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Full text of "Der zweck; seine bedeutung für natur und geist"

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DER ZWECK: 
SEINE 

BEDEUTUNG 
FÜR NATUR 
UND GEIST 

Rudolf Eisler 



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DER ZWECK 

SEINE BEDEUTUNG FÜR NATUR 

UND GEIST 

VON 

RUDOLF EISLER 

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BERLIN 1914 

VERLEGT BEI ERNST SIEGFRIED MITTLER UND SOHN 
KÖNIGLICHE HOFBUCHHANDLUNG, KOCHSTRASSE 68-7i 



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Alle Rechte aas dem Gesetze vom 19. Juni 1901 
sowie dtt Obenetznngsrecht tind vorbehalten 



Copyright 1914 by £. & MitÜer Sohn, Berlin. 



Vorwort. 

Die vorliegfende Arbeit geht darauf aiU| die Bedeutong 
des ZwetkhegnBi sowohl für das wissenschaftliche Erkennen 
als anch ffir die Welt- und Lebensanschaaung' damüegen. 
MeUiodologisches, Ezkenntniskiitisches und Metaphysisches 
finden sich in diesen Untersnchungfen vereinig Es handelt 
sich nicht um eine Aufzeigung* der Beziehung aller mdglidien 
Disziplinen zum Zwedcbegrif^ sondern um die Beleuchtung 
der Rolle, welche die Idee des Zwecks in einer Reihe von 
Grundwissenschaften stielt, sowie um die Leistung dieser Idee 
bei der Deutung des allgemeinen Seins und Werdens. Einzel* 
heiten werden hier nur so weit betrachtet, als sie dazu dienen 
können, die prinzipielle Bedeutung teleologischer Erklärung 
und Beurt«iung ffir die betrefEenden Gebiete zu zeigen. Auf 
die Unterscheidung des explikativen und normativen 
Zweckbegriffii, der bloßen Deutung und der kritischen Wertung 
nach Zwecken, wird Gewicht gelegt. 

Die Teleologii^ dwen Grundzflge hier entworfen werden, 
hat einen mon istisch- voluntaristischen Charakter. Sie 
anerkennt und betont die Geschlossenheit des Kausal» 
Zusammenhangs überhaupt und der Naturkausalität, die 
Eindeutigkeit des Geschehens wird festgehalten. Die Ziel- 
strebigkeit in der Natur wird metaphysisch als Äußenmg oder 
Erschdnung eines „Willens** aufgefaßt, der aber nie als 
„Ursache" physischer Phänomene, stets nur als ,Jnnmsein'* 
solcher gelten darf, und der im Anorganischen nicht mehr 
bedeuten kann als ein dumpfes, elementares Streben ohne 
Bewußtsein der Erfolge dieses Strebens, wie sie sich objektiv 
darstellen. Das Prinzip der „Heterogonie der Zwecke** ( Wunde^, 
der ZweckentwlckluDg ist überall von der größten Bedeutung. 
Die tatsächlich in der Welt bestehenden Zweckmäßigfkeiten 
sind das Ergebnis des Zusammenwirkens äußerer und innerer 
Faktoren, also nicht schon ursprüng-lich vorgewußt und vor- 
gewollt. Kausalität und Zweck, Mechanismus und Xeleoiogie 
bilden keine unüberwindlichen Gegensätze, sondern das an sich 



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IV 



Vorwort. 



einheitliche Geschehen ist je nach seiner Aoftassnng kausal 
und zielbedingt zugleich. Die durch unser Denken kausal 

verknüpften Vorg-änge bringen einen Zusammenhang von 
Strebungen zum Ausdruck, denen „primäre", unmittelbarste» 
innere Ziele immanent sind. Es gibt keine besonderen „Zweck- 
Ursachen", sondern alle Ursachen sind der Ausdruck ziel- 
strebiger Faktoren. Der Zweck selbst ist keine Ursache, sondern 
gibt den Ursachen eine Richtung, wobei aber die Abhäng^ig- 
keit der Ursachen des Geschehens voneinander zu beachten 
ist — Bei der normativ-teleologischen Beurteilung von Taten 
und Zustanden handelt es sich um die Entscheidung über 
Zweck- und Normgemäßheit, die zwar mit einer kausalen 
Erklärung direkt nichts zu tun hat, aber eine solche keines- 
wegs ausschließt. 

Der Verfasser steht auf dem Boden des Kritizismus, 
den er voluntaristisch, aber nicht psychologistisch ausbaut, 
indem er scharf zwischen subjektiver Willenstatigkeit und ob- 
jektiver Geltung von Willensinhalten (Gewolltem) unterscheidet. 
Aus den Ausführungen im Texte wird man ersehen, auf 
welche Weise es möglich ist, Voluntarismus und Logis- 
mus zu vereinigen, und wie innerhalb des Transzendentalis- 
mus, bei strenjTfster Betonung- der apriorischen Voraussetzungen 
der Erkenntnis, Platz für eine kritische Metaphysik verbleibt. 

Da das Buch auch einem weiteren Leserkreis zu- 
gänglich sein soll, so wurden ermüdende Polemiken mit ein- 
zelnen Autoren mög-lichst vermieden, ohne dal5 es an kritischen 
Auseinandersetzungen und weitreichender Berücksichtigung 
anderer Standpunkte und Theorien fehlt. Die historischen 
Nachweise dienen nur zur Orientierung- über die typischen 
Formen der Teleologie; im übrigen nmß auf die in Aussicht 
gestellte Geschichte des Zweckbegriffs von Baumker verwiesen 
werden. 

Ein reichhaltiges Literaturver7eichnis soll den Leser 
mit Schriften bekannt machen, in denen er Material für weitere 
Forschungen auf dem Gebiete der Teleologie finden kann. 

Wien, Februar 1914* 

Der Verfasser. 



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Inhaltsverzeichnis. 



I. Allgemeiner Teil. 

Erstes Kapitel: Wesen ond Arten der Teleologie i 

Zweites Kapitel: Teleologische Begriffsbestimmungen .... 30 

Drittes Kapitel: Kausalität tmd Finalitat 38 

Viertes Kapitel: Zielstrebigkeit und Zweckmäßigkeit 55 

Fünftes Kapitel: Explikativer und normativer Zweckbegriff ♦ . 65 

II. Spezieller Teil. 

Sechstes Kapitel: Mechanismus, Psychismus, Finalismus ... 81 

Siebentes Kapitel: Der Zweck in der Biologie 101 

Achtes Kapitel: Der Zweck in der Psychologie 129 

Neuntes Kapitel: Der Zweck in den Geistes- und Kulturwissen - 
schaften ; 152 

Zehntes Kapitel: Der Zweck in den Sozialwissenschaften . . . 165 

Elftes Kapitel: Der Zweck in der Geschichte 19a 

Zwölftes Kapitel: Der Zweck in der Ethik 204 

Dreizehntes Kapitel: Der Zweck in der Ästhetik 220 

Vierzehntes Kapitel: Der Zweck in der Logik und Erkenntnis - 
theorie 22Q 

Fünfzehntes Kapitel: Der Zweck in der Metaphysik 252. 



