Skip to main content

Full text of "AntiZarathustra Gedanken über Friedrich Nietzsches Hauptwerke"

See other formats


Anti-Zarathu.. 




Otto Henne am 

Rhym 



HARVARD COLLEGE LIBRARY 



Mm. 




FROM THE 



(jcorgc Schänmann^acksori 

FUND 

FORTHE FURCHASE OF BOüKS ON 

Social Welfare ^ Moral Philosophy 

C.IVEN IN HONOROF HIS PARENTS.THEIR SIMPLICmr 
SINCERITY AND FLMILESSNESS 



Digitized by Google 



J^ENNE AM J^HYN. 




AlfredTittel's Verlag , Altenburg m 

-1899 



ANTI-ZARATHÜSTRA. 



GEDANKEN 

ÜBER 

FRIEDRICH NIETZSCHES 

HAUPTWERKE. 

VON 

D«- OTTO HENNE AM RHYN. 



•Uk Mok in Mimclum NUHsekts Bild VOM eirut 
Untttrt Hand gemalt. Dtr unglückUekt Mamn mit 

rernem uniin^ij/ih.i/i f-'-.i! s^ross ancelegttn Gtiste tvar 
unter einer grünen Laubt titgtnd dargtst4Ut, Stimt 
Augtn schienen vom ] Vmk t uimm mmßtrt. D*» W»rt 

mir in dm Sinn; die lVe!t 
W# Jür Ninmtekti Lehre nexk nieki rei/t und et lag 
nahe, den Schluss :u zi/'ken: In der Stunde, toe sie etamu 
reif würde, wäre sie auch dem iVak^unn verfallen.* 

Dr. Rick, Friedrick, Nietiteke-KuUus, S. 23. 



AI/TBNBXJRa, B^A. 

ALFRED TITTEL'S VERLAG. 

1B99. 



Digitized by Google 



Hfmf^m cvarriy, usHmY 



VORWORT. 



Lange Zeit, wohl ein halbes Jahr, habe ich in pein- 
licher Ungewifsheit zugebracht, ob ich diese Schrift der 
Öffentlichkeit übergeben solle oder nicht. Mehreremal 
schwankte ich in der Zeit zwischen der Bearbeitung ihrer 
beiden Teile ^ ob ich das bereits Geschriebene vernichten 
solle. Nicht der Zweifel an der Richtigkeit meiner An- 
sichten verursachte dieses Schwanken , sondern teils das 
Vorhandensein mehrerer Schriften gleicher Tendenz, teils 
das Widerstreben, gegen einen Kranken und Unglücklichen, 
der nichts davon empfindet^ aufzutreten. Ich mufste mir 
aber sagen, einerseits, dafs die Anhänger Nietzsches mit 
einer Keckheit auftreten, die einem die Fed r in die Hand 
zwingt, und dais sie noch lange nicht vollständig widerlegt 
sind, und andererseits, dafs die Hauptwerke Nietzsches in 
einem Stile abgefafst sind, der durchaus keine Schonung 
anderer kennt. Kann auch der arme Kranke, selbst wenn 
er wollte, sich nicht wehren, so ist doch meine Schrift nicht 
gegen seine Person, sondern gegen seine hauptsächlichsten 
Ansichten gerichtet. 

Der Professor a. D. Nietzsche und der Verfasser des 
»Zarathustrac j des »Jenseits von Gut und Böse« u. s, w. 
sind in dieser Schrift vollständig auseinandergehalten; denn, 
wie darin wiederholt gezeigt werden soll, tmterscheiden sie 
sich so scharf, wie zwei ganz verschiedene Personen. Man 
ist versucht, an ein rätselhaftes Doppelwescn (Doppel-Ich) 
zu denken. Das bitte ich im Gedächtnis zu behalten und 



- IV — 



nicht fälschlich zu behaupten, ich hätte einen 
Kranken angegriffen! — Nein! Ich bekämpfe nicht den 

Mann, sondern den Schriftsteller, seine im Leben nicht 
von ihm betätigte, aber in seinen Büchern von ihm 
verkündete und verfochtene atheistische und immoralistische 
Lehre und sebe blinden Anhänger. Ich nenne ihn zwar, 
meine aber damit nur seine Werke und die Herren Kaatz, 
Steiner, Zerbst, Tille u. s. w., die wirklich keine besonderen 
Rücksichten verdienen*) und in einem Grade von An- 
maisung und Leidenschaft aufgetreten sind, der nur An- 
wendung des bekannten Sprichwortes vom Klotz und Keil 
verfuhrt, dem ich aber nur in geringem Mafee gefolgt bin. 
Ich bin mir bewufst, nicht schärfer, mm Teil sogar weniger 
scharf aufgetreten zu sein, als die Herren Nordau, Stein, 
Ritsehl, Achelis, Duboc, Tttrck, Friedrich u. a., mit denen 
ich im ganzen und grofsen libereinstinune (nur teilweise 
mit Riehl, Gallwitz, Schellwien, Weigand und Tönnies), 
deren Schriften ich aber nicht erschöpfend genug finde. 
NamentUch glaube ich in Verteidigung der Frauen gegen 
Nietzsche allein zu stehen. Dais ich nur die Werke 
Nietzsches vom iZarathustrac an, d. h. diesen und die ihm 
folörenden drei ethischen Schriften berücksichtigte, hat seinen 
Grund darin, dafs ich gegen die vorhergehenden, älteren 
Schriften Nietzsches nichts Wesentliches einzuwenden habe, 
teilweise sogar damit einig gehe, und die drei späteren 
(zwei gegen Richard Wagner, sowie den >Antichristc) 
nicht zu berücksichtigen habe, weil ich kein Musikkcaner 
bin und den »Antichrist« bereits der geistigen Gesundheit 
völlig entfremdet, daher unzurechnungsfähig find& Mit 



*) Die für Nietzsche schreibenden Damen nehme ich wie 
billig aus. 



Digitized by Google 



V - 



anderen Worten: Ich bespreehe nur Nietzsches dritte, von 

Ritsehl als >instinktivistische« bezeichnete Periode und kann 
die zwei vorhergehenden nicht als vorbereitende, sondern 
nur als von ihm überwundene Standpunkte betrachten. Aber 
auch die genannteni hier behandelten vier Werke sind nur 
teilweise besprochen, weil grofse Teile, namentlich der drei 
ethischen Schriften, mir keinen Anlafs dazu boten. Insbeson- 
dere habe ich alles, was Nietzsches Angriffe auf Personen 
betrifft, unberücksichtigt gelassen, da es sich dabei nicht um 
Grundsätze, sondern lediglich um Stimmungen handelt. 

Um diese letzteren handelt es sich zwar in Nietzsches 
Werken überhaupt sehr stark: sie sind sogar wesentlich 
subjektive Stimmungsprodukte. Soweit sie aber von Grund- 
sätzen handeln, sind sie um so ge&hrlicher; denn empfind- 
samen und phantasierdchen Gemütern teilen sich Stimmungen 
gar leicht mit und haften auf die Dauer in ihnen. Dies ist 
aber namentlich der Fall, wenn dazu eine Sprache beiträgt, 
die, wie diejenige Nietzsches, bei Mangel an Nüchternheit 
und ruhiger Überlegung des Lesers, durch ihre Eigenart, 
namentlich ihre kunstvollen Wortspiele, ihre Aneinander- 
reihung von Bildern, und nicht zum wenigsten durch ihre 
mystische Dimkelheit imd traumhafte Nebeiweit besticht 
und blendet. Das meiste tragen dazu wohl die eingefloch- 
tenen lyiiscfaen Stellen bei, die noch das für sich haben, 
dafe sie vom System des Verfassers absehen und sich blofs 
an das Gemüt wenden. Ein philosophisch durchdachtes 
System enthalten ja allerdings Nietzsches Werke nicht; aber 
ein Grundgedanke durchzieht namentlich die hier be- 
sprochenen vier Werke: die Veilierrlidiung der Hervor- 
ragenden und die Verachtimg der Menge, und das schmei- 
chelt natürlich allen denen, die sich selbst, weim auch ohne 
Gnm<^ für hervorragend halten. 



L.icjui^L.ü cy Google 



Da ich nun der entgegengesetzten Ansicht bin, näm- 
lich derjenigen , dafs die auf das Hervorragen , auf die 
»Vornehmheit« Anspruch Erhebenden genau zu prüfen sind, 
ob sie dazu ein Recht haben, dafs die Menge nicht za ver- 
achten , sondern heranzuziehen ist, und dafs gerade die, 
welche dies verstehen, au! die Vornehmheit das meiste 
Recht besitzen, so habe ich mich verpflichtet gefühlt, für 
diesen Standpunkt ein- und gegen denjenigen Nietzsches 
aufzutreten. Wäre dieser Standpunkt veremzelt geblieben, 
und hätte er nicht »Schule gemacht« , so hätte ich mein 
kleines Buch ungeschrieben gelassen. 

Ich muls es durchaus ablehnen, anzuerkennen, daXs 
Nietzsche, auch wenn er es beabsichtigte, nur ftlr Aus- 
erwählte geschrieben habe. Denn erstens sind seine Werke 
Allen zugänglich und können daher auf Alle Einflufs aus- 
üben, und zweitens bemüht er sich, Seiten imd Bogen hin- 
durch Ansichten zu bekämpfen, die ohnehin kein Aus- 
erwählter, ja nicht einmal ein gewöhnlicher Gebildeter 
mehr teilt. 

Es war mein Bestreben, die sehr zti^tiriilen Äufse- 
rungen Nietzsches über einzelne Punkte des Kulturlebens 
zu sammdn und im Zusammenhange zu besprechen, zugleich 
aber den Zusammenhang des Ganzen, soweit ein solcher 
vorhanden ist, besser zu wahren als seine Anhänger, die 
gewöhnlich alles, was für ihn einnehmen kann , durch- 
einander werfen und das Gegenteilige einfach weg- 
lassen. — 

Femer bin ich stets von der Überzeugung ausgegangen, 
dafs keine Erscheinung der Gegenwart, wie Nietzsche stets 
annimmt, ein Abschluls und ein Resultat, und zwar ein 
schlechtfes sei, das man beseitigen und durch etwas 
»Besserest (?) ersetzen müsse. Ich betrachte vielmehr alles, 



Digitized by Googb 



— yn — 



was vorkommt und vorgeht , als etnen Ubergang, als die 
Wirkung einer Ursache und als die Ursache einer kommen- 
den AViikung. Ich muLs daher das, was in der heutigen, 
von Nietzsche schlechtweg verworfenen Moral mangelhaft 
oder tadelnswert ist, als ein Überbleibsel älterer, geringerer 
Kultur, und das, was gut, wohltuend und gemeinnützig ist, 
als Vorzeichen ktinftiger höherer Entwickcluno; betrachten. 
Das ist gerade der Hauptpunkt meiner Abweichung von 
ihm, daXs ich in allem eine Entwickelung erbÜcke, während 
er nur Sprünge und Umwälzungen kennt. 

Die für Nietzsche sdireibenden Schriftsteller und 
Schriftstellerinnen legen zum Teil grofses Gewicht auf 
den Umstiind, dafs Nietzsche im wirklichen Leben be- 
scheiden, hdfUch, tolerant und menschenfreundlich auf- 
getreten sd. Das ist vollkommen richtig. Aber 
was folgt daraus fflr seine Schriften? Entweder schrieb er 
anders als er sprach und handelte, oder seine Werke sind 
anders zu verstehen, d. h. nicht wörtlich, sondern in einem 
Sinne, der erst künstUch hineingelegt werden müfete. 
»Ja, er meint das und das so und so,c heilst es dann 
immer mit erregten Worten. Man komme uns nur nicht 
damit ! Wir fragen ganz einfach : wer ist berufen, 
Niet?sche zu interpretieren? Ein solcher müüste doch von 
ihm selbst ^in seine Absichten tief eingeweiht worden sein. 
Es ist nicht nachgewiesen oder nachzuweisen, dafe diese 
Ehre jemandem widerfuhr. Aber wozu ums Himraels- 
willen hätte |er denn anders geschrieben, als er schreiben 
wolljte? Abgesehen davon, dafs dies ganz unwahrschein- 
lich ist, liegt klar genug vor, was er wollte, und im 
Grunde leugnen seine Verehrer auch gar nicht, dafs eine 
rticksichtlose Herrenkaste sein Ideal imd die Sklaverei des 
Volkes seine Tendenz war. Also, warum seine , eztra^ 



Digrtized by Google 



vm — 



Vaganten Änisenmgen, die zn diesem Streben ToUkoniaien 
passen, überkleisleni nnd abBcfawttchen? Wir erUären ans 
die Sache dahin: er war Vingst nmeriich krank, besonders 

seit dem Beginne des ^Zarathustra« , und infolgedessen mit 
sich und der Welt zerfallen. Wenn er in der Einsamkeit 
schrieb, übermannte ihn der Ekel an der gansen Welt, nnd 
er liefs ihm die Zügel ohne alles Mafe schieüsen. Befand 
er sich aber unter liebenswürdigen und unterhaltenden 
Menschen, so vergais er seinen einsamen Welthals und 
fügte sich gern in die heitere Wirklichkeit; war er aber 
wieder aUdn mit seinen quälenden Gedanken, so träumte 
er sich in ein Leben hinein, das mit dem wirklichen Leben 
in keinem Zusammenhange steht und ihn in die Möglich- 
keit bineintäuschte, ein Reformator der Weit zu werden! 

Die Übertragung dieser personlichen Ansachten nnd 
Stimmungen an! eine gröfsere Anzahl von Menschen ist 

aber gerade das ^ erd erbliche! Ich verwerfe die Schöpfung 
von Utopien nicht, habe sogar selbst eine solche ge- 
schrieben*). Aber sie müssen sich als solche geben. Ans 
Nietssches Werken ergiebt äch eine Utopie nicht von selbst, 
sie läfst sich aber herausfinden, und zwar als eine solche, 
die nur mit den empörendsten Giewalttätigkeiten ausführ- 
bar wäre. Sie ist nicht nnr nicht geeignet, *ein menschen- 
würdiges Gefühl zu nähren nnd zn pflegen, sondern viel- 
mehr jedes solche Gefühl m untergraben. Denn es wird 

unter denjenigen Lesern, die sich von Nietzsches Stil blenden 
und bestechen lassen, nattlrlich nur solche geben, die sich 
zur künftigen Herrenrass^ und keine, die sich zur Sklaveu:- 
rasse rechnen. Unter dksen Herren aber können Nietzsches 



*) A r t a , das Reich des ewigen Friedens im 20. Jah]> 
hundert. Piorzheim 1895, . 



- IX — 

nur emen mafeloGeii EigeodOnkd, eine Ver- 
achtung von staatlicher Ordnung, Recht, Rdigion nnd 

Wissenschaft, und was praktisch noch das schUmmstc ist, 
eine Müsachtung [und Geringschätzung sowohl des Volkes 
als des weiblichen Geschlechtes pflanzen I Dafs es aber 
vollends Damen giebt, die trotz der Peitsche nnd der 
Haremssperre, die ihnen Nietzsche in Aussicht stellt, trotz 
den Schlechtigkeiten, die er ihrem Geschlechte vorwirft, für 
diesen gefährlichen Träumer schwärmen, das ist und bleibt 
mir ein psychologisches Rätselt 

Aus wohlmeinender Sympathie für diese Verirrten habe 
ich mich entschlossen, jener Utopie des Zarathustrischen 
Wolkenkuckucksheim auf den Leib zu rücken. 

Denn die BegnifeTerwirmng ist durch Nietzsche auf 
einen fabelhaiten Grad gestiegen. Müssen wu: ja erleben, 
dals in dem Nietzsche-Qi^an par ezceUence, im »Magazm fOr 
Litteratur« (1898 Nr. 43) unser Dichter-Philosoph geradezu 
als Förderer derjenigen Ideale gefeiert wird^ wegen 
deren Herabwürdigung ich ihn leider angreifen muDste, 
nämlidi der Freiheit und der Frauenwürdel Gerade 
weil ich, wie Herr Rudolf Steiner, die Freiheit hoch 
halte, muls ich Nietzsches Herren- und Sklaventum be- 
kämpfen. Gerade weil ich, wie Frau Helene Stöcker, 
die Frauenrechte verfechte*)^ muls ich Nietzsches Frauen- 
verachtnng verabscheuen. Aus beiden Gründen muls *ich 
die Idee des Übermenschen, die nach Nietzsches Auffassung 
ohne Sklavenpeitsche undenkbar ist, verwerfen. Was 
seine Anbeter (die den Bibelorthodozen im Bnchstabendienste 
v^SlHg glekhstehen) ans ihm henrasLesen, ist eben leider 

*) Afit einziger Ausnahme der politischen, weil für diese 
den Frauen die Gesealeistung (der Militärdienst) fehlt» Kein 
Recht ohne entsprechende Pflicht! 



Digitized by Google 



— X — 

nicht Nietzscfaesy sondern der »Herren (und Damen) eigener 
Geist I< 

Es ist erfreulich, dafs die hoffnungsvolle Jugend an- 
föngt, das Zarathustra- Blendwerk zu durchschauen. Ich 
führe ans mehreren Beispielen nur an, was der treffliche 
Julius Hart (Der neue Gott, S. 80) sagt: 

* Jenseits von Gut und Böse versprach Nietssche 
uns mi fähren. Liest man den Titel und liest man 
das Buch, so hat man den feinen Täuscher und Be- 
trüger nackt vor Mch, den grofsen Eomanisten, dm 
Mann des blendenden Scheins, der schönen Form ohne 
Inhalt. Den genialen Biichertitelerßnder, den Schlagwort- 
und Etikettendichter. ^ 
Greht auch Julius Hart von einem anderen Gesichts- 
punkt aus (dem germanischen im Gegensatz zu Nietzsches 
romanischem); als ich (vom kulturhistorischen und philan- 
thropischen), so ist sein Resultat dasselbe wie das meine, 
die Entlarvung eines »Dilettanten«, der »üpemtexte« für 
tiefe Weisheit ausgiebt und dem es gelang, seine kolossalen 
Vorurteile hei einer verblendeten Gemeinde geradezu als 
das Gegenteil, als Vernichtung von Vorurteilen erscheinen 
zu lassen. 

Möchte dieses Beispiel weiter wirken und auch mein 
Scherflein sich in grtflseren Kreisen Geltung erwerben!^ 

St Gallen, Frühlingsanfang 1899. 

Der Verfasser. 



Digrtized by Google 



Da ich nicht sicher bin, ob alle Leser dieser Schrift 
mit der Person und den Schriften Nietzsches bekannt sind, 
so lasse ich hier eine kurze Obersicht seines Lebens nnd 

Wirkens aus meiner ^ Kulturgeschichte der jüngsten Zeit« 
folgen. 

Friedrich Wilhelm Nietzsche, 1844 zu Rdcken 
bei Lützen als Pastorssohn geboren, wurde 1868 Professor 
der klassischen Philologie in Basel, welche Stelle er wegen 

eines hartnackigen Kopfleidens schon 1879 niederlegen 
mulste, führte dann ein unstetes Wanderleben, meist in 
Italien tmd der Schweiz, mid wurde 1889 in einer Irren- 
anstalt untergebracht, die er dann, ungefährlich, aber auch 
unheilbar, mit dem Aufenthalte bei seiner Mutter in Naum- 
burg und jüngst bei seiner Schwester in Weimar vertauschte. 
In seinen Werken, die sich ausschlielslich auf den Menschen 
und dessen Kulturleben beziehen, ging er ursprünglich von 
Schopenhauer aus. So viele Wandlungen er auch durch- 
gemacht hat, in einem l\inkte blieb 'er stets konsequent, 
in dem von Schopenhauer übernommenen, anfangs noch 
nicht sehr hervortretenden Atheismus. 

Es sind in l^Hetzsches schriftstellerischer Laufbahn drei 
Perioden zu 'unterscheiden. In der ersten stand er unter 
dem doppelten Hinflusse Schopenhauers und Rieh, Wagners. 
In diese fallen von seinen Schriften: »Die Geburt der 
Tragödie aus dem Geiste der Musik« (1872) und »Unzeit^ 



Digitized by Google 



— xn - 

gemälise Betrachtmigen« (1873—1876), sich noch 

kemerlei eigentttmliche Richtung, nur eine gewissennaCsen 

dithyrambische Excentrizität kundgiebt. Dann wandte er 
sich von seinen beiden Mentoren ab, von Schopenhauer, 
weil er an seiner Metaphysik irre wurde, von Wagner, weil 
dessen Hinneigung mm Christentum im Parsifal ihn ahstielis* 
In seiner zweiten Periode erschienen die aphoristischen 
Schriften: »Menschliches, Allzumenschliches« (1878), »Der 
Wanderer und sein Schatten« (1880), >Die Morgenrötec 
(1881) und die »Fröhliche Wissenschaftc (1882). In dieser 
(nach O. Ritsehl) »inteHektualistischenc Periode tritt sein 
Antichristentum schärfer hervor; es beginnt die Skepsis an 
der Wahrheit, aber noch nicht die Verleugnung der Moral. 
Für die Beurteilung seiner Eigenart und die Erklärung des 
Anhangs, den er hmd, ist nur die dritte (nach Ritsehl) 
»instniktiyistische« Periode mafsgebend, in welcher er schrieb : 
i^Also sprach Zarathustra« (1883 — 1885), eine dunkle Prosa- 
dichtung in nachgeahmtem Bil>elstil, t Jenseits von Gut und 
Bösec (1886), das eigentliche »Lehrbuchc seiner letzten und 
ge&hrlichsten Phase, dann dessen Ergänzung : »Zur Genea- 
logie der MoraU (1887), »Der Fall Wagnerc (1888), die 
»Götzendämmerungc (in demselben Jahre) und den »Anti- 
dmstcy der nur drei Monate vor seiner Erkrankung ent- 
stand und erst in seinen gesammelten Werken 1895 er- 
schien, — das leidenschaftlichste, unversöhnlichste Buch, das 
jemals gegtm das Christentum erbciiieneu ist. 



L.icjui^L.ü cy Google 



LITTERATUR. 



Achelis, Dr. Thomas, Friedrich Nietiache. Hamburg 1895. 

— Friedrich Nietzache. Illustr. deutsche MowUshefte. Bd. 76^ 

S. 99 ff. Brannschweig 1894. 
Andreas-Salome, Loa, Friedrich Nietzsche in seinen Werken. 

Wien 1894. 

Berjr, Leo, D€t Übermensch in der modernen Litteratur. 

München und Leipzig 1897. 
Duboc, Dr. Julius, Jenseits vom WkhUchen. S. HO ff. 

(Friedrich Nietzsches Übermenschlichkeit.) Dresden 1896. 

— Anti-Nietzsche. Dresden 1897, 

Falckenberg, Dr. Richard, Geschichte der neueren Philo* 

Sophie. 3. Aufl., S. 451 ff. Leipzig: 1898. 
Friedrich, Richard, Nietzsche-Kultus. Leipzi^i: 1898. 
Gallwitz, Hans, Friedrich Nietzsche, ein Lebensbild. Dresden 

und Leipzig 1898. * 

— (Recensionen verschiedener Schriften Uber Nietzsche, Pteufs. 
Jahrb. 1898.) 

Grot, Nikolaus, Nietzsche und Tolsttn. Aus dem Russischen 

von Dr. Alexis Markow. Berlin 1898. 
Hart. Julius, Der neue Gott S. '^8 ff., 104 fL, 242 ff. LeipzifiT 

1899. 

Kaatz, Dr. Hugo, Die Weltmschauun^j Friedrich Nietzsches. 

2 Teile. Dresden und Leipzig 1892 und 1893. 
Moe 11 er- Bruck, Arthur, Die moderne Litteratur in Gruppen- 

und Einzeldarstellungen. Bandl. Tachandala Nietzsche. Berlin 

und Leipzig 1899. 
Nietzsche, Friedrich, Also sprach Zarathustra. 9. Aufl. 

Leipzijr 1897 

— Jenseits von Gut und ßüse. 6. Aufl. Leipzig 1896. 

— Zur Genealogie der Moral. 3. Aufl. Leipzig 1894. 

— Götzendämmerung. 5. Aufl. Leipzig 1896. 

Nordan, Max, Entartung. 2. Bd., 2. AufL, S. 303 iL Berlin 
1893. 



Digitized by Google 



XIV ^ 



Riehl, Alois, Friedrich Nietsache der KflnsÜer und der Denker. 

Stuttj^art 1897. 

Ritsehl, Otto, Nietzsches Welt> und Lebensanschauung. 

l^rriburg: und Leipzig 1897. 
Sali s - Marschlins, Dr. M e ta von, Philosoph und Edelmensch. 

Ein Beitrag zur Charakteristik Friedrich Nietzsches. Leipzig 

1897. 

Schell Wien, Robert, Maz Stirner und Friedrich Nietzsche, 

Erscheinungen des modernen Geistes. Leipzig 1S92. 

— Nietzsche und seine Weltanschauung. Leipzig; IKH? 
Sehuster, L., Nietzsches Moral Philosophie. Rheinbach 18Q7. 
Siebert, Dr. Otto, Geschichte der neueren deutschen Philo- 
sophie. S. 243 ff. Göttingen 1898. 

Stein, Dr. Ludwig, Friedrich Nietzsches Weltanschauung 

und ihre Gefahren. Berlin 1893. 
S te i n e r , Dr. Rudolf, Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen 

seine Zeit, Weimar 1895. 
Tille, Dr. Alexander, Von Darwin bis Nietzsche. Ein Buch 

Entwicklungsethik. Leipzig 1895. 
Tönnies, Ferdinand, Der Nietzsche - Kultus. Eine Kntik. 

Leipzig 1897. 

Tttrck, Dr. Hermann, Friedrich Nietzsche und seine philo* 
sophiscfaen Irrwege. Jena und Leipzig 1894. 

— Der geniale Mensch. X. Vorlesung. S. 232 fi Jena und 

Leipzig 1897. 

Weigand, Wilh., Friedrich Nietzsche. Ein psychologischer 
Versuch. München 1893. 

Zerbst, Dr. Max, Nein und Ja! Antwort auf Türcks Bro- 
schüre etc. Leipziii 1892. 

Ziegler, Dr. Theobald, Die geistigen und socialen Strömungen 
des 19. Jahrhunderts. S. 586 ff. Berlin 1899. 

Vom Verfasser dieses Buches: 

Kulturgeschichte der jüngsten Zeit S. 452 ff. Leipzig 
1897. 

Der Übermensch vor und nach Nietzsche. »Das Volk«. 
S. 425 ff. u. 489 ff. Wien 1898. 

Die Ausführbarkeit der Ideen Friedrich Nietzsches. 
'Das neue Jahrhunderts S. 652 ff. Berlin, Februar 1899. 



uiyiii^cHj by Goggle 



INHALT. 



Seite 

I. ^Also sprach Zarathustra« 1 

Einleitung 3 

Von Gott 8 

Vom Übermenschen I 14 

II 20 

Vom Staate 27 

Von offenen Türen 32 

Vom Weibe 38 

Von Predigten, Liedern und Träumen 44 

Von alten und neuen Tafeln 52 

Von Gespenstern 60 

II. 'Jenseits von Gut und Böse. « — »Zur Genea » 

logie der Moral.« — »Götzcndämmcrunj^« . . 69 

Was ist Wahrheit? 71 

Grüfsenwahn 79 

Geizen sein Vaterland 82 

Zur Genealogie der Moral 86 

Die Bestie im Menschen 91 

Herren- und Sklavenmoral 102 

Aussichten in eine Nietzschesche Zukunft . , . , 110 

Zur Apologie des Verbrechers 119 

Nietzsches Religion 123 

Schach der Wissenschaft! 135 

Nachwort 141 



A nhang (Dr. 0. Siebert Gesch. d. Philos. über Nietzsche) 15 1 



L 



»ALSO SPRACH ZARATriUSTRA.« 




Heüe, aämSmde Gtdankenblitu wechseln (öH Nietxseke) 
ah mit völlig mtoerständlichtn , angeblich tiefsinnigen, im 

der T'at M'ddsinni^en Aussprüchen und dann nieder mit 



gtscktttocklosen und plumpen Ausjällen auf aUe rätgiostn 
mmd »ifSehm Idtait taden; d^mi^ikm t$uUkk miuk» 
skk 4ße Ttm ia maJümdm Wakmsiimi, lAr tmd 



Im der Wdißsutkßiumg NuiBteMu stim int, um tt 
im dmm hmm Aiudmdt tm fassen, äSs vsUmdUe AmanMs 
des Demkms, Am v^iSigim Btmlursit dss pkUss^Mukm 
Semn/stseins , insbesondere die Znekh und Schamlosigkeit 
des durch ketm stüSehm Verpßiehtungen mehr gebundenm 
G^msn DtrssUs (S, 





Dr, TK Athtlis (F^. AT« 5.^/^. 



Hean« am Kkytt, ABCi>ZaMitiburtn. 



1 



Digrtized by Google 



EINLEITUNG. 

•Nie/U fremd ixt mir diestr Wanderer: vor 
wtaitekem Jahre ging tr khr wrM, Zamikmtra 
ktt/t er} aber er kai sieh virofemdelt,* 

(Zmr, & lo^ 

Warum heilst der Held des Werkes >Zarathi3Strac ? 
Weil beide Personen dieses Namens , der altpersiache und 
der Nietzschesche , sich mit den Ideen des Guten tmd des 

Bösen beschäftigen. Weiter gehen sie einander nichts an. 

Der altpersische Zarathustra (griechisch Zoroaster) lebte 
spätestens im 6. Jahrhundert yor Chr.; Uber seine Person und 
Heimat ist nichts Näheres bekannt; ebensowenig ist man 
darüber unterrichtet, was in dem einzigen aus seiner Zeit 
stammenden Gesetzbuche, Vendidad, von ihm selbst her- 
rührt. Er [ist [eine halb mythische Person , die auf der 
Orenzscheide zwischen der natürlichen und der geistigen 
KeligioQ steht. Den Hauptteil in seinem Gesetze nehmen 
Ritual Vorschriften ein, die für uns höchst absurd klingen und 
ihn rn Inhalte gemäls für ein Volk von Viehzüchtern ge- 
schaffen zu sein scheinen Es ist eüi durchaus auf 
praktisch-volkstümlichem Boden stehendes Gesetz, dem jede 
mystische Grübelei fem liegt; Nietzsches Zarathustra da- 
gegen schwebt in einem zeit- und raumlosen Utopien, in 



*) Bezüglich des Näheren verweisen wir auf Justis Ge> 
schichte des alten Fersiens. Berlin 1879. 



einer Landschaft ohne Grund und Boden, unter Leuten 
ohne Volkscharakter; er setzt die gesamte bisherige Kultur- 
entwicklung der Menschheit — allerdings ohne sie zu er- 
schöpfen und ohne irgend eine ihrer Erscheinungen offen 
mit Namen zu nennen — voraus; ja aus dem einen 
Umstände y dals er (im 4. Teile) u. a. mit »dem letzten 
Papste« zusammentrifft, ist zu schliefen) dals sich ihn sein 
Dichter in einer fernen Zukunft gedacht hat. 

Und sein Charakter y Dieser getällt sich in den wider- 
sprechendsten Stimmungen. £r schwankt beständig zwischen 
Weltlust und Weltflucht, Optimismus und Pessimismus, Rea- 
lismus und Idealismus. Seine Hauptleidenschaft ist die durch 
den Titel angedeutete Redesucht. Nur wer von dem 
Werke und von Nietzsches blendenden^ bunten Seifenblasen 
hypnotisiert ist» kann zweifeln oder leugnen, dafs dieser 
Zaratfaustra der langn^^eih'gste, zudringlichste und unerträg 
lichste Schwätzer ist, der sich denken läfst, und dafs er an 
partieller, vom 1. bis 4. Buche sich steigernder und zuletzt 
in Tollheit ausbrechender Geistesstörung leidet. 

Die ganze Anordnung von Nietzsches Zarathustra, seine 
Einteilung in Bücher, Kapitel und Verse, sowie der Stil 
und die Redeweise, die Umgebung des Propheten mit Jtingern, 
sein Sprechen zum Volke — alles das ist dem Neuen 
Testamente nachgeahmt. Wir sind alles eher als ortho- 
dox, mtlssen aber sagen, dafs »Also sprach Zarathustrac 
sich dem N. T. nicht von ferne vergleichen läfst. Der 
tiberwältigend reichen Handlung des letzteren steht hier 
eine ungemein ärmliche und dürftige, dem erhabenen Pathos 
des N. T. ein bald bombastisches, bald triviales Gerede 
gegenüber. Dabei trägt das N. T. ungeachtet seiner Er- 
habenheit doch den Charakter rührendster Bescheidenheit 
an der Stirne, während Zarathustra mit seinem am Ende 



- 5 — 



eines jeden Kapitels sich eintönig wiederholenden »Also 
sprach Zarathustrac höchst anmafsend und anspruchsiroU 
aaftntt and in hohem Grade ennttdend wirkt 

Bifit kurzen Worten: »Also sprach Zarafhtistra« ist eine 
Parodie des Evangeliums! — 

Und zwar eine recht geschmacklose Parodie! 

Quod est demonstrandum! 

Alle Vergleicfaungen mit den Evangelien sprechen xu 
Ungunsten Zarathustras. 

Im Neuen Testament ist jede Stelle einer bestimmten 
Zeit und einem bestimmten Orte angepalst. Abgesehen von 
einzdnen Widersprtichen zwischen den Evangelisten, die 
aber die zeitliche und (hrtliche Färbung nicht herUhreOy 
sehen wir uns auf einem historischen Boden, keineswegs in 
einem Nebellande, wie es den Schauplatz von Nietzsches 
Zarathustra bildet. Dieses Werk leidet an durchgehen- 
dem Anachronismus. Ein nach Art der ersten ägyptischen 
MOnche in einer Höhle lebender , mit ähnlichen Hohlen* 
heiligen verkehrender und nur hie und da bewohnte Orte 
besuchender Einsiedler hat, abweichend von seinen Berufs- 
genossen, durchaus moderne und modernste Ansichten-, d* h, 
er ist der nicht in Höhloi, sondern in Hotels und Pensionen 
wohnende Nietzsche und predigt einen glühenden Hafs gegen 
das Christentum, dem doch die Urbilder jener Eremiten 
angehörten. Und tühlte Nietzsche denn nicht, daSs ein 
sokher modemer Einsiedler in unserer Zeit oder gar in der 
Zukunft schlechterdings auf keinen Erfolg rechnen kdnnte, 
namentlich mit so unklaren Predigten, wie sie Zarathustra 
hält? Allerdings fühlte er es und predigte doch in dieser 
Weise! Zu welchem Zwecke denn eigentlich? 

Die Evangelien zeichnen sich durch grotsartige Ge- 
staltungskraft und treffende Charakterschildenmg der anf- 



Digitized by Google 



tretenden Personen aus. Alles ist Leben, alles Farbe, alles 
menschlich. Sogar die Gleichnisse, die Jesus erzählt, sind 
innerlich so wahr, dafs, obschon sie nicht tatsächlich ge- 
meint sind, ohne Zweifel viele, vielleicht die meisten Gläu- 
bigen sie ftlr wirklich vorgefallene Begebenheiten halten« 
"Wenn wir nicht irren, sind sogar Reliquien, die aus diesen 
Erzählungen stammen sollen, vorgezeigt worden. 

»Zarathustra« aber ist in seinen Gestalten durchaus 
ohne Charakterzeichnnng. Diese Gestalten sind ohne Fleisch 
mid Blut, ohne Leib und Leben, ohne Seele und Charakter, 
es sind Phantome oder Gespenster oder Schatten, jedenfalls 
keine Menschen und noch weniger Menschen eines Landes 
oder einer Zeit. Und doch soll ihnen ohne diese Grundlage 
ein höheres Menschentum gelehrt werden? 

Mit Ausnahme mehrerer theologischer Dunkelheiten, 
die aber auf den Gang der Erzählung keinen Einfluis haben, 
sind die Evangelien klar und verständlich; sogar die Wunder, 
an die wir nicht glauben, and fUr jene, die daran glauben 
können, Uber jeden Zweifel klargestellt. In Nietzsches 
iZarathustrac dagegen ist alles unklar, verworren, mystisch. 
Seine Bewunderer sagen, er werde milsverstanden^ dies 
und jenes mflsse so oder so ausgelegt werden; was all- 
gemein gesagt sei, dttrfe nur mit Bezug auf diese und 
jene Beschränkung au%efafst werden. Ja, auf diese Weise 
könnte jeder Unsinn als Sinn, sogar jede Behauptung: als 
ihr Gegenteil ausgegeben werden. Überhaupt ist ein Buch, 
das müsverstanden werden kann oder ausgelegt werden 
muls, ein Unding und bleibt besser ungedruckt. Die groDse 
Verwüstung in den Gemütern, die Nietzsche bewirkt hat, 
beweist dies zur Genüge. 

Endlich bedienen sich die Evangelien durchaus einer 
wttrdigen und erhabenen Sprache, während Nietzschea 



Digitized by QQpgl( 



»Zarathvstrac von Trivialitäteii, Blasphemien, Roheiten und 

Zweideutigkeiten, sowie von Unwahrheiten, falschen Be- 
liauptungen, Entstellungen geschichtlicher Thatsachen und 
oosinmgen Reden wimmelt, was wir im folgenden näher 
nachweisen werden. Bs fehlt dem »Zatatbustrac nicht an 
schönen Stellen, auf die wir an passendem Orte hinzuweisen 
nicht ermangeln \ im ganzen aber leidet das Werk an einem 
ungesunden Pathos, das vielfach zu den unbedeutenden An- 
Ulssen, auf die es angewandt wird, schlecht genug psSst 
Vermissen mufs jeder Denkende die Richtung der Zorn- 
reden des »Weisenc gegen die ärg^sten Übelstände der Zeit 
und bedauern ihre Richtung gegen alltägliche Schwächen. 
Alles, was im »Zarathustra« sich auf Tiere bezieht, kommt 
uns in hohem Grade geschmacklos und -verfehlt vor: der 
»Adler« und die »Schlange« (die gar kein »Tier«, sondern 
.eine zoologische Ordnung und deren »Klugheit« wieder nur 
aus dem Neuen Testament entnommen ist), die mit ihm 
sprechen, das »Kameel«, das zum »Lowen« und dieser, der 
zum »Kmde« wird u. s. w., alles sind erzwungene Symbole 1 
Was aber von wahrhaft edeler Gesinnung zeugt , ist ent- 
weder unverstandlich oder selbstverständlich. Das Rohe 
und Falsche ist leider allzu verständhch und zudem gerade 
das^ worin der Verfasser eigenartig erscheint, und was den 
meisten Elnflufs ausgettbt hat! 



VON GOTT. 

»Dein feiffr Teuftl .... rtätt dtr gk: 
is güit einen GoitI* 

Nietzsches Zarathustra dekretiert eiii£ftch, Gott sei tot! 
Er wundert sich (S. 12), dafs sein alter Einsiedler-Cöllega 

(wenn diese Bezeichnung nicht ein Widerspruch ist) in 
seinem Walde noch nichts davon gehört habe (wie wenn 
es sich um eine Zeitungsnachricht handelte), dais Gott 
tot istS Durch seinen k<do6salen GrüJsenwahn lAlst skh 
also Nietzsche verleiten, seine persönliche Ansicht, d. h. 
seinen individuellen Atheismus, als Tatsache hinzustellen, 
der Welt vorxuschreibea, als Uber allen Zweifel erhaben 
auszugeben! 

Was berechtigt ihn dazu? Giebt er Grflnde dafür an? 

Stellt er Beweise auf? Keine Spur! Nietzsche befiehlt, f 
Gott sei tot, also muis er tot sein! 

Sein Gröfsenwahn geht aber noch weiter! Nicht nur 
weil er es so findet, sondern weil er selbst kein Gott sein 
kann, darf es keinen Gott geben! 

»Wenn es GoLLcr gäbe,« sagt er (S. 124), »wie hielte 
ich 's aus, kein Gott zu seinV Also giebt es keine 
Gotter.c 

Hierin, in diesem aller Logik Hohn sprechenden Trog- 
schhisBe, keinen Wahnsinn zu sehen, ist denn doch die 

Verblendung auf der höchsten Stufe. 



Digitized by Google 



9 — 

»Zarathnstrac ist allerdings eine Dichtong. Der Dich- 
tung ist es gestattet, Dinge zu erzählen, die nicht wahr 

sind. Hier handelt es sich aber nicht darum. Nietzsche 
hatte bekannthch die Überzeugung, daXs der Atheismus 
die richtige Memnng sei. Diese konnte er für sich haben. 
Auch durfte er sie in einem prosaischen Werke mit Grün- 
den verfechten. Aber in einer Dichtung sie als unfehlbar 
und die entgegengesetzte Ansicht als erstaunlich und un- 
begreiflich hinstellen, alle Gründe dafUr aber verschweigen, 
das abersteigt jede poetische Freiheit Namentlidi in dieser 
Forml Er befiehlt, man mttsse Gott als tot betrachten, ^ 
schon diese Ausdrucksweise ist unsinnig. Denn giebt es 
einen Gott, so ist er ewig, und gäbe es keinen, so könnte 
er auch nicht sterben. Aber er meint ja nur den Glauben 
aa Gottl So sagen Nietzsches Bewunderer! Desto schlimmer; 
denn dafs dieser Glaube nicht tot ist und niemals tot 
werden kann, ist eine Tatsache, die kein Nietzsche mit 
seiner atheistischen Inquisitionslust aus der Welt schaffen 
kann. Er behauptet also eine wissentliche Unwahrheit. Er 
konnte diesen Glauben. ja wohl fUr sich selbst abtun; aber 
ihn für alle Welt als abgetan erklären und damit jeden, 
selbst den treidenkenden Gottesbekenner verletzen, das durfte 
er nicht. Denn das ist nichts anderes als atheistischer 
Fanatismus! 

Wir stehen jedem konfessionellen Dogma durchaus 
fem. Wir glauben nichts deshalb, weil es Andere 
glauben, oder weil es die Kirche lehrt. Aber wir halten 
Gott nicht nur fttr einen religiösen Glaubensgegenstand, 
sondern für eme philosophische Notwendigkeit und 
sogar fttr eine augenscheinliche Tatsache. Das Weltall 
ist, also mufs es auch gedacht sein ; wir umfassen es nicht 
mit unseren Gedanken; also muls dies Jemand können. 



Digitized by Google 



Raum mid Zeit sind fOr uns Rätsd, imd doch sind sie da. 

