des Raumes ein, den das Ganze einnimmt.
313 Allein
F^ 486. ^
Allein biet kann nicht vorausgeſetzt werden; benn
das iſt es gerade, was bewieſen werden ſoll, daß
naͤmlich jeder Theil des Zuſammengeſetzten im Raume
wieder zuſammengeſetzt fep, unb einen Theil des 9tau:
mes einnehme.
In der Anmerkung zur Antitheſis ſucht Hr.
Sant bie Theorie ber. Monadiſten von der nicht un:
enbliden Theilbarkeit ber Sórpet nod) baburd) vetr
daͤchtig ju machen, baf er inen bie Evidenz ber. mar
thematiſchen Beweiſe, bie ba$ Gegentheil erhaͤrten
ſollen, entgegen ſtellt, und es fuͤr ungereimt erklaͤrt,
bie Unleugbarkeit der Mathematik wegvernuͤnfteln
zu wollen, und anzunehmen, daß gaͤnzlich einfache,
phyſiſche Puncte durch bloße Aggregation einen Raum
erfuͤllen koͤnnen.
Inzwiſchen, da die Mathematik den Raum und
die zuſammengeſetzten Dinge in demſelben bloß als
Erſcheinungen betrachtet, unb bie unendliche Theil—⸗
barkeit derſelben, inſofern ſie ſolche ſind, erweiſet,
ohne ſich um die letzten Gruͤnde zu bekuͤmmern, die
eine Erſcheinung moͤglich machen: fo bleiben dieſe ma;
thematiſchen Beweiſe von ben Monadiſten gaͤnzlich uns
angefochten. Dieſe lehren, mie bie Mathematiker:
daß kein Theil einer Erſcheinung, als ſolcher, der
kleinſte ſey; ſetzen aber hinzu: daß jeder Erſcheinung
etwas
Four 487. ^e
etwas ſchlechthin Einfaches gum Grunde liege, das
nad) feinen allgemeinen Beſtimmungen von bem 33er:
ftanbe erkannt werde; unb durch feine Wirkungen
nach dem Geſetze der Staͤtigkeit die letzten Gruͤnde
des Zuſammengeſetzten im Raume, und des Raumes
ſelbſt enthalte; folglich den Raum nicht durch bloße
Aggregation evfüíle.
Hieraus ergiebt ſich endlich auch, warum man
nicht den Raum fuͤr die Bedingung der Moͤglichkeit
der Koͤrper, ſondern das dynamiſche Verhaͤltniß der
den Koͤrpern zum Grunde liegenden Subſtanzen fuͤr
die Bedingung der Moͤglichkeit des Raumes halte;
und die Koͤrper nicht bloß als Vorſtellungen in uns,
ſondern auch als außer dem Gemuͤthe, und an ſich
exiſtirend annehme.
Da nun Hr. Kant eingeſteht (f. Anm. zur An⸗
tith.), daß ber Beweis ber Monadiſten fuͤr bie nicht⸗
unendliche Theilbarkeit ber Koͤrper, unter Voraus—
ſetzung der Wahrheit der gedachten Theorie, guͤltig
ſey: ſo giebt er dadurch ſelbſt zu, daß nach ihrem
Syſteme uͤber bie vorliegende coemologiſche Idee fein
Widerſtreit der Vernunft mit ſich ſelbſt ſtatt finde.
III. Der dritte Widerſtreit betrifft die Idee der
abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Eniſtehung einer Er⸗
ſcheinung.
$i 4 1)
x) Die Theſis (autet: Die Gaufalitát nad) Ge
fe&en ber Natur iſt nicht bie einzige, aus wel⸗
cher bie Erſcheinungen ín ber Welt insge⸗
ſamt abgeleitet werden koͤnnen; es iſt noch
eine Cauſalitaͤt durch Freyheit zur Erklaͤrung
derſelben anzunehmen nothwendig.
2) Die Antitheſis: Es iſt feine Freyheit, fons
dern alles in der Welt geſchiehet lediglich nach
Geſetzen der Natur.