TJteratnrv«»r7eirhnis . . , , . . . . . . . . . . . . 268 

Namenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 



Eitler, Der Zweck. 



b 



L Allgemeiner Teil 



Erstes Kapitel. 
Wesen und Arten der Teleologie. 

MTeleologie" bedeutet wörtlich Zweckmafiiglceitslehre 
(tikews, vollendet), kann aber auch im weiteren Sinne als Lehre 
vom Zweck (tiXog) und von dem, was damit ztuanmienliangt, de- 
finiert werden.*) Im engsten Wortsinne versteht man unter 
einem „Teleologen" einen Anhänger der Lehre, daß die in der 
Welt vorhandene Zweckmäßigkeit auf das Wirken von ziel- 
strebigen und zwecksetzenden Faktoren zurückzuführen sei» 
da0 Zwecke direkt oder indirekt das Geschehen bestimmen und 
daher zu dessen Begreiflichkeit dienen. Die so bestimmte Teleo- 
logie steht im Gegensätze zur antiteleologischen, rein „kausa- 
listischen" oder „mechanistischen" Weltanschauung, nach wel- 
cher es keinerlei „Finalitat", keine „Zielstrebigkeit", nur ein 
notwendiges Hervorgehen von Wirkungen aus bewirkenden 
Ursachen gibt. 

Daß in der Welt Zweckmäßigkeitstatsachen bestehen, j^eben 
alle, Anhänger wie Gegner der Teleologie im engeren Sinne 
zu, mögen sie auch betreffs des Umfanges und Grades derselben 
oft bedeutend voneinander abweichen. Aber die Erklärung der 
Bedeutung und des Zustandekommens der Zweckmäßigkeit fällt 
sehr verschieden aus, je nachdem man eben Teleologc ist oder 
nicht. Im ersten Falle behauptet man, Zweckmäßigkeit sei schUeß- 
lich nur begreiflich, wenn sie direkt oder indirekt vorgesehen, 
beabsichtigt, erstrebt, gewollt ist, wemi es zum mindesten in der 



*) Zuweilen bezeichnet man mit „Teleologie" die Zweckmäßigkeit 
sdbst 

KiiUc, Dw Zwtdt. 1 



Weh eine — wenn auch noch so vage — Zielstrebigkeit gibt, 
oder wenn das Zukünftige irgendwie die Gegenwart beeinüufit. 
Der Zweck ist es, der die Ursachen des Geschehens so be- 
einflußt, daß sie bestimmte Wirkungen, welche herauskommen 
sollen, im Gefolge haben müssen. Wohl wird, meint man oft, 
alles Werden von Gesetzen beherrscht, wohl ist der Kausalnexus 
allgemeingültiger Art. Aber alle Notwendigkeit des Geschehens 
ist schließlich doch nur eine bedingte, und die Kausalität und 
Gesetzlichkeit selbst ist abhängig von Zwecken irgendwelcher 
Art, sie dient nur zu deren Erreichung oder Verwirklichung. Die 
Ordnung und zweckvolle Gestaltung der Dinge kann hiernach 
nicht das Produkt des bloßen ,, Zufalls" sein, auch kann sie 
nicht bloß „blinden" Kräften entspring-en ; es ist gegen alle 
Wahrscheinlichkeit, daß durch diese allein die zweckvollen Kom- 
binationen in der Welt entstehen oder die Oberhand gewinnen 
können. 

Hingegen bestreitet die Antiteleologie die Notwen- 
digkeit und Möglichkeit der Annahme von Zweckursachen oder 
Zielstrebigkeiten. Alles, was geschieht, erfolgt naturgesetzlich 
als Wirkung von Ursachen, die wieder Wirkungen anderer Ur- 
sachen sind, wobei alles Geschehen eindeutig durch die Ver- 
gangenheit, durch zeitlich vorangehende Ursachen und Kräfte 
bestimmt ist. Der Zweck kann, als etwas, was noch nicht 
existiert, sondern erst durch Kräfte ins Dasein gesetzt werden 
soll, nichts beeinflussen, gestalten ; er vermag nicht real zu wirken. 
Die Zweckmäßigkeit der Dinge, soweit sie ersichtlich wird, ist 
nicht das Werk von „Zweckursachen", sondern nur das Produkt 
des Zusammenwirkens äußerer und innerer Faktoren, die 
keineswegs auf die Erreichung eines Zieles, eines irgendwie anti- 
zipierten Erfolges eingestellt sind. Der Kausalzusammenhang 
in der Natur ist ein geschlossener, nirgends bleibt i'latz für das 
Eingreifen übernatürlicher Agentien. Ja, so wird oft erklärt, auch 
das Psychische wirkt nicht auf das Naturgeschehen ein, sondern 
geht diesem nur parallel, als das „Innensein" oder als eine Er- 
scheinimg oder als eine P>ctrachtungsweise desselben Geschehens, 
das von einem anderen Gesichtspunkte sich als physisch, materiell 
(bzw. energetisch) darstellt. Als Faktoren der organischen Zweck- 



Ent« Kapitd. Wcs» «ad Arten der Tdcelogie. 



8 



mafiigikoten bezeichnet man teils den „Zufall", das gluckliclie 
Zusammentreffen gunstiger Bedingungen, teUa die direkte Wir- 
kung der Umwelt, teils die Selektion, die natfirUdie Auslese im 
Daseinskampfe, teils die aktive Anpassung durch funktiondle 
Übung u. dgl. Die Zweckmäßigkeit der Lebewesen und ihrer 
Organe ist nicht von vornherein gewollt oder gegeben, sondern 
das Resultat einer Entwicklung, das Produkt einer allmählichen 
Anpassung an die natürlichen Lebensbedingungen ; sie ist etwas 
Gewordenes, ist rein kausal oder mechanisch zu erklären.*) 

In schärfstem Gegensatze steht nun dazu diejenige Form 
der Tcleologie, welche man als „Nützlichkeitsteleologie" 
bezeichnet. Anstatt die Dinge durch Rückgang auf bewirkende 
Ursachen und determinierende Naturgesetze zu erklaren, glaubte 
ue meist genug getan zu haben, wenn sie angab, wozu die be- 
treffenden Dinge da sind oder dienen, wozu sie „bestimmt" sind. 
Diese Art der Teleologie hat in der Regel einen anthropozentrischen 
Charakter, sie bezieht alles auf den Nutzen des Menschen, um den 
sich alles in der Welt dreht {Sokrates, Stoiker u. a.); sie erklart 
z.B., wo sie in grober Form auftritt, das Dasein der Sterne daraus, 
daß sie dem Menschen bei Nacht leuchten sollen (Chr. WUff), Eine 
solche Teleologie wird begreiflicherweise nur zu leicht zu einem 
asylum ignorantiae ; sie verdient daher denBeinamen der „faulen" 
Teleologie, sofern sie die Kausalerklärung, das Forschen nach 



<^ Gegner derTdeoIogie smdJDtemolbrtf, J^pflhir, £«erw, Bowo«, SoMe», 

D&cartea (f Qr die Phjsik im weiteren Sinne), Spinoza (der aber ein uni- 
versales Erhaltungsstreben lehrt), Holbach, Ooethe u. a., L. Büchner, Spencer, 
Hacckel, Darwin, CameriyStrauß, die mechanistischen Biologen u.a. Typisch 
fOr den extremen Antiteleologismus ist die Auffassung A'ietzscAM: „Der Zu- 
fall kann die sdKknste llModie erfinden". „In der unendlichen Ffllle von 
wirklidken Fallen mftssen anch die gfinsdgen oder zweefanftfligen sein**. 
„Jene eisernen Hände der Notwendigkeit, welche den WQrfelbecber 
des Zufalls schüttein, spielen ihr Spiel unendliche Zeit, da müssen 
Würfe vorkommen, die der Zweckmäßigkeit und Vernünftigkeit jedes 
Grades vollkommen Ähnlich sehen" (Werke IV, XII, XV; E. Fönter^ 
JHefeidk«, Das Leben Mietisehcs, 1895, I, 354 ff.). Aber NUtMtAeM „Wille 
anr Macht**, der aUem Geschehen zugrunde liegt, ist doch seibat ein 
tdeologisch wirksames Prinzip (vgl. SUttTt Nietzsches ErkcnnUiislehre 
und Meuiphysik, 1909). 

