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Full text of "Aetas Kantiana"

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AETAS 
AS; BEBE WES 


"S m 
Der. 











BERKELEY 


LISRARY 
UNIvaaSITY OF 
CALIFORNIA 





AETAS KANTIANA 


Das kritische Werk Emmanuel Kants, 1724-1804, bedeutet einen 
entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Philo- 
sophie; besser, der Philosophie überhaupt. Zwischen 1780 und 1800 
liess Kant erscheinen : Die Kritik der reinen Vernunft, 1781; Die 
Kritik der praktischen Vernunft, 1788; Die Kritik der Urteilskraft, 
1790; Die Religion innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft, 
1793; Die Metaphysik der Sitten, 1797. Nicht aufgeführt sind dabei 
jene unzáhligen Schriften, die dazu bestimmt waren, die in diesen 
grundlegenden Werken ausgesprochenen Prinzipien zu verteidigen. 

Kant hatte nicht nur Schüler und Bewunderer. An Gegnern fehl- 
te es nicht. Es waren dies vor allem die Verfechter des Wolff'schen 
und Leibniz'schen Rationalismus. Andererseitz waren es Fichte, 
Schelling und andere Idealisten, die aus den von Kant aufgestellten 
Prinzipien die extremsten Forderungen zogen. 

Wenige Perioden waren so fruchtbar an Auseinandersetzungen 
von Ideen, an Versuchen von Systembildungen. Die Kant'sche Kritik 
gab den Anstoss zu einer ganzen philosophischen, kritischen und po- 
lemischen Literatur. Sie ist auch heute noch sehr máchtig. 

Trotz der verschiedenen und oftmals gegensátzlichen Strómun- 
gen, die sie charakterisieren, bilded die Aetas Kantiana ein unteilba- 
res Ganzes : etwa die ersten vierzig Jahre der Bewegung. Dieses Gan- 
ze, diese Aetas Kantiana, besagt eine enorme Literatur. Sie umfasst 
viel mehr als die gróssten Autoren dieser Epoche, sie seien nun kan- 
tianisch oder nicht. 

Dies ist der Grund, warum es nützlich, ja notwendig schien, die 
Werke in einem móglischt vollstándigen Corpus zusammenzustellen. 
Unter dem Namen Aetas Kantiana werden also, im Neudruck, die 
Originale oder die bestem Ausgaben der reprásentativsten Werke der 
Kant'schen Aera publiziert werden; mit Ausnahme, wohlgemerkt, 
der grossen Gesamtausgaben, die leicht zugánglich sind. 


IMPRESSION ANASTALTIQUE 
CULTURE ET CIVILISATION 
115 avenue Gabriel Lebon, Bruxelles 
1968 


Philoſophiſches 
Magazin. 


——Á——(WGÓ— 


$erauségegeben 


von 


Johann Auguſt Eberhard. 


Erſter Band. 


—————————————————————————————————————————— 
HALLE, 
bey Johann Jacob Gebauer. 
1789. 








Philoſophiſches Magazin. 


AD—————— p» 





$etauságegeben 


von 


Johann Auguſt Eberhard. 


Erſtes Stuͤck. 


— — — — — ——— — 





— — —— 


HALLE, 
bey Johann Jacob Gebauer. 
1788. 


VOAN STACK 


Vorbericht. 


Si. Abſicht unb die Ginrid)tung dieſes 
Magazins iff in ber vorlaͤufigen Nachricht, 
welche in dem erſten Aufſatze dieſes erſten 
Stuͤcks enthalten iſt, ſo ausfuͤhrlich angezeigt 
worden, daß id) in dieſem Vorberichte daruͤ⸗ 


* 2 ber 


Fur IV usc 
ber nichts hinzuzuſetzen habe. Slut einige 
Vortheile, fe) es mir erfaubt, mod) angw 
fübren, bie id) mit von bem Plane vet» 
ſpreche, mad) welchem wir unfere Gebanfen 
über bie neueſten Angelegenheiten in bem 
Reiche ber Philoſophie in furgen Aufſaͤtzen 
bem Publico vorgufegen wagen. 


Da natuͤrlicherweiſe unfere Unterſuchun⸗ 
gen aud) bisweilen polemiſcher Art ſeyn wet 
den: ſo glaubten wir, daß es nicht anders 
als vortheilhaft ſeyn koͤnne, wenn der Wider⸗ 
ſpruch ſich, ſo bald als moͤglich, einer neuen 
Behauptung entgegenſtellte. Das wuͤrde, 
dachten wir, den Nutzen haben, daß die 
Meinungen von beiden Seiten beſſer verſtan⸗ 

den 


fr OV cem 
ben wuͤrden, wenn bie eine fo gut afó bie att» 
bere, fammt ifren Grünben, nod) in frifd)em 
Andenken waͤre. Hiezu wuͤrde nod) fommer, 
daß, wenn wir ſelbſt eine Meinung nicht 
recht verſtanden haͤtten, welches bey Mate⸗ 
rien abſtruſer Speculation wol nicht ſelten 
der Fall ſeyn duͤrfte, die Belehrung uns ſo— 
gleich auf dem Fuße folgen koͤnnte. Da es 
uns nur um bie Wahrheit zu thun iſt: ſo 
wuͤrden wir dieſe Belehrung ſogleich nutzen 
unb unſern Jrrthum verbeſſern koöͤnnen. Auf 
dieſe Weiſe wuͤrde man endlich nach und nach 
ſich verſtaͤndigen, und — da ſo vieler Streit 
aus Mißverſtand entſteht, — endlich vic 
leicht auch wol gar vereinigen koͤnnen. Sollte 
dieſes aber auch nicht erfolgen: ſo wird es 


3 uns 


exr VI 4 

uns nicht bie geringſte Ueberwindung foffett, 
tie Unterſuchung, ba, two fid), wenigſtens 
tor ter anb, nichts gebeiblid)e8 mehr von 
ihr erwarten láft, abjubred)en, ofne auf 
ben fíeinen zweydeutigen Ruhm, as fefte 
Wort gehabt ju haben, eiferſuͤchtig gu ſeyn. 
Wenn der deutſchen Philoſophie in ihrem ge⸗ 
genwaͤrtigen Zuſtande das ſchwerlich zu et» 
wartende Gluͤck nicht beſchieden iſt, die wich⸗ 
tigſten Gegenſtaͤnde des menſchlichen Nach— 
denkens außer allen Streit ju ſetzen: ſo büt» 
fen wir deswegen nicht alle Hoffnung aufge⸗ 
Den. Was heute nicht geſchieht, kann mot» 
gen geſchehen, unb was in dieſem feben um» 
vollendet bfeibt , fann in einem fünftigen forts 
geſetzt werden; wenn wir nur feine Unterſu⸗ 

chung 


war VIDI 5-2» 
chung vot ber Zeit für geſchloſſen halten, unb 
ibren Ausgang mit Wahrheitsliebe unb obne 
Rechthaberey abmartert. 


Die Kuͤrze bec Aufſaͤtze kann aud) een 
Sytu&en haben, bof fie Mannigfaltigkeit uno 
Abwechſelung in unfere Sammlung bringen 
wird. So ungleichartig indeß die Materien 
ſcheinen werden; ſo wird es ihnen doch nicht 
ganz an einer gewiſſen Verbindung fehlen. 
Sie werden wenigſtens groͤßtentheils durch 
die Zeitumſtaͤnde veranlaßt ſeyn; es iſt aber 
leicht zu bemerken, daß beynahe immer in 
jeder merklichen Zeitperiode gewiſſe Unterſu— 
chungen, die in einer Wiſſenſchaft zu gewiſſen 
Zeiten herrſchend ſind, ſich mehr oder weni⸗ 

* 4 get 


ruv VII. ^v» 
get auj einander beziehen, unb durch ein ge» 
wiffeó Band, ba& bem forgfáftigern Beobach—⸗ 
fet nidjt gang unſichtbar iff , aufammengefal, 


fen werden. 


Bey biefem erſten Stuͤcke Gabe id) nur 
uͤber die Abhandlung von der wahren uno 
falſchen Aufklaͤrung noch einige Worte zu 
ſagen. Man hat ſich in derſelben bemuͤht, 
dieſe wichtige und ſchwere Materie mit derje⸗ 
nigen Ruhe und Gelaſſenheit zu unterſuchen, 
bie viele leſer an ben zahlreichen Schriften, 
die ſeit einiger Zeit daruͤber erſchienen ſind, 
noch immer vermiſſen werden. Anſtatt die 
Graͤnzen der oͤffentlichen Aufklaͤrung mit Bil— 
ligkeit und Unparteylichkeit aufzuſuchen, hat 

man 


fr» [X 


man (ie burd) 6raufenbe Declamationen nur 
nod) mebr verwirrt. Dieſe unüberfeate Hihe 
unb leidenſchaftliche Indiſeretion iff in feimet 
C rift merfid)er, afé in ben zwey Frag⸗ 
menten über oie Aufklaͤrung, — bie vor 
furgem erfd)ienen (inb, unb ein Aufſehen ets 
tegt haben, welches (fie burd) ihren innern 
Gehalt nicht verdienen. Wie wenig ifr 
Verfaſſer mit der Sache durchgaͤngig bekannt 
ſey, laͤßt ſich ſchon daraus abnehmen, daß 
er ben Galilaͤi wegen ber Wahrheit, daß 
die Erde rund ſey, verdammen laͤßt. 
Solche Fehler laſſen ſich ſelbſt durch die un— 
geſtuͤmſte Declamation nicht verdecken. Dies 
ſen Ungeſtuͤm der Declamation, ſo wie alle 
die llebertreibungen des falſchen Pathos, ſollte 


di. uͤber⸗ 


TAM X ve 

uͤberhaupt ber arünblid)e Deutſche ben ſeich⸗ 
teſten unter ben. franzoͤſiſchen Schriftſtellern 
nicht nachahmen, bie ihre Blaͤße in ſolche 
Rauchwolken zu verhuͤllen ſuchen, welche, 
anſtatt neues fict " geben, ba8 Tageslicht 
beà rufigen gefunben Verſtandes verbunfeln, 
bey bem wir, ofne fie, beffer (eben wuͤrden. 
Halle, ben 13, Octob. 1788. 


Der Herausgeber. 


Inhalt. 


& Yt S moi 22$ Dee 2 ud 


Inhalt. 


I. Vorlaͤufige Nachricht. 


Ik Ueber bie Schranken der menſchlichen 
Crfenntnig. 


IU. Ueber bie wahre und falſche Aufklaͤrung. 


IV. Cha⸗ 


AXII 4x25» 


IV. Góaracferghge der Mexicaniſchen jns 


bianer, 
I. Koͤrperliche Bildung. 
2. Haͤusliche Tugenden. 


3. Oeffentliche Tugenden. 
V. Epiſtel uͤber das Frauenzimmer. 


VI. Recenſionen. 


(p —t2 


Nach⸗ 


I. 


Nachricht 
von dem Zweck und der Einrichtung dieſes 
philoſophiſchen Magazins, 
nebſt 
einigen Betrachtungen uͤber den gegenwaͤrtigen 
Zuſtand der Philoſophie in Deutſchland. 


($i. Freunde ber Philoſophie haben fid) mit 
cínanber oerbunben, bie zerſtreuten Giebonfen, 
wozu ihnen bie neueſten Vorfaͤlle in ber. pbiloz 
ſophiſchen Welt Gelegenheit geben, ſich einander 
ſchriftlich mitzutheilen, und diejenigen, die eine 
ſorgfaͤltige Pruͤſung aushalten, in dieſem Ma— 
gazine aufzubewahren, und der Beurtheilung des 
Publicums vorzulegen. Sie glauben, die jetzige 
gute Regung, mit der man ſich ſelbſt fuͤr die dor⸗ 

Philoſ. Mag. 1. St. A nigſten 


fM A 512349 


nioftem Theile ber ſpeculativen Philoſophie su 
intereſſiren ſcheint, nugen gu müffen, um cínige 
nicht gang helle Gegenſtaͤnde ihrem beſten Lichte 
naͤher zu brngen; ihre Periode moͤchte geſchwind 
voruͤbergehen, und nicht ſo bald wiederkommen. 


In ihren eigenen aber ſowol, als in den 
allgemeinen Umſtaͤnden, worin ſich die gegenwaͤr⸗ 
tige philoſophiſche Aufklaͤrung in Deutſchland be⸗ 
findet, liegt noch verſchiedenes, was ihrem Plane 
eine beſondere Geſtalt giebt. 


Die philoſophiſchen Unterſuchungen ſcheinen 
jetzt ein groͤßeres Publicum zu haben, als ſie ſich 
tor funfzig Jahren ruͤhmen konnten. Der Gc 
brauch der Landesſprache in philoſophiſchen 
Schriften, die Eleganz, die Correction, die 
Schoͤnheit ber Compoſition, worin einige ber be» 
ſten Schriftſteller unſeres Vaterlandes ihre Philo⸗ 
ſophie gekleidet haben, das alles bat bie Phildſophie 
allgemein beliebt und bekandt gemacht, es hat die 
Schriften der Weltweiſen auch in ſolche Haͤnde 
gebracht, bic ſonſt nur nad) bem gu greifen. pfleg: 
tem, woraus fie fid) einen angenebmen Zeitver⸗ 
treib und hoͤchſtens eine geiſtreiche Unterhaltung 

ver⸗ 


mv 3 ^c 


verſprechen fonnten ; unfere philoſophiſchen Schrif⸗ 
fem finb angenehmer, und unſere angenehmen 
Schriften ſind philoſophiſcher geworden, und 
beide haben, wo nicht den philoſophiſchen Geiſt, 
doch gewiß die Bekandtſchaft mit philoſophiſchen 
Lehrſaͤtzen gemeiner gemacht. 


Ob durch dieſe Verbreitung der Philoſophie 
außer den Schranken der Schule die Philoſophen 
fid) um ben. großen Haufen cin ſonderliches Ver⸗ 
dienſt erworben haben, daruͤber ließe ſich noch 
ſtreiten. Die Erfahrung lehrt, daß, tie bic Beqguͤn⸗ 
ſtigung der falſchen Andacht von jeher die Heuch⸗ 
ler und Scheinheiligen, eben ſo die allgemeine 
Verbreitung der Philoſophie die gedankenloſen 
Nachbeter und affectirten Scheinphiloſophen ver⸗ 
mehrt hat. Das ſcheint aber deſto ausgemachter 
zu ſeyn, daß die Wiſſenſchaft ſelbſt ſeit dieſer 
Verbreitung an innerm Gehalt verlohren habe. 


In dieſer Lage der Sachen hatte Herr Prof. 
Zant in Koͤnigsberg ben Muth, der Philoſophie 
eine Revolution vorzubereiten, mit ber fie entwe⸗ 
ber alles gewinnen ober. alles verliehren ſollte. 
Das Werk, worin er dies unternahm, das durch 

9f 2 bit 


FW^uvT^ 4 5v 


die ſcheinbare Leichtigkeit unb Zierlichkeit bec 
Diction ſo gut den Uneingeweihten als den 
Eingeweihten anzieht, muthete ſeinen Leſern eine 
Geduld, einen Tiefſinn und ein Anhalten der 
Forſchbegier zu, das in dem Verfaſſer deſſelben 
ein uneingeſchraͤnktes Vertrauen zu ihrer Liebe der 
Philoſophie vorausſetzte. Der Erfolg uͤbertraf 
alles, was die ſanguiniſchſte Hoffnung von dem 
waͤrmſten Enthuſiasmus erwarten konnte; die 
Critik ber. reinen Vernunft und die darin entbalz 
tene Philoſophie machten cine Senſation, derglei⸗ 
chen man in langen Zeiten nicht in der philoſophi⸗ 
ſchen Welt geſehen hatte; allein bey verſchiedenen 
auf verſchiedene Art. Einige, die eben im Er— 
richten ihres Lehrgebaͤudes befangen waren, wozu 
fic die Materialien erſt zuſammentragen, prüfen 
und verbinden mußten, fanden hier den groͤßten 
Theil derſelben in Bauſch und Bogen verworfen, 
und ſahen ſich einer großen Muͤhe uͤberhoben; 
andere, bie ſchon ſelbſt an. ihrer Brauchbarkeit 
gezweifelt, fanden ihre Zweifel beſtaͤtigt und mit 
dieſer Beſtaͤtigung bie Ruhe det Gewißheit; am: 
dere endlich, die ihre Kenntniſſe nur aus den 
neueſten Buͤchern ſchoͤpfen, und bey denen immer 
der letzte Recht hat, beteten nach, die meiſten 

aber 


fV n ^v» 


aber wurden burd) bie S'übnbeit in ber. Unterneh⸗ 
mung, die Zuverſicht in ber Ausfuͤhrung, fo wie 
burd) bie Cubtilitat ber Unterſuchung unb bit 
Steubeit ber Terminologie, betaͤubt, unb von dieſer 
Betaͤubung mógen fid) nod) wenige erholt haben. 


Da wir unſere Zeitſchrift in dieſer philoſo⸗ 
phiſchen Criſis anfangen, ſo werden wir unſere 
Leſer oft mit den Eigenheiten der Philoſophie des 
Koͤnigsbergiſchen Philoſophen unterhalten muͤſſen; 
unb wir werden dieſes mit befio mehr Vergnuͤgen 
thun, ba wir zugleich oft Gelegenheit haben wer⸗ 
ben, feinem Scharfſinne Gerechtigkeit widerfah— 
rem zu laſſen. Dieſe Theilnehmung an ben Un⸗ 
terſuchungen, wozu er unter ung das Feld eroͤff— 
net hat, werden wir ſuchen, ſo viel moͤglich, der 
Philoſophie nuͤtzlich zu machen, und da wir uns 
bewußt ſind, daß wir alle noͤthige lInpartepfid)z 
keit dazu mitbringen werden, ſo hoffen wir, daß 
fic nicht ohne allen Erfolg ſeyn ſollen. Es kann 
nicht anders als nuͤtzlich, und dem Schriſtſteller, 
ber etwas neues wagt, ſelbſt willkommen ſeyn, 
daß ſeine Gedanken von allen Seiten gepruͤft 
werden. Ein jeder bringt zur Unterſuchung einer 
Wahrheit feinen eigenen Geſichtspunct mit; je 

A3 mehr 


Fev 6 — 


mehr dieſer Geſichtspuncte, deſto beſſer. nz 
dem wir die neue philoſophiſche Sprache mit der 
alten vergleichen werden, werden wir vielleicht 
manchem Wortſtreite zuvorkommen, manchem 
Mißverſtande ein Ende machen, und manche 
Dunkelheit in den Kantiſchen Schriften heben, 
uͤber die wir noch immer nach ſo vielen Commen⸗ 
tarien, Erlaͤuterungen, Abkuͤrzungen und Ausle⸗ 
gungen klagen hoͤren; indem wir das Alte neben 
das Neue ſtellen werden, werden voir uns in ben 
Stand ſetzen, die Nothwendigkeit und Graͤnzen 
der philoſophiſchen Reformation genauer zu beur⸗ 
theilen, ben Werth von beiden richtiger zu ſchaͤ⸗ 
tzen, und dem Muthwillen, der bald das Eine, 
bald das Andere, ohne beides gu kennen, ber 
wirft, am beſten begegnen, indem wir endlich 
auch bisweilen vor befugten Richtern bie Defen⸗ 
fion ber bisherigen Metaphyſik gegen ihre Anklaͤ⸗ 
ger zu Gunſten einer kuͤnftigen uͤbernehmen, — denn 
die Gerechtigkeit will, daß man auch den verdaͤch⸗ 
tigſten Uebelthaͤter nicht ungehoͤrt verdamme — 
ſo hoffen wir ihr ſogar vielleicht noch hie und da 
vor dem Richterſtuhle einer erleuchteten Unpar⸗ 
teylichkeit Gnade zu verſchaffen. 


Wir 


—— 7 ^ 


Wir wollten Anfangs unſern Plan auf bloße 
Recenſionen neuer Schriften einſchraͤnken; allein 
nach reiferer Ueberlegung fanden wir, daß wir 
dadurch entweder unſere Beurtheilung ihres In⸗ 
halts zu ſehr zuſammenziehen, oder die Anzeigen 
zu ſehr verlaͤngern und durch unſer Dazwiſchenre⸗ 
den zu oft und zu lange wuͤrden unterbrechen 
muͤſſen. Wir beſchloſſen alfo, bie Anmerkun⸗ 
gen, die ſich in weitlaͤuftigere Eroͤrterungen aus⸗ 
dehnen koͤnnten, ín eigene Abhandlungen abzu⸗ 
ſondern, die doch aber, wo moͤglich, nie mehr 
als einen oder zwey Bogen, oft aber weniger, 
einnehmen werden. 


Wir glauben, auf dieſe Weiſe dem Beduͤrf⸗ 
niß einer jeden Art von Leſern entgegen zu gehen; 
dem Beduͤrfniß dererjenigen, deren Geduld ſchon 
vor dem Ende des zweyten Bogens erſchoͤpft iſt, 
wie dem Beduͤrfniß derer, die nur einige Winke 
brauchen, um zerſtreuete Gedanken anderer mit 
ihrem eigenen Gedankenſyſteme zu vergleichen, 
und, wo ſie hingehoͤren, einzufuͤgen wiſſen. 


Die erſte Abtheilung unſeres Magazins 
wird alſo eigene Aufſaͤtze, und die zweyte Recen⸗ 
A4 ſionen 


K(vfA 9g ^ 


fionem. entbalten. — Die Aufſatze werden nicht aud 
lauter ſpeculativen Abhandlungen beſtehen, fie 
werden bisweilen mit Beobachtungen, SRadyridy 
fe, kurzen Betrachtungen über. Sitten, Geſetze, 
Begebenheiten, Charactere unb aͤhnliche Gegen— 
ſtaͤnde abwechſeln. Es werden ſelbſt Gedichte 
philoſophiſchen Inhalts nicht ausgeſchloſſen, und 
wir haben Hoffnung, Beytraͤge von dieſer Art zu 
erhalten, von denen wir uns verſprechen, daß ſie 
bem Freunde ber deutſchen Dichtkunſt deſto intere 
eſſanter ſeyn werden, da ſie die Bluthen eines 
jungen Genies ſind, welche uns ſehr angenehme 
Fruͤchte verkuͤndigen. Auch werden wir alle 
fremden Beytraͤge, deren Mittheilung den Leſern 
willkommen ſeyn koͤnnen, mit der groͤßten Dank⸗ 
barkeit aufnehmen. 


Ueber 





2. 


Ueber bie Schranken der menſchlichen 
Erkenntniß. 





Et hoc habet animus argumentum divinitatis fuae, 
quod illum divina dele&ant: nec ut alienis in- 
teret, fed ut fuis. 

Seneca. 


Da Hauptverdienſt, welches ſich Herr Prof. 
ZAant um bie Metaphyſik zu erwerben geſucht bat, 
beſteht in der genauern Beſtimmung ber. Schranken 
des menſchlichen Verſtandes. Ob er die Linie richtig 
gezogen habe, welche das, was dem menſchlichen 
Verſtande erreichbar ijt, von bem Unerreich aren 
ſcheidet, das verdient bie ſorgſaͤſtigſte Unterſuchung, 
und dieſe falle aus, wie ſie will, ſo verdient es vie⸗ 
len Dank, ſie veranlaßt zu haben. 


45 In 


fT Yo «v4» 


In dieſer Unterſuchung ift nidjt bíe Stage von 
den inoivioucllen unb zufaͤlligen Graͤnzen des 
menſchlichen Verſtandes, die ins Unendliche mannig⸗ 
faltig und abwechſelnd ſeyn koͤnnen und wirklich ſind; 
monníafaftig ín ben verſchiedenen Stufſen ber Cultur 
ber Vernunft von bem ſtupiden Feuerlaͤnder bíó au 
bem aufacffárten. Europaͤer, abwechſelnd von bem 
unmiünbigen Kinde bis au bem verſtaͤndigſten Manne. 
Es fraͤgt ſich, welches ſind die allgemeinen weſent⸗ 
lichen Schranken, die der menſchliche Verſtand, auf 
keiner Stufe ſeiner Vervollkommnung, durch keine 
Anſtrengung ſeiner Kraͤfte, uͤberſchreiten kanu. 


Man kann die Frage aud) fo ausdrucken, von 
welchen Gegenſtaͤnden ift es der menſchlichen Ver⸗ 
nunít moͤglich, eie gewiſſe Erkenntniß zu erhalten? 
von welchen iſt es ihr hingegen unmoͤglich? Wer 
bie erſtern durch einen kennbaren allgemeinen Chara⸗ 
cter bezeichnete, wodurch ſie ſich von den letztern un⸗ 
terſchiede, unb aus dieſem Charakter die Erkennbar⸗ 
keit der erſtern, ſo wie die Unmoͤglichkeit die letztern 
zu erkennen herleitete, der wuͤrde die Schranken des 
menſchlichen Verſtandes durch die beſtimmteſte Graͤnz⸗ 
linie angegeben haben. 


Dieſe Graͤnzlinie ift num von jeher ſehr vet: 


ſchieden gezogen worden; die ſteptiſche Philoſophie 
bedurf⸗ 


Fou»T^ TY On 


Beburfte qat feíne, benn fie hielt feine Crfenntnig 
für aemig; bie dogmatiſche bezeichnete ibr Gebiet 
bald mit weiten, bald mit engin. Schranken, eim 
graͤnzenloſes Gehíet bat (ie fid) nid)t anycmaft. Es 
ift ein. ungegruͤndeter Vorwurf, ben. man eiefer pbi 
loſophie macht, bag fte ihre Herrſchaft über alle Ge⸗ 
genſtaͤnde ausdehne, daß (ie allen Zweifel ausſchließe 
unb fid) alles moͤgliche tit Gewißheit zu wiſſen vere 
meſſe. Sie iſt bet. ſteptiſchen Philoſophie entgegenge⸗ 
ſetzt, die an allem zweifelt, und um von dieſer ſich 
zu unterſcheiden, braucht ſie nicht allen Zweifel zu 
verwerfen, alle Graͤnzen der gewiſſen Erkenntniß zu 
leugnen, ſie kann dieſe Graͤnzen bald enge bald weit— 
umfaffemb zeichnen. Es ift eben fo ungerecht, oet 
Philoſophie einen allgemeinen Dogmatismus voraus 
werfen, die dem Gebiete ihrer gewiſſen Erkenntniß 
einen weitern Umfang giebt, als diejenige mit dem 
verdaͤchtigen Namen des Skepticismus zu brandmar⸗ 
ken, die ihre Schranken enger zuſammenzieht. Durch 
alle dieſe Beſchuldigungen und Gegenbeſchuldigungen 
wird in der Sache ſilbſt nichts ausgemacht; man 
ſollte dieſe Art zu ſtreiten den Sachwaltern mißlicher 
Rechteſtreite uͤberlaſſen; der philoſophiſche Crit: 
ſteller ſollte ſich an der Unterſuchung ber Sache bal: 
ten, bie Ouid) fol Mittel in nichts erleichtert 
wird. 


Alſo: 


FMAvPT^ T:52 xm 


Alſo: wer feín Skeptiker i(t, ber ift eim 
Dogmatiker, unb e$ fragt fid) nur, mie weit ev e 
ift. Das wirb von ben weitern oder engern Girán; 
gen abfjanaen, worin er feine gewiſſe Erkenntniß ein⸗ 
ſchließt. Gine kurze Ueberſicht ber pbilofopbifdóen Sy⸗ 
ſteme ín. Ruͤckſicht auf dieſe Graͤnzbeſtimmung wird 
vielleicht nicht ohne Nutzen ſeyn, um uns der richti— 
gen Ausmeſſung des unbeſtrittenen Gebietes eines 
vernuͤnſtigen Dogmatismus naͤher zu bringen. 


Es muß, auf ben erſten Anblick, nicht menia bes 
fremben, moni man bemerkt, daß ber aͤlteſte Dogma: 
tismus ín feinem Gebiete gerabe oie Gegenſtaͤnde 6er 
fair, oie bie neuefte "Dbilofopbie von bem ihrigen audr 
ſchließt, unb diejenigen davon ausſchließt, auf bie bie 
lettere bas ibriae cinfd)rántt. Plato unb Ariſtote⸗ 
les ſchloſſen die Gewißheit ven aller € innenerfennt: 
niB au$, uub beſchraͤnkten fie blo anf bie Stegion ber 
unfinntidyen over. SBerítanbesibeen ;. ele neuefte Philo⸗ 
fopbie verbannt fie aus dieſer Region unb. nimmt fie 
bloß in ^er Sinnenwelt auf. So blieben bie Sachen 
mit mehr oder weniger Veraͤnderungen bis zu dem 
Anfange des vorigen Jahrhunderts, ba Bako Me 
Logik mit den Regeln ber Erſahrungskunſt bereicherte. 
Bis dahin hatte man nur bie Form ber Vernunfter⸗— 
kenntniß bearbeitet und ſich in Anſehung der Gewiß— 
heit ihrer Materie an das gehalten, was Plato und 

Ariſto⸗ 


WMAPER 15 4 


Ariſtoteles daruͤber philoſophirt Datten; unb dabey 
hatte es auch Bako gelaſſen. 


St erſte, ber an die Materie ber SBernunft: 
erfenntnig bad)te, mar Des Cartes, Er ſuchte jus 
et(t ein Senngeid)en auf, woran fic) bíe wabren 35e« 
eriffe von den falſchen unterſcheiden ließen, unb 
glaubte e$ ín ber. Begreiflichkeit derſelben geſunden zu 
haben. Damit war nun zwar die Innſchrift an 
dem Tempel bec Wahrheit entdeckt, allein fie war 
nicht lesbar; Des Cartes hatte gelehrt, daß das 
Begreifliche wahr ſey, er batte aber nicht geſagt, 
woran ſich das Begreifliche erkennen laſſe. Indeß 
ließ es fi) nod) wol errathen, daß bie Begreiflichkeit 
der zuſammengeſetzten Begriffe in der Compoſſibilitaͤt 
ihrer Merkmale beſtehe. ie zuſammengeſetzten 95e; 
griffe ſetzen aber einfade voraus, woraus fie zuſam⸗ 
mengeſetzt ſind. Welches ſind biefe ? unb wie erhalten 
wir ſie? Auf die erſte Frage antwortete Des Car⸗ 
tes: ber einfachſte Begriff, morauf ſich alles in ben 
Koͤrpern aufloͤſen laͤßt, iſt die Ausdehnung, in den 
Geiſtern der Gedanke. Das druckte er in ſeiner Zpra: 
che aus: das Weſen des Koͤrpers iſt Ausdehnung; 
des Geiſtes, Gedanke. Die erſtere war alſo die allge⸗ 
meine Materie ſeiner zuſammengeſetzten Begriffe von 
Koͤrpern und ihren Erſcheinungen, und der letztere 
von Geiſtern, ihren Eigenſchaften und Wirkungen; 

alle 


KXAVEM q4 039 


affe Veraͤnderungen ber. Sóvper waren alfo Modifica⸗ 
tionen ber Ausdehnung, alle Veraͤnderungen ber Geiſter 
Modificationen des Gedankens, obet oet Perceptionen. 


Aus dieſer Materie mußten nun alle Begriffe 
nach den Geſetzen des Begreiflichen zuſammengeſetzt 
ſeyn; tiefe waren alfo bie Geſetze der Form. Wel⸗ 
ches (inb aber dieſe Geſetze der orm des Denkens? 
Das blieb nod) immer im Dunkeln. 


Die Geſetze der Form der Erkenntniß waren in 
der ariſtoteliſchen Philoſophie in den Regeln ihrer 
Syllogiſtik enthalten. Dieſe enthielt Regeln fuͤr 
die categoriſchen und bedingten Vernunftſchluͤſſe; 
bey den letztern liegt der Satz des zureichenden 
Grundes, bep ben erſtern ber Satz des Wider—⸗ 
ſpruchs zum Grunde; denn das Geſetz der Schluͤſſe 
vom Allgemeinen auf das Beſondere iſt weiter nichts 
als ein beſonderer Fall, der unter dem allgemeinern 
Geſetze des Widerſpruchs enthalten iſt. 


Wenn der Enthuſiasmus, auch der philoſo⸗ 
phiſche Enthuſiasmus, es uͤber ſich gewinnen koͤnnte, 
ſeiner auch noch ſo gegruͤndeten Liebe des Neuen 
nicht, ohne Pruͤfung, alles Alte aufzuopfern: ſo 
wuͤrde eine ſorgfaͤltige Zergliederung der Regeln der 
ariſtoteliſchen Syllogiſtik auf die erſten Geſetze der 
Form der Erkenntniß hinausgefuͤhrt haben. So 

aber 


^T^ 15 ^w 


eber (ie tam biefe Regeln, für deren Brauchbar⸗ 
keit man, bey Strafe für. einen ſcholaſtiſchen Pedan⸗ 
ten gehalten zu werden, kein Wort mehr reden 
burfte, ganz auf ber Seite liegen, unb erſchoͤpfte 
allen ſeinen Fleiß auf die Bearbeitung des Stoffs 
der menſchlichen Erkenntniß. 


Cin Hauptgebrechen, welches die naturfor—⸗ 
ſchenden Metaphyſiker der Carteſianiſchen Philoſo⸗ 
phie vorwarfen, ar, daß fie bie einfachen 35e: 
gríffe der aͤußern Sinne, oder, nad) ber Sprache 
der Carteſianiſchen Schule, das Weſen der Koͤrper 
nicht vollſtaͤndig genug angegeben haͤtte. Indeß 
man (id uͤber dieſen Theil des Carteſianiſchen Cy: 
ſtems ſtritt, trat ein logiſcher, oder, wenn man 
lieber will, ein kritiſcher Metaphyſiker auf, der 
der ganzen Unterſuchung eine neue Wendung gab. 
Da man in den Schulen der Philoſophie bis auf 
ben des Cartes immer mehr bie Form der Er— 
kenntniß bearbeitet hatte, ſo war es ein wichtiger 
Schritt zu ihrer groͤßern Vollkommenheit, daß fLor 
cke in ſeinem beruͤhmten Werke vom menſchlichen 
Verſtande ſich vorzuͤglich mit der Aufklaͤrung und 
Berichtigung ihrer Materie beſchaͤfftigte. Daß et 
daruͤber die Form ganz vergaß, daß er ſelbſt ihre 
Geſetze zum Theil ganz fuͤr unnoͤthig erklaͤrte, das 
wollen wir ihm jetzt nicht zum Verbrechen machen, 

da 


w^avr [r6 zu 


ba es beo unà (tet, dieſen Mangel zu ergaͤnzen, 
und das Brauchbare, was ſeine Vorgaͤnger daruͤber 
enthalten, wieder hervorzuziehen. Der Weg, den 
et betrat, um ben Inbegriff der Ideen aufjufin; 
den, war allerdings der rechte, aber er verfolgte 
ihn nicht weit genug. Er bemerkte ganz richtig, 
daß man, um alle Arten der Ideen, die den 
geſammten Stoff ber. menſchlichen Erkenntniß au; 
machen, a priori au beſtimmen, fie nach beu 
Erkenntnißvermoͤgen der Seele claſſificiren muͤſſe. 
Indem er aber in dieſer Glajfification bloß bey ben 
€ innen (teen blieb, die i)m, in feinen. &enfa; 
tion$ : unb Steflerionáibeen, — bloß Ideen ber umwz 
mittelbaren aͤußern unb innern Crfabrung gaben, 
inbem er in bem Verſtande unb ber Vernunft bie 
unleugbaren Quellen wahrer Ideen überíabz — fo 
mußte ſeine Claſſification nothwendig unvollſtaͤndig 
werden. 


Hier ſtehen wir bey der Epoche, womit die 
neuen. Graͤnzbeſtimmungen ber menſchlichen Erkennt⸗ 
niß anheben. Die Schranken derſelben mußten 
nun enger gezogen werden, da ihre Materie ſo 
ſehr war zuſammengezogen worden. Es waͤhrte 
auch nicht lange, ſo begann der Idealismus auf 
dieſem bequemen Grunde ſein (uftíaeó Gebaͤude auf⸗ 


zufuͤhren. KCocke ſchien die Folgen ſeiner Ideen—⸗ 
lehrt 


17 


lehre nicht geſehen zu haben, oder er hatte ſich, um 
mit dem gemeinen Verſtande nicht zu verfallen, ſo 
gut aus der Sache geholfen, als er konnte, und der 
gemeine Verſtand batte fid) feine Behelfe gefallen laſt 
ſen. Allein was er entweder nicht geſehen hatte, oder 
nicht hatte ſehen wollen, das ſahen andere. 


Wenn es keine andere Ideen giebt, als die 
Senſations- und Reflexionsideen, fo folgt nothwen⸗ 
dig, daß alles Wirkliche bloß Veraͤnderung iſt, daß 
es alſo nichts Selbſtſtaͤndiges giebt. Denn alle aͤußere 
Empfindungen ſind bloſie Vorſtellungen von. Veraͤn⸗ 
derungen ber Koͤrper, alle Wahrnehmungen des innerm 
Sinnes ſind nichts anders als Wahrnehmungen unſers 
Erkennens und Begehrens. Mit dieſen Praͤmiſſen 
brauchte es bei weitem nicht aller ber ſpitzfindigen Me⸗ 
taphyſik, auf welche Berkeley das Lehrgebaͤude ſeines 
Idealismus auffuͤhrte, ja er konnte mit ihnen, wenn 
er conſequent ſeyn wollte, ſo weit gehen, daß ihm in 
bem ganzen Reiche bed Denkbaren nichts Selbſtſtaͤn 
diges übrig blieb. Mit weit weniger Subtilitaͤt, 
aber aud) mit weniger Schonung des gemeinen Ver— 
ſtandes, wiewol mit mehr Conſequenz that Hume 
den Salto mortal in das oͤde Reich des unbegraͤnzten 
Nichts, und pflanzte das Panier des allgemeinen Idea⸗ 
iemus auf. Gr ſchraͤnkte das Reich bes Wirklichen auf 
die bloßen Ideen ein; denn von dieſen allein haben 

Philoſ. Mag. i. Gt. B wir 


OST 358 


wir eine unmittef&are Erfahrung, fie fnb e$ allein, 
was wir al Wirklich wahrnehmen. Wir haben zwar 
auch Vorſtellungen von Etwas, das aufer uns Wirk⸗ 
lid) ift; allein dieſe Vorſtellungen, bie in ber. gemei: 
nen Cpradje Cmpfinbungen fjeifen, unterſcheiden fid) 
Dío babutd) von ben Ginbilbungen, baf fie ftárfer 
finb, nicht baburd), baf ibt Gegenſtand gegentvártíg 
unb wirklich iſt. Die Cmpfinbungen. nennt Hume 
Eindruͤcke, Impreſſionen, alle uͤbrige Vorſtellun⸗ 
gen Ideen; beide haben einerley Bilder gemein und 
bieje ſind bloß nad) oem verſchiedenen Grade ihrer 
Staͤrke bald Impreſſ ionen, bald Ideen. Die com; 
plexen Ideen koͤnnen in einfache aufgeloͤſet werden; 
beide folgen auf einander nach den Geſetzen der Con⸗ 
tiguitaͤt, oder des Nebeneinanderſeyns, der Aehnlich⸗ 
lichkeit unb ber Caußalitaͤt. Dieſe Caußalitaͤt ift 
aber nichts weiter als bie Succeſſ ion ber. Eindruͤcke 
und der Ideen, deren oͤftere Wiederholung uns durch 
die Gewohnheit den Glauben einer urſachlichen Ver⸗ 
bindung unter ihnen aufdringt. 


Nothwendig mußte durch dieſe Einſchraͤnkung 
bet gewiſſen Erkenntniß des Wirklichen auf bie bloßen 
Impreſſ ionen alle. Erkenntniß a priori, fo wie alle 
Erkenntniß ber Gegen(tánbe ſowohl ber Sinnen alg 
be$ Verſtandes, unb mit biefen alle logiſche Wahrheit 
ter Erkenntniß des Wirklichen ausgeſchloſſen werden; 


und 


f^vr^ I9 4-34» 


und fo war bie menſchliche Grfenntnig in ben enoften 
Kreis eingefdránft, ber fid) benfen laͤßt. Der Gin: 
flu, ben biefe unnatürtiche Grenzbeſtunmung auf os 
gi£, Metaphyſik unb Steligion fat, mufte notbrmoen: 
bíg viele für bie íntereffanteften Angelegenheiten if; 
re$ Verſtandes unb Herzens befotat machen, unb fie 
zur Unterſtuͤtzung berjeíóen aufforbern. — Was im 
dieſer Abſicht iv England geſchehen ift, liegt jetzt 
aufer unſerm Plane, bet bloß auf bie neuere Ger 
ſchichte ber Grenzbeſtimmungen der menſchlichen Cr; 
kenntniß in. Deutſchlond eingeſchraͤnkt iſt. Um aber 
dieſe deutlicher aus einander zu ſetzen, muͤſſen wir wie⸗ 
ber etwas zuruͤckgehen. 


Schon efe Cockes Werk über ben menſchlichen 
Verſtand erſchien, hatte Leibnitz, durch eine vollſtaͤndi⸗ 
gere Aufzaͤhlung der Quellen unſerer Begriffe, einer 
willkuͤhrlichen Verengung des Umfanges der menſchli⸗ 
chen Erkenntniß vorgebaut. lm bas Gebiet der menſch⸗ 
lichen rfc. mntnif, fo wie es Leibnitz gegen Locke ſowohl, 
als gegen den Idealismus, den materiellen und ollgemei⸗ 
nen, zu behaupten ſuchte, gu uͤberſehen, unb oie Rechts⸗ 
gruͤnde ſeiner Behauptung mit den Einreden dagegen 
vergleichen zu koͤnnen, ſey es mir erlaubt, die Leibnitzi⸗ 
ſche Theorie von den Quellen und dem Umfange der 
menſchlichen Erkenntniß zu einer leichtern Ueberſicht 
darzulegen. Ich werde nicht alle Eigenheiten des 

923 Leib⸗ 


f^&*TM 20 vx 


Leibnitziſchen Syſtems anfüfren bürfen, fonberm nuc 
biejenigen, bie gu dieſer Theorie gehoͤren; unb ba 
Wolf ín allen €ágen, bie hieher gehoͤren, mit ibm 
übereinftímmt, fo wird e$ nicht nótbig fepn, ihn be: 
fonber8 ju nennen. Ich faſſe fic in folgenbe Ce: 


I. Da voit nidót nut Cinnen, fonbern aud) Bets 
ſtand unb Vernunft faben: fo haben wir nicht 
bloße unmittelbare Erfahrungsbegriffe; denn 
aufer ben unmittelbaren Erfahrungsbegriffen bas 
ben wir aud) mitte(bare, b. i. fold)e, bie aué 
ben erſtern vermittelſt eine8. furgen. 3Bernunfts 
ſchluſſes herzuleiten ſind. Dieſe Begriffe zu feug; 
nen, iſt vergebens. Dergleichen iſt der Begriff von 
Vorſtellungskraft. Die Materie der an⸗ 
ſchauenden Erkenntniß iſt Ausdehnung und Vor⸗ 
ſtellung. 


2. Die Form der Erkenntniß kann alſo auch auf 
unbildliche Begriffe angewandt werden. 


3. Außer den Erſahrungsbegriffen haben wir Verſtan⸗ 
desbegriffe, ober abſtracte. Die hoͤchſten unter ifs 
nen oder die ontologiſchen ſind uͤberſinnliche. Die 
abſtracten Begriffe koͤnnen von dem menſchlichen 
Verſtande nur vermittelſt der Zeichen vorgeſtellt 
werden. Ihre Erkenntniß kann alſo nur ſymboliſch 

ſeyn; 


F^ oy «uu 


ſeyn; follen fie anſchauend werben, fo müffen fie 
in concreto vorgeftelIt werden. 


4. Aus ben abſtracten Begriffen faffen fid) neue 
Begriffe burd) willkuͤhrliche Verbindung zuſam⸗ 
menſetzen. Auch dieſe koͤnnen nicht anders zum 
Theil anſchauend werden, als wenn ihre Merk⸗ 
male in concreto vorgeſtellt werden. 


:5. Das iſt bie gefammte Materie, aus bet, nach 
ben Gefe&en ber Sotm, bie auf bem Cage be8 
Widerſpruchs ober des gauteid)enben Grundes 
beruhen, das Syſtem der menſchlichen Erkennt⸗ 
nig muß zuſammengeſelzt werden. 


6. Danach giebt es wahre Begriffe des reinen 
Verſtandes eben ſo gut, als vermiſchte und ſinn⸗ 
liche Begriffe. 


7. Eben fo Saͤtze, bie aus reinen Verſtandesbegrif⸗ 
fen, vermiſchten unb ſinnlichen Begriffen beſtehen. 


8. Dieſe Begriffe ſind nicht leer, ſondern ſie ſind 
nur nicht in abſtracto anſchauend. 


9. Die aͤußern Gegenſtaͤnde dieſer Begriffe ſind 
wirklich in concreto oder in dem Einzelnen, 
B 3 und 


unb ihre Wirklichkeit kann a priori unb a poftc- 
riori erkannt werden. 


10. Auf dieſe Weiſe wird die objective Wahrheit des 
hoͤchſten Weſens erkannt. 


Ir. Dieſes beſte Weſen giebt aud) ten Gegenſtaͤnden 
der aͤußern Sinne ihr Daſeyn. 


12. Die Qualitaͤten der Gegenſtaͤnde der aͤußern 
Sinne, alſo auch die Ausdehnung, werden durch 
die Sinne anſchauend erkannt. In dieſer Er⸗ 
kentniß wird das Einfache nicht unterſchieden; 
ſie koͤnnen aber durch den reinen Verſtand deut⸗ 
lich erkannt werden, jedoch von dem menſchlichen 
Verſtande nicht anſchauend, ſondern nur ſym⸗ 
boliſch. 


13. Die Principien zu den Verſtandesbegriffen kom⸗ 
men nicht durch die Erfahrung in die Seele, ſind 
ihr alſo angebohren. 


So hatte bisher die deutſche Philoſophie durch 
Erweiterung ber Cd)raufen ber menſchlichen Erkennt⸗ 
niß das Gebiet bes geſunden Verſtandes gegen ben ber 
ſondern und allgemeinen Idealismus zu behaupten ge⸗ 
ſucht. Daß ſie dabey kritiſch verſahren, wenn man 

unter 


€XAMfH 25 wi 


unter biefem Verfahren bie Serolieberung bet. Geſetze 
verſteht, nad) welchen jebe$ Erkenntnißvermoͤgen, das 
zu einer beſondern Claſſe von Begrifſen mitwirkt, vet: 
mittelſt der Geſetze der Form, ſeine eigenthuͤmlichen 
Begriffe hervorbringt, — das liegt am Tage; man 
hat ihr dieſen Vorzug ſeit einiger Zeit durch einen 
bloßen Machtſpruch abgeſprochen, der nicht einen Schein 
des Beweiſes fuͤr ſich hat, wenn man nicht etwa das 
daſuͤr will gelten laſſen, ba dieſe Kritik nicht eben 
das herausgebracht hat, was die neuere herausbringt, 
welches eine ziemlich arge petitio principii waͤre. 


Die Metaphyſik dieſer Philoſophie erklaͤrte Herr 

Kant für unbrauchbar, unb verwies auf ein kuͤnfti⸗ 
ges Metaphyſiſches Lehrgebaͤude, zu deſſen Errichtung 
aber kein Anſchein ſeyn kann, da ihm ſeine Kritik 
ſchon zum voraus den Zugang zu allen Materialien, 
die dazu noͤthig waͤren, verſperrt hat. Wir duͤrfen 
vorausſetzen, daß unſern Leſern bereits die Hauptzuͤge 
dieſer Kritik bekannt ſind. Um alfo nicht Gefahr au 
laufen, etwas ſo oft wiederholtes ohne Noth von 
neuem zu wiederholen, will ich nur diejenigen von 
den Hauptzuͤgen anfuͤhren, die die Vergleichung der 
Grenzbeſtimmung der menſchlichen Erkenntniß mit der 
Leibnitziſchen und Humiſchen erleichtern und zugleich 
den Leſer in den Stand ſetzen kann, zu beurtheilen, 
wie weit man (i) auf das Verſprechen verlaſſen bürfe, 
B A mit 


mx 24 nas 


mit dieſer Kritik bem. Humiſchen allgemeinen Idea⸗ 
lismus am kraͤftigſten zu begegnen. 


Zuerſt verwirft Herr Kant bie objective üt: 
tigkeit der reinen Vernunftbegriſſe, oder, nach der 
alten Sprache, der reinen Verſtandesbegriffe, und 
zwar aus dem Grunde, daß dieſe Begriffe ganz leer 
ſeyn; weil ſie nichts von Bedingungen der ſinnlichen 
Anſchauung, d. i. keine Vorſtellungen von Raum und 
Seit enthalten; bas wuͤrde nad, ber Leibnitziſchen Spra⸗ 
che heißen, weil ſie keine anſchauende Vorſtellungen 
ſind, unb inabltracto feine anſchauende Merkmale ent: 
falten. Nach bem Leibnitziſchen Syſtem enthaͤlt ber 95e; 
griff des alletvollfommenften Geiſtes freylich nichts 
raͤumliches und ſucceſſives; ob aber Raum und Zeit die 
einfachſten anſchauenden Vorſtellungen ſind, das verdient 
noch eine beſondere Unterſuchung. Nach eben dieſem 
€wftem ift die Vorſtellung ſelbſt das einfachſte Merk— 
mal des Begriffs eines Geiſtes unb. von Vorſtellun⸗ 
gen haben mir eine anſchauende Erkenntniß in con- 
creto ín unſerm eigenen Selbſt. Leibnitz konnte alſe 
mit Recht annehmen, daß der reine Verſtandesbegriff 
bes allervollkommenſten Geiſtes kein leerer Begriff ſey. 


Alſo nod) einmal: die Leibnitziſche Vernunſt⸗ 
kritik fuͤhrt auf andere Stctultate, als die Kantiſche; 
allein ſie iſt genau und gruͤndlich. Die letztere nimmt 

Raum 


fM 25 ^ic 


Maum unb Seit gu Formen ber ſinnlichen Anſchauung, 
ober, nad) ber geroóbnlidhen Sprache, als bíe einfach⸗ 
(ten Merkmale bec finntid)en Begriffe; bíe erftere Aus⸗ 
befnung , unb für bie außerſinnlichen, 93orftellung arr, 
Syene haͤlt ire Formen ber finntidjen Anſchauung fuͤr 
ſchlechterdings unaufloͤslich; bíeje zwar aud) für un: 
auflóélid), aber nur ben Cinnen, nidt bem Ber: 
ftanbe, Das Raͤumliche unb Ausgedehnte entbált vie: 
(e$, ba$ von bem Verſtande unb ber 3Bernunft nid)t 
ofne Eins fann gedacht werden. Det Verſtand ente 
fált alfo die einfachern Merkmale, woraus ín bet 
ſinnlichen Vorſtellung ba$ Bild be$ Raͤumlichen unb 
Ausgedehnten entſteht. Dieſe Betrachtung wird in 
einem andern Aufſatze fortgeſetzt werden; es iſt daher 
nicht noͤthig, ſie jetzt weiter zu verfolgen. 


Ein zweyter Grund, warum Herr Kant die 
reinen Vernunftbegriffe verwirft, iſt, daß ſie keine 
Gegenſtaͤnde geben. Was heißt: e$ werden Gegen; 
ſtaͤnde gegeben? Heißt es: ſie ſind außer dem Vorſtel⸗ 
lenden wirklich; fo ſehe id) nicht, mie bie Gegenſtaͤn⸗ 
de der ſinnlichen Ideen, darum daß ſie bildlich ſind, 
mehr wirklich ſeyn muͤſſen, als die Gegenſtaͤnde des 
Verſtandes, weil ſie nicht bildlich ſind. Heißt es: 
die ſinnlichen Begriffe ſind anſchaueud; ſo iſt das aller⸗ 
dings wahr, ſie ſind unmittelbar anſchauend, aber 
eid) bie Verſtandesbegriffe ſind anſchauend, nur mit⸗ 

B5 tel⸗ 


F^uvr- 206 wv 


telbar, Denn (ie finb von ben ſinnlichen Begriffen 
abgezogen, unb fónnen ín dieſen angefdjauet werden, 
unb wenn fie aué abftracten Begriffen zuſammengeſetzt 
(inb, fo bringen fie aud) au biefen bie mittelbar ans 
ſchauenden Merkmale ber abſtracten Begriffe mit, 
aus denen ſie zuſammengeſetzt ſind; und es iſt hier 
wiederum nicht abzuſehen, was in den ſinnlichen Be⸗ 
griffen vorzuͤgliches ſey, woraus folge, baf fie einen 
wirllichen Gegenſtand haben muͤſſen, dieſe hingegen 
nicht. 


Das Reſultat dieſer Betrachtungen ſcheint mir 
zu ſeyn: daß man ohne Vermeſſenheit behaupten koͤn⸗ 
ne, die Grenzbeſtimmung der menſchlichen Erkenntniß 
nad) bet Leibnitziſchen Vernunſtkritik duͤrfe nod) nicht 
aufgegeben werden; alles was die Kantiſche Kritik 
gruͤndliches enthaͤlt, ſey in ihrem Umfange enthalten, 
und außerdem noch vieles, was dieſe ohne Grund ver⸗ 
wirſt. Das wird noch mehr einleuchten, wenn wir 
unterſuchen, mit welcher von beiden man am beſten dem 
Bumiſchen allgemeinen Idealismus begegnen koͤnne. 


Das ſoll gerade das Hauptverdienſt ſeyn, wo⸗ 
von Herr Kant ſeiner Kritik den Ruhm ausſchließend 
zugedacht hat, ſie ſoll nach ſeinen Prolegom. zu ei⸗ 
net kuͤnftigen Metaphyſik alle bie Wunden aus 
dem Grunde heilen, die der Humiſche Idealismus 

der 


Fo 07) 


bet Philoſophie geſchlagen fat, unb bie, nad) feinem 
Ausſpruch, nod) feine Metaphyſik Gat beílen tónnen, 
Dies Wunder foll nun feine Sriti£ baburd) vercid)ten, 
baf fie eine Metaphyſik weranftaltet, welche, nad) 
ber Vorrede ju ber neuen Ausgabe ber Kritik occ 
reinen Yernunft, annimmt, die Gegenftanbe müf 
fen fid) nad) unſeret Grfenntnif richten. Wenn dieſe 
vielverſprechende Methode fo viel heißen foll, als: bie 
Gegenſtaͤnde unſerer Erkenntniß müfjen. mit. unjeree 
Erkenntniß, unb unfere Erkenntniß muf mit ben Ger 
een(tánben uͤbereinſtimmen, fo balo unfere Erkenntniß 
ben Geſetzen oec Form gemáf ift, bie ibren Erkenntniß⸗ 
vermógen ſelbſt voefent(id) ift: fo Dat fic bic Leibnitzi⸗ 
ſche Philoſophie in (brem gangen Umfange befolgt. 
Die Vernunft ſchreibt, nach Herrn Kants Sprache, 
in dieſer Philoſophie mehr als in irgend einer andern 
der Natur ihre Geſetze vor, ja ſie nimmt mehr als 
eine andere ben. Stoff ber Erkenntniß aud. ihrem Sym 
net. So zergliedert fie bie Gríd)einungen ber Koͤr⸗ 
pet ín. ben Stoff, wozu fie bíe Clemente ín fid) ſelbſt 
finbet; fo erhebt fie fid) mit biefen Glementen gu bem 
Begriffe bee hoͤchſten Stealitát, unb (teiat von biefem 
àu bec Wirklichkeit der aͤußern Objecte bec Sinnen herab. 


Wenn alſo dieſe Methode alles das ſoll leiſten 
koͤnnen, was Herr Kant von ihr verſoricht: fo ift 
ber metaphyſiſche Stein ber Weiſen gefunden. Der 

Humi⸗ 


fuv 28 ^v 


Humiſche Idealismus iſt vernidjtet; bie Leibnitziſche 
Philoſophie fatte ifm ſchon aum voraus feinen Unter⸗ 
gang zubereitet. v haͤtte demnach nicht feine 3ties 
derlage durch Herrn Kants Vernunftkritik abwarten 
koͤnnen, von der es zweifelhaft iſt, ob er durch ſie 
fallen muͤſſe. Denn Herr ant erklaͤrt das Bewußt⸗ 
ſeyn der Vernunft vom Beharrlichen in uns ſelbſt und 
von unſerm eigenen individuellen Daſeyn fuͤr Taͤuſchung. 
Die Begriffe ber reinen Vernunft, bie alſo kein ſinn⸗ 
liches Anſchauen von Raum und Zeit enthalten, haben 
ebenfalls keine tranſcendentale Guͤltigkeit; es exſiſtirt 
alſo eben ſo wenig ein unendlicher Geiſt als die einfa⸗ 
chen Elemente der Koͤrper. Die Begriffe des Ver⸗ 
ſtandes ſind bloß Kategorien, durch welche bic Er⸗ 
ſcheinungen verbunden werden. Er beweiſet zwar das 
unmittelbare Bewußtſeyn anderer Dinge außer uns; 
allein wenn darunter die objektive Wirklichkeit einer 
ſubſtantiellen beharrlichen Koͤrperwelt foll. verſtanden 
werden, ſo iſt es mit dem bloß idealiſchen Seyn des Be⸗ 
harrlichen in uns ſelbſt nicht zu reimen; deſſen nicht zu 
gedenken, was ſich gegen die Verſtaͤndlichkeit und Buͤn⸗ 
digkeit dieſes Beweiſes einwenden laͤßt. Die Brauch⸗ 
harkeit ber Kantiſchen Vernunftkritik gegen den Humi⸗ 
ſchen Idealismus iſt alſo bey weitem noch nicht ſo ausge⸗ 
macht, unb bie Unbrauchbarkeit bet Leibnitziſchen nicht fo 
dargethan, daß die erſtere auf ben Truͤmmern von beiden 


ihre rechtmaßig erworbene Herrſchaft gruͤnden koͤnnte. 
Wenn 





Wenn tvir nun bíe Leibnitziſche Grenzbeſtim⸗ 
mung ber menſchlichen Grfenntnif mit der Kantiſchen 
veraleid)en : fo ſcheinet biefe ín 2(nfebung bes. Syocafié: 
mus ſchwerlich weiter zu ſeyn, als bie Humiſche, in: 
be bie Leibnitziſche bie rationelle Pſychologie, Cos⸗ 
mologie und Theologie in ihrem Gebiethe enthaͤlt, und 
dieſen Theil ihres Gebiets Dat ihr, nad) meiner lUeber— 
zeugung, die Kantiſche Vernunſtkritik nod) nicht ab; 
gewonnen. 


Da dieſe Abhandlung eigentlich nur beſtimmt iſt, 
die Ueberſicht des Umfanges der menſchlichen Erkennt⸗ 
niß nach der Leibnitziſchen, Humiſchen und Kantiſchen 
Vernunftkritik zu erleichtern, um ſolchergeſtalt zu eís 
nec Einleitung ín bie Beurtheilung ber philoſophiſchen 
Streitigkeiten zu bienen, melde Herrn Aants Kritik 
der reinen Vernunft veranlaßt hat, ſo kann ſie ſich 
nicht auf die ausfuͤhrlichen Unterſuchungen der beſon⸗ 
dern Theile derſelben einlaſſen. Dieſe ſollen nach und 
nach in einigen folgenden Aufſaͤtzen dieſes Magazins 
erſolgen, zum Theil ſind ſie ſchon in Herrn Hofrath 
Feders Werke uͤber Raum unb Caufalítát, in Herrn 
Prof. Flatt Fragmentariſchen Beytraͤgen und in Herrn 
Mag. Maaß Briefen uͤber die Antinomieen verſucht 
worden. 


[AE 
— — HQ 


3. 


WMV 30 "9 


FO-HIHDHPP|PEPEPHT]HRS P!HCHIHEHEHHIHRÁHHESOS 


3. 


Ueber die tvabre unb falſche Aufklaͤrung, 
wie auch 
uͤber die Rechte der Kirche und des Staats 
in Anſehung derſelben. 





E. iſt ſeit einiger Zelt viel uͤber den Werth der Auf⸗ 
klaͤrung geſtritten worden; aber, ſo viel ich weiß, mehr 
mit Declamationen als mit Gruͤnden. In dem Feuer 
der Begeiſterung iſt an beyden Theilen keinem einge⸗ 
fallen, bie wahre Aufklaͤrung von ber falſchen, bie 
Aufklarung in ber Sieligion von ber Aufklaͤrung 
in oen übrigen Wiſſenſchaſten zu unterfdoeiben, um 
alsdann mit oec Ruhe, womit man allein bie Wahr⸗ 
heit finben kann, bic Rechte ber Kirche unb be$ Staats 
in Anſehung ihrer Grroeiterung oder Einſchraͤnkung gu 
unterſuchen. Die Beſtimmung dieſer Begriffe und 
bie Unterſuchung dieſer Rechte muß aus ben tief: 
(ten. Gruͤnden ber Vernunftlehre unb des Naturrechts 
hergenommen werden. Die Fragen, die dabey vot: 
kommen, ſind groͤßtentheils bey weitem nicht genug 

von 


FM aT ma*Y 


tot einanber unterfdjieben, unb nod weniger genau 
unb grünb(id) beantwortet. Gegenwaͤrtige Abhandlung 
ift beſtimmt eíne tiefere Unterſuchung derſelben zu ver⸗ 
anlaſſen, und wenn ſie dieſen Zweck erreicht, ſo wird 
ſie nicht ganz unnuͤtz ſeyn. 


Das Schickſal, bag durch ben Mißkrauch ife 
Werth nach und nach zweifelhaft geworden iſt, hat 
bie Auſklaͤrung mit andern Eigenſchaften des menſch⸗ 
lichen Geiſtes gemein; ſie ſollte alſo auch billig das 
mit ihnen gemein haben, daß ſie, ſo wie ſie, nicht an 
und fuͤr ſich ſelbſt, ſondern nur erſt dann, wenn ſie 
uͤbertrieben wird, fuͤr ſchaͤdlich gehalten wuͤrde. Die 
Namen eines Polyhiſtors, eines ſchoͤnen Geiſtes, ci 
nes Empfindſamen, die ſonſt ſo ehrenvoll waren, ſind 
jetzt Spottnamen geworden; koͤnnen fie das aber wol 
ſeyn, menn wir (ie einem Haller, Leſſing, Hagedorn, 
Stammler, Gellert unb. andern ihres Gleichen beyle⸗ 
gen? Sie (inb e$ alfo nur durch ben Stolz ber. fid): 
ten Vielwiſſer, bie Taͤndeleyen ber falſchen ſchoͤnen 
Geiſter unb die Affectation ber falſchen ober uͤbertriebe⸗ 
nen Empfindſamkeit geworden. Eben ſo kann der 
Werth der Aufklaͤrung uͤberhaupt durch die falſche und 
zu weit getriebene Aufklaͤrung verdaͤchtig geworden ſeyn; 
man wuͤrde aber in dieſem Falle ſo gut, wie in jenem, 
in Gefahr gerathen, etwas ſehr ſchaͤtzbares zu verwer⸗ 
fet, wenn man die Fehler unb befi Schaden ber fal⸗ 

ſchen 


FAMEM 32 ve 


ſchen Aufklaͤrung bie wahre wollte entgelten faffen. 
Welches iſt aber eine wahre Aufklaͤrung und wodurch 
unterſcheidet ſie ſich von derjenigen Mißgeſtalt, die 
ihren Gang nachaͤfft, und ihren Ehrennamen zu 
uſurpiren wagt? Um das beſtimmen zu koͤnnen, müf: 
ſen wir erſt das Weſen der Aufklaͤrung genauer er⸗ 


forſchen. 


1. Worin beſteht das Weſen der 
Aufklaͤrung? 


Es i(t-auffallenb, daß weder bie aufgeklaͤrteſten 
aͤltern noch neuern Nationen fuͤr dieſe bald gewuͤnſchte 
bald gefuͤrchtete Eigenſchaft des menſchlichen Geiſtes ein 
Subſtantiv haben, das bem deutſchen Worte Aufklaͤ— 
rung voͤllig entſpraͤche. Sie ſehen ſich genoͤthigt, wenn 
ſie es uͤberſetzen wollen, ein Wort zu gebrauchen, das 
mit unſerm Erkenntniß, Einſichten, gleichbedeutend 
iſt; die Englaͤnder Knowledge, die Franzoſen 
Connoiffances, lumieres. Die Aufklaͤrung befoͤr—⸗ 
dern heißt ihnen, die Sphaͤre menſchlicher Kenntniſſe 
und Einſichten erweitern. 


Die Frage kann daher bey dieſen Nationen gar 
nicht vorkommen, ob bie Aufklaͤrung koͤnne ſchaͤdlich 
ſeyn, ob man die Aufklaͤrung befoͤrdern oder hindern 


muͤſſe; denn das wuͤrde heiſſen: ob es ſchaͤdlich ſey, ein 
ein: 


CMOTM 343 e 


einſichtsvoller Mann gu ſeyn, o6 man Senntniffe unb 
Einſichten Befórbern ober Dinbern folle ; fie entfált, in 
ihter Sprache autgebrudt, eine zu auffallenbe linge 
reimtheit, aí$ daß fie nut. fónnte aufaemorfen wer: 
ben. So fefe fann bie Sprache qur Leitung be ger 
funben SBer(tanbes bienen. 


In ber franzoͤſiſchen unb engliſchen Sprache koͤn⸗ 
nen alfo dieſe Fragen nicht aufgeworfen werden; in 
ber unfrigen koͤnnen fie es, umb fie finb es auch. Wo⸗ 
her kommt dieſes? Mich duͤnkt, das Wort Aufklaͤ⸗ 
rung enthaͤlt einige Nebenbegriffe, die durch die Aus⸗ 
druͤcke Erkenntniß und Einſichten nicht ganz erſchoͤpft 
werden. 


Es iſt wiederum eine Sonderbarkeit, bie mir 
merkwuͤrdig ſcheint, baf man eínen Euler, Kaͤſtner, 
Aluͤgel, Lichtenberg, wol gruͤndliche, tiefſinnige, 
aber ſchwerlich aufgeklaͤrte Mathematiker nennt. Man 
ſagt, daß ſie weit umfaſſende Kenntniſſe und Einſich⸗ 
ten in ihrer Wiſſenſchaft beſitzen; dé iſt aber nicht gez 
woͤhnlich, von einer aufgeklaͤrten Geometrie unb Ana⸗ 
lyſis zu reden. Deſto oͤfterer rebet man von aufge⸗ 
klaͤrten Gottesgelehrten, von aufgeklaͤrten Weltweiſen, 
Aer zten, Naturforſchern. Der Grund der Verſchie⸗ 
denheit dieſes Sprachgebrauchs ſcheim mir in den Ne⸗ 
benbegriffen des Worts Aufklaͤrung unb der Natur 

Philoſ. Mag.i. Gt, € occ 


f^fM 34 — mS 


ber Wiſſenſchaften zu liegen, auf bie es angetoanbt 
wird. Die mathematiſchen Wiſſenſchaften beduͤrfen 
zu ihrer Vervollkommnung nichts anders, als oie Ver⸗ 
mehrung deutlicher und tiefſinniger Kenntniſſe; Irr⸗ 
thuͤmer und Vorurtheile koͤnnen ſich in ihrem Gebiet 
nicht feſtſetzen; das iſt kein Feind, den ſie zu beſiegen 
haben, wenn ſie ihre Graͤnzen erweitern, und ihr 
Licht uͤber einen weitern Horizont ausbreiten wollen; 
was ſie wiſſen, das wiſſen ſie entweder recht oder gar 
nicht. In allen andern Wiſſenſchaften giebt es aber 
ein gewiſſes Mittelding zwiſchen richtigen Einſichten 
und Unwiſſenheit, das ſo lange den Schein der erſtern 
annimmt unb ihre Stelle behauptet, bis eine gt 
nauere und tiefſinnigere Unterſuchung es in das Reich 
der letztern zuruͤckweiſt; zwiſchen der wahren Wiſſen⸗ 
ſchaft und der bloßen Unwiſſenheit ſteht noch die 
Scheinwiſſenſchaft oder der Irrthum mitten inne. 
Die Vervollkommnung der reinen Mathematik erfo⸗ 
dert alſo bloß die Befoͤrderung der Wiſſenſchaft und 
die Verminderung der Unwiſſenheit; die Vervollkomm⸗ 
nung bet übrigen beſteht nicht blog ín der Vermeh⸗ 
rung der wahren Wiſſenſchaft und der Verminderung 
bec Unwiſſenheit, fie erfodert aud) nod) bie Vermin⸗ 
beruna ber. Scheinwiſſenſchaft, b. i. bet. Irrthuͤmer 
unb 93orurtfeile. Die 2iufflárung ſcheint alfo nicht 
bloß Vermehrung bec Wiſſenſchaft umb Verminderung 
der Unwiſſenheit, ſie ſcheint auch Verminderung der 


Irr⸗ 


fM as e 


Jerthuͤmer unb 93orurtfeife zu erforbern, fie ſcheint 
nid)t bloß bee Unvollkommenheit ber ecftern Art, fone 
bern aud) ber Unvollfommenfeit ber (eGtetn Art enti 
gegengefeGt zu ſeyn, unb zwar bíefer letztern vorzuͤg⸗ 
lich; die von der erſtern Art ſcheint nur zu ihrem 
Weſen zu gehoͤren, fofern bie. Irrthuͤmer unb Vorur⸗ 
theile ohne Vermehrung der wahren Wiſſenſchaft nicht 
koͤnnen vermindert werden. 


Die Fortſetzung dieſer Vergleichung der reinen 
mathematiſchen Wiſſenſchaften und der uͤbrigen kann 
uns mit bem Weſen bet Aufklaͤrung nod) naͤher bekannt 
machen. Laſſen Sie uns ju dem Ende bie Eigenheiten, 
wodurch ſich die reine Mathematik auszeichnet, noch 
etwas weiter verfolgen. 


Zu den Urſachen, warum dieſe Wiſſenſchaft 
nie, wie alle andere, von ihrem Entſtehen an durch 
Irrthuͤmer iſt entſtellt worden, von denen ſie durch 
den Scharfſinn ihrer Verbeſſerer haͤtte muͤſſen gerei⸗ 
nigt werden, kann man, glaub ich, mit Recht auch 
die rechnen, daß fie auf allen Stuſen ihrer Vollkom⸗ 
menheit nothwendig immer zu den gelehrten Kenntniſ⸗ 
fet gehoͤren mußte; daß fie alfo immer das aus Hhlie⸗ 
Benbe Eigenthum derjenigen bleiben konnte, tie ihre 
Neigung, ihre Talente und ihr geuͤbter Verſtand zu 
ihrer Bearbeitung geſchickt machte. Das kam daher, 

€ 2 baf 


fMsfM 36 ^c 


baf ifr Beduͤrfniß nie allgemein mar, toíe ba8 5e 
bürfnig ber S9teligion, bet Cittenlebre, ber Natur⸗ 
(febre; bíe Unfaͤhigkeit des rohern unb. unwiſſendern 
Theils der Menſchen konnte daher nie, wie auf den 
uͤbrigen Feldern ber. menſchlichen Erkenntniß, bae Un⸗ 
ftaut ber Irrthuͤmer unb Vorurtheile ausſtreuen. Da; 
von war eine natütlid)e Folge, bag bie 2ínbauer ihres 
Feldes nur feine Graͤnzen durch neue Anpflanzungen 
erweitern durften. Die Verbeſſerer der uͤbrigen Zweige 
der menſchlichen Erkenntniſſe, mußten aber uͤberdem 
noch bie Wiſſenſchaft von Vorurtheilen unb. Irrthuͤ⸗ 
mern reinigen, womit ſie durch die Rohigkeit, Unge⸗ 
lehrigkeit und den Unwerſtand der Menge waren vete 
dunkelt worden; um ju verbeſſern, mußten fie aufs 
klaͤren. 


Ein anderer Vorzug der mathematiſchen Wiſſen⸗ 
ſchaften, den ich zu der letztern Claſſe rechnen kann, 
beſteht darin, daß ihre Begriffe und Wahrheiten zu 
weit von dem Gebiete der Sinnlichkeit entfernt liegen, 
als daß bie Einbildungskraft unb bie Leidenſchaften 
des Menſchen einen Einfluß darauf haben koͤnnten. 
Wie ſehr dieſe die Religion und Sittenlehre verdorben 
haben, lehrt die Geſchichte des menſchlichen Verſtan⸗ 
des. Die Leidenſchaften haben in dem rohen Zuſtande 
ber. menſchlichen Geſellſchaft das Naturrecht unb bie 
Sittenlehre gebildet, und aus dieſen Zuͤgen ber Rohig⸗ 

keit 


S)9AMTP 37 "34v 


feit fat ble Cinbilbungéfraft bas Bild ihrer Glottfeit 
àufammengefe&t. — Wer alfo 3teligion unb Sittenlehre 
vervollfommnen molite, mufte erft bíefe &puren ber 
Rohigkeit ausiófdjen, b. i. er mufte fie aufklaͤren. 


Der letzte Characterzug, ben uns bie Verglei⸗ 
chung bcr. mathematiſchen Wiſſenſchaften mit ben uͤbri⸗ 
gen Kenntniſſen des Menſchen ſichtbar macht, liegt 
in ber Beglaubigung ihrer Wahrheiten. Syn bec Ma⸗ 
thematik iſt dieſe Beglaubigung keine andere als die 
vollſtaͤndigſte, ſtrengſte Demonſtration, die von der 
Wiſſenſchaft, ber man fie nur nod) immer unvolifom; 
ten fat nadjabmen £ónnen, ben Samen ber matber 
matiſchen ecfa(ten fat. Die Lehren ber veinen 9a: 
thematik haben entweder mathematiſche Gewißheit, 
oder fie haben gat keine, mic ſind entweder durch Oe: 
monſtration davon uͤberzeugt, oder gar nicht. Autho⸗ 
ritaͤt des Lehrers, uͤberredende Gruͤnde, bie bie (Cin 
bildungskraft, die Neigungen und die Leidenſchaften 
fuͤr eine Lehre gewinnen, koͤnnen hier nicht angebracht 
werden. Sie koͤnnen es aber in der Religion, in der 
Sittenlehre, in der Naturlehre und in allen unter 
ihnen enthaltenen Wiſſenſchaften. Dieſer Theil der 
eigenthuͤmlichen Natur von beiden Hauptarten der 
menſchlichen Kenntniſſe iſt zum Vortheil ber mate: 
matiſchen und zum Nachtheil der uͤbrigen entſcheidend. 
Durch ihn haͤlt die erſtere alle diejenigen ſogleich von 

€ 3 ibren 


fM 38 ^u 


ihren Graͤnzen a6, bie feiner Ueberzeugung bird) 
Demonſtration faͤhig (inb; burd) ibn verfagt fie allett 
ebren bie Aufnahme, bie fid) nicht mit bem Siegel 
be$ ſtrengſten Vernunftbeweiſes rechtfertigen; indeß 
die letzteren jedem eine Stimme vergoͤnnen, der ſich 
des Rechtes, ſeine Meinung zu ſagen, anmaaßen will, 
und Lehren aufnehmen, die nichts als die Mehrheit der 
Stimmen, das Anſehen des Lehrers und oft die Rohig⸗ 
feit uno Bloͤdſinnigkeit der Glaͤubigen beguͤnſtigen fant, 


Ein weſentliches Stuͤck der Aufklaͤrung iſt alſo 
auch dieſes, daß ſie den Einfluß des Anſehens auf die 
Ueberzeugung vermindert, und den Gebrauch des ei⸗ 
genen Urtheils an die Stelle der Unterwerfung unter 
ein fremdes noch ſo ehrwuͤrdiges, ſo wie die Ueber⸗ 
zeugung aus innern Gruͤnden der Wahrheit an die 
Stelle des blinden Glaubens ſetzt. So gebrauchen 
die Franzoſen das Wort Philoſophie, wenn ſie es 
ber Xeligion entgegenſetzen. Da ſie unter Religion 
nur die poſitive verſtehen: ſo iſt ihnen Philoſophie der 
Inbegriff aller Kenntniſſe, die wir der Vernunft und 
der Erfahrung zu danken haben. Bey uns wird der 
Gedrauch ber. Vernunft in. ber Religion nicht ausge; 
ſchloſſen, wir haben eine Religionserkenntniß, die ein 
Theil der Philoſophie iſt; bey uns kann daher dieſe 
Oppoſition der Philoſophie und der Religion nichts 
anders als Mißverſtand veranlaſſen. 

Wenn 


PAM" 39 ^ 


Wenn toit biefe Zuͤge gut genaueſten Schilderung 
bet wahren Auftlaͤtung zuſammenfaſſen: fo wird fie 
ín Verminderung ber Irrthuͤmer unb (n Vermeh⸗ 
tung ber beutlid)ften unb richtigſten Senntni(fe aus 
ben angemeffenften Wahrheitsgruͤnden beſtehen. Der 
vollkommen aufgeklaͤrte Menſch wuͤrde alſo derjenige 
ſeyn, der ſich von allen Irrthuͤmern losgemacht und 
ſeinen Verſtand mit der deutlichſten und richtigſten 
Erkenntniß bet Wahrheit durch Vernunft, Erfah—⸗ 
rung und den vernunſtmaͤßigſten Glauben bereichert 


haͤtte. 


Allein dieſer Vollkommenauſgeklaͤrte iſt eben ſo 
wenig, als der Vollkommentugendhafte, irgendwo 
unter ben Menſchen ju. finden. Die menſchliche Voll⸗ 
kommenheit bildet ſich nach und nach; das gilt ſowohl 
für ben Verſtand als für das Herz; fie fángt mit 
ſchwachen Schritten an, unb geht (angfam, inter 
vielem Schwanken, Fehltritten unb Zuruͤckweichen ber 
hoͤchſten Stufe entgegen, ofne fie zu erreichen. Es 
muß alſo nothwendig in der menſchlichen Aufklaͤrung 
ſo unendlich mannigfaltige Stufen geben, als in der 
menſchlichen Tugend. In beiden aber muß es einen 
gewiſſen Anfang geben, worin fid) ihre Geſtalt zu bil⸗ 
den beginnt. In der Tugend iſt dieſes der feſte Vor⸗ 
ſatz, nur das zu thun, was man fuͤr recht erkennt, und 
zwar weil man es fuͤr recht erkennt; ín bec Aufklaͤ⸗ 

€ 4 rung, 


FXVF^ 40 màs 


cung, nidjté für wahr gu halten, als wovon ung, 
nad) forafáftiger Pruͤfung, Vernunſt, Erfahrung oder 
vernuͤnftiger Glaube uͤberzeugt. Das, und nichts 
anders, wird alſo das Weſen der Aufklaͤrung ausma⸗ 
chen; wer dieſe Gewohnheit beſitzt, wird auf den Na⸗ 
men eines aufgeklaͤrten Mannes mit Recht Anſpruch 
machen koͤnnen; denn er iſt auf dem Wege, auf wel⸗ 
chem er allein der Wahrheit immer naͤher kommen und 
ſie immer mehr ohne die Taͤuſchungen des Irrthums 
wird erblicken koͤnnen. 


Es iſt wichtig, daß wir dieſen Geſichtspunct, 
worin wir das Weſen der Aufklaͤrung betrachten, feſt 
vor den Augen behalten, wir werden ſonſt ſchwerlich 
bie wahre Aufklaͤrung von ber ſalſchen zu unterſchei⸗ 
ben, unb bie mannigfaltigen Anmaaßungen einge⸗ 
bildeter Aufklaͤrer und Aufgeklaͤrter mit Sicherheit zu 
beurtheilen im Stande ſeyn. Es iſt daher der Muͤhe 
werth, daß wir uns von der Richtigkeit des angege⸗ 
benen Begriffs nod) durch einige Faͤlle, worin das 
Wort gebraucht wird, zu uͤberzengen ſuchen. 


Wir nennen den einen aufgeklaͤrten Landwirth, 
der in der Verwaltung ſeiner Oekonomie nicht einer 
gedankenloſen Routine folgt, und affe Verbeſſerungen 
derſelben aus einer blinden Anhaͤnglichkeit an ein un⸗ 
gepruͤftes Herkommen verwirft. Und ein ſolcher wird 

er 


PAVERM 4y nav 


e ſeyn, er mag uͤbrigens das Alte beybehalten ober 
davon abgehen, wofern er nur beides nach ſorgfaͤltiger 
Pruͤfung thut, und weder etwas eingefuͤhrtes beybe⸗ 
haͤlt, noch etwas neugewagtes annimmt, von deſſen 
vorzuͤglichem Nutzen ihn nicht Nachdenken und Erfah⸗ 
rung belehrt hat. Eben ſo nennen wir einen Boerhave 
einen aufgeklaͤrten Arzt, nicht wegen bet neuen Heilmit⸗ 
tel, die er zuerſt gebraucht, nicht wegen ſeiner Ver⸗ 
werfung alter und Einfuͤhrung neuer Curmethoden, 
alſo nicht darum, daß er das Alte verworfen und das 
Neue aufgebracht; ſondern darum, daß er die Theorie 
unb Praxis ber Arzneykunſt auf Erfahrung unb un: 
leugbare Grundſaͤtze ber Vernunft gebaut, unb ihren 
Umfang durch neue Beobachtungen und Beſtaͤtigung 
der alten mit ſeinen eigenen erweitert. 


Dieſem alſo zufolge, daß das eigentliche Weſen 
der wahren Aufklaͤrung bloß in dem durchgaͤngigen ſorg⸗ 
faͤltigſten Gebrauche der Vernunft, der Erfahrung und 
eines vernunftmaͤßigen Glaubens beſteht, faͤllt es ſchon 
ín die Augen, daß es eine eitie Anmaaßung ſey, fid) 
durch bloßen Widerſpruch gegen allgemein angenom⸗ 
mene Meinungen das Verdienſt ber Aufklaͤtung jus 
zueignen. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als daß man die 
Verwerſung oder Beybehaltung gewiſſer Lehren zur 
Loſung macht, wonach man die auserwaͤhlten Aufge⸗ 
klaͤrten von ber Heerde ber. Unaufgellaͤrten ſondert; 

nichts 


F(AVM 42 m9 


nidté it gleichwol grundloſer. Der unwiſſendſte, 
leerſte und ſeichteſte Kopf kann aus Neuerungsſucht, 
und aus Begierde Aufmerkſamkeit zu erregen, alte 
Wahrheit verwerfen und neue Irrthuͤmer behaupten, 
wie ber aufgeklaͤrteſte Mann alte Wahrheit beybehal⸗ 
ten und neuen Irrthuͤmern ſich entgegenſetzen kann. 
Weder das Alte noch das Neue in den Meinungen, 
macht das Weſen bet Aufklaͤrung aus; ſondern bloß 
bie Bewegurſachen, warum das (ine ober das An⸗ 
dere angenommen oder verworfen wird. Wer ſich 
bloß durch Gruͤnde der Vernunft und der Erfahrung 
beſtimmen laͤßt, Lehrwahrheiten, und durch vernuͤnfti⸗ 
gen Glauben, Geſchichtswahrheiten anzunehmen oder 
zu verwerfen, ſie moͤgen uͤbrigens neu oder alt ſeyn, 
deſſen Aufklaͤrung iſt eine wahre; wer ſeine Anſpruͤche 
auf andere Gruͤnde baut, welche e$ ſeyn moͤgen, deſ⸗ 
ſen Aufklaͤrung iſt eine falſche, angemaaßte. 


2. Kann unb ſoll bie Aufklaͤrung in dem 
gegenwaͤrtigen Zuſtand der menſchlichen 
Geſellſchaft allgemein ſeyn? 


Wenn wir dieſe Frage nad) bem feſtgeſetzten Be⸗ 
griffe von Aufklaͤrung beſtimmen, ſo muß ſie dieſen 
Sinn haben: Kann ein jedes Glied der menſchlichen 
Geſellſchaft, in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande, zu der 
velifommenen Ausbildung feines Verſtandes gelangen, 

daß 


WMPÉR 43 ^ 


baf ed in allem, was e$ annimmt ober vertoirft, aat 
feiner 2(utforitát folgt, und fid) bfog burd) Girünbe 
ber Vernunft unb. ber Grfabrung beftimmen laͤßt? 


Wir müffn bie Frage auf ben aeaenmoártiaen 
Suftanb der menſchlichen Geſellſchaft  einfd)ránfen, 
wenn wir uns ihre Beantwortung nicht unmoͤg⸗ 
lich machen wollen. Denn wie koͤnnen wir es 
uns zu entſcheiden anmaagen , wie die goͤttliche 
Vorſehung die Regierung der uns unbekannten Theile 
des unermeßlichen Geiſterreiches verwaltet, ober was 
fie fuͤr das menſchliche Geſchlecht in. ben durch Millio— 
nen Jahre von uns entfernten Zeitperioden ſeines Da⸗ 
ſeyns zu veranſtalten für aut finden wird? Sn ber Er⸗ 
forſchung des Zuſtandes der menſchlichen Geſellſchaft 
durch fo ferne Seiten ber Zukunft, kann uns bie Gre 
fahrung gar. nicht unb die Vernunſt nue. zur Entde⸗ 
ckung ſeiner allgemeinſten Zuͤge belehren. Wir muͤſſen 
alſo nur bey dem Vergangenen und Gegenwaͤrtigen 
ſtehen bleiben. Und was zeigt uns hier te Erfah— 
rung? Sie zeigt uns keinen Zeitraum, ſo groß oder 
klein er mag angenommen werden, keine Geſellſchaft, 
ſo eingeſchraͤnkt oder ausgebreitet ſie ſeyn maq, worin 
bie Aufklaͤrung, ſelbſt mad) dem engern Begriffe, 
oder ín alfen Gliedern ber. Geſellſchaft, in Anſehung 
aller Gegenſtaͤnde ber menſchlichen Erkenntniß allge⸗ 
mein waͤre. 

Die 


FEM 44 


Die unübemvinb(id)en Hinderniſſe biefee Allge⸗ 
meinheit der Aufklaͤrung liegen in den eigenthuͤmlichen 
Characteren des Alters und des Umfangs der Geſell⸗ 
ſchaſt. Iſt bie Geſellſchaft nod) neu, ift fie noch in 
iter Kindheit: fo (inb bie Senntniffe, wo nicht aller, 
bod) einiger iret Gifieber, zwar al[gemeinet, aber auch 
beflo begrángter. Der nefmtid)e Menſch i(t zwar aus 
gleid) Arzt, Rechtsgelehrter, Gottesgelehrter, Na⸗ 
turforſcher; aber welcher Arzt? welcher Rechtsgelehr⸗ 
ter? welcher Naturſorſcher ? Schreitet bie Geſellſchaft 
zu ihrer maͤnnlichen Periode fort: fo ift ihre Arzney⸗ 
kunde, ihre Rechtsgelehrſamkeit, ihre Theologie, ihre 
Naturlehre vollkommner, ſie iſt weitumfaſſender, 
richtiger, gruͤndlicher. Allein welcher einzelne Menſch 
kann nun nod) alle dieſe mediciniſchen, juriſtiſchen, theo⸗ 
logiſchen, phyſiſchen, mathematiſchen und philoſophi⸗ 
ſchen Kenntniſſe in ſich vereinigen? Wenn wir daher 
einige ſeltene Faͤlle ausnehmen, ſo iſt der große Mann 
nur ín ſeinem Fache groß. Wilhelm oer Dritte, Koͤ⸗ 
nig von England, ein Mann, der ſich auf Menſchen 
verſtand, War einſt uͤber eine Staatsangelegenheit 
verlegen, man rieth ihm Newton ju Rathe zu zie⸗ 
hen; Newton! antwortete ber Koͤnig, bet iſt weiter 
nichts als ein großer Philoſoph. Syn wie vielen Um⸗ 
ſtaͤnden, bey wie vielen mathematiſchen Aufgaben 
haͤtte der Philoſoph, wenn man ihm gerathen haͤtte, 

den 


Vu 45 ^29 


ben Monatchen 3u fragen, antroorten koͤnnen: Wil⸗ 
belm iſt weiter nid)té al$ ein großer &taütémann! 


Die Ausdehnung ber Gefelfdjaft, bie voflform, 
nere. Ausbildung bet Wiſſenſchaften vervollfommnet 
nothwendig ba$ Gange, aber. bey weitem nicht eben 
fo nothwendig jeben Theil. Die gegenmártige Welt 
mag die alte Welt im Ganzen an Kenntniſſen über: 
tteffen; aber es iſt weit geſehlt, daß ein jedes ihrer 
Glieder ein jedes Glied der alten Welt an Kenntniſſen 
und Geiſtesbildung uͤbertreffen ſollte. Die lyriſche 
Muſik unſerer Opern iſt gewiß vollkommner, ſie iſt 
ein ſchoͤneres Concert, als die lyriſche Muſik des goͤtt⸗ 
lichen Pindar; aber ſchwerlich wird jemand behau⸗ 
pten, daß ein jeder Capellgeiger ein groͤßerer Mann 
ſey, als er. Dieſes Concert iſt ein treffendes Bild der 
gegenwaͤrtigen Cultur ín Vergleichung mit ber Cultur 
bet Vorwelt: es ift zuſammengenommen unb im Gan: 
zen beſſer, abet barum iſt nicht jeder Mitſpieler beſſer. 


Wenn alſo die Geſellſchaft aufgeklaͤrt iſt, ſo folgt 
nicht gleich, daß jedes Glied derſelben in gleichem Grade 
aufgeklaͤrt ſeyn muͤſſe. Das Erſte heißt weiter nichts, 
als, die Geſellſchaft enthaͤlt Maͤnner, die den ganzen 
Umfang der menſchlichen Kenntniſſe nach den richtig⸗ 
fte. unb ſicherſten Grundſaͤtzen der Vernunft unb bet 
Erfahrung, ſo wie mit der ſorgfaͤltigſten, helleſten und 
zuvetlaͤſſ igſten Kritik bearbeitet haben. Allein dieſer 

Ge⸗ 


AV*AS. 46 p0à 


Gebrauch bet Vernunft, ber Erfahrung unb bee Stt 
tik ift einem jeben nur ín feinem eígenen ade moͤg⸗ 
lich; in einem fremben muß ec. fido frember Einſichten 
bebienen , er muf (id) auf bie Senntniffe des Gad; 
funbígen verfaffen, et mu beffen Urtheile trauen; 
furj, ec muß ba$ einem Andern glauben, was et 
nicht burd) eigene Unterſuchung, burd) eigenen. Ver⸗ 
munftgebraud), au$ eigener Crfafrung wiſſen kann. 


Iſt biefe ſelbſt bey benen ber Fall, bie fid) ganz 
ben Wiſſenſchaften unb ber Bildung ihres Verſtandes 
widmen koͤnnen; wie weit mehr wird er es bey denen 
ſeyn, die durch mechaniſche Arbeiten und die Sorge 
für bie Erwerbung ber Nothwendigkeiten des Lebens 
an ihrer Aufklaͤrung gehindert werden! wie weit 
mehr werden dieſe genoͤthigt ſeyn, ſich auf frem⸗ 
de Einſichten zu verlaſſen, und ſtatt, ſich bloß 
durch eigene Vernunft und Erfahrung, durch die 
Authoritaͤt der Aufgeklaͤrteren in ihren Urtheilen 
leiten zu laſſen. Wenn daher die richtigern Kenntniſſe 
ber Aſtronowmie, ber Naturlehre ober ber Arzneytunde 
bis ju ben niebrigern Claſſen ber Buͤrger herabkom⸗ 
men: fo fónnen fie bod) für biefe feine andere Beglau⸗ 
bigung, als burd) bas Vertrauen auf ble hoͤhern Kennt⸗ 
niſſe der Gelehrten, alſo bloß die Beglaubigung der 
Authoritaͤt haben. Wenn unter dieſer Claſſe als aus⸗ 
gemacht angenommen wird, daß es einen Planeten 

Ura⸗ 


&»ytAW 49. «wA 


Uranus gebe, bag Saturn einen Ring fae: (o ift ift 
das nid)t ausgemacht, weil fie e$ bucd) eigene Beobach⸗ 
tung voi(fen 3 ſondern weil (ie e$. ber Authoritaͤt bet 
Aſtronomen glauben. Wie ſoll alfo bie Aufklaͤrung, 
wenn wir darunter die Berichtigung unſerer Kennt⸗ 
niſſe durch eigenen Vernunftgebrauch und durch eigene 
Erfahrung verſtehen, ſich je durch alle Kenntniſſe, oder 
auch nur durch einige uͤber alle Menſchen allgemein 
ausbreiten tónnen ? 


3. Sann unb ſoll bie Aufklaͤrung im ber 
Religion in bem gegenmártigen Quftanbe 
bet. Gefellfd)aft allgemein werben ? 


So fern bie Religion nicht tie Angelegenheit el; 
nes gewiſſen Standes, fonbern eines jeden Menſchen 
iſt, ſo fern iſt die Verpflichtung zu ihrer Erkenntniß 
allerdings allgemein; daͤrin macht fie eine Ausnahme 
von der Regel. Allein demungeachtet koͤnnen nicht 
alle Claſſen von Menſchen zu einem gleichen Grade 
der Vollkommenheit dieſer Erkenntniß verpflichtet ſeyn. 
Und wie ſollten fie aud) ? da bie verſchiedenen Geiſtes⸗ 
faͤhigkeiten, womit die Menſchen gebohren werden, 
und die Umſtaͤnde, worin ſie leben, ſo mannigfaltige 
Grade der Ausbildung des Verſtandes nothwendig 
machen. In dieſem Stuͤcke kann fuͤr die Religion 
feine Ausnahme Statt finden. Die Vollkommen⸗ 

heit 


CVM 18 S*L 


feit ihrer Erkenntniß beruhet auf ter. Erweiterung, 
der Richtigkeit und Gruͤndlichkeit unſerer Kenntniſſe 
ín allen uͤbrigen Wiſſenſchaften; alle Uebung des Ver— 
ſtandes an allen Arten der Erfahrungs- unb Ver—⸗ 
nunftwiſſenſchaften, den moraliſchen, phyſiſchen, ma⸗ 
thematiſchen, metaphyſiſchen, ift ein Beytrag zur Voll⸗ 
kommenheit unſerer Religionserkenntniß, die erſtere 
befoͤrdert immer die letztere, unb letztere erfodert in 
mer die erſtere. Es muß daher eine Religion der 
Gebildetern und der Ungebildetern geben; beide koͤnnen 
eben fo wenig gleich aufgeklaͤrt ſeyn, als jſeder Stand 
in der Geſellſchaft in allen uͤbrigen Wiſſenſchaften 
gleich aufgeklaͤrt ſeyn kann. 


Dieſe Verſchiedenheit in den Graden ber Auf—⸗ 
klaͤrung ín ber Religion wird aud) nothwendig in bet 
Art iret Beglaubigung fid)tbar roerben müffen. Nur 
die Aufgeklaͤrtern werden ihrer 9teligionserfenntnig 
durch ben Gebrauch ihres Verſtandes unb ihrer Ver⸗ 
nunft ben groͤßten Tiefſinn unb die groͤßte Gruͤndlich⸗ 
keit geben koͤnnen; alle uͤbrigen werden durch Authori⸗ 


taͤt uͤberzeugt. 


Bey dieſer Vergleichung ber Religion bet. 2(uf: 
geklaͤrten und Unaufgeklaͤrten iſt nur von der Religion 
bet Vernunft bie Rede; alſo rur von benenStelíaioné: 


wahrheiten, bie von ber menfdlidyen Vernunft koͤn⸗ 
nean 


nen etfannt werden; auch biefe baben für ben llnauf; 
geflárten, wenigſtens jum Geil, feine anbere lle; 
berzeugungsgruͤnde als bie Authoritaͤt feines Lehrers. 
Dieſe Art der Gewißheit iſt freilich nicht die gruͤnd⸗ 
lichſte, allein das nimmt ihr nichts von ihrer Staͤrle, 
und die Staͤrke iſt gerade die Vollkommenheit der Ge⸗ 
wißheit, die einer Wahrheit am meiſten practiſche Kraft 
giebt. Die Erfahrung beweiſt es hinlaͤnglich, daß 
bie Ueberzeugung, die nur mit ihren tiefſinnigen 
Beweiſen in dem Verſtande wohnt, bey weitem dem 
Herzen nicht fo nahe liegt, atc diejenige innige Ueber—⸗ 
redung, bie durch das Gefuͤhl wirkt. Martyrer giebt 
es nur in dem rohen Zeitalter einer Nation, mit dem 
Fortgang tet Cultur nehmen fie von ſelbſt ab, und 
unter einem raͤſonnirenden Volke hoͤrt man nichts 
mehr von ihnen. 


Unter den beſten und kraͤſtigſten Ueberredungs— 
mitteln, die uns Erfahrung und Theorie an die Hand 
giebt, ſteht bie eigene Ueberzeugung des Lehrers oben 
an; von ifr erwartet die Dichtkunſt unb. Redekunſt 
bie groͤßte Wirkung fuͤr ihre Werke; von ihr werden 
auch gewiß die Wahrheiten der Religion fuͤr einen 
jeden eine ber kraͤſtiaſten Empfehlungen, unb bep ben 
Unaufgeklaͤrten ín. Anſehunq ber meiſten Wahrheiten 
ihre einzige Empfehlung erhalten. Von dieſer Seite 
betrachtet wird allezeit ein unſtraͤfliches exemplariſches 

Philoſ. Mag. 1, Gt. D Leben 


f^ 5o ^"249 


Leben ber. Predigt beó Religionslehrers eine. Soft 
geben, beren Abgang turd) feine Kunſt ber Beredt— 
famfeit unb durch fein Blendwerk einer theatraliſchen 
Declamation wird koͤnnen erſetzt werden. Das un; 
verdorbene Gefuͤhl unb bet gerade Wahrheitsſinn des 
gemeinen Chriſten urtheilt ſehr richtig, daß der 
ſchwerlich ſehr uͤberzeugt ſeyn koͤnne, deſſen Ueberzeu⸗ 
gungen auf ſein Herz ſo wenig Kraft haben. Wenn 
nun dieſe aͤußern Ueberzeugungsmittel die einzigen 
ſind, die auf den gemeinen Chriſten wirken koͤnnen: 
fo wird ber unſittliche ober leichtſinnige Prediger 
ſchwerlich alles das mit noch ſo viel Beredtſamkeit 
wieder aufbauen, was er mit einem aͤrgerlichen £e: 
benswandel niederreißt. Es ift eine unmoͤgliche os 
derung, daß bet gemeine Zuhoͤrer, der bie Wahr—⸗ 
heiten ber Religion unb Sittenlehre nicht in if: 
ren innern Gruͤnden einſehen kann, nach deſſen 
Worten thun ſoll, der ihm mit ſeinen Werken 


en(iofig ift. 


Nach eben den Geſetzen, mad) welchen bie Au— 
thoritaͤt uͤberhaupt auf das Gemuͤth wirkt, entſteht 
auch eie Ueberzeugung durch die Belehrungen bet. po: 
ſitiven Religion. Die Urkunde, welche dieſes Anſe⸗ 
hen hat, iſt aus tauſend Gruͤnden ehrwuͤrdig, deren 
Gefuͤhl kein weitlaͤuftiges Raͤſonnement, unb nichts 


vor aller der ſpitzfindigen hiſtoriſchen Kritik erſodert, 
womit 


(f^ 5r - wues» 


womit viele Apologeten des Chriſtenthums ben 5e; 
weis feiner Wahrheit mehr verwitret und erſchweret, 
als aufgeklaͤrt und erleichtert haben. Es wuͤrde 
ſchlecht um den Glauben des Chriſten ſtehen, wenn 
er ſo viele Gelehrſamkeit, Sprachkenntniß, Kritik 
unb Geſchichtskunde beduͤrfte, als bie meiſten Ver—⸗ 
theidigungen der chriſtlichen Religion erfodern. Zum 
Gluͤcke fuͤr die Tugend unb Gemuͤthsruhe des Cort 
ſten kann er. alles dieſes zu ſeiner Ueberzeugung ent: 
behren. Cr nimmt bie Thatſachen des neuen Teſta— 
ments als voͤllig ausgemacht an, und wenn er ſie 
nicht als ausgemacht annaͤhme, ſo iſt mir kein erſinn⸗ 
liches Mittel bekannt, ihn von ihrer hiſtoriſchen 
Wahrheit zu uͤberzeugen. Dae Alterthum feiner Mrs 
kunde, die Heiligkeit ihrer Tugendlehren, die Ver⸗ 
ehrung der großen Maͤnner, eines Luthers, eines 
Zwinglins, die darin ihren Heldenmuth, ſeiner Vor⸗ 
eltern, die darin die Reinigkeit ihrer Sitten, ihren 
Troſt und ihre Seligkeit gefunden, und mehr als 
dieſes bie ruͤhrende und bewundernswuͤrdige ei 
ligkeit des Stifters feiner Religion — das alles 
giebt den Wahrheiten, die er in dieſer Urkunde 
lernt, eine Sanction, die man, durch Raͤſonne⸗ 
ment und gelehrte Beweiſe zu erſetzen, vergebens 
verſuchen wird. 


D 2 4. Was 


f^vY^ 52 — wu» 


4. Was iſt faf(d)e Aufklaͤrung in ber 
Religion? 


Wenn dieſe Betrachtungen die allgemeinſte Erſah⸗ 
tung und eine richtige Kenntniß des menſchlichen Her⸗ 
zens auf ihrer Seite haben: ſo iſt leicht zu beſtim⸗ 
men, welche Aufklaͤrung in der Religion falſch und 
ſchaͤdlich iſt. Nur die iſt es, welche die ehrwuͤrdige 
Authoritaͤt einer wohlthaͤtigen poſitiven Religion bey 
denen wankend macht, die noch auf keine andere Art 
von den Wahrheiten, die zu ihrer Tugend und Ruhe 
unentbehrlich (inb, koͤnnen uͤberzeugt werden ; bie das 
belebende Feuer des Gefuͤhls durch Spott oder kalte 
Zweifel in dem Herzen ausloͤſcht, ohne gewiß zu ſeyn, 
es durch ein ſichrer leitendes Licht in dem Verſtande 
erſetzen zu koͤnnen. Wenn irgendwo eine halbe Aufklaͤ⸗ 
rung, bie fid) auf ein wenig Wiſſen gruͤndet, ein gefaͤhr⸗ 
liches Ding iſt: ſo iſt ſie es in der Religion. Sie iſt ge⸗ 
tabe groß genug, um das Gebaͤude unſerer Nuhe unb 
Tugend zu erſchuͤttern, aber nicht groß genug, dieſes 
Gebaͤnde durch dauerhaftere Stuͤtzen zu befeſtigen; 
es mug alfo mít feinen Grundpfeilern ſelbſt ſallen, 
und derjenige, der nur die Beglaubigung ſeiner Re⸗ 
ligion verbeſſern wollte, muß, weil er keiner andern 
faͤhig iſt, die Religion ſelbſt aus dem Herzen ver⸗ 
liehren. 


Die 


FKFAvf^ 553 ^» 


fie Selbſtgefalligkeit, womit bet Halbaufge⸗ 
klaͤrte und der falſche Aufklaͤrer auf ſeinen ſchwaͤchern 
Bruder herabſieht, giebt ihm einen Stolz, wel— 
cher ohne Schonung mit der Gemuͤthsruhe deſſelben 
ein ſchnoͤdes Spiel treibt, und ſich kein Bedenken 
macht, die Bande ſeiner Pflicht zu erweitern, von 
deren Feſtigkeit das Weib ſeines Herzens Treue und 
Zaͤrtlichkeit, ſeine Kinder Erhaltung, Vorſorge, 
Aufſicht, Erziehung, fo mie alle bie Seinigen ife 
ganjes zeitliches Wohl ermarteten. 


Das finb bie gewoͤhnlichen Folgen der falſchen 
Aufklaͤrung, moie uns bie Erfahrung alle Tage Bey⸗ 
ſpiele davon zeigen kann, und nur die Erwaͤgung die⸗ 
fec Folgen kann ben weiſen Wahrheitsfreund Din; 
dern, die Stuͤtzen der Authoritaͤt dem gemeinen Chri⸗ 
ſten verdaͤchtig zu machen, auf welchen die practiſche 
Religion deſſelben ruhet; nicht Gleichguͤltigkeit ge⸗ 
gen bie Wahtheit, nicht bie eigennuͤtzige Politik, bie 
den gemeinen Chriſten zu einer ewigen Unmuͤndigkeit 
verbammt, um ihn gegen fein Elend unempfindlich 
zu machen, unb um ihn ín ber zwiefachen Knecht⸗ 
ſchaft, der politiſchen und der kirchlichen, zu erhalten; 
kurz, dieſe vermeinte Aufklaͤrung wird ihm verſagt, 
nicht weil ſie Aufklaͤrung, ſondern weil ſie eine falſche 
unb ſchaͤdliche Auſtlaͤrung ift. 


23 €; 


f^^ 5I eem 


Es giebt alfo fein Recht, ber Aufklaͤrung Graͤn⸗ 
zen zu ſetzen, als das Recht der Weisheit und der 
Menſchenliebe, am wenigſten kann irgend jemand 
dazu ein vollkommnes Recht haben, nicht der Staat, 
nicht die Kirche. 


5. Hat die Kirche ein vollkommnes Recht, 
die Graͤnzen der Aufklaͤrung zu 
beſtimmen? 


Die Kirche koͤnnte dieſes Recht nur uͤber ihre 
Glieder haben, und dieſe ſind entweder ihre gemeinen 
Glieder oder ihre Lehrer. Wir wollen nur unterſu⸗ 
chen, ob ſie dieſes vollkommne Recht uͤber ihre Lehrer 
hat; alsdann wird ſich die Frage in Anſehung der 
gemeinen Glieder von ſelbſt beantworten. Um ſie 
recht deutlich und beſtimmt zu faſſen, wollen wir ſie 
ſogleich fo ausdrucken: at eine Kirche bas voll: 
kommne Recht, zu beſtimmen, wie weit ihr Lehrer 
durch ſeinen Vortrag den Gebrauch der Vernunft 
unb bie Erkenntniß ber Wahrheit in ber Religion be⸗ 
fürbecn foll, ober fann (ie ihn burd) bie Entſetzung 
von feinem €ebramt nótbigen, fid) in dieſer Abſicht 
innerfalb gewiſſer Graͤnzen zu falten, — hat fie baé 
volltommne Recht, ihn an beſtimmte Lehrvorſchrif⸗ 
ten zu binden? 