Es mufs also Einen geben, dem sie keine Rätsel sind. Der 
unermefsliche Sternhimmel nicht nur^ sondern auch der 
Menschenleib und jede Blume und Frucht sagt dem^ der 
denken will, daiis sie nicht Gebilde von unge&hr sem 
können. 

Wir wollen diese Meinung niemandem aufdi iincren. Wir 
diktieren nicht, es müsse an Gott geglaubt werden j jeder 
soll dies mit sich selbst ausmachen« Wir halten nur iest, 
dals der Glaube an Gott nicht tot ist, und dalis er nicht 
deshalb als tot erklärt werden darf, weil ein einflufe- 
reicher Schriftsteller nicht selbst Gott sein kann! Wir 
bekämpfen nur diese Blasphemie! 

Wir machen femer auf die Gefahr aufmerksam, die 
damit verbunden ist, dalis von einem Manne, dessen Namen 
man eine solche P)Ci iihmtheit zu verschaffen gewufst hat, 
wie dies bei Nietzsche der Fall ist, es der Welt gleichsam 
als eine Neuigkeit verkündet wird, daüs Gott tot sei. Sein 
»Zarathustrac ist in 9. Auflage erschienen, hat also min- 
destens 9000 Exemplare abgesetzt Lesen auch lange nicht 
alle Käufer das ganze Buch, so doch gewifs alle den An- 
fang, in welchem jene »Neuigkeit« enthalten ist. Man darf 
also annehmen, dals, die Leser dazu gerechnet, die das 
Buch m Leih- und anderen Bibliotheken kennen lernen, 
weit über 10000 Menschen durch die verblendende Sprache 
des Werkes für den Atheismus gewonnen werden können. 
Man braucht aber kein augenverdrehender Frtimmler zu 
sein, um darin eine grolse Gefahr zu erblicken. Auch 
durchaus freisinnige und kritische Denker, denen die Bibel 
ein Buch wie ein anderes ist , müssen sich sagen ; Wenn 
über 10000 Menschen dazu angeleitet werden, den Gottes- 
glauben aus frivolen, weil kritiklosen Gründen wegzuwerfen, 



Digitized by Google 



— 11 — 



so versinken ebenso viele in den Abgrund des Material is- 
muSy was für die meisten soviel heilst als unbedingte Hin- 
gabe an die Genulssucht und Verachtung aller Ideale. 
Frivol ist aber Nietzsches Grund für die Wegwerfung 
des Gattesglaubens gewUis: Weil er kein Gott sein kann^ 
sollen viele Tausende alles verlieren, was sie tiber den 
Kehricht des gewöhnlichen Lebens emporhebt. Denn mag 
man sich Gott vorstellen, wie man will, immerhin versteht 
man darunter das, was höher ist als die Welt. Nimmt man 
aber nichts Höheres als die Welt an, so versinkt man in 
ihr, d. h. man sinkt zur Tierheit herab. Denn was der 
Menschheit Nietzsche zum Ersatz fttr Gott bieten will, der 
sog. Übermensch, ist ein Phantom, ein Hirngespinst 
Auüserdem verfällt damit der Verfasser des '»Zarathustra« 
in den alten Wahnglauben, in dem alle Religionen der Ver- 
gangenheit mid alle Orthodoxien der Neuzeit stecken, in 
den geocentrischen Wahn, dafs die £rde der Hauptteil 
und Mittelpunkt der Welt und die übrigen Billionen Welt- 
kOrper nur dazu da seien, ihr zu leuchten. Mit allen bor- 
nierten Orthodoxen der Erde glaubt also Nietzsche, der 
Welt sei geholfen, wenn man für diesen winzigen Planeten 
sorge, — mit der Erde sei das Problem der Welt gelöst 
und abgetan. Man denke doch nur einen Augenblick 
nach: Was haben die Bewohner des Mars und anderer 
Planeten, die Bewohner der Systeme des Sinus, des Aide- 
baran, der Vega u. s. w., wenn ihnen Gott genommen wird, 
von dem Phantom des irdischen Obermenschen? 

Allerdings erfahren sie nichts von den Marotten der 
Erdenleute , und diese scl^adcn ihnen daher auch nicht. 
Namentlich da anzunehmen ist, dals auf manchen höher 
entwickelten Weltkörpem Bewohner leben, die in die Ge- 
heimnisse des Seins tiefer eingedrungen sind als die höchsten 



L.icjui^L.ü cy Google 



— 12 — 



Geister der firdemnenschliett Aber wenn wir sagen, es 

dürfe ihnen Gott nicht genommen werden, so heilst dab 
lediglich: was für einen Weltkörper wahr oder unwahr 
ist, mufs dies auch für alle sein. Anzunehmen, dais etwas 
für uns nicht besteht, für andere Stembewohner aber wohl, 
oder auch umgekehrt, wXre doch offenbarer Unsinn! Wenn 
aber angenommen werden sollte, dafs. dem > Übermenschen c 
entsprechend, auch andere Weltkörper ein »Überwesenc 
hätten, so wflre dies lediglich ein sahUos aersplitterter 
Polythdsmus, und alle Einheit des Alls wflre damit pids* 
gegeben ! 

Freilich werden die Nietzscheaner sagen : »Was gehen 
uns andere WeltkOrper an? Wir bekümmern uns nur um 
die Erde. sind aber die geistreichsten Erdenbewohner, 
und Bewohner anderer Welten können unmöglich geist- 
reicher sein. Wir, die Verehrer des Ubermenschen, sind 
unzweifelhaft die Krone des Weltalls, c 

So werden sie sagen, und sie sagen es auch mit anderen 
Worten. O weh, meine Herren und Damen, Sie stecken 
den Kopf in den Sand! Das ist Vogel-StrauDs-Politik! 

Das Ganze des Weltalls ist ohne Frage das höchste 
Problem, das es giebt; denn es fordert mit gebieterischer 
Notwendigkeit das Dasein eines höchsten, das Ganse lenken- 
den und zusammenhaltenden Wesens. Ohne dieses Wesen 
ist ein so ungeheurer Gedanke wie die Sternenwelt nicht 
denkbar. Wie können sich daher Würmer, wie wir sind, 
wenn auch die höchsten Geschöpfe der Erde, erkühnen, aus 
Gründen, die mit der kleinen Erde duit:haus abgeschlossen 
sind und' alles aufserhalb ihr gar nichts angehen, dem uner- 
mefslichen All, in dem unser Flanet ein Stäubchen ist, den 
gemeinsamen Herrn, Lenker, Erhalter, anfangs- und end- 
losen Denker und Schöpfer abzuerkennen? Nur weil dieser 



13 - 



einer Anzahl aufgeblasener Erdenbürger entbehrlich scheint, 
soll er es auch ungezählten Sonnensystemen sein^ von deren 

Beschaffenheit, Bewohnerschaft, Bedürfnissen und Verhält- 
nissen diese Karikaturen von Titanen keine blasse Ahnung 
haben 1 Und zum Organ dieser unwissenden Schreier machte 
sich der geistvolle, tief dichterisch angelegte, persönlich 
edle und in seinem Lchrn tadellose Nietzsche! War er denn, 
trotz seiner hohen Bildung, nicht befähigt, zu beurteilen, ob 
ein höchstes Wesen für das Weltganze ebenso überflüssig 
sei wie für die Handvoll Erdensöhne^ nach deren Meinung, 
wie Zarathustras neueste >Nachrichtc behauptet, Gott tot 
ist? Wir glauben es nicht, finden vielmehr in dieser Stim- 
mung — den Anfang vom Ende! 



Digitized by Google 



VOM ÜBERMENSCHEN. 

I. 

• 7V/ simd üä» G9tUfi mm woBm wir, irnfk 

(Zar, iij,) 

»Ich lehre each den ÜbermeDScheac, so beginnt Nietzsches 
Zarathustra seine erste Predigt vor dem Volke der Stadt, das 
einen Seiltänzer zu sehen Tersanimelt ist, und knüpft daran 

eine in Aphorismen aufgelöste Abhandlung über die Dar- 
winsche Theorie (S. 13 ff.). 

Was versteht nun der seltsame Prediger, der keine Idee 
davon hat, wie man zum Volke spricht, in seiner konfusen 
Rede unter dem »Obermenschenc ? 

Der Übermensch ist, sagt er, ein Wesen, tui das der 
Mensch sein soll, was der Affe für den Menschen, nämlich 
»ein Gelächter oder eine schmerzliche Schäme Er ist »der 
Sinn der ^i^e«. Er ist »das Meer, das den schmutzigen 
Strom der Menschheit aufnimmt, ohne unrein za werdenc 
Er ist »der Blitz, der die Mensclien mit seiner Zun^e leckte, 
»der Wahnsinn, mit dem die Menschen geimpft werden 
müssen«. 

Das soll wohl tiefeinnig sein; es ist aber unsinnig; denn 

es hat keinen Sinn, es ist Wortschwall ohne Inhalt, ein 
betäubendes Gerassel verworrener Gedankenräder. 



Digitized by Google 



- 15 - 



Kann irgend ein Nietzscheaner behaupten, daEs damit 
irgend eine Definition des Begriffs vom Übermenschen ge- 
geben ist? Ja, behaupten werden sie es; aber sie glauben 
es selbst nicht, weil sie es nicht verstehen und biols einer 
dem andern nachplappert, es sei geistreich 1 So lange nach- 
plappert, bis er sich einbildet, er verstehe es. 

Wahrlich, das Volk verrät dnen gesunden Menschen- 
verstand, wenn es nach dieser sinnlosen Rede sagt: »Wir 
hörten nun genug von dem Seiltänzer; nun iaist uns ihn 
anch sehen!« Das Volk ist witziger als sein Prediger, 
und Nietzsche hat sich damit nicht übel selbst verspottet! 
Das Unbegreiflichste ist aber, dafe Zarathustra sich über 
diese Wirkung semer Predigt noch wundert! Wir hätten 
ihn wirklich für gescheiter gehalten. 

Er läüst sich aber hierdurch nicht irre machen, sondern 
predigt weiter. 

Er mutet nun den Menschen zu, dafür besorgt zu sein, 
dals die Erde einst des Übermenschen werde; sie seien ein 
Seil, das tlber einen Abgrund gespannt ist und das Tier 
mit dem Ubermenschen verbindet. Er mutet ihnen zn, 
unterzugehen, damit einst der Übermensch werde. Ja, hat 
er ihnen denn gesagt, was der Übermensch sein werde? 
Keine Idee! Er hat blols eine Anzahl unverständlicher 
Phrasen hervorgesprudelt. 

Zarathustra kann lange au^^en, wen alles er liebe, 
nämlich jene, die sich aufopfern, danut der Übermensch 
lebe. Er beweist nur, dafs er die Menschen nicht kennt, 
nicht zu behandeln weifs, sich ihnen nicht verständlich zu 
machen i^hig ist. Er kann es auch nicht begreifen, dals 
sie Uber seine unverständlichen Reden lachen. Wer die 
Menschen kennt , wird m 1 1 ihnen lachen. Und selbst wer 
über dem Volke steht, muis eine klarere Darlegung ver- 



Digrtized by Google 



— 16 - 



langen von dem, was der Übennensch sein soll. Niemand 
will und wird sicB für etwas aufopfern, das er nicht kennt, 

wovon ihm auch nicht dit: mindeste klare Vorstellung bei- 
gebracht wird und bezüglich dessen er keine Ahnung hat^ 
wodurch, wie, wo, wann und warum es bewirkt werden soUl 

Das alles sieht Zarathustra nicht ein, vielmehr lälst er 
zum drittenmal das rollende Rad seiner reisigen Rede 
ohrenbetäubend rasseln, ohne im mindesten klarer zu werden, 
obschon er selbst endlich merkt, dals ihn die Leute nicht 
verstehen. Nicht gemerkt hat er aber, wie man zum 
Volke sprechen mtils, und das wird er andi niemals lernen. 
Warum nahm Nietzsche nicht das Original seiner Parodie 
zum Muster ? Er wollte erhaben sein und verstand darunter : 
dimkel und unfalslich. Jesus war erhaben und klar zu- 
gleich. Aber freilich, Nietzsche verachtete die Klarheit 
als zu wenig übermenschlich t Sein Zarathustra will nun 
den höchsten Trumpf ausspielen, indem er dem Volke ein 
abschreckendes Gemälde vom »letzten Menschen« malt. 
Warum? Offenbar ist der Sinn der: Wenn die Menschen 
sich nicht aufopfern, um dem Obermenschen Platz za 
machen, obschon sie weder erfahren haben, was der Über- 
mensch ist, noch auf welche VV^ibC er erzeugt werden soll, — 
so enden sie als ein verkommenes Geschlecht auf der kleiner 
und kälter gewordenen £rde! Zarathustra läfst diese letzten 
Menschen albern reden und dazu »blinzeln«. Warum blin- 
zeln? Dies ist ebenso rätselhaft wie das gröfsere Rätsel, 
durch weiches Wunder der Übermensch bewirken soll, dals 
die Erde gleich grols und gleich warm bleibe! 

Es ist durchaus kein Wunder, dals die ZnhOrer die 
Geduld verlieren und Zarathustra mit Geschrei verhöhnen. 
Hat er irgend etwa^ gesagt, w.is sie erg-reifen, ihnen im- 
ponieren, sie iesseln, von ihnen verstanden werden konnte ? 



. kj i.uo i.y Google 



— 17 ^ 

Keineswegs! Und doch ist dies Ittr einen guten imd ge- 
wandten Volksredner oder Prediger auch heutzutage keine 
Kunst und leicht zu bewirken. Wenn Zarathustra dies, wie 
er sagt, in der Einsamkeit verlernt hat, wozu ging er dann 
unter die Leute? Wufete er dies aber nichts — wie kann 
er dann ein Weiser heifsen? 

Das Gleichnis von dem Seil, das vom Tiere zum Über- 
menschen gespannt ist und den Menschen bedeutet, erhält 
im folgenden Abschnitt (6 der Vorrede) eine lUustration. 
Statt des Seiles stellt nun der Seiltänzer den Menschen dar, 
der vom Tiere zum Übermenschen strebt. Aber ein Possen- 
reiiser, womit doch wohl die bunte Kultur der Gegenwart 
gemeint ist, verhindert den Seiltänzer am Weiterschreiten, 
so dals er hinabstürzt und zerschmettert wird. Zarathustra, 
der durch seine dunkeln Reden (begreiflich!) keinen Menschen 
eingefangen hat, sondern nur einen Leichnam, ladet diesen 
auf seinen Rücken, trägt ihn, d. h. wohl seine (durch eigene 
Schuld) fehlgeschlagene Hoffnung auf den Übermenschen, 
in *den Wald ^ und begräbt ihn 'in einem hohlen Baum. 
Dieses Gleichnis wäre vielleicht ergreifend, wenn es klarer 
wäre, sich auf das wirkliche Leben bezöge und nicht zwischen 
Nebel und Wolken schwebte. 

Jetzt auf einmal &llt es dem weisen Zarathustra ein, 
dafs er besser tue, seine Lehren auserwählten Genossen zu 
verkündigen, als dem Volke, das ihn nicht versteht. 

Und jetzt fängt er auch an, sich, freilich auf Umwegen 
und durch Hintertüren und zu sich selbst redend, über die 
Idee des Ubermenschen näher zu erklären. 

Mandie Bewunderer Nietzsches haben über die späteren, 
nachzarathustrischen Werke ihres Abgottes gestutzt und sich 
enttäuscht abgewandt. 

Die Blinden 1 Konnten und woUten sie denn nicht 

Haan« an Kbya, Aas^Zaraftoatn. 2 



Digitized by Google 



- 18 



selioiy dais schon in der Vorrede zu Zarathostra (9. Ab- 
sdinitt) der Keim za »Jenseits von Gut und Bösec nieder- 
gelegt ist? Haben sie geschlafen, als sie diesen 9. Ab- 
schnitt lasen? 

Da heilst es: j Siehe die Guten und Gerechten! Wen 
hassen sie am meisten? Den, der zeiinicht ihre Tafefai 
der Werte, den Brecher, den Verbimher: — das aber 

ist der Schaffende.c 

Der »Schaftende« ist aber durch den ganzen Zarathustra 
hin ein Name des Übermenschen. Der Verbrecher ist 
also der Übermensch! 

Nicht dafs wir glaubten, der tadellos lebende nnd gegen 
seine Mitmenschen persönlich liebenswürdige Nietzsche hielte 
jeden Dieb, Einbrecher, Räuber, Betrüger, Notzüchter, Brand- 
stifter, Mörder für einen Übermenschen. Aber er sagt doch 
hier sehr ofCen — wenn wir ihn recht mild auslegen 
wollen — , dafe der Verbrecher unter Umstanden em SchafCen* 
der, d. h. ein Übermensch sein könne. 

Man entgegnet uns vielleicht, Nietzsche meine nicht 
den Verbrecher, der nach § x oder y des Strafgesetzbuches 
in Untersuchung gezogen werde, sondern lediglich den, der 
tlber die geltenden Moralwerte eine andere, »höherec Ansicht 
habe. Die hat aber der Verbrecher; denn er setzt sich 
über sie hinweg. Daran läfst sich nicht deuteln. Dieses 
Wort »Verbrecher« ist leider die einzige klare und unzwei- 
deutige Erklärung des Begriffes »Ubermensch«, die Zara- 
thustra giebt. Seine Bedeutung m der deutschen Sprache 
ist über jeden Zweite! erhaben. Niemand nennt den einen 
Verbrecher, der nur andere Ansichten über Moralwerte 
hat als die grofse Menge, sondern ausschUeüslich den, der 
die Rechte anderer verletzt. Warum also nennt 
Nietzsche den Schaffenden einen Verbrecher oder, wie er 



Digitized by Google 



sich weiter ausdrückt (S. 28) , emen Vemichter und Ver- 
•ächter des Guten und Bösen? Konnte das der feinfühlige, 
edel denkende Nietzsche? 

Nein, der konnte es nicht; aber der bereits mit den 
Keimen des Wahnsinns behaftete Verfasser des ZarathnstiB, 
der konnte es! 



2* 



VOM ÜBERMENSCHEN. 

JH. 

»Dtr dmige Weg, den Typus dt* Mtmukm 
MU iriakem, isi dU H^tmg du ß/hmtu dir 
MmMAm, dtr Mmgie.f 

(AM* Jüik/, Fr, N,) 

Es liegt uns noch eine Kiitik des BegpSSss Ȇber- 
mensche ob. 

Wie schon gesagt, hat Nietzsche keine Definition des- 
selben gegeben, sondern sein Zarathustra hat seine Zuhörer 
im Dunkeln darüber gelassen, was der Übermensch sei, 
welche Gestalt er annehmen, was er tun, was er wirken, 
worin er über dem Menschen erhaben sein weide. 

Zu einer Kritik dieses rätselhaften Begriffs genügt 
indessen die Stelle (S. 13), worin gesagt wird, der Mensch 
werde für den Ubermenschen sein, was der Aüe für den 
Menschen, nämlich ein Gelächter oder eine schmerzliche 
Scham. 

Gutj halten wir einmal JNietzsche-Zaiathusüa an diesem 
Gleichnis fest. 

Nietzsches Forderung des Übermenschen beruht auf 
der Darwinschen Theorie, und zwar auf der von dieser 
abgezweigten^ Ansicht, dals *der jMensch vom Affen ab- 
stamme. 

Die Darwinsche Theorie hat im ganzen und grolsen 
Yiele Berechtigung; soweit sie eine Entwickelung höherer 



Digitized by Google 



organischer Wesen ans niederen lehrt, läfst sich nichts Be- 
gründetes gegen sie einwenden, und ihr steht allein die 
orthodoxe Lehre von der Schöpfung jeder einzelnen Wesen- 
gattung durch Gott feindlich gegenttber. 

Von diesem allgemeinen Princip ist aber noch ein 
weiter Schritt bis ziir Nachweisung der Abstammung aller 
einzelnen Gattungen vonemander, ein Schritt, der vielleicht 
niemals gelingen wird. 

Die Abstammung des Menschen vom Affen aber^hat 
weder Darwin, noch einer seiner Anhänger behauptet, aus- 
genommen allem Karl Vogt. Sie kann jetzt als durchaus 
aufgegeben betrachtet werden. 

Soweit wir unterrichtet sind, neigt sich die biologisch- 
20ologiscfa-anthropologiscfae Wissenschaft zur Annahme der 
Abstammung sowohl des Affen, als des Menschen von einer 
Grundform, deren Entartung und Verschlechterung die 
Affen, deren Höherentwickelung und Verbesserung aber 
die Menschen darstellen. 

Mag nun diese Ansicht richtig sein oder nicht, so ist 

doch das unleugbar, dafs eine iHöherentwickelung , die 
keine Tierart im entferntesten kennt, ein Vorzug des 
Menschen ist. 

Stammt nun der Mensch nicht "vom Affen ab, so fiült 
Nietzsches Ausspruch, dafs »alle Wesen bisher etwas Uber 

sich hinaus schufen« *), und dafs die Menschen teinst Affen 
warenc (S. 13), ins Wasser und kennzeichnet sich als 
verfehlt. 



*) Dies ist ohnehin, auch nach der Darwinschen Theorie, 
unrichtig. Es scheinen vielmehr die heute btiötehenden höheren 
Tierarten Spitzen einer Entwickeiung zu sein, die mein weiter 
schreiten kann. Wie sollte aus Löwen, Elefamten, I Adlern n. s. w* 
noch etwas Neues entstehen und was? 



— 22 ^ 

Da min der Mensch sich vor allen übrigen Wesen- 
gattungen durch die Fähigkeit höherer Entwickelung aus- 
zeichnet, so lie^t schon in dieser Eij^enschaft die Aussicht 
auf eine höchstmögliche Vervollkommnung i Es ist daher 
absurd, zu meinen, daJis einer sich bereits rastlos höher ent- 
wickelnden Wesengattung ebenso eine höhere folgen niOsse, 
wie einer niedrigen, die sich nicht entwickelt, stehen bleibt, 
kerne Geschichte hat, keine Veränderungen ihrer Zustände 
kennt Dals solchen stabilen Gattungen höhere nachfolgten, 
ist nur natürlich, — dals aber einer progressiven Gattung, 
wie es die Menschheit ist, ebenfalls eine höhere nadifolgen 
müsse, ist Widersinnig. 

Die Menschheit kann sich, ohne den Charakter als 
solche zu verlieren, in emem jetzt noch unglaublichen Malse 
vervollkommnen, ^e bedarf keines Übermenschen t 

Glaubte etwa Nietzsche, der sogenannte Übermensch 
würde die edle Gestalt des Menschen ebenso) iibertreffen, 
wie dieser die unedle des Affen? Hat er sich wohl je eine 
Vorstellung einer mögliche Verschönerung der bereits seit 
alter Zeit unter den Menschen höherer Rasse vertretenen 
Schönheit gemacht? Hat er sich wohl eingebildet, sein 
Übermensch werde schöner sein als der Apollo von Belvedere 
und die Aphrodite von Melos? Inwiefern sollte hierzu ein 
Bedürfnis voihanden sein? 

Oder hat er gemeint, sein Übermensch werde so geist- 
reich sein, dafs für ihn ein Perikles, I'hidias und Sophokles, 
ein Titus und Mark Aurel, ein Karl der Grofse, Dante, 
Raphael, Shakespeare, Newton, Kant, Goethe, Schiller, 
Humboldt, Mozart, Beethoven, Helmholtz und viele andere 
»ein Gelächter oder eine schmerdtche Schäme sein v^ürden? 
Und das waren doch echte Menschen, keine Nietzscheschen 
Übermenschen I Vielmehr wirft er die grölsten Menschen 



Digitized by Gou^ 



— 23 



mit den klehisteii in einen Topf (S. 134). Sein Über- 
mensch soll also hoch über den Besten der Geschichte er- 
haben sein! Dazu kann es ja noch kommen; aber dazu 
genügt der wirkliche Mensch in seiner Vollendung l 

Also: mit dem WegfoHe der Abstammung des Menschen 
▼om Affen ^ mit der Anerkennung 

und rastlosen Verv-oUkornnmimg der Menschheit und mit 
der kulturgeschichtlichen Tatsache, dafs in dieser die Keime 
xor höchst denkbaren Stofe intelligenter Wesen der £rde 
Hegen, wird Nietssches Idee des Obermensclien za, einem 
haltlosen Phantom. 

In Wahrheit kann Nietzsche weder erwartet haben, 
dais der Übermensch schöner, noch daüs er geistreicher sein 
«erde, als der Mensch bisher wiederholt gewesen ist nnd 
noch teilweise ist Oder bat er etwa gemeint nur Zeit des 
Übermenschen würden alle Menschen schön und geistreich 
sein? Worin bestände denn Schönheit und Geist, wenn es 
keine Häuslichkeit nnd Dummheit gäbe? Keine Eigenschaft 
bat einen Sinn ohne das Vorbandensein ihres Gegenteils. 

Was soll also der Übermensch? Wir werden das weiter 
unten erfahren. 

Da die Menschheit ins Unendliche entwickelungsfähig 
ist, so kann es sich nur um eine quantitative Vermehrung 
der bereits in ihr liegenden edeln Eigenschaften bandeln, 
und die Erzeugung eines Wesens, das über dem Menschen 
(also auch über ,'den herrlichsten Menschen, die es schon 
gab) ebenso hoch stände als der Menscb flber dem Affen, 
Ist eme leere Seifenblase, die bei der leisesten Bertthrung 
platzt 

Da aber Nietzsches Werke seit Zarathustra ledighch 
auf dieser unsinnigen Hypothese eines kilnftigen Über- 
meoscben beruhen, so sind sie auch sämtlich Seifenblasen^ 



Digitized by Google 



- 24 — 



und wenn es einst wahre Obennenschen, d. h. höher ent- 
wickelte wirkliche Menschen, giebt, so werden sie auf ein 

Zeitalter, das sich durch solche Seifenbiasen blenden lieisi 
mitleidig lächelnd zurückblicken! 

Und nnn wollen nns Nietzsches Anhänger und An- 
hängerinnen (die er — trotz der »Peitschec — hat) glanboi 
machen, dafs Nietzsche der Urheber oder Entdecker einer 
VervoUkoiBinnung des Typus »Mensch« sei, — er, der die 
wirklichen Menschen so tief verachtete, dafs er sie einen 
Gegenstand des Gelächters oder der schmerzlichen Scham 
ihrer Nachkommen nannte, — ohne irgend eine Ans- 
nahme aufzustellen! 

Solche grundlose Behauptungen müssen alles Ernstes 
bekämpft und zurückgewiesen werden. Zahllos sind die 
eddn Menschen der Geschichte, die auf eine bessere Zu- 
konft hingewiesen und hingearbeitet haben. Bin solch halt- 
loses Phantom, ein solch körperloser Schatten wie Nietzsches 
Übermensch kann zur Vervollkommnung unseres Geschlechts 
nm so weniger beitragen, als Nietzsche, wie wiederholt er- 
wähnt, über die yon seinem »Ideal« erwarteten Eigen- 
schaften und Leistungen nichts sagt, wenigstens, wie wir 
noch sehen werden, nichts, was uns irgendwie anspornen 
könnte, einem solchen Gebilde wie sein Übermensch ent- 
gegenznstreben. Im Gegenteil! — ■ 

Glaubte er denn wirklich, wir würden nns unfehlbar 
fiir sein unklai es Wort von dem Brecher oder »V^erbrecherc 
der bisher geltenden moralischen Werte begeistern, ohne zu 
wissen, was dieser Brecher oder Verbrecher für ein Patron 
sem werde? Aus allem diesem spricht wieder nichts als 
der allerverwerflichste Gröfisenwahnt 

Übrigens ist Nietzsche mit dem Begriffe des »Über- 
menschenc selbst in der Irre umhergefahren, — so unklar 



Digitized by Gopgle 



— 25 — 

war ihm derselbe. Von einer Uberart, die so hoch über 
dem Menschen stehen sollte wie dieser über dem Aiten, ist 
in den späteren Teilen des «»Zarathustrac nicht mehr die 
Rede. Die Ansprache sind bescheidener geworden; der 
Übermensch ist nur noch ein »höherer Mensche, und auch 
dieser ist kein Ideal mehr, sondern nur noch ein Versuchs- 
objekt, das nicht ünmer zur Befriedigung des Dichters aus- 
fällt Zuerst heilst er: der »Freunde und dann: der 
»Femstec. Zarathustra will (S. 88 ff.) die ihm yerhafste 
»Nächstenliebec , die nur unsere schlechte Liebe zu uns 
selbst sei, durch die »Fernstenliebe« ersetzt wissen. »Der 
Freund sei euch [das Fest der Erde und ein Vorgefühl des 
Obermenschen . . ,c »In deinem Freunde sollst du den 
Übermenschen als deine Ursache (?) lieben, c Der »Femstec 
aber ist offenbar unser Nachkomme. Denn Zarathustra ver- 
wirft auch das Vaterland und setzt an dessen Stelle (S. 177, 
297 u. 311) »unser Kinderlandc oder das Land »Menschen* 
zukunftc. AU dies ist aber so dunkel und nebelhaft , daÜB 
es niemanden begeistern kann. Die Nächstenliebe und das 
Vaterland, die wir kennen, und die uns glücklich machen, 
sollen wir um solcher bodenlosen Phantome willen aufgeben! 
Was sind uns denn die »Femstenc, was ist uns das »Kinder- 
landc ? Nichts als Vorwände, um die Nietzsche-Zanithustra 
imbequemen Neigungen zur Nächstenliebe und zum Vater- 
land zu beseitigen! 

In den auf » Zarathustra c zunächst folgenden Werken 
erweitert dann Nietzsche, als dritte Variation, den Über- 
menschen zu einer Gattung, zu einem neuen Adel, der einen 
Adel der Urzeit fortsetzen soll. Wahrscheinlich war ihm 
der Weg zu unseren Nachkommen zu weit. Davon dann 
im zweiten Teile dieses Buches. 

Wahrhch, wer durch solche farblose Schlagwörter eine 



üiyiiizeQ by GoOgle 



- 26 - 



bessere Zukunft scbafien ta kUimeii sich etntiQdet, der ist 

kein Genius, kein Führer der Menschheit, sondern ein 
verwirrter, armer Kranker, den die Reklamen eitler 
Bärenführer, die selbst nichts Rechtes leisten konnten, m 
einem Lichte der Zukunft, tmd dessen nichts PositiTes 
. sagenden Wortschwall sie zu einem Evangelium hinauf- 
gekünstclt haben. Wir warnen alle, die d^is seit Jahr- 
hunderten von edelen Menschen angezündete himmlische 
Ucht nicht mit gesunden Augen sehen künnen, tot dieser 
Blendlaterne! öfbet die Augen, ihr VerUendeleni 
und erkennet in der Nächstenliebe den wahren Weg sur 
Vervollkommnung der Mens^ hhcit und im Vaterlande den 
Übergang zur einstigen engem Verbindung aller Völker 
unserer Kulturwelt I 



üiyiiizeQ by GoOglc 



VOM STAATE. 



mSiuat Mifst das kMHisU «Ar ialtm 
ümgekimir.9 

(Zar, S, 6g.) 

Nietzsche hat, so lange er an seinen Hauptwerke» 
schrieb, ein Nomadenleben geführt, bald da, bald dort, in 
der Schweiz, in Italien, in Dentscfaland; allem Anschein 
nach hat er während dieser Zeit keine niihcren Beziehungen, 
zum Staate, in dem er lebte, gehabt, ohne Zweifel nicht 
einmal Steuern bezahlt, auch nichts von der Polizei zn er<^ 
dulden gehabt, wovon im gegenteiligen Falle doch wohl 
etwas bekannt geworden wäre; kurz, er lebte unter dem^ 
Schulze des Staates und hatte sich nicht über ihn zu be- 
klagen. 

Woher rtthrt also sein ingrimmiger Hais gegen den 
Staat? Der Staat ist, nach ihm, das kälteste aUer kalten 
Ungeheuer; er Ittgt, er sei das Volk. tSchaffendec schufen 

die Volker, »Vemichter« aber die vStaaten. 

Falsch! Die Völker sind nicht geschaffen, sondern 
geworden; sie haben sich von selbst gebildet Schaffende 
haben viehnehr die Staaten gegründet, und mit jeder solchen 
Gründung war eine Befreiung von Willkür und Unrecht 
verbunden. Haben auch oft diese Übel im Staate selbst 
Eingang gefunden, so ist es nicht der Staat, sondern im 



Digitized by Google 



— 28 ^ 

Gegenteil ein Mangel an recfatliclier Staatsordnang, der dies 

verursachte ! 

> Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht 
und halst ihn als bösen Blick und Sünde an Sitten und 
Rechtende 

Man sollte glauben, Nietzsche habe in der Türkei ge- 
lebt oder gar in Dahome oder Marokko! Aber er lebte 
in civilisierten und geordneten Staaten, in welchen freilich 
nicht alles vollkommen ist. Gerade in diesen Staaten aber 
versteht das Volk den Staat und ha(st nicht ihn, son- 
dern einzelne seiner Organe, die kein Verständnis für das 
Volk haben. 

Wohin käme es mit Sitten und Rechten, wenn der 
Staat nicht da wäre, sie zu schützen? So unvollkommen 
er als menschliche Einrichtung ist, — ohne ihn wäre alles 
tausendmal schlimmer. 

Nietzsche hat offenbar keinen Staat beobachtet, hat in 
den inneren Organismus keines Staates einen Einblick und 
am wenigsten einen tieferen Einblick getan. Er urteilt 
lediglich ins Blaue hinein. Er erfindet sich einen Feind 
und giebt ihm den Namen »Staat«. 

»Aber Zarathustra ist eine Dichtungc (treilich keine 
reine, sondern eine sehr tendenziöse, ja sogar fanatische!). 

Gut! Eine Dichtung kann sagen: »Bs gab einmal 
einen Staat, in dem das Volk unterdrückt wurde, in dem 
es kein Recht und keine Sitte gab, und in dem kälteste 
Ungeheuer regierten.« 

Das konnte ein Dichter erzählen. Aber gegen den 
Staat im allgemeinen alle Schimpfw(}rter loslassen, ohne 
alle und jede Ausnahme oder Unterscheidung aufzustellen, 
ist nicht des Dichters Art. Schimpfen heifst nicht dichten ! 
Allerdings besals Nietzsche keine Gestaltungsgabe; es war 



I 
I 



- 29 — 



ihm unmöglich y dicfaterisdie Charaktere von Fleisch und 
Blut zu schaffen. — So schimpfte er denn: 

»Was der Staat auch redet, er lügt, — und was er 
auch bat, gestohlen hat er's,c 

Es hat Regierungen gegeben, die logen und stahlen. 

Das war aber nicht der Staat, sondern eine Negation 
des wahren Staates! 

»Falsch ist alles an ihmlc Und wie yieles ist folsch 
an Nietzsches krankhaften Phantasien? 

»Viel zu viele werden geboren !c Was kann der Staat 
dafür? Ohne ihn würden die »Viel zu Tielent einander 
totschlagen und auffressen! 

»Für die Uberflüssigen ward der IStaatf erfttnden.c 
Welcher, wo und wann? Wer sind die Überflüssigen, und 
wer hat zu bestimmen, welche überflüssig sind? Nietzsche 
schweigt darüber! 

»»Auf der Erde ist nichts Gröfseres als ich: der ordr 
nende Finger bin ich Gottesc, also brüllt das Untier.« 

Also brüllt vielmehr, tobt und wütet Zarathustra- 
Nietzsche, dem der Staat niemals das Geringste zu leide 
getan hat, — ja von dem er viebnehr jahrelang lebte und 
später sogar leben durfte, ohne mehr für ihn zu arbeiten? 

Und so fährt das Toben und Schimpfen durch vier 
Tolle Seiten fort, — alles nur Wortschwall, kein einziges 
Wort, das Sinn und Inhalt hätte(t 

Nicht ein einziges Wort, das einen Grund zur Stütze 
des Gebrüllten (von Dichten oder Sagen ist nicht mehr die 
Rede) aufteilte, das irgendwie erkUirte, warum so ge- 
wütet wird. 

Kein Wort, das andeutete, was denn an die Stelle 
dieses »Untiers« von Staat zu setzen, was statt seiner zu 



Digrtized by Google 



— 30 - 



«rfiliden wäre, um die Menschheit von diesem Ungeheaer 

zu befreien! 

Wer schimpfen will, mufs auch zu heilen wissen; wer 
xersUMren will, mufs auch aufbauen können. Ein »Schaffen- 
der« will er sein? Aber mn des Himmels willen, was 
will demi dieser Einreifser schaffen? Und das soll nicfat 

Lüge sein, stets vum Schalkn zu reden, aber nichts zu 
schaffen ? 

»Frei steht grofsen Seelen auch jetzt noch die Erde. 
Leer sind noch viele Sitze ftlr Einsame und Zweisame, um 
4]e der Geruch (1) stiller Meere weht.c 

Also wohl Auswandemnef nach dem (angeblich) stillen 
Ocean? Wo sind demi jene leeren Sitze? Und was soll 
• dort gegründet werden, wenn nicht neue Staaten? Das 
wthxten ^ eben sein, auch wenn man sie anders nennte. 

»Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der 
Mensch, der nicht überfltlssig ist . . .t 

Gerade einer Dichtung wäre es sehr gut angestanden, 
diese utopischen staatlosen Sitze verführerisch zu sdiildem. 
Das wäre Dichtung! Aber nein^ geschimpft und getobt 
mulste werden, und da blieb kein Raum mehr zur Dichtung 
übrig. Es eilte zum Schlüsse, und wir glauben falsch zu 
lesen, wenn es heifst: »Also sprach (statt »wütete«) Zara> 
tfaustra.« 

»Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen, und die Brücken 

des Übermenschen?« 

Da haben wir wieder dieses Phantom! Wie bestechend, 
wie entzückend kännte die Dichtung wirken, wenn sie den 
»Übermenschen« schildern wollte, ihn und seine herrlichen, 

den Staat ersetzenden und übertreffenden Schöpfungen! 
ja sogar mit satirischen Anspielungen (aber mcht rohen 
Schimpfereien) auf gewisse Zustände der Gegenwart I 



Digitized by Googj|E 



31 — 



Aber eine Erachemuiig, die nur durch solch sinnlosen 
Wntanfall vorbereitet wird, die lediglich verwirft, was allein 

der bisherigen Menschengeschichte angemessen war, und 
die das Bessere auch nicht mit einem Worte schildert, — 
nem, solche Erschetnnng ist kein Übennensch, 

So ge&Dst ist Nietzsches Übermensch ein Unter- 
menscli. 

Der staatiose Mensch ist — ohne Nachweis eines mög- 
lichen Bessern — ein Halbtier! 

Nnr wenn einst ein staatloser Übermensch, dessen 
Möglichkeit vorausgesetzt, bessere Schulen, bessere Armen-, 
Kranken- und Irrenanstalten (die will aber Nietzsche nicht, 
wie wir noch sehen werden), bessere Verkehrswege, bessere 
Sanitätsvorrichtungen schaffen sollte als der bisherige 
Staat, — dann, erst dann wäre Grund dazu vorhanden, 
ihn auf Unkosten des gesdüdidicfaen Staates m rtlhmen. 

Aber auch dann müfste dem bisherigen Staate, soweit 
er nicht geradezu milsregien wurde, Gerechtigkeit wider- 
fahren! Auch dann gälte nicht Nietzsche-Zarathustras Me- 
thode, die da heilst: »Calunmiare audacterlc 

Schimpfen, ohne Besseres zu wissen, ist keine Kunst, 
ist nichts Übermenschliches, ja berechtigt vielmehr zum 
grölsten Mifstranen gegen diese angebUch Schaffen- 
den, die nnr za zerstdren wissen. 

Auf ihre Zeit sollten wir hoffen? Berechtigen uns 
dazu ihre Wutanfälle? Sind das Übermenschen, deren Art 
und Weise nicht über dem Menschen, sondern weit unter 
dem civilisierten Menschen steht? 



ui^u\^L.^ cy Google 



VON OFFENEN TÜREN. 

•Ikr verehrt mich; aber wie, wenn emrt 
Vtreknmg tmts Tagu umf9üiH 

(Zar. 51 Mi4^ 

Es wäre den von Nietzsches Zarathustra hypnotisierten 
Leuten zu viel zugemutet, wenn man ihnen das fest ein- 
gerammte Vorurteü rauben wollte, daüs Nietzsche der Seher 
einer besseren Zukunft sei; wenn man ihnen aber xeigt^ 
dals er sich hauptsächlich damit beschäftigt, längst abgetane 
Ansichten vergangener Zeiten zu bekämpfen, den Gesichts- 
kreis des Mittelalters zu widerlegen imd somit offene 
Türen einzurennen, so dürfte ihnen dies doch einigermaDsen 
die Augen öffnen. 

So bemtiht sich Zarathustra damit, einen »Weisenc zu 
widerlegen, welcher lehrt, dals man Tugend üben solle, imi 
gut schlafen zu ktfnnen (S. 37 ff.). Er meint natürlich das ' 
gute Gewissen, spricht aber, um hierdurch lächerlich zu 
erscheinen|, lediglich vom Schlafe. Es ist klar: wenn je- 
mand so gelehrt hätte, so wtirde er damit kernen nennens- 
werten Einfluls auf die Menschen ausgeübt haben. Aber 
wo tin aller Welt giebt es denn Lehrer, die so lehren? 
»Ihre Zeit ist um«, sagt Zarathustra selbst. Und doch ver- 
lohnte es sich für ihn, einen so veralteten und einfältigen 
Grundsatz überhaupt zu berücksichtigen, ja sogar noch zu 



Digitized by Gopgif 



- 33 — 



bekämpfen, und vollends von Seiten eines Mannes, der ein 

Prophet der Zukunft sein wollte und bei seinen Anbetern 
stets noch dafür gilt? 

.Und dann diese heftigen Tiraden gegen den Glauben 
an eine persönliche Fortdauer nach dem Tode! SoU 
die Opposition gegen diesen Glauben etwa gar etwas Neues 
sein? Oder meinte Nietzsche im Ernste, durch die aus 
»Hinterwäldlern« künstlich gebildete Benennung »Hinter- 
weltlerc (S. 41 ff.) denen, die noch an die Unsterblichkeit 
glauben, und die niemals aussterben werden, diesen Glauben 
nehmen zu können? Ist nicht gerade der Egoismus, den 
Nietzsche sonst so eifrig predigt, der Grund des Glaubens 
an das Jenseits ? Ja^ giebt es Überhaupt eine stärkere Stütze 
des Egoismus als diesen Glauben? Und doch gebärdet sich 
Nietzsche (S. 43), als wäre er der erste, der lehrte (»einen 
neuen! Willen lehre ich die Menschen«), es sei nichts 
mit dem Jenseits, und sie sollten sich auf die Erde be- 
schränken! Dieser »Willet ist schon Jahrhunderte alt! 