1* 



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I. AUfOddacr TdL 



dem "Wie und Wodurch des Geschehens umgeht. Ganz abge- 
sehen davon, dafi es in vielen Fällen gar nicht möglich ist, mit 
Bestimmtheit zu erkennen, welchen äufieren Zwecken die Dinge 
im einzelnen dienen, wozu sie eigentlich da sind. 

Die Nützlichkeitsteleologie gehört zur Gattung der „trans- 
zendenten" Teleologic. Diese führt die Zweckmäßigkeit der 
Dinge auf eine zwecksetzende, intelligente Macht außerhalb der 
Dinge zurück. Diese Macht hat etwa die Bestandteile der Welt 
einander so angepaßt, daß sie zur Erfüllung des Weltzweckes 
zusammenwirken müssen, Gott hat in seinem Geiste die Ur- 
bilder (Ideen) aller Dinge, und er hat die Welt nach diesen 
Musterbildern oder idealen Typen geschaffen. Die Ordnimg und 
Gesetzmäßigkeit des Geschehens in der Welt ist durchaus be- 
dingt durch die von Gott gewollten Zwecke. Es besteht femer 
eine „Zielstrebigkeit" {K. E. v, Baer) als eine Richtung der Dinge 
auf bestimmte Ziele, auf die sie angelegt sind. 

Die oberste zwecksetzende Ursache (der „erste Beweger") 
hat die „bewirkenden" Ursachen so „disponiert", daß sie so- 
wohl auf einander als auf die Vollkommenheit des Weltganzen 
hin geordnet erscheinen ; es sind Kräfte und Anlagen (Disposi- 
tionen) in ihnen vorhanden, welche sich zielstrebig in bestimm- 
ter Richtung- auswirken. Die Weltordnung ist eine vernünftige, 
das Weltgeschehen ein planmäßiges, einen , .Weltplan" verwirk- 
lichendes. In den erkennenden Wesen erst kommt es zu einem 
zweckbewußten Handeln. Hier besteht nicht bloß ein Gerichtet- 
sein" der Dinge, Naturkräfte und Bewegungen auf bestimmte, 
von Gott beabsichtigte Effekte, sondern auch ein bewußtes Be- 
gehren des „Guten", der einem We.sen entsprechenden Vollendung 
oder Vollkommenheit, die den „immanenten" Zweck des Wesens 
bildet. Der Zweck wird hier in der Vorstellung, durch den In- 
tellekt erfaßt, er wird als etwas Wertvolles erkannt, und diese 
Einsicht wirkt wieder auf das Begehrungsvermögen, von dem 
dann die rein kausale Verwirklichung des erstrebten Zweckes aus- 
geht. Von immanenten, inneren, in den Wesen selbst verblei- 
benden Zwecken kann aber auch schon bei den nicht erkennenden, 
eines Zw^cckbewußtseins nicht fähigen Dingen die Rede sein. 
Als teleologische Formel gilt hier allgemein der Satz: Das 



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Entes Kapitel. Wesen und Arten der Teleologie. 



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Ganze geht ideell den Teilen voran, mag es auch real und der 
Zeit nach das Spatere, das Letzte sein. Dieses Ganze ist bei 
den Organismen die ihnen dgentfindiche MForm", ihr individnell 
besonderter „Typus". Was in den Organismen geschieht, ist 
eine Entfaltung von Potenzen, die auf eine Betätigung im Sinne 
des Ganzen gerichtet sind. Das ideell vor der Funktion be- 
stehende „Wesen" des Dinges, die „Vollkommenheit*' desselben, 
realisiert und entfaltet sich selbst durdi den Übergang aus der 
Potenz in die Aktualität. Der Zweck, die organische „Idee", 
formt den Stoff von innen her, gibt ihm seine Gestalt und ist der 
tiefste Grund, aus dem die Bewegung oder Veränderung dies 
Dinges erfolgt. Das einzelne Organ ist um einer bestimmten, 
der Natur des Wesens angemessenen Tätigkeit willen da, die 
wiederum im Dienste des Ganzen steht. Alles ist zielstrebig, 
und die Zweckmäßigkeit der Dinge wird nur durch die Endlich- 
keit derselben, durch die Widerstände der Materie beschränkt, 
oder äußere Umstände sind es, wodurch Unzweckmäfiigkciten 
in die Welt kommen. 

Im folgenden seien nun einige typische Richtungen 
der transzendenten und immanenten Teleologie zur Darstellimg 
gebracht. Aristoteles rechnet den Zweck oder das Ziel (r^Aog, av 
&»£xcr) zu dien „Prinzipien" oder „Ursachen" {oQxai, altiai, Meta- 
physik V, 2). „Anderes ist Ursache der Dinge als Ziel und 
als Gutes ; denn das, wofür etwas geschieht, will das Beste und 
das Ziel des anderen sein, wobei es gleichgültig ist, ob es das 
wirkliche Gute oder nur das erscheinende Gute ist." Alles 
Werden erfolgt eines Zieles wegen, und dieses geht logisch dem 
Vermögen, es zu erreichen, zu verwirklichen, voran (IX, 8). Die 
Wirklichkeit strebt nach der Vollendung des Zieles. Die „Form" 
des Dinges ist zugleich dessen immanentes Ziel, dem es als 
seinem V'ollendiingszustand zustrebt. Nichts in der Natur ge- 
schieht ziellos (jitdrr^v), wenn auch infolge der Hemmungen 
seitens des Stoffes nicht alles zweckmäßig ist. Oberstes Ziel 
aller Bewcg^nig und Veränderung, aller Verwirklichung von Po- 
tenzen, ist die Gottheit, der „unbewegfte Beweger", der durch 
Liebe alles bewegt {yuvel wg (Qioufvov) indem alles ihm zustrebt 
(XII, 7; De coelo I, 2, 4; De anima III, 12; Physik Ifl.). Die 



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I. AUfemdner TdL 



Natur ist eine Stufenfolge von Zweckverwirklichungen brw. 
von „Entelechien", deren niedere den höheren untergeordnet 
sind. Die Seele ist die „erste Entelechie" des Organismus, die 
zielstrebige ,J'V)rni"' desselben. 