Es 


FM 55 ^"uc» 


Es ſcheint auf ben erſten Anblick, als wenn 
man der Kirche dieſes Recht nicht abſprechen koͤnne. 
Sie macht mit ihrem Lehrer einen Vertrag; und 
man ſollte meynen, daß beide Theile dieſen Vertrag 
nach ihrem Gefallen einrichten koͤnnten, daß ſich alſo 
keiner beklagen koͤnnte, wenn er zu denen Bedingun⸗ 
gen angehalten wird, zu denen er ſich anheiſchig ge⸗ 
macht fat. Allein das ſcheint nur. Denn id) darf 
nicht allesſverſprechen; ſondern nur das, was id) mit 
gutem Gewiſſen leiſten kann. Habe id) etwas vetr 
ſprochen, das ben Geſetzen ber Religion unb ter Tu⸗ 
gend entgegen iſt; muͤßte ich, um es zu leiſten, den 
Pflichten ber Wahrhaftigkeit, ber Menſchenliebe, bec 
Gerechtigkeit, der Keuſchheit entgegen handeln: ſo kann 
ein ſolches Verſprechen ſeiner Natur nach nicht kraͤftig 
ſehn. (ben fo wenig kann aud) jemand ein ſolches Ver⸗ 
ſprechen annehmen, oder ein vollkommnes Recht darauf 
gruͤnden, mich zu der Erfuͤllung deſſelben auzuhalten. 


Es iſt alſo immer noch die Frage, ob eine Kirche 
das Recht fat, ein Verſprechen von (einem. Lehrer 
anzunehmen, wodurch er ſich auf immer zu einem 
unveraͤnderlichen Religionsvortrage anheiſchig macht. 
Wir muͤſſen nemlich vorausſetzen, daß ber Zweck ei 
net Religionsgeſellſchaft nicht bloß bie Uebung beó àu: 
ßern Gottesdienſtes iſt, ſondern daß fie aud) ihre in 
nere Religion zur Abſicht hat, und von dieſer iſt 

D4 die 


max 56 5 


bíe SServollfommnung ihrer Religionserkenntniß einer 
der weſentlichſten Beſtandtheile. In den proteſtanti⸗ 
ſchen Kirchen iſt bekanntlich das Lehren eines der 
wichtigſten Stuͤcke des oͤffentlichen und Privatgottes⸗ 
dienſtes. Dazu ſind bie Predigten, bet Catechismus⸗ 
unterricht, dazu ſind die Erbauungsbuͤcher beſtimmt. 
Wie laͤßt es fid) aber. benfen, bag ber, welcher Un; 
terricht veríangt, feinem Lehrer fd)on jum vorau die 
Wahrheiten vorfd)reiben fónne, bie et iin vortragen 
foll ? Wer fid) will in ber Vernunſtlehre ober. ín bec 
Sittenlehre untercid)ten faffen, ber wird fid) mad) 
bem geſchickteſten unb gewiſſenhafteſten Lehrer in Dies 
fen Wiſſenſchaften umfefen, et wird ven ibm Die 
groͤßte Sreue unb Sorgfalt, bie zweckmaͤßigſte Voll⸗ 
ſtaͤndigkeit, die volllommenſte Deutlichkeit und Gruͤnd⸗ 
lichkeit verlangen. Wie koͤnnte er ſich aber einfallen 
laſſen, ſeinem Lehter ſchon zum voraus die Wahrhei⸗ 
ten vorzuſchteiben, bie ec erſt von ifm lernen mill? 


SRan fónnte zwar denken, ba bie Kirche bier 
eine Ausnahme machen bürfe; benn ber Zweck ibre$ 
geſellſchaftlichen Gottesdienſtes fep rbauung. Allein 
kann dieſe bey jeder Religionshandlung und bey jedem 
Theile derſelben ihr unmittelbarer Zweck ſeyn? und 
kann e$ ihr gleichguͤltig ſeyn, ob Wahrheit unb Ver⸗ 
nunft ihre Erbauung leitet ober nicht? Koͤnnte das 
einer proteſtantiſchen Kirche gleichguͤltig ſeyn: — 


FMaMT^ 57 8449 


ſehe id) nid)t , womit fie e$ rechtfertigen will, ba fie 
ben ganzen Pomp, unb fo viele gebeimnifivolle Ge: 
bráud)e ber cómifcben Kirche vermorfen Dat, benen 
fein unparteyijd)er Beobachter ire große SBirfung 
auf bie &innen unb bie dunkeln Geſuͤhle abfpred)en 
wird. Sagt (ie, baf fie fie vermoorfen babe, weit (ie 
feine vernünftige Erbauung befórberten, weil Die 
Gefuͤhle, bie fie erregten, entweder gat. feíne Reli⸗ 
gion$empfinbungen waren, ober nid)t rid)tige unà 
vernunftmaͤßige Grfenntnig Gotte$, fonbern Aber⸗ 
glauben au ihrer Quelle batten : fo geftebt fie zugleich, 
baf fie richtige Belehrung in ber Religion für ein roe: 
fentíid)e$ Stuͤck ihres Zwecks haͤlt. 


Dann aber kann ſie ihren Lehrer nicht weiter als 

im Allgemeinen verpflichten, die Wahrheiten der Re⸗ 
ligion nad) (einen beſten Einſichten von ben 95ebürf: 
niffen unb Faͤhigkeiten ihrer meiften Glieder vorgu: 
tragen. Geht fie weiter, unb ſchreibt ibm eine un: 
veránberfid)e Glaubensform vor, fo erf(árt fie, daß 
fie keine Belehrung verlangt, unb baf ifr bie meitere 
f5erid)tigung unb Aufklaͤrung ifrer Religion gleich— 
guͤltig iſt. Soll fie ibr das nidt ſeyn: fo fann fie 
ihren Vebrer nur. ju ihrem allgemeinen. Zwecke vet; 
pflichten, unb bann muf (ie e$ feiner Weisheit unb 
Gewiſſenhaftigkeit überlaffen , ben Grab ber Reinig⸗ 
feit unb bie Art ber Beglaubigung feiner Belehrun⸗ 
25 gen 


F^wvf^ 5g "rem 


gen ber Faͤhigkeit und ben Beduͤrfniſſen ſeiner Zuhoͤ⸗ 
tet anzumeſſen. 


Eine kirchliche Verfaſſung, die in Abſicht auf 
ihre Lehren auf ſolchen Grundſaͤtzen gebauet iſt, kann 
allein den Naturgeſetzen und dem allgemeinen vernuͤnf⸗ 
tigen Kirchenrecht gemaͤß ſeyn; mit ihr kann die 
Kirche ihren eigenen Zweck, ſich durch die Verehrung 
des hoͤchſten Weſens zu veredeln, am beſten erreichen, 
unb zugleich bie Pflichten der Religion und Men—⸗ 
ſchenliebe erfuͤllen. Denn ſowol bie Pflichten bec 
Religion als der Menſchenliebe, verbieten, irgend je⸗ 
mand von der Anbetung Gottes in ihren Verſamm⸗ 
lungen auszuſchließen, irgend jemand, der dieſes Be⸗ 
duͤrfniß ſuͤhlt, an bem Genuß ber mannigfaltigen 
Seligkeiten eines geſellſchaftlichen Gottesdienſtes zu 
hindern. So befoͤrdert und verbreitet ſie, ſo viel an 
ihr it, bie Verherrlichung des hoͤchſten Weſens, fo 
vergroͤßert fie ben. Choe, deſſen Stimmen (id) zum 
Preiſe des Ewigen vereinigen. 


So viel und groß ſind die Segnungen einer 
kirchlichen Verfaſſung, bie auf ben Grundſatzen bet 
Reuigion unb Per allgemeinen. Gerechtigkeit rubet ; 
unb bod) finb fie có nod) nid)t alle. Da es wichtig 
ift, feine ibrer wohlthaͤtigen Wirkungen gu überfcben ; 
fo duͤrfen mir aud) folgende nid)t verſchweigen. 


Zufoͤr⸗ 


59 "we 


Zufoͤrderſt Dringt eine ſolche Verfaſſung die 
groͤßte Harmonie unter ihre Glieder, die im bem qe: 
genwaͤrtigen Zuſtande ber. menſchlichen Geſellſchaft 
moͤglich iſt. Diejenigen, welche fid) zur Verehrung 
Gottes vereinigen, koͤnnen in den Faͤhigkeiten und 
der Ausbildung ihres Verſtandes ſehr verſchieden ſeyn; 
dieſe Verſchiedenheit iſt deſto groͤßer uit? mannigfalti— 
get, je groͤßer ihre Anzahl iſt. Die Wiſſenſchaſten 
werden taͤglich außer der Kirche durch fortgeſetztes 
Nachforſchen und Beobachten zu einem hoͤhern Grade 
von Vollkommenheit gebracht, unb die Gebildtern nu: 
tzen dieſe Vervolllommung; dieſe Erweiterung und 
Berichtigung ihrer wiſſenſchaftlichen Kenntniſſe muß 
aber nothwendig auch auf ihre Religionserkenntniß 
wirken, (ie reiner, wuͤrdiger, und gruͤndlicher ma: 
chen. Sollte nun dieſer vollkommneten Siteligionés 
erkenntniß durch unveraͤnderliche Glaubensvorſchriften 
aller Zugang zu der Kirche verſchloſſen werden: ſo 
muͤßte endlich der Abſtand zwiſchen der Religion der 
gemeinen und gebildetern Glieder ſo groß werden, daß 
er keine gemeinſchaftliche Erbauung mehr zuließe, die 
Gebildetern wuͤrden fid) von bem Gottedienſte bec 
Kirche ausſchließen, unb er wuͤrde endlich bloß ben 
Unmuͤndigen, ben Schwachen unb ben Armen am 
Geiſte überíaffen werben. Ich darf nicht Gemerfen, 
wie nachtheilig dieſes der Religion ſelbſt ſeyn wuͤrde, 
iie feit diejenigen, welche fid) durch das Anſehn 

der 


ff^ Óo wa 


ber Gebildetern leiten laſſen, aegen alle Religion wuͤr⸗ 
ben. eingenommen merben, wenn fie glauben koͤnnten, 
baf bie, welche fie fid) jum Muſter yu. nefmen pfle⸗ 
gen, baburd), baf fic fid) von bem oͤffentlichen Got: 
teóbienfte entſernen, alle Stefigion aufgegeben Dátten. 


Su bem aebilbetern Theile ber Geſellſchaft gehoͤrt 

«ud, ber Lehrer; denn eben dadurch, baf et anbere 
en Einſichten unb Senntniffen übertrift, wird er gu 
fenem Lehramte gejd)icft, eben deswegen Dat man e$ 
ihm übertragen. — Als ein Mann won vorjüglidjen 
Senntniffen unb. gebilbeterm Verſtande foll et aud) bie 
Bereicherungen ber Wiſſenſchaften zu nu&en fudjen, bie 
nicht unmíttelbat zur Stelígion geboren, bie aber jut 
Erweiterung unb Berichtigung bet Steligionéerfennts 
nip tónnen angeroenbet roerben. — SBenn nun eine ger 
nauere unb vollftánbigere Sríti£, Geſchichtsforſchung, 
Pſochologie, Naturlehre gewiſſe allgemeinauéges 
machte Wahrheiten in die Erkenntnißmaſſe der Ge⸗ 
ſellſchaſt gebracht bat, bie mit ben Glaubensvorſchrif⸗ 
ten ber Kirche in. Widerſpruch fteben, wie mirb er 
fid) ba gu verfaíten haben? Seine Glaubensvorſchrift 
fagt 4. B. bag gewiſſe Erſcheinungen am Himmel 
uͤbernatuͤtliche Vorbedeutungen goͤttlicher Strafge⸗ 
richte, gewiſſe Gefuͤhle in bet Seele Cinmirfungen 
boͤſer Geiſter ſind, indeß eine gruͤndliche Naturlehre 
und Pſychologie alles dieſes natuͤrlich erklaͤrt; oder, 
um 


TAM 6G vr» 


uim eínen wirklichen Sall angufüfren,, ber Confenfus 
helveticus mad bie góttlid)e ingebung ber hebraͤi⸗ 
ſchen Vocalzeichen in ber. Bibel zu einem Glaubens⸗ 
artikel ber reformirten Kirchen ín ber Schweiz; eme 
gruͤndlichere hiſtoriche Kritik ſetzt ben Urſprung dieſer 
Zeichen viele Jahrhunderte nad) bet Verſertigung ber 
Buͤcher des alten Teſtaments: wie ſoll er ſich bei 
dieſen Glaubensartikeln benehmen? Gehoͤren ſie zu 
Unterſuchungen, die bloß den Gelehrten beſchaͤfftigen 
koͤnnen, liegen ſie außer der Sphaͤre des gemeinen 
Chriſten, ſind fie für bie practiſche Religion gleich⸗ 
guͤltig, warum bat fie bie Kirche in ihre Glaubens— 
vorſchriften gebracht? Haben ſie eine practiſche Wich⸗ 
tigkeit, befoͤrdern ſie den Aberglauben, wie wird der 
Lehrer der Religion ſie mit Stillſchweigen uͤbergehen 
koͤnnen? Geſetzt aber, baf er e$ wollte, geſetzt, daß 
et ben Aberglauben, ohne in zu befoͤrdern, zu ſcho— 
nen ſuchte, wuͤrde man es ihm vergoͤnnen? wuͤrde 
man nicht ſein Stillſchweigen als eine Verwerſung 
bec ſymboliſchen Lehren auslegen? 


Das Gewiſſen des Lehrers befindet fid) hier in 
einer peinlichen Verlegenheit, der ihn die Kirche 
uͤberheben kann, ſo bald ſie ſich auf ihren allgemeinen 
Zweck einſchraͤnkt. Dieſer erfordert weiter nichts, 
als daß ſich die Glieder derſelben mit ihrem Lehrer 
vereinigen, ihren gemeinſchaftlichen Gottesdienſt auf 

die 


fuf 62 ^c 


bie Crfenntnig eines einzigen unfidtbaren Gottes, 
einer alfmirfenben Vorſehung unb allweiſen Regie— 
tuna unb eines fünftigen Zuſtandes ber Vergeltung zu 
gruͤnden, welche practiſche Hauptwahrheiten bet Re⸗ 
ligion auch ihre áufere Beglaubigung aus ber Bibel 
erhalten. 


Laͤßt ſich die Vereinigungsformel auf ſubtilere 
P'efrbeftimmungen ein, ohne bie ber allgemeine Zweck 
ber. Kirche kann erreíd)t merben, bie cbnebem ber 
Faſſungskraft des gemeinen Chriſten unerreichbar, 
oder wol gar ein Gegenſtand gelehrter Streitigkeiten 
ſind: ſo thut ſie etwas vergebliches, unnuͤtzes und 
ſchaͤdliches. Zu dieſem Schaͤdlichen gehoͤtt bann vor: 
zuͤglich, daß ſie ihren Lehrer und gerade den wuͤrdig⸗ 
ſten am meiſten in das ſchmerzhafte Dilemma bringt, 
entweder ſeinen Einſichten oder ſeiner Aufrichtigkeit 
Schranken zu ſetzen. 


Ich weiß zwar, daß man dieſe peinliche Lage 
dadurch zu erleichtern vorgeſchlagen hat, daß man 
dem Lehrer ſeine Privatreligion freyließe, und ihn 
nur zu der Uebereinſtimmung ſeines Vortrages mit 
der oͤffentlichen Religion der Kirche verpflichtete. Daß 
man ihn, ſeine Privatreligion zu haben, nicht hindern 
kann, ſo lange er ſie in ſeinem Buſen verbirgt, das 
verſteht ſich wol von ſelbſt. Wie aber, wenn er ſie 

bekannt 


KXofa 63 ^ic» 


bekannt macht, es fey burd) € driíten, ober ín fe 
nem limgange mit Fremden ober. ben. Gliedern bet 
Kirche, aber bod) aufer bem oͤffentlichen Gottes— 
bienfte? Wie wird bahep ber Gilaube an feine Aufrich⸗ 
tigfeit, mie ber Glaube an bíe Innigkeit ſeiner eige⸗ 
nen llebergeugung beſtehen, ber, mie wir oben geſe⸗ 
ben baben, für ben gemeinften Gbrifen gerade bee 
ftárffte, unb oft ber einzige Mebergeugungégrunb iſt? 


Allein aud) ín bem Falle, daß ber Widerſpruch 
zwiſchen ber Privatreligion beá Lehrers unb ben Gau 
bensvorſchriften ber Kirche nicht dieſe ſchaͤdliche Wir⸗ 
kung haͤtte: fo darf man fragen, ob fie das Recht 
habe, das Gewiſſen ihres Lehrers in eine ſo gefaͤhr⸗ 
liche age zu ſetzen ?. Sie fann es mur de facto thun. 
Denn, kann irgend ein Menſch das innere Recht haben, 
von dem andern ein Verſprechen zu verlangen, oder 
auch nur anzunehmen, das er ohne Verletzung der ewi⸗ 
gen Geſetze der Heiligkeit, der Aufrichtigkeit und 
ber. Wahrhaftigkeit nicht halten kann? 


Alle dieſe Folgen von ber Verpflichtung des Leh— 
rers zur Uebereinſtimmung mit der Religion der Kirche 
in ſeinem Vortrage, auch wenn ihr ſeine Privatreli⸗ 
gion widerſpricht, ſind ſo bedenklich, daß ich lieber 
glauben will, man verlange nur, der Lehrer ſolle ſeine 
Religionserkenntniß der Kirche nad) oen Geſetzen ber 

volt. 


64 wi 


volifommen(ten Lehrweisheit mittheilen, unb (id) in 
feinem. Vortrage nad) den Faͤhigkeiten unb. SDebürf: 
niffen feiner Zuhoͤrer richten. Dieſe Weisheit haben 
wir ihm bereits ſelbſt oben (S. 52.) zur Pflicht ge⸗ 
macht; wie mill mon das aber durch Glaubensvor⸗ 
ſchriften beſſer tbun ? 


Die Religion hat gewiß nichts dabey verlohren, 
baf ber Geiſt ber Seiten fid) gewoͤhnt bat, ben 33or: 
trag ber 9teligionéleDrer nad) feiner Gruͤndlichkeit unb 
Brauchbarkeit zur SBerbefferung bee Verſtandes unb be$ 
Herzens, unb nicht blog nad) emer knechtiſchen Beob⸗ 
achtung ber fogenannten Rechtglaͤubigkeit bis in. Den 
unverſtaͤndlichſten unb unnuͤtzeſten € pi&finbigfeiten 
gu beurtheilen. Die Ruhe unb. Tugend der Cbriften 
hat ſich nicht anders als wohl dabey befinden koͤnnen, 
daß man es Maͤnnern, wie Jeruſalem, Spalding, 
Dieterich, Teller, Zollikofer, bie ber proteſtanti— 
ſchen Kirche durch ihre Verdienſte um die Religion 
und die Wiſſenſchaften Ehre machen, uͤberlaſſen hat, 
mit Weisheit unb Gewiſſenhaftigkeit an ber Verbeſſe⸗ 
rung beé Verſtandes unb be$ Herzens ihrer Zuhoͤrer zu 
arbeiten. Warum ſollte man fuͤrchten, dieſe Verbeſſe— 
rung ihnen, und denen, die in ihren Fußſtapfen wan⸗ 
deln, noch fernerhin anzuvertrauen? Gerade der wei— 
ſeſte, erleuchtetſte Religionslehrer weiß ſich am beſten 
zu den Faͤhigkeiten und den Beduͤrfniſſen ſeiner Zuhoͤrer 

herab⸗ 


fere 65 em 


herabzulaſſen, unb man fat gar nicht zu beſorgen, 
daß er fid) mit ſeinem Vortrage über bie Faſſungs⸗ 
kraft derſelben erheben und ihrer Erbauung ſchaden 
werde. Er weiß, daß die weiſeſten Geſetzgeber ihren 
neuen Staaten nicht ſogleich bie vollfonunenften Ge: 
ſetze geben fónnen, unb baf ber erleuchtetſte Reli—⸗ 
gionéleDrer feinen Zuhoͤrern nid)t auf einmal ben gan⸗ 
zen Schatz feiner. "Drivatreligion mittheilen kann. 
Was er davon mittheilen bürfe, unb mic? das 
fómmt auf bie Faͤhigkeiten uno Beduͤrfniſſe ber Kirche 
an, bic febr veránber(id) fínb, unb von benen man 
beffen muf, bafi fie taͤglich wachſen werden. Das 
Maaß ber 3teligionserfenntnig alfo gum Voraus burdj 
Vorſchriften ſeſtſetzen, heißt bie Lehrweisheit hes ef: 
rers unnuͤtz machen, und das einſchraͤnkenden Vor⸗ 
ſchriften zutrauen, was mit Weisheit beſſer ohne 
Vorſchriften, unb ohne Weisheit nie mit Vorſchrif— 
ten ausgerichtet werden kann. Das Reſultat dieſer 
Betrachtung iſt: 


Seine Kirche kann das innere Recht haben, ifs 
ren Lehrer, auch nur durch die Entſetzung von ſeinem 
Amte, gu zwingen, bcr Befoͤrderung einer vollkomm⸗ 
nern Religionserlenntniß durch ſeinen Vortrag Graͤn⸗ 
zen ſetzen zu laſſen. Wenn ſie es thut, ſo thut ſie es 
de facto; unb handelt um nichts weiſer, als eim 
Sranfer, ber feinem Arzte vor(d)reibt, welche 2irg: 

pbilof. Mag. 1, Gt. E neyen 


Fur 66 4v 


neyen er ihm verorbuen fo? Cie fat alfo kein volle 
fommnes Recht, bie Graͤnzen ber Auftlaͤrung, ſelbſt 
nicht in ihrem eigenen Schooße, zu beſtimmen. 


6. Hat der Staat das vollkommne Recht, die 
Graͤnzen der Aufklaͤrung in der Kirche 
zu beſtimmen? 


Wir wollen zuerſt den ſchwerern Theil dieſer 
Frage unterſuchen. Kann der Staat dieſes Recht, 
bec Aufklaͤrung i ber Religlon ihre Graͤnzen zu bes 
ſtimmen, im Namen ber Kirche ausüben? Dieſe 
Frage beantwortet ſich von ſelbſt; denn wenn es die 
Kirche nicht hat, wie ſoll es dann der Staat in 
ihrem Namen ausuͤben koͤnnen? Kann ein Vormund 
im Namen ſeines Muͤndels ein Recht ausuͤben, wel⸗ 
ches dieſer Muͤndel ſelbſt nicht beſitzt? Wenn alſo der 
Staat ein ſolches Recht haben ſollte: ſo wuͤrde er es 
immer nicht als Stellvertreter der Kirche haben. Als 
ſolcher hat er alſo uͤber die Religion der Kirche keine 
geſetzgebende Macht, kann ihre Lehrer durch keine 
Vorſchrift an irgend cine beſtimmte Lehrſform binden, 
mod) weniger ſie, um eine Abweichung von einer 
ſolchen Lehrform, ihres Amtes entſetzen. Wenn er 
dieſe Macht haben ſollte: ſo muͤßte ſie ihm, als Staat, 
urſpruͤnglich zukommen. Koͤmmt (ie ihm zu? 


Wollten 


FAV 62. ^34» 


Wollten toit ben Zweck der buͤrgerlichen Geſell— 
ſchaft, wie Pufendorf, bloß auf bie aͤußere Sicher⸗ 
heit, ober, mie Locke, auf bie Beſchuͤtzung ber Steyr 
heit unb be8 Eigenthumes einfdjránfen: — fo wuͤrde 
man cin Recht be$ Staats über bíe Religion feinet 
Unterthanen nur. mít vieler Muͤhe erkuͤnſteln koͤnnen; 
es wuͤrde nicht weiter, als auf die Erhaltung der 
Ruhe in der Kirche und durch die Kirche, gehen. Und 
da wollen wir es dem Regenten nicht verargen, wir 
wollen es ihm vielmehr Dank wiſſen, wenn er in An⸗ 
ſehung ber Kirche ſeine aufſehende Macht mit ber 
groͤßten Sorgfalt und Strenge gebraucht. Die Ge— 
ſchichte lehrt, wie viele Unruhen in den chriſtlichen 
Staaten durch die Herrſchſucht der Geiſtlichen und 
bie bloͤdſinnige Schwaͤtmerey der Laien erregt wor⸗ 
den ſind. Wie viele Scheiterhaufen haben fuͤr Ketzer 
gebrannt, wie viel Blut iſt um Meinungen vergoſſen, 
wie viel Kriege gefuͤhrt, wie viel. Empoͤrungen et; 
regt! Wie viel vortreffliche Koͤnige haben unter dem 
Dolche ſchwaͤrmeriſcher Unterthanen, wie viel unſchul⸗ 
dige Unterthanen unter dem Schwerdte ſchwaͤtmeri⸗ 
ſcher Koͤnige geblutet — Heinrich ber Vierte unb 
die Bartholomaͤusnacht! — Dieſer Graͤuel hat 
ſich die Kirche ſchuldig gemacht. Alſo ihre Hand zu 
ſeſſeln, daß fie fid) aud) nicht bie kleinſte Ungerechtig⸗ 
keit, nicht die geringſte Beeintraͤchtigung der Unter⸗ 
thanen unter dem Vorwande der Rechtglaͤubigkeit 

€ 2 erlau⸗ 


f-uvfr- 68 ^" 


erlaube, das i(t bie heilige Pflicht, das iſt bas un; 
veraͤußerliche Recht des Regenten, das Recht, durch 
deſſen madame unb weiſe Verwaltung er ſich bet 
Dankbarkeit unb ber Verehrung bey ber Welt und 
der Unſterblichkeit bey der Nachwelt verſichert. 


Verfolgungsgeiſt! Verketzerung! das ſind die 
Ungeheuer, welche oie obrigkeitliche Gewalt gu. bán: 
digen hat. Sie ſchlafen in dem erleuchteten Theile 
ber Welt, unb das haben mir ber Aufklaͤrung zu 
danken; wehe uns! menn wir ſie wieder wecken, ius 
dem wir die Verbreitung des Lichtes der Erkenntniß 
hemmen, und den Meinungen eine rechtliche Wich⸗ 
tigkeit geben. Gewaltſame Revolutionen (inb das 
Werk ber finſtern Seiten, worin bie blinden, thieri— 
ſchen Kraͤfte des Menſchen wirken; bie Zeit ber Auf— 
klaͤrung unb bcr Philoſophie ſud bie Seiten ber Nuhe. 


Wenn alfo ber Sroef der buͤrgerlichen Geſell⸗ 
ſchaft bloß Schutz der Rechte und Erhaltung der Si⸗ 
cherheit iſt: ſo kann ſich das Recht des Staats nicht 
uͤber bie Befoͤrderung ber Religion erſtrecken; nicht 
uͤber ihre Lehren, die koͤnnen keiner geſetzgebenden 
Macht unterworfen ſeyn, nicht über ihre Handlun—⸗ 
gen, denn die intereſſiren ihn nur durch ihren Ein— 
fluß auf die oͤffentliche Ruhe. 


Doch 


f^vrA 69 ö 


Doch wir bürfen ifm aud) das Recht, bie Re— 
ligion zu befoͤrdern, nicht abſprechen; denn wir duͤr— 
fen ben Zweck der buͤrgerlichen Geſellſchaft nicht bloß 
auf den Schutz eínídránfen. 2er Staat muß das 
Recht haben, auch fuͤr die Geiſtesangelegenheiten der 
Unterthanen zu ſorgen; allein nicht anders, als durch 
die rechtmaͤßigen und ſchicklichen Mittel; und zu die— 
ſen gehoͤren nicht die Glaubensvorſchriften, nicht die 
Verhinderung der Irrthuͤmer durch Strafgeſetze. 
Alle Unveraͤnderlichkelt der beſondern Religionslehren 
erſtickt den Keim zu ihrer Verbeſſerung; ſie kann 
alſo weder dem Lehrer noch dem gemeinen Gliede der 
Kirche zugemuthet werden; es iſt kein Mittel zur 
Vervollkommnung der Religion, der Staat kann alſo 
aus feiner Pflicht zur S5efórberung des geiſtigen 
Wohls der Unterthanen kein Recht dazu herleiten. 
Er hat foglich kein Recht, den Lehrer der Kirche 
burch Glaubensvorſchriften zu binden, weder als 
Stellvertreter der Kirche, noch als Staat. 


Dis Recht wollen die Verſechter willkuͤhrlicher 
Grundſaͤtze im Staatsrechte unb. des Glaubens;zwan— 
ges im Kirchenrechte nod) auf fofgenbe Art durchſe⸗ 
tzen. Sie ſagen: der Staat kann bem Richter Ge; 
ſetze vorſchreiben, nach denen er in Streitſachen 
Recht ſprechen muß; warum ſollte er nicht auch das 
Recht haben, ben Religionelehrer an Glaubensvor⸗ 

€ 3 ſchrif⸗ 


70 


ſchriſten binden koͤnnen? — Warum nicht? — weil 
dis zwey ſo himmelweit verſchiedene Dinge ſind, daß 
ſchlechterdings nicht der Schluß von dem Einen auf 
das Andere gilt. Buͤrgerliche Geſetze und Glau— 
benslehren! Eigenthum unb Gewiſſenspflicht! Mei⸗ 
nem Eigenthum, ſelbſt meinem Leben, kann id) entſa⸗ 
gen, ich kann es aufopfern: Kann ich aber meiner 
Gewiſſenspflicht entſagen? 


Doch wir muͤſſen dieſer Parallele tiefer auf den 
Grund forſchen. In der Kindheit der meiſten buͤr⸗ 
gerlichen Geſellſchaften wurde einem jeden das Recht 
durch feine Pairs nad) ber Mehrheit ber Stimmen 
geſprochen, und zwar nach Geſetzen, in die der ganze 
politiſche Koͤrper gleichfalls nad) ber Mehrheit bet 
Stimmen gewilligt hatte. Hier war ein Vertrag, das 
für recht zu erkennen, was bte Mehrheit beſtimmen 
wuͤrde, fid) oem Urtheilsſpruche zu unterwerfen, der 
nach eben dieſer Mehrheit abgefaßt wuͤrde. 


Das Recht, buͤrgerliche Geſetze zu geben, wurde 
in der Folge, ſo wie die richterliche Gewalt, dem 
Regenten uͤbertragen. Dieſer uͤbertrug es von neuem 
rechtsgelehrten Maͤnnern, die es in ſeinem Namen 
verwalten. Nun vergleithe man: 


1. Auf der einen Seite buͤrgerliches Recht uͤber 
Mein und Dein; auf der andern, Wahrheit. 
Ueber 


FUMER TI «wa 


Ueber das erftere Kann man Vertraͤge ſchließen, 
kann man es auch uͤber die letztere? kann man 
fid) durch einen. Vertrag anheiſchig machen ets 
was fuͤr wahr zu halten, oder der Verbindlich⸗ 
keit, nuͤtzliche Wahrheiten mitzutheilen, entſagen, 
und die Verbindlichkeit uͤbernehmen, Lehren, 
bie man für irrig haͤlt, als Wahrheiten vorzu⸗ 
tragen? — Ferner: Der poſitive Theil des 
Rechts kann durch bie Mehrheit bec Stiumen 
feſtgeſetzt werden, kann das auch die Wahr⸗ 
heit? Kann irgend eine Lehre durch die Mehr— 
heit der Stimmen ausgemacht, kann irgend 
eine natuͤrliche Verbindlichkeit durch die Mehr⸗ 
heit ber Stimmen verünbett. merben? ? Kann 
durch irgend eine poſitive Vorſchrift, die durch 
bie groͤßte Mehrheit, ja durch bic vollſtandigſte 
Einſtimmigkeit beliebt waͤre, irgend eine natuͤr⸗ 
lide Verbindlichkeit, bie Verbindlichkeit zur 
Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, sut Ausbrei⸗ 
tung einer wohlthaͤtigen Religion aufgehoben 
werden? Was heißt: man foll ott mehr ges 
horchen, als den Menſchen, wenn es nicht 
heißt: man ſoll ſich durch keine menſchliche 
Befehle verpflichten laſſen, etwas gegen das 
ewige, goͤttliche, unveraͤnderliche Naturrecht zu 
thun? 


€ 4 2. Auf 


FARA 0) ^wuüsm 


3, Muf bet einen Cite Verwaltung des Rechts 
im Namen des Regenten; auf oec anbern Cite 
Mittheilung ber Wahrheit in feinem eigenen 
Samen, Der Buͤrger verfíangt, bap ibm bet 
Richter Recht fpredoe, nad) ben Geſetzen, welche 
der Regent fuͤr die heilſamſten haͤlt; der Chriſt 
verlangt, daß ifm fein Lehrer bic Religion vor⸗ 
trage, von weicher ber Lehrer ſelbſt uͤberzeugt 
iſt. Und doch wuͤrde der Richter verbunden 
ſeyn, auf die Abſchaffung ſolcher poſitiven Geſetze 
anzutragen, die dem Naturrecht entgegen ſind, 
und gewiſſenhafte Gerichtshoͤfe erleuchten auch 
die geſetzgebende Macht durch ihre Vorſtellun⸗ 
gen gegen ſolche ſchaͤdliche Geſetze; ſie machen 
ſich dadurch der Verehrung aller tugendhaften 
Buͤrger wuͤrdig, unb eine weiſe Regierung ver⸗ 
ſagt ihnen ihre Aufmerkſamkeit und Achtung 
nicht. 


Die Pflichten unb Rechte des Staats in fur 
ſehung der Aufklaͤrung innerhalb der Kirche laſſen 
fid) nun (o gufammenfaffen 


Der Staat fann. nidjt bie wahre Aufklaͤrung 
hindern, er iſt vielmehr verpflichtet ſie zu befoͤrdern; 
et hat das Recht unb ift verpflichtet, bie falſche Auf⸗— 
tlaͤrung js hindern, aber durch angemeßne Mittel, 

und 


73 ^") 


unb 6a8 ſind nicht Lehrvorſchriften und Einſchraͤnkun⸗ 
gen der Freyheit zu lehren; es ſind Einrichtung der 
beſten Anſtalten, worin kuͤnftige Lehrer gebi.bet wer—⸗ 
ber, verbunden mit bcr ſorgfaͤltigſten Pruͤfung ihrer 
Gahen, Kenntniſſe, unb inſonderheit ihrer Gewiſſen— 
haſtigkeit unb Lehrweisheit. Sich auf dieſe Mittel 
einzuſchraͤnken, ift deſto noͤthiger, ba man leicht, in; 
bem man oec falfcben Aufklaͤrung guvorfommen milf, 
bie wahre hindern fónnte. 


7. Hat ber Ctaat bie Pflicht unb das Recht, 
bie 2lufffárung außerhalb ter Kirche 
zu hindern? 


Um dieſe Frage zu beantworten, muͤſſen wir 


zwey Grundſätze voranſchicken, bie von ber hoͤchſten 
Evidenz ſind: 


1. Der Staat muß die buͤrgerliche Freyheit nicht 
mehr einſchraͤnken, als es der Zweck der Geſell⸗ 
ſchaft noͤthig macht; mehr iſt in dem Vereini— 
gungsvertrage derſelben nicht enthalten. 


2. Er muß alſo ſeine Herrſchaft nicht uͤber ſolche 
Gattungen von Handlungen erſtrecken, die je 
der Buͤrger beſſer verrichtet, wenn er darin 
ohne alle einſchraͤnkende unb verordnende 

C s Vor⸗ 


Fu vq «vm 


Vorſchriften feinen. eigenen. Einſichten uͤberlaſſen 
wird. Sein Eigennutz wird ibn in feinen Geld⸗ 
geſchaͤfften hellſehender, ſeine vaͤterliche Liebe in 
der Erziehung ſeiner Kinder ſorgfaͤltiger machen, 
feine eigene Vernunft in bet. Grforíd)ung ber 
Wahrheit fid)erer (eitem, als alle nod) fo gut 
Deobadjtete Zwangsgeſetze fid) je verſprechen tón: 
nen. Wohlgeordneter Eigennutz, Liebe unb 
Vernunft werden durch be von ihnen abhan⸗ 
gende Handlungen von ſelbſt fuͤr den Zweck des 
Staats arbeiten; alle Geſetze, wodurch er dieſe 
Principien erſetzen will, werden ihre Federkraft 
ſchwaͤchen, ihr Spiel verwirren und die politi⸗ 
ſchen Kraͤfte in Stockung bringen. 


Was wird aus biefen Grundſaͤtzen folgen ? 


Wenn der Staat die Pflicht und das Recht 


haben ſollte, die Aufklaͤrung zu hindern, oder ihr 
Geſetze vorzuſchreiben: ſo muͤßte die Schaͤdlichkeit 
derſelben fuͤr die menſchliche Geſellſchaft augenſchein⸗ 
lich ſeyn. Kann man das von der wahren Aufklaͤ⸗ 
tung behaupten? Kann man beſorgen, daß bie Cty 
weiterung der menſchlichen Erkenntniß durch den be⸗ 
ſten Gebrauch der Erfahrung und der Vernunft je 
koͤnne ſchaͤdlich werden? Wie ſollte ſie das? 


Sie 


75 


Sie kann der Ruhe des Staats gefaͤhrlich wer⸗ 
ben, (agen die Feinde ber Aufklaͤrung; fie fann ife 
fidt auf bie Rechte ber Buͤrger, auf bie Pflichten 
bet Regierung au6reiten, unb 2ínmaafungen veran⸗ 
laffen, bíe bem Anſehen ber. Geſetzgebung zu nahe 
treten, 


Eine wohlbefeſtigte, erleuchtete unb großmuͤ⸗ 
thige Regierung iſt uͤber dieſe kleinmuͤthigen Beſorg⸗ 
niſſe erhaben. Weit entfernt eine aufgeklaͤrte Beur⸗ 
theilung ihrer Verwaltung zu fuͤrchten, geht ſie ſelbſt, 
nad) bem Beyſpiel eines großen Mannes, des x5, 
Grafen von »X»erberg, dem oͤffentlichen Urtheil 
entgegen, ſicher, den Beyfall, bie Liebe, die Dank⸗ 
barkeit und die Bewunderung ihrer Buͤrger, wie der 
Fremden, zu erhalten; und zwar um deſto mehr, je 
mehr ihre Beurtheiler unterrichtet und aufgeklaͤrt ſind. 


Man beſorgt, der aufgeklaͤrte Buͤrger werde die 
Sphaͤre ſeiner Freyheit erweitern wollen, aber man 
beſorgt es ohne Grund. Wenn die Frage von buͤr⸗ 
gerlicher und politiſcher Freyheit iſt: ſo wird dieſe 
Beſorgniß durch die Erfahrung uͤherall widerlegt. 
Wo irgend ein Staat durch gewaltſame Convulſionen 
erſchuͤttert wurde, ſo erregte ſie nie ein friedfertiger 
Freund ber wahren Aufklaͤrung, ber an ber Vervoll⸗ 
kommnung ſeiner Vernunft im Stillen arbeitete; es 

waren 


fv 26 bem 


paren immer die heimlichen Machinationen des un: 
ruhigen Ehrgeizes, oder die oͤffentliche Wuth eines 
ſtupiden, aberalaubifd)en, fanatiſchen unb verfuͤhrten 
Poͤbele, die ſich durch Thaͤtlichkeiten der buͤrgerlichen 
Authoritaͤt widerſetzten. Der aufgeklaͤrte Mann weiß, 
daß ſeine buͤrgerliche Freyheit beſchraͤnkt iſt, und 
wenn er ſie ohne Noth beſchraͤnkt glaubt, ſo thut er 
ber Regierung Vorſtellungen, unb traut es ihrer 
Weisheit und Guͤte zu, ſie ſo weit in Betrachtung zu 
ziehen, als e$ bas oͤſſentliche Wohl zulaͤßt, womit 
die Regierung bekanmer iſt, als der einzelne Buͤrger. 
Was die politiſche Freyheit betrifft, ſo weiß der auf⸗ 
gektarte Mann, daß fie durch bie Staatsverfaſſung 
beſtimmt wird; er weiß, daß die oͤffentliche Gluͤck⸗ 
ſeligkeit unter. jeder mit Weisheit verwalteten Regie— 
tuugsform gedeihen kann. Was endlich bie moras 
liſche Freyheit betrifft, ſo muß ſie nothwendig durch 
wahre Aufklaͤrung wachſen; allein deſto beſſer fuͤr die 
Ruhe und Gluͤckſeligkeit des Staats. Der ſtupide 
unb unwiſſende Menſch ift natuͤrlich von bem unter: 
ricbtetern abhaͤngig. Syn ben Seen ber allgemeinerm 
Finſterniß ift der Einfaͤltige tn. ben Haͤnden beo Ver— 
ſchlagnern; in dieſen ungluͤcklichen Zeiten unſerer Ge⸗ 
ſchichte rar bie Laienſchaft in ben Haͤnden bet Geiſt⸗ 
lichkeit, weil (ie nótfig batte, burd) ihre Einſichten 
geleitet zu werden. Die Herrſchſucht unb ber. Ehr⸗ 
geiz der Geiſtlichkeit mißbrauchte ire geringe Ueber⸗ 

legen⸗ 


faf 79 rm 


(eaenfeit an Senntnifien, um ben Stationen Seffefr su 
ſchmieden. Wer hat fie zerbrochen, bieje Feſſeln? 


Soll bie Freyheit nicht ned) Einmal dieſe Feſ— 
ſeln tragen: ſo muß ſie eben die Wohlthaͤterinn davor 
ſchuͤtzen, die fie davon erloͤſt hat. Die Aufklaͤrung 
muß die Freyheit ſchuͤtzen. Schon von dieſer Seite 
detrachtet, muß fie bem Staate ein Kleinod ſeyn, deſſen 
Werth unſchaͤtzbar iſt. Nur ihr kann jede Regierung 
ihre Ruhe, ihre Freyheit, ihre Unabhangigkeit ver: 
dankent. Daruͤber ſollte (ie endlich die Geſchichte aller 
Seiten belehrt haben. Wo nur der geiſtliche Deſpo⸗ 
tizmus dem weltlichen den Vertrag angeboten, und 
wo die falſche Politik einen ſolchen Vertrag eingegan⸗ 
gen iſt: Leihe mir deinen Arm und ich will dir die 
Voͤlker unterjochen helfen; da iſt die Regierung am 
Ende ſelbſt mit unterjocht worden. 


Ich ſehe alſo nicht, was eine weiſe und gerechte 
Regierung zur Rechtfertigung ihrer Maaßregeln, die 
Aufklaͤrung zu beſchraͤnken, anfübren fónne, e$ ſey 
von Seiten des Rechts oder der Staatsklugheit. 


4. Cu 


F^ 78 uc» 
249 OO $0 —— —— 


4. 
Einige Charakterzuͤge der Mexicaniſchen 
Indianer. 
Aus des 


Herrn Thiery be Stenonville Traité de la 
culture du nopal & de l'éducation de la 
cochenille dans les colonies francoifes de 
l'Amérique, précédé d'un voyage à Guaxaca. 
Au Cap Francois, à Paris & à Bourdeaux 
1787. In 8vo. premiere partie. 





S. Abſchen, womit jeber gefuͤhlvolle Menſch bie 
unmenſchlichen Behandlungen lieſet, welche die Einge⸗ 
bohrnen von Mexico von den Spaniern erlitten, und 
die Unterdruͤckungen, worunter ſie noch bis dieſe 
Stunde ſeufzen, muß dadurch noch verſtaͤrkt werden, 
daß dieſe Ungluͤcklichen, an denen noch immer gegen die 
geheiligtſten Rechte der Menſchen gefrevelt wird, keines⸗ 
weges eine veraͤchtliche Menſchengattung ſind, ſondern 
daß fie, vermoͤge ihrer phyſiſchen unb moraliſchen An⸗ 
lagen einer Ausbildung faͤhig waͤren, bie ber Ausbil⸗ 

dung 


Feivf^ 79 ^w» 


dung keiner Curopáifdjen Station. etwas nadygeben 
wuͤrde. Schon bet 2(6t Raynal fat fie ín feinem be; 
fannten Werke auf eine Art aefdjilbert, bie einen je: 
ben Menſchen von Gefuͤhl für fie mít Liebe, Achtung 
unb Mitleiden einne)men tuf. Hier ſind einige 
2üge von einem Augenzeugen, bie dieſe Schilderung 
beſtaͤtigen. 


1. Koͤrperliche Bildung. *) 


Ich entſchloß mich, in eine Indianiſche Huͤtte, 
die an meinem Wege lag, hineinzugehen. Ich ward 
wohl aufgenommen, und man gab mir Brod und 
Eyer, welches ohngefehr alles iſt, was man von die⸗ 
ſer ungluͤcklichen Menſchenclaſſe erwarten kann. Was 
mich aber mehr ruͤhrte und entzuͤckte, das war die 
vollkommne Schoͤnheit ber. Indianerinn, welche die 
Frau von der Huͤtte war. Syd) ſuchte vergebens Feh—⸗ 
ler an ihr; ob ſie gleich halbnackend war, indem ſie 
blog einen Nock von falbalatirtem Neſſeltuch, mit ror 
ſenfarbenen Schnuͤren beſelzt, und ein Hemde, das 
ihre Schultern entbloͤßt ließ, anhatte, ſo ſchien mir 
tod) ihr Wuchs an Regelmaͤßigkeit ben Zuͤgen ihres 
Geſichts gleich. Ich ſagte ihr, daß ſie ſchoͤn ſey, 
das ſchien ihr Vergnuͤgen zu machen, und zwey alte 
Frauen, die eine ihre Mutter, die andere ihre Baſe, 

lach⸗ 
S. 69. 


feM»T^ $0 ^" 


lachten een ganzem Herzen daruͤber. Ich tat ihr 
verſchiedene Fragen unb id) erfuhr, daß fie verheira— 
thet ſey und Kinder habe. Dieſe Umſtaͤnde intereſſir— 
ten mich nur noch mehr fuͤr ſie, und ihre Schoͤnheiten 
hatten bereits meine Sinne verwirrt. Ich wagte es, 
Gold vor ihren Augen glaͤnzen zu laſſen; allein ich 
kam bald wieder zu mir ſelbſt. Ungluͤcklicher, ſagte 
ich zu mir, was haſt du vor? Iſt das das Ziel deiner 
Arbeiten? In einem fremden Lande, ohne Freunde, 
ohne Stuͤtze, mit tauſend immer wiederkehrenden 
Gefahren umgeben, wenn Óu ben Reizungen der 
Wolluſt untetliegeſt! Unſinniger! Nach dieſen Ueberle— 
gungen ging ich ſort, ohne ein Wort zu ſagen, ohne 
mid) umzuſehen, unb id) ſchleppte mich ſeuſzend auf 
der Heerſtraße fort. Nachdem ich eine halbe Meile 
zuruͤckgelegt hatte, befand ich mich weit beſſer, ich 
fanb tauſend verſchiedene Ideen, bie mich troͤſteten 
unb erfreuten; fur » id) erfuhr, was £a Bruͤyere 
fagt, bug nichts fo febr bas Blut erfriſcht, aí$ bet 
Gefahr entgaugen zu ſeyn, fic) eine Thorheit oder ein 
Vergehen vorwerfen zu muͤſſen. 


2. Haͤusliche Xugenb. *) 


Die Muͤdigkeit, bie Furcht mid) au verírren, 
unb bie nid)t weniger lebhafte Beſorgniß, naf au moet; 
ben, beftimmten mid), ob «8 gleid) nod) heller Sag 

war, 
N 6.7. 


fAVf^ SI wc 


tat, in eine von ben Indianiſchen Huͤtten, bie idj 
am Wege faf, hineinzugehen. € ie mar wie bie 
Koͤhlerhuͤtten in unſern Forſten gemacht, unb. man 
konnte in derſelben nicht aufrecht ſtehen. Syd) fanb darin 
eine Indianerinn, und ein kleines Maͤdchen, die aus 
allen ihren Kraͤften Tordillas *) machten. Sie empfin⸗ 
gen mich ohne Umſtaͤnde, aber doch mit Ehrerbietung. 
Sie verſtanden nicht ein Wort Caſtilianiſch, und ich 
nicht ein Wort Mexicaniſch, dergeſtalt, daß wir uns 
durch Zeichen unterreden mußten. — — — Als die 
Nacht angebrochen war, kam der Hausvater mit fuͤnf 
Kindern, wovon bas aͤlteſte ſunfzehn Jahr alt war; 
drey andere, wovon das eine noch an der Bruſt lag, 
waren in der Huͤtte geblieben; Totalſumme, acht Kin⸗ 
der. Der Vater, die Mutter, und ich, wir ſaßen 
alle um einen kleinen Heerd von Holzſtuͤcken, in einer 
Strohhuͤtte von funfzehn Fuß ins Gevierte. Dieſer 
arme Indianer, erſchoͤpft von Arbeit, halbtodt vor 
Hunger, fatte eine ſanfte Mine, unb die Phyſioqno⸗ 
mie eines guten Mannes. Cc machte mit cínige Ehr⸗ 
furchtsbezeugungen, abet heißhunqrig von Liebe bedeckte 
er ſeine Kinder mit Kuͤſſen, und ſeine Blicke voll Zaͤrt⸗ 
lichkeit fuͤr ſeine Frau wendeten ſich nur gegen mich 
aus bloßer Achtung. Er wußte einige Worte ſpaniſch, 
allein 
*) Die Tordillas ſind kleine Kuchen von Maygs, welche 
bie vornehmſte Nahrung ber. Indianer ausmachen. 
Philoſ. Mag. 1, Gr. 


mMMM $82 4" 


allein toit fpradjen nur toenig. Ein tiefes Stillſchwei⸗ 
gen herrſchte waͤhrend ber Mahlzeit. Es war das 
Stillſchweigen des Vergnuͤgens, welches bisweilen die 
Accente einer kurzen und ſanften Sprache, und dem 
ruͤhrenden Geſchrey unſerer Dohmpfaffen aͤhnliche 
Toͤne unterbrachen. So erwarteten die Freude, die 
Zaͤrtlichkeit und die Ruhe bcn. guten Indianer, um ihn 
wegen der Muͤhſeligkeiten des Tages zu entſchaͤdigen. 
Er verdiente taͤglich nicht mehr als zwey Realen, ich 
gab ihm noch zwey dazu, aber er ſchien mir gegen den 
Gewinn fefe wenig empfindlich. 


Ich ging zu Bette, das Herz bewegt uͤber dieſe 
Scene, die ich mit der Scene meines Mittagseſſens 
verglich, und ich ſagte: das ſind alſo die Herzen, die 
man mit tanſend Dolchen durchbohrt, wenn man ihre 
Weiber verfuͤhrt, den einzigen Troſt ihres Kummers 
und ihrer Muͤhſeligkeiten! Solche Seelen lehret man 
das Verbrechen, ben Schmerz und die Verzweiſlung, 
wenn man ſie verdirbt. 


3. Oeffentliche Tugenden. 


Als bie Gerechtigkeit unb ber Friede, mübe ut 
tet ben. Sterblichen zu (eben, von benen fie jeben Sag 
neue Sránfungen erfufren , biefe undankbaren Gäſte 
verlaſſen haben, fat man geglaubt, daß [ie ju bem 


Jim: 


weuvf^ 83 wa 


Himmel zuruͤckgekehrt ſeyn, von bem fie ju uns fet, 
abgeſtiegen waren. tan fat fij geirrt; nadjbem fie 
bie verkfiebenen Gegenben ber. Crbe durchlaufen, im; 
mer herumirrend, ünmer Óeunrufiget, fo haben fie 
fid) in einen Winkel von bem noͤrdlichen America gu; 
tügegogen, nad) 2D. SOumínguillo; biefe$ arme kleine 
Doͤrfſchen, fo reizend durch feine Sage, durch ben 25; 
Dang eineé Huͤgels am Sufammenflug bes Rio Granbe 
unb des Las Bueltas, (dienen ihnen mürbíg, mit ihrer 
Gegenwart beehrt gu werden. Da habe id) bie fanfz 
ten Einfluͤſſe dieſer liebenswuͤrdigen Gottheiten em⸗ 
pfunden. 


Es war bep folgender Gelegenheit. Waͤhrend 
meines Abendeſſens fatte (d) einen Topith (ein Pfer⸗ 
devermiether) kommen laſſen, mit welchem ich Pferde 
beſprochen hatte, die mich nach Quicattlan bringen 
ſollten. Der Gauner hatte die Geſchicklichkeit, mich 
um drey Piaſter zu betruͤgen, ohne daß ich es merkte. 
Seine lebhafte und treuherzige Mine, und vielleicht 
die Sorgen, wovon ich den Kopf voll hatte, vereinig⸗ 
ten fi, um mich ju uͤberraſchen. Der Caſero (Gaſt⸗ 
wirth) war es gewahr geworden unb fatte mich auf 
merkſam darauf gemacht, allein der Topith war mit 
meinem Gelde ſchon fort. Ich aͤrgerte mich, daß ich 
mich hatte anfuͤhren laſſen, unb id) machte bem Caſero 
Vorwuͤrſe, daß er mit nicht eher etwas davon geſagt 

2 patte ; 


Fr o gq 24 


fatte. Allein id) dachte nidjt mefr an mein Gefb, unb 
inbem (d) nad) ber fDroceffion ,. ber id) zugeſehen 
fatte, auf bem oͤffentlichen Platze ſpatziren gebe, fefe 
éd) zwey Indianer auf. mich jufommen, wovon eín 
jeder einen fedj$ Fuß hohen €tab bielt, auf beffen 
aͤußerſten Cnbe ihre ausgeſtreckten Arme bie Hand 
ſtuͤtzten. Ich gab wenig barauf Acht, bis id) drey⸗ 
mal auf Mexicaniſch ſchreyen und dreymal pfeifen hoͤrte. 
In dem naͤmlichen Augenblick koͤmmt mein Topith 
ganz außer Athem und macht den Maͤnnern mit den 
Staͤben, Unterſcheidungszeichen ihrer Gerichtsbarkeit, 
viele große Verbeugungen. Es war wirklich der Al⸗ 
kalde und ſein Beyſitzer. Da ich ſie auf mich zukom⸗ 
men ſah, ſo erſparte ich ihnen die Haͤlfte des Weges. 
Sie vernahmen meinen Topith mit vieler Gravitaͤt 
in meiner Gegenwart, uͤber die Anzahl der Pferde, 
die ich verlangt, und uͤber den Preis, den er dafuͤr ge⸗ 
fodert haͤtte. Gt geſtand alles bis auf zwey Realen. 
Sie fragten mid) darauf, wie viel id) auegegeben 
haͤtte; ich gab es ihnen genau an. Hierauf wandten 
ſie ſich wieder gegen den Topith, und wollten von ihm 
wiſſen, ob er mir den Tarif gezeigt habe. Er bekann⸗ 
te, daß er mir nichts davon geſagt; darauf verwies 
ihm der Alalde ſtreng, obgleich kalt: erſtlich, daß er 
mehr von mir gefodert, als die Verordnung erlaubt; 
zweytens, daß er zwey Realen weniger angegeben 
habe, als er wirklich empfangen. Indem ſie ſprachen, 

unter⸗ 


FER 85 ey 


unterſchied id) mit Huͤlfe des Mondſcheins bie Zuͤge 
dieſer einfaͤltigen Beamten; id) bemerkte darin me: 
der Zorn noch Unwillen, nicht die geringſte Spur von 
Gemuͤthsbewegung veraͤnderte ihr Geſicht; ohne Lei⸗ 
denſchaft, wie das Geſetz, urtheilten und entſchieden 
fie mie dieſes, unb nie haben roof Senatoren, Raths⸗ 
berren, Praͤſidenten ín. langen. Sleibern, in Pelzen, 
in rothen ober ſchwarzen Amtsroͤcken, ín viereckigten 
oder runden Huͤten, ein ſo erlauchtes und ehrwuͤrdi⸗ 
ges Anſehen haben koͤnnen, als dieſe armen ganz zer⸗ 
lumpten Indianer. 


Nachdem ſie den Beklagten durch ſein eigenes 
Geftánbnifi uͤberwieſen hatten, ließen fic fid) von ifm 
bie gange Cumme, bie er erhalten fatte, wieder fer: 
euégeben. Hernach ajngen fie ín mein 3íimmer, wo 
id) Licht fatte , unb wollten auéted)nen, voas ifm ba: 
von von Rechtewegen zukaͤme. Da fie abet wenig 
mit bem Gelbe umzugehen wußten, fo fonnten fie bamit 
nicht fertig werden; id) faf) mid) alfo genótfigt mid) 
darein zu mífd)en, unb nachdem íd) inen klaͤrlich bat: 
gethan, bag id) brep Piaſter unb zwey Realen 
mebr gegeben fatte, aló id) fd)uíbig war: fo gab fie 
mir ber Alkalde wieder unb überlieferte bad Uebrige 
bem Topith, inbem et ifm aufga6, meine Pferde auf 
bie Ctunbe, bie id) im vorgefd)rieben, Bereit. 3n 
falten. — Ich war in Bewunderung, id alaubte gu 

$3 traͤu⸗ 


F^ 86 ^v 


ttáumen; eine fo einfache, fo ſchnelle unb fo wohlver⸗ 
waltete Gerechtigkeit ſchien mir ein. Traumgeſicht. 
In meiner Begeiſterung gab ich dem Caſero, der, 
durch ſeine Anzeige, mir dieſes ruͤhrende Schauſpiel 
verſchafft hatte, einen Piaſter, und ich bat den Alkalde, 
bie drey Piaſter unb zwey Realen, woruͤber ber Pro— 
ceß geweſen war, zu behalten, um ſie unter die Armen 
des Ortes auszutheilen. Ich haͤtte tauſend Piaſter 
gegeben, um das Andenken dieſer ſchoͤnen Handlung der 
Billigkeit zu verewigen. Denn man muß e£ fid) nicht 
verhehlen, das beſte Mittel, vor den Menſchen Bey— 
ſpiele der Weisheit unb ber Tugend zu erhalten, ift, 
wenn man auch die kleinſten Handlungen, die das Ge⸗ 
praͤge davon tragen, ehret und belohnet. Die Men— 
ſchen handeln immer nach einigen Bewegungsgruͤnden 
des Intereſſe, und welches Intereſſe iſt wol edler, 
als auf immer in der Achtung ſeiner Mitbuͤrger und 
der Nachwelt zu leben! man lobe alſo die ſchoͤnen 
Handlungen, und man wird bald eine Menge anderer 
entſtehen ſehen. 


| 


87 ^u 


5. 


C»iftel 


über das Grauenjimmcet 
an eíne 


junge Gráfin. 





S... ſchoͤne Graͤfin! wer ba till 
auf der Satire Rabenfluͤgeln 

die Bahn nach Pindus Lorberhuͤgeln 
durchflattern! — lieber ſchwieg ich ſtill 
und ließe nie in Phoͤbus Hallen 

um ſeinen Kranz ein Lied erſchallen, 
eh' ich es wagt', um dieſen Preis 

dem kleinſten angenehmen Kreis 

von edlen Schoͤnen zu mißfallen. 


Und gegen dieſe ſelbſt den Pfeil 
des Witzes freveff)aft su wetzen, 
heißt aͤchten Beifall wenig ſchaͤtzen; 
denn welcher Muſe Roſenſeil 
wird eine Leier wol umſchlingen, 
zu der ein Dichter ſich erkuͤhnt 
ber. ſanften Schoͤnheit Hohn zu ſingen, 

84 die 


wav 88 2» 


bíe Opfet nur unb. Dank verbient, 
ínbem, durch ihre Treflichkeiten 
genaͤhrt, zum Kranz für unſte Saiten 
der neidenswerthſte Lorber gruͤnt. 


O! drum entweihe keine Blume, 
die gleich der ſcharfen Neſſel ſticht, 
den Kranz, den ſich im Heiligthume 
der Pallas meine Muſe flicht! 
Ein jedes ihrer Lieder gleiche 
dem Veilchen, dem Vergißmeinnicht, 
und Roſen, welche vom Geſtraͤuche 
die Hand ber ſchoͤnſten Nymphe bricht! 


Unſterblich ſingen alle Muſen, 
wenn ſanfte Schoͤnheit ſie durchgluͤht, 
und jedes ſchlechte Veilchen bluͤht 
mit neuem Reiz an einem Buſen, 
wo es Cytherens Hauch umweht; 
ja ſelbſt die ſimple Wieſenblume, 
die ſich durch blonde Locken dreht, 
wird welkend noch zum Heiligthume 
von fanften Liebenden erhoͤht. 


Zwar giebt es, ſagt man, ſtarke Seelen, 
wenn gleich nicht allzuviele, die, 
um mit bewaͤhrter Kaͤlte fruͤh 


ſich gegen Amors Pfeil zu ſtaͤhlen, 


mf 89 ^c» 


bie ſtoiſche Pheloſophie 

zur einzigen Geliebten waͤhlen; 

die Zaͤrtlichkeit und Sympathie 

für Euch, o fanfte, ſchoͤne Seelen! 
ju mitleidswerthen Schwaͤchen zaͤhlen, 
unb fo rit ausgelernter Muͤh 

ben. ſchoͤnſten Lebenspfad verfehlen — 
denn Weisheit nenn' ich dieſes nie. 


Nur wo Natur durch Blumenauen 
mich zu der Weisheit Tempel fuͤhrt, 
da folg ich gern, denn ihr gebuͤhrt 
gewiß ein kindliches Vertrauen. 

Und will ein Afterweiſer dann 

mir Warnung in die Seele raunen, 
ſo trau' ich nicht dem finſtern Mann, 
der weiter oft durch truͤbe Launen 
vom Ziele mich entfernen kann, 

als alle ſchoͤne Zauberinnen, 

die zwar, uns leichter zu gewinnen, 
zu manchem Netz der Zaͤrtlichkeit 
Cytherens feinſte Saben" ſpinnen, 
doch die zu frommen Prieſterinnen 
der Tugend und der Charitinnen 
die weiſe Pallas ſelber weiht. 


$5 Auch 


CXwxT^ 90 «v 


Jud) (ag uns, theure Graͤfin! ehrlich 
und unparteyiſch bei dem Streit 
verfahren! Ja! bie Zaͤrtlichkeit 
iſt zwar dem Herzen oft gefaͤhrlich; 
doch trotz dem reizenden Gewand, 
das ihren Buſen leicht umhuͤllet, 
deß Anblick ſchon Sartüffen? anb 
mit ſtrengen Donnerkeilen fuͤllet, 
fuͤhrt ſie am Seil der Froͤhlichkeit 
weit ſicherer das Herz der Jugend 
zum Blumenalter aͤchter Tugend, 
als je die Unempfindlichkeit, 
die uns in allen ſtrengen, kalten 
und ſehr vernuͤnftigen Geſtalten 
vergebens ihre Rechte beut. 

Ja wer fuͤr Euch nicht fein empfinbet, 
o Lieblinginnen der Natur, 
wer nicht fon auf ber. Kindheit (ut 
für feine Phyllis Kraͤnze winbet, 
nid)t heimlich ſeufzend ihre Spur 
verfolgt, nicht zaͤrtlich in die Rinde 
der ſchattenreichſten Gartenlinde 
den fruͤhgeliebten Namen graͤbt; 
und nur wo ihre Heerden weiden 
die Auen durch Geſang belebt, 
weil hier der Genius der Freuden 


fuͤr ihn auf Roſenwolken ſchwebt; — 
Wen 


FM 0L "vnam 


Wen fruͤh nicht bie Gefuͤhle kroͤnen, 
die Amor einſt zur Liebe nuͤzt, 

iſt vor dem Zauber alles Schoͤnen 
unb Edlen, leider! gleich geſchuͤzt! 


Er wird bei Oeſers Magdalenen, 
bei Guidos Amor, und beim Kuß 
der Danae, wie beim Genuß 
von Deiner Unterhaltung — gaͤhnen. 
Fuͤr ihn iſt Greſſets Papagei 
mit allem Witz und feinen Scherzen 
nur eine fade Taͤndelei; 
Er glaubt mit uͤberzeugtem Herzen, 
daß Rouſſeau nur ein Schwaͤtzer ſei; 
und findet Goͤckings Schwaͤrmerei, 
für Nantchen, unb Petrarkas Schmerzen 
mit Grekourts Liebe einerlei. 
Er wuͤnſcht in ſchoͤnen Roſenlauben 
der Freundſchaft nichts bei Mondenſchein, 
als Morfeus Armen ſich zu weihn; 
ihm wird kein Wink aus Phoͤbus Hain 
den langen Morgenſchlummer rauben; 
und nimmer, nimmer wird ſein Haar 
den fauften Lorberkranz gewinnen, 
denn nicht umſonſt ſind die Huldinnen 
unb Muſen aus ber. Maͤdchen Schaar, 


Euch 


CT 92 ^w 


Euch Schoͤnen nut. gab das Verhaͤngniß 
zum Pathenpfand die Zauberkraft, 
die uns zu neuen Weſen ſchafft; 
Ihr reicht in Kummer und Bedraͤngniß 
dem Herzen Lethens Schlummerſaft; 
Ihr adelt, ſuͤße Charitinnen! 
zu ſanften Freuden unſte Sinnen, 
und laͤutert jede Leidenſchaft. 


An Blumenſeilen der Empfindung 
fuͤhrt Ihr uns leicht, beim Saitenſpiel 
der Seelenharmonie, zum Ziel 
der liebenswuͤrdigſten Verbindung 
der Weisheit mit der Froͤhlichkeit. 

An Eurer ſanften Hand durchwallen 

wir gluͤcklicher die Lebenszeit; 

wir lernen von Euch zu gefallen, 

und lohnen Euch durch Zaͤrtlichkeit. 

Ja Eure grade Seele lenket 

des Forſchers ſchwankende Begier 

nach aͤchter Wahrheit oft, der Ihr 

die ſchoͤnſte Blumenhuͤlle ſchenket; 

benn, edle Nymphen! wenn Ihr denket 
fo denkt Ihr beſſer nod) als wir. 


Und 


Ku 93 ^w 


iub endlich, laßt e$ uns geſtehen! 
Ihr ſeid nicht alle Grazien, 
bie von Cytherens Myrthenhoͤhen 
Geiſt, Artigkeit und Witz umwehen; 
auch viele ſchoͤne Statuen 
ſehn mir ín Cypris Hainen (tefeu, 
vor denen zwar mit Liebesflehen 
kein Weiſer ſeine Kniee beugt, 
doch wird er ſie noch lieber ſehen, 
als rauhe Gothiſche Stopfaen, 
die mancher Maͤnnerkreis ihm zeigt. 


Wir ſpotten gar zu gern der kleinen 
Vergnuͤgen ſchoͤner Eitelkeit, 
die Tiefgelehrten jederzeit 
ſo herzlich unbedeutend ſcheinen, 
wie Maͤdchen — die Gelehrſamkeit. 
Wir ſpotten gern der kleinen Schwaͤchen, 
die, unter Reizungen verſteckt, 
des Tadlers Auge nur entdeckt, 
und ſuchen ſtets davon zu ſprechen, 
um uns bei der Gelegenheit 
an Eurer Schoͤnheit, Artigkeit 
und edler Selbſtzufriedenheit 
durch der Satire Pfeil zu raͤchen. 


Doch 


Fu 0j, 515 


Doch tvir vergeſſen get. babet 
bet Grouppen, bie um volle Flaſchen 
bei minder edler Taͤndelei 
nach faden Witz und Lachen haſchen, 
vor welchen jede Muſe flieht. 

Wir ſpotten nicht mit bittrem Witze 
des edlen Ritters, der durchgluͤht 

von Ahnenruhm, nur vom Beſitze 

des neuſten Gauls begeiſtert ſpricht, 
und ſelbſt im Kreiſe muntrer Schoͤnen 
mit ziemlich rauh gewaͤhlten Toͤnen 
für ſeines Jagdhunds Ehre ficht. 
Wir klagen, daß von Evens Toͤchtern 
ſo manche Treu' und Lieb' entehrt, 
doch ſind wol viele von Veraͤchtern 
der Schoͤnen Lieb' und Treue werth? 
Sind viele wol der feinen Triebe, 

der ſanften Seelenflamme werth, 

mit der ſo oft verlaßne Liebe 

ein zartes Maͤdchenherz verzehrt? 


O! moͤcht', Ihr Schoͤnen! Euch zu raͤchen, 
gu einem. Kranz bec Dankbarkeit 
ein Dichter manchen Lorber brechen, 


der willig Euch die Laute weiht! 
der 


FAV 05 ^ 


ber ſchon im leichten Fluͤgelkleide 
Euch Liebesopfer dargebracht, 

und bei des Fruͤhlings Blumenpracht 
ſchon fruͤh auf Lieder ſuͤßer Freude 
gum Lob ber Grazien gedacht; 

der mehr durch Eure Faͤcher lernte, 
als durch die Birkenruthe, die 

mit ernſtlich angewandter Muͤh 

ihn von den Muſen nur entfernte; 
der, fruͤh vom Myrthenhauch umſpielt, 
noch jetzt, wo Paphos Zefirn wehen, 
mit frommer Dankbarkeit es fuͤhlt, 
bafi er vor. Euren Kanapeen 

mehr Bildung unb Geſchmack erhielt, 
als an der vielgetruͤbten Quelle 

der ſtaubigen Gelehrſamkeit; 

ach! der zu ſpaͤt die lange Zeit, 

da er in duͤſtrer Kloſterzelle 

nur leſen lernte, noch bereut. 


Cà leben bann bie edlen Schoͤnen! 
die unſre Seelen mit Gefuͤhl 
und jedes beßre Saitenſpiel 
mit ihrem holden Beifall kroͤnen! 


Mag 


wAvf 96 wie 


Mag 25oileau, Dop', unb Juvenal, 
und iie bie ſtrengen Maͤnner feifen, 
uné immerhin durch Cypott beweiſen, 
daß — „auch die Liljen manchesmal 
durch ſuͤßen Duft vergiften koͤnnen, — 
Ich Friedlicher, beneide ſie 
um dieſe Spoͤttereien nie, 
und moͤchte ſelbſt nicht gern Genie 
unb Reiz unb Tugend jemals trennen. 
Am wenigſten, wenn mich, wie jezt, 
die Ruͤckerinnrung jener Stunde, 

o theute Graͤfin! nod) ergoͤzt, 

da mir aus deinem holden Munde 
der Weisheit Silberquelle floß, 

an deren Ufer jede Bluͤthe 

des Witzes und der Seelenguͤte 
in ſchoͤnſter Harmonie entſproß. 


Wohlan! ſtatt beißender Satiren, 
nimm edle Graͤfin! dieſes Lied, 
das keine Schoͤne ſchuͤchtern flieht; 
denn jeder Ruhm, der Dich umbluͤht, 
ſoll es als Opferbinde zieren! 


Nicht wahr, Du glaubſt der Muſe leicht, 
dies koſt' ihr wenig Ueberwindung, 
indem ihr Jugend und Empfindung 
zum Opfer reine Flammen reicht? 


mf 97 ^ 


Ja wer mit zwanzig Blumenjahren 
fid) unterſtuͤnd' in Phoͤbus Hain 
ber Schoͤnheit Myrthen zu entweihn, 
verdiente nod) bei grauen Haaren 
von huͤbſchen Maͤdchen allgemein 
verſpottet und verhoͤhnt zu ſeyn! 
Kein Weibchen muͤßte je ſein Leben 
durch Liebe, Witz und Zaͤrtlichkeit 
zum Himmelsvorgenuß erheben; 
kein Toͤchterchen durch Artigkeit 
und holde Schoͤnheit ihn entzuͤcken, 
wenn tauſend Juͤnglinge zerſtreut 
und liebeſchmachtend nach ihr blicken; 
Ihm muͤßte nie bie nfelinn 
mit heitrem, unſchuldsvollem Sinn 
die Stirne ſpaͤt durch Blumen ſchmuͤcken. 


Doch jeden Dichter, welcher fruͤh 

fuͤr Grazien und Pierinnen 
die ſanfte Laute ruͤhrt, um ſie 
durch fromme Demuth zu gewinnen; 
wer meinem guten Hoͤlty gleich, 
an geiſtiger Empfindung reich, 
der Schoͤnheit Zauberkraft beſinget, 
die mit der Weisheit in Verein 
in Feſſeln alle Herzen zwinget, 
die ſich den holden Muſen weihn — 

Philoſ. Mag. 1. Gt. G 


den 


(aw 98 724 


den Dichter müffe fruͤh jum Lohne 
die ſtolz errungne Myrthenkrone 
«u$ einer ſchoͤnen Hand erfreun! 


Wenn leider! dann nach wenig Lenzen 
ſein ſtiller Huͤgel ſich erhebt, 
ſo muͤſſen ihn noch Roſen kraͤnzen, 
auf denen ſanfte Zaͤhren glaͤnzen, 
wenn Lunas Schimmer ſie umbebt. 


Und ſeine Samlung kleiner Lieder, 

die jedem Foliantenſchrank 

auf Amors flatterndem Gefieder 

enteilt — belohne ſtiller Dank 

von Lippen tugendreicher Schoͤnen, 

die ſie zum trauten Saitenſpiel 

mit ſeelerhebendem Gefuͤhl, 

wie Du, o edle Graͤfin! toͤnen. 


Sei dies dann meiner Muſe Ziel! 
ſo wird ihr Lorber lange gruͤnen, 
und reizende Philoſophie 
des Lebens wird alsdenn fuͤr ſie 
zum blumichten Gewande dienen. 


Ja, 


FA^ 09 ^w 


Ja, Graͤfin! biefe Wiſſenſchaft 
den Reiz der Tugend zu empfinden, 
ber Weisheit ungeſchwaͤchte Kraft 
mit ſanften Scherzen zu verbinden; 
bie ſeelenſtaͤrkende Gedulb 
mit weiſem Laͤcheln auszuuͤben, 
und, ſind wir ſelber außer Schuld, 
uns nie zu graͤmlich zu betruͤben: 
die ſchwere Kunſt, mit einem Band 
von Roſen erſt das Herz zu fangen, 
um uͤber Willen und Verſtand 
den Sieg ſo leichter zu erlangen; 
Fuͤr alles Schoͤne dies Gefuͤhl, 
das in erhabnen Buſen gluͤhet, 
und uns allmaͤchtig zu dem Ziel 
der edlen Menſchenliebe ziehet; 
die reizende Gefaͤlligkeit, 
die uͤber alle Lebensauen 
der Freude ſuͤße Veilchen ſtreut; 
und dieſes innige Vertrauen 
zum Schoͤpfer, das Zufriedenheit 
mit Seinem Thun und ſeinem Willen 
in jedem Traubenkelch uns beut, 
bei welchem Ernſt und Heiterkeit 
ſtets lieblich in einander quillen. — 


G 2 Ja, 


T^4*f^ roo """« 


Ja, Girüfin! dieſe Harmonie 
ber nuͤzlichſten Philoſophie 
entlernen wir nicht duͤſtern Schriften, 
die hinter Gatterthuͤren ſtehn, 
bie (lernen voir. auf Blumentriſten, 
wenn rir mít Dir ſpazieren gehn. 


Selmar. 


Recen⸗ 


Secemnftbo memi. 





Ie 


Verſuch uͤber Gott, die Welt, unb bie men[dy 
lid)e Seele; burd) bie gegenwaͤrtigen pilofos 
phiſchen Streitigkeiten veranlaft. 
Berlin und Stettin 1788. 8. 


D. Verfaſſer will die dogmatiſche Metaphyſik 
gegen Kants Angriffe vertheidigen, und behauptet in 
der Vorerinnerung: daß die transſcendentale Philoſo⸗ 
phie nur auf bem Wege bet Analyſis gefunben werde, 
bag (ie feine neue Wahrheiten entwickeln fónne, bie 
nicht vorher in ber Anſchauung, ober bem Geſuͤhle 
gegeben. worden. Auf biefen Gedanken gruͤndet fid) 
das Syſtem des Verfaſſers, ob er ihm gleich in der 
Ausfuͤhrung nicht getreu bleibt, da er nicht genugſam 
zeigt, wie wir durch Abſtraction zu den Begriffen 
voit transſcendentellen Objecten, unb au Urtheilen uͤber 
dieſelben gelangen. Wir koͤnnen dem Verfaſſer in ſei⸗ 
nen muͤhſamen unb oft febr ſcharfſinnigen Unterſuchun⸗ 

Ó 4 ge 


FXMER  yo4 "9 


get nicht Schritt vor Schritt fofgen, zumal ba et 
ſeinem Sybeengange nid immer bie leichteſte Me⸗ 
thode gegeben fat. — Wir wollen alfo nur ben Haupt⸗ 
infalt bes Werks anzeigen. 


f£rfle Abtheilung: Von ben Grünben 

ber gemeinen SBernunfterfenntnig von ber. &eele, bet 
Welt unb Gott. (Cap. 1. Von Crfenntni unb 
Daſeyn. (38enn e$ S. x8. feift: „Raum unb 3eit 
finó in bet Anſchauung nicht eher gegeben, al8 bie 
Objecte, unb werden von biefen abſtrahirt, fo ift das 
eben bie Streitfrage, voorauf fo viel beruhet; oa 
Stant ba$ Gegentheil behauptet, unb alfo biefen Satz, 
fo nackt hingeſtellt, voͤllig verwerflich macht.) Cap. 2. 
Von ber Ewpfindung unb analogiſchen Schlußart. 
(Sir) bie unbeſtimmte Behauptung S. 37. daß wit 
bie innere Natur der ſimultan unb ſucceſſ iv fid) eoexiſti⸗ 
renden Dinge nicht kennen, verwirft der Verfaſſer 
den groͤßten Theil der Erkenntniß transſcendeutaler Ob⸗ 
jecte, die er doch in Schutz genommen hat; es ſey 
bann, daß er unter Kennen ein anſchauendes unb voll: 
ſtaͤndiges verſteht.) Cap. 3. Von der Phantaſie. 
Cap. 4. Von dem Verſtande und der Vernunft in 
engrer Bedeutung. EEs iſt etwas unerwartet, daß 
in dieſem Cap. von Traͤumen gehandelt wird. f. $. 11.) 
Cap. 5. Vom Willen unb feinen Trieben. (Die An⸗ 
merkung S. 92. baf Adam vor fcinem dalle bie finn; 
liben 


FMUT^ q05 ^29 


lien: Ojecte durch bie Imagination eben fo abe be 
handeln fànnen, voie bie Ideen feiner Phantaſie ſelbſt, 
ift bod) wol nuc eine Satyre auf 'Doitet ?). Cap. 6, 
Gemeine Weſenlehre ( Ontolegie) und Syllogiſtik. 
(Sie bier gegebne Crtlárung des Verſtandes in engrer 
SDebeutung, roonad) er bat Vermoͤgen, Vieles im 
einzelnen Dinge gu unterſcheiden, fen fol, ift auf 
ber cínen Seite ju enge; benn ber Verſtand beſchaͤffti⸗ 
get fid) mit Begriffen unb Urtheilen, wozu nicht bloß 
das Unterſcheiden erforderlich iſt; auf der andern 
Seite zu weit, benn aud) durch bie ſinnliche Erkennt⸗ 
niß unterſcheiden wir vieles im einzelnen Dinge.) 
Cap. 7. Wie fid) bie Seele von bet Welt unterſchei— 
bet. Cap. 8. Ahndung vom Subſtanzweſen. Cap. 9. 
Von bet Welt. ( Die nad) bes 3Berf. Meinung hetero— 
doxen Behauptungen von der Welt werden nur ganz 
kurz abgefertigt. So heißt es z. B. S. 143. der 
transſcendentale Idealismus wiederſpreche ber. gemei— 
nen Erſahrung. Kann denn die Erfahrung uͤber 
Dinge aufer der Vorſtellung entſcheiden?) Cap. ro. 
Von ber Exiſtenz Gottes, als Weltſchoͤpfers. Wir 
bringen Ordnung, Schoͤnheit, Harmonie gern hervor; 
da wir nun dergleichen in der Welt bemerken, ſo 
ſchließen wir analogiſch auf ein verſtaͤndiges, freies 
Weſen, als Urheber derſelben. Cap. rx. Von der 
Unſterblichkeit der Seele, und ihrer Gemeinſchaft mit 
der Welt. Cap. 12. Ueber die Metaphyſik und 

65 Hyper⸗ 


f^Avf^ ro06 c 


Hyperphyſik, obe hen. Inbegriff ber Hypotheſen von 
ſolchen benfbar fepn ſollenden Erfahrungen, bíe ber 
Analogie ber phyſiſchen Weitveraͤnderungen wenig ge⸗ 
maͤß ſind. 


Zweite Abtheilung: Syſtem einer trans⸗ 
ſcendentalen Philoſophie. 


I. Weſenlehre. Cap. r. Moͤglichkeit bet trans⸗ 
fcenbentalen Grfenntnig. (Wir Dátten fier ermartet, 
eine Beleuchtung ber Sragen zu fiiben : wie fontfeti, 
ſche Urtheile a priori moͤglich ſeyn? unb o6 man eine 
Erkenntniß von transfcenbentalen Gegenftánben haben 
fónne? voit finben aber (tatt teffen einige Semerfun: 
gen uͤber bie Deutlichkeit unb. Wahrheit bet empiri⸗ 
ſchen Grfenntnig.) Cap, 2. Von ben allgemeines 
innerlichen Praͤdicaten (Categoríen , Praͤdicamenten, 
Beſtimmungen des Reellen) und der Identitaͤt. (Wir 
muͤſſen hier nur bemerken, daß der Verf. von dem 
Kantiſchen Begriffe einer Categorie abweicht, und 
daß er bloß die Einheit als die einzige Categorie 
anfuͤhrt) Cap. 3. Von ben disjunctiven Praͤdica⸗ 
ten. Cap. 4. Subjectiviſche Beſtimmungen des 
Dings, Grad der Realitaͤt oder Moͤglichkeit. Maaß 
ber. Nealitaͤt, (einfache Voillkommenheit, ober Gut.) 
S. 196. 197. wird die Meinung geaͤußert: das Bei⸗ 
ſammenſeyn aller Praͤdicate ſey die Exiſtenz; das Bei⸗ 

ſam⸗ 


f^ T Io7 ^w 


menſeyn einiger bie Moͤglichkeit, unb zwar ber innetn, 
bie innere, unb ber. áufern, bie áufere Moͤglichteit. 
(Allein wenn id) alle Praͤdicate, bie innern unb áufern, 
b. i. bie innere unb áufere Moͤglichkeit zuſammenſetze, 
fo ift aud) ba$ Gange immer nur nod; Moͤglichkeit. 
Der ganze Sjnbeariff ber fDrábicate fann aud) blog 
in ber Vorſtellung beifammen ſeyn. Der Verf. ſcheint 
auch die verzweifelte Sache ſelbſt aufzugeben, indem 
er €. 196. ſagt: Dieſe Saͤltze leuchten durch Analyſe 
der Begriffe ein; wer ſie laͤugnet, mit dem iſt nichts 
anzufangen.) Cap. 5. Von den Verhaͤltnißen. 
Uebereinſtimmung, Succeſſion, Cohaͤrenz unb. Inhaͤ⸗ 
renz (Caußalzuſammenhang). 


2, Seelenlehre. Cap. 1. Egoitaͤt, Perſonali⸗ 
taͤt, Ginfad)beit. ap. 2. Von bem Willen unb 
ber Freiheit. (entfált nichts Neues oter Befriedigen⸗ 
des.) Cap. 3. Von der Gemeinſchaft der Seele mit 
dem Koͤrper, ihrer Praͤexiſtenz und Unſterblichkeit. 


3. Weltlehre. Cap, x. Von bem Zuſammen⸗ 
fange ber Weltſubſtanzen. Der Egoismus vermor; 
fen. — Die vorferbeftimmte lebereinftimmung verthei⸗ 
bigt. Cap. 2. Von ber Vollkommenheit ber Welt: 
C$ giebt keine Blinbe Nothwendigkeit, feinen 3 ufall ; 
Subſtanzen, die in$ Unendliche ire Vollkommenheit 
vermehten, bringen eine groͤßre Summe von Voll—⸗ 


foin: 


FMVER  rp08 v2 


fommenfjeit in ber Welt Gervor, als anbre; daher 
Unſterblichkeit. Phyſiſches unb moraliſches Mebel. 


4. Natuͤrliche Theologie. Cap. x. Abhaͤngige⸗ 
keit der Welt: Ein Fortgang der Urſachen ins Unend⸗ 
liche, ift unmoͤglich. Etwas gegen Spinoza u. f. w. 
Cap. 2. Phyſicotheologiſcher Beweis des Daſeyns 
G'otte$ wird verworſen: weil alles Vollkommene zur 
Wuͤrklichkeit fommen muß, ſchon deßwegen; weil es 
vollkommen iſt. Cap. 3. Beweis des Daſeyns Got⸗ 
tes a priori. (C$ ift von einem Schriftſteller, als ber 
gegeniváctige, befremdend, menn mat hier aud) 3meís 
(el von ber Art mit unter finbet: ,, Bielleid)t giebt es 
fein abjotut unendliches Subſtanzweſen, fo wie e$ 
feine abfotut unenblid)e Sigur geben Éann. ,,) 


Dritte XMbtbeilung: Etwas uͤber Santé 
riti ber reinen 9Sernunft. — Cap. r. Von Erkennt⸗ 
nif unb Daſeyn. Cap, 2. Von ber Orbnung bet 
e"ften. SSegriffe. Cap. 3. Von bet Analyſis unb 
Syntheſis. Cap. 4. SBerfud) einer Beurtheilung be 
Kantiſchen Angriffs auf bie alte Metaphyſik. Cap. s. 
Schwierigkeiten, Sant mit (id) felbft zu vereintgen. 
Viele Vorwuͤrſe, bie in dieſer Abtheilung gegen das 
Kantiſche Syſtem vorgebracht werden, treffen daſſelbe 
nicht. So heißt es S. 335. „Nach Kants Syſteme 
iſt das, welches unter den Schemen Raum und Zeit 

ſub⸗ 


"^f^ 109 ^" 


ſubſumirt unb ín bie Form des Denkens gebracht tvitb, 
ſo wie dieſe Scheme und Formen, an und fuͤr ſich — 
Süidté., Kant behauptet nur, daß bie Sinnenwelt 
verſchwinde, wenn man bie ſubjective Einrichtung 
unſrer Siunnlichkeit aufhebt, Grit. b. r. V. x. Ausg. 
€. 42. unb beweiſet ausdruͤcklich, daß bie Eriſtenz 
bec Dinge außer uns nothwendig ſey, Grit. 2te Ausg. 
S. 274. Als ein Beiſpiel, voie ber Verf. gegen bie 
Kantiſchen Behauptungen zuweilen ſtreitet, mag die 
Widerlegung des Beweiſes ber erſten Antinomie, rit, 
X. Mué£g. €. 370. 371. dienen, melde S. 371. fo 
lautet : „Wie fani mai aber nun fagen, bag bic 98elt 
weder enblid) nod) unenb(íd) (ep? Iſts benn nidt 
notfwenbig, I) baf entweder bie Erſcheinungen der 
benfenben Cubftangen niemals angefangen haben unb 
níemaf$ enben merben, oder bafi fie einen Anfang 
unb Cnbe haben? 2) Daß ein Weſen in. ber Welt, 
welches auf einmal nut einen. begrángten 9taum mit 
bec Vorſtellung umfpannen fann, bie Welt (tufenrocife 
mit ben Gebanfen umfaffen fónne, oder nit? 
Vom Nichts (affen fid) freilich Widerſpruͤche prábiciren, 
aber die Erſcheinungen ſind ja nicht Nichts. Sonſt 
hoͤrte alles Denken auf, weil nad) Kants eigner Dei 
nung gar nichts da iſt, woruͤber wir raiſonniren koͤn⸗ 
nen, als die Erſcheinungen unb ihre Sormen. , 


So 


FMAvÉ^ IrIO «uw 


So wie toir mit Vergnuͤgen Bemerfen, daß üt 
6er. ganzen Abhandlung mande fdjarfe Blicke vorfom: 
men, fo finben fid) dergleichen aud) im dieſer britten 
Abtheilung 3. 5. €. 379. 1. 391. ꝛc. Was 6. 4. 
€. 410. :«. gefaat roítb, leuchtet uné vàllig ein. Denn 
menn baé Noumenon für míd) weder móglid) nod) 
unmóglid), wenn e$ ein ens rationis, ein Nichts 
für mid ift, fo fann fcin Glaube an baffelbe (tattfin: 
ben, ber bod) nothwendig eine Erkenntniß ber Moͤg⸗ 
lichkeit bet Sache voraus[cet. 


8. 


2. 


KVER III ^" 
FO 7H-7]])H-H £4 3 ]HPHEIPIHHHHLHSS 


2. 


Zweifel libet bie Kantiſchen Begriffe von Qeit 
unb Raum, von Adam Weishaupt. 
Nuͤrnberg 1788. 8. 


J. Abſicht der Reſultate, die Kant aus ſeinen 
Unterſuchungen uͤber bie Natur ber. menſchlichen Gv; 
kenntniß zieht, ſtimmt der Verfaſſer mit ihm uͤberein. 
Er glaubt mit ihm, daß unſte ganze Philoſophie 
nur eine Philoſophie der Erſcheinungen ſey; nur ge⸗ 
langt er, wie er ſagt, in ſeinem Syſteme, zu eben 
den Reſultaten auf einem ganz andern Wege — auf 
bem Wege ber Erfahrungen (S. 7.). Das, worin 
er von Kant vorzuͤglich abweicht, iſt die Behauptung; 
daß weder ber Verſtand, noch bie Sinnlichkeit ges 
wiſſe Formen und Bedinqungen haben, daß alſo 
Raum und Zeit nicht die Formen der Sinnlichkeit 
ſeyen, und daß wir dieſe beiden Vorſtellungen nicht 
nnabhaͤngig von ber Erfahrung beſitzen (S. 8.). 


Um 


1I12 ö 


Um ſeine Meinung ins Licht zu ſetzen, giebt der 
Verf. zuerſt eine kurze Darſtellung des Kantiſchen 
Syſtems in Beziehung auf Raum und Zeit 6. 3.; 
alsdann geht er die moͤglichen Vorſtellungsarten von 
Raum und Zeit durch. 


Die erſte Vorſtellungsart, nach welcher Raum 
und Zeit als Nichts gedacht werben, kann bie San: 
tiſche nicht ſeyn; benn menn R. unb 3. Formen bet 
Sinnlichkeit ſeyn ſollen, ſo koͤnnen ſie nicht Nichts 
ſeyn. Nach dem rohen Begriffe ſtellt man ſich den 
Raum als Nichts vor; nicht ſo aber die Zeit, dieſe 
iſt im gemeinen Leben nichts andres, als ein beſtimm⸗ 
tes, groͤßres ober kleineres, Zeitmaaß. $. 4. 5. 6. 


Sweyte Vorſtellungsart, $. 7.: Der 9taum 
als Etwas, vorzuͤglich als Subſtanz, betrachtet. 
( Wenn es S. 48. heißt: „alle &ubftanyen*finb un: 
durchdringlich, befinden fid) außer einander, unb wer— 
ben dadurch ber Grund unſrer Vorſtellung von Aus— 
dehnung; „ſo ift das theils cine pet, princ. — denn 
dis iſt es gerade, was Kant laͤugnet — theils offen⸗ 
bar ein zu allgemeiner Satz. Nur unſrer ſinnlichen 
Vorſtellungsart nad) befinden fid) bie Subſtanzen au 
fet einanbers aber nit als íntelligibele Gegenſtaͤnde, 
ba fállt alles Außereinanderſeyn weg.) Der Raum 
kann nad) bem Kantiſchen Syſteme keine Subſtanz 

ſeyn, 


F*A»f^ ry15 ^w34«* 


fen, $. 9.3. benn als fofde fónnte ec feine Form 
ber Sinnlichkeit ſeyn, weil et. eine von dieſer abges 
ſonderte Crifteny haͤtte. Er fann aber aud) aufer 
dieſem € v(teme niemals eíne Subſtanz feyn, $. 9.; 
benn, waͤr er eine Subſtanz, fo waͤren alle anbere 
Dinge, weil (ic nid)t aufer tem Raume (inb, keine 
Subſtanzen, alles waͤre Modification emer. einzigen 
Subſtanz. (Dis ſtuͤtzt (id auf $. 7, unb faͤllt mit 
biefem weg. Die bei dieſer Gelegenheit gemachten 
Anmerkungen uͤber Spinozas Syſtem gehoͤren gar 
nicht hieher, denn es iſt von dem Kantiſchen Syſteme 
die Rede, welches mit jenem in dieſer Hinſicht gar 
nichts gemein hat; ſie ſind uͤberdem zum Theil 
unbefriedigend, unb unerwieſen, wie z. B. dieſe 
S. 51:1: baf beim Spinoza alles auf verwor— 
renen Begtiffen von Raum und Aucedehnung 


beruhe.) 


Wenn man ($. 10.) ben Raum als ein Accidenz 
hetrachtet, ſo giebt es dabey drey Faͤlle: der Raum 
iſt entweder 1) ein ausſchließendes Praͤdicat der 
Dinge außer uns, oder blos objectiv; oder 2) eine 
aus ſchließende Eigenſchaft, unb Accidenz unicer € cele, 
b. i. blos ſubjectiv; oder 3) er ift ein Accidenz vor 
beiden zugleich, b. b. theils objectio, theils ſub⸗ 
jectiv — ein Verhaͤltniß. 


Philoſ. Mag. 1. St. H Die 


— 114 «aet 


Die Meinung, bie ba$ erfle annimmt, ift 
(8. 11.) bie dritte Vorſtellungeart vom Siaume, unb 
nicht ſowol falid), als unvollſtaͤndig. Sie erklaͤrt 
nur, was Raum unb Zeit am ſich, aufer ber Vor— 
ſtellung ſeyn — und ba ſind fie nichts als bie Gegen— 
ſtaͤnde ſelbſt; ihr Aufeinanderfolgen, unb ihr Neben⸗ 
einanderſeyn — aber bie Frage: was unſte Vorſtel⸗ 
lung von Zeit unb Raume ſeye? woher dieſe entſtehe? 
Bleibt unberuͤhrt. (Die $. 7. bemerkte petit. princ. 
fait bier woieber in bie Augen.) 


Die vierte Vorſtellungsart (6. 12.) betrachtet 
ben Raum als blos fubjectiv; unb biefe i(t bie Stan: 
tiſche. Waͤren Raum unb 3eit blos fubjectio, truͤ⸗ 
get ^ie aͤußern Gegenſtaͤnde gar nichts dazu bei; fo 
muͤßten und koͤnnten wir auch Gegenſtaͤnde außer uns 
gewahr werden, wenn auch keine Gegenſtaͤnde waͤren, 
wenn auch keine auf uns wirkten. Wir haͤtten dann 
alle Gruͤnde, das Daſeyn ber Dinge aufier uns zu 
leugnen. Denn da alle Dinge nur mit Raum und 
Zeit vorgeſtellt werden koͤnnen, da der Raum die 
Form unſrer Sinnlichkeit iſt, da wir ſogar, kraft 
dieſer Form, Gegenſtaände erkennen wuͤrden, wenn 
aud) keine vorhanden waͤren: fo ſind alle Dinge blos 
in unſrer Vorſtellung wirklich. (Folgende Bemer⸗ 
kungen fallen von ſelbſt in die Augen: 1) Geſetzt, der 
aufgeſtellte Satz waͤre richtig, ſo muͤßten wir uns die 


Fol⸗ 


F.M IIS nA: 7^2] 


Folgen barau$ gefallen faffen. — Die (eere Declama⸗ 
tion, bit der Verf. €. 60. unb 61. hinzufuͤgt, fann 
nidjt$ beweiſen. 2) Der fegnfollenbe Beweis be$ 
aufaeftellten Gates iſt cine loge Wiederholung be$ 
Satzes felbft. 3) Wird vom Moͤglichen aufs Wirk— 
lide geſchloſſen. Wenn die aͤußerlichen Dinge nicbtà 
gu unſern Vorſtellungen beytragen, fo ift es moͤglich, 
daß wir Vorſtellungen von Dingen, als außer uns, 
haben, und daß es ſolche Dinge demohnerachtet nicht 
giebt; aber deswegen noch nicht wirklich. 4) Iſt 
es ein bittweiſe angenommener Satz: wenn der 
Raum und die Zeit — die nur Einrichtungen unſrer 
Sinnlichkeit, nach Kants Syſteme, ſind — von den 
aͤußerlichen Gegenftauben unabhaͤugig (inb; fo koͤnnen 
auch die Vorſtellungen von den Dingen im Raume 
und in der Zeit davon abhaͤngig ſeyn. 5) Der Verf. 
verraͤth eine Unbekanntſchaft mit bem Kantiſchen Sy⸗ 
ſteme (verat. S. 64.), gegen welche er in ber Vor— 
erinnerung fo ſehr proteſtirte. Kant ſagt ausdruͤck⸗ 
lich: Eine Anſchauung findet nur ſtatt, ſo ſern uns 
der Gegenſtand gegeben wird; dieſes aber iſt nur da— 
durch moͤglich, daß er das Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe 
afficire, Crit. ate Aueg. €. 355. unb an einem an: 
bern Orte. ( €. 274 :€.)) beweiſet ec fegar das Da: 
ſeyn ber Gegenftánbe aufer uns.) Die mreiter aus— 
gefuͤhrte Widerlegung ber Kantiſchen Theorie $. 13. 
bis 15. ſtuͤtzt fid) auf $. 12. 

$a Die 


116 ae 


Die fünfte Erklaͤrungeart nímmt ben. 9taum 
und e 3eít, als theils objecti, theils fubjectio am. 
Wenn nuc fünf Erklaͤrungsarten einer Sache moͤglich 
ſind, (tec Verfaſſer fordert jeden auf, cine ſechste 
vom Raume zu finden,) und wenn vier davon falſch 
beſunden werden, fo muß die fünfte bie wahre ſeyn. 
Es bieibt alfo nichts uͤbrig, als anzunehmen, daß 
Raum und Zeit theils objectiv, theils ſubjectiv, alſo 
Verhaͤltniſſe, ſeyn. F. 16 :c. erlaͤutert ber Verfaſſer 
ziemlich vollſtändig, voie er (if dieſen von ibi in 
Schutz gcenommenen Begriff bcé Raumes unb der 
Zeit vorſtelle, und was von Seiten der vorſtellenden 
Kraft unb. der Gegenſtaͤnde aufer. derſelben dazu etr 
ſordert werde. 


m 


Philoſophiſches Magazin. 


— — — 


Herausgegeben 


von 


Johann Auguſt Eberhard. 


$weytee Stuͤck. 


HALLE, 
bey Johann Jacob Gebauer. 
1788. 


HR cv C 


I. 
Ueber bie tranéfcenbentale Aeſthetik. 





D. , bet mit einem forſchenden Auge bie 
Welt bet. Erſcheinungen Betradjtet, kann die Frage 
keinesweges gleichguͤltig ſeyn, ob die Dinge, die ihm 
feine Sinne vorſtellen, wirkliche, und aufer ber Vor⸗ 
ſtellung vorhandene Gegenſtaͤnde ſeyen, ob ihnen we⸗ 
nigſtens dergleichen zum Grunde liegen, oder ob er 
fid) gleichſam vor einem Zauberſpiegel befinde, unb 
mit leeren Blendwerken unaufhoͤrlich getáufdot werde? 
Man ſieht leicht, daß die Beantwortung dieſer Frage 
von der Natur der Vorſtellungen abhange, die bey al⸗ 
len Wahrnehmungen gum Grunde liegen, als bie einfach⸗ 
ſten aller ſinnlichen Vorſtellungen, ob fie bloß für bie finn 
[ide Grtenntnif, ober aud) für ben 9Berftanb unauflóstid) 
finb ? Alles aber, was wahrgenommen wird, tbeilt fid) in 
zwey Gattungen, deren eine die Gegenſtaͤnde enthaͤlt, 
die als außer uns, die andere aber diejenigen, die nicht als 
außer uns vorgeſtellt werden. Die Faͤhigkeit, Gegen⸗ 

Philoſ. Mag. a. St. J ſtaͤnde 


F(AvK^ I1 ^T 


ſtaͤnde von br erſtern Art wahrzunehmen, ift bec 
aͤußere Sinn, fo wie men unter oem. innern. oenje: 
nigen verſteht, ber uns Gegenſtaͤnde von oer andern 
Art amchauen faft. *) Daß nun dasjenige, was 
bey allen Gegenſtaͤnden des aͤußern Sinnes nothwen⸗ 
digerweiſe gum Grunde liegt, der Raum ſey, imglei⸗ 

chen 


*) €» alaubte ich ben Unlerſchied zwiſchen aͤuherm unb 
innerm Sinn angeben gu muͤſſen, in Beſiehung auf 
bie Unterſuchungen in Kants* traneſcendentaler Aeſthe— 
tif. Das was inan gewoͤhnlich unter aͤußern Sinnen 
denkt, fani bier. eicbt gemeint ſeyn, weil ſonſt bie 
Behauſtung, daß der Raum ihre allgemeine Form 
ſey, nicht beſtehen koͤnnte. Geruch und Geſchmack 
ſtellen keine Erſcheinungen im Raume ver; unb daß 
ein Menſch, ber ber Geſichtsfaähigkeit gaͤnzlich beraubt 
waͤre, durch das Gefübl cine Vorſtellung vom Raume 
bekommen mürec, laͤßt fi aud) nicht erweiſen. 
Wenn man ſagt, daß durch die ſucceſſive oder ſimul⸗ 
taniſche Betaſtung mehrerer neben. einander ſeyender 
Koͤeber die Vorſtellung von Raume entwickelt werden 
muͤſſe, ſo folgt das nicht. Es wuͤrde dadurch bloß 
bie Vorſiellung mehrerer von. einander verſchiedener, 
abcr nicht dem Raume nach außer einander befindli⸗ 
cher, Gefuͤhle entſtehen; ja nicht einmal bie Vorſtel⸗ 
lung von etwas außer uns daſeyendem; denn das 
Gefuͤhl ſtellt bie Gegenſtaͤnde nicht vor, inſofern fie 
außer uns ſind. Wenn aber auch die Vorſtellung vom 
Raume durchs Gefuͤhl entwickelt werden koͤnnte, fo 
muͤßte doch das Merkmal der Impenetrabilitaͤt darin 
verwebt ſehn. 


fXvfh  IIQ e$» 


den baf ble 3eit alle Vorſtellungen des innern Sin⸗ 
nes Begleite, ijt eine SSeimerfung , bie einem aufmetf, 
famen. Beobachter nicht leicht entgehen kann. Allein 
die wahre Natur unb. Beſchaffenheit des Raums unb 
der Seit mit voͤlliger Gewißheit zu beſtimmen, (moo: 
von doch das Urtheil uͤber die ganze Welt der Erſchei⸗ 
nungen abhaͤngt,) ift mit viel groͤßern Schwierigkei— 
ten verknuͤpft, und die Behauptungen der groͤßten 
Weltweiſen ſind daruͤber getheilt. Entweder nimmt 
man an, daß Raum unb Zeit bloß Formen unſrer 
Sinnlichkeit ſeyn, d. i. bloß eine gewiſſe Cinrichtung 
unſres ſinnlichen Erkenntnißvermoͤgens bebenten, nad) 
welcher mit gezwungen ſind, uns Me ſinnlichen Ger 
genſtaͤnde ſo und nicht anders vorzuſtellen, daß alſo 
nichts außer unſrer Vorſtellung ihnen entſprechendes 
vorhanden ſey; oder man erklaͤrt ſich fuͤrs Gegeutheil, 
und iſt alſo der Meinung, daß dem Raume und der 
Zeit auch außer unſerer Vorſtellung etwas entſpreche. 
Die erſtre Behauptung (ft e$, die in unſren Tagen 
an dem beruͤhmten Koͤnigsbergiſchen Weltweiſen einen 
fo großen Vertheidiger gefunden fat, unb woruͤber 
mir jetzt einige Bemerkungen zu machen erlaubt ſey. 


Da tie Theorie des gedachten ſcharſſinnigen Den⸗ 
kers nicht allein von bem bisher faſt allgemein fuͤr 
guͤltig erkannten metaphyſiſchen Syſteme, ſondern 
auch von der Vorſtellungsart abweicht, die ſich der 


ja ſchlich⸗ 


FT I20 «ua 


ſchlichte Menſchenverſtand vom Naume unb. von. bec 
Zeit macht, ſo mußte er ſie allerdings mit ſtrengen, 
untadelhaſten Beweiſen ausruͤſten, wenn er fie gegen 
alle Augriffe ſicher ſtellen wollte, Ob dieſes nun. ger 
ſchehen feo, daran laͤßtiſich, fo viel ich einſehe, nod) 
immer zweifeln, und daß es, wenn es durch Kant 
nicht geleiſtet wurde, auch nicht habe geſchehen koͤnnen, 
das (ap: fid) mit allem Rechte vermuthen. 