Noch grotesker ist die Predigt gegen die »Verächter 
des Leibes« (S. 46 ff.), die kerne »Brücken zum Ober- 
meiischen« seien. Solche Leute hat es vor etwa andt i t- 
halb Jahrtausend gegeben; jetzt könnte man solche Narren 
mit der Laterne suchen und doch nicht finden. Es wäre 
geradezu unglaublich, wenn es nicht schwarz auf weifs 
gedruckt vorläge, solche Lappalien in Nietzsches »Zara- 
thustra« zu finden. 

Oder soll das etwas Neues sein, dafs man den Ver- 
brecher emen Kranken nennen solle (S. 52 ff.)? Der Ge- 
danke ist von Lombroso 7 Jahre vor dem Beginne des 
»Zarathustra« weitläufig ausgeführt worden. Oder dafs 
die Richter selbst nicht fehlerfrei seien? Darüber schrieb 

Henae am Rbyn, ABti-ZaraüiiMtra. 3 



L.icjui^L.ü cy Google 



- 34 - 



MaupASsaot eine erschtttternde NoveUe» und ohnedies zweifelt 
niemand danm. Doch etwas Neues ist dabei, das aber 

leider nicht wahr ist. Nämlich dafs der Raubmörder Blut 
und nicht Raub wolle. Nietzsche scheint keine Kriminal- 
geschichten gdesen zu haben, von Akten gar nicht za 
spirechen! Das GegenteU ist wahr! Der RanboiOrder will 
in erster Linie Raub und tötet nur, um nicht entdeckt za 
werden. Er dürste, sagt Nietzsche, nach dem »Glück des 
Messersc, begreife aber diesen Wahnsinn nicht! WahrUch, 
auch wir begreifen diesen Wahnsinn nicht! Sogar der 
M<trder ohne Raub, d. h,^us Rache oder Eifersucht, wsU 
nur den Tod des Feindes, — nicht das Blut als solches! 

»Einst war der Zweifel böse und der Wille zum Selbst (! ?). 
Damals wurde der Kranke zum Ketzer und zur Hexe: als 
Ketzer und Hexe litt er und wollte leiden machen.c 

Dies schlägt aller geschichtlichen Wahrheit ins Gesidit 
Die Ketzer waiLii nicht krank, sondern geistig gesünder 
als die Orthodoxen; die Hexen freilich litten an HaUu- 
cinationen. Aber weder Ketzer noch Hexen haben irgend 
jemandem etwas zu leide getan. Was man letztere bekennen 
liels, wurde aus ihnen herausgefoltert oder war eine Stimme 
des epidemischen Aberglaubens ihrer Zeit, 

Und was soll es heilsen, wenn Zarathustra (S. 100) sagt: 
»So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die jeden frei- 
spricht, ausgenommen den Richtenden ?f Was anderes als 
Parteinahme für den Verbrecher? Die hat er wahrlich 
nicht nötig ; die Strafanstalten begünstigen ihn Uber Gebühr 
(es läXst steh aber nicht ändern). 

Wenn femer Nietzsche den »Gutenc (mit welchem Wort 
er argen Unfug treibt) Wahnsinn wOnscfat, an dem sie zu 
Grunde gingen gleich diesem bleichen \ erbrecher (S. 54), 
so stutzt ein Denkender über diese Faselei! 



Digitized by Gopgle 



— 35 — 



>Es ist immer etwas W;\hnsinn in der Liebe. Es ist 
aber immer auch etwas Vernunft im Wahnsinn, c (S. 57.) 

Fiel es denn Nietzsches Verehrern nie auf , daÜB er so 
unheimlich viel vom Wahnsinn spricht? Waren das 
nicht Vorahnungen? Und was soU man denken von dem 
Satze: 

»Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanz^ 
Terstande?€ (S. 58.) 

Und -was von dem Stadtnamen (!) »die bunte Kuhc ? 

»Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend 
(aber welche?). Altes will der Gute, und dals Altes er- 
halten bleibe.« (S. 62.) 

Unter dem »Edlen« versteht Nietzsche beschädener» 
weise sich selbst, unter den »Guten* (welches Wort er 
im »Zarathustra« stets aui verächtliche Weise betont) die 
Menschen, die nicht seine Anhänger sind. 

»Aber nicht das ist die Ge^r des Edlen, dals er ein 
Outer werde, sondern ein Frecher, ein Höhnender, ein 
Vemichter.« 

Nein, in diese Gefahr gerät der wirklich Edle ge- 
wils nicht! 

Die Rede gegen die »Prediger des Todes« (S* 63 if.) 
ist ein wttardiges Sdtenstttck zu derjenigen gegen die »Ver- 
ächter des Leihest. Nietzsche meint die Geistlichen damit, 
die aber sehr oft grofse Freunde des Lebens sind. — Alles 
offene Türen l Was wird denn damit in aller Welt aus- 
gerichtet? 

Was soll endlich die Lobrede auf den Krieg und die 

Krieger? (S. 66 ff.) 

Nietzsche- Zarathustra wendet sich darin offenbar an 

die Krieger eines bestimmten Staates und Landes, er, 

der sowohl den Staat, dem sie dienen, in den ärgsten Aus- 

3* 



L.icjui^L.ü cy Google 



— 36 — 



drttcken gescfamaht, als das Vaterland, fOr das sie za 

kämpfen bestimmt sind, zu Gunsten eines um Jahrhunderte 
voraus liegenden ,>Kmderlandes< verleugnet hat. £s ist 
auch unzweifelhaft das deutsche Jjßter, an das er sich 
wendet, obacfaon er das Deutsche Reich, wo er nur kann, 
verhöhnt und beschimpft. (Davon mehr im II. Teile.) Er 
rät den Soldaten fS. 67) nicht zur Arbeit, sondern zum 
Kampfe, nicht zum Frieden, sondern zum Siege (was heilst; 
zum Siege raten?). »Ihr sagt,« meint er, »die gute Sache 
sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der 
gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. Der Krieg und 
der Mut haben mehr grolse Dinge getan, als die Nächsten- 
liebe, c 

Nun hragen wir: wer kein Vaterland will, was witt 
denn der mit den Kriegern eines Vaterlandes? Wo giebt 
es denn Kriege ohne ein Vaterland? Entweder verteidigt 
man es, oder man will es vergröfsem, oder man will einer 
Partei darin zur Oberhand verhelfen. Andere Kriege giebt 
es nicht! Was will er also mit den Kriegern? Will er 
sie zum Kampfe fOr das ktlnftige Kinderland einüben? 
>Wo liegt dieses?« werden sie spöttisch fragen, und die 
Kriegsherren der heutigen Heere werden lachen I Das 
ganze Kriegskapitel hat also keinen Sinn! Im Grunde 
wird nur die Nächstenliebe bekämpft. 

Dafs Nietzsche-Zarathustra so ungeheuer viel Phrasen- 
werk und Wortschwall gegen die Schwächen (oft, ja 
meist sehr harmlose und in der menschlichen Natur be> 
gründete) der Zeitgenossen zur Verfügung hat, ihre 
Schlechtigkeiten aber mit keinem Worte berührt^ 
keinen Ausbruch des Zornes gegen Vv ucIilt- und T>ctrug, 
gegen Trunksucht und Frefssucht, gegen Rauterei und 
Verleumdung, gegen Prostitution und Verführung kennt, — 



L.ujui^L.ü Ly VjOOQle 



— 37 — 



das läCst tief blicken! Es ist aber leider kein erfreolicher 

Blick I Vielleicht wird man sagen, die Abneigxmg gegen 
die Schlechtigkeiten sei selbstverständlich. Gewils, aber 
keineswegs der Kampf gegen siel Dieser muls rastlos 
jrefahrt und unaufhörlich eingeschärft werden 1 Wir werden 
leider noch weiter sehen, warum er bei Nietzsche 
unterbleibt ! 



üiyiiizea by GoOgle 



VOM WEIBE 



•Dh gehst tu Fraum^ Verg^fs die 
PeUscke nicht t* 

(Z«r, S. g8,) 

Die Frauen sind die bestgehakten Objekte der blinden 

Wut Nietzsche-Zarathustras. Und zwar alle^ eine Aus- 
nahme ist nirgends zu entdecken! — — 

Schon die Tatsache, dals viele Frauen diesem Schnft* 
steller mit der tiefsten Bewunderung ergeben sind, beweist 
ihre durchschnittliche rührende, weil selbstlose Gutherzig- 
keit, die man versucht ist, als mindestens übertrieben, wenn 
nicht gar übel angebracht, zu betrachten. 

Wäre ich ein weibliches Wesen, ich hätte das Buch 
bei der ersten dieser Stellen in eine Ecke geworfen! 

Denn es verleumdet sie mit der kecksten Stirne! 

> Allzulange, c heilst es (S. 82), »war im Weibe ein 
Sklave und ein Tyrann versteckt.« 

Warum »war«? Beides kommt noch heute vor; aber 
auch beim Manne kommt beides vor. Ja, er ist noch öfter 
Sklave oder Tyrann des Weibes als das Weib der seinige. 
Wir sprechen hier von Europa, das auch bei Nietzsche 
allein berttcksichtigt ist. — 

Nun sollte man erwarten, es folge darauf die Mit- 
teilung, was denn jetzt dasWdbsei, oder was es künftig 
sem werde! 



r 



— 39 — 

Nichts davon! Im glichen »Versec fährt die Schtttthung 
foct: »Deshalb (merk^vmrdige Schlttfsfolgerung!) ist das 
Weib noch nicht der Freundschaft fähig j es kennt nur die 
Liebe, c 

Das sieht wie ein halbes Lob ans; aber nein, das darf 
der Weiberfehid nicht zageben! Darum &hrt er fort zu 

schimpfen : 

»In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und 
Blindheit gegen alles, was es nicht liebt. Und auch in der 
wissenden Liebe des Weibes ist immer (!) noch ÜberfaU 
nnd Blitz und Nacht neben dem Lichte.€ 

Dafs es dämonische Weiber giebt, daran zweifelt nie- 
mand. Aber sie sind selten ; im Hasse des Mannes dagegen 
ist Überfall und Blitz und Nacht ohne Licht! 

»Nocb ist das Weib nicht der Freundschaft filhigr 
Katzen sind immer noch die (!) Weiber (also aUe?) und 
Vögel. Oder, bestenfalls, Kühe (!)•« 

Sollen wir dies etwa für die Sprache eines gebildeten 
Europäers halten? Was hätte Nietzsche gesagt, wenn eine 
Frau geschrieben hätte : die Männer sind Hunde oder besten- 
falb Ochsen? 

Nein, so brutal sind die Frauen nicht 1 Nietzsche fährt 
aber fort und wiederholt sich: 

»Noch ist das Weib nicht der Freundschaft &hig. Aber 
sagt mir, ihr Männer , wer von euch ist denn &hig der 
Freundschaft?« 

»O über eure Armut, ihr Männer, und euem Geiz der 
Seele! Wie viel ihr dem Freunde gebt, das will ich noch 
meinem Feinde geben und wiü auch nicht ärmer damit 
geworden sein.€ 

:»£s giebt Kameradschaft: möge es Freundschaft 
geben!« 



- 40 - 

Diese Stelle ist kostbar! Wozu häuft denn Nietasche 
erst allen Schimpf auf die Frauen, wenn er doch hinteiher 
zugiebty dals die Männer noch weniger Freundschaft 

kennen? Wozu? 

Und welche schreiende üngerechtio;kcit gegen die 
Frauen, zu sagen, daüs sie nicht der Freundschaft ftthig 
seien! Welche schwarze Undankbarkeit gegen Frau Loa 
Andreas Salome, Fräulein Meta v. Salis- Marschlins und 
viele andere, die ihm in seiner V^ereinsamung mündlich und 
schriftlich Verehrung, Treue und Trost boten I Sie sind es 
auch, die nach seinem geistigen Tode, der Öffentlichkeit 
Trotz bietend, fttr den verehrten »Meistere aufgetreten 
sind. Nicht zu sprechen vollends von seiner treuen Mutter 
imd semer hmgebungsvollen Schwester, Frau Förster- 
Nietzsche, die mit rührender Liebe sein Leben beschrieb! 
Diese Damen allein sind es, die aus Freundschaft oder 
Liebe fOr Ihn geschrieben haben; die Männer, die es taten, 
die taten es aus anderen Gründen, um von sich reden 
zu machen; keiner von ihnen sagt ein Wort von Freund- 
schaft fttr den Unglücklichen! 

Und nun noch ein wesentlicher Punkt! 

Nietzsche scheint nur an Freundschaft zwischen Frauen 
und Männern gedacht zu haben! Wanma ignorierte er die 
Freundschaft zwischen Frauen unter sich ? Es giebt darüber 
natürlich keine statistischen Nachweise; aber aus persön- 
lichen Erfahrungen und Eindrücken glauben wir sagen zu 

dtirfcn: Die T''reundschafteii unter Frauen und Jungfrauen 
sind weit iimiger, treuer imd andauernder als jene unter 
Männern, die meist mit dem Ortswechsel verfliegen, wäh- 
rend diejenigen zwischen Frauen Über Oceane reichen! 
Aber das Beste kommt noch! 

»Von alten und jungen Weibieinc heifst ein Kapitel 



Digitized by Copol 



- 41 — 



▼on Nietzsches Zarathnstra (S. 95 ff.). Weiblein! Warum 

nicht geradezu AVeibchen«, um das Mafs der Verachtung 
voll zu machen? 

Hier gestattet er sich folgende »zarte Wendungc : 

»Alles am Weibe ist ein Rätsel , und alles am Weibe 
hat eine Losung; sie helfet Schwangerschaft.c 

Diese Stelle bedarf keines Kommentars, ebensoweuig 
aber auch die folgenden Liebenswürdigkeiten: 

»Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und SpieL 
Deshalb will er das Weib als das gefährlichste Spielzeug, c 

So? nur als das? 

»Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, 
aber der Mann ist kindlicher als das Weitxt 

Gerade das Gegenteil sucht Dr. Paul Bergemann 
in Jena (»Die werdende Frau in der neuen Dichtungc) 
nachzuweisen, und zwar mit guten Gründen, die bei 
Nietzsche wie immer fehlen. 

Nun das scheinbare Kompliment: 

»Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edel- 
steine gleich, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche 
noch nicht da ist.t 

Aber immerhin nur ein Spielzeug! Dies stimmt das 
Lob bedenklich herunter« Dann: 

»Der Strahl eines Sternes glänze in eurer Liebe ! Eure 
Hoffnung heifse: möge ich den Übermenschen gebären.c 

Immer diese gynäkologischen Allüren ! Wird aber der 
Ubermensch so, wie ihn Nietzsche schildert, dann bleibt 
doch jene Hoffnung besser unerftdlt! 

Und nun Mit der Schimpf hageldicht! 

sowenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre (!).< 

»Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hafst 
(aber umgekehrt nicht?). Denn der Mann ist im Grunde 



Digrtized by Google 



- 42 — 



der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht (II)»« 
In der Tat, sehr freundlich t 

»Oberfläche ist des Weibes Gemüt, eine bewegliche, 
stürmische Haut auf einem seichten Gewässer (!).? Welche 
sekhten Gewässer haben denn eine stttrmtsche Haut? 

Das Beste ist aber, dals sich Nietzsches Zarathustra 
(S. 98) von einem alten Weibe sagen lälst: 

»Du gehst zu Frauen? Vergifs die Peltaehe 
nichtU 

Eine Roheit erster Güte! 

Eine Dame^ die im »Magazin für Litteraturc (1898^ 
Mr. 6) Nietzsche durch dick und dünn lobt, stutzt seihst 
darüber; aber sie tröstet sich sofort, indem sie findet, er 

parodiere sich selbst bezüglich jener Stelle »auf köstliche 
und entzückende Weise« in folgender späterer Äulserung 
(im anderen Tanzlied , S. 330, also weit genug von jener 
rohen Stelle): 

>Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen 
und schrei 'nl Ich vergafs doch die Peitsche nicht? 
NeinU 

Darin ist doch, ohne himmelhohe und blinde Be- 
wunderung, weder etwas Entzückendes, noch eke Pärodie 

zu finden ! Auch gilt diese kizti tc Stelle nicht den Frauen, 
sondern dem als Mädchen gedachten »Leben«. 

Und wie käme die Tänzerin denn zum Schreien, 

wenn sie nicht (nach des Dichters Absicht) wirklich ge- 
peitscht würde? Eine blutgierig- wollüstige Phantasie! 
Man nennt dies heute »Sadismus«, 

Sehr schöne Worte sagt Nietzsches »Zarathustra« 
(S. 102 f.) über die Ehe, vernichtet sie aber sofort, indem 
alle seine Beispiele zum Nachteile der Frauen lauten. 



Digitized by G.Qpgle 



- 43 - 



»Ja, ich wolltest heilst es, »daCs die Erde in Krämpfen 
bebte, wenn sich ein Heiliger und eine Gans miteinander 

paaren.f Welche ungeheuerliche Hyperbel! 

Und wenn dies nun ein Wolf und ein Lamm tun, was 
dann? Dann darf das Lamm ruhig aufgefressen werden! 
Nichtwahr? 

Und was sagt Nietzsche-Zarathnstra yollends v<m der 

Bestimmung der Eheleute (S. 307)? 

»So will ich Mann und Weib: kriegstüchtig den einen, 
gebärtlichtig das andre, beide aber tanztüchtig mit Kopf 
und Bdnen.€ 

Darin irgend etwas Geistiges oder Sittliches zu er- 
blicken, dürfte dem schlauesten Nietzscheaner nicht gelingen. 
Man sieht unwillkürlich einen Indianerhäuptling vor 
sich, der, mit wilder Miene, den Tomahawk sdiwingend 
und das Skalpiermesser im Gürtel, den Kriegstanz aufführt 
mit seiner Squaw, die sonst nur zum Gebären gut genug 
ist. Von einer der europäischen Kultur würdigen Ehe, in 
der Geist und Gemüt sich zur Liebe verbinden, kann bei 
diesem wilden Tanz und wüsten Gelächter keine Rede sein. 



Digrtized by Google 



VON PREDIGTEN, LIEDERN UND 

TRÄUMEN. 

»JVkv Ub^t tU märriuk dMI dü 
karte fVüsie tmd sutJU mtd meM naek 
sanftem Ra»m — mdm alte, wilde fVItü» 
kaftM (Zar, S, £SM,) 

Der zweite und dritte Teil der Reden Zarathustras 
untersdieidea sich vom ersten und vierten sehr wesentlich. 
In jenen beiden treten die eigenartigen Tendenzen Nietzsches 

weniger hervor als in diesen beiden; es waltet dort ein 
ruhigerer und gemälsigterer Flufs der Rede als hier, der 
aber doch nicht ganz frei von heftigen Ausbrüchen wilder 
Leidenschaft ist. 

Der zweite Teil ist im Anfang eigentlich eine Art 
Predigtsammlung, in deren einzelnen Reden gewisse Klassen 
von Leuten apostrophiert werden , aber gerade nicht die- 
jenigen ^ die es am n(ftig8ten hätten , und meist auch nicht 
solche, die deutlich bezeichnet sind. Zarathustra beginnt 
diese, der Bergpredigt des Neuen Testaments nachgeahmte 
Reihenfolge von Reden mit der ihn erschreckenden Ent- 
deckung, dals (S. 120) seine Lehre in Gefahr, daCs seine 
Feinde mächtig geworden seien. Was hat er denn eigent* 
lieh getan, seine Lehre vor Gefahr zu schützen, seine Feinde 
nicht mächtig werden zu lassen? Nichts, gar nichts! Er 
ist der unvorsichtigste, sorgenloseste Lehrer, der sich denken 



lätst Warum brauclit er sich von Zeit zu Zeit in die Ein- 
samkeit seiner Höhle zurückzuziehen? Wer seine Lehre 
gegen seine Feinde aufrecht halten will, muls fest und treu 
auf der Wache stehen bleiben. Zarathustra ist ein haltloser 
SchwärmeTy der steh durchaus nicht zu einem Lehrer eignet 
Dazu fehlen ihm Ruhe, Besonnenheit und Konsequenz. Man 
erwartet wahrlich ganz anderes, als die 'nun folgenden 
doktnnären Reden, wenn er (S. 121 f.) in die Worte aus- 
bricht: er wolle seinen Speer gegen seine Feinde scfaleu- 
dem , , gewaltig werde seine Brust ihren Sturm tiber 
die Berge hinblasen , . seine Feinde sollen glauben, der 
Böse rase über ihren Häuptern . . seine Freunde werden 
erschreckt sein ob seiner wilden Weisheit und vielleicht 
samt seinen Feinden davon fliehen u. s. w. 

Zur nebelhaften Geographie Zarathustras gehören die 
dreimal (S. 123 ff., 191 u. 223 ff., besonders am Anfang 
des 2. u. 3. Teiles) erwähnten tglückseligen Inselnc 
(eine Entlehnung aus dem klassischen Altertum). Hier 
nun gewinnt der »Übermensch« seine zweite Gestalt, 
die eines Nachkommen des Menschen und zugleich eines 
Ersatzes für Gott, der nur eine Mutmafsung sei. Zara- 
thustras »Brüder« sollen sich zu Vätern und V^orfahren des 
Übermenschen umschaffenl Wie sie das bewirken sollen, 
wird nicht gesagt, und mit gutem Grund! Denn es ist eine 
ganz bodenlose Phantasie, dafs jemand seine Nachkommen 
nach Belieben schaffen könne. Liefs sich etwa Karl der 
Grolse, dieser Kolossalmensch, ein »Übermensch« seiner 
Zeit, träumen, dafs er einen Kahlen und einen Dicken zu 
Nachkommen haben und dafs sein Geschlecht mit Ludwig 
dem Kinde enden wtrdc? Und konnte Friedrich der 
Rotbart es verhindern, dafs sein letzter Sprofs der liebens- 
würdige, aber schwächliche Konradin gewesen ist? Und 



— 46 — 



wie viele, ungezählte Adelsgeschlechter sind verkommen, 
verdorben und ausgestorben I Wie viel grofse und herrliche 
Männer und Frauen sind dagegen aus bttrgerlichen oder 
bäuerlichen Familien hervorgegangen! 

An die Stelle des Gottesglaubens soll nun das Schaffen 
treten. > Hinweg von Gott und Göttern lockte mich dieser 
Wille; was wäre denn zu schaffen, wenn Götter — da 
wären!« (S. 126.) »Schaffen — das ist die grofse Erlösung 
vom Leiden und des Lebens Leichtwerden, c (S. 125.) Immer 
spricht er vom Schaffen. Aber sagt mir doch, was hat 
er denn geschaffen? Ist etwa bis auf Nietzsche nichts ge- 
schaffen worden? Wir denken doch, nur mit dem Unter- 
schiede, da£s man weifs was! 

Das angebliche Schaffen beginnt (S. 127 ff.) mit oner 
Strafrede gegen die Mitleidigen. »Wahrlich, ich mag 
sie nicht, die Barmherzigen, die seiig smd m ihrem Mit- 
leiden; zu sehr gebricht es ihnen an Scham. Mufs ich mit- 
leidig sein, so will ich's doch nicht heifeen, und wenn ich's 
bin, dann gern aus der Feme.c Recht sophistisch! Den 
Leidenden ist wahrlich nicht geholfen, wenn sich der Wohl- 
habende emredet, sich die Scham des Gebens und ihnen 
die des Empfangens zu ersparen. 

»Wo in der Welt geschahen grO&ere Torheiten, als 
bei den Mitleidigen?€ Und wo grl^Iisere Roheiten, als 
bei den Nichtmitleidigen? 

»Alle Schaffenden aber sind hart.« Dais Zarathustra 
hart ist, wissen wir ja bereits; aber dais er etwas 
schaffen könne, mu£s er erst noch beweisen! 

Dann kommen (S. 131 ff.) die Priester an die Reihe, 
ohne dafs gegen sie etwas gesagt würde, was man nicht 
schon längst wuiste, dann (S. 135 ff.) die Tugendhaften. 
Wie konmit dieser »modernste Geiste dazu, Die zu be> 



Digitized by Google 



— 47 — 



kämpfen^ die »Lohn für Tugend und Himmel fttr Erden 

tmd Ewiges für Heute« haben wollen? Das liegt doch 
längst hinter dem bescheidensten Grade von Aufklärung, 

»Aber wohl giebi es solche, denen Tugend der Krampf 
imter einer Peitsche heifst.c Was soll damit gesagt sein? 
"Wer wird das überhaupt Tugend nennen? 

»Und andere giebt es, die nennen Tugend das Faul- 
-werden ihrer Laster, c Wollte doch Zarathustra so viel 
gegen die Laster predigen wie hier gegen die falsche 

Tugend! Das w.tre doch dankbarer gewesen, palst aber 
nicht in das System! £r läist die Laster schön unge- 
schoren t 

»Und andere giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, 
die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, 
dals man Tiktak — Tugend heifse.« Welcher vernünftige 
und gebildete Mensch will denn das? Ist es des »weisenc 
Zarathustras Aufgabe, gegen solche kleinliche Auffassung 
loszuzithcn ? Ist dies sein bpcer, sein Sturm, seine Raserei? 
Etwas Schwächeres als dieses Kapitel hat Zarathustra kaum 
gesprochen! 

Und nun die Rede gegen das »Gesindel c (S. 140 ff.). 

So öde und unklar sie ist, so geht doch daraus hervor, dafs 
Nietzsche darunter alle versteht, die ihn in seiner Einsam- 
keit st<iren. Diesen kann man ja aus dem Wege gehen. 
Warum gegen sie predigen? Was geht das andere an? 

Als »Taranteln; schnaubt er die »Frediger der Gleich- 
heiti an, d. h. die Demokraten und Socialistea 
(S. 144 ft)» Wir sind so wenig wie Nietzsche Anhänger 
der Gleichheit y die es ja nicht giebt Aber wenn er den 
Ursprung dieser Richtung in »Neid, DOnkel, Eifersucht und 
Wahnsinn der Rachec suchte so zeugt das von geringem 



Digrtized by Google 



— 48 - 

Einblick in das Weltgetriebe. Es ist yielmehr der Not- 
schrei gegen UnterdrQckung nnd Ansbeutung (die Nietzsche 

eben w i 1 1), der hier emporgellt. Die berechtigte Ungleich- 
heit im Geiste ist infolge der materiellen Entwickelimg 
durch die weniger berechtigte nnd dazu Übertriebene Un- 
gleichheit im Besitxe in den Hintergnind gedrängt worden. 
Der mehr Wissende imd höher Strebende wird von dem in 
Gold und Bankpapieren Wühlenden auf die Seite gestolsen» 
Wer diesem stupiden Vorrang des Mammons sich nicht 
beugen will, gerat leicht in die Verimmg, ▼on aUizemeuier 
Gleichheit zu schwärmen. Der Geist sollte herrschen 
statt des Gcldsackes- der Geist ;tber wird die weniger Be- 
gabten mit Liebe und Lehre heranziehen, statt über sie zu 
schimpfen. Nicht aus dem Volke >blickt der Henker nnd 
der Spürhunde; wohl aber sieht der Drang nach neuer 
Sklaverei danach aus, ja auch dann, wenn er vom Uber* 
menschen spricht! 

Die Führer des Volkes nennt Zarathustra (S. 149 ff.) 
bald tberühmte Weise« und bald »Eself, olt im selben 
Satze, und verirrt sich dabei in blühenden Unsinn und wirre 
Traumbilder, aus denen kein Strahl göttlicher Klarheit 
hervorbricht. Doch, dieser Abirrung in das Phantastische 
ist es wohl zu verdanken, da£s die zwecklosen Predigten 
eine Strecke weit von den wunderbaren lyriscfaien Gedichten 
abgelöst werden , die nach jenem biOden Geschimpfe eine 
wahre Erquickung sind (»Nachtlied «. >Tanzlied«, »Grablied«). 
Jammerschade, dafs Nietzsche nicht Dichter blieb; als solcher 
hätte er tms mit Theorien neuer Unterdrückung und Knecht- 
schaft verschont und Freunden der Menschheit und ihrer 
naturgemäfsen Entwickelung die Notwendigkeit erspart, ihn 
noch im geistigen Tode zu b( kämpfen, damit sein aus- 
gestreuter böser Same nicht Unkraut hervorbringe! 



Digitized by Gpogl^ 



— 49 



Dafs er dann seinen berühmten »Willen zur Macht« 
(S. 165 ff.) verkündet, können wir ihm nicht verargen. 
Nach Macht strebt ja alles, sei es mm die Macht; die 
Menschen glücklich oder — imglticklich zu machen. Wir 
würden lieher vom Willen zum Glttck (aber aller) 
hören. 

Formschöne Lyrik und wirres Gerede durchdringen 
sich seltsam in den schwer zu entziffernden Reden an die 
»&habenency die »Gegenwartigenc, die »^kennenden«, die 
tGelehrtenc und die »Dichter«. 

Was >Zarathustra sprach« , wird nun immer dunkler, 
mystischer, träum- und nebelhafter, fast wie in Wilhelm 
Meisters Wandecjahren und in gewissen Scenen des zweiten 
Teiles von Goethes Faust, die das Givisenalter des groben 
Dichters verkündeten, aber bei einem jüngern Manne nur 
Kopfschütteln verursachen können. O Klarheit, Klarheit, 
warum ist dein Name nicht Nietzsche>Zarathustra? 

Es rnuDs dem ruhig und unbefemgen denkenden Leser 
notwendig auffallen, wie, langsam zwar, aber sicher, Schritt 
vor Schritt, Zarathustra von blofser Unklarheit zu inmier 
gröiserer Verwirrung schreitet und sich Bogen für Bogen 
mehr und mehr dem Wahnsinn nähert. Die nichtssagenden 
Reden am Anfange des zweiten Teils sind in dessen Ver- 
lauf zu verworrenen Träumen tibergegangen, und am Ende 
dieses Teils tritt an ihre Stelle ein völlig apokalyptisches 
Phantasieren, das stellenweise der Offenbarung des Johannes 
fast knechtisch nachgeahmt [ist Alle und jede Reahtät 
verschwindet in dem Kapitel »von grofsen Ereignissen« 
(S. 191 ff.). Zarathustra fliegt (!) in der Richtung nach 
einem Vulkan, das Volk meint, der Teufel habe ihn ge- 
holt, die Jünger umgekehrt: er den Teufel 1 Dann spricht 
er mit einem plötzlich auftauchenden »Feuerhunde«, ohne 

H«»«« am Xhja, Aoti-ZinlilnMlra. 4 



Digitized by Google 



— 50 — 

dafo man erfährt, was das für ein Tier ist, ob das der 
Apokal3rp6e oder ein änderest »Heucbelhwndc nennt Ihn 

Zarathustra und redet mit ihm verworrenes Zcng^ dabei 
Kirche und Staat lästernd. »Und ich sähe eine grolse 
Traurigkeit ttber die Menschen kommen«, apokalyptiert ein 
» Wahisager« ; Zarathustra wird ron Melancholie angesteckt 
und träumt weiter; die Auslegvng seines Tranmes durch 
einen Jünger aber ist ebenso dunkel wie der Traum selbst 
(in dem es heilst: >Alpa, Alpa! [?J Wer trägt seine Asche 
m Berge ?c a 199). Dann kommen Krüppel, Blinde^ 
Lahme und wollen yon ihm geheilt sein. Da erheitert er 
sich wieder und macht, statt ihnen zu hdien (S. 203 t), 
schlechte Witze über sie, die mit traumhaften Gesichten 
wechseln. Der nicht geheilte Bucklichte &agt treffend 
(S. 209): »Warum redet Zarathustra anders zu uns als 
SU seinen Jttngem?« und weiter: »Warum redet Zarathustra 
anders zu seinen Schülern als zu sich selber?« — Komisch 
ist nur, dafs alle diese Reden für jedermann im gleichen 
Buche zu lesen stehen, — traurig aber, dais man alle diese 
Reden ohne Unterschied yerdauen solll Warum schreibt 
Nietzsche anders fOr seine Leser, als er zu seinen 
Freundinnen sprach? — das ist noch viel traurig^erl 

Weiter spielt (S. 213) wieder der Übermensch eme 
Rolle. Demselben soll der »seiner wttidige Überdrache« 
zur Seite stehen. Wfldkatzen werden zu Tigern und Gift- 
knHen zu Krokodilen, damit der gute Jäger eine gute Jagd 
habe! Der Ubermensch werde furchtbar sein in semer 
»Gtttecl I>ie bisherigen > höchsten Menschen« würden 
seinen Übermenschen — »Teufel« heitsen. Verlockende 
Ausstellten 1 

Um der Versuchung eines unbekannten Wesens, ein 
Herrschender zu werden (was an die Versuchungen des 



Digitized by Google 



alten Zarafhustra, Bnddhas und Jesu erinnert), ta ent- 
gehen^ zieht sich Zarathustra wieder in seine Höhle zurück. 
Was hat er in dieser seiner zweiten Laufbahn getan? 
Gepredigt y gesungen und geträumt! Was geschaffen? 
NiobtsS Er hat recht (S. 219), — untröstlich zu mnenl 



VON ALTEN UND NEUEN TAFELN. 



•Hier situ ich und warte, alte, terbrcxhmt 

Taffln um mich und (luch neue , halb be- 
tekrUbtn* Tajeln. Wann kommi meine Stundeft 

(Zar. S. m8j.j 



Im dritten Teile hat Zarathustra das Fliegen wieder 
yerlerat, geht m andere Sterbliche zu Fufs und fährt zu 
Schiffe (S. 223 fL). Dieser Teil fängt recht vemünftig an, 
leider nicht auf die Dauer! Fesbninagefai ist (S. 227) der 

Satz: :>Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe 
zu allem, wenn es nur lebt.c Das war noch ein schöner 
Satzt Ist es möglich, dafs ihn Der geschrieben hat, der in 
»Jenseits von Gut und BOaec für Härte, Grausamkeit, Bar- 
barei und Sklaverei schwärmt? Aber nun beginnt das 
Schwelgen in Visionen und Rätseln von neuem. Das spär- 
liche Licht weicht wieder der verschwenderischen Dunkel- 
heit. Auf einmal (S. 229) sitzt auf Zarathostras Schulter^ 
man vernimmt nicht wie, ein Wesen, halb Zwerg, halb 
Maulwurf, der »Geist der Schwere«, sein »Teufel und Erz- 
feind« , der ihn verhöhnt. Nachdem er auf Zarathustras 
Geheüs abgrespnmgen, stehen sie vor einem Torweg, wo 
zwei Wege zusammenkommen , die noch nienmnd zu Ende 
ging. Und was ist der tiefe (?) Sinn dieses Bildes? Im 
Augenblicke berühren sich Vergangenheit und Zukunft. 
Wirklich, ein neuer Gedanke I Und nun jagen sich Traum-- 



Digitized by Google 



- 53 — 



Inlder, grauenhafte, ohne dalis jemand begreift warum, eine 

Spinne^ die im Mondscheine kriecht, ein heulender Hund, 
der Gespenster sieht und um Hilfe schreit, ein Mensch, dem 
eine Schlange in den Mund gekrochen, der er den Kopf 
abbeifst, ein Lachen, das keines Menschen Lachen war. — 
Deuten kann man ja alles; aber was Nietzsche meinte 
(S. 232), die »ewige Wiederkunft« aller Dinge, versteht 
niemand. 

Es ahnt ihm — warum, er&hrt man n^t — ein Un- 
ghSck; er wartet darauf, aber es kommt nicht, vielmehr 
das (Mück. Er singt das wirklich sch<^ Lied »Vor 

Sonnenauf ganpv. Solche lyrische Intermezzi lesen wir lieber 
als die unheimlichen Traumbilder. Leider aber fängt er 
darin (S. 243) an, tlber »jenseits von Gut und Bösec zu 
phantasieren. »Gut und Böse sind nur Zwiscfaenschatten 
und feuchte Trübsale und Ziehwolken.« Damit ist nun 
freilich nichts gesagt, als dals für Nietzsche Gut und 
Böse keinen Unterschied kennen. Eine Einleitung zu dem 
schlinmien Boche, das so betitelt ist, die er aber hier 
nicht weiter verfolgt Dagegen wiederholt Zarathustra das 
Reiten seines Steckenpferdes, das Eifern gegen die ein- 
gebildete Tugend des Tiktaks. Ihre Lehre von Glück \md 
Tugend mache, meint er, die Menschen kleiner, sie be- 
gnügen sich mit dem Wohlbehagen. Die meisten sind 
schlechte Schauspieler. Ihre Weiber vennännHchen sich. 
Die, welche befehlen, heucheln die Tugenden derer, welche 
dienen. Ihre Tugend ist Feigheit und Mittelmälsigkeit, 
»Sie wundem sich,« sag^t er (S. 250), »dais ich nicht kam, 
auf Lüste und Laster zu lästern, und wahrlich, ich kam 
auch nicht, dafs ich vor Taschendieben wamte.c Wir finden 
diese Entschuldigung zugleich fad und frivol. Nicht vor 
kleinen Dieben warnen, aber grolse Diebe an den 



Digitized by Google 



— 54 



Fkanger steUen^ das war der Beruf eines weisen Ldirers; 
was er aber nicht will, das hat er bereits getan; denn 

die von ihm bekämpfte eingebildete Tugend ist wirklich 
nur ein Taschendieb. Diesen hält er an, — den Räuber 
läÜBt er laufen! Statt das Schlechte zu strafen, predigt er 
das, was dazu fahrt »Ich bin Zarathustra, der Gottlose, 
und alle die sind meinesgleichen, die sich selber ihren Willen 
geben und alle Ergebung von sich abtun. Liebt ininieihin 
euren Nächsten gleich euch, — aber seid mir erst solche, 
die sich selber lieben.c Er predigt also die Willkür 
des Handelns und den Egoismus; die Verurteilung der 
Nächstenliebe wird später nachfolgten. 

Im Verlaufe der Erzählung, soweit von einer solchen, 
wo meistens nichts geschieht, die Rede sein kann, umgiebt 
uns zum zweitenmal die Atmosphäre der GroCsstadt, viel- 
leicht derselben, welche in der »Vorredec die Predigt vom 
Übermenschen hürtc (oben S. 14 ff.) und den Vorfall mit dem 
Seiltänzer sah (S. 258 ff.). Wie dort ein Possenreilser, so 
spielt hier ein ahnliches Subjekt, ein »schäumender Narre, 
den man den »Affen Zarathustras« nannte, das Schicksal. 
Dieser Narr scheint ein verzerrtes Spiegelbild des Weisen 
zu sein; er spricht wie dieser, wenn er in Leidenschaft 
gerät, nur mit mehr, weil absichtlicher Übertreibung. Seine 
Absicht ist, den Propheten von der Stadt abzuhalten, von 
deren Sitten und Zuständen er ein abschreckendes Bild 
malt, das aber stellenweise dem Wutausbruche Zarathustras 
über den Staat (oben S. 27 ff.) auitallend ähnlich ist. Manches 
darunter, was z. B. Uber Klatsch und Trunksucht, Streberei 
und Speichelleckerei kurz gesagt Ist, hätte sich weit eher ver- 
lohnt, von Zarathustra zu Predigten ausgearbeitet zu werden, 
als die ewig eintönige Leier von der eingebildeten Tugend! 
Warum gerade ein Weltverbesserer abgehalten werden sollte. 



^ kjui^uo i.y Google 



- 55 — 

eine Stadt zu betreten ^ worin es doch für ihn so viel zu 

tun gab, ist ebenso unbegreiflich wie der Umstand, dals 
Zarathustra dem Narren seine Rede mit Entrüstung ver- 
weist und ihm dennoch gehorcht ^ mit der eines Sitten- 
predigers höchst unwürdigen blMen Rede (S. 262): »Hier 
ist nichts zn bessern, nichts za b06em.< Da war der 
fabelhafte Jonas in Ninive ein anderer Held. Und vollends 
Jesus m Jerusalem ! — Zarathustra ist wahrlich ein sonder- 
barer Heiliger! Er picdigt ttberaU, wo es nicht nötig ist, 
nnd wo es nötig wflre, da schweigt er. Welchen Eifer 
zeigt er in der flammenden Rede gegen die »Abtrtinnigenc, 
d. h. gegen die vom Atheismus wieder Abgefallenen! Ein 
»feiger Teufel-^ hat es ihnen eingeredet; sie sind lichtscheu 
geworden. In Wahrheit sind aber die frommen »Duck- 
mäuser c, an die er sich wendet, niemals Atheisten gewesen, 
sind also auch keine »Abtrünnigen«. Die Begriffsverwirrung 
kann auch nicht übertroffen werden, wenn Zarathustra 
(S. 268) sagt, die alten Götter hätten sich zu Tode gelacht, 
»als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausging, — 
das Wort: Es ist ein Gott! Du sollst kdnen andern Gott 
haben neben mir!« 

Noch mehr als über solches Fredigen mufs man stut2en 
über das unklare Zeug, was Zarathustra (S. 275 iL) über 
die »drei Bösenc predigt. Er will nämlich die drei »best 
verfluchten, am schlimmsten beleu- und belttgenmundeten 
Dinge«, Wollust, Herrschsucht und Selbstsucht, 
»auf die Wage tim und menschlich gut abwägen.« Man 
sollte nun erwarten (obschon dazu kein Bedürfnis vorliegt), 
es würde von jeder dieser Untugenden das unter Umständen 
Entschuldbare und das Verderbliche klar gegeneinander 
abgewogen werden. Was er von ihnen sagt, ist aber, soviel 
aus dem furchtbaren Schwulst der Rede zu entnehmen, weder 



Digrtized by Google 



— 56 - 



eine Entschuldigung, noch eine Geiiselung, sondern am 
Anfang wird kankiert, was die »Verleumder« dieser Un- 
tugenden nach Zarathustras Phantasie von ihnen sagen 

könnten, und dann wird gerühmt, was zu ihrer Verherr- 
lichung dienen soll; bei der Selbstsucht ist (bezeichnend!) 
nur das letztere der Fall. Langsam, aber sicher rückt also 
Nietzsche seiner Umkehnmg der durch die Entwickdung 
der Kultur gewonnenen Moralbegrilfe näher und näher. 
Etwas irgendwie Fafsbarcs ist damit nicht gesagt; kein 
Gedanke, dals durch diese Auffassung irgend etwas auf 
der Welt besser weiden könnte*). 

Mit dem Worte »Nächstenliebe« (S. !282) ist bisher »am 
besten gelogen und geheuchelt worden und sonderlich von 
solchen, die aller Welt schwer fielen. <r Das ist wahr. 
Wollte einer aber glauben, Zarathustra werde die Nächsten- 
liebe in ihrer berechtigten Ausübung verteidigen, den 
müssen die nun folgenden »Alten und neuen Tafeln« eines 
andern belehren. 