Auf die Fra^e nach dem Ziele der Weltentwicklung verweist 
die Scholastik auf das Verhältnis zwischen Welt und Gott. 
„Das Geschöpf kann kein anderes Ziel haben als den Ruhm des 
Schöpfers. Dieser Ruhm bekundet sich zunächst in der Be- 
trachtung des Weltschauspiels durch den unendlichen Geist, 
ferner in der Erkenntnis desselben durch andere Geister aus 
der Betrachtung der wunderbaren Weltordnung" (M. De Wu 
Geschichte der mittelalterUchen Philosophie, 191 3, S. 246). 
Nach TJiomas von Aquino z. B. ist der Zweck die „Ursache 
der Ursachen". Alles Tätige strebt in seinem Wirken nach 
einem Ziele, ist auf einen bestimmten Effekt gerichtet, ist um 
eines Guten willen tätig („omne agens agit propter bonum"). 
Die causa finalis", der ein Agens zur Tätigkeit bestimmende 
Zweck, ist die erste unter allen Ursachen. Das Endziel aller 
Dinge ist Gott („finis reruni omnium"). Von ihm geht schließ- 
lich alles Streben der Dinge („appetere") nach dem ihnen ge- 
mäßen Guten oder Vollendungszustande aus (Contra gentiles 
III, 2 f f. ; Summa theolog. I — II; vgl. Steinbüchel, Der Zweck- 
gedanke in der Philosophie des Thomas von Aquino, 191 2). — • 
Nach Stöckl-WohhmUh {Lehrbuch der Philosophie II, 8. Aufl., 
1912, S. 414 ff.) ist Zweck, Ziel oder Finalursache „jene Realität, 
welche durch die Tätigkeit der Wirkursachen ins Dasein gescizt 
wird und infolgedessen als Effekt oder Terminus bezeichnet 
wird . . solange sie nur als Vorstellung gegeben ist und in diesem 
idealen Zustande auf die Wirkursache Einfluß übt". Der Zweck 
wirkt auf die causa efficiens und versetzt sie in den Akt des 
Wirkens, indem er veranlaßt, daß sie ihm selbst das reale Da- 
sein verleiht. Der Zweck hat keine „physische Existent', er 
ist „intentio, idea", Idee. Er reizt die Wirkursache «1 seiner 
Verwirklichung an („allicit"). als yorgestdltes und! begehrtes 
Gut, durch Einfluß auf den Intellekt und Willen („appeti"), durch 
Erregung von „Liebe". 

Nach Leümiz (vgl. Hauptsdiriften tat Grundlegung der 



Bnlet Kapild. Wew« rad Ailn der Tdeologie, 



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Philosophie, 2. Aufl. 1904/06) erfolgt alles Geschehen in der Welt 
in strenger Gesetzmäßigkeit. Die Natur ist ein gewaltiger Me- 
chanismus (als Erscheinung eines Systems immaterieller „Mo- 
naden"), eine lückenlose Kette kausal verknüpfter Vorgänge. 
Aber die Gesetze des Geschehens selbst sind durch die göttliche 
Wahl der bestmöglichen Welt bestimmt, und der Mechanismus 
dient der Verwirklichung des Guten. Die Quelle der Mechanik 
liegt in der Metaphysik. Leibniz betrachtet das physische Ge- 
schehen so, als ob es ein gewisses Ziel verwirklichen sollte, und 
betont die methodische Fruchtbarkeit dieser Auffassunj:^, nur daß 
er damit auch den Glauben an die reale Bestimmtheit des Ge- 
schehens durch den Weltplan verbindet. Alles ist in den Dingen 
ein für allemal mit so viel Ordnunc^ und Angemessenheit geregelt, 
als nur möglich. ,,Man könnte die Schönheit des Universums aus 
jeder Monade erkennen, wenn man alle ihre Falten aufzudecken 
vermöchte." Vermöge der „prästabiUerten Harmonie" ist alles 
einander angepaßt und führt alles zum Besten, und zwar auf rein 
natürHchem, gesetzlichem Wege. In den Monaden, den imma- 
teriellen, einfachen Substanzen selbst besteht eine immanente 
Zielstrebigkeit, die Tendenz, von einem Zustand zum anderen 
stetig überzugehen und sich so innerlich zu entfalten, zu voll- 
enden; die Monaden heißen, als ihr Ziel in sich tragend» 
„Entelechien". 

Nach Chr. Wolff verwirklicht Gott nicht alles, was sein Ver- 
stand hervorbringt, sondern nur dasjenige, „was er vorher be- 
dacht hat, daß es kommen soll". Gott handelt als vernünftiges 
Wesen nach Absichten, die er durch das Wesen der Dinge zu 
reaUsieren trachtet. So ist z. B. „die Abmalung der Körper 
durch das Auge die Absicht, welche Gott mit dem Auge ge- 
habt". In der Welt ist das Vorhergehende ein Mittel zum Folgen- 
den, die Welt ist Gottes Mittel, der Mechanismus dient den 
göttlichen Absichten. Das Endziel von allem ist aber, daß ,,die 
Welt Gottes Vollkommenheiten als in einem Spiegel vorstellet", 
denn Gott hat die Welt gemacht, um seine HerrUchkeit zu offen- 
baren. (Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der 
Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, 7. Aufl., 1738, 
Bd. I, S. 1026 ff.) 



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T Allgemeiner Teil. 



Als eine („ideale") Kategorie des Denkens bestimmt den 
Zweckbegriff Trendelenburg. Das Ganze geht den Teilen logisch 
voraus, als Idee, Gedanke, Ziel. Die Kräfte stehen im Dienste des 
sie durchdringenden Zweckes. In den Organismen treibt der Zweck, 
die Idee, der Typus von innen zur Funktion und Entwicklung, 
indem er den Widerstand des Stoffes überwindet. Ebenso wirkt 
der Zweck im Psychischen; die Seele ist der innere Zweck (die 
„Entelechie") des Organismus, der sich in ihm selbst verwirk- 
licht. In der Natur ist alle Bewegung und deren Gesetzlichkeit 
schon durch den Zweck beding^ ; er gibt den Ursachen die 
Richtung und ist das Prinzip der Ordnung, die „inwohnende, 
gestaltende Seele der Dinge". An sich ist er durch das schöpfe- 
rische, zeitlose Denken Gottes gesetzt, dessen Inhalt sich in der 
Welt verwirklicht (Logische Untersuchungen, 3. Aufl. 1870). 

Eine objektive Kategorie, welche die „ideale und reale Seite 
der Welt zu «dner Einheit" vereinigt, ist der Zweck auch nach 
A, Dontr. Der Zweck setzt die Kausalität in Bewegung, ist als 
Zweckursache wirksam, realiaert sich beständig mittels der wir- 
kenden Ursachen. So ist die Zweckklee im gesamten Orgaids- 
mus allgegenwärtig, sie „bestimmt die Eigentümlichkeit der 
chemischen Prozesse, dSe Bildung der Gestalt, die ^mtfichen 
Funktionen". Es giht objektive, von unserer Wertung unab- 
hängige Zwecke (Erkenntnis, Sittlichkeit u. a.). Die einheit- 
liche Idee geht dem, was sie bestimmt, nicht zeitlich, aber begriff- 
lich voran, und modifiziert diu Geschehen an den Organismen. 
Die Kausalverknüpfung selbst findet in der teleologischen Ver- 
kettung ihre letzte Begründung. Die Welt ist bestimmt durch 
die Zweckidee, die realisiert werden soll, die causa effidens ist 
das ausführende Organ dieser Idee. Im Geistesleben wird die 
Teleologie bewußt, hier entsteht ein zielbewußtes Handeln und 
hier sind Ideale, d. h. oberste Zwecknormen, gültig; sie verlangen 
nach ihrer ReaBsterung dttrch die Tat vernünftiger Wesen im 
Prozeß der Geschichte (Enzyklopädie der Philosophie, 1910, 
S. 238 ff.). 