Der Geiſt des Kantiſchen Syſtems fuͤhrt unver⸗ 
meidlich auf bie Behauptung, bie aud) Kant an meh⸗ 
term Orten áufert, bag mir von ben Dingen, voie fte 
an fid ſeyn moͤgen, ſchlechterdings nidjt$ wiſſen, baf 
mit in Abſicht aller ibrer innern unb áuferlid)en Be⸗ 
ftimmungen eine gaͤnzliche Unwiſſenheit zu geſtehen ge 
zwungen ſind, und von keiner einzigen derſelben ſagen 
koͤnnen, daß ſie ihnen zukomme oder nicht zukomme; 
ja daß uns ſogar nicht einmal von der Moͤglichkeit un⸗ 
ſerer Begriffe (der logiſchen) auf die Moͤglichkeit 
ber Dinge (bie reale) zu ſchließen vergoͤnnet ift. (Ct. 
b. r. V. r. Ausg. €. 596.) Wenn nun dies alles 
ſeine Richtigkeit hat, ſo duͤrfte dadurch auch die Moͤg⸗ 
lichkeit und Wahrheit der Behauptung, daß Raum 
unb Zeit bloß ſubjective Fotmen ber Sinnlichkeit ſeyn, 
daß ihnen in den Dingen an ſich gar nichts entſpre⸗ 
che, aufgehoben werden; benn in Abſicht einer Be⸗ 
ſtimmung der Dinge an ſich koͤnnen wir weder etwas 

beja⸗ 


F^u»T IA2I mra 


bejahen, nod) verneinen, unb ihnen fofafíf auch bas 
fprábicat des Raumes unb ber Seit rocher abſprechen, 
nod) zuerkennen. Hieraus laͤßt fid) qum voraus ein⸗ 
feben, bag bie Beweiſe für bie angefuͤhrte Behaup⸗ 
tung in ber transfcenbentalen Aeſthetik nicht ganz bin: 
laͤnglich feyn, ſondern hoͤchſtens nur fo weit reichen 
koͤnnen, als nothwendig tft, um darzuthun, daß 
Raum unb Zeit bey uns ſubjective Formen ber Sinn⸗ 
lichkeit ſeyn; woraus aber noch nicht erhellt, daß ſie 
bloß ſolche ſind, und daß ihnen in den Dingen außer 
ber Vorſtellung nichts entſpricht. ») Wenn aber die 
Kantiſche Theorie von Naum unb Zeit unerſchuͤtterlich 
feſt ſtehen ſoll, ſo iſt der Satz, daß wir uns in einer 
gaͤnzlichen Unwiſſenheit gu fSeftimmungen ber Dinge 

3 an 


*) Man bat geglaubt, bie &anti(be Zbeorie baburd) ju 
tetten, ba nan fagte: ,, Der Satz, daß dem Raum 
unb ber 2eit, meni (ie aud) fubjectioc Formen ber 
Sinnlichkeit ſeyn, bed) etmas außer bcr Vorſtellung 
entſprechen fónne, ſey eiue blofe Hypotheſe unb alſo 
unjufáffig ; uͤberdem ſpreche man ben Dingen an fid 
ellc Praͤdieate des Raums unb ber 3cit ab.,,— 2lbct 
man bebadcbte dabey nicbt, v? daß eine Wahrheit, bie 
ſelbſt nicht Hypotheſe, ienbern apodictiſch gewiß ſeyn 
ſoll, auch die Moͤglichkeit des Gegentheils aufheben 
muͤſſe. 2) 2f man bic Praͤdicate des Ruums unb 
ber Zeit, ben Dingen an fib nur abſpreche, inſofern 
man (ie als innerliche Praͤdicate von ibuen bt: 
tractet. 


f^uvT^ [22 


an fid) Sefinben, nothwendig verwerflich; denn es 
werden in dieſer Theorie die Praͤdicate von Raum 
und Zeit den Dingen an ſich abgeſprochen. Dies 
wird nod) mehr beſtatiat, wenn mar bedenkt, daß fid) 
bie Behauptungen von der Nichtigkeit unſrer Erkennt— 
niß der Dinge an fid) auf die transſcendentale Aeſthe— 
tik ſtuͤtzen. Es iſt naͤmlich unmoͤglich, aus einem 
Satze ſein Gegentheil, einen ihm widerſprechenden 
Satz herzuleiten; es iſt folglich unmoͤglich, aus 
einem Satze, worin ich bie Moͤglichkeit, über Dinge 
an ſich zu urtheilen, dadurch anerkenne, daß ich ihnen 
gewiſſe Beſtimmungen (Raum und Zeit) abſpreche, 
den Satz herzuleiten: daß es ſchlechthin unmoͤglich ſey, 
uͤber Dinge an ſich zu urtheilen, ihnen irgend eine 
denkbare Beſtimmung zuzuſchreiben, oder abzu— 
ſprechen. 


Ich weiß nicht, auf welcher Seite dem Kantiſchen 
Syſteme mehr Abbruch geſchehen duͤrfte, wenn man 
entweder die Lehre von Raum und Zeit aͤnderte, um 
der Behauptung getreu zu bleiben, daß man von den 
Dingen an fid) gat nichts wiſſen koͤnne, oder menn 
man dieſe Behauptung aufgaͤbe, um die Guͤltigkeit 
jener Lehren zu vertheidigen. So viel ſehe ich inzwi⸗ 
ſchen ein, daß auf ber einen Seite bie apodictiſche Ges 
wißheit, die Kant bey Unterſuchungen dieſer Art 
ſchlechterdings verlangt ( Vorr. gut Gr. b. t. V.), in 

Ki: 


KMOTA 123 ^WAc» 


ſeinem Syſteme zugleich mit ber ſtrengen unb genauen 
Wahrheit feiner transicenbentalen Aeſthetik aufgeboben 
werde; unb baf/auf ber anbern Seite bíe wichtigſten 
Saͤtze feines Lehrgebaͤudes verlohren gehen. 


Nach dieſer allgemeinen Betrachtung uͤber die 
Moͤglichkeit der Beweiſe, wodurch im Kantiſchen 
Syſtem bie einzig ſubjective Natur des Raums unb 
der Zeit erhaͤrtet werden ſoll, will ich die einzelnen 
Gruͤnde, die zu dieſem Behuſe gebraucht werden, 
ganz kurz etwas naͤher erwaͤgen. 


Vom Raume. 


Kant ſagt I. „Der Raum ift fein empiriſcher Be⸗ 
griff, der von aͤußern Erfahrungen abgezogen waͤre. 
Denn damit gewiſſe Empfindungen auf etwas außer 
mid) bezogen werden (b. i. auf etwas ín einem art; 
bern. Orte des Raumes, als darin id) mid) befinbc) ; 
imgleichen damit id) fic al8 aufer cinanber, mithin 
nicht bloß als verſchieden, fonbern als (n verſchiedenen 
Orten vorſtellen koͤnne; dazu muß die Vorſtellung des 
Raums ſchon zum Grunde liegen. Demnach kann 
die Vorſtellung des Raums nicht aus den Verhältniſſen 
der aͤußern Erſcheinung durch Erfahrung erborgt ſeyn, 
ſondern dieſe aͤußere Cefabrung it ſelbſt nur durch ge; 
gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich. 


J4 Die 


KMPT^ [q24, — 


Die Wahrheit be& Unterſatzes in dieſem Schluſſe 
raͤume ich ein, und bin uͤberzeugt, daß die Vorſtellung 
des Raums zum Grunde liege, ſo bald wir uns irgend 
etwas als außer uns, oder als außer einander geden⸗ 
ken. Aber mit dem daraus hergeleiteten Schlußſatze, 
daß der Raum demnach kein empiriſcher Begriff ſey, 
ſondern vor aller Erſahrung ín ber Seele vorhergehe, 
Bin ich deewegen noch nicht einverſtanden: weil bet 
Oberſatz, worauf er ſich ſtuͤtzt, nach meinem Beduͤn⸗ 
fen unrichtig ift. Dieſer Oberſatz lautet: Eine Bot; 
ſtellung A, bie bei einer Vorſtellung B. nothwendig 
zum Grunde liegt, iſt nicht aus B genommen, ſon⸗ 
bern muß vor derſelben daſeyn. Allein wenn B 
nicht gedacht werden kann ohne A, oder wenn A dem 
B nothwendig zum Grunde liegt, ſo iſt freilich noth⸗ 
wendig, daß A geſetzt werde, fo bald B aefeGt wird; 
aber es giebt zwey Faͤlle: entweder geht A vor B 
vorauf, oder es wird zugleich mit demſelben gegeben, 
und nachher durch Abſtraction davon abgeſondert, und 
allein gedacht. Der Satz: bie Vorſtellung A (bie 
bey B nothwendig gum Grunde liegt) kann nicht aus 
B genommen ſeyn, ſondern muß vor demſelben voti 
aufgehen, iſt demnach augenſcheinlich unrichtig; und 
mithin auch alles, was daraus hergeleitet wird. Wenn 
alfo aud) bie Vorſtellung des Naums bey jeder Empfin⸗ 
dung, die ich auf etwas als außer mir beziehe, und 
worin id) etwas als außer einander gedenke, noth— 

wendig 


PT I25 ^w» 


wendig um Grunde liegt, fo ſolgt bod) daraus nicht, 
daß ſie vor den Empfindungen des außer mir und 
außer einander befindlichen vorauſgehe; ſie kann auch 
zugleich mit denſelben gegeben, unb. nachher durch Ab⸗ 
ſtraction zu einer beſondern Vorſtellung gemacht wer⸗ 
den. Der Raum kann alſo gar wohl ein empiriſcher 
Begriff ſeyn. 


Da hier noch nicht bewieſen iſt, ſondern aus den 
vorliegenden Schluͤſſen erſt gefolgert werden ſoll, daß 
der Raum nichts in den Dingen außer der Vorſtellung, 
ſondern bioß eine ſubjective Form ſey: ſo laͤßt ſich auch 
hier nod) das Gegentheil annehmen. Man koͤnnte 
demnach ſagen: der Raum iſt ein Verhaͤltniß, das den 
Dingen, ſofern fie als aufer tir, ober als aufer ein⸗ 
ander erſcheinen, nothwendig zukoͤmmt; daher kann 
id) dieſelben, in ſofery id) fie als außer mir, ober als 
aufer cínanber ver(telle, nicht ohne ben Raum 9er 
benfen ; bie Vorſtellung des Raums liegt babey notf: 
voenbíg aum Grunde, unb mito eben dadurch, baf 
Vorſtelllingen von Dingen, als aufer mir, unb als 
außereinander, geſelzt werden, aud) mit geſetzt. Nach—⸗ 
her wird ſie durch Abſtraction zu einer abgeſonderten 
Vorſtellung gemacht, unb ift alſo allerdings ein. em; 
piriſcher Begriff. 


35 Kant 


126 4^ 
Stant Befauptet ferner : 


II. „Der 9taum iff. eine nothwendige 9Aorftel: 
luna, a priori, bie affen aufern 2fnfdjauungen jum 
Grunde liegt. Man fann fid) niemat$ eine SBorftefz 
[ung davon madjen, bafi fein 9taum fey, ob man (id) 
gleich oan; wohl tenfen faun, baf feine Gegenſtaͤnde 
batín angetroffen werden. Cr wird affo als bie 5e; 
bíngung ber Moͤglichkeit ber. Erſcheinungen, unb 
nicht als eíne von ifnen abhangende Seftmmung 
angeſehen, unb ift eine Vorſtellung a priori, die 
nothwendigerweiſe aͤußern Erſcheinungen 3um Grun⸗ 
be liegt., 


Sin dieſem Argumente wird aus ber Nothwen⸗ 
bigfeit ber. Vorſtellung vom Raume, unb ber Zufaͤl⸗ 
liafeit ber Erſcheinungen ín bemfelben hergeleitet, daß 
bie letztern allererſt butd) ben Staum  móglid) werben, 
unb daß bicjer aljo nid)t eine von ihnen a6fangenbe 
Beſtimmung, fonbern vie(mefr eine a priori vor (5s 
nen vorbergcbenbe Verſtellung ſeyn müffe. — Sant et: 
f(árt fellft, mie ev bep ats wolle verſtanden wiſſen, 
baf bir Jtaum eine nothwendige Vorſtellung ſey, in: 
bem ec fingufeGt: man fann e$ fid) niemals benfen, 
baj kein Raum'ſey, ober, welches eben bas ift, man 
fann ben Gegenſtand der Vorſtellung vom Staume ín 
Gedanken nie aufheben; unb ber Schluß, woraus die 

Priori⸗ 


mM^T I27 ^» 


Prioritaͤt bet Vorſtellung vom Jtaume ,erfártet werden 
ſoll, iſt vollſtaͤndig dieſer: 


Wenn etwas (A) eine nothwendige Vorſtellung 
iſt, etwas andres aber (B), das in A angetroffen 
wird, ift feine nothwendige Vorſtellung, ſo ift A die 
Bedingung der Moͤglichkeit von B, und nicht von B 
abhangig. Nun aber iſt der Raum eine nothwendige 
Vorſtellung (er kann in Gedanken nicht aufgehoben 
werden), die Erſcheinungen hingegen, die darin an— 
getroſfen werden, fino keine nothwendige Vorſtellun— 
gen «fie laſſen ſich alle wegdenken). Alſo iſt ber 
Raum bie Bedingung bet Moͤaglichkeit ber Erſcheinun— 
gen, uno nicht von ihnen abhangig. 


Gegen dieſen Schluß ift, moie mir deucht, fot 
gendes zu erinnern: wenn A eine nothwendige Vor⸗ 
ſtellung ift, unb das darin enthaltene B. nicht, fo be: 
beutet das blof cin Verhaͤltniß, das A unb B. gegen 
mein 9Bor(tellungévermógen haben, nicht aber ein fol: 
d$, das ibnen unter einanber gufáme; moburd) ir 
Grund (bie 95ebingung) ber Moͤglichkeit, fomol von 
A, als ven B, ganz unbeftimmt bleibt; unb e$ giebt 
hiebey eren Faͤlle: entweder ift A ber Grund (bie Be— 
dingung) ber Moͤglichkeit von B, oder B von A, 
oder beibe faben ben Grund ibrer Moͤglichkeit in einem 
tritten C. Aus A, welches eine nothwendige Vorſtel⸗ 


lung 


(FAV i28 


lung ift, fan man, in fofern es eine notbwenoige 
yorfiellung iſt, nicht bie Moͤglichkeit eines nicht 
nothwendigen B, welches ín bem nachherigen Bewußt—⸗ 
ſeyn in A angetroffen wird, begreifen. Daher iſt 
bet Oberſatz in bem vorliegenden Schluſſe offenbar ur 
zulaͤſſig; mithin fáfft auch bie darauf beruhende Fol⸗ 
gerung weg: daß der Raum, der eine nothwendige 
Vorſtellung ift, die Bedingung ber Moͤglichkeit bet 
Grídeinungen, tie darin angetroffen rocréen, nicht 
nothwendig ſind, und alſo keine von ihnen abhangende 
Beſtimmung ſey. 


Inzwiſchen, wenn man den Satz auch zugeben 
wollte, daß die nothwendige Vorſtellung des Raumes 
die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſcheinungen ſey; 
fo ſolgt bed) daraus ned lange nicht, daß der Raum 
als cine, von ben Erſcheinungen unabbángige , notf: 
wendige Vorſtellung a priori, daſeyn müff. Gt 
fann aud) dann cin empiriſcher Begriff ſeyn. Denn 


I. menn A (ber Raum) bie Bedingung, ober bet 
Grund eer Moͤglichkeit von B (eem Erſchei⸗ 
nungen) iſt; fe folgt: daß A geſetzt fep, fo» 
bald B geſetzt wird. Nun fann A entweder 
voranfachen, oder zugleich mit B gegeben, unb 
nadie bavon abgeſondert unb befonberó wot; 

geſtellt 


FT I29 *"—* 


geſtellt werden Cf. I.); alfo A fann ein empiris 
ſcher Begriff feyn. 


. Wollte man aber einwenden, ein empiriſcher Be⸗ 
griff koͤnne nicht nothwendig ſeyn: ſo iſt einmal 
davon hier gar die Rede nicht, und der obige 
Schluß wuͤrde alſo dadurch, wenn es auch wahr 
waͤre, nicht richtig werden; und ſodann liegt 
bie Nothwendigkeit ber Vorſtellung des Raumes, 
wenn er auch ein empiriſcher Begriff iſt, vor 
Augen. So bald mir ben Raum als nicht ba: 
ſeyend vorſtellen, oder ihm das Praͤdicat der 
Exiſtenz abſprechen wollen, beziehen wir eben 
dadurch unſre Gedanken auf etwas außer uns, 
und ſtellen uns alſo eben dadurch den Raum als 
daſeyend vot; unb weil ric" feinen Widerſpruch 
benfen fónnen, fo vermóaen mir nicht, ihm qu: 
gleich bas 'Drabirat bed Daſeyns abzuſprechen. 


Der dritte Kantiſche Lehrſatz vom Raume 


lautet: 


III. „Auf dieſe (Nr. I1. gedachte) Nothwen—⸗ 


digkeit a priori gruͤndet fid) bie apodictiſche Gewißheit 
aller geometriſchen Grundſatze, und die Moͤglichkeit 
ihter Conftructienen a. priori, Waͤre naͤmlich dieſe 
Vorſtellung des Raums ein a pofteriori erworbner 


Be⸗ 


WT Iq130 ^vi 


Begriff, bet aus bet. allgemeinen. aͤußern Erfahrung 
geſchoͤpft mare, fo wuͤrden Bie erſten Grundſaͤtze bet 
mathematiſchen Beſtimmung nichts als Wahrnehmun—⸗ 
gen ſeyn. Sie haͤtten alſo alle Zufalligkeit ber Wahr—⸗ 
nehmungen; unb es waͤre eben nicht nothwendig, daß 
zwiſchen zween Puncten nur cine grade Linie fen, fon: 
dern die Erſahrung wuͤrde es ſo jederzeit lehren. Was 
von der Erfahrung entleint iſt, hat aud) nur compar 
rative Aligemeinheit, nàauid durch Induction. Man 
wuͤrde alſo nuz ſagen koͤnnen, fo viel sur. Zeit nod) be; 
merkt roorben , ijt kein Raum gefunben worden, ber 
mehr al$ drey Abineſſungen fatte *).,, — 2illein 


1. kann auf der Nothwendigkeit der Vorſtel—⸗ 
lung des Raums a priori die apodictiſche Coe; 
wißheit bet geometriſchen Grundſaͤtze nicht beru—⸗ 
Den; denn a) bie Geometrie ſtuͤtzt keinen einzi⸗ 
gen ihrer Grundſaͤtze auf die Vorſtellung des 
Ranmes, inſofern fie nothwendig ift, b. f. 
infefetn voit ins. oen Raum nicht wegge⸗ 
denken koͤnnen; es gilt ihr vóllia gleich, ob 
der Raum exiſtirt oder nicht. Sie nimmt den 

Raum, 


) Dieſer Lehrſatz wird zwar in Der zweyten Ausgabe het 
Grit. b. e V. S 40. etwas anders vorgetragen; al⸗ 
fen. im Weſentlichen iſt feine Veraͤnderung vorge⸗ 
nommen worden, wie Kant ſelbſt behauptet. (Vorr. 
qur aten Ausg. €. 37. 42. 


FAT 131r "vr 


Raum, infofern ec vorgeftelIt wirb, und fest ſeine 
Beſtimmung ſeſt. Koͤnnten wir uns aad) ber 
Raum wegdenken, fo wuͤrden mir zwar zugleich 
mit ifm bie Moͤglichkeit des Satzes, daß mir 
ſchen zween Puncten uur Cine grade Linie ſtatt— 
finde, uͤberhaupt aufheben, (weil alsdann gar 
kein Außereinanderſeyn, keine Entſernung gedacht 
wuͤrde,) aber dadurch nicht dieſen Satz moͤglich 
machen koͤnnen: daß cé zwiſchen zween Puncten 
mehr als Eine grade Linie gebe. b) Wenn ich mir 
Etwas (A) uͤberhaupt nicht weggedenken kann, 
ſo iſt es deswegen nicht nothwendig, daß ich 
dem A die Beſtimmungen b. c. d. beylegen muß; 
oder wenn A eine nothwendige Vorſtellung iſt, 
fo haben deswegen ſeine Beſtimmungen b. c. d. 
noch keine apodictiſche Gewißheit; denn ſonſt 
muͤßte die Vorſtellung der Beſtimmungen b. c. d. 
mit der Vorſtellung von A, bloß ſoſern es da 
iſt, oder mit der bloßen Vorſtellung der Exiſtenz 
des A nothwendig verbunden ſeyn. Dies iſt 
aber unmoͤglich; denn die bloße Vorſtellung von 
Exiſtenz iſt durchaus tunbeſtimmt. (ſ. Cr. 
S. 599.) 


Geſetzt aber, die apodictiſche Gewißheit der 
geometriſchen Grundſaͤtze finge von ber Noth— 
wendigkeit der Vorſtellung des Raums ab, ſo 

felat 


132 5 


folgt weiter nichts, als daß die gedachte Noth⸗ 
wendigkeit gegeben ſeyn muͤſſe; ihr Grund aber, 
ob fie a priori oder a pofteriori muͤſſe entſtan⸗ 
ben ſeyn, ift gang unbeſtimmt. Wenn 


3. behauptet wird: ber 9taum ſey feina pofteriori 
ervoróner Begriff, meil fonjt bie erſten Grund⸗ 
ſatze bet matbematijden Beſtimmung blofe Wahr⸗ 
nebmuraen, unb mitbin gufallig ſeyn wuͤrden, fo 
ſcheint mir dabey zweierley zu bebenfen ju ſeyn: 
a) Wenn ein Begriff a pofteriori erworben iſt, fo 
folgt nit, daß alle &ate, bie einen Bezug bat: 
auf Üaben, Wahrnehmungen ſeyn; aud) bet 
Verſtand kann fid) batauf begiebenbe Urtheile zu 
Stande bringen, die dann weder Wahrnehmun⸗ 
gen, noch zufaͤllig ſind; welches Stant ſelbſt zu⸗ 
giebt. (Crit. S. 158 u. f.) b) Es ift ein ur; 
erwieſener, ja unerweislicher Satz, ber aus eir 
ner unvollſtaͤndigen Induction hergenommen iſt, 
daß es ſchlechterdings keine Wahrnehmung gebe, 
wodurch bie bem Cubject A zukommende Be⸗ 
ſtimmung g apodictiſch gewiß wuͤrde, daß eine 
Wahrnehmung nie etwas enthalten koͤnne, deſ⸗ 
ſen Aufhebung uns auf Widerſpruͤche fuͤhrte; 
oder, das wir von der Wahrnehmung getrennt 
zu denken nicht im Stande waͤren. Wer mit 
mir an ber Richtigkeit ber. Beweiſe Nr. I. II. 

zwei⸗ 


Ni133 


zweifelte, unb babeo bie erſten mathematiſchen 
Grundſaͤtze fuͤr Wahrnehmungen hielte, der 
wuͤrde das vorliegende Argument fuͤr einen bitt⸗ 
weiſe angenommenen Satz anſehen, und behaup⸗ 

ten: bie mathematiſchen Grundſaͤtze ſeyen ein 
Beweis, daß man auch aus der Wahrnehmung 
etwas apodictiſch gewiſſes ſchoͤpfen koͤnne. 


Nach dieſen Betrachtungen ift alſo, moie mlt 
deucht, nicht ju leugnen, daß bie apodictiſche Gewiß⸗ 
heit der geometriſchen Grundſaͤtze nicht auf der Noth⸗ 
wendigkeit der Vorſtellung des Raumes a priori, 
ober auf bet Unmoͤglichkeit fid) den Raum wegzudenken 
beruhe; daß dieſelbe beſtehen koͤnne, wenn auch der 
Raum ein a pofteriori erworbener Begriff iſt. Was 
aber bie Allgemeinheit ber gedachten Grunbfáge betrift, 
ſo iſt dieſelbe zugleich mit der apodictiſchen Gewißheit 
gegeben; eins ſolgt aus dem andern. 


Ich gehe 


IV. Zu dem vierten Lehrſatze, den Kant von 
dem Raume aufſtellt. Er lautet: Der Raum iſt kein 
discurſiver, oder, wie man ſagt, allgemeiner Begriff 
von Verhaͤltniſſen der Dinge uͤberhaupt, ſondern eine 
reine Anſchauung. Denn erſtlich kann man. fid) nue 
einen einzigen Raum vorſtellen, und wenn man von 

Philoſ. Mag. a. Gt. K vie⸗ 


— 134 ^"^ 


elelen Stáumen rebet, fo verſteht man darunter nut 
G cile eines unb beffelben aflcínigen Staumeé, Dieſe 
Theile tónnen aud) nidjt vot bem einigen allbefaſſenden 
Naume, gleichſam als deſſen Beſtandtheile, (daraus 
feine Zuſammenſetzung moͤglich ſey) vorhergehn, fon: 
dern nur in ihm gedacht werden. Er iſt weſentlich 
einzig, das Mannigfaltige in ihm, mithin auch der 
allgemeine Begriff von Raͤumen  überbaupt. beruht 
bloß auf Einſchraͤnkungen. Hieraus folgt, daß in 
Anſehung ſeiner eine Anſchauung a piãori (bie nicht 
empiriſch iſt) allen Begriffen von denſelben zum Grunde 
liege. So werden auch alle geometriſche Grundſaͤtze, 
z. B. daß in einem Triangel zwey Seiten groͤßer ſeyn, 
als die dritte, niemals aus allgemeinen Begriffen 
von Linie und Triangel, ſondern aus der Anſchauung, 
und zwar a priori mit apodictiſcher Gewißheit abge⸗ 
leitet., Hiebey fann id) 


x,bie Bemerkung nicht vorbeylaſſen, daß eine 
Anſchauung a priori, bie Diet angenommen 
toitb, nad) Santé cígenen Crflárungen nicht denk⸗ 
Bat ſey. Eine Anſchauung iſt eine Vorſtellung. 
(Cr. b. r. V. x. Aufl. S. 19.) Sollte fie 
a priori ſeyn, ſo muͤßte ſie ſchlechterdings nicht 
vom Objecte hergenommen werden (S. 128.) 
und eine Anſchauung iſt doch nur moͤglich, ſofern 
uns ber Gegenſtand gegeben wird, dieſes aber 
iſt 


** 135 ^39 


£ft wiederum nur dadurch moͤglich, baf et ba$ 
Gemuͤth auf gewiſſe Weiſe afficire. (S. 19.) 
Eine Anſchauung a priori iſt demnach unmoͤg⸗ 
lich, und kann mithin auch in Anſehung des 
Raumes nicht zum Grunde liegen. Hieraus ift, 
wie e$ mic ſcheint, ſchon hinlaͤnglich klar, bag 
der vorliegende Beweis nicht brauchbar ſeyn 
koͤnne. 


2. Wenn ein discurſwer oder allgemeiner Begriff 
derjenige iſt, der mehrern Dingen als Praͤdicat 
zugeſchrieben wird, ober ber unter mehrern in; 
bivibucllen Beſtimmungen vorfómmt, fo iſt bet 
Raum eín folder; er wird foroof bem Quadrate, 
als bem Triangel al$ Praͤdicat beygelegt. 


9. Was ben Beweisgrund anbetrifft, woraus erhel⸗ 
len ſoll, daß der Raum eine reine Anſchauung 
ſey, ſo iſt der erſte Schluß vollſtaͤndig dieſer: 
Dasjenige, was nur ale cín einziges vorgeſtellt 
werden kaun, iſt kein diſcurſiver Begriff ꝛc. 
Der Raum kann nur als ein einziger vorgeſtellt 
werden; alfo iſt er fein diſcurſiver Begriff ꝛc. 
Hiebey iſt a) im Oberfa&e angenommen, daß im 
Subjecte deſſelben eine hinreichende Bedingung 
bec Wahrbheit tec Urtheils ꝛc liege, ober daß es 
in der Natur desjenigen, was nur als ein einzi⸗ 

K2 ges 


KMSTA 136 / mac 


ges vorgeſtellt werden kann, gegrünbet ſey, 
daß daſſelbe kein discurſiver Begriff ſeyn koͤnne; 
welches aber eines Beweiſes ſehr noͤthig bebuvft 
haͤtte. b) Da ber Raum nad) ben vorigen Lehr⸗ 
fá&en eine Vorſtellung ijt, fo fann ber Unterſatz 
aud, fo ausgebrüdit werben: Man fann fid) nut 
eine eingige Vorſtellung madjen, bie das au£brüdtt, 
was roit ben 9taum nennen. Nun müfte Det 
Schluß fo lauten: Gine Vorſtellung A , bíe fo 
beſchaffen ift, bag man fid) nur dieſe eingige Vor⸗ 
ſtellung machen fann, bie ba$ ausbrüdt, was 
man A nennt, í(t, fein discurſiver Begriff 1c. 
Der 3iaum iſt eine Vorſtellung A , ꝛc. Alſo ift 
bet Raum kein discurſiver Begriff ꝛc. Ser 
Oberſatz, als allgemein verneinend, kann ſchlecht⸗ 
Din umgekehrt werden; unb muͤßte bann fo (au: 
ten: Sein biscurflver Begriff ift eine 9Borftellung 
A, bié fo 2c. Wenn biefer Satz feine Richtig⸗ 
feit haben folíte, fo müfte fid) au£ ber Natur 
eines affgemeinen Begriffs einſehen faffen, warum 
et nicht eine ſolche 3Bor(tellung (A) ſeyn fónnte. 
Nun ift abet eine Vorſtellung A , tie fo beſchaf⸗ 
fen ift 2c. eine ſolche Vorſtellung, von bet. man 
fein Merkmal roegbenfen, unb ju welcher man 
fein. Merkmal hinzuſetzen fann, menn fie bie 
naͤmliche Vorſtellung bleiben foll. 


Von 


FAM 137 «wi 


Von einem allgemeinen. SSegriffe abet. fan 
tian weder ein Merkmal wegnehmen, nod) zu im 
fingufe&en, wenn et bie námtíd)e Vorſtellung bfeibett 
foll (benn ber Inbegriff der Merkmale macht die $Bot; 
ſtellung aus.) Ein discurſiver Begriff iſt daher eine 
Vorſtellung A, die ſo beſchaffen iſt, daß man ſich nur 
dieſe einzige Vorſtellung machen kann, die das ausdruͤckt, 
was man A nennt. (Man kann ſich z. B. nur eine 
einzige Gerechtigkeit, nicht mehrere Gerechtigkeiten 
vorſtellen.) Wenn alfo aud) bet Raum eine ſolche 
Vorſtellung À :c. ift, fo folgt daraus nicht, daß et 
fein biécurfiver Begriff ſey. 


Wenn fetnet als eín zweyter Beweisgrund (bie 
ſcheint wenigſtens aus dem Vorhergehenden erſtlich 
zu erhellen) fuͤr die Behauptung, daß ber Raum fein 
discurſiver Begriff, ſondern eine reine Auſchauung 
ſey, hinzugeſetzt wird: daß die Theile des Raums nicht 
vor dem einzigen allbefaſſenden Raume, gleichſam als 
deſſen Beſtandtheile (daraus ſeine Zuſammenſetzung 
moͤglich ſey) vorhergehen, ſondern nur in ihm gedacht 
werden koͤnnen, ſo heißt das: Wir koͤnnen uns jetzt, 
nach unſerm jetzigen Bewußtſeyn, bie Theile des Rau⸗ 
mes nicht iſolitt gedenken, unb daraus die Vorſtel⸗ 
lung des Ganzen zuſammenſetzen. Hieraus folgt aber 
nicht, daß dies in den erſten Augenblicken, wo wir 
nn$ ber Vorſtellung des Raumes bewußt wurden, auch 

K3 ſo 


A138 ux 


fo war; unb bafi roit aud) 9a nicht au& ber Vorſtel⸗ 
lung der Theile die des Ganzen zuſammenſetzten; viel⸗ 
mebr muß bey bet Vorſtellung einer extenſiven Girófe, 
ſofern wir uns derſelben bewußt werden, die 
Vorſtellung der Theile nothwendig voraufgehen, wie 
Kant ſelbſt behauptet. (S. 162) Eine leere Form 
aber, die ohne unſer Bewußtſeyn a priori im e; 
muͤthe (áge, unb bie Vorſtellung ber Theile des Rau⸗ 
mes erſt moͤglich machte, kann unter dem einzigen, all⸗ 
befaſſenden Raume nicht gemeint ſeyn; denn es ſoll ja 
aus dem vorliegenden Satze erſt bewieſen werden, daß 
eine ſolche vorhanden ſey; alſo muß man darunter den 
Raum, inſofern wir uns deſſen bewußt ſind, verſtehen. 
Da ſich nun von dieſem nicht beweiſen laͤßt, daß die 
Vorſtellung der Theile ſchlechterdings nicht vor der 
Vorſtellung des Ganzen voraufgehen koͤnnen, ſo laͤßt 
ſich auch aus ſeiner ſogenannten weſentlichen Einzigkeit 
nicht folgern, daß in Anſehung feiner eine Anſchauung 
2 priori allen Begriffen von demſelben aum Grunde 
liegen muͤſſe. 


Der letzte Lehrſatz lautet: 


V. Der Raum wird als eine unendliche, gegebne 
Groͤße vorgeſtellt. Nun muß man zwar einen jeden 
Beqriff als eine Vorſtellung denken, bie ín einer um: 
enbliden Menge von. verfdyiebenen moͤglichen Vorſtel⸗ 

lun⸗ 


fM T1390 — Nu 


lungen (als ihr gemeinſchaftliches Merkmaſ) enthal⸗ 
ten iſt, mithin dieſe unter fid) enthaͤlt; aper. fein 95er 
griff, als cin ſolcher, fann fo gedacht werden, als 05 
et eine unendliche Menge von 3Borftellungen ín fid) ent; 
hielte. Gleichwol wird ber Staum fo getad)t (bent 
alle Theile des Naumes ins Unendliche fino zugleich.) 
Alſo ift bie urſpruͤngliche Vorſtellung vom Raume An⸗ 
ſchauung a priori, unb nicht Begriff. 


Hiebey ſind mir ſolgende Schwierigteiten auf 
gefallen: 


Y. Der Cof enthaͤlt einen Schluß von den meiſten 
Begriffen auf alle, und beruht auf einem bitt⸗ 
weiſe angenommenen Urtheile. Denn bevor 
nicht aus dem Weſen eines Begriffes gezeigt 
worden iſt, (unb dies iſt unmoͤglich,) bag et 
nicht eine unendliche Menge von Vorſtellungen 
in ſich enthalten koͤnne, darf man auch nicht 
ſchließen, daß der Raum, bey dem dies der Fall 
iſt, kein Begriff, ſondern eine Anſchauung 
a priori ſey. 


2. Der Raum wird als eine Groͤße vorgeſtellt, und 
daher koͤmmt es, daß die unendliche Menge von 
Vorſtellungen nicht als unter ihm, ſondern als 
in ihm enthalten gedacht wird. Der Grund 

$4 bit: 


FT" y410. ^us 


hievon (iegt alío gar nicht barin, daß et eine An⸗ 
fdjauuny a priori ift. 


5. Cine Anſchauung a priori iſt unmóglid), (f. vom 
9taume IV, x.) 


Von bet Seit. 


Die SSemerfungen, bie id) bey ben £efrfágen vom 
Staume gemacht babe, gelten aud) alle, mit bec. gebóris 
$en Anwendung, vou bett SDebauptungen, bie Sant in 
Ruͤckſicht ber Zeit aufftellt, veil bie Dice gebrauchten Be⸗ 
weisgruͤnde ben obigen vóllig áfnfid) (inb. Nur nod) 
zwey Anmerkungen mug id) bier hinzuſetzen. Die 
erſte betrifft den erſten Lehrſatz, in welchem behauptet 
wird, daß bie Zeit a priori im Gemuͤthe gum Grunde 
liegen muͤſſe, weil ſonſt bae Zugleichſeyn, unb Auſein⸗ 
anderfolgen gar. nicht in die Wahrnehmung fommen 
wuͤrde. Es iſt freylich wahr, wir koͤnnen uns kein 
Zugleichſeyn, oder Aufeinanderfolgen gedenken, ohne 
die Vorſtellung der Zeit; aber es iſt auch umgekehrt 
eben ſo wahr, daß wir uns keine Zeit vorſtellen koͤn⸗ 
nen, ohne uns ein Zugleichſeyn oder Aufeinanderfol⸗ 
gen zu denken. Man koͤnnte alſo mit eben dem Rechte 
ſchließen, daß dieſe Vorſtellungen a priori zum Grunde 
liegen muͤßten, weil ſonſt die Zeit gar nicht in die 
Wahrnehmung kommen wuͤrde. (f, Abels Verſ. über 

die 


fAAVER I4r X33 


bíe Statut ber ſpecul. Vern S. 185. 1c.) obgleich weder 
dieſer, nod) bet. Kantiſche Schluß gültig ift. (j. vom 
9taume I.) 


Meine zweyte Anmerkung aebt auf ben Giebanfen 
überfaupt, bay die 3eit bie Form unſres innern & ins 
nes ſeyn fof, So viel íd) einſehe, fann bie Zei nicht 
die Form des innern Sinnes in dem Verſtande genannt 
werden, ín welchem vom Raume geſagt iſt, daß er 
bie Form des aͤußern Sinnes ſey. Denn daß (it 
nicht daſſelbe Verhaͤltniß gegen unſre Sinnlichkeit Das 
ben koͤnne, als der Raum, erhellt 1) ſchon daraus, 
was Kant ſelbſt behauptet, daß ſie auch eine Bedin— 
gung für bie aͤußerliche Wahrnehmung ift; denn Diet: 
au$ iſt £lar, bag ihre Anwendbarkeit nicht von bem 
abhange, was wahrgenommen wird; welded aber 
bey dem Raume der Fall iſt. Denn, wenn das nicht 
waͤre, ſo muͤßte dieſer auch eine Bedingung fuͤr die 
Wahrnehmung durch den innern Sinn ſeyn koͤnnen, 
welches aber widerſprechend ift. Die Seit nun vot; 
zugsweiſe bie orm des innern Sinnes gu nennen, 
baju í(t gat. kein Grund vorhanden. 2) Der Raum 
wird als enthalten in. ben Gegenſtaͤnden des aͤußern 
Sinnes vorgeſtellt; die Zeit aber nicht al enthalten 
ín ben Gegenſtaͤnden des innern Cinued, — Wenn alſo 
ber Raum bie Form des aͤußern Sinnes genannt 
werben kann, weil er ben Gegenſtaͤnden deſſil⸗ 

K5 hen 


fX 142. "ww 


Ben nothwendig zum Gieunbe liegt, ober in denſelben 
enthalten iſt; ſo kann dieſes nicht auch auf die Zeit 
angewandt werden, in Beziehung auf den innern 
Sinn. Sie liegt nicht den Gegenſtaͤnden deſſelben 
zum Grunde, iſt nicht in denſelben enthalten; ſondern 
begleitet nur bie Reihe unſrer 93ovftellungen, oder 
ber Thatigkeiten unſres Vorſtellungsvermoͤgens. Da⸗ 
Der iio die Vorſtellungen des innern Sinnes (ſo wie 
alle) in bet Seit, aber nicht bie bed außern im Stau: 
mc; man kann bemnad) bie Seit nid)t für oic. Form 
des innern Sinnes Daten, ín ber SSebeutung, worin 
ber 9taum bie Sorm des áufern iſt; fonbern vielmehr 
baé, was allen Gegenftánben des innern Sinnes gum 
Girunbe lieat, was darin nothwendig entfjalten ift, üt 
Vorſtellung; biefe müfite man alfo bie Form des ín 
nern Sinnes nennen; unb es fann ber daraus ent: 
fpringenbe Unterſchied nidjt ofne wichtige Folgen 


ſe yn. 


Wenn bie von mir gemadjten Bemerkungen ihre 
Nichtigkeit haben, fo folgt daraus, daß man aud) bert 
Schluͤſſen, welche Sant aud ben vorgetragenen 35e: 
Dauptungen bereitet, nicht beyſtimmen fónne. Es 
iſt alſo nicht bewieſen: 1) daß Raum und Zeit ſchlech⸗ 
terdings keined objective Beſtimmungen ber. Dinge 
ſeyn, die uͤbrig blieben, wenn man von allen ſub⸗ 
jectiven Bedingungen bec. Sinnlichkeit ab(tvabirte; 

2) 


FT 43. x. 


2) baf (ie bloß fubjective Bedingungen, Formen ber 
Sinnlichkeit ſeyn, der Raum fuͤr den aͤußern und die 
Zeit fuͤr den imnnern Sinn. Der Raum ift allerdings 
das Einfachſte in den Gegenſtaͤnden des aͤußern € in; 
ne$, unb für bie ſinnliche Erkenntniß unauftóstidy ; 
aber deswegen nicht für ben Verſtand. 3) Daß fii) 
mur bie empiriſche Realitaͤt derſelben behaupten laſſe, 
b. h. ihre Guͤltigkeit ín Anſehung aller Gegenſtaͤnde, 
inſofern dieſe als Erſcheinungen genommen werden; 
daß man aber auch zugleich ihre transſcendentale Idea⸗ 
litát annehmen muͤſſe, b. fj. taf fie Nichts ſeyn, [or 
bald man vor ben ſinnlichen Bebingungen abſtrahirt, 
oder unjre Art unb Weiſe, Gegenſtande anzuſchauen, 
weglaͤßt. (Kant ſagt (ier vom Raume, daß er nichts 
ſey, wenn man ihn, als etwas, das den Dingen an 
ſich ſelbſt zum Grunde liege, annehmen wollte. Dle—⸗ 
ſes iſt voͤllig richtig, und auch nach dem Leihnitziſchen 
Syſteme wahr. Wenn man den Raum nicht fuͤr 
eine bloß ſubjective Form oder Einrichtung unſrer 
Sinnlichkeit gelten laͤßt, fo haͤlt man ihn deswegen 
noch nicht fuͤr etwas, das den Dingen an ſich ſelbſt 
zum Grunde liegt; ſondern man kann auch annehmen, 
daß er eine von den Dingen an ſich allererſt abhaͤngige 
Beſtimmung ſey.) 


Zuletzt werden noch einige allgemeine Anmerkun⸗ 
gen hinzugefuͤgt. Die erſte, die ich hier nur beruͤhre, 
ent⸗ 


fMXOTR py44. "m4 


enthaͤlt eine wiederholte Erklaͤrung des eigentlichen 
Sinnes ber transſcendentalen Aeſthetik; unb laͤuft alſo 
darauf hinaus: Alle unſre Anſchauung iſt nichts, als 
die Vorſtellung von Erſcheinung; die Dinge, die wir 
anſchauen, ſind nicht das an fid) ſelbſt, wofuͤr mir fie 
anſchauen, auch ſind ihre Verhaͤltniſſe nicht ſo beſchaf⸗ 
fen, wie ſie uns erſcheinen; und wenn wir daher die 
ſubjective Beſchaffenheit unſter Sinne aufheben, fo 
muͤſſen alle die Beſchaffenheiten und Verhaͤltniſſe der 
Objecte im 9taum unb ín ber Zeit, alfo bie ganze Sin⸗ 
nenrocít, ja felb(t 9taum.unb Zeit verfdyroinben. Von 
ben Dingen on fif, wie fie abgefonbett von allet 
Receptivitaͤt unſrer Sinnlichkeit beſchaffen ſeyn moͤgen, 
wiſſen wir gar nichts. 


Dieſe ganze Behauptung ſtuͤtzt ſich auf die Lehre, 
daß Raum unb Zeit bloß ſubjective Formen unfteé 
aͤußern unb innern Sinnes ſeyn, unb wird daher ju 
gleich mit jener zweifelhaft; (ob fie gleich groͤßtentheils, 
nur in einer etwas andern Bedeutung und aus andern 
Gruͤnden, wahr iſt; wie ich gleich bemerken werde.) 
Daher laͤßt fid) nun aud) nicht mit einem entſcheiden⸗ 
ben Tone jagen: 1) die Meinung, daß unfte Sinn⸗ 
lichkeit nichts als die verworrene Vorſtellung der Din⸗ 
ge ſey, und lediglich das enthalte, was den Dingen 
en fid) ſelbſt zukoͤmmt, aber nur unter einer Zuſam⸗ 
menbáufung von Merkmalen und Theilvorſtellungen, 

die 


fT p)5 5 


bie rir nicht mit Bewußtſeyn auseinander ſetzen, ſey 
eine Verſaͤlſchung des Begriffs von Sinnlichkeit, wel 
che die ganze Lehre derſelben unnuͤtz und leer mache. 
2) Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie habe allen 
Unterſuchungen uͤber die Natur und den Urſprung unſrer 
Erkenntniſſe einen ganz unrechten Geſichtspunct ange⸗ 
wieſen; indem ſie den Unterſchied der Sinnlichkeit vom 
Intellectuellen bloß als logiſch betrachte, ba er offen⸗ 
bar transſcendental ſey, und nicht bloß die Form der 
Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, ſondern den Urſprung 
und Inhalt derſelben betreffe, ſo daß wir durch die 
erſtere die Beſchaffenheit der Dinge an ſich ſelbſt nicht 
bloß undeutlich, ſondern ganz und gar nicht erkennen. 


Was ben erſten €t anbetrifft, fo fet er 1) bie 
unerwieſene Behauptung voraus, bai Raum unb Zeit 
bloß ſubjective Einrichtungen unſrer Sinnlichkeit ſeyn; 
2) iſt von Leibnitzen niemals behauptet worden, daß 
unſere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene 
Vorſtellung der Dinge an ſich ſelbſt ſey, welche ledig⸗ 
lid» das enthalte, was ben Dingen an ſich ſelbſt zu⸗ 
koͤmmt. Eine Erſcheinung, nach Leibnitz nus Sinne, 
iſt nicht ein Dina an fid) ſelbſt, unb bic Theile ber; 
ſelben ſind nicht Beſtimmungen eines Dinges an fid) 
ſelbſt, ſondern eine Erſcheinung iſt eine Art und Weiſe, 
wie ein Ding auf unſre Sinnlichkeit wirkt. Nun 
liegt alſo einer Erſcheinung freylich immer ein Ding an 


ſich 


MavrA T46 wA 


fid) yum Grunte; aber dies macht bie Erſcheinung nod) 
nidt aue, fonbern e$ wird dazu nod) bie2(rt unb Weiſe, 
wie unfre Sinnlichkeit afficit mírb, erforbert, Es 
gehoͤrt alfo gu einer Erſcheinung etwas Objectives (bet 
Gegenſtand aufer un$, ber bem (run? bavon übets 
faupt, unb von ber inbívibuelleg. Beſtimmung beriels 
ben entbá(t), unb fobann etas Subjectives, das 
unfre Sinnlichkeit hinzufuͤgt. Hebt man alfo unfte 
Sinnlichkeit auf, fo verſchwinden alle Erſcheinungen, 
bie ganze Sinnenwelt, als fotd)e, unb weil Raum 
und Zeit davon abhangen, auch dieſe (naͤmlich als 
ſolche, inſofern fie eine ſinnliche Vorſtellung ſind.) 
Was den zweyten Satz anbelangt, ſo trifft der darin 
enthaltene Vorwurf die Leibnitziſche Philoſophie nicht. 
Leibnitz wußte ſehr gut, daß der Unterſchied des Intel⸗ 
lectuellen von bec Sinnlichkeit nicht bloß loqiſch, ſon⸗ 
bern transſcendental ſey. Denn 1; wies er bem Ver⸗ 
flanbe Gegenſtaͤnde an, bíe burd) bie Sinnlichkeit gat 
nid)t vorgeſtellt werden fónnen. — 2) 95ilbete er fid) 
aud) nidjt ein, bag man durch eine bloße Aufloͤſung 
bec Theile ober Merkmale einer. Erſcheinung, als fof, 
diet, (moburd) logiſche Deutlichkeit ent(tebt,) auf ba$ 
Syntellectuelle fomme; ba man fid) den intelligibeln 
Gegenſtand eines Koͤrpers denke, wenn man ſich alle 
darin enthaltene Theile und ihre Zuſammenſetzung 
mit voͤlligem Bewußtſeyn vorſtellt; aud) bet fo analy, 
ſirte Koͤrper bleibt nach ſeinem Syſteme noch immer 

Er⸗ 


fr lig7 ^0 


Erſcheinung. Wenn er alfo behauptet, baf durch Er— 
hebung ber vermorrenen ſinnlichen Vorſtellung sur deut⸗ 
lichen, Verſtandeserkenntniß entſtehe, (o behauptet er 
einmal damit nicht, bafi alle Verſtandeserkenntniß auf 
die Art entſpringe, und ſodann kann er unter Erhebung 
zur Deutlichkeit nicht blog tie Auseinanderſetzung der 

derkmale ber Erſcheinung, als ſolcher, verſtehen, fon: 
dern eine Abſonderung der Merkmale, bie durch unſre 
Sinnlichkeit hinzukommen, unb in ber Art unb Weiſe 
liegen, wie dieſe von dem Gegenſtande afficirt wird; 
wodurch bann eine Vorſtellung deſſen entſteht, ma. 
der Gegenſtand an ſich iſt, oder was ihm an ſich ſelbſt 
zukoͤmmt, alſo wahre Verſtandeserkenntniß, die aber bey 
uns nut abftract unb alfo ſymboliſch, nicht anſchaulich 
ſeyn kann. Wenn Leibnitz unter der Deutlichkeit 
ber. Verſtandeserkenntniß bloß eine logiſche Deutlich⸗ 
keit, und unter der Verworrenheit der ſinnlichen bloß 
ein Unbewußtſeyn der Merkmale verſtanden haͤtte, ſo 
ließe ſich auch gar nicht einſehen, wie er ſchlechthin alle 
ſinnliche Erkenntniß verworren haͤtte nennen. koͤnnen; 
denn er mußte doch wiſſen, daß ich, wenn ich mir ei— 
nen Baum vorſtelle, mir aud) bcc Zweige, Blaͤtter ꝛc. 
bewußt bin. 


Daß bey einer Unterſuchung uͤber die eigentliche 
Beſchaffenheit derjenigen Gegenſtaͤnde, die uns durch 
unſre Sinnlichkeit vorgeſtellt werden, ín Beziehung 

auf 


FAVERM 48. "many 


auf ben Unterſchied ber Crfenntnig be$ Verſtandes, bie 
fhebeutung einer Erſcheinung nicht in Anſchlag fomme, 
bie in ber Phyſik, in bfof empiriſcher Hinſicht guͤltig 
iſt, verſteht ſich von ſelbſt. In dieſer Bedeutung un⸗ 
terſcheidet man eine Erſcheinung von dem, was der 
Anſchauung des Gegenſtandes weſentlich anbángt, für 
jeden menſchlichen Sinn, unb ín ben meiſten Verhaͤlt⸗ 
niſſen deſſelben zum Gegenſtande, gilt, und was man 
ben Gegenſtand an fid) ſelbſt (in empiriſcher Bedeu⸗ 
tung) nennt; unb verſteht alfo darunter eine An⸗ 
fdauung, bie nur ín Beziehung auf ciue befonbere 
Stellung ober Organifation dieſes ober jene& Sinnes 
gülrig ift. So ift ber 9tegenbogen, ín dieſem Ver⸗ 
flanbe, eine bloße Crfdeinung, bie Stegentropfen abet 
fin^ bie Sachen an fid) ſelbſt. Es erbellet aber leicht, 
daß man ín ber. erſtern Hinſicht einen Schritt weiter 
gehn, und die Regentropfen, ſo wie alles, was durch 
bie Sinne vorgeſtellt wird, wenn es aud) ber An, 
ſchauung weſentlich anhaͤngt, und fuͤr jeden menſchli⸗ 
chen Sinn gilt, fuͤr bloße Erſcheinung halten d. i. zu⸗ 
geben muͤſſe, daß dies alles, als ſolches betrachtet, 
wegfalle, ſobald unfre Sinnlichkeit aufgehoben wird, 
(f. 05.) daß e$ folglich nit Dinge an ſich, in trant; 
fcenbentalec Bedeutung, , barftelle. 


Wenn id) ín meinen Betrachtungen ben Weg bet 
Wahrheit nicht gang verfeblt Babe, wenn id) nidt 
ganz 


ff I149 5 


ganz (rte gegangen bin, fo fann man wenigſtens nicht 
mit einſtimmen, roenn Kant von ſeiner tranéfcenbene 
talen Aeſthetik fagt, baf fie nicht bloß cine ſcheinbare 
Hypotheſe, fonbern fo geri. unb ungezweifelt fep, äls 
jemals von einer Theorie, bie gum Organon dienen 
foll, gefordert werden fónne; man muf vielmebr eins 
geſtehen, baf fid) gegruͤndete Zweifel dagegen vorbrin⸗ 
gen laſſen, die das Urtheil des Denkenden allerdings 
zuruͤckhalten duͤrften. Die Folgen, die ſich hieraus 
herleiten laſſen, koͤnnen nicht anbere, als febr wichtig 
ſeyn, ba (ie bie Beſtinmung ber. Grenzen, die man 
bem menſchlichen Verſtande zu ſetzen Dat, Getreffen. 
Hievon zu reden, behalt ich mir auf ein andermal vor. 


J. G. ££, Maaß. 


philoſ. Mag. a. St. e II. 


150 


——»»——————————————————— 


II. 
Heber bie logiſche Wahrheit 


obet 
bie transſcendentale Giüftigfeit ber 


menſchlichen Erkenntniß. 





—J ber. Vergleichung der Leibnitziſchen Vernunft⸗ 
kritik mit bet Kantiſchen *) fat ber Beweis von der 
tranéfcenbentalen Guͤltigkeit ber menſchlichen Grfennts 
ni nut angebeutet. merben fónnen, — Die neuern 
Schwierigkeiten gegen biefe Guͤltiglkeit machen indeß, 
nachdem fie einmal ba ſind, eine weitere Rechtferti— 
gung aller Schritte, welche die bisherige Metaphyſik 
dazu verſucht hat, nothwendig. Sie hatte die logi⸗ 
ſche Wahrheit ihrer Vernunfterkenntniß vorausſetzen 
zu koͤnnen geglaubt; und da dieſes Recht den bloßen 
geſunden Verſtand ſo allgemein auf ſeiner Seite hat: 
fo hielt Leibnitz jut Vervollkommnung ber Metaphy⸗ 
ſik nichts weiter. noͤthig, als an ber Beſeſtigung ber 
erſten Grundſaͤtze ber menſchlichen Erkenntniß zu arbei⸗ 


tear. 
*) €. 1r. €t. Nr. 1I, 


FMSTM ISI o ae 


ten, inbem er uͤber ire. transſcendentale Guͤltigkeit 
oder ihre logiſche Wahrheit vollkommen ruhig war. 
Er ſchloß fo: bie Grundſaͤtze des Widerſpruchs unb des 
zureichenden Grundes haben transſcendentale Guͤltig⸗ 
keit, folglich muͤſſen alle Wahrheiten, die darauf ge⸗ 
bauet ſind, ſie auch haben, es koͤmmt bloß darauf an, 
daß ſie unter einander und mit ihren erſten Gruͤnden 
nach den Regeln der Syllogiſtik verbunden ſind. Daß 
die geſunde Vernunft nothwendig ſo ſchließen muͤſſe, 
erkennt Hr. Kant ſelbſt; er haͤlt es aber fuͤr eine Illu⸗ 
fion. Er fagt: (S. 297. ber Gr. b. v. V. erſte 
Ausq.) „In unſerer Vernunft (fuljectio als ein menſch⸗ 
„liches Erkeuntnißvermoͤgen betrachtet, (iegen Grund⸗ 
„regeln unb Maximen ihres Gebrauchs, welche gaͤnz⸗ 
„lich das Anſehen objectiver Grundſatze haben, mo; 
„durch es geſchiehet, daß bie ſubjective Nothwendig⸗ 
„keit einer gewiſſen Verknuͤpfung unſerer Begriffe zu 
„Gunſten des Verſtandes, fuͤr eine objective Nothwen⸗ 
„digkeit, der Beſtimmung ber Dinge an fid) ſelbſt, ges 
„halten wird. Cine Illuſion, bie gar nicht gu ver: 
„meiden | üt. 


Der Satz des yureidjenben Grundes hat alſo, 
nach Hru. Kants eigenem Geſtaͤndniß, das hier ge⸗ 
wiß von großem Gewichte iſt, wenigſtens eine allge⸗ 
meine ſubjective Nothwendigkeit; wir fuͤhlen uns ſo 
gar gedrungen, dieſe Verknuͤpfung unſerer Begriffe 

$2 auf 


FMSTA I152 4" 


auf bie Gegenftánbe uͤberzutragen. Das iſt nun zwar, 
feiner Meynung nad), eine bloße Illuſion, gleichwol 
aber doch eine unvermeidliche. 


tan fat bie Illuſionen bisher nur in ber ſinuli⸗ 
den Erkenntniß zu fürd)ten gehabt, unb man fat fid) 
fiber bíe Furcht vor denſelben baburd) beruhigt, baf fie 
burd) bas Cid)t des Verſtandes unb ber ?Bernunft koͤn⸗ 
nen entbedt unb berichtigt werden. Die optiſchen 
Taͤuſchungen (inb zwar bem Urtheile be Geſichtes uns 
ausweichlich, es kann ſich von den Irrthuͤmern der 
Perſpective nicht losmachen; allein die Wiſſenſchaft 
weiß aus den Elementen, worin das irrige Urtheil 
gegruͤndet iſt, — aus ber Entfernung, bet Lage, bem 
Medium, — den wahren Ort, die wahre Groͤße, Be⸗ 
ſchaffenheit, Geſtalt und Farbe des Gegenſtandes zu 
entraͤthſeln. Der Sinnlichkeit koͤmmt alſo ein anderes 
Erkenntnißvermoͤgen zu Huͤlfe, um aus ihren Urthei⸗ 
len die Wahrheit herauszufinden. Welches Erkennt⸗ 
nißvermoͤgen bleibt aber nun uͤbrig, um den Zauber 
der Taͤuſchung zu loͤſen, der, gleich Salomonis Sie⸗ 
gel, die Kraͤfte des Verſtandes verſchließt? 


Die Taͤuſchungen der Sinnen entſpringen aus 
ihrem Unvermoͤgen und aus ihren Schranken. Ihr 
Wirkungsktreis iſt in aller Abſicht febr begraͤnzt. So 
vieles, das fid) ihrer Entdeckungskraft entzieht, giebt 

ihren 


153 5 


ihren Bildern in der Vorſtellungskraft eine Geſtalt, 
die nothwendig dem, was ſie ſind, unaͤhnlich ſeyn muß. 
Daher kann ein Sinn ſeine Urtheile berichtigen, wenn 
er die Gegenſtaͤnde ſeinem Empfindungskreiſe naͤher 
bringt, oder gar — wie das Geſicht die Empfindungen 
des Gefuͤhls, — einen andern Sinn zu Huͤlſe nimmt. 


Aus dieſen Bemerkungen hat man mit Recht ge⸗ 
ſchloſſen, daß aller Irrthum, — unb mithin alle Sáu: 
ſchung, ſeinen Grund in den Schranken, alle Wahrheit 
hingegen ihren Grund in der Kraft des denkenden We⸗ 
ſens habe; daß man ſich alſo nur verſichern duͤrfe, 
was in einer Vorſtellung oder in einem Urtheile aus 
den Schranken des Erkenntnißvermoͤgens, dem es zu⸗ 
gehoͤrt, entſtehe, um darin das Wahte vor dem Fal⸗ 
ſchen zu unterſcheiden. Bey den Urtheilen der Sinne 
hilft hier bisweilen der Verſtand, bisweilen hilft ſich 
der Sinn ſelbſt, bisweilen helfen ſich die Sinne ein⸗ 
ander. Alſo ein Erkenntnißvermoͤgen wird ín bec tnr 
terſuchung der Wahrheit bald durch ein anderes, bald 
durch ſich ſelbſt unterſtuͤtzt; das Gewehr, welches die 
Wunde geſchlagen, muß ſie ſelbſt wieder heilen. Wenn 
dieſes den Sinnen moͤglich iſt, warum ſollte es nicht 
aud) bem Verſtande moͤglich feyn ? Die Sinnen thun 
es, inbem fie ihre Svaft verſtaͤrken, fid) Deutlichkeit 
und Licht verſchaffen; der Verſtand muͤßte es thun, 
indem et ín der Zergliederung ſeiner Begriffe fortgebt, 

£3 feine 


Vu»*^ [Ty54j ^wux* 


feine etften Grunbíáge fefter macht, unb in biefen ife 
Band mít ben Gegenftánben gu bemerfen fudit. 


Sollte aber bie Uebertragung ber ceinen Vernunft⸗ 
erkenntniß auf Me Giegenftánbe, bie ifr entſprechen, 
durchgaͤngig eine bloße Illuſion feon, fo mürbe ba$ 
Uebel unheilbar feyn, unb, anftatt bie Sáufdjung aufus 
been, müfte ibre Unuͤberwindlichkeit immer einleuch—⸗ 
tender werden, je mebr ber 33er(tanb mit ber Zerglie— 
berung feiner Begriffe tiefer einbránge, unb bie Ver⸗ 
nunft zu ber Entdeckung ber Quellen bec Wiſſenſchaft 
fortruͤckte. Allein bann roürbe biefe llebertragung 
keine Sáufdjuug, fein Irrthum mebr ſeyn, e roürbe 
Wahrheit, bie unlaugbarjte Wahrheit ſeyn; benn was 
iſt Wahrheit, wenn es nicht die Uebereinſtimmung 
mit den nothwendigſten Geſetzen des Verſtandes und 
der Vernunft iſt? 


Das muͤſſen wir alſo verſuchen, und wenn auch 
unſer Verſuch nicht gelingt, wenn wir das Abenteuer 
nicht beſtehen, wenn ſich der Abgrund, der unſere 
Erkenntniß von ihren Gegenſtaͤnden ſcheidet, nicht 
ſchließen foll: fo wird vielleicht ein anderer gluͤckli⸗ 
cherer auf den Truͤmmern der Opfer, die ihn fuͤllen, 
bas entgegengeſetzte Ufer erreichen. Das Unterneh— 
men, die ſpeculative Vernunft mit bem geſunden 

Ver⸗ 


I55 5 


Verſtande in Harmonie gu bringen, wird wenigſtene 
nie den Tadel eines billigen Richters verdienen. 


Man hat immer unter der logiſchen Wahrheit 
ber Erkenntniß ihre Uebereinſtimmung mit ben Geaen: 
ſtaͤnden derſelben verſtanden. Dieſer Begriff ift ohne 
Zweifel zunaͤchſt von der Wahrheit ber Erfahrungser⸗ 
kenntniß abſtrahirt. Dieſe Erkenntniß berichtigen wir, 
indem wir das, was wir fuͤr ihre Gegenſtaͤnde halten, 
durch alle bie Mittel pruͤſen, bie voir in unſerer Ge: 
walt haben. Wir betrachten einen Gegenſtand, wenn 
wir zweiſelhaſt (inb, ob er eine Flaͤche, ober ein ot: 
per i(t, ín ber. Naͤhe; wir nemen das Geſuͤhl zu 
Huͤlfe, wenn un$ ba$ Geſicht im Zweiſel laͤßt. Wenn 
die Erkenntniß Vernunfterkenntniß iſt: ſo unterſuchen 
wir, ob ſle durch die Erfahrung beſtaͤtigt werde, und 
wenn roit das finden, fo urtheilen voir, daß fte logi; 
ſche Wahrheit habe. Allein dieſe Art der Pruͤfung 
laͤßt ſich nicht uͤberall anbringen. Wir koͤnnen nicht 
alle Gegenſtaͤnde in der Naͤhe, wir koͤnnen ſie nicht 
alle durch andere Sinnen pruͤfen. Die Vernunft hat 
zwar ausgemacht, bag ber Mond cine Kugel, unb 
keine bloße Scheibe ſey, weil er uns bey ſeinem Um— 
drehen beſtaͤndig unter der Geſtalt einer Scheibe et: 
ſcheint; allein wir koͤnnen uns von dieſer Wahrheit 
weder durch die Betrachtung deſſelben in der Naͤhe, 
nod) durch bie Betaſtung verſichern. Einige Vernunft⸗ 

? 4 wahr⸗ 


f^Y^ [r56 «wx» 


wahrheiten haben endlich Gegenftánbe, bie gaͤnzlich 
außer der Sphaͤre der Sinnenerkenntniß liegen, und 
dieſe koͤnnen von ber Erfahrung weder Beſtaͤtigung 
noch Widerlegung erwarten. 


Wie koͤnnen wir uns alſo von ihrer logiſchen 
Wahrheit verſichern, wenn dieſe logiſche Wahrheit in 
der Uebereinſtimmung unſerer Erkenntniß mit ihren 
Gegenſtaͤnden beſteht? 7L if dieſe 3cage bat man aeant; 
wortet: aus ihrer metaphyſiſchen Wahrheit folgt notfs 
wendig ihre logiſche, bie Cine iſt mit ber andern un: 
zertrennlich verbunden. Das heißt nichts anders, als: 
ſo bald die vorſtellende Kraft ſich nach ihren nothwen⸗ 
digen Geſetzen etwas als moͤglich oder außer ſich wirk⸗ 
lich denkt: ſo muß es moͤglich und außer ihr wirklich 
ſeyn; und es kann nicht anders moͤglich und wirklich 
ſeyn, als die vorſtellende Kraft durch eben dieſelben 
Geſetze genoͤthigt wird, es ſich zu denken. Wenn die 
Geometrie uͤberzeugend bewieſen, daß bie Scheibenge⸗ 
ſtalt die nothwendige Eigenſchaft einer Kugel iſt, von 
welcher Seite ſie betrachtet werden mag: ſo iſt ſie ruhig; 
ſie fuͤrchtet nicht, daß der Mond eine andere Koͤrper⸗ 
figur haben werde; ſie ſieht ihn von allen Seiten als 
eine Scheibe, ſie weiß daß dieſe Eigenſchaft in dem 
Weſen der Kugel nothwendig gegruͤndet ſey. Wie ſie 
das Eine durch das Andere in ihrer Erkenntniß nach 
dem Satze des zureichenden Grundes nothwendig be⸗ 

ſtimmt: 


FMvfe 157 4» 


ftímmt: fo ttágt fie kein Bedenken, dieſe Nothwen⸗ 
bigfeit aud) auf ben Gegen(taub derſelben uͤberzutragen. 


So (tanben die Sachen bisher in ber deutſchen 
Philoſophie; man hatte ſich berechtigt gehalten, in 
bem Beweiſe ber. metaphyſiſchen Wahrheit einer. Cr 
fenntni aud) ben Beweis ihrer logiſchen Wahrheit 
zu finden; und dieſes Recht war immer noch unange⸗ 
fochten geblieben. Allein iſt es wirklich ein unbeſtreit⸗ 
bares Recht? Das hat man nun angefangen in Zwei⸗ 
ſel zu ziehen. 


Ich, meines geringen Theils, bin von der 
Gruͤndlichkeit dieſes Rechts voͤllig uͤberzeugt; allein 
das thut nichts zur Sache; denn andere ſind es nicht. 
Sie greifen meine Beſugniß an, unb wenn id) fic vet; 
tíeibigen will, fo muf id) bie Grünbe anfüfren, 
matum id) mir dieſelbe zueigne. yd) bin mir bewußt, 
baf mid) dabey fein. Intereſſe ber Bequemlichkeit, ber 
Schule, be$ Syſtems unb ber Vorliebe beſticht, ja aud) 
nicht einmal bie Furcht, eine Wiſſenſchaft aufsugeben, ber 
id) einen grofen S beil meineé Lebens aufgeopfert fabe, 
Wenn aud) eim betraͤchtliches Stuͤck ihres Reiches 
muͤßte verlaſſen werden: ſo wuͤrde doch noch immer 
ein weit betraͤchtlicheres Land übrig blelben, auf wel⸗ 
chem der menſchliche Verſtand mannigfaltige Blumen 
und Fruͤchte des Geiſtes erzeugen, oder wenigſtens in 


25 der 


—i1538 


ber Anbauung deſſelben feine Kraͤfte uͤben koͤnnte. Sjn: 
nerhalb ber Graͤnzen dieſes Landes liegen die unbeſtrit— 
tenen fruchtbaren Selber ber Ontologie, ber Pſycho⸗ 
logie, ber Vernunftlehre, ber Aeſthetek uno bee Cit: 
tetlebre, bie nur die Joánbe geſchickter und unverbrof 
ſener Arbeiter ſodern, um für bie Nahrung und baé 
Vergnuͤgen des Geiſtes gleich ergiebig zu werden. 
Allein auch an der Bearbeitung der beſtrittenen Wiſſen⸗ 
ſchaften der Kosmologie und der Theologie brauchen 
wir die Haͤnde nicht ſinken zu laſſen; wir koͤnnen an 
ihrer Erweiterung immer ſortarbeiten, wir koͤnnen (ie 
immer mit neuen Wahrheiten zu bereichern ſuchen, 
ohne uns auf bie transſcendentale Guͤltigkeit dieſer Wahr⸗ 
heiten vor der Haud einzulaſſen. Auf dieſe Art haben 
ſelbſt die Mathematiker die Zeichnung ganzer Wiſſen⸗ 
ſchaften vollendet, ohne von der Realitaͤt des Gegen⸗ 
ſtandes derſelben mit einem Worte Erwaͤhnung zu thun. 
Das laͤßt fid) mit einem merkwuͤrdigen Beyſpiele betes 
gen, mit einem Beyſpiele, das zu treffend und zu 
lehrreich iſt, als daß ich es nicht ſollte hier anfuͤhren 
duͤrfen. Apollonius und ſeine Ausleger haben die 
ganze Theorie der Kegelſchnitte aufgebauet, ohne irgend⸗ 
wo die Art zu lehren, wie die Ordinaten auf den 
Durchmeſſern dieſer krummen Linien applicirt werden, 
und gleichwol ruhet darauf die Realitaͤt der ganzen 
Theorie. Waͤre dieſe Application nicht moͤglich: ſo 
waͤre aud) bie Conſtruction ber Kegelſchnitte nicht aué: 

zu⸗ 


—159 ^w" 


zufuͤhren; ed wuͤrde ungewiß feo, o5 e£ ein Cubject 
gebe, bem bie Eigenſchaſten gufommen, welche üt 
allen ben ſchoͤnen Problemen ber Theorie von ilm 6e 
miefen fin, *) 


Die ?fmvenbung dieſes Verfahrens anf. die 9e: 
taphyſik iſt leicht. Man laſſe den Beweis von der 
Wirklichkeit ber Subjecte der Monadologie und Theo⸗ 
logie vor der Hand noch ausgeſetzt ſeyn; das was die 
Wiſſenſchaſt von ihren Eigenſchaſten beweiſet, wird 
indeß nicht weniger Wahrheit haben, und wenn wir 
das ganze Buch der Vernunft daruͤber durchgeleſen ha⸗ 
ben, wer weiß, ob wir nicht endlich noch die Ueber— 
zengung von ber. Wirklichkeit ihrer Subjecte auf. bem 
letzten Blatte finden? 

Doch 


Eustotius, Memur, et Commendiuur cum Apollonio I, 
affumunt rectas lineas ordinatim diametris fectio- 
num conicarum applicatas, licet mullibi doceant 
eas applicare: & forte Apollonius eam praxin in 
librum fuum VIII. circa problemata conica diftu- 
lera. Haec vero fuppofitio legitima eft, pofita 
definitione feu natura ipfarum rectarum ordinatim 
diemetris applicatarum.  Subjefhum enim definitum 
aſſumi potefl , ut affec'iones variae de eo demonflren- 
fur, licet praemiffa nou fit ars fubjeclum ipfum ef- 
formandum delineandi. Jo. Alph. Borelli Admonitio 
ver f. Ausg. von Apollonii Con, Sect. XXII, 


fr^ 160 ^" 


Doch ofne uns mit eínem wer weiß: zu 6e 
gnuͤgen, ohne abzuwarten, ob uns nicht vielleicht die 
Zeit bie Entdeckung dieſes letzten Blues ungeſucht 
darbieten wird, laſſen Sie es une wagen ſeinen Inhalt, 
nach dem Beyſpiel der Mathematiker, durch eine kuͤhne 
Divination zu finden. 


Es fómmt fier auf zwey Stuͤcke an: erſtlich 
auf die transſcendentale Guͤltigkeit der Form unſerer 
Erkenntniß, und zweytens auf die Realitaͤt der Ma⸗ 
ferie oer reinen Vernunfterkenntniß. 


Syóre richtige Form erhaͤlt unſere Erkenntniß 
durch die Verbindung ber Wahrheiten nad) bem Satze 
des Widerſpruches und des zureichenden Grundes. 
(S. dieſ. phil. Mag. r. €t. S. r4.) Was dieſen 
Gruudgeſetzen der Vernunft gemáfi iſt, das ift wahr, 
und wenn wir uns ſeiner Wahrheit bewußt ſind, gewiß. 
Es fragte ſich nur, ob die nach dieſer Form gedachten 
Gegenſtaͤnde eben fo wahr unb gewiß ſind, ober ob 
alles in ben Gegenſtaͤnden fo ſey, wie wir es nad) 
dieſen Geſetzen erkannt haben, oder endlich, ob nach 
Herrn Kants Sprache dieſe Geſetze eine transſcenden⸗ 
tale Guͤltigkeit haben? 


Die bisherige Metaphyſik hat dieſes als unfeug: 
bar angenommen. Hat ſie daran recht gethan? Wenn 


ſie 


f^Avr^ rÓ6r wa 


fie affe ire SBernunfterfenntni$ nad; dieſen Geſetzen 
formt, wenn fie fid) bie Gegenſtaͤnde tiefen Gefe&en 
gemáf ben£t, unb menn fie gugícid) dieſe Geſetze aus dem 
Weſen ber Vernunft felb(t nimmt: fo erbellet von 
neuem, baf fie, wenigſtens in. Anſehung ber Sornt, 
gerade bas tut, was Hetr Sant von cíner ádten 
Metaphyſik fobert, — ſie verlangt, baf fid) tie Ges 
genftánbe nad) ber Erkenntniß richten. Alſo nod) einr 
mal: — Kann ſie das verlangen ?. ober, welches einet; 
ley ift, haben bie Grundgeſetze ber. menſchlichen Er⸗ 
kenntniß transſcendentale Guͤltigkeit? 


Wir wollen unſere Unterſuchung ſo einrichten, 
daß wir von bem Satze des zureichenden Grundes am; 
fangen, wir wollen dem Beweis deſſelben eine ſolche 
Wendung geben, daß ſeine Abhaͤngigkeit von dem 
Satze des Widerſpruches etwas leichter als bie bisheri⸗ 
gen ín bie Augen faͤllt; wir wollen bie transſcenden⸗ 
tale Guͤltigkeit des Satzes des Widerſpruchs beſſer 
auseinander ſetzen; auf dieſe Weiſe wird dann auch 
eben dieſe transſcendentale Guͤltigkeit des Satzes des 
zureichenden Grundes einleuchten. 


Diejenigen Philoſophen, die ben Cat ſelbſt an: 
nehmen, ob ſie gleich bisher keinen Beweis deſſelben 
buͤndig genug gefunden haben, wollen ihn als einen 
Grundſatz zulaſſen, ben man aud) ohne Beweis anneh⸗ 

men 


f2.vTr^ I1602 ^" 


men kann. Das mürbe nun zwar turf ben Gebrauch 
bet beſten Mathematiker, fel6ft des Euklides autfjor 
riſirt werden, ber unter ſeinen Axiomen einige Cá(e 
hat, die wol noch eines Beweiſes beduͤrfen, die aber 
ohne Beweis vorgetragen werden, weil man ſie fuͤr 
notiones communes oder xo»«s m»was hault, bít 
jedermann bereit i(t, ohne Beweis gugulaffen. 


Allein in ber Philoſophie duͤrfen wir dieſes Ver— 
ſahren nicht nachahmen, unb am wenigſten mit bem 
Satze des zureichenden Grundes. Der Mathematiker 
fat alle Geſetze der Methode beobachtet, unb alle Fo—⸗ 
derungen ſeiner Wiſſenſchaft erfüllt, menn die Be⸗ 
weiſe ſeiner Lehrſaͤtze in richtiger Verkettung an die 
Axiomen anſchließen, uͤber die er mit ſeinem Leſer iſt 
eins geworden. So bald man ihm eines von ſeinen 
Axiomen leugnet: ſo fallen freylich auch alle Lehrſaͤtze, 
bie von demſelben abhangen. Das iſt aber. ein fo ſelte— 
ner Fall, baf er nicht glaubt, ibm bie unverwickelte 
Leichtigkeit feines 9Bortrageó unb bic ſchoͤnen Verhaͤlt⸗ 
níffe feine Lehrgebaͤudes auſopſern zu müffen. 


Die Philoſophie mug gefaͤlliger ſeyn. &o Bab 
eines ihrer Axiome in Zweifel gezogen, ober gat at: 
leugnet wird, ſo mu fie es, wofern fie es anders ge: 
brauchen will, mit Beweiſen unkerſtuͤtzen, zumal 
wenn es in allen phyſiſchen unb moraliſchen Wiſſenſchaf⸗ 

ten 


F^»f^ 1605 ^» 


fen von fo weitem Umfange ift, als bcr Caf des gu 
reichenden Gruudes. Nun kann dieſer Satz nicht an; 
ders als a priori bewieſen werden; denn ein Beweis 
durch Induction iſt unmoͤglich. Die Gruͤnde der 
Dinge ſind in vielen Faͤllen ſo verſteckt, daß die Er— 
fahrung ſie nicht immer entdecken kann. Diejenigen 
alſo, die ſeine Allgemeinheit leugnen, koͤnnen eben ſo 
viele Erfahrungen gegen denſelben anfuͤhren, als ſeine 
Vertheidiger fuͤr ihn. Wenn alfo ber Satz des zurei⸗ 
chenden Grundes a priori ſoll bewieſen werden: ſo 
muͤſſen wir ihn aus einem hoͤhern Grundſatze herlei⸗ 
ten. Nun giebt es fein hoͤheres Axiom, als ben Satz 
des Widerſpruchs. Die allgemeine Wahrheit des 
Satzes des zureichenden Grundes kann daher nur aus 
dieſem demonſtrirt werden; und das kann, glaub ich, 
am deutlichſten ſo geſchehen: 


Allẽs hat entweder einen Grund, oder nicht alles 
fat einen Grund. Sm letzten Falle koͤnnte alſo et: 
was moͤglich und denkbar ſeyn, deſſen Grund Nichts 
waͤre. Wenn aber von zwey entgegengeſetzten Dingen 
Eines ohne zureichenden Grund ſeyn koͤnnte: ſo koͤnnte 
auch das Andere von den beyden Entgegengeſetzten ohne 
zureichenden Grund ſeyn. Wenn z. B. cine Por—⸗ 
tion Luft ſich gegen Oſten bewegen und alſo der Wind 
gegen Oſten wehen koͤnnte, ohne daß im Oſten die 
Luft waͤrmer unb verduͤnnter waͤte: fo wuͤrde dieſelbe 

Por⸗ 


Fou 164 ^uae 


fportíon Luft fid) een fo gut gegen Weſten bewegen 
fónnen, als gegen Often; dieſelbe Luſt wuͤrde (id) alio 
zugleich nad) zwey entgegengeſetzten Richtungen bewe⸗ 
gcn koͤnnen, nad) Oſten unb Weſten ju, unb alſo ger 
gen Ojten unb nidt gegen Oſten, 5. i. e$ koͤnnte et: 
was zugleich ſeyn unb nicht ſeyn, welches widerſpre⸗ 
chend und unmoͤglich iſt. 


Zwey Saͤtze, ble einander widerſprechen, kann 
ich nicht zugleich fuͤr wahr halten: welchen von beyden 
werde id) aber nun fuͤr wahr halten koͤnnen? — Den⸗ 
jenigen, deſſen Praͤdicat bereits als eine Beſtimmung 
in bem Begrifſe des Subjects entfalten ift, ober durch 
etwas aufer demſelben beſtimmt wird. Dieſe SDeftim: 
mung des Subjectes fe mun eine nothwendige 
ober zufaͤllige Beſtimmung, fe muf id fie mir vor(tes 
(en, wenn (d) mír ben einen unter. zwey voiberfpres 
chenden Saͤtzen als wahr unb moͤglich vorſtellen will. 
Sie muß alſo Etwas ſeyn, denn ſonſt wuͤrde auch das 
Nichts koͤnnen vorgeſtellt werden; d. i. der Grund 
von der Wahrheit eines wahren Satzes muß Etwas 
ſeyn; denn der Grund iſt das, woraus man erkennen 
kann, warum etwas iſt, und warum es ſo und nicht 
anders iſt. Warum iſt bet Satz wahr: ein hoͤlzer⸗ 
nes Dreyeck kann verbrannt werden? weil zu dem 
Subject die Beſtimmung gehoͤrt, daß das Dreyeck 


von Holz iſt. — Warum kann es eben jet verbrannt 
wer⸗ 


* 165 «wc» 


werden? — Weil man es ins Feuer gelegt hat. Die 
Beſtimmung des Subjects, baf es von Holz ift, ift 
der Grund, daß es an ſich moͤglich iſt, es zu verbren⸗ 
nen; die Beſtimmung, daß es eben jetzt im Feuer 
liegt, ift der Grund, marum e$ eben jetzt kann ver: 
brannt metben, Wenn alfo von írgenb einem Sub⸗ 
jecte zwey roiberfpredjenbe "Drábicate móglid) finb: fo 
muf Etwas feyn, marum ibm ba$ Eine unb nidjt das 
Andere gutómmt. 


Dieſer Beweis ift alfo auf ben Satz bes Wider⸗ 
ſpruches zuruͤckgefuͤhrt; benn feine ganje Kraft liegt 
barín: Wenn ber Satz bes zureichenden Grundes nidjt 
allgemeine Wahrheit Dátte; fo tónnte Ein &ubject gu; 
gleid) zwey widerſprechende fDrábicate faben. — Gr 
mírb alfo transícenbentale Guͤltigkeit haben, fo bald 
ber Caf be Widerſpruchs fie Dat. — Hat er bie? Wir 
fónnen freylich nid)t in Abrede fepn, bag ber Satz des 
Widerſpruchs eine ſubjective Gewißheit fat. Ich 
muß irgendwo bey einer erſten Wahrheit ſtehen blei⸗ 
ben, woran die Kette aller uͤbrigen befeſtigt iſt. Dieſe 
erſte Wahrheit kann ihre Gewißheit von keiner andern 
Wahrheit in der Reihe erhalten, ſonſt wuͤrde ſie nicht 
bie erſte ſeyn. Was hewegt mid) alſo, fie anzuneh⸗ 
men? Nichts anders, als das Bewußtſeyn, daß ich 
nichts widerſprechendes denken kann. Wenn ich es 
verſuche, ſo fuͤhl ich, daß die eine Operation meiner 

Philoſ. Mag. 2. Gr. M vor⸗ 


FLU (i60 ^nm 


vorſtellenden Saft bie anbere zerſtoͤhrt. Was allé 
Etwas, was alfo denkbar fepn fof, darf nichts mibet: 
ſprechendes enthalten, es darf nicht zugleich A und 
nicht A ſeyn. Kann ich das nun auf jeden Gegenſtand 
uͤbertragen; kann es auch keinen Gegenſtand, kann es 
nichts von mir verſchiedenes geben, worin etwas wider⸗ 
ſprechendes, etwas deſſen Praͤdicat zugleich A unb 
nicht A waͤre? Ich ſehe, daß es in meinen Gedan⸗ 
fen nicht ſeyn kann, unb zwar nicht barum, weil e$ 
dieſe Gedanken, oder weil es uͤberhaupt Gedanken 
ſind, ſondern weil es ein voͤllig unbeſtimmtes A iſt, 
das durch das eben fo unbeftimmte Nicht A zerſtoͤrt 
unb aufgehoben wird. Es muß alfo nicht bloß vor 
meinen Gedanken gelten, es muß eine allgemeine Guͤl⸗ 
tigkeit haben, ich muß es von meinen Vorſtellungen 
auf die Gegenſtaͤnde uͤbertragen koͤnnen. Der Grund⸗ 
ſatz des Widerſpruchs iſt alſo ein objectiver Grundſatz, 
und, der Satz des Grundes, wenn er von ihm ſeine 
Gewißheit erbalt, muß es aud) ſeyn. 


Hier haben wir dann die Quelle der unvermeid⸗ 
lichen Nothwendigkeit, ben ſubjeetiven Geſetzen der 
Vernunft eine objective Kraft zu geben, die Herr Kant 
eine Illuſion nennt, welche gar nicht zu vermeiden iſt. 
Sollte es eine bloße Illuſion ſeyn: ſo muͤßte die Ueber— 
tragung unſerer Erkenntniß, aud) menn fle auf ihren 
erſten Grundſaͤtzen beruhet, ein Irrthum ſeyn, und 

Jie 


"CMTR 167 "n 


dieſe erſten Girunbfáge müften feine objective Wahr⸗ 
Deit haben. Kann man inen abet bíefe, wie wir ers 
wieſen zu Daben glauben, nicht abſprechen: fo (at 
alle unfere Grfenntnif, bie dieſen Grunbfágen gemáf ift, 
gleichfalls ihre unleugbare logiſche Wahrheit, unb bie 
Nothwendigkeit, ihr eine objective Kraft zu geben, iſt 
keine Illuſion. 


Die Schwierigkeiten, die bey der transſcenden⸗ 
talen Guͤltigkeit der Form an ſich ſelbſt vorkommen, 
ſchienen alſo gehoben. Allein damit waͤren wir nicht 
viel weiter, menn. keine Materie moͤglich waͤre, bie 
dieſer Form zum Stoffe bient, uno der Erkenntnißkraft 
Gegenſtaͤnde gaͤbe, die eine Subſiſtenz haben, welche von 
ihr verſchieden iſt. 

Es iſt bekannt, daß der Verfaſſer der Crit. der 
reinen Vernunft keinen Stoff der Erkenntniß zulaͤßt, 
als das, was er die Form der Anſchauung nennt, naͤm⸗ 
lic) den Raum für ben aͤußern Sinn, und die Zeit fuͤr den 
innern. In welche enge Graͤnzen er die Erkenntniß durch 
dieſe Beengung ihres Stoffes zuſammenziehe, iſt bereits 
ín dieſem Magazine *) beinerkt worden. Um aber das 
nicht zu wiederholen, was uͤber dieſen Theil ſeiner 
Theorie iſt erinnert worden: ſo ſey es uns erlaubt, 
bie dort bloß angedeuteten Vetrachtungen bier etwas 
weiter fortzufuͤhren. 

$a eit 
*) 1. €t, S. 19. 


1608 


Sie reichen vor der Hand wenigſtens ſo weit, 
daß wir annehmen duͤrſen: 1) die Formen der Er— 
kenntniß des Herrn Kant, ſeyen nur Formen der 
Sinnenerkenntniß, keinesweges aber der Verſtandes⸗ 
erkenntniß; 2) ſie ſeyen alſo nur die einfachſten Be⸗ 
griffe dieſer Sinnenerkenntniß; 3) die einfachſten Be⸗ 
griffe der Verſtandeserkenntniß ſeyen unbildlich und 
uͤberſinnlich; 4) dieſe Verſtandeserkenntniß ſey in 
abſtracto bloß ſymboliſch, unb nur in concreto arn: 
ffauenb, unb ba$ einfadjfte anſchauende Merkmal 
berfelben fey Vorſtellung. 


Der reine Verſtand des endlichen Geiſtes, bet; 
gleichen der menſchliche iſt, hat alſo keinen Gegenſtand, 
deſſen Erkenntniß in dem menſchlichen Geiſte anſchauend 
ſeyn kann; daruͤber ſind alle ſtreitende Parteyen eins. 
Nur behauptet die eine Partey, daß dieſer Gegenſtand, 
ob er gleich keine unmittelbar anſchauende Erkenntniß 
zulaͤßt, dennoch ein wahrer Gegenſtand ſey; und ſie fin⸗ 
bet bie Gruͤnde für dieſe Meinung ſelbſt in ben Bildern 
des Raumes und der Zeit, die die erſten Elemente aller 
Sinnenerkenntniß ſeyn ſollen, in dem Beduͤrfniß, von 
dieſen Bildern außerhalb der Sphaͤre ber. Sinnener⸗ 
kenntniß Grund anzugeben. Eine kurze Seralieber 
rung derſelben wird uns vielleicht davon uͤber⸗ 
zeugen. 


Bey 


f^»f^ 169 UL 


Bey ber Seit finben fid) ber Schwierigkeiten bie: 
ftt Zergliederung weniger ; wir wollen alfo bamit an: 
fangen. Die concrete Seit, obet bíe Seit , bie roit 
empfinben , i(t nichts anders, afó Me Succeſſion un: 
ſerer Vorſtellungen; benn aud) bie Succeſſion in. der 
Bewegung laͤßt fid) auf bie Cucceffion ber Vorſtellungen 
jurüdóringen. Die concrete Zeit i(t alfo etwas Su: 
ſammengeſetztes; ijre einfache Glemente ſind Vorſtel— 
tungen. Da alle endliche Dinge in einem beſtaͤndi⸗ 
gen. Fluſſe (inb: fo koͤnnen dieſe einfachen Elemente nie 
empfunben werden; ber innere Sinn kann fie nie ab: 
acfonbert empfinben ; (ie werden immer mit etwas em: 
pfunben, das vorferaeft unb nadfofgt. Da feret 
bec Fluß ber Veraͤnderungen allec enblid)en Dinge ein 
ſtetiger ununterbrochener Fluß ift: fo ift kein empfinb: 
baret Theil ber Seít bet fleinfte, ober ein vàllig einfa⸗ 
dr. Die einfad)en Elemente ber concreten Seit. [ies 
gen alfo vàllig außerhalb ber &pbáre ber Sinnlichkeit; 
das i(t ber Beobachtung ber bisherigen Metaphyſik 
gar nicht entgangen, unb Leibnitz bat daruͤber mit 
ſeinem gewoͤhnlichen Tiefſinne philoſophirt. Ueber 
dieſe Sphaͤre der Sinnlichkeit erhebt ſich nun aber der 
Verſtand, indem er das unbildliche Einſache entdeckt, 
ohne welches das Bild der Sinnlichkeit auch in Anſe⸗ 
hung der Zeit nicht moͤglich iſt. Er erkennt alſo, daß 
zu dem Bilde der Zeit zufoͤrderſt etwas Objectives 
gehoͤre, dieſe untheilbaren Elementarvorſtellungen, wel; 

M3 dr 


[£o Ae ol 170 wu 


che zugleich mit ben (ubjectiven Gruͤnden, Me ín 
ben. Schranken des endlichen Geiſtes liegen, fuͤr die 
Sinnlichkeit das Bild der concreten Zeit geben. Denn 
vermoͤge dieſer Schranken koͤnnen dieſe Vorſtellungen 
nicht zugleich ſeyn, und vermoͤge eben dieſer Schran⸗ 
fen koͤnnen (ie ín bem Bilde⸗ nídt unterſchieden 
werden. 


Wenn die concrete Zeit nicht ohne objective 
Gruͤnde moͤglich iſt, ſo wird es auch die abſtracte 
nicht ſeyn, wofern ifr Begriff vollſtaͤndig abgezogen, 
und folglich wahr ſeyn ſoll. Nur was in der erſtern 
Vorſtellungen und beſtimmte Vorſtellungen ſind, das 
ſind in der letztern unbeſtimmte auf einander in einem 
ſtetigen Fluſſe folgenbe Veraͤnderungen. Die Elemente 
der abſtracten Zeit ſind alsdann untheilbare Augenblicke, 
und dieſe Augenblicke verhalten ſich zu der abſtracten 
Zeit eben fo, voie die unbeſtimmten Einheiten zu der 
abſtracten Zahl. Es iſt alſo eine doppelte Verwirrung, 
wenn man die Elemente der Zeit fuͤr leere Vorſtellun⸗ 
gen haͤlt, fuͤr Vorſtellungen, die keinen Gegenſtand 
haben, und zwar darum, weil ihnen die Form der 
Anſchauung fehlt. Denn den Elementen der concreten 
Zeit feit dieſes Anſchauende nicht, e$ ift die Vorſtel⸗ 
lung ſelbſt; (S. 169.) bie. Elemente der abſtracten 
Zeit haben zwar unmittelbar. nichts anſchauendes, 
ſie haben es aber mittelbar in dem Concreten, von 

dem 


funr x7x T 1 78 


bem bie abfttacte Seit abgezogen iſt. Dieſe Materie 
ließe fid) nod) weiter verfolgen; wir gedenken aber 6ey 
einer. andern Gelegenheit wieder darauf zuruͤcczukom⸗ 
men und ſie noch von andern intereſſanten Seiten zu 
betrachten. 


Bey der Zergliederung der Zeit muͤßten wir alſo, 
um ſie auf Einmahl zu Ende zu bringen, in das Gebiet 
des Verſtandes übergeben, unb dieſes Erkenntnißvermoͤ⸗ 
gen wuͤrde dann in ſeiner eigenthuͤmlichen Region, zwar 
nicht bildliche, aber darum keine weſenloſe, begriffleere 
Gegenſtaͤnde haben. Die vielſeitige Gleichartigkeit der 
andern Form bec Anſchauung, des Raͤums, mit bet 
Zeit, uͤberhebt uns der Muͤhe, von der Zergliederung 
derſelben alles das zu wiederholen, was ſie mit der 
Zergliederung der Zeit gemein hat, und erlaubt uns, 
unſere Unterſuchung bloß auf das einzuſchraͤnken, was 
ihr eigenthuͤmlich iſt. Die erſten Elemente des Zu— 
ſammengeſetzten, mit welchem der Raum zugleich da 
iſt, ſind eben ſowol, wie die Elemente der Zeit, einfach 
unb aufer bem Gebiete ber Simlichkeit; fie ſind Ver— 
ftanbesmefen, unbildlich, fie koͤnnen unter. keiner ſinn⸗ 
lichen Form angeſchauet werden, ſie ſind aber dem un— 
geachtet wahre Gegenſtaͤnde, das alles haben fie mit 
den Elementen der Zeit gemein. Allein nun hat der 
Raum noch etwas eigenthuͤmliches, und deſſen Zer— 
gliederung ift einigen Schwierigkeiten mehr unterworfen. 

$4 Der 


FP^APVPM r72 "wu 


Der concrete Raum iſt mit bem Sufammenge: 
fe&ten zugleich ba, unb dieſes 3ufammengefeGte i(t bet 
Koͤrper; bec Koͤrper iſt aber, ſofern er zuſammengeſetzt 
iſt, ein Aggregat einfacher Subſtanzen. Hier ſind 
zwey Schwierigkeiten ſtatt Einer. Denn erſtlich 
ſagt man, der Koͤrper iſt ein Inbegriff von Erſchei⸗ 
nungen; der Raum, der mit ihm zugleich da iſt, iſt 
eine Erſcheinung, oder Etwas, deſſen Bild ſeinen 
Grund in den Schranken der Vorſtellungskraft hat; 
was iſt er aber an ſich? 


Wenn das: was iſt der Koͤrper an ſich und außer 
bet Erkenntniß? fo viel heißt, als: was iſt er außer 
aller Erkenntniß? ſo iſt die Frage ungereimt, und 
man kann von keinem Philoſophen eine ungereimte 
Frage vermuthen. Die ganze Critik der rein. Vern. 
ſagt auch nur: was iſt er außer der ſinnlichen Er⸗ 
kenntniß? Daß aber. die transſcendentale Aeſthetik bit: 
fet Kritik alle unſere Erkenntniß auf diejenige einſchraͤnkt, 
bey welcher Raum unb Zeit als bie einfachſten Merk⸗ 
male aller unſerer Vorſtellungen oder als Formen der 
Anſchauung zum Grunde liegt, das iſt bereits bemerkt 
worden. Wir haben aber auch gegen dieſe Critik 
Erinnerungen gemacht, von denen wir glauben, daß 
fie einige Erwaͤgung verdienen. 


Die 


FMAMEM 173. ^ac» 


Die Glemente ber. Koͤrper, bie (egten. Gruͤnde 
be$ Ausgedehnten, finb alfo aufer bem Gebiete bet 
Sinnlichkeit, bie Sinnlichkeit fann un$ nicht fagen, 
was fie an fid), ohne bie Sorm ber Anſchauung des 
aͤußern Sinnes (inb. — Aber ber Verſtand fann e$, 
unb wir faben aefefen, ba zwar bie Merkmale bet 
Begriffe dieſes Erkenntnißvermoͤgens nicht bilblid), nicht 
finnlich ſind, aber daß ſeine Begriffe nichts deſto we⸗ 
niger ihre wahren Gegenſtaͤnde haben. 


Alſo fuͤr den reinen Verſtand iſt der letzte Grund 
der Erſcheinungen, die wir an dem Koͤrper wahrneh⸗ 
men, und mithin auch des Raums, in den einfachen 
Subſtanzen. 


Was iſt aber zweytens das Subſtanzielle, das 
Subſtratum der Accidenzen, die von den Subſtanzen 
zu erkennen ſind? Das iſt die andere Schwierigkeit, 
die der Unterſuchung uͤber den Raum eigenthuͤmlich iſt. 
Hier darf man wieder die Fragen unterſcheiden: Was 
ift e$. für bie Sinnenerkenntniß? Nichts. — Denn 
bie Sinnen (tellen uns nur 9Beránberungen, unb alfo 
Accidenzen vor. Was ift e abet (ür ben 3Berftanb? — 
Das Fortdaurende, wovon die Accidenzen SDeftimmun: 
gen ſind, die Kraft, welche ihren Grund enthaͤlt. 
Dieſes Beharrliche, dieſes Subſtanzielle liegt freylich 
außer der Sphaͤre der Sinne, der Verſtand kann ſich 

9 5 bavon 


FTT I74 was 


Pason feine anſchauende Vorſtellung made; es 
muf aber bafeyn, menn bie Grundgeſetze ber 3Becnunft 
einen objectiven Werth, logiſche Wahrheit ober trans⸗ 
ſcendentale Guͤltigkeit haben. Wenn alſo keine Form 
ber Anſchauung dabey gum Grunde liegt: fo beroei(t, 
baé nur, baf es nicht ben Sinnen erfennbar ift; benn 
nur für biefe finb die Formen bet Anſchauungen not, 
wendige Bedingungen bet GrfenntniB, keinesweges 
aber fuͤr den Verſtand. 


Co glauben wir alſo die transſcendentale Guͤl⸗ 
tigkeit ober bie logiſche Wahrheit ber menſchlichen Gr; 
kenntniß, ſowol von Seiten ihrer Form als ihrer Ma⸗ 
terie, nad) unſerer Ueberzeugung, vor ber Hand qe; 
tettet zu haben. Die Schranken, die wir uns vorge⸗ 
ſchrieben haben, verbieten uns, dieſe Materie jetzt 
weiter auszufuͤhren; roit werden aber noch oͤſter, die⸗ 
ſelbe zu beruͤhren, Gelegenheit nehmen. 


III. 


175 unc 


«9f Re e 0e) e e He e etm 


III. 
Beytrag zur Geſchichte ber Baͤrte. 


— —ñ —ñ— 


Sue Meberfdorift ſcheinet etwas fo unwichtiges zu 
verſprechen, daß es ſchwerlich in. eine Zeitſchriſt auf 
genommen zu werden verdienet, welche nicht bloß dem 
Zeitvertreibe, ſondern ber Aufklaͤrung ber interefjante: 
ſten Gegenſtuͤnde gewidmet iſt. Alleuſalls tóunte man 
nad) derſelben hoͤchſtens einen. entbehrlichen Beytrag 
zur Geſchichte ber Moden erwarten. Allein geſetzt 
auch; ſollte nicht aud) dieſe fo koͤnnen betrachtet vei: 
den, daß ſie dem philoſophiſchen Beobachter zu einigen 
intereſſanten Bemerkungen koͤnnte Gelegenheit geben? 
line nur auf dieſe Art wuͤnſche id) dieſen kleinen Bey⸗ 
trag zur Geſchichte ber Barte nuͤtzlich gu machen. € 
ſoll zugleich zu einer Probe von dem Stolze und der 
Eitelkeit der Geiſtlichen in den vorigen Jahrhunderten 
dienen, und nebenher wird man ſich vielleicht daraus 
von ber Veraͤnderlichkeit ber Eitelkeit uͤberzeugen fon: 
nen, bie, nachdem e3 bie Mode will, 6alb auf eíne 
Tracht, bald auf bie entgegenſtehende einen. Werth 
ſetzet. 


Ich 


(TA 176 wa 


Sid) weiß nid)t, ob mam bereits bemerkt fat, 
baf in bcn mittleren Seiten ber Bart ein Kennzeichen 
war, wodurch (id) bíe Layenſchaft von ber Geiſtlichkeit 
unterſchied. Das fdjeinet roeníg(ten$ nod) nidt fo 
Defannt zu ſeyn, baf die fe&tere ifr geſchornes Sinn 
für einen Vorzug hielt, beffen fid) bie Layen ohne ba$ 
groͤßte Verbrechen nid)t anmafen fonnten. — &ie hielt 
uͤber dieſen Vorzug ſo ſtreng, daß ſie ſogar Wunder 
erdichtete, um einen fo laͤcherlichen Vorzug ber Geiſt⸗ 
lichkeit gegen die Layen zu behaupten. 


Ein Benedictinermoͤnch des Kloſters Ct. 
Emeran im eilften Jahrhundert erzaͤhlet folgende Ge⸗ 
ſchichte *). „Ein Mann vom hoher Geburt wurde 
„eines Pferdediebſtahls beſchuldigt. Der Graf der 
„Provinz, zu welcher er gehoͤrte, befahl ihm, ſobald 
e tt die That vernommen, das Pferd entweder wieder⸗ 
zugeben oder ben Werth deſſelben zu bezahlen. Der 
„Beſchuldigte, uͤber dieſen Beſehl beſtuͤrzt, verſprach, 
„durch jeden Beweis, ben man verlangen wuͤrde, fid) 
„von dem auf ihn gebrachten Verdacht zu reinigen. 
.Dieſe Reinigung ſollte alſo auf Sbefebt des Grafen 
„in Gegenwart vieler Zeugen, vermittelſt des gewoͤhn⸗ 
„lichen Waſſerurtheils vor ſich gehen. Die Rich—⸗ 

„ter 


*) Narratio Orhloni de Miraculo, quod accidit nuper 
cuidam Laico; in Pezii Thef. Anecd. T. III. P. II. 


P. 397- 


Fok^F^ 177 «wem 


» tet unb Zeugen famen neb(E ben Parteyen an. bem 
» beftimmten Orte zuſammen, bie *Drobe vourbe vot; 
»9enommen, unb bet Beklagte ſchuldig Defunben. 
„Durch biefen Ausgang ber Sache rourbe er. áufec(t 
„niedergeſchlagen; er ſcheuete fid) nid)t nur vor ber 
„Wiedererſtattung be$ Pferdes, fonbern aud) vor bem 
»Sorne beó Grafen, von bem er mute, bof er ifn 
„nicht fdonen wuͤrde. Er berief alfo alle Geiſtliche 
„der Gegend zuſammen, um von ihnen zu vernehmen, 
„wie er fid) von einem Verbrechen befreyen koͤnne, an 
» bem er fid) gany unfdjulbig roüfte. ,, 


» Det Rath bet verfammleten Geiſtlichkeit ging 
»babin: et folle alle feíne Suͤnden überbenfen, eine 
s allgemeine Beichte ablegen, unb Beſſerung verſpre⸗ 
„chen. Die Antwort bes Beſchuldigten mar, et babe 
„dieſes alles ſchon getfan, unb wiſſe fid) feiner Suͤnde 
„zu erinnern, die er nicht bereits gebeichtet habe. 
„Hier erhob Einer aus der Verſammlung ſeine Stim⸗ 
„me und ſagte: wie kannſt du das behaupten, da ich 
„an dir eine Suͤnde wahrnehme, die bu uns nicht ge 
„beichtet haſt und auch nicht einmal fuͤr eine Suͤnde 
„haͤltſt ? denn da du ein Laye biſt und nach Art der 
„Layen ſchlechterdings einen Bart tragen ſollteſt, ſo 
„haſt bu bir, als ein Veraͤchter des goͤttlichen Geſetzes, 
» gleid) einem Geiſtlichen, mit glattem inne einherzu⸗ 
» tbe angemaßet. Dieſe Suͤnde, ob du fie aleid) 

» fi 


178 


„fuͤr nichts haͤltſt, ift fo groß, bag bu ſchlechterdings 
y» nidt von bem Verbrechen, deſſen man bid) beſchul— 
» bígt, Fannft losgeſprochen werden, wofſern bu nidyt 
„Buße thuſt, unb Gott, es fünftia zu vermeibett, 
„verſprichſt. Als der Beſchuldigte dieſes hoͤrte, ant⸗ 
„wortete er: Siehe, ich verſpreche hiermit, daß, 
„wenn mich Gott von dem Verbrechen, deſſen ich 
„verdaͤchtig bin, losſpricht, kuͤnftig fein Schrermeſſer 
„uͤber meinen Bart kommen ſoll. Hierauf ging man 
„wieder zu dem Waſſer, und alle waren begierig zu 
„ſehen, ob ihm ſeine Beichte dieſes neuen Verbrechens, 
, unb ſeine Zuſage e$ kuͤnſtig zu vermeiden, etwas Get; 
„fen wuͤtrde. Die Probe wurde wiederholet, unb fie 
„fiel zu ſeinem Vortheil aus. Alle, die gegenwaͤrtig 
„waren, preiſeten Gott uͤber bie Unſchuld des Beklag— 
„ten unb uͤber bie Offenbarung bet goͤttlichen Gerech⸗ 
„tigkeit; allein der reuige Suͤnder vergaß der Barm⸗ 
„herzigkeit Gottes, bie ihn losgeſprochen hatte, vet: 
„lachte ſeine Zuſage, die er ihm gethan, ſich nicht fer⸗ 
„ner gu ſcheeren, unb ließ fid) feinen Bart mit einem 
Scheermeſſer abnehmen. Doch die goͤttliche Rache 
„blieb nicht aus; der Verbrecher wurde kurze Zeit 
» batauf von feinen Feinden gefangen, welche ibm die 
„Augen ausftaden. Dieſe Geſchichte, welche id) von 
„einem Geiſtlichen gehoͤrt habe, ſetzt unſer Benedicti⸗ 
„nermoͤuch hinzu: habe ich zu erzaͤhlen nicht unterlaſ⸗ 
„ſen koͤnnen, damit Einige, durch ein ſolches Exem⸗ 

» vd 


FAMEM 170 ^*à4*9 


» pel. erſchreckt, zur wahren Beſſerung gebracht wer⸗ 
„den. Dies it eit Beytrag gu ber Geſchichte ber 
Verſolgungen ber geſchorenen Sinne; allein endlich 
fam bie Reihe, verfolgt zu werden, and) an bie bártiz 
aen. Als ſich bie Layenſchaft aus der fangen Verach— 
tung, worin ſie die Geiſtlichkeit gehalten hatte, zu 
erheben begann, als Adel, Herren und Ritter 
durch ihren kriegriſchen Putz anfingen, Aufmerkſam—⸗ 
keit und Bewunderung auf ſich zu ziehen, ſo fingen 
auch die Geiſtlichen an, nach ihrem ritterlichen Schmu⸗ 
cke und Ehrenzeichen luͤſtern zu werden. Das glatte 
Sinn war nicht mehr if Stolz; fie fingen an fid) deſ⸗ 
felben zu ſchaͤmen, unb bíe Baͤrte mit allen ihren ver; 
ſchiedenen Verzierungen nachzuahmen. Dieſe geiſtliche 
Vartſucht rat bereits im funſzehnten Jahrhundert fo 
weit eingerlſſen, daß verſchiedene Domcapitel ín Frank⸗ 
reich fid) genoͤthiget ſahen, in ihren Cotiftéverorbnun: 
gen ben Baͤrten ihrer Stifteherren ben. Krieg anzu— 
kuͤndigen. Vielleicht hatte man ihnen unter den Fuß 
gegeben, daß, ba bie Geiſtlichkeit auf. ihre Baͤrte fo 
erpicht fep, man ein recht huͤbſches Einkommen aus 
dem Verkauf der Privilegien, Baͤrte zu tragen, von 
ihnen wuͤrde erheben koͤnnen. Dazu war vor allen 
Dingen noͤthig, zuerſt ein Edict zu publiciren, worin 
der Geiſtlichkeit das Tragen der Baͤrte verboten wuͤrde. 
Der beruͤhmte Du Prat, welcher unter der Regie— 
rung Franz des Erſten Kanzler von Frankreich war, 


fam 


Fxivf^ 190 ^" 


fam zuerſt auf biefen Gebanfen, unb. auf Anſuchen 
des Koͤnigs Stans machte ber damalige Pabſt eine 
Bulle bekannt, worin er der franzoͤſiſchen Geiſtlich⸗ 
feit befahl, ihre Kinne zu ſcheeren, unb. bevollmaͤch⸗ 
tigte den Koͤnig, von denjenigen Geiſtlichen eine Taxe 
zu erheben, welche eine Befreyung von den Verfuͤgun⸗ 
gen der Bulle zu kaufen wuͤnſchten. Die Biſchoͤfe 
und alle Beſitzer fetter Pfruͤnden bezahlten die Taxe 
unverzuͤglich, unb retteten ire Baͤrte; allein bie nies 
drige Geiſtlichkeit, die nicht reich genug war, das 
Privilegium zu erkaufen, mittelſt welches ſie die Decke, 
welche die Natur ihren Kinnen gegeben hatte, haͤtten 
erhalten koͤnnen, ſah ſich genoͤthigt, ſie der Schaͤrfe 
des Scheermeſſers preis zu geben. So lange Franz 
lebte, unterdruͤckten ſie ihre Wuth; allein ſobald als et 
tobt rat, gaben (ie ihr uft unb ließen fie auf Wil⸗ 
belm ou Prat, einen. Sohn des Kanzlers, fallen. 
Dieſer Praͤlat fam eben triumphirend von ber Sríbens 
tinifden Kirchenverſammlung zuruͤck, roo er fid) burd) 
feine Beredtſamkeit hervorgethan Datte, unb fefste feine 
Reiſe nad) Clermont fort, um von btefem Bisthume, 
zu welchem in ber neue Sónig Heinrich oer Sweyte 
ernannt fatte, £Sefig zu nehmen. Det. neue Praͤlat 
fatte eínen von ben fdjón(ten unb. bufdjiaften Baͤrten 
in eem Koͤnigreiche. Er Batte den erſten Oftertag 
dazu auserſehen, feinen. oͤffentlichen Einzug in feine 
Kirche zu halten, und den Gottesdienſt in allem Glanze 

des 


f^AvT —XY81 "erm 


be$ pontificaliſchen Pompes au celebriren. Allein zu 
ſeinem unausſprechlichen Erſtaunen fand er, daß man 
ihm die Thuͤre des hohen Chores vor der Naſe zuge, 
ſchloſſen hatte, und durch ſie — denn ſie war von 
ehernem Gitterwerk — erblickte er drey Stiftsherren, 
bie ihn erwarteten, um ihn auf eine Art zu empfan; 
gen, welche ihm gar nicht ſchmeckte. Der eine hielt 
in ſeiner Hand ein Scheermeſſer, der andere eine 
Scheere, und der dritte ein altes Statutenbuch der 
Kirche von Clermont, mit ſeinem Finger auf die 
beyden Worte in einem der Statuten zeigend — 
»barbis rafis, — indeß bie andern beyden von Zeit 
zu Zeit die fuͤrchterlichen Waffen ſchwenkten, welche 
Seine Hochwuͤrden Gnaden mit dem Verluſt Dero 
Bartes bedroheten. Vergebens ſtellte ihnen der Praͤlat 
vot, daß, ob er fid) gleich gern ben Statuten ſuͤgen 
wollte, doch die Heiligkeit des Sabbaths es nicht ver⸗ 
ſtattete, daß ſie ihm an einem ſolchen Tage den Bart 
abſchnitten, indem dieſes ein knechtiſches Werk fev. 
Die Stiftsherren waren gegen alles dieſes taub; alles 
was ſie ſagten, war: „laß dich ſcheeren, oder bleib 
braufen,,, Cr mar fo halsſtarrig, als fie; unb ließ 
es fid) (ieber aefallen, abzuziehen, als feinen Bart 
preis zu geben. Er nafm aud) dieſe Niederlage unb 
die Nothwendigkeit, worin er ſich ſah, entweder ſein 
Bisthum oder ſeinen Bart zu verlieren, ſo ſehr zu 
Herzen, daß er krank wurde, und bald darauf ſtarb. 