Nach einer sehr sciiönen dichterischen Einleitung be- 
hauptet Zarathustra (S. 290), er habe die Menschen gelehrt, 
an der Zukunft schaffen und alles^ das war, schaffend zu 
erlösen. Schade, dals es nicht wahr ist. Er hat ihnen in 
dieser Richtung durchaus keine Anleitung zu dem gegeben, 
was sie tun sollen. Seme Reden konnten dies niemandem 
klar machen! Die erste neue Tafel dieses andern Moses 
lautet: »Schone deinen Nächsten nicht DerMensdi 



*) Als Beispiel sieben wir folgende Apologie der »Wollust»: 
»Wollust; allen bnfdhemdigen Leib- Verächtern ihr Stachd 

und Pfahl und ,Welt' verflucht bei allen Ifinterwdtleni : denn 
sie höhnt und narrt alle Wirr- und Irrlehren.» 

«Wollust; für die freien Herzen unschuldig: und frei, das 
Garten Glück der Erde, aller Zukunft Dankes- Überschwang an 
das Jetzt (1!!).« 



^ kjui^uo i.y Google 



— 57 — 

ist etwas, das ttberwunden werden muls . . . Oberwinde 
dich selber noch in deinem Nächsten: und ein Recht, das 

du dir rauben (!) kannst, sollst du dir nicht geben lassen. c 
Man mag das drehen und wenden, wie man will, es ist 
immer der nackte Egoismus , der hier gelehrt wird, mid 
den hrancht man keinen Menschen zu lehren, er lernt sich 
immer und Überall von selbst! Man solle die alten Tafeln 
zerbrechen, heilst es wiederholt; aber wehe, die neuen 
taugen nichts! Denn wonach man nicht leben und leben 
assen kann, das taugt nichts. 

»Es giebt einen alten Wahn, der heilst Gut und BOse.c 
Was setzt Zarathustra an die Stelle dieses »Wahnsc? 

>Du sollst nicht rauben ! Du sollst nicht totschlagen ! — 
solche Worte hiels man einst heilig; vor ihnen beugte man 
Knie und KOpfe und zog die Schuhe au& Aber ich frage 
euch: wo gab es je bessere Räuber und Totschlager in 
der Welt, als es solche heilige Worte waren? Ist in allem 
Leben selber nicht — Rauben und Totschlagen ? Und dafs 
solche Worte heilig hielsen, wurde damit die Wahrheit 
selber nicht totgeschlagen ?c Welche kecke Sophistik! Also 
weil es im Leben Rauben und Totschlagen gicbt, sott es 
auch gestattet sein! 

Es bedürfe, heilst es weiter, eines neuen Adels, der 
allem Pöbel und allem Gewalt-Herrischen Widersacher ist 
und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt »eddc Das 
ist der neue, yervielfechte Obermensch, und der Ge- 
danke wäre nicht übel, wenn man erführe, woher der 
neue Adel kommen solle, und wenn — Nietzsche nicht selbst 
in späteren Schriften diesem Adel die hier verpönte Ge- 
waltherrschaft übertragen und die übrigen Menschen 
zur Sklaverei verurteilt hätte. Doch davon erhalten wir 
bereits einen Vorgeschmack, wenn es (S. 305) heilst: 



L.icjui^L.ü cy Google 



I 



— 68 

>0 meiiie Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich 
sage: was fällt, das soll man auch noch stolsentc Einige 

Zeilen weiter heifst es deutlich, dals darunter nicht nur 
Dinge, sondera auch Menschen gemeint sind. Schon 
wenn sie Sachen meint, ist jene Regel leichtfertig-allgemein. 
Auf Menschen angewandt aber ist sie schlecht! Was 
fällt, soll man vielmehr heben! 

Diese durch 30 Abschnitte hin ausgedehnten, wie leicht 
zu sehen, höchst ärmlichen nnd nichtssagenden »neuen 
Tafelnc enden höchst bezeichnend mit dem Gebote (S. 312): 
»Werdet hart!« Braucht man das dem Menschen wirk- 
lich zu sagen, der (nach S. 318) bereitb das grausamste 
Tier ist? 

Doch, was soll man anderes erwarten von Zarathustra, 
der sofort nach Beendigung seiner »Tafeln« wahnsinnig 
wird? 

»Eines Morgens (S. 314 f.) sprang- Zarathustra von 
seinem Lager auf wie ein Toller, sehne mit furchtbarer 
Stimme und gebärdete sich, als ob noch einer auf dem 
Lager läge, der nidit davon aufstehen wolle« u. s. w. 

Dieser gräfsliche Ausbruch von Tobsucht endet mit 
den Worten: »Heil mir, du kommst (sein abgründlichster 
Gedanke nämlich), — ich höre dich! Mein Abgrund redet, 
meine letzte Tiefe habe ich ans Licht gestülpt Heil mir! 

Heran! Gieb die Hand ha! lafs! Haha! Ekel, 

Ekel, Ekel wehe mir!« 

Dann stürzt er nieder gleich einem Toten! 

Tiefe Wehmut überfällt uns bei diesem Vorzeichen! 

Um so tiefere, als auch, nach seiner Beruhigung und 
nach dem klassisch schönen Liede der Sehnsucht an die 
55eele, das an »das Leben« gerichtete und dieses als reizen- 
des Mädchen personifizierende, reich dichterische »andere 



- 59 — 



Tanzlied € (S. 328 ff.) bei aller Schönheit der Sprache 

dem dionysischen Rausch über die apollinische Klarheit die 
Oberhand einräumt. 

Doch der dritte Teil schliefst, rahiger und e rgrei fe nd^ 
mit dem sch<hien Liede, dessen Kefarvers heilst: »Nie noch 
fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, es sei 
denn dieses Weib, das ich liebe: denn ich liebe dich, 
o Ewigkeitlc Warum, warum nicht immer so? 



1^ icjui^L-ü cy Google 



VON GESPENSTERN. 

•HU nuk vmMe ük mir Jidm Sitg 
«tfcA, (M mamtk» vm mdk ßdt «Im 
um, wenn er mtr dm immtm Sekaü mdmtr 
TrHmmt ln A9rte,9 

(Zar. S. 410.) 

Der vierte und letzte Teil von Nietzsches »Zarathustrac 
war ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt^ und 
es wäre besser, er wäre ihr entzogen geblieben. In den 
drei ersten Teilen wechseln emige sehr'schOne Stellen mit 
den teils schwachen, teils falschen, teils bösartigen ab, die 
wir bekämpfen mulsten. Es tritt der Weg zur Geistcsnacht 
mir stellenweise hervor; im vierten TeU aber ist die Toll- 
heit völlig ausgebrochen. Sogar H. Gallwitz, der die 
Wu*lnmg der drei ersten Bttdier »erhebende findet (wir 
gröfstenteils nicht!), bedauert, dafs dieselbe durch 
den possenhaften Ausgang ernstlich bedroht sei (Friedr. 
Nietzsche S. 226). Max Zerbst dagegen träumt (Nein 
< und Ja S. 49 Note) von einer »herrlichen KompositioncÜl 
Risuin teneatis! 

Dieser Zustand der Tollheit beginnt mit dem »Not- 
schreie (S. 349 ff.). Einen solchen hört Zarathustra. Eio 
Wahrsager behauptet, es sei der »höhere Mensche, der nach 
ihm sdireie. Über diesen Namen erschrickt derselbe 2^ar»- 
thustra, der den »Übermenschen« verkündete, was doch 
ungefähr dasselbe oder ein Besseres sein sollte, und — 



— 61 — 



zittert! Er fQrditet woU dnen Nebenbuhler des >Ober- 

mensclien« , fafst sich jedoch bald und will den »höhem 
Menschen« suchen. 

Auf seinem Wege trifft er nun allerlei kuriose Heilige, 
eist zwei Könige mit einem Esd, die aus Ekel am »Pöbelt 
ihre Lande verlassen haben. Der Esel sagt dazu : I-A (und 
dies wird in Zarathustras viertem Teile ein mit Wohlgefallen 
breitgetretener Hauptwitz). 

Zweitens findet Zarathustra einen Kerl, der im Sumpfe 
Hegt und Blutegel an sich saugen lälst, um sie auf diese 
Weise zu fangen! Er nennt sich den >GewissenhaIteii des 
Geistes« und redet verwirrtes Zeug^ das einen verborgenen 
^mbolischen Sinn haben mag (vielleicht Satire auf gelehrte 
Spedalisten?). 

Drittens stöfet Zarathustra auf einen Zauberer^ der »die 
Glieder warf wie ein Tobstichtiger«, so dafs Zarathustra in 
ihm den >höheren Menschenc wittert Er janunert in wild 
phantastischen Versen um seinen verlorenen Gott Zara- 
thustra nennt ihn Schauspieler und Falschmtbizer, schlägt 
ihn mit dem Stocke und beschimpft ihn (der weise Zara- 
thustra!). 

Die vierte Begegntmg ist die mit einem »langen 
schwarzen Mannt, dem Zarathustra, in der Meinung, eben 
Priester vor sich zu haben, den Fluch entgegen sdileudert, 

dafs ihn der »Teufel« holen möge. Merkwürdigerweise 
glaubt der »weise« Zarathustra, der Gott verwirft, an einen 
TeufeL Und dieser Teufelsgläubige und Flucher soll der 
VerkOnder des »Obermenschenc sein!! Der schwarze Mann 
entpuppt sich aber als »der letzte Papst« und behauptet, 
er habe >den letzten frommen Menschen« gesucht, der 
noch nichts davon gehört habe, dafs der »alte Gott« tot 
sei, aber ihn ebenfalls tot gefunden. 



Digitized by Google 



— 62 — 



Ein atheistischer Papst, — auch nicht ttbel! Indessen 
m Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhnnderts auch 

schon dagewesen, blofs nicht auf Dauer. Dieser letzte 
Papst aber weils nicht nur^ dals Gott tot sei; er erzählt 
auch seine Lehensgeschichte wie die eines Menschen und 
lästert ihn überdies (»Zu einem Sohne sogar kam er nicht 
anders als auf Schleichwegen. An der Tür seines Glaubens 
steht der Ehebruch«). Er sei schlicfslich, einer wackeligen, 
alten Grofsmutter ähnlich , im Ofenvnnkel gesessen, weit- 
mtlde, willensmtkde, bis ihn das lifitleiden mit den Menschen 
erstickt habe (S. 378 f.) I Zaratfaustra sucht ihn darin noch 
zu bestärken. 

Wir finden es einfach verrückt, etwas , an das man 
nicht glaubt, zu lästern, was doch voraussetzt, daüs es 
Wirklichkeit — wenigstens gehabt hätte* Entweder glauben 
und verehren oder nicht glauben und mit GrUnden be- 
kämpfen! Ein drittes giebt es nicht, auLser im Irrenhause? 

Nietzsche hält sich, d. h. seinen Zarathustra, und 
seine Verehrer halten ihn in allem Ernste für »fromm aus 
Gottlosigkeit c. Eine solche Begii tf s v e r w i ir un g ist uneriiört. 
Wer keinen Gott braucht, bedarf auch keiner Frömmigkeit, 
wenn er nicht mit Worten spielen will! Auch der bedarf 
ihrer nicht, der für die kleine Erde einen Specialgott, den 
Übermenschen, erfindet und das übrige Wdtall sidi sdbst 
flberläfetf 

Den fünften Fan^ macht Zarathustia an einem Subjekt, 
das er den >hä£siichsten Menschenc nennt, — ein ver- 
krüppeltes, kaum menschlich zu nennendes Geschöpf, das^ 
statt zu reden, nur gurgelt und röchelt. Seine korrumpierte 
Phantasie erkennt in ihm — den Mörder Gottes; er 
wurde dies, weil er Gott als Zeugen seiner HälsUchkeit 
nicht ertrug! 



Digitized by Goog le 



— 63 — 



Wir haben also zwei Terscfaiedene Aussagen; der letzte 

m 

Papst sagte, das Mtdeid mit den Menschen habe Gott er- 
würgt, der häfslichste Mensch aber behauptet, er habe 
Gott getötet. Wer hat recht? Ja, das bleibt Nietzsche- 
Zarathnstras Geheimnis I 

»Mitleiden ist zudringlich; Mitleiden geht gegen die 
Scham; die Mitleidigen haben keine Ehrfurcht vor grofsem 
Unglück, c so spricht der häfslichste Mensch (S. 385). 

Es ist groisartig, welche Mühe sich Nietzsche giebt, 
das Milteiden zu bekSmpien. Harte Menschen (wie er sie 
anch haben will) werden ihm dankbar dafür sein, dafs er 
ihnen diesen bequemen Vorwand liefert, nicht nutieidig 
zu sein. 

Man sagt, Nietzsche habe nur das Mitleiden von sich 
selbst aUenken wollen, wdl er sich dessen schämte. Dies 
konnte er ja, aber es anderen zu mifsgdnnen, dazu hatte 

er keinen Grund. Und diese geheime Herzensregung 
brauchte er nicht zu veröffentlichen ^ denn es wird nur 
Mißbrauch damit getrieben. 

Eine sechste Erwerbung macht Zanithustra an einem 
Bettler, der den Ktihen predigt, wie einst der heilige Franz 
von Assisi, und das Evangelium in folgender geschmack- 
loser Weise parodiert: 

»So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so 
kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir sollten ihnen 
nämlich eins ablernen, das Wiederkäuen (!).c 

»Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt 
gewönne und lernte das Eine nicht, das Wiederkäuen, was 
hülfe es^ er würde nicht seine Trübsal los.c 

Die siebente Suche bringt Zarathustra — seinen Schatten! 
Mit diesem Schatten parodiert Nietzsche sich selbst, wozu 
er wohl die meiste Ursache hatte. Sein eigenes Leben und 



Digitized by Google 



— 64 



Ringen verspottet er damit, und das Resoltat ist sein Wahl- 

Spruch (S. 397): 

»Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.c 

Es ist rtthready wie sich Nietzsches Jünger abgemtlht 
haben, diesen Spruch zu drehen und zu wenden. Nutzt 
alles nichts; denn hier hat er doch ausnahmsweise klar 
gesprochen. Er hat aus seinem Leben die Lehre gezogen, 
dais man keiner Wahrheit trauen und keinem Gebote folgen 
sollej^ sondern sich von seinem souveränen Geiste über alles^ 
was jemals die Menschen band, hinwegsetzen lassen dfirfe. 
Es ist der Ausbruch des traurigsten Pessimismus, und wenn 
Nietzsches Jünger ihn einen Optimisten, einen Jasager zum 
Leben nennen, so haben sie eben nicht gemerkt, dals sein 
»Lachen« und »Tanzen« nur eine künstliche Betäubung der 
innerlich trostlosesten Stimmung war, die man sich «-> will 
man nicht sein Nachbeter sein — nicht anders erklären 
kann als den langsam hinter ihm herschleichenden und 
immer mehr Boden in ihm gewinnenden Wahnsinn. 

Der Schatten Zarathustra-Nietzsches ist 
nichts anderes als die Geistesnacht. 

Armer Mann, wir fühlen tiefstes Mitleiden mit dir und 
hätten ihm am liebsten nach deiner Lehre durch Still- 
schweigen Ausdruck gegeben, wenn nicht die böse Saat 
deines gottlosen Schattens eine Ernte gezeitigt hätte, die 
in zahlreichen Schriften unnennbares Unheil anrichten würde, 
wenn man sie nicht rastlos bekämpfte. Sie sollen uns nur 
nicht kommen und höhnen, wir hätten den »Meistere falsch 
verstanden. Ihre eigenen Schriften zeigen, wie sie ihn 
▼erstanden haben, und das ist eine Sammlung von Wider- 
sprüchen ! 

Zarathustra hat nun glücklich (den Wahrsager und 
den zweiten König dazu gerechnet) neun sonderbare Ge- 



^ kjui^uo i.y Google 



— 65 - 



seilen in seiner Höhle versammelt, angeblich »höhere 
Menschency in Wahrheit Schemen ohne Fleisch und Blut, 
ohne Namen und Charakter, — Gespensterl 

Sie sind es^ die den »Notschrei« ansgesto£sen haben, — 
Tor Ekel an der Welt und tot Sehnsacht nach Befreinng 
davon — durch Zarathustra. Er aber hält nicht viel von 
ihnen; er wartet aui andere, Höhere, Stärkere, Sieghaftere, 
Wohlgemutere, auf »lachende Löwen« (S. 411), d. h. 
mit einem Worte auf die von ihm erfundenen Übermenschen* 
Es sind die Lente der Herrenmoral, die Harten, Mitleid- 
losen, die die Fallenden noch stolsen, denen nichts wahr 
und alles erlaubt ist, gerade heraus gesagt — die Anar- 
chisten und Verbrecher! Nicht die gemeinen aller- 
dings, aber jene, die ihre »Taten« mit einem gewissen 
Nimbus zu umgeben wissen, so dals oberflächliche Seelen 
sie anstaunen. 

Zarathustra ladet seine gespenstigen Gäste zum »Abend- 
mahl«. Das Gespräch dabei bildet eine bis zum Ekel ge- 
triebene Wiederholung des schlechten A^tzes^ dafs Gott tot 
sti, und dafs der Übermensch leben solle. Die Reden der 
»iiinleitungc kehren beinahe wörtlich wieder; doch auch 
hier wird nichts Näheres vom Obermenschen gesagt 

»Das BOse ist des Menschen beste Kraft« ; »der Mensch 
mnis besser und bOser werden«; »das Böseste ist nötig zu 
des Übermenschen Bestem , wird da gelehrt. (S. 420.) 
Nur ekeln kann uns vor den »Auslegungen« dieses Bosen, 
Wenn man nicht miÜsverstanden werden wül, muls man 
eben reinen Wein einschenken! 

Zarathustra predigt seinen Gästen weiter: »Ich erfreue 
mich der grolsen Sünde (welcher?) als meines grolsen 
Trostes (!)« . . . »Immer mehr, immer Bessere euerer Art 
sollen zu Grunde gehen, — denn ihr sollt es immer 

Bsnae mm Rbyn, Aatf^Zanamitra. 5 



Digrtized by Google 



schlimmer und härter haben. So alldn wächst der Mensch 

in die Höhe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht (!)«... 
»Ihr leidet mir noch nicht genug 1 Denn ihr leidet an euch, 
ihr littet noch nicht am Mensche n.c »Diesen Menschen 
von heute will ich nicht Licht sein, nicht Licht heilsen. 
Die — will ich blenden, Blitz meiner Weisheit! stich 
ihnen die Augen aus!« . . . »Ist dies Heute nicht des 
Pöbeis?« . . . »Das ,fCh: den Nächsten' ist die Tugend nur der 
kleinen Leute« . . • Eine ebenso langweilige als widerwärtige 
Predigt, deren kurzer Smn ist, den Gesichtskreis der »kleinen 
Leutec, der doch keineswegs mafsgebend ist, der gesamten 
Kultur unserer Zeit unterzuschieben, als ob noch keine 
aulsergewöhnlichen grolsen Geister aufgetreten wären, ehe 
Nietzsche-Zarathustra erschien! 

Das einzige Pikante ist, dafe Zarathustra (S. 427) 
Christus lästert; er sei vom Pöbel, faselt er und weifs 
nichts Besseres von ihm zu sagen, als: er habe Heulen und 
Zähneklappem verheUsen und gesagt: »Wehe denen, die 
hier lachen (! ! !).« 

Zaraihustra vciiäiot wiederholt die Höhle, um frische 
Luft zu schöpfen, denn seine Gäste haben sie ihm ver- 
dorben. Nachdem diese genug Wein getrunken haben und 
berauscht sind, lachen und lännen, schreien und toben sie, 
singen wilde Dithyramben mit viel »Ha ha« und »Hu hu«, 
und zuletzt ftihren sie eine schändliche Posse auf ; sie beten 
nämlich den Esel an und dieser schreit die Responsorien 
mit I- A. Es ist eine ganz elende Verhöhnung des Chnsten- 
tum& (S. 453 f.) 

Zarathustra selbst ist erbost über diese Wirkung seiner 
gottlosen Reden und stellt die Eselsanbetcr zur Rede, worauf 
der »letzte Papst« sich damit entschuldigt, es sei besser, 
Gott (1) in dieser Gestalt anzubeten, als in gar keiner, — 



Digilizec by Goog le 



— 67 — 

» 

derselbe letzte Papst, der die Ansicht ausgesprochen, dafs 
Gott tot seilM 

Aber jetzt kehren diese saaberen »höheren Menschen« 
zu ihm unter Eselsgestalt zorttck; es soll, wie einer von 
der Bande sagt, die Gestalt sein, unter der ihm Gott am 
glaubwürdigsten dünke! 

Das Dümmste aber ist, dals Zarathnstra, der sich Über 
die Eselsanbctung so sehr entrüstete, am Ende seinen Gästen 
rät; das »Eselsfestc wieder zu feiern, und zwar — za seinem 
Gedächtnis! (S. 460.) 

Dann auf einmal werden alle wieder ernst, und Zara- 
thnstra singt den Dithyrambqs, der nicht mit Unrecht »das 
trunkene Lied« heilst und eine Paraphrase jener elf Glocken- 
verse bildet, von denen die Nietzscheaner ungeachtet des 
Mangels an Zusammenhang und Sinn so sehr entzückt 
sind. Die kurze Bedeutung ist: »dem Schmerze wünscht 
man Vergehen und der Lust Ewigkeit«. Etwas Selbst- 
verständlicheres kann es wohl kaum geben; die Ewigkeit 
ist aber nicht »tiefe , wie Nietzsche singt , sondern weiter 
nichts als — ewig. Auffallend ist, wie häufig das Wort 
»tief« hier angewandt wird: die Mittemacht, der Traum, 
die Welt, das Weh, die Lust und die Ewigkeit, all dies 
ist in elf Zeilen »tiefe Kein Wunder, dafs viele Leute 
Nietzsches Werke überhaupt für tief gehalten haben. . 

Ja, wenn das Unverständliche tief istl || 



.1 



Digrtized by Google 



IL 



•JENSEITS Von gut uNp böse.« 

•ZUR GENEALOGIE PER AVORAL« 
'GÖTZENpAMMERUNG.- 



•Man braucht die Nietuchtaner nickt so ermthaft mm 
mkmm wk NiOutki säht, Dk ,BirrmmonW ist» M 
litkit iudbm. Hm. rdmr WkUrsi$m, Warn tHtrrm* 
Lotttrhtim toerdm, »o kandeU u tUM ttm mm kdme 
JUmmmutml, sondern um ane LotterbuhenmoraL* 

Dr. Juiims Duhoc (AnÜ^NiHuthi S. 46^ 

mSdm Werk ««r omiHtlUaM, weÜ $Mm mb HMkM* 
Jtn^fijfmtttt mm Mim Hgßmet ü^Sertet Ith 9Mg iUit, da* 
er känstSdk g^gm dk B^rtuhtung durtk din Geist GotUs, 
der Natur und Geschichte beseelt, abgaptj^t hatte. Damit 
hat er steh das Verständnis 'der Gegenwart, Verg^angenheit 
und Zukunft verschltisse» , er hat einen Titanenkampf ge- 
führt mit Gemeinheit, Roheit und Schwäche in und um sich, 
4fMU^ ^9Mß^^t ^^9f0 eigene SdktUd, AntM HHfer doM g(/mmda$, 
so dmfs erfirühuiHg dm koßnmt^t- mmd htUtlMr, gt6n»ehmer 
Mmmm gtwonttm isL* 

Hmmt Gmllwin (fitmtt» ^üM, i9g8)* 



AbküPBuiiflren: 

J. = »Jenseits von Gut und Böse«, 6. Auflage, 1896. 
GM. =■ »Zur Genealogie der Moral«, 3. Auflage, 1894. 
Gd. = »GötzendämmerunK% 5. Auflage, 1896. 

Die Zahlen bedeuten die beiten dieser Auflagen. 



Digitized by^üfiglp 



WAS IST WAHRHEIT? 



•Ith gehöre mkkt m dtntn, dU mtm 
tmek ikrm Wanm fragen dar/.t 

(Zar, S, iS6J 

Nietzsche beginnt das erste seiner wesentlich polemischen 
Werke (die eine weitere AnsfOhrang und VerscfaArfung des 
»Zarathtistrac bilden), das Buch »Jenseits von Gut und 
BOsec, mit einem Kampfe gegen die Wahrheit. »Die 
Wahrheitc ist ein abstrakter Begriff, der für sich aUein, 
ohne nähere Bestimmung, keinen Inhalt hat. Es kann nur 
eine Wahrheit bestimmter Gedanken oder Aussagen geben, 
und wenn man nach Wahrheit strebt, den Willen zur 
Wahrheit hat, so will man erfahren, ob bestimmte Gedanken 
oder Aussagen wahr oder falsch sind. »Was in uns,« fragt 
Nietzsche (J. 9), »will eigentlich ,zur Wahrheit' ?c Einfach 
die Erkenntnis des Irrtums. Erkennen wir z. R, dals die 
Aussagen A und B unvereinbar sind, einander diametral 
widersprechen, so wollen wir wissen, was denn das Wahre 
ist, ob A oder B oder am Ende gar keines von beiden, 
sondern C. Das ist Streben nach Wahrheit, das der 
Wille zur Wahrheit. Nietzsche frag^ nach dem Werte 
dieses Willens und spricht die merkwürdigen Worte: 
»Gesetzt, wir wollen Wahrheit; warum nicht lieber 
Unwahrheit? und Ungewilsheit? selbst Unwissenheit ?c 
(J. 9.) Man kann immer nur das wollen, dessen Gegen- 



Digitized by Google 



— 72 — 



teil man kennt, oder dessen Mangel man fühlt^ was dasselbe 
ist, z. B. esseo nur, wenn man den Hunger^ trinken nnr, 
wenn man den Durst kennt oder fohlt Unwahrheit kttnnte 
man also nur wollen, wenn man die Wahrheit, Ungewifs- 
heit, wenn man die Gewifsheit, Unwissenheit, wenn man 
das Wissen kennt. Alle diese drei Ziele aber kitonte nur 
ein Wahnsinniger wollen! Haben wir z. B. erkannt, 
dais 3XS = 9f dtSs die Sonne heÜs, der Schnee weiCs ist, 
dab alle VOgel Federn haben und Bier legen, daüs Berlin 
an der Spree und Paris an der Seine liegt, dafs Caeiiar 
ermordet, daLs Napoleon bei Leipzig geschlagen wurde, — 
wie wäre es denkbar, dais uns ein Verlangen käme, An- 
siditen sn gewinnen, die diesen oder anderen dieser Art 
widersprechen? Wahrscheinlich dachte aber Nietzsche gar 
nicht an ausgemachte, bewiesene, sondern nur an be- 
hauptete Wahrheiten! Solche sind jedoch keine Wahr- 
heiten, sondern blois Behauptungen oder Vermutungen, 
Hypothesen. Die Kirche z. B. hetraditet die Dreieinigkeit 
als eine Wahrheit; die Auf geklärten betrachten sie als eine 
Erfindung. In solchen dogmatischen Fragen kann nicht 
absolut, sondern nur relativ, nur vom Standpunkte einer 
gewissen Richtung ans von Wahrheit die Rede sein, und 
für Nietzsche^ der an kern Dogma glaubt, am allerwenigsten. 
So verhält es sich auch mit wissenschaftlichen H3rpothesen, 
wie z. B. dem Darwinismus, mit historischen Streitfragen, 
wie z. B. der Teilsage, der Schuld oder Unschuld Maria 
Stuarts oder Wallensteins u. & w. Hier kommt der Be- 
griff der Wahrheit gar nicht in Frage; es smd UngewiDs- 
hetten. Es dürfte aber klar sein, dafs niemand nach solchen 
strebt, niemand sie will, sondern dafs jedermann in solchen 
Fragen nach der Wahrheit verlangt, oder, wenn für deren 
Gewinnung jede Aussicht schwindet, darauf verzichtet und 




— 73 



sein Augenmerk auf bewiesene oder beweisbare Wahrheiten 
lenkt Und endlich die Wahrheit von Tatsachen im Leben t 
Konnte Nietzsche da im Ernste glauben, ebe uns vielleicht 
angenehmere Täuschung würde sich auf die Dauer gegen- 
über einer bittern Wahrheit festhalten lassen und nicht 
schliefslich von dieser entlarvt werden? 

Nietzsche hat sidi in seinen letzten Werken zum Vorsatze 
gemacht^ allesy was jemals den Menschen als ehrwOrdig oder 
achtungswert gegolten hat, mit Spott und Hohn herunter- 
zureifsen: Gott, Religion, Geist, Gemüt, Herz, Mitleid, 
Liebe, Ehe, Staat, Recht, Moralität und was noch alles^ 
sogar die Wissenschaft 1 Weils man dies einmal, so durfte 
Nietzsche eigentlich gar nicht ernst genommen werden, nnd 
es wäre überflüssig, gegen ihn zu schreiben, wenn nicht 
seine verkehrten und gefährlichen Lehren eine Schule teils 
verblendeter, teils frivoler Menschen »herangezüchtetc hätten 
(nm dnes seiner UeblmgswOrter zu bratichenX von der ans 
ein verderblicher Hanch über die Welt sich ausbreitet. 
Leider können die verblendeten und wollen die frivolen 
Nietzscheaner die bodenlose Oberflächlichkeit der Urteile 
ihres Meisters und die kecke Stime, loit der er jene in die 
Welt setzte, nicht durchschauen, und es werden fortdauernd 
die wirren Phantasmen eines Wahnsinnigen, der dies bereits 
seit dem Beginne des Zarathustra teilweise war, als atiefec 
Weisheit angestaunt! 

Schon der eine Satz beweist die Richtigkeit dessen, 
was wir hier sagten, der nämlichi in dem Nietzsche Q. 12 f.) 
sagt: »dats die falschesten Urteile uns die unentbehrlichsten 
sind, dafs ohne ein Gelten lassen der logischen Fiktionen, 
ohne ein Messen der Wirklichkeit an der rein erfundenen 
Welt des Unbedingten, Sichselbst-Gleichen, ohne eine be* 
ständige Fälschung der Welt durch die Zahl der Mensch 



Digitized by Google 



— 74 — 

nicht leben könnte, — dafs Verzichtleisten auf falsche Ur- 
teile ein VerzichtleisteD auf Leben, eine Vemesnimg des 
Lebens wäre.c 

Welche Müschen Urteile sollen zum Leben notwendig 
sein ? Wenn das nicht herausgesagt und begründet werden 
kann, so ist und bleibt es Unsinn! Das merken jedoch 
die Nietzscheaner nicht; denn des »Meistersc kataraktartiger 
Wortschwall verhindert sie am ruhigen Denken, und so 
übersehen sie die zwischen bogenUmge Erörterungen über 
nichts eingestreuten Giflbrocken und denken: »Da Alles 
tief ist, so muls auch das Einzelne tief sein.« 

Durch seinen blinden Eifer gegen alle Wahrheit ist 
indessen Nietzsche dahin gelangt, selbst an dem, was 
sonnenklar erwiesen ist, irre zu werden und es keck weg- 
zuleugnen. Er sagt (J. 22), Kopernikus habe uns über- 
redet (!), zu glauben, wider alle Sinne, dafs die Erde nicht 
feststeht.€ — Gegen alle Sinne? Bieten denn die Sinne jemals 
die Wahrlieit dar? Ist nicht alles, was sie uns vorspiegeln, 
trügerisch? Sind etwa Gegenstände, die wir in der Feme 
sehen, so klein, wie sie uns erscheinen? Bewegen sich 
etwa Bäume und stehende Eisenbahnzüge, an denen wir 
vorbeifahren? Folgt etwa der Donner dem Blitze wirklich 
nach, wie wur meinen? Und so ist auch die scheinbare 
Bewegung der Weltkörper um die Erde nur eine Sinnes- 
täuschung, nicht eine Simieswahmehmung ! 

Die Sinne müssen stets durch die forschende Wissen- 
schaft korrigiert und erläutert werden. Erst dann werden 
uns ihre Bilder zur Wahrheit. Die Entdeckung des 
Kopernikus ist denn auch durch Sinneswahmehmungen 
mittels des Femrohrs und durch astronomische Berech- 
nungen bestätigt worden; nur sind wir Uber ihn hinaus- 
geschritten, indem wir erkannt haben, dals auch die Sonne 



Digitizeclby Gopgle 



— 75 — 



nicht still steht, sondern sich wie alk sogenannten Fixsterne 
bewegt. Selbst Nietzsche, der sich bekanntlich aus Wider- 
sprüchen nichts macht, hat dies anerkennen mttssen, da wo 

er (J. 208) die Bewegung der Sonne gegen das Sternbild 
des Herkules begrülst (darüber weiter unten noch ein Wort). 
Trotzdem ist er später anf seine Polemik gegen Kopemikiis 
zurückgekommen, indem er (GM. 190) sagt: »Ist nicht 
gerade die Selbstrerkldnenmg des Menschen^ sein Wille 
zur Selbstverkleinerung seit Küpernikus in einem unaufhalt- 
samen Fortschritte y Ach, der Glaube an seine Würde, 
Einzigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangabfolge der Wesen 
ist dahin, er ist Tier geworden, er, der in seinem früheren 
Glauben beinahe Gott war . . . Seit Kopemikns scheint der 
Mensch auf eine schiefe Ebene geraten — er rollt immer 
schneller nimmehr aus dem Mittelpunkte weg — wohin ? 
ins Nichts? . . .c Nein, der Mensch ist auf keine schiefe 
Ebene geraten, wenn er der Wahrheit in Hingeht anf die 
Ordnung im Weltall näher kommt; aber Nietzsche rutscht 
auf der schiefen Ebene seiner Vorurteile inuner tiefer hinab 
in das Nichts der von ihm gepriesenen Unwahrheit, Un- 
gewilsheit und Unwissenheit. 

Demi es ist gewils fOr diesen tfreiesten aller Geister« 
(wofür er sich hielt) ein kolossales Vorurteil, dafs der Mensch 
des Planetchens Erde das höchste Wesen im gesamten Weltall 
sein müsse! Und hatte er ganz vergessen, dafs er im 
»Zarathnstra« (oben S. 14) den Menschen als Abkömmling 
des Affen, als »ein Gelächter nnd eine schmerzliche Scham« 
für den hypothetischen Übermenschen behandelte? Wai das 
nicht eine weit tiefere Herabwürdigung des Menschen, 
als sie dadurch, dals sein Planet nicht der Mittelpunkt der 
Welt ist, bewirkt worden sein soll? Er, der, wie wir 
weiterhin sehen werden, 99 Hundertstel, vielleicht noch 



Digitized by Google 



— 76 — 



mehr, dieser »Halbgütterc zu rechtlosen Sklaven erniedrigten 
mllte, durfte er von Würde des Menschen als solchen auch 
nur ein Wort sagen? 

Hat wohi Nietzsche, fügen wir bei, den geheimen Ge- 
danken gehegt, dais in dem Zukunftsreiche des Ober- 
menschen die vorkopemikanische Weltanschanung ^eder 
hergestellt werden sollte? Wir halten dies für sehr wahr- 
scheinlich und dem Gebühren der geträumten künitigen 
Herrenrasse durchaus angemessen. — 

Wie leichtfertig und gedankenlos Nietzsche mit der 
Wahrheit umsprang^ mögen folgende Stellen seiner Werke 

zeigen, in denen er sich nach Belieben bald zu Gunsten, 
bald zu Ungimsten der Wahrheit aussprach. 

I. Stellen, welche die Wahrheit leiern: 

»Wahrheit reden tmd gut mit Bogen und Pfeil ver- 
kehren, bo dünkte es jenem Volke zugleich lieb und schwer, 
aus dem mein Name kommt (den Persern, Zar. S. 85). c 

»Niemand Itlgt so viel als der Entrttetete.« (J. 46.) 
»Was liegt dem Weibe an Wahrheit? Seine groüse 

Kunst ist die Lüge!« (J. 192.) 

»Es ist ein Grundglaobe aller Aristokraten, dafs das 
gemeine Volk lügnerisch ist ^Wir Wahrhaftigen', 
so nannten sich im alten Griechenland die Addligen.€ (J. 240, 
ähnlich GM. 23 f.) 

II. Stellen, welche die Wahrheit verwerfen: 
»Gesetzt wir wollen Wahrheit; warum nicht lieber 

Unwahrheit? and Ungewi^eit? selbst Unwis8enheit?€ 
ö. 9.) 

»Ja, was zwingt uns überhaupt zur Annahme, dafs es 
einen wesentlichen Gegensatz von ^wahr^ und ,Msch' giebt?« 



Digitized by GoC^e 



— 77 - 



»Unsere Gebildeten von heute ^ unsere ^Gilten' Ifigea 
nicht, das ist wahr; aber es gereicht ihnen nicht zur 
Ehre.« (GM. 169.) 

»Nichts ist wahr, alles ist erlaubt; wohlan das war 
Freiheit des Geistes^ damit war der Wahrheit selbst der 
Glaube gek(Sndigt.f (GM. 185.) 

»Aber wie, wenn nichts sich mehr als göttlich erweist, 
es sei denn der Irrtum, die Blindheit, die Lüge, — wenn 
Gott selbst sich als unsere längste Lüge erweist?€ 
(GM. 186 f.) 

Dafs etwa in der einen dieser beiden Gruppen von 
Stellen unter der Wahrheit etwas anderes gemeint wäre als 
in der andern, läfst sich in keiner Art nachweisen. — 

Es wäre unglaublich, wenn es nicht schwarz auf wei^s 
stände, daiis Nietzsche auf der schiefen Ebene seiner Ver- 
neinung der Wahrheit hH:'reits von der Umvahrheil durch 
die Unwissenheit zur Dummheit herabgegiitten ist. Er 
sagt (J. 100), es sei ein Zeichen des starken Charakters^ das 
Ohr auch fttr den besten Gegengnmd zu schlieisen, »also 
ein gelegentlicher Wille zur Dummheit«. Das ist nun nicht 
etwa blofs ein verirrter Aphorismus ; denn damit stimmt es 
wörtlich überein, wenn er (Od. 68) sagt: »Darwin hat den 
Geist vergessen, die Schwachen haben mehr Geist 
Man mufs Geist nfltig haben, um Geist zu bekommen, man 
yerfiert ihn, wenn man ihn nicht mehr nötig hat. Wer die 
Stärke hat, entschlägt sich des Geistes.€ Da ist kein 
anderer Schlufs möglich, als dafs die »Starken« dumm 
sindi £s nützt Nietzsche auch nichts, den Geist zu defi- 
nieren als »die Vorsicht, die Geduld, die List, die Ver- 
stellung, die grolse Selbstbeherrschung« u. s. w. Nein, 
dreimal nein, — Geist ist und bkibt die Fähigkeit des 
Schadens 1 Das ändert aber die traurige Tatsache nicht, 



Digitized by Google 



— 78 — 



dafs Nietzsche sogar (Gd. 78 f.) von einem »Recht auf 
Dummheitc spricht, wenn er dies auch zunächst als 
»Recht auf reine Torheit« in der Kunst (Farsifal!) erklärt 
Die oben angeführten Stellen werden aber durch eine 
weitere bekräftigt, in welcher Nietzsche (J. 208) »mit Ver- 
gnugen hört, daCs unsere Sonne sich gegen das Stemhüd 
des Herkules hin bewegt, und hofft, dafs der Mensch es 
darin der Sonne gleich tue.« Herkules heilst aber nichts 
anderes als geistlose Ktfrperstärke. (Man beachte an den 
Statuen dieses Heros den auffadlend kleinen Kopf auf dem 
kolossalen Leibe!) Also eine Herrschaft von Athleten er- 
srhnte er, der schwächliche Nietzsche! Wie wäre er dabei 
gefahren und wie alle geistvollen, aber nicht muskuliisen 
Menschen? Arme und Schenkel als Brsatz des Gehirns^ — 
wahrlich nicht ttbellt! 



Digitized by (dü^ 



GRÖSSENWAHN 



»StiH Uekt ist trMe ffwordtn» nmi der 
IhdU ist wrJhAli** 
Han$ GüIIwUm (Dr. y«JM, 1898), 

Nietzsche tut, wie er selbst sagt (J. 46), alles, um 
schwer yerstanden zu werden. Er bezeichnet dies sein 

Streben, verglichen mit dem anderer Schriftsteller, durch 
fremdartige Ausdrücke, die gewifs von seinen Anhängern 
ehrfürchtig angestaunt werden, ohne dals diese darüber 
nachdenken oder nachiorschen, woher diese geheinmisvollen 
Wörter stammen. Er nennt nämlich seine eigene Art zu 
denken und zu leben (wir verbesbt rn hier die Orthographie): 
gangä-sroP^-gati (Sanskrit: so schnell, wie der Ganges 
strömt), — die der anderen Menschen aber: fcArma-gatt 
(Sanskrit: so langsam, wie die Schildkröte schleicht) oder 
besten Falles: ntandüka-gati (nicht mandeika-gati , d. h. 
Sanskrit: so überhüpfend, wie der Frosch springt)*). Also; 



*) Gefällige Mitteilung von Herrn Prof. Dr. K ägi in Zürich. 
Ihm verdanke ich auch die interessante Auskunft, dafs diese Aus- 
drücke sich auf die indische Musik beziehen fwie bei uns die 
italienischen: allegro, andante u. s. w.). Nietzsche hat sie (sogar 
die Druckfehler) aus der >Reise nach Ostindien«, von Prof. Julius 
Jolly in Würzburg (Deutsche Rundschau 1884 und Separat- 
abdruck daraus , S. 65) geschöpft. Die arste Auflage von 
*J. G.n. B.« erschien 1886. Gati heilst wörtlich: Gangart 
habend. 



Digitized by Google 



— 80 — 



NietaESches Art, za denken und ni leben, daher wohl auch 

zu schreiben, gleicht dem Laufe des Ganges und die der 
übrigen Menschen und Schriftsteller dem Schleichen der 
Schildkrttte oder besten Falles dem HOpfen des Frosches I 
»Bescheidener« kann man wohl nicht sein! IGetadie ver- 
wirft ebenso (J. 58) das populäre Reden (and wohl anch 
Schreiben). In der strengen Wissenschaft lälst sich dies 
hören. Aber sind denn Nietzsches Phantasiegebüde Wissen- 
schaft? »Jeder tieie Denker,« sagt er (J. 268), d. h. 
natüilich Torab er selbst, »fürchtet mdir das Verstanden- 
werden als das Mifsverstandenwerden«, angeblich ans Mit- 
gefühl, welches immer spreche: >ach, warum wollt ihr es 
auch so schwer haben wie ich?c Er will also nicht ver- 
standen werden, damit andere sich nicht ebenso mit tiefen, 
sie quälenden Gedanken beunruhigen. Aber ums Himmds- 
wiUen, wozu sdirieb er denn? Wozu gab er sidi denn diese 
vergebliche Mühe? Entweder will man verstanden werden, 
oder man schreibt gar nicht, wenigstens nicht für die 
Öffentlichkeit Jedes dritte ist sinnlos. 