Lott» hingegen betont: „Aber kein Muster, kein Plan, den 
wir vielleicht als den Zweck eines Naturprozesses fassen, verwirk- 
licht sich von selbst; nur dann wird er sich voUaehen, wenn die 



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Entei K«pitd. W< 



«nd Altes der Tdeol<^e. 



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Stoffe, in deren Gestaltung- er erscheinen soll, durch eine ur- 
sprüngliche Anordnung' ihrer Verhältnisse von selbst genötigt 
sind, durch ihre Krälte nach den allgemeinen Gesetzen des Natur- 
laufes das hervorzubring-en, was er gebietet. So übt er stets nur 
eine scheinbare Macht aus, und so wenig wir die Idee der Un- 
ordnung als ein tätiges und treibendes Prinzip in einer regel- 
losen Reihe von Veränderungen ansehen, so wenig dürfen wir 
die Idee irgendeiner Ordnung als die bewirkende und erhaltende 
Ursache eines regelmäßigen Kreises von Ereignissen betrachten. 
In beiden Fällen geschieht, w-as nach der einmal gegebenen I->age 
der Sachen geschehen mußte, und der Vorzug des letzteren be- 
steht nicht in einer stetig handelnden Zwecktätigkeit, sondern 
in einer beständig nachwirkenden Zweckmäßigkeit der ersten 
Anordnung." „Wohl mögen die Ideen am Anfang der Welt die 
bestimmenden Gründe für die ersten Verknüpfungen der Dinge 
gewesen sein; in ihrer Erhaltung dagegen sind es die Wirksam- 
keiten der Teile, die den Inhalt der Ideen realisieren" (Mikro- 
kosmus I, 1869, S. 73 f.; 5. Aufl., 1896 f.). Der gesamte Kausal- 
zusammenhang und Mechanismus steht nach Lotze im Dienste 
des Weltzweckes, verwirklicht diesen in streng gesetzlicher 
Weise. 

Nach E. von Hartmann ist der Zweck eine Ivategorie. Er 
ist das „ideelle primum movens" und bestimmt das Gesetz, nach 
welchem die Kausalität selbst wirkt, die Richtung derselben. 
Kausalität und Finalität sind nur ,, verschiedene Aspekte einer 
und derselben Sache"; je nachdem man die Glieder der durch 
ein Ziel bestimmten Reihe betrachtet, sind sie Ursachen oder 
Mittel. In dem gegebenen Weltinhalt ist der Zweck schon mit- 
gesetzt, denn das „Logische", die „Idee" bestimmt das „Was" 
des Inhalts des „Alogischen", des die Existenz der Welt setzenden 
Willens des „Unbewußten". Überall ist eine unbewußte Zweck- 
mäßigkeit im Spiele, die zu objektiv zweckmäßigen Ergebmssen 
führt (z. B. durch den Instinkt) und in den höheren Wesen be- 
wußt wird. Der (rein negativ zu bestimmende) Weltzweck ist 
die „logische Venirteilung des Antilogischen", die Rückkehr des 
WiUens ans der Aktualität in die Ruhe und Einheit des Ab- 
soluten, das. dadurch erlost mrd (Philosophie des Unbewußten, 



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I. AIlfeaMiaer T«l. 



II. Aufl., 1904; Kategorienlehre 1896; System der Philo- 
sophie 1907 f.). 

Nach Frariz Erhardt, (Mechanismus und Teleologie, 1896) 
gibt es nur bewirkende Ursachen, causae efficientes. Von diesen 
aber ist ein Teil teleologisch, der andere nicht. Der 
Zweck selbst ist keine „causa" im streng^cn Wortsinn. Ursache 
ist eben nur ein bereits Vorliandencs, nie ein Zukünftiges. Nicht 
der Zweck wirkt, sondern die aut ihn gerichtete Kraft oder die 
Anstrebung des Zweckes. Schon in der anorganischen Natur 
sind Kräfte vorhanden, welche auf die Erreichung eines be- 
stimmten Zieles hinarbeiten (Kristall). In den Organismen sind 
spezifisch organische Kräfte wirksam, die an die organische 
Materie gebunden sind und in einer Attraktion und Repulsion 
sich geltend machen, in der besonderen Art dieser aber ihre Ziel- 
strebigkeit erweisen. Bei der Bildung des Organismus sind 
teleologisch wirkende Kräfte beteiligt, die im btiruchteten Ei 
selbst Hegen und in: Verein mit äußeren Bedingungen den 
Organismus hervorbringen, indem sie die zum Baue desselben 
nötigen Materialien von außen an sich heranziehen und in die 
Formen bringen, welche dem zukünftigen Organismus als 
Exemplar einer bestimmten Art zukommen müssen. Das organi- 
sierende Prinzip stellt sich dar als eine Summe ,, teleologisch 
spezifizierter, dem sich bildenden Organismus inhärierender 
Kräfte der Anziehung und Abstoßung". Die planvolle Anord- 
nung der Teile des Keimes ist das Werk der planmäßig wirken- 
den Kräfte im Keime selbst. Als Ursachen von Lebensfunk- 
tionen kommen auch psychische Faktoren, Bedürfnisse und 
Triebe in Betracht, die ebenfalls teleologisch wirken. Auch die 
Entwicklung der Organismen ist teleologiscli bedingt. Während 
die Materie wegen der Subjektivität der Anschauungsform des 
Raumes nur Erscheinung ist, existieren die Kräfte an sich. Die 
Gesetze der Mechanik sind allgemeingültig, aber sie sagen nichts 
über die besondere Beschaffenheit d<er bewenden Kräfte aus, 
sie abstrahieren von diesen. Eine Wechselwirkung zwischen 
Psychischem und Ph3rsischem widerstreitet den Gesetzen der 
Mechanik nicht. 

Nach J. Laehe&er stellt der Zweckbegriff, als Ergänzung 



Ekatet Xa|illd. 



Md Arten der Tdeologie. 