Philoſ. Mag. 2. St. N Du 


F^AYF^ YI82 "mà 


Du ptat tar nidt ber einzige Praͤlat, bem fid) fein 
Capitel, ín Betreff ſeines Bartes, widerſetzte. An—⸗ 
ton Caracciolo war won bem naͤmlichen Koͤnig Hein⸗ 
rid) ju bem Bisthum Croyes in. Cbampagne et: 
mannt; allein das Capitel rocigerte ficb, in ale Biſchof 
anzunehmen, woſerne ec fid) nicht gefallen liege, fein 
Kinn ſcheeren zu laſſen; dieſem wollte er fid) nit uns 
terwerfen, allein er. fano zu gleicher Seit Mittel, fein 
Bisthum au befalten, benn er fatte Ginfluf genug 
bey dem Sónige, um von ibm einen. Befehl an baó 
Capitel ausguroitfen, ihn mit feinem Barte anzuneh⸗ 
men. Dieſer Beſehl iſt datirt vom 28ſten November 
1551. Fuͤnf Jahre hernach fand ſich Johann von 
Morvillers in einer aͤhnlichen Lage. Das Capitel 
von Orleans, zu welchem Bisthum er war befoͤrdert 
worden, wollte ihn nicht aufnehmen, ehe und bevor 
er nicht ſein Kinn durch den Barbier haͤtte qualificiren 
laſſen, ben Statuten gemaͤß in bem Chore zu erſchei⸗ 
nen, Er erhielt indeß bie Erlaubniß, ohne geſchoren 
zu ſeyn, von dem Capitel inthroniſirt zu werden, weil 
er zu ſeinem Gluͤck ein Befehlsſchreiben von dem Koͤnige 
in der Taſche hatte, worin verordnet war, daß er bey die⸗ 
ſer Gelegenheit von den Statuten muͤſſe dispenſiret wer⸗ 
den, weil Se. Majeſtaͤt vorhaͤtten, ihn zu Geſandſchaften 
in ſolchen Landern zu gebrauchen, wo er nicht ohne Bart 
erſcheinen koͤnnte. 








IV. 


—183 "9 


re$ r99ro9r9ro9 n9 $9 029099 ^96 


IV. 
Rhapſodie 


uͤber 
das Verdienſt. 





SS tens taufóet in bem Strom ber Seiten 
eine 98elle nad) ber anbern fin; 

unb ber Ocean bet. Ewigkeiten 

ſammelt iren. bleibenden Gewinn. 

Sanft getränket wachſen am Geſtade 
Palmenſproͤßlinge zu 38álbern. auf, 

ſtreuen Schatten auf des Wandlers Pfade 
und erquicken ihn im matten Lauf. 


Wie der Hauch die leichten Luͤfte theilet, 
und mit Toͤnen, die die Laute ſchallt, 
zu ber Echo fernen Kluͤften eilet, 
bic fie dann vervielſacht wlederhallt — 
alſo ſchwimmt in immer weitern Kreiſen 
ſpaͤte Wirkung um die Urſach' her, 
und aus edlem Thatenſchweiß der Weiſen 
quillt der Enkelwelt ein Segensmeer. 

Na 


Heil 


f^Avf^ 184. às» 


Heil ben Edlen, bíe be8 Erdenlebens 
kurze Dauer bis zum Sternenzelt 
dehnen! — deren Fackel nicht vergebens 
noch der Zukunft ferne Nacht erhellt! 
Heil den Edlen, denen Lorberkronen, 
die die unbeſtochne Nachwelt flicht, 
jene wirkungsreichen Siege lohnen, 
bie nut bleibendes Verdienſt erficht. 


Weſenlos und eitel, gleich dem Schatten, 
flieht der Meiſten Leben! — Weit vom Ziel, 
wie des Bogens ſchlaffe Senn', ermatten 
ihnen Thaͤtigkeit und Selbſtgefuͤhl; 

Nur ein Muth, der Lohn und Ehre fodert, 
weil er duldend keinem Kampf entflieht, 

iſt ein Feuer, das unſterblich lodert, 

wenn es in des Edlen Bruſt ergluͤht. 


Nicht am Staub, der ſeinen Geiſt umhuͤllet, 
weilt der Edle, traͤg, und thatenlos; 

und dies Leben, das am Grab verquillet, 
ſcheint ihm, dem Unſterblichen! nicht groß; 
Nicht im Freudentaumel, bet. vermorren 
eitie Scenen au. einanbet. veibt, 

pfüdt ev Blumen nur, bie ſchnell verborrer, 
ſondern pflanget. ſelbſt ber. Ewigkeit. 


Jeden 


U(Ox3vFA 195 4e 


Jeden Trieb, ber (ei^ im Buſen fpielet, 
zeitigt er durch Ernſt zur Maͤnnerkraft, 
unb ber Weisheit hehre Palme kuͤhlet 
jede raſch entglommne Leidenſchaft. 
Selbſt die Wolluſt, dieſes Lebens Wuͤrze, 
wie der Selbſtbetrogne gern ſie nennt, 
taͤuſchet ihn umſonſt, weil er die Kuͤrze 
ihrer ſuͤßen Schmeicheleien kennt. 


Jenſeit dieſes Lebens enger Schranken 
winkt das Ziel, wohin mit ſichrer Hand 
er den Bogen wirkender Gedanken, 
ernſten, unverwandten Blickes ſpannt; 
Stets ber ernſten Tugend wuͤrdig handeln, 
und hinan zu ihrem Heiligthum 
des Verdienſtes ſteile Pfade wandeln — 
iſt fein Wechſelbrief auf Ehr' unb Ruhm. 


Gleich dem Landmann, der an heitern Tagen 
in der Saat, die kaum der Furch' entbluͤht, 
ſchon die Segenſchwangern Erntewagen 
und den Freudenkranz der Schnitter ſieht — 
blickt ſchon im Entſchluß zur That des Weiſen 
Auge zur Vollendung froh empor, 
und die Hymnen, die ihn kuͤnftig preiſen, 
cubren jetzt ſchon ſein empfindlich Ohr. 


N3 Wenn 


186 ^w» 


Wenn zu Staub be& Lebens Blume finfet, 
wirkt durch Schoͤpſerkraft nod) ſein Verſtand; 
denn zu Wirklichkeit und Leben winket 
der noch was er dachte, that, empfand. 

Ein Gedanke wirkt auf Millionen, 
ſchafft zu Gaͤrten Wuͤſten um, und lenkt 
wilde Fluthen, ober ſtuͤrzet Thronen — 
wann ihn eine groſſe Seele denkt. 


Ein Gedanke von dem reinen Feuer 
eines hohen Genius entfacht, 
und in Einklang mit der großen Leier, 
die der Vorſicht Rechte ſpielt, gedacht; 
hallt durch jegliches Jahrhundert wieder, 
welches ec zur ſanften Bildung rief, 
und beſeelt der Weisheit Jubellieder, 
die vor ihm in rauhen Buſen ſchlief. 


Wie beſtrahlt vom milden Sonnenlichte 

tauſendfache Purpurtrauben gluͤhn, 

und aus dem Geringſten ihrer Fruͤchte 
wieder nene Rebenhuͤgel bluͤhn — 

alſo muͤſſen, von dem Geiſt beſchienen, 

der den Staub zu Gottes Bildniß weiht, 
auch Gedanken einſt zu Thaten gruͤnen 

und zu Fruͤchten fuͤr die Ewigkeit. 


Durch 


f^ 197 9 


Durch ber. &innfid)feit zu weiche Bande 
an den Staub gefeſſelt, der ihn traͤgt, 
aber mit dem hoͤhern Vaterlande 
burd) oen Geiſt, der ſich allmaͤchtig regt, 
benkt, und wirket — enger noch verbunden, 
fampft oer Menſch hinauf zum Sternenzelt, 
und den Sieg der ſchnellen Lebensſtunden 
front der Beyſall einer ſpaäͤten Welt. 


Und er ſolte noch am Eitlen kleben, 
dieſer Freund der Gottheit, deſſen Bild 
durch ein edles thatenreiches Leben 
ſerne Zukunft mit Bewundrung fuͤllt? 
Nein! entzuͤckt begruͤßen wir die Hallen 
deines Tempels, o Unſterblichkeit! 
und mit frommer Eiferſucht, die allen 
Deinen Helden Opferweihrauch ſtreut. 


Deinen Helden, die vor Schwerdt und Speeren 
niederſanken, noch vom Feind geehrt; 
oder die an duftenden Altaͤren 
milde Sittlichkeit ihr Volk gelehrt; 
Deinen Helden, die zum Trotz der Wellen 
kuͤhn die erſte Barke ausgehoͤhlt; 
oder die, den Erdkreis zu erhellen, 
ſpaͤt verborgner Lampenfleiß beſcelt. 


9t 4 Denn 


188 ^w 


Denn am Harmonienband ber Liebe 
fuͤhrt mit ſanfter, muͤtterlicher Kraft, 
das Verhangniß alle ſuͤßen Triebe 
ernſter Kunſt, und ſchoͤner Wiſſenſchaft. 
Wer der Herrſchaft goldne Zuͤgel lenket, 
Samen in die Fruͤhlingsfurche ſtreut; 
Schlachten ordnet, oder Frieden denket — 
foͤrdert gleich bie Allvollklommenheit. 


Wer wie Friedrich ſelbſterkaͤmpfſten Staaten 
jedes Segens goldnes Fuͤllhorn leert; 
und ein Muſter nie erreichter Thaten 
den Monarchen aller Zeit gewaͤhrt; 
ſich im Panzer ewige Trophaͤen, 
in der Toga Friedenstempel baut, 
und mit holdem Blick von Marmorhoͤhen 
auf der Muſen Veilchen niederſchaut; — 


Wer mit ſtrenger unentweihter Rechte 
das ihm anvertraute Ruder lenkt; 
ſelbſt die ſuͤße Ruh erſparter Naͤchte 
gern dem Flehn gedruͤckter Armen ſchenkt; 
Wer, des Friedens Kuͤnſte zu beſchatten, 
Pallas heilige Oliven pflanzt, 
unter deren Schutz auf Blumenmatten 
Fleiß und Reichthum mit den Freuden tanzt; 


Wer 


FMAvYA 180 ^ 


Wer aud) ín be$ Wirkens eng'te Schranken 
vom Verhaͤngniß eingeſchloſſen ward, 
doch mit edlem Biederſinn Gedanken, 
Geiſt und Kraft zum Wohl der Menſchheit ſpart; 
bald durch ſanfter Tugend Lockungstoͤne 
junger Herzen Saitenſpiel beruͤhrt, 
bald durch Bildungskraft des Staates Soͤhne 
mit der beſſern Buͤrgerkrone ziert; — 


Dieſen allen winken jene Kronen, 
die im Tempel der Unſterblichkeit 
alle ſchoͤngelungne Gbaten. lohnen, 
welche niedre Abſicht nicht entweiht. 
Dieſen allen huldigt die Empfindung 
reger Ehrſucht, die ſo ſuͤß uns taͤuſcht, 
wenn ein Held nach kuͤhner Ueberwindung 
jedes Kampfs von uns Bewundrung heiſcht. 


Dieſen Helden, die das Erdenleben, 
das als Raupenſtand der Thor verhoͤhnt, 
ſchon zur Goͤtterthaͤtigkeit erheben, 
die Unſterblichkeit und Ehre kroͤnt; 

Dieſen Helden laßt uns Maͤler bauen 
und der Muſen Lobgeſaͤnge weihn: 

laßt uns ſtolze Marmorſaͤnlen hauen, 

und mit Blumenkraͤnzen fromm umſtreun! 


N5 Zwar 


CMM 1900 X 


Sivas Bebürfen Cie ber. Mormorſaͤule 
nicht; auf allen Lippen ſchwebt ihr Ruhm! 
doch bafi bier ber. Juͤngling ſtumm verweile, 
hier bey des Verdienſtes Heiligthum 
unruhvolle Herzensſchlaͤg' empfinde, 
und ſich dann, zum Heldendienſt der Welt, 
jeder Wolluſt traͤgem Schlaf entwinde — 
ſey ihr Ehrendenkmal aufgeſtellt! 


Nicht vergebens haucht um ihre Huͤgel 
noch der Athem der Begeiſterung; 
und uns hebt zum Ruhm auf ſtolzem Fluͤgel 
ihrer Thaten Ruͤckerinnerung; 
Wie der Eiche Saft durch jede Roͤhre 
junger Aeſte friſches Leben briugt, 
wirkt das ſanſte Beyſpiel ihrer Ehre 
auf ein Herz, das Thatendurſt durchdringt. 


Moͤge dann in ſteten Harmonien 
That und Wirkung aller Edlen ſtehn! 
moͤgen Lorbern, welche ſie umbluͤhen, 
fib aud) einſt um unfte Locken drehn! 
Kein Gedank' entffattre je vergebens 
unſerm Geiſt in leere Zukunft hin, 
uub bie kleinſte Welle dieſes Lebens 


mee" einſt unſern bleibenden Gewinn! 
Selmar. 


Recen— 


Recenſionen. 


I. 
Sragmentari(de Beyträge 


aur 

Beſtimmung unb SDebuction des Begriffs unb 

Grundſatzes ber Gaufalitát, unb zur Grund— 

legung ber natürlid)en X Geologie, in Beziehung 

auf bie Kantiſche Philoſophie. Von Joh. 
Friedr. Flatt. Leipzig 1788. 8. 


S. in dieſem Werk enthaltnen ſcharfſinnigen tnter: 
ſuchungen muͤſſen uns um deſto willkomnmer ſeyn, je 
hoͤher das Ziel iſt, zu. dem der tiefdenkende Verfaſſer 
Dinjfivebt', ein Ziel, deſſen Erreichung ben kuͤhnſten 
Flug der menſchlichen Vernunft gebietet, und deſſelben 
wuͤrdiger iſt, als irgend ein andrer Gegenſtand unſrer 
geſammten Erkenntniß. Die Erhaͤrtung ber. Wahr—⸗ 
heit und Rechtmaͤßigkeit des Beweiſes der Exiſtenz 
Gottes iſt es, worauf die angeſtellten Unterſuchungen 
des Begriffs von Urſache, unb ber Grundſaͤte bet 

Caußali⸗ 


FM 194. ^v 


Caußalitaͤt abzwecken; bie affo ſchon in dieſer Studis 
ſicht jedem Denkenden ſchaͤtzbar ſind, der es fuͤhlt, 
daß das practiſche Poſtulat welches Kant ſtatt der 
Vernunfterkenntniß vom Daſeyn Gottes ſubſtituirt, 
die Stelle derſelben nicht erſetze — der es fuͤhlt, daß 
Glauben aus Beduͤrfniß immer ein Glauben, und nie 
eine unerſchuͤtterliche Ueberzeugung ſey, an der doch 
in dieſem Falle dem ganzen menſchlichen Geſchlechte 
unendlich viel gelegen iſt, und ſeyn muß. 


Der Verfaſſer hat bie Kantiſchen Behauptungen, 
die Lehre von der Caußalitaͤt betreffend, mit wahrem 
philoſophiſchen Geiſte geprüft, unb durch ben Ueber— 
blick uͤber das gedachte ganze Syſtem, der nicht ſelten 
hervorleuchtet, bewieſen, daß er ſeinem Gegenſtande 
gewachſen war. 


Um deswillen glaubt auch Recenſ. in der Darle⸗ 
gung der Gedankenreihe deſſelben etwas ausfuͤhrlichet 


ſeyn zu muͤſſen. 


Die ganze Abhandlung iſt in vier Fragmente 
abgetheilt. 
Erſtes Fragment. 
In dieſem erſten Fragmente unterſucht der Verf. 


tie verſchiedenen Beſtimmungen des Begriffs von llt; 
ſache, 


FM 195 ^w- 


fade, unb bringt alle Erklaͤrungen beffelóen untet brey 
Arten. Der Begriff von Urſache kann 


I. durch ben Begriff ber Scit beſtimmt werden: A 
ift oie Urſach von B, wenn ed. beftánbig ver B 
votfergeft. Dieſer Begriff, ben Hume aboptirt, 
wird von Verfaſſer der ceinfinnlidoe genannt $ 
unb deswegen als der einyigmógliche vermorfen» 
weil Der Vorderſatz, worauf fib Hume fiut, 
wenn er ihn fuͤr den einzig moͤglichen erklaͤrt, daß 
nemlich alle unſre Begriffe Abriſſe von ben Gu 
pfindungen unſrer aͤußern oder innern Sinne ſeyn, 
unrichtig iſt. Doch erklaͤrt ſich der Verſaſſer 
dahin, daß nur dieſer Begriff in einer empiriſchen 
Seelen- obet Koͤrperlehre vorkommen duͤrſe. (Al⸗ 
lein da die reinempiriſche Seelenlehre nicht bloß die 
Wirkungen ber ſinnlichen Erkenntnißkraͤfte, fen 
dern auch die des Verſtandes unterſuchen kann 
unb muß, ba aud) dieſe zu ben empiriſchen Ge⸗ 
geuſtaͤnden gehoͤren, fo ſcheint bie gedachte Be⸗ 
hauptung nicht beſtimmt genug gu ſeyn, unb eis 
gentlich ſoviel ſagen zu wollen: wenn man in 
der Seelenlehre annimmt, daß wir ſchlechterdings 
nicht im Beſitze andrer Begriffe ſind, als ſolcher, 
die von Eindruͤcken auf unſre Sinne entſtehen, ſo iſt 
auch kein anderer Begriff einer Urſache zulaͤſſig, als 
der reinſinnliche.) Der Begriff einer Urſach kann 


2) 


WP» 1906 4 


2. butd) Cateaorien, ofne Cinmifdjung ber Seltbe: 
dingung, beſtimmt werden. Man verbinbet bert 
Verſtandesbegriff Grund mit bem Verſtandeshe⸗ 
griffe Wirklichkeit, und denkt ſich einen Begriff 
von Urſache, der gat feine Seitbebinqung ín fid) 
ſchließt: wenn man fid) A als das vor(tellt, was 
den Grund eines von ihm reell verſchiedenen B 
enthaͤlt. Dieſer heißt der reintransſcendente 
Begriff von Urſache, und er liegt in Leibnitzens 
Syſteme zum Grunde. Sehr buͤndig widerlegt 
der Verſ. den Einwurf, den Kant dagegen macht, 
wenn et (Gr. b. v. 3B. S. 30. ate Aufl.) lagt: 
„Vom Begriffe ber Urſach wuͤrde id), wenn id) 
bie Zeit wegließe, in der etwas auf etwas amt: 
ders nad) einer Regel folgt, in ber. reinen Cate: 
gorie nid)té weiter finben, als bag e$ fo etwas 
fto, woraus fid) auf ba$ Daſeyn eines anbetn 
ſchließen (apt; unb e wuͤrde baburd) Urſach unb 
Wirkung gar nid)jt von einander unterſchieden 
werden fónnen.,, Denn nad Leibnitz ift ein 
Grunb nicht bloß fo etwas, woraus fid) auf et⸗ 
was andres ſchlieſſen laͤßt (welches freylich von 
der Wirkung in Beziehung auf die Urſach auch 
gilt,) ſondern etwas (A) wotaus begriffen moet; 
den kann, warum etwas andres (B) und 
warum es grade ſo und nicht anders ſey, (Nouv. 
eff. fur l'ent. hum. L. 1V. ch. 17. Theod. 

P. I, 


W^f^ 197. ^w 


P.L. $. 44.) Dies ift nun ſchlechterdings auf 
bie Wirkung nicht anwendbar; aus der elden laͤßt 
ſich wol ſchließen, daß die Urſach daſey, daß 
ſie ſo und nicht anders ſey, aber nicht begrei⸗ 
fen, warum ſich dies alles ſo verhalte. 


Die Schwaͤche des Kantiſchen Ginmurfé wird 
nod) fetner daraus gewieſen, daß Sant ſelbſt ber 
reintransſcendenten, von aller Zeitbedingung 
freien, Begriff der Urſach gebrauche, weil ſonſt 
eine offenbare Ungereimtheit heraue kommen wuͤr⸗ 
be, wenn er einmal behauptet (Cr. b. v. V. r(te 
Ausg. S. 37. 2te Ausg. €. 54. 1.) taf tein 
trandfcenbentafeó Object. unter. einer. 3citbebins 
gung ſtehe; unb an einem anbern Orte ſagt: 
(Droleg. zu einer jeden fünftigen. 3etapf. 
€. 153. 179.) bap bem Menſchen, als einem 
Dinge an ſich, unb ber Gottheit Caufalitát durch 
Vernunft zugeſchrieben werden muͤſſe. 


Endlich wird gegen Hrn. Jacobi (Ideal. und 
Real. S. 94. c.) gezeigt, daß ber Begriff ber 
Gleichzeitigkeit eben ſo wenig, als der Begriff 
von Succeſſion, nothwendig in ben Begriff von 
Urſache gebóre. — Denn erſtlich verwechſelt Sar 
cobi ben Begriff von Grund und Urſach; alecanm 
ſtuͤtzt er ſeinen Beweis auf den unerweislichen 

Philoſ. Mag. 2, St. O €o$, 


CA^ ro9gg wax 


Satz, daß ber SBernunftf-ariff von Urſach unb 
Wirkung aus bem Vethaͤltniſſe des Praͤdicats 
jum Subjecte, bet Theile gum Ganzen genom⸗ 
men ſey; und endlich ſchließt er, daß, weil der 
Begriff gar nichts von einem Hervorbringen 
ober Entſtehen enthalte, das objectiv waͤre, llt: 
ſach und Wirkung zugleich nicht in einander ſeyn 
muͤſſen. Aber daraus, daß A unb B nidt auf 
einander folgen, (apt (i) nur alsdann auf Gleich⸗ 
zeitigkeit ſchließen, wenn man vorauéje&t, baf 
beyde in bet Zeit eriftiren. Nun laͤßt fib aber 
ber Begriff ber Seit keinesweges auf das blof 
Objective (bie Dinge an fid) amvenben; unb 
es giebt fe(b(t nad) Sjacobis eigenen Worten feine 
objectiv teelfe Succeſſion. Daher wird Syacobi$ 
S5efauptung von bem Verſaſſer mit Sted)t. vcri 
worfen. — Cublid) ent(tefr 


3. Cin Begriff ber Urſache von gemiſchter Natur, 
wenn man die Beſtandtheile der beyden vorigen 
ganz, oder zum Theil in einen Begriff vereinigt. 
Dieſer Begriff laͤßt ſich auf dreyerlei Art beſtim⸗ 
men: a) Kann man die Zeitbedingung bloß auf 
das, worauf ſich die Urſach bezieht, (die Wirkung) 
einſchraͤnken, und ſagen: Urſach iſt das, was 
den Grund von der Entſtehung eines andern, 
ober bem Daſeyn deſſelben in oer Seit uͤberhaupt 

ent: 


fMMTM  I99 ^ac? 


enthaͤlt. So naͤhert fid) ber Begriff bem vein, 
transicenbenten, b) Kann man aud) zugleich bie 
Urſach ſelbſt bet Seitbebingung untermerfen; unb 
benft fid) ben Begriff fo: A ift 0er Grund von 
B, menn e$ &eftánbig vor demſelben votferaebt 
unb baffelbe nothwendig 6e(timmt. Dieſer Be⸗ 
griff fommt bem reinſinnlichen náfer; unb fíeat 
bey ber unentwickelten Vorſtellung der Menſchen 
von Urſache yum Grunde. c) Sam man ben Ver⸗ 
ſtandesbegriff Nothwendigkeit bloß mit ber Vorſtel⸗ 
lung von Succeſſion verbinden; und ſich den Be⸗ 
griff ſo denken: A iſt die Urſach von B, wenn es 
etwas iſt, worauf B nothwendig folgt. Dieſer 
Begriff liegt zwiſchen den beyden vorigen in der 
Sy itte. 


Sweytes Scagment, 


Dieſes Sragment enthaͤlt Bemerkungen uͤber bie 
Ableitungen oer Begriffe von Urſachen, unb ber bat: 
auf fid) beziehenden allgemeinen. Grundſaͤtze. Man 
fann bey ber Deduction bes Begriffs von Urſache einen 
doppelten Weg einſchlagen; entweder man [e&t bie allz 
gemeinften Grundſatze oer Caufialitát (alle, was ge⸗ 
ſchieht, ober überbaupt: alle Sufátliqe, Dat eine llt: 
fad) voraus, unb (eitet bieraus bie iealitat bed Be⸗ 
gri[f$ von Urſache fer; ober man ſucht dieſe Realitaͤt 

O 2 dar⸗ 


"W^iv'f^ ooo ^w 


darzuthun, ofne bie Voraus ſetzung jener. allgemeinen 
Grundſaͤtze. 


Recenſ. bemerket gleich anfangs, daß bet 95e; 
griff von Deduction fiet in. einem andern Sinne ge: 
nommen merbe, aí ec in Santé Gr. b. r. V. vore 
fómmt. Der Verfaſſer verftet unter Deduction ei⸗ 
nes Begriffs einen Beweis der objectiven Guͤltigkeit 
deſſelben, eine Darlegung ber Gruͤnde, aus denen et: 
hellt, daß er nicht eine leere Vorſtellung ſey, ſondern 
daß ihm in den Objecten außer der Vorſtellung etwas 
correſpondire. Nach Kant bedeutet die Deduction der 
reinen Verſtandesbegriffe eine Darlegung der Gruͤnde, 
aus denen ſich ergeben ſoll, daß die angeblichen Catego⸗ 
rien wahre Categotien, b. i. Verſtandesbegriffe ſeyn, 
die einzig unb allein a priori im Verſtande ihren Ur⸗ 
ſprung haben. 


Ob nun gleich dieſer doppelte Begriff der De⸗ 
duction vom Verfaſſer ſelbſt (p. 54. 55.) ausdruͤck⸗ 
lich unterſchieden wird, ſo ſcheint doch die Verwechſe⸗ 
lung beyder Bedeutungen zuweilen, und beſonders bey 
Beurtheilung der Kantiſchen Deduction des Begriffs 
von Urſache, zu einigen Mißverſtaͤndniſſen unb viet 
leicht nicht ganz beſtimmten Urtheilen Anlaß gegeben 
zu haben. 


Das 


FRA» 20I "X 


Das wotliegenbe zweyte Fragment theilt (id) itt 
zwey Abſchnitte. 


1. Ueber die Deduction des Begriffs oder 
der Begriffe von Urſach. 


Zuerſt werden die bemerkungswertheſten Deductlo⸗ 
nen des Begriffs von Urſache aufgeſtellt, die uns von 
den alten griechiſchen Dogmatikern uͤbrig geblieben ſind. 


Einige derſelben beruhen offenbar auf bem allge⸗ 
meinen Princip: Nichts entſteht ohne Urſach; oder 
auf dem noch allgemeinern: Alles was anders ſeyn 
koͤnnte, als es iſt, ſetzt eine Urſach voraus. z. B. die 
von Sextus aufbehaltene (Adv. Phyf. I. S. 200. 
ff. Pyrrhon, hypot. L. IIl. C. III. S. 17.) 


Andere, faͤhrt ber 9Berfaffer fort, finb von bem 
allgemeinſten Gefetse ber. Gaufalitát unabbángig; uns 
tec. biefen zeichnen fid) biejenigen aud, bíe von bet Er— 
zengung oͤrganiſirter Koͤrper, obet uͤberhaupt von ber Re⸗ 
gelmaͤßigkeit mehrerer Naturbegebenheiten hergenom⸗ 
men ſind. Man ſchloß: weil der Saame Urſach iſt 
von bern, was daraus erzeugt wird, (adv. phyf. J. 
196.) und weil ſo viele Naturbegebenheiten nur unter 
gewiſſen Umſtaͤnden erfolgen; ſo muß man dem Begriſſe 
von Urſache allerdings Realitaͤt zugeſtehen. Dleſer 

O3 Be⸗ 


F^" 202 ""-À9«s 


Beweis iſt, nad) bem Urtheile tee. Verſaſſers nicht 
in ber Staͤrke vorgetragen, bie er haben kann. 


Noch ſchwaͤcher ſind andre Deductionen, in denen 
theils eine petitio principii, theils ein Trugſchluß 
entba(ten iſt. Su ber erften Art gehoͤrt bie, welche 
Sextus adv phyf. I. 197. anfübrt; unb ju ber an: 
bern foigenbes ſonderbare Dileum: (adv. phyf. I. 
S 204.) „Wenn jemanb bie Wuͤrklichkeit ber Urſachen 
leuanet, fo befauptet et feinen. af entweder ohne 
Urſach, ober nicht. Sym erften all ift feine Behaup⸗ 
tung níóté, unb ím anbern widerſpricht et fid) felb(t; 
weil eben baraué, baf et [eine SSebauptung auf cine 
Urſach ſtuͤtzt, nothwendig folgt, baf e Urſachen gebe. ;, 
Es ift offenbar, bafi bier Idealgrund unb Realgrund 
mit einanber verwechſelt voerben. 


Die neuern Weltweiſen faben fid) beſonders auf 
SBeranfaffung des Humiſchen Skepticiſmus das Ver— 
dienſt gemacht, die Luͤcken, welche die Alten in den 
gedachten Deductionen uͤbrig ließen, entweder ganz 
oder zum Theil auszufuͤllen. Die Methode, deren ſie 
ſich dabey bedienten, ift dreyfach; fofetn man auf bie 
Quellen Ruͤckſicht nimmt, aus welchen ber Begriff 
von Urſach und die Realitaͤt deſſelben abgeleitet wird. 
Die Deductionen nach der erſten Methode ſind rein⸗ 
empiriſch, oder ganz von der Erfahrung abhaͤngig 

(a 


203 


(a pofteriori) ; bie nad) bet zweyten, von oet Erfah⸗ 
rung gans unabbángig (a priori, im (trenoften 
Sinne), unb bíe endlich nad) ber dritten, falten fid) 
ín oet Mitte zwiſchen ben beyden erſten. 


Bey einer Deduction der erſten Art leitet man 
den Begriff von Urſache bloß aus der Erfahrung her, 
und muß dennoch die Rechtmaͤßigkeit, oder objective 
Realitaͤt deſſelben auf die Behauptung ſtuͤtzen: daß 
in der Erfahrung das liege, was der Begriff enthaͤlt. 
Dieſen Weg zeichnete Locke vor; und viele folgten ihm 
auf demſelben nach. Hume (verm. Schr. 1I. Sf. 
VAI. Verſ. S. 173.) leitete aus der Verfahrungsart 
her, daß dem Begriffe von nothwendiger Verknuͤpfung 
zwiſchen ſogenannter Urſach unb Wirkung feine Reali⸗ 
taͤt zukomme, da die Erfahrung nur lehren koͤnne, daß 
A unb B gewoͤhnlich mit einander verknuͤpft ſeyn. 
Dies muß man entweder zugeben, oder die Lockiſche 
Methode verlaſſen, oder ſich tiefer in die Unterſuchung 
der Frage einlaſſen, inwieſern die Idee (der Begriff 
ſoll es heißen, nad) bem von Hr. Kant richtig ange; 
gebnen Unterſchiede) der Nothwendigkeit, aus der Er⸗ 
fahrung geſchoͤpft und in derſelbengegruͤndet ſey. Dies 
letztre haben Tetens (Phil. Verſ. B. 1. S. 317.) 
Feder (Ueb. 9taum unb Cauß. S. 146.) unb Jacobi 
( Ideal. unb Real. €. 106.) gethan. 


O14 Von 


KM 204 ^w 


Von gang entgeaenaefc&ter Art ift. eine Deduction 
des vorliegenden Begriffes nach der zweyten Methode, 
welche Kant ín ber Qr. b. v. V. befolgt. Er ſtellt 
ben Grundſatz auf: „Die Categorien (gu welchen ber 
Begriff von Urſache gehoͤrt) muͤſſen a priori im Ver— 
ſtande zum Grunde liegen, weil ſie die Erfahrung aller⸗ 
erſt moͤglich machen; und in dieſer Hinſicht muß ihnen 
auch objective SRealitát gutommen, ,, — (€r, b. v. V. 
r. Auf S. 92.) Dieſem Grundſatze gemáf, fc&t 
ber Verf. hinzu, bebucirt er bie Jicalitat bes Begriffs 
von Urſache baber, weil obne benfelben bas Erfah—⸗ 
rungéuttei(, bag etwas entftebe, ober aefcbebe, 
nid)t nióglid) feo. Man finbet bier bie obem gemachte 
Bemerkung beſtaͤtigt. 


Da der Verfaſſer unter einem reellen Begriffe 
einen ſolchen verſteht, dem etwas wirkliches in den 
Objecten, oder den Dingen, ſofern ſie außer unſrer 
Vorſtellung, und von derſelben unabhaͤngig ſind, ver⸗ 
ſteht (p. 55 ), unb zugleich annimmt, Kant habe in 
ſeiner Deduction die XXealitát des Begriffes von lr; 
fad) darthun wollen, fo liegt bier offenbar ein Mißver⸗ 
ſtaͤndniß zum Grunde, das auch noch unten einen nicht 
unwichtigen Einfluß aͤußert. Es iſt Kants Abſicht 
nicht, und kann es nicht ſeyn, in der Deduction der 
Categorien zu zeigen, daß ihnen in den Dingen außer 
unſrer Vorſtellung etwas reſpondire; denn er erweiſet 

ja 


FMAMT 205 ^um 


ja ausdruͤcklich, daß mir von dieſen nichts wiſſen, fot: 
dern bloß mit Erſcheinungen, b. i. mit jubjectioen 
Vorſtellungen zu thun haben. Sym Kantiſchen Z inne 
bedeutet die Realitaͤt, oder objective Guͤltigkeit der 
Categorien; das Verhaͤltniß derſelben zu den Erſchei⸗ 
nungen, wodurch Erfahrung allererſt moͤglich, und 
ihre eigne Exiſtenz a priori nothwendig gemacht wird. 
Die Realitat der Categorien ín dieſer Bedeutung bat: 
zuthun, bas ift es, was Sant ín feiner Deduction bet: 
ſelben leiſten will: (Grit. b. r. 3B. r. Aufl. S. x28.) 
Es fann dennoch aud) nid)t bey bem Begriffe von Mt 
fade feine Abſicht ſeyn, au zeigen, baf bemfelben etwas 
in ben Dingen auper unſrer Vorſtellung entſpreche, 
unb daß man ſeine Realitaͤt in dieſer Bedeutung au: 
erkennen muͤſſe. 


Die noch uͤbrige dritte Methode, den Begriff 
von Urſache zu deduciren, die man die gemiſchte 
nennen koͤnnte, haͤlt ſich zwiſchen den beyden vorigen 
in der Mitte. Im Allgemeinen betrachtet, ſagt der 
Verſaſſer, beſteht ſie darin, daß man aus irgend einem 
nothwendigen ſubjectiven Geſetze des Verſtandes die 
Nothwendigkeit ableitet, den Begriff von Urſache mit 
gewiſſen empiriſchen Wahrnehmungen zu verbinden, 
in welchen an ſich die Vorſtellung von urſachlicher 
Verknuͤpfung nicht enthalten iſt. Dieſe Methode 
naͤhert ſich der erſten dadurch, daß ſie etwas reinem⸗ 

O 5 piti: 


fav 206 


piriſches vorausſetzt, námlid) dies, bag có ſolche em; 
piriſche Wahrnehmungen gebe, worauf ber Begriff 
von Urſache angewandt werden muß. Denn ſo lange 
dieſe ſehlen, (d. i. ſo lange es in der Erfahrung nichts 
giebt, was entſteht; oder uͤberhaupt, was zufaͤllig iſt,) 
bleibt auch der Begriff von Urſache ein leerer Begriff. 
Seine Realitaͤt kann alsdann nach dieſer Methode 
nicht erwieſen werden. Auf der andern Seite aber 
naͤhert ſich dieſe Methode der zweyten dadurch daß ſie den 
Satz, daß es Urſachen gebe, nicht aus ber Crfaf; 
rung, ſondern aus der Anwendung eines nothwendigen 
Verſtandesgeſetzes a. priori auf bie Erfahrung ableitet. 
Dieſe gemifd)te Methode laͤßt nun mehrere Modifica⸗ 
tionen zu. Man kann entweder die Frage: ob der 
Begriff von Urſache à priori, ober empiriſchen llt: 
ſprungs ſey, gang auf ber Seite (iegen laſſen, obet 
mit in Anſchlag bringen, unb bann entweder bie Prio⸗ 
titát des Begriffs ober ben reinempiriſchen, ober einen 
gemiſchten Urſprung deſſelben annehmen. 


(Von ben angegebenen Faͤllen aber deucht uns 
der eine unmoͤglich zu ſeyn, naͤmlich der, wo man 
dem Begriffe von Urſache einen reinempiriſchen Ur⸗ 
ſprung zuſchreibt. Wenn man in ber gemiſchten De⸗ 
ductionsmethode (von ber hier die Rede iff) annimmt, 
daß der allgemeinſte Grundſatz der Caußalitaͤt: nichts 


entſteht ohne Urſache, in einem nothwendigen Geſetze 
des 


Feu 207 "nee 


des Verſtandes aegrünbet fey, un^ alſo a priori ím 
SBer(tanbe (iege: fo mug man aud) eben bai, wenn 
man nid)t inconfequent. ſeyn will, von. bem Begriffe 
bet Urſach behaupten. Denn wenn eec Verſtand, ver: 
móge feiner Natur, unb unabbángig von ber Erfah— 
tung, mit bet Vorſtellung von etwas, das ent(tef)t, 
bie Vorſtellung einer Urſach verbinbet, fo. muß er aud) 
a priori unb unabhaͤngig von ber Grfabruna, im 95e; 
fi&e des Begriffs von Urſache ſeyn. 26er man fóunte 
eünvenben: bie Behauptung, daß der alfgeincinjte 
Grunbja& ber Caußalitaͤt a priori im Verſtande lieae, 
wolle nur fo vief ſagen: ber Verſtand fey fo eingerich— 
tet, baf er, wenn ifm fomof bie 3Borftelfung von Gt: 
was, baé entſteht, als aud) bie Vorſtellung einer Ur— 
ſach aus irgend einer Quelle gegeben werden, alsdann 
ſichs nicht denken koͤnne, daß Etwas, das entſteht, 
keine Urſach habe, daß er alsdenn dem Entſtehenden 
eine Urſach abzuſprechen nicht vermoͤge. Indeſſen 
muß man auch unter dieſer Bedingung einraͤumen, daß 
ber Begriff von Urſache a priori im Verſtande angus 
treffen ſey. Denn wenn das nidjt waͤre, fo wuͤrde 


1. der Satz, daß das allgemeinſte Principium der 
Caußalitaͤt a priori im Verſtande liege, gar keine 
Bedeutung haben. Von einer Vorſtellung, in 
deren Beſitz ber Verſtand nicht a priori ift, 
kann man weder ſagen, daß er ſie einer gewiſſen 

an⸗ 


fv 208 ^" 


anberm bavon verſchiedenen Vorſtellung an fid, a 
priori, unb unabbángig von bec Grfabrung ablpre; 
den, nod) baf et fie berfelben nídyt abſprechen tónne, 


2, St € ab: bafi bas allgemein(te Geſetz bec Caußa⸗ 
litaͤt a priori im Verſtande liege, kann weiter 
feine Bedeutung faben, als biefe : Mit der Form, 
bie im Verſtande ift, fofern er Etwas denkt, 
das entſteht, ift aud) a priori bie Form 
nothwendig verbunben, bie daſeyn muß, fofern 
et eine Urſach bentt. — woher e$ denn Cómmt, 
baf ct, ſobald beyde 3Borftellungen yum Semuts 
feon tommen, fie nid)t von einanber trennen fann. 
Wenn man alfo annimmt, baf oce hoͤchſte Grund⸗ 
fats der Gaufalitát a priori im Verſtande liege, 
fo mu$ man dies aud) von tem Begriffe einer 
Urſach einraͤumen. Da nun jene in der gemiſchten 
Deductionsmethode angenommen wird, ſo kann es 
auch keinen Fall geben, wo man nachderſelben ver⸗ 
ſahren, urb. bem Begriffe von Urſache zugleich ci 
nen reinempiriſchen Urſprung zugeſtehen koͤnnte.) 


Noch eine andre Modification ber gemiſchten Zoe; 
ductionsmethode, die ber Verf. für zulaͤſſig erklaͤrt, crit: 
ſteht daraus, wenn man ſtatt des allgemeinſten Princip 
der Caußalitaͤt: nichts entſteht ohne Urſoch, ein weniger 
allgemeines, etwa dies: alles was regelmaßig entſteht, 
fat eine Urſach, als ein Princip. a priori ſubſtituitt. 

Auf 


KMe*^ 209 5r.» 


Auf dieſe Betrachtungen ſolgt eine Pruͤfung 
der verſchiedenen angefuͤhrten Methoden, nachdem 
erſt vorlaͤufig bemerkt iſt, daß man bey einer ſolchen 
Pruͤfung wohl Achtung geben muͤſſe: 


1, ob es bloß darum zu thun ſey, den Urſprung des 
Begriffs zu erſorſchen, oder zu erklaren, wie wir 
zum Beſitze deſſelben kommen? eder vielmehr 
barum, bie Rechtmaͤßigkeit des Beſitzes, b. i. 
bie objective Realitaͤt des Begriffes vor Augen 
zu legen. Eine Deduction der erſtern Art nennt 
ec eine empiriſch pſychologiſche, unb eine bec 
letztern Art eine metapbyfifcbe, welcher er oer 
Namen einer Deduction eigentlich nur einraͤumt. 


2. (uf bie genaue Beſtimmung des Begriffes von 
Urſache, und 


3. endlich darauf, ob man die empiriſche oder trans⸗ 
ſcendentale Realitat erweiſen will. 


I. Was die erſte von ben oben angefuͤhrten De— 
ductions methoden betriſt, bie reinempiriſche, ſo faͤllt 
beo derſelben bie empiriſch pſychologiſche mit der meta⸗ 
phyſiſchen Deduction zuſammen. Denn wenn in dem 
Begriffe von Urſache weiter nichts iſt, als was wir aus 
der Erfahrung genommen haben, fo ift eben dadurch 


erwie⸗ 


F^ 2fyo 349 


ettoiefen, baf ibm etwas í(n ben Gegenftánben bet 
Erfahrung entfprece, unb baf er alfo Realitaͤt habe. 
Denn menn das nid)t waͤre, fo wuͤrden wir ben 25e: 
griff gut nicht haben. Der Begriff von Urſache iſt 
nun entweder reinſinnlich, oder reintransſcendent, oder 
gemiſcht, (f. Fragm. I.) unb die Realitat deſſelben im 
allen drey Faͤllen entweder empiriſch, oder transſcen⸗ 
dental, b. h. es reſpondirt bem Begriffe nicht allein 
etwas in. den Gegenſtaͤnden, wie fie und. (n. der Ctr 
fahrung erſcheinen, ſondern auch in ihm als Dinge an 
fij. Nimmt man den reinſinnlichen Begriff, fo kann 


lI. ſeine empiriſche Realitaͤt im hoͤchſten Grade 
wahrſcheinlich gemacht werden. Wir bemierken, 
daß auf cin gewiſſes A (fo viel voir wiſſen, ims 
mer) eim beſtimmtes B foífge; unb es ift alfo 
hoͤchſt wahrſcheinlich bag A immet vor B vorfet: 
gehe. ( Da es aber hier nicht um ben practiſchen 
Gebrauch des Begriffs von Urſache, wo wir 
uns allerdings mit einem hohen Grade der 
Wahrſcheinlichkeit behelfen koͤnnen, ſondern um 
die ſpeculative Anwendung deſſelben zu thun iſt, 
ſo iſt, nach unſerm Beduͤnken, mit Wahrſchein⸗ 
lichkeit nichts erwieſen.) 


2. Die transſcendentale Realitaͤt des Begriffs aber 


kann durch dieſe Methode gar nicht ausgemacht 
wer⸗ 


FeA*FA 2IYI - "we 


werden. Sf&enn man aud) bewieſen fjat, bag bem 
S5eariffe von Urſache ín ben Gegenſtänden bet 
Grfafrung, b. i. in. ben Erſcheinungen, etwas 
entípred)e, fo ai(t bod) ba$ deswegen nid)t von 
ben Giegenftanben, al$ Dingen an fid). 


Die Deduction oes transfcenoenten Begriffs 
von Urſache, die empiriſch waͤre, koͤnnte nach dem 
Verfaſſer ſo eingerichtet werden: Wir ſind durch ein 
Gefuͤhl, das fid) bey allen Menſchen, ſofern fie ver⸗ 
nuͤnftige und moraliſche Weſen ſind, nothwendig fin 
bet, genoͤthigt, gewiſſe Erfolge als abhaͤngig von utt; 
ferm Willen zu betrachten (ohne bie Vorſtellung von 
dieſer Abhaͤngigkeit wuͤrde Freyheit unb Moralitaͤt auf; 
gehoben werden.) Daher muͤſſen wir den Begriff von 
Abhaͤngigkeit unb Realgrund als reell erkennen. Auch 
behauptet Kant ſelbſt, (Prol C. 153.) taf dem Men⸗ 
ſchen, als einem Dinge an ſich, Caußalitaͤt durch 
Freyheit zukomme. 


(Bey dieſer Deduction findet Rec. folgendes zu 
bedenken: 


I, Das gedachte Gefuͤhl ift gang unentwickelt, unb 
bloß fubjectío; es ſtellt uns das Verhaͤltniß unſrer 
Haudlungen gegen ben Willen vor, wie cá als 
Erſcheinung, nicht wie es an ſich iſt. Denn 

durch 


Fay 2I2 wu 


burdj ein Gefuͤhl, ba alle Gefuͤhle finnlid fib, 
fónnen nur Erſcheinungen vorgeſtellt roe sen. 
Wenn mit alfo gleich bur) baffeibe gezwungen 
máren, gewiſſe Erfolge für abbangig von unſerm 
Wollen zu falten, fo folgt bod) daraus nicbt, taf 
fie es in ber That (inb; tafi aljo bem transſcen⸗ 
denten Begriffe von Urſache transjcenbentale 
Realitaͤt zukomme. Aber 


2. kann auch nicht die empiriſche Realität deſſelben 
durch irgend ein Gefübl erwieſen werden: denn 
ſonſt muͤßte ein reiner Verſtandesbegriff durch ein 
Gefuͤhl, alſo durch ſinnliche Erkenntniß vorge⸗ 
ſtellt werden. Dies iſt aber unmoͤglich, unb ger 
gen des Verfaſſers eigne Aeußerungen, wenn er 
(C. 80.) ſagt: ber ſinnliche Gegenſtand laͤßt 
ſich zwar anſchauen, aber nicht inſofern an⸗ 
ſchauen, als er, oder irgend etwas in dem⸗ 
ſelben, der Categorie correſpondirt. 


3. Die angefuͤhrte Behauptung Kants kann hier 
gar nicht gebraucht werden; denn ſie iſt, wie 
der Verfaſſer ſelbſt bemerkt, (S. 68.) ein klarer 
Widerſpruch gegen ſein uͤbriges Syſtem, da er 
als transſcendent. Idealiſt eine gaͤnzliche Unwiſ⸗ 
ſenheit von den Dingen an ſich geſteht und geſte⸗ 


hen muß.) 
II. 


f^ 213. — 


II. Die Beurtheilung ter. zweyten, ber Santi 
ſchen Methode, ben Begriff von Urſache gu bebuciren 
verfpart ber Verfaſſer auf ben folgenden Abſatz, weil 
fie nit der Beurtheilung des ollgemeinften Princips 
der Caußalitaͤt zuſammenhaͤngt. Hier macht er nur 
bie doppelte Bemerkung, daß die gedachte Deduction 
nicht [o unabhaͤngig vom Empiriſchen ſey, als Sant zu 
behaupten ſcheine, und daß ſie darauf angelegt ſey, 
die transſcendentale Realitaͤt des Begriffs von Urſache 
voͤllig umzuſtoßen. Denn, ſagt er weiter, entweder 
wird dabey die Wahrheit des Urtheils: es entſteht 
etwas, vorausgeſetzt, ober nicht. Im erſten Salle 
beruht die Richtigkeit der Deduction auf einer empiri— 
ſchen Wahrheit, bie nod) dazu von Sant nirgends ere 
wieſen wird. Im andern Falle laͤßt fid bie empiri— 
ſche Realitaͤt des Begriffs von Urſache nur hypothe— 
tiſch behaupten. 


(Allein hier ſcheint die Sache aus einem etwas 
unrichtigen Geſichtspunct betrachtet zu ſeyn. 


1. Wenn Sant behauptet, das Erfahrungsurtheil: 
es entſteht oder geſchieht etwas, feo gar nicht 
moͤglich, wenn nicht der Begriff von Urſache 
ſchon zum Grunde laͤge; fo koͤmmt à hier gar 
nicht auf die Wahrheit eher Unwahrheit des ac: 
dachten Urtheils, b. i. darauf an, ob tim auper 


Philoſ. Mag. 2. €t. P un⸗ 


24 "wu 


unſrer Vorſtellung etwas entfprifjt, oder nicht; 
ſondern bloß auf das Daſeyn deſſelben in der Vor⸗ 
ſtellung, welches von niemanden gelaͤugnet wer⸗ 
den kann. Kant wollte bloß die Prioritaͤt, und 
das nothwendige Verhaͤltniß des Begriffs von 
Urſache zu den Erſcheinungen darthun, nicht, wie 
ber Verfaſſer zu glauben ſcheint, (p. 70.) bie 
empiriſche Realitaͤt beffelben in bem Verſtande, 
worin ſie der Verfaſſer nimmt, und worin ſie 
die Beziehung des Begriffs auf etwas in den 
Gegenſtaͤnden bec Erſahrung aufer der Vorſtellung 
ihm entſprechendes bedeutet. 


2, Wenn Kant ín feiner transſtendentalen Aeſthetik 
die Zeit zu einer bloß ſubjectiven Form des innern 
Sinnes macht, fo kann er. freylich bem BVegriff 
von Urſache, in dem eine Zeitbedingung (die 
Vorſtellung vom Vorhergehen und Nachfolgen) 
iſt, keine Anwendbarkeit auf unſinnliche Objecte 
zugeſtehen; allein damit ſpricht er doch dieſelbe 
nicht jedem Begriffe von Urſache ab, nicht dem 
reintransſcendenten, worin gar keine Zeitbedin⸗ 
gung Statt findet. Er kann auch, nach ſeinem 
Syſteme dieſem Begriffe die transſcendentale 
Realitaͤt weder zugeſtehen noch abſprechen.) 


Einige Widerſpruͤche des Kantiſchen Syſtems, 
die der Verfaſſer bey dieſer Gelegenheit anfuͤhrt, 
ſind 


ffe DIS ^» 


ſind nad) des Verfaſſers Urtheil nicht aufzuloͤ⸗ 
ſen. Kant behauptet z. B. an dem einen Orte 
(Gr. d. v. $3. S. 240. t(te Aufl.) Categorien 
muͤſſen auf Erſcheinungen als ihre einzige 
Gegenſtaͤnde eingeſchraͤnkt werden; und an 
einem andern: (prol. 177. 179.) Categorien 
fónuen aud) von Dingen an fid) prábícirt met: 
ben. Ferner: (Grit. II. Aufl. S. 186.) oie 
Categorien fónnen einzig unb allein auf. füintid)e 
Anſchauungen angemanbt werden, weil fonft 
alle Bedeutung, d. i. Beziehung aufs Object, 
wegfaͤllt; unb man fid) durch kein Beyſpiel faß⸗ 
lich machen kann, was denn unter dergleichen 
Begriffen eigentlich fuͤr ein Ding gemeint ſey. 
Und ati einem andern Orte? (S. 305.) die teinen 
Categorien haben ohne formale Bedingungen der 
Sinnlichkeit transſeendentale Bedeutung. 
Wenn uͤberdem, ſetzt der Verfaſſer hinzu, die 
letzte Bedingung zur Anwendung ber. Gateóotlerr 
nothwendig waͤre, daß man ſich durch irgend ein 
Beyſpiel muͤßte faßlich machen koͤnnen, was fuͤr 
ein Ding unter dergleichen Begriffen eigentlich 
gemeint fep; fo müfite man auf ihren Gebrauch, 
felbft itt Abſicht occ Erſcheinungen, Verzicht 
thun. Denn cin Gegenſtand, mít deſſen ſinnlicher 
Vorſtellung ble reine Categorie durch den Ver—⸗ 
ſtand verbunden wird, laͤßt ſich zwar anſchauen, 


pa ic: 


fu*- or Ó wma» 


affein nicht inſofern anſchauen, als et, ober it; 
genb etwas in demſelben, jener Categorie cotre: 
fponbirt. Alſo kann man fid) aud) burd) fein 
Beyſpiel faflid) machen, was unter. berafeid)en 
Begriffe benn eigentlid) für ein Ding gemeint fey. 
Man muf alfo entroeoer auf ben Gebrauch ber 
Gategorien gánjlid) Verzicht tun, ober ifre An⸗ 
menbbarfeit aud) aufer oem Felde ber Erſcheinun⸗ 
gen. gugeben. 


Man fiet hieraus, wie ſchwankend das Santi 
ſche Syſtem gerade in der Hauptſache ſey, naͤmlich in der 
Beſtimmung der Grenzen des menſchlichen Verſtandes. 


III. Nach der dritten, der gemiſchten Methode 
wird eine doppelte Deduction des reintransſcendenten 
Begriffs von Urſache vorgeſchlagen. Man kann 


1. aus bem ſubjectiv nothwendigen Geſetze der 
Wahrſcheinlichkeit und aus dem Wahrnehmungs⸗ 
urtheile, daß es regelmaͤßige Auſeinanderfolgen 
gebe, den Satz ableiten: daß es irgend ein 4 
gebe, worin die Wirklichkeit von irgend etwas 
anderm gegruͤndet ſey. Je oͤfter auf ein gewiſ— 
ſes A ein beſtimmtes B fofat, deſto wahrſcheinli— 
cher ift cá, dag A ben Grund von B, ober irgend 
ein C ben. Grunb von bem Aufeinanderfolgen 

des 


fM L7 


des A unb B entfalte. (Allein ta c8 fiet auf 
ſpeculative Grtenntnig anfómmt, bie gewifi ſeyn 
muß, unb bie gedachte Methode mur Wahrſchein— 
lichkeit aiebt ; fo ijt ſie, wie e$ ſcheint, nicht zulaͤſſig) 


2. Kann man das allgemeinſte Princip bee Caufa: 
litaͤt: alles was entſteht, oder uͤberhaupt, alles 
zufaͤllige, fest eine Urſach Cim reintransſcendenten 
Sinne) voraus, unmittelbar aus einem noth— 
wendigen, vor aller Erſahrung hergehenden 
Denkgeſetze herleiten, und durch die Anwendung 
deſſelben auf Wahrnehmungen bie Realitaät des 
Begriffs von Urſache erhaͤrten. Hiebey koͤmmt 
es, außer der Anwendung aufs Empiriſche, auf 
zwey Fragen an: a) Iſt der gedachte allgemeinſte 
Grundſatz ber Caußalitat in einem nothwendigen 
Denkgeſetze a priori gegruͤndet? unb b) Iſt bas 
objectio wahr, worauf un$ nothwendige Denk— 
geſetze fübren ? 


Hievon im fofgenben Abſatze dieſes Sragmenté. 


2. lleber oie Ableitung der allgemeinſten 
Grundſaͤtze oec Caufialitar, 


A. Ueber die Ableitung der Grundſaͤtze bet 
Caußalitaͤt von einem nothwendigen Denkgeſetze; oder 
P3 S5eant; 


Few» 218 ^" 


Beantwortung ber gebadjten tagen, — Der Verfaſſer 
ſchraͤnkt fid) auf folgende beyde allgemeinſte Grund⸗ 
ſaͤtze der Caußalitaͤt ein, bey denen ber reintransſcen⸗ 
dente Begriff von Urſache zum Grunde liegt: 


I. alles, was entſteht, 


2. alles, was anders ſeyn koͤnnte, als cs ift, 
und uͤberhaupt alles zufaͤllig exiſtirende ſetzt, 
els ſolches, cine Urſach im reintrangſcen⸗ 
denten Verſtande voraus. 


Der erſte dieſer Grundſaͤtze heißt der Grundſatz 
ter Entſtehung, der andre bet Grundſatz oer 3uz 
faͤlligkeit. 


J. Was die erſte Frage betrifft, ſo laͤßt ſie ſich 
bejahen; und die Wahrheit der Behauptung kann auf 
eine doppelte Art erwieſen werden. Man kann 


T. ein empiriſch erweisbares Denkgeſetz zum Grunde 
legen, unb daraus bie Grundſaͤtze bcr Caußali—⸗ 
taͤt ableiten. Es laͤßt ſich naͤmlich nicht allein 
das allgemeine Geſetz: kein Urtheil iſt ohne 
Grund, ſondern auch folgendes ſpeciellere, als 
Erfahrungsſatz aufſtellen: der Verſtand kann 
tein Urtheil (bag nicht unmittelbar evident iſt) 

fuͤr 


219 v4» 


fuͤr wahr halten, unter ber Vorausſetzung, taf 
es aus keinem Grunde a priori hergeleitet wer 
ben koͤnne. Nun kann aber. ber Verſtand, als 
ſolcher, alle Urtheile, die ſich auf das Objective 
beziehen, nur inſofern fuͤr wahr halten, als ſie 
mit feinen. nothwendigen Denkgeſetzen uͤberein⸗ 
ſtimmen; und wenn er alſo durch ein ſolches Ge⸗ 
ſetz genoͤthigt iſt, unter der Vorausſetzung der 
Bedingung C bem Subjecte A das Praͤdicat B 
abzuſprechen, fo iſt er aud) genoͤthigt, bem. Ob⸗ 
jectiven, das der Vorſtellung A entſpricht, das 
Objective, das ber Vorſtellung D. cefponbirt, ats 
zuſprechen, unter ber Vorausſetzung einer objecti 
ven f5ebingung, bie ber Vorſtellung C cot: 
tefponbirt, 


Wenn alfo ber Verſtand das Urtheil: A ift B, 
unter der Vorausſetzung, daß es weder in der 
Vorſtellung A unb B gegruͤndet ſey, nod) aus 
irgend einer dritten Vorſtellung C als einem 
Grunde a priori abgeleitet werden koͤnne, nicht 
fuͤr wahr halten kann, ſo kann er auch die Ver— 
bindung des objectiven A mit dem objectiven B 
nicht fuͤr wahr halten, (als wirklich denken) wenn 
er vorausſetzt, daß ſie weder an ſich nothwendig, 
noch aud irgend einem objectiven Grunde a priori 
begreiflich fep, So fülrt ta$ oben angegebne 

P4 noth⸗ 


Four 220 "rb 


nothwendige Denkgeſetz auf ben Grundſatz: Alles, 
was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt, (was nicht 
an ſich nothwendig iſt) ſetzt als ein ſolches eine 
Urſach im reintransſcendenten Verſtande voraus. 


(Bey dieſer Schlußſolge, fo ſcharſſinnig fie 
aud) vorgetragen ijt, ſcheint uns doch cine Bedenklich⸗ 
feit übrig zu ſeyn. Wenn es erwieſen ift: Der Ver—⸗ 
ſtand kann bem Subject A das Praͤdicat B nicht bey: 
legen, unter Vorausſetzung der Bedingung C. (b. f, 
menn es im an einem idealen Wahrheitsgrunde fehlt); 
fo folgt daraus bod) nicht, bap ber Verſtand bem ob; 
jectíven A das objective B nid)t beylegen koͤnne, untet 
Vorausſetzung ber objectieen. Bedingung C. (b. i. 
wenn ce vorausfe&t, daß cé an einem objective. obe 
Siealatunbe von ber Wirklichkeit ber 2Berbinbung vott 
A un B febfe.) Die Bedingung der beyden Urtheile 
iſt offenbar verſchieden und verwechſelt, Der Schluß 
wuͤrde in ſchulgerechter Form ſo ausſehen. 


Jedes Urtheil: ALB, kann nicht ſuͤr wahr gehalten 
werden, unter der Vorausſetzung der Bedingung C. (o. t 


wenn es an einem idealen Wahrheitsgrunde fehlt, 
d. i. wenn das Urtheil nicht in ſich nothwendig 
iſt, und vorausgeſetzt wird, daß kein Grund 
deſſelben a priori daſey.) 

Das 


fuf 221 ^" 


Das Urtheil: bem objectiven A koͤmmt das ob: 
jective B. zu, ift ein Urtheil, wobey bie Vorausſetzung 
bec Bedingung C, welche D i(t, (tatt finbet, (b. i. 


wobey bíe Vorausſetzung ſtatt finbet, baf tie 
Verbindung be8 objectiven A mit bem objectíven 
B weber an fid) nothwendig, ned) baf cin. obz 
jectiver Grund derſelben a. priori bafey.) Alſo 
kann es nicht fuͤr wahr gehalten werden. 


Es ift offenbar, bag C im Unterſatze etwas 
andres bedeute, als im Oberſatze; daß alſo der Schluß 
vier Hauptbegriffe habe und nicht zulaͤſſig ſey. 


Es kann alſo, nach unſrer Einſicht, der Grund— 
ſatz, daß alles, was anders ſeyn koͤnnte, als es iſt, 
(mas nicht an fid) nothwendig iſt,) inſofern es ein fol; 
d$ ift, eine Urſach im reintransſcendenten Sinne 
vorausſetze, auf dieſem Wege nicht aus nothwendigen 
Denkgeſetzen hergeleitet werden. Da ſich nun der 
uͤbrige heil dieſer Deduction auf den gedachten Schluß 
ſtuͤtzt, ſo kann Recenſ. bey dieſer Art, die allgemeinſten 
Grundſaͤtze der Caußalitaͤt zu deduciren, mit dem Ver— 
faſſer nicht einerley Meynung fen.) 


Man kann aber bey der Ableitung der allgemein— 
ſten Grundgeſetze ber. Caußalitaͤt aus nothwendigen 
Denkgeſetzen 

?s5 2, 


F^Avf^ 2252 "we. 


2. ben umaefefrten , ben analytiſchen Weg einſchla⸗ 
gen, ba bet vorige fontfjetifd) war. Bey biefet 
Methode, fagt ber Verfaſſer, fanm man vou 
bem empitiſch erweisbaren Satze ausgehen, daß 
alle Menſchen bey ihren Urtheilen uͤber entſtandene 
Dinge, ſofern fie dieſelben als entſtanden denken, 
den Grundſatz der Entſtehung vorausſetzen. 
Hieraus ſolgt, daß cine ſubjective Nothwendig⸗ 
keit vorhanden ſey, jedes entſtandne Ding, als 
ſolches, als verurſacht von einem andern zu 
denken. Da nun dieſe Nothwendigkeit nicht in 
einer Taͤuſchung der Phantaſie, oder in irgend 
einer Gewohnheit ihren Grund haben kann, ſo 
muß dieſer in einem Verſtandesgeſetze a priori 
liegen. Dies Verſtandesgeſetz "ift, nad) bem 
Verfaſſer, das im vorigen Abſatze angefuͤhrte, 
welches dann zugleich den allgemeinern und von 
aller Zeitbedingung freyen Grundſatz der Zufaͤl⸗ 
ligkeit giebt. 


(Ob nun gleich bie Wahtheit dieſes letztern 
Satzes, unſrer Einſicht nad, nicht erwieſen ift, (f. ben 
vorigen Abſ.) ſo folgt doch aus dem Grundſatze des 
Entſtehens ter Grundſatz der Zufaͤlligkeit unmittelbar, 
und muß ſich entweder aus irgend einem Verſtandesge⸗ 
ſetze herleiten laſſen, oder ſelbſt als ein Verſtandesge⸗ 
ſetz betrachtet werden. Denn auf die Zeitbedingung 

koͤmmt 


f^AfA 223 ^w 


koͤmmt es bey bem erſtern offenbar gar nidjt an, Nicht 
die ganz heterogene Vorſtellung be$ Daſeyns in oer 
Zeit, die als ſolche nur ein Vorhergehn vorausſetzt, 
kann uns zwingen, menn wir uns etwas, bac entre: 
Det, denken, aud) eine Urſach im transſcendenten 
Sinne anzunehmen, (onbern bie Vorſtellung deſſen, 
das entſteht, inſoſern wir daſſelbe als zufaͤllig 
denken. 


Zuletzt widerlegt ber Verfaſſer einige Einwuͤrfe. 
die Kant der Ableitung des Grundſatzes der Caußali— 
taͤt aus einem Verſtandesgeſetze entgegenſtellt, die aber 
an ſich ganz unbedeutend ſind. 


lI. Beantwortung bet zweyten von ben oben 
votgelegten Fragen: Iſt bad worauf uns nothwendige 
Denkgeſetze fuͤhren, auch objectiv wahr? Objectiv 
wahr aber Dat eire dreyſache Bedeutung. Es heißt 
1) alles was in Anſehung der Menſchen allgemein, 
und unveraͤnderlich ſubjectiviſch iſt, was von allen 
nothwendigerweiſe ſo und nicht anders vorgeſtellt wird; 
2) alles, was von jedem Weſen, ſofern es Verſtand 
hat, fuͤr wahr gehalten wird; 3) alles, was auch außer 
der Vorſtellung da iſt; jede Vorſtellung, der auch in 
den Objecten, in den Dingen außer dem Verſtande, 
etwas Wirkliches entſpricht. 


In 


f^^ 224 — Tnm 


In bem er(ten Sinne muf bie objective Guͤltig⸗ 
feit dem allgemeinften Grundſatze ber Gaufalitát aller; 
dings zugeſtanden roerben, nad) bem was in bem vori—⸗ 
gem erwieſen iſt. Was aber im erften Sinne objectio 
mafjr i(t, bas müffen roít aud) für objectiv güítig im 
zweyten unb brítten Sinne halten. Denn r) faben 
mir nídt allein gar feinen. Grunb, das  Gegentbeil 
angunebmen, fonbern ſind genótbigt, unfte Denkgeſetze 
auf das Wirkliche anzuwenden, und eben deswegen 
aud) eine Harmonie derſelben mit ben Urtheilen andrer 
Geiſter gelten zu laſſen. 2) Die Einwuͤrſe, die man 
dagegen macht, ſind nichtig; ſelbſt der Kantiſche: daß 
man keinesweges von der ſubjectiven Nothwendigkeit, 
ben angefuͤhrten allgemeinen Grundſaͤtzen ber Caußali⸗ 
taͤt gemaͤß zu urtheilen, auf die objective Guͤltigkeit 
derſelben ſchließen koͤnne. (Cr. b, v. 38. 2te Aufl. 
S. 168.) Kant muß, wenn er nicht mit ſich ſelbſt in 
Widerſpruch ſallen will, das Gegentheil annehmen. 
Senn ec legt ſelbſt gewiſſen Saͤtzen (z. B. bem Grund⸗ 
geſetze der Sittlichkeit, dem Satze der Einſtimmung 
und des Widerſpruchs, und den daraus nothwendig 
folgenden Saͤtzen,) theils ausdruͤcklich, (Grundl. zur 
Met. d. Sitt. S. 28.) theils ſtillſchweigend, objective 
Guͤltigkeit im zweiten Sinne bey. (Grit. I. Aufl. 
S. 52.) Auch wenn er der Idee bet practiſchen 93er; 
nunft von der vollkommnen Harmonie der Sittlichkeit 
mit det Gluͤckſeligkeit objective Realitaͤt beylegt, (Cr. 

IL. Aufl. 


FAMEM 225 ^vi» 


I. Aufl. €. 837.) fo wird fier das Ojective aat im 
britten. Sinne genommen; unb bie Behauptung ift 
offenbar ungüítig, wenn man nidjt eine vollfommene 
Mebereinftimmung der ſubjectiv nothwendigen Ver— 
ſtandsgeſetze, und deſſen was daraus nothwendig folgt, 
mit dem Objectiven vorausſetzt. 


B. Ueber den Werth andrer Deductionen von 
denſelben GirunbfáGen, unb uͤber das Verhaͤltniß der— 
ſelben zu der obigen Ableitung. 


Hier werden die Beweiſe kurz beurtheilt, die 
Wolf, Lambert und andre von dem allgemeinſten 
Grundgeſetze Det. Caufalitát gegeben haben. 


Drittes Stagment, 


Meber die Anwendung bed Grundſatzes ber Cnt: 
ftebung unb ber Zufaͤlligkeit auf transienbentale Ob⸗ 
jette, unb über bie transfcenbentale 9tealitát des Be⸗ 
griffs von 3Beránberung. 


I. Gruͤnde oafür. 


Daß es ím transfcenoenten Sinne reelle Ver⸗ 
aͤndrungen gebe, folgt 


X. aus ber. Veraͤndrung ber Erſcheinungen (f. lt 
richs inftit, log. & met. p. 240.) 
2- 


f^uvfR 256 6*3 


c. Aus ben von stant ſelbſt aufgeſtellten Principien bet 
Moral unb Moraltheologie — aus von ifm ſelbſt 
behaupteten Saͤtzen, bag bet Menſch, als ein 
vernuͤnftiges und freyes Weſen, ein Ding an 
ſich, (rot. S. 153.) unb daß es fuͤr die Ver⸗ 
nunft nothwendig ſey, eine vollfommne Harmo⸗ 
nie der Gluͤckſeligkeit mit der Sittlichkeit zu hoffen. 
Es giebt drey Faͤlle. Entweder a) iſt Veraͤnde⸗ 
rung eines Menſchen, als eines Dinges an ſich, gar 
nicht moͤglich. Aber dann faͤlit erſtlich die Frey⸗ 
heit unb mit ifc alle Moral ſchlechterdengs weg. 
Senn Freyheit verlangt Veraͤnderlichkeit, unb bie 
Giebote ber Moral: bie Handlung A fell. ſeyn, 
ſetzen voraus, baf aud) non A fcn fónne. Set: 
ner faͤllt die Hoffnung einer ber Sinnlichkeit ges 
nau angemeſſenen Gluͤckſeligkeit gaͤnzlich weg; 
denn entweder muß ſie der Menſch ſchon beſitzen, 
oder er bekoͤmmt ſie nie. Oder b) Veraͤnderung 
des Menſchen, als eines Dinges an ſich, iſt 
moͤglich zwar, aber nicht wirklich. In dieſem 
Falle waͤre erſtlich die Freyheit, als Vermoͤgen 
betrachtet, zwar moͤglich, aber, und mit ihr der 
Trieb zur Vervolikommnung, ganz unnuͤtz und 
zwecklos, welches nach Kant ſelbſt unmoͤglich iſt. 
(Grit. II. Aufl. €. 678.) Sodann auch koͤnnte 
der Menſch, als Ding an ſich, in. dieſem Falle 
eben ſo wenig hoffen, als ám erſten. Denn 

wenn 


F^Avf 227 ^w 


wenn er ftetá unveránoert ift, fo muf er bie 
bec Cittlid)feit angemefne Gluͤckſeligkeit entwe⸗ 
der ſchon befigen, obet et bekoͤmmt fie nie. Senn 
Gluͤckſeligkeit, bie ev bloß als Erſcheinung su hof⸗ 
fen haͤtte, kann keine Triebfeder fuͤr ihn, ſofern 
er ein wollendes, alſo intelligibeles Weſen iſt, ſeyn. 


¶Man koͤnnte nod) hinzu ſetzen: Kant ſagt ſelbſt, 
Crit. b. pr. V. Es ſey abgeſchmackt, bie ber 
Sittlichkeit vollfommen angemeßne Gluͤckſeligkeit 
in der Sinnenwelt anzunehmen, oder zu hoffen; 
ſie ſey nur in der intetelligibeln denkbar. Wenn 
dies iſt, wenn der Menſch, als Ding an ſich, 
die gedachte Gluͤckſeligkeit jetzt in der Sinnenwelt 
nicht genießt, ſie aber in einer intelligibeln genießen 
wird, ſo muß es als Ding an ſich, nothwendig 
wirklich veraͤndert werden.) 


Es bleibt alfo nichts uͤbrig, als daß c) Veraͤnde⸗ 
rung des Menſchen, als eines Dinges an ſich, 
nicht allein moͤglich, ſondern auch wirklich ſey. 


Hieraus folgt, daß bet Begriff ber Veraͤnde⸗ 


rung auch auf transſcendentale Objecte anwendbar ſey, 
unb wenn das iſt, fo laͤßt ſich oer Grundſatz: 
„Jede Veraͤnderung, und uͤberhaupt, alles was 
entſteht, ſetzt eine Urſach im reintransſcendenten 


Sinne 


FXXTM 2028 ^" 


Sinne voraus, auf transſeendentale Gegen⸗ 
ſtaͤnde ausdehnen. Eben dies kann man auch von 
dem Grundſatze der Zufaͤlligkeit behaupten; denn 
aus ber Veraͤnderung bec Zuſtande folgt ihre (unber 
dingte) Sufálligfeit nad) bem reinen Verſtandesbegriffe 
nothwendig. Auch Kant ſelbſt ift genoͤthigt, bem 3Bet; 
ſtandesbegriffe ber Zufaͤlligkeit trausſcendentale Siealí, 
taͤt einzugeſtehen. Denn da er dem Menſchen, als 
einem Dinge an ſich, Freyheit zuſchreibt, ſo muß er 
wenigſtens auf die Selbſtbeſtimmungen, wodurch ſich 
bie Freyheit aͤußert, alſo auf etwas transſcendentales, 
den Begriff von Zufaͤlligkeit anwenden. 


Folglich muf auch vec Grundſatz oer Sufáfz 
ligfeit auf intelligible Degenfiánoe angevoanot 
werden. 


JI. Ueber ie Einwuͤrfe gegen ber. tranéfcenbett: 
talem Gebrauch der Begriffe von 3Beranberung unb 
Sufálligfeit, unb ber allgemeinſten Grundſatze ber 
Caupalítát. 


Hier Geurtfeift ber Verfaſſer groͤßtentheils ſehr 
gruͤndlich das, was Sant gegen bie transſcenden— 
tale Realitaͤt jener Begriffe und Grundſaͤtze einge: 
wandt hat. 


Vier⸗ 


feAvYAM 2290 "3 


yierttes Srtagment. 
f£ inleitung suc Grundlegung oet natürticben 
Theologie. 
I, Allgemeine Bemerkungen über oie Art, das 
Daſeyn Gottes zu beweiſen. 

Wenn bie objective Guͤltigkeit unſrer nothwendi⸗ 
gen Denkgeſetze ausgemacht, oder wenn es gewiß iſt, 
daß unſern Vorſtellungen, die in nothwendigen Denk⸗ 
geſetzen gegruͤndet ſind, aud) in bem Obiecte aufer ber 
Vorſtellung etroaé entſpreche, [o fiebt man dieſe Ueber⸗ 
einſtimmung unfrer Denkgeſetze mit bem. Objective 
entiveber als zufaͤllig, ober als nothwendig an. 

Im erſten Salle kann man aus dieſer zufaͤlligen 
Harmonie auf einen hoͤchſt verſtandigen Urheber derſel— 
ben ſchließen; unb fo einen logiſch⸗ theologiſchen 
Beweis bec Daſeyns Gottes vor allen uͤbrigen vorbet: 
gehen laſſen. 

Im andern Falle laͤßt ſich der cosmologiſche Be⸗ 
weis der Grifteng Gottes mit bem phyſicotheologiſchen, 
hiſtoriſchen und moraliſchen ſo verbinden, daß durch 
dieſe die Luͤcken deſſelben ausgeſuͤllt werden. 

Der Verfaſſer haͤlt alſo den moraliſchen Beweis 
des Daſeyns Gottes nicht für ben einzig moͤglichen, 
unb die Wendung, die im Stant (Berl. Monatsſch. 
1786. Oct.) giebt, mit allem Recht fuͤr unbefriedi⸗ 
gend. Denn man verwichkelt fid) dabey ín folgende 
Schwierigkeiten: 

Philoſ. Mag. 2. Gt. Q i, 


1, Die Idee ber Harmonie ber. Gilüdffeligfeit mit 
ber Sittlichkeit foll objective Realitaͤt erhalten 
burd) bie ?BorauéfeGung des Daſeyns Gottes; 
unb dieſe foll allerer(t aus jener. Sybee abaefeitet 
werden. (vergl. deutſch. Muſ. 1787. Febr.) 

( Man koͤnnte nun freylich das Widerſprechende 
hierin leugnen und die Sache ſo vorſtellen: Die 
Idee von der gedachten Harmonie leitet uns auf 
die Idee eines exiſtirenden Gottes; nun ſetzen 
wir aus einem practiſchen Beduͤrfniſſe voraus, 
daß dieſe Idee objective Realitaͤt habe; wodurch 
bann aud) bie Idee von bet Harmonie ber Gluͤck⸗ 
feligfeit mit ber Sittlichkeit zugleich objective 
Siealitát erhaͤlt. Inzwiſchen koͤnnen Beweiſe 
von der Art niemals eine Ueberzeugung gewaͤh⸗ 
ren, da eine Vorausſetzung aus Beduͤrfniß nie 
ein Wahrheitsgrund ſeyn kann. Bey der Idee 
vor einer volltommnen Harmonie ber Gluͤckſelig⸗ 
keit mit der Sittlichkeit, kann man (denn wor⸗ 
aus iſt erweislich, taf man muf?) fid) aus ei: 
nem practijdjen Beduͤrfniſſe gebtungen fübten, 
bic(elbe realiſirt zu benfen ; ba mir bie aber nicht 
fónnen ofne bie Sybee eines wirklichen Gottes, 
fo benfen wir uns biefe Idee von eínem exiſtiren⸗ 
ben Gotte realifirt, b. i. roit (tellen uns Gott 
al[o voirfíid) vor, um uns jene Harmonie al 
aufer un$ roirflid) benfeh gu fónnen. Es bleibt 


alſo 


2. 


KXAMFM 231 ^" 


alfo ſowol bie Vorſtellung von ber Exiſtenz Gottes, 
al$ bie von ber Uebereinſtimmung ber Gluͤckſelig⸗ 
feit mit ber Sittlichkeit eine (eere Vorſtellung.) 
$ant widerſpricht fid) ſelbſt, wenn er einmal fagt : 
(Berl. Monatsſch. 1786. Oct, €. 316.) „Die 
Vernuuft 6ebarf ber Vorausſetzung eíne& unab: 
haͤngigen hoͤchſten Guts unb einer. oberſten In⸗ 
telligenz nicht, um die Triebfedern zur Beob⸗ 
achtung der moraliſchen Geſetze daraus ab⸗ 
zuleiten, ſondern nur, um dem Begriffe vom 
hoͤchſten Gute objective Realitaͤt zu geben. ,, Und 
das andremal (Cr. I. Aufl. S. 813.): „ohne 
einen Gott — — ſind bie Ideen der Gittr 
lichkeit zwar Gegenſtaͤnde des Beyfalls und der 
Bewunderung, aber nicht Triebfedern des 
Vorſatzes unb ber 2íusübung. ,, 

IL Verſuch uͤber ben Beweis ber Abhaͤngigkeit 


des Daſeyns aus den Veraͤndrungen. Dieſer Abſchnitt 
theilt ſich in die Beantwortung zweyer Fragen. 


A. Laͤßt ſich von der Veraͤnderlichkeit, oder den 


Veraͤnderungen der Form des Daſeyns irgend eines 
Objects A, auf die Abhaͤngigkeit derſelben von irgend 


einem von A verſchiedenen Weſen ſchließen? 


Wenn das Beharrliche des transſcendentalen Ob⸗ 


jects A, ober die Materie beffelben — M, aus dem Zu⸗ 
ſtande, ober der Form b ober non a, ín bie Form 


a uͤbergeht, fo ift biefe nicht abfolut nothwendig mit 
M 


$423 


FXuT^ 232 «ws 


M vetfunben, e8 mug alſo ein objectiver Grund daſeyn, 
aus welchem fid) biefe Verbindung begreifen lágt. Die⸗ 
ſer Grund (legt entweder bloß ín bem Objecte A, obet bloß 
ín einem aͤußerlichen Objecte B, obet in beiden zugleich. 
Sym eríten Salle bat bie Entſtehung ber. dorm 
2 ibren Grund entmocber in M allein, oder (n einer at 
bern Form b, obec in M fofetm e$ mit b verbunben 
if. Stimmt man das erfte an, fo benft man M entz 
weder obne alle Form, ober. a(8 exiſtirend unter 
irgend einer Sorm, — Sym etften Salle £ann a nicht 
bie Wirkung von M allein ſeyn; benn das Wirken bed 
M [e&t das Griftiren. deſſelben voraué; unb dies ift 
gar nidjt denkbar, ofne eine gewiſſe Form des Exiſti⸗ 
rens. Daher muß das Daſeyn des M unter einer ge; 
wiſſen Form als vorhergehend gedacht werden. (Allein 
dieſer Schluß ſcheint auf einer Verwechſelung des Be⸗ 
griffs von Form zu beruhen. Da nach des Verfaſſers 
Erklaͤrung S. 179. Form die veraͤnderlichen Beſtim⸗ 
mungen bedeutet, jede veraͤnderliche Beſtimmung aber 
von M getrennt gedacht werden kann; fo laͤßt (id) aud) 
M gedenken ohne eine gewiſſe Form des Exiſtirens, 
unb e$ kann daher bec Grund von a blos in M fiegcn. 
Waͤre eó unmoͤglich, bag M obne eine acmiffe Form, in 
dem angegeigten Sinne, exiſtirte, fo wuͤrde baburd) 
auch der Gottheit die Exiſtenz abgeſprechen werden, 
der man keine veraͤnderliche Beſtimmungen beylegen 
Bonn, wie bec Verf. ſelbſt einráumt (S. x71.) 
Da 


fMMTA 223 ^" 


Da nun das Reſultat dieſer Unterſuchungen: baf 
aus der Veraͤnderlichkeit der Form des Daſeyns die 
Abhangigkeit dieſer Form von einem aͤußerlichen Prin⸗ 
cip folge, zum Theil auf dieſem Satze beruht, daß 
die Materie des Objects, dem die Form zukoͤmmt, 
nicht ſelbſt den hinreichenden Grund ihrer Form ent: 
halten koͤnne; ſo kann Recenſent das gedachte Reſultat 
nicht für gang erwieſen halten. 

B. Die zweite, beantwortete Frage iſt: Laͤßt 
ſich aus der Abhaͤngigkeit der Form des Daſeyns auch 
bie Abhaͤngigkeit der Materie, ober beo Beharrlichen, 
das den wechſelnden Formen zum Grunde liegt, 
folgern? 

Sid) kann mir, ſagt der Verf., Mnicht als exiſti⸗ 
rend denken, aufer unter einer gewiſſen Form. Wenn 
alſo jede Form des Daſeyns von M míttef&ar ober uri 
mittelbar von einem unabhaͤngigen Weſen B afbángt ; 
fo bànat aud) bie Grifteng des Weſens A, befjen Ma⸗ 
terie — M unb deſſen Form — x ift, von B a6. 
Die Verbindung des M mit x macht bíe Grifteng vont 
A aus. Iſt alſo die (ete in. B aegrünbet, fo mug es 
auch bie erfte ſeyn. Alſo muß bie vorgelegte rage be 
jabt werden. 

(Hiegegen, deucht uns, [iege fid) folgendes et; 
innern: 

I. Zugegeben, daß es erwieſen fep, daß fid) von bet 
Veraͤnderung der Form des A auf bie Abhaͤn—⸗ 
Q3 gig⸗ 


KVMSMTR 224 ^e 


gigkeit berfelben von einem von A verfdoiebenen 
Weſen ſchließen laſſe, fo liegt Diet wieder bet 
Satz jum Grunde, ber, nad) unfeter Einſicht, 
nídt yum Grunde liegen follte (f. À.) 

4. Hievon abgefebn, unb gugegeben, baf jebe Form, 
des Daſeyns von M won einem. unabfángigen 
Weſen B. abfange, fo folgt bod) daraus nicht, 
bap bie Grifteny des Weſens A, beffen Sta: 
terie — M ift, von B abfángig ſey, (ín bem 
Sinne, worin e$ bet Verfaſſer nimmt, nad) wet; 
dem e$ fo viel bebeutet, als ben wirkenden 
Grunb feiner Eriſtenz in etwas anberm haben) 
ſondern nur, bag B baju mitwirken muͤſſe. B 
ift bie Conditio fine qua non vom exiſtirenden 
A, aber. deswegen nicht ber mirfenbe Grund. 
A kann nicht exiſtiren, ohne irgenb eine $orm — 
x, dieſe abet kann nut von B hervorgebracht 
werben; menn alfo A eriftiren foll, fo fann ba$ 
nicht anberé geſchehen, als wenn B bie orm x 
Dervorbringt. Hiedurch ift nun aber. gar. nidjt 
beſtimmt, ob bet wirkende Grund ber Gri(teng 
des À in B obct ín írgenb einem andern Dinge 
C D — Y Z liege.) 


m. 


| 


An 


FMAMERP 235 ^24» 
e7297297o9 7960297972979 ^.97.97.9 


An 
die Herrn Herausgeber 
der 


Berliniſchen Monathſchrift. 





hr Novemberſtuͤck dieſes Jahres enthaͤlt die erfreu⸗ 
liche Nachricht, „daß man bie Ausfuͤhrung bes Planes, 
vier deutſchen Weltweiſen der neuern Zeiten ein 
Denkmal zu errichten, wieder vorgenommen habe. 
Laſſen Sie mich zufoͤrderſt meinem Vaterlande zu bie: 
ſem oͤffentlichen Denkmale, das es ſeiner eigenen Weis⸗ 
feit, Bildung, Aufklaͤrung, unb Freyheit zu benfen, et; 
richtet, mit aller Waͤrme, mit allem Stolze, den mir 
das Gefuͤhl giebt, es das meinige zu nennen, Gluͤck 
wuͤnſchen. Außer England iſt alſo Preußſen bas. eim 
zige Land in der Welt, das nicht bloß Fuͤrſten und Hel⸗ 
den durch Erz und Stein zu verewigen ſucht; es iſt 
alſo ein Land ber Freyheit unb ber Aufklaͤrung. Syn den 
Gegenden der Knechtſchaft heiligt nur die Schmeicheley, 
in den Gegenden der Finſterniß der Aberglaube, den 
Gegenſtaͤnden ſeiner politiſchen und religioſen Furcht 
oͤffentliche Denkmale; unter. einem freyen unb aufge— 
klaͤrten Volke bie oͤffentliche Erkenntlichkeit, ben Gegen: 
ſtaͤnden ſeiner Bewunderung und ſeiner Achtung; ſei⸗ 
nen Fuͤrſten, ſeinen Helden, ſeinen Weiſen. Selbſt 
in dem geiſtreichen Frankreich, wuͤrde ſich die Hierar⸗ 
chie dieſem oͤffentlichen Zeichen der Verehrung ſeiner 
Q4 Wei⸗ 


CAM 236 um 


Weiſen, — ſeiner 2Descartes, ſeiner Gaſſendis, — 
els einem Werke ber. Irreligion, widerſetzen. Syd) ver; 
einige mid) aljo mit inníget Sreube, au bem (lauten 
Beyfalle, mit welchem meine Mitbuͤrger aus allem 
Standen einen Plan aufgenommen haben, der nur 
in den Herzen vortrefflicher Menſchen entſtehen konnte. 

Belehren Sie mich aber uͤber einen Zweifel, met; 
cher die Wahl der Weltweiſen betrifft, denen Sie Ihr 
Denkmal zugedacht haben. Ich vermiſſe Einen darun— 
ter, von dem es mich ſchmerzen wuͤrde, wenn ſich 
mein Vaterland, und die ganze deutſche Nation, ihm 
zu keiner Dankbarkeit ſollte verpflichtet halten. Wenn 
kein deutſcher Weltweiſer ein Denkmal der Achtung von 
den Deutſchen erhielt: ſo konnte ſich Chriſtian Wolf 
nicht beklagen; ev theilte bie oͤffentliche Gleichguͤltigkeit 
mit allen verdienten Unſterblichen ſeines Standes. Es 
lein wenn die Nation gegen einige dankbar iſt: fo ift 
Gleichguͤltigkeit gegen Einen Verachtung, und gegen 
Einen, der ihnen gleich iſt, Ungerechtigkeit. 

Syd) fenne weder Ihren Maaßſtab des philoſo— 
phiſchen Verdienſtes, noch die Gruͤnde, welche Ihre 
Wahl beſtimmt haben; allein id) bin uͤberzeugt, daß, 
wenn die unſterblichen Maͤnner, die Ihr Denkmal 
zieren ſollen, — ihre Stimmen fátten zu geben gehabt, 
ſie wuͤrden einmuͤthig ſich den eben ſo unſterblichen 
Wolf zugeſellet haben. Drey von ihnen machten ſich 
eine Ehre daraus, von ihm gelernt, und der erſte, ſich 
mit ihm auf ſeinem Wege begegnet zu haben. 

Wenn Sie ſeinen unermuͤdeten Fleiß, ſeinen philo⸗ 
ſophiſchen Geiſt, feine zahlreichen Schriften, feine un; 
ermeßliche Litteratur, feine alle Theile ter Philoſophie 
und der Mathematik in Ein Syſtem zuſammenfaſſende 


Wiſ⸗ 


237 


Wiſſenſchaft fuͤr nichts rechnen wollen: ſo behaͤlt er 
ſelbſt alsdann noch Verdienſte genug, die auf unſere ganze 
Dankbarkeit Anſpruch machen. Es iſt wahr, ſeine meiſten 
Schriften ſind lateiniſch, unb konnten alſo nicht unmittel⸗ 
bar auf alle Staͤnde wirken. Allein geſetzt, bafi dieſer Theil 
ſeiner Arbeiten für ſeinen Ruhm verlohren feyn ſollte, wel⸗ 
ches große Recht auf unſere Erkenntlichkeit bleibt ihm 
dem ungeachtet nicht noch uͤbrig! Und haben ſelbſt dieſe 
Schriften nicht auf die Bildung ber gelehrten € tánbe qe: 
wirkt, haben fie uns nicht eiie beſſere Theologie, eine be]; 
ſere Rechtsgelehrſamkeit, eine beſſere Philoſophie votz 
bereitet? 

Syd) hoͤre, bafi man dieſem Theile feiner Schriften 
vorwirft, fie ſeyn trocken unb ſchwerfallig. Rathen Sie ja 
niemand, ben Euklides, nod weniger den Neuton auf: 
zuſchlagen, wennS ie glauben fonnen, baf in ein trockner 
unb ſchwerfaͤlliger Vortrag a6fd)recfen wuͤrde bein mas 
iſt trockner, als Neutons Philofophize naturalis prin- 
cipia mathematica? unb bod) wuͤrden Sie dieſem 
ſchwerfaͤlligen Philoſophen, wenn et cin Deutſcher gewe⸗ 
ſen waͤre, wol ſchwerlich eine Stelle unter denen verſagt 
haben, die das Denkmal verewigen ſoll. 

Vielleicht wird man Wolfs deutſchen Schriften den 
Vorwurf nicht machen, den man ſeinen lateiniſchen 
macht. Sie ſind kleiner, gedraͤngter und popularer; fie ha⸗ 
ben alſo vermuthlich mehr unmittelbar auf bie Verbrei— 
tung der Philoſophie in Deutſchland gewirkt; ich ſage 
nur, vermuthlich auf die Verbreitung der Philoſophie, 
aber mit groͤßter Zuverſicht darf ich behaupten, daß ihre 
Wirkung auf oie deutſche Sprache bie vortheilhafteſte aec 
weſen iſt. Wolf gab das erſte Beyſpiel unter den deut⸗ 
ſchen Philoſophen von der PN Reinigkeit unb Rich: 

L5 tig: 


238 


tiafeit der Sprache. Gr war in Opitzens unb Logaus 
Schule qebilbet; bie Sprache dieſer beutfdyen Dichter 
war ihm durch ſeinen Lehrer Gryphius uͤberliefert. Mit 
ihrem klaſſiſchen Stempel praͤgte er ſich eine proſaiſche, 
philoſophiſche Sprache, die aus ſeinen Schriften in Sul⸗ 
zers, Lamberts und Mendelsſohns Schriften ge⸗ 
floſſen iſt, ſich mit der Sprache des gemeinen Lebens der 
aufgeklaͤrten Staͤnde vermiſcht hat, und der es die Deut⸗ 
ſchen zu danken haben, daß ſie eine firirte philoſophiſche 
Sprache beſitzen, die allen andern Voͤlkern ſehlt. 

Das alles iſt ein Theil ſeiner Rechtsanſpruͤche auf 
die Verehrung ſeines Vaterlandes. Bey ſeinen Lebzeiten 
ward ihm dieſe Verehrung nicht verſagt; und er ſand ſie 
nicht allein unter ſeinen deutſchen Mitbuͤrgern; er fand 
(ie aud) bey den Auslaͤndern mehr al irgend ein Deutſcher, 
meni Sie Leibnitz unb Tſchirnhauſen ausnehmen. 
Er war in allen Academien von Europa aufgenommen, 
und Rußland wuͤrde ihn mit Vergnuͤgen, als Praͤſiden⸗ 
ten, an der Spitze der ihrigen geſehen haben. 

Selbſt ſeine Verfolgungen, in denen er ſo glorreich 
obſiegte, muͤſſen ſeinen Ruhm erhoͤhen. Und hierin finde 
ich einen neuen Grund, warum ich die Freunde des philoſo⸗ 
phiſchen Verdienſtes in ben preußiſchen Staaten auffotz 
dern zu muͤſſen glaube, den Weltweiſen Wolf in ihrer 
Hauptſtadt vor bem Denkmale des Ruhms nicht auszu⸗ 
ſchließen. Dort war der Brennpunkt, wo die Strahlen 
der Halliſchen Verunglimpfungen ſich vereinigten, wo 
die Flammen der Verfolgung ausbrachen und uͤber dem 
Haupte des Weltweiſen zuſammenſchlugen. Dort waren 
aber auch, unter den erſten des Staats, ſeine dankbarſten 
Schuͤler unb waͤrmſten Verehrer, bie ben verfolgten, abet 


nídjt unterdruͤckten Weltweiſen im ben Augen bet —* 
raſch⸗ 


fMEM 239 "uk 


tofd)ten Monarchen rechtfertigten. Und unter dieſen der 
Große, der ſich im Stillen zu dem bildete, was er ſeinem 
Volke und der Welt dereinſt ſeyn ſollte, Friedrich der 
Zweyte! Seine erſte Philoſophie ſchoͤpſte er aus 
Woifs Schriften; und die Wirkung dieſes erſten 
Studiums hat ſich in dieſem großen und feſten Geiſte 
ſein ganzes eben hindurch gegen allen pott. der fran; 
zoͤſiſchen fdónen Geiſter erbaíten. — Und auf dieſem 
€ djaupla&e ſeiner &dymad unb ſeines Ruhmes wollte 
man 98oífen von feinem Antheile an. einem. Dent: 
male gu Ehren ber SBeltroeifen auc[dtiefen ? 

Vielleicht aber haben bie ruhmwuͤrdigen Unter⸗ 
nehmer der Denkmale ihre Wahl auf diejenigen ein— 
geſchraͤntt, bie in Berlin gelebt haben? — denn ich 
rathe blindlings umher, um ihre Bewegungsgruͤnde 
zu finden. Allein ſo konnten ſie Leibnitzen nicht in ihte 
Wahl aufnehmen; er lebte nicht in Berlin, er war ſo⸗ 
gar kein eigentlicher Buͤrger des preußiſchen Staats. 
Ueberdem gehoͤrt jeder Staatsbuͤrger, der ſeinem Va⸗ 
terlande Ehre macht, dem Sitze der Regierung zu, 
bit ibm ín bem ganzen Umſange ihrer Herrſchaft ba 
feinen. Standort anmeifet, wo fie feine. Wirkſamkeit 
für ben Staat am nuͤtzlichſten bált. Auch bat Seid⸗ 
li fein Standbild in ber Hauptſtadt, ob ber 9X onard) 
gleid) ihm eine Befehlshaberſchaft ferm. von. berfclben 
auverttaut batte. 

Berſtehen Sie mid) nit unrecht. Ich Bu 
weit entfernt, Einen von den vier Weltweiſen, uͤber 
welche die Stimmen der Unternehmer ſich vereinigt 
haben, von ihrem Antheile an dem Denkmale auszu⸗ 
ſchließen — ob ich gleich erſt noch lernen muß, war⸗ 
um Sulzer Wolfen verdraͤugen ſoll — am meiſten 

wuͤrde 


fx» T* 2410 ^w» 


wuͤrde id) untroͤſtbar ſeyn, wenn Cie den juͤngſten un 
tet ihnen, den Weltweiſen Moſes Mendelsſohn, 
den ich in dieſer ehrenvollen Verbindung, ohne Ruhm⸗ 
redigkeit, kaum meinen unvergeßlichen Freund nennen 
darf, uͤbergangen haͤtten. Die Nation ſetzet durch 
ſeine oͤffentliche Verewigung nicht allein ihrer Liebe der 
Weltweisheit, ſondern aud) ihrer erleuchteten Duld⸗ 
ſamkeit das ruͤhmlichſte Denkmal, fie. verwilligt ihm 
nicht nuc eine oͤffentliche Schadloshaltung dafuͤr, daß 
er nicht die Ehre, und die preußiſche Academie der 
Wiſſenſchaften nicht das Gluͤck hat haben koͤnnen, ihn 
au ben Ihrigen gu zaͤhlen: fte ſtellt aud) ein großes 
Beyſpiel auf, das allem Staͤnden taͤglich die große 
Wahrheit prebigt: daß uns kein Unterſchied ber. Na⸗ 
tion, der Religion und des Standes hindern muß, 
den Mann von ſeltenen Geiſteskraͤften und von weit—⸗ 
umfaſſenden Verdienſten zu ehren. 

Ich bin alſo weit entſernt, den Enthuſiasmus 
der Verehrung und der Erkenntlichkeit fuͤr ihre Weiſen 
ín meinen Mitbuͤrgern einzuſchraͤnken; (d) moͤchte ihm 
lieber noch mehr Ausbreitung geben. Ich moͤchte Ihnen 
gern noch einen ſeltnen Mann nennen, einen Mann, 
den wir eilen muͤſſen, zu dem unſrigen zu machen, wenn 
uns nicht die Zierde der deutſchen Litteratur, der deut⸗ 
ſchen Schaubuͤhne, der deutſchen Philoſophie entriſſen 
werden foll, Der Mann, bem ein Fuͤrſt, ber dem 
preithiſchen Koͤnigshauſe durch die Bande ber Ver⸗ 
wandtſchaft, der Neigung und der Geſinnungen zuge⸗ 
hoͤrt, in ſeinen gluͤcklichen Staaten eine ſorgenfreye 
und ruhmvolle Muße verſchaffte, um ſich unter den 
Helden und weiſen Regenten auch als erleuchteten 


Beſchuͤtzer der Wiſſenſchaften auszuzeichnen, — kurz, 
Leſ⸗ 


CX 24r ^w 


Leſſing ſollte, nad) feinem Tode, ín Preußens Haupt ⸗ 
ſtadt wenigſtens einen Stein haben. Ich moͤchte bie 
Aufmerkſamkeit meiner Mitbuͤrger noch fuͤr eine 
andere Art von Weiſen, für bie erſten unſerer vater⸗ 
laͤndiſchen Dichter intereſſiren, wenn ich es nicht fuͤr 
beſcheidener halten muͤßte, dieſen Aufruf einer wichti⸗ 
gern Stimme, als die meinige iſt, zu uͤberlaſſen. 

Sid) endige alfo, wie id) angefangen habe: Beleh⸗ 
ren ſie mich, warum man den deutſchen Weltweiſen 
Wolf von einem Denkmale deutſcher Weltweiſen aus⸗ 
geſchloſſen hat? Wie auch Ihre Antwort ausfallen 
mag: ſo werde ich e$ mit jur groͤßten Ehre ſchaͤtzen, wenn 
bie Unternehmer des Denkmals meinen geringen Bey⸗ 
trag dazu anuehmen wollen. Meine Abſicht ift blog, 
mich uͤber die Beſorgniß zu beruhigen, daß die Nach— 
welt, welche wieder bie XXicbter des Verdienſtes rich⸗ 
tet, vielleicht Wolſs Bildniß vermiſſen koͤnnte; ja daß 
vielleicht, rie einft in Rom das Bildniß des Bru⸗ 
tus unb Caſſius, Wolfs Bildniß deſto mer hervob⸗ 
glaͤnzen moͤchte, je weniger es geſehen wuͤrde. 


J. 2f, Eberhard. 


| 


Snbalt 


des zweyten Stuͤcks. 


I. Neber bie transſcendentale Aeſthetik, von 
Herrn M. Maaß. S. 150. 


II. Ueber die logiſche Wahrheit oder die trans⸗ 
ſcendentale Guͤltigkeit der menſchlichen 
Erkenntniß. €. 150. 


III. Beytrag zur Geſchichte der Baͤtte. €. 175. 
IV. Rhapſodie uͤber das Verdienſt. &. 183. 
V. Recenſionen. €. 191. 


VI. An die Herren Herausgeber der Berlini⸗ 
niſchen Monathſchrift, uͤber das Denk⸗ 
mal, welches vier Weltweiſen errichtet 
werden ſoll, von J. A. Eberhard. €. 235. 


Philoſophiſches Magazin. 


* 





e 





$erauégegeben 


vorn 


Johann Auguſt Eberhard. 


Drittes Stuͤck. 





HALLE, 
bey Johann Jacob Gebauer. 
1789. 





I. 


Weitere Anwendung ber Theorie oon bee 
logiſchen Wahrheit ober Der tranfcenbentaten 
Guͤltigkeit bec menſchlichen Erkenntniß. 


— ⸗ 


D. tranſcendentale Guͤltigkeit des Satzes von 
bem zureichenden Grunde ſtehet aio feſt, unb. mig 
koͤnnen dieſen Satz nun weiter anwenden. Bis bas 
hin war dieſe Anwendung bereits (St 2. &. 161. u. f.) 
auégefübrt, baf wir gemi waren, bet (e&te Girunb 
ber Formen ber ſunlichen Anſchauung mute etwas 
ſeyn, was nicht ſinnliche Anſchauung, b. i. was nicht 
bildlich, nicht ſinnlich iſt, — des Raͤumlichen, was 
nicht raͤumlich, des Succeſſiven, was nicht fucceffiv 

Philoſ. Mag. 3. Gr, R iſt. 


m^ 244 73 


it. Sy ben innern Ofjcften. ber Vorſtellungen iſt 
alſo etwas Denkbares, das nicht als etwas Bild⸗ 
liches oder Sinnliches gedacht wird. Einige die⸗ 
ſer Objekte werden aber zugleich als aͤußere gedacht: 
ſind alſo unter den Gegenſtaͤnden unſerer Vorſtellun⸗ 
gen einige auch in der That aͤußere, koͤnnen wir ihnen 
eine aͤußere Realitaͤt — cine Moͤglichkeit ober Wirk⸗ 
lichkeit — außer unſerer Erkenntnißkraft mit einiger 
Gewißheit beilegen? Das iſt die Frage, zu der wir 
nun vorruͤcken duͤrſen, ohne zu beſorgen, daß wir im 
geringſten etwas uͤbereilt haben. 