Von dem Wunsche, nicht verstanden zu weiden, bis zu 
der Eitelkeit und Einbildung auf das Nichtverstandenwerden 
ist nur ein Schritt, und diesen hat Nietzsche auch getan. 
Es ist indessen erst der halbe Schritt, wenn er (GM. 12 i.) 
sagt, er lasse niemanden als Kenner seines »Zarathustrac 
gelten, den nicht jedes (1) seiner Worte irgendwann einmal 
ti^ verwundet und irgendwann einmal tief entzackt hat; 
erst dann dürfe man an seiner »sonnigen Helle, Feme, 
Weite und Gewifsheit ehrfürchtig (I) Anteil zu haben das 
Vorrecht genie(sen.c Es bedürfe, meint er, zur Auslegung 
seiner Aphorismen einer Kunst der Auslegung! Dies ist. 
wohl teilweise richtig ; aber es ist zweifelhaft, ob seine Ver- 
ehrer sich die Mühe genommen haben, sich diese Kunst 



Digitized by Google 



— 81 - 



anzueignen. Das Blech, das sie zum Teil darttber schreiben, 
Sfyricht nicht dafttr. 

Jene Eitelkeit und Einbildung auf das Nichtverstanden- 

werden ersteigt den denkbarsten Gipfel des Gröfsenwahns 
da, wo Nietzsche sagt (Gd. 105): »Der Aphorismus, die 
Sentenz, in denen ich als der erste unter Deutschen 
Meister bin, sind die Formen der ,Ewigkett'*, mein Ehr- 
geiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder andere in 
einem Buche sagt, — was jeder andere in einem Buche 
nicht sagt.c 

Dann schlieüst er mit den Worten: >Ich habe der 
Menschheit das tiete (I) Buch gegeben, das sie besitzt, 
mdnen Z^arathustra: ich gebe ihr über kurzem »das unab- 
hängigste« (d. h. die »Umwertung aller Werte c , die bei 
dem ersten Teile, dem schon unzurechnungsfähigen »Anti- 
christ«, stecken gehlieben ist). 

Auf der, letzten Seite des letzten Buches, das noch 
nicht ▼öllig der Geistesnacht verfallen ist (Gd. 114), nennt 
sich Nietzsche den letzten Jünger des Philosophen Dionysos, — 
den Lehrer der ewigen Wiederkunft I 

Und die Nacht brach herein! 



6 



GEGEN SEIN VATERLAND. 

»Die Deutschni — ynan hicfs sit einst 
das Volk der Denker : denken sie heute über- 
Jbuipe naek?* (Gd. 4g.) 

Seit Börne und Heine hat kein Deutscher sein \' aterland 
so hehig geschmäht, so tief heruntergesetzt und so scharf 
angegriffen wie Nietzsche. Allerdings ist er halb Ton 
iwinischer Abkunft; allein sein Vater war evangeUsdier 
Pfarrer, — ein Ding, das es in Polen nicht giebt Dadurch 
ist er g^ermanisiert; er sprach und schrieb stets nur deutsch, 
und in keinem andern Lande hat er annähernd so viel 
Anhänger gefunden als (leider!) in Deutschland. Dies 
vergilt er durch die ungerechtfertigtsten Angri£b auf sem 
Vaterland. Ja er wirft diesem vor, was durchaus kein 
Vorwurf, ja, eher ein Lob ist und sich geradezu von 
selbst versteht. So schmäht er (J. 47 f.) die Deutschen, sie 
seien des »Prestoc (d. h. der Eilfertigkeit im Denken und 
Schreiben — gangOrsroifhgaii?) un&hig, der Buffo und 
der Satyr seien ihnen fremd, Aristophanes und Petromus 
imübersetzbar ! Wir finden, es sei keine Schande für ein 
Volk, keine Spalsmacher, Lästerer und Possenreifser zu 
sein. Die beiden genannten antiken Schriftsteller aber sind 
trefflich deutsch übersetzt Überhaupt wo giebt es Über- 
setznngsmeister, die den Deutschen vergleichbar wären? 



Digitized by Google 



- 83 — 



Wenn Nietzsche irgend etwas an einem Deutschen 

miJföfiel, namentlich z. B. an Arthur Schopenhauer und 
Richard Wagner, von deren Gefolgschaft er mit so gro{sem 
Länn abgefallen ist, als wenn es eine Sache von wdt- 
erschütternder Wichtigkeit wäre^ ob Nietzsche Anhänger 
oder Gegner eines Systems oder einer Person war, so müssen 
für diese seine Sympathie, besonders aber Antipathie gleich 
die Deutschen als solche herhalten. (So J. 203 f.) Die 
Deutschen sind für Nietzsche nicht mehr tief, ja eigentlich 
nie gewesen y sondern seit Errichtung deS neuen Reiches 
nur noch >schneidigc (J. 208 ff.). tAls ein Volk der unge- 
heuerlichsten Mischung und Zusammenriihnmg von Rassen 
(welches Volk ist nicht ebenfalls oder eher weit mehr eine 
solche?), Tielleicht (sehr wissenschaftlich!) sogar mit einem | 
Ubergewicht des (welches?) vor-arischen Elements» als »Volk ; 
der Mitte« in Jedem Verstände (d. h. wohl chinesenartig !), 
sind die Deutschen unfafsbarer, umfänglicher (?). wider- i 
spruchsvoller, unbekannter imberechenbarer, über- j 

raschender, selbst erschrecklicher^ als es andere Völker sich 
selber sind: sie entschlüpfen der Definition und sind 
damit schon die Verzweiflung der Franzosen (die armen 
Franzosen sind wirklich sehr zu beklagen!). Ganz neu ist, 
dafs Goethe seinen Faust nach Napoleon umgedacht haben 
soll. Höchst komisch wirkt, dafs an den Deutschen (J. 210) 
die Entdeckung des Begriffs der Entwickelung lächerlich 
gemacht wird. Natürlich*, denn der ganze Nietzsche be- 
ruht auf einer Leugnung aller Entwickelung. Bei Nietzsche 
springt alles schon ganz fertig aus dem Kopfe, wie Athene 
aus Zeus' Schadelt Er gleicht hierin den Orthodoxen, für 
die auch jedes Dogma von An&ng an fertig ist, sich nicht 
entwickelt hat. »Gutmütig und tückische ist Nietzsches 

Schlufsurteil über seine Landsleute. Was sagen seine An- 

6* 



Digitized by Google 



— 84 — 

beter zu diesem Komplunent? »Bäuriscbe CMeidigtiltigkeit 
gegen Geschmackc wird ihnen ferner vorgehalten. Der 

übrigen Nietzscheschen etymologischen Possen höchst würdig 
ist seine Ableitung des Wortes »deutsche von »täuschend 
Eine Leichtfertigkeit^ ein »presto« ohne gleichen und ohne 
Möglichkeit der Verantwortung 1 Ja, Nietzsche geht so wei^ 
die im Mittelalter in ganz Europa üblichen und grofsai- 
teüs aus dem römischen Rechte stammenden bar- 
barischen Strafen (GM. 65 f.), obschon sie semer Vorliebe 
für Härte und Grausamkeit ausgezeichnet entsprechen, 
allein den Deutschen in die Schuhe zu schieben! Bekannt- 
lich wurde bei diesen vor Einführung des römischen Rechts 
feist alles allzu milde mit Geldbufscn abgemacht! 

Der Frage, »was den Deutschen abgehtc, widmet 
Nietzsche in der »GötzendMmmerung« em ganzes Kapitel 
(48—56). Freilich mischt er hier einiges Lob ein, das wir 
aber (wie alles andere in seinen Schriften , das uns nicht 
abstöfst) hier nicht berücksichtigen, weil wir nichts dagegen 
einzuwenden haben. Die Deutschen haben sich , meint er, 
seit beinahe einem Jahrtausend durch Alkohol, Christentum 
und Musik verdummt (wie grttndlich!). Allerdings^ der 
Alkohol ist tief zu beklagen; sein Verbrauch hat aber seit 
drei Jahrhunderten im Verhältnis zur Zunahme der Be- 
völkerung bedeutend abgenommea, während er bei anderen 
Völkern, die hrüher mälsiger waren, stetig zunimmt Das 
Christentum ist in Deutschland weniger dumm, d. h. wohl 
abergläubig, als im Süden und Westen Europas. Und die 
Musik! Darüber verlieren wir kein Wort! 

Die deutsche Kultur soll (Gd. 51) niedergehen! Seit 
emigen Jahrzehnten ist in ganz Europa und Amerika 
die Kultur im Niedergehen. Solche Schwankungen ^d 
aber (umner vorgekommen und berechtigen zu keinem ab- 



Digitized by Google 



— 85 — 



schliefsenden Urteil. Es kann und wird wieder anders 
werden! Der Staate sagt Nietzsche^ ist kulturwidrig (vgl. 

oben S. 27 ff. j ; seitdem Deutschland Grolsmacht, sei Frank- 
reich (das wohl keine Grofsmacht ist??) als Kuiturmacht 
empoi^estiegen ! Es ist belustigend, dieser Behauptimg 
eine andere desselben Verfassers gegenüberzustellen. Er 
sagt nämlich (J. 224 f.): »In der Tat wälzt sich heute im 
Vordergrunde ein verdummtes und vergröbertes Frank- 
reich, — es hat neuerdings, bei dem Leichenbegängnis 
Victor Hugos y eine wahre Orgie des Ungeschmacks und 
zugleich der Selbstbewunderung gefeiert (die emporgestiegene 
Kulturmacht?). So oder so, — für Nietzsche ganz egal! 
Deutschland habe, sagt er weiter (Cd. 52), — keinen für 
Europa mitzählenden Geist aufzuweisen! Welche aber Frank- 
reich? Wir befinden uns, im ganzen Reiche der höhem 
Kultur, momentan in einem hoffentlich vorübergehenden 
Stillstände, und Deutschland ist dabei nicht schlimmer 
daran als andere Länder und \'olker! 

Eines der charakteristischen Wahrzeichen dieser Ver- 
fallsperiode (>D6cadencec) ist gerade die Lehre Nietzsches 
seit dem Erscheinen des »Zarathustrac. Ohne das Eintreten 
einer »Ddcadencet wäre es nicht möglich gewesen, dafs ein 
Gehimkranker einen solchen Anhang gefunden hätte wie 
Nietzsche; es wäre eine Gemeinde hypnotisierter, denkträger 
Leute niemals zu Stande gekommen. Nietzsche hatte also 
alle Ursache, die Däcadence zu begrttfsen, statt sie (Gd. 104) 
zu schmähen. 



Digitized by Google 



ZUR GENEALOGIE DER MORAL. 

»i^ ist viel wm vi^ Zmiier wut Zudttr 
«M jatm Gefühlen des .für andere', des 
,nicht für mich', als da/s man ftt'rkf 
nöii^ hätte , hier dofpelt mi/strauiseh zu 
werden . . .« (y, SS*) 

Nietzsches »Genealogie der Moral c, die sich nicht ad 
das diesen Titel tragende Buch beschränkt, sondern durch 
alle hier bertlcksichtigten drei Werke ihre Rolle spielt, ist 
eine urgescfaichtliche Phantasie. Sie zeigt lediglich, wie 
Nietzsche, der sich um historische Forschung nicht im ge- 
ringsten bekümmerte, sich die Urgeschichte vorstellte. 
Nur ein Hohlkopf kann sie itlr bare Mttnze nehmen; denn 
ihr Zweck ist lediglich, dem heilsen Wunsche Nietsscfaes 
Ausdruck zu verleihen, dafs in Zukunft eine barbarische 
Herrenkaste sich gegen das unterdrückte Volk aiies, was 
ihr gut dünkt, erlauben dürfe. 

Schon die erste Andeutung dieser Zukunftsphantasie 
(J. 51 ff.) ist Tielversprechend. Nietzsche behauptet, in der 
prähistorischen Zeit »wurde der Wert oder Unwert einer 
Handlung aus ihren Folgen a.bgeleitct ; die Handlung an 
sich kam dabei ebensowenig als ihre Herkunft in Betrachte ; 
es war »die rückwirkende Kraft des Erfolgs oder Mifs- 
erfolgs, wekhe den Menschen anleitete, gut oder schlecht 
▼on einer Handlung zu denken«. Diese Periode nennt 



Digitized by Gfipgle 



- 87 — 

Nietasche die vormoralisclie und fsAat dann fort: »In 
den letzten zehn Jahrtausenden (man beachte diese chrono- 

logische Angabe!) ist man hingegen ... so weit gekommen, 
nicht mehr die Folgen^ sondern die Herkunft der Handlung 
Uber ihren Wert entscheiden zu lassen.« Das ist die mo- 
ralische Periode y die also nach Nietzsdies Chronologie 
nnge&hr 8000 Jahre vor Christas begonnen hätte! Nun 
fragen wir: was in aller Welt wissen wir denn von der 
Zeit vor zehn Jahrtausenden? Ja, was wissen wir über- 
haupt Ton der Moral der vorgeschichtlichen Zeit? Kann 
sie etwa mit Skeletten^ Waffen, Hausgeräten» Schmnck u. & w. 
ans der Erde hervorgegraben werden ? Wir wissen von ihr, 
wie von allem, wovon nicht materielle Zeugnisse aufgefunden 
wurden, gar nichts, als was die Geschichte berichtet. Und 
diese lehrt, dals sich die Moral überall nach und nach 
langsam entwickelt hat, dals sie nicht zu einer bestimmten 
Zeit entstanden ist, und dafe das vor- oder besser unmora- 
lische Element durch sie keineswegs ganz beseitiiß^ wurde, 
sondern neben ihr, als Atavismus aus vorgeschichtlicher 
Zeit, fortlebte und noch heute fortwirkt. Nietzsche möchte 
es aber unter einem neuen N;^^nen zum künftig herrschen- , 
den Element werden sehen t Er nennt die moralische 
Periode einen verhängnisvollen neuen Aberglauben, ein 
Voriirteil, sich selbst und seine Anhänger Immoralisten, 
Er hält es fttr eine Notwendigkeit, »uns nochmals tlber eine 
Umkehrung und Grundverschiebung der Werte schltlssig 
zu machenc; er verlangt eine dritte, aufsermoralische 
Periode, in welcher das Handeln aus Absicht wegfallen 
und nur das unabsichtliche Wert haben soll. Die Absichten- 
moral stellt er auf gleiche Stufe wie die Astrologie und 
Alchemie! Was aber nach ihrer Ȇberwindungc an ihre 
Stelle treten soll, das bleibt, wie alles bei Nietzsche, un- 



Digitized by Google 



- 88 — 



klar, — ebenso unklar wie der Grund, der die Mensch- 
heit dam bewegen soll, mit ihter bisherigen Moral zu 

brechen und eine neue mit dem Schlagworte der Unab- 
sichtUchkeit an ihre Stelle zu setzen. Nach unserei Meinung 
und gewiOs auch nach derjenigen der meisten unbefangenen 
civilisierten Mensdien ist ein Bedürfnis dazu nicht vor- 
handen^ und nicht nur das, sondern Nietzsches Verlangen 
ist geradezu unsinnig. Denn bei einer unabsichtlichen 
Handlungsweise fällt alle Verantwortlichkeit weg. Ohne 
Verantwortlichkeit aber giebt es keine Moral und daher 
auch keine Immoralität. Wenn ich z. B. jemandem das 
Leben unabsichtlich rette, bin ich nach Nietzsche zu loben, 
wenn ich es aber absichtlich tue, dann nicht, wenn nicht 
gar zu tadeln. Damit geriete man in die bodenlosesten 
Verkehrtheiten! In noch grossere aber, wenn gefragt wird, 
wie die schlechten, d. h. verderblichen und schädlichen 
Handlungen, z. B. etwa das Gegenteil emer L^ebensrettong 
— eine Tötung — , zu beurteilen sein sollen! Haben denn 
die etwa auch einen Wert? Oder etwa einen Unwert? 
Und fiele auch dieser bei der Absicht weg? Oder? . . . 

Leider schweigt Nietzsche hierüber. Er mochte seine 
Gründe haben, an dieser Stelle nicht Farbe zu bekennen; 
er tut es aber an anderen Stellen und mit anderen Worten, 
aus denen für den denkenden Leser klar genug h^ervor- 
geht, dafs die Handlungen, die wir den guten entgegen^ 
setzen, für ihn denselben Wert, wenn nicht einen h(^em 
haben als die, welche wir gut nennen. So erklärt er ach 
schon gleich nach jener Stelle ( j. 53) als den incrrlnimigsten 
Feind aller »Gefühle der Hingebung, der Aufopferung für 
den Nächstem, sowie der »ganzen Selbstentäu(serungs- 
moralc. Und an etoem andern Orte (Gd. 87) meint er gar: 
»Die starken Zeiten, die vornehmen Kulturen sehen im 




Digitize 



- 89 



Mitleiden, in der ^Nächstenliebe', im Mangel an Selbst und 

Selbstgefühl etwas Verächtliches. c Wir fragen aber: Giebt 
es überhaupt eine andere Moral als die der Nächstenliebe? 
Das Ich bedarf keiner Liebe; es hilft sich von selbst Wie 
kann man Gutes tmi, wenn man es nicht anderen tut? Ist 
etwa das Selbstgefflhl, welches sogar das Tier hat, ein 
Verdienst und nicht vielmehr von Natur gegeben ? Ist gar 
die alleinige Rücksicht auf sich selbst etwa nicht gleich- 
bedeutend mit der Schädigung anderer? Anderen zum 
eigenen Schaden Gutes ton, wird ohnehin niemandem ein- 
fallen, ausgenommen aus vollständigster Gedankenlosigkeit; 
man braucht es daher auch nicht einzuschärfen. Eine Pre- 
digt des Egoismus, wie sie Nietzsche verübt, ist das Über- 
flüssigste, was sich denken läist, und würde nur dahin führen, 
das Gute überhaupt zu unterlassen. Sich selbst vernach- 
lässigt doch wohl selten jemand, wenig^stens nicht in unserer 
Zeit; in dieser wird ein solcher ja einfach als Schwein be- 
trachtet. Also wozu der Lärm ? Wer aber nur an sich 
und nicht an andere denkt und nur für sich, nicht aber 
für andere sorgt, wird als Egoist verachtet, als Wucherer 
verabscheut, als Spitzbube verhaftet und verurteilt, und das 
mit Recht! 

Wir unsererseits sagen daher: wir wollen weder vom 
EgQismus, noch vom (völlig selbstlosen) Altruismus etwas 
wissen, sondern empfehlen die Rücksicht auf das Gemein- 
wohl, bei welcher sowohl dem Ich, als dem andern ge- 
holfen wird. 

Mit dem nicht richtig angewandten Altruismus, der 
Übrigens sdten gßnz ohne Egoismus ist, fällt das übel anr 
gewandte Mitleiden zusammen. So ferne wir davon 
sind, dieses als solches in allgemeiner Weise predigen zu 

wollen, so verwerfüch erscheint ims die im gegenteiligen 



Digitized by Google 



- 90 — 



Sinne und ebenso allgemein gehaltene Verdammung des 
Mitleidens durch Nietzsche (oben S. 63, J. 175 u. 255 ff., 
GM« 9 f.). Das Richtige wird sein, in solchen Dingen nicht 
mit allgemeinen Redensarten um sich zu werfen , sondern 
in jedem Falle zu prüfen, ob das Mitleiden am Platze ist, 
und sich selbst zu fragen, ob nicht damit eine Sucht, sich 
beliebt zu machen, mitspielt. Aus Nietzsche sprach in jenen 
Stellen die tiefe Abneigung, sich in seinem eigenen Leiden 
zum Gegenstände der Einmischung anderer werden zu 
sehen, und wir können mit ihm fühlen, wenn er (J. 258) 
sagt: es bestimme beinahe die Rangordnung, wie tief 
Mensdien leiden können, . . . das tiefe Leiden mache vor- 
nehm, es trenne, und weiter (J. 259), was am tiefsten zwei 
Menschen trenne, sei ein verschiedener Sinn und Grad der 
Reinlichkeit. Das finden wir auch; aber diese ehrenwerten 
Geftlhie berechtigten ihn nicht, die gesamte heutige Moral, 
die doch eine Sadie der Entwickelung ist, nicht nur mit 
ihren Schatten-, sondern auch mit ihren Ltchtsieiten m ver- 
werfen und eine neue Moral, die im Gutdünken einer 
problematischen Herrenkaste ihre Grundlage hätte, und iür 
deren QuaUtät keinerlei Garantie vorhanden ist, zu ver- 
langen! 



Digitize 



DIE BESTIE IM MENSCHEN. 

». . . die ganMtrm Memekm, wüt auf 
jeder Stufe auch i« vud mit hedeutet alst 
dk ganaerm BetHm** (f* 936.) 

Mit der Gleichgültigkeit des Unterschieds zwischoi 

gut uiid böse begann Nietzsche seine Ethik idt r Zukunftc; 
mit der Verherrlichung des Bösen (in u n s e r m Sinne) 
und mit VerächtUchmachen des Guten (in unserm Sinne) 
vollendete er sie. Zuerst verhöhnt er (J, 63 ff.) die heutigen 
Freidenker^ die »nur das allgemeine grüne Weideglück der 
HcTcJc mit Sicherheit, UngetahrlLchkcit, Behagen, Erleich- 
terung des Leb« ns für jedermann erstreben möchten«, deren 
»Lieder und Lehren heiüsen: Gleichheit der Rechte und 
Mitgefühl für alles Lddende«, die »das Leiden als etwas 
nehmen 7 das man abschaffen mufs.c »Wir Umgekehrtenc 
(wäre nicht besser: Verkehrten?), sagt er weiter, »ver- 
meinen, dals der Mensch am kräftigsten in die Höhe ge- 
schossen ist unter den umgekehrten Bedingungen, . . . w 
venneinen, dafs Härte, Gewaltsamkeit, Sklaverei^ Gefahr auf 
der Gasse und im Herzen, Verborgenheit, Stoicismus (wie 
kommt der in diese saubere Gesellschaft?). Versucherkuast 
und Teufelei jeder Art, dals alles Böse, Furchtbare, 
Tyrannische, Kaubtier- und Schlangenhafte am Menschen 
so gut zur Erhöhung der Spedes Mensch dient als sein 
Gegensatz: — wir sagen sogar nicht einmal genug, wenn 



Digitized by Google 



— 92 — 



wir so viel sagoot« u. s. w. Dies ist sehr charakteristisch; 
im gleichen Satze -werden das Schlechte und das Gute (in 
nnserm Sinne) gleichgestellt, sofort aber andeutungsweise 

das Schlechte über das Gute gesetzt. (Man vergleiche, was 
oben S. 18 u. 33 f. über den Verbrecher nach Nietzsche ge- 
sagt ist und veiter unten noch gesagt werden wird.) 

Dals, subjektiv genommen, das Böse u. s. w. zur 
Erhöhung des Menschen diene^ dies anzunehmen, ist ja ein- 
fach Tollheit. Vielleicht aber haben allerdings, objektiv 
genoQunen^ Härte, Gewalttätigkeit, Sklaverei, Teufelei u. s. w., 
die von bestienhaften Menschen gegen wahre Menschen 
ausgeübt wurden, bewu'kt, dals diese steh ermannten und 
sich jener erwehrten. Das ist aber nicht das Verdienst 
der Bestialität, sondern des Widerstandes gegen sie. Die 
Bestienmenschen beabsichtigten etwas ganz anderes, wenn 
auch nach Nietzsche die Unabsichtlicbkeit den wahren Wert 
ihres Treibens bestimmt haben wttrde. 

So geht denn Nietzsche immer entschiedener von der 
Gleichgültigkeit der morahschen und immoralischen Hand- 
lungen zur Verherrlichung der letzteren überl Die »Liebe 
zum Nächstem, die doch das Einzige ist, was auf dieser 
Erde das Leben erträglich madit, neben der Kunst und 
Wissenschaft imd der Religion im vernünftigem Sinne 
dasjenige, was dieses Leben veredelt und verschönert, diese 
Liebe zum Nächsten ist nach Nietzsche (J. 132 i.) »inuner 
etwas Nebensächliches und Willkürlich-Scheinbares (was heilst 
das?) im Verhältnis zur Furcht vor dem Nächstenc. 
Diese letztere, d. h. die Furcht des Schwachem vor dem 
Stärkem, also die Barbarei, soll es sein, »welche wieder 
neue Perspektiven der moralischen Wertschätzung schaffte, 
d. h. die bisher geltenden Begriffe von gut und böse um- 
kehrt, dem Bösen in unserm Sinne die Herrschaft zu- 



— 93 — 



wendet »Gewisse starke imd ge&hiltche Triebec, föhrt 
Nietzsche fort, »wie Unternehmtingsliist, ToUkUlmheit, Rach- 
sucht, Verschlagenheit, Raubgier, Herrschsucht, die bisher 
(d. h. in früherer, barbarischer Zeit) in einem gemein- 
nfltzigen Sinne nicht nur — unter anderen Namen — ge- 
ehrt, sondern grolsgezogen werden mulsten, weil man ihrer 
in der Gefahr des Ganzen gegen dessen Feinde bedurfte, 
werden nunmehr (d. h. in unserer, der civilisierten Zeit) in 
ihrer Gefährlichkeit doppelt stark empfunden und schritt- 
wdse, als unmoralisch, gebrandmarkt und der Verleum* 
dung (1) preisgegeben. Jetzt kommen die gegensätdichen 
Triebe und Neigungen zu moralischen Ehren; der Herden- 
inbtiiikt zieiit, Schritt für Schritt, seine Folgerung< u. s. w.*). 

Wem hieraus nicht klar wird, dafs Nietzsche in mora- 
lischer Beziehung barbarische Zeiten zurtlckwttnscht, und 
dals überhaupt seine »aufsermoralischec Periode nur eine 
Wiederherstellung der »vormoraüschenc in^lre, den zu 
belehren müssen wir freilich verzichten. 

Dies wird noch deutlicher da, wo Nietzsche sagt 
(J. 235 tf.), jede Erh(^hung des Typus »Mensche sei bisher 
das Werk emer aristokratischen Gesellschaft gewesen, und 
so werde es immer sein, und gleich auf der nächsten 
Seite erklart: sDie vornehme Kaste war im Aiiiaiig immer 
die Barbarenkaste : ihr Übergewicht lag nicht vorerst in der 
physischen Kraft (dochU), sondern in der seelischen (?), — 
es waren die ganzeren Menschen, was auf jeder Stufe (also 
auch auf der höchsten t) auch so viel mit bedeutet als die 



*) Wir mufsten hier und anderswo die langatmigen Perioden 

Nietzsches etwas abkürzen, haben jedoch sorgfältig vermieden, 
hierdurch den Sinn im geringsten zu verändern. Es war des- 
halb notwendipr, Nietzsches Parenthesen wegzulassen, da wir in 
solche unberc Bemerkungen einschlielsen. 



Digitized by Google 



— 94 - 



ganzeren Bestien (! ! !).c Dieses rohe Wort ist ein Lieblings. 

ausdruck in den Scliriften des im Leben doch bekannt- 
lich feinen und höflichen Nietzsche! Und der Gebrauch 
dieses Wortes ist ein vollgültiger Beweis, dafs er mit seinen 
socialen Idealen nichts im Sinne der Kultur Gutes , nichts 
Humanes meinen konnte. Denn er stellt der »Bestiec 
nichts entgegen! Er verwirft vielmehr den Gegensatz 
der Bestialität, die Humanität, wie wir noch sehen 
werden. 

Nietzsche nennt in seiner phantastischen, in dieser 
Art nie dagewesenen Urgeschichte niemals bestimmte 

Zeiten; bezieht er sich auch oft auf frühere Perioden, so 
kann doch jeder denkende Leser deutlich daraus ent- 
nehmen, dals er diese Zeiten sehnlichst zurückwünschte* 
So, wenn er weiter ausführt (GM. 37 ff.), die Guten nach 
seinem Sinne^ d. h. die Vornehmen, Mächtigen, Herrschen- 
den, seien für jene, die sie nur als Feinde kennen lernten, 
auch nur böse Feinde gewesen; sie, unter sich die rück- 
sichtsvollsten, treuesten Fretmde, hätten sich nach aufsen, 
gegen Feinde, nicht viel besser als losgelassene 
Raubtiere gezeigt, — Mord, Brand, Schändung, Fol- 
terung so leicht verübt wie etwa Stndentonstreiche u. s. w., 
imd dann hinzufügt; »Die vornehmen Rassen smd es, welche 
den Begriff Barbar auf all den Spuren hinterlassen haben, 
wo sie gegangen sind; noch aus ihrer höchsten Kultur 
(man beachte dies!) heraus verrät sich ein Bewufstsein 
davon und ein Stolz (!) selbst darauf.« Nietzsche rühnit 
weiter »diese Kühnheit vornehmer Rassen, . . . ihre Gleich- 
gültigkeit und Verachtung gegen Sicherheit, Leib^ Leben, 
Behagen, ihre entsetzliche Heiterkeit und Hefe der Lust 
in allem Zerstören, in allen Wollüsten des Sieges und der 
Grausamkeit« u. s. w. Aus jedem Wort spricht das Woiii- 



Digitized by G.OOgle 



— 95 — 

gefallen am Inhalte deutlich genug! Aus keiner Silhe 

aber ein Abscheu davor! 

In der Angabe, wen er mit dies»en so wohlgetäliig 
geschilderten und auch nicht mit einem Wörtchen ge- 
* tadelten »yomehmen Barbarenc meint, ist sich Nietzsche 
durchaus nicht klar. An einer der angefahrten Stellen 
nennt er ausdrücklich die Goten und Vandalen. Gleich 
darauf erweitert er jenen Begriff auf die Germanen der 
Völkerwanderung, die er zweimal als die »blonden Bestient 
bezeichnet und behauptet, das Entsetzen, das ihr Wtlten in 
Europa verbreitete, habe immer noch einen Nachklang in 
dem »tiefen eisigen Mifstrauen, üas der Deutsche erregt, 
sobald er zur Macht kommt, auch jetzt wieder« . Eine Seite 
vorher aber erweitert er die »blonde Bestiec auiser den 
Germanen auch auf homerische Helden, die wohl nur teil- 
weise, sowie auf den Adel der Japaner und Araber, die 
niemals blond waren. Da^ Aulla! lindste ist aber, d lis er 
alle Greuel der Völkerwanderung auf seine Stammes- 
genossen, die Germanen, häuft, deren »Wüten« von dem 
der asiatischen, keineswegs vornehmen Hunnen um 
das hundertfache ttbertroffen und groisenteils ihnen, den 
Germanen, fälschlich zugeschrieben wurde. Warum nun 
nannte Nietzsche die Hunnen nicht? Weil es ihm nicht in 
den Kram pafste! Weil er sich hätte schämen müssen, 
diese erzplebejischen, schmutzigen, schie&ugigen Mongolen 
fQr vornehm auszugeben*). Weil mit ihnen seme Vei^ 
mengung der Begriffe > Barbar« und * vornehme zusammen- 
bräche. Weil er hätte gestehen müssen, dals es unter den 



*) Das Nämliche gilt natftrlich auch von den mongolischen 
Horden Dschingischans und Timurlenks, deren Züge durch 
Totengebeine, Schädelpyramiden und verwüstetes Land be- 
zeichnet waren. 



Digitized by Google 



— 96 — 



Gemeinen weit mehr Barbarei gab als unter den Vor- 
nehmen, ja eigentlich nnr unter jenen allein , wenn man 
»vornehme nicht als Standes-, sondern als Seeleneigenschaft 

auffafst. Weil es schliefslich darauf hinaus gekommen wäre, 
dals >Barbar€ und ivomehm«, weit entfernt zusarajnen- 

mkllen, vidmehr unvereinbare Begnfie sindl Wer hat 
denn die froheren Christen-, die spateren Judenhetxen, die 
Inquisition, die Hexenprozesse und die Schreckenszeit der 

französischen Revolution in Scene gesetzt, — die Vornehmen 
im wahren Sinne oder der Pöbel? Man sieht leicht, dafs 
Nietzsche gerade die, welche er erheben will, auf das 
schmählichste als Barharen verleumdet! 

Damit man ja nicht im unklaren bleibe, was Nietzsche 
anstrebte, erklärt er sich (J. 237 f.) dahin, sobald man das 
Prinzip, sich gegenseitig der Verletzung, der Gewalt, der 
Ausbeutung ta enthalten, seinen Willen dem des andern 
gleich zu setzen, als Grundprinzip der Gesellschaft 
nehmen wollte, so wflide es sich sofort erwdsen als Wille zur 
Verneinung des Lebens, als Auflösungs- und V'erfalls- 
prinzip. Denn »Leben selbst istc, sagt er, »wesentlich 
Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und 
Schwächeren, Unterdrtlckung, Härte, Aufzwängung eigener 
Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens Ausbeu- 
tung«. Diesen Worten sei, fügt er hinzu, von alters her eine 
verleumderische (I) Absicht eingeprägt. Also die armen Aus- 
beuter sind verleumdet worden 1 Wie .sie doch zu beklagen 
sind 1 tDie , Ausbeutung',« fährt er fort, igehOrt nicht einer 
verderbten oder unvollkommenen und primitiven Gesellschaft 
an; sie gehört ms Wesen des Lebendigen, als organische 
Grundfunktion; sie ist eine Folge des Willens zur Macht, 
der eben der Wille des Lebens ist« Wucherer und andere 
Menschenschmder mögen Nietzsche eine Lofbeerkrooe 



Digitized by Ggpgle 



— 97 — 



widmen. »Ach, er meint es ja nicht so,« hOren wir floten* 

Ja, wie denn, ihr Zarathustra-Musikanten ? . . . 

»An sich,« sagt Nietzsche an anderer Stelle (GM. 84 f,)^ 
»kann natürlich (?) ein Verletzen, Vergewaltigen, Ans- 
heuten, Vernichten nichts ,Unrechtes' sein, insofern das 
Leben essentiell, [nämlich in seinen Grundfunktionen, 
verletzend, vergewaltigend, ausbeutend, vernichtend fungiert 
und gar nicht gedacht werden kann ohne diesen Charaktere ; 
denn »vom höchsten biologischen Standpunkte aus dürfen 
Rechtszus^de immer nur Ausnahmezustände seine. 

Nietzsche spielt hier mit Worten, um sein Ideal der 
Härte und Grausamkeil, zu beschönigen. Was gehl es uns 
denn an, dafs in der Natur das Leben jenen Charakter 
hat? Es handelt sich hier doch um die menschliche 
Gesellschaft. Wozu sind wir denn denkende 
Wesen, wenn wir nicht die Natur verbessern, leiten, 
lenken und unsem Verstand dazu anwenden, zu bewirken, 
dals innerhalb der Menschheit das Leben einen besseren 
und edleren Charakter erhält als in der blind waltenden 
Natur? Schon der Ausdruck »Ausbeutungc zeigt aber, 
da(s Nietzsche seinen Begriff vom Leben nicht auf die 
Natur beschränkt, sondern auf die Menschheit ausdehnen 
möchte; denn Ausbeutung giebt es nur unter Menschen, 
und zwar unter menschenfeindlichen Menschen ! 

Nach diesen Ausführungen kann es denn nicht mehr 
zweifelhaft sein, dafs da, wo Nietzsche von der Grausam- 
keit spricht, es sich im Grunde um deren Verherrlichung 
handelt. »Fast alles,« sagt er (J. 186 f.), »was wir ,höhere 
Kultur' nennen, beruht auf der Vergeistigung und Ver- 
tiefung der Graus am keitc Um dies zu beweisen, wirft 
er alles Mögliche zusammen, wirkliche und blofs bildlich so 

zu nennende Grausamkeit, nämlich Gladiatoren- und Tier- 
Henne am Rhyn, Änti-Zarathustra. 7 



Digili^ca by Google 



— 98 — 

kämpfe, Scfaeiterhsufeii und Stiergefechte, mit der doch 
gewifs nicht als Gnntsamkeit empfundenen Wirkung der 

Tragödie und anderer geistiger Schöpfungen! Den Giptel 
aber erreicht jene Verherrlichung der Grausamkeit, wenn 
Nietzsche, nachdem er (GM. 70 ff.) jene wirkUchen und 
angeblichen Grausamkeiten wiederholt hat, mit sichtlichem 
Wohlbehagen die Sentenz aufetellt: »Leiden sehen tut wohl, 
Leiden machen noch wohler — das ist ein harter Satz, aber 
ein alter mächtiger menschlich-allzumenschlicher Hauptsatz.« 
Nachdem er die Affen (1) als Beispiel angeführt, schliefst 
er: »Ohne Grausamkeit kein Fest: so lehrt es die älteste, 
längste Geschichte des Menschen — und auch an der Strafe 
ist so viel Festliches!« Und auf derselben Seite (72): 
»Damals, als die Menschheit sich ihrer Grausamkeit noch 
nicht schämte (!), war das Leben heiterer (I) auf Erden, 
als jetzt, wo es Pessimisten giebt« Die Fixende an der 
Grausamkeit soll woM gar Optimismus sein! Wie sdiade, 
dafs jene heiteren Zeiten vorüber sind! Da spricht doch 
das Bedauern aus jedem Worte! 

Wollte man etwa jenen menschenfeindlichen Satz vom 
Leidensehen und Leidenmachen nur auf eine barbarische 
Vergangenheit beziehen^ so feilt diese Annahme mit der 
ganz allgemein gehaltenen, in die Form der gegen- 
wärtigen Zeit gebrachten Auistellimg jenes Satzes 
dahin. Es stimmt dies genau mit der vorher erwähnten 
Lobeserhebung auf Härte und Barbarentum überein, die ja 
nach Nietzsches Ansicht vornehm sein sollen^ obschon sie 
in Wahrheit pöbelhaft sind. Nietzsche sagt auch nirgends 
mit einem einzigen W^orte, dais die von ihm so wohl- 
gefäUig betrachtete Roheit ^ und Grausamkeit sich nur auf 
ältere Zeiten beziehe und nicht auf neuere anwendbar sei, 
und ebensowenig, dals er eine Milderung oder gar Auf- 



Digitized by Google 



— 99 



bebung jenes bftrbariscfaen Treibens für die Zukunft erhoffe l 
Im Gegentdl! Ausdrücklich erklärt er (GM. 87), die 

»Opferung c der Menschheit als Masse zum >Gedeihen einer 
einzelnen stärkeren Speciesc wäre ein Fortschritt, 
womit er sich doch gewüb auf die Zukunft bezieht, und 
Opferung ist sicherlich keine milde Vornahme! Überall 
kamt er auch nicht genug die humanen Anschauungen und 
Sitten der Gegenwart als Schwäche und Verweichlichung 
verspotten (davon weiter hinten mehr). Und doch ist unsere 
Zeit mit ihrem Aufschwung im Kriegswesen (so wenig wir 
dieses als Kultnrfortschritt betrachten) und in allerlei 
Sport weit weniger schwach und verweichlicht als andere 
Zeiten, z. B. die des römischen Kaiserreichs kurz vor 
dessen Ende und des 18. Jahrhunderts vor der französischen 
Revolution 1 

Es waltet übrigt as ein bedeutender Unterschied zwischen 

den einzelnen Erscheinungen, die Nietz^sche als Grausam- 
keit zusammenwirft. Der Scheiterhauten und die Guillotine 
z. B., die doch vorzugsweise dem Pöbel gefielen , hatten 
nicht das Leiden, sondern die Vernichtung religiöser und 
politischer Gegner zum Zwecke. Die angebliche geistige 
Giausaiiikcit in Tragödie (auch in Roman und Legende) 
hat doch emen ganz andern Charakter als die körperliche 
und will nicht leiden machen, sondern im Gegenteil Wohl- 
gefallen erregen, und man würde sie nicht geniefsen, wenn 
man sie als Grausamkeit emp&nde! 

Eine andere Art von » Grausamkeit bekämpft freilich 
Nietzsche (GM. 106 ff.), nämlich die religiöse Selbst- 
quälerei, weil er ja überhaupt jede Religion bekämpft, und 
hier braucht er auch ausnahmsweise das Wort >Bestie< 
(und »Bestialitätc) im tadelnden, statt im lobenden Sinne. 

Da auch wu dieae Sache verwerfen, wenn uns auch das 

7* 



Digitized by Google 



— 100 - 

von Nietiscfae dabei yerwendete Pathos ttberflüssig scbemt, 
weQ die Beteiligten nnr Genttfe dabei empfinden , gehen 

wir darüber hinweg und führen blofs Nietzsches Schlufs- 
satz an: >Im Menschen ist so viel Entsetzliches . . . Die 
Erde war zu lange schon ein Irrenhaiis.c Hätte Nietzsche 
die eiste Hälfte dieses Doppelsatzes £rtther riditig und 
wahr empfunden, so würde die zweite Hälfte nicht aof ihn 
selbst Anwendung gefunden haben! 

Wer noch daran zweifelt, dafs für Nietzsche die Grau- 
samkeit und Bestialität von Seite Höherstehende gegen- 
flber Geringeren einen löblichen Charakter hat, erbane sich 
an folgendem Satze (J. 127): »Man mifsyersteht das Raub- 
tier und den Raubmenschen , z. B. Cesare Borgia, 
gründlich) man mifsverst^ht die ,Natiu:', so lange man nach 
einer ^Krankhaftigkeit^ im Grunde dieser gestlndesten aller 
tropischen Untiere ^Borgia tropisch 1) und Gewächse sucht, 
oder gar nach einer ihnen eingeborenen ,Hölle' — : wie es 
bisher fast alle Moralisten getan haben.« Borgia, dieses 
Scheusal, dieser vielfache Mörder und Giftmischer, dieser 
Sohn des schlechtesten Papstes, — gesund???*). Soweit 
kann die Versessenheit auf Begriffeverwirmngen gehen ! Und 
dann noch die Verteidigung der Verehrung dieses Un- 
menschen (Gd. 85 f.)! Nietzsche nahm es nämlich sehr 
übel, dafs man ihn getadelt hatte, Cesare Borgia als 
»höheren Menschen«, als eine Art Übermensch hin- 
zustellen. Er muls ihn also wirklich als solchen betrachtet 
haben. Und da ein Recensent ihm vorwarf, er beantrage 
mit >J. V. G. u. B.« die Abschaffung aller anständigen 
Gefühle, hatte er darauf keine andere Antwort als »sehr 

*) Man lese doch über diesen Menschen die Geschichte nach l 
Wir können sie hier nicht einmal im Umrisse geben, so wenig 
Raum hätten wir für seine Schandtaten! 