11 



der die blo8 äufierlich verbundenen Reihen der Erscheinungen 
herstellenden Kategorie der Kausalität, einen inneren Zusammen* 
hang der Wirklichkeit her. „Die erste Einhdt der Natur war die 
rein äufierliche Einheit einer absoluten Mannigfaltigkeit . . . 
Aber der wechselseitige Einklang aller Teile der Natur kann nur 
aus der Abhängigkeit eines jeden vom Ganzen herrühren; daher 
mufi in der Natur die Idee des Ganzen dem Sein der Teile voran- 
gegangen sein und es determiniert haben ; kurz, die Natur muB 
dem Gesetz der Zweckursachen unterstehen." Auf den finalen Be- 
ziehungen beruht die harmonische und systematische Einheit der 
Natur. Etwas ist nicht nur als Folge einer Ursache notwendig, 
sondern auch, sofern es zur Verwirklichung- eines noch ideellen 
Zieles beiträgt; und dies ist ein neuer Grund, der das Auftreten 
einer Erscheinung zwar nicht aus absoluter Notwendigkeit, aber 
aus einem Prinzip der Ordnung" und Übereinstimmung bestimmt. 
Die teleologische Einheit der Wesen ist das wahre „Noumenon" 
oder „An sich" der Dinge. „Die wahren Gründe der Dinge sind 
die Zwecke, welche unter den Namen von Formen die Dinge 
selbst konstituieren." Jede Erscheinung — welche das kausale 
Denken als Bewegung auffassen muß — ist „das Produkt einer 
auf ein Ziel gerichteten Spontaneität", also die Entfaltung und 
Äußerung einer Kraft ; die Finalität kommt in der Tendenz zur 
Bewegung zum Ausdruck. In allem Mechanischen ist die 
FinaHtät die „verborgene Triebfeder". Die Organisation ist nur 
eine besondere Form der Finalität, ein System einheitlich ge- 
richteter Kräfte. Das Leben ist die dynamische Einheit des 
Gesamtorganismus", die Seele die dynamische Einheit der Be- 
wiißtseinsvorgänge. Die Organismen sind Ideen, die durch 
inneres Wirken die Form, in der sie sich manifestieren, selbst 
hervorbringen (Die Grundlagen der Induktion, 1908). 

Einen „Pantelismus" *) auf der Grundlage eines „kritischen 
Personalismus" begründet in origineller Weise L. WUUavi Stern 
(Person nndSache I, 1906). Alsdas Wesentlichedesmetaphysischen 
„Personbegriffs" (im weitesten Sinne) betrachtet er „die Fähig- 



*) Lehre von der realen GQlti^eit des Zweekb^griffs fftr alles 
Geschehen. 



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12 



I. AIlgeiBdiier Tdl. 



keit zu zielstrcbig^em Tun und die Selbstwertigkeit". Der „Person" 
steht die „Sache" gegenüber, die durch die Bestimmungen: Ag- 
greg^at, Quantität, Passivität, Mechanismus, indifferente Existenz 
charakterisiert wird, während die „Person" Einheit, Qualität, 
Aktivität, Telcologie, Selbstzweck einschließt. Die „Person" 
ist „ein solches Existierendes, das. trotz der \^iclhcit der Teile, 
eine reale, eigenartige und eigenwertige Einheit l)il(let und als 
solche, trotz der Vielheit der Teilfunktionen, eine einheitliche, 
zielstrebige Selbsttätigkeit vollbringt". Ihre Tätigkeit ist „ziel- 
strebig", d. h. „das von ihr ausgehende Geschehen ist so be- 
schaffen, daß es geeignet ist, einen bestimmten Zustand herbei- 
zufüiiren, welcher für die Person ein relatives Optimum bedeutet. 
Zu den Bedingungen ihrer Tätigkeit gehören nicht nur Ver- 
gangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft". Die 
Person ist ferner eigenwertig, d. h. sie ist um ihrer selbst willen 
da, sie hat Selbstzweck, ist unersetzbar (hat „Würde"). „Person" 
ist „jedes reale Ganze mit einheitlich zielstrebiger Tätigkeit, mag 
dieses nun, in anderer Beziehung betrachtet, nur der Teil einer 
anderen Person sein, wie die Zelle, oder mag es, wie etwa das 
Volk, selbst andere Personen unter sich befassen. Ja auch eine 
,Sache' kann . . ,, obgleich sie nicht , Person' ist, aus Personen 
bestehen (z. B. : ein Zellklumpen, ein Verein)". Eine Hierarchie, 
eine stufenweise Übereinanderschichtung von Personen ver- 
schiedener Rangordnung besteht. Die Welt ist ein sinnvolles 
System selbsttätiger und zielstrebiger Wesen und stufenweise 
übereinander geordneter W^erte, Die Zielstrebigkeit ist eine 
immanente: ,,Die Personen wirken als Ganzes auf ihre Teile 
und ftmktionieren hierdurch zielstrebig für sich selbst, sich er- 
haltend und entfaltend." Die immanente Kausalität ist zugleich 
immanente Teleologie. Der Begriff der „Sache" und des Mecha- 
nischen wird aus dem Prinzip der „Person", aus dem Teleo- 
logischen abgeleitet („Teleomechanik"). Die Kausalität selbst ist 
teleologisch aufzufassen (»«teleologische Kausalität"); es gibt 
Wirkungsfaktoren, die in ihrer Beschaffenheit selber durch 
das zu erreichende Ziel bestimmt sind. Die Naturgesetze 
sind an «di nur eine „tdeomedianische Selbsterlialtungs- 
norm". 



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Entes K«irftd. WcMa md Arten der Tdeologie. 



13 



Eine immaiiente Teleologie, wie sie sieb auch oft mit 
der tranttendenten ver1>indet, finden wir auch im „Vitalismus" 
und „Neovitalismus" vertreten. Im Organischen wiricen auBer 
den physikalisch-chemischen Kräften besondere Faktoren» Agen- 
den zielstrelnger Art Sie sind spezifische» Lebens- 
potenzen (bzw. „Lebenskräfte")» die man annimmt, weil das 
Eigenartige des Lebensprozesses aus rein mechanischen Be- 
dingungen und Kräften nicht abzuleiten sei. Das I^ben wird, 
nach vitalistischer Lehre, von einer besonderen Gesetz- 
lichkeit regiert, die in der Welt des Anorganischen noch 
nicht herrscht ; es besteht eine »Autonomie" der Lebensprozesse 
ifinmh). Für Erscheinungen wie die organischen Regula- 
tionen, Restitutionen, aktiven Anpassungen, Regenerationen, die 
Vererbung, überhaupt für die Fähigkeit, von den Teilen aus unter 
normalen oder anormalen Umständen ein sich gleich bleibendes 
Ganzes herzustellen, das immer wieder einem bestimmten Typus 
entspricht, gibt es hiernach im Anorganischen keine vollwertige 
Analogie. Weder die Entstehung und Entwicklung der Orga- 
nismen noch die Zweckmäßigkeit ihrer Funktionen läßt sich ohne 
die Annahme von Kräften erklären, welche das zu erreichende 
Resultat irgendwie vorausnehmen, auf dasselbe gerichtet sind. 
Wohl gelten nach dem „Neovitalismus" auch in den Organis- 
men die physikalisch-chemischen Gesetze, und vieles geht da 
rein mechanisch-energetisch zu; aber die Kausalität der eigent- 
lichen Lebensprozessc selbst ist final, ist eine teleologische Kausa- 
lität, vom Zweck Ej^clcitet. Die zweckmäßige Struktur der Lebe- 
wesen und ihrer Organe („statische Teleologie") ist schon ein 
Produkt der Wirksamkeit der vitalen Faktoren („dynamische 
Teleologie"), die bereits im Keime des Organismus walten, in- 
dem sie dort das vorhandene Material mit „prospektiver Ten- 
denz" (Driesch), dem bestimmten Typus gemäß, ausgestalten. 
Im fertigen Organismus lenken die zielstrebigen Agentien, mögen 
sie mm Richtkräfte", Dominanten" {Reinke) „Entelechien" 
{Driesch) oder sonstwie heißen, die dem Lebewesen zur Ver- 
fügtmg stehenden Kräfte und Energien, so daß jeweils die er- 
strebten, zweckmäßigen Effekte herauskommen, sofern nicht zu 
große Störungen und Hemmungen dies verhindern. Diese 