Wir gingen von bem Cate aus, alles Moͤgliche 
muß einen zureichenden Grund haben. Wir fanden, 
daß dieſer Satz nicht bloß eine ſubjektive Wahrheit 
habe, ſeine allgemeine nothwendige Wahrheit wat 
auch eine objektive. Denn wir konnten in keinem 
Gegenſtande von zwey entgegengeſetzten Beſtimmun⸗ 
gen die eine mit Ausſchließung der andern denken, 
ohne etwas entweder wirklich zu denken, oder doch 
wenigſtens vorauszuſetzen, welches die eine von dieſen 
Beſtimmungen beſtimmte. Das mußte der Satz ſa⸗ 
gen wollen, den Hr. Kant mehrmals wiederholet: 
der menſchliche Verſtand ſchafft ſich erſt die Natur, 
indem et feine Begriffe unb Regeln auf. bie. Gegen⸗ 
ftánbe amenbet. Wenn er anberé etwas verſtaͤndli⸗ 
ches entfalten ſoll, jo kann er keine andere als ſolgende 

Aus⸗ 


245 5 


Auslequng zulaſſen: die allgemeinſten Gruͤnde der 
Erkenniniß, ber Satz des Widerſpruches unb des gus 
reichenden Grundes, ſind mit den allgemeinſten Gruͤn⸗ 
ben ber Dinge, bie erfannt werden, einerley Die 
menſchliche Seele erkennt dieſe Gruͤnde ín fid) ſelbſt 
durch ihren Verſtand, und ihre Vernunft erkennt 
nad) denſelben alles wahre Erkennbare. Der Satz 
des zureichenden Grundes hat alſo objektive GE 
tigkeit. 


Daß die Wahrheit dieſes Satzes eine objeftíve 
ſey, erhellet noch daraus, daß die Vorſtellungen 
des denkenden Subjekts eben deswegen nicht ohne 
ihren zureichenden Grund ſeyn koͤnnen, weil in dieſem 
Subjekte, als Objekt betrachtet, keine Beſtimmung 
ohne Etwas ſeyn kann, das ſie, mit Ausſchließung der 
entgegengeſetzten, beſtimmt. 


Das, was in dem denkenden Weſen eigentlich 
das Subjektive bey dieſem Satze iſt, bas iſt fein Be⸗ 
wußtſeyn, daß es ſich in dem Denken der Praͤdikate 
eines gewiſſen Gegenſtandes aufgehalten fuͤhlt; das 
Gefuͤhl des Stockens, des Schwankens, bec Verlegen⸗ 
heit, bie nicht eher gehoben wird, als bis ein beſtim— 
mender Grund zu bem Einen von zwey entgegenge⸗ 
ſetzten Praͤdikaten den Ausſchlag giebt; aber dieſes 
Oubjektive ſetzt das Objektive voraus. Koͤnnte irgend 

02 ín 


f^ 2416. ^m 


in einem gebad)ten ober. benfbaren Gegenftante eítva 
ofne beftimmenben Grund ſeyn; fo brauchte das ben: 
fente Weſen ibn nid)t ju. ſuchen, nit abzuwarten, 
es koͤnnte ohne Zaudern, ohne Stocken, ohne Anſte⸗ 
hen aufs Gerathewohl zu der erſten der beſten Beſtim⸗ 
mung uͤbergehen, es wuͤrde nichts zu beſorgen haben, 
ein Mißgriff waͤre nicht moͤglich. Eben ſo wenig 
waͤre das geringſte Mißbehagen, die fleinfte * atuft, 
moͤglich, einen ſolchen Mißgriff getüan ;a ' "^en; 
pber, menn ibm ein Gegenftanb dargeſtellt wuͤrde, 
beffen Mannigfaltiges nid)t zu einanber pafte, nidjt 
mit einander 3ufammenfinge, wort irgend ein Theil 
keinen Grund haͤtte, oder einen andern, als den die 
uͤbrigen Theile angeben: ſo ließe ſich nicht ſagen, war⸗ 
um ein ſolcher Gegenſtand mißfiele, da das denkende 
Weſen das Zuſammenhaͤngende in dem Gegenſtande 
nicht zu dem Gefuͤhle des leichten Fortwirkens ſeiner 
Kraͤfte nothwendig beduͤrfte. Gin Gegenſtand aber, 
worin etwas iſt, das fehen Grund hat, oder das 
bem Grunde ber. übrigen Theile, mit denen e£ einer⸗ 
(ey Grund haben foll, nid)t gemáf ift, — ein ſolcher 
Gegenſtand mißfaͤllt. Warum beleidigt auf einem 
Gemaͤlde ein Schatten ohne undurchſichtigen Koͤrper, 
ein undurchſichtiger Koͤrper ohne Schatten, ein 
Schatten, den der Koͤrper nach den Regeln der Optik 
nicht werfen kann? Warum wuͤrde ín einer bramati 
ſchen Vorſtellung eine Iphigenia, bie in Todes⸗ 

ſchmerz, 


FAMEM 242. ^wich 


ffmerg, mit aefenftem Haupte und erſchlafften Glie— 
dern, mit Thraͤnen in den Augen an dem Halſe ihrer 
Mutter einen engliſchen Tanz, oder den Deſſauiſchen 
Marſch ſaͤnge, — warum wuͤrde die beleidigen? 
Das Unangenehme, das Widrige, das Zuruͤckſtoßende 
ín allen dieſen Gegenſtaͤnden liegt e$. in etwas an; 
derm, als darin, daß in demſelben Etwas iſt, das 
keinen objektiven Grund hat? 


Ich will aus dieſen Bemerkungen nicht zu viel 
Vortheil ziehen, aber doch auch nicht gern weniger, 
als ich berechtigt bin. Syd) aglaube aber, ich ſey 
voͤllig berechtigt, daraus zu ſchließen, daß ſie die 
(St. 2. S. 168. u. (f) bewieſenen Saͤtze mit unwi⸗ 
derſtehlicher Kraft beſtaͤtigen, und 

X. bag ber Satz des zureichenden Grundes ein 
voͤllig allgemeiner Satz ſey; 

2. bag feine Wahrheit nicht bloß ſubjektiv, fo 
dern auch objektiv ſey; 

3. bag ſelbſt unſere Vorſtellungen demſelben ge: 
maͤß ſeyn muͤſſen, fo ſern fie Objctte ſind. 


Wenn (dj hier etwas wiederhole, obet vict: 
mehr nachhole, ſo geſchieht es, um eine Wahrheit, 
auf bie fo viel ankoͤmmt, von allen ihren intereſſanten 
Seiten gu zeigen, unb nad) alfen ibren Richtungen ju 
Befeftigen. — Wir  muften erſt wegen bet. objcftiven 

983 Git 


CMAvTM 218. ^w 


Guͤltigkeit dieſes Satzes uͤberhaupt ſicher ſeyn, wenn 
wir zu ſeiner aͤußern Ohjektivitaͤt unb zu ſeiner trang; 
ſcendentalen Guͤltigkeit, wie es Hr. Kant nennt, 
oder zu ſeiner Anwendung auf Gegenſtaͤnde, die außer 
uns, und keine bloße Erſcheinungen ſind, ohne Be⸗ 
ſorgniß uͤbergehen wollen. 


Y. Einige unſerer Vorſtellungen haben Gegen⸗ 
ſtaͤnde, die wir uns als aͤußerlich denken. 


Daß die innern Gegenſtaͤnde unſerer Vorſtellun⸗ 
gen, wenn ſie Erſcheinungen ſind, in Etwas ihren 
Grund haben muͤſſen, das nicht Erſcheinung iſt, das 
iſt, wie ich glaube, an den ſinnlichen Bildern von 
bem Raume unb ber Zeit uͤberzeugend bewieſen toot; 
den. Sind aber dieſe unſinnlichen Gruͤnde ber. Gt; 
ſcheinungen auch aͤußere Gegenſtande, haben ſie ein 
bloßes ideales, oder haben ſie auch ein reelles Daſeyn, 
ein Daſeyn außer der Vorſtellung, gibt es Dinge an 
ſich, wie ſie Hr. Kant, ovzos ovra , wie fie Plato, 
wahre Dinge, wie ſie Leibnitz, Wolf und Baum⸗ 
garten nennen? 


Wir unterſcheiden unter unſern Vorſtellungen 
voffenbar einige, deren Gegenſtaͤnde wir aufer uns 
denken, deren Urſachen wir außer uns ſetzen; wir 
nennen ſie aͤußere Empfindungen. Bume nennt ſie 


Im⸗ 


FM 2419. ^wacs 


Impreſſionen, alle ü6rigen nennt. er Ideen 9), 
unb er wird mit bcr Beſtimmung ihres Unterſchiedes 
bald fertig; fie unterjbeiben fi, feiner. Meinung 
nad), turd) nichts weiter, al$, bag bie Ideen ſchwaͤ— 
dr unb bíe Sympteffonen ſtärler (in^. — Es laͤßt 
fic) kaum etwas feid)tcreó denken, als das angenehme 
Geſchwaͤlz, womit uns bet elegante Hume über dieſe 
daterie unterhaͤt. Daß ſeine Impreſſionen, oder 
unſere aͤußere Empfindungen gewoͤhnlich eine groͤ⸗ 
ßere Staͤrke haben, als feine Ideen, ober bie Vor⸗ 
ſtellungen, die keine Empfindungen ſind, das wird 
man wol ſchwerlich für eine febr neue Entbeckungq bat: 
ten duͤrfen. Es (ft bad gemeinſte Mittel, woburd) 
wir unſere Empfindungen von andern Vorſtellungen 
unterſcheiden; aber ein allgemein ausreichendes iſt 
es gewiß nidt. Wir finb ojt genoͤthigt, andere zu 
gebrauchen, unb ber gemeinſte Menſch gebraucht ſie. 
Er ſchließt nach einem unerlernten aber untruͤglichen 
Grundſatze, daß eine Vorſtellung keine Empfindung 
ſey, wenn ihr Gegenſtand etwas enthaͤlt, bas wider— 
ſprechend und unmoͤglich iſt, oder keinen Grund hat. 
Die Wahrheit, welche bey dieſem Schluſſe zum 
Grunde liegt, ift keine andere, als daß ein Gegen: 
ſtand nicht außer feiner. Vorſtellung wirklich ſeyn koͤn⸗ 
ne, menn nicht alles in ibm bem Gate des Wider—⸗ 
ſpruches unb des zureichenden Grundes gemäß iſt. 
R4 Soll⸗ 
) Treat. on hum. Nat. B. I. P. I. S. I. S. 12, 


f^f^ 250 "uc 


Sollte et. irgendwo einen. Schatten geſehen zu haben 
glauben, ohne daß eim undurchſichtiger Koͤrper vor; 
handen waͤte, ſo wuͤrde er uͤberzeugt ſeyn, daß er es 
ſich bloß eingebildet habe, geſetzt, daß auch die Vor— 
ſtellung alle Staͤrke einer Empfindung gehabt haͤtte. 


Das entſcheidende Kennzeichen, woran der bloße 
geſunde Verſtand etwas fuͤr eine Empfindung erkennt, 
iſt alſo die Staͤrke der Vorſtellung, verbunden mit der 
Moͤglichkeit des Gegenſtandes ſowol an ſich, als mit 
den vorhergehenden, begleitenden und nachfolgenden 
Umſtaͤnden. Hingegen erkennt eben ber geſunde Ver— 
ſtand eine Vorſtellung fuͤr eine Einbildung, ſo bald er 
fid) ihrer 93ergefellfdaftung mit feinen vorhergehen⸗ 
den oder gleichzeitigen Vorſtellungen bewußt iſt. 


Dieſe Urtheile des geſunden Verſtandes laſſen 
ſich durch die ſchaͤrfſte Unterſuchung rechtfertigen. 
Eine jede wirkliche Vorſtellung muß einen unmittelba. 
ren zureichenden Grund haben, warum ſie eben jetzt, 
warum ſie nicht fruͤher und nicht ſpaͤter, unter dieſen 
unb feinen andern Umſtaͤnden wirklich iſt. St die⸗ 
ſer Grund ein bloßer innerer Grund: ſo ſuchen wir 
ibn nicht ín einem aͤußern von bem denkenden Subjekte 
verfd)iebenen Gegenſtande; bie Vorſtellung ift bloß 
vermoͤge eines Geſetzes des denkenden Subjektes ſelbſt 
vorhanden; ihr Grund iſt ſubjektiv. Iſt der Grund 

der 


FMVEM 25r ^ac» 


ber Vorſtellung nicht blog ít einem Geſetze be& ben: 
fenben. &ubjefteó: fo muf er ín ifrem Dbjette, et 
muf ein objettivet ſeyn. 


Danach unterſcheide id) bíe Theile einer Total⸗ 
vorſtellung, ſo wie die Folge in den Reihen meiner 
Vorſtellungen. Den naͤchſten Grund derjenigen Reihe, 
worin die Vorſtellungen nad) bem bloßen ſubjektiven 
Geſetze der Einbildungskraft auf einander folgen, ſuche 
ich nicht in Gegenſtaͤnden außer mir; ſo bald aber die 
Folge ber. Vorſtellungen dieſen Grund ín einem fub; 
jektiven Geſetze ber Seele, in bem Geſetze ber Einbil⸗ 
dungskraft gar nicht haben kann, ſo muß ſie einen 
Grund außer mir haben, in Dingen, die von mir 
verſchieden ſind, und die ich die Gegenſtaͤnde meiner 
Vorſtellungen nenne. Man hat ſich dieſes Satzes als 
eines Entſcheidungsgrundes in einem aͤußerſt verwickel⸗ 
ten Falle bedient, um danach auszumachen, ob eine 
gewiſſe Vorſtellung eine bloße Vorſtellung der Einbil⸗ 
dungskraft, oder eine wirkliche Empfindung ſey. Es 
iſt in der Theorie der Muſik eine beruͤhmte aber 
ſchwere Frage, ob die ſogenannten Nebentoͤne (toni 
ſecundarii) wirklich gehoͤrt werden, oder ob ſie bloß 
bie Einbildungskraft zu ben Haupttoͤnen hinzuſetzt. 
Man verſteht unter dieſen Nebentoͤnen bie. Octave, 
Duodecima, Decima quinta und Decima ſeptima, die 
mit dem Grundtone der Saite zugleich gehoͤrt werden, 

R5 und 


KAAVEM 252 4*1 


unb c8 ift befannt, daß Xameau auf bie Erfahrung, 
daß jeber Girunbton von dieſen Socbentónen bealeitet 
werde, einen Theil feiner Theorie des Generalbaſſes ae: 
bauet hat. Dieſe Nebentoͤne ſind ſo ſchwach, daß man 
ſie, nach ihrer Staͤrke, nicht fuͤr Empfindungen halten 
duͤrſte, unb gleichwol ſind ſie es. Das Humiſche 
Kennzeichen der Impreſſionen oder Empfindungen 
laͤßt uns hier alſo voͤllig im Bloßen. Man hat ſich 
daher mit einem andern Mittel helfen muͤſſen, und 
das geben uns die Geſetze ber Einbildungskraft unb 
ber aͤußern Sinne an die Hand. Nach bem Geſetze 
der erſtern erregt eine Vorſtellung andere, die mit 
ihr vergeſellſchaftet ſind. Wenn alſo mit der Em—⸗ 
pfindung des Grundtones die Vorſtellung der uͤbrigen 
Toͤne, die zu dem harmoniſchen Dreyklange gehoͤren, 
kann erregt werden: ſo kann man fragen, warum die 
Quinte des Grundtones nicht als Nebenton mit ihm 
gehoͤrt wird, da ſie eben ſo genau und noch genauer 
mit ihm vergeſellſchaftet iſt, als die Duodecima; nicht 
die Tertie, die eben ſo genau und noch genauer mit 
bem Grundtone vergeſellſchaftet iſt, als die Decima 
ſeptima? Der Grund von dieſer Erſcheinung iſt alſo 
nicht ſubjektiv, er ift ín feinem Geſetze bed. empfin⸗ 
denden Subjektes; er muf alío objeftio ſeyn; ba8 
heißt: wir müffen un& bie Nebentoͤne nicht bof ein: 
biben, wir muͤſſen fie empfinben, iir müffen fie 
wirklich bóren, Wir haben alfo Recht zu fdliefen, 

der 





FMMEM 253 ^um 


óet Grund der 93or(tellungen, bet fein fubjeftiver 
feyn kann, muf ein objeftiver ſeyn. Dieſer Schluß 
fann ín taufenb Fallen binreidjen, um uns von bet 
áufern Objektivitat unferer Vorſtellungen gu uͤberzeu⸗ 
gen. Bismweilen finben wir abet oiefen Grund ín den 
Objekten ſelbſt, und dann iſt unſere Ueberzeugung, 
daß fie Empfindungen ſind, nod) vollſtaͤndiger Wenn 
id) den Koͤrper, ber einen Schatten verurſacht, wirk— 
lich ſehe, ſo zweifle ich nicht mehr, daß der Schatten 
kein bloßes Bild der Einbildungskraft ſey. Bey der 
vorliegenden muſikaliſchen Frage laͤßt ſich zeigen, daß 
qut die Schwingungen ber aliquoten ober erſchoͤpfen— 
den Theile der ganzen Saite, nicht von den Schwin⸗ 
gungen der ganzen Saite zerſtoͤrt, und alſo gehoͤrt 
werden koͤnnen, und das iſt der Grund, warum die 
Tertie unb Quinte, bie durch die Schwingungen von $ 
unb * entítefen, nicht, bie Octave aber, Duodecima 
u. f. m. bie burd) bie &dymingungen $, 3 u. f. tv. 
entſtehen, allerbingé zu bem Grundtone mitten. 


Syd) Babe biefe8 Beyſpiel aefüffentlidy fo weit⸗ 
fauftig ausgefuͤhrt; weil es mir bie 9Bernunftmáfig: 
feít des Verfahrens, wonach bie gefunbe SBernunft 
jur Urſach einiger unſerer Vorſtellungen áufere. Oe: 
genſtaͤnde annímmt, ín einem febr hellen Lichte bat: 
guftellen ſcheint. Synbem fie ín ben SRorftellungert von 
einzelnen Dingen zweyerley Reihen unterjd)eibet, in 

deren 


fMvER 254. "wav 


deren einer fie. entweder einen ſubjektiven Grund 
wahrnimmt, oder einſieht, daß fie feinen aͤußern ob⸗ 
jektiven haben kann; (n deren andern fie hingegen ent: 
weder einen aͤußern objektiven Grund erkennt, oder 
wenigſtens erkennt, daß fie feinen ſubſektiven haben 
kann, — indem die geſunde Vernunft dieſe zweyerley 
Reihen voit Vorſtellungen einzelner Dinge unterſchei⸗ 
det: ſo glaubt ſie ſich genoͤthigt, zweyerley Arten von 
Vorſtellungen anzunehmen, Einbildungen und Em— 
pfindungen, und die letztern von den erſtern an dem 
Kennzeichen zu unterſcheiden, daß ſie durch wahre 
Gegenſtaͤnde außer ihr verurſacht werden, worin alles 
bem Satze bed zureichenden Gtundes gemaͤß ſeyn 
muß; die andern aber nicht. 


2. Die Gegenſtaͤnde unſerer Empfindungen 
ſind wirklich. 

Dieſe Betrachtungen ſetzen, wofern mich nicht 
alles taͤuſcht, die objektive Kraft des Satzes vom 
Grunde außer allen moͤglichen Zweifel. Ja! ich darf 
noch folgendes hinzuſetzen, — und das bin ich gern 
zufrieden, fuͤr ein ſo großes Paradox gelten zu laſſen, 
als man will, ob es mir gleich darum nicht weniger 
wahr ſcheint. Ich ſelbſt Bin ein Objekt, meine Vor⸗ 
ſtellungen ſind Objekte; ſie ſind die Objekte meiner 
Betrachtungen, ſo oft ich ſie deutlich zu machen ſuche. 

Ich 


8ſ 255 


Ich betrachte meine Anlagen, Kraͤfte, Fertigkeiten, 
Tugenden unb Fehler; id) unterjcflbe meine Vor— 
ſtellungen von mir, dem betrachtenden Subjekte. Wenn 
das auf den erſten Anblick paradoxer ſcheint, als daß 
wir uns ſelbſt in einem Spiegel betrachten: ſo kann 
es bloß daher kommen, daß wir dieſes gewohnter ſind 
als jenes. Die erften Grundſaͤtze der Vernunft muͤſ— 
ſen alſo eben darum auch eine objektive Nothwendig, 
feit haben, weil man ihnen eine ſubjektive nicht abfpre: 
chen kann; ja ſie haben nur darum eine ſubjektive, 
weil ſie eine objektive haben. Denn das Geſetz der 
Vernunft iſt nichts anders als ein beſonderes Geſetz, 
das unter dem allgemeinen Geſetze des zureichenden 
Grundes enthalten iſt; e$ iſt dieſes allgemeine Geſetz 
angewendet auf bie Folge deutlicher Vorſtellungen. 


Ich ſehe wohl, daß dieſe Betrachtung ſich noch 
bis zu einer. groͤßern Evidenz ausfuͤhren ließe, unb et: 
warte nur die Veranlaſſung dazu, die uns auch nicht 
fehlen wird, ba die Art, auf bem Wege der Unterſu— 
chung zu reiſen, die die Einrichtung dieſer Zeitſchrift 
mit ſich bringt, es ſehr wohl erlaubt, daß wir unſere 
Tagereiſen nad) Belieben abbrechen unb wieder fort⸗ 
ſetzen, bag wir vorwaͤrts unb ruͤckwaͤrts geben, unb 
nach allen Richtungen ausbeugen koͤnnen. Jetzt alſo 
ſey es mir erlaubt, die bisherige Betrachtung in einen 
kurzen Nebenweg zu lenken. 


Hier 


FX» 256 4» 


Hier i(t bie erfte augenſcheinlichſte objektive Guͤl⸗ 
tigkeit der erſten Gruͤnde und Geſetze der Erkenntniß 
ſichtbar. Die Vorſtellungen, nicht bloß ſo fern ſie 
Vorſtellungen, ſondern fo ferm fie Objekte fino, 
müffen ibnem gemáfi ſeyn Muͤſſen fle bas nit: 
fo (inb fie nut. Geſetze für dieſe 3Borftellungen, bic in 
oiefem Augenblicke wirklich (inb: fo koͤnnen in jedem 
kuͤnftigen Augenblicke andere Vorſtellungen nad) ans 
dern Geſetzen ſeyn, ſo giebt es keine allgemeine 
Gruͤnde, keine nothwendige Geſetze, mit welchen 
id in meine Anſchauungen Einheit bringen kann. 
Denn die Allgemeinheit und Nothwendigkeit dieſer 
Geſetze und Gruͤnde meiner Vorſtellungen kann nicht 
davon abhangen, daß ſie Vorſtellungen uͤberhaupt, 
oder Vorſtellungen von dieſer oder jener Sache ſind, 
ſondern bloß davon, daß ſie uͤberhaupt Etwas, daß 
ſie Objekte ſind. Das Subjektivwahre in der Er⸗ 
kenntniß iſt veraͤnderlich, zufaͤllig, mannigfaltig; nur 
das Objektivwahre iſt unveraͤnderlich, nothwendig, 
allgemein. Entweder es giebt keine allgemeine Ger 
ſetze bet Vorſtellungen, ober ſie ſind objektiv guͤltig. 
So zerſtoͤrt der kritiſche Idealismus ſich ſelbſt; denn 
aller Streit daruͤber iſt unmoͤglich, wenn e$ feine allge⸗ 
meine Erkenntnißgruͤnde giebt, wenn dieſe nicht für 
alle Subjekte, ja nicht einmal fuͤr das nehmliche Sub⸗ 
jekt immer gelten muͤſſen. Sie muͤſſen aber objektiv 
guͤltig ſeyn, wenn ſie das ſollen. 

Alſo: 


FMAMf^ 257 ^3 


Alſo: toir ſelbſt und unfere Vorſtellungen finb 
auch Objekte; ſie ſind es fuͤr uns ſelbſt; ſie koͤnnen es 
fuͤr andere denkende Weſen ſeyn, wenn es derglei⸗ 
chen giebt. Sind fie abet. Objekte: fo giebt es bet; 
gleichen fuͤr Eine Art unſerer Empfindungen, naͤmlich 
fuͤr die inneren. Eine ganz natuͤrliche Analogie koͤnnte 
und nun uͤberzeugen, daß ſo, wie bie innern Empfin⸗ 
dungen wirkliche Gegenſtaͤnde haben, bie aͤußern bet; 
gleichen ebenfalls haben muͤſſen, und zwar, wie jene 
innere, fo dieſe aͤußere. Es koͤmmt nut barauf art, 
daß wir die aͤußern Empfindungen von den uͤbrigen 
Vorſtellungen unterſcheiden, und dazu giebt uns, wie 
oben iſt gezeigt worden, bie geſunde Vernunft Kenn— 
zeichen an, die den erſten Gruͤnden der menſchlichen 
Erkenntniß gemaͤß ſind. 


Wenn wir nun nach dieſen vorlaͤufigen Betrach⸗ 
tungen die Theorie ber bisherigen Metaphyſik mit 
Hrn. Rants Theorie vergleichen: fo ſagt bie letztere: 


1) Raum und Zeit ſind die Formen der ſinnlichen 
Anſchauung aller unſerer Erkenntniß; wir haben 
das uͤberſetzt: fie ſind bie einfachſten Begriffe 
derſelben, bie Clemente, woraus (ie zuſammen⸗ 
geſetzt iſt; 

2) ſie ſind in irgend etwas erkennbares voͤllig un⸗ 
aufloͤslich; 

3) dieſe 


F^Avf^ 258 wm 


3) biefe Sormen ber ſinnlichen Anſchauung, ober, 
bieje einfadyen Begriffe, haben bloß fubjcftive 
Grünbe ; 


4) fie finb affo blofie Erſcheinungen, ohne irgend 
etwas, das nidt Erſcheinung, ober, mie e 
Br. Sant nennt, cin Ding an fij, b. i. ein 
wahres Ding, ein orras cv ift, von bem wir 
irgenb etwas erkennen. 


Die Leibnitziſche Theorie ſagt: 

1) Raum und Zeit ſind nur Formen, d. i. die 
einfachſten Begriffe der Sinnenerkenntniß; 
(Phil. Mag. St. 2. S. 168.) 

2) ſie ſind nur fuͤr die Sinnen, nicht aber fuͤr 
ben Verſtand unb die Vernunft, unaufloͤslich; 
(Ebend. S. 169.) 

3) fie haben aufer den ſubjektiven aud) objektive 
Gruͤnde; 

4) unb dieſe objektiven Gruͤnde (inb. keine Erſchei⸗ 
nungen, ſondern wahre erkennbare Dinge. 


Die erſten zwey von dieſen Saͤtzen ſind bereits, 
wie es mir ſcheint, beftiedigend bewieſen worden; 
den dritten haben wir in der gegenwaͤrtigen Abhand⸗ 
lung darzuthun geſucht, indem wir uns durch die ob⸗ 
jektive Guͤltigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde 

von 


259 


von der Wirklichkeit der Gegenſtaͤnde unſerer Empfin⸗ 
dungen uͤberzeugt haben. Um aber hier nicht den ge⸗ 
ringſten Schein einer Luͤcke zu laſſen: ſo mag folgende 
Fortfetzung unſerer Unterſuchungen, das, was zur 
voͤlligen Ueberzeugung von der Beziehung unſerer Er⸗ 
kenntniß des Wirklichen auf aͤußere Gegenſtaͤnde fehlt, 
noch ergaͤnzen. 


3. Die Gegenſtaͤnde der aͤußern Empfindun⸗ 

gen (inb nicht bloß innere Gegenſtaͤnde, fons 

bern aud) áufere, unb ifte letzten Girünbe 
finb Dinge an (id). 

Daruͤber ift alfo fein Streit, baf bie Vorſtel⸗ 
lungen der Einbildungskraft von den Empfindungen 
dadurch unterſchieden werden, daß ſich letztere auf 
wirkliche Gegenſtaͤnde beziehen; allein vielleicht ſind 
dieſe Gegenſtaͤnde feine aͤußere, bloß innere. — 


Der Grund, wonach die geſunde Vernunft ur⸗ 
theilt, daß es wirklich aͤußere Gegenſtaͤnde ſind, den 
wir bereits angefuͤhrt haben, und der darin liegt, 
daß die Vorſtellungen ber Sinne durch bie Verknuͤ⸗ 
pfung ber VBeſtimmungen in bem Objekte beſtimmt 
werden, — dieſen Grund koͤnnen wir noch allgemei⸗ 
ner, und eben dadurch noch faßlicher darſtellen. 


Philoſ. Mag. 3. St. e Un⸗ 


mAuvr* 260 ^w 


Unſere Cmpfinbungen müffen nothwendig aud) 
eiten Grund ihrer Wirklichkeit ober eine Urſach außer 
ſich haben; denn ihr innerer iſt nicht zureichend. 
Sind fie gar nicht Wirkungen unſerer Kraft, iſt das, 
was wir unſere Seele, unſer Ich nennen, gar keine 
Kraft, iſt es eine bloße Erſcheinung, alſo ſelbſt nichts 
als Vorſtellung: nun ſo muß irgendwo eine Kraft 
ſeyn, die die wirkende Urſach dieſer Vorſtellungen iſt, 
denn alles muß ſeinen zureichenden Grund haben. 
Iſt ſie aber eine Kraft: ſo muß eine Urſach daſeyn, 
bie fie zu bet Einen von ben unenbfíd) vielen moͤgli⸗ 
chen Vorſtellungen 6eftimmt. Das ift. nun entrocbet 
ein raͤumliches und ſucceſſives Ding außer ihr, oder 
es iſt ein nicht raͤumliches, nicht ſucceſſives Ding, 
kurz das, was wir die unendliche Subſtanz nennen. 
In dem letztern Falle haben wir ein Ding an ſich, 
unb zwar außer uns, ofne raͤumliche unb ſucceſſive 
Gegenſtaͤnde — der Berkleyiſche Idealismus. In 
bem erſtern Salle haben wir aͤußere Objekte. 


Iſt alles dieſes nicht: nun ſo habe ich meine 
Vorſtellungen, weil ich fie habe. Veftram fidem, 
Quirites! ruft hiebey ein neuerer Beſtreiter bet 
bloßen Subjektivitaͤt unſerer Erkenntniß aus, ift das 
eine Antwort, iſt das ein Grund? *) Auf dieſen 

Gruͤn⸗ 
*) $t. Soft. weishaupt über hie Gruͤnde umb Gewish. 
der menſchl. Erkenntn. S. 162. 


F-uvf o6r wu» 


Gruͤnden alfo müfite bie Widerlegung des Berkleyiſchen 
Idealismus beruhen, bie Jor. Kant in ber. St. ber r. 
Vern. S. 275. n. X. verſucht hat. Denn fo voie et fie 
vortraͤgt, trifft fie ihn ſchlechterdings nicht. Von ben 
zweyerley moͤglichen Gruͤnden der Vorſtellungen, den 
veraͤnderlichen der Welt, unb bem nothwendigen Ber 
ſen, hat Berkley das letztere gewaͤhlt; und hierin iſt 
ſein Idealismus gewiß zuſammenhaͤngender, als der 
kritiſche Idealismus des Hrn. Kant, und der allge⸗ 
meine des ſeichten Hume. 


Es iſt hier nicht der Ort, von dieſen ſucceſſiven 
Objekten zu ber Wirklichkeit der nothwendigen Sub⸗ 
ſtanz hinauf, oder von der Wirklichkeit der nothwendi⸗ 
gen Subſtanz zu der Wirklichkeit der ſucceſſiven Objekte 
herabzuſteigen; der Verſuch dazu mag in ein anderes 
Blatt ausgeſetzt bleiben. Wir geben jetzt gleich zu 
ben Dingen an fid fort, — o bald wir genoͤthigt 
finb, aͤußere Gegenftánbe unfetec Cmpfinbungen , bie 
raͤumliche unb fucce(five Dinge finb, angunebmen , fo 
müffen wir aud) bie Wirklichkeit von ingen an. fid) 
etfennen ; benn bie (e&ten objektiven Gruͤnde bet 
concreten Seit. (inb 93orftellungen, unb bie le&ten ob; 
jektiven Gruͤnde be$ concrete unb wirklichen Raumes 
ſind einfache unraͤumliche Subſtanzen, Dinge an ſich, 
wahre Dinge, keine Erſcheinungen, ovrws ovra, unb 
fo fern fie aufer der Sphaͤre ber. Sinne liegen, unb 

o2 nur 


CA^ 262 «um 


sut von bem Verſtande fónnen vorgeſtellt werden, 
Noumena. ('Dbif. Mag. €t. 2. €. 169 — 173.) 


QC» twáte alfo die Wahrheit, ba Raum unb 
Seit jugleid) fubjefrive und objeftive Gruͤnde babet, 
bie oen. Santé Commentatoren kaum als Hypotheſe 
zu roibetlegen wuͤrdigen, voͤllig apodiktiſch erwieſen *). 
Es waͤre bewieſen, daß ihre letzten objektiven Gruͤnde 
Dinge an ſich ſind; und wir muͤßten, — wenn der 
ein Dogmatiker iſt, der mit Gewißheit Dinge an ſich 
annimmt, — es koſte was es wolle, uns dem 
Schimpfe unterwerfen, Dogmatiker zu heißen. 


*) Wir empfehlen, was daruͤber in ber Allg. deutſchen 
Bibl. B. 66. Gt. 1. €. 94. u. ff. tnb $5. ga. 6t. a. 
€. 471. u. ff. mit vieler. Gruͤndlichkeit geſagt iff, 
nachzuleſen. 


| 


II. 


FAM 263 / ux» 
$0909 ro$ro$9 n9 o9 729 c9 2$ ^) 9^9 


II. 
Ueber das Gebiet des reinen CBerftanbes. 


— —ñ—— — 


W. haͤtten uns alfo in ben bisherigen Unterſu— 
chungen uͤberzeugt, daß es Dinge an ſich, oder wahre 
Dinge, Dinge, die keine Erſcheinungen ſind, geben 
muͤſſe. Dieſe Dinge an fid), bie einfachen Subſtan⸗ 
zen, die endlichen ſowol als die unendliche, ſind dem 
reinen Verſtande erkennbar. Das leugnet Hr. Kant; 
er behauptet, aud) durch ben reinen Verſtand erken⸗ 
nen wir nicht das geringſte von ihnen. Die Begriffe 
dieſes Vermoͤgens ſind bloße Kategorien, die ohne 
Anſchauung gat keine Vorſtellungen geben. Die Gu; 
ſcheinungen der Koͤrperwelt ſind alſo bloße ſubjektive 
Modifikationen der Sinnlichkeit, die keinen objektiven 
Grund haben, gar nichts von dem Objekte vorſtellen; 
und nach dieſer Analogie, ſtellt uns unſere Erkenntniß 
Gottes nichts von ihrem Objekte vor, nichts von der 
Wirklichkeit, nichts von den Eigenſchaften dieſes hoͤch⸗ 
ſten Weſens. 


Syd) habe bisher bem Gebiete des Verſtandes 
einen Umfang gegeben, den ihm alſo der kritiſche 


S3 Idea⸗ 


(avrR 264. xà 


Idealismus abſpricht. Hr. Kant fat bie Graͤnzen 
dieſes Gebietes ſo enge zuſammen zu ziehen verſucht, 
daß ſie weiter nichts mehr in ſich ſchließen, als die 
wenigen allgemeinen Begriffe, denen er ausſchlie⸗ 
ßungsweiſe ben ehemals mehr umfaſſenden Namen 
der Kategorien zugeeignet hat. Da er ſogar von 
dieſem eingeengten Boden auch nur eine ſehr geringe 
Nutzung zulaͤßt: ſo wird das Beduͤrfniß dringend, 
die Gerechtſame des Verſtandes auf ſein altes, unter 
fo vielen Revolutionen beſeſſenes Reich geltend zu ma: 
chen. Seine Kategorien oder allgemeinen Begriffe 
ſollen nemlich zu weiter nichts dienen, als bie Sot; 
men der Anſchauung zu verbinden, oder in Einheit 
der Apperception zu bringen. Da ferner die Erkennt⸗ 
niß der reinen Vernunft, wie er behauptet, leer iſt, 
weil ihr die Formen der Anſchauung fehlen, es alſo 
feine Dinge an fid), d. i. feine ſolche, bie nicht C 
ſcheinungen finb, kurz, feine wahre Dinge giebt, auf 
welche feine. Kategorien koͤnnten angewendet werden: 
fo ſehen mit uns ín ein Zauberland verſetzt, nachdem 
wir aud bem Reiche be8 93er(fanbed. vertrieben fib; 
toit leben untec bloßen Traumbildern, unb finb nicht 
ſicher, o6 mir uns ſelbſt für ctroa$ Beſſeres falten 
bürfen. 


Das toürbe bie unausbleibliche Folge ber Ein— 
ſchraͤnkung des Verſtandes auf die bloße Erkenntniß 
der 


mr 265 


bet Sategotien, unb ber Anwendbarkeit bet Kalego⸗ 
rien auf bloße Erſcheinungen ſeyn. Es mürbe nichts 
wirklich ſeyn, als meine Vorſtellungen; denn ihre 
Materie waͤren Erſcheinungen ohne objektive Gruͤnde, 
und die Begriffe des Verſtandes haͤtten bloß das Ge⸗ 
ſchaͤft, dieſe Materie zu verbinden; bie Gegenſtaͤnde 
der Sinnlichkeit waͤren keine Dinge an ſich, die Ge⸗ 
genſtaͤnde des Verſtandes aud) nicht. Die Philoſophie, 
welche Hr. Kant die dogmatiſche nennt, und die er, 
meiner Einſicht nad), mit Unrecht der kritiſchen ente 
gegenſetzt, — denn es kann eine kritiſche geben, die 
dogmatiſch iſt, — dieſe Philoſophie glaubt mit unum⸗ 
ſtoͤßlichen Gruͤnden dargethan zu haben, daß Erſchei⸗ 
nungen der Koͤrperwelt ihre objektive Gruͤnde haben 
muͤſſen, die aber außerhalb des Geſichtskreiſes der 
Sinnlichkeit liegen, und nut Gegenſtaͤnde, aber 
wahre Gegenſtaͤnde des Verſtandes und der Vernunft 


ſind *). 


lm und davon zu uͤberzeugen, muͤſſen wit 
das Erkenntnißvermoͤgen, das wir Verſtand nen⸗ 
nen, allerdings genauer zu erforſchen ſuchen. Ich 
weiß, daß ich in dieſer Unterſuchung nichts neues 
werde ſagen koͤnnen; Plato, Ariſtoteles, inſonder⸗ 
heit aber. Leibnitz, Wolf, Baumgarten unb ar 
dere tieſſinnige Dogmatiker, haben alles, was hieher 

e 4 gehoͤrt, 
*) Phil. Mag. €t. a. N. a. unb St. 3. N. rr. 


F^A»f^ 266 -^-2x* 


gehoͤrt, fo Befriebigenb auseinander geſetzt, baf id) ed 
Éíof zu wiederholen brauche; alleim es ift vergeſſen, 
ſeitdem man die Philoſophie popular gemacht hat, 
und ihr Studium mit den Schriften der letzten Meſſe 
anzufangen pflegt. Von dieſer Seite, muͤſſen wir 
geſtehen, haben bie Kantiſchen Zweiſel, fo wenig fte 
mir neu. ſcheinen, einen großen Werth Sie noͤthi⸗ 
gen uns, die Gruͤnde unſerer Ueberzeugung einet 
neuen Pruͤfung zu unterwerfen, unb bie Quellen, 
aus benen wir ſie aefd)ópft, nad) aller ihrer Siefe zu 
untetfüdjen 5; was bavon ber Crfelg feyn mag, fo wird 
et immer Gewinn ſeyn. 


Co lange man das Wort Verſtand gebraucht 
hat, ſo lange hat man immer Verſtand und Sin⸗ 
nen, vovs unb &e5c;s , Intellectus unb Senſus eit 
ander entaegengefcet. 


fen Unterſchied ber Crfenntnifarten dieſer bei; 

ben Vermoͤgen beſtimmte man fo, baf man bie Gin; 
nenetfenntnif auf ble Vorſtellungen be$ Einzelnen, e8 
ſey durch bie Oinnen, menn mic un das Vorgeſtellte 
als gegenroártig, ober butd) bie Ginbilbungstraft, 
wenn wir es uns als abroefenb vor(teliten; bie Ver⸗ 
ſtandeserkenntniß hingegen auf die Vorſtellungen des 
Allgemeinen einſchraͤnkte. Aus dieſem Unterſchiede 
leitete man einen andern her, den naͤmlich: g^ bie 
(n; 


f^^ 262 wa 


Sinmenerkenntniß aus bildlichen, bie Verſtandeser⸗ 
kenntniß hingegen aus unbildlichen Vorſtellungen 6er 
ſtehe; wenn man das Bildliche allgemein fuͤr alle 
Vorſtellung des Zuſammengeſetzten nimmt; denn in 
jedem Einzelnen ift immer unendlich viel Mannigfalti⸗ 
ges enthalten, es ſeyen Beſtimmungen in einander 


ober aufer einander, unb ſucceſſive ober. neben einan⸗ 
ber ſcyende. 


Dieſe Art, die Erkenntniß der Sinnen und des 
Verſtandes ju unterſcheiden, nimmt Hr. ant gleich—⸗ 
falls an, und er weicht von ſeinen Vorgaͤngern nur 
ín folgenben Stuͤcken ab. 


Der aͤlteſte Begriff des Verſtandes war Vermoͤ⸗ 
gen unbildlicher Vorſtellungen. Zu dieſen rechnete 
man nicht allein die abſtrakten Begriffe, die wegen der 
Allgemeinheit ihres Gegenſtandes unbildlich ſind, 
ſondern auch diejenigen Begriffe des Einzelnen, die 
es wegen der Einſachheit ihres Gegenſtandes ſind. 
Das Unbildliche, das beiden Arten der Begriffe 
und ihren Gegenſtaͤnden gemein iſt, hat bisweilen die 
Alten verleitet, ſie mit einander zu verwirren, und 
aus dieſer Verwirrung ift vielleicht manches unver— 
ſtaͤndliche in der Zahlenlehre des Pythagoras, der 
Ideenlehre bes (gto, unb in ber Theologie des Ari— 
ftoteles entftanben, — Dieſe Verwirrung ſelbſt beweiſet 

S5 indeß, 


F2uMF 268 «m2 


indeß, baf fie bie €rfenntni des unbildlichen Einzel⸗ 
nen mit in das Gebiet be8 Verſtandes begriffen. 


S dieſem letztern gehoͤrten von je ber das hoͤchſte 
Weſen, die menſchlichen Seelen, und, ſeit der Theorie 
der Monadologie, die einfachen Elemente der Koͤrper. 
Dieſe koͤnnen, ba fie einfad) ſind, keine Beſtimmun⸗ 
gen des Zuſammengeſetzten haben; die Geiſter, da ſie 
das Zuſammengeſetzte zuſammennehmen, und ihm 
durch die Vorſtellung diejenige Einheit geben, die 
ihm an ſich nicht zukommt; die Elemente der Koͤrper, 
da ſie die letzten Gruͤnde des Zuſammengeſetzten ſind, 
und alſo keine von den Beſtimmungen haben koͤnnen, 
die bem Zuſammengeſetzten, als Zuſammengeſetzten, aus 
kommen; keine Ausdehnung, denn ſie ſollen die 
Gruͤnde der Ausdehnung; keine Farbe, denn ſie ſollen 
die Gruͤnde der Farben ſeyn. 


Zu den Verſtandesweſen, oder zu denen Dingen, 
die die Alten Noumena nennen, gehoͤren alſo auch 
die unbildlichen einzelnen Dinge; Gott, meine Seele, 
bie einfachen Elemente des Koͤrpers. Man Dat bis⸗ 
fer bie aͤußere objektive Wirklichkeit dieſer Verſtandes⸗ 
weſen als gewiß angenommen, ba man fie vermit—⸗ 
telſt der erſten Grundſaͤtze der Erkenntniß bewieſen 
geglaubt hat. Die Kantiſche Vernunftkritik ſpricht 
dieſen Grundſaͤtzen alle Guͤltigkeit ab, fo bald fie aus 

fer 


F^avr- 269 4wài49 


fec bet Gebiete. bec Erſcheinungen angetvenbet. wer⸗ 
ben , unb zwar deswegen, weil, nad) dieſer SBernunft: 
friti£, alle Erkenntniß von Dingen, bie feine Gr: 
ſcheinungen finb, leer ift. Wir glauben bewieſen au 
fabem, ba dieſe Grunbfáge eine transſcendentale 
Guͤltigkeit faben, weil ire Wahrheit gang allgemein 
ift, unb weil fie nothwendig auf Dinge füfren, bie 
feine Grfdjeinungen (inb. Hr. Kant (eugnet, baf 
írgeno etwas von dieſen Singen erfennbar ſey; et 
behauptet, baf roit gar nichts von inen miffen, baf 
wir von ifnen fein einziges "Drábifat weder bejahen 
noch verneínen koͤnnen; unb zwar deswegen, teil bec 
Vorſtellung von benfeben bíe Formen ber ſinnlichen 
Anſchauung fehlen. 


Wir haben geſtanden — und welche gruͤndliche 
Philoſophie hat je etwas anderes geſagt? — daß den 
Vorſtellungen von denſelben allerdings die Formen der 
Anſchauung fehlen; allein wir haben geglaubt, bat: 
aus nichts weiter ſchließen zu duͤrſen, als daß ihnen 
alſo, fofetn fie Gegenſtaͤnde des Verſtandes ſind, keine 
bildliche, ſinnliche, anſchauende Praͤdikate beyge⸗ 
legt werden duͤrfen. Wer von uns beiden richtig ge⸗ 
ſchloſſen, wird vielleicht beſſer in die Augen fallen, 
wenn wir die Schluͤſſe ín ihrer voͤlligen Form darle⸗ 
gen. Herr Kant ſchließt: 


Alle 


270 


Alle Vorſtellungen, die keine Erſcheinungen ſind, 
ſind leer von Formen der ſinnlichen Anſchau⸗ 
ung. 


Alle Vorſtellungen von Dingen an ſich finb- Vor⸗ 
ſtellungen, die keine Erſcheinungen ſind. 


Alſo ſind ſie ſchlechterdings leer. 


Dieſer Schluß hat augenſcheinlich vier Hauptbegriffe; 
ich glaube daher, daß man nur ſchließen koͤnne: alſo 
ſind dieſe Vorſtellungen leer von den Formen 
der ſinnlichen Anſchauung, d. i. ſie ſind nicht 
bildlich. 


Wenn ſie dann nicht ganz leer ſind, wenn ſie 
etwas Reelles enthalten, was ift dieſes Reelle ? Gt: 
was Bildliches, etwas Sinnliches iſt es nicht, und 
kann es nicht ſeyn. Alles Bildliche war entweder ei— 
ne Vorſtellung bec Sinne oder ber Einbildungskraft, 
und die Vorſtellungen dieſer beiden Erkenntnißvermoͤ⸗ 
gen ſind einzelne Dinge. Das unbildliche Reelle, bie 
nicht ſinnlichen Merkmale des Einfachen, koͤnnen alſo 
nichts anders als allgemeine Dinge ſeyn. Dieſe 
allgemeinen Dinge ſind die Gattungen und Arten, 
wovon eine jede durch ihr Weſen und Eigenſchaften 
ſich von den andern unterſcheidet. Dieſe ſind nun 
allerdings, abgeſondert von bem Einzelnen, nicht wirk⸗ 
(id); allein ſie ſud e$ bod), bie hoͤhern Gattungen 

unb 


Fr 27Y "mra 


unb Arten mittelbar, bie niebriaften Arten unmittel⸗ 


bar, in den unter ihnen enthaltenen einzelnen 
Dingen. 


Wenn wir alſo alle Beſtimmungen des Einzelnen 
klaſſificiren wollen: ſo gehoͤren ſie entweder zu ſeiner 
Individualitaͤt, oder zu bcm Weſen unb ben Attri— 
buten der Art und aller der Gattungen, unter denen 
es enthalten iſt, bis zu der hoͤchſten dieſer Gattungen. 
Die Beſtimmungen, die zu der Individualitaͤt des 
Dinges gehoͤren, koͤnnen wir nur durch Empfindung 
erkennen; allein ſehr vieles, daß uns auf dieſem We— 
ge von demſelben nicht bekannt werden kann, laͤßt 
ſich durch den Verſtand und die Vernunft erkennen. 
Dieſe Verſtandeserkenntniß kann nun zwar ohne alles 
Bildliche ſeyn, wir koͤnnen aber gleichwol gewiß ſeyn, 
daß fie etwas [cc reelles enthaͤlt, daß fie folglich nicht 
ganz leer iſt. 


Das Mittel, wie ſich der endliche Verſtand von 
ber Realitaͤt bet wahren allgemeinen Erkenntniß über: 
zeugen kann, iſt ſo einfach, daß man ſich wundern muß, 
wie es von dem kritiſchen Idealismus hat koͤnnen 
uͤberſehen werden. Der endliche Verſtand erhaͤlt 
feine allgemeine Erkenntniß durch Abſonderung desje— 
nigen, was mehrern einzelnen Dingen, mehrern 
Arten, mehrern niedrigern Gattungen gemein iſt; ſo 

ſteigt 


evt 072 ^w» 


ſteigt er von bem niebrigften S5egriffe bis gu bem 
bód)ften empor. Wenn nun dieſe allgemeinen Dinge, 
fo fern fie das Einzelne enthaͤlt, etwas Reelles ſind: 
ſo muͤſſen ſie es auch noch ſeyn, wenn ſie der Ver⸗ 
ſtand abgeſondert betrachtet. Dieſe Realitaͤt muß ih⸗ 
nen nothwendig auch alsdann bleiben, wenn ſie der 
Verſtand als Beſtimmungen eines Dinges denkt, das 
nie der Gegenſtand der Erfahrung werden kann; und 
wenn die reine Vernunft nach ihren ewigen Grund⸗ 
ſaͤtzen genoͤthigt wird, die Wirklichkeit eines ſolchen 
einfachen Dinges, es ſey endlich oder unendlich, zu 
bejahen: ſo kann ſie der Umſtand nicht hindern, von 
dieſer Wirklichkeit gewiß ju ſeyn, daß e$ nie ber Ge⸗ 
genſtand einer moͤglichen Erfahrung werden kann. 
Denn was fehlt bec Erkenntniß dieſes Dinges ? nichts 
weiter als die anſchauende Vorſtellung desjenigen, 
was zu ſeiner Individualitaͤt gehoͤrt. Allein hindert 
dieſe Unwiſſenheit, daß das denkende Weſen eine 
große Menge Praͤdikate von ihm erkennt, die zu 
dem Weſen und den Attributen deſſelben gehoͤrt? 


Ich muß hier ein Beyſpiel gebrauchen, von deſ⸗ 
ſen paſſenden Anwendbarkeit wir uns erſt weiter un⸗ 
ten werden uͤberzeugen koͤnnen. Die Sinnen und die 
Einbildungskraft des Menſchen in ſeinem gegenwaͤrti⸗ 
gen Zuſtande koͤnnen ſich von einem Tauſendeck kein 


genaues Bild machen, d. i. ein Bild, wodurch ſie 
es 


F^APEM 273 ^T» 


es à. $5. von einem Neunhundertundneunund⸗ 
neunzigeck unterſcheiden fónntem. Allein fo bald id) 
weiß, daß eine Figur ein Tauſendeck iſt: ſo kann mein 
Verſtand ihr verſchiedene Praͤdikate beylegen, die alle 
Attribute einer Figur von einer ſolchen Anzahl von 
Seiten ſind; ich weiß, daß ihre Kubikwurzel zehn, 
daß ihre Quadratwurzel nicht rationell iſt, ich weiß, 
ob ſie eine figurirte Zahl iſt oder nicht, u. ſ. w. 
Hier iſt alſo ein Fall, wo der Verſtand von einem 
Gegenſtande vieles erkennt, ohne daß die Sinnen und 
die Einbildungskraft ſich ein beſtimmtes Bild von 
ihm machen koͤnnen. Wie laͤßt es ſich alſo beweiſen, 
daß der Verſtand von einem Dinge an ſich deswegen 
gar nichts weder bejahen noch verneinen koͤnne, weil 
ſich die Einbildungskraft kein Bild von demſelben 
machen kann, oder weil wir nicht alle die Beſtim⸗ 
mungen kennen, bie zu ſeiner Individualitaͤt gehoͤren? 


Ich bin alſo uͤberzeugt, daß man ber Erkennt—⸗ 
niß des reinen Verſtandes oder der reinen Vernunft 
ihre logiſche Wahrheit oder ihre transſcendentale Guͤl⸗ 
tigkeit darum noch nicht abſprechen koͤnne, daß dabey 
keine Formen der Anſchauung zum Grunde liegen, oder 
daß ſie keine ſinnliche oder bildliche Merkmale ent⸗ 
haͤlt. Sie enthaͤlt Vorſtellungen von Dingen, die 
keine Erſcheinungen ſind, und dieſe Vorſtellungen ſind 
zwar von allem Bildlichen, aber darum nicht ganz 

ſchlech⸗ 


f^^ 204 wues 


ſchlechterdings, leer. Sie Begreifen nur nicht bie 
Merkmale, welche zu ihrer Individualitaͤt gehoͤren, 
oder dieſe Merkmale ſind, wie in der Erkenntniß von 
dem unendlichen Weſen, nicht anſchauend; aber ſie 
fiib immer nod) Vorſtellungen von ben gemeinen 95e: 
ftimmungen des Dinges, von feinem Weſen, von fei 
nen mefentlidem Stuͤcken, von feinen Attributen, 
von feinen Vermoͤgen, unb warum ſollen dieſe Cer 
genftánbe Écine Realitaͤt haben? 

Der kritiſche Idealismus faat : deswegen nid)t — 
bie Thaͤtigkeit des Gemuͤths fann nut ben €toff zu 
einer 93orftellung Bearbeiten, aber nicht felbft aus 
Nichts verfdjaffen, es muf alſo 3u bem Vorſtellungs⸗ 
vermoͤgen uod) ein anderes Vermoͤgen gefóren , ein 
Vermoͤgen afficiet gu werden, eine Empfaͤnglichkeit, 
eine Receptivitaͤt des Gemuͤths, elder ber Stoff, 
den die Thaͤtigkeit bearbeiten ſoll, erſt gegeben wer⸗ 
den muß; dann, erſt dann wird aus dieſem Stoffe 
eine Vorſtellung; bie Receptivitaͤt, ber bet Stoff ae 
acben wird, i(t bie €innlicbEeit, bie Thaͤtigkeit, bie 
ifn bearbeitet, ift der Verſtand. Alſo deswegen ift 
eine Vorſtellung des reinen Verſtandes ſchlechterdings 
(ect, das ift, fo gut als gar feine, weil fie unmittel⸗ 
bar feíne bildliche ober ſinnliche Merkmale enthaͤlt, 
das heißt, nad) bet Terminologie bes kritiſchen Idea— 
lismus, weil dabey' keine Formen der Anſchauung 
zum Grunde liegen. 

Einige 


TAM 275 ue 


Einige Anmerkungen über dieſes Verhaͤltniß beg 
Verſtandes zu der Sinnenerkenntniß fuͤhren uns viel⸗ 
leicht zu dem Punkte, wo ſich der kritiſche Idealismus in 
den Dogmatismus heruͤber fuͤhren laͤßt, d. i. zu dem 
Punkte, wo wir ſehen, wie der reine Verſtand aus 
der Sinnenerkenntniß diejenigen Vorſtellungen erhaͤlt, 
mit denen er etwas von den Dingen an ſich erkennt. 


Wir muͤſſen hier zufoͤrderſt fragen, was das 
heiße: „der Sinnlichkeit wird ber Stoff gegeben, ben 
ber Verſtand bearbeiten foll.,, Dieſen Stoff koͤnnen 
voit nicht anders erhalten, als in den Empfindungen; 
in ben innern, ín ben aͤußern. Alſo: bie Seele eti 
haͤlt den Stoff, ben bec Verſtand bearbeitet, ínbem 
fie empfindet; bie Gmpfinbunger geben. der Empfaͤng⸗ 
lídfeit beó Gemuͤths ober ber Cinnfid)feit irem 
Goff. Wer giebt aber bie Empfindungen? denn 
wo etwas gegeben werben foff, ba muf; Etwas ſeyn, 
welches giebt; ober, deutlicher, was i(t bie Urſach 
unſerer &mpfinbungen ? Hier bleibt uns keine weitere 
Wahl, als zwiſchen den aͤußern Gegenſtaͤnden und 
zwiſchen der Schoͤpferkraft, welche die Empfindungen 
durch eine unmittelbare Einwirkung auf das Gemuͤth 
hervorbringt. Denn bie bloße Empfaͤnglichkeit des 
Gemuͤths bringt fie nicht ſelbſt hetvor, fi ift eine 
bloße Empfaͤnglichkeit, fie empfaͤngt, ihr wird gege⸗ 
ben, fie wird affieirt, fie verhaͤlt fid) gans leidend 

Philoſ. Mag 5. St. T Wir 


FMTM 276 ^u» 


Wir mógen waͤhlen, welches von beiden wir wollen, 
bie Schoͤpferkraſt ober. die Einwirkung der Kraͤfte 
ſinnlicher Gegenſtaͤnde: fo kommen mit auf Dinge 
an ſich. 


Doch wir wollen annehmen, der Stoff ſey da 
und er mag in die Empfaͤnglichkeit des Gemuͤths ge 
kommen ſeyn, wie er mill: voie. bearbeitet ihn mu 
ber 93erftanb ? Was heißt, ber Verſtand bearbeit⸗ 
ihn? — Es fani zweyerley heißen. 


Erſtlich: Wir koͤnnen keine allgemeinen B⸗ 
griffe haben, die wir nicht von den Dingen, die wi 
durch die Sinnen wahrgenommen, oder von dener 
deren wir uns ín unſerer eigenen Seele bewußt ſiud 
abgezogen haben. In dieſem Sinne iſt cá unleugbai 
daß bie Sinnenerkenntniß bem Verſtande einen. €tof 
geben. mug, ben er Óeatbeitet, unb ber kritiſch 
Dogmatismus barf e$ nicht (eugnen. — Denn bie af 
gemeinen Dinge (inb nid)t anberá, als ín bem Gir 
zelnen wirklich; der Menſch fann aber das Einzeln 
nicht anders, als durch die Sinne unb bie Einbildungt 
kraft vorſtellen. Die Sinnen muͤſſen alſo dem Ver 
ſtande ben Stoff geben, ben. er bearbeitet —  alleí: 
wie? — den er bearbeitet, indem er. die gemeiner 
Beſtimmungen der Gegenſtaͤnde der Cmpfinibunget. 
unterſcheidet, und (ie, ohne bie Beſtimmungen be. 

&ir 


FRAME 277. "49 


Einzelnen denkt, das i(t, inbem ec fie von ihnen abi 
ſtrahirt. 


Das waͤre alſo die Eine Art, wie der Verſtand 
den Stoff, den ihm die Sinne geben, bearbeitet. 
Allein es giebt noch eine andere Bearbeitung dieſes 
Stoffes. Denn 


Zweytens koͤnnen aus demſelben wieder Begriffe 
zuſammengeſetzt unb verbunden werden. Der ety 
ſtand ſteigt naͤmlich, vermittelſt der Abſtraktion, au 
immer hoͤhern und allgemeinern Dingen, bis zu den 
hoͤchſten unb allgemeinſten hinauf, bie in ben ontolo⸗ 
giſchen Begriſſen oder bem Sategorien vorgeſtellt wer—⸗ 
den. Alle dieſe Gattungen und Arten der Dinge 
unterſcheidet der Verſtand durch ihre weſentlichen 
Stuͤcke unb ihre eigenthuͤmlichen Attribute Gc ur 
terſcheidet ben Zirkel von. andern krummen Linien, for 
wol durch die Gleichheit ſeiner Halbmeſſer, als durch 
die Gleichheit des Quadrats ſeiner Ordinaten mit 
ben Rektangeln der Segmente; er erkennt den endli— 
een Verſtand ſowol ar ſeiner Unwiſſenheit, als an ſeit 
ner Fehlbarkeit; das erſte gehoͤrt zu ſeinem Weſen, 
das andere iſt eines ſeiner Attribute. Außerdem er— 
kennt er in allen niedrigen Gattungen und Arten alle 
weſentlichen Stuͤcke und Attribute, die den hoͤhern 
Gattungen zukemmen; unb wenn ihm oie Attribute 

Wa der⸗ 


Cx»TM 278. "net 


derſelben bekannt finb: fo erfennt bie Vernunft aus 
ihnen das Weſen, fo voie (ie ein Attribut aug einem 
anbern Befannten, unb bie Attribute alle aus bem 
Weſen herleitet, wenn bem Verſtande dieſes Weſen 
eher bekannt iſt. 


So erhaͤlt alſo der Verſtand, mit Huͤlfe der 
Vernunft, neue zuſammengeſetzte Begriffe; ſo wie er 
ſelbſt, durch die Abſtraktion, zu immer allgemeinern 
und einfachern hinaufſteigt, bis zu den Begriffen 
des Moͤglichen und Gegruͤndeten, die allen Dingen, 
als Dingen, ohne den Unterſchied der Gattung und 
Art, wozu fie gehoͤren, zukommen. 


Wenn wir hier die eigenthuͤmlichen Gegenſtaͤnde 
des Verſtandes nod) genauer beſtimmen wollen: fe 
ſind es ſowol die erſten Gruͤnde aller Erkenntniß und 
alles Erkennbaren uͤberhaupt, als auch die erſten 
Gruͤnde des Erkennbaren in jeder Gattung von Din⸗ 
gen, und dieſe ſind das Weſen derſelben. Das war 
e$, was bie Alten unter bem Verſtande (»z«) Begrif 
fen, wenn fie ihn nod) von der Vernunſt (2oyos) utr 
terſchieden; wenn fie ihn alſo nídt für ba$ ganze 
obere Erkenntnißvermoͤgen, ſondern nur fuͤr einen 
Theil deſſelben, mit Ausſchließung ber Vernunft, naf 
men. Sie definirten alsdann den Verſtand durch die 
Erkenntniß ber Principien, qvosis Tuv epxor; denn 

dieſe 


fe^ 279. "r9 


dieſe Principien koͤnnen keine anbere, als ble erſten 
Grundſatze unb bie Weſen ber Dinge ſeyn. Aus ben 
Begriffen dieſer Weſen ſetzt die Vernunft, mit Huͤlfe 
der erſten Grundſaͤtze, auf die ſich alle Regeln der 
Vernunftſchluͤſſe ſtuͤtzen, neue Begriffe zuſammen, lei⸗ 
tet daraus neue Wahrheiten her, und dieſe ſind ins⸗ 
geſammt Gegenſtaͤnde bet. Verſtandeserkenntniß. 


So koͤnnten wir dann allerdings ſagen: der 
Verſtand bearbeitet den Stoff, der dem Empfindungs⸗ 
vermoͤgen oder der Sinnlichkeit erſt gegeben werden 
muß. Das heißt naͤmlich, ber Verſtand, deſſen Gt: 
kenntniß allgemeine Erkenntniß ift, muf feine Be⸗ 
griffe aus den Vorſtellungen der Sinne von dem Ein⸗ 
zelnen abziehen, unb aus ihnen, mit Huͤlfe ber Ber; 
nunft, allgemeine Wahrheiten zuſammenſetzen. Al⸗ 
lein folgt daraus, daß er alſo keine Dinge an ſich er⸗ 
kenne? Muͤſſen die allgemeinen Begriffe, woraus 
ſeine Wahrheiten beſtehen, ſinnliche oder bildliche 
Merkmale enthalten, wenn ſie Realitaͤt haben, wenn 
fie nicht ſchlechterdings leer ſeyn ſollen? Folgt bat: 
aus: bag bie Verſtandesweſen, die Noumena, mut 
in dem Verſtande, nur innere Gegenſtaͤnde, nie aͤußere, 
ſeyn koͤnnen? Den erſten Theil dieſer Theorie des 
Verſtandes hat die dogmatiſche Philoſophie vom Plato 
an, bis auf Leibnitz, angenommen; ſie hat aber nie 
begreiſen koͤnnen, wie der andere Theil, oder der kri— 

€3 tiſche 


f^Mu"f^ 480 «49 


fritifde Idealismus,  barau$ gefolgert toerben 
tonne, 


Doch wit müffen bicfe Unterſuchung nod) weiter 
verfolgen ; denn e8 ſcheint, wir finb bamit nur fo 
weit gekommen, daß bie Hauptbegriffe ber allgemei⸗ 
nen Wahrheitn feine. ſinnliche Anſchauungen beduͤr⸗ 
ſen Wenn es aber Anſchauungen gaͤbe, die nicht 
ſinnlich (inb: fo wuͤtrden dieſe Wahrheiten, nad Hr. 
Kant ſelbſt, von Dingen an. fi) ſelbſt gelten; denn 
ibre Hauptbegriffe wuͤtden Objekte haben *). Allein 
dieſe nicht ſinnliche Anſchauung leugnet der kritiſche 
Idealismus. Aber aus welchen Gruͤnden? Hr. 
Kant ſagt **): „Wir haben zwar oben nicht bewei⸗ 
» fett koͤnnen: bof bie ſinnliche Anſchauung uͤberhaupt, 
»„ſondern daß fie es nut fuͤr uns ſey; mir. konnten 
»Aber aud) nicht beweiſen: daß nod) eine andere An—⸗ 
„ſchauung moͤglich feo, unb, obgleich unfer Denken 
„von jener Sinulichkeit abſtrahiren kann, fo bleibt 
» 00d bie Frage, ob es alsdann nicht eine bloße Form 
„eines Begriffs ſey, und ob bey dieſer Abtrennung 
y» überall ein Objekt übrig bleibe. ,, 


Man kann nicht beweiſen, daß eine anbere An⸗ 
ſchauung, als die ſinnliche, deren Form Raum und 
Zeit 
*) Ctit. dar. V. S. 253. 0. A. 
*) Ebend. €. 2352. 


FX»r^ 28r "ua 


Seit iſt, moͤglich fep. Die Leibnitziſche Philoſophie 
glaubt das bewieſen zu haben, unb ihre Beweiſe koͤn⸗ 
nen durch ein bloßes Nein! nicht entkraͤſtet werden. 
Wir heziehen und zufoͤrderſt, uͤber dieſen Punkt, auf 
das, was bereits davon in dieſem Mag. St. 2. 
€. 142. unb €. x68 — 174. iſt geſagt worden; unb 
wir fe&er nur nod), gu. mehrerer Deutlichkeit, foL 
gendes Dingu. 


Wenn bie Gormen der ſinnlichen Anſchauung, 
oder die einfachſten und allgemeinſten ſinnlichen Merk⸗ 
male, Zeit fuͤr den innern Sinn, Raum fuͤr den aͤu⸗ 
fen ſeyn ſollen: fo haben wir ſchon geſehen, baf 
Vorſtellung das erſte Element der concreten Zeit, 
unb einfache Subſtanz das erſte Element des concre⸗ 
ten Raums ſey. Dieſe erſten Elemente aber fnb keine 
Erſcheinungen mehr; denn ſonſt wuͤrden ſie nicht die 
ſchlechterdings erſten Elemente ſeyn; ſonſt wuͤrde, 
wenn die Vorſtellung ſelbſt und das vorſtellende 
Subjekt noch Erſcheinung waͤre, wieder von neuem 
Vorſtellung unb vorſtellendes Subjekt, unb fo ind un⸗ 
endliche, muͤſſen angenommen werden. Alſo ſind die 
wahren Dinge, die Dinge an ſich, die Dinge, die 
keine Erſcheinungen ſind, vorſtellende Kraͤfte, ein: 
fache Subſtanzen, deren Accidenzen Vorſtellungen 
ſind. Denn dieſe koͤnnen keine Erſcheinungen ſeyn; 


ſie koͤnnen bloß durch den Verſtand erkannt werden. 
& 4 eie 


Fu" 282 wu 


Sie finb aber wahre tranfcenbentafe Gegenſtaͤnde 
(nad) Hrn. Santé Sprache); fie fiub fein unbeitimm: 
tes Etwas; benn (ie (inb fo Deftimmt, baf id) ife 
Geſchlecht von allen andern unterfdjeiben fann, bie 
nídt ju ijnen gefóren. Cie ſind Subſtanzen, id) 
unterſcheide fie alfo von ben Accidenzen; fie ſind vor⸗ 
ſtellende Kraͤfte, dadurch unterſcheide ich ſie von den 
bewegenden; ich erkenne außerdem in ihnen eine 
Menge Attribute, eigentyuͤmliche und gemeinſchaft⸗ 
liche; ich kann ſie in Klaſſen theilen, wieder jede 
Klaſſe charakteriſiren, und von jeder Klaſſe verſchie⸗ 
dene eigenthuͤmliche und gemeinſchaftliche Attribute 
beweiſen. Die Begriffe von allen dieſen Beſtimmun—⸗ 
gen und Praͤdikaten ſind zwar allgemeine; aber es iſt 
oben, wie ich glaube, bewieſen, daß man ihnen des⸗ 
wegen, weil ſie allgemein ſind, nicht alle Realitaͤt ab⸗ 
ſprechen kann. Das, was in ihnen nicht enthalten 
iſt, das iſt, nach Hrn. Kants Sprache, bloß die ſinn⸗ 
liche Anſchauung, nach der gewoͤhnlichen das, was 
ju ihrer Individualitaͤt gehoͤrt. Dieſe beiden Aus— 
druͤcke bezeichnen aber im Grunde einerley Sache; 
denn die Beſtimmungen des Einzelnen werden von 
bem menſchlichen Verſtande nur durch die Sinnen ets 
kannt, die Vorſtellungen des Einzelnen ſind ſinnliche 
Vorſtellungen oder ſinnliche Anſchauungen. 

Die allgemeinen Begriffe der Ontologie oder 
die Kategorien ſind, nach dem kritiſchen Idealismus, 


WAT 283 ^x» 


„bloße Sunftionem des Denkens *), tvoburd) mir 
» fein Gegenftanb gegeben, fonbetr nut ba$, was im 
» oet Anſchauung gegeben voerben mag, gebadyt miro. ,, 
Das heißt nun: r) bie ontologiſchen Begriffe (inb 
bie allgemeinften Begriffe, fie ſind alfo nut in bem 
Einzelnen wirklich, unb biejes Einzelne fann von ber end⸗ 
lichen 3Gorftellungsfraft nur burd) eie Cinnen erfannt 
werden; 2) fic entfalter bie Sorm ber. Verſtandes⸗ 
erfenntníg, inbem fie biefe SDegriffe nad) ben. alíger 
meinſten Gefe&en ber Form, námlid) nad) bem Cate 
bes Widerſpruchs unb des guteidjenben Girunbe zu⸗ 
ſammenſetzen: 3) fie müffen aber. aud) eine Materie 
faben , tie zuſammengeſetzt wird, fo bald fie in con- 
creto follen gebad)t roerben. Das einfad)fte Merk⸗ 
maí dieſes Ctoffé ift Vorſtellung, — das allgemeine 
fte voi ben Beſtimmungen be$ Einfachen, — unb bar 
von erfa(tem wir eine anfdjauenbe Idee burd) ben 
inner Sinn. Das ift es alfo, road in ber Anſchau⸗ 
ung gegeben wird, unb was bem teínen Gebraudje ber 
Kategorien — o, i. ihrem Gebraudje ju. ben Girünben 
beà Ranms unb ber 3eit, bie alfo nid)t raͤumlich unb 
fucceffío finb, unb uͤberhaupt bey allem, 1023 weder 
ráum(id) nod) fucceffto, obet zwar ſucceſſiv, aber. nidjt 
ráumíid) ift, — feinem Gegenítanb giebt. Es iff 
alfo hier ein Etwas, das feinem Gattungsbegriffe 
nach viele reelle Praͤdikate enthaͤlt, ein Etwas, mo: 

€5 von 

*) Crit. ber t. V. S. 352. a. 9f. 


Wax 28, ^ud 


von eine gtofe Menge ewiger Wahrheiten gelten, 
deſſen Indivitualitaͤt aber dem endlichen Verſtande 
unbetannt iſt. Und um dieſes dunkeln Theils willen 
verwirft der kritiſche Idealismus alles uͤbrige dem 
endlichen Verſtande erkennbare; er erklaͤrt das ganze 
Etwas fuͤr voͤllig dem menſchlichen Verſtande uner⸗ 
kennbar, für vóllig — x. Hr. Kant druͤckt fid) bat; 
fiber ín einem Tone an$, ben man faum ín ber ui; 
terſuchenden Philoſophie einer beutfden Kritik ber 
reinen Vernunft erwarten ſollte. Er fagt: „Allein 
das ſchlechthin, bem reineu Verſtande nach, Inner⸗ 
liche bec Materie, ift aud) eine bloße Grille *).,, 


Mit welchem Rechte? — um das zu beurtheilen, 
wollen wir die Reſultate der Leibnitziſchen und Kanti⸗ 
ſchen Vernunftkritik, ſo weit ſie hieher gehoͤren, noch 
einmal ſummiren, und durch deutliche Nebeneinan⸗ 
derſtellung mit einander vergleichen; es wird ſich viel⸗ 
leicht fo am leichteſten uͤberſehen laſſen, um moie vitt 
fte von einander abweichen. 


Kantiſche Krit. ber reinen £eibnipi(de Krit. bet vets 
Dernunft. nen Vernunft. 


X, Es muj ber Erſchei- x. Eine Erſcheinung muf et. 
nung etwas entſprechen, nen letztenGrund haben, 
das nicht Erſcheinung iſt. der nicht Erſcheinung iſt. 

2. Von 
*) Grit. b. t. V. €. 277. a. 9f. 


P^AVER 285 9 
Kamiſche Reit. ber reinen Leibnitziſche Reit. bet rei: 


Vernunft. nen Vernunft. 
2. Von dieſem Etwas 2. Die ju bet. Smbívibua: 
weiß id) nichts. litaͤt dieſes Etwas ge: 


hoͤrigen Beſtimmungen 
unterſcheide ich nicht, 
ich habe davon keine 
klare Idee. 
3. Ich habe gat feinen 3. Ich habe nut einen Be⸗ 
Begriff davon. griff von ben S5eftim: 
mungen, bie au feinec 
Gattung geboren. Die: 
fem Begriff fann id) 
burd) eine Definition 
deutlich angeben, unb 
aus demſelben — eíne 
Menge Praͤdikate Bet 
leiten, die weſentliche 
Stuͤcke und Attribute 
des Dinges enthalten. 
4. Dieſes Etwas, worauf 4. Dieſes Etwas, web 
ſich bie Erſcheinung be-⸗ ches feine Erſcheinung, 
zieht, kann daher kein kein Phaͤnomenon ift, 
Noumenon heißen. kann daher ein. Nou⸗ 
menon heißen. Denn 
ich kann es befiniren, 
und aus ſeiner Defini⸗ 
tion 


f^» 2896 


Rantiſche frit. ber reinen. Leibnitziſche Crit. ber vel: 
Vernunft. nen Vernunft. 
tion verſchiedene Wahr⸗ 
heiten herleiten, die 
ewige Wahrheiten (inb. 
Ich kann das unendli⸗ 
che Weſen, einen end⸗ 
lichen Geiſt, dergleichen 
die menſchliche Seele iſt, 
die Elemente der Koͤr⸗ 
per nad) ihren Gat; 
tungsbegriffen durch 
Definitionen unterſchei⸗ 
den, und daraus ver⸗ 
ſchiedene, theils allen 
gemeine, theils einer 
jeden Gattung eigen: 
thuͤmliche Attribute er: 
kennen. Das Erkennt⸗ 
nißvermoͤgen, das die⸗ 
ſes erkennt, ift ber Ver⸗ 
ſtand, und die Gegen⸗ 
ſtaͤnde des Verſtandes 
ſind Noumena, wie 
die Gegenſtaͤnde * 
Sinne pbàánomera. 
5. Wenn dieſes Etwas ein 5. Die unſinnliche 2nd 
Gegenſtand ſeyn ſollte, ſchanung iſt Vorſtel⸗ 
lung; 


F^uvY^ 287 "we 


Dernuníft. 


folíte, ber citt Stoume: 
non máre: fo imüfte es 
eine anbere Anſchauung 
geben, als bie ſinnliche. 


6. Denn in einem jeden 
Gegenſtande muß eine 
Anſchauung ſeyn, wir 
koͤnnen aber nicht be: 
weiſen, daß es noch an⸗ 
dere Anſchauungen, als 
die ſinnliche geben koͤn⸗ 
ne, ob wir gleich nicht 
auch das Gegentheil be⸗ 
weiſen koͤnnen. 


Kantiſche Crit. ber reinen Leibnitziſche Crit. ber rei⸗ 


nen Vernunft. 


lung; denn das iſt der 
einſachſte Gegenſtand 
des innern Sinnes, 
unb die einjachſte Ma⸗ 
terie der concreten Zeit. 


6. Wenn wir auch keine 


anſchauende Idee von 
dieſer einfachſten Mate⸗ 
rie haͤtten: ſo koͤnnten 
wir doch vieles von ihren 
allgemeinen Beſtim⸗ 
mungen beweiſen. Die⸗ 
ſen Weg Dat in. Anſe— 
hung der Elemente der 
Koͤrper Wolf einge⸗ 
ſchlagen; Leibnitz hat 
geglaubt dieſe Materie 
beſtimmen zu koͤnnen, 
uno fic ift ihm ber ein: 
facte Gegenſtand des 
innern Sinnes, das 
einfachſte Element bet 
concreten Zeit, Vor—⸗ 
ſtellung. 


7. Das 


CXvT^ 388 ^w» 


Rantifbe Reit. ber reinen £eibnipi(be Brit. ber rei⸗ 


Yernunft. 


nen Vernunft. 


7. Das Etwas, welches 7. Das Etwas, welches 


ben. Erſcheinungen ent: 
ſprechen muß, ift nur 
ein trangeneentale$ Ob; 
feft, ein Etwas — x, 
wovon wir gar nichts 
wiſſen, nod) uͤberhaupt 
(nach der gegenwaͤrti⸗ 
gen Einrichtung unſe⸗ 
res Verſtandes) wiſſen 
koͤnnen. 


der letzte Grund der Er⸗ 
ſcheinungen iſt, enthaͤlt 
allgemeine Beſtimmun⸗ 
mungen — a, die uns 
erkennbar, und zu der 
Individualitaͤt gehoͤri⸗ 
ge — x, bie uns nicht 
klar erkennbar ſind. Al⸗ 
ſo iſt das ganze Etwas 
in Anſehung ſeiner Er⸗ 


fennbarteít —— a t x. 


Wenn toit. affo, außer bem, was zu ber Indi⸗ 
vidualitaͤt eines Gegenſtandes gehoͤrt, noch vieles von 
ihm zu erkennen im Stande ſind, inſonderheit die Be⸗ 
ſtimmungen, die ihm als einem hoͤhern Dinge zu⸗ 
kommen, und die zu ſeiner Gattung und Art, und den 
Gattungen, worunter es enthalten iſt, gehoͤrt; wenn 
dieſes der Verſtand thut, und wenn die Vorſtellungen 
des Verſtandes Noumena ſind; wenn es endlich, wie 
Hr. Kant ſelbſt zugiebt, ein Etwas geben muß, das 
keine Erſcheinung iſt, auf das aber die Erſcheinungen 
fuͤhren: fo muß bet. Verſtand von Gegenſtaͤnden etr 
was erkennen, die feine Erſcheinungen ſind, unb bey 

denen 


FXu»*^ 289 ^" 


benen feine. ſinnliche Anſchauung gum. Grunde liegt; 
dieſe Gegenſtaͤnde muͤſſen Noumena ſeyn. 


Dieſes Gebiet des reinen Verſtandes iſt es alſo, 
was die Leibnitziſche Vernunſtkritik behaupten gu. koͤn⸗ 
nen, und wodurch ſie die Graͤnzen des Verſtandes 
uͤberhaupt uͤber die Graͤnzen des kritiſchen Idealismus 
ausdehnen zu muͤſſen glaubt. Wenn mir bi? Gruͤnde 
fuͤr die Ausdehnung dieſes Gebietes einleuchtend ge⸗ 
nug dargeſtellt haben: ſo wird das nun deutlicher ge⸗ 
worden ſeyn, was wir oben nut angedeutet haben: 
X. bafi die Leibnitziſche Philoſophie eben ſowol cine 
Vernunftkritik enthaͤlt, als die Kantiſche; denn fie 
gruͤndet ihren Dogmatismus auf. cíne genaue Zerglie⸗ 
derung ber Erkenntnißvermoͤgen, indem (ie genau an⸗ 
zugeben ſucht, was durch ein jedes moͤglich iſt; nue 
die Reſultate von beiden ſind verſchieden. Sie kann 
alſo, wenn ſie getren dargeſtellt wird, nicht unkritiſch 
genannt werden. 2. Daß bie Leibnitziſche Philoſo⸗ 
phie alles Wahre der Kantiſchen enthalten kann, aber 
außerdem noch mehr. Zu dieſem Mehr iſt ſie durch 
bie gegruͤndete Erweiterung des Gebietes des Ver— 
ſtandes im Stande, wozu fie ihre kritiſche Zergliede— 
rung ber Erkenninißvermoͤgen berechtigt. 


cc 


x290 59 
—— — 


III. 
Ueber 
den weſentlichen Unterſchied der Erkenntniß 
durch die Sinne und durch den Ver⸗ 
ſtand. 





, wuͤrde tod) gu viel. über bie Theorie ber Sin⸗ 
nenerfenntnif unb. ber Verſtandeserkenntniß im Dun⸗ 
keln bleiben , wenn wir nicht aud) über ben weſentli⸗ 
chen Charakter einer jeden von dieſen beiden Erkennt⸗ 
nißarten einiges Licht zu verbreiten ſuchten. Hr. 
Stant *) hat ber Leibnitziſch-Wolfiſchen Philoſophie 
vorgeworfen: „ſie habe ben Begriff von Sinnlichkeit 
y» unb Erſcheinung verfaͤlſcht, unb zwar dadurch, daß 
„ſie ben Unterſchied ber Sinnlichkeit von bem Intel⸗ 
„lektuellen bloß als logiſch betradbte. ,, Gegen die 
bloß logiſche Betrachtung dieſes Unterſchiedes behau⸗ 
ptet er: „daß er offenbar transſcendental ſey, und 
„nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlich⸗ 
„keit, ſondern den Urſprung und Inhalt derſelben 
„(der ſinnlichen uub intellektuellen Vorſtellungen) bc 


y tteffc. »» 
36 
*) Grit. ber c. 8$. G.. 44. o. A 


F^x»T^ 20r raw 


Ich verweiſe jufórberft auf ba$, was, wie es 
mir ſcheint, gegen dieſen Vorwurf an einem andern 
Orte. (f. Phil. Mag. St. 2. S. 144. u. f.) be 
rei:$ fer richtig iſt bemerkt worden, unb ſchraͤnke 
mich jetzt bloß auf einige Erlaͤuterungen ein, wodurch 
die Sache vielleicht noch etwas weiter aufgeklaͤrt wer⸗ 
den kann. 


Der Unterſchied zwiſchen der Sinnlichkeit und 
dem Verſtande ſoll alſo nicht bloß logiſch ſeyn, und 
zwar deswegen nicht, weil er auch transſcendental 
iſt. — Er koͤnnte doch aber zugleich logiſch und 
tranſcendental ſeyn. Wie iſt aber bte. Unterſchied 
zwiſchen den Erkenntnißvermoͤgen transſcendental? 
Der Verſtand kann die Erkenntnißvermoͤgen als O6: 
jecte, woruͤber er. nachdenkt, nicht anders von einan: 
ber. unterſcheiden, als durch bie Arten vou Vorſtellun⸗ 
gen, die durch dieſelben moͤglich ſind, und dieſe Arten 
von Vorſtellungen nicht anders, als durch die Gegen— 
ſtaͤnde, auf die ſie ſich beziehen. Nun hat die Leib— 
nifsijd) ; SSotfild)e Philoſophie die beiden Hauptvermoͤ— 
gen der menſchlichen Erkenntniß einmuͤthig durch zwey 
gang verſchiedene Arten von. Gegenſtaͤnden ganz aus: 
druͤcklich von einander unterſchieden. Sie ſagt: Die 
Gegenſtaͤnde des Verſtandes ſind unbildliche, der 
Sinnlichkeit hingegen bildliche Gegenſtaͤnde. So 
ſetzt Leibnitz bie SSerftanbesibeen den Bildern ent: 

Philoſ. Mag 3 St. u gegen, 


fFAVTM 292 "" 


gegen, inbem er unter dieſen basjeníge verſteht, was 
fid) bie Seele durch bie Sinne unb. Einbildungskraft 
vorſtellt. Wir fónnen uns, fagt er, von ber Ewig— 
feit fein Bild, aber wol eine Verſtandesidee machen *). 
Eben fo ſagt Wolf **): Die ſinnlichen Ideen ſind 
Bilder; und folglich ſind alle nicht bildliche Ideen 
Verſtandesideen. 

Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie geht in bet 
Beſtimmung des transſcendentalen Unterſchiedes des 
Verſtandes unb ber Sinnlichkeit nod) weiter; fie zeigt 
ihn noch von einer andern Seite; indem ſie dem 
menſchlichen Verſtande die allgemeinen Dinge, und der 
Sinnlichkelt die einzelnen zu Gegenſtaͤnden giebt. (o 
unterſcheidet Wolf Sinne, Einbildungsktaft unb Ver⸗ 
ſtand dadurch, bafi bie erſtern bad gegenwartige, die 
andern das abweſende Einzelne, ber Verſtand Dinger 
gen das Allgemeine vorſtellt ***). Eben das geſchieht 

in 
*) Nouv. Eff. fur l'Ent, hum. L. II. Ch. 29. €. 220. 
221. ll y regne la méme confufion de I' Image avec 
l' Idée. Nous avons une Idéc complette et juíte de 
l'eternité, puisque nous en avons la definition, 
quoique nous n'en ayons aucune image. Und vors 
ber: le ne faurois avoir|l'Image d'un Chilogone, 
et il faudroit qu'on eut les Sens et l' Imagination 
plus exquis et plus exercés pour le diftinguer par 

li d'un Polygone, qui eut un coté de moins, 


**) Wolfi Pfych. rat. $. 86. 
v») Ej. Pfych. emp. $. 275. not. 


f^AMF^ 293 ^" 


in ber beutfjen Ueberſetzung von A. G. Baumgar⸗ 
tens Metaphyſik und in Meyers Unterſuchung uͤber 
die Natur des Verſtandes. 


Leibnitz endlich weiſet bem Verſtande nod) ei; 
neu dritten eigenthuͤmlichen Gegenſtand an, unb baé 
fino bie notbicenoigen YOabrbeiten 3 er iſt, faat 
et 0, la faculté. d'avoir des Idées diftinttes 
avec le pouvoir de reflechir et d'en tirer des 
verités neceffaires. 


Hier haben wir alfo eíne Unterſcheidung des Ver⸗ 
ſtandes und der Sinnlichkeit durch ihre eigenthuͤmlichen 
Gegenſtaͤnde. Die Gegenſtaͤnde des Verſtandes (inb 
unbildliche, allgemeine Ideen und nothwendige 
Wahrheiten; die Gegenſtaͤnde der Sinnlichkeit ſind 
bildliche Ideen, Ideen des Einzelnen unb uz 
faͤllige Wahrheiten. 


Es iſt wahr, Leibnitz, Wolf und Baumgarten 
haben geglaubt, es ſey allen unbildlichen un? allgemei⸗ 
nen Ideen gemein, bag fie nur durch deutliche Er— 
kenntniß, ſo wie allen bildlichen und allen Ideen des 
Einzelnen, daß ſie dem menſchlichen Verſtande nur 
durch undeutliche Erkenntniß moͤglich ſind, und das 
Dat dieſe Weltweiſen ohne Zweifel bewogen, den Ver— 

ua ſtand 


*) Nouv. Eff. fur I Ent. hum, L. ll, Ch. 21. G. 131. 


Fear 294 rat 


(tant durch das Vermoͤgen zu befiniren, fid bie Sa⸗ 
chen deutlich vorguftelien. — Mean wuͤrde fie hieruͤber 
am uͤberzengendſten rechtfertigen koͤnnen, menn e$ fid) 
zeigen ließe, daß fuͤr den menſchlichen Verſtand alle 
deutliche Erkenntniß keine andere, als allgemeine und 
unbildliche ſeyn kann; und ich glaube, daß das nicht 
unmoͤglich iſt. 


Des Cartes hatte zuerſt die Ideen nach ihrem 
formellen Unterſchiede zu claſſificiren verſucht; allein 
er hatte ihre Claſſen weder vollſtaͤndig, noch durch ge— 
naue Definitionen angegeben; er batte nod) bie klaren 
unb deuntlichen in ine Claſſe geworfen. Gleichwol ift 
bie Slarbeit ber Idee, bie id) von. einer. arbe babe, 
nod) febr verſchieden, von ber, bie id) a. 95. von eis 
nem Dreyeck habe. Die rotbe Farbe unteríd)eibe id) 
gear, menn id) fie febe, von ber blauen u. f. w. aber 
íd) kann ihren Unterſchied nicht angeben, id) kann kei— 
nem andern durch eine Beſchreibung eine klare Idee 
davon beybringen. Leibnitz ſuchte dieſer Unvollſtaͤn⸗ 
digkeit abzuhelfen, indem er die Ideen, deren Merk— 
male ich unterſcheiden und angeben kann, von denen 
unterſchied, bey denen id) das nicht kann. er enb: 
liche Verſtand iſt nun nicht im Stande, die innern 
individuellen Unterſchiede, wodurch ſich die einzelnen 
Dinge von einander unterſcheiden, anzugeben und mit 
Bewußtſeyn ſich vorzuſtellen. Alſo bleiben ihm keine 

als 


f^ 205 ^" 


als bie gemeinſchaftlichen übrig. — Dieſe erfennt et 
aber nur beſonders durch Abſtraction; uno Abſtraction 
ſetzt voraus, daß die gemeinſchaftlichen Beſtimmungen 
von den eigenthuͤmlichen des Einzelnen ſind unterſchie⸗ 
den worden; dieſe gemeinſchaftlichen Beſtimmungen 
machen bann, wenn fie in Einem Begriffe zuſammen⸗ 
gedacht werden, dieſen Begriff deutlich. Daß ſich 
Leibnitz fo unb nicht anders bic deutlichen Begriffe ae: 
dacht babe, iſt aus dem ganzen Gange ſeiner Medi— 
tationen de Cognitione, Veritate et ldeis, mor: 
in er. (Dre genauere Beſtimmung zuerſt vortrug, aur 
eenkfeintíd) *). Alſo bic deutlichen Begriffe des 
menſchlichen Verſtandes ſind feme andern, als die all 
gemeinen. Wenn dann nun dieſe allein durch den 
Verſtand vorgeſtellt werden koͤnnen, wenn der menſch⸗ 
liche Verſtand allein von allgemeinen Dingen deutliche 
Erkenntniß haben kann, unb menn bie abſtrakte Gr: 
kenntniß der allgemeinen Dinge ohne Deutlichkeit nicht 
moͤglich ift: fo fonnte bie Leibnitziſch- Wolftſche Phi— 
loſophie, duͤnkt mich, ſehr wohl den Verſtand, nach 
Gefallen, eben ſo gut durch das Vermoͤgen deutlicher, 
als allgemeiner Erkenntniß definiren. Waͤhlte ſie die 
erſte Definition, fo betrachtete fie ber Verſtand (o; 
giſch; waͤhlte fie bie lettere, fo betrachtete fie. ihn 
tranéfcenbental ; ober. nad) einer anbern Terminologie, 
Uu 3 in 

9$) In ber AG. Erud. An. 1684. unb in f, Opp. T. 1I. 

G. 14. unb ff. 


õæi⸗ 296 ^» 


ít bem erſtern Salle bezeichnete fie ihn nad) ber form 
ober bem formellen Unterſchiede feiner Grfenntnig; im 
fe&tern fingeaen nad) ihrer Materie ober nad, ihrem 
materíellen Unterſchiede. Es wat aber voͤllig gleich⸗ 
guͤltig, welchen von beiden Charakteren ſie in ihrer 
Definition gebrauchen mochte, da, fuͤr den endlichen 
Verſtand, der eine immer durch den andern beſtimmt 
wird, da, fuͤr dieſen, alle deutliche Erkenntniß allgemeine 
unb alle allgemeine in abſtracto deutlich ſeyn muß. Sie 
hatte aber nod) einen beſondern Bewegungsgrund, 
warum ſie den Character der Deutlichkeit dem Cha⸗ 
racter der Allgemeinheit der Erkenntniß vorziehen zu 
muͤſſen glaubte, und das war der , daß dieſer aud) 
auf ben unendlichen Verſtand paßt; denn bet unend? 
liche Verſtand erkennt nicht allein die allgemeinen, ſon⸗ 
dern auch die einzelnen Dinge und zwar im hoͤchſten 
Grade deutlich. 


Nach dieſen Bemerkungen laſſen Sie uns nun 
ben Vorwurf, ben. for. Stant ber Peibnigifd) ; Wol⸗ 
fien Philoſophie über ihre Definition des Verſtan⸗ 
des macht, mit wenigen Worten noch einmal beleuch⸗ 


ten. Sie beweiſen, glaub ich, folgende Saͤtze un⸗ 
widerleglich: 


I. Die Leibnitziſch Wolfiſche Philoſophie betrach⸗ 
tet den Unterſchied zwiſchen dem Verſtande und 
der Sinnlichkeit nicht bloß logiſch. 

Denn 


Fevr^ 297 wmm 


Denn ſie unterſcheidet ben menſchlichen Ver⸗ 
ſtand von der Sinnlichkeit, auch durch die Materie 
ſeiner Begriffe. Seine Ideen ſind allgemeine 
Dinge, die Ideen der Sinnlichkeit ſind einzelne 
Dinge. Wo ſie den Unterſchied zwiſchen dieſen 
beiden Erkenntnißvermoͤgen logiſch oder von Sei⸗ 
ten ihrer Form angiebt, da thut fie es, weil 
(ie uͤberzeugt ift, daß in bem endlichen Verſtan—⸗ 
de die Materie durch die Form, ſo wie die 
Form durch die Materie, beſtimmt wird. Alle 
deutlichen Begriffe des endlichen Verſtandes koͤn⸗ 
nen nur allgemeine, unb alle allgemeinen Be⸗ 
griffe koͤnnen nur. deutliche ſeyn. 


2. Die Leibnitziſch-Wolfiſche Philoſophie charakteri⸗ 
ſirt die Begriffe des menſchlichen Verſtandes auch 
von ihrem Urſprunge und Inhalte. — 


Von ihrem Urſprunge. 

Denn ſie ſagt: Die Sinnlichkeit erhaͤlt ihre 
Ideen durch die Empfindung; der Verſtand 
durch Abſtraktion unb Sufatimenfetung eer. Ver⸗ 
nunft. Beides aber erfordert Deutlichkeit. 


Von ihrem Inhalte. 

Denn ſie ſagt: Die Ideen des Verſtandes ſind 
allgemeine und unbildliche, die Ideen der Sinn⸗ 
lichkeit einzelne und bildliche. 

M 4 exit 


KeuMf^ 208 ^m 


Mit welchem Rechte kann man. num Befjaupten 
„die Leibnitziſch- Wolfiſche Philoſophie hat ben Be⸗ 
„griff von Sinnlichkeit unb Erſcheinung verfaͤlſcht, 
s unb zwar dadurch, daß (ie ben Unterſchied ber Sinn⸗ 
„lichkeit von dem Intellektuellen bloß als logiſch 
„betrachtet;, dadurch, „daß fie annimmt, er ber 
„treffe bloß bie Form ber Deutlichkeit und Undeut—⸗ 
„lichkeit, nicht aber den Urſprung unb Inhalt ber; 
„ſelben?, Wer das nad) den augenſcheinlichen Be⸗ 
weiſen des Gegentheils behauptet, kann man bey dem 
eine ſorgfaͤltige und tiefeindringende Unterſuchung, eine 
reifliche Erwaͤgung der Sache vorausſetzen? Und 
wenn er dann ſo entſcheidend und zuverſichtlich verur⸗ 
theilt: Sie hat verfaͤlſcht! — Doch wir bleiben in 
den Schranken, die uns unſer Zweck vorſchreibt, und 
der iſt, den Liebhaber philoſophiſcher Unterſuchungen, 
durch genaue Auseinanderſetzung der Gruͤnde und Ge⸗ 
gengruͤnde, ín den Stand zu ſetzen, ſelbſt ſein Ur⸗ 
theil zu faͤllen. 


Nachdem hinlaͤnglich iſt erwieſen worden, daß 
bie Leibnitz- Wolfiſche Philoſophie ben Begriff des 
Erkenntnißvermoͤgens der Sinnlichkeit nicht verfaͤlſcht 
Dat: fo koͤnute der Beweis, bag man ihr feine 2Bets 
faͤlſchung des Begriffs ber Sybeen , ober ber Modifi⸗ 
fationen. bicfe& Vermoͤgens, vormerfen kann, übetr 
füiffig feinen, — Um indeß nichts ju uͤbergehen, 

was 


Fea 209 nad 


was bie S5eurtfeilung dieſes Vorwurfs erleichtern 
und die Unſchuld der verurtheilten Philoſophie in ihr 
voͤlliges Licht ſetzen kann: fo unterwerfe ic) ber Gut; 
ſcheidung ſorſchender Wahrheitsfreunde folgende Be— 
merkungen. 


X. Es ift ungegruͤndet, taf bie Leibnitziſch- aot: 
fifde Philoſophie alles Erſcheinungen nenne, was bloß 
undeutlich oder verworren vorgeſtellt wird. Sie ſetzt 
ausdruͤcklich hinzu, was durch bie Sinnen undeutlich 
oder verworren vorgeſtellt wird; das thut Wolf *), das 
thut Baumgarten*), Engelhard **5, Xeufcb p, 
das thun alle Leibnitzianer, die ich nachgeſchlagen habe. 
Leibnitz hat zwar nirgends, (o viel id) weiß, cine 
eigentliche Definition von Erſcheinungen gegeben; in— 
deß iſt es aus den Beyſpielen ſowohl, als aus den 
Erklaͤrungen, womit er das Wort, wenn er es ge⸗ 
braucht, bisweilen begleitet, augenſcheinlich, bag er 
nichts anders darunter verſtanden habe. So ſagt 
et T2: „Die natuͤrlichen Erſcheinungen, ober. das, 
was an ben Koͤrpern er(deint.,, Das kann nichts 

Uu 5 anberé 
*) JFolfii Cofm. $. 27;. Phaenomenort dicitur, quid. 
quid fen/&i obvium confufe percipitur. 
**) Met, $. 425. 
***) Intt. Phil. theor. Met. $. $06. 
1) Met. $. $39. 
11) Conf. Nat. contra Atheos. in ben Opp. T. 1. G.. 5. 


f^^ 500 ^4» 


anders fier, af, ba$, was wir und burd) oie 
Sinne unbcutlíd) vorſtellen; bent alle ríd)einungen 
an den ZAótpern (inb 93or(teffungen burd) bie Sinne. 
Nichts anders i(t bet Sinn von ber Definition bec 
Marquiſe ou Cbatelets „Erſcheinungen finb. Bil⸗ 
„der, bie aus ber Verwirrung mehrerer Jiealitá: 
„ten entſtehen *)., Denn Bilder ſind Vorſtellun⸗ 
aen des Zuſammengeſetzten; dergleichen Vorſtellun⸗ 
gen des Zuſammengeſetzten aber ſind bie Empfin⸗ 
dungen *). 


Hieraus iſt offenbar, daß die Inſtanz, welche 
Hr. Sant ***) bem Leibnitziſch-Wolfiſchen Begriffe 
entgegenſetzt, dieſen Begriff gar nicht treffe. Der 
geſunde Verſtand denke ſich, ſagt er, die Idee von 
Recht undeutlich, deswegen koͤnne man aber nicht 
ſagen, daß dieſer Begriff eine bloße Erſcheinung ent⸗ 
halte. Es iſt unleugbar, daß das keinem einfallen 
koͤnne, der unter Erſcheinung nur das verſteht, was 
an bert Koͤrpern, ober durch die aͤußern Sinne un: 
deutlich vorgeſtellt wird; denn das Recht iſt keine Be⸗ 
ſchaffenheit des Koͤrpers und kein Gegenſtand irgend 
eines aͤußern Sinnes. 


2. Eben 
*) Inft. Phyf. C. 179. 
**) €. Wolfii Pfych. rat. $. $5. $5. 
***) Crit. b, e, V. S. 43. a. 3l. 


N⸗301 5 


2. Eben ſo ungegruͤndet iſt es, daß der Charakter 
einer Erſcheinung in der L. W. Philoſophie nur von 
der Form der Deutlichkeit und nicht auch von ihrem 
Urſprunge und Inhalte hergenommen ſey. Ihren 
Urſprung bezeichnet das Merkmal in der Definition: 
Etwas das durch die Sinnen undeutlich vorgeſtellt 
voírb: unb ihren Inhalt, bag dieſes cine bildliche 
Idee unb bie Vorſtellung von einem einzelnen in: 
ge iſt. 

Was ift alſo num nad) o. Kant eine Erſcheinung ? — 
Eine Modiſication ber Sinnlichkeit *) ; bie Sinnlichkeit 
aber iſt ^as Vermoͤgen modificirt zu werden **); alfo 
eine Modification des Vermoͤgens modificirt su werden. 
Nach dieſem Muſter koͤnnte id) folgendergeſtalt defini⸗ 
ren: ein Gedicht iſt ein Produkt der Dichtungskraft; die 
Dichtungskraft iſt ein Vermoͤgen zu produciren; alſo 
waͤre ci. Gedicht cin Produkt des Vermoͤgens zu pre: 
duciren. Ich uͤbergehe jetzt, daß ein Vermoͤgen, eine 
Moͤglichkeit veraͤndert zu werden, durch die moͤglichen 
Veraͤnderungen, wenn ſie wirklich werden, nicht 
ſelbſt veraͤndert wird. Die Moͤglichkeit ber. Veraͤn—⸗ 
derungen wird durch die Veraͤnderungen nicht ſelbſt 
veraͤndert. Wenn ich alſo das uͤbergehe, ſo bleibt 
doch immer noch der Vorwurf gegen dieſe Definition 
zuruͤck, daß (ie einen. Zirkel enthaͤlt, ber nicht aerin: 


ger 
*) Ebend. €. 20. 45. u. a, m. O. 


**) Ebend. S. 19. 44. 


fau 3062 "i 


aet. it, a(4 menn id) bas Empfindungsvermoͤgen durch 
bas Vermoͤgen Empfindungen gu faben, unb bie mp: 
findungen durch Vorſtellungen des Empfindungsver⸗ 
moͤgens erklaͤren wollte. Wenn alſo die Leibnitziſch⸗ 
Wolfiſche Philoſophie die Erſcheinung durch das be: 
finirt, was verworren durch die Sinnen vorgeſtellt 
wird: fo wird dieſe Erklaͤrung immer das Ver— 
dienſt haben, daß fie von bet. erflárten Sache einen 
ver(tanbfid)en Charakter angiebt. 


Um uns davon zu uͤberzeugen, duͤrfen wir uns 
ſeine Theorie uͤber die Natur der Erſcheinungen etwas 
genauer auseinander zu ſetzen ſuchen. Hr. Kant et; 
kennt ſelbſt, daß ſich die Erſcheinungen auf Dinge an 
ſich beziehen, d. i. in Dingen, die keine Erſcheinun⸗ 
gen ſind, ihten Grund haben. Das in ihnen, worin 
die Erſcheinung gegruͤndet iſt, unterſcheiden wir nicht; 
indeß iſt es das Merkmal, wodurch ich die eine C; 
ſcheinung von der andern, die rothe Farbe von der 
blauen unterſcheide; das aber, ſagt Leibnitz, was ich 
unterſcheide, ohne mir ſeine Merkmale bewußt zu 
ſeyn, ſtelle ich mir verworren vor. Ferner: id) ſtelle 
es mir verworren, durch die Sinne, vor; wenn es 
gegenwaͤrtig ift, empfinde id) es, unb dieſe Cmpfine 
dung kann die Einbildungskraft wiederholen. Ich 
ſtelle mir. alſo etwas Einzelnes vor, unb ba ba enb; 
líde vorftellenbe Weſen bie unenblid) mannid)faltigert 

$e 


f^*^ 203 "4 


Beſtimmungen des Ginge(nen nid)t unterfd)eiben fann : 
fo ift bie f(are Vorſtelluug von bec Cade, deren 
Merkmale (ie nid)t unterfd)eibet, vermorcen; fie. ift 
eine Erſcheinung, fie. ift. ein Bild, eine Abbildung, 
menn id) annehme, daß ifre Urſach etwas auper. mir 
wirkliches ijt. 


Wenn voir nun fagen: die Materie fteffen. mir 
uns aíé ausgedehnt vor, bie Ausdehnung ſey aber 
eine Erſcheinung, fo wollen mir. damit nicht mebr 
unb nid)t meniger, als: mit fónnen bie einfachen 
Gruͤnde bes Ausgedehnten in bem Bilde nicht unterſchei— 
den; ſie liegen außer dem Gebiete der Sinnlichkeit, 
fic koͤnnen nur von dem Verſtande, nad) ihren allge; 
meinen Beſtinmmungen, gedacht werden. 


Wir koͤnnen auf dieſem Wege noch weiter gehen, 
wir koͤnnen die Frage beantworten, welches die hin— 
reichenden Gruͤnde der Erſcheinungen ſind. Denn 
wenn die Erſcheinungen verworrene Vorſtellungen 
ſind; fo muͤſſen fte, aufer. ihren objektiven Gruͤnden, 
aud) einen ſubjektiven Grund im dem Unvermoͤgen 
haben, alle Merkmale des Gegenſtandes zu unter— 
ſcheiden. Auf dieſe doppelte Art von Gruͤnden fuͤhrt 
uns ſelbſt die Erſahrung alle Augenblick. Die Far— 
ben muͤſſen andere objektive Gruͤnde haben, als die 
Ausdehnung, die Ausdehnung andere als die Farben. 