Digitized by Gpjßgle 



- 101 — 



yerbondenc. Von einer Widedegnng des Vorwurfs keine 
Spur! Im Gegenteil! Nietzsche sagt a, a. O.: tZweifeln 

wir nicht daran, dals wir Modernen mit unserer dick- 
wattierten Humanität, die durchaus an keinen Stein sich 
stofsen will, den Zeitgenossen Cesare Borgias eine Komödie 
zum Todlacfaen abgeben wilrden.c Aus dieser Wortwahl 
geht doch klar hervor; Nietzsche findet die Entrüstung 
über das Treiben von Unmenschen zum Todlachen! 
Sind das etwa »anständige Gefühle«? 



HERREN- UND SKLAVENMORAL. 

»Die htiden entgegen gesettien 
Werte ^gut und schlecht'', ^gut und böse^ 
hohen einen furchtbaren, yahrtauumU 
hngm Kampf auf Brdm gekämpft,* 

(GM, jo,) 

»Ein Volk ist der Umsckweif der 
Netimr, um m 6, 7 grofsm Mätmtm m 

Die hauptsächlichste Behauptung Nietzsches auf dem 
Gebiete der Moral ist die: »Es giebt Herrenmoral und 
Sklavenmoral.c Er fügt jedoch sofort hinzu ^ dals in 
allen höheren und gemisditeren Kulturen auch Versuche 
der Vermittelung beider Moralen zum Vorschein kommen, 
noch öfter das Durcheinander derselben und gegenseitige 
Milsvcrstehen, ja bisweilen ihr hartes Nebeneinander sogar 
im selben Menschen, innerhalb einer Seele (J, 239 ff., GM. 
23 ff 50 ff.). Mit dieser Beschiflnkung ftUt die ganae 
Behauptung zusammen. Denn die niederen und ungemisch- 
teren Kulturen kennen überhaupt keine Moral m unserem 
Sinne; ihre moralischen Begriffe richten sich nur nach dem 
Gesichtspunkte des Ichs^ |fUr jjeden einzelnen ist gut, was 
ihm vorteilhaft, und bOse, was ihm naditeilig ist Will 
uns etwa Nietzsche diese Moral der unkultiviertesten Stämme 
beliebt machen und die Rückkehr zu ihren Zuständen em^ 



Oigitized by Gopg]^ 



- 103 — 



pfehlen? £$ scheint gerade so; denn wenn er selbst za- 
giebt, dafe in allen höheren und gemischteren Kulturen 

Herren- und Sldavenmoral sich bis zur Unkenntlichkeit ver- 
mischen, so heilst das offenbar, dafs dieser Unterschied in 
den Kulturen, zvl denen die unsrige gehört, gar nicht 
existiert und daJs diese Kulturen daher nicht nach seinem 
Geschmacke sind, was er ttbrigens wiederholt ausdrücklich 
erklärt. Eine Moral, wie sie sein Ideal ist, eine solche 
nämlich, bei der >die Herrschenden es sind, die den Begriff 
,gut' bestimment, einen Begriff^ der »als das Auszeichnende 
und die Rangordiiung Bestimmende empfunden werde«, ist 
gar keine Moral; denn sie beruht nicht auf Grundsätzen, 
sondern blofs auf Willkür. Wenn >gut': soviel bedeutet 
wie vornehm und sein Gegensatz »schlecht« soviel wie ver- 
ächtlich , und wenn als verächtlich näher bezeichnet wird 
der Feige, der Ängrsüiche, der Kleinliche, der an die enge 
Nützlichkeit Denkende, der Miistrauische, der sich Er- 
niedrigende, ^die Hundeart von Mensche , die sich mifs- 
handeln läfst, der bettelnde Schmeichler, vor allem der 
Ltlgner*), so ist das durchaus keine Frage der Moral; 
denn alle schwereren Verletzungen der Moral, wie Mord, 
Raub, Diebstahl, Schändung, Brandstiftung u. s. w., gehören 
ja (wie oben S. 94 gezeigt) zu den »Tugenden« der 
»Herrenc ! Auch abgesehen davon lälst sich eine Unter- 
scheidung, wie die von Nietzsche hier aufgestellte, bei 
keinem Volke und in keiner Zeit nachweisen. Bei un- 
kultivierten Völkern giebt es wohl Standesunterschiede, 
aber keine Moral unterschiede. Wenn auch die Herrschen- 
den sich alles erlauben gegenüber den Beherrschten, wenn 



*) Man versleiche dazu (oben S. 76 i) die Verberrlichunsr 
der Lttgel 



Digitized by Google 



— 104 - 



sie auch sich selbst als gut und letztere als schlecht be- 
trachten, so ist dies durchaus nicht ixn moralischen Sinne 
zu verstehen^ sondern nur im Sinne der Selbstüberschätzung 

und der Verachtung des niederen Volkes, also nur als 
Standesbewuistsein. Und die Unterdrückten in den Reichen 
der Unkultur haben ebensowenig moralische Grundsätze als 
ihre Unterdrücker. Auch sie glauben, daJs ihnen gegen- 
über diesen alles erlaubt sei: Ha(s^ Neid, Aufruhr, Em- 
pörung und im Falle des jLiiolges Rache und Grausaniktit. 
Beide stimmen darin überein: was ich tue, ist gut, auch 
wenn es andere schädigt; was andere mir zuwider tun, ist 
schlecht oder böse. Die »feinec Unterscheidung Nietzsches 
zwischen diesen beiden Begriffen existiert in Wahrheit nicht. 

»Es licgi auf dur iJaud«, behauptet Nietzsche, idals 
die moralischen Wertbezeichnungen überall zuerst auf 
Menschen und erst abgeleitet und spät auf Hand- 
lungen gelegt worden sind.€ Das Hegt gar nicht auf 
der Hand! Die Benennungen der Menschen, der einzelnen 
wie der Gruppen, sind, so weit wir es verfolgen können, 
von persönlichen Eigenschaften abgeleitet worden, und zwar 
von physischen oder solchen, die ihren Wohnort oder Rang 
bezeichneten. Moralische Wertbezeichnungen als solche von 
Menschengruppen sind schlechterdings unbdEannt. »Die 
vomehrne Art Mensch«, fährt er fort, »fühlt sich als wert- 
bestimmend, sie hat nicht nötig, sich gutheifsen zu lassen, 
sie urteilt: ,was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich'; 
sie weiJs sich als das^ was überhaupt erst Ehre den Dingen 
verleiht, sie ist werteschaffendf. Eine reine Phantasie! 
t-ine solche Werteschaffung durch eine »vornehme Art 
Mensch« lälst sich nirgends nachweisen. Bekannt ist 
lediglich, daXs die Menschen überall, wo sie eine geistige 
Entwickelnng durchgemacht haben, nach und nach von den 



Oigitized by QoQ^e 



— 105 — 



tuivollkoinmeiien Moralbegriifen einer Schätzung der Hand- 
langen nach dem Nutzen oder Schaden des Einzelnen 
zu einer Schätzung derselben nach der Rücksicht auf das 

allgemeine Wohl vorgeschritten sind. Das ist die 
einzige Moralgeschichte. Es gab nicht eine vormoralische, 
giebt nicht eine moralische und wird nicht eine auDser- 
moralische Periode geben. Es giebt nur Kulturstufen, auf 
denen die Menschen nach und nach von preringerer zu 
höherer Kultur und damit auch von schiechterer zu besserer 
Moral vorschreiten. Auf tiefen Kulturstufen sind die Mäch- 
tigen und Herrschenden meist ebensolche Spitzbube und 
Lumpen wie die Gememen, also keineswegs »vornehme; 
auf höheren Stufen sind die ftir gemein gehaltenen Leute 
oft edler als die adligsten Herren. Eine fortlaufende Reihe 
stolzer und harter vornehmer Kasten ^ wie sie Nietzsche 
erfindet, ist eine lächerliche Fabelei, die sich schlechterdings 
auf keine Quellen berufen kann und für die auch Nietzsche 
selbst keine Quellen anluhrt, weil es keine giebt. 

Das Gleiche gilt denn auch von Nietzsches ganzer 
moralgeschichtlicher Legende, die er seinen Lesern auf- 
tischt und die auch seine Anbeter ihm aufs Wort glauben, 
die Legende nämlich, dafs »gute ursprünglich die Moral 
der Herrschenden bezeichnet habe, elcichvit 1 was sie trieben, 
dals dieselben die Moral der Beherrschten als »schlechte 
bezeichneten, dafs dann die letzteren, mittels eines von 
Nietzsche aus der Luft gegriffenen sogenannten »Sklaven- 
aufetandes in der Moral«, die sie bedrückenden Herren als 
»böse« und sich selbst als »gute erklärt hatten. Dieses 
ganze Märchen ist absolut wertlos; nicht die mindeste 
Quelle ist zu seinen Gunsten aufzufinden. Nietzsches Herren- 
moral ist nichts als die willkttrlicfae ynttamtn^iifeiftaii^g der 
Anmaßungen und des Eigendünkels herrschender Kasten, 



Digitized by Google 



— 106 — 



die dmichaus kein Moralsystem aufetellteii, soodem blots 
ihre Herrschaft m befestigen suditen* Ein »Sklavenauf- 
stand in der Moralc hat niemals und nirgends statt- 
gefunden. Was Nietzsche so nennt, ist einfach das Durch- 
dringen des Bewuistseins, öais auch Beherrschte, selbst 
Sklaven, Menschen seien wie andere, das aber nicht zu 
bestinunten Zeiten und an gewissen Orten ^ sondern nach 
und nach überall stattfand. Was Nietzsche endlich Sklaven- 
moral nennt, ist nur eine bösartige Karikatur auf die wirk- 
liche, mit steigender Kultur Hand in Hand gehende Moral, 
die auf der Überzeugung bemht, da£s »gute nicht das 
Einzelnen behagende, sondern das dem Gemeinwohl 
(und -damit niitürlich auch dem Einzelnen) förderliche und 
»bösec das Gegenteil davon ist, das ebensogut, nur in ver- 
schärfter Form, »schlechte heilsen kann und dann schwerere 
Fälle des BOsen, wie etwa »edelt höhere Formen des Guten 
bezeichnen mag. Wir mochten sagen, daüs die Guten in 
diesem wahren Sinne allerdings eine, aber weder auf Ge- 
burt, noch Machtausübung, noch Geldbesitz beruhende 
Aristokratie und die Edeln dne noch engere »Herrschaft 
der Bestenc bilden sollten, die aber die niedriger stehenden 
Menschen nicht unterdrückt oder ausbeutet, wie Nietzsche 
es haben möchte, sondern mit Liebe und Güte zu sich 
heranzieht, ja sogar die wirklichen Bestien von mensch- 
licher Gestalt zu zähmen und zu bessern sucht — 

Es ist selbstverständlich, ist im Wesen der mensch- 
lichen Natur begründet, dafe diese, einen Bestandteil der 
hohem Kultur ausmachende höhere Moral nicht auf einmal 
durchdringen konnte, dafs sie vielmehr lange Zeit, dals sie, 
wie alles, eine (für Nietzsche freilich unbequeme) Ent* 
wickeliing braucht Es ist daher nur ganz natürlich, 
da£s wir in der Geschichte und selbst noch in der Gegen- 



Digitized by Goog le 



— 107 — 



wart dicht nebendnaiider Überbleibsel (»Oberldbselc) älterer 
geringerer oder gar noch schlechter neben neuerer und 

besserer Moral antreffen. Es ist dies eine atavistische Er- 
scheinung , welche die buntesten und mannigfaltigsten Ge- 
stalten anoimmt*). Sie ist es^ die Nietische in seiner Un- 
geduld, sein Ideal einer despotischen Herrenkaste m er- 
leben, dazu verführt hat, wegen dieser Vermischung die 
ganze heute voi kommeiide Moral mit allen ihren Wider- 
sprüchen in Bausch und Bogen als »Sklavenmoral « zu ver- 
werfen und die Herstelinng einer in die Urzeit hinein- 
geträumten, in Wahrheit niemals dagewesenen »Herren- 
moral c herbeizusehnen. 

Ja, Nietzsche nennt die heutige Moral, ohne zwischen 
ihren Licht- und Schattenseiten zu unterscheiden (J. 1S& ff.), 
in noch verächtlicherer Weise > Herdentiermoral c und 

giebt als ihre Träger fälschlich die Demokraten, Socialisten 
und »Anarchistenhundec aus. Wir protestieren gegen diese 
Zusammenstellung. Die X^emokratie hat nichts mit der 
Moral, sondern nur mit der Politik zu schaffen. Der 
Socialismus ist dne verirrte Wirkung des immoralischen 
Kapitalismus und glaubt eine Unterdrückung durch eine 
andere (die Unterdrückung der Masse durch die des Ein- 
zelnen) heilen zu können. Die theoretischen Anarchisten 
sind gedankenlose Schwärmer und die praktischen einfach 
Verbrecher. Nietzsches Lehre ist aber selbst anarchistisch, 
nur mit oligarchischer Färbung! AU dies geht die be- 
rechtigte und höherstrebende Moral der Kultur 
unserer Zeit nichts an. 



*) Des Verfassers * Kulturgeschichte der jüngsten Zeit«, 
S. 451t Leipzig 1897. 



Digitized by Google 



— 108 — 



Wie hypnotisierend diese »Nietzscbeadec auf ein- 
seitige Anbeter gewirkt hat, dafür verweisen wir hier auf 
ein Beispiel. Max Z erbst, der überhaupt das Höchst- 
denkbare im Nietzsche-Kultus geleistet hat, der in seiner 
Streitschrift gegen Hermann Tttrck*), »Nein und Jac 
(Leipzig 1892) S. 2, sagt: »Es kam eine grofse Sehnsadit 
über mich . . . nach einem ,neuen GotteM . . . Ich fand 
ihn in Friedrich Nietzsche,« — dieser Herr versteigt sich in 
seinem Enthusiasmus so weit, auf S. 63 zu phantasieren: 
»Vielleicht schaart sich um das Banner Friedrich Nietzsches 
ein Häuflein ,berufener' Ritter, . . . um dessen Rufe und 
Winke zu folgen und für die Verwirklichung einer seiner 
Lieblingsideen zu kämpfen, für die Heranzüchtung (I) einer 
neuen Rasse, einer neuen Art höherer Mensch, einer ,über 
Europa (!) regierenden Kaste' (J. 156 u. 221), zu kämpfen 
für das Emporbltthen des ,guten Europäers' (J. 204 ff., GM. 
197 f.), in ebenso schroffem Gegensatze zu aller monar- 
chischen und demokratischen Vaterländerei (J. 228 f.), wie 
zum Socialismus^ Anarchismus und Nihilismus.€ Ein Häuf- 
lem »berufener Ritterc, — ein Häuflein Don Quijotes vielm^, 
kämpfend gegen Europas Millionenheere (sofern diese näm- 
lich es der Mühe wen hieltenj aul den Kampf ein/ugchen )! 
Man weüs nicht, soll man lachen oder Tränen des Mitleids 
mit solch bodenlosem Traum vergiefsenl Wir ftlrchten 
(oder hoffen)^ Ins sich jenes »Häufleinc zusammengefunden, 
seine Rozinante gesattelt und den Helm Mambrins gerüstet 
hat, wird Nietzsche überhaupt vergessen sein! — 

Ja, in einem Punkte begrtllsen wir Nietzsches Idee 
emes »neuen Europac und des »guten Euroi^ersc, nämlich 

*) Worin er auf drollige Weise die Gegner Nietzsches ge- 
rade durch jene Stellen, die sie am schärfsten angreifen, wider- 
legen zu können meint! 



Digitized by GcjOgle 



- 109 - 



in der Richtung , dafs die arischen Nationen unseres Erd- 
teils sich vereinigen, wenn auch unter Wahrung der natio- 
nalen Eigenarten und Rechte, zu dem Zwecke, die Schmach 
des von den »Mächten« (Ohnmächten !) gehätschelten faulen 
Tttrkentums zu vertilgen^ ein arisch-hreichristlichreuropäisches 
»Orientalisches Reich« zu errichten und das Mittelmeer, was 
es schon unter den Römern war, wieder zu einem euro- 
päischen See zu gestalten! Ohne Häuflein von »Rittern«, 
ohne Kaste, aber mit vereinten Kräften! Wir finden 
es tlbrigens sehr inkonsequent von Nietzsche, sem Ideal der 
Zukunft auf Europa zu beschränken. Wanim erweiterte 
er es nicht auf die ganze Erde, welcher er düch im 
»Zarathustra« einen gemeinsamen Specialgott, den Über- 
menschen, schenken wollte? Folgerichtig hätte Nietzsche 
seinen guten Europäer durch einen »guten Kosmopoliten« 
ersetzen sollen« Es wäre ja doch höchst hart und grausam, 
das ^Glück« der Unterdrückung durch eine kriegerische*) 
Herrenkaste nur den Europäern und nicht auch den Be- 
wohnern der vier übrigen Erdteile gönnen zu wollen! 
Diese haben doch gewils das gleiche Recht, an diesem 
glückseligen Zustande, den wir jetzt näher ins Auge fassen 
wollen, teilzunehmen. 



*) Nur der Kuriosität wc^en erwähnen wir hier die orijErinelle 
etymolo<2:i*^che Prokrustesarbeit, mittels deren Nietzsche (GM, 25) 
aus dem \\ ui tc "bonus» durch »duonus« (V), duenlum (?), duellum, 
bellum die ihm so schön zusagende Bedeutung »Mann des 
ZwisteSf der Entzweiung (IX Kriegsmaim« herauszuklauben sucht! 
Ein Händelstifter wäre also der eigentliche Gutetl! 



Digitized by Google 



AUSSICHTEN IN EINE 

NIETZSCHESCHE ZUKUNFT. 

»Di* Menschheit als Masse dem Ge» 
deihen einer einzelnen stärkeren Species 
Mensch geopfert ^ das'jwäre ein Fort' 
sckriU . . , — « (GM. 87,) 

Zwar hat Nietzsche kein ausdrückliches Bild der 
Zuknnft, wie er sie sich wünschte, geadchnet Es ist je- 
doch nicht schwer, sich auszumalen, wie es in einer 
solchen Zukunft, ihre Möglichkeit angenommen, zugehen 
würde. Die Lobeserhebung der »Herrenmoral« , nach 
welcher es in der Willkür der Mächtigen läge, zu be- 
stimmen was gut sei, ohne dais für den Inhalt dieser Be- 
stimmungen irgend eine Garantie vorläge, die Verwerfung 
der >Sklavenmoralc, d. h. alles dessen, was heute für gut 
gilt, zugleich mit allem, was mangelhaft ist, — beides sagt 
schon so viel, daXs sich das übrige leicht denken lälst. 

Was also wäre die Folge, wenn eine neue Herrenkaste 
nach Nietzsches und seiner Verehrer Wunsch Ober Europa 
regieren würde? Vor allem, wer würde diese Kaste bilden, 
aus wem würde sie bestehen, wer würde ihre Mitglieder 
auswählen und aus wem? Das unterliegt nach dem schon 
Gesagten keinem ZweifeL Natürlich wären ihre Mitglieder 
Leute ohne Gewissen, ohne alle Skrupel, ohne Religion und 
Moral (»aufsermoralischec »Übermenschen «), genulssüchtig, 



Digitized by Googl^ 



— III — 



herzlos^ »lachende Lowenc, die die Wissenschaft verachten, 

alles Staatswesen verwerfen und den Rest der Menschheit 
unterdrücken und ausbeuten. Nietzsche selbst nennt aus- 
drücklich (J. 198) die Sklaverei eine Bedingung jeder 
höheren Kultur , jeder Erhöhung der Kultur. Er sagt 
weiter (J. 237)^ eine »gute und gesunde Aristokratie« 
nehme mit gutem Gewissen (I) »das Opfer einer Unzahl 
Menschen hin , welche um ihretwillen zu unvoll- 
ständigen Menschen, zu Sklaven, zu Werkzeugen (!) herab- 
gedrttckt und vermindert (t) werden mttssen«, worin er 
sogar (GM. 87) einen Fortschritt (!) erblickt! Das ist 
doch wahrhaftig d e u 1 1 1 c h I Also nicht nur härteste 
Unterdrückung, sondern geradezu (wenigstens teilweise) 
gewaltsame Ausrottung ! Noch drastischer ist (GM. 42) die 
Vergleichung der herrschenden Oligarchen (»Aristokraten« 
zu sagen w9re eine übel angebrachte Schmeichelei) mit 
Kaubvögeln und des unterdrückten Volkes mit Läm- 
mern. Mit Hohnlächehi fährt Nietzsche dann fort: wenn 
sich die Lämmer über die »bösen« Raubvögel beklagen, so 
würden diese dazu ^Ottisch blicken und sagen: »wir sind 
ihnen gar nicht gram, diesen guten Lämmern, wir lieben 
sie sogar: nichts ist schmackhafter als ein zartes Lamm!« 
Wirklich, eine verlockende Aussicht, besonders für Nietzsche- 
Verehrerinnen ! Furcht (J. 242 f., GM. 40), Härte (J. 246) und 
Ausbeutung (J. 238) sind die Grundlagen der Nietzschescfaen 
Zukunftsordnung. Den Unglücklichen wird vielleicht hie 
und da cm. Bisten zugeworfen, — lüchi aus Mitleid (J. 240), 
sondern »mehr aus einem Drang, den der Überfluls an 
Macht erzeugte (d. h, aus Laune). 

Sagt auch Nietzsche (a. a. O., was seine Anhänger mit 
Triumph hervorheben, ohne das vor- und nachher Stehende 
zu erwähnen): »Der vornehme Mensch ehrt in sich den 



Digitized by Google 



— 112 — 



Mächtigen (nicht etwa den menschenfreondlkhen!), attch 
den, welcher Macht Ober sich selbst hat^ der zu reden nnd 

zu schweigen versteht, der mit Lust Strenge und Härte 
gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und 
Harten hat»« gleichdarauf aber (aus einer nordischen Saga): 
»Wer jung schon kein hartes Herz hat, dem wird es nie- 
mals hart (wie schade!)«, so kommt man vor lauter Harte 
zu keinem befriedigenden Gefühl über jene Strenge gegen 
sich selbst, und diese verliert vollends allen guten Eindruck, 
wenn es auf nächster Seite (J. 241) heilst: >dals man nur 
gegen Seinesgleichen (!) Pflichten habe; dals man gegen 
die Wesen niedrigeren Ranges, gegen alles Fremde nach 
Gutdünken f! !) oder ,wie es das Herz (wenn man eines hat!) 
will', handeln dürfe und jedenfalls (!) , jenseits von Gut und 
Böse^« Offener eine schlechte Sache zu verfechten 
ist doch nicht wohl m^lich! 

Die Unzahl der »Sklaven« sind also zum Dienen und 
Ausgebeutetwerden da; ja sie haben sogar für die ^Herren« 
zu denken; denn sie sind klüger (GM. 35) und haben 
mehr Geist (Gd. 68), während die Herren (GM. 28) nur 
Wert legen auf »eine mächtige Leiblichkeit, eine blühende, 
reiche, selbst tiberschäumende Gesundheit samt dem, was 
deren Erhaltung bedingt. Krieg (j*)*), Abenteuer, Jagd, 
Tanz, Kampfspiele und alles überhaupt, was starkes, freies, 
frohgemutes Handeln in sich schlief«. Der Geist mit 
Kunst und Wissenschaft glänzt dabei durch seine Abwesen- 
heit. Ob Nietzsche zur Aufrechthaltung der Sklaverei auch 
einen Sklavenhandel in Aussicht nahm ? Ob er an die 
Niederträchtigkeit der Sklavenhändler dachte? Und ob er 

*) Dafs Kriejj; die Gesundheit erhalte, ist wirklich ganz 
neu! Und das schrieb Nietzsche« der im deutsch-französischen 
Kriege Lazaretgehüfe war! 



. Digitized by Google 



nur im geringsten sich Rechenschaft ablegte^ auf welche 

Weise und mit welchen Mitteln ungezählte Millionen frei- 
geborener Menschen — durch eine Minderheit (!) — in dea 
Zustand der Sklaverei gebra cht werden künnten? Ebenso^ 
auf welchen Wegen und mit welchen lilitteln die bestdien- 
den Staaten und Regierungen zu Gunsten einer inter* 
nationalen, Staats und vaterlandslosen Herrenkaste beseitigt 
werden könnten und wodurch diese Kaste überhaupt sich 
zu bilden imd zu befestigen imstande wäre? 

Welches würde aber, die Möglichkeit ihres Bestandes 

angenommen, das Ende dieser Herrlichkeit sein? In der 
ganzen Geschichte hat sich noch keine Oligarchie (die man 
auch ungenau »Aristokratiec nennt) länger als eine be- 
schränkte Zeit gehalten. Die meisten wichen, in Griechen- 
land, Rom, in der Schweiz u. s. w., der Demokratie, einige, 
wie Venedip:, Holland und deutsche Reichsstädte, der Mo- 
narchie, meist einer fremden. Die Oligarchie der Herren- 
kaste nach Nietzsche k^Snnte daher ein verschiedenes Schick- 
sal erleiden. Sie knnnte unmittelbar der tiber ihre Wülkttr- 
herrschaft erbitterten Sklavenkaste erliegen und also durch 
eine Demokratie oder Ochlokratie ersetzt werden. Sie 
könnte aber auch, da sie auf dem Prinzip des tWillens zur 
Macht« beruht, folgerichtiger Weise immer enger wetden, 
indem immer die Schwächeren den Stärkeren unterliegen, 
bis Einer sich als der Stärkste erwiese und die Oligarchie 
in eine Autokratie oder absolute Monarchie verwandelte. 
Dies wäre, weil das Logischere, das Wahrschemlichere» 
Aber auch dieser autokratische Übermensch wäre keines- 
wegs seiner Herrschaft auf die Dauer sicher. In dem 
Nietzscheschen Programm liegt so viel Härte, Willkür, 
Grausamkeit, Erweckung von Furcht und Schrecken und 

Henne am Rhyn, Anti'Zaratbuttra. 8 



— 114 ^ 



Anreiz zur EmpOrong, dats der letzte Übemaeiiscli, seine 

Existenz Überhaupt vorausgesetzt, ohne Zweifel einer demo- 
kratischen oder ochlokratischen Revolution zum Opfer 
fallen würde. Jedenfalls mülste die kopflos gepriesene 
Übermenschlicbkeit ein furchtbar blutiges Ende nehmm, 
was auch Nietzsche (J. 246) selbst dunkel geahnt hat. 

Während aber in einer geträumten Nietzscheschen Zu- 
kunft das männliche Geschlecht nicht durchweg unterdrückt 
wäre, weil ihm doch die Mitglieder der Herrenkaste ange- 
hören würden, wäre dagegen das unglückliche weibliche 
Geschlecht durchweg und ohne Ausnahme der Sklaverd 
verfallen. Wir sahen schon aus Zaiathiistia , dafs ihm 
(und zwar ohne die mindeste Ausnahme) die Sklaven- 
peitsche (oben S. 42) in Aussicht gestellt wurde. Dazu 
pafist es, wenn Nietzsche (J. 245) , gleichsam als BegrOa- 
dtmg dieses Standpunktes, weiter sagt : ». . . wie viel Skla^ 
ist z. B. jetzt noch im Weibe rückständig«, und gleich auf 
der folgenden Seite: »Jede (!) aristokratische Moral ist un- 
duldsam, in der Erziehung der Jugend^ in der Verfügung 
fiber die Weiber (die also bloDs Sachen sind), in den 
Ehesittenc u. s. w. Wir vermdiren hier diese eines Ver- 
teidigers der Barbarei (s. oben S. 94 f.) höchst würdigen 
Ansichten durch folgende Blumenlese aus den hier be- 
rücksichtigten Werken Nietzsches (die zweite in diesem 
Buche). 

Der von so vielen Frauen und Jimgfrauen ohne Ge- 
danken und Überlegung abgöttisch verehrte Zaiathustra- 
Dichter unterschiebt ihrem Geschlechte sogar die Verach- 
tung gegen sich selbst: »Die Weiber haben im Hinter- 
grunde aller persönlichen Eitelkeit immer noch ihre un- 
persönliche Verachtung — für ,das Weib*c (J. 96, Aph. 86). 
Rein aus der Luft gegriffen und tausendmal unwahr! 



Digitized by 



— 115 — 



»Wo nicht Liebe oder JJsSs mitspielt, spielt das Weib 
mittelmälsig« (J. 101^ Aph. 115). So oberflächlich und 

grundlos wie möglich! 

»Allen rechten Frauen geht Wissenschaft wider die 
Scham. Es ist ihnen dabei m Mute, als ob man ihnen 
damit unter die Haut, — schlimmer nocfal unter Kleid und 
Putz gucken wolltet (J. 102, Aph. 127). Um so roher, als 
gerade die litterarischen Kampferinnen für Nietzsche sich 
mit Wissenschaft beschäftigen. Dahin gehört auch: 

»Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist ge- 
wöhnlich etwas an ihrer GeschlechtUchkett nicht in Ord- 
nnngc (J. 105, Aph. 144). Wie zart und sinnig! 

vSo will der Mann das Weib friedhch, — aber gerade 
das Weib ist wesentlich unfriedlich, gleich der Katze, so 
gut es sich auch auf den Anschein des Friedens eingeübt 
hat« (J. 103, Aph. 131). Sie sind also alle zanksüchtig 
und heuchlerisch? Sehr freundlich und — gründlich (?)! 

»In der Rache und in der Liebe ist das Weib bar- 
barischer als der Mann« (J. 104, Aph. 139). Hat es etwa 
auch schon weibliche Neronen und Caracallas gegeben? 

»Das Weib hätte nicht das Genie des Putzes, wenn 
es nicht den Instinkt der zweiten RoUe hättec (J. 105, 
Aph. 145). Ist jemals ein geputztes Weib so lächerlich 
und verächtlich wie ein Gigerl? 

Die Peitsche (hier der Stock, bastone) wird wiederholt 
in J. 106, Aph. 147. 

Die »Götzendänunerungc enthält folgende Liebens • 
Würdigkeiten : 

»Das vollkommene W^eib begeht Litteratur, wie es eine 

kleine Sünde begeht: zum Vefsuch, im Vorübergehen, sich 

umblickend, ob es jemand bemerkt und dafs es jemand 

bemerkte (S. 3, Aph. 20). Im Angesichte der vielen 

8* 



Digitized by Google 



— 116 — 



fleifsigen und wackeren Schriftstellerninen eine krasse Un- 
wahrheit uad Grobheit zügieich I (Ähnlich S. 77, Aph. 27.) 
Ebenso: 

»Man hält das Weib für tief — warum? weil man nie 
bei ihm auf den Grund kommt. Das Weib ist noch nicht 
einmal flach«. (Was denn? S. 4, Aph. 27.) Weiter: 

»Wenn das Weib männliche Tugenden hat, so ist es 
zum Davonlaufen ; und wenn es keine . . . hat, so läuft es 
selbst davon,« (S, 5, Aph. 28.) Welcher Kalauert 

Diese vereinzelten Urteile sind aber alle noch nichts 
gegenüber der zusammenhängenden scheuMichen Schmäh- 
schrift gegen das weibliche Geschlecht in J. v. G. u. B. 
191 — 200. Auf 10 Seiten wirft hier Nietzsche mehr 
Schmutz auf das schdne Geschlecht, als jemals ein bissiger 
Schriftsteller gegen seinen bittersten Femd geschleudert 
hat. Wir k<5nnen hier nicht alle diese Ihvektiven ideder- 
gcben und heben nur folgendes heraus (S. 191 f.): »Das 
Weib hat so viel Grund zur Scham: im Weibe ist so viel 
Pedantisches, Oberflächhches, SchulmeisterUches, KleinUch- 
AnmaMches« u. s. w.; es ist zu ermtldend, alles zu wieder- 
holen! »Man studiere nur seinen Verkehr mit Kindern.« 
(Hat Nietzsche diesen jemals studiert"? Wir zweifeln sehr.) 
Nicht genug! Nietzsche spricht den Frauen sogar die 
Küche ab (S^ 193 f.). Er wfirde also in seinem Zukunftsreiche 
wohl nur Sklavenköche beschäftigen und die Frauen zum 
Bodenputzen gut genug finden! In »sieben Weibssprtlch- 
lein« (S. 195) leistet er wahre Klapphomverse, an denen 
nichts bemerkenswert ist als ihre Frivolität. 

Den abscheulichsten sowohl, als den fflr Nietzsches Ztt- 
kunftswfinsche bezeichnendsten Ausdruck &nd sein Frauen- 
hafs in folgender Stelle (S. 196): >Ein Mann, der Tiefe 
hat, in seinem Geiste wie in seinen Begierden, auch jene 



Digitized by Google 



— 117 — 

Tiefe des Wohlwollens welche der Strenge und Härte 
&hig ist und leicht mit ihnen verwechselt wird, kann über 

das Weib immer nur orientalisch denken: — er mufs 
das Weib als Besitz, als verschliefsbares Eigentum (I), als 
etwas zur Dienstbarkeit (!) Vorbestimmtes und in ihr sich 
Vollendendes fassen, — er mufs sich hierin auf die unge- 
heure (?) Vernunft Asiens^ auf Asiens Instinktüberlegen- 
heit (?) stellen, wie dies ehemals die Griechen gi tan haben, 
diese besten Erben und Schüler Asiens, — welche, wie be- 
kannty . . . mit zunehmender Kultur imd Umfänglich- 
keit an Kraft Schritt für Schritt auch strenger gegen 
das Weib, kurz orientalischer geworden sind.« 

Dachte Nietzsche auch nur einen Augenblick über die 
Folgen jener zunehmenden griechischen Strenge gegen das 
Weib nach? Wir zweifeln daran; denn jene Folgen waren: 

Die Hetärenwirtschaft und die Päderastie! 

Und wohin kam es mit der Temünftig-asiatischen Kultur 
Assyriens und Ägyptens? Spurlos verschwunden! 

Und wie steht es mit der Kultur der Türken, die das 
Weib bis heute in die Harems einschlössen? Sie fühlt sich 
zu ihrer (allerdings zweifelhaften) Rettung gezwungen, auf 
allen Punkten den ^europäischen Sitten Eingang zu gestatten! 

Die heutige Achtung der Männer vor den Frauen stellt 
Nietzsche (S. 197) auf gleiche Stufe mit der Unehrerbietig- 
keit vor dem Alter , die er mit Recht tadelt Das Weib, 
sagt er, verlerne den Mann zu fürchten (er ist auch oft 
danach); d. h; es soll wohl in Demut vor ihm kriechen! 
Indem es Fortschritt wolle, gehe es zurück; es sei Dummheit 
in der Frauenbewegung (S. 198). Vergafs Nietzsche, dafs 
die Männer durch ihre Kneipsucht diese Notwehr der 
Frauen heri)eigefOhrt haben? Und wie vereinbaren die 
emanzipationslustigen Damuen diese Haltung Nietzsches 



Digitized by Google 



— 118 — 



mit ihrer kopflosen Schwärmerei fOr diesen halfkMeii 
Phantasten? 

Nun noch etwas! Wenn die Frauenbewegung zu 
verwerfen wäre , so könnte nur die Ehe das Heilmittel 
abgeben. Wie urteilt aber Nietzsche ttber die Ehe in den 
hier behandelten Werken? Er sagt (J. 102, Aph. 123): 
tAnch das Konkubinat ist korrumpiert worden durdi die 
Ehe (!)^. Und Gd. 91 f. verwirft er die Ehe aus Liebe 
und will sie nur durch den Geschlechts-, Eigentums- und 
Herrschaftstrieb (des Mannes natürlich) gegründet wissen! 
»Die moderne Ehe (d. h. die aus Liebe) verlor ihren 
Sinn, — folglich schafft man sie ab.€ So diktiert der 
Gröfscnwiihn I Zum Glück umsonst ! 

Wahrlich, man möchte glauben, Nietzsche habe in 
seinem Leben, was doch nicht der Fall war, nur 
schlechte Weiber und unglttckliche Ehen kennen ge- 
lernt! Er hat aber vielmehr in den achtbarsten Kreisen 
verkehrt und ist durch die Freundschaft der geisti eichsten, 
ehrenwertesten und liebenswürdigsten Damen geehrt worden. 
Dafs er ihnen im Leben höflichst und freundlichst begeg- 
nete, ist bekannt; dafs er ihnen Briefe von demselben Cha- 
rakter schrieb (die in den Schriften seiner Verehrerinnen 
gedruckt stehen), ebenfalls. Was soll man aber von einem 
Manne denken, der unter vier Augen oder zwei Federn 
alle Liebenswürdigkeit gegen Damen aufwandte, deren 
Geschlecht er gleichzeitig in seinen 7on Tausenden ge- 
lesenen Büchern (ohne Ausnahmen zuzugeben!) mit dem 
empörendsten und unbegründetsten Schimpf überschüttete? 
Da ist es denn doch das denkbar Mildeste, wenn wir be- 
reits vorhandene partielle oder temporftre GetstesstOrung 
annehmen! 



Digitized by Google 



ZUR APOLOGIE DES VERBRECHERS. 

»Der Verbrecher ist käußg genug seiner 
Tai nkhi gewachsen; «r VifkMiUH und Vtr^ 
Itumdet MT.« (7. loo, 4^M, tog.) 

Jenen Nietzscheanem, die in ihrer rührenden Unschuld 
sich einbilden, ihr Abgott habe unter den von ihm in die 
Zukunft hineingeträumten Übermenschen oder Mitgliedern 
der über Europa regierenden Herrenkasle »edle Männerc 
verstanden^ kann nicht genug vor Augen gehalten werden, 
wie Nietzsche überall, wo es nur angeht, den ungcwöhn- 
Hchen Verbrecher verherrlichte. Wir haben schon oben 
(S. 18) auf dessen Zusammeniallen mit dem Übermenschen 
' und (S. 33 f.) auf dessen Beschthiigung im »Zarathustrac hin- 
gewiesen und dann (S. 91 ff.) die verschiedenen Beziehungen 
zwischen dtr von Nietzsche verherrlichten Herrenrassc und 
der aBestiec hervorgehoben. In den hier behandelten drei 
Werken wird nun frt>hlich der Verbrecher weiter glorifiziert. 
Neben dem oben angeführten Motto 'findet sich (J. 100^ 
Aph. 110) gleich der weitere schöne Satz: »Die Advokaten 
eines Verbrechers sind selten Artisten genug , um das 
schöne Schreckliche (!) der Tat zu Gunsten ihres Täters 
zu wenden.c Nun, Hermann Türck hat in dem hübschen 
Buche »Der geniale Mensche (S. 254) dieses Entzücken 
über »das schöne SchreckUchet eines Mordes bereits in 



Digitized by Google 



— 120 — 

köstlicher Weise persifliert Nietzsche sagt dann weiter 
(J. 134): »Es giebt einen Punkt von krankhafter Vermür- 
bung und Verzärtlichung in der Geschichte der Gesellschaft, 

wo sie selbst für ihren Schadiger, den Ver brec her, Partei 
nimmt, mid zwar emsthaft und ehrlich.« Entweder hat 
sich Nietzsche hier tingescheut widersprochen, oder er zählt 
sich seihst zu den »krankhaft Vermürbten imd Verzärt- 
lichtenc, was sonst nicht seine Art ist An einem andern 
Orte (GM. 77 ff.) stellt er zwar das Vcrhaltiub des Ver- 
brechers zur Gesellschaft annähernd richtig dar, rühmt aber 
gleich darauf (ebd. 82), dais »zu allen Zeiten der aggressive 
Mensch (d. h. der Verbrecher oder FriedensstiSrer) als der 
Stärkere, Mutigere, Vornehmere (!) auch das freiere Auge, 
das bessere Gewissen auf seiner Seite gehabt« habe. 

Das Beste folgt aber Gd. 97 ff., wo es hei f st: »Der 
Verbrechertjpus, das ist der Typus des starken Menschen 
(den ja Nietzsche überall mit Wohlgefallen dem schwachen 
gegenüberstellt) unter ungünstigen Bedingungen, ein krank 
gemachter starker Mensch. Ihm fehlt die Wildnis, eine ge- 
wisse freiere und gefährlichere Natur und Daseinsform, in 
der alles y was Waffe und Wehr im Instinkt des starken 
Menschen ist, zu Recht besteht (!). Seme Tugenden (!) 
sind von der Gesellschaft in Bann getan; seine lebhaftesten 
Triebe, die er mitgebracht hat, verwachsen alsbald mit den 
niederdrückenden Affekten, mit dem Verdacht, der Furcht, 
der Unehre« . . . »Die Gesellschaft ist es, unsere zahme, 
mittelmäfsige, verschnittene Gesellschaft, in der ein natur- 
wüchsiger Mensch (!), der vom Gebirge her oder von den 
Abenteuern des Meeres kommt, notwendig (?) zum Ver- 
brecher entartet.« Doch Nietzsche schränkt sich sofort 
em, indem er als Ausnahme Napoleon anfuhrt, der 
umgekehrt sich starker erwies als die Gesellschaft Er 



Digitized by Q^fig]^ 



— 121 — 



rechnet also denselben Napoleon unter die Verbrecher, den 
er (ebd. 96) als den Eiben einer stärkeren, längeren, älteren 
Civilisation (als die französische war, nämlich der italie- 

nischen) feierte, den er (GM. 53) eine Synthesis von Un- 
mensch und Übermensch« und zugleich »das fleischgewordene 
Problem des vornelimen Ideals an siehe nannte und 
dessen Erscheinen (J. 130 L) eine Wohltat, eine Erlösung 
von unerträglichem Drucke dessen Geschichte diejenige des 
höheren Glücks dieses Jahrhunderts gewesen sein soll! 