14 



I. AllgeaelMr TcO. 



, Potenzen sollen nicht selbst energetischer Art sein, d. h. mecha^ 
nische Arbeit verrichten, sie sollen Ruch nicht die Konstanz der 
Energie aufheben, sondern nttr die Richtung derselben beein- 
flussen oder den Ubergang potentieller in aktuelle Energie 
aufhalten, „suspendieren" (bzw. diese Suspension aufheben; 

♦) J. Reinke unterscheidet „Kausalbeziehungen" und „Final- 
beziehungcn", welche beide räumlich und zeitlich miteinander verbunden 
seki können. Eine Maschine ist nnvorstdlbar ohne Finalbeiiehimg der 
TeQe anfefaiaader, nnd ihre Tätigkeit ist nnr von einer kausalen Ein- 
wirkung der Teile aufeinander zu erwarten. Die Vorgänge der Zdlen- 
bildung erhalten erst ihren vollen Sinn und Inhalt, wenn wir erkennen, 
„wozu sie geschehen, auf welches Ziel sie sich richten". Die Final- 
beziehung ergibt sich aus der harmonischen Vereinigung eines Kom- 
plexes von Kausalbezidinngen, die in jener konveigi^ren. Schon in der 
^maschinellen Struktur* nnd dem „maschinellen Betriebe" des Organis- 
mus zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen Kausal- imd Final- 
beziehungcn. Zwar ist das Kausalprinzip biologisch das erste unter den 
Forschungsmaximen, aber die Finalverknüpfungen sind in den Orga- 
nismen ^nicht weniger «nchtig und dazu meistens viel deutlicher und 
sldierer ericennbar als die kausalen*. Bdde Beadnmgen sind fonktionale 
Abhängigkeiten von Phänomenen. 

In der Biologie sind „Kausalbetrachtung und Finalbctrachtung zwei 
gleichberechtigte Methoden für die Erkenntnis und die Beurteilung der 
Pflanzenwelt und der Tierwelt''. Beide Methoden stehen als heuristische 
Maximen gidchwertig da. Wenn in den Oiganismen der abhängige 
Faktor hrflher da ist als der bedingende, sprechen wir von ^Sdatrebig- 
keit". FOr den Begriff der „Zweckmäßigkeit*' ist die »Einheitlichkett 
der Leistung eines gegliederten Ganzen wichtig". Der Zweck ist im 
Oi^anischen objektiv, real wirksam, wir tragen ihn nicht erst in dieses 
hinein. In den Organismen gibt es neben den energetischen auch 
ifUlchtenergetlsche Kräfte", „Systemkräfte, Dominanten nnd Seden- 
kräfte*. Die „Systemkräfte* hängen ab von der Sttuktur, den „System- 
bedlngungen" des Organismus; sie sind „mechanische" Kräfte, aber nicht 
energetisch, weil sie kein Arbeitsäquivalent und kein Arbeitspotential 
besitzen. Es kommt hier auf die Form der Teile an, und diese ist „eine 
Qualitätsbezichung, keine Quantitätsbeziehung, wie die Energie". Die 
„Dominanten* shid die „selbstbOdenden Kräfte" des Organismas, also 
die Kräfte, die -das organische System hervorgebracht haben, die nicht 
vorstellbaren Ursachen der spezifischen Systembedingungen in Tieren 
und Pflanzen. Sie leisten keine mechanische Arbeit, sondern beherrschen 
nur den im Organismus tätigen Energiestrom als „Richtkr&fte*. 



Ekltet K*piteL Weten oad Altes da Tdeologie. 



15 



In anderer WeUe präsentiert sich uns die immanente Teleo- 
logic (als „Atttoteleologie", Paufy) bei den Vertretern der „Psycho- 
biologie" oder des „Psychovitalismus". Auch hier bestreitet 
man die Möglichkeit einer rein kausalen oder mechanistischen 
Erklärung des Lebens. Aber man beruft' sich nicht auf die Wirk- 
samkeit unbekannter» hypothetisch , angenommener, erdachter, 
metaphysischer- Faktoren, sondern nimmt als Prinzipien von 
Lebensfunktionen Kräfte an, wie wir sie in uns selbst un> 
mittelbar vorfinden, erleben, und wie wir sie dann auf Grund 
einer Analogie auch den übrigen Lebewesen zuschreiben. Es 
sind das psychische Faktoren, von denen wir bei uns selbst un- 
mittelbar wissen, daß sie an dem Zustandekommen zweckmaBiger 
Handlungen beteiligt sind. Empfindungen, Vorstellungen, Ge- 
fühle, Strebungen, Triebe und Assoziationen, von manchen auch 



jyl&teDigaite* Kräfte sind sie, wdl es so aassieht, „als ob* sie wie ehie 

Intelligenz wirkten (Philosophie der Botanik, 1905, S. aaff.; Die Wdt 
als Tat, 4. Aufl., 1905; Einleitung in die theoretische Biologie, .190X; 
Naturwissenschaftliche Vorträge, 1908). 

Unter „Entelechie" versteht Driesch die „Eigengesetzlichkeit leben- 
der Körper, das in erweitertem Sinne wirkliche elementare Natur- 
agens, welches sich an ihnen äußert". Wir kennen sie bis jetzt nur 
in Verbindung mit materiellen Dingen, obschon sie keine „Eigenschaft" 
des Materiellen ist. Mit der Zcrtrennung der mit ihr verbundenen 
Körper teilt sie sich zugleich, bleibt aber dabei „ganz". Sie „benutzt, 
nach Art von Kompensationen, die Faktoren des Anorganischen, um 
das ihrer jeweiligen Eigenart Entsprechende herzustellen und regnla- 
torisch zu erhalten". Ihr eignet ein „Vorwissen*, ein „primäres Wissen 
und Wollen", was aber nur analogisrh , nicht psychologisch gemeint 
ist. Ihre Leistung besteht in einem regulativen „Kompensieren'* oder 
„Nichtkompensieren" von Potcntialdiffcrcnzen des Anorganischen. Den 
Bewegungsreaktionen stehen als Entdechien „Psychoide" vor (Der Vita- 
lismos als Geschichte Und als Lehre, 1905, S. 937 ff-; Die Bidog^e als 
selbstflndige Grundwissenschaft, 1893; Die organischen Regulationen, 
1901; Die „Seele" als elementarer Naturfaktor, 1903; Philosophie des 
Organischen, 1909; Zwei Vorträge zur Naturphilosophie, 1910; Ordnungs- 
lehre, 191a). Weiteres vgl. Kap. 6. — „Neovitalisten" sind ferner Bunge, 
lUM4jiu«d^ 0, Samern, Mofmeiater, G, Wolf, B, wn JforteMfm» K, C. 
SAmdkr, f. VaMSl .u. a^ denen als .Medianis^* JSwefcd^ Spmeer^ 
Ytrwomt J. £oe6, Kanovitz, 0. gut Btn»9m, CMdiekmät ZeMer, Abmom, 
JSMtcM» n. a. gegenflberstehen. 