Der Beweis der Theſis hat dieſe Geſtalt:
„Man nehme an: e8 gebe keine andre Cauſali⸗
taͤt, als nach Geſetzen der Natur, ſo ſetzt alles, was
geſchieht, einen vorigen Zuſtand voraus, auf den es
unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber
der vorige Zuſtand ſelbſt etwas ſeyn, was geſchehen
iſt (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war),
weil, wenn es jederzeit geweſen waͤre, ſeine Folge
auch nicht allererſt eutſtanden, ſondern immer geweſen
ſeyn wuͤrde. Alſo ijt bie Cauſalitaͤt, durch welche et:
was geſchieht, ſelbſt etwas Geſchehenes, welches nach
bem Geſetze der Natur wiederum einen vorigen Zu⸗
ſtand und deſſen Cauſalitaͤt vorausſetzt, und ſo ins
unendliche. Alſo giebt e$ feine Vollſtaͤndigkeit bet
Reihe auf bet Seite bec von einander abſtammenden
Ur⸗
FXMT^ 489 wc»
Urſachen. Sun beſteht aber eben darin ba& Geſetz
ber Natur: baf obne hinreichend a priori beftimmte
Urſache nichts geſchehe. Alſo widerſpricht ber Caf,
daß alle Cauſalitaͤt nur nad) Naturgeſetzen moͤglich ſey,
fib ſelbſt im feiner unbeſchraͤnkten Allgemeinheit. Folg⸗
lich muß eine transſcendentale Freyheit angenommen
toerben. ,,
Der vot ung liegende Beweis erfüllt, wie es
uns deucht, feinen Zweck níd)t gang. — (66 follte be:
wieſen werden, baf e$ in oer Welt eine tranefcen;
bentale Freyheit, ober Urſachen gebe, welche, obne
burd) hinreichende Gruͤnde Geftimmt gu ſeyn, Wirkun⸗
gen hervorbringen. Denn wenn die Theſis bloß be⸗
deuten ſoll: bag man uͤberhaupt (nicht eben in ber
Welt) eine Freyheit annehmen muͤſſe: ſo kann man
dies ganz wohl einraͤumen, unb daneben mit oer An—⸗
titheſis behaupten: daß alles in der Welt nach Ge⸗
ſetzen der Natur geſchehe, und daß keiner Subſtanz
in derſelben ein Vermoͤgen ber. transſcendentalen Frey⸗
heit beyzumeſſen ſey; welches, wie Hr. Kant ſelbſt
eingeſteht ((. Anm. zur Antith.), gar nicht wiber:
ſprechend iſt.
Nun erhellet aber aus dem gefuͤhrten Beweiſe,
wenn man auch nichts dagegen einwenden will, in
der That nur ſo viel: daß man uͤberhaupt ein Ver⸗
Ji5 moͤgen
W^A»f^ 400 4279
mógen annefmen müffe, welches, ohne burdj hinrei⸗
chende Grunde beftimmt gu feyn, Wirkungen fervor;
brinat. 26er voir werben nicht übergeugt, baf citt
dergleichen Vermoͤgen in oer Welt jugegeben. wer⸗
den muͤſſe.
Wenn aber Hr. Kant meint (ſ. Anm. zur Th.):
Weil doch einmal das Vermoͤgen der Freyheit uͤber⸗
haupt bewieſen ſey, ſo ſey es nunmehr auch erlaubt,
mitten im Laufe der Welt verſchiedene Reihen, der
Cauſalitaͤt nach, von ſelbſt anfangen zu laſſen, und
den Subſtanzen in denſelben ein Vermoͤgen, durch
Freyheit zu handeln, beyzumeſſen: ſo iſt es deswegen,
weil es uͤberhaupt eine transſcendentale Freyheit geben
muß, nod) nicht einmal méalid), daß dieſelbe einer
Subſtanz in ber Welt zukomme; fie kann ein eigen⸗
thuͤmliches Vorrecht der außerweltlichen Subſtanz
ſeyn; unb wenn man aud) bte Moͤglichkeit einràumen
molte, fo folgt bod) daraus nicht, baf fie voirtltdj,
unb nod) meniger, bafi fie nothwendig in einer Sub⸗
ftang in der Wat angetroffen werde.
Wenn aber hier ein Widerſtreit der Vernunft
mit ſich ſelbſt ſtattfinden ſollte, ſo muͤßte dargethan
ſeyn, daß dieſelbe eine transſcendentale Freyheit in den
Subſtanzen in der Welt, und zwar nothwendig
annehmen muͤſſe.