Wir sind gewils weit entfernt, zu leugnen, dals auch 
in dem schwersten Verbrecher immer noch ein besseres, 
menschlicheres Element zu entdecken ist und dals in den 
meisten FtQlen die schlechten Einrichtungen der Gesell- 
schaft, die Pflege des Kapitalismus, das Überwiegen des 
dogmatischen über den moralischen Unterricht, die Heuchelei 
im geselligen Leben dazu beitragen, das Verbrechen zu 
züchten, jedoch keineswegs den urwüchsigen Menschen 
notwendig zum Verbrecher machen! Aber von dieser 
Anerkennung ist ein weiter, ein extremer Schritt zur Be- 
schönigung des Verbrechers, zu seiner Erhebung als 
»starker Mensch unter ungünstigen Bedingungenc , und 
gar als Übermensch! Wir glauben, dak die genannten 
schlechten Einrichtungen und Gewohnheiten der Gesell- 
schaft (die aber nicht durch Predigten, sondern durch die 
Schule und die geistige Entwickelung der Menschheit zu 
beseitigen sind) iach mit der schmutzigsten, gemeinsten 
und elendesten Habgier und Genulssucht yerbinden, um 
Taten herbeizuführen , die von der mitschuldigen Gesell- 
schaft zum Zwecke ihrer Sclbsterhaltung mit Strafe belegt 
werden müssen. Die Verbrecher sind meist, vielleicht fast 
immer, keine starken, sondern vielmehr schwache, emer 
verlockenden Versuchung unterliegende Menschen, efbärm- 



Digitized by Google 



— 122 — 

liehe Geschöpfe. Doch ist nicht za vergessen, dais wir an 
keinem Abschlusses wie Nietcscbe meistens wHJmt^ sondern 
mitten in einer Entwickelnng von mivollkommeneren m 

vollkommeneren Zustanden, wie m allen Dingen, SO auch im 
Strafrechte, stehen. 



Digitized by Google 



NIETZSCHES RELIGION. 

•Das CkrittoUum ist sine Metaphysik 
da Senkers,* (GtL 40.) 

Der fanatische und aufdringliche Atheismus der 
Schriften Nietzsches ist von uns bereits (oben S. 8 ff.) 
gewürdigt worden. > Warum heute Atheismus ?€ fragt 
Nietzsche (J. 77 f.)^ antwortet darauf: in Gott sei der 
»Vatert, der »Richter«, der »Belohnerc grUndlich wider- 
legt Wo, wann und von wem? Unbekannt! Solche Be- 
zeichnungen kann man glauben oder nicht glauben, so oder 
anders verstehen ; widerlegen kann man sie nicht. Nietzsche 
hofft (GM, 104) auf den vollkommenen und endgültigen 
Sieg des Atheismus^ damit die Menschheit von dem Gefühl, 
Schulden gegen die Weltursache zu haben, erlöst werde. 
Dieses Gefühl gehört aber lediglich dem Glauben an einen 
dogmatischen und zugleich anthropomorpben (menschen* 
ähnlichen) Gott an und nicht der Annahme eines not- 
wendigen Weltdenkers. Zwischen diesem tmd dem Erden- 
menschen ist, bei der Wahrscheinlichkeit zahlloser Welt- 
körper mit denkenden Wesen, kein persönliches Verhältnis 
anzunehmen. Den Menschen aber, die das Bedürfois eines 
solchen haben, den Kinde rmeAschen, aoU man ihrctt 
personlichen Gott^ der sie glllcklich macht, lassen. Die 
Kindermenschen bleiben ja ihr Lebeniaug Kinder, und 



Digitized by Google 



— 124 — 



Kiodera lälst man ja auch das Christkindlem, das Dom- 
rOschen, den Storch und andere Kmdergeschichten. Warum 
soll es nicht zugleich Menschen mit weit auseinanderliegen- 
den, zahllosen und verschiedenen Gesichtskreisen geben? 
Das Aufgeben des Anthropomorphismus im Gottesglauben 
oder vielmehr Gotteswissen ist kein Atheismus; erst der 
Materialismus ist ein solcher. Jeder Idealismus, auch unser 
Realidealismus, hat ein Recht, als Anerkennung des Gött- 
lichen betrachtet zu werden. 

Nietzsche nemit den an einen »heiligen Gottc glauben- 
den Menschen (GM. 107) eine »wahnsinnige^ traurige Bestiec, 
und fügt bei: »welche Bestialität der Idee bricht 
sofort heraus, wenn sie nur ein wenig verhindert wird, 
Bestie der Tat zu sein!« Welcher Taten? Htwa der- 
jenigen, in welchen Nietzsches »blonde Bestienc schwelgten? 
Oder kennt Nietzsches Menagerie verschiedenartige Bestien? 
Wohl möglich! 

Ganz recht hat Nietzsche, wenn er (GM. 196) den 
Atheismus als Beseitigung des Ideals bezeichnet. Wenn er 
aber diese Behauptung sofort dadurch einschränkt , dals er 
im Atheismus noch einen Rest von Ideal, nämlich den 
Willen zur Wahrheit, erblickt, der sich die Lüge im Glauben 
an Gott verbiete, so gerät er in eine Zwu kmühle; denn in 
zahlreichen Steilen hat er (s. oben S. 71 ff.) den Willen zur 
Wahrheit verworfen; folglich sind wir berechtigt, seinen 
Willen zur Wahrheit auch in Beseitigung dieser angeblichen 
Lüge zu bestreiten und zu finden, dafs er auch seinen 
Atheismus nicht als wahr empfunden haben könne. Der 
Atheismus ist eine Behauptung ohne Inhalt, weil er blofe 
aus einer Verneinung besteht; er kann daher weder Wahr- 
heit enthalten, noch ttberhaupt ein Prinzip sein; eine Ne- 
gation ist kein Prinzip! Nietzsche schliefst seine atheistischen 



Digitized by GqQgle 



- 125 — 



Expektoraticmen (Gd. 41) mit den Worten: »Der Begriff 

jGott* war bisher der gröfste Einwand gegen das Dasein ...(!) 
Wir leugnen Gott, wir leugnen die Verantwortlichkeit in 
Gott: damit erst erlösen wir die Welt.« — Als ob durch 
dieses wilde Geschrei irgend etwas anders würde! Die 
Welt will nicht von Gott erl(Sst sem, blofe weil ein mit sich 
und ihr zerfallener Unglücklicher dies verlangt. Er mag 
tobtn wie er will, deshalb bleibt doch alles im alten oder 
geht im alten Schritt vorwärts. — 

Wie Nietzsche mit seinem Atheismos blois den antfaro- 
pomorphen Gott trifft^ dem aber überhaupt nur die Kinder- 
menschen huldigen, die Nietzsche nicht lesen, so geht seine 
Wut auf das Christentum nur die orthcxioxeste Form 
desselben an, ja auch diese nicht in allem. Es giebt aber 
ein kritisches Christentum, dem die Zukunft ge- 
hlirt und dem Nietzsche nichts anhaben kann, da er es 
durchaus nicht kennt. Nietzsche verwechselt die enge 
kirchliche Auffassung des Mittelalters mit dem Christentum 
überhaupt. Er sagt (J. 70 f.): »Der christliche Glaube ist 
von Anbeginn Opferung: Opferung aller Freiheit, alles 
Stolzes, aller Selbstgewifaheit des Geistes; zugleich Ver- 
knechtung und Selbstverhöhnung, Selbstverstümmelung.« 
Recht zahlreiche weltliche, sogar manche geistliche Kreise 
des Mittelalters würden sich mit dieser Definition nicht ein- 
verstanden erklärt haben; die deutschen Kaiser, die Ritter, 
die Troubadours und Minnesinger, die Steinmetzen und 
andere Zünfte der Städte, dann die sogenannten Ketzer, 
sogar unter den Orden die Benediktiner und die Franzis- 
kaner würden sich gegen diese Zulagen verwahrt haben, 
und mit Recht! 

Und so fohrt Nietzsche fort, gegen die extremste 
klerikal-orthodoxe Richtung, die seine Werke doch nicht 



Digitized by Google 



- 126 — 



liest, gegenüber seinen aufgeklärten Lesern, die dies gar 
nicht nötig haben, anzukämpfen, indem er ihr den Namen 

»Christentum« giebt, wohl in der lioftnungj hicrmii dieses 
in seinem ganzen Umfange unmöglich zu machen. Zu 
diesem Zwecke erfindet er auch eine eigene Religions« 
und Kirchengeschichte, von der bis auf ihn niemand 
etwas gewufst hat. Er verflicht sie natürlich mit seiner 
ebenso frei erfundenen Aloralgeschichte. Die Juden sollen 
es gewesen sein (GM. 28 i), die das meiste gegen die 
»Vornehmen, Gewaltigen, Herren und Machthaber« getan, 
welche diesen Herren die Bezeichnung »gut« gestohlen und 
darunter fortan^ statt »vornehm, mächtig, schön, glücklidi) 
gottgeliebt gerade das Gegenteil, nämlich die Elenden, 
Armen, Ohnmächtigen, Niedrigen, sowie unter den Frommen 
die Leidenden, Entbehrenden, Kranken, Häfslichen (!) ver- 
standen haben, während sie die bisherigen »Guten« als die 
Bosen, Grausamen, Lüsternen, Unersättlichen, Gottlosen 
bezeichneten und als die Unseligen, Verfluchten und Ver- 
dammten erklärten. Damit soll der angebliche »Skiaven- 
aufstand in der Moral« (oben S. 105 f.) begonnen haben; eine 
Quelle dafür nennt Nietzsche natürlich nicht, weil es keine 
giebt Ja noch mehr! Damit habe, behauptet er (ebd. 30 f.), 
Israel eine lange vorbereitete Rache verbunden , indem es 
Christum, als Werkzeug seiner Rache, verleugnete und 
kreuzigte, »damit alle Welt, nämlich alle Gegner Israels, 
... an diesen Koder anbeüisen konnten«. Etwas Verrück- 
teres ist wohl niemals in die Luft hinaus behauptet worden. 
Und das Resultat dieses angeblichen Racheunternehmens? 
Judäa erhob sich (GM. 50 ff.) gegen Rom, Judäa siegte 
über Rom, und heute verehrt man »in Rom und fast auf 
der halben Erde drei Juden und eine Jüdin« (Christus, 
Petrus, Paulus und Maria — als Witz nicht Übel). Also : die 



Digitized by Gfifigle 



— 127 — 



Juden haben Rom besiegt, damit eine Religion triumphierei 

die sie selbst abgelehnt, deren Stifter sie selbst ans Kreuz 
geschlagen hatten! Und wer bei den Juden soll diese 
selbstmörderische Rache erfunden , wer sie beschlossen und 
wer sie ausgeführt haben? Darüber schweigt Nietzsche. 

Nun, und nachdem das Christentum (auf Antrieb der 
Juden!) gesiegt, was geschah dami ? Da — zähmte man 
die »blonde Bestie« (Gd. 43 f.); die christlichen Priester 
machten Jagd auf sie, »yerbessertent sie und verführten 
sie ins Kloster. Der Germane »war zum Sünder geworden, 
er stak im Käfig, man hatte ihn zwischen lauter schreck- 
liche Begriffe eingesperrt, und da lag er, krank, kümmer- 
lich, gegen sich selbst böswillig, voller Hals gegen die An- 
triebe zum Leben, yoller Verdacht gegen alles, was noch 
stark und glücklich war. Kurz, ein ,Cbrist' u. & w.c Die 
»Bestiec war schwach geworden, die Kirche verdarb den 
Menschen . . . 

Der Roman wäre nicht schlecht, wenn der Dichtw 
nicht die Fortsetzung vergessen, wenn er nicht abgebrochen 
und weiter erzählt hätte, dafs diese »verdorbenenc Ger- 
manen nach Herzenslust weiter Fehden führten wie vorher, 
so dafs man sie ihnen (umsonst I) über den Sonntag ver- 
bieten raufste, dafs sie gegen die Päpste Kriege führten, 
Kirchen und Kidster verbrannten, Münche und Nonnen 
verjagten, Bischöfe und Ketzerrichter totschlugen, in den 
Kirchen Narren- imd Eselsfeste feierten, an den gotischen 
Domen obscöne mid kirchenfeindliche Skulpturen anbrachten, 
dafs sie sich mit Saufen, Raufen, Tanzen und Maskenlaufen 
erlustigten, in überheizten Badestuben Männlein und Weib- 
lein zusammen badeten, Freudenhäuser errichteten, unter- 
hielten und mit Privilegien begabten. Dafs sie nebenbei 
noch Juden hetzten, Ketzer und Hexen verbrannten, war 



Digitized by Google 



— 128 — 

auch Icdn Zeichen von Schwache tmd Zahmheit! Ach, 
warum ist diese hübsche Fortsetzung weggeblieben ? Jeden- 
falls hat also der Christ, mit Ausnahme eines Teiles der 
Mönchs- und Nonnenorden, die 9 Welte nicht vexachtet. 
Trotzdem sagt Nietzsche (Gd. 82): »Aber auch wenn der 
Christ die ,Welt' yenuletlt, verleomdet,' beschmatzt , so 
tut er es aus dem gleichen Instinkte, aus dem der socia- 
listische Arbeiter die Gesellschaft verurteilt, verleumdet, 
beschmutzt. c Zwischen Christ und Anarchist sei kein 
eigentlicher Unterschied, führt er dabei ans. Es ist auch, 
fügen wir bei, zwischen Nietzsches Lehre und dem Anar- 
chismus kein anderer Unterschied, als dafs jene die Gesetz- 
losigkeit als Vorrecht der Machthaber, dieser aber als 
Recht aller betrachtet 

Die durch den »Siege Jndttas »verdorbenec rtfmische 
Welt feiert aber eine Auferstehung in der sogenannten 
Renaissance. Nietzsche ist ganz begeistert für diese 
Bewegung, und zwar so sehr, dafs er, wie schon angedeutet, 
sogar ein Subjekt wie Cesare Borgia, nur weil es damals 
lebte, feierte, obschon es sich tun das Wiederaufleben der 
Wissenschaften gar nicht bekümmerte. Nietzsche fabelt 
aber (im »Antichrist«), jener Borgia wäre im Begriffe ge- 
wesen, Papst zu werden, — wovon niemals die Rede 
war*), — Luther aber (der in Rom weilte, als jener 
Mensch bereits vier Jahre tot war), Luther, dieser »nnbe- 
scheidenste Bauer c, dieser »Rüpel c, den die »gute Etikettec 
der (von Nietzsche so arg bekämpften) Kirche verdrofs 
(GM. 179), habe jenes teufelsmälsig-göttUche Schauspiel 
vereitdtt Welche Anhänfimg von Anachronismen in einem 



*) Alois Riehl, Fr. Nietzsche, der Kttntder nnd der 
Denker, & 127 f. Stattgsrt 1897. 



Digitized by 



^ 129 — 

Satatl L«llttr tnt ja erst la IK^ltteifeciv gefca Mili^ 
bffiaclie der Kirche, aMh rndit einmal gegen diese eelM 

und noch weniger gegen die Renaissance auf. »Dank jener 
gründlich pöbelhaften Hesseatimentsbewegung, welche maa 
die Relormatioii neontc, sagt Nielisclie {GAL 32), habe 
Jodtta neneidiiifB triumphiert, und die »IQidiec (depea 
gute Etikette Nietieche doch rühmte) sei »wiederhergestellt« 
worden und damit auch die alte Grabesruhe des klassischen 
Rom. 

Also die Reformation soU die Remussanoe imler- 
graben faabenl Gut, sehen wir mt Etne wirkliche Re- 
naissance gab es nur in Italien und Deutschland. In Italien 

kam es bekanntlich zu keiner Reformation. In Deutsch- 
land aber waren die Dichter Hans Sachs und Fisdiart, die 
Maler Dürer, Holbein wid Cranach Ptotestanten, die ganje 
hoUändisclie Schtde ebeni^lls; von den Humanisten bere i tete 
Erasmus, obschon er katholisch blieb, durch seine scharfen 
Satiren auf den Klerus die Reformation vor, Ulrich 
von Hutten trat auf deren Seite, imd Lothers Nachfolger ' 
Melanchth<m belebte den Hnmanismus an£s neue. Wo bleibt 
also die Wahrheit jener Behauptung? 

Höchst merkwürdig ist Nietzsches Verhalten gegenüber 
der Bibel. Er, der doch bekanntlich an keines ihrer 
Dogmen oder Wunder glaubt, rühmt Luthers (den er 
anderswo »Rüpel« nennt) Sibelübersetzmig (J. 21^} als das 
beste deutsche Buch, gegen das gehalten alles übrige nur (!) 
»Litteratur« sei. Er rühmt weiter (J. 249 f.) »die Art, mit 
der im ganzen bisher die Ehrfurcht vor der Bibel in Europa 
aufrecht erhalten wird« , als >das beste Stück Zucht und 
Verfeinerung der Sitte, das Emropa dem (von Nietedie 
stets gescfantiihten) Cfaristentum verdankt«« Man traut 

Semen Augen nicht! Wie reimen sich Bibel und Atheismus? 
Hesfl« am Rbyn, Antf^Zindtostn. 9 



Digitized by Google 



— 130 



Dieser Tiraerspruch lälst sich nur dadurch erklären, dals 
Nietzsche sich dachte, sdne »Herrenc, die selbst nichts 
glauben, sollten ihren »Sklavenc die Bibel auferlegen, damit 
diese nicht allzu klug würden. Dafür spricht, daXs er 
(J. 85 f.) sagt, der Philosoph (so nennt er hier seinen 
Despoten der Zukunft, ohschon ja der Unterdrückte mehr 
Geist hat, oben S. 112) werde sich »der Religionen zu 
seinem ZUchtungs- und Erziehungswerke bedienen, wie er 
sich der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Zustände 
bedienenc werde. Femer, dafs er (J. 199) behauptet, »ein 
Weib ohhe Frömmigkeit wäre für einen tiefen und gott- 
losen (!) Mann etwas vollkommen \Vidriges oder Lächer- 
liches«. Nietzsche verlangt also von anderen, was er selbst 
nicht hat ! Er will, dafs seine Herren von den Sklaven die 
Religion verlangen, die sie nicht haben 1 Das pflanzt nur 
Heuchelei. Die Sklaven, die doch die Klügeren sind, 
würden ihre Herren bald durchschauen. Sie würden auch 
bald erkennen, was an der ihnen auferlegten, aufgezwungenen 
Religion Wahrheit und was daran Erfindung ist Sie 
würden die ihnen natürlich veifaofe»ien Werke Nietzsches 
heimlich lesen und dann wissen, wie viel Uhr es geschlagen 
' hat. Und da Nietzsche (J. 86) vorschlagt, den kräftigeren 
Teil der Beherrschten durch die Religion (an die doch die 
Herren nicht glauben) zum einstmaligen Eintritt in die 
Hetxenkaste vorzubereiten, so würde ja die ganze Heudielei 
dieser Anordnung an den Tag kommen, sobald jener Ein- 
tritt stattfände, oder noch vorher. 

Was aber die Frauen betrifft, so sind allerdings die 
meisten von ihnen Kindermenscfaen, und das macht sie 
so reizend. Aber man darf sie nicht dazu zwingen, es 
zu sein. Viele Frauen sind vollkommen beßthigt, mehr 
oder weniger freien Geistes zu sein und der Frömmigkeit 



Digitized by Qiy^ 



— 131 — 



-okht zu bedürfen. Warum soll diese Frauen der frei- 

4 ' 

denkende Mann nicht achten? 

Auch das Verhältnis der beiden Testamente, wie es 
Nietzsche anHsSst^ ist sehr charakteristisch fttr ihn. Er 
findet^ im Alten Testament gebe es (J. 77, GM. 177 ff.) 
»Menschen, Dmge und' Reden in einem so grolsen StUe, 
dals das griechische und indische Schriftentum ihm nichts 
ziu- Seite zu stelien hat.c Begreiflich, sind ja viele der 
alttestamentUchen Helden ähnlich denen, die Nietzsche mit 
Vorliebe »Bestienc nennt »Der Geschmack am Alten 
Testament, € föhrt er fort^ »ist ein Prüfstein in Hinsicht auf 
jGrofs^ und ,Klein' — (von Seelengröfse ahnte er nichts) 
... im Neuen Testament ist viel von dem rechten zärt- 
lichen, dampfen Betbrüder« und Kleinenseelen-Gemchc tu s.w. 
Viele^ auch Freidenker, weiden sich erlauben, anderer Mei- 
ntmg m sein. Zusammenfassend meint Nietzsche, beide 
Testamente »zusammengeleimte zu haben, sei »die gröfste 
Verwegenheit und SUnde wider den Geist«. Da hat er 
nicht so sehr unrecht, aber in anderm Sinne, als wir es 
finden. Endlich ruft er (Gd. 44 ff.): »Wie armselig ist das 
Neue Testament gegen Manu, wie schlecht riecht es!c 
Daran knüpft er eine Lobeserhebung auf die durch das 
Gesetzbuch des Manu geordnete brahmanische Kasten- 
ver&ssung, begeistert sich fttr diese »mildere und ver- 
nünftigere Art Mensch«, diese »gesündere, höhere, weitere 
Welt«, in welcher der Tschandala*) weder Getreide, 
noch Feuer und Wasser erhält, sich nicht waschen darf, bei 
Geburten keinen Beistand findet, zu Kleidern nur die Lumpen 
▼on Leichnamen, zum Geschirr zerbrochene Töpfe u. s. w. 

*) Die niedrigste Paiiakaste in Indien, Kinder von Bfah- 
manentOchtem und Sudras (Dienern). 

9* 



Digitized by Google 



haben soll, — woza er dann selbst beifügt, da£s »mürderiicbe 
Seuchen, sdietifslidie Gescbleditda:aaUMitea« die Bolge 

jener Schweinewirtschaft sind! Darin sei, faselt er, die 
arische Humanität (!) ganz rein, es sei die n<^wendige 
Konsequenz des Begriffs Züchtung; es gebe kein anderes 
Mittel, den niederea Menschen ach wach, als ihn knuüc za 
machen!*) Das Christentum sei so eiiie Tschandalaracfae, 
die anti-arische Religion par excellence, der Aufstand alles 
Niedergetretenen, Elenden, Milsratenen! Kann man dies 
ohne Entrüstung lesen? Begreift man nnn, warum nach 
Nietzsche die Teufelei den Typus Mensch erhöben soU 
(oben S. 91 £.)? Kann die Untenlrttckung den Menschen 
erhöhen? Wird sie nicht vielmehr zur Rache reizen? 
Nietzsche fühlte es ja selbst und redete ihr doch das 
Wort! Ist das nicht Verblendung? Es ist aber durchaus 
unrichtig, dalSs das Christentum eine anti-arische Rdagioa 
sei. Es hat yielmehr so viel arische Wurzeln als semitische. 
Einen grof*?en Teil seines Inhaltes hat es aus der griechischen 
Philosophie, den griechischen Mysterien, den persischen und 
indischen Religionen geschöpft, und seine Urkunden sind 
griechisch. Nur die Gegend seiner Entstehung und seine 
Gründer sind semitisch, aber keineswegs rein**). 

Nietzsche würde es lebhaft begrüfsen, wenn in Europa 
die Unglücklichen auch so empörend behandelt würden wie 
in Indien. Er wirft dem Buddhismus und Christaitum 
(J. 88 f.) vor, für die Leidenden Partei zu nehmen und 

*) Es ist kaum sweifelhaft, dafs ohne diese abscheuliche 
Mifshandlunfir die Tachandalas sich ebenso gut zu rediten 
Menschen erheben könnten wie die dünkelhaften Bnduianen 
selbst! 

**) Des Verfassers Schrift: Das Christentum und der Fort- 
schritt. Zur Versöhnung von Religion und Forschung, S. 13 ff. 
Leipzig 1892. 



Digitized by GQfl||[e 



— 133 — 

biefdvfcli den Typm >Meiischc auf dner medrigen Stnfe 

lestztihahen, zu viel von dem zu erhalten, was zu Grunde 
gehen sollte (vgl. oben S. 57 f., bei Zar ithustras Geboten). 
£r beschQkügt die duistUchen Geistlichen^ insbesondere, 
durch ihre wohltätigen Anstalten an der ^haltimg alles 
Kranken und Leidenden, d. h. »in Tat und Wahrheit an 
der Verschlechterung der europäischen Rasse, 
gearbeitet«: und damit laile Wertschätzungen auf den Kopf 
gestellt« zu haben. »Wer nicht nur,c sagt er weiter (GM. 
148 f.), »seine Nase zum Siechen hat, sondern auch seine 
Augen nnd Ohren, der spürt fast überall, wohin er heute 
auch nur tritt, etwas wie Irrenhaus-, wie Krankenhauiluft . . . 
Die Krankhaften sind des Menschen grolse Gefahr; nicht 
die BöeeBf nicht die ^Raubtiere^ Die ¥on vornherein Ver- 
unglückten, Niedergeworfenen, Zerbrochenen — sie sind es^ 
die Schwächsten sind es, welche am meisten das Leben 
luiter Menschen unterminieren, welche unser Vertrauen zum 
Leben, zum Maischen, zu uns am gefährlichsten vergiften 
und in Frage stellen.« Endlich (Gd. 87): »Da hilft man 
sich gegenseitig, da ist jeder l»s zu einem gewissen Grade 
Kranker und jeder Krankenwärter. Das heilst dann 
,Tugend' — : unter Menschen, die das Leben noch anders 
kannten, voller, verschwenderischer, überströmender, hätte 
man's anders genannt, ,Feigheit< vielleicht, ,£rbärmlichkeit', 
,Altweibermoral' . . . Unsere Milderung der Sitten ~ das 
ist mein Satz, das ist, wenn man will, meine Neuerung — 
ist eine Folge des Niederganges; die Härte und Schreck- 
lichkeit der Sitte kann umgekehrt eine Folge des Über- 
schusses am Leben sein.« 

Leider blieb Nietzsche die Antwort auf die Frage: was 
denn mit den Kranken geschehen solle, schuldig. Ahnte 
er wohl, dafs er selbst Krankenhilfe in Anspruch werde 



Digitized by Google 



— 134 - 



nehmen müssen? Schwerlich^ sonst hätte er kaam so heftig 

gegen diese geeifert. Aber eine erschütterndere Ironie des 
Schicksals kann es kaum geben, als den Verteidiger einer 
Vernachlässigung der Kranken, den Lobredner auf die 
Härte gegen die Unglücklichen nun selbst in kranker, be- 
woTstloser, hilfebedürftiger Lage zu wissen. Nur gut, dais 
seine Angehörigen nicht seine Ansichten teilen ! Wie 
wäre es ihm da ergangen??? 

Es ist auch gar nicht einzusehen, wie man es auf dem 
Standpunkte einer humanen Kultur unterlassen könnte, die 
Kranken zu pflegen. Viele wünschen sich wohl selbst den 
Tod oder sind eine .schwere Last. Wohin käme man aber, 
wenn man ihre Tötimg oder auch nur Vernachlässigung 
gestatten wollte? Wie liefse sich da eine Grenze zwischen 
Erlaubtem und Veiix>tenem ziehen? Ist da nicht die Iso- 
lierung der Schwerkranken in Anstalten das Beste? Dafe 
irgendwo in civilisierten Ländern eine Gefahr durch An- 
steckung oder Vererbung begünstigt würde, davon ist luis 
nichts bekannt, und wenn es der Fall wäre, so müJste es 
allerdings verhindert werden, aber nicht durch »immora- 
listische« Mafsregeln, sondern durch gesunde RefonneiL 



Digitized by Google 



SCHACH DER WISSENSCHAFT 1 



^Nietnsche hat aUes, was üh tmstm' 
sdkaftöeke MfAode und Redeform erümtri, 
ß läMgeTf Je mekr abtustreifen sich bemüht.* 

Hans G a ilwi t% 
(Preufs, Jahrb. 1898). 

Das zweite der hier besprochenen Bücher, die »Genea- 
logie der Moral«, schlielst Nietzsche mit einer feierlichen 
Absage an die Wissenschaft'' Nachdem er nämlich 
ganze vier Bogen hindurch den »asketischen Priesterc be- 
kämpft hat (ungefähr ebenso »zwcckmafsig^ wie Don Ouijote 
die Windmühlen), überrascht er S. 181 den Leser mit der 
Frage nach dem Gegenstücke des »asketischen Ideals«. 
Man sage ihm, &hrt er fort, dieses Gegenstück sei die 
moderne Wissenschaft, die allein an sich selber glaube und 
bisher ohne Jenseits ausgekommen sei. Damit aber, ruft 
er mit triumphierender Miene, richte man bei ihm nichts 
ans. Das Wort »Wissenschaft«, schimpft er, sei in den 
»Mäolem« dieser »WürUichkeitstrompeter und schlechten 
Musikanten« einfach (?) eine Unzucht (!), ein Mifsbrauch, 
eine Schamlosigkeit! Man erfährt freilich, wie immer, 
nicht, wen er mit diesen Leuten meint; das macht aber 
nichts! In seinem Unfehlbarkeitswahn erklärt er: »Gerade 
das Gegenteil von dem, iras hier behauptet wird, ist die 
Wahrheit: die Wissenschaft hat heute schlechterdings 



Digitized by Google 



— 136 — 



keinen Glauben an ach, geschweige ein Ideal Uber 
sieh, — und wo sie überhaupt noch Leidenschaft, Liebe, 

Glut, Leiden (V) ist, da ist sie nicht der Gegensatz jenes 
asketischen Ideals, vielmehr dessen jüngste und vor- 
nehmste Form sdber.c Das ist nun wieder ein echt 
Nietzschescfaes Paradoxon, weiter nichts. Ob Nietzsche die 
Wissenschaft unter die asketischen Ideale rechnet, ob er, 
wie es scheint, an seine eigene Wissenschaft nicht mehr 
glaubte, — ist höchst gleichg^tig ftir die Wissenschaft; 
die Hauptsache ist, dals sie forscht, entdeckt und befruchtet 
Davon, daf s ihre Träger keinen Glauben mehr an sie haben, 
ist nichts zu bemerken. Wie ernst es ihm überhaupt mit 
seinen paradoxen Behauptungen ist, zeigt er gleich aui der 
folgenden Seite, wo er jene allgemeine Verurteilung der 
Wissenschaft bereits einschränkt und gnädigst für »seltene, 
yomehme, ausgesuchte Fälle« eine Ausnahme gestattet 
Nun, mehr verlangen wir auch nicht. Wie zahlreidi diese 
Ausnahmen sind, darüber ist ja doch kein bindendes Urteil 
möglich. Dafs die Wissenschaft für viele eme melkende 
Kuh oder eine lächerliche BagateUreiterei ist, daran zweifelt 
niemand; dies trifft aber nicht die Wissenschaft als solche, 
sondern nur die Überflüssigen unter ihren Jüngern. Dafs 
die Arbeit vieler Gelehrten einer Askese gleu h kommt, be- 
streiten wir nicht; aber diese Askese ist nicht ihr Ideal, 
sondern nur das Mittel zum Zwecke einer Erfofschung, 
einer Entdeckung. 

Indessen spricht Nietzsche (S. 183) selbst jene selteneren 
Fälle nicht vom asketischen Ideal frei und bestreitet den 
Glauben der Träger dieser Fälle, dafs sie Gegner der 
Askese seien, aber mit welchen Gründen? Man staune! 
Wdl es nidit wahr zu sein brauche, was sie frühen t 
Dieter Boeks^rung erscheint jedoch lediglich als ein Vor- 



Digitized by Qafigl^ 



137 — 



wtad, gegen die Vertreter der Wiasenscbaft, md iwar hkr 
gegea die Tomeliinsteii, in einer Art losiazidien, die bereits 

den Verstand des Verfassers in Frage stellt. Eben des- 
halb, eifert er (S. 184), weil der Glaube selig mache, leugne 
er, Nietzsche y dais der Glaube etwas beweise. Ist denn 
etwa der Glaube der grolsen Gdehrten an ihre Wissen* 
Schaft identisch mit jenem Glattben des Volkes, der selig 
macht? Nun wütet er daiauf los und schimpft die grofsen 
Gelehrten, »welche die Ehre unserer Zeit ausmachen: blasse 
Atheisten, Antichristen, ImmoraUsten (all dies nennt er ja 
wiederholt sich selbst!), Nihilisten, Skeptiker, Ephektiker, 
Hektiker des Geistes.« tDas sind,« schreit er, »noch lange 
keine freien Geister: denn sie glauben noch an die 
W ahrheit . . .« Dann versagt ihm, wie jedem Tobenden, 
die Stimme; er bricht ab und erzählt eine von ihm erfundene 
Geschichte aus den Kreuzzttgoi; es ist die mit Recht be- 
rUchtigtste, empörendste und angefochtenste Stelle seiner 
Werke. Sie handelt von den Assassinen, die er einen 
»Freigeisterordenc nennt, während sie eme Mördersekte 
waren, was er merkwtlrdigerweise verschweigt, und von 
denen er rühmt, dals das Geheimnis ihres obersten Grades 
gewesen sei: 

»Nichts ist wahr, alles ist erlaubt.« 
»Wohlan,« jubelt er, »das war Freiheit des Geistes (l?), 
damit war der Wahrheit selbst der Glaube gekündigt • • •« 
Also die Assassinen, diese wirklichen Bestien im wahrsten 
Sinne des Wortes, wagte Nietzsche den grofsen Gelehrten 
der Gregenwait als Muster aufzustellen! "Das Schlimmste 
aber an der Sache ist die Unwahrheit jener Erzählung. 
Die M<lrderaekle war kein Freigeisterapden; ihre Mitglieder 
vei'waffen nur den Glauben der hcfisdiepden Rehgumsfera 
des Islam, wdl sie eben eine eigene Sekte bildeten, die 



Digitized by Google 



— 138 - 



aber ebenfoUs ihren Glauben hatte, den nämlich an die 
stete Wiederkehr ihres Imam^ des Nachfolgers Alis, der in 

jedem derselben Fleisch Avcrden sollte, und an das Paradies 
mit seinen Houris! Und was ihnen erlaubt, ja sogar 
geboten war, das war eben der Mord, also natürlich 
attch alle anderen Verbcechen, 

Und diese Bestien gaben dem Lobredner der tblonden 
Bestie« den Vorwand zu dem wahnwitzigen iHumph- 
geschrei, dals mit ihrem Wahlspruche der Wahrheit selbst 
der Glaube gekündigt seil Nietzsche war also gltLcklich 
bei der Philosophie des Dolches angelangt! Denn 
ohne diese existiert jener schändliche Wahlspruch nicht. 

Max Zerbst, der Anbeter des Gottes Nietzsche (oben 
S. 108), scheint in seiner genannten Schritt (S. 46) nach- 
weisen zu wollen, Nietzsche habe mit der Losung »Nichts 
ist wahr, alles ist erlaubte, die Kunst gemdnt, in der, 
wie Nietzsche (S. 188) sagt, »die Lüge sich heiligt, der 
Wille zur Täuschung das gute Gewissen zur Seite 
hat«. Das glaubt ihm aber kein Mensch; denn diese Stelle 
▼on der Kunst steht S bis 4 Seiten hinter jener Losung, 
die ausdrücklich nur mit der Wissenschaft, ohne 
Nennung der Kunst , in Zusammenhang gebracht ist. Die 
fragliche Stelle ist ohnehin nicht richtig, denn l) ^iebt es 
Kunstwerke, die der Wahrheit durchaus oder annähernd 
gemäis sind, und 2) lügt der Künstler nicht; denn er will 
den Beschauer oder HOrer nicht überreden, seine Dar- 
stellung für richtig und den wirklichen Sachverhalt für 
unrichtig zu halten. Will uns Bc)cklin etwa weismachen, 
dafs es Meermenschen und Kentauren gebe; wollte Goethe 
behaupten, dais Nixen die Fischer ins Wasser zidien, 
Wolfram von Eächenbach, dafs eine Gralburg bestehe^ 
Canora und Thorwaldsen, dals die Grazien existieren u« s.w.? 



Digitized by 



— 139 — 



Glaubte etwa Aiistophanes an ein Wolkenkuckackshetm? — ^ 

Oder da.cht(: c'inei' dieser Künstler uiid Dichter von ferne 
daran, dals bem Publikum seine Phantasien für Wirklich- 
keit halte? Noch entschiedener aber fällt die Lüge weg, 
wo der Künstler selbst an seine Gestaltungen glaubt, wie 
z. B* Homer und Phidias an die olympischen Götter, Dante 
an die Hölle, Raphael an die Madonna, Milton an den Stinden- 
fall, Klopstock an die Erlösung u. s. w. Und endlich : was 
in aller Welt haben die Assassinen mit der Kunst zu 
schaffen? 

Weil also die groisen Gelehrten noch an die Wahrheit 

(der erforschten wissenschaftlichen Erkenntnis) glauben, hält 
sich Nietzsche, der an nichts, also auch an sich Selbst nicht 
mehr glaubt, für berechtigt, ihnen (S. 185) vorzuwerfen, 
nichts sei ihnen fremder als Freiheit und Entfesselung (vom 
Glauben an die Wahrheit). Er wirft ihnen das Verzidit- 
leisten auf Interpretation vor, worunter er das »Ver- 
gewaltigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Aus- 
stopfen, Ausdichten und — Umfälschen (!)c versteht. 
Was das heifsen soll, und was damit bezweckt wird, ist 
Rätsel. Nach und nach mdessen zieht sich Nietzsche (S. 186) 
mit seinem verdammenden Urteil so weit zurück, dafs sich 
die von ihm verworfene Wissenschaft auf die — Meta- 
physik beschränkt, d. h. auf ,die willkürliche Aufstellung- 
nnerweisbarer philosophischer Behauptungen. Nun, soweit 
hat er nicht sehr unrecht. Die Metaphysik ist nur ein 
Versuch, zur Wissenschaft zu gelangen; denn jeder 
Philosoph hat seine eigene; eine gemeingültige, auf Tat- 
sachen beruhende giebt es so wenig wie eine Konfession, die 
diese IKgenschaften hätte. War es denn aber erlaubt, das, 
was die Metaphysik allein angeht, auf die gesamte 
Wissenschaft auszudehnen und seine Opposition gegen jenen 



Digitized by Google 



^ 140 - 

Zweig wo, daem laaatisdtai Wotgeachrei gegen jeden 
Gkvben an WMSfnBctwftlicfae Porsdnmg nt steigern, ja 

daraus den wahnsinnigen Schluls zu ziehen: »Nichts ist 
wabf) alles ist erlaubte? Nein, das wäre einem ruhig 
deiÜLenden Gelehrten unmöglich gewesen; denn der gioDste 
Teil der Wissenschaft, ja^ die gesamte erforsdibare Wissen- 
schaft, namentlich also die Geschichts-, Sprach- und 
Naturwissenschaft, hat nackte, nüchterne Tatsachen 
zur Voraussetzung und daher auch das vollste Recht, an 
die Wahrheit ihrer erforschten Lehren zn glauben! 
Und wemi Nietzsche htnterfaer (S. 192 ff.) auch gegen die 
Geschichtschreibung loszieht und sie nihilistisch nennt, 
weil sie nicht beweise, sondern nur beschreibe, so ist dies, 
als Ausilufs seines überall hervortretenden Mangels an jedem 
historischen Sinn, absolut wertlos. Beweist er denn selbst 
etwas? Keineswegs! Am Ende seiner Schriften weils man 
so viel oder so wenig Richtiges wie am Anfange! 

Damit können wir schiieisen und als Ergebnis unserer 
Kritik der verkehrten Lehren des ungiticklichen Denkers 
und Dichters dem semigen gegenüber als nnsern Wahl- 
spruch aufstellen: 

»Was erforscht wurde, ist wahr; was dem Ge- 
meinwohle dient, ist erlaubt«*) 



*) Natürlich nicht dem« was nwr als Gemeinwohl aas- 
gegeben wird, sondern nur dem, was die Menschen im all- 
gemeinen glücklich machtl 



Digitized by Qfl^e 



NACHWORT. 

»yOy ich mu/s leider an einen trihiieiligen 
popMlärtn Trit$mpA dieser geunssen rück- 
läufig InsünkUn bei oberJUUhlicher Betraek- 

^Mtl^t^^ 4IAm VtU ttittt MfW 
k/M/en IVuTMil erfa/st, absurd sind.* 
(Dr. Ludw. Steitty Nietzsches Wtlf' 

Nun noch emige aUgemeine Bemerknügen, die nicht in 
eines der Kaintd dieses Buches geht^en. Was mich tot 
allem zu dieser Aiheit berechtigte, ist die Haltung der An- 
hänger Nietzsches selbst, besonders aber des einzigen unter 
ihnen, der ernst genommen werden kann. Rudolf Steiner 
kann dies deshalb, weil er mit beneidenswerter Offenheit 
seinen Abgott nicht schOn&rbt, ja nicht einmal verteidigt^ 
sondern gerade das *an ihm, was wir zn bekämpfen fttr 
unsere Pflicht hielten, mit Begeisterung hervorhebt. Wu" 
verlangen gar nicht mehr als folgende kostbare Zu- 
geständnisse: 

1. tNietzsche ist kein Messias und Religionsstifter; er 
kann deshalb sich wohl Freunde setner Meinungen wünschen; 
Bekenner seiner Lehren aber, die ihr eigenes Selbst auf- 
geben, um das seinige zu finden, kann er nicht wollen. In 
Nietzsches Persönlichkeit finden sich Instinkte, denen gaaxe 
Vorstellnngskreise seiner Zeitgenossen zuwider 8ind.c (Fr* 
Nietzsdie, ein Kämpfer gegen seine Zeit, S. 4.) 



Digitized by Google 



2, »Nietzsche ist kein ,Deiiker^ im gewOhnlichea Sinne 
des Wortes . . . deshalb legt er auf logische Beweisgründe 
für ein Urteil wenig Gewicht.« >Nicht darauf kommt es 

ihm an, ob sich das Urteil logibch beweisen läfst, sondern 
wie gut es sich unter seinem Einflüsse leben läfst.« . . . 
»Er ist kein philosophischer KopL« (Ebd. S. S und 13.) 

3. »Dafs diese Sätze (^nichts ist wahr, alles ist er- 
laubt . . . damit war der Wahrheit selbst der Glaube ge- 
kündigt') die Empfindungen einer vornehmen, einer Herren- 
natur zum Ausdrucke bringen, die sich die Erlaubnis; frei 
nach ihren eigenen Gesetzen zu leben, durch keine Rück- 
sichten auf ewige Wahrheiten und Vorschriften der Moral 
verkümmern lassen will, fühlen diejenigen Menschen nicht, 
die, ihrer Art nach, zur Unterwtirfigkeit geeignet sind. 
Eine Persönlichkeit, wie die Nietzsches ist, verträgt auch 
jene Tyrannen nicht, die in der Form abstrakter Sitten- 
gebote auftreten. Ich bestinmie, wie ich denken, wie ich 
handeln will, sagt eine solche Natur. (Ebd. S. 15.) 