Allein 


FXAMEM 2304 ^x» 


Allein bie Gegenſtaͤnde Bleiben oft einerley unb die Gt; 
ſcheinungen finb verfdyieben , ber gruͤne Wald wird in 
der Ferne blau, und der viereckigte Thurm wird rund. 
Gewiſſe Lichtſtrahlen beruͤhren das Auge, das von 
dem Gegenſtande entfernt iſt, zu ſchwach, ſo ſchwach, 
daß bie beſchraͤnkte Vorſtellungskraft fie nicht mehr 
appercipirt. Dieſer Grund der Erſcheinung iſt alſo 
ſubjektiv. Die Erſcheinungen moͤgen nun aͤhnlich oder 
verſchieden ſeyn: ſo muͤſſen ſie einen Grund ihrer 
Aehnlichkeit unb Verſchiedenheit in. ihrem Objekte fos 
wol als in ihrem Subjckt haben. Die beſondern unb 
zufaͤlligen Erſcheinungen, die zu den allgemeinen und 
nothwendigen hinzu kommen, haben bald den Grund 
ihrer Aehnlichkeit, bald ihrer Verſchiedenheit in dem 
Subjekte. Der Grund der Erſcheinung einer runden 
oder einer elliptiſchen Figur liegt nicht immer im Ob⸗ 
jekte, et. liegt oft in der Entfernung und bem Stand—⸗ 
puncte des Subjektes, oder ín ber Perſpektive; ber Zir⸗ 
kel ſcheint oft eine Ellipſe, und der viereckichte Thurm 
oft rund. 


Und hier ſtoßen wir noch auf einen Unterſchied 
des Verſtandes und der Sinnlichkeit, ber zu ben wich⸗ 
tigſten gehoͤrt. Die Gruͤnde der Verſtandeserkennt⸗ 
niß ſind bloß objektiv; die Gruͤnde der Sinnenerkennt⸗ 
nig aud) ſubjektiv; die erſtere enthaͤlt, ſofern fie 33e; 
ſtandeserkenntuiß ift, Wahrheit, bie andere enthält, 

ſofern 


T^Xf^ 2305 ^w» 


fofetn (ie Sinnenerkenntniß ift, Schein; bie Aehn⸗ 
lid)feit bet etfteren mit bem Gegenftanbe iſt eine ojfene 
Bate; bie Aehnlichkeit ber. letztern mit dem egens 
ſtande ijt eine verborgene, unb eine bejto verbotge; 
nere, je mehr fubjeftive Girünbe bie Vorſtellung des 
fobjefteó abánbern. — Die Wahrheiten der Verſtan—⸗ 
deserkenntuiß ſind nothwendige unb ewige, ber &in: 
nenerkenntniß 3ufállige unb Zeitwahrheiten, aud) bars 
um aufállige, voeil fie oft von der gufálligen Beſchaf⸗ 
fenheit bes. Subjektes abhaͤngen. Da enbfid) allec 
Schein in ben Schranken ber. Vorſtellungekraft ge; 
grünbet it; fo ficht man nun, daß nur das wahr 
ſeyn fónne, was nidt in bem llnvermógen der 
Vorſtellungskraft gegruͤndet iſt; daß aber aud) 
alles, was nicht darin gegruͤndet ift, was alſo im 
dem Gegenſtande gegruͤndet ſeyn muß, wahr ſeyn 
muͤſſe. 


So hing Leibnitzens Theorle von bem formel: 
len Unterſchiede der Erkenntniß mit ſeiner Theorie 
uͤber bic Koͤrper zuſammen. Nicht allein bie Sieben: 
beſchaffenheiten (qualitates ſecundariae) Farbe, Ton, 
Waͤrme u. ſ. w. waren ihm Erſcheinungen, auch die 
Hauptbeſchaffenheiten, Ausdehnung und Bewegung 
waren es, und er ſuchte verſtaͤndlich zu erklaͤren, was 
das Reale in dem Gegenſtande und das Unvermoͤgen 
in bem Subjekte zu dem Bilde von einem jeden bey: 

tragen. 


f^^ 306 n». 


tragen. — Und das ift e$, worin ſeine Dernunft, 
friti£ von. ber Kantiſchen abweicht. Meine Abſicht 
it, eine vernünftige Wahl zwiſchen beiden gu et: 
[eid)tern, unb wenn aud) bie bisherigen Semet: 
fungen über ben weſentlichen Unterſchied be& Ver—⸗ 
flanbeá unb ber Cinnlid)feít mit bagu etras bey; 
tragen , fe haben fie iren Zideck erreicht. 


IV. 


"ou 307 ^ae 
DM e ])C! OM) OO H)!IeCOHe Hk Me» 
IV. 
deber 


bie Unterſcheidung ber Urtheile ín anafptifde 
unb fontbeti(d)e. 





4f bec Vergleichung ber Leibnitziſchen und Kan⸗ 
tiſchen Vernunftkritik ſtoßen wir auf eine neue The⸗ 
orie, die der letztern zur Stuͤtze dienen ſoll, auf die 
Theorie uͤber bie Unterſcheidung ber Urtheile, bie Jor. 
Kant analytiſche unb ſynthetiſche nennt. Ehe wir 
dieſe Theorie ſelbſt unterſuchen, wird es nicht uͤber— 
fluͤſſig ſeyn, ihren Zuſammenhang mit beiben Ver— 
nunftkritiken ſo weit anzudenten, als es ſich wird 
thun laſſen, ohne ihre Unterſuchung geendigt zu haben; 
es wird ſich dann am beſten beurtheilen laſſen, was 
die Theorie fuͤr beide Syſteme fuͤr ein Intereſſe hat. 


Leibnitz behauptet, voie wir geſehen haben, daß 
der menſchliche Verſtand Dinge an ſich, wie es Hr. 
Zant nennt, zu erkennen im Stande fep; Hr. Kant 
leugnet es. Der erſtere vertheidigt die logiſche Wahr⸗ 
heit der reinen Verſtandeserkenntniß, oder, nach 
Hr. Kants Sprache, bie objektive Guͤltigkeit ber 

Pphiloſ. Mag. 5. €t. & teinen 


me^ 308 ^w" 


reinen Vernunfterkenntniß; ber (e&tere. beſtreitet fie. 
Der erſtere behauptet, baf e$ reine Vernunfturtheile 
gebe, deren Hauptbegriffe ſo von einander verſchieden 
ſind, daß das Praͤdikat weder ganz noch zum Theil 
mit dem Suhjekt einerley, obgleich in demſelben ger 
gruͤndet iſt. Solche Urtheile, ſetzt Leibnitz hinzu, 
koͤnnen wir auch von Dingen an ſich ſelbſt erkennen, 
und ſie vermehren oder erweitern unſere Erkenntniß 
von denſelben; auch das beſtreitet Hr. Kant. Bey 
dieſer Beſtreitung nimmt er zu den ſchon im erſten 
Stucke dieſ Mag. angefuͤhrten Gruͤnden noch ſeine 
Theorie von ben analytiſchen unb ſynthetiſchen Urthei⸗ 
fen zu Huͤlfe. Sie nun dieſe feinem kritiſchen Idea⸗ 
lismus zu Statten komme, das muß erſt kuͤrzlich aus⸗ 
einander geſetzt werden. 


Wenn wir Dinge an ſich, wie ſie Hr. Kant 
nennt, oder einſache Dinge, bey deren Erkenntniß 
bie eite Bedingung ber ſinnlichen Anſchauung, naͤm⸗ 
lich der Raum, fehlt, die alſo keine Erſcheinungen 
ſind, ja gar das unendliche einfache Weſen, wo beide 
Bedingungen ber Anſchauung, Raum unb Seit ſehlen, 
erkennen ſollten: fo muͤßten wir fie a priori erken⸗ 
nen. Die ganze Metaphyſik entfált aber , wie Jor. 
Kant befauptet, lauter analytifcbe Urtheile, unb 
baburd) wird fie eine Wiſſenſchaft, Die un$ ju ben 
angelegentlichſten Beduͤrfniſſen unfere$ Verſtandes 

und 


f^^ 309 "wu 


unb Herzens vóllig unnuͤtz iſt. „Man fann unf, 
fagt er *), fein einziges Buch aufyeigen, fo moie 
„man etroa einen Euclid vorgeigt, unb fagen, baé ift 
„Metaphyſik, bier findet ihr ben vornefinften Zweck 
„dieſer Wiſſenſchaft, das Erkenntniß eines hoͤchſten 
„Weſens, und einer kuͤnftigen Welt, bewieſen aus 
„Principien ber reinen Vernunft., — Und warum 
nicht? — „Denn, fabrt er fort, man fam uns 
„zwar viele Saͤtze aufzeigen, bie apodiktiſch aevi 
„ſind, und niemals beſtritten warden; aber dieſe 
»fino insgeſammt analytiſch, unb betreffen mehr 
„die Materialien unb. ben. Bauzeug zur Metaphyſck, 
„als die Erweiterung unſerer Erkenntniß, die doch 
„unſere eigentliche Abſicht mit ifr ſeyn foll. ,, 


Alſo alle Urtheile ber Metaphyſik ſind analytiſch, 
und darum koͤnnen ſie uns nicht zu der Erkenntniß 
des hoͤchſten Weſens ſuͤhren! Was ſind dann aber 
dieſe analytiſchen Urtheile, und wie unterſcheiden 
ſie ſich von den ſynthetiſchen? Die analytiſchen 
Urtheile, ſagt uns Hr. Kant, ſind ſolche, die bloß 
erlaͤuternd ſind, und zu dem Inhalt der Erkenntniß 
nichts hinzuthun; die ſynthetiſchen hingegen ſolche, 
die erweiternd ſind, und die gegebene Erkenntniß 
vergroͤßern ). 

Xa Dieſe 
) Prol. iu e. k. Met. S. 33. 
**) Ebend. €, 25. 


310 nds. 


Vorausgeſetzt, baf dieſen Definitionen tvafjte 
Begriffe entſprechen, wovon wir uns aus Gruͤnden, 
die wir bald anfuͤhren werden, nicht uͤberzeugen koͤn⸗ 
nen; ſo fehlt ihnen ſchon zu derjenigen vollſtaͤndigen 
Deutlichkeit, die zu ihrer leichten Anwendung unent⸗ 
behrlich iſt, wie es mehrern ſeiner Leſer geſchienen hat, 
nicht wenig. Eine ſolche Deutlichkeit wuͤrde aber bey ſo 
neuen unb bisher fo wenig bemerkten Begriffen, wo: 
fuͤr fie Hr. Sant ſelbſt haͤlt, vorzuͤglich nuͤtzlich gewe⸗ 
ſen ſeyn. Wie neu fic dieſem Weltweiſen ſcheinen, 
ſagt er uns ſelbſt mit ausdruͤcklichen Worten: „Dieſe 
Qinteifung,,, heißt e$ *), „iſt in Anſehung bet 
„Kritik des menſchlichen Verſtandes unentbehrlich; 
„und verdient daher in ifr klaſſiſch au ſeyn; ſonſt 
wuͤßte id nicht, daß (fie irgend anderwerts einen 
„betraͤchtlichen Nuhen haͤtte. Und hierin find ich 
„auch die Urſache, weswegen dogmatiſche Philoſophen, 
„die die Quellen metaphyſiſcher Urtheile immer nur 
„in der Metaphyſik ſelbſt, nicht aber außer ihr in den 
„reinen SSernunftgefe&en uͤberhaupt ſuchten, tiefe Ein⸗ 
„theilung, die ſich von ſelbſt darzubieten ſcheint, ver⸗ 
„nachlaͤſſigten, unb wie ber beruͤhmte Wolf, ober ber 
„ſeinen Fußſtapfen folgende ſcharfſinnige Baumgar⸗ 
„ten, den Beweis von dem Satze des zureichenden 
„Grundes, der offenbar ſynthetiſch ift, im Satze bed 
„Widerſpruchs ſuchen fonnten. ,, 

Nur 
*) Ebend. €. zi. 


CAMP SII xo 


Nur in Lock's Verſuchen über ben menſchlichen 
Verſtand findet Hr. Kant einen Wink ju dieſer Gin: 
theilung. Ein Nachfolger unb. Commentator des Koͤ⸗ 
nigsbergiſchen Philoſophen hat indeß, nach ihm dieſen 
ganzen Unterſchied in des D. Cruſius Weg zur Ge— 
wißheit unb Zuverlaͤſſigkeit ber menſchl. Erk. 6.260. 
voͤllig ausfuͤhrlich angezeigt gefunden; und es iſt nicht 
wenig merkwuͤrdig, daß ein fo ſcharſſinniger Dogma⸗ 
tiker, wie Cruſius, durch die tieſe Bekanntſchaft 
mit dieſem Unterſchiede von feinem feſten unb weit— 
umfaſſenden Dogmatismus nicht hat koͤnnen geheilt 
werden. Sollte es dann daher ſo ausgemacht ſeyn, 
bag Wolf unb Baumgarten, welchem letztern moe; 
nigſtens H. Kant einen großen Scharfſinn zuerkennt, 
aus Unkunde dieſes Unterſchiedes ſich in das weſenloſe 
Reich ihres hartnaͤckigen Dogmatismus ſo unwieder⸗ 
bringlich verirret haben? 


Wir werden über dieſe unvermeidliche Frage viet: 
leicht etwas mehr Licht erhalten, wenn wir erſtlich 
den Unterſchied von dem, was er analytiſche und 
ſynthetiſche Urtheile nennt, etwas genauer zu beſtim⸗ 
men ſuchen, hiernaͤchſt uns verſichern, ob er bis auf 
den von Hr. Kant angegebenen Zeitpunkt gar nicht 
bekannt geweſen, und endlich ob er, richtig verſtanden, 
nicht in jeder bisherigen gruͤndlichen Metaphyſik zum 
Grunde liegt. Wenn wir inſonderheit gluͤcklich ge: 

X3 nug 


F^»fh 2ay2 «wu 


sug waͤren, biefen letzten Punkt aufs Steine gu Bein 
gen: fo more, felb(t nad) Hr. Kants ſtrengſter Fo⸗ 
berung ble Crfenntnif ber Dinge an fid) unb alfo audj 
bie Erkenntniß eine$ hoͤchſten Weſens gerettet. 


Um zu einer. genauern Beſtimmung ber angege⸗ 
benen Urtheile zu gelangen, wird es am beſten ſeyn, 
wenn wir von einer ſorgfaͤltigen Klaſſifikation aller 
moͤglichen Praͤdikate ausgehen, utm gu verſuchen, ob 
wir uns nicht vielleicht mit den von Hr. Kant ange⸗ 
fuͤhrten, unb von feinen Auslegern, fo viel ich weiß, 
noch nicht vermehrten Beyſpielen begegnen; denn die⸗ 
ſe Beyſpiele werden uns am ſicherſten leiten, um ſeine 
Definitionen mit andern vergleichen zu koͤnnen. 


In allen allgemeinbejahenden Urtheilen iſt 
entweder das Pradikat mit bem Subjekte einerley, 
oder nicht; unb wenn eo mit ibm einerley iſt, entwe⸗ 
ber ganzlich ober nur aum Theil einerley. Sym erſtern 
Falle enthalt das Praͤdikat alle Beſtimmungen be$ 
Subjekts, wodurch es jederzeit von allen andern Din⸗ 
gen kann unterſchieden werden, es fep nun. unentiot: 
ckelt, wie ín dem Satze: alle Dreyecke ſind Dreyecke, 
alle Sórper ſind Koͤrper; ober durch eine Definition 
entwickelt, als: alle Dreyecke ſind dreyſeitige Figu— 
ren, alle Koͤrper ſind ausgedehnte Dinge, bie Srág: 
heits⸗ und Bewegungskraft haben; das ſind gans 

iden⸗ 


313 


identiſche, oder, wie ſie einige genannt haben, leere 
Urtheile. Nun kann aber auch das Praͤdikat nur mit 
einem oder mit einigen, nur nicht mit allen Beſtim— 
mungen des Subjekts einerley ſeyn; dieſe ſind zum 
Theil identiſche Urtheile, wie das Urtheil: alle 
Dreyecke (inb. Figuren; alle Koͤrper ſind ausgedehnt. 


In allen dieſen Urtheilen ift das Praͤdikat bae 
Subjekt ſelbſt; oder ein Theil von dem Weſen des 
Subjekts, eines ſeiner weſentlichen Stuͤcke. Ich 
glaube alſo, man hat Recht anzunehmen, daß Hr. 
Kants Beſchreibung der analytiſchen Urtheile auf ſic 
paſſe. Analytiſche Urtheile waͤren dann, nad) einer 
genauern Definition, ſolche, in welchen das Praͤdikat 
das Weſen des &ubjetté ſelbſt ober eines ſeiner weſentli⸗ 
chen Stuͤcke ift. Denn, dieſe ſagen im Praͤdikat nichts, 
„als das, mat im Begriffe des Subjekts ſchon wirklich, 
„obgleich nicht fo klar unb mit. fe dentlichem Bewußt— 
„ſeyn enthalten war;, das iſt beſtimmter: deren 
Praͤdikat bie Sacherklaͤrung des Subſekts ober eines 
Merkmals dieſer Sacherklaͤrung ift. 


Es wird fib, toic ich hoffe, bald uͤberzeugend 
barthun laſſen, daß dieſe genauere Erklaͤrung ber ana: 
lytiſchen Urtheile nichts weniger als uͤberfluͤſſig iff. 
„Was ín bem Begriff des Subjekts ſchon wirklich, 
„obgleich nicht ſo klar und mit gleichem Bewußtſeyn 

Ea » 9€ 


f^uvF oAÓyQ ew» 


„gebacht tvoar,,, dieſe Beſchreibung ber Praͤdikate 
der analytiſchen Urtheile ſcheint mir etwas zweydeutig 
zu ſeyn. Es giebt Praͤdikate, welche Attribute des 
Subjekts ausſagen. Dieſe werden durch das Weſen 
des Subſjekts beſtimmt. Sind fie aber mit unter benen 
begriffen, „die in bem Subjekte, nur nicht fo klar 
unb mít a(eid)em Bewußtſeyn, gebad)t maren ?,, Sad) 
Jor. Santé Theorie von ben fontbetifben Urtheilen 
müffen fie nicht barunter begriffen fegn; denn et 
fprid)t der Mathematik bie ſonthetiſchen Urtheile nicht 
ab, ja er behauptet, daß dieſe Wiſſenſchaft bie eíny 
zige Ico, bie ſynthetiſche Urtheile a priori entbaíte ; 
alles ahet, vas fic von Groͤßen beroeifet, finb Attri— 
bute ober unveránberlid)e Affektionen derſelben. 


Es giebt alfo Urtheile a priori obet nothwendige 
Wahrheiten, beren "Drábifate Attribute bes Subjekts 
fib; das i(t: Beſtimmungen, bie nidót gum Weſen 
bed Subjekts aebóren, ober in dieſem Weſen ihren 
zureichenden Grund haben Von dieſer Art ift 3. 95. 
bie Wahrheit: alle Dreyecke ſind bie Haͤlften von 
Parallelogrammen, die mit ihnen gleiche Hoͤhen und 
Grundlinien haben. Die Frage, ob es dergleichen 
auch außer der Mathematik gebe, mag vor der Hand 
noch ausgeſetzt bleiben. 


Demnach waͤre der Unterſchied zwiſchen analyti⸗ 
ſchen und ſynthetiſchen Urtheilen dieſer: analytiſche 
waͤren 


WXVEM IB ^w» 


voáren ſolche, beren Praͤdikate das Weſen ober einige 
von ben weſentlichen Stuͤcken des Subjektes ausia; 
gen; deren Praͤdikate feine Beſtimmungen ausſagen, 
die zu dem Weſen und den weſentlichen Stuͤcken des 
Subjekts gehoͤren, waͤren ſynthetiſche. Das muß 
Hr. Kant ſagen wollen, wenn er ihren Unterſchied 
fe angiebt, daß bie erſtern bloß erlaͤuternd, bie (et: 
tern aber erweiternd ſind, wofern wir uns bey ſeinen 
Erklarungen etwas Beſtimmtes denken ſollen. 


Ich habe den Vegriff der ſynthetiſchen Urtheile 
bisher nur verneinend angegeben: ihre Praͤdikate ent: 
halten Beſtimmungen, die nicht zu dem Weſen und 
ben weſentlichen Stuͤcken des Subjekts gehoͤren. Sur 
foͤrderſt waren es die Attribute deſſelben, doch nur bey 
den nothwendigen und ewigen Wahrheiten, bey den 
Zeitwahrheiten waren es bie Modifikationen unb Ver— 
haͤltniſſe des Subjekts. Von der erſten Art iſt der 
Satz: dieſer Stein iſt jetzt warm; von der letztern 
der Satz in Hr. Kants Beyſpiele: einige Koͤrper ſind 
ſchwer. Die Bewegung ſelbſt iſt die Veraͤnderung 
eines Verhaͤltniſſes des Koͤrpers, und das Fallen eine 
zufaͤllige Beſtimmung der Bewegqung in Anſehung 
ihrer Richtung; denn in einem Syſtem von Koͤrpern 
koͤnnte ſich ein jeder Koͤrper ſo gut in entgegengeſetzter 
Richtung, als nach einem von ihren Mittelpunkten 
bewegen. 

X 5 Die 


316 uem 


Die fontfjetifd)en Urtheile, menn fie nothwendige 
und eroige Wahrheiten finb, faben alfo Attribute ju 
ibren Praͤdikaten; finb fie Zeitwahrheiten, aufállige 
Beſchaffenheiten ober Verhaͤltniſſe. Dieſer Begriff 
von ſynthetiſchen Urtheilen verſchafft uns die Antwort 
auf eine Frage, uͤber die uns Hr. Kant unbefriedigt 
gelaſſen hat. Er fagt uns 5), welches „das gemein: 
ſchaftliche Princip der analytiſchen Urtheile ſeyn 
unb es ift natuͤrlich zu fragen: welches iſt das at; 
meinſchaftliche Princip der ſynthetiſchen Urtheile? 
Der Paragraph 2. c). antwortet bloß, daß e$ ein an: 
deres ſey. Alſo nicht der Satz oes Widerſpruchs; 
aber welcher dann? Das ſuchen wir vergebens. 


Nach der bisherigen ausfuͤhrlichern Zergliede⸗ 
rung der ſynthetiſchen Urtheile kann es kein anderes 
als der Satz des Grundes ſeyn. Und nun haͤtten 
wir folgende Claſſifikation der Urtheile: 1) Solche, 
deren Praͤdikate das Weſen oder ein weſentliches 
Stuͤck des Subjekts ausſagen, nad) bet bisherigen 
Terminologie dans ober sum Theil identiſche Ur— 
theile. 2) Solche, deren Praͤdikate Affektionen 
des Subjekts ausſagen. Von dieſen Affektionen ſind 
einige beſtaͤndige und unveraͤnderliche, naͤmlich die 
Attribute oder die Eigenſchaften deſſelben, einige 
aber zufallige unb veraͤnderliche, naͤmlich feine zufälli—⸗ 

gen 
9*) Prol. S. 25. 


PMAMYM 2337 "wa 


een SSefdjaffenfeiten, feine Modifikationen. Beibe 
Arten von Urtheilen finb, nad) ber bisherigen Cpra: 
dye nicht icentifcbe, nad) Jor. Kants Sprache fone 
tbetifd)e, wovon bie erſtern nothwendige unb erige 
Wahrheiten, bie letztern aber zufaͤllige unb Zeitwahr⸗ 
heiten ſind. 


So haͤtten wir alſo bereits die Unterſcheidung 
der Urtheile in analytiſche und ſynthetiſche, und zwar 
mit ber ſcharfſten Angabe ihrer Graͤnzbeſtimmung, 
ans bem fruchtbarſten unb einleuchtendſten Einthei⸗ 
lungsgrunde hergeleitet, und mit der voͤlligſten Get 
wißheit, daß die Eintheilung ihren Eintheilungsgrund 
gaͤnzlich erſchoͤpſft. Wir haͤtten fie, nut unter. einem 
andern Namen. Allein was thut der Name zur 
Sache? Bereichert man die Wiſſenſchaft, wenn man 
(ie nicht butd) neue Begriffe, Saͤtze ober Beweiſe et; 
weitert? Erleichtert man fie, renn man biof ifr 
Woͤrterbuch wergrófert? Mit welchem Rechte fami 
man alſo ſagen, daß Wolf und Baumgarten dieſe 
Eintheilung uͤberſehen haben? 


Die Frage: iſt die Unterſcheidung der Urtheile 
ín analytiſche unb ſynthetiſche ſchon vor bem 3Ber: 
faffet ber Sit, ber rein, Vern. bekannt geweſen? 
voáte alfo fo qut moie beantwortet. Da e8 bey biefec 
Unterſcheidung ber Urtheile bloß auf bie Unterſchei— 

dung 


veavf^ 23pgy 5 


bung ifrer "Drábifate anfómmt, unb bíefe von Wolf 
unb Baumgarten genau finb unteríd)ieben , unb voll 
ftànbig fíaffifuiirt morben, ja, ba fie ben llutet: 
fdjieb berfelben auébrüdf(id) burd) ibentifd)e unb nit 
identiſche begeid)net haben: fo fefe id) nid)t, mie mar 
£$ leugnen fann, baf bie Unterſcheidung dieſer Ur⸗ 
theile ben beiden Weltweiſen fey befannt geweſen. 


Wir duͤrfen indeß Diet einen andern Unterſchied 
ber nichtidentiſchen Urtheile, welche nothwendige unb 
ewige Wahrheiten ſind, nicht uͤbergehen, um nichts 
vorbey zu laſſen, was Hr. Kants Theorie der ana⸗ 
lytiſchen unb ſynthetiſchen Urtheile und ihre Anwen⸗ 
dung auf die Dinge an ſich rechtfertigen kann. Die 
Praͤdikate ber ſynthetiſchen Urtheile waren, nad) un; 
ſerer Erklaͤrung, Affektionen des Subjekts. Sind 
dieſe Affektionen, wie ín ben nothwendigen Wahr⸗ 
heiten, Attribute: ſo kann hier ein neuer Unterſchied 
bemerkt werden. Sie koͤnnen entweder a priori oder 
a pofteriori erkannt werden. for. Sant ſcheint bloß 
bie nicht ſchlechterdings nothwendigen Wahrheiten 
unb von ben ſchlechterdings nothwendigen Wahtheiten 
bie letztere Art ber. Urtheile, deren nothwendige Praͤ—⸗ 
dikate nur a pofteriori von bem menſchlichen 93er: 
ſtande fónnen erkannt voerben , unter. feínen ſyntheti⸗ 
ſchen Urtheilen zu verfteben. — Denn, bie Urtheile bet 
Mathematik auégenommen, (inb nut bie Crfabrungs; 

urtheile 


F.M 3190 «ic 


uttfeife fontfetifd), — Allein dann ift. ſeine Definition 
der ſynthetiſchen Urtheile augenſcheinlich zu enue, 
Die ſollen bie Erkenntniß erweitern; das kann nichts 
anders heißen, als, ſie ſollen Praͤdikate enthalten, die 
nicht ber Gattungsbegriff des Subjekts, ober ein etl 
mal der Definition deſſelben ſind. Dennoch iſt der 
Satz: Alles nothwendige ift. ewig, «llc notbz 
wenoige Wahrheiten fino ewige YOabrbeiten, 
augenſcheinlich ein ſynthetiſcher Satz, uub ted) faun 
et a priori erfannt werden, unb bod) enthalt er. fei 
€rfabrungsuttbeil. 


Doch bavon wird fid) (n ber Folge nod) weiter 
reden fajen. — Jetzt fómmt es nid)t barauf an, ob 
mit Germifbeit auszumachen fcy, was von beiben or. 
ZXant unter feinen ſynthetiſchen Urtheilen ver(tebes 
benn beide Arten derſelben ſind laͤngſt befannt gewe⸗ 
ſen. Verſteht er nur die Urtheile darunter, deren 
Praͤdikate Affektionen des Subhjekts (inb, bie nicht ín 
dem Weſen des Subjekts allein gegruͤndet ſind, oder 
doch von dem menſchlichen Verſtande nicht daraus 
koͤnnen erkannt werden: fo fann man das gelten laf: 
fen; denn die Definitionen ſind aud» darin willkuͤhr— 
(id), daß man ein neues Kunſtwort in einem beliebi⸗ 
gen Umfange beſtimmt. Allein alsdann haͤtte ſeine 
Definition muͤſſen beſtimmter ausgedruckt werden; 
denn Urtheile, die unſere Erkenntniß erweitern, koͤn⸗ 

nen 


320 


nen aud) ſolche ſeyn, deren Praͤdikate ſolche Affektio— 
nen des Subjekts (inb, welche man aus bem 35e 
grífe des Sabjekts Deríeiten kann; ober es batte 
muͤſſen bewieſen werden, baf bet menſchliche Verſtand 
gat feine ſolche Praͤdikate ju erkennen im Stande 


ſey. 


Nach Hr. Kants Definition iſt alfo zwiſchen 
dieſen beiden Arten der Urtheile kein Unterſchied; 
denn beide erweitern unſere Erkenntniß, das heißt, 
fie haben Praͤdikate, bie tein Merkmal bet Deſinition 
des Subjekts enthalten. Es giebt aber einen Unter⸗ 
ſchied zwiſchen ihnen und zwar einen Unterſchied, der 
gar nicht unbemerkt geblieben iſt. 


Jacob Bernoulli hat ihn bemerkt und durch 
eine Terminoloqie bezeichnet, die ihm eigen iſt, und 
welche verdient haͤtte, allgemeiner zu werden. Er 
ſagt: allgemein bejahende Urtheile ſind entweder un⸗ 
beſtimmte (indefinita) ober beſtimmte (definita); 
ein jedes unbeſtimmtes Urtheil ift allgemein mabr, 
aber nicht ein jedes allgemein wahres Urtheil iſt ein 
unbeſtimmtes. Denn ein unbeſtinuntes Urteil. ift 
ein ſolches, deſſen Subjekt der Gattungsbegriff iſt, 
von dem das Praͤdikat ausgeſagt wird; es giebt aber 
auch allgemeine Urtheile, deren Subjekte die unter 
einem gewiſſen Gattungsbegriffe enthaltenen Arten 

und 


F^ 32r ^wuüz* 


tub Individua (inb, unb bas finb Beftimmte. Die 
fDrábifate dieſer letztern fónnen alfo nur au8 ber Ge; 
fabtung erfannt roetben , fie mógen nun jufállige 95e; 
ſchaffenheiten, ober Moͤglichkeiten von aufálligen 95e; 
ſchaffenheiten, ober ſolche 2(ttribute feyn, bie man 
«u$ bem Weſen des Suͤbjekts nid)t herleiten kam. 
Was die unbeſtimmten Urtheile anbetrifft, ſo iſt ihr 
Praͤdikat entweder der hoͤhere Begriff, zu welchem das 
Subjekt gehoͤrt, als: Alle Dreyecke ſind Figuren, oder 
e$ iſt ber Unterſchied des Subjekts, als: Alle reps 
ecke haben drey Seiten; oder es iſt ein Attribut des 
Subjekts, unb alsdann entweder ein gemeines 
oder ein eigenthuͤmliches. Vielleicht waͤre es ju 
wuͤnſchen, daß es eine Terminologie gaͤbe, wodurch 
man alle dieſe Arten der Urtheile leichter unterſchei⸗ 
den koͤnnte; ihre eigenthuͤmlichen Regeln ließen ſich 
alsdann vielleicht deutlicher angeben, unb leichter be; 
weiſen. Dieſe Terminologie aus den bereits bekann⸗ 
ten logiſchen Schriften zuſammenzuſuchen, wuͤrde eben 
nicht ſchwer ſeyn, menn man nicht befuͤrchten bürfte, 
daß ſie wegen ihrer Trockenheit und barbariſchſcheinen⸗ 
den Stbtilitaͤt mißſallen wuͤrden. 


Folgender Abriß mag ein Verſuch ſeyn, bie Ur⸗ 
theile nach der Verſchiedenheit ihrer Praͤdikate zu 
klaſſificiren. 


I. All⸗ 


Four 322 "x 


X. Allgemeine Urtheile, beren Subjekt ber hoͤhere 
Gattungsbegriff iſt, bem das Praͤdikat beyge⸗ 
legt wird. Unbeſtimmte Urtheile, Iudicia 
indefinita, Bernoulli. 


1. Urtheile, deren Praͤdikat Merkmale ſind, die 
jum Weſen des Subjekts gehoͤren. Weſent⸗ 
liche Urtheile. Analytiſche Urtheile, 
Kant. 


a. Das ganze Weſen, ober. der hoͤhere Begriff, 
worunter das Subjekt gehoͤrt, nebſt dem ln: 
terſchiede des niedrigern Begriffs, alſo die 
Janze Definition, ganz identiſche Urtheile. 
Iudicia totaliter identica. 


b. Der hoͤhere Begriff ohne ben Unterſchied bed 
niedrigern Begriffs, zum Theil identiſche 
Urtheile, Iudicia partialiter identica. 


2. Urtheile, deren Praͤdikat ein Attribut des 
Subjekts ift: Nichtweſentliche. Syntheti⸗ 
ſche Urtheile a priori, Kant. 


a. Deren Praͤdikat ein. eigenthuͤmliches Attti⸗ 
but (attributum proprium) iſt. Xeci⸗ 
prokable Urtheile, Iudicia reciproca- 
bilia. 

b. De⸗ 


FAY 323. «1 


b. Seren Praͤdikat ein. gemeines Attribut (at- 
tributum commune) ift. Nichtrecipro⸗ 
Fable Urtheile. ludicia non reciproca- 
bilia. 


JI. Allgemeine Urtheile, beren Praͤdikate aus bec 
Erfahrung erkannt werden, unb deren Subjekt 
daher alle unter. einem hoͤhern Begriffe entfat; 
tene. Individua ſind. Beſtimmte Urtheile. 
Iudicis definita. Bernoulli. Allgemeine ſyn⸗ 
thetiſche Urtheile a. pofteriori. Kant. 


Der Grund zu dieſer Claſſifikation liegt bereits 
in der Theorie der ariſtoteliſchen Philoſophie von den 
Praͤdikabilien, welche einen wichtigen Theil ihres 
Organons ausmacht. Dieſe Praͤdikabilien waren 
nichts anders, als eine vollſtaͤndige Aufzaͤhlung alles 
moͤglichen Praͤdikate eines Urtheils, oder der in einem 
Dinge denkbaren Beſtimmungen. Wollten wir ſie mit 
unſerer heutigen Terminologie vergleichen: ſo wuͤrden 
bie vier erſten, bie Gattung (eos), bie Art (sides), 
ber Unterſchied (A«gops), das Eigenthuͤmliche (13), 
bie Beſtimmungen entbalten , bie wit das Weſen, 
bie weſent lichen Stuͤcke unb bie Gigenfdjaften nennen. 
Von biefen le&tern faffen fid) einige nur. aus tet Gr: 
fafrung erfennen, anbere laſſen fid) au$ bem SiBejen 

Philoſ. Mag. 3. 6t. 9 des 


FAMEM 324 ^" 


des Dinges feríeiten; wovon biefe in bem Urtheilen 
vorkommen wuͤrden, die Bernoulli unbeſtimmte, jene 
aber in denen, bie ec beſtimmte nennt. Das fünfte unb 
letzte ber. Praͤdikabilien ift das Zufaͤllige (accidens, 
s'ug.Be5x95), welches wieder in das trennbare 
und untrennbare getheilt wurde, wovon das 
erſtere unſere zufaͤlligen Beſchaffenheiten oder 
Modifikationen des Dinges ſind, das letztere 
aber zu den Attributen deſſelben gerechnet wer⸗ 
den muß. 


Die eigenthuͤmlichen Beſtimmungen (propria) 
oder Attribute wurden wieder im vier Modos einge⸗ 
theilt, wovon nur das zum zweyten und vierten Mo⸗ 
dus gehoͤrige einige Wichtigkeit hat; dieſes ſind unſere 
eigenthuͤmlichen Attribute, jenes unſere gemeinen. So 
giebt Bernoulli ihren Unterſchied ſelber an; und 
er erlaͤutert dieſen Unterſchied durch folgende Bey—⸗ 
ſpiele: „daß die Semiordinaten des Zirkels die mitt⸗ 
„lern Proportionallinien zwiſchen den Segmenten 
„ſeines Durchmeſſers (inb, ift ein Proprium quarti 
» modi, ober, nad) unſerer Sprache, ein eigenthuͤm⸗ 
» lid)es Attribut bed Zirkels; bag aber bie Quadrate 
»ber Ordinaten mit ben Stectangeln ber. Segmente 
»be8 Durchmeſſers (m Verhaͤltniß finb, ift eim 
,Proprium fecundi modi, ober ein gemeines 

» Xt; 


FM 325 à» 


„Attribut des Sirfeló, benn es fómmt aud) bet 
» llipfe gu. » 


Daß alſo ber Unterſchied zwiſchen analytiſchen 
und ſynthetiſchen Urtheilen, wenn er in weiter nichts 
beſteht, als daß bie erſtern bloß erlaͤuternd, bie letz⸗ 
tern hingegen erweiternd ſind, ſchon alt ſey, ſcheint 
mir hinlaͤnglich bewieſen zu ſeyn. 


Nun iſt noch die Frage uͤbrig: ob die Metaphy— 
ſik gar feine ſynthetiſchen Urtheile enthalte. 93er: 
ſteht man unter dieſen Urtheilen ſolche, welche wir 
unbeſtimmte reciprokable unb nichtreciprokable ae; 
nannt haben: fo ſehe id) nicht, wie man ber Me—⸗ 
taphyſik alle ſynthetiſchen Urtheile abſprechen wolle. 
Wenn fid) bie Saͤtze: Alle endlichen Dinge finb vers 
aͤnderlich, und, das unendliche Ding iſt unveraͤnderlich, 
a priori beweiſen laſſen: Jo ſind fie ſynthetiſche Saͤtze 
apriori. Denn bie Begriffe ihrer Praͤdikate ſind von 
den Begriffen ihrer Subjekte verſchieden; ſie ſind keine 
weſentliche Stuͤcke, ſie ſind Attribute derſelben; ſie ſind 
Propria quarti modi. Wollte man ſagen: aber eben 
deswegen ſind ſie doch in ihnen gegruͤndet, und alſo 
ſchon durch ſie beſtimmt: ſo ſage ich das naͤmliche 
aud) von bem Praͤdikate des Satzes: bie Semiordi— 
naten des Zirkels ſind die mittlern Proportionallinien 

$23 ber 


f^^ 326 ^w» 


bet Segmente des Durchmeſſers; aud) bieft? i(t ein 
Attribut be$ Zirkels, ba8 ín bem Weſen beffelben ad 
gruͤndet i(t, unb burd) das Weſen deſſelben beſtimmt 
wird. Es iſt doch aber augenſcheinlich etwas anders, 
durch das Weſen beſtimmt werden und dieſes Weſen 
ſelbſt ſeyn. Eine Wageſchale wird durch das Gewicht 


zum Sinken beſtimmt, iſt aber das Sinken und das 
Gewicht einerley? 


Wenn aus allem dieſem nun folgt, daß unſere 
reine Vernunfterkenntniß aud) ſynthetiſche Saͤtze ent; 
haͤlt: ſo iſt eine reine Vernunftwiſſenſchaft mit ſolchen 
Saͤtzen moͤglich, und unſere bisherige Metaphyſik iſt 
eine ſolche. Denn fie enthaͤlt nicht allein reine Ver⸗ 
nunftwahrheiten, die auf dem Satze des Widerſpruchs, 
ſondern auch ſolche, die auf dem Satze des zureichen⸗ 
den Grundes beruhen; ſie enthaͤlt nicht allein analy⸗ 
tiſche, ſondern aud) ſynthetiſche Urtheile. Wenn ihr 
Hr. "Kant dieſe letztern batum abſpricht, weil er bem 
Satze des zureichenden Grundes nur einen regulati⸗ 
ven Gebrauch, nicht aber einen. conftitutiven guae: 
(tebt: fo kann er dieſes nid)t anders, als vermóae 
feiner Theorie, wonach ben 93erftanbesibeen feine 
Gegenſtaͤnde aufer oem Verſtande entfpred)en,  biefer 
Grundſaltz feine ebjeftíoe Guͤltigkeit haben, unb nicht 
auf Dinge an fid, oder auf Dinge, bie keine Erſchei⸗ 

num: 


fM 327. om 


nungen finb, angeroenbet werden folf, unb das ſcheint 
im ber zweyten unb orítten Abhandlung des gegens 
waͤrtigen Stuͤcks unſers phil. Mag. binfanaltd) roiber: 
legt zu ſeyn. Muͤſſen aber bey den Erſcheinungen 
Dinge an ſich, oder Dinge, die keine Erſcheinungen 
ſind, zum Grunde liegen, muß das Zufaͤllige eine 
nothwendige Urſach haben, bie nicht empfunben wet: 
den kann, find die Formen der Anſchauung nur die 
einfachſten Vorſtellungen fuͤr die Sinnlichkeit, nicht 
aber fuͤr den Verſtand, kann der Verſtand, wie in 
den beiden vorhergehenden Unterſuchungen iſt bewie⸗ 
ſen worden, von ihnen verſchiedenes mit Gewißheit 
erkennen: ſo fuͤhrt uns die reine Vernunft auf die 
Erkenntniß ber einfachen Subſtanzen unb des vol 
kommenſten Weſens; es giebt ſynthetiſche Urtheile 
fuͤr die Erkenntniß der reinen Vernunft, in Wolfs 
unb Baumgartens Metaphyſik ſind dergleichen ent⸗ 
halten. 


So beruhete alſo auch die Verſchiedenheit der Leib— 
nitziſchen unb. Kantiſchen Vernunſtkritik ín ber Unter⸗ 
ſcheidung der analytiſchen und ſynthetiſchen Urtheile 
auf derjenigen Theorie, die eine jede uͤber die objektive 
Guͤltigkeit oder die logiſche Wahrheit der Begriffe 
und Urtheile des reinen Verſtandes annimmt. Wir 
hoffen dieſe logiſche Wahrheit außer allen Zweifel 

3 ge⸗ 


F^w»*^ 228 ^w 


geſetzt zu haben. Hr. Sant feugnet fie, unb auf bie: 
ſes Leugnen gruͤndet ec die Verwerfung ber. bisherigen 
Metaphyſik; er gruͤndet darauf die Behauptung, daß 
die bisherige Metaphyſik keine ſynthetiſche, ſondern 
bloß analytiſche Urtheile enthalte. Einige kurze Be⸗ 
merkungen werden zeigen, daß hier der kritiſche 
Idealismus ſein eigenes Werk zerſtoͤhrt. Entweder 
die ſynthetiſchen Urtheile a priori ſind das, was fie 
in Wolfs und Baumgartens Schriften ſind, oder 
ihre Wahrheit (Ginftimmung mit bem Objekt) *) iſt 
nichts denkbares *). 


Herr RKant theilt bie ſynthetiſchen Urtheile in 
Urtheile a pofteriori unb a priori ein. Die erſtern 
ſind mít ben Erfahrungsurtheilen einerley, unb ba: 
Bey fat e$ feine Schwierigkeit; beide SBernunftfritü 
fen formen barín überein, daß fie anfdjauenbe 95e; 
9tiffe enthalten muͤſſen. Was ift aber nun eín wah⸗ 
tcs ſynthetiſches Urtheil a priori? lm wahr qu feyn, 
ſagt Jr. Kant, muf es mit bem Gegenftanbe über: 
einftimmen, e$ muf alfo eínen Gegegſtand haben; ba8 
alles fagt Leibnitz aud): ein jeher Gegenftanb, fett 
abet Jor. ant hinzu, muß fónnen. erfabten wetben, 
oder: et ftebt untet ben. nothwendigen S5ebingungen 
der ſynthetiſchen Einheit des Mannigfaltigen, une 

zwar, 
*) Crit. b. e. V. C. 157. a. 9f. 
**) G. was oben C, 310. geſagt iff, 


zwar, wohl Bemerft, des Mannigfaltigen der An⸗ 
ſchauung in einer moͤglichen Erfahrung; und 
bas ſagt Leibnitz nicht. Und wohl ihm, daß er es 
nicht ſagt; denn, wenn er e$ ſagte, fo wuͤrde feine Civ 
kenntniß Gottes keine Wahrheit haben, und was 
er dabey verliehren wuͤrde, das wird ſich vielleicht 
einmal kuͤnftig zeigen laſſen. 


Alſo: die ſynthetiſchen Urtheile, wenn ſie wahr 
ſeyn ſollen, muͤſſen einen Gegenſtand haben, und ein 
jeder Gegenſtand muß unter ben. nothwendigen Be— 
dingungen der Einheit des Mannigfaltigen ber An⸗ 
ſchauung in einer. moͤglichen Erſahrung ſtehen. Gt; 
fahrung erfodert nach Hr. Kant ſelbſt Empfindung *), 
Empfindung (ft Modifikation der Sinnlichkeit **), 
die Modifikationen der Sinnlichkeit ſind Erſcheinungen, 
Vorſtellungen, die nur ín mir vorhanden ſind ***). 
Die ſynthetiſchen Urtheile finb wahr, heißt bann, Vor⸗ 
ſtellungen ſtimmen mit Vorſtellungen uͤberein. So 
weit bringt uns alſo der kritiſche Idealismus mit ſei⸗ 
uec Theorie ber ſynthetiſchen Urtheile. 


$2 4 Wie 


*) Prol. $. 1$ — 23. 
**) Grit. ber v. 95. €. 20. 42. fo. a. 9I. 
***) €benb. €, 104. 391. 490. a. 3f. 


Fav 330 ^m 


Wie weit bringt un ber Leibnitziſche Dogmatis⸗ 
mus? — Er ſagt: bie analytiſchen unb ſyntheti⸗ 
ſchen Urtheile a priori (wenn man fie. bann unter⸗ 
ſcheiden milf) fónnen nur unterſchieden werden nad) 
ber Mrt, tie das "Drábifat burd) das Subjekt be: 
ſtimmt wird; bie erftern ſind wahr, menn das Praͤ⸗ 
bifat das Weſen ober ein weſentliches Stuͤck; bie lets 
tet, wenn e8 ein X(ttribut des Cubjefté i(t; bas Ding, 
beffen Weſen, weſentliche Stuͤcke ober Attribute fie 
ausſagen, mag uͤbrigens empfunden werden koͤnnen 
ober nicht. Iſt feine Wirklichkeit außer ber Vorſtel—⸗ 
lung anderweitig erwieſen: ſo koͤnnen und muͤſſen alle 
wahre analytiſche und ſynthetiſche Urtheile von dem⸗ 
ſelben gelten, ſie muͤſſen logiſche Wahrheit haben. 
Sie ſind ſchlechterdings nothwendig wahr, und alle 
ſchlechterdings nothwendig wahte Urtheile ſind allge⸗ 
meine; alſo ſolche, die uns bie gemeinen Beſtim⸗ 
mungen vorſtellen. Sie geben uns alſo die gemeinen 
Beſtimmungen eines wirklichen Dinges, von dem 
wir uns bie Beſtimmungen, die zu ſeiner Individua⸗ 
litaͤt gehoͤren, nicht vorſtellen koͤnnen, alſo diejenigen, 
die durch den reinen Verſtand und die Vernunft er⸗ 
kannt werden; ſie ſind alſo keine ſchlechterdings leere 
Erkenntniß, unb, fo fern bie Erkenntniß, die fie ent 
halten, mit ihrem Gegenſtande übereinftimmt, ift fie 
eine logiſch wahre. 


Wenn 


ff^ 331 e» 


Wenn man alfo ben Unterſchied zwiſchen anafy: 
tiſchen unb ſynthetiſchen Urtheilen a priori im bie 
Metaphyſik bringen will, wenn dieſer Unterſchied ei: 
nen Sinn haben ſoll: fo kann er nur auf bie 33er 
ſchiedenheit der Beſtimmungsart des Praͤdikats durch 
das Subjekt gegruͤndet werden, und das Principium 
bet Wahrheit in ben analytiſchen kann nut ber. Satz 
e$ Widerſpruchs, bcr ſynthetiſchen aber ber Cat 
des zureichenden Grundes ſeyn. Da aber alles wahr 
iſt, was dieſen Saͤtzen gemaͤß iſt: ſo iſt dieſer Unter— 
ſchied fuͤr die logiſche Wahrheit eines Urtheils voͤllig 
unnuͤtz, und der Streit, ob ein Satz ein analytiſcher 
oder ein ſynthetiſcher ſey, in Ruͤckſicht auf ſeine 
logiſche Wahrheit, ein unerheblicher Streit; denn 
beide Arten koͤnnen logiſch wahr ſeyn. Daß aber der 
gauge Unterſchied, menn er nicht nad) bem Einthei— 
lungégrunbe bes Leibnitziſchen Dogmatismus beftimmt 
wird, feinen Sinn habe, i(t augenſcheinlich. Denn 
die ſynthetiſchen Urtheile koͤnnen in der Theorie des 
kritiſchen Idealismus keine Gegenſtaͤnde außer der 
Vorſtellung haben, da ſie ſich auf nichts beziehen 
koͤnnen, das außer der Vorſtellung wirklich waͤre, 
und ihre logiſche Wahrheit alſo nur in der Ueberein— 
ſtimmung einer. Vorſtellung in uns, mit eben derſel— 
ben Vorſtellung in uns beſteht; ber kritiſche Idealis⸗ 
mus ſetzt eine Theorie voraus, bie bic ganze lIntet: 


$5 ſchei⸗ 


—332 ^m 


ſcheidung gu einem. Spielwerk macht. Das endliche 
Reſultat aus allem dieſem iſt: Entweder die Erſchei⸗ 
nungen ſind in wahren Dingen, bie aufer der Vor⸗ 
ſtellung wirklich ſind, gegruͤndet, und es giebt eine 
Erkenntniß dieſer Dinge an ſich, naͤmlich durch den 
Verſtand; unb bann iſt ber Dogmatismus gerecht—⸗ 
fertigt: ober fie ſind bloße Erſcheinungen, bloße Vor— 
ſtellungen; dann ſind die ſynthetiſchen Urtheile nichts 
Denkbares, denn ihre Wahrheit beſteht in ber Ueber⸗ 
einſtimmung einer Vorſtellung mit ſich ſelbſt. 


Ausführlichere Erklaärung 
uͤber 
die Abſicht dieſes philoſophiſchen Maga— 
zins. Veranlaßt durch eine Recenſion des 
erſten Stuͤckes deſſelben in der Allg. 
fitt. Zeitung. 





D. es eine Hauptabſicht dieſes philoſophiſchen 
Magazins iſt, durch daſſelbe cine ſreye Mittheilung 
der Urtheile uͤber die gegenwaͤrtigen Unterſuchungen 
in der ſpekulativen Philoſophie zu befoͤrdern: ſo kann 
uns die freymuͤthigſte Beurtheilung ſeines Inhalts 
nicht anders als ſehr willkommen ſeyn. Wir haben 
dieſes bereits in der Ankuͤndigung des Plans unſeres 
Magazins erklaͤrt, unb es erhellet aus dieſer Ankuͤn⸗ 
digung hinlaͤnglich, daß es ganz vorzuͤglich zu unſerm 
Plane gehoͤrte, in unſern Unterſuchungen inſonder⸗ 
heit das Unterſcheidende in des Hrn. Prof. Kant 
Kritik der reinen Vernunft zu begreifen, und dadurch 

die 


bie fo eft wiederholte billige Auffoderung ber Ver⸗ 
theidiger derſelben anzunehmen. 


Es iſt demnach allerdings unſere Abſicht, in bie; 
ſem Magazin eine gruͤndliche und ruhige gemeinſchaſt⸗ 
liche Unterſuchung ber Grundſaͤtze der Kantiſchen 
Vernunftkritik zu eroͤffnen. Und da in der Allgem. 
fitt. Zeit. bie Schriften für unb wider dieſe Kritik 
von Vertheidigern derſelben beurtheilt werden: ſo ge⸗ 
ſtehen mir, daß gleich vom Anfange an, unſere Au⸗ 
gen auf dieſe beliebte litterariſche Zeitung ſind gerich⸗ 
tet geweſen, unb daß wir durch ihren Kanal bic bt: 
ſten und gruͤndlichſten Beurtheilungen unſerer Un— 
terſuchungen, in dem Tone des Glimpfes und der 
Ruhe, erwartet haben. Das iff aud) von phi— 
loſophiſchen Unterſuchern abſtrakter Spekulationen 
gewiß nicht zu viel erwartet. Der geſundere 
Theil der Leſer kann unmoͤglich ben apoſto— 
liſchen Feuereiſer theilen, womit die Miſſionarien, 
von welcher Partey es ſeyn mag, ihre den meiſten 
Leſern unverſtaͤndlichen unb unbrauchbaren Spekula⸗ 
tionen predigen, und der ungeſundere Theil beluſtigt 
ſich bloß an dem ſchnoͤden Schauſpiele eines gelehrten 
Athletengefechts, das ſich ihm die Philoſophie zu geben 
billig ſchaͤmen ſollte. 


Wir 


K^AMT^ 335 x» 


Wir faben affo Grnft ohne Bitterkeit, Intereſſe 
ohne Hitze, ſtrenge Beurtheilung mit Glimpf und 
Aufrichtigleit ohne Vertuſchung ſeiner eigenen Bloͤßen 
ober Verſchweiguug ber Staͤrke des Beurtheilten er; 
wartet. Ob unſere Erwaͤrtung in ber Anzeige des 
erſten Stuͤckes iſt erfuͤllet worden koͤmmt uns nicht 
zu, zu entſcheiden. 


Einige wenige Anmerkungen uͤber dieſe Anzeige 
moͤgen hier Platz finden, weil fie uns zu náferer 95e; 
ftimmung ber Cinrid)tung unb des Gefid)tépunfteg 
unſeres Magazins nótfig fdjeinen. — Der Stecenfent 
9laubt unferm Magazine daraus nichts gutes eiffa: 
gen ju fónnen, daß wit, aufer eigentlichen philoſophi⸗ 
ſchen Abhandlungen, auch andere Aufſaͤtze darin auf; 
nehmen. Dieſem Vorwurfe haͤtten wir leicht dadurch 
koͤnnen aus dem Wege gehen, daß wir unſerm Ma— 
gazine eine andere allgemeinere Aufſchrift, z. 95. ei; 
nes vermiſchten Magazins gegeben haͤtten. Wir 
haben aber die gegenwaͤrtige aus mehrern Urſachen 
recht gefliſſentlich gewaͤhlt. Wir glaubten zufoͤrderſt, 
daß ſie zu ſeiner Hauptbeſtimmung am beſten paſſe, 
und daß Materialien zu philoſophiſchen Betrachtungen 
aus der Geſchichte, der Voͤlkerkunde und dem 
menſchlichen Leben, dieſer Beſtimmung nichts weniger 
als entgegen ſeyn; zumal wenn ſie, wie es wenigſtens 

unſere 


mAvf^ 556 wu 


unſere Abſicht it, aus ciem philoſophiſchen Geſichts⸗ 
punkte dargeſtellt werden. Hiernaͤchſt glaubten wir auch 
an ſolche Leſer denken zu duͤrfen, die an den ermuͤdenden 
Cicfulationen. unb. den ſpitzfindigen Streitigkeiten 
nicht das warme Intereſſe nehmen koͤnnen, das ihnen 
fuͤr uns andere Schulgelehrten ſo viele, gute und 
ſchlechte, Gruͤnde zu geben pflegen. Dieſe verlangen 
mit Recht, wenn ſie eine Zeitlang dem Fluge der 
Spekulation durch ihre unſichtbaren Regionen oder 
ihrem Gange durch unſtuchtbare Wuͤſten gefolgt ſind, 
auf einem zugaͤnglichern und fruchtbarern Boden aus⸗ 
ruhen zu koͤnnen; unb mir haben Beweiſe, daß vet: 
ſchiedenen febr ehrwuͤrdigen Leſern von dieſer Art un⸗ 
ſere Einrichtung nicht mißfallen hat. Daß tir abet 
audj au fole Leſer benfen mußten, dazu nótbigte un$ 
bie Erfahrung, bic mir mehrmals gemacht 6aben, 
bof ein zudringlicher Eifer einiger Liebhaber De6 triti; 
ſchen Idealismus bie Stufe verſchiedener Perſonen er; 
ſchuͤttert hatte, die bis dahin mit ihrer Philoſophie, 
unb zwar, wie có uns ſcheint, mit Recht, bie Gran: 
aem bes bloßen geſunden Verſtandes nicht zu über; 
ſchreiten gewohnt waren. 


Endlich glaubten wit daß es nicht unſchickli⸗ 
cher ſey, in einem philoſophiſchen Journale Zuͤge aus 
der Geſchichte und der Voͤlkerkunde oder philoſophi⸗ 

ſche 


ſ337 cm 


fe Aufſaͤtze in dem Kleide ber Dichtkunſt anfgunef: 
men, als in einem Journale, das, wie der deutſche 
Merkur, vorzuͤglich den Werken des Geſchmacks gewid⸗ 
met iſt, gruͤndliche und tiefſinnige Abhandlungen aus 
dem Felde der eigentlichſten Philoſophie. So wie ein 
geſchmackvolles Luſtſchloß auch ein ungeſchmuͤcktes 
Boudoir enthalten kann, ſo wird man auch einem 
ſumplen wirthſchaftlichen Buͤrgerhauſe ein angemeſſenes 
beſcheidenes Putzzimmer nicht verſagen koͤnnen. Daß 
uͤbrigens dieſer Theil der Einrichtung nicht ſeinen 
Grund ín bem Mangel an andern Materialien habe, 
wird die Folge am uͤberzeugendſten beweiſen. Wir be⸗ 
ſorgen daher aat nicht, daß bas, was ber ungluͤckweiſ⸗ 
fagenbe Recenſent hinzuſetzt: „eine ſolche Einrichtung 
f» das Verderben ber Zeitſchriften,, ber unſrigen 
bevorſtehe. Da dieſe eine ſehr beſtimmte Abſicht hat, 
ſo werden wir von ſelbſt die Feder niederlegen, ſo 
bald dieſe Abſicht erfuͤllt iſt, und mir hoffen, daß bie: 
ſes fruͤher geſchehen werde, als ber Zeitpunkt des ge: 
weiſſagten Verderbens herankoͤmmt. Sollte er uns 
aber noch eher uͤbereilen, ſo beſcheiden wir uns gern, 
daß wir abtteten muͤſſen, fo bald wir nicht mehr das 
Gluͤck haben, unſern achtungswuͤrdigen Leſern zu ge— 
fallen. Da uͤbrigens dieſe nichtwiſſenſchaftlichen Auf⸗ 
ſaͤtze nicht weſentlich in unſern Plan gehoͤren: ſo wird 
ihre Rubrik oft leer bleiben, es ſey, daß wir ſie mit 

nichtẽ 


— 338 5 


nichts unterhaſtendem anzufuͤllen haben, ober daß ihnen 
bie wiſſenſchaftlichen Aufſaͤtze keinen Platz laſſen. 


Was die Beurtheilung des Gedichtes uͤber das 
Frauenzimmer betrifft: ſo koͤnnten wir um deſto 
leichter davon ſchweigen, da der Verfaſſer deſſelben 
ſeine Vertheidigung nicht von uns verlangt hat; wenn 
wir nicht uͤber die Art, wie es beurtheilt iſt, 
einige Bemerkungen zu machen haͤtten, die kein bloß 
individuelles Intereſſe haben. Der Dichter hat dem 
Recenſenten mit zu viel Wegwerfung von der Gelehr⸗ 
ſamkeit geſprochen. Wer ſo viel Scherz verſteht, daß 
et begreift, man koͤnne, ohne cin Verbrechen ber be⸗ 
leidigten Gelehrſamkeit zu begehen, zu einer geiſtrei— 
chen jungen Dame ſehr wohl mit einiger Verachtung 
von ſtaubigten Folianten reden, dem wird das gewiß 
nicht anffallen. Ein Gedicht, dem jeder ſogleich die 
Farbe bes. Scherzes anſieht, unb womit ein geſell⸗ 
ſchaftlicher Streit geendigt, nicht entſchieden wet: 
den ſollte, iſt kein theologiſches Bedenken uͤber einen 
Gewiſſensfall; die Philoſophie der Vernunft iſt nicht 
die Philoſophie des Geſchmacks, und die Moral des 
Dichters iſt nicht die Moral des Menſchen. Wer aber 
zu ber Beurtheilung eines Gedichtes einen fo ſalſchen 
Maaßſtab mitbringt, daß er dabey, wie jener Mathema⸗ 
titer, fragen kann, qu'elt- ce que cela prouve? 

ber 


339 ^ wan 


bem iſt es erlaubt, voie ber Stecenfent, aud) 5a um 
terhaltendſte Gedicht ſchleppend gu finden. Uebrigens 
iſt die Stimme Eines Kunſtrichters nur Eine Stim⸗ 
me, und die Stimme eines ungenannten, der keine 
Gruͤnde (eines Urtheils anfuͤhrt, fo gut wir gar keine. 
Selbſt ein Wieland, der es ſo wenig noͤthig haͤtte, 
fuͤhrt, mo et tadeln mug, Gruͤnde ſeines Tadels au, 
unb bet Verfaſſer des beurtheilten Gedichts fat füc 
das Urtheil dieſes großen Mannes fo viel Achtung 
und fuͤr die Spiele ſeiner eigenen Muſe ſo wenig Vor⸗ 
liebe, daß et uns ausdruͤcklich aufgetragen hat, in feis 
nem Namen zu verſichern, daß, wenn ein Mann mit 
Wielands ſicherm Geſchmack unb. ſchonender Huma⸗ 
nitaͤt, ín einer fo belehrenden Kritik, wie z. B. bie 
vortrefliche Kritik des Voſſiſchen Muſenalmanachs 
b. Sy. ün t. Merk. Jan., ſein Gedicht vermerfen 
ſollte, er ber er(te ſeyn wuͤrde, Der dieſes Urthen 
unterſchriebe. 


Philoſ. Mag 3. St. 3 VI. 


VI. 


Oborláufige Crflárung 
bes 
fDerfaffet8 oet Briefe über bie Antinomie 
ber Vernunft, in Ruͤckſicht auf bie Recen⸗ 
(iom biefer Briefe in ber allgem. fitt. 
Zeitung. 


S. unvollkommen meine Briefe uͤber die Antino⸗ 
mie der Vernunft immer ſeyn moͤgen, ſo konnten doch 
wenigſtens nicht alle darin vorgetragne Zweifel gegen 
das Kantiſche Syſtem damit abgewieſen werden, daß 
man mir, wie der Recenſent in der allgem. Litt. Zei⸗ 
tung thut (Nr. 20. 1789.), ſagte: „dieſe Zweifel 
wuͤrden fid) von ſelbſt bey mir verlohren haben, wenn 
ich meine Bekanntſchaft mit den Kantiſchen Werken 
nod) ein: paar Jahre haͤtte aͤlter werden laſſen., 
Was dieſen legten, fo oft unb gegen fo viele wieder⸗ 
Doíten Vorwurf: baf id) mit ber Santifdjen Philo⸗ 
ſophie nicht hinlaͤnglich bekannt fep, betrifft: fo finbe 
4d) in ber gangen Recenſion feinen. Beweis, baf id) 

ibn 


FCwT^ 341 ^" 


[5n verdiene, unb glaube alfo für jet nicht noͤthig zu 
haben, mid) bagegen zu rechtfertigen. 


Das, was bet Jor. Recenſent gegen mein Rai⸗ 
ſonnement einzuwenden der Muͤhe werth geachtet hat, 
betrifft bloß eine beylaͤufig beruͤhrte Nebenſache. 


Ich habe in den erſtern der gedachten Briefe 
geſagt, was ich vielleicht haͤtte weglaſſen koͤnnen: daß 
die Kantiſche Philoſophie, gegen ihre eigenen Prin⸗ 
(ipia, ben dogmatiſchen Satz auſſtelle: „Raum 
unb Zeit koͤmmt ben Dingen an ſich ſelbſt nicht zu, 
und daß dieſer Satz etwas von den Dingen an ſich 
ſelbſt behaupte. 


Der Recenſent erklaͤrt dieſes für ein Spiel mit 
Worten, und ſetzt hinzu: „der Satz: Raum und 
Zeit ſind Formen der bloßen Anſchauung, ſpricht den 
Dingen an ſich Raum und Zeit ab, ohne denſelben 
eine dem Raum und der Zeit entgegengeſetzte Be⸗ 
ſchaffenheit beyzulegen, d. h. ohne von ben Singen 
en fid) etwas poſitives zu bebaupten.,, — Syd) ar(tefe 
gern, bafi id) ben. angefüfrten Satz nicht haͤtte dog⸗ 
matiſch nennen follen; wenn nad ber Grflárung des 
Stecenjenten ju. einem bogmatijd)en Cate, fo mie audj 
gut Behaupten, nod) gehoͤrt: baf er bejabeno ſey; 
unb wenn baburd), baf id) einem Dinge eine gemiffe 

232 Be⸗ 


fXVER 342  ^Yuky 


Beſtimmung geradezu abfpredje , nicht bie contrabíctor 
riſch entgeuengefete pofitio von ifm behauptet wird. 


Aber auf ben Ausdruck fómmt es nit an; bie 
Sache ift dieſe: Wenn bie Dinge an fid) fefóft và 
lig — x für un$ finb, wenn wir gar nichts von il 
nen etfennen, un$ in einer gánjfid)en Unwiſſenheit 
allec ihrer Beſtimmungen befinben: moie i(t e8 alóbann 
moͤglich von einigen Beſtimmungen zu fagen, daß fie 
ihnen nidjt zukommen ? Wenn id) einem Dinge eine 
Beſtimmung abfpredjen vill, fo muf id) fie mit einer 
SBorftellung dieſes Dinges vergleichen fónnen ; dies if 
aber unmóglid), wenn mir das Ding gaͤnzlich unbe: 
kannt iſt. Wer z. 95. gar nichts vom Golde wuͤßte, 
^o fid in einer gaͤnzlichen Unwiſſenheit aller. feiner. $5e; 
ſtimmungen Befánbe, ber koͤnnte aud) nídt fagen: 
ba$ Gold iſt nid)t ſchwarz. 


Wie iſt alſo nach Kantiſchen Grundſaͤtzen der Be⸗ 
weis uͤberhaupt moͤglich: daß Raum und Zeit bloß 
Formen der Anſchauung, daß ſie ſchlechterdings 
nicht Beſtimmungen der Dinge an ſich ſelbſt ſeyn? 


Das iſt die Schwierigkeit, woruͤber ich Be⸗ 


lehrung wuͤnſchte, und die der Hr. Recenſent nicht 
einmal von fern beruͤhrt hat. 


Ich 


FM 543. "em 


Ich fefe uͤbrigens wol eit, baf bie Briefform, 
bie id) in meiner. kleinen Schrift waͤhlte, gegen bie 
SXaterie zu ab(ted)enb fep, unb werde daher bie in 
dieſer drift angeſtellten Betrachtungen in bem naͤch⸗ 
ſten Stuͤcke dieſes philoſ. Magazins concentrirt vor⸗ 
tragen. Da es mir nicht darum zu thun iſt, Recht 
zu behalten, ſondern nur die Wahrheit zu entdecken, 
ſo verlange ich keine Nachſicht fuͤr meine Beweiſe, 
und werde dem Hrn. Recenſenten fuͤr jede gruͤndliche 
Belehrung uͤber Fehltritte in der Sache danken; 
auch dann, wenn er mich uͤberzeugt, daß ich den 
Weg bet Wahrheit gang unb gar verfehlt habe; toc; 
ches aber nut durch untadelhafte Beweiſe wird ge 
ſchehen koͤnnen. 


| 


83 VII. 


FAM 344 "mx 
ft$040909 040 TIC OG 4006902024 
VII. 


Der 3eifig unb bie Maus. 
Cine Sabel. 





C. Zeiſig, ber ben Buͤchern naf, 

im Simmer eines Schuigelehrten, 

nid)t obne Neid bie Maͤuſe faf, 

bíe gierig Blatt unb. Band verzehrten, 
rief einſtens: O wie gluͤcklich ſeyd 

Ihr, denen hier nach freyem Willen 

ſich mit Gelehrſamkeit zu fuͤllen, 
Erlaubniß unſer Herr verleiht. 

„Bleib, ſprach ein Maͤuschen, ohne Neid 
in Deinen goldenen Gegittern, 

Wir ſuchen wahrlich hier nicht die Gelehrſamkeit, 
die Buͤcher nur — weil ſie uns fuͤttern. 


Recen⸗ 


Recenſionen. 


34 


I. 


Ueber bie Gruͤnde ber Gewißheit bet menſch⸗ 
lichen Erkenntniß. Zur Pruͤfung der Kanti⸗ 
ſchen Kritik der reinen Vernunft. Von 
Adam Weishaupt, Herzoglich Sachſen⸗ Go; 
thaiſchem Hofrath. Nuͤrnberg, bey 
Grattenauer. 1788. 8. 





$3. Hofrath Weishaupt fáfrt fort, fif) um bie 
Aufklaͤrung bed. gegentvártigen Streits über ba$ Ob; 
jeftive in unferec reinen Verſtandeserkenntniß verbient 
zu machen. Er ſteigt Bier in biefer kleinen aber lehr⸗ 
reichen Schrift auf die erſten Gruͤnde des kritiſchen 
Idealismus zuruͤck, und ſucht dieſen in allen ihren 
auffallendſten Folgen nachzugehen, um bie Unſtatthaf⸗ 
tigkeit der erſtern durch die offenbare Ungereimtheit der 
letztern einleuchtend zu machen. Wir koͤnnen es ihm 
uͤberall anſehen, daß es ihm um Wahrheit und gruͤnd⸗ 

35 liche 


*⸗ 348 ^w» 


liche Ueberzeugung, ſo wie um eine vernuͤnftige Beruhi⸗ 
gung durch die Aufloͤſung der Probleme, die uns Alles 
in und um uns alle Augenblicke vorlegt, ſo weit ſie 
der eingeſchraͤnkte Verſtand aufzuloͤſen vermag, zu 
thun iſt. Dieſer an ſich lobenswuͤrdigen Gemuͤths⸗ 
faſſung ſchreiben wir einige Ausbruͤche des Unmuths 
zu, womit et fid) gegen bie Theile des kritiſchen Sybeas 
lismus auslaͤßt, die ſeine ganze Ruhe erſchuͤttern umb 
es unmoͤglich zu machen ſcheinen, ſich mit den Vertheidi⸗ 
gern derſelben uͤber ihre Gruͤnde zu verſtaͤndigen. Da 
wir ihm nicht durch alle Theile ſeiner Unterſuchung 
folgen koͤnnen, ohne zu weitlaͤuftig zu werden: ſo be⸗ 
gnuͤgen wir uns, nur einige merkwuͤrdige Reſultate 
derſelben auszuheben und zu dieſen einige Anmerkun⸗ 
gen hinzuzuſuͤgen. Wenn dieſe Anmerkungen aud) 
bisweilen Zweifel aeger. die Genauigkeit eines oder 
des andern Urtheils des V. enthalten ſollten: ſo wer⸗ 
den ſie doch nur ſſeine Gruͤnde und Beweiſe betreffen; 
ſie werden die Hauptſache ſeines Syſtems unberuͤhrt 
laſſen — denn in Anſehung dieſer, ſind wir voͤllig 
ſeiner Meinung, wir haben uns gleichfalls von bet 
Gruͤndlichkeit des kritiſchen Idealismus nicht über; 
zeugen koͤnnen; — noch weniger werden fie ber. Ach⸗ 
tung fuͤr des V. philoſophiſche Verdienſte Eintrag 
thun. Es iſt ſo leicht, ein Syſtem, das eine ſo neue 
Sprache enthaͤlt, und zwar in Subtilitaͤten uͤber die 
Unterſcheidung des Objektiven von dem Subjektiven 

un⸗ 


unredjt 3u verſtehen, unb Balb das Objektive ín Bev 
Sprache  mít bem  Objeftioen in ben Begrif— 
fen, bald das Erkennen mit bem Seyn gu vermi 
ſchen. Der Rec. glaubt fid) gar nicht vor aͤhnlichen 
Irrthuͤmern ſicher, fo aufrichtig er fid) aud) bemuͤht, 
ſie zu vermeiden; er haͤlt es daher fuͤr einen vorzuͤg⸗ 
lichen Nutzen dieſer Zeitſchrift, daß ſie darin, ſo bald 
ihre Verfaſſer eines Beſſern belehrt werden, auf der 
Stelle koͤnnen berichtigt werden; denn das ſcheint 
das beſte Mittel gu. ſeyn, um fid) einander zu vet; 
ſtaͤndigen. Man wuͤrde außerdem einen Gegner 
nicht widerlegt haben, wenn er noch fuͤr ſich anfuͤh⸗ 
ten koͤnnte, daß man ſeine Meinung nicht genau ge 


faßt habe. 


Der Plan der ganzen Schrift iſt ſehr einfach 
unb einleuchtend. Nach einer allgemeinen Betrach⸗ 
tung uͤber die Gruͤnde der menſchlichen Erkenntniß 
folgt eine Darſtellung des Kantiſchen Syſtems; hier⸗ 
auf eine Beurtheilung, und endlich eine Widerlegung 
deſſelben. 


Hr. W. hat, nach unſerer Meinung, die Streit⸗ 
frage, auf bie es in bem Streite zwiſchen bem kri⸗ 
tiſchen Idealismus unb jeber 2írt des Dogmatismus 
anfómmt, richtig gefaßt, nur bleibt er dieſer al(aes 
meinen Beſtimmung der Streitfrage nicht uͤberall 
getreu. Es koͤmmt naͤmlich darauf an, ob alle unſere 

Er⸗ 


350 


Erkenntniß bloß ſubjektiv ſey, oder ob es auch einige 
gebe, die wir mit Recht fuͤr objektiv halten koͤnnen. 
Er druͤckt das ſo aus: ob alle unſere Erkenntniß ei⸗ 
nen bloß ſubjektiven Grund, naͤmlich in der Receptivi⸗ 
taͤt des erkennenden Subjekts, oder auch einen objekti⸗ 
ven Grund in den Gegenſtaͤnden habe. Wir bemer⸗ 
ken hiebey ſogleich eine kleine Zweydeutigkeit in dem 
Ausdrucke: Grund, die in der Folge auf die Unter⸗ 
ſuchungen des V. einigen Einfluß hat. Man kann 
darunter das principium cognofcendi, man fann aber 
aud) bie Urſach derſelben verſtehen, ſofern fie eine 
Modifikation des Denkenden ift. Die erften prin- 
cipia cognofcendi (inb bie erſten Vernunftwahrhei⸗ 
ten füc unfere reine 3Bernunfterfenntni& unb bie anf 
fdjauenben Urtheile für unfere Erfahrungserkenntniß. 
Die er(ten principia cognofcendi unſerer einem 
fBernunfterfenntni& faben eine unleugbare nothwen⸗ 
dige objektive Guͤltigkeit; unb eben fo alles, was 
aus ihnen richtig gefolgert wird. Wenn der Verf. 
bey der Befeſtigung dieſer objektiven Guͤltigkeit ge⸗ 
blieben waͤre: ſo, ſcheint es uns, wuͤrde er ſich ſeine 
Unterſuchungen um ein großes erleichtert haben. So 
aber verſteht er hauptſaͤchlich unter Grund der Er⸗ 
feuntnif bie Urſach derſelben. Das thut er ſogleich 
in der allgemeinen Beurtheilung der Gruͤnde der Er⸗ 
kenntniß, bie et F. 4 — 7. voranſchickt. Wir be 
merken Bier nur 6e) bem dritten Balle, ben (id) ri 


WCAVEA  35t o ^"uky 


$8. vorlegt, daß námíid unſere Erkenntniß durch 
ein hoͤheres Weſen gewirkt werde, daß die Syſteme, 

| welche biefe$ befaupten, bie Folgerungen, bie er bat: 
«u$ herleitet, ſchwerlich anerkennen werden. €» 
geſteht Carteſius nicht, daß durch ſein Syſtem der 
gelegentlichen Urſachen das Daſeyn aͤußerlicher Ge⸗ 
genſtaͤnde uͤberfluͤſſig werde, eben ſo wenig geſteht dieſer 
Philoſophh mit Malebranche unb Berkeley, daß 
wir von dem Daſeyn dieſes Weſens eine geringere 
Gewißheit haben, als von dem Daſeyn und der Ein⸗ 
wirkung der Koͤrperwelt. Auch weiß Berkeley die 
Spontaneitaͤt bey ſeinem Idealismus ſehr wohl zu be⸗ 
haupten, und alle haben der Schwaͤrmerey, die der 
Verf. beſorgt, in ihren Theorien hinlaͤnglich vorge⸗ 
beugt. — Ob das, was der Verf. von den Urſachen 
ſagt, (5. 11.) bie Jor. Sant zu ſeinem Syſtem vet; 
anlaßt haben koͤnnen, wirklich gegruͤndet ſey, getrauen 
wir uns nicht zu beurtheilen. Es iſt kuͤrzlich dieſes: 
„Locke habe die große Entdeckung gemacht, daß man 
„alle unſere Erkenntniß von der Erfahrung ableiten 
„muͤſſe, daß die abſtrakten und allgemeinen Begriffe 
„nichts anders ſeyen, als die darunter begriffenen In⸗ 
»bivibua, unb daß daraus folge, dieſe allgemeinen 
„Begriffe ſeyen auf kein Weſen ín. ber. Natur an; 
»wendbar, als auf diejenigen, von welchen ſie abge⸗ 
„zogen, — daß aber die ſcholaſtiſche Lehre von der 
„Ewigkeit, Nothwendigkeit und Unveraͤnderlichkeit 
„der 


WeAMT^ 352 ^" 


» bet Weſen ber Dinge bald verurfadjt, baf tnan von 
„dieſen Folgen abgewichen fep, unb ben Weſen ber 
» S ínge eine Art von engerer uno abgefonoertec 
» fExiflens (?) aegeben babe. — Man fjabe angefangen 
»von Tugend, Gerechtigkeit u. f. ro. als von Din⸗ 
„gen zu teben, bie von Ewigkeit eir für fido felbft 
»beftebenoes Daſeyn baben, (?) Am ſtaͤrkſten 
» babe fid) dieſer Unfug in ber febre von Gott at: 
„zeigt; einige blog von Menſchen ab(trabirte Soll: 
„kommenheiten, als 9Berftanb, Wille, Güte, u. f. 1v. 
„habe man auf Gott angemenbet, — Daraus feyen 
„falſche unb antfropomorpbi(tije Vorſtellungsarten 
„von Gott entſtanden. Sein endliches SBefen babe 
» icgeno cine enolicbe f&igenfcbaft mit oem unz 
„endlichen Weſen gemein, alle nod) fo febr ver: 
» atéferte menſchliche Gigenfdjaften bleiben ünmer nur 
„endliche Gigenfd)aften; aus eben temfelbigen Grunu⸗ 
„de muͤſſe man fonft nidjt obige Eigenſchaften allein, 
»fonbern eben fo gut taufenb anbere, als Nuͤchtern⸗ 
„heit, Maͤßigkeit, Cparfamfeit, Seufdbeit, Be— 
„gnuͤgſamkeit, Geduld, Beſcheidenheit, Schamhaf— 
„tigkeit wu. ſ. w. von Gott in einem unendlichen Gra: 
„de brjafen.,, — Jud) nennt Jor. 98. biefe Vorſtel— 
lungsarten, an bie aud), wie et fagt, Cartes, od'e, 
Leibnitz, Wolf, 25sumgarten ihren Vortrag an. 
geſchloſſen (S. 43.), Widerſpruch und Unſinn. 
Wenn alle unſere Erlenntniß von ber Erfahrung muß 

ab⸗ 


f^»T^ 353 ^R 


abgeleitet werden, aud) unſere 3Berftanbeeerfenntnig ; 
wenn bie S5egriffe be8 Verſtandes nichts anders (inb, 
als bie unter (nen begri(fenen Synbivibua, ober, mie 
wir e$ verſtehen, roenn (ie feinen aubern. Dingen au; 
fommen, als von benen fie wirklich (inb abgezogen 
worden: fo feen wir nid)t eiu, rote ber. Verſtand gu 
ber Erkenntniß des hoͤchſten Weſens gelangen fónne. 
Wenn ferner dem unendlichen Weſen keine Realitaͤt 
des endlichen um deswillen kann beygelegt werden, 
weil eine jede Realitaͤt in dem endlichen Weſen (ſelbſt 
die Realitaͤt, daß es ein Ding iſt,) endlich ſeyn 
muß: fo bleibt augenſcheinlich fuͤr das unendliche Se: 
ſen nichts als der allerleerſte Begriff uͤbrig, und es 
iſt uns voͤllig unbegreiflich, wie Hr. W. hoffen koͤnne, 
mit ſolchen Vorderſaͤtzen ben kritiſchen Idealismus zu 
widerlegen. Denn da alle Dinge, bie feine Erſchei⸗ 
nungen ſind, außer bem Geſichtskreiſe ber Sinne 
liegen, alſo unmittelbar nicht erfahren werden koͤn— 
nen, bie Verſtandesbegriffe, unter denen wir fie. ben: 
fen wollten, alſo nicht von ihnen haben abgezogen 
werden koͤnnen, und ihnen folglich nicht zukommen: 
ſo muß die Erkenntniß derſelben gleichfalls ganz leer 
ſeyn, unb es iff aud) um das Objeftive unſerer Gs 
fenntni$ ber Grünbe der Erſcheinungen gethan. Wir 
beſorgen beynahe, den Verf. nicht recht verſtanden 
zu haben, und wuͤnſchen aufrichtig, belehrt zu wer— 
den. Die Darſtellung und Beurtheilung, die Hr. 


(V^ 354 40 


$9, von bem Kantiſchen Syſtem giebt, müffen toi 
ben Vertheidigern beffelben ſelbſt zu beurtheilen uͤber⸗ 
laſſen. Wir uͤbernehmen z. B. nicht, zu entſcheiden, 
ob es dieſem Syſteme gemaͤß iſt, menn e$. €. 119. 
6. 29. heißt: „Es wird geſagt, ba ſolche ſubſtanti⸗ 
elle Dinge, welche bey ben. Erſcheinungen jut Grun⸗ 
» be liegen follen, voxgava (inb,,, ba or. Kant (Git. 
, b. t. V. €. 253. a. 21.) ausdruͤcklich fagt: „ Das 
„Objekt, worauf ſich die Erſcheinung bezieht, kann 
„nicht Noumenon heißen., Vergl. phil. Mag. 
St. 3. S. 282. Von den Noumenen wuͤrde 
ich etwas wiſſen, von den transſcendentalen Ob⸗ 
jekten aber. weiß id) nichts, unb eben barum, ſetzt 
Hr. Kant hinzu, koͤnnen dieſe keine Noumena ſeyn. 
Da der Verf. ſeine Widerlegung der gaͤnzlichen Sub⸗ 
jektivitaͤt unſerer Erkenntniß mur gegen ihre Unah⸗ 
haͤngigkeit von der Koͤrperwelt gerichtet hat: ſo tref⸗ 
fen bie Folgerungen, womit er dieſe SfGiberlegung 
füórt, fo gut ben Idealismus Berkeleys, als ben 
kritiſchen Idealismus des H. Kant. Beide duͤrften 
verſchiedene von dieſen Folgerungen wol nicht zulaſſen, 
andere aber zwar zulaſſen, aber durch des Verf. 
Gruͤnde nicht bewogen werden, ſie fuͤr falſch zu hal⸗ 
ten. So werden ſie nicht zugeben, daß eine Illuſion 
aufhoͤre, ſo bald ich weiß, daß ſie Illuſion ſey 
(S. 164.). Das wird durch alle perſpektiviſche Illu⸗ 
ſionen widerlegt. Die Illuſion iſt nur in der ſinnlichen 

Er⸗ 


f^a»T^ 355 ^*^ 


Erkenntniß, biefe ift anſchauend unb fann durch feint 
nicht anfdjauenbe Grfenntni ihre ſinnliche Gewißheit 
verliehren. Es muͤſſen daher die Annehmlichkeiten 
des Lebens, wenn ſie auch nur auf einer Taͤuſchung 
beruhen, nicht nothwendig verlohren gehen, ſo bald 
ich weiß, daß die Erkenntniß ihrer aͤußern Urſachen 
eine Taͤuſchung iſt. Sollten ſie aber wirklich verloh⸗ 
ren gehen, fo wuͤrde ber Idealiſt dieſes als eim uns 
vermeidliches Ungluͤck anſehen. Einen andern Be— 
weis von der aͤußern Wirklichkeit der Koͤrperwelt hat 
ſich der Verf. dadurch erſchweret, daß er den Begriff 
des unendlichen Weſens ſo ohne alle dem menſchlichen 
Verſtande erkennbare Eigenſchaften beſtimmt haben 
will, daß dadurch keine denkbare Beziehung deſſelben 
auf die Welt uͤbrig zu bleiben ſcheint. Am Ende 
(S. 204.) verſpricht der Verf. eine Fortſetzung ſeiner 
Unterſuchung, die ſich mit dem Speciellen des Kan— 
tiſchen Syſtems beſchaͤftigen ſoll. Wie ſehen dieſet 
Fortſetzung mit deſto mehr Erwartung entgegen, da 
ſie vielleicht eine Aufloͤſung bet Zweifel, die mit Dice 
vorgetragen haben, enthalten wird. M 
* 


philoſ. Mag. 3. St. Aa II. 


i⸗356 5 
«3 309 31 32939 03949-3991 390 200 209- 


IT. 


Ueber ben thieriſchen Magnetismus, von G. 
Meiners, SDrofeffor ber Weltweisheit in Goͤt⸗ 
fingen. 8. femao, ben Meyer, 1788. 
€. 340. 


W.n der ſo beruͤchtigte Gegenſtand vorliegender 
Schrift in der Geſchichte der Arzneywiſſenſchaft der 
neueſten Zeit wichtig und intereſſant iſt, — ſo iſt 
ers gewiß nicht weniger in der Geſchichte der Philo⸗ 
ſophie unſerer Tage — und wenn die leider! ſelbſt 
unter Aerzten ſo große Ausbreitung dieſes gegen alle 
geſunde Grundſaͤtze der Philoſophie unb Heilkunde 
ſtreitenden Unſugs, bem gegenwaͤrtigen Zuſtand bet 
Medicin keine Ehre bringt, ſo bringt ſie wahrlich auch 
dem der Philoſophie Schande. — Jene hat viel gethan, 
die ſchaͤndende Makel zu tilgen, unſere beſten Aerzte 
haben wacker dadegen geſtritten, ich nenne nur einige 
Deutſche, Hofmann, Elſner, ub den vortrefflichen 
Tahn, bie Zierde ber Schweizerſchen Aerzte — dieſe 
Maͤnner haben gewiß nicht „eine ernſtliche Pruͤfung 
„geſcheut, aus Furcht auf facta zu ſtoßen, welche 

„zu 


„zu erfíáren unb zu widerlegen fie nid)t im Stande 
„ſeyn mochten, —  inbef fie betradjteten die Sache 
hauptſaͤchlich von mediciniſcher Seite. Wie wuͤnſchens⸗ 
werth war es nun aber, daß auch philoſophiſche Lehret 
uns ihre Gedanken uͤber die merkwuͤrdige Erſcheinung 
in unſerem Zeitalter mittheilten: daß ſie uns die prag⸗ 
matiſche Geſchichte dieſer Verirrung des menſchlichen 
Verſtandes, mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf die geſamte 
Denk- unb Handlungsart unſerer Zeitgenoſſen — 
bem Reſultat des Studiums einer Menge vorgegang: 
ner und gleichzeitiger die Menſchheit intereſſirender 
Vorfaͤlle — lieferten. 


Dieſen Wunſch zu erfuͤllen, trit nun einer der 
erſten philoſophiſchen Lehrer auf einer unſerer beruͤhm⸗ 
teſten Univerſitaͤten auf; und liefert uns dazu, nicht 
etwa einen Verſuch, ſondern ein vollendetes Werk, wor⸗ 
in er (nach den eigenſten Worten der Vorrede) alles 
geſagt hat, was er uͤber und wider den Magnetismus 
zu ſagen wußte, — ſo daß er weiter keine Einwendun⸗ 
gen und Gegenſchriften leſen wird, — und womit er 
zur Beſtreitung von verfinſternden und verwirrenden 
Denkarten beygetragen zu haben glaubt. Doch da 
dieſe beiden Aeußerungen zu ſehr auffallen moͤchten, 
fo verſpricht uns der Hert Profeſſor Gegenſchriften unb 
Critiken in dem Fall zu leſen, wenn ſein Buch von 
neuem ſollte aufgelegt werden; — wuͤnſcht alſo das Pu⸗ 

Aa 2 blicum 


blicum fernere Aufklaͤrung verfinfternber unb. vertit: 
renber Denkungsarten, (o weiß e$, auf welche Art 
e$ bicje vom Hrn. «rof. erfjalten kann. 


Nach einigen gewiß fefe uͤbertriebnen Cobpreifun: 
gen des Betragens unſers Deutſchlandes gegen. ben 
Magnetismus, vor bem Betragen Frankreichs, (nut 
ein, der — zum Theil noch fortdaurenden — Ge⸗ 
ſchichten in Str. Be. Br. 3. M. unb nod) (cbr viel 
anderen beutíd)en Ctábten, gang unkundiger Mann 
fann fagen: , mut in wenigen Staͤdten fanb er et; 
„klaͤrte Anhaͤnger, wurde nut. an menigen franfen 
„verſucht, — nur menige obet. gat feíne Proſelyten 
„wurden gemadit,, :c. 2. unb faben nidt Frank⸗ 
teíd)$ arofe Aerzte ebenfalls kraͤftigen Widerſpruch 
gleich von Anfang gemacht? man erinnere ſich an 
Thouret, Retz, die Commiſſairs der Academie und des 
Koͤnigs,) zeigt uns Hr. M. den eigentlichen Geſichts⸗ 
punct, den er bey ſeiner Unterſuchung hat, an, — 
er will naͤmlich die wahre Natur des Phaͤnomens, das 
eine ſo allgemeine Aufmerkſamkeit und ſo ſtreitende 
Urtheile veranlaßt hat, ohne alle Uebertreibung oder 
Hinzudichtung von Umſtaͤnden erzaͤhlen, unb bann un: 
terſuchen, ob man bie Symptome magnetiſirter Per⸗ 
ſonen aus den bisher bekanten Kraͤften und Geſetzen 
ber Natur erklaͤren ober nicht erklaͤren fónne; — aber 
auch dieſes will er nur auf eine ſehr eingeſchraͤnkte 

Art 


F^AYf^ 359 ^c» 


Art feiffen, benn er nimmt bloß auf bie favatet: 
Zuͤrcherſchen und bie Wienholt unb Bickerſchen Bre⸗ 
mter Geſchichten Ruͤckſicht. 


Der erſte Abſchnitt ſeiner Schrift erzaͤhlt alſo die 
Bremer und Zuͤrcher Erſcheinungen, theils aus ge⸗ 
druckten Actenſtuͤcken, vornaͤmlich ber bekannten Wien⸗ 
holtſchen Schrift, unb deſſelben Verfaſſers ungedruck⸗ 
ten Briefen an Herrn Hofrath Feder. Dieſe Erzaͤh⸗ 
lung ift ſehr gut gemacht, unb mit mehreren Be⸗ 
merkungen der Widerſpruͤche und ſonderbaren Behaup⸗ 
tungen ber Herren Magnetiſeurs begleitet, bie frey⸗ 
(id) jebem Unparteyiſchen fein. gefunbec Menſchenver⸗ 
(tanb eingeben mufte. 


Der zweyte Theil bet. Schrift foll num ben 3u: 
ftanb náfer beſtimmen, ín melden bie maanetifirten 
Perſonen butd) bie. Manipulation ober. ihnen gleich— 
geltende Bewegungen des Magnetiſeurs verſetzt wer—⸗ 
ben, — ſchraͤnkt fid) aber bloß darauf cin, Geſchich⸗ 
ten von Schlafwandlern — ín Exſtaſen gerathnen — 
verzuckten Schwaͤrmern u. f. vo. aus Lorry — Moritzens 
Magazin — unb ein paar anderen Schriften au et; 
zaͤhlen, unb der Herr "rof. behauptet: „Der mag; 
„netiſche Schlaf iſt keinem bisher beobachteten natuͤr⸗ 
„lichen und unnatuͤrlichen Zuſtande vollkommen gleich, 
„aber allen natuͤrlichen und unnatuͤrlichen Zuſtaͤnden 

Aa 3 


fur 360 ^"nbm 


»fo aͤhnlich, taf man ifn mit einem jeben berfclben 
„von einer ober mehreren Seiten veraleidóen, unb 
» tbe deswegen feín. eingigeó Cymptom des magne: 
„tiſchen Schlafwandlens angeben kann, baé man nicht 
„auch ſchon in anderen geſunden oder kranken Perſo⸗ 
„neu wahrgenommen haͤtte. 


Sym ber dritten Abtheilung — ſucht ber Hr. 
Verf. darzuthun, daß die Phantaſie maͤchtig genug 
ſey, ohne alle andere mitwirkende Urſachen ſolche 
Symptome zu erzeugen, als man von den magneti⸗ 
ſchen Schlaͤferinnen erzaͤhlt. — Natuͤrlich fuͤhrt er 
den Beweis a pofteriori; unb ba, nad) feinem eig: 
nen GeftànbniB, ihm biefe Art von Lectuͤre ziemlich 
ftemb iſt, fo Bat feim guter Genius in glücffidyer 
SBeife an einen Potpourri gemiefen, ber allerbingé ber 
allerbefte i(t, um batin zu finben, roaé man nur im 
met verlangen fann ; naͤmlich bie Ephemerides .- Mi- 
fcellanea .. unb Acta Naturae curioforum. Dieſe 
Sammlung fann unb barf man, bekantlich, nur 
mit grofer Sorgfalt unb. genauer. Critik gebrauchen; 
vb bie8 Jor. 9X. getban, mógen fofgenbe zwey 
Geſchichtchen, bie er uns daraus erzaͤhlt, zeigen: „Ein 
ſiebenjaͤhriger Knabe erhielt nicht nur das erſtemal 
die Blattern von bloßem Schreck uͤber den Anblick 
des Kindes einer Bettlerinn, das noch die Flecken 
uͤberſtandner Blattern auf bem Geſichte trug, fot 

dern 


4^ 206r wu» 


bern. ein aͤhnlicher ſchreckenvoller Anblick brachte bicfem 
Kranken ín feinen reiſern Jahren nod) einmal die— 
ſelbe Krankheit. —, „Ein Arzt, von welchem biet 
viele vortrefliche (272) Beobachtungen vorkommen, 
verſichert, bag er von angeſehenen Jungfrauen, Frauen, 
und Witwen gehoͤrt habe, daß ſie das bevorſtehende 
Monatliche nach Belieben zuruͤckhalten koͤnnen, wenn 
fie einen carmeſin ſeidenen Faden fo oft um ihren Gold⸗ 
finger waͤnden, als ſie wollten daß ihre Zeit Tage 
aus bleiben ſollte; andere brauchten ſtatt bec ſeidenen 
Faden Pfefferkoͤrner — von welchen man doch eher 
glauben koͤnnte, baf fte durch mediciniſche Kraͤfte bie 
von ihnen gehoffte Wirkung hervorgebracht Dátten, ,, 
(das Monatliche zuruͤckhalten? gewiß nichts weniger!) 


Was ſoll man nun aber zu folgenden Stellen ſa⸗ 
gen — (S. 152.) „Den meiſten Leſern werden 
alle angefuͤhrte Beyſpiele von Heilungen, Laͤhmungen 
und Krankheiten, welche die von Schrecken oder 
Furcht getroffene Phantaſie hervorgebracht bat, meni: 
ger wunderbar vorkommen, als die Beyſpiele von 
Contuſionen, Schmerzen an beſtimmten Oertern, und 
ſogar von Geſchwuͤren, welche alle durch bic GinbiC 
dungskraft erzeugt wurden. Ein geſunder unb ſtar— 
ker Mann von 30 Jahren ſah im Traum einen 
Fremdling in polniſcher Kleidung auf ſich zukommen, 
ber. ín ber rechten Hand einen Stein Diet, unb bar 

Aa 4 tnit 


f^APM 362 4-0 


mit (o ſtark er fonnte bem Traͤumenden auf. ble Ge 
genb des Magens ſchlug. Sad) bem empſangnen 
Schlag erwachte der Traͤumende und empfand uͤber 
dem Magen einen heftigen Schmerz. Er zuͤndete des⸗ 
wegen Licht an, unterſuchte die ſchmerzende Stelle, 
unb fand zu feinem groͤßten Crítqunen, bafi in bct 
Gegend, mobin bec Srembling im Traum geſchlagen 
fatte, eine heftige Contuſion entftanben mat,,, unb 
Seite 154:— „Eine nod) viel feurigete Einbildungs⸗ 
kraft fatte bet Scholaſtiker Arnoldus, biefem tráumte, 
baf ct von einem Kater ím Fuß aebiffen voerbe, unb 
als ec fid am felgenben Sorgen unterſuchte, fanb er, 
baf er an ber gebiſſenen Stelle eine. SBunbe ober cin 
Geſchwuͤr fatte, ;, 


Der Herr Verfaſſer will un$ nun bereden, 
jene Contuſion, unb dieſes Geſchwuͤr ſouen Wirkun— 
gen ber feurigen Einbildungskraft ſeyn! — Credat 
Judaeus apella — non ego. Wie offenbar ſind 
nicht fiev Urſache unb Wirkung verwechſelt! voir. fof; 
ten glauben, aud) einem Nichtarzte muͤßte dies Balb 
einfeudjten; ober haͤtte fid) bod) .r. M. bey einem 
Arzte batüber erfunbiot, gewiß feiner fann eínen fo 
eroben Irrthum begehen, aufer etwa cin elenber o: 
ſephi, ber Jo. Meiners ausſchreibt. — 


Nun geht Hr. M. weiter zu einer Behauptung 
— daß auch ohne Huͤlfe der Phantaſie die erzaͤhlten 
Sym⸗ 


f^uvr^ 2363 ^X» 


Symptome ín ſolchen Kranken als bie manipufirten 
Frauenzimmer waren, durch die bloße Manipulation 
haͤtten erfolgen koͤnnen; und beweiſt dies wieder, auf 
ſeine bisher angezeigte Manier, aus den bekanten 
von ben groͤßten Aerzten unb andern Beobachtern auf; 
gezeichneten Wirkungen ber Frietionen. Was er bat: 
uͤber ſagt, iſt bloß aus Lorry unb Tiſſot, wobey wol 
noch beſſere Quellen zu benutzen geweſen waͤren — 
unb einigen Reiſebeſchreibern entlehnt — bin unb moie: 
ber. finben fid) gang. unrid)tige Sefauptungen, fo S. 
IÓ68. baf ein großer Theil von Nervenkrankheiten vou 
ber unterdruͤckten Ausduͤnſtung herruͤhre u. f. vo. 


Zum Beſchluß durchgeht Jor. M. nod) bie auf? 
fallenbften Erſcheinungen bey ben. magnetiſchen Schlaͤ⸗ 
ferinnen beſonders, um — iie et. fagt — bem Vor— 
wurf, nidt alles erfíart gu faben, vorzubeugen; 
aber wir müffen offenherzig geſtehen, baf uns Erklaͤ⸗ 
rungen, wie folgende ift, hoͤchſt ſonderbar vorkom⸗ 
men. „Mehrere Gegner des Magnetismus, heißt 
es S. 211. „haben es fuͤr bloße Erdichtung erklaͤrt, 
daß die magnetiſchen Schlaͤferinnen durch die Beruͤh— 
rung der Finger gedruckte und geſchriebene Schrift le— 
ſen koͤnnen, und zwar am meiſten aus dem Grunde, 
weil eine Kranke, die Hr. Dr. Rhode in Bremen be— 
ſuchte, ein von ihm geſchriebnes Wort nicht zu leſen 
vermochte; aber der einzige Fall beweiſet gar nichts 

Aa 5 ge⸗ 


364 c 


gegen bie Richtigkoit der von ben. Magnetiſeurs at: 
geſtellten Beobachtungen unb gegen bíe 3uvetlaffigfeit 
ihrer Erzaͤhlungen; Bemeifet nut, bag bie Seinbeit 
ber &inne nicht immer ín gleichem Grade bey ſolchen 
fDeríonen erbóft fep,,, unb mum weiter fein Wort 
von Crflárung hieruͤber! — Uebrigens i(t bann. at: 
lerdings ín biefem Abſchnitt recht febr viel. wahres 
unb gutes enthalten; befonber$ gehoͤrt hieher, was 
uͤber die Arzneyen, die ſich die Schlaſwandlerinnen 
ſelbſt verordnen, geſagt wird, — „beſonders fuͤhren 
die Magnetiſeurs es als etwas ihrer Hypotheſe guͤn⸗ 
ſtiges an, daß die Kranken ſich oft dem Scheine nach 
ſchaͤdliche, oder unwirkſame, oder paſſende Arzneyen in 
zu großen Quantitaͤten verordneten, unb daß alle fo: 
che Arzneyen doch die heilſamſten Wirkungen her⸗ 
vorgebracht haͤtten; allein man konnte wiſſen, daß 
bie Einbildungskraſt von Nervenkranken ſtark genug 
ſey, die Natur von Arzneyen gaͤnzlich zu verwandlen, 
unb baf fie alſo die Wirkſamkeit von heilſamen Mit⸗ 
teln unglaublich vermehren, unwirkſamen neue Kraͤf⸗ 
te mittheilen, unb ſchaͤdlichen ihr Gift nemen koͤn—⸗ 
ne., Dieſe aus einzelnen Faͤllen vie. gu geſchwind 
allgemeingemachte Behauptung wird aber doch nicht 
Entſchuldigung fuͤr die ganz unverantwortliche Drei⸗ 
ſtigkeit ber verwirrten Aerztekoͤpfe ſeyn ſollen, die bem 
Eigenſinn ihrer verwirrten Patienten auf eine ſolche 
Art zu befriedigen, ſich unterſtunden!! — Voͤllig ſtim⸗ 

men 


f^A»f^ 365 ^u» 


men fir mit Jor. Meiners überein, wenn er am 
Cube dieſes Aufſatzes fagt — die gewoͤhnlichen Fol⸗ 
gen dieſer fatalen Operation, muͤſſen doch immer Ent⸗ 
fráftung des Koͤrpers unb. Schwaͤchung des Geiſtes 
ſeyn! 


Dies ſind unſere Bemerkungen uͤber dieſe 
Schrift — Was man am meiſten von dem Herrn Verf. 
haͤtte erwarten und hoffen koͤnnen, und was wir zu 
Anfang dieſer Recenſion angedeutet haben — philoſophi⸗ 
ſche Bemerkungen — die vermißt man hier ganz; — 
daß er im mediciniſchen Theil Bloͤßen giebt, koͤnnte 
man ihm leicht vergeben, aber er haͤtte ſich nie in 
dies Feld wagen ſollen. 


Am allerauffallendſten war uns aber — der 
Anhang dieſer Schrift, den wir nun noch kuͤrzlich 
anzeigen muͤſſen. Ein uns ganz unbekanter Lyoner 
Arzt, Petetin, hat neulich eine ganz abentheuerliche 
Schrift Sur la decouverte des phenomenes, que 
préfentent la Catalepfie et le Somnambulisme, 
herausgegeben; worin nun bíe Hauptſache eine im 
erhabenſten Ton Derbecfamirte Krankheitsgeſchichte 
eines Frauenzimmers iſt, die ſich durch Beſorgniß, 
ihren dreyjaͤhrigen Sohn zu verlieren, die heftigſten 
hyſteriſchen Zufaͤlle zugezogen hatte, bie mit fuͤrchter⸗ 
lichen Convulſionen, gaͤnzlicher Betaͤubung und nem; 

pfind⸗ 


366 


pfindlichkeit, und der unwiderſtehlichſten Luſt zu ſin⸗ 
gen begleitet waren — er beweiſt bann, daß ſeine 
Kranke, bey voͤlliger Taubheit der Ohren, Blindheit 
der Augen, Unempfindlichkeit der Geruchnerven — 
mit dem Magen gehoͤrt, geſehen, gerochen, — ſie lieſt 
mit den Fingerſpitzen — der Magen lernt durch Uebung 
beſſer ſehen, und (— zum Beweis der wahrhaften 
Blindheit —) die Perſon wird ſchwindlicht, und 
faͤllt in convulſiviſchen Schlaf, wenn man iht ſcharf 
ins Auge ſieht — quatre Experiences beweiſen, 
daß bie im Magen angehaͤufte unb im. Gehirn erzeug⸗ 
te electriſche Feuchtigkeit, an allem dem Unheil ſchuld 
fo — be Seele, meint. Jor. Petetin, fep wenig 
baran gelegen, ob ſie durch Augen ober Magen fcbe 
u. ſ. w. — Aus dieſer allen geſunden Menſchenver⸗ 
ſtand empoͤrenden Schrift, liefert uns nun Hr. Prof. 
Meiners einen funfzig Seiten ſtarken Auszug, und 
fen Endurtheil daruͤber Seite 315. iſt: Es iſt in ei⸗ 
nem hohen Grad unwahrſcheinlich, daß der Magen 
einer kranken Frau alles das geleiſtet habe, was ihr 
Arzt erzaͤhlt; allein eben fo unwahrſcheinlich iſts, 
daß ein nicht unberuͤhmter Mann, der ein anſehnli⸗ 
ches Amt bekleidet, durch die Erdichtung von Nach 
richten, deren Falſchheit bald erfunden werden wuͤrde, 
ſeinen guten Namen habe aufé Spiel ſetzen wollen, 
man muß alſo durchaus annehmen, daß die vorge⸗ 
tragnen Facta, wo nicht alle, doch wenigſtens zum 

theil 


mur» 367 "n 


ffeil wahr ſeyen! — und zwey Selten ſpaͤter heißt 
es: — Wenn nur ein Theil der neuen Erſcheinungen, 
die Hr. Petetin beobachtet haben will, beſtaͤtigt wer⸗ 
den ſollte, ſo koͤnnte man mit Recht ſagen, daß dieſe 
Beobachtungen über bie bisher unentdeckten Faͤhigkei— 
ten des Magens außerordentliche Veraͤnderungen 
in manchen wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen 
hervorbringen werden! Hierin erkenne den Philoſo⸗ 
phen wer da mag! Iſts nicht, als haͤtte ſich hier Hr. 
Meiners mit ben Treuen des Zirkels sum Motto ge; 
waͤhlt: — „Und auf ben Mund ben Finger! Ach un: 
term Mond' ift. mancherley, wovon nichts traͤumt die 
Traͤumerey, $ifofofep!,, — Weit beſſer ſind bie Be—⸗ 
merkungen uͤber Dr. Gmelins Schrift, die ſich am 
Schluſſe befinden, 
u. 