Sollte
wXMER 40r o AN
Sollte aber aud) tie Grifteng einer. aBfofuten
Qpontaneitát uͤberhaupt mol burd) bie voraeíegten
Argumente bemiefen (eyn ?. Ich alaube baran zweifeln
au müffen. Wenn alleé ín ber Welt nad) bem. Cau:
fatitátégefe&e ber Jiatur, ober durch hinreichend 6e;
ſtimmende Grünbe geſchieht: fo giebt cé fein? Vollſtaͤn⸗
bigfeit der Reihe ber von einanber ab(tammenben llt:
fadjen in ber Welt; fonbern dieſe ganye Reihe ſetzt
nod) eine Caufolitat einer außerweltlichen Subſtanz
vorau$. Sie Caufalitát aber dieſer Subſtanz ift nicht
wieder etwas Geſchehenes. Denn die außerweltli⸗
che Subſtanz und alle ihre Handlungen ſind weder
im Raume, noch in der Zeit. Ihre Cauſalitaͤt kann
alſo nicht in der Zeit entſtanden ſeyn, und nicht einen
vorigen Zuſtand vorausſetzen, auf den ſie nach einer
Regel geſolgt waͤre, (welches doch ſeyn muͤßte, wenn
man auf eine transſcendentale Freyheit derſelben ſchlie⸗
ßen wollte), ob ſie wol durch hinreichende innere
Gruͤnde nothwendig beſtimmt wird; (nur die Sinn⸗
lichkeit, deren Bilder hier gar nicht eingemiſcht wer⸗
ben koͤnnen, ſtellt die beſtimmenden Gruͤnde als vot:
aufgehend vor). Die Cauſalitaͤt der außerweltlichen
Subſtanz wuͤrde demnach die Reihe der von einander
abſtammenden Urſachen vollſtaͤndig machen, ohne noth⸗
wendig eine transſcendentale Freyheit zu haben.
IV.
FMT^ 492. ^w
IV. Der vierte eosmologiſche Widerſtreit geht
auf die Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Abhaͤn⸗
gigkeit der Erſcheinungen ihrem Daſeyn nach uͤber⸗
haupt. Die hieruͤber ſich widerſprechenden Saͤtze
ſind:
1) Die Theſis: Zur Welt gehoͤrt etwas, das
entweder als ihr Theil, oder ihre Urſach, ein
ſchlechthin nothwendiges Weſen iſt.
2) Die Antitheſis: Es exiſtirt überall kein
ſchlechthin nothwendiges Weſen, weder in
der Welt, noch außer derſelben, als ihre
Urſach.
Der erſte Theil der Antitheſis: daß in der Welt
kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, als ihre Urſach,
exiſtire, widerſpricht der Theſis nicht, ſofern dieſe das
Daſeyn einer ſchlechthin nothwendigen Welturſach nur
uͤberhaupt, als zur Welt gehoͤrig, verlangt; id) nehme
ihn daher als bewieſen an.
Der zweyte Theil ber Antitheſis: daß aufer
der Welt kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, als
ihre Urſach, angetroffen werde, iſt ſo bewieſen:
Man
FMAUKM 403. ^ae
„Man nehme an: es gebe cine ſchlechthin noth⸗
wendige Welturſach außer der Welt, ſo wuͤrde dieſelbe
als das oberſte Glied in der Reihe der Urſachen der
Weltveraͤndrungen, das Daſeyn der letztern und ihre
Reihe zuerſt anfangen. Nun muͤßte ſie aber alsdann
auch anfangen zu handeln, und ihre Cauſalitaͤt wuͤrde
in die Zeit, eben darum aber in den Inbegriff der
Erſcheinungen, b. i. ín bie Welt gehoͤren, folglich fie
ſelbſt, bie Urſache, nid)t aufer ber 9Beít fepn, wel;
ces ber 9BorauéjeGung widerſpricht. Alſo ift fein
ſchlechthin nothwendiges Weſen außer ber 9Belt (abet
mit ihr in. Cauſalverknuͤpfung) angutveffen. ,,
Wenn fier 6efauptet wird, baf eine notfmen:
dige 9Be(turfad), infofern fie Welturſach fepm folf,
nicht aufer bet Welt ſeyn fónne; fo laͤßt fid) dies, nach
Hr. Sante eigenem Geſtaͤndniſſe, aus bem Leibnitzi⸗
ſchen Syſteme nicht folgern. Hr. Kant ſagt zwar
(&r. b. x. V. a. A. S. 559), daß, wenn die Cr;
ſcheinungen Dinge an fid) waͤren, bie Bedingung ifs
res Daſeyns nothwendig zu einer und derſelben Reihe
der Anſchauung mit ihnen gehoͤren muͤſſe; aber er
geſteht auch ein (S. 560.), daß im entgegengeſetzten
Falle die Bedingung nicht eben nothwendig mit dem
Bedingten eine empiriſche Reihe ausmachen duͤrfe.