Nr. 1 imd 2 sprechen für sich selbst ; wir brauchen hier 
nur Nr. 3. Und hier fragt es sich nun (was bei Steiner 
nicht klar gesagt ist), ob dieser Ausspruch blofs als ein 
genialer Geistesblitz gelten soll, oder ob er als ausführbar 
gedacht ist. Im ersteren Falle kann man über solche 
Spiegelfechterei nur lächeln; im zweiten Falle aber (den 
Max Zerbst, s. oben S. 108, offenbar für möglich hält) wird 
die Sache ernster. Nehmen wir an, dals e in Mann so denkt 
und handelt (dats er nämlich allein sein Handeln zu be* 
stimmen habe), so wird und mufs er sich in der Gesellschaft 
unmöglich machen und im Interesse der öffentlichen Sicher- 
heit eingesperrt werden. Sind es zwei, vorausgesetzt, dafs 
sie füreinander erreichbar sind, so giebt es ein Duell auf 
Leben und Tod, und für den Überlebenden tritt der Fall 



Oigitized by 



— 143 - 



des einzelnen ein. Drei und mehr ^ eine Schlägerei mit 
iblntlgen Köpfen, — zehn und mehr — ein Scharmtttzeli 

— hundert und mehr — ein Blutbad, — tausend und mehr — 
Anarchie ! Sind ihrer nun mehr als zwei, so brauchen nicht 
alle den Tod zu finden und werden es auch schwerlich; aber 
sie werden naturgemäfS) soweit sie am Leben bleiben, dem 
Stärksten der Bande unterwürfig sein müssen. Man sieht 
also, dafs die An h Möglichkeit an den schönen Grundsatz »alles 
ist erlaubt« nicht vor Unterwürfigkeit schützt. Im Gegenteil, 
die dem Stärksten der Bande unterworfenen Nietzscheaner 
werden weit mehr »zur Unterwürfigkeit geeignete sein, 
als diejenigen, die ewigen Wahrheiten und Vorschriften der 
Moral anhängen, oder vielmehr: jene allein werden einen 
Tyrannen ertragen müssen, den die, welche ewigen Wahrheiten 
und Vorschriften der Moral anhängen, nicht ftthlen, weil sie 
es freiwillig tun, im Interesse des Gemeinwohles! 

Schliefslich kann aber auch der Stärkste der Bande 
oder der »Übermt'iisch« seinem Sc h ick sal nicht entgehen. 
Wer überhaupt kann das? Kein Cäsar und Napoleon! 
Wer überhaupt ist nicht irgend einer Notwendigkeit oder 
wenigstens Möglichkeit unterworfen? Auch der nicht, der 
ach von ewigen Wahrheiten und moralischen Vorschriften 
frei macht. Da wollen wir noch am liebsten freiwillig ge- 
wählten Wahrheiten und sittlichen Geboten folgen ! — Nein, 
meine Herren Priester des Gottes Nietzsche und des Über- 
menschen, wir wollen keine Herrennaturen, wohl aber 
Naturherren, d. h. Bändiger der wilden Naturtriebe 
zum Zwecke Aufblühens des Gemeinwohles! 

Was Nietzsche und Steiner wollen, ist dasselbe, was 
schon der ttberspannte^ von Stemer aber (& 96 ff.) gefeierte 
Max Stirner (Kaspar Schmidt, geb. 1806, f 1856) wollte, 
oder wenn wir mild urteilen wollen, unabsichtlich herbei- 



Digitized by Google 



wfliiacfate, — dar Krieg aller gegen mllel Dai& tbet 
9oldie lÜbermenschen«, die sidi bii nichts gebonden wten 

wollen als an ihr eigenes Belieben, sich von den Anar- 
chisten (obschon sie Nietzsche »Hunde« nannte, J. 136) 
und den Verbrechern nicht iveMutiich imteracfaeiden, 
liegt anl der Hand. 

Steiner kann lan^e (S. 23) behaupten, Niettsche wolle 
in seinen eigenen Meinungen nichts geben als ein Erzeugnis 
seiner persönlichen Instinkte nnd Triebe; es ist dessen unr 
geacfatet nicht ansg^schlosBen, da(s es fanatischen nnd nn- 
gdnldeten Anhängern einfilUt, seme Anfseningen ui die 
Wirklichkeit zu übertragen. Ja, es geschieht bekanntlich, 
sogar ohne Kenntnis von Nietzsche, hier und da. Weil 

aber solche Ansichten in der Verwiiiclichnng nur Gefahren für 

- 

die Menschheit herbeifahren können, so sind sie TerwerfUch, 
und da Nietzsche dazu beitrug, sie zu nähren, ist er leider nicht 

als grofser Geist, sondern als Geisti gkranke r zu beurteilen. 

Merkwürdigerweise ist Steiner (S. 35) in seiner Definition 
des »Übermenschen« bereits so tief herunter gegangen, da£s 
er ihn »den Menschenc nennt, »der naturgemäls zn 
leben verstehtc Das ist doch offenbar nicht mehr der, 
der über dem Menschen so hoch steht, wie dieser über dem 
Affen, ja nicht einmal mehr der »Fernste« im »Kinderlandc, 
sondern ein einfacher Wasser- und Luftkurant. So wenig- 
stens könnte man das »naturgemälse Leben« verstehen, wenn 
nicht gleich dahinter stände: »Er (Zarathustra) lehrt die 
Menschen ihre Tugenden als ihre Geschöpfe bttr^ichtcn- er 
heilst sie diejenigen verachten, die ihre Tugenden höher als 
sich selbst achten.« Diese Alternative ist durchaus nicht 
erschöpfend. Es giebt doch gewüs aufser den Verbrechern, 
die das erste, und den Mönchen und Nonnen, die das zweite 
tun, noch andere Leute. Diese betrachten die Tugenden 



Digitized by Qoogp 



"weder als ihre GesdM^^ noch als höhere Wesen, sondern 
als notwendigfe Erfordernisse und tatsächliche Resultate der 

Kultur, mit denen sie im Interesse dieser ein freiwilliges 
Bündnis eingehen. Diese Leute sind auch keine Fanatiker 
der Gleichheit, wie Steiner (S. 36 L) meint, sondern Freunde 
der Freiheit, d. h. natürlich einer solchen, wdche die Frei- 
beit anderer nicht beeinträchtigt. Nietzsche nnd seine 
jünger vergessen immer, dafs die Sorge für das Gemein- 
wohl diejenige für das Ich nicht aus-, sondern vielmehr 
einschliefst 

Steiner nennt (S* 117 £f.) jeden Nicht - Nietzscheaner 
einen Philister und definiert diesen näher als dea »Gegen- 
satz zu einem Menschen, der in dem freien Ausleben seiner 
Anlagen Befriedigung findet.« Wie oberflächlich! Das 
tun der Einbrecher und der Strafsenräuber auch; denn 
auch sie haben »Anlagend Es ist also nichts damit be- 
wiesen. Vielleicht meint er, ein Philister sei einer, der nur 
das Ausführbare wolle. Dann brauchte sich niemand 
zu schämen, ein solcher zu sein. Denn wer das Nichtaus- 
ftthrbare will, ist ein Narr! — 

Wenn Steiner doch nur sagen wollte, was denn eigent- 
lich jene wollen; die sich »die Erlaubnis, frei, nach ihren 
eigenen Gesetzen zu leben, durch keine Rücksichten auf 
ewige Wahrheiten und Vorschriften der Moral verkümmern 
lassen wollene. Wer in aller Welt wird denn daran ver- 
hindert, so lange er nämlich mit den Strafgesetzen nicbt in 
Konflikt kommt? Das ist für diese Herren dn recht un^ 
angenehmes Dilemma. Entweder müssen sie zugeben, 
dafs sie niemand daran verhindert, nach ihren eigenen Ge- 
setzen zu leben, soweit sie die der Allgemeinheit nicht ein* 
brechen, und dann &]lt der ganze Lärm, den sie anheben, 
dahin. Oder sie müssen gesteben, dais ihnen — die 

BttBBe am Rhytt, Aatf'ZwatbMtra, 10 



— 146 - 

Stra^esetze im Wege liegen. Dann, ja freilich , wir 

bnmcben den Satz nicht za vollenden 1 

Neuestens wiederholt Steiner seine Beschuldigung des 

Philistertums im »Magazin für Litteratur« (1898 Nr. 33), 
wo er Haus Gallwitz (dessen religiöse Richtung auch uns 
nicht zusagt) abfertigt. Hier sagt er: »Alles, was göttlich 
in dem Menschen ist, wollte Fr. Nietzsche in dem Menschen 
erwecken, auf dals er ein Schaffender werde, wie Gott selbst 
ein Schaffender ist.« (Wie? Gott, dessen Tod doch Nietzsche- 
Zarathustra der Welt verkündete?) Ja, wenn das Barba- 
rische und Bestialische götthch ist. Ja, wenn es götthch 
ist, die Frauen zu beschimpfen und das Volk zu verachten* 
Und was hat Nietzsche denn eigentlich geschaffen, er, 
der immer vom Schaffen redete? Aufser einer Anzahl 
schöner Gedichte eine Unzahl unmöglicher Paradoxa imd 
halbe Bände hindurch eine Polemik, teils gegen mittelalter- 
liche Weltanschauung, welcher doch nur noch Betbruder 
und Betschwestern, Mönche und Nonntn huldigen, teils 
gegen kleinbürgerliche Gesichtskreise von Hermgs-, Fetroleum- 
und Schnupftabakskrämern, beides Gruppen, die keine Seite 
Yon Nietzsche lesen. Denn wer bedarf der Fügten gegen 
eingebildete Tugend als die Leute vom Schlage der Spezerei- 
händler und wer derjenigen gegen Dogmen und Wunder 
als die Überfrommen? Aufgeklärte Kämpfer für das Ge- 
meinwohl brauchen weder emen Zarathustra, noch die 
»Brücken des Übermenschen«. 

Im gleichen »Magazin für Litteraturc erschien im Jahre 
1898 eine sehr lehrreiche Erzählung von Kurt Martens 
»Aus der D^cadence«, welche schildert, wie von zwei nach 
- Nietzsches Grundsätzen lebende jungen Männern, die nur ihr 
souveränes Beheben als malsgebend betrachteten, der eine 
durdi sem von allen Rücksichten entbundenes »modemstesc 



Digitized by Google 



Leben in eine so zerfahrene, verzweifelte Stimmimg geriet, 
dafs er kein anderes Heilmittel mehr wofste, als alle Willens- 
kraft aufzugeben und sich der ihm nur dem Namen nach 
bekannten katholischen Kirche in die Arme zu werfen, wo- 
bei er sich bis zum Abbeten des Rosenkranzes, zur General- 
beichte bei einem beschränkten Pfarrer nnd zur Ablegong 
des tridentinischen Credo demütigte; die gesund gebliebene 
Seite seiner Natur aber rifs ihn bald aus seiner Illusion her- 
aus und gab ihn dem freien wissenschaftlichen Leben zu- 
rück. Der andere aber, der schwächere, ruinierte sich, vom 
Reichtum verführt, durch das zügelloseste Treiben in solchem 
Grade, dais er ein Pest nut schamlosesten Orgien zur Feier 
seines — (freilich nur fingierten) Selbstmordes veranstaltete ! 

Diese vortreffliche dichterische Leistung ist leider aus 
dem Leben gegrif^. Es fehlt nicht an Schriftstellern der 
Gegenwart aus verschiedenen Nationen, die wir nicht mit 
Namen zu nennen brauchen, die sich durch paradoxes 
Treiben nach Nietzscheschcr Art so sehr um allen Halt ge- 
bracht haben, dals sie in dem blendenden katholischen Kultus 
ihre einzige Rettung sahen und für die unbefangene Pflege 
des Schienen, wie für alle Kritik verloren gingen. Ja, wer 
weife, ob nicht Nietzsche, wenn er nicht der Bewufstlosig- 
keit verfallen wäre, jetzt nicht in einem Kloster oder sonst 
wo Bulse täte? Ob man nun im wüsten physischen 
Treiben oder in blofs geistigen Orgien seine >Anlagen frei 
auslebec, d, h. seine Kräfte versddeudere , ist am Ende 
einerlei. Beides ist krank und endet krank in einer 
schlimmeren »ünterwürfigkeit« als die von den Nietzsche- 
Anbetern so sehr gefürchtete gegenüber den sittlichen 
Folgertmgen der Kulturentwickelung. 

»Noch inuner (heUSst es bei Steiner, Fr. Nietzsche, S. 91, 

mit Bezug auf Dr. Ludwig Sterns Schrift gegen Nietzsche 

10* 



— 148 — 



S. 5) ist die Durchschnittsbiidung eines deutschen Professors 
nicht so weit, das Grolse einer Persdnlichkeit von derea 
kleinen IrrtOmem abzatrenneiL« Kleine Irrtümer? Wie, 
wenn es sicli nun umgekehrt verhielte? Wenn das, was 
Nietzsches AnhUnger an ihm grofs nennen, gerade in 
seinen grofsen Irrtümern bestände? Wir erlauben 
ims, dieser Ansicht za sein und zu finden, dais Nietzsche 
gerade und yorwiegend nur in seinen Irrtttanem grois ist; 
sonst hatten wir nicht Über und gegen seine Hauptwerke 
geschrieben. 

Steiner nennt Nietzsche den » modernsten c aller 
Geister. Wir glauben vielmehr: Nietzsche und alle seine 
Anhänger sind Erzreaktionäre! »In Nietzsches Persön- 
lichkeit sind diejenigen Instinkte vorherrschend^ die den 
Menschen zu einem gebietenden, herrischen Wesen machen. 
Ihm gefällt alleSy was Macht bekundet; ihm milsfäüt alles, 
was Schwäche verrät« (Steiner, Fr. Nietzsche, S. 13.) »Die 
starke Persönlichkeit , die Ziele schafft, ist rücksichtslos 
in der Ausführung derselben . . . Was der Starke wül, ist 
für ihn gut; er führt es durch gegen alle widerstrebenden 
Mächte ... ein ewiger (I) Krieg besteht zwischen den 
einzelnen Willensäuisemngen, in dem iomier der stärkere 
Wille Ober den schwächeren siegt« (Ebend. S. 69 f.) Also 
Allemherrschaft der Instinkte und (wie schon gesagt) 
ewiger Krieg aller gegen alle, — intolgedessen Unter- 
drückung und Ausrottung der Schwächeren! Wahrlich, 
diese wilden Anschauungen gehören in die Steinzeit, in das 
Innere Afrikas oder Australiens, aber nicht in die Kultur- 
weit Europas xmd seiner Kolonien! Nietzsche und seine 
Schule wollen, wenn auch vielleicht nicht durchweg absicht- 
lich, doch faktisch die Rückkehr zur Barbarei und zum 
Faustrecht, zur Roheit und zur Sklaverei, Sie sind daher 



Digitized by 



ebensowohl Reaktionäre wie die Anarchisten, die wesentlich 
dasselbe wollen, nur dals sie die Sklaverei ausschliefsen 
und mit der »Täte vorangehen, das ist der einzige Unter* 
schied. Sie, die Nietzscfaeaner, sind ebensowohl Reaktionäre 
wie die Socialdemokraten , die (gleich ihnen) hinter Jt-n 
Staat zurückwollen, aber mit sogenannter Gleichheit, — 
ebenso me die Ultramontanen, deren äuiserste Richtung 
(Civiltä Cattolica der Jesuiten) in die Zeit der Inquisition 
zurück möchte — wie die Antisemiten, welche die Zeit der 
Judenverfolgungen zurückwünschen, wie die Spiritisten und 
Occultisten, denen als Ideal die Herrschaft des Aberglaubens 
mit ihren Hexenprozessen yorschwebt (deren Berechtigung 
sie ztmi Teü anerkennen), und wie die sogenannten 
Konservativen, denen es unter dem Absolutismus tmd der 
herrschenden Orthodoxie des 16. und 17. Jahrhunderts 
(cujus regio, ejus religio) am wohlsten wäre ! Ja, nicht nur 
das^ sondern Nietzsche ist der aUerärgste Reaktionär, denn 
er will am weitesten zurück in die Urzeit 

Nietzsche behauptete (GM. 87 und ähnlich J. 237), es wäre 
ein Fortschritt, die Menschheit als Masse dem Gedeihen 
einer einzelnen stärkeren Specics Mensch zu opfern 1 Nein, 
dreimal nein, das wäre kein Fortschritt! Das wäre ein 
kolossaler Rückschritt! Alles absichtliche Opfern von 
Menschen ist ein solcher, heifse es nun Menschenopfer in 
irgend welcher Form, Unterdrückung, Verfolgung, Krieg 
oder auch nur Zweikampf! 

Jeder Fortschritt setzt ein Bestehen, nimmer aber ein 
Zerstören voraus. Verbesserung und Vervollkommnung 
des Bestehenden, rastlose Reform auf allen Punkten, 
wachsende Freiheit aller Bewegung, die die Freiheit 
anderer nicht beeinträchtigt, — das ist Fortschritt ! Revo- 
lution, Zerstünmg, Blutvergietsen, Niederreüsen, Scheidung 



— 150 — 



in Starke und Schwache, in Herren und Sklaven, Willkür 
im Handeln, die eine Schädigung auch nur ermöglicht, — 
das «Ues ist Reaktion , Rückschritt, Verleugnung der Koltnr 
und des Fortschritts t Warum sollen die Schwachen nicht ge- 
duldet werden ? Wie oft haben sie Starke, wie oft die Starken 
Schwache erzeugt! Es ist absolut unberechenbar, was 
aus eines Menschen Nachkonunen werden kann! Mit der 
tausendfach erwiesenen Tatsache, dafs Riesen von ganz 
gewöhnlichen Leuten stammen und kräftige Eltern oft 
schwächliche Kinder haben , fällt aller Wahn der Z Ii c h - 
tung« höherer Menschen oder Übermenschen, fällt jede 
Berechtigung zu einer Herrschaft von Herkulessen als 
Schwindel dahin! 

Hunde, Pferde, Rinder und Schafe werden 
g e / LI c h t e t , Menschen w e i d c n erzog'en ! 

Auch wir wollen eine Aristokratie, d. h. nach dem 
wahren Sinne (agunot^ die Besten), was ja auch die Demo- 
kratie ist, wenn sie die rechten Häupter trifft, aber keine 
Oligarchie, keine Herrschaft der Starken, der Adligen oder 
der Reichen! Eine glückliche Auswahl der wissenschaftlich, 
künstlerisch und sittlich Durchgebüdetsten an der Spitze 
eines freien, mit Liebe und Lehre herangezogenen, durch 
▼emUnftige Religion sittlich, durch sociale Reformen wohl- 
habend, durch sanitäre Vorrichtungen gesund und durch 
gute Schulen wissend gewordenen Volkes! 

Das wÄre Fortsolirlttin 



Digitized by QQ§g}e 



ANHANG. 

Dr. Otto Siebert, Geschichte der neueren deutschen Philo- 
sophie, S. 243 ff. GiHtingen 1898. 

»Nietzsches System ist ein romantischer, libertinistischer, 
egoistischer, aristokratischer, beziehungsweise autokratisclier 
Anarchianus. — Das Romantische in Nietzsches Philosophie 
zeigt sich vor allem in seiner Schwärmerei für die wilde 
Urzeit. Das Grundprinzip des Lebens ist der »Wille zur 
Macht«. Das Leben der Urzeit war das rechte Leben, 
weil es ein ungehemmtes Trieb- und Instinktleben war. 
Das Schwächere wurde unterdrückt, das Fremde über- 
wältigt, die Grausamkeit war die herrschende Gesinnung. 
Die Arier, jene Übermenschen der Urzeit, jene prachtvollen, 
nach Sieg und Beute lüstern schweifenden blonden Bestien 
waren ganze Menschen. Der Idealmensch ist die blonde 
Bestie der Urzeit, ist der Naturmensch mit seiner Zügel- 
losigkeit und wilden Gcnufssucht. — Der Libertinismub der 
Nietzscheschen Weltanschauung offenbart sich in der Ver- 
achtung und Verwerfung alles dessen, was Religion und 
Sittlichkeit verlangt. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt 
Religion ist Unsinn, Gut und Böse nur flache Begritfe. 
Die Frage nach dem Guten ist eine Macht- und Nüizlich- 
keitsfrage. Gut ist dasselbe wie vornehm, mächtig, schön, 
glücklich. Erst die Juden und nach ihnen die Christen 



Digitized by Google 



— 152 — 



haben die törichte Behauptung aulgestellt, der F.lende .-jci 
der Gute, der Reiche und Starke aber der Böse. Der 
wahrhaft Gute entschlägt sich der schwächlichen sogen. 
Moral und geht nur seinen Trieben und Instinkten nach. 
Den Geschlechtstrieb befriedigt er im Konkubinat ^ das 
leider durch die Ehe koinimpiert ist. Leiden sehen tut 
ihm wohl, leiden machen noch Wühler. Mitleid, Nächsten- 
liebe , Demut, Geduld sind nur angebliche Tugenden, [die 
wahre Tugend ist die Erhebung des Willens zur Macht 
durch Härte, Unterdrückung und Grausamkeit Cäsar 
Borgia, der Sohn Alexanders VI., der Mörder seines 
Bruders und Schwagers und vieler anderer, dieser durch 
Lttge, Meineid und Ehebruch befleckte Verbrecher, — er 
ist nach Nietzsche ein Ideal, dn htyherer Mensch, ein 
Übermensch: schrankenlose Genufesucht, Genufs in allen 
Äufserungen eines unersättlichen Lebens bis zur Vernich- 
tung und Selbstzerstörung im Jubel ztigelloser Triebe und 
Begierden — das ist das höchste sittliche Ziel. — Damit 
verlnndet sich naturgemäls der scfaroffete Egoismus. Für 
mich existiert nichts weiter als mein Ich, mir ist um 
meinet^vilkn alles erlaubt. Selbstsucht gehört zum Wesen 
der Yomehmen Seele. Selbsterhaltung, Selbsterhöhung, 
Selbsterlüsung ist wahres Streben, der andere geht mich 
nichts an. Der Egoismus ist natürlich und berechtigt. 
Besonders seine eigene Person stellt Nietzsche stark in den 
VorderL^nind und gelangt somit von einem aristokratischen 
zu einem autokratischen Anarchismus. Aristokratisch ist 
sein Anarchismus, weil er der Lügenlosnng vom Vorrecht 
der meisten die furchtbare Gegenlosung yom Vorrecht der 
wenigsten gegenüberstellt Nur die an Leib und Seele 
Gesunden, die starken, die echten Aristokraten werden 
dereinst den höhem Tjpus der Menschheit ausbilden. Es 



Digitized b;^,j,__^|^Ie 



— 153 — 



wird ein ungeheures Zugrundegehen eintreten, viele werden 
iallen und umkommen , und nur wenige arbeiten sich aus 
diesem AnafGhismns hervor. Die Gesellschaft ist der Unter- 
haa, an welchem steh eine ausgesuchte Art Wesen m 
höherem Sein emporzuheben vermag. Zu diesen gehört 
natüjlich ein Mann wie Nietzsche ^Ibst; erklärt er doch 
seinen Zaratbustra für das tiefste Buch, das die Menschheit 
besitzt. Ja, er erkennt in allem Werden der Natur nur 
eine^SduDSucfat derselben nach seiner eigenen Persönlichkeit. 
So endigt diese Weltanschauung, im Grunde nur eine 
lächerliche Utopie, mit offenbarer Selbstvergötterung.« 



Digitized by Google 



REGISTER. 



A. 

Abendmahl 65^ 

Aberglauben nach Nietzsche 87, 
Adel, neuer 25. 52i 
Absichtenmoral 82 f. 92. 
Affen 2Q ff. 25 f. 98, 
Alkohol aL 
Alter UZ 

Altes Testament 131. 
Altruismus f. 
Anachronismen 128 f. 
Anarchie und Anarchisten 65. 

lOL 128, 142 f . IM. 142. 15L 

152 f. 

Andersreden VII f. 50. 
Andreas-Salome, Lou, Frau 4D. 
Anthropomorphismus 123 f. 
Antichrist IV f. X f. 8L 
Antisemiten 14SL 
Anti-Zarathustra, dessen Be- 
arbeitung III ff. VI. 
Aphorismus 8Q f. 
Apokalyptisches 42. ML 
Aristokratie 106. III. 113. 150. 
Asien 112. 

Asketisches Ideal 135 f. 
Assassinen 132 f. 
Atavismus 82. 1Ö6 f. 
Atheismus Nietzsches XI. 8 ff. 

45. 46. 55. 61 f. 123 ff. 
— , Gefahren des, Ifif. 
Athleten 2a 150. 



Ausbeutung 48. 96 f. III. 
Auswanderung liÜ. 
Autokratie 113 f. 

B. 

Barbarei 22 ff. 25 f. 28. 
Barbarische Strafen 84. 28. 
Begriffsverwirrung IX. 
Bergemann, Dr. Paul 4L 
Bergpredigt, Nachahmung der, 
44. 

Bestie und Bestialität 22. 23 f. 

22 f. m 124. 122. 132 f. 
Bibel 122f. 13L 
Blendlaterne 26. 
Blonde Bestien 25 f. 122. 
Blutegelmann 6L 
Borgia, Cesare IDD f . 128. 152. 
Böse, das 65. 21 ff. 

S. auch: Gut und Böse. 

C. 

Christentum XII. 66. 84. 125 

bis 128. 122. 132 f. 
Chronologie Nietzsches 82. 
Cranach, Lukas 129. 

D. 

Damen für Nietzsche IV n. IX. 
24. 42. 

Darwinsche Theorie 14. 2Ü{. 

21 n. 



d by Qi. 



— 155 — 



Decadence 84 f. Mfi f . 
Demokraten 42 f. lOZ 
Demokratie 113, 150. 
Deutsches Reich und Heer 36. 
Deutschland und Deutschtum, 

Nietzsches Hals gegen 82 bis 

85. 95. 

Dichtung, Aufgabe der 28 ff. 
Dienstbarkeit der Frauen 117. 
Dionysos EL 
Dithyramben 67. 
Dogmatische Fragen 22. 121. 
Dolch, Philosophie des 138. 
Donquijoterie 1Ö8. 13!^- 
DoppeMch IV. VIII. 
Dummheit 22 f. 
Dürer, Albrecht 129- 

£. 

Edle 35. 105. 106. 
Edle Menschen 22 f. 24. 
Egoismus 33. 54. 5Z 82. 152. 
Ehe 42 f. 118. 152. 
Emancipationslust 112 f. 
Entwickelung VII. 8^ 9Ü. 106 1 
121 f. 

Entwickelungsfähigkeit des 

Menschen 21 22. 23. 
Erasmns von Rotterdam 129. 
Erde nach Nietzsche 11. 75 f. 
Esel 48.. 61 66 f. . 
Eselsfest 66 f. 

Ethik Nietzsches 86 ff. 91 ff. 
Etymologisches 84. Iü2m 
Europa, Herrschaft über 108. 
llDf. 

Europäer, der gute 1Ü8 f. 
Evangelien, s. Neues Testament. 
Ewigkeit, Lied an die 
— , »tiefe« 6Z 

P. 

Fallendes 52 f. 133. 
Falsche Urteile 28 f. 
Faustrecht 148 f. 



»Femstenliebe« 25. 

Festliches 98. 

»Feuerhund« 49 f. 

Fischart, Joh. 129. 

Fliegen Zarathustras 49. 52. 

Förster-Nietzsche, Frau 40. 

Fortdauer nach dem Tode 33. 

Fortschritt nach Nietzsche 99. 
111 149. 

Franzosen 83. 85. 

Franz von Assisi 63. 

Frauen, fromme 13Ü f. — Ver- 
teidigung der IV. 

Frauenbewegung IX. 112 f. 

Frauenhass IX. 38—43. 114 
bis 118. 146. 

Freidenker 91 

Freiheit 149 f. 

Freundinnen Nietzsches 40^ 50. 
118. 

Freundschaft 39 f. 
Friedrich der Rotbart 45. 
Frömmigkeit, angebliche 62.130. 
Furcht 92 f. III in f. 

G. 

Gallwitz, Hans 6Ü. 146. 
Geist 48. 22 f. 112. 
Geistesstörung 4. 8. 13. 19. 26. 

34. 4a 4^ 58. 60. 62. 

64. 23. 85. m 118. 144. 
Geistliche 35. 46. 
Gemeinwohl 89. 1Ü5. 106. 140. 

143. 145. 144 
Genealogie der Moral 86—90. 
Geocentrischer Wahn 11 25 f. 
Germanen 9h f. 122 f. 
Gesellschaft, Grundprincip der 

96 f. - Schuld der 12Ü. 121 

— Kampf gegen die 128. 
Gesindel 42. 
Gespenster 64 f. 
Gestalten in Nietzsches Zara- 

thustra 6. 61—65. 
Gestaltungsgabe 28 f. 



— 156 — 



Gewaltherrschaft 57. 
Gewaltthätigkeiten VIII f. 
Gewissen 32. 
Giperl 11 f>- 
Glaube 136 f. 
Gleichheit 42 f. 145. 
Glockenverse 62x 
Glück 49. 53. 
Glückselige Inseln 45. 
Goethe 42. 

Gott nach Nietzsche Ö ff . 55. 
dl f. 62 f. 66 f. 123 ff. 
146. 

— nach dem Verfasser 9. f. 12 i. 
Grausamkeit 52 f. 84. 97—100. 

113 f. 
Griechen 117. 

Gröfsenwahn S. 24. 29 ff. IIS. 
Grofsstadt 54 f. 
»Gute« 34. 35. 1Ü6. IID. 
Gut und Böse 53. 5Z SS f. 21 ff . 

m lüü 106. 126. 151 ff . 
Gut und Schlecht 103 f . 1Q5. 

126 

Gynäkologisches 41 (2). 

Handlungen der Menschen 86 ff- 
Haremssperre IX. 117. 
Hart, Julius X. 
Härte 46. 56. SS. 65 f. 22. 28. 

HL 112. 113 f. 
Häfslichster Mensch 62 f. 
Hektiker des Geistes 137. 
Herdentiermoral 107. 
Herkules 25. 28. 
Herren, deren Beschäftigung 

112. 

Herrenmoral 65. 102—107. llü. 
Herrenrasse (und -Kaste) 26. 86. 

Qü.24ff. Iü3f. 1Ü5. lOLlllf. 

113. 112. 142. 143. 
Herrschsucht 55 f. 
Hetärenwirtschaft 112. 
Heuchelei 56. 12L 130. 



Hexen 34. 

Historischer Sinn 140. 
»Höhere« Menschen 6Df. 6L 
Höhle Zarathustras 5. 45. 51 

65 ff. 
Höhlenheilige 5. 
Holbein, Hans 122. 
Holländische Malerschule 12^ 
Hugo, Victor 85. 
Humanität 94 lüL 
Hunnen 25 f. 
Hutten, Ulrich v. 122. 
Hypothesen 22. 

L 

Idealismus 124. 
Immoralisten 82. 
Indianerhäuptling 43. 
Indische Kasten 131 f. 
Indische Musik 22 f. 
Interpretation VII. 132. 

J. 

Jenseits 33. 42. 

Jenseits von Gut und Böse X. 

12 f. 52, 53. 21 ff. IVL 
Jesus von Nazareth 4—7. 16. 

55. 66. 126 f. 
Jonas, Prophet 55. 
Juden 126 f. 

K. 

Kägi, Prof. Dr. 72 n. 
Kapitalismus 48. 12L 
Karl der Grofse 45. 
Katholische Kirche 147. 
Ketzer 34. 
Kinder 4L 116. 
»Kinderland« 25. 36. 
Kindermenschen 123 f. 130. 
Kirchengeschichte 126 ff. 
»Kleine Leute« 66. 146. 
Kneipsucht 117. 
Könige 61. 
Konkubinat 118. 152. 



d by Go 



Konservative 149. 
Kopernikus 74. 75 f. 
Kosmopolitismus 109. 
Krankenpflege 133 f. 
Krieg und Krieger 35 f. 99. 

m 112 n. 
— aller gegen alle 143 f. 14Sf. 
Krüppel u. s. w. 5Ö. 
Küche 116. 

Kuhhirt, bettelnder 63. 
Kultur, Niedergang, bez. Still- 
stand der 84 f. 
Kulturstufen 1Ü3. 
Kunst, Lüge in der 13fi f. 

L. 

Lachen 53. 64. 
Lachende Löwen 65, HL 
Lämmer HL 

Laster 36. 42. 53. 54. 55 f. 
Lästerungen 62. 66. 
»Leben«, personifiziert 42. 58 f. 

- Was L. sei 52. 24. 96. 

92. 

* Leib Verächter« 33. 
Leiden SU 21 

Leiden sehen undL. machen 9S. 
Letzte Menschen 16. 
Liebe 32. 52. US. 
Lieder 48. 53. 
Litterarische Frauen 115 f. 
Lombroso 33> 

Lügen 26. ZZ. m 124. 13S f . 
Luther, Martin 12S f . 129. 
Lyrische Gedichte V. 48. 49. 
53. 5Sf. 62. 

M. 

•Magazin für Litteratur« IX. 

42. 146 f. 
Maler, deutsche 129. 
Mammon 4S. 
Manus Gesetzbuch 131 f. 
Martens, Kurt 146 f. 
Materialismus IL 124. 



Maupassant 34. 
Melanchthon, Philipp 129. 
Mensch, Würde desselben 25 f. 
— Typus u, Species 24. 91 f. 

93 f . 99. m m 

Menschheit, Entwickelungs- 

fähigkeit der 20 ff, 
Metaphysik 139 f. 
Mifsverständnisse , angebliche, 

von Nietzsches Lehre 6. 64. 

80. 96 f. 
Mitleid, gegen das 46. 63. 64. 

89i. 

Mittelalter, Gesichtskreis und 
Kultur desselben 32. 84. 125 
bis 12a. 146, 

Mongolen 95 n. 

Moral, Geschichte der 86—90. 
102-107. 

Musik M. 

Mystisches 49. 

N. 

Nachkommen 25, 45 f. 150. 
Nächstenliebe 25. 26. M. 56 f. 

66. 88 f. 92. 
Namen 104. 
Napoleon 83. 12Q f . 
Narr 54 f. 145. 
Naturgemäfse Lebensart 144. 
Naturherren 143. 
NeuesTestament, mit Nietzsches 

Zarathustra verglichen 4 ff. — 

Nachgeahmt und parodiert 44. 

49. 63^ — Von N. verachtet 

131. 

»Nichts ist wahr, alles ist er- 
laubt« 64. 132 f. I4Ü. 143. 
Nietzsche, Friedr., seine Person 

III ff. — Im Leben VII ff., 
Xlf. 5.13.18.19.22.29.50. 
82. 94. IIS. — Seine Schriften 

IV ff. XI f. - Gestaltungs- 
gabe 28 f. — Seine Dichtung 
48. 58 f. - Irrungen 5L 63^ 



— 158 — 



64. 71 ff. 73. lüZ im f. 125. 
m 136^-140. 148. - Eitel- 
keit mi- Vergöttlicht m 
— Was er geschaffen 146. 
151 ff. — Litteratur über ihn 
XIII f. 

Nietzscheaner III. VI. IX. XI. 

^ ^ 73. TAmi 

8äf. Ulf. m mf. 

115 f. IM f. 148 f. 
Notschrei 60 f. üä. 

o. 

Oligarchie Iii 113. 
Opferung 92, IIL 125. m 
Optimismus 64. 
Orientalisches Reich lÖS f . 
Orthodoxie IL 83. 

P. 

Päderastie 112. 
Papst, letzter 4. 61 f. 
Paradoxa 136. 146. 
Parsifal m 

Peitsche IX. 24. 42. 42. lliL 
115. 

Personen, Angriffe gegen V. 
Pessimismus 64i. 
Pflichten nach Nietzsche 112. 
Philister 145. 146. 
Philosophen 13Q. 
Pöbel 66. 96. 92. 
Polytheismus 12. 
Popularität 8Ü. 
Possenreilser IZ 
Predigtsammlung 44 ff. 
-Presto- fi2. M. 
Priester s. Geistliche. 

R. 

Rassen 132. 133. 
Rauben 52. 
Raubmörder 34. 
Raubtiere 04. lÜH 
Raubvögel HL 



Reaktionäre 148 f. IML 

Rechtszustände — Ausnahme- 
zustände 22. 

Redesucht von Nietzsches Zara- 
thustra 4. 

Reform 142 f. 

Reformation 122. 

Reinlichkeit 82. 20. 

Religion als ZUchtungsmittel 
ISO. 

Religionsgeschichte 126—129. 
Renaissance 12S f. 
Revolution 114. 142 f. 
Ritsehl, Dr. Otto V. XII. 
Römisches Recht 84. 
- Reich 126 f- 
Rückschritt 142 f. 

a 

Sachs, Hans 122. 
Sadismus 42. 

Salis-Marschlins, Dr. Meta v. 4Ü. 
Sanskrit 22. 

•Schaffende« 18. 22. 3Ü. 32. 46. 

5L 56. 146. 
Schatten Zarathustras 63 f. 

Schlaf 32. 

Schlange 2. 53. 

Schlecht 58. lOSf. 1Ü5. 1Ü6. 112. 

Schlechtigkeiten 36 f. 

Schönheit 22. 

Schopenhauer, Arthur XI. S3. 
Schwächen, gegen 2. 36. 
Seifenblasen 4. 23 f. 
Seiltänzer 14. 15. 12. 
Selbstquälerei 29 f. 
Selbstsucht 55 f. 
Siebert, Dr. Otto 151 ff. 
Sinnestäuschung, Sinneswahr- 
nehmung 24 f. 
Sklaven, deren Eigenschaften 

m 112. 
Sklavenaufstand in der Moral 

1Ü5. 106. 126 f. 
Sklavenmoral 102-107. IIÜ. 



d by Cojigle 



— 159 — 



Sklavenkaste 113. 13a 
Sklaverei 45. fii 25 f . Hl ff . 
SociaUsten ^f. lüZ 128. 149. 
Spiritisten U9- 
Sport 92. 

Staat nach Nietzsche 22 ff . 85. 

— Kritik seiner Ansicht 2S ff. 
Starke und Schwache 77 f. 113. 

im 121 f . M2 f. 14a 15Ö. 
Stein, Dr. Ludwig 142 f. 
Steiner, Dr. Rudolf IX. 141 ff. 

144 ff. 142 f. 
Stimmungen V. 
Stirner,. Max 143 f. 
Stöcker, Frau Helene IX. 42. 
Strafgesetze 145 f. 
Streitfragen 22 f. 

T. 

Tafeln, alte und neue 5ö ff. 
Tanzen 35. 42. 43. 64. 
Tanzlieder 42. 5S f . 
»Taranteln« 42. 
Taschendiebe 53 f. 
Teufel 42. 511 M. 
Teufelei 9L 132. 
Tiefe 53. 62. 23. 24. SL 83. 
Tiere in N ietzschesZarathustra7 . 
Tiktak 4Z 53. 
Tobsucht 22 ff . 5a 6L 13Z 
Tollheit, s. Geistesstörung. 
Torweg 52. 
Totschlagen 52. 
Traumbilder 42 f. 52 f . lüS. 
Tschandalas 131 f. 
Tugend, falsche und eingebildete 
46f. 53f. 54(21 m IMf. IM. 
Tugendhafte 46 f. 
Türck, Dr. Hermann IQK 112 f. 
Türkentum 1Ü2. 112. 

U 

Überbleibsel, Überlebsel VII. 

IM f. 
Überdrache 50. 



Übermensch im allgemeinen IX. 
iL 12. 62. 65. m - Predigten 
vom 14 ff. — Erklärung 12 ff. 
- Kritik 2D ff . — Verände- 
rungen des Begri«s24ff. 3üf. 
4L45.5fL52.6üf. 25 f. IMf. 
110 {{. 144. — Voraussicht- 
liches Ende 113 f. 143 f. 

Übersetzer, deutsche 82. 

Ultramontane 142. 

Unklarheit 16. 42. 82 f. 

Unmenschen 1110 f. 

Unterdrückung 48, 96. UL 132. 

Untermensch 3L 

Unwahrheit, Ungewifsheit, Un- 
wissenheit 21 ff. 25. 

Urgeschichte und Urzeit nach 
Nietzsche 86 ff. 24 ff. 148 f. 

Utopien VIII. IX. 3 f. 3D. UÜff. 



Vaterland 25. 26. 36. 1Ü3. 
Verächtlichkeit m 
Verantwortlichkeit 88. 
Verbrecher 18 f. 24. 33 f. 34. 

65. 82. U^-V22. 144. 
Verständlichkeit, Mangel an 

14 f. 16 f. SD f. 
Versuchung 5D f. 
Verweichlichung 22. 
Vogt, Karl 2L 

Volk, wie man zum Volke spricht 

14. 15. 16. IZ. 
— und Staat 22 f. 
Völkerwanderung 25 f. 
Volksführer 48. 
Volksverachtung IX. 146. 
Vornehmheit VI. 88 f. 24 ft 

103 f. m m 121 
w. 

Wagner, Richard V. X. 83. 
Wahnsinn, s. Geistesstörung. 
Wahrheit 21 ff . 26 f. 124. 132 f. 
132f. 



160 



Wahrsager 5(L 60. 
Weib, das 38-43. 53. 114-118. 
Weltall 12 f. 62. 75 f. 
Weltkörper, fremde 11 f. 
»Werdet hart« 46. 
Widersprüche 64, 25. 26 f. 85. 
•Wiederkäuen« 63, 
Wiederkunft ewige 53. 8L 
Willen zur Macht 49. 96. 148. 
Willkür im Handeln 54. 142 f. 
Wissenschaft 80. 135 ff . 132 f. 

— bei Frauen 115, 13Ü f. 
Wollust 55 f. 
Wucherer 89. 96 f. 

Z. 

Zarathustra, altpersischer 3^ 
Zarathustra, Nietzsches, Cha- 
rakter X. 3 f. M f. — Mit dem 



N. T. verglichen 4 ff . — Un- 
fähigkeit als Redner 14—17. 
54 f. — Schlimme und bessere 
Stellen 6f. 4ß. — Unterschied 
seiner Teile 44.— Unklarheit 
und Traumbilder 49 ff . 52 ff . 
8Ö f . — Seine Gäste 61--67. 

— Nietzsche über ihn 80. 8L 

— Steiner ebenso 144f. 

Zauberer 6L 

Zerbst, Dr. Max 60. 108. 138. 
142. 

Züchtung einer neuen Rasse 

m 150. 

Zukunft, Nietzsche als Seher 
der 26. 32 f. 110 ff. 

Zukunfts-Phantasie 86. 
Zwerg 52. 



Pierer'ache Hofbuchdmckerei Stephan Geibel & Co. in Altenboii;. 



4 



7. j 
re 

it 



1 




Digitized by Google 



Digitized bv^ 




This book should be returned to 
the Library on or before the last date 
stamped below. 



A üne of flve cents a day is incurred 
by retaining it beyond the speoifled 
time. . ;