In⸗ 


Inhalt 


des dritten Stuͤcke. 


L Weitere Anwendung bet. Theorie von bee logiſchen 
Wahbrheit ober ber tranſcendentalen Guͤltigkeit ber 


menſchlichen Erkenntniß. €.243 
1L. Ueber baé Gebict be$ reinen. Sherftanbes. 263 
Ill. tieber ben weſentlichen Unterſchied ber Erkenntniß 

burd) bic Cinne unb ben. SBeritanb, 290 
IV. ileber bie Unterſcheldung ber. Urtheile in analp: 

tiſche unb ſynthetiſche. 307 


V. Ausfuͤhrlichere Erklaͤrung uͤber die Abſicht dieſes 
philoſophiſchen Magazins. Veranlaßt durch cine 
Recenſion des erſten Stuͤckes deſſelben in. ber. Ullg. 
Litt. Zeitung. 333 


VI. Vorlaͤufige Erklaͤrung des Verfaſſers der Briefe 
über bie Antinomie bee Vernunft, in Ruͤckſicht auf 
bie Recenſion dieſer Briefe in ber allgem. Litt. 


Zeitung. 340 
VIL. Der Zeiſig unb die Maus. Eine Fabel. 344 
VIII. Recenſionen. 345 


— 


Philoſophiſches Magazin. 


⏑æ—— 


Herausgegeben 


von 


Johann Auguſt Eberhard. 


Viertes Stuͤck. 


HALLE, 
bey Johann Jacob Gebauer. 
178 9. 


I. 
Mebet 


ben Urfprung ber menſchlichen 
Crfenntnif. 





D) faben voit unſere wirkliche Erkenntniß? 
Dieſe Frage haben wir bisher noch immer auf der 
Seite liegen gelaſſen. Gleichwol darf ſie nicht ganz 
uͤbergangen werden. Der kritiſche Idealismus be⸗ 
antwortet ſie nicht, und, ich glaube, er kann ſie nicht 
beantworten. Um uns zu verſichern, ob unb mie weit 
et e$ koͤnne, müjfen mir wiederum etwas zuruͤckgehen. 


I. Was iff ber Grund ber Wirklichkeit ber 
empirifen GCrfenntnif ? 

Alle Erkenntniß iſt entiocber empiriſche ober Ct; 
kenntniß a priori. Die feGtere, wenn fie. nicht leer 
ſeyn foll, muri Anſchauungen ober ſinnliche, bildliche 

Philoſ. Mag. 4. St. S5 Merk⸗ 


FRAYfM 370 "ux 


derkmale entfalten, deren Formen ober. einfadjfter 
Elemente für bie Cinnen, Staum unb Seit iſt. Was 
ift empirifdbe Grfenntni$ ? Empfindung; eine. m 
pfinbung aber it ein Eindruck eine$ Gegenftanbes auf 
bac Gemuͤth ober eine Modifikation ber Sinnlichkeit. 
XDas mibificirt aber bie Sinnlichkeit ? was ift bet 
Dinreid)enbe Grund, bag in biefem Augenblicke, ba 
id) baé Papier fefe, auf welchem id) ſchreibe, meine 
Sinnlichkeit fo unb nid)t anber$ mobificrt wird? 
Der Gegenftanb. — Allein bet Geaen(tanb ift ſelbſt 
eine Vorſtellung, benn et. iſt eine Erſcheinung, eine 
ſinnliche Vorſtellung; waͤte ec feine Erſcheinung, fo 
waͤre er ein Ding an ſich, von Dingen an ſich, weiß 
ich nichts, aud) nicht, ob fie wirklich (ub. 


Dieſes gilt ſo wohl von den einfachen Subſtan⸗ 
zen, bie ber letzte Grund der Koͤrper finb, aló aud) 
von ber unendlichen Subſtanz, die bie wirkende lr: 
ſach aller endlichen Subſtanzen iſt. Da ſie keine Er⸗ 
ſcheinungen ſind: ſo erkenne ich nichts von ihnen, 
auch nicht das, daß ſie wirklich ſind. Folglich kann 
ich, weder die erſteren noch die letztere, als die Gruͤnde 
der Wirklichkeit meiner Empfindungen anſehen. 


Fuͤr die Wirklichkeit meiner empiriſchen Erkennt⸗ 
niß weiß mir alſo der kritiſche Idealismus keinen be⸗ 
ruhigenden Grund anzugeben; alle ihre erkennbaren 

Gruͤn⸗ 


FM 37X "Tes 


Qirünbe (inb bloße fubjeftive. — Der Menſch, faat er, 
fann mit feinen. Gedanken nicht aus fid) herausgehen, 
bie erſten Gruͤnde ſeiner Crfenntni, ber Cat des 
Widerſpruchs unb des zureichenden Grundes gehen 
nicht auf Dinge an fid), ober ſolche, bie feine Gr: 
fdeinungen finb, roit fónnen mit Huͤlfe berfelben nid)té 
von bem Coub(tantiellen, nid)t$ von ber raft unferet 
eigenen Seele, nid)tó von ben einfachen Elementen 
der Sórper, nichts von bem hoͤchſten Weſen erfenner, 
fie haben keinen conftitutiven, fie faben einen blog res 
gulativen Werth, b. i. fie fónnen uns nicht auf bie 
unfinnliden Grünbe ber Erſcheinungen (übren, fie 
dienen bloß, dieſe Erſcheinungen unter. einander ju 
verbinden. Wir finden alſo keinen Grund fuͤr unſere 
Empfindungen in unſerer Seele, denn wir erkennen 
ſie fuͤr keine Kraft; aber auch nicht außer ihr; denn 
auch außer ihr erkennen wir keine Kraͤfte, keine end⸗ 
lichen, feine unendliche. So kann uns alfo bet fri 
tiſche Idealismus nirgends auf einen erkennbaren 
Grund unſerer empiriſchen Erkenntniß hinweiſen. 
Denn uͤberall muͤßte, der letzte Grund derſelben ein 
Ding an ſich ſeyn, ein vorgeſtelltes oder gedachtes 
Ding an ſich wuͤrde aber, dem kritiſchen Idealismus 
zufolge, ein Unding ſeyn. 


Ehe wir zu der Frage uͤber den Urſprung der 
Erkenntniß a priori, oder der Vernunfterkenntniß 
iba fom 


VPox»r- 37? ^na 


fommen, müffn wir fefen, wie fid) von jeher bet 
menſchliche Verſtand biefe Stage zu heantworten ver; 
ſucht hat. Alle Syſteme, die ſich mit der Unterſu⸗ 
chung dieſer Frage abgegeben haben, mußten den 
Grund ber Wirklichkeit unſerer Empfindungen ent: 
weder in der Einwirkung der aͤußern Gegenſtaͤnde oder 
des hoͤchſten Weſens oder in der Kraft unſerer eigenen 
Seele, oder in allem dieſem zuſammengenommen, 
ſuchen. Die erſte Antwort mußte natuͤrlich die roheſte 
ſeyn, das iſt, diejenige, die ſogleich der erſte unun⸗ 
terſuchte Schein an die Hand giebt: die aͤußern Ge⸗ 
genſtaͤnde drucken ſich, wenn wir empfinden, in der 
Seele ab; die aͤußern Empfindungen ſind alſo nichts, 
als Einwirkungen der Gegenſtaͤnde, wobey ſich die 
Seele ſelbſt leidendlich verhaͤt. So Balb man bie 
Natur der Koͤrper genauer unterſuchte, ihre Wirkun⸗ 
gen beſſer kennen lernte: ſo bald mußte dieſes Syſtem 
fallen. Des Cartes bemerkte, daß alle Wirkungen 
ber Koͤrper Bewegungen ſeyen; et mußte alfo fragen, 
wie koͤnnen aus Bewegungen Vorſtellungen entſtehen? 
Nur Bewegungen koͤnnen es ſeyn, welche die Ideen 
vor ben Farben wirken; dieſe Bewegungen werde ich 
aber in den Farben nicht gewahr, die Farben muͤſſen alſo 
Erſcheinungen ſeyn. Hier war nur noch ein Schritt 
zu thun, um zu ſchließen, daß auch die Ausdehnung eine 
Erſcheinung ſeyn muͤſſe; unb man wundert ſich, war⸗ 
um ein Mann von Des Cartes Tieſſinn, dieſen ſo 

nahen 


FMFR 073 ^wuüxw 


nafen Schritt nid)t gethan Babe, unb, wie es ſcheint, 
mit Recht. Allein wie oft iſt man ín ben Wiſſen⸗ 
ſchaften 5e bem nádjften , gluͤcklichſten Schritte ſtille 
geftanben! Es (dint, als wenn ber Verſtand auf 
bem Wege, ben er nidjt ofne Muͤhe zuruͤckgelegt bat, 
alle feine Kraft erſchoͤpft habe. Das ift natuͤrlich bet 
Fall gerade bey den Erfindern; ihr friſcher Nachfol⸗ 
ger, wenn er ihnen an Geiſteskraft nicht nachſteht, 
wenn dieſe in aud) aum Erfinden ausruͤſtet, — ihr 
Nachfolger, der ihren langen Weg nicht zu ſuchen, 
nicht ju bahnen, nur ju geben, — ber nicht ju et: 
finben, nur zu lernen Braudjt — hat nod) Kraft 
uͤbrig, ben eroͤfneten Weg weiter zu verfolgen. Was 
den Des Cartes in ſeinem Gange aufhielt, war, daß 
er bey der metaphyſiſchen Theorie der Farben von der 
Bewegung der Lichttheilchen ausgegangen war, die 
in ben Farben verborgen lag, unb bie ihm wegen i; 
tet Unaͤhnlichkeit mit ifrer SGirfung in bem vorſtellen⸗ 
ben Weſen nichts anberé uͤbrig (ie, als die Farben für 
Erſcheinungen zu halten, b. i. fuͤr Bewegungen bet 
Lichtmaterie, die ber Seele bey. bem Empfinden ver: 
borgen bleiben, und die ſie ſich unter dem Bilde von 
Farben vorſtellt. 


Da alſo bey allen vermeynten Einwirkungen der 
Materie auf die Seele, Bewegung noͤthig war, und 
es ſich nicht begreifen ließ, wie aus Bewegungen 

Bb 3 Ideen 


FMTM 474. ng! 


Sybeen werden koͤnnen: fo ſchien dem Philoſophen 
nichts anders uͤbrig, als eine Einwirkung zu leugnen, 
die ſich nicht begreifen ließ. Dieſe Hypotheſe hatte 
wieder andere Schwierigkeiten; indeß beantwortete 
ſie doch die Frage. Sie gab einen befriedigenden 
Grund an, warum ein Menſch in einem gegebenen 
Augenblicke eine Empfindung, und zwar dieſe unb 
keine andere Empfindung habe? Die Kraft ber um: 
endlichen Subſtanz wirkt ſie, und zwar auf Veran⸗ 
laſſung einer Bewegung in der Koͤrperwelt. 


Leibnitz, ber ſich ín dieſer Theorie, fo wie ir 
vielen andern, ben ehrenvollen Namen des Conci⸗ 
liators verdiente, nahm aus der Carteſianiſchen 
Philoſophie, was er darin als vorzuͤglich erkannte, 
und ergaͤnzte es mit dem, was ihm darin noch zu 
fehlen ſchien. Er fragte, wie, aus den Bewegun⸗ 
gen in den Lichttheilchen, in der Seele das Bild von 
ben Farben werden koͤnne? In dem Mannichfalti⸗ 
gen ſelbſt, d. i. in dem Bewegungen, alſo in dem 
Objekt kann ber Grund nicht allein liegen; alſo muß 
auch etwas in dem Subjekt ſeyn, welches den Grund 
enthaͤlt, warum dieſe Bewegungen in dem Sinngliede 
des Geſichts, von der Seele unter dem Bilde der 
Farben vorgeſtellt werden. Wenn das vorſtellende 
Subhjekt dieſe Bewegungen durch das Geſicht empfindet, 
unterſcheidet e$. fie nicht mehr, es iſt (id) ihrer nicht 

mehrt 


mehr bewußt. Saad) feiner Theorie war affobet natürli 
che zureichende Grund bec Empfindungen theils objektiv 
theils ſubjektiv, und bem zufolge iat alſo nicht bec 
ganze voͤllig genugthuende Grund bloß in bem 9Xtan: 
nigfaltigen oder dem objektiven, ſondern zum Theil in 
dem ſubjektiven, das dieſes Mannichſaltige aufnimmt 
oder vorſtellt. Eine nothwendige Folge aus dieſen 
Vorderſaͤtzen ift, das bie Aehnlichkeit bes Objekts — 
bey den Farben der Bewegungen — mit der Empfin⸗ 
dung uns verborgen ſeyn muß; ſie muͤſſen einander 
vielmehr unaͤhnlich ſcheinen. Das war ohne Zweifel die 
Urſache, warum et dieſe Vorſtellungen durch bie Cin: 
nen undeutliche, verworrene, d. i. Erſcheinungen 
nannte; verworrene Vorſtellungen, ſofern bae Man⸗ 
nichfaltige darin nicht unterſchieden wird, Erſcheinun⸗ 
een, fofern fie mit bem. Objekte nicht bie bemerkbare 
Aehnlichkeit haben, bie zu ber Wahrheit erfobert 
wird, wenn man ſie dem Scheine entgegen ſetzt. 


So weit, glaub ich, wird Hr. Kant mit der 
Leibnitziſchen Theorie uͤber die empiriſche Erkenntniß 
zufrieden ſeyn; und ein jeder, der den Beruf in ſich 
fuͤhlt, fo tief ín ber Erſorſchung ber Gruͤnde ber 
Dinge fortgubríngen , wird eó mit warmem Dank et; 
kennen, ba. dieſer Weltweiſe ben. Muth gehabt Dat, 
mit aller der Kraft und dem Nachdrucke, wozu ihn 
ſeine Verdienſte und Talente berechtigen, eine Theorie 

Bb 4 wie⸗ 


f^» 376 uc» 


wieder ín Bewegung gu bringen, bie ber. Bfofen ae 
meinen SBerftanbespbilofopbie fo fart fállt, baf fie 
vielen ein Aergerniß, unb nod) mehrern eine S bot: 


brit ift. 


Go ſehr fid) indeß bie bloße gemeine Verſtan⸗ 
betpbilofopfie gegen biefe Theorie (trauben mag, weil 
fie aufer bem Gebiete liegt, auf ba$ fie fid) einge: 
ſchraͤnkt füb(t: fo liegt fie bod) unenblid) vielen. ihrer 
eigenen. Urtheile zum Grunde. Sie fann fid) bod) 
nicht entbted)en, angunemen , baf etwas vorbanben 
ſeyn muͤſſe, warum eine Cmpfinbung ber anbetm, 
i. S5. bie Cmpfinbung von Einer geraden Linle bec 
von cíner anbern aeraben Linie áfnlid), hingegen die 
eíne von ber andern, 3. 5D. die Empfindung bec blauen 
Farbe von oer von ber roten Farbe verſchieden fe. 
Sie muß ferner. erfennen, bag dieſer Grund, weder 
ein bloßer ſubjektiver noch ein bloßer objektiver ſeyn 
koͤnne. Denn in einigen Faͤllen bin ich mir bewußt, 
daß die ſubjektiven Gruͤnde dieſelben geblieben ſind, 
und daß die Empfindung doch veraͤndert iſt, — ich 
ſtehe an meinem vorigen Platze, und an dem Orte, 
wo ich einen rothen Koͤrper ſah, ſehe ich jetzt einen 
blauen, den man an die Stelle des rothen geſetzt 
hat; — bisweilen bin ich mir bewußt, daß die 
ſubjektiven Bedingungen geaͤndert ſind; ich habe in 
bec Nahe einen gewiſſen Thurm viereckig geſehen, id) 

habe 


habe míd) von demſelben entfernt, unb num (efe id) 
ifn tuno. 


Was dieſer fubjeftioe Grund bey ben Erſcheinun⸗ 
gen ſey, das hat Hr. Kant, ſo viel ich weiß, nicht 
beſtimmt; CLeibnitz wagt cá, weiter zu geben, unb 
auch dieſes qu beſtimmen; es (inb, nad) feiner Sei: 
mung, bíe Schranken des Subjekts, welches ba6 
Mannigfaltige in der Erſcheinung aufnimmt oder 
vorſtellt. Die Analogie koͤmmt ihm hier augenſchein⸗ 
lich zu Statten; denn haͤtten wir ein betraͤchtlich 
ſchaͤrferes Geſicht: ſo wuͤrden wir einen Thurm noch 
in der Entfernung viereckig ſehen, worin er uns bey 
den gegenwaͤrtigen Schranken unſerer Geſichtsſchaͤrfe 
rund erſcheint. 


Bis hieher ginge alſo Hr. Kant von der Leib⸗ 
nit; » Wolfiſchen Philoſophie darin ab, daß dieſe 
basjenige, was das Subjekt, welches ben Stoff ober 
das Mannichfaltige aufnimmt, zu bet Erſcheinung 
beytraͤgt, naͤher beſſimmt — es (inb feine Schran⸗ 
ken — indeß er diſſeits dieſer Beſtimmung ſtehen 
bleibt. Eine Erſcheinung, ſagt Leibnitz, iſt eine Vor⸗ 
ſtellung ber Seele, bie theils in ihren Schranken, 
theils in bem Objekte, iren Grund hat; eine Ct; 
ſcheinung iſt eine Modifikation des Gemuͤths, ſagt 
Hr. Kant, die theils durch den Stoff oder das 

$565 Man⸗ 


fr 378 n 


Mannigfaltige, theils burd) hie Form abet bas fuf: 
nefmenbe beftimmt wird. 


Syd bin nicht fidet, o5 id) dieſen Theil bec 
Crit. b. r. 28. redit verftanben babe; ob ba$ mart 
meine Schuld fe, weiß id) nit, das weiß id) wohl, 
bag id) feine Muͤhe geſpart babe, ihn recht zu vet; 
ſtehen. Um gewiß ju werden, will ich fagen, voie 
(d) mit bie hieher gehoͤrige Stelle bec Crit. d. r. V., 
bic man als klaſſiſch anfuͤhrt, erklaͤre; jede Beleh⸗ 
tung daruͤber, fie ſey ſanft ober rauh, ſoll mir will⸗ 
kommen ſeyn. — Hr. Rant fagt *): „Dasje⸗ 
„nige, welches macht, daß das Mannigfaltige der 
„Erſcheinung (alſo nicht Gegenſtaͤnde) in gewiſſen 
„Verhaͤltniſſen geordnet werden kann, nenn ich Form 
„der Grfdjeinung., — Das wird in ber Allgem. 
fitt. Seit. Str. ro. 1789. alfo commentirt: „Das 
„Ordnen aljo, wovon in ber Crit. b. r. 9B. bie 
„Rede i(t, geſchieht in und durchs Aufnehmen des 
„gegebenen Stoffs, (des Mannichfaltigen) der die 


„Form der Anſchauung, die er doch wol nicht außer 
„dem Gemuͤthe bat, unb bie bod) mol eine Bedin⸗ 


»gung bet Anſchauung ift, im Gemuͤthe an; 
,»nimmt,, — Dieſen Commentar commentire íd) 
toieber folaenbetgeftalt? Es ift etwas im Gemuͤthe, 
welches die Form, die Bedingung, der ſubjektive 
Grund 

*) Git. b. x. V. S. 34. 2. A. 


379 


Grund der Anſchauung des Raumes und der Zeit 
iſt, und das ſind ſeine Schranken, welche machen, 
daß das Gemuͤth das Mannichfaltige gleichzeitige 
nicht unterſcheidet, und alſo ſich daſſelbe unter dem 
Bilde des Raumes vorſtellt, ſeine Veraͤnderungen 
aber ſucceſſiv entwickeln mug, unb durch bie Vorſtel⸗ 
lung ihrer ſtaͤtigen ſucceſſiven Entwicklung das Bild 
der Zeit erhaͤlt. 


Dieſe Form, dieſe Bedingung, dieſer innere, 
ſubjektive Grund der Anſchauung oder der Erſcheinung 
ſind die Schranken der vorſtellenden Kraft: jede 
Anſchauung hat alſo zweyerley Gruͤnde, ihr aͤußerer 
Grund iſt das Mannichfaltige, ber Stoff, die Ma—⸗ 
terie, die mit dem innern Grunde, mit der Form 
zuſammengenommen die Erſcheinung, die Empfindung 
ausmacht. Dieſe Erklaͤrung des Commentators ſcheint 
freylich mit einer andern Stelle in der Crit. der r. V. 
(S. 267. a. A.) nicht uͤbereinzuſtimmen; wo Hr. 
Kant Materie für bie Erſcheinung, bie Empfindung 
ſelbſt nimmt. Hier iſt alſo eine Zweydeutigkeit und 
keine unwichtige; vielleicht wird ſie ſich in der Folge 
noch heben laſſen. 


Wir folgen indeß dem Commentator, und gehen 
noch etwas weiter. Alſo die Form, oder der innere 
Grund der Erſcheinungen, der Anſchauungen, der 

Emp⸗ 


ex»f^ 380 "mà 


Cmpfinbungen, ift etwas in bem Gemuͤth, ba$ ba$ 
Mannigfaltige auſnimmt; mad) Ceibnitz: finb baf 
bie Schranken be$ vorftellenben Subjekts, vermóge 
welcher e$ das Mannigfaltige níd)t unterſcheidet, es 
alſo undeutlich, verworren und ſein Aggregat nur im 
Ganjen mit Bewußtſeyn vorſtellt. Dieſen Theil ber 
Leibnitziſchen Theorie verwirft die Kritik der reinen 
Vernunft mit einer Art von Unwillen, von dem wir 
wol einſehen, daß er ſich auch leicht ihren Leſern mit⸗ 
theilen kann. „Leibnitz, ſagt ſie, ließ den Sinnen 
„nichts als das veraͤchtliche Geſchaͤft, bie Vorſtel⸗ 
„lungen bes Verſtandes zu verwirren unb zu vetuit; 
„ſtalten., (Crit. ber. t. $8. S. 276. a. A.) Oe; 
nauer: Leibnitz behauptet, daß das Mannichfaltige in 
den Erſcheinungen, welches die unendliche Vorſtel⸗ 
lungokraft — woſern es eine giebt — — untet: 
ſcheidet, von der endlichen nicht unterſchieden, d. i. 
verworren vorgeſtellt wird; er behauptet, daß das 
ſinnliche Bild mit bet vollfommen deutlichen Vorſtel⸗ 
lung des Mannichfaltigen, woraus es beſteht, keine 
bemerkbare Aehnlichkeit habe. Wenn das veraͤchtlich 
ſeyn ſoll: ſo iſt es wenigſtens nicht zu aͤndern. Ein⸗ 
ſchraͤnkung ber Saft it Ohnmacht, unb Ohnmacht 
iſt freylich nichts hertliches. Was ift abet. aud) bie 
endliche Vorſtellungekraft gegen das Ideal bet un; 
endlichen? Das ganze Argument ift alfo, um wenig 
zu ſagen, ein bloßes argumentum movens; eine 

Art 


CY 381 7*4» 


Art von Argumenten, ie ber Philoſoph Billig ber 
Stebnerbüfne uͤberlaſſen follte. 


Doch id) fefe, id) fd)roeife gu oft von bem Pla⸗ 
ne dieſer M6fanb(ung ab, bie bloß bie Leibnitziſche 
Storie be$ Urſprungs ber. menſchlichen Grfenntnig 
mit ber Santifd)en vergleid)en foflte, inbem ich bie 
Einwuͤrfe ber letztern gegen bie erſtere gu weit verfols 
9e, unb íd) bemerfe , baf die Beleuchtung biefer Cin; 
wuͤrfe bequemer ín einer. ausfuͤhrlichern Unterſuchuug 
uͤber das, was bie Grit. ber r. V. Xeflerionsbez 
griffe nennt, vorgenommen erben fann, unb bafin 
mag fie ausgeſetzt bleiben. 


Um alfo ten. Faden ber. aegentoártigen Unterſu⸗ 
dung ba wieder aufsunefmen, mo wir ibn Baben fallen 
laſſen: fo fd)eínen mír nun beibe Vernunftkritiken, bie 
Leibnitziſche unb Kantiſche, daruͤber ein$ zu feyn, daß 
bie empiriſche Erkenntniß eine Vorſtellungskraft, eine 
vorſtellende Subſtanz vorauszuſetzen. 


Der Hauptumſtand, worin ſie in dem Begriffe 
von dieſer Subſtanz, und einer Subſtanz uͤberhaupt 
von einander abgeben, beſteht darin, daß bie Kanti⸗ 
ſche behauptet, unſere reine Vernunfterkenntniß von 
ber Subſtanz ſey — x, ober wir erkennen ſchlechter⸗ 
dings keine Beſtimmung von derſelben durch die reine 

Ver⸗ 


* 382. ^" 


Vernunft; bie Leibnitziſche hingegen, dieſe reine 9Bet: 
nunfterkenntniß (ey — a t x, d. i. wir. erkennen 
verfdjiebene allgemeine Beſtimmungen ber Subſtanz 
utib bie Erkenntniß ber ganzen Synbívíbualitat einer 
eingelnen Subſtanz fe) bem endlichen Verſtande uns 
móglid). Nach ber reinen. (unfinnfidjen) Categorie, 
fagt Hr. Kant, i(t eine. Subſtanz ein bloßes Cub: 
jekt in cinem categoriſchen Urtheile. — Dagegen 
ſcheint mir fdjon folgenbed gu (treitem: durch dieſen 
Begriff wuͤrde bie Subſtanz in bem teinen Verſtande 
nid von bem Accidens unterſchieden werden; denn 
aud) Accidenzen koͤnnen logiſche Subjekte ſeyn, ich 
faun fagen: die Gerechtigkeit iſt eine Tugend, Be—⸗ 
truͤgen iſt Suͤnde, Gerechtigkeit und Betruͤgen ſind 
aber Accidenzen. Ich ſehe wol, daß dieſer Begriff 
von Subſtanz und Accidens eine Folge von Hr. Kants 
Theorie des reinen Verſtandes iſt; allein gegen dieſe 
Theorie laſſen ſich noch einige nicht unerhebliche Zwei⸗ 
fel machen, fie verdient daher nod) eine beſondere 
ſorgfaͤltige Unterſuchung. Vor der Hand wollen wir 
nur den Begriff von Subſtanz ſo weit aufs Reine zu 
bringen ſuchen, als es ſich wird thun laſſen, ohne 
dieſe Theorie des Verſtandes zu beruͤhren. 


In dem Logiſchen Subſekt betrachte ich nur das 
Verhaͤltniß des Begriffes von tem Subjekte zu ſei⸗ 
nem Praͤdikate in Anſehung ihres Umfanges. Die 

menſch⸗ 


FXAYFM 383. 5 


menſchliche Seele i(t ein. Geiſt, heißt: ber Begriff 
von einem Geiſte iſt von weiterm Umfange als der 
Begriff von einer. menſchlichen Seele u. f. vv. Da 
ift es gleichguͤltig, ob das Subjekt eine Subſtanuz ober 
ein Accidens ſey. Aber nun betrachte ich die Sub— 
ſtanz auch als Subſtanz, und dann ſind mir ihre 
Beſtimmungen nicht bloß logiſche Praͤdikate; ſie ſind 
Wirkungen derſelben, ich betrachte ſie als eine Kraft. 
So denke ich mir meine Seele als eine Subſtanz, 
wenn ich uͤberlege, daß ſie es ſich bewußt iſt, was 
ich jetzt ſchreibe, daß ſie die Gedanken, die ich jetzt 
aufzeichne, wirkt. Eine Subſtanz kann alſo auch 
für ben reinen Verſtand fein bloßes Gubjeft, fie muß 
eine thaͤtige, wirkſame Saft femi. — Dieſe Kraft ift 
das Beharrliche, welches Wolf zu einer Subſtanz 
erforderte. Hr. Kant forbert e$ aud) dazu; allein 
erſtlich erſordert er es nur, ſoferne fie ſinnlich vor 
geſtellt wird, unb folglich zweytens, ſoſern es zur 
Wahrnehmung der Zeit nothwendig iſt; es iſt daher 
drittens dieſes beharrliche, als das Subſtantiale von 
allen Zeitbeſtimmungen abgeſondert, als tranéfcenbens 
taler Gegenſtand nach ſeiner Sprache, eine vóllig 
leere Vorſtellung. 


Wenn die Subſtanz ſinnlich vorgeſtellt, oder die 
Subſtanz in ber. Erſcheinung, wie e$ Hr. Kant ir⸗ 
gendwo (Crit. d. v, $8, QD, 525. a. A.) zu verſtehen 


zu 


Few 384 ^M» 


ju geben ſcheint, etroad von bem vorſtellenden Cub; 
jekte verſchiedenes it: fo muß es ber Sórper fen; 
unb eine foíde € docinfubftang iſt ber. Sótper aud) in 
bem Leibnitziſchen Syſteme. 98a$ abcr. fof[. bie 
wahre Subſtanz für eje ſinnliche GrfenntniB. ſeyn, 
ba bie Sinnen lauter Veraͤnderungen waͤhrnehmen, 
und die Subſtanz an ſich ſelbſt nur dem Verſtande 
erkennbar ſeyn kann? Es giebt alſo entweder feine 
wahre Subſtanzen, obet e$ giebt einen Verſtandes⸗ 
Begriff von benjelben, — unb dieſer Verſtandesbegriff 
ift fein anberer, als bie Kraft, welche bie 2c 
cibengen roirft. Laſſen fie uns verfucben, mie wir bie: 
fen. Verſtandesbegriff finden koͤnnen. 


„Wir haben daher, (naͤmlich weil wir die Sub⸗ 
ſtanz nicht empfinden) ſagt der elegante Hume *), 
von deſſen metaphyſiſchem Tieſſinne wir ſchon mebrere 
Proben geſehen haben, „keine Idee von Subſtanz, 
„die von einer Sammlung beſonderer Eigenſchaften 
„verſchieden waͤre, auch hat es keinen Sinn, wenn 
„wir davon ſchwatzen ober daruͤber ráfonniren. ,, 
Gin einzelnes Ding, das eine Subſtanz waͤre, eine 
wirkliche Subſtanz, waͤre alſo eine Sammlung von 
Veraͤnderungen. Die Seele z. B. eine Sammlung 
von Vorſtellungen, von denen einige mit Bewußtſeyn 

be⸗ 
*) Treat. on hum. Nat P. L B, Jl. Sect. VI. S. 
36. 


F"Avf^ 385 wx» 


begíeitet, unb unter biefen einige bentlid) waͤren. 
Dieſe Vorſtellungen müffen. — was freylich X5ume 
auf der Oberflaͤche ſeiner Impreſſionsphiloſophie nicht 
finden kann — dieſe Vorſtellungen muͤſſen, vermoͤge 
des Satzes vom zureichenden Grunde nach dem Ge⸗ 
ſetze ber. Stetigkeit auf einander fo(gen; das heißt: 
es darf keine durch einen Sprung zum Bewußtſeyn 
kommen, es kann keine ganz aus Nichts entſtehen, 
ſondern eine jebe muß feit bem Entſtehen ber Sub⸗ 
ſtanz als ein Differentiale bet. kuͤnftigen klaren Vorſtel⸗ 
(ung durch alle fließenden Grade fid) bem Bewußt⸗ 
ſeyn genaͤhert haben. Daß alſo dieſe Vorſtellung zum 
Bewußtſeyn koͤmmt, davon iſt der Grund in dem 
nach allen ſeinen gegenwaͤrtigen, vergangenen und kuͤnf⸗ 
tigen Veraͤnderungen voͤllig beſtimmten Dinge, und 
darum iſt dieſes Ding eine Kraft, darum iſt es eine 
Subſtanz. 


Das ift ber unſinnliche oder reine Be— 
griff von einer endlichen Subſtanz, das iſt dieſe 
Subſtanz fuͤr den reinen Verſtand, das iſt ſie als 
Noumenon. Man kann nicht ſagen, daß dieſer Be⸗ 
griff ſchlechterdings leer ſey; denn er kann durch eine 
Definition deutlich gemacht werden, die Subſtanz 
kann vermittelſt dieſer Definition von bem Accidens 
unterſchieden werden; es koͤnnen alle Praͤdikate, die ihr 
als Subſtanz, bie ifr als einer endlichen Sub⸗ 

Philoſ. Mag. 4. St. €tc ſtanz, 


"Mv 386 «v2 


ftany, einer Sraft unb einer endlichen Svaft, einem 
Dinge uͤberhaupt unb einem endlichen Dinge, zukom⸗ 
men, von ihr gedacht werden; die Endlichkeit der 
Kraft iſt der Grund, warum ihre Vorſtellungen des 
Einzelnen Erſcheinungen ſind. Wie kann man ſagen, 
daß man von dem nichts denkt, was man als den 
Grund von Etwas denkt, und was man durch eine 
Definition unterſcheiden kann? 


Leibnitz fat alſo ben. innern Grund ber empi⸗ 
riſchen Erkenntniß angegeben, er iſt in der Kraft der 
denkenden Subſtanz. Dieſe iſt ſelbſt keine Erſcheinung, 
ſie iſt ein Noumenon. Nach dem kritiſchen Idealis⸗ 
mus iſt nichts ohne Anſchauung erkennbar; er kann 
alſo keinen innern Grund der empiriſchen Erkenntniß 
angeben; er muß ſagen, dieſe Vorſtellungen ſind da, 
weil ſie da ſind, und ſind ſo, weil ſie ſo ſind; ob er 
gleich geſteht, daß die Erſcheinungen anders ſeyn koͤnn⸗ 
ten. Eben ſo wenig kann der kritiſche Idealismus 
einen aͤußern Grund von der Wirklichkeit der ganzen 
Folge der Vorſtellungen angeben; denn dieſer muͤßte 
zuletzt in der nothwendigen Subſtanz ſeyn, bie glei— 
chergeſtalt ein Ding an ſich, und alſo nicht erkennbar 
iſt. Die Leibnitziſche Philoſophie findet ben letzten 
aͤußern Grund der Wirklichkeit der endlichen Kraͤfte 
in der unendlichen Subſtanz, und die Zwiſchengruͤnde 
von tec Beſchaffenheit unb ber Intenſitaͤt ihrer Vorſtel⸗ 

(nien 


f^^ 387. "mà 


lungen ín ben. von ber. Seele verſchiedenen Weltſub⸗ 
ſtanzen, deren Wirkungen fie. fid) mit ben Modifi—⸗ 
kationen durch ihre eigene Einſchraͤnkung, unb nad) 
den Geſetzen der Perſpektive vorſtellt. 


2. Was iſt ber Grund ber Wirklichkeit ur 
ſerer Vernunfterkenntniß, oder unſerer Er⸗ 
kenntniß a priori? 


Kann uns der kritiſche Idealismus dieſe Frage 
beantworten? — Wir muͤſſen es verſuchen. — Wenn 
bie Erkenntniß a priori nicht (eer ſeyn foll, ſagt ber 
kritiſche Idealismus, fo mu fie 


r. teíne Anſchauungen enthalten, ole 


2. Mitd) bie Categoriem ober bie reinen Ber: 
(tanbesbegriffe Einheit des Bewußtſeyns 
erhalten. 


Die reinen Anſchauungen ſind Raum und Zeit; 
wie kommen dieſe Anſchauungen in die Seele? Das 
iſt eine Frage, die man unmoͤglich vorbeygehen kann. 
Durch die Sinne nicht; denn ſie ſollen allen Empfin⸗ 
dungen vorgehen, fie ſollen alfo in ber Seele geweſen 
ſeyn, ehe die Seele Empfindungen gehabt hat. Wer 
da ſagte, ſie ſind der Seele anerſchaffen, angebohren, 
der wuͤrde wenigſtens eine Antwort geben; allein auch 

€ca biefe 


Fr 388 ^ 


biefe Antwort, fo bürftia (ie it, fann bie Philoſophie 
be$ kritiſchen Idealismus nidjt entfalten, denn (ie 
fennt fein Weſen, das erſchaffen fann, bie Vorſtel⸗ 
(ung des unendlichen Weſens iſt fuͤr fic (eer. 


Einer von H. Santé Epitomatoren *) ſagt 
zwar: „der Kantiſchen Theorie von Erkenntniſſen 
„a priori liege Leibnitzens Lehre von angebohrnen 
„Begriffen offenbar zum Grunde, obgleich ſie Hr. 
„Kant nirgends angebohren nennt, vermuthlich um 
„nicht zu der Vorſtellungsart Anlaß zu geben, die 
„Locke (o (djón woiberlegt fat.,, Eine beſondere Se: 
likateſſe! £-eibnit; hat (id) bod) nicht abhalten (affen, 
biejen Ausdruck beyzubehalten, nadjbem er ihm einen 
wahren Sinn untergelegt fatte, gerade fo, wie ber 
große Keppler von (id) fel6(t fagt, baf et es fogat 
mít bet Terminologie bet Aſtrologie gemacht fabe. 


Indeß wenn man ben kritiſchen Idealismus 
auch dieſe Antwort wollte geben laſſen, ſo iſt ſie doch 
immer unzureichend. Wenn wir das zu beweiſen im 
Stande ſind: ſo wird es ſich zeigen, daß der kritiſche 
Idealismus die Leibnitziſche Theorie von den ange⸗ 
bohrnen Begriffen mißverſtanden oder verdorben habe, 
und daß die Entdeckung der einen Hauptquelle unſerer 


i 


*) $. 9. Schmid ín ſ. Woͤrterbuche, Art. 21 priori, 


f^ 389 vm 


Erkenntniß, námlid) ber reinen Sinnlichkeit, bie 
ber eben anaefüfrte Schriftſteller dem H. Sant recht 
ausdruͤcklich zueignet, nichts weniger als eine wahre 
Bereicherung der Philoſophie ſey. 


Das, was bet kritiſche Idealismus reine An⸗ 
ſchauungen nennt, iſt der menſchlichen Seele nur in 
ihren Gruͤnden angebohren. Eine Anſchauung, die 
ihr auf eine andere Art angebohren waͤre, wuͤrde ge; 
rade eine ſolche qualitas occulta ſeyn, als urſpruͤng⸗ 
liche vegetative Kraft, Sympathie und Antipathie 
gewiſſer Koͤrper, und dergl. Und fo konnte fid) Leib⸗ 
nitz unmoͤglich es denken, wenn er von einem zuſam⸗ 
mengeſetzten Begriffe, und von den ſinnlichen Bildern 
ſagte, daß ſie uns angebohren ſeyn. 


Raum unb Seit (inb ſinnliche Bilder; wenn bie 
uns alſo angebohren ſeyn ſollen, ſo kann man das 
nicht anders verſtehen, als, wir haben ihre Gruͤnde, 
b. i. die Beſtimmungen, welche ihte Merkmale au$; 
machen, von bem erſten Augenblicke unſerer Wirklich⸗ 
keit in uns. Wir haben bereits an einem andern 
Orte (Phil. Mag. St. 2. S. 169. u. ff.) die Be⸗ 
griffe von Raum und Zeit in ihre erſten Elemente 
aufzuloͤſen verſucht, wir koͤnnen alſo uͤber dieſen Punkt 
hier ganz kurz ſeyn. 


€c3 Cine 


Fur 490 ux» 


Cine wirkliche Seele (ángt an wirklich gu ſeyn, 
inbem fie wirkliche Vorſtellungen fat; denn blofie 
Vermoͤgen (inb nichts Wirkliches. Sie fat alío 330r: 
ſtellungen, unb zunaͤchſt 3Bor(teffungen vou fid ſelbſt; 
biefe folgen auf einanber, fie fat alfo Vorſtellungen 
von Seit; fie fat SGorftellungen von Dingen, bie 
bebarren utib veránoert werben, von Verſchieden⸗ 
beit, von Einem, von Vielen; alle dieſes zuſam⸗ 
mengenommen macht, finnlid) vorgeftelít, ba$ Bild 
vom Raume. 


Alſo fat bie Seele, fdjon efe fie Empfindungen 
mit Bewußtſeyn fat, bie bunf(en Grünbe ju bem 
Bilde des Raumes unb ber Seit im Allgemeinen in 
ſich; und dieſe ſind ihr dann anerſchaffen, 


I. ſofern ifr bie Gruͤnde deſſelben in ihren eige⸗ 
nen Beſtimmungen anerſchaffen ſind, 


2. ſofern ihre Vorſtellungekraft bie. Schranken 


hat, die einer menſchlichen Seele weſentlich 
ſind. 


Das alſo, zuſammengenommen, ſind die Gruͤnde 
der allgemeinen noch unbeſtimmten Bilder von Raum 
und Zeit, mit dieſen iſt die Seele erſchaffen. Wenn 
bie Seele bie Sinnenwelt mit Apperception zu emu 
pfinden anfaͤngt: ſo bekoͤmmt ſie Vorſtellungen mit 

Be⸗ 


FeAvf^ 391 


Bewußtſeyn, von Giegenftanben, in meldjen ſie biefe 
f'ifber unter unenblid) mannigfaltigen SXobififatio: 
nen wahrniumt. H. Sant mag num untet Worm 
ber Anſchauung bie Schranken der Erkenntnißkraft 
verſtehen, wodurch das Mannigfaltige zu dem Bilde 
der Zeit und des Raumes wird, oder dieſe Bilder im 

Ugemeinen ſelbſt — bann id) bin zweifelhaft (f. S. 
378.) — fo ſieht man nun, in welchem Sinne bei 
de koͤnnen angebohren genannt werden. Wer ſie ſich 
ſelbſt urſpruͤnglich, nicht in ihren Gruͤnden, anerſchaffen 
dentt, der denkt ſich eine qualitatem occultam. 
Stünmt er aber eine ver ben beiden obigen Erklaͤrungen 
an: fo ift feine Theorie entiveber ganz ober gum Theil 
in ber Leibnitziſchen Theorie entfalten; unb man fiet 
bier micberum, daß wir afeid) 2Infangs (Phil. Mag. 
€t. 1. S. 26.) Grunb atten ju Befaupten : ba alleg, 
was bie Kantiſche Vernunftkritik gruͤndliches enthaͤlt, 
ſchon in der Leibnitziſchen entfalten ſey. 

Die Leibnitziſche Theorie belehrt uns alſo uͤber 
den Urſprung der Formen der Anſchauung, der reinen 
Anſchauungen a. priori; ob es der kritiſche Idealis⸗ 
mus thue, wird man aus den obigen Unterſuchun⸗ 


gen beurtheilen. 
3. Urſprung der Categorien. 


Nach bem kritiſchen Idealismus muß bie Er— 
tenntnig a priori auch unſinnliche Begriffe enthalten, 
Cc 4 um 


392 ^" 


um bie 2fnfdjauungen in. Cinfeit be$ Bewußtſeyns zu 
bringen. Darauf füfrt et das Geſchaͤfft biefer Be⸗ 
griffe zuruͤck. Wir wollen jetzt annehmen, daß ihre 
ganze Anwendbarkeit in dieſe Graͤnzen eingeſchraͤnkt 
ſey, um die Frage zu ſimplificiren: wie kommen aber 
dieſe Begriffe in bie Seele? Hr. Kant nennt ſeine 
Categorien Funktionen des Verſtandes. Was ſind 
Funktionen oder Verrichtungen eines Erkenntnißver⸗ 
moͤgens, wenn es nicht die Vorſtellungen ſind, die es 
wirkt? Funktionen des Verſtandes (inb alſo allgemeís 
ne Vorſtellungen. Hat alſo bie menſchliche Seele 
Verſtand: (o wirkt fie allgemeine Vorſtellungen, in 
bem fie fid) das Allgemeine ifret eigenen Veraͤnderun⸗ 
$en unb Beſtimmungen vor(tellt; ffe wirkt alſo bie 
Vorſtellungen von Grund, 3ufammenfang, Noth⸗ 
wendig, Zufaͤllig, Veraͤnderlich, Unveraͤnderlich, 
Urſach, u. ſ. w. indem ihre Veraͤnderungen gegruͤndet, 
verknuͤpft, zufaͤllig, nothwendig ſind, von andern 
verurſacht werden, andere verurſachen, u. ſ. w. 


Hier giebt uns die Leibnitziſche Theorie wieder 
den Grund der Wirklichkeit auch unſerer allgemeinen 
Begriffe an, der ſich aber nicht angeben laͤßt, wenn 
man nicht eine denkende Kraft annimmt, die von dem 
Anfange ihres Daſeyns Vorſtellungen wirkt, und eine 
unendliche Subſtanz, bie dieſe denkende Kraft hervor⸗ 
btingt. 

Laſſen 


Far 393 "ace 


Laſſen Cie uns wieberum, um Gruͤnde unb Ge: 
gengruͤnde leichter uͤberſehen au Eónnen, bie Reſultate 
beider Vernunftkritiken uͤber den Urſprung ber menſch— 
lichen Erkenntniß neben einander ſtellen. 


Rantiſche Krit. der reinen. Leibnitziſche "rit. bet cei: 


Vernunft. 


nen Vernunft *). 


I. Sinnliche Anſchauun- r. Die Vorſtellungen des 


gen ſind einzelne Vor⸗ 
ſtellungen, welche von 
der Einrichtung des vor⸗ 
ſtellenden Subjekts ab⸗ 
hangen. 

2. Sie gehen daher nicht 
auf Dinge an fib, fon: 
bern. auf Erſcheinun—⸗ 
gen. 


Einzelnen baben — fo: 
wohl ihren Grund in 
bem Objefte, als in 
bem vor(telfenben Sub⸗ 
jekte. 


Sie ſind Erſcheinun⸗ 


aen (Phil. Mag. €t. 3. 
S. 299. u. jf.) unb fa; 
ben, als ſolche, mit bem 
Qeaenítanbe keine be; 
merkbare Aehnlichkeit; 
weil ſie die einzelnen Re⸗ 
alitaͤten deſſelben nicht 
unterſcheiden. Die all⸗ 


Cc 5 ge⸗ 


Wenn mir uns bier, gegen unſere Gewohnheit, qu 
entſcheidend ſollten auszudrucken ſcheinen: ſo wird 
ſich der billige Leſer erinnern, daß wir nicht in un⸗ 
ſerm eigenen, ſondern in Namen des Leibnitziſchen 


Syſtems reden. 


FMRvTM 394 T4 


Kantiſche Rrit. ecr reinen £eibnitsi(dbe rit. bet veis 
Vernunft. nen Vernunft. 


gemeinen Beſtimmun⸗ 
gen in bem Mannig—⸗ 
faltigen bed Gegenſtan⸗ 
des werden durch den 
Verſtand unterſchieden; 
bic zu ihrer Individua⸗ 
litaͤt gehoͤrigen Beſtim⸗ 
mungen ſind der endli⸗ 
chen Vorſtellungskraft 
nicht erkennbar. Was 
heißt aber, auf Erſchei⸗ 
nungen gehen? Heißt 
es, ſie ſind Erſcheinun⸗ 
gen? — Das haben 
wir hier vorausgeſetzt. 
— Oder heißt es: ihre 
Gegenſtaͤnde (inb (tr 
fdeinungen? — Das 
hieße bann: bie Gegen: 
ftánbe von Erſcheinun⸗ 
gen ſind Erſcheinungen, 
welches ungereimt iſt. 


3. Dasjenige, welches 3. Die Schranken des 


macht, daß das Man-⸗ vorſtellenden Subjekts 
ſind 


FT 


Zantiſche Brit, ber reinen. Leibnitziſche Rrit. bet rei⸗ 


Vernunft, 


nigfaítige der Erſchei⸗ 
nung angeſchauet wird, 
ift bie Form bet. Gv: 
ſcheinung. (Grit. b. r. 
$8. €. 20. a. 2f.) 


4. Die reinen Sormen 
der Anſchauung finb 
Raum und Zeit. 


nen Vernunft. 


ſind der ſubjektive 
Grund oder die Form 
der Erſcheinung. 


4. Raum und Zeit ſind 


Erſcheinungen; denn ſie 
haben ſubiektive Gruͤn⸗ 
de in der endlichen 
Vorſtellungskraft. Die 
Schranken dieſer endli⸗ 
chen Vorſtellungskraft 
ſind alſo 1) die Formen 
der Erſcheinungen von 
Raum und Zeit. 2) 
Nun koͤnnen aber der 
Raum und die Zeit ohne 
bie Modifikationen unb 
Unterſchiede ber Dinge, 
bie ihre letzten objekti⸗ 
ven Gruͤnde ſind, ge⸗ 
dacht werden. Sie 
koͤnnen auch ohne eine 
beſtimmte Groͤße, ohne 

be⸗ 


396 wa» 


Rantiſche rit. ber reinen Leibnitziſche Brit. bet rei⸗ 


Vernunft. 


nen Vernunft. 


beſtimmte Schranken 
und Grade gedacht wer⸗ 
ben, mie bie Bewe— 
qung ofne einen e: 
ftimmten Grab bet Ge 
ſchwindigkeit. Dann 
ſind fie abſtrakte, allge; 
tneine Seit umb Stau, 
b. i. ſowol in Anſehung 
ihrer innern Beſtim—⸗ 
mungen, als ín (n; 
ſehung ihrer aͤußern 
Schranken unbeſtimm⸗ 
ter Raum, unbeſtimm⸗ 
te Zeit. Es iſt mir 
nicht voͤllig gewiß, in 
welchem Sinne der kri⸗ 
tiſche Idealismus den 
Ausdruck, reine Sorm 
ber Anſchauung, ge: 
braucht, ob in bem 
Sinne rx. obet 2. 


(f. €. 378.) 


Kantiſche Brit. ber reinen Leibnitziſche Rrit, ber reie 


Vernunft. 


nen Dernunft, 


5. SDiefe Sormen bet ſinn⸗ 5. Wenn untet. bet orm 


lichen Anſchauung (inb 
a priori im Gemuͤthe; 
denn 1) (inb fie bie Xez 
ceptivitàt oes Sub⸗ 
jets, von ben. Gegen: 
ftánben afficirt zu wer⸗ 
ben, unb biefe muf 
notfroenbíg vor allen 
Anſchauungen — biefet 
Objekte vorhergehen. 


6. Allein 2) muͤſſen ſie 
auch als Formen aller 
Erſcheinungen vor allen 
wirklichen Wahrneh⸗ 
mungen gegeben ſeyn. 


der ſinnlichen Anſchau⸗ 
ung die Receptivitaͤt 
oes Subjekts verſtan⸗ 
den wird: ſo iſt ſie der 
ſubjektive Grund der 
Erſcheinungen, unb die⸗ 
ſer muß in der verſtaͤnd⸗ 
lichen Erklaͤrung der Er⸗ 
ſcheinung, zwar nicht 
mit Prioritaͤt der Zeit, 
aber allerdings mit Pri⸗ 
oritaͤt des Grundes, vor 
der Erſcheinung ſelbſt 
gedacht werden. (f. 
Phil. Sag. €t. 2. €. 
124. u. ff.) 


.Wenn Wahrnehmun⸗ 


gen Empfindungen mit 
Bewußtſeyn ſind: ſo 
ſind ſie Vorſtellungen 
von wirklichen und mit⸗ 
hin von einzelnen voͤl⸗ 
lig beſtimmten Dingen. 

Dieſe 


*8A398 «won 


Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche Ait. bet vei» 


Vernunfſt. 


nen Vernunſt. 

Dieſe niedrigern Dinge 
koͤnnen nicht ohne die 
Beſtimmungen der hoͤ⸗ 
hern ſeyn, zu denen ſie 
gehoͤren; in der Subor⸗ 
dination der Dinge ge⸗ 
hen daher die hoͤhern 
den niedrigern — vot. 
Hingegen koͤnnen die 
niedrigern ohne die Be⸗ 
ſtimmungen der hoͤhern 
nicht gedacht werden: 
ſie gehen ihnen alſo in 
der Subordination der 
Dinge nach. Aber dar⸗ 
aus folgt nicht, daß die 
erſtern den letztern auch 
der Zeit nach vorgehen 
muͤſſen; denn bey der 
Entwickelung der Be⸗ 
griffe zur Klarheit iſt 
bie Ordnung umge⸗ 
kehrt. Wenn man alſo 
unter der reinen Form 
der Anſchauung die all⸗ 

ge⸗ 


F^" 399 wa 


Kantiſche Arit. ber reinen Leibnitziſche "Brit, ber rei: 
Vernunſt. nen Vernunft. 


gemeine Zeit und den 
allgemeinen Raum ver⸗ 
ſteht, ſo gehen in dieſer 
Entwicklung der Be⸗ 
griffe die Wahrnehmun⸗ 
gen der Form vor. 


7. Nichts was im Rau⸗ 7. Das kann 1) heißen: 
me angeſchauet wird, kein ausgedehntes oder 
iſt ein Ding an ſich. raͤumliches wirkliches 

Ding iſt ein Ding 
an ſich; bas ift al: 
lerbing8 wahr, unb 
von Leibnitz zuerſt ge» 
fert morben. 2) Das 
ausgedehnte ober raͤum⸗ 
liche wirkliche Ding hat 
keine objektiven Gruͤn⸗ 
de, die Dinge an ſich 
ſind: und das iſt falſch; 
denn das ausgedehnte 
Ding iſt, wie jebe Cre 
ſcheinung, ein Phae- 
nomenon bene fun- 
datum, d. i. e$ fat 

ſub⸗ 


Pvt 400 ane 
Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche Reit. ber cei» 
Dernun(t, 


empiriſcher Begriff, ber 
von aͤußern Erfahrun⸗ 
gen abgezogen waͤre. 
Denn damit gewiſſe 
Empfindungen auf et: 
was außer mit bezo⸗ 
aen werden, (b. i. auf 
etwas ín einem. anberm 
Orte des Raums, al$ 
darin id) mich befinde); 
imgleichen damit ich ſie 
als außer einander, mit⸗ 
fin nicht bloß als vet: 
ſchieden, ſondern als in 
verſchiedenen Orten vor⸗ 
ſtellen koͤnne, dazu 
muß die Vorſtellung 


nen Vernunft. 


ſubjektive und objek⸗ 
tive Gruͤnde. Was 
mir von dieſen Grün: 
ben durch ben Verſtand 
erfennen, ift bereits S. 
284. angezeigt worden. 


8$. Der Raum iſt kein 8. Die Apperception, oder 


der klare Begriff des 
Raums iſt allerdings 
ein empiriſcher Begriff, 
oder ein ſolcher, der 
von den aͤußern Erfah⸗ 
rungen abgezogen iſt. 
Denn alle unſere ſinn⸗ 
liche Begriffe werden 
durch bie Cmpfinbune 
gen klar. Conft müfte 
unà bet Flare. Begriff 
davon anerſchaffen feyn, 
welches niemand be⸗ 
haupten wird. ( Die 
Widerlegung der Gruͤn⸗ 
de gegen den empiri⸗ 
ſchen Urſprung des 

klaren 


Fu 4o0p wu 


Rantiſche Reit. ber reinen Leibnitziſche rit. ber vei» 
Dernun(t. nen Dernunft, 


des Raumes fdon klaren Begriffs vom 
jum Grunde lie: Staume f. in bid. 
gen. phil. Mag. €t. 2. e. 
123. u.(f.) Das, was 
un$ anerſchaffen iſt, 
ſind die Gruͤnde unſeres 
Begriffs vom Raume, 
der vor aller Empfin⸗ 
bnng durch die aͤußern 
Sinne dunkel iſt, wie 
in der gegenwaͤrtigen 
Abhandlung Nr. a. ift 
bewieſen worden; und 
daher erſt durch Empfin⸗ 
dung und Abſtraktion 
muß klar werden. Es 
iſt alſo kein Widerſpruch 
zwiſchen den Saͤtzen: 
1) die reinen Anſchau⸗ 
ungen, oder einfachſten 
Merkmale der Erkennt⸗ 
niß durch die Sinnen 
gehen vor allen Wahr⸗ 
nehmungen oder Em, 
pfindungen vorher, und 
ſie ſind davon abſtrahirt. 
philoſ. Mag. 4. €t. "Db Denn 


FMMÉM 402. ^ev 


Kantiſche "Brit. ber reinen Leibnitziſche Reit, ber tei» 


Detnunft, 


nem Dernunft. 
Denn al$ ounPele Be⸗ 
griffe gehen fie vorber, 
aí$ Flare finb fie von 
ihnen abſtrahirt. 


9. Der Raum iſt fuͤr en 9. Das Nebeneinander⸗ 


aͤußern Sinn die ein: 
zige Anſchauung a pri- 
ori ; denn niemand kann 
a priori eine Vorſtel⸗ 
lung einer Farbe noch 
irgend eines Geſchmacks 
haben. 


ſeyn der einfachen Oub⸗ 
ſtanzen nach dem Geſe⸗ 
tze der Staͤtigkeit kann 
ohne ihre Modifikatio⸗ 
nen und Wirkſamkeiten 
gedacht werden, ( Nr. 
4.) und daher hat die 
Seele die Gruͤnde des 
Raumes in ſich, und 
kann einen dunkeln all⸗ 
gemeinen Begriff vom 
Raume ohne Farbe und 
Undurchdringlichkeit ha⸗ 
ben; ja, wenn das 
wirkliche ausgedehnte 
Ding kein ſichtbares 
und fuͤhlbares iſt, wie 
mehrentheils die Luft: 
ſo erkennt ſie den Raum 
durch ſeine ſichtbaren 
und fuͤhlbaren Graͤnzen. 

So 


FA^ 403 ^49 
Rantiſche Reit. ber reinen Ceibuipifcbe Krit. der veis 


Dernunft. 


nen Dernunft. 


So baíb ber wirkliche 
Raum ſichtbar ift: fann 
fie ihn nidjt ofne Far⸗ 
ben empfinben, Da bíe 
Farben burd) bíe Gin: 
wirkungen auf das Ge⸗ 
ſicht empfunden wer⸗ 
den: ſo koͤnnen ſie auch 
nicht ohne ein ausge: 
dehntes Ding empfun⸗ 
den werden; denn Thaͤ⸗ 
tigkeiten muͤſſen ín 
Subſtanzen und Kraͤf⸗ 
ten ſeyn, und deren ſtaͤ⸗ 
tiges Nebeneinander⸗ 
ſeyn, wenn es empfun⸗ 
den wird, iſt der objek⸗ 
tive Grund der Erſchei⸗ 
nung der Ausdehnung. 
Das iſt der Grund, war⸗ 
um zwar Ausdehnung 
ohne Farbe aber nicht 
Farbe ohne Ausdehnung 
kann vorgeſtellt werden. 


ro. Der Raum unb bie xo. Die Bilder von 


Seit ift eine Oíníóau; — Raum unb Zeit finb 
Dd 2 


in 


404 «wu 


Rantiſche Rrit. ber reinen Leibnitziſche it. ber veis 


Vernunft. 


nen Vernunft. 


ung, bie urſpruͤnglich in ihren Gruͤnden 


in der Seele. 


von ihrem Urſprung an 
in der Seele. Da ſie 
abet Erſcheinungen (inb, 
fo ſind fie nidt ín dem 
Verſtande urſpruͤnglich 
in derſelben, daß ſie 
nicht aus etwas, das 
nicht Raum und Zeit 
iſt, erklaͤrbar waͤren; 
ſenſt waͤren fie qualita- 
tes occultae. Sie (inb 
Phaenomena bene 
fundata, námlid ge: 
grünbet (n bem Einfa⸗ 
djen, womit bie Seele 
erſchaffen it, unb das 
fie in fif fefb(t am; 
ffaut; aus biefen ein; 
faden Gruͤnden ſind 
dann die Bilder des 
Raums unb bet Zeit 
erklaͤrbar, und daher 
koͤnnen ihre allgemeinen 
Begriffe nidt$ ut: 
ſpruͤngliches fen. 

Die 


f^AvY^ ^ 405 às» 


Die biéferige Gegeneinanber(tellung ber Leib⸗ 
ni&ifden unb Santifdyen Kritik bet. reinen Vernunft, 
ift beſtimmt, bem Leſer bie Entſcheidung zu erleichtern, 
welche Theorie, bie Leibnitziſche ober ber kritiſche Ide⸗ 
alismus, uns am befriedigendſten uͤber ben Urſprung 
uuſerer Erkenntniß belehre. 


Ich bemerke zu mehrerer Erlaͤuterung nur noch 
folgendes: Die Kantiſche Vern. Krit. ſagt oben S. 
394. 395. 9t 3. „dasjenige, welches macht, bap ba$ 
„Mannichfaltige ber Grfd)einung angeſchauet wird;, 
vollſtaͤndig heißt es in der angezogenen Stelle der Kri⸗ 
tik: „in gewiſſen Verhaͤltnißen geordnet angeſchauet 
„wird. S. 398. N. 6. bet Leibnitziſchen Vernunft⸗ 
krit. heißt e$ durch einen Druckfehler: Dieſe niedri⸗ 
gern. Dinge koͤnnen :c. das muß fo geleſen werden; 
Die hoͤhern Dinge koͤnnen ohne die Beſtimmung 
der niedrigern gedacht werden, die unter ihnen 
enthalten ſind; in der Subordination der Dinge ge⸗ 
hen daher die hoͤhern den niedrigern vor. Damit 
ſcheint H. Kant Krit. b. v. V. 4te Antinomie ín ber 
Anmerk. uͤbereinzuſtimmen. Die Leibnitziſche Theorie 
ſetzt e$ deutlicher auseinander unb giebt ben. Grund 
davon an. 


— 


Db3 II. 


II. 
Berichtigung eines Urtheils in ber allgem. 
gitt, Zeitung. 





e. bet alígem. Litt. Seitung (Stt. 3. 1789.) fiv 
bet fid) eine Stecenfion ber Sragmentarifd)en Beytraͤge 
zur SDeftimmung unb Deduction be$ Begriffs unb 
Grundſatzes ber Caufalitát von Hrn. Flatt. Nicht 
leicht werden die Luͤcken, die dieſe Beurtheilung ent⸗ 
haͤlt, dem Auge eines aufmerkſamen Beobachters 
verborgen bleiben. Schon dem allgemeinen uͤber die 
Flattiſche Grit gefaͤllten Urtheil fehlt nicht menig an 
der gehoͤrigen Buͤndigkeit. Sie ſoll dem ungemei⸗ 
nen Tiefſinne ihres Verfaſſers Ehre machen (S. 18.) 
und doch ſoll dieſer Hrn. Kant durchaus nicht verſtan⸗ 
den haben, ſondern bloß widerlegen, was Kant nicht 
behauptet (S. x9.) unb endlich ſollen alle feine An⸗ 
griffe auf das Kantiſche Syſtem auf eigentlichen Wort⸗ 
ſtreit hinauslaufen (S. 21.). Dieſer tiefſinnige Mann 
ſoll alſo nicht zwey Worte geſagt haben, die eine Be⸗ 
herzigung verdienten! 


Auf 


fef 407 ^44 


Auf bie Pruͤfung ber vom Hrn. Flatt gefüfrtem 
Beweiſe laͤßt fid) ber Jor, Recenſent nicht ein, ſondern 
glaubt dieſelben dadurch abfertigen zu koͤnnen, daß et 
Hren. Flatt eines doppelten Mißverſtaͤndniſſes — bes 
ſchuldigt. 


1) Einmal ſoll Hr. Flatt den Kantiſchen Aus⸗ 
druck Categorie der Urſache nicht verſtanden haben, 
unb vorzuͤglich deswegen (S. 19.), weil er Hrn. 
Kant beſchuldige: er habe den reinen Verſtandesbe⸗ 
griff der Cauſalitaͤt ſo unbeſtimt gelaſſen, daß nach 
ſeiner Entwickelung kein Unterſchied zwiſchen Urſache 
und Wirkung uͤbrig bliebe. Dieſe Beſchuldigung, 
meint ber Hr. Recenſent, habe Hr. Flatt durch ſol⸗ 
gende Stelle beweiſen wollen (Grit. b. r. V. n. X. 
€. 301.): „Vom Vegriffe ber Urſachen würbe id, 
wenn id) bie eit wegließe, in bet etas auf etwas ane 
ders folgt, àj ber reinen Kategorie nichts weiter finbert, 
als bag er etmaé fep, roorau$ fid) auf ba$ Daſeyn 
eines andern ſchließen laͤßt, unb e$ wuͤrde baburd) 
Urſach unb Wirkung gat nicht von einanber untet; 
fdjieben werden fónnen, ,, Allein (fagt ber Hr. Rec. 
€. 20.), $ant befauptet keinesweges, baf ber Un⸗ 
terſchied zwiſchen den Begriffen von Urſache unb 
Wirkung von der Zeitbedingung abhange, ſondern er 
zeigt nur, daß ohne bie Zeitbedingung (ohne Succeſ⸗ 
ſion) die Anwendbarkeit der von einander verſchiede⸗ 

Dd 4 nen 


Kuh 408 ac 


pen. Begriffe von Urſache unb Wirkung auf einen gez 
gebenen Stoff unbeftimmt bleiben müfte, inbem 
man, menn nicht ba$ eine be gegebenen vorherginge 
unb ba$ anbre folgte, nicht unterjd)eiben koͤnnte, wel⸗ 
d$ bet Grund unb welches bie Solge waͤre. 
Allein 


8) fat bet Hr. Recenſent ben ganzen Gedanken 
nicht in. ſeinem Zuſammenhange dacrgeſtellt, 
unb widerlegt, was sr. Slatt nicht bes 
bauptet bat, Es i(t rn. Flatts Abſicht 
nidt, bie Unbeſtimtheit des reinen Verſtan⸗ 
desbegriffs ber Caufatitát nad) Santé Syſteme 
burd) bie angefüfrte €telle aus ber Grit. b. 
t. 98. zu beweiſen, fonbetn er fübrt biefe 
Stelle bloß an aí$ einen Ginmurf gegen 
bie Beſtimmtheit oes Leibnitziſchen Des 
griffs bet Urſache; wie er (C. 8.) au$; 
druͤcklich fagt. 


b) Es folgt aud) au$ ben Kantiſchen Behauptun⸗ 
gen allerdings, bag ber Unterſchied zwiſchen 
ben Begriffen von Urſache unb Wirkung von 
bet Seitbebingung abfange. Denn font wuͤr⸗ 
be ber Begriff von Urſache, mie nad) bem 
Leibnitziſchen Syſteme, obne bie Qeitbebin: 
gung, hinreichend feyn, ba$ barunter zu fub: 

fumi 


K"vf^ 409 "à 


ſumirende vor bem zu unterſcheiden, was ur 
ter ben Begriff der Wirkung ſubſumirt wer⸗ 
den muß; es wuͤrde alſo die Anwendbarkeit 
ber Begriffe von Urſach unb Wirkung auf ci 
nen gegebenen Stoff beftimmt feyn, inbem 
man, ofne baf das eine des Gegebenen vor; 
Derginge unb das anbre nachfolgte, unter; 
ſcheiden fónnte, welches der Grund unb. vel: 
ches die Folge waͤre; wie es in dem unendli⸗ 
chen Verſtande verſchieden ſeyn muß. Wenn 
in dem einen Begriffe der Urſache weiter 
nichts iſt, als daß er etwas ſey, woraus ſich 
auf das Daſeyn eines andern ſchließen laͤßt 
(Gr. b. v. V. a. a. O.); fo enthaͤlt ec nidjté 
weiter, als was in bem reinen Begriffe bet 
Wirkung auch iſt, und unterſcheidet ſich von 
biefen nicht. 


€) Der Hr. Rec. fat demnach durch dieſen Com 
mentar uͤber den angefuͤhrten Kantiſchen Satz 
keinesweges widerlegt, was Hr. Flatt uͤber 
die Begriffe von Urſache und Wirkung 
(S. 7. xc.) uͤberhaupt unb aud) gegen orn. 
Kant geſagt hat. 


2. Das zweyte Hrn. Flatt aufgebuͤrdete Miß— 
verſtaͤndniß foll bem — Ausdruck Ding an 
Dd 5 ſich 


fr^ 410 4-245 


(db betreffen. Hr. Flatt behauptet, unb unterſtuͤtzt 
dieſe Behauptung mit ſcharfſinnigen Gruͤnden: daß 
der Satz des zureichenden Grundes, der Begriff von 
Veraͤnderung u. ſ. w. auch auf Dinge an ſich (außer 
dem Gemuͤth exiſtirende Gegenſtaͤnde) angewandt wer⸗ 
den koͤnnen. Um das Kantiſche Syſtem zu verthei⸗ 
digen, leugnet der Rec. dies alles, weil, nach ſeiner 
Meinung, jede Vorſtellung eines Dinges an ſich ein 
Unding iſt (S. 22.). Dies glaubt er ſo beweiſen zu 
koͤnnen (€. 21 22.): Soll der außer bem Gemuͤ⸗ 
the vorhandne Gegenſtand, eine Vorſtellung in dem⸗ 
ſelben werden, ſo muß er die Form der Vorſtellung 
annehmen, bie bem vorſtellenden Subjekte durch 
das Vorſtellungevermoͤgen angehoͤrt; denn dadurch 
kann er nur zur Vorſtellung werden. Dieſe Form 
aber kann er außer dem Gemuͤthe nicht haben; denn 
ſonſt ware er eine Vorſtellung getefen, ef et etwas 
vorſtellte. off mun alfo das Ding an fido felbft, 
ín wiefern ed aufer bem Gemuͤthe vorhanden ift, feine 
bloße Vorſtellung feyn, fol ber ifm in bet Vorſtel⸗ 
(ung entfpredjenbe Stoff nicht eine. Vorſtellung ohne 
die Form einer Vorſtellung ſeyn, ſo muß alle Vor⸗ 
ſtellung des Dinges an ſich ſchlechterdings unmoͤg⸗ 
lich ſeyn. 


Ein Gegenſtand, ſofern er außer dem Gemuͤthe 
vorhanden iſt, kann freylich nicht die Form einer Vor⸗ 
ſtel⸗ 


FER AY 6 


ſtellung haben, infofetn fic Form einer Vorſtellung 
ift; aber wenn daraus folgen ſoll, daß jede Vorſtel⸗ 
lung deſſelben unmoͤglich ſey, ſo wird dabey voraus⸗ 
geſetzt: daß keine Beſtimmung deſſelben mit irgend 
einem Praͤdikate uͤbereinkommen koͤnne, die ihm im Ge⸗ 
muͤthe unter der Form der Vorſtellung beygelegt wird. 


Dieſer ohne Beweis angenommene Satz ift deſto 
unzulaͤſſiger, da Hr. Flatt gerade das Gegentheil: 
daß die nothwendigen Denkgeſetze mit den Geſetzen 
der Dinge außer der Vorſtellung uͤbereinſtimmen, 
aus Gruͤnden behauptet. 


Jedes endliche Vorſtellungsvermoͤgen hat 
Schranken Ceine Form), unb kann fid) daher bie 
Dinge nicht im hoͤchſten Grade deutlich vorſtellen, 
nicht vollſtaͤndig fo, role fie an ſich, außer bem Ge: 
muͤthe, unb ín bem unenbliden Verſtande finb, 
(nid)t anber$ a( unter. ber. ihm angehoͤrigen Form). 
Einige *Drábifate, bie baffelbe ben Dingen zuſchreibt, 
finb ín feinen Schranken gegtünbet, unb fommen 
daher nidjt mit ben. Beſtimmungen ber Dinge, wie 
fie an fid) finb, voͤllig überein. — Da aber nicht alle 
fDrábifate, bie ba8 endliche Vorſtellungsvermoͤgen 
ben] Dingen beylegt, nothwendig in ben Schranken 
deſſelben ihren Grund haben, ſo koͤnnen auch einige 
unter ihnen ſeyn, die mit den Beſtimmungen der 

Dinge, 


FXMT^ 412. "A 


Dinge, wie fie an fid) unb in bem unendlichen Ser; 
ftanbe (inb, vàllig ü6ereinftimmen. — Su. bjefen fani 
aud) das Praͤdikat des zureichenden Grundes 1t. ge⸗ 
hoͤren. Folglich wenn wir uns von den Dingen an 
fid) vorſtellen, daß fie einen. zureichenden Grund far 
ben :c.; fo ift dieſe Vorſtellung nicht nothwendig ein 
Unding. Man vergleiche hiemit, was in dieſem phil. 
Mag. St. 2. S. 154. 165. 166. und St. 3. 


Q. 304. 305. vorkommt. 
m. 


| 


III. 


FMAVER A18 uc 
9099729729779 7-979 7297.9 29729779 
III. 


Cinige merkwuͤrdige Aufklaͤrungen fiber bie 
Unruhen ber Proteſtanten in ben Sevenni⸗ 
ſchen Gebürgen. 


Aus ten Eclairciffemens hiftoriques für les 
caufes de la révocation de l'Edit de Nantes, 
et fur l'état des Proteftans en France de- 
puis le commencement du regne de Louis 
XIV.jusqu à nos jours. 1788. Seconde 
partie, Chap. V. p. 277. 





$5. ſchrecklichen Scenen der Cevennifden Unru⸗ 
hen ſind in den Annalen der Intoleranz ſo beruͤhmt 
und durch ſo viele beredte Federn geſchildert worden, daß 
ſich daruͤber wenig oder nichts neues mehr ſagen laͤßt. 
Wenn man auch nur dasjenige geleſen hat, was Vol⸗ 
taire bavon ín bem Siécle de Louis XIV, Tome 
21. C. 338. u. ff. Gotf. Ausg. erzaͤhlt, fo fann 
man fid) fdjon von ben Greueln, welche auf einer 
Seite ber Blutdurſt des Verfolgungsgeiſtes, unb 
auf der andern die Wuth der verzweifelnden Unter⸗ 

druͤck⸗ 


—44 5S 


bruͤckten verurſacht Bat, einigermaafen. eine Vorſtel⸗ 
lung madjen. — ín deſto groͤßeres Geheimniß Bat Bins 
gegen bisher bie gebeimen Triebſedern bebedft, mel; 
che an bem Hofe Ludwigs be$. XIVten biefem bluti⸗ 
gen Schauſpiel berr erſten Anſtoß gegeben. unb c6 fo 
[ange in Bewegung erfaíten haben. Der. unpartepis 
ſche unb wohl unterrichtete Verfaſſer ber Eclairciffe- 
mens hat, wie uͤber den ganzen Gang der Religions⸗ 
verfolgungen unter Ludwig bem XlIVten, fo audj 
uͤher biefen Theil berfelben ein großes Licht verbceitet. 
Wir glauben daher nichts uͤberfluͤſſiges zu tfun, menn 
wir die Entdeckungen, die er uͤber die Maaßregeln 
des Hoſes gut Unterdruͤckung ber Sevenniſchen Unru⸗ 
hen im Jahr 1703, gemacht hat, unſern Leſern mit⸗ 
theilen. Es wird daraus erhellen, wie große Uebel 
die Giferfud)t der Miniſter, bie Cabalen ber. Guͤnſt⸗ 
linge und der Verfolgungsgeiſt der Geiſtlichen unter 
einem ſchwachen, verbleudeten unb, andaͤchtelnden 
Koͤnige anrichten koͤnnen. 


* * 
* 


Was iſt alío ber wahre Urſprung dieſer Unruhen 
geweſen? Es war zuerſt bie Abweſenheit bet Seel⸗ 
ſorger, unb bann das Unzuſammenhaͤngende bet bei⸗ 
ben Syſteme ). Die Seelſorger, butd) harte Edikte 

und 


*) Naͤmlich ber Gelindigkeit unb bet Haͤrte in ber Be⸗ 
—— der Proteſtanten, mit denen der Hof 
mehrmals wechſelte. 


KMOT^ 415 wide 


nnb ſchreckliche Todesſtrafen zur Flucht gezwungen, 
hatten zu ihrer Gemeinde geſagt: „Der Geiſt des 
„Herrn wird bey Euch ſeyn; er wird eher durch den 
„Mund ber Kinder unb der Weiber reden, als daß 
„er Euch verlaſſen ſollte., Dieſe Ungluͤcklichen hiel⸗ 
ten alle Regungen ihrer Wuth gegen die katholiſchen 
Prieſter fuͤr Eingebungen des heiligen Geiſtes. Aber, 
wenn wir dieſen wilden Bergbewohnern vorwerfen, 
daß ſie ſich einer ſolchen wahnſinnigen Wuth uͤberlaſſen 
haben, duͤrfen wir aud) dabey vergeſſen, daß man 
ihre Kirchen niedergeriſſen, ihr Land der Frechheit der 
Soldaten uͤberlaſſen, ihnen ihre Kinder genommen, 
die Haͤuſer derer, welche man die Widerſpenſtigen 
nannte, geſchleifet, und die Eifrigſten unter ihren 
Seelſorgern geraͤdert hatte? Man war dabey nachlaͤſ⸗ 
ſig geweſen, ſie in unſerer Religion zu unterrichten, 
und in der ihrigen hatten ſie nur unſinnige Propheten 
zu Leitern. ey der erſten Nachricht dieſes Auf⸗ 
ruhrs warf ſich eine jede den beiden Parteyen, 
die den Hof theilten, der andern vor, die Urſach davon 
geweſen zu ſeyn. Wenn die Gewaltthaͤtigkeiten waͤ⸗ 
ten fortgeſetzt worden, ſagte bie eine, ſo haͤtte es 
keinen Aufſtand gegeben; wenn die Gewaltthaͤtigkeiten 
gar nicht waͤren gebraucht worden, ſagte bíe anbere, 
wenn man allezeit bey bem Syſtem ber Bekehrungen 
den Unterricht und die Gelindigkeit gebraucht haͤtte, 
ſo waͤren keine Unzufriedene geweſen. 


Seit 


(avr 416. Rñ⸗ 


Seit bem. Jahre 1686 fatte bet. Herzog von 
Noailles bie Nothwendigkeit eingefefen, einen Theil 
von biefen 9Bálfern aus ihrem Vaterlande gu vertreis 
ben; et fatte ben Vorſchlag getan, ,,baf man biet: 
» jeniaen Bergbewohner aufgreifen ſollte, bie, voie ec 
»fagte, feinen Handel trieben, unb benen die Rauh⸗ 
» eit ber Himmelsgegend, unb bie Beſchaffenheit 
» bet Luft einen milben Geift einflóéten.,, Bavilles 
Briefe beroeifen, baB, ſeit der Widerrufung des Cbifté 
von Nantes, eine Art von kleinen Kriegen beſtaͤndig 
in den Sevenniſchen Gebirgen geweſen ſey, wovon man 
nie geſprochen fatte, unb wovon man nirgends als in 
ſeinen Briefen eine Spur findet. In einem von den⸗ 
ſelben, bet vom 29ften October 1703 datirt iſt, ſagt 
er: „Wir hatten in dem letzten Kriege nur acht 
„ſchlecht eingerichtete Bataillonen, und feiner von ben 
„Anfuͤhrern durfte ohne Auftrag etwas vornehmen. 
Der Hof wurde bep dieſer ſcheinbaren Ruhe betro⸗ 
gen, unb als das Syſtem ber Regietung veraͤndert 
wurde, die Truppen ſich zuruͤckgezogen hatten, der 
Intendant ſeine Macht verlohr, fuhr einer von den 
Vorſtehern der Miſſionen fort, dieſen Bergbewoh⸗ 
nern ihre Kinder wegnehmen zu laſſen, unb behielt fie 
in ſeiner Wohnung, bis daß (ie in Nonnenkloͤſter aes 
bracht wurden. Wir haben, ſelbſt zu unſern Zeiten, 
das ruhige Volk in Paris, bey dem bloßen Geruͤcht 


eines gegebnen Befehls zur Aufſhebung unvorſichtiger 
und 


417 4A 


unb gefaͤhrlicher von einigen Knaben auf ben Gaſſen 
getriebener Spiele, unb bloß auf bie geáuficrte Angſt 
einiger Muͤtter in bem. letzten Auflauf, ín Hitze ger 
rathen, einen von benen, bíe biefen Befehl vollyoaen, 
umbringen, unb ín bem Andgfall eíner. aufrüfrifdoen 
Wuth bie Hauptſtadt unb ben Hof ín Schrecken ſetzen 
geſehen. Die Bergbewohner drangen in das Haus 
ihres Verfolgers, riſſen einige von ihren Kindern 
aus ſeinen Haͤnden und brachten ihn ums Leben. Als 
fie wegen dieſes Verbrechens verfolgt wurden, verthei⸗ 
digten fle fi. — Die Mordthaten und Brandſtiftun⸗ 
gen verſetzten alle die Laͤnder, die dieſes Gebirge um; 
geben, in eine ſehr große Furcht. Die Truppen, 
bie fid) zuruͤckgezogen hatten, famen in. ſechs Mona—⸗ 
ten nicht wieder; und indem das Uebel von Tage zu 
Sage ſtaͤrker wurde, wollten die beiden Parteyen, 
die ben Hof theilten, auf gleiche Weiſe dieſes Unaluͤck 
dem Koͤnige verbergen. Dieſenigen, die ihn uͤberre⸗ 
bet hatten, daß eine allgemeine Bekehrung geſchehen 
unb es feinen einzigen Blutstropfen koſten wuͤrde, rans 
ben fid) auf eine ſchreckliche Art betrogen. Diejeni⸗ 
gen, die der Meynung geweſen waren, daß man von 
der Strenge nachlaſſen und die Truppen zuruͤckberu— 
fen ſollte, mußten ſelber einſehen, daß ſie in mehr 
als einem Stuͤck gefehlt hatten, weil ſie auf der einen 
Seite, indem ſie aus ihrer Nachſicht ein Geheimniß 
machten, die Leute nicht beruhiget hatten, vielmehe 


philoſ. mag. 4. St. Ee ben 


FXAMEM Arg ^w 


ben Cifet bet. Verfolger zu beſtaͤrken geſchienen, unb 
weil auf ber andern Seite bie vorherigen Grauſam⸗ 
keiten den Koͤnig in die betruͤbte Nothwendigkeit ver⸗ 
ſetzt hatten, gegen ſeine Unterthanen ſtets die Waffen 
zu gebrauchen. Was war in dieſer Verlegenheit zu 
thun? Man mußte bem Koͤnige bie Groͤße unb Staͤr⸗ 
ke des Uebels zu verbergen ſuchen; und die Frau von 
Maintenon, welche den beiden entgegengeſetzten 
Meynungen wechſelsweiſe beygeſtimmt hatte, war für 
dieſen letzten Entſchluß. 


„ESs iſt nicht noͤthig (ſagte fic), bag ſich bet 
„Koͤnig mit ben Uniſtaͤnden dieſes Krieges beſchaͤfftige; 
„das wuͤrde bas Uebel nicht heilen, unb wuͤrde im 
» feft fdjaben. ,, 


Als man ben. Marſchal von Montrevel abſchi⸗ 
cken wollte, um ben Krieg in dieſem Gebirge zu fuͤh— 
ren, fo ſuchte man Vorwaͤnde, bie ben Koͤnig qu bie: 
fer Crnennung bewogen, ofne baf er bie mabre Ur⸗ 
faf bavon mutfmafen konnte. Der Herzog ou 
Maine ließ fid) au dieſer ift aebraudjen, unb ver⸗ 
lanate als eine Cbrenbegeugung einen Marſchal von 
Frankreich, um in der Provinz zu kommandiren, 
wovon er Gouverneur war. In der Rathsverſamm⸗ 
lung, zu der Montrevel gelaſſen ward, wurde von 
einigen Unruhen geſprochen; man ſagte aber, es waͤre 

ein 


Fo»Y^ 419 On» 


ein blofes Strohfeuer. Der Kriegsminiſter 
ſchrieb an den Intendanten der Provinz: „Nehmen 
„Sie ſich in Acht, daß Sie nicht dieſer Sache den 
„Schein cines. ern(t(id)en Srieged  geben.,, — Und 
wird man nicht burd) bie Vergleichung dieſer vet: 
ſchiedenen Befehle, beren einige nod) nidt óffentfid) 
bekannt finb, das fonft unauflósbare Raͤthſel von ber 
langen Unthaͤtigkeit des Marſchal von Montrevel 
erklaͤren koͤnnen? 


Er gab den unter ſeinen Befehlen ſtehenden 
Officieren nicht die geringſte Gewalt. Er hielt, die 
etwas unternehmen wollten, zuruͤck. Gr ſagte, daß 
„die Refſormirten unſichtbare Geiſter waͤren, daß e$ 
„vergeblich ſey, ſie aufzuſuchen, und daß dieſer Krieg 
„mit Klugheit und nicht mit dem Degen gefuͤhrt wer⸗ 
„den muͤßte. » 


Sf8enn ein. Officiet, von ben Widerſpenſtigen anr 
gefallen, einen Sieg über. fie etfielt; fo ſchrieb ihm 
bec Marſchal, gut Antwort auf feine Nachricht, einen 
Brief voller $Sormürfe, unb mar nur batauf bebadjt, 
ihm Stillſchweigen zu gebieten. 


Die proteſtantiſchen Schriftſteller konnten dieſe 
lange Unthaͤtigkeit nicht begreifen; es war fuͤr ſie eine 
Begebenheit, worin etwas wunderbares lag. Die 

Ee 2 Berg⸗ 


(FH UC 420 ^ac 


Bergbewohner fafen Diet offenbar ben Schutz, momit 
ber Himmel über ire Waffen radjte, unb alle Weiſ— 
ſagungen ihrer Propheten erfüllt. — 26er fobalb man 
au Verſailles aufaefórt fatte bie Wahrheit gu verheh⸗ 
len, erhielt Montrevel einen. beynah entfdyeibenben 
Sieg. 

Endlich wurde der Marſchal von Villars nach 
dieſer Provinz geſchickt, und in den Nachrichten dieſes 
großen Mamnnes, die oͤffentlich bekannt ſind, wollen 
wir nur dieſe zwey Dinge bemerken; das eine iſt dies 
Geſtaͤndniß: „Was die Neubekehrten anbetrifft, ſo 
„habe ich von vernuͤnftigen Leuten, von Geiſtlichen, 
„Großvikarien u. b. m. erfahren, bag unter zehntau⸗ 
„ſenden vielleicht nicht zwey geweſen ſind, bie wirk⸗ 
„liche Bekehrte raren;,, bas andre, baf er die Ru—⸗ 
he in dieſer Provinz wieder einfuͤhrte, indem er die 
ſtrengen Marterſtrafen aufhob, fein Verſprechen un: 
verbruͤchlich hielt, mit den Widerſpenſtigen ſich dahin 
verglich, daß ſie in die Koͤniglichen Armeen uͤbergehen 
und dabey ihre Gewiſſensfreyheit genießen ſollten. 
Das, was Ludwig der XIVte ſeit der Widerrufung des 
Edikts von Nantes, einigen wahnſinnigen Bauern 
bewilligte, welche die Waffen gegen ihn fuͤhrten, konn⸗ 
te dies wol zwey Millionen getreuer Unterthanen vet; 
ſagt werden, die in vielen ſchwierigen Lagen, worin 
ber Staat fid) befunden, allezeit ihre Liebe für! ben 
Koͤnig und das Vaterland bewieſen haben? 

Da 


FM 42r "us 


Da biefet Vergleich nicht zu €tanbe gekommen 
war, wegen ſolcher Umſtaͤnde, bie nicht von bem Wil⸗ 
len Ludwig des XIVten abhingen, fo oͤffnete Villars 
denjenigen Bergbewohnern, die ihr Vaterland ver⸗ 
laſſen wollten, die Grenzen des Koͤnigreichs. Die 
Auswanderung war wenig zahlreich, ſo wahrſchein⸗ 
lich iſt es, daß, wenn man zur Zeit der Widerrufung 
nicht mit eben ſo vieler Unvorſichtigkeit als Ungerech⸗ 
tigkeit das Edikt gegen die Auswanderungen erneuert 
haͤtte, das vorher in einem ganz verſchiedenen Falle 
war gegeben worden; wenn man nicht die Proteſtan⸗ 
ten im Koͤnigreich einzuſchließen geſucht haͤtte; wenn 
man ihnen das Recht ihren Glauben und ihr Vater⸗ 
land zu waͤhlen gelaſſen haͤtte; fo waͤren bie Aus—⸗ 
wanderungen weniger betraͤchtlich geweſen. Wir wol⸗ 
len noch ein paar Worte hinzuſetzen. Ich will nicht 
verhehlen, daß ſie unſere Kirchen entheiligten, um die 
Zerſtoͤhrung ihrer Gotteshaͤuſer ju raͤchen, daß fie un: 
ſere Prieſter die ſchrecklichſten Quaalen ausſtehen 
ließen, um ben elenden Tod ihrer Seelſorger gu. và: 
chen, daß ſie einige hundert katholiſche Kinder ums 
Leben brachten, um den Raub ihrer eigenen Kinder 
zu raͤchen. Dieſe Wiedervergeltungen erwecken Schau⸗ 
der, was aber dieſen Abſchen verdoppelt, iſt, daß 
man fid) von beiden Seiten auf gleiche Art der nt: 
heiliqung, bet Gottloſigkeit, der Wuth unb ber ófr...t 
lichen Raͤuberey beſchuldigte. Iſt es nicht ſeibſt ein 

€e3 wenig 


FAM 422. ^v 


wenig ungerecht, fid) nue ihrer Wildheit zu erinnern? 
Und, um dieſe traurige Betrachtungen mit einer 
angenehmern Bemerkung zu beſchließen, will ich eine 
Stelle aus einer Schrift des Herrn von Malesher⸗ 
bes anfuͤhren, welche er noch nicht herausgegeben 
bat. „Ich geſtehe,„ (fagt er, indem et von if; 
rem Oinfüürer tebet,) „daß dieſer Held, ohne je 
» -Dienfte getban zu baben, ein großer Feldherr ward, 
» lof. durch feine natuͤrlichen Anlagen, daß dieſer Cas 
„miſard, ber einſt e$ wagte, (n Gegenwart eines. wil: 
» ben Haufens, ein Verbrechen zu beſtrafen, welches 
Tur durch aͤhnliche Verbrechen beſtand; daß dieſer 
» ungebilbete Bauer, ber. ín feinem zwanzigſten Jahre 
»ín eine Geſellſchaft gut gebifbeter Perſonen aufge: 
»nommen, ihre €itten annafm, unb ifre Liebe unb 
„Achtung fid) erwarb, daß dieſer Mann, ber eine uns 
» ruhigen Lebens gewohnt war, unb ber mit Recht auf 
» ſein Gluͤck ſtolz ſeyn fonnte, bod) genugſame natuͤr⸗ 
„liche Philoſophie hatte, um fünf unb dreyßig Jahre 
„hindurch eines ruhigen unb. einſamen Lebens zu gt; 
„nießen, mir einer von ben ſeltenſten Charakteren 
»fdeinet, ben je uns bie Geſchichte geſchildert fat. 


— 


WAVE 423. ^wacy 
CNIPSIPSIPSI PPSIPSQPSDQUSUASU PX PÉXPSJISKJPIPSPS JÁS IP JS JP) 
IV. 
S etubíg unu g. 
(n Theophron. 





GC. bann endlich, endlich ausaefampfet, 
Stiefenfampf bet. 3meifelnben 9Bernunft ! 

unb ihr Ceelen(türme ſeyd gebámpfet,, 

vor ber Ruhe fanften SBieberfunft. 

Schon ju lang' entfloh fie biefem Herzen, 

das ſo zaͤrtlich die Natur erſchuf, 

unb vergebens horcht' id) unter Schmerzen 
banger Sehnſucht ihrem ſanften Ruf. 


Wie ein Kind, das ſich im Wald verlieret, 

wenn ein finſtrer Abendſturm ergrimmt, 

und es jedes Rauſchen irre fuͤhret, 

nicht ber Mutter leiſen Laut vernimmt ; 

alſo ſchwaͤrmt' ich traurig und alleine 

leitungslos, und ohne eigne Kraft, 

lang' in falſcher Weisheit dunklem Haine 

unter Stuͤrmen raſcher Leidenſchaft. 

Ee 4 Ach! 


feu»f^ 424. "AY 


Ach! weraebens rief au& beſſern Seiten 

mir bíe Dolbe muͤtterliche Ruh 
Ruͤckerinnrung (rüber. Seligkeiten 
aus der Kindheit Roſenlauben au. 
Denn bie Warnung ihres ſuͤßen Mundes 
floh vor jedem Hauch des Zweifels ſchon, 
und das Laſter kraͤnkte oft mein wundes 
Jugendherz durch Spott und Hohn. 


Suͤße Ruͤckerinnrung jener Zeiten, 
da der Kindheit ſchoͤnes Blumenkleid 
ſelbſt ben fruͤh sum Summer eingeweihten 
Geiſt des Denkers taͤuſchend noch erfreut; 
da der Gluͤckliche noch nicht empfindet, 
daß ein Licht, womit er froͤhlich ſpielt, 
einſt in ſeiner Bruſt die Glut entzuͤndet, 
die des Herzens Ruh durchwuͤhlt. 


Suͤße Ruͤckerinnrung jener Tage, 
die der Unſchuld Blumenfruͤhling kroͤnt, 
ba ber. Seelenleier feine Klage 
fehlgeſchlagner Hoffnung nod) enttónt ; 
ba, geſtimmt zu Lieb' unb. Mitgefuͤhlen, 
jede Saite noch von ſelber ſchallt, 
wenn ber Freude Zephyrn fie umſpielen, 
die von allen Huͤgeln wiederhallt. 


Ach! 


KMAMFA 425 "uc 


Ach! ba Freude mod) ble ecften cime 
freyen Denkens aud. ber. Seecle (oct, 
beren (eid)ter Saft erft in ber Baͤume 
ſpaͤtem Stamm durch Zweifelkaͤlte ſtockt, 
wenn die Luͤftchen, bie beym Morgenlichte 
noch den Sproͤßling ſchmeichleriſch umwehn, 
Stuͤrme werden, die des Wipfels Fruͤchte, 
nur vergebens oft, um Schonung flehn. 


Holde Ruͤckerinnrung! deiner Freuden 
ungetreue ſuͤße Schmeicheley 
wuͤnſchte seem getaͤuſcht, bep ſpaͤtern Leiden, 
oft zum Troſt mein Buſen ſich herbey; 
wie ſich gern das Auge wieder ſchließet, 
wenn es ploͤtzlich einem Traum entwacht, 
ber des Lebens Wermuth uns verſuͤßet 
unb uns froher als bie Wahtheit macht. 


Doch umſonſt! die Taͤuſchung kehrt nicht wieder, 
die dem Geiſt Genuß und Hoffnung gab, 
und es ſinkt auf unſre Augenlieder 
oft ſtatt deß ein finſtrer Traum herab, 
lange kaͤmpfen wir dann mit den Schrecken 
einer eingebildeten Gefahr, 
wachen weinend auf, und ſpaͤt entdecken 
wir, daß Taͤuſchung nur die Angſt gebahr. 


€t5 eo 


F^ 426. ^um 


So entſchleicht, Theophron! aud) ter Knabe 
oft der Flur, die ihn als Kind empfing, 
wo er lang', geſtuͤtzt vorn Liljenſtabe 
ſuͤßer Schwaͤrmerey, fo gluͤcklich ging; 
ſtuͤrzt fid) bann, nod) fern von ber geraden 
Bahn ter Wahrheit, vor Begierde blind, 
ohne Ariadnens Zauberfaden, 
in des Forſchens Labyrinth. 


O bet Zeiten, ber id) ohn' Erſchuͤttern 
meines Innern nie gedenken kann, 
da auch ich, nicht ohne Furcht und Zittern, 
dieſen bangen Seelenkampf begann; 
ach! als Dunkel meinen Pfad umhuͤllte, 
der ſich durch des Zweifels Dornen wand, 
und kein Troſt den Durſt nach Wahrheit ſtillte, 
ben mein ſchmachtend Herz empfand. 


Hingewelkt ſchon waren alle Bluͤthen 
meiner fruͤhern Kraͤnze, lange Zeit 
ſtand ent6iattert von des Nordes Wuͤthen 
jede Laub' ertráumter. Sicherheit. 
Aengſtlich traut' ich nicht den falſchen Wegen 
unbeſorgter Jugendfroͤhlichkeit, 
wo zu ſpaͤt, vom ſchnellen Sturm betrogen, 
einſt der Segler ſeinen Wahn bereut. 


Sorg⸗ 


F^w*f^ 427 way 


Sorgſam fpáft id) brum nach ſichrer Wahrheit 
im umnebelten Ideenland, 
aber mich betrog durch Afterklarheit 
manches Licht, das fruͤh im Sumpf verſchwand; 
Traurig ſah' ich jede Stuͤtze wanken, 
die mir einſt der Hoffnung Rechte lieh, 
und der Pfeil der forſchenden Gedanken 
traf das Ziel der Wahrheit nie. 


Ernſt und furchtbar, wie Gewittergrauen, 
waͤhnt' ich lang" ber Gottheit Heiligthum, 
kniete knechtiſch, ohne Herzvertrauen, 
nur vor ſeiner Allmacht Schreckensruhm, 
opferte mit Seuſzern alle Freuden 
meiner Jugend dem Allguͤtigen, 
ach! und waͤhnte mich durch Buß und Leiden 
ſeinem Dienſt zu heiligen. 


Bittre Taͤuſchung! o wie durft ich waͤhnen, 
daß des Herzens Quaal den Gott gewinnt, 
deſſen liebſte Opfer nur die ſchoͤnen 
Freudenhymnen der Geſchoͤpfe ſind? 

O wie durft ich durch erpreßte Zaͤhren 
duldender, verlaßner Zaͤrtlichkeit 
einen vaͤterlichen Schoͤpfer ehren, 
bet durch Güte jeden Wurm erfreut? 


Zwar 


fuut 428. ^nm 


Zwar ein Gott, vor bem bie Crbe bebte, 
war ber Donnerer auf. Sinai, 
und der Liebe ſanfter Hauch umſchwebte 
Aarons ſtrenge Suͤhnungsopfer nie; 
Unerbittlich ließ, nach Prieſterwahne, 
ſelbſt der Dulder auf Morias Hoͤh'n *), 
gegen Freunde bec 33ernunft die Fahne 
wuͤthender Verfolgung wehn. 


Doch der Gott, den die Natur verkuͤndigt, 

liebt als Vater ſein verlaßnes Kind, 

wenn es auch kein Opferblut entſuͤndigt, 

unb ihm keine Marterthtraͤn' entrinnt, 

aber dieſen Gott der Liebe birget 

der bethoͤrten Seele Menſchenwahn, 

und des Aberglaubens Schrecken wuͤrget 

Lieb' und Hoffnung, die ihm kindlich nahn. 
Truͤb' und traurig, wie umwoͤlkte Naͤchte, 

ſcheint die Weicheit, wenn uns troſtentbloͤßt 

einſt des Aberglaubens Rieſenrechte 

iu den Abgrund der Verzweiflung ſtoͤßt. 

Selbſt die Tugend winket dann vergebent 

in der Freude roſigem Gewand; 

und die reinſten Blumen unſres Lebens 


morden wir mit eigner Hand. 
Weh 


*) Der Huͤgel, worauf bee. Temel ſiand, vorzugsweiſe 
überbaugt ſtatt Judada's Hoͤhen geſetzt. 


—429 ^X 


Weh bem femen! ber mít heißer € eefe 
fruͤh im Sampf nad) Wahrheit unterliegt , 
für ibn roitb bie SfBelt jut. Syammerbófte , 
unb jum Fluch bie Weisheit, Ne ibn trüat. 
Selbſt ben Dolch in eignes Blut gu tauchen, 
ruft ifm oft bie falſche Hoffnung gu, 
benn ben Gei(t in Martern auszuhauchen 
ſcheint im leichter Sauf ber Seelenruh. 


Langſam ſchlich auch meines Denkens Sorgen 
truͤb umhuͤllt unb blumenlos vorbey; 
dennoch waͤhlt' ich gern der Tugend Sorgen 
vor der Wolluſt ſuͤßer Schmeicheley; 
Muthig wollt ich nur den Kranz erſiegen, 
der aus traͤgem Schlaf den Forſcher weckt, 
oder muͤßt' ich — kaͤmpfend unterliegen, 
doch von keiner ſchnoͤden Furcht befleckt. 


Zwar der Spoͤtter rief: „was iſt die Tugend? 
ein Phantom, das Menſchentrug erfand, 
eine Goͤtzin leichtgeruͤhrter Jugend, 
eine Puppe in des Kluͤgern Hand, 
eine Buhlerin, bie alle Freuden 
dieſes Lebens dem Betrognen raubt, 
deſſen Haupt ſie fuͤr gewiſſe Leiden 
mit ber Zukunſt Taͤuſchungskranz umfaubt, ,, 


» Waͤhnſt 


Fur 430 4wà4*» 


„Waͤhnſt bu, baf ber Nerven Florgewebe 
deiner Seele Wirkung nidt befd)rántt ? 
unb baf bier erfparter Caft ber Rebe 
bid) im Paradieſe wieder traͤnkt? 
Hoffſt du, daß der Liebe Schaͤferſtunden, 
die der Wirklichkeit Genuß umſchlingt, 
hier aus Thorheit unbenutzt verſchwunden, 
eine friſche Jugend mieberbríngt. ,; 


» taf. ben frommen Wahn bethoͤrten Schwachen, 
baf Genuß burd) Pflicht umgraͤnzet fep ; 
auf ber 9Bollu(t leichtgebautem Nachen 
ſegle kuͤhn, von Vorurtheilen frey ; 
benn ba$ Alter naft, bie Sráft" erinatten, 
in. ber Adern Bach gerinnt bas 95(ut, 
unb verficgen wird bey Abendſchatten 
bald auf ewig deine €ebenóflut).,, — 


Doch der Reue troͤſtungsloſes Stoͤhnen 
aus ſo manches Frevlers Felſenbruſt, 
und der hingewuͤrgten Unſchuld Thraͤnen, 
nach verrauſchter kurzen Sinnenluſt; 
ach! der Freude fruͤh verwelkte Bluͤthen, 
wenn des Laſters wilder Sturm ſie trifft, 
und des Spoͤtters innre Furcht — verriethen 
bald mir dieſer Lehre ſchnoͤdes Gift. 


Spaͤt, 


Weavf^ 431 ^"uc» 


Cát, nad) mandem Irrgang, kehrt ich wieder 

auf der Einfalt bluͤthumſtreute Spur, 

und vergnuͤgter toͤnen meine Lieder 

jetzt im Mutterſchooße der Natur; 

Sie, die alle Weſen eng verbindet 

und durch jedes Veilchens Lieblichkeit 

Gott als milden Schoͤpfer mir verkuͤndet, 

ſchenkt von neuem mir Zufriedenheit. 


Ja der Gott, dem uͤberall die reine 
Herzens andacht ihren Weihrauch ſtreut, 
die zu Tempeln alle Fruͤhlingshaine, 
alle Huͤgel zu Altaͤren weiht, 
dieſer Gott, der die erhabne Seele 
eines Klopſtock Engeljubel lehrt, 
aber auf ſein und der Philomele 
Lied mit gleicher Vaterguͤte hoͤrt; 


Deſſen Huldigung in enge Schranken 
duͤſtrer Hallen Menſchenwahn verſchließt, 
da er doch in keimenden Gedanken 
ſchon die Hymnen ſeiner Kinder lieſt: 
dieſer Gott, den alle Weſen meinen, 
wenn ſie froͤhlich Blumenopfer weihn, 
oder iflavifd) (tomm vor Bildern meinen, 
dieſer Gott nur fol ber. meine feyn, 


Nicht 


FA^ 432. ^w 


Nicht vergebens ei ich au& ber Ferne 
der Verirrung Seinem Tempel zu, 
denn hier winket mir vom hoͤchſten Sterne 
bis zum Veilchen alles Troſt und Ruh; 
jeder Saft der hingewelkten Bluͤthe 
traͤnkt' unendlich friſches Gras und Laub, 
und mein Geiſt, der Aushauch Seiner Guͤte, 
ſtuͤrb auf ewig mit bem Staub? — 


Nein! in dieſem Thale nur begonnen, 
waͤhrt mein Leben bis zur Ewigkeit, 
wo zur Frucht des Gluͤcks, durch Edens Sonnen, 
jeder Erdentugend Keim gedeiht; 
wo zur Perle jede bange Zaͤhre 
wird, die hier vom Aug' des Dulders rinnt, 
jeder Dorn zum Palmenkranz der Ehre, 
den der Tugend Held am Ziel gewinnt. 


Wie, ofn" ihre Ordnung zu verletzen, 
Welten fid) um ferne Welten drehn, 
werden auch nach ewigen Geſetzen, 

Gluͤck und Tugend in Verbindung ſtehn; 
nuc damit die Hoffnung jenes Lebens 
unenthehrlich werde, winkt der Lohn 
fruͤher Edelthaten, nicht vergebens! 

ſpaͤt erſt an der fernen Gottheit Thron. 


Die⸗ 


CMT 493 wo 


Dieſer Gíaube (ert uns edel handeln 
unb ber Sugenb unfer Herz zu weihn, 
nidt um hier auf Blumen fdon gu wanbetn, 
ſondern nut des Giles werth zu feyn; 
dieſer Glaub' erleichtert ſanften Seelen, 
wo Entſcheidung gilt, durch Einen Blick 
in bie beßre Zukunſt, oft das Waͤhlen 
zwiſchen Seelenruh und Außengluͤck. 


Seelenruh! des Himmels ſchoͤnſte Gabe] 
Zwillingsſchweſter der Zufriedenheit! 
(eit aud) mich an deinem Liljenſtabe 
ungeſtoͤrt nun durch die Lebenszeit; 
laß mich keinen Sterblichen beneiden, 
dem Gott Hoheit, Gold und Witz verliehn 
doch vielleicht nicht jene ſtille Freuden, 
melde mir in beinem Schatten bluͤhn. 


Zwar den Kummer andrer zu verſuͤßen, 
flog fuͤr mich des Reichthums Fuͤlle nicht, 
doch mir ward ein Herz, das jeden Biſſen 
eignes Brod den Armen froͤhlich bricht. 

Zwar nur wenig laute Freudenſcenen 

ruͤhren meine ſanftgeſtimmte Bruſt, 

bod) ber Lieb' unb Freundſchaft ſuͤße Thraͤnen 
lohnen vielfach dieſen Scheinverluſt. 