Da nun nad) keibnitziſchen Grundſaͤtzen Erſcheinungen
und Dinge an ſich genau unterſchieden werden (Phil.
Philoſ. Mag. 4. St. Kk Mag.
FMMMTT 404. "act
Maq. 3. €t. €. 261): fo kann e$ aud) nad) ben:
felben eine notfmenbige Welturſach geben, bie nicht
in ber. Welt iſt.
Was ben vor uns fiegenben Beweis ſelbſt bey
trifft: fo foll ber erſte Satz deſſelben entweder bebeu:
ten: bie angenommene, ſchlechthin nothwendige Welt⸗
urfad) aufer ber Belt. müffe een letzten hinreichenden
Grund von bem Daſeyn ber. SBeltveránberungen unb
ihrer Reihe entfalten 5; ober: bie Handlung berfelbert,
wodurch fie ote Weltveraͤndrungen unb ibre Reihe ferr
voróríngt, müffe biejer oet Seit nad) voraufaeben.
Sym erſten Salle aber fann daraus nicht geſchloſ⸗
fe erben: baf bie Gaufalitat dieſer Welturſache in
bie Seit geóre; benn baju, baf etwas ben binreis
chenden Grunb von etwas anberm enthalte, gehoͤrt
gar keine Zeitbedingung, weder ein Zugleichſeyn, noch
ein Voraufgehen.
Im andern Falle wuͤrde in dieſem Satze nicht
bloß bie Moͤglichkeit, ſondern auch bie Nothwendig⸗
feit deſſen, was bewieſen, unb aus demſelden herge⸗
leitet werden ſoll, ſchon vorausgeſetzt: daß naͤmlich
die Cauſalitaͤt der außerweltlichen, nothwendigen
Welturſach in die Zeit, und mithin in die Welt
gehoͤre.
Wollte
WAu»f^ 1405 "49
Wollte man abet aud) dies letztere zugeben, fo
ſcheint bod) daraus noch nicht zu folgen, daß die Ur—
ſach ſelbſt nicht außer der Welt ſey. Denn was von
einer Handlung, oder einem Accidens eines Dinges
uͤberhaupt, gilt, das gilt deswegen nicht von dem
Dinge ſelbſt, dem dieſes Accidens zukoͤmmt. Hr.
Kant behauptet z. B. ſelbſt: es ſey nicht widerſpre⸗
chend, anzunehmen, daß die Cauſalitaͤt unſrer 3Bet:
nunft in Anſehung ber Erſcheinungen empiriſch, fie
ſelbſt aber ein bloß intelligibles Ding ſey (Ant. IX.
Abſch.).
Dieſemnach laͤßt ſich nicht ſchließen: Wenn die
Cauſalitaͤt ber außerweltlichen, nothwendigen Welt⸗
urſach in bie Seit gebórt,' fo gehoͤrt aud bie Urſach
ſelbſt ín bie Seit, unb ift nicht aufer ber. Welt.
Maaß.
In⸗
Inhalt
des vierten Stuͤcks.
L1 Ueber den Urſprung bcr menſchlichen Erkennt⸗
nif, €. 369
II. $5erid-tigung eines Urtheils in ber allaem. Litt.
Sdtung — — — 5 — 4o6
II. Einige merfmürbige 9(ufflárungen über bie Un⸗
ruben ber Proteſtanten in. den Sevenniſchen
Gebuͤrgen. 413
IV. Beruhigung. An Theophron. 339
V. Grundſaͤtze ber reinen Mechanik, von H. rof.
Aluͤgel. 4
VI. Ueber bie Antinomie ber. reinen. Vernun
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