Philoſ. Mag. 4. Gt. Ff 


Alſo 


FMFRM 434. ncm 


Alſo waͤgt ſchon unſerm Erdenleben 
Gott nach Weisheit alle Guͤter zu, 
und des Forſchers redliches Beſtreben 
nad) Gewißheit kroͤnt ble Seelenruh; 
heiter leb' auch ich durch ſie die Stunden, 
die ich ſonſt bey bangem Gram verlohr, 
denn ſeit dieſe Daͤmmrung hingeſchwunden, 
bricht die Hoffnung lieblicher hervor. 


Otufjig leb' id) nun, bis einſt ein Engel 

meines Lebens Fackel untertaudjt, 

ſinke ſanft bann, wie ein Blumenſtengel, 
den ein Abendzephyr niederhaucht: 

jedem Edlen, der in Zweifelnaͤchten 

meiner Seele frommer Fuͤhrer war, 

will ich bann nod) Dankeskraͤnze flechten, 
und den ſchoͤnſten um Theophrons Haar. 


fef 435 «ic» 
t4 4946040 4409049469444? 


V. 
Grundſaͤtze ber. reinen. Mechanik. 





X. 


En Koͤrper im Allgemeinen iſt ein ausgedehntes 
wirklich vorhandenes Ding. 


In der Geometrie iſt ein Koͤrper bloß der Be⸗ 
griff des Ausgedehnten, ohne Daſeyn, alſo nur ein 
innerer Gegenſtand unſerer Vorſtellungekraft. In 
der allgemeinen Naturwiſſenſchaft und insbeſondere in 
der Lehre von der Bewegung kommt zu dem Begriffe 
ber Ausdehnung nod) ber Begriff des Daſeyns, voor 
durch der Koͤrper ein aͤußerer Gegenſtand unſerer Vor⸗ 
ſtellung wird. Die Wirklichkeit der Koͤrper nehmen 
wir an, ohne uns um einen Beweis fuͤr dieſelbe zu 
bekuͤmmern. Wer ſie auch leugnen wollte, muͤßte 
doch den Schein zugeben, und es koͤmmt alsdann nur 
darauf an, bie Geſetze des Scheins richtig zu entr 
wickeln. Es kann ſehr wohl ſeyn, daß die Ausdeh⸗ 
nung nichts Selbſtſtaͤndiges, ſondern nur ein nach 
gewiſſen Geſetzen beſtimmter, ín nicht ausgedehn⸗ 
ten. Dingen gegruͤndeter Schein (Phaenomenon 
bene fundatum) iſt; allein dem ohngeachtet ſehen 

552 voir 


Fav 436 dm 


toit ét der Naturwiſſenſchaft die Ausdehnung als eine 
Grundeigenſchaft (qualitas primaria) der aͤußern 
Dinge an, welche wir durch die Sinne wahrnehmen 
koͤnnen. Ausdehnung ift nun einmal bie Form, ur; 
ter welcher wir alles, was wir unmittelbar wahrneh⸗ 
men, uns darſtellen. (fe übrigen ſinnlichen Wahr⸗ 
nehmungen verknuͤpfen mit mit bem Ausgedehnten, 
als demjenigen, worin ſie gegruͤndet ſind, oder woran 
ſie ſich zeigen. Der Begriff der Ausdehnung iſt ein 
reiner Verſtandesbegriff, der ſich nicht durch die Er⸗ 
fahrung, ſondern mit der Erfahrung entwickelt. Er 
iſt ein weſentliches, ſehr wichtiges Stuͤck der Aus⸗ 
ſteuer, welche unſer Geiſt von der Natur erhalten 
hat. Weil der Begriff der Ausdehnung ganz rein 
und frey von allen innern und aͤußern Beſchaffenhei⸗ 
ten ber wirklichen koͤrperlichen Dinge ín ber. Geome⸗ 
trie gedacht wird, ſo iſt dieſe dadurch von der Erfah⸗ 
rung ganz unabhaͤngig. Sie betrachtet bloß die For⸗ 
men der Groͤßen und ihrer Zuſammenſetzung aus gleich⸗ 
artigen Theilen, welches alles Producte und Opera⸗ 
tionen des Verſtandes ganz allein (inb, Nun ſetze 
tan zu bem Begriffe ber Ausdehnung nod) ben Be⸗ 
griff des Daſeyns, fo wird un$ biefed ein. neues $elb 
von Unterſuchungen eroͤffnen, bie gleichfalls von bet 
Crfabrung unabhaͤngig ſeyn müffen, voenn wir nuc 
vermógen aud bem allgemeinen Begriffe von Da⸗ 
ſeyn richtige Folgerungen ju ziehen, unb biefe mit 

ben 


FAY 437 ^" 


ben Lehren der Geometrie unb Analyſis zu  vetr 
fnüpfen. 
2. 
Daſeyn (wotfanben ſeyn) ift fortbauern, umb 
Wirkſamkeit, bie Diet zugleich mit Leidensfaͤhigkeit 
verfuüpft it, beſitzen. 


Den Begriff von Sertbauer. erfjalten mir burd) 
innere Erfahrung, ba wir uné unſerer verſchiedenen 
Suftánbe bewußt (inb, unb bíefelben al$ gufammen: 
Dángenb in einem Subjecte befinblid) erkennen. Die: 
fen Begriff tragen wir auf aͤußere Gegenftánbe. bet, 
unb faffen bey Sórpern die Beſtimmung des Bewußt⸗ 
feynà weg, fo ba Fortdauer ein Sufammenfang vott 
Suftánben eines Subjects ift, ofne baf eine güde 
pber ein Sprung zwiſchen inen gebad)t wird. Die 
SBerfnüpfung biefer Suftánbe ift ein Werk unfeter 
Vernunft; bod) mug bie Sábigfeit, aus einem Su(tanbe 
ín ben folgenben uͤberzugehen, in bem Koͤrper gegruͤn⸗ 
bet fepn. — Der Segriff von Fortdauer ift von bet 
ſinnlichen Erfahrung gang unabfángig. Er iff ba$ 
abſtracte Merkmal des Daſeyns, welches unſere 
Vernunft den Dingen außer uns beylegt. 


Der Begriff von Wirkſamkeit iſt nichts anders, 
als ber Begriff von Urſache, auf bie Koͤrper ange: 
wandt. Die 93orftellung des Verhaͤltniſſes zwiſchen 
Urſache unb Wirkung iſt eim reiner Verſtandesbegrifß 

$í3 


⸗ 438 «3 


zu deſſen Anwendung die Sinnlichkeit nur den Stoff 


giebt. Wir muͤſſen ben Koͤrpern irgend eine Wirk⸗ 
ſamkeit beylegen, ſonſt waͤren es entweder bloß ſub⸗ 


jectiviſche Vorſtellungen, oder es muͤßte alle Veraͤnde⸗ 
rung des Zuſtandes durch Kraͤfte, die nicht koͤrperlich 
ſind, erfolgen. Dieſe waͤren entweder Vorſtellungs⸗ 
kraͤfte, oder von einer unbekannten Art. In dem 
letztern Falle muͤßten wir alle Unterſuchungen uͤber die 
Veraͤnderungen der Koͤrper gleich aufgeben, eben da⸗ 
Der, weil bie Urſachen der Bewegungen unb. Veraͤn⸗ 
derungen ganz unbekannt waͤren: in dem erſtern Falle 
aber eben fo gut, weil bie Geſetze vorſtellender Kraͤſte 
unb ber Sórpet gang unafeidjartig (inb, unb weil wir 
beide erſt ihrer innern Natur nad) kennen muͤßten, 
um zu beſtimmen, wie durch Vorſtellungen koͤrperliche 
Veraͤnderungen hervorgebracht werden. Es moͤgen 
Bewegungen durch Vorſtellungskraͤfte gewirkt werden 


koͤnnen, aber ſolche Bewegungen ſind kein Gegenſtand 
der Mechanik. 


Wir muͤſſen die Urſachen aller Veraͤnderungen 
in ber Koͤrperwelt ſelbſt ſuchen, wenn wir einen Zu⸗ 
ſammenhang derſelben entdecken und ihre Geſetze 
entwickeln wollen. Wirkt ein Koͤrper auf einen an⸗ 
dern, ſo iſt dieſer letztere einer Veraͤnderung faͤhig, 
unb daher muͤſſen wit im Allgemeinen das Vermoͤgen, 
Veranderungen ju leiden, mit bem Vermoͤgen, Ver⸗ 

aͤnde⸗ 


439 ^w 


aãnderungen feroorgubringen , verknuͤpſen. Cin Koͤr⸗ 
pet, bet blog wirkte, ohne ju leiden, waͤre von einet 
gang anbern Art, aí8 bie leibenéfáfigen, Hier ift 
aber von ben. Sórpern überfaupt bie Rede. 


3. 
Der natuͤrliche Koͤrper, im Gegenfate gegen ben 
geometriſchen, ſey ebenfalls ein zuſammenhaͤngendes, 
gleichartiges Ganzes, wie der geometriſche, ſo lange 
von dem Koͤrper uͤberhaupt die Rede iſt. Er koͤnnte 
freylich Zwiſchenraͤume haben, bie mit einem fremden 
Stoffe angefuͤllt waͤren, welcher Fall aber in bie be⸗ 
ſondere Naturlehre gehoͤrt. Es koͤnnten auch die Zwi⸗ 
ſchenraͤume ganz ohne etwas Wirkliches gedacht wer⸗ 
den, wenn die herumliegenden Theilchen ſich gegen⸗ 
ſeitig hinderten, in den leeren Raum einzudringen. 
Doch hat dieſe Vorſtellung ihre Schwierigkeiten, und 

wuͤrde durch ihre Unbeſtimmtheit unbrauchbar ſeyn. 


4. 

Man kann alſo in einem Koͤrper, ſo wie wir 

ihn hier betrachten, keinen Theil angeben, der nicht 
Wirkſamkeit haͤtte. Dieſes gilt von den kleinſten 
ſinnlichen Theilen, und auch von ſolchen, die nicht 
mehr empfunden, ſelbſt nicht einmal durch ein noch 
ſo kleines Verhaͤltniß zum Ganzen angegeben werden 
koͤnnen, das iſt, den Elementen des Koͤrpers. Die 
$f4 er(ten 


FA^ 440. "va 


erſten Grünbe der Wirkſamkeit eines Koͤrpers (inb 
freylich fein Gegenſtand ber. Erfahrung; durch feine 
Theilung, felbſt nicht durch eine intellectuelle, kann 
man auf dieſelben kommen; der Koͤrper wird nicht 
aus ihnen zuſammengeſetzt, ſondern entſteht aud den⸗ 
ſelben. Inzwiſchen muͤſſen wir dieſe erſten Gruͤnde 
bec Koͤrper auf irgend eine Art uns anſchaulich ma; 
chen. Anſtatt der Monaden, wie dieſe erſten Gruͤn⸗ 
de nach Leibnitz heißen, nehme man die Graͤnzen der 
koͤrperlichen Theile oder die Elemente des Koͤrpers. So 
entſteht die Wirkſamkeit des Ganzen aus ben. wirt; 
famen Elementen, wie ber Inhalt eines geome⸗ 
triſchen Koͤrpers aus den Graͤnzen ſeiner Theile ge⸗ 
funden wird, wenn man gleich die Groͤße dieſer Theile 
nicht angeben kann, ſondern nur. Verhaͤltniſſe derſel⸗ 
ben, ohne auf die Quantitaͤt zu ſehen, angiebt. Man 
bedient fid auch in ber Geometrie des Ausdrucks, 
Element, wenn von den letzten Verhaͤltniſſen der Un⸗ 
terſchiede zweyer Linien, Flaͤchen ober. Koͤrper bie Re⸗ 
be iſt, weil man dieſe Unterſchiede nicht als Puncte, 


Linien und Flaͤchen anſehen kann, wofern die geome⸗ 
triſche Ausdehnung ein ſtetiges Ganzes bleiben ſoll. 


5. 

Man kann auch jedem Puncte der koͤrperlichen 
Ausdehnung eine Wirkſamkeit, freylich eine ohne alle 
Graͤnzen kleine, zuſchreiben. Denn, ſo wie die Wirk⸗ 

ſam⸗ 


Vu» qqjr 69 


famfeit des Koͤrpers burd) feine gange Ausdehnung 
vetbreitet iſt, ohne bag man auf fe&te wirkſame Theile 
fommt, fo (inb aud) innerhalb des koͤrperlichen Raums 
unenbíid) viele Puncte aebenfbar, aus welchen bet 
9taum afier nicht zuſammengeſetzt wird. Wir fón; 
nen daher die Puncte, ob fie gleich nut. abſtracte 35er 
griffe ſind, mit bem Begriffe von Wirkſamkeit vet: 
binden, und dadurch die Wirkſamkeit des Ganzen 
innerhalb der ganzen Ausdehnung auf eine anſchauli⸗ 
che Art verbreiten. Insbeſondere wird dieſe Vor— 
ſtellung dazu dienen, daß die Wirkſamkeit des Gan: 
zen als in einem gewiſſen einzigen Puncte vereinigt 
ſich wird anſehen laſſen, welchen man nun fuͤr den 
Koͤrper ſelbſt nehmen kann. Dadurch wird bie 2n: 
wendung der Geometrie und Analyſis auf die Lehre 
von ber Bewegung ſehr erleichtert. Wo dieſe Ver— 
tauſchung eines wirklich vorhandenen Koͤrpers mit ei⸗ 
nem Puncte deſſelben, welcher immer eine. BloSe Ab⸗ 
ſtraction iſt, zulaͤſſig ſey, muß jedesmal gehoͤrig be⸗ 
wieſen werden, oder die zufolge dieſer Vorausſetzung 
gefundenen Saͤtze leiden noch einige Einſchraͤnkung. 


6. 

Die Wirkſamkeit der Koͤrper iſt theils eine ge⸗ 
genſeitige ber Elemente derſelben, theils eine aͤußere, 
wodurch fie in andern Koͤrpern Veraͤnderungen Der; 
vorbringen. Durch die erſtern ſind die Beſtandtheile 

$f5 bet 


PMSTR 442. A 


bet Koͤrper ju einem beſtimmten ober unbeftimmten 
Ganjen mit einanber verfnüpft; aber wir fónnen von 
dieſen Sráften, worin ber 3ujammenfang ber koͤrper⸗ 
lichen S eile, ihre ſpeciſiſche Beſchaffenheit, oft aud) 
ire Geftalt gegrünbet iQ, aus blofen Begriffen nichts 
erfennen, — C$ fommt (ebigfid) auf Grfafrung am. 
Wir fónnen , um bie Urſachen ber. Crfdjeinungen uns 
finntid) 3u madjen, einigen Elementen eine. anziehen⸗ 
be, anbern eine zuruͤckſtoßende Straft beylegen ; wir 
fónnen bie Grabe dieſer Wirkſamkeit unb. bie Groͤße 
be$ Wirkungskreiſes auf mancherley Art abgeánbert 
gedenken; voit. fónnten audj, um etwas beſtimmteres 
zu ſetzen, bie zuruͤckſtoßenden Kraͤfte bloß ben gleich⸗ 
artigen Elementen gegen einander, die anziehenden 
den ungleichartigen Elementen beylegen; allein es 
fuͤhrt uns alles dieſes hoͤchſtens nur ſo weit, daß wir 
in unſere Wahrnehmungen Einheit bringen, und es 
zu einem Regulativ gebrauchen. Ein Philoſoph wird 
hieruͤber ſo, ein anderer anders denken. Eutſcheiden⸗ 
de Gewißheit iſt hier nicht moͤglich, ohne Nachtheil 
fuͤr die Lehre von der Bewegung, weil hier die Koͤr⸗ 
pet, fo wie fie ſund, genommen werden, bie Gruͤnde 
ihrer Zuſammenſetzung aber unbefannt bleiben koͤnnen. 


7. 
Die Wirkſamkeit ber Koͤrper auf andere außet 
ihnen aͤußert ſich entweder durch Veraͤnderung in der 
Zu⸗ 


FM 443. mz» 


Sufammenfe&ung ber docile, ober durch Bewegung 
be$ Ganzen mít ober ofne eine. Veraͤnderung ber 3us 
fammenfe&ung. Von bet er(tern Art toerben mir bloß 
butd) bíe Grfabrung belehrt, unb mógen ju bet Cr; 
klaͤrung ber Erſcheinungen bie Begriffe von anziehen⸗ 
ben unb zuruͤckſtoßenden Kraͤften, Verwandtſchaft 
und Fremdheit gebrauchen, ohne darum etwas mehr 
zu leiſten, als viele Erſcheinungen auf Eine zu brin⸗ 
gen, welches aber in der That genug iſt. Es moͤgen 
auch bey ſolchen Wirkungen der Koͤrper auf einander, 
wodurch ihre Zuſammenſetzung veraͤndert wird, Kraͤfte 
in den Elementen entbunden oder gebunden werden, 
ſo daß neuer Stoff entſtanden oder der vorher beobach⸗ 
tete vermindert zu ſeyn ſcheinen kann. Alles dieſes 
gehoͤrt in die beſondere Naturlehre. 


8. 

Hier iſt bloß von der Wirkſamkeit der Koͤrper 
auf einander die Stebe, fo fern fie einer ben andern 
án Bewegung ſetzen, oder ihre Bewegungen gegen⸗ 
ſeitig aͤndern, ohne andere Veraͤnderungen in einan⸗ 
der hervorzubringen, als etwa locale Veraͤnderungen 
in ber Zuſammenſetzung der Theile, wie z. B. bey 
dem Stoße elaſtiſcher Koͤrper oder bey der Bewegung 
fluͤſſiger Koͤrper. Die Bewegung geſchieht entweder 
durch unmittelbare Beruͤhrung oder durch irgend ein 
verknuͤpfendes Mittel (z. B. ein Seil, einen Stab), 

oder 


KT 444, ma 


ober burd) eine auferfat& des Koͤrpers auf anbete 
Koͤrper fid) erſtreckende raft. 


9. 

Das Vermoͤgen bet Koͤrper, Bewegungen in 
andern hervorzubringen, kann ſehr verſchieden ſeyn. 
Iſt es in einem Koͤrper fuͤr jeden Theil von einer ge⸗ 
gebenen Groͤße daſſelbe, ſo iſt der Koͤrper in allen 
ſeinen Theilen gleichartig; im gegenſeitigen Falle iſt 
er ungleichartig. Wenn zwey Koͤrper von gleichem 
Inhalte unter einerley Umſtaͤnden ungleiche Bewe⸗ 
gungen hervorbringen, obet uͤberhaupt ungleiche Wirk⸗ 
ſamkeit aͤußern, ſo beſtehen ſie aus verſchiedener Ma⸗ 
terie. Es iſt naͤmlich Materie das Reale des $t: 
pers, wovon beffen Wirkſamkeit in Ruͤckſicht auf Be⸗ 
wegung anderer Koͤrper abhaͤngt. Dieſes iſt etwas, 
das ſich unmittelbar weder zaͤhlen noch meſſen laͤßt, 
ſondern was bloß aus den Wirkungen erkannt wird. 
Es wird darauf ankommen, ob man die Wirkungen 
auf eine beſtimmte und allgemeine Art wird meſſen 
toͤnnen. Alsdann wird bie Menge bet Materie in 
einem gegebenen koͤrperlichen Raume den Wirkungen 


proportional ſeyn. 


10. 
Maſſe eines Koͤrpers iſt gleichfalls an ſich we⸗ 


bet zaͤhlbar, nod) meßbar; abet bod) ift fie in bem jw 
fau: 


(f^ 445. ^" 


ſammengeſetzten Verhaͤltniſſe der Materie in einerg 
gegebenen Raume und des koͤrperlichen Inhalts, wenn 
wir die Materie durch eine Groͤße auf irgend eine 
Art darſtellen. 


11. 


Der Ort (die Lage) eines Punctes wird in der 
Geometrie am einfachſten durch bie Groͤße ber "Det; 
penbifel beſtiumt, welche von demſelben auf drey ſich 
einander ſenkrecht ſchneidende Ebenen gelaſſen werden. 
Der Durchſchnittspunct dieſer drey unveraͤnderlichen 
Ebenen iſt unveraͤnderlich, unb ein feſter Punct, auf 
welchen jeder andere Punct bezogen wird. 


Man kann auch den Ort eines Punctes durch 
die Entfernung deſſelben von einem feſten Puncte 
und durch die Lage dieſer Entfernungslinie gegen eine 
beſtimmte Ebene angeben. Die Lage einer Linie AP 
gegen eine Ebene wird durch zwey Winkel beſtimmt, 
beren einer derjenige iſt, welchen eine in. ber. Ebene 
durch den feſten Punct gezogene gerade Linie mit der 
Durchſchnittslinie der Ebene und einer durch die 
Linie AP auf dieſelbe ſenkrecht geſtellten Ebene macht; 
der andere der Winkel der Linie AP mit dieſer Durch⸗ 
ſchnittslinie iſt. So wird in der Aſtronomie der ſchein⸗ 
bare Ort eines Weltkoͤrpers in Abſicht auf die Ebene 
des Aequators durch Rectaſcenſion unb Declination, 

in 


f^vF^ 446 ^ue 


in Abſicht auf bie Gfliptif durch Laͤnge unb Breite, 
unb ín Abſicht auf ben Horizont burd) Azimuth unb 
Hoͤhe angegeben, San fónnte ben Ort eines Punctes 
nod) auf anbere Arten beftimmen; aber jene beiben 
Methoden finb bie bequemften. 


Bey einem eimelnen Puncte iſt noch von feinem 
Orte bie 9iebe; aud) bey zwey Suncten. nod) nidjt, 
als welche bloß eine Entfernung haben. Von brey 
Puncten wird ber Ort ober bie. Lage des einen P in 
Abſicht auf bie beiben anbern A, B, burd) bie beiden 
fDerpenbife beftimmt, welche, in ber Ebene bet brey 
fpuncte, eines auf bie Cinie durch A unb B, das att 
bere auf bie durch A ober B geaen bie €inic AB fenf; 
tete gefaͤllt werden. Ober. man 6efttmmt bie Linie 
AP un^ iren Winkel mit AB. Sind mehr als brey 
Puncte in einer. Ebene vorfanben, fo genügt e$ füt 
jeben an zwey Perpendikeln obet. emet. Cntfernung& 
linie unb. bem Winkel berfeíben mit einer. gegebenen 
Linie in der Ebene, ín welcher bie Puncte befindlich 
ſind. 

12. 

Die Bewegung eines Punctes iſt in der Geo⸗ 
metrie die ſucceſſive Veraͤnderung ſeines Orts, wenn er 
in allen Puncten einer begraͤnzten oder unbegraͤnzten 
Linie, die als Spuren ſeines Weges bleiben, nach 
einander gedacht wird. Die Linie kann man entweder 


durch 


FXPYR 447 5 


durch die Bewegung be$ Punctes entſtehen laſſen, 
oder man gedenkt ſie ſich vor der Bewegung des 
Punctes auf derſelben, und unterſcheidet bey der Be⸗ 
wegung den ſich bewegenden Punct von den Puncten 
der beſchriebenen Linie. 


I3. 

Die relative Bewegung eines Puncts ift bie 
fGeránberung ber. Groͤßen, wodurch fein Ort. gufofge 
6. rir. beſtimmt wird. Abſolute Bewegung ift ber 
Weg be$ Punctes felb(t, ſowol ber Groͤße nad), ale 
aud) mít Ruͤckſicht auf bie Richtung in jebem Puncte 
be$ Weges. Dieſe abfolute Bewegung deutlich bar: 
zuſtellen und zu zergliedern, dienen die zuſammenge⸗ 
hoͤrigen Veraͤnderungen der Groͤßen, wodurch der Ort 
des ſich bewegenden Punctes in jedem Puncte ſeines 
Weges beſtimmt wird. Bey jeder dieſer beſondern 
Veraͤnderungen ſetzt man die andern bey Seite, und 


erleichtert ſich dadurch die Vorſtellung der abſoluten 
Bewegung. 


14. 

Die Zerfaͤllung der Bewegung eines Punctes 
iſt die Beſtimmung der relativen Bewegungen aus 
der abſoluten. Die Zuſammenſetzung der Bewe⸗ 
gung iſt bie Beſtimmung ber abſoluten aus ben te: 
lativen. Bey ber Zerfaͤllung unb. Sufammenfegung 

ber 


(T^ 4489. ass 


ber Bewegung, wird gewoͤhnlich der Ort burd) drey 
Perpendikel auf drey gegebene Ebenen, oder wenn 
die Bewegung in einer und derſelben Ebene geſchieht, 
durch Perpendikel auf zwey gegebene gegeneinander 
ſenkrechte Linien beſtimmt. Die abſolute Bewegung 
wird alsdann durch die geradlinichte Bewegung dreyer 
oder zweyer Puncte, mad) gegebenen. Richtungen, 
dargeſtellt. 


15. 

Das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten in 
je zwey Puncten einer krummlinichten Bahn, iſt das 
letzte Verhaͤltniß der von dieſen Puncten aus beſchrie⸗ 
benen Wege, wenn der zu dieſen Wegen gehoͤrige 
relative Weg nad) einer. gewiſſen Richtung unveránr 
derlich iſt. 


Die Geometrie und Analyſis wiſſen nichts von 
Zeit. Denn wenn gleich bey der Bewegung, ſo weit 
ſie in der Geometrie betrachtet wird, eine Succeſſion 
iſt, ſo folgt doch nicht, daß mit derſelben der Be⸗ 
griff der Zeit nothwendig verknuͤpft ſey. Bey bloß 
intellectuellen Vorſtellungen von Groͤßen und den For⸗ 
men ihrer Zuſammenſetzungen, auch der ſucceſſiven, 
kann keine beſtimmte Dauer gedacht werden; alſo 
muß, eben wegen ber Unbeſtimmtheit, die Dauer gang 


entfernt werden. Dagegen geben mir bern. 2Beor, 
wel⸗ 


A49 ^"2cv 


welchen ber Punct nad) einer ber. relativen Bewegun⸗ 
gen beſchreibt, durchaus gleiche Theile, ober laſſen 
das Perpendikel, welches ſeinen Ort nach einer ge⸗ 
wiſſen Richtung beſtimmt, immer mit gleichen Thei⸗ 
len zunehmen oder abnehmen, indem die andern bei⸗ 
den Perpendikel (bey der Beziehung des Ortes auf 
drey Ebenen) und der Weg des Punctes ſelbſt mit un⸗ 
gleichen Theilen ſich veraͤndern. Wir vergleichen den 
abſoluten Weg mit jenem relativen ſich gleichfoͤrmig 
veraͤndernden Wege, unb nennen dieſes Verhaͤltniß 
der abſoluten und relativen Veraͤnderung des Ortes 
das Verhaͤltniß ber abſoluten unb relativen Geſchwin⸗ 
digkeit; daher auch das Verhaͤltniß ber abſoluten We⸗ 
ge, die zu gleichen relativen gehoͤren, das Verhaͤltniß 
der Geſchwindigkeiten heißt. Nur muͤſſen hier, weil 
die Verhaͤltniſſe ſich mit der Groͤße der Wege aͤndern, 
die letzten Verhaͤltniſſe genommen werden, die von 
ber Groͤße der Wege unabhaͤngig ſind *). 
Die 
*) Folgende Stelle aus Newtons Methodo fluxionum 
wird dieſes ſehr gut erlaͤutern und beſtaͤtigen. Er 
ſagt, es komme bey dieſer Methode auf zwey Pro⸗ 
bleme an, deren eine heißt: Longitudine deſeripti 
ſpatii femper (i. e. quovis Temporis momento ) 
data, invenire velocitatem motus Tempore pro- 
pofito ; ba$ andere: Velocitate motus femper: data, 
invenire longitudinem ſpatii defcripri Tempore 
propofito. Sun fügt biefer grofe Mathematiker 
pbilof. t1jag. *. Gr. Q 3 bin: 


f^. 450 ^w au. 


Die SDerpenbifel, wodurch ber Ort eines fid) be 
totgenben *Duncte$ an jeder Stelle feine. Weges 5e; 
flimmt roitb, finb bie Coorbinaten ber krummen Linie, 
welche ber Punct beſchreibt. Die Differentialen ober 
Fluxionen der Coordinaten und des Weges verhalten 
fid) wie bie relativen Geſchwindigkeiten nad) ben Rich— 
tungen ber Coorbinaten unb bíe abfolute Geſchwindig⸗ 
feit auf der Bahn felb(t. — Das Differential einer bec 
Coorbínaten iſt unveraͤnderlich, unb vertritt bie € telle 
ber Seit. Gin Differential muß immer unveraͤnderlich 
genommen werben, roenn man die Differentiale einer 


Groͤße 


Ding: Cum autem hic Tempus tantum conſide - 
randum veniat, tanquam expofitum «t menfurt* 
tum aequábili motu locali, et praeterea, cum folae 
quantitates ejusdem generis invicem comparari 
valeant, ut et velocitates, quibus augentur aut 
minuuntur: Idcirco in iis, quae fequuntur, Tem. 
pus formaliter non confidero, fed fuppono, quod 
una.ex fuppofitis Quantitatibus homogenea cum 
aliis crefcat aequabili luxu, ad quam ceterae, tane 
quam ad Tempus referantur, quae ideo per Anz- 
logiam non inconcinne dici poteft Tempus. Quo- 
ties igitur Tempur in fequentibus invenierur (eam 
autem faepiufcule uſurpavi perfpicuitatis et diítine 
&ionis caufa) hoc verbum fumendum eft, non 
quafi Tempus intellexiffem in fua forma/i fignifica- 
tione, fed tanquam fignificans Quantitatem | illam 
a Tempore diverfam, cujus aequabili incremente 
«el Fluxu Tempus exponitur et meníuratur. 


mA 45r ^34 


Groͤße (n ihren verſchiedenen Zuſtaͤnden vergleichen 
will. Bey der geradlinichten Bewegung braucht man 
in der Geometrie alles dieſes nicht. Dieſe iſt, wenn 
man ſie in der Geometrie betrachten wollte, gleich⸗ 
foͤrmig. 

16. 

Die Richtung der Bewegung iſt, wenn bet 
Punct eine gerade Linie beſchreibt, dieſe Linie ſelbſt, 
nach der Gegend, wohin er ſich bewegt; wenn der 
Weg eine krumme Linie iſt, iſt die Richtung die Be⸗ 
ruͤhrungslinie in dem Puncte, wo ſich der beſchreiben⸗ 
de Punct befindet. Wenn die Bewegung in einer 
und derſelben Ebene geſchieht, ſo wird die Richtung 
durch die relativen Geſchwindigkeiten nach den be⸗ 
ſtimmten Richtungen der zerfaͤllten Bewegung eben 
ſo beſtimmt, wie durch die Differentialen der Coordi⸗ 
naten. Bieibt der Punct nicht in derſelben Ebene, 
ſo wird ſowol die jedesmalige Lage der Ebene, in wel⸗ 
det fid) zwey naͤchſte Elemente ber Bahn befinden, 
als bie Nichtung (m dieſer Ebene durch bie relati⸗ 
ven Geſchwindigkeiten oder die Differentialen der Coor⸗ 
dinaten nad) ben Richtungen dieſer Geſchwindigkel⸗ 
ten beſtimmt. 

x7. 
Der Ort eines Koͤrpers wird durch elnen fes 


ner Puncte auf dieſelbe Art, wie der Ort eines Punctes 
Gg4 in 


Fre 452 wa 


in bet Geometrie angegeben. Es kommt babey fcey: 
lich nod) auf mefrere "Duncte des Sórperé an, um 
feine Lage vállig zu beſtimmen. — Sn fer. vielen Faͤl— 
len genügt eó, wenn ber Ort beéjenigen Punctes 
angegeben wird, ín welchem bie ganje Wirkſamkeit 
vereint gedacht werden fann. 


Dieſe Beſtimmung ift ganj geometrifj. Sm 
Allgemeinen (inb bie Ebenen ober bie Cinien, auf mels 
che ber. Ort des Koͤrpers bezogen voítb willkuͤhrlich. 
Hingegen in der Natur ſelbſt ſind uns die Koͤrper ge⸗ 
geben, und die Ebenen oder Linien, wodurch wir 
ihre Oerter beſtimmen, ſind nicht willkuͤhrlich, weil 
man ſolche waͤhlen muß, die zu den Beobachtungen 
atm bequemſten liegen, ober bie ſonſt Vottheil für die 
Berechnung unb Meſſung verſchaffen. 


18. 

Die Bewegung eines Koͤrpers iſt ebenfalls 
die Veraͤnderung ſeines Orts, der auf einen feſten 
unveraͤnderlichen Punct bnrd) eine ber geometriſchen 
Methoden bezogen wird. Hier iſt bloß von der fort⸗ 
ſchreitenden Bewegung die Rede, bey welcher alle 
Puncte nach parallelen Richtungen fortgehen. An⸗ 
dere Bewegungen, als die drehende um eine Axe, die 
ſchwingende Bewegung geſpannter Saiten ober bet 
Lufttheilchen, die Bewegung fluͤſſiger Koͤrper in Roͤh⸗ 

ren, 


K*u»f^ 453 


tem, 65 fie afeid) aud) aus allgemeinen Grundſaͤtzen 
Detgeleitet roerben koͤnnen, follen Diet bey Seite gt; 
ftt. erben. 

Die Bewegung eines Koͤrpers, unb eines geome⸗ 
triſchen Puncts oder einer Linie, ſind darin unter⸗ 
ſchieden, daß die letztere bloß etwas Subjectives ent⸗ 
haͤlt, und nach irgend einer bloß mathematiſchen Vor⸗ 
ausſetzung oder Bedingung geſchieht; dagegen die Be⸗ 
wegung eines Koͤrpers durch aͤußere Urſachen, nach 
beſtimmten Geſetzen, hervorgebracht und veraͤndert 
wird, alfo auch, wenn keine aͤußere Urſache vorhan⸗ 
ben iſt, ganz ungeaͤndert bleibt. 


Der feſte unveraͤnderliche Punct kann der Haupt⸗ 
punct eines Koͤrpers ſeyn, ben man als unbewegt an; 
fleht. Freylich laͤßt es ſich durch Erfahrung nie Ber 
weiſen, daß ein Koͤrper ruhe. Wenn aber ein Sy⸗ 
ſtem von Koͤrpern mit einem unter ihnen eine und 
dieſelbe Bewegung nad) einer gewiſſen Nichtung Dat, 
indem ſie zugleich, dieſen ausgenommen, ſich wie es 
ſey, bewegen, ſo ruhte dieſer Koͤrper in Beziehung 
auf die andern. Dieſes fuͤhrt uns auf den Begriff 
vom abſoluten und relativen Raum. 

19. 

Raum iſt bie abſtracte unbegraͤnzte Ausdehnung, 
worin allenthalben ein Koͤrper vorhanden ſeyn, ſich be⸗ 
wegen, und auf andere Koͤrper wirken kann. 

G83 In 


Syn ber. Geometrie ocbraud)it man den Raum, 
wenn man. (fn nótfía finben follte, nut, um barin 
Linien zu ziehen, Gbenen ju legen, Koͤrper fid) zu 
gedenken und neben einander zu ſtellen. Aber man kann 
ſich Linien und Ebenen gedenken, ohne den nach allen 
Seiten und Richtungen ansgedehnten Raum dabey 
mitzunehmen. Bey der Erzeugung eines Koͤrpers, 
z. B. eines Kegels, gedenkt man ſich keinen andern 
koͤrperlichen Raum, als den durch bie Kegelflaͤche bes 
graͤnzten. Wenn man Koͤrper neben einander ſtellt, 
um ſie zu vergleichen, z. E. zwey verſchiedene Pyra⸗ 
miden von einerley Grundflaͤche und gleicher Hoͤhe, ſo 
iſt es ganz gleichguͤltig, wie ſie neben einander geſtellt 
werden, außer daß ſie nur zwiſchen denſelben paralle⸗ 
len Ebenen liegen Euklides gebraucht den Begriff 
des Raums zur Stereometrie nicht. Syn ber Me— 
chauik hat man aber den Begriff des Raums noͤthig, 
weil wirkliche Koͤrper einen durch aͤußere Urſachen be⸗ 
ſtimmten, nicht willkuͤhrlichen Ort haben, und als 
wirkend in Abſicht auf andere betrachtet werden. Eine 
andere Urſache, warum ber Begriff des Raums nó: 
thig wird, ift ber im vorherg. $. angegebene Fall, 
wovon gleich in der Folge. 


Im gemeinen Leben ſagt man, es iſt Raum 
fuͤr einen Koͤrper da, wenn es moͤglich iſt, daß er in 
einer gewiſſen naͤhern Verbindung mit andern Koͤrpern 

vor⸗ 


455 Tun, 


vorhanden ſey. Oder: der Koͤrper hat Raum ſich zu 
bewegen, wenn andere Koͤrper es ibm nicht unmoͤg⸗ 
lich machen, ſeinen Ort zu veraͤndern. Hier iſt Raum 
die Bedingung der Moͤglichkeit des Daſeyns und der 
Bewegung. In der allgemeinen Mechanik wird 
man den zuerſt gegebenen abſtraeten Begriff einer. uns 
begraͤnzten geometriſchen Ausdehnung am brauchbar⸗ 
ſten finden. 


20. 

Der Raum fann entweder leer gedacht tverben, 
wenn nichts vorhanden iſt, was die Bewegung eines 
Koͤrpers aufhalten oder veraͤndern koͤnnte, außer den 
Urſachen, die als Bedingungen ſeiner Bewegungen 
angenommen werden, naͤmlich andere beſtimmte Koͤr⸗ 
per, die auf gewiſſe Art auf jenen wirken, z. E. die 
Sonne und die Planeten, in Abſicht auf die Erde, 
wenn aud) ſonſt der Himmelsraum ganz frey ift. 


Oder ber Raum wird mit einer fluͤſſigen Ma— 
terie angefuͤllt gedacht, die zwar allenthalben dem be⸗ 
wegten Koͤrper ausweicht, aber doch ſeine Bewegung 
durch ihren Widerſtand aͤndert. 


2I. 
Der abfolute 9taum iſt berjenige, in welchem 

ein Punct unbewegt iſt; der relative Raum, in wel⸗ 
884 chem 


fF 456. "wc? 


dem fein Punct ruhet, obgleich in demſelben eim 
Punct vorhanden iſt, oder ſeyn moͤchte, welcher in 
Abſicht auf die in dieſem Raume bewegten Koͤrper ruht. 


In dem Falle, daß ein Syſtem von Koͤrpern 
fich um einen Punct bewegt und zu gleicher Zeit nach 
einer gewiſſen gemeinſchaftlichen Richtung getrieben 
wird, gedenke man ſich den Theil des unbegraͤnzten 
Raums, in welchem das Syſtem ſich befindet, von 
dem uͤbrigen abgeſondert, und gebe die gemeinſchaft⸗ 
liche Bewegung der Koͤrper allen Puncten dieſes ab⸗ 
geſonderten Raums, nad) derſelben Richtung, fo laſe 
ſen ſich die gegenſeitigen Bewegungen der Koͤrper des 
Syſtems ohne die gemeinſchaftliche Fortruͤckung aller 
betrachten. Dieſe Bewegungen ſind aber wirklich nur 
relative, mit welchen man die Bewegung des abge⸗ 
ſonderten Raums verknuͤpfen muß, um die abſoluten 
Bewegungen zu erhalten. Es wird vorausgeſetzt, 
daß alle Koͤrper des Syſtems dieſelbe gemeinſchaftliche 
Bewegung nach einer gewiſſen Richtung haben; ſonſt 
wird der Fall zu ſchwer, als daß man ſich durch die 
Abſonderung des bewegten Raums von dem undbe⸗ 
wegten helſen koͤnnte. 


Auf der Erde hat man ein Beyſpiel an den Be⸗ 
wegungen auf einem Schiffe; am Himmel an den 
Bewegungen der Sonne, der Planeten und der Ko⸗ 

meten, 


CO&AVf^ 452 ^34» 


meten, welche Koͤrper zuſammen eine gemeinſchaftliche 
Bewegung nach einer gewiſſen Gegend des Univerſums 
haben. Der Mond und die Erde machen ein Sy⸗ 
ſtem aus, worin aber beide nicht auf gleiche Art ge⸗ 
gen die Sonne getrieben werden. 


22. 

Die Theile des von einem Koͤrper beſchriebenen 
Weges ſind Merkmale ſeiner Fortdauer. Die 
Fortdauer zerfaͤllt auf aͤhnliche Art in Abſchnitte, wie 
ber beſchriebene Weg in Theile. Wenn auf ben be; 
wegten Koͤrper aͤußere Urſachen wirken, ſo geben die 
Theile bed beſchriebenen Weges nicht allein Merkmale 
der Fortdauer, ſondern auch des in Abſicht auf die 
Bewegung veraͤnderten Zuſtandes ab. Sie ſind alſo 
nun nicht geſchickt, die Abſchnitte der Fortdauer zu 
meſſen. Zu dem Ende muß der Koͤrper ganz frey 
von allec aͤußern Einwirkung gedacht werden. 


23: 
Die Seit ift ein Abſchnitt in ber gortbauer eines 
von aller aͤußern Einwirkung ftepen bewegten Koͤrpero, 
und proportional dem beſchriebenen Wege. 


Ein ruhender Koͤrper giebt feine. aͤußere Sect: 
male der Fortdauer; ein bewegter Koͤrper, welcher 
der Wirkung einer aͤußern Urſache ausgeſetzt iſt, auch 

G85 nicht 


FMOTR 259. «wa 


nit ($. 22.); wird aber bie Bewegung bird) feine 
áufere Urſache veránbert, fo ift fie gang allein. eit 
Merkmal ber Fortdauer des Koͤrpers in. bem Zuſtan⸗ 
de, worin er ſich befindet, ſo fern wir dieſen Zuſtand 
bloß als etwas Inneres anſehen, das durch bie Ver⸗ 
aͤnderung des Orts nicht veraͤndert wird. Die Ab⸗ 
ſchnitte des Weges ſind alfo reine Merkmale ber Ab⸗ 
ſchnitte der Fortdauer oder der Abſchnitte der Zeit, 
und daher ſind die Wege den Zeiten proportional. 


24. 

Die Bewegung eines Koͤrpers ift gleichfoͤrmig, 
wenn keine aͤußere Urſachen auf ihn wirken. Sie iſt 
alsdann auch geradlinicht, weil jede krumme Linie in 
jedem ihrer Puncte eine beſtimmte, veraͤnderliche ober 
unveraͤnderliche Kruͤmmung fat, bie Bep einem wirk⸗ 
lichen bewegten Koͤrper von einer aͤußern Urſache ab⸗ 
haͤngen mnf. 


25. 

Wenn aͤußere Urſachen auf einen. Koͤrper toitfen, 
ſo wird entweder bloß die Laͤnge des Weges geaͤndert, 
welchen er ſonſt, ohne jene Einwirkung, in irgend 
einem Abſchnitte ſeiner Fortdauer wuͤrde beſchrieben 
haben. Die Bewegung bleibt geradlinicht, iſt aber 
ungleichfoͤrmig. Oder die Richtung wird bloß ge⸗ 
énbert, nicht aber ber Weg, ber in einer gewiſſen 

gerit 


FRAYTM 459. ^w» 


Seit nad) bet geraden Cinie beſchrieben waͤre. Die 
Bewegung bleibt nun gleichfoͤmig Ober es wird 
ſowol die Laͤnge des Weges als bie Richtung deſſelben 
geaͤndert, und die Bewegung iſt krummlinicht und 
ungleichfoͤrmig zugleich. 


26. 


Die Selten. werden bloß durch Zahlen ausge⸗ 
druͤckt, welche fid) wie bie gleichfoͤrmig beſchriebenen 
Wege verhalten. Wir koͤnnen ſie nicht anders als 
durch Zahlen darſtellen, wenn wir fie von ben 28e: 
gen ſelbſt unterſcheiden, da der Begriff von Zeit nichts 
Sinnliches iſt, welches unmittelbar gegeben werden 
koͤnnte. Die Einheit der Zeit iſt voͤllig willkuͤhrlich, 
wie jede Zahl⸗Einheit. Man nehme einen willkuͤhr⸗ 
lichen Theil des gleichfoͤrmig beſchriebenen Weges, und 
nenne bie Seit, bie ber Koͤrper dazu gebraucht, bie 
Einheit ber 3eit, fo giebt jeder andere Weg dieſes 
gleichfoͤrmig bewegten Koͤrpers, dividirt durch jenen 
feſtgeſetzten Weg, die Zeit. Und der Weg, dividirt 
durch bie Zeit, giebt bie Einheit fuͤr den Weg. 


27. 

Man mufi fid) alfo einen Koͤrper A gedenken, 

der ſich gleichfoͤrmig bewegt, um durch die Wege 
deſſelben die Zeiten zu meſſen. Bey der Be— 
wegung eines andern Koͤrpers B, es ſey nun einer 
gleich⸗ 


^" (460 "em 


oleichfoͤrmigen ober. ungleichfoͤrmigen, wird bie Zeit 
butd) ben Weg des Koͤrpers A, ben dieſer mit B gu, 
gleich beſchreibt, vermitteljt irgend einer Einheit für 
die Wege als eine Zahl dargeſtellt. 


In der Natur haben wir zweyerley Einheiten 
fuͤr die Zeit, die wir auch beide gebrauchen, die Zeit 
einer. Umdrehung bet Erde um ihre Axe, unb die 
Zeit eines Umlaufes derſelben um die Sonne. Die 
Umdrehung der Erde ſehen wir als gleichſoͤrmig am, 
ſo daß ein Punct des Aequators oder eines Parallel⸗ 
kreiſes auf der Erde die Bewegung, die er hat, ohne 
aͤußere Einwirkung fortſetzt. Wenigſtens ſetzen mit 
den Einfluß des Mondes, den dieſer etwa haben koͤnn⸗ 
te, bey Seite. Nun nehme man den Umfang des 
Aequators oder irgend einen Theil deſſelben zur Ein⸗ 
heit des Weges, ſo iſt ein Tag (Sterntag, nicht 
Gonnentag) ober die bem angenommenen Theile pror 
portionale Seit ( Ctunbe, Minute, Secunde,) bie 
Einheit bet Seit, Die Seit be$ lmlaufe$ um bie 
Sonne, aí$ Einheit betradjtet, ift ein Syabr. Wir 
nehmen bie Jahre gleid) groß, wiewol hier eine gang 
kleine Ungleichheit Statt haben moͤchte. Nur ſind 
hier die Abſchnitte des Weges nicht den Zeiten pro⸗ 
portional, ſondern, wie die Aſtronomie lehrt, ſind 
bie Flaͤchenraͤume um bie Sonne ben Zeiten propor; 
tíonaf , bie kleinen Abweichungen wegen ber. Cinmir: 

kung 


"vr. 46r s 


fung ber dirigen Himmels koͤrper nicht geredjnet. Da⸗ 
her müffen die Abſchnitte des Syabré durch Umdre— 
hungen ber Erde unb Theile derſelben ausgedruͤckt 
werden. 


28. 
Das Verhaͤltniß der Geſchwindigkeiten bey 
gleichfoͤrmigen Bewegungen iſt das Verhaͤltniß ber 
Raͤume, die in gleichen Zeiten beſchrieben werden. 


Wenn der Weg eines Koͤrpers A durch s, die 
Zeit burd) t, ín Beziehung auf eme gewiſſe Einheit, 
bezeichnet wird, fo it ber ín ber Zeit ; Cinfeit 
beſchriebene Weg. 


Wird der Weg eines andern Koͤrpers B durch 
S, bie Seit durch T ausgebrudt, fo iſt für dieſen 


S 
q der in ber acit ; Ginfeit beſchriebene Weg. Alſo 
derhalten fid) bie Geſchwindigkeiten mie * : . Der 


Kuͤrze wegen nennt man den Quotienten TE 
ſchlechtweg bie Geſchwindigkeit, welche alsdann nichts 
anders als der in einer beſtimmten Zeit gleichfoͤrmig 
beſchriebene Raum iſt, aus deſſen Groͤße bie Geſchwin⸗ 
digkeit erkannt wird. 


29. 


f^AYFR 462. ^n 


29. 

Bezeichnet man. für denſelben Sórper A irgend 
eine Seit butdy t, unb eine andere Zeit burd) t t At; 
beéaleid)en den Weg ín jener Seit durch s, ben Weg 
in biefer bur s t As, fo i(t bey ber gleichfoͤrmigen 


AS 
Bewegung 47 —— bet Geſchwindigkeit. Bezeichnen 
As 
toit biefe durch v, fo ift Ato" 


40. 


Iſt bie Bewegung ungleichfoͤrmig, fo ift ble Ge 
ſchwindigkeit veránberlid), unb ín jebem 3eítabfd)nits 
te, er mag fo klein, als man will, genommen werden, 
von einer anberm Groͤße. Die Geſchwindigkeit in 
ſedem Puncte des Weges iſt ſo groß, als diejenige ſeyn 
wuͤrde, mit welcher er gleichſoͤrmig fortgienge, wenn 
bie aͤußern Urſachen von dieſem Puncte des Weger an 
aufhoͤrten auf ihn zu wirken. Dieſe Geſchwindigkeit 


Às 
wird burd) ber Quotienden "i deſto genauer angeger 


ben, je kleiner der Naumtheil As und bas dazu gehoͤ⸗ 
rige Zeittheil At iſt. Sie kann aber doch nicht voͤllig 
genau dadurch angegeben werden, ſo lange As und At 
noch endliche Groͤßen ſind, die ſich durch Maaß und 
Zahl darſtellen laſſen. Mm die Geſchwindigkeit voll 

Font 


FMOT^ 463 ^X 


fommen darzuſtellen, muf man anftatt T bie Gráni 
t 


ze fe&en , welcher fid) dieſer Quotient ofne Ende ná 
fert, je kleiner As unb At genommen werden. Dieſe 


d 
wird butd) ^ bezeichnet, wo ds unb dt bie verſchwin⸗ 


benben Unterſchiede zweyer Wege unb Selten bezeichnen, 
auf deren Verhaͤltniß bie Groͤße derſelben keinen Cin; 
fluß hat. Die veraͤnderliche Geſchwindigkeit heiße v, 
fo iſt bie allgemeinſte Formel ber. Mechanik dieſe: 


— — V 


dt 
Ote gilt aud) für gleichfoͤrmige Bewegungen, tvo 
ble Geſchwindigkeiten eben. fo gut. burd) bie kleinſten 
ff8ege unb Seiten als durch groͤßere Wege unb Zeiten 
dargeſtellt werden. 


3t. 

fun ift bie rage, mo ble Urſache bet verá 
berten Bewegung zu ſuchen iſt. Wenn wir bie. Wir⸗ 
kung intellectueller Kraͤfte ausſchließen, ſo liegt ſie in 
den Koͤrpern ſelbſt. Was ſonſt ſie enthalten koͤnnte, 
liegt außer unſerm Geſichtskreiſe, und kann alſo in 
unſere Philoſophie und Rechnung uͤber Bewegung 
nicht hineingebracht werden. Wollen wir den Naum 
außer den Koͤrpern mit einer hoͤchſt feinen fluͤſſigen 
Mate⸗ 


⸗464 ^at 


Materie ausfüllen, fo wird dieſe, wenn fie ſelbſt tut, 
bloß Bewegung vermindern, nicht beſchleunigen koͤn⸗ 
nen, und zwar nur nach der Richtung der Bewegung. 
Bewegte fie fid) gleichſfoͤrmig nach derſelben Richtung, 
fo wollen mir nod) nicht fragen, woher fie dieſe Des 
wegung babe, fonbern nut, woher bet Strom urn: 
aufhoͤrlich ſortfließe, wie c8 bod) ſeyn muf, menu 
wir barín cine Urſache der Bewegung fudyen vollen. 
Bewegt fid bíe fluͤſſige Materie ín einem. Seife obet 
fonft ín bie Stunbe, fo í(t wieder bie Frage, woher 
bie Ablenkung von ber geraben Linie, welche auf$ 
neue eine aͤußere Kraft bey dieſer flüffigen Materie 
vorausſetzt. I: Damit wird nidt bie Moͤglichkeit, felbft 
nicht bie Wahrſcheinlichkeit einer. folem Materie ges 
feugnet, nur das wird geleugnet, daß fie Urſache 
ber Veraͤnderung ber Bewegung anberé als burd) ben 
Widerſtand feyn koͤnne. Es wird ſogar in einem voll; 
ſtaͤndigen Syſtem der Mechanik nothwendig ſeyn, die 
Wirkungen einer ſolchen fluͤſſſgen, beweglichen, wider⸗ 
ſtehenden Materie zu unterſuchen. 


32. 

Die Fortdauer eines Koͤrpers enthaͤlt ben Be⸗ 
griff von etwas Unveraͤnderlichem, das aber mit vers 
aͤnderlichen Beſtimmungen verknuͤpft iſt. Ein innerer 
Grund bec Veraͤnderlichkeit kann nicht ín einem Koͤr⸗ 
per gedacht werden, man muͤßte ihn dann ſich als 

ſelbſt⸗ 


K^AvYM 465 ^w 


ſelbſtthaͤtig gedenken, wozu Vorſtellnngs⸗ unb Willens⸗ 
kraft gehoͤren wuͤrden, ober man muͤßte ihn aus un: 
gleichartigen auf einander wirkenden Theilen zuſam⸗ 
menſetzen, wovon bier nicht die Rede ift, ſondern erſt 
in der ſpeciellen Phyſik gehandelt werden kann. Hier 
im Allgemeinen betrifft alle Veraͤnderlichkeit bloß die 
Bewegung, nad) ihrer Richtung und Geſchwindig⸗ 
keit. Warum die eine oder die andere oder beide auf 
dieſe unb feine andere Art ohne aͤußere Urſachen ge⸗ 
aͤndert wuͤrden, laͤßt ſich aus einem innern Grunde 
nicht begreifen. Die Abweichung von der Richtung 
koͤnnte fo qut auf bie eine als bie andere Seite aer 
ſchehen, unter eínem grófern ober kleinern Winkelz 
die Geſchwindigkeit fónnte fif) mehr ober weniger 
veraͤndern, eben ſo gut zunehmen als abnehmen, oder 
ſo gut abnehmen als zunehmen. Es muß ein aͤußerer 
Grund der Veraͤnderung der Bewegung da ſeyn, und 
wenn der Koͤrper aus der Ruhe in den Zuſtand der 
Bewegung verſetzt wird, eine Urſache dieſer Bewegung. 
Sonſt koͤnnen wir uͤber Bewegung gar keine Betrach⸗ 
tungen anſtellen; alles waͤre willkuͤhrlich, wenn wir 
die Urſache des Ueberganges von Ruhe zur Bewegung 
unb bet Veraͤnderungen ber Bewegung in ber Koͤr⸗ 
per ſelbſt ſuchen wollten. 


Wir ſchreiben alſo dem Koͤrper ein Beharrungs⸗ 
vermoͤgen zu, das iſt, eine Unveraͤnderlichkeit ſeiner 
Philoſ. Mag. 4. Gt. $5 Fort⸗ 


A466 


Fortdauer in Abſicht auf Ruhe und Bewegung, ſo 
fern nicht aͤußere Urſachen auf ihn wirken. Zufolge 
dieſes Beharrungsvermoͤgens beſchreibt er eine gerade 
Linie gleichfoͤrmig, wenn er in Bewegung iſt, und 
alle aͤußere Urſachen einer Veraͤnderung entfernt met; 
ben. Das Beharrungsvermoͤgen ift nidt als eine 
Kraft anjufeben , als welche eine beſtimmte Urſache 
der in einem andern Koͤrper gewirkten Veraͤnderungen 
iſt. (Von Hervorbringung oder Zuſammenſetzung oder 
Entwickelung iſt hier nicht die Rede.) Ein Srpet 
braucht keine Kraft zur Fortdauer, obgleich Kraft 
erfordert wird, ſeine Fortdauer anders zu beſtimmen, 
das iſt, ſeinen Zuſtand in Abſicht auf Ruhe oder Be⸗ 
wegung zu veraͤndern. 
33- 

Inzwiſchen finbert ba8 Uwermoͤgen be$ Koͤr⸗ 
pers, feine Bewegung durch eine innere raft zu aͤn⸗ 
dern, nicht, daß er nicht in einem andern Koͤrper 
eine beſtimmte Bewegung hervorbringen koͤnne. 
Denn der Begriff des Daſeyns enthaͤlt nicht bloß den 
Begriff einer bedingten Unveraͤnderlichkeit, ſo fern 
aͤußere Urſachen bey Seite geſetzt werden, ſondern 
auch den Begriff von Wirkſamkeit. Jene bedingte 
Unveraͤnderlichkeit iſt nur der erſtere Grad des Seyns; 
die Veraͤnderlichkeit des Zuſtandes ſetzt wieder Wirk⸗ 
ſamkeit voraus, oder man muͤßte die Urſachen außer 
bec. Koͤrverwelt ſuchen. Ohne dieſe Wirkſamkeit, 

als 


fAvrA 462 


als eine Folge aus bem Begriffe bed Daſeyns, koͤnnen 
wir gar keine Unterſuchungen uͤber die Bewegung an⸗ 
ſtellen. Intellectuelle Urſachen ſollen bier ausgeſchloſe 
fen ſeyn; ein fluͤſſgges Mittel, welches einige zur Gt; 
klaͤrung der Bewegungen gebraucht haben, fónnen mit, 
ohne einen Kreis in der Erklaͤrung ju becefen, auch 
nicht annehmen: es bleibt alſo nichts uͤbrig, als den 
Koͤrpern ſelbſt eine gegenſeitige Kraft beyzulegen. 
Freylich wird hiedurch nicht erklaͤrt, wie dieſe Wirk⸗ 
ſamkeit in den Koͤrpern gegruͤndet iſt; ſie wird nur 
fuͤr eine nothwendige Eigenſchaft derſelben erklaͤrt. 


34 

Die Wirkſamkeit beſteht entweder in einem Be⸗ 
ſtreben der Koͤrper ſich einander zu naͤhern, oder ſich 
von einander zu entfernen. Da wir den Grund der 
Wirkſamkeit nicht entdeckt, ſondern blog ihre Noth—⸗ 
wendigkeit eingeſehen haben, ſo koͤnnen wir fuͤr keine 
ber beiden Arten von. Wirkſamkeit entſcheiden. In—⸗ 
zwiſchen bleibt das Beſtreben der Annaͤherung das 
vorzuͤglichere, weil bey demſelben es moͤglich iſt, daß 
mehrere Koͤrper ein bleibendes Syſtem ausmachen, 
dagegen bey bem. Beſtreben fid) von einander zu ent; 
fernen keine wiederlehrende Bewegung Statt findet. 


35. 
Man nehme affo, unb fep e$ aud) nur alt ben 
cingigen brauchbaren dall unter zweyen, bíe nur móg: 
$62 lid) 


CAMERM 468. vues 


lij (inb, att baf bey ben wirklichen Koͤrpern ein gegen⸗ 
ſeitiges Beſtreben ſich einander zu naͤhern Statt fin⸗ 
det. Dieſe Kraft wird in den Koͤrpern, ſie moͤgen 
ruhen oder fid bewegen, in jenem Falle eine Bewe⸗ 
gung, in dieſem eine Veraͤnderung der Bewegung, 
entweder bloß in Abſicht auf die Geſchwindigkeit oder 
auch in der Richtung, hervorbringen. Sn fo fern bie 
Richtung be8 Koͤrpers mit ber Richtung ber Kraft, 
bie auf ibn wirkt, uͤbereinkommt, ober einen ſpitzen 
Winkel mit derſelben macht, wird die Bewegung des 
Koͤrpers beſchleunigt, und die Kraft heißt daher eine 
beſchleunigende Kraft. Waͤre aber die Bewegung 
des Koͤrpers ber Nichtung ber Kraft entgegengeſetzt, 
vder machten beide Richtungen einen ſtumpfen Win⸗ 
kel mit einander, ſo wird zwar die Bewegung lang⸗ 
ſamer gemacht, allein dieſe Retardation iſt eine rela⸗ 
tive Beſchleunigung, ſo wie die abſolute Verminde⸗ 
rung einer negativen Groͤße eine relative Vergroͤße⸗ 
rung derſelben iſt. 


( Der Schluß ín bem naͤchſten Stuͤcke.) 
Aluͤgel. 


VI. 


(vr 469 73 
FSIPSIPSIASIA IISVPSUISqKQPSVHÀIASI PS) POPSIPSIPSQIPSVIPSUIPS(PR A JP 
VI. 


Heber bie 9(ntinomie der reinen 
Ch ernunft. 





Sn wir ben Sinn ber. tranófcenbentalen Aeſthe⸗ 
fif des Hrn. fant gufammenfafjen, fo ift er furg 
biefer: Ger reine Raum unb die reine Seit (inb bloße 
Formen unſrer Cínnlidjfeit; b. h. ber hinreichende 
Grund, warum wir die Dinge im Raume und in 
ber Zeit anſchauen, liegt lediglich im ber ſuhjectiven 
Beſchaffenheit unſres Gemuͤths; oder dieſe iſt der 
hinreichende Grund des empiriſchen Raumes und der 
empiriſchen Zeit. 


Leibnitz dagegen lehrt: Raum und Zeit ſind 
zwar Erſcheinungen, und, als ſolche, in den Schran⸗ 
fen unſrer Erkenntnißkraft gegruͤndet; ihre Gruͤn⸗ 
de ſind aber auch objective, und in den wahren 
Dingen (den Dingen an ſich), außer unſrer Vor⸗ 
ſtellung, folglich nicht zureichend in der ſubjectiven 
Beſchaffenheit unfter. eingeſchraͤnkten Erkenntnißkraft 
anzutreffen. 


Hh 3 Herr 


PM 470. MP 


Herr Sant fofgert aus feiner Theorie  tveiter s 
ffüenn toit bie fubjective Beſchaffenheit unſrer Sinn⸗ 
lid)feit auffeben, fo verſchwinden Raum unb 3eit ; 
folglich aud) bet. Synbegriff aller Erſcheinungen ín bern: 
ſelben; unb bie ganze Sinnenwelt exiſtirt bemnad) 
nicht an ſich ſelbſt, ſondern nur in uns. 


Die Leibnitziſche Theorie behauptet: Die Dinge, 
die wir im Raume und in der Zeit anſchauen, ſind 
Erſcheinungen. Zu einer Erſcheinung gehoͤrt etwas 
objectives, und etwas ſubjectives. Das Objective 
find an ſich ſelbſt exiſtirende einfache Kraͤfte, die 
nad) bem Geſetze ber. Staͤtigkeit wirken; das Cub: 
jective aber dabey iſt die verworrene und bildliche 
Vorſtellung individueller Beſtimmungen dieſer wirken⸗ 
den Kraͤfte, welche, als ſolche, in den Schranken unſres 
Erkenntnißvermoͤgens gegruͤndet iſt. Der Inbegriff 
der Erſcheinungen im Raume und in der Zeit, oder 
die Sinnenwelt exiſtirt demnach nicht bloß in uns; 
und wenn wir die ſubjective Beſchaffenheit unſres Ge⸗ 
muͤths aufheben, ſo verſchwindet zwar die bildliche 
Geſtalt derſelben; aber das zu ihr gehoͤrige Objective 
bleibt uͤbrig. 


Daß Hrn. Kants transſcendentale Aeſthetik in 
unſrer Ueberzeugung noch einige Luͤcken uͤbrig laſſe, 
das haben wir in dem zweyten Stuͤcke dieſes phil. 

Mag. 


PRAMKR S ATYO àe» 


Mag. (Nr. I.) un gu eroͤrtern Gemüft, unb ín eben 
biefem Stuͤcke (S. x69. 1€), wie aud) ín bem drit— 
ten (€. 248. :. unb Nr. IL), ift bie Wahrheit 
bec Leibnitziſchen Theorie vert(eibigt rootben, bie aud) 
$t. &ant íi Grunbe felbft anerfennt, wenn ec (Gr. 
b. r. V. a. Xf. €. 538.) fagt: „den Grfdeinungen 
müfje ein transſcendentaler Giegenftanb yum Grunde 
liegen, oec fie afe blofie Vorſtellungen beftimmce, ;, 


Wir fónnten uns alfo hiebey Derufigen, wenn 
nidjt bem Leibnitziſchen Syſteme von einer anberm 
Seite fet durch bie Kantiſche Vernunfteritik bee Un⸗ 
tergang gedrohet wuͤrde. Aus einer dogmatiſchen 
Vorſtellungsart der Welt naͤmlich ſollen unvermeidliche 
Ungereimtheiten fofgen, die Vernunft ſoll fid) in noth⸗ 
wendige Widerſpruͤche verwickeln, wenn ſie voraus⸗ 
ſetzt, daß die Sinnenwelt an ſich ſelbſt, außer dem 
Gemuͤthe exiſtire (€t. S. 507.), und der transſcen⸗ 
dentale Idealismus dagegen ſoll das einzige Mittel 
ſeyn, dieſe Widerſpruͤche zu heben (Cr. d. r. V., d. 
Ant. õter Abſchn. unb €. 506.). 


In ben Beweiſen des, nad) Hrn. Kant, viet; 
fad)en Widerſtreits der Vernunft uͤber bie cosmologi⸗ 
ſchen Ideen, ſtuͤtzen ſich entweder die Argumente fuͤr 
den einen der widerſprechenden Saͤtze auf ſinnliche, 
unb die für ben andern auf Verſtandesvorſtellungen, 

Hh 4 oder 


FMVERM 472. ^w 


pbet fie gehen bey beiden widerſtreitenden Urtheilen 
von Erkenntniſſen der Sinnlichkeit aus. Im erſten 
Falle ſtreitet bie reine Vernunft mit ber Sinnlichkeit, 
im andern aber die Sinnlichkeit mit ſich ſelbſt. Da 
die Sinnlichkeit, wie Leibnitz lehrte, nicht bloß durch 
objective, ſondern auch durch ſubjective Gruͤnde, die 
ſehr verſchieden ſeyn koͤnnen, beſtimmt wird, ſo ſind 
beide Arten des Widerſtreits moͤglich. Hingegen kann 
reine Vernunft mit reiner Vernunft nicht ſtreiten; 
denn ſie wird lediglich nach objectiven Gruͤnden be⸗ 
ſtimmt (ſ. Phil. Mag. 3. St. S. 304.). Daher 
ſcheint uns zwar der Ausdruck: Antinomie der rei⸗ 
nen Vernunft nicht ganz bequem gewaͤhlt zu ſeyn; 
abet wir erkennen es mit Dank, daß Hr. Sant bie 
Widerſpruͤche, die aus der Verwechſelung der ſinnli⸗ 
chen mit der Verſtandeserkenntniß, beſonders in Ruͤck⸗ 
ſicht auf das Verhaͤltniß eines nothwendigen Weſens 
zur Welt, entſtehen, in ihr gehoͤriges Licht geſtellt hat. 


Leibnitzens Theorie der Sinnenwelt koͤnnte frey⸗ 
lich ferner keinen Anſpruch auf Wahrheit machen, 
wenn es gewiß waͤre, daß ſie auf Ungereimtheiten, 
von irgend einer Art, umnvermeíblid) fuͤhrte; allein 
wir glauben uns übergeugt zu haben, baf in ihr oie 
bet bogmatifd)en 93orftellungdart ven ber Welt vots 
geworfnen Widerſpruͤche nid)t gegrünbet ſeyn, baf bier 
ſelben vielmehr theils auf einer Taͤuſchung berufen, 

die 


bie durch Leibnitzens Vernunftcritik zuerſt Gintánglid) 
zerſtoͤhrt iſt, theils aud) mit bem transfcenbentalen 
Idealismus zugleich megfaflen. Sollten wir fo atüdf: 
lid) ſeyn, von bem allen eine gruͤndliche Ueberzeugung 
àu haben, fo mürbe ber transícenbentale Sjbealismué 
nídjt bet einzige Weg ſeyn, auf bem mat vor ben ges 


badjten Widerſpruͤchen eine ſichre Zuflucht fudjen duͤrfte. 


Die ganze Antinomie der reinen Vernunſt ſoll, 
nach Hrn. Kant, auf der ſophiſtiſchen Beſchaffenheit 
des folgenden Vernunftſchluſſes beruhen (Cr. b. c. V. 
a. X. S. 497): „Wenn das Bedingte gegeben iſt, 
ſo iſt auch die ganze Reihe aller Bedingungen deſſel⸗ 
ben gegeben; nun ſind uns Erſcheinungen als bedingt 
gegeben; alfo 1€. ,, 


Syn biefem Schluſſe, lehrt ber transfcenbentafe 
Idealismus (498 :€.), ift ein Sophifina figurae 
dictionis entfalten. Der Oberfag nimmt bas Be⸗ 
bingte (n tranéfcenbentafer SDebeutung einer reinen 
Categoríe; ber linterfa& aber ín. empirifd)er Bedeu⸗ 
tung eines auf bloße Erſcheinungen angewandten Ver⸗ 
ſtandesbegriffs. Wenn das Bedingte ſowohl, als die 
Bedingungen Dinge an ſich ſind, ſo iſt mit dem Be⸗ 
dingten zugleich die vollſtaͤndige Reihe der Bedingun⸗ 
gen, mithin auch das Unbedingte zugleich gegeben; 
denn jenes ift nuc durch dieſe Reihe moͤglich. Dage⸗ 

$565 gt, 


474 a 


een, toenn id) mit bloßen Erſcheinungen au thun far 
be, fo gilt das keinesweges. Erſcheinungen finb bloße 
Vorſtellungen, und daher gar nicht gegeben, wenn 
ich nicht zu ihrer Kenntniß (d. h. zu ihnen ſelbſt; 
denn ſte ſind nichts, als empiriſche Kenntniſſe,) gelange. 


Wenn man demnach gegen dieſe Lehren des 
transſcendentalen Idealismus bewieſen hat: daß die 
Erſcheinungen nicht bloge Vorſtellungen, oder empi⸗ 
riſche Kenntniſſe ſeyn, ſondern daß zu ihnen auch et⸗ 
was Objectives, aufer unſerm Gemuͤthe exiſtirendes 
gehoͤre; ſo verſchwindet die ſophiſtiſche Beſchaffenheit 
des vorliegenden Arguments, mithin auch, wenn ſie 
hierauf beruhet ( Cr. S. 497.), bie ganze Antinomie 
der reinen Vernunft. 


Ohne uns jetzt bey den Folgerungen aufzuhalten, 
bie ſich hieraus, verbunden mit bem, was uͤber Leib— 
nitzens Theorie der Sinnenwelt anderwaͤrts geſagt 
ift (f. Phil. Mag. 2. €t. €. 169 x. 3. €t. S. 
248. €. u. &.); wollen mir gleid) zu einer naͤhern 
Sbetrad)tung ber Argumente fortgehen, womit ber 
tranéfcenbentale Idealismus bie Behauptung untetr 
ſtuͤtzt, daß fid) bie menſchliche Vernunft in nothwendige 
Widerſpruͤche uͤber die cosmologiſchen Ideen ver— 
wickele, wenn ſie die Welt, nach der dogmatiſchen 
Vorſtellungsart von derſelben, fuͤr ein Ding an ſich 

ſelbſt 


WAT 475. Ti 


ſelbſt aeften (ágt; unb alſo (nad) ber Lehre des trans: 
fenbentalen Idealismus) einen eingebildeten und 
falſchen Begriff von derſelben zum Grunde legt. 


J. Der erſte Widerſtreit betrift die Idee von 
der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Zuſammenſetzung des 
gegebnen Ganzen aller Erſcheinungen; unb ſolgende 
beide, in Ruͤckſicht auf dieſe Idee ſich widerſprechen⸗ 
de Saͤtze, ſollen gleich ſtreng bewieſen werden koͤnnen: 


I) Die Theſis: bie Welt hat einen Anufang, in 
bet Zeit, unb iſt bem Raume nad) in Graͤn⸗ 
zen eingeſchloſſen. 


2) Die Antitheſis: die Welt hat keinen Anfang 
und keine Graͤnzen im Raume, ſondern iſt, 
ſowol in Anſehung der Zeit, als des Raums 
unendlich. 


Der fuͤr die Antitheſis gegebene Beweis lautet 
fe *): 
» San fe&e: bie Welt fabe einen 2fnfang. Da 

bet Anfang ein Daſeyn it, wovor eine Seit vorher⸗ 
gebt, 

*) Da es qut. Aufloͤſung des Widerſtreits hinreichend 
iſt, Gruͤnde gegen die Statthaftigkeit des Bewei⸗ 
ſes fuͤr einen der widerſprechenden Saͤtze anzuge⸗ 


ben; ſo beruͤhre ich nur die Argumente fuͤr die 
Antitheſis. 


wav 476 Sup 


geht, barín das Ding nidt i(t, fo muß eine Seit vot: 
Dergeganaen ſeyn, darin bie Welt nid)t mar, 5. b. 
eine (eere Zeit. Nun ift aber ín einet leeren Zeit kein 
Entſtehen eines Dinges moͤglich, weil tein. Theil ci: 
ner ſolchen Zeit vor einem andern irgend eine unter⸗ 
ſcheidende Bedingung des Daſeyns vor der des Nicht⸗ 
ſeyns an fid) hat (man mag annehmen, bafi fie von 
fid) ſelbſt, oder durch eine andre Urſache entſtehe). 
Alſo kann die Welt keinen Anfang haben, ſondern iſt 
in Anſehung der vergangnen Zeit unendlich. 


Man nehme ferner an: die Welt ſey dem Rau⸗ 
me nach endlich und begraͤnzt, ſo befindet ſie ſich in 
einem leeren Raume, der nicht begraͤnzt iſt. Es wuͤr⸗ 
de alſo nicht allein ein Verhaͤltniß der Dinge im 
Raum, ſondern aud) ber Dinge sum Raume ange⸗ 
troffen werden. Da nun die Welt ein abſolutes Gan⸗ 
zes iſt, aufer welchem fein Gegenſtand ber Anſchau—⸗ 
ung, unb mithin fein Correlatum ber Welt, ange; 
troffen wird, womit dieſelbe im Verhaͤltniſſe (tee, fo 
wuͤrde das Verhaͤltniß der Welt zum leeren Raume 
ein Verhaͤltniß derſelben zu keinem Gegenſtande 
ſeyn. Ein ſolches Verhaͤltniß aber, mithin aud) bie 
Begraͤnzung der Welt durch den leeren Raum, iſt 
nichts. Alſo iſt die Welt, dem Raume nach, gar 
nicht begraͤnzt, d. i. ſie iſt der Ausdehnung nach 
unendlich. 

Beide 


F^A»f^ 477 "à 


Beide Theile dieſes Beweiſes (tü&en fi) auf bie 
Vorausſetzung, baf nan eine leere Seít vor ber Welt, 
unb einen leeren Raum aufer. ihr annebmen muͤſſe, 
fobaíb man fid) dieſelbe als enblid) im Staume unb 
in ber eit vorftellt. Denn aus dieſer voraufaebens 
ben leeren. Seit ift bie Unmoͤglichkeit eines Weltan⸗ 
fangé, unb au$ bem begrángenben leeren Staume bie 


Unmoͤglichkeit, bag bie Welt im Raume endlich fty, 
abgeleitet. 


Wer dieſes annimmt, dem wollen wir es zu ver⸗ 
theidigen uͤberlaſſen; Leibnitzens Vernunftceritik lehrt 
das nicht. Nach dieſer iſt uͤberhaupt nicht die Frage: 
ob eine unendliche leere Zeit die Reihe der Weltver⸗ 
aͤndrungen, unb ein unendlicher leerer Raum bie Men—⸗ 
ge der zugleich ſeyenden Dinge beſtimme, oder nicht; 
denn die Frage waͤre ungereimt; ſondern: ob die 
Menge der zugleichſeyenden Dinge und die Reihe der 
Weltveraͤnderungen endlich ſey, oder unendlich? Raum 
und Zeit ſind Erſcheinungen; ihre letzten Gruͤnde lie⸗ 
gen in bem Einfachen (Ph. Mag. 2. €t. €. 169 ꝛc.), 
welches bemnad) ber Grund (bíe Bedingung) ihrer 
Moͤglichkeit iſt. Sofern (ie Erſcheinungen ſind, wird 
ihr Grund auch in den Schranken unſres Erkenntniß⸗ 
vermoͤgens angetroffen. 


"Eie haben daher uͤberhaupt keine abgeſonderte, 
fnt ſich beſtehende Exiſtenz, und ifr empiriſches 
Da⸗ 


—⸗478 ^w 


Daſeyn ift ſogar zum Theil von ber fubjectioen Be⸗ 
ſchaffenheit unſres Erkenntnißvermoͤgens abhaͤngig. 
Mithin ſind ber leere Raum unb die leere Seit unger 
reimte Dinge, bie nicht außer unb vor ber. Welt an; 
getroffen werden, und die Endlichkeit derſelben der 
Ausdehnung und Succeſſion nach unmoͤglich machen 
koͤnnen. 


Herr Kant iſt mit den Gruͤnden gegen die Moͤg⸗ 
lichkeit des leeren Raumes und der leeren Zeit zufrie— 
den (ſ. Anm. zur Ant.), behauptet aber dennoch, 
ohne einen Beweis hinzu zu fuͤgen: daß man dieſe 
Undinge vor und außer der Welt durchaus annehmen 
muͤſſe, wenn man eine Weltgraͤnze dem Raume und 
der Zeit nach annimmt. 


Inzwiſchen ſcheint dieſes vielleicht nur durchaus 
nothwendig zu ſeyn, und iſt es in der That auch nur 
dann, wenn man ſich die Welt in ihrer bildlichen 
Geſtalt als an fid) unb außer bem Gemuͤthe exiſti⸗ 
rend vorſtellt; mithin Phaͤnomene, als ſolche, und 
wahre Dinge (Dinge an ſich) mit einander verwech⸗ 
ſelt. Bey dieſer Vorſtellungsart der Welt hat die 
Einbildungskraft keinen objectiven Grund, bey irgend 
einem Puncte des Raumes oder der Zeit ſtehen zu 
bleiben; ſondern fie geht uͤber jeden gegebnen Punct 
hinaus; und wenn alſo die Menge der zugleichſeyen⸗ 


den Dinge, und die Reihe der Veraͤnderungen, als 
end⸗ 


— 479 ux» 


endlich angenommen werden, fo fe&t fie vor dieſe Rei⸗ 
fe eine (eere. Seit, unb aufer bem Inbegriff bet. et: 
ſtern einen leeren Raum. 


Dieſen Betrug bec Sinnlichkeit fat Leibnitz gus 
erſt vollſtaͤndig aufgedeckt, und gewieſen: daß die 
Dinge in der Welt, die wir anſchauen, daß Raum 
und Zeit ſelbſt, Phaͤnomene, und, als ſolche, nicht 
Dinge an fid) ſelbſt ſeyen; daß bas Bildliche in unf 
rer Vorſtellung lediglich in den Schranken unſres Er⸗ 
kenntnißvermoͤgens ſeinen Grund habe, und außer 
dem Gemuͤthe nicht angetroffen werde. 


Mithin folgt es aus Leibnitzens Syſteme nicht, 
daß man einen leeren Raum außer, und eine leere 
Zeit vor einer im Raume und in der Zeit endlichen 
Welt annehmen, und alſo zugeben muͤſſe: daß dieſe 
extenſive und protenſive Endlichkeit der Welt unmoͤg⸗ 
lich ſey. 


Folglich ſcheint ber Widerſtreit ber Vernunft 
uͤber dieſe erſte cosmologiſche Idee gaͤnzlich weg⸗ 
zufallen. 


Was ich hier vorgetragen habe, iſt auch nicht 
etwa eine unerlaubte Ausflucht, wodurch ber Sinnen⸗ 
welt irgend eine intelligible untergeſchoben wuͤrde, um 
bem; Raume unb. bet. Zeit aus bem Wege zu gehn; 
ſondern nur eine kritiſche Abſondrung deſſen, was in der 

Sinnen⸗ 


FMAT^ 480. ^" 


Sinmenwelt objectiv unb fubjectio ift, was alfo wirk⸗ 
lich aufer uns epiftírt, unb was von unſrer Sinn, 
lichkeit hinzugethan wird. Sollte aber bewieſen wer⸗ 
den: daß nad) Leibnitzens dogmatiſcher Vorſtellungs⸗ 
art der Welt ein leerer Raum außer ihr und eine 
leere Zeit vor ihr angenommen werden muͤſſe; ſo 
mußte auch der Begriff von der Sinnenwelt, den er 
lehrte, zum Grunde gelegt, und der gedachte kritiſche 
Unterſchied nicht aus den Augen geſetzt werden. Nicht 
das Bildliche in unſter Vorſtellung von ber Sinnen⸗ 
welt, ſondern die einfachen Kraͤfte, in denen die (es 
ten Gruͤnde aller Erſcheinungen liegen, mithin auch 
des Raumes und der Zeit, (welche demnach nicht um⸗ 
gekehrt die Bedingung der Moͤglichkeit der Erſchei⸗ 
nungen ſind) exiſtiren, nad) Leibnitzens Doginatismus, 
an ſich ſelbſt, von unſrer Vorſtellung unabhaͤngig. 


Wollte aber Hr. Stant bloß behaupten, daß die⸗ 
jenigen einen leeren Raum außer und eine leere Zeit 
vor der Welt, wenn dieſelbe endlich ſeyn ſoll, anneh⸗ 
men, unb folglich bie Unmoͤglichkeit einer Begraͤn⸗ 
gung ber Welt in ber Seit unb. im Raume zugeſtehen 
müffen, welche fid) bie &innenroeít in ihrer bildlichen 
Geftaít als an (id) unb aufer bem Gemütbe exiſtirend 
vorítellen, unb bem Raume unb ber Seit ein abfor 
fute$ Daſeyn zuſchreiben: fo fann ba$ jugegeben mets 


ben; benn wenn bloß dieſe Vorſtellungsart von bet 
Welt 


VMAMÉM 48r wu 


Welt als widerſprechend unb unſtatthaft bargeftellt 
werden ſoll, ſo trifft das ſehr gut mit dem, was Leib⸗ 
nitz lehrte, zuſammen. 


Was nun insheſondre ben erſten Theil bet 95e 
weiſes der Antitheſis anbetrifft; ſo ſey mir daruͤber 
nod) folgende Bemerkung erlaubt. Wenn voir. von 
bem, was bisher geſagt iſt, gang abſehen, unb ein: 
raͤumen: wenn die Welt einen Anfang haben ſoll, ſo 
muß eine leere Zeit vor ihr voraufgegangen ſeyn; und 
ferner: in einer leeren Zeit iſt kein Entſtehen irgend 
eines Dinges moͤglich: fo ſcheint die Wahrheit ber 
Folge, daß die Welt keinen Anfang haben koͤnne, doch 
noch in einem zweydeutigen Lichte zu ſtehen. Es 
ſcheinen naͤmlich vier Hauptbegriffe in bem gebrauch⸗ 
ten Schluſſe zu liegen, der foͤrmlich ſo lautet: 


Was in einer leeren Seit entſtanden ſeyn 
muͤßte, das kann keinen Anfang haben (denn in der 
leeren Zeit iſt kein Entſtehen moͤglich); 


Nun muͤßte, wenn bie Welt einen Anſang haͤtte, 
eine leere Zeit vor ihr voraufgegangen ſeyn; 
Alſo kann die Welt keinen Anfang haben. 


So lange die leere Zeit vor der Welt dauerte, 
konnte freylich die Welt nicht entſtehen (denn der 
Philoſ. Mag. 4. St. Ji An⸗ 


"^AvT^ 482 nm 


Anfang bet Welt madjt bie Fortdauer ber leeten Zeit 
unmoͤglich); aber baraus folgt nid)t, daß bas Cnt 
ſtehen ber Welt uͤberhaupt unmóglid) war.  9Benn 
dieſes folgen follte, fo muͤßte bewieſen ſeyn, baf das 
Aufhoͤren ber leeren Zeit vor ber. Welt unmoͤglich ge: 
weſen mate, 


IL. Der zweyte cosmologiſche Zankapfel ift bie 
Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Theilung eines 
gegebnen Ganzen in der Erſcheinung. Die wider⸗ 
ſprechenden &age ſind: 


1) Die Theſis: Jede zuſammengeſetzte Subſtanz 
in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und 
es exiſtirt uͤberall nichts, als das Einfache, 
und das, was daraus zuſammengeſetzt iſt. 


2) Die Antitheſis: Kein zuſammengeſetztes Ding 
in der Welt beſteht aus einfachen Theilen, und 
e$ exiſtirt uͤberall nichts Einfaches in derſelben. 


Deer Beweis des erſten Theils der Antitheſis 
lautet: 


„Man nehme an: Ein zuſammengeſetztes Ding 
Aaf$ Subſtanz) beſtehe aus einfachen Theilen. Weil 
alles aͤußre Verhaͤltniß, mithin auch alle Zuſammen⸗ 

ſetzung 


fe&ung aus Cub(tanyen nue im Raume moͤglich ift: 
fo muB , au$ jo viel Theilen das Sufammengele&te bes 
ſteht, aus eben fo viel Theilen aud) ber. Raum beftes 
ben, ben e$ einnimmt. Nun beſteht ber Raum nicht 
aus einfachen Theilen, ſondern aus S9tüumen. Alſo 
muß jeder Theil des Zuſammengeſetzten einen Raum 
einnehmen. Die ſchlechthin erſten Theile aber alles 
Zuſammengeſetzten ſind einfach. Alſo nimmt das Gin; 
fache einen Raum ein; und wuͤrde ein ſubſtanzielles 
Zuſammengeſetzte ſeyn, welches fid) widerſpricht., 


Hier, glaube id), kann man bie Theſis unb An— 
titheſis mit ihren Beweiſen zugeben, ohne deshalb 
etwas widerſprechendes zu behaupten. Denn in der 
Theſis wird bewieſen: daß oie Vernunft bie Ge; 
mentarſubſtanzen, als bie erſten Subjecte aller. Zu— 
ſammenſetzung, unb folglich vor derſelben als ein⸗ 
fade Weſen denken muͤſſe; ob mir gleich dieſelben 
nie außer ben Zuſtand ber. Verbindung ſetzen und ifo; 
liren koͤnnen (Cr. b. rv. V. Bew. b. Theſ.). Qa: 
gegen iſt der Sinn der Antitheſis bloß der: daß das 
Einfache nicht angeſchaut werden koͤnne, daß kein 
Theil eines Gegenſtandes der Sinne, als ſolches, 
einer Erſcheinung, als Erſcheinung betrachtet, ſchlecht⸗ 
bin einfach ſey (Qnm. zur Antith.). 


Auch Leibnitzens Syſtem lehrt eben dies. In 
einer Erſcheinung, als ſolcher, kann kein Theil der 
Ji 2 klein⸗ 


FPMAVERM 484 eA 


kleinſte feyn ; jeber Theil ift. wieder eine Erſcheinung, 
und folglich zuſammengeſetzt; wir koͤnnen durch die 
Sinne nie das Einfache erkennen (Pit. Mag. 2. €t. 
S. 146.). Aber daraus folgt nicht, daß es an ſich 
uͤberall nicht da ſey; denn das waͤre der Schluß: was 
ich nicht empfinde, das iſt nicht. Die einfachen, wir⸗ 
kenden Kraͤfte liegen der Erſcheinung zum Grunde, 
und werden von dem Verſtande, aber nur von dem 
Verſtande, nach ihren allgemeinen Beſtimmungen er⸗ 
kannt. Der Grund einer gegebenen Erſcheinung iſt 


alfo für ben Verſtand nicht ins unenblid)e wieder eine 
Erſcheinung. 


Ob alſo gleich in dieſen Behauptungen nichts 
miberjpred)enbeé liegt; fo fey e$ mir bod) erlaubt, zu 
dem Beweiſe der Antitheſis noch eine und die andre 
Anmerkung hinzu zu ſetzen. In dem erſten Theile 
deſſelben ſcheint mir entweder ein Schluß mit vier 
Hauptbegriffen zu liegen, oder das voransgeſetzt zu 
ſeyn, was bewieſen werden ſollte. Es wird naͤmlich 


ſo geſchloſſen: 


1) Jedes aͤußre Verhaͤltniß iſt nur im Raume 
moͤglich; 


Die Zuſammenſetzung aus Subſtanzen iſt 
ein dergleichen Verhaͤltniß; 
Alſo ꝛtc. 
2) 


FAT 485 ^» 


2) Was nut im Raume moͤglich ift, beffen 
Theile (fofern e$ ein aus Subſtanzen gu: 
ſammengeſetztes Gange ift, ober: deſſen aug 
€ubftangen zuſammengeſetzte Cbeile — ef; 
men (eit Sujammenfe&ung aus Cubitangen 
nur im Raume móglid) ift) jeder einen Theil 
bes Raumes cin, ben ba$ Gange einnimmt 5 


Nun ift ba$ Sufammengefe&te nuc im Stau: 
me moͤglich: 

Alſo nemen alle Theile beffelben (aud) bíe 
ſchlechthin einfadjen) einen € eil des Raumes 
ein, ben das Gange einnimmt. 


Folglich mu aus fo viet Theilen ba8 Zuſammen⸗ 
gefe&te beſteht, aus eben fo viel Theilen ber 9taum 
befteben, ben es einnimmt. 


Soll aber bie Form dieſer Schlußfolge ben 
Schein des Unrichtigen verlieren, fo muß ber Ober— 
ſatz in dem zweyten Schluſſe ſo lauten: 


Was nur im 9taume moͤglich ift, deſſen ſaͤmmt⸗ 
liche Theile (auch die ſchlechthin einfachen, die es der 
Vorausſetzung gemaͤß hat) nehmen jeder einen Geil 
des Raumes ein, den das Ganze einnimmt. 


313 Allein 


F^ 486. ^ 


Allein biet kann nicht vorausgeſetzt werden; benn 
das iſt es gerade, was bewieſen werden ſoll, daß 
naͤmlich jeder Theil des Zuſammengeſetzten im Raume 
wieder zuſammengeſetzt fep, unb einen Theil des 9tau: 
mes einnehme. 


In der Anmerkung zur Antitheſis ſucht Hr. 
Sant bie Theorie ber. Monadiſten von der nicht un: 
enbliden Theilbarkeit ber Sórpet nod) baburd) vetr 
daͤchtig ju machen, baf er inen bie Evidenz ber. mar 
thematiſchen Beweiſe, bie ba$ Gegentheil erhaͤrten 
ſollen, entgegen ſtellt, und es fuͤr ungereimt erklaͤrt, 
bie Unleugbarkeit der Mathematik wegvernuͤnfteln 
zu wollen, und anzunehmen, daß gaͤnzlich einfache, 
phyſiſche Puncte durch bloße Aggregation einen Raum 
erfuͤllen koͤnnen. 


Inzwiſchen, da die Mathematik den Raum und 
die zuſammengeſetzten Dinge in demſelben bloß als 
Erſcheinungen betrachtet, unb bie unendliche Theil—⸗ 
barkeit derſelben, inſofern ſie ſolche ſind, erweiſet, 
ohne ſich um die letzten Gruͤnde zu bekuͤmmern, die 
eine Erſcheinung moͤglich machen: fo bleiben dieſe ma; 
thematiſchen Beweiſe von ben Monadiſten gaͤnzlich uns 
angefochten. Dieſe lehren, mie bie Mathematiker: 
daß kein Theil einer Erſcheinung, als ſolcher, der 
kleinſte ſey; ſetzen aber hinzu: daß jeder Erſcheinung 

etwas 


Four 487. ^e 


etwas ſchlechthin Einfaches gum Grunde liege, das 
nad) feinen allgemeinen Beſtimmungen von bem 33er: 
ftanbe erkannt werde; unb durch feine Wirkungen 
nach dem Geſetze der Staͤtigkeit die letzten Gruͤnde 
des Zuſammengeſetzten im Raume, und des Raumes 
ſelbſt enthalte; folglich den Raum nicht durch bloße 
Aggregation evfüíle. 


Hieraus ergiebt ſich endlich auch, warum man 
nicht den Raum fuͤr die Bedingung der Moͤglichkeit 
der Koͤrper, ſondern das dynamiſche Verhaͤltniß der 
den Koͤrpern zum Grunde liegenden Subſtanzen fuͤr 
die Bedingung der Moͤglichkeit des Raumes halte; 
und die Koͤrper nicht bloß als Vorſtellungen in uns, 
ſondern auch als außer dem Gemuͤthe, und an ſich 
exiſtirend annehme. 


Da nun Hr. Kant eingeſteht (f. Anm. zur An⸗ 
tith.), daß ber Beweis ber Monadiſten fuͤr bie nicht⸗ 
unendliche Theilbarkeit ber Koͤrper, unter Voraus— 
ſetzung der Wahrheit der gedachten Theorie, guͤltig 
ſey: ſo giebt er dadurch ſelbſt zu, daß nach ihrem 
Syſteme uͤber bie vorliegende coemologiſche Idee fein 
Widerſtreit der Vernunft mit ſich ſelbſt ſtatt finde. 


III. Der dritte Widerſtreit betrifft die Idee der 
abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Eniſtehung einer Er⸗ 
ſcheinung. 

$i 4 1) 


x) Die Theſis (autet: Die Gaufalitát nad) Ge 
fe&en ber Natur iſt nicht bie einzige, aus wel⸗ 
cher bie Erſcheinungen ín ber Welt insge⸗ 
ſamt abgeleitet werden koͤnnen; es iſt noch 
eine Cauſalitaͤt durch Freyheit zur Erklaͤrung 
derſelben anzunehmen nothwendig. 


2) Die Antitheſis: Es iſt feine Freyheit, fons 
dern alles in der Welt geſchiehet lediglich nach 
Geſetzen der Natur. 


Der Beweis der Theſis hat dieſe Geſtalt: 


„Man nehme an: e8 gebe keine andre Cauſali⸗ 
taͤt, als nach Geſetzen der Natur, ſo ſetzt alles, was 
geſchieht, einen vorigen Zuſtand voraus, auf den es 
unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber 
der vorige Zuſtand ſelbſt etwas ſeyn, was geſchehen 
iſt (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war), 
weil, wenn es jederzeit geweſen waͤre, ſeine Folge 
auch nicht allererſt eutſtanden, ſondern immer geweſen 
ſeyn wuͤrde. Alſo ijt bie Cauſalitaͤt, durch welche et: 
was geſchieht, ſelbſt etwas Geſchehenes, welches nach 
bem Geſetze der Natur wiederum einen vorigen Zu⸗ 
ſtand und deſſen Cauſalitaͤt vorausſetzt, und ſo ins 
unendliche. Alſo giebt e$ feine Vollſtaͤndigkeit bet 


Reihe auf bet Seite bec von einander abſtammenden 
Ur⸗ 


FXMT^ 489 wc» 


Urſachen. Sun beſteht aber eben darin ba& Geſetz 
ber Natur: baf obne hinreichend a priori beftimmte 
Urſache nichts geſchehe. Alſo widerſpricht ber Caf, 
daß alle Cauſalitaͤt nur nad) Naturgeſetzen moͤglich ſey, 
fib ſelbſt im feiner unbeſchraͤnkten Allgemeinheit. Folg⸗ 
lich muß eine transſcendentale Freyheit angenommen 
toerben. ,, 


Der vot ung liegende Beweis erfüllt, wie es 
uns deucht, feinen Zweck níd)t gang. — (66 follte be: 
wieſen werden, baf e$ in oer Welt eine tranefcen; 
bentale Freyheit, ober Urſachen gebe, welche, obne 
burd) hinreichende Gruͤnde Geftimmt gu ſeyn, Wirkun⸗ 
gen hervorbringen. Denn wenn die Theſis bloß be⸗ 
deuten ſoll: bag man uͤberhaupt (nicht eben in ber 
Welt) eine Freyheit annehmen muͤſſe: ſo kann man 
dies ganz wohl einraͤumen, unb daneben mit oer An—⸗ 
titheſis behaupten: daß alles in der Welt nach Ge⸗ 
ſetzen der Natur geſchehe, und daß keiner Subſtanz 
in derſelben ein Vermoͤgen ber. transſcendentalen Frey⸗ 
heit beyzumeſſen ſey; welches, wie Hr. Kant ſelbſt 
eingeſteht ((. Anm. zur Antith.), gar nicht wiber: 
ſprechend iſt. 


Nun erhellet aber aus dem gefuͤhrten Beweiſe, 
wenn man auch nichts dagegen einwenden will, in 
der That nur ſo viel: daß man uͤberhaupt ein Ver⸗ 

Ji5 moͤgen 


W^A»f^ 400 4279 


mógen annefmen müffe, welches, ohne burdj hinrei⸗ 
chende Grunde beftimmt gu feyn, Wirkungen fervor; 
brinat. 26er voir werben nicht übergeugt, baf citt 
dergleichen Vermoͤgen in oer Welt jugegeben. wer⸗ 
den muͤſſe. 


Wenn aber Hr. Kant meint (ſ. Anm. zur Th.): 
Weil doch einmal das Vermoͤgen der Freyheit uͤber⸗ 
haupt bewieſen ſey, ſo ſey es nunmehr auch erlaubt, 
mitten im Laufe der Welt verſchiedene Reihen, der 
Cauſalitaͤt nach, von ſelbſt anfangen zu laſſen, und 
den Subſtanzen in denſelben ein Vermoͤgen, durch 
Freyheit zu handeln, beyzumeſſen: ſo iſt es deswegen, 
weil es uͤberhaupt eine transſcendentale Freyheit geben 
muß, nod) nicht einmal méalid), daß dieſelbe einer 
Subſtanz in ber Welt zukomme; fie kann ein eigen⸗ 
thuͤmliches Vorrecht der außerweltlichen Subſtanz 
ſeyn; unb wenn man aud) bte Moͤglichkeit einràumen 
molte, fo folgt bod) daraus nicht, baf fie voirtltdj, 
unb nod) meniger, bafi fie nothwendig in einer Sub⸗ 
ftang in der Wat angetroffen werde. 


Wenn aber hier ein Widerſtreit der Vernunft 
mit ſich ſelbſt ſtattfinden ſollte, ſo muͤßte dargethan 
ſeyn, daß dieſelbe eine transſcendentale Freyheit in den 
Subſtanzen in der Welt, und zwar nothwendig 


annehmen muͤſſe. 
Sollte 


wXMER 40r o AN 


Sollte aber aud) tie Grifteng einer. aBfofuten 
Qpontaneitát uͤberhaupt mol burd) bie voraeíegten 
Argumente bemiefen (eyn ?. Ich alaube baran zweifeln 
au müffen. Wenn alleé ín ber Welt nad) bem. Cau: 
fatitátégefe&e ber Jiatur, ober durch hinreichend 6e; 
ſtimmende Grünbe geſchieht: fo giebt cé fein? Vollſtaͤn⸗ 
bigfeit der Reihe ber von einanber ab(tammenben llt: 
fadjen in ber Welt; fonbern dieſe ganye Reihe ſetzt 
nod) eine Caufolitat einer außerweltlichen Subſtanz 
vorau$. Sie Caufalitát aber dieſer Subſtanz ift nicht 
wieder etwas Geſchehenes. Denn die außerweltli⸗ 
che Subſtanz und alle ihre Handlungen ſind weder 
im Raume, noch in der Zeit. Ihre Cauſalitaͤt kann 
alſo nicht in der Zeit entſtanden ſeyn, und nicht einen 
vorigen Zuſtand vorausſetzen, auf den ſie nach einer 
Regel geſolgt waͤre, (welches doch ſeyn muͤßte, wenn 
man auf eine transſcendentale Freyheit derſelben ſchlie⸗ 
ßen wollte), ob ſie wol durch hinreichende innere 
Gruͤnde nothwendig beſtimmt wird; (nur die Sinn⸗ 
lichkeit, deren Bilder hier gar nicht eingemiſcht wer⸗ 
ben koͤnnen, ſtellt die beſtimmenden Gruͤnde als vot: 
aufgehend vor). Die Cauſalitaͤt der außerweltlichen 
Subſtanz wuͤrde demnach die Reihe der von einander 
abſtammenden Urſachen vollſtaͤndig machen, ohne noth⸗ 
wendig eine transſcendentale Freyheit zu haben. 


IV. 


FMT^ 492. ^w 


IV. Der vierte eosmologiſche Widerſtreit geht 
auf die Idee der abſoluten Vollſtaͤndigkeit der Abhaͤn⸗ 
gigkeit der Erſcheinungen ihrem Daſeyn nach uͤber⸗ 
haupt. Die hieruͤber ſich widerſprechenden Saͤtze 
ſind: 


1) Die Theſis: Zur Welt gehoͤrt etwas, das 
entweder als ihr Theil, oder ihre Urſach, ein 
ſchlechthin nothwendiges Weſen iſt. 


2) Die Antitheſis: Es exiſtirt überall kein 
ſchlechthin nothwendiges Weſen, weder in 
der Welt, noch außer derſelben, als ihre 
Urſach. 


Der erſte Theil der Antitheſis: daß in der Welt 
kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, als ihre Urſach, 
exiſtire, widerſpricht der Theſis nicht, ſofern dieſe das 
Daſeyn einer ſchlechthin nothwendigen Welturſach nur 
uͤberhaupt, als zur Welt gehoͤrig, verlangt; id) nehme 
ihn daher als bewieſen an. 


Der zweyte Theil ber Antitheſis: daß aufer 
der Welt kein ſchlechthin nothwendiges Weſen, als 
ihre Urſach, angetroffen werde, iſt ſo bewieſen: 


Man 


FMAUKM 403. ^ae 


„Man nehme an: es gebe cine ſchlechthin noth⸗ 
wendige Welturſach außer der Welt, ſo wuͤrde dieſelbe 
als das oberſte Glied in der Reihe der Urſachen der 
Weltveraͤndrungen, das Daſeyn der letztern und ihre 
Reihe zuerſt anfangen. Nun muͤßte ſie aber alsdann 
auch anfangen zu handeln, und ihre Cauſalitaͤt wuͤrde 
in die Zeit, eben darum aber in den Inbegriff der 
Erſcheinungen, b. i. ín bie Welt gehoͤren, folglich fie 
ſelbſt, bie Urſache, nid)t aufer ber 9Beít fepn, wel; 
ces ber 9BorauéjeGung widerſpricht. Alſo ift fein 
ſchlechthin nothwendiges Weſen außer ber 9Belt (abet 
mit ihr in. Cauſalverknuͤpfung) angutveffen. ,, 


Wenn fier 6efauptet wird, baf eine notfmen: 
dige 9Be(turfad), infofern fie Welturſach fepm folf, 
nicht aufer bet Welt ſeyn fónne; fo laͤßt fid) dies, nach 
Hr. Sante eigenem Geſtaͤndniſſe, aus bem Leibnitzi⸗ 
ſchen Syſteme nicht folgern. Hr. Kant ſagt zwar 
(&r. b. x. V. a. A. S. 559), daß, wenn die Cr; 
ſcheinungen Dinge an fid) waͤren, bie Bedingung ifs 
res Daſeyns nothwendig zu einer und derſelben Reihe 
der Anſchauung mit ihnen gehoͤren muͤſſe; aber er 
geſteht auch ein (S. 560.), daß im entgegengeſetzten 
Falle die Bedingung nicht eben nothwendig mit dem 
Bedingten eine empiriſche Reihe ausmachen duͤrfe. 
Da nun nad) keibnitziſchen Grundſaͤtzen Erſcheinungen 
und Dinge an ſich genau unterſchieden werden (Phil. 

Philoſ. Mag. 4. St. Kk Mag. 


FMMMTT 404. "act 


Maq. 3. €t. €. 261): fo kann e$ aud) nad) ben: 
felben eine notfmenbige Welturſach geben, bie nicht 
in ber. Welt iſt. 


Was ben vor uns fiegenben Beweis ſelbſt bey 
trifft: fo foll ber erſte Satz deſſelben entweder bebeu: 
ten: bie angenommene, ſchlechthin nothwendige Welt⸗ 
urfad) aufer ber Belt. müffe een letzten hinreichenden 
Grund von bem Daſeyn ber. SBeltveránberungen unb 
ihrer Reihe entfalten 5; ober: bie Handlung berfelbert, 
wodurch fie ote Weltveraͤndrungen unb ibre Reihe ferr 
voróríngt, müffe biejer oet Seit nad) voraufaeben. 


Sym erſten Salle aber fann daraus nicht geſchloſ⸗ 
fe erben: baf bie Gaufalitat dieſer Welturſache in 
bie Seit geóre; benn baju, baf etwas ben binreis 
chenden Grunb von etwas anberm enthalte, gehoͤrt 
gar keine Zeitbedingung, weder ein Zugleichſeyn, noch 
ein Voraufgehen. 


Im andern Falle wuͤrde in dieſem Satze nicht 
bloß bie Moͤglichkeit, ſondern auch bie Nothwendig⸗ 
feit deſſen, was bewieſen, unb aus demſelden herge⸗ 
leitet werden ſoll, ſchon vorausgeſetzt: daß naͤmlich 
die Cauſalitaͤt der außerweltlichen, nothwendigen 
Welturſach in die Zeit, und mithin in die Welt 
gehoͤre. 

Wollte 


WAu»f^ 1405 "49 


Wollte man abet aud) dies letztere zugeben, fo 
ſcheint bod) daraus noch nicht zu folgen, daß die Ur— 
ſach ſelbſt nicht außer der Welt ſey. Denn was von 
einer Handlung, oder einem Accidens eines Dinges 
uͤberhaupt, gilt, das gilt deswegen nicht von dem 
Dinge ſelbſt, dem dieſes Accidens zukoͤmmt. Hr. 
Kant behauptet z. B. ſelbſt: es ſey nicht widerſpre⸗ 
chend, anzunehmen, daß die Cauſalitaͤt unſrer 3Bet: 
nunft in Anſehung ber Erſcheinungen empiriſch, fie 
ſelbſt aber ein bloß intelligibles Ding ſey (Ant. IX. 
Abſch.). 


Dieſemnach laͤßt ſich nicht ſchließen: Wenn die 
Cauſalitaͤt ber außerweltlichen, nothwendigen Welt⸗ 
urſach in bie Seit gebórt,' fo gehoͤrt aud bie Urſach 
ſelbſt ín bie Seit, unb ift nicht aufer ber. Welt. 


Maaß. 


In⸗ 


Inhalt 


des vierten Stuͤcks. 


L1 Ueber den Urſprung bcr menſchlichen Erkennt⸗ 
nif, €. 369 


II. $5erid-tigung eines Urtheils in ber allaem. Litt. 
Sdtung — — — 5  —  4o6 


II. Einige merfmürbige 9(ufflárungen über bie Un⸗ 
ruben ber Proteſtanten in. den Sevenniſchen 


Gebuͤrgen. 413 
IV. Beruhigung. An Theophron. 339 


V. Grundſaͤtze ber reinen Mechanik, von H. rof. 
Aluͤgel. 4 
VI. Ueber bie Antinomie ber. reinen. Vernun 


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