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16 



I. AllgemdMr TcO. 



Unterscfaeidungs-, Urteils- und Wahlakte werden liier als tui' 
mittelbare Erzeuger organischer Zweckmäfiigkeit betrachtet. Ins- 
besondere wird hier den Bedürfnissen und Trieben eine groBe 
Rolle zugeschrieben. Alle aktiven Anpassungen beruhen darauf, 
daB das Bedürfnis nach Besatigung von Störungen und nach 
Herstellung gewisser Zustande den Impuls zu einer Tätigkeit 
gibt, die stets zielstrebig („teleokfin", Kohutamm) ist, aber oft 
erst nach wiederholten Versuchen wirklich zum Ziele führt Was 
erst erfolglos war oder doch nicht ganz zweckmäBig ausfiel, kann 
durch, den Einfluß der Übung und des Gedächtnisses vervoll- 
kommnet werden und dann selbst die Organe so modifizieren, daB 
sogar schließlich, wenn auch oft erst nach vielen Generationen, 
neue Arten entstehen. Schon die niedersten Lebewesen verfügen 
über ein — wenn auch noch unterbewußtes oder unbewußtes — 
Empfinden und Streben; ja sogar den Zellen der Organismen 
eignet die Fähigkeit, auf Reize mit psychischen Zuständen zu re- 
agieren. Mittels dieser stehen sie dann in einem inneren Zusammen- 
hang, auf dem die Solidarität des Verhaltens aller Teile des Organis- 
mus beruht. Bei aller „Zufälligkeit" der Mittel, die nicht von 
vornherein gegeben, sondern als die richtigen Mittel erst durch 
Erfahrung (Assoziation), Übung, Versuch, Erprobung gewonnen 
werden (Paw^y, FrancHx. a.), ist also der Tätigkeit der Lebewesen 
ein Ziel immanent, welches ihr und der organischen Entwicklung 
die Richtung gibt. — Dieser Lehre geht der ältere „Animis- 
mus" voran, nach welchem die Seele in unbewußter Weise 
ihren Körper aufbaut, gestaltet und lenkt {ArisMelet, Faracelmtt 
G. E. Stahl u. a.). 

Der Psychovitalismus der Gegenwart unterscheidet sich von 
älteren verwandten Anschauungen in verschiedener Hinsicht, so 
besonders dnrin, daß er meist die psychische Tätigkeit nicht in 
eine einzelne, mit dem organischen Leibe verbundene seelische 
Substanz oder Kraft vcrlco^-t, sondern sie in der Regel auf eine 
Vielheit von Elementen verteilt, auf l'otenzen, die den Be- 
standteilen des Organismus selbst anhaften. Ferner sind nach 
neuerer Anschauung die Zwecke, welche die Lebewesen an- 
streben, meist nicht von vornherein gegeben, also in keiner 
Weise prästabiliert ; sie erwachsen vielmehr erst aus den be- 



Öltet Kmpjtd. Wcwa «ad Alten der Teleolojtie. 



17 



Sonderen Umständen, die durch äufiere und innere Veranden 
rungen bedingt sind. Erst aus einer Summierung-- vieler ziel- 
strebiger Anstrengungen gehen die zweckvollen Gestaltungen 

der Organismen hervor.*) 

Von aller „dynamischen" unterscheidet sich die bloß „sta- 
tische" Teleologie dadurch, daß sie zwar die Struktur der Or- 
ganismen und organischen Elemente als eine teils ursprünglich» 
teils rl'irch weitere Anpassung zweckmäßige ansieht, die orga- 
nischen Funktionen und Entwicklungen aber auf bloße Kausalität, 
auf mechanische Ursachen zurückführt, bzw. auf Kräfte, die 
durch die Struktur, die Form des Organischen bedingt sind. 
Bestritten wird, daß irgendwelche Zweckursachen die Eindeutige 
keit des Kausalzusammenhanges aufheben. Die organischen 

*) Nach Ä. PatUy, dem Hanptvertreter dieser Richtung, bestellt 
die Zweckmäfli^eitaerzeiigaiig in einer «aktiven Synthese oder Asso- 
ziation zweier Erfahrungen, derjenigen eines Bedürfnisses und der 
anderen des sie befriedigenden Mittels, welche Assoziation durch ein 
Urteil abgeschlossen wird, d. i. durch den Schluß von der Wirkung des 
Mittels auf seine Zulänglichkeit zur Befriedigung''. Das Psychische ist 
eine besondere Energieart und wirkt als solche anf das Fhysischcy als 
«teleölogisclie Ursache*. Der konünnieriiche Regulator aller oiga- 
nischen Vorgänge ist das «Zustandsgefühl eines Sabjdda, das sich durch 
alle Phasen einer Handlung und durch alle Verkettung von Handluni^s- 
reihen hindurch als wirkende Ursache erhält^ als causa efficiens und 
finaiis zugleich, also causa iinaliter efficiens". Die organische Zweck- 
ntfi^^Eelt also beruht unmittelbsr auf der Wiricung des BedOrfoines 
nnd des „urteilenden Prinzips". Das Mittd zur Bedürfnisbefriedigung 
wird aber nur durch ein zufälliges Zusammmentreffen mit dem Zweck 
in Verbindung gebracht. Die gewonnene Erfahrung von der bestimmten 
Wirkung eines Mittels wird zum bleibenden Besitz des Organismus, ,in- 
dem er nun weiterhin stets, so oft die Initiajempfindnng einUrtt^ mit 
der Erzeugung des abhelfenden Mittds antwortet*. Herausgefunden, 
gewildt wird das Ifittel durch eine Art UrteiL Die Zustände der Einzel^ 
teile des Organismus strrihlen auf andere aus und fixieren sich dort; es 
besteht eine „suggestive Korrespondenz" zwischen den illementen des 
Organismus, jede Einzelzelle ist ein „dynamisches Abbild des Ganzen", 
Die Hauptqnelle der Unzweckmlfilgkeiten bilden die Enge des .Urteils* 
und die Gewohnheit Das Leben, das Psychische ist eine |,Welleigen^ 
Schaft*, und das Physische ist seine Erscheinung (Darwinismus nnd 
Lamarckismus, 1905, S. gff; Zeitschr. f. d. Ausbau d. Entwicklungs- 
lehre I). Vgl. A. Wagna, Geschichte des Lamarckismus, 1909. 

Eitler, Der Zweck. 2 



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L AUgcttdacr TcD. 



]^feinente besitzen von jelner dn Minimum an Zweckmäßigkeit» 
eine primäre Anpa&sung an gewisse Lebensbedingungen. Dam 
kommt die Fähigfkeit oder das Bestreben, g^egenüber Stöntngen 

die organische Form zu bewahren, wiederherzustellen. 

Eine „Maschinentheorie"*) des Lebens stellt . Schultz auf. 
Das Leben ist an „Biogene" gebunden, welche seit Ewigkeit 
als „Typovergenzmaschinen" bestehen und unter günstigen Um- 
ständen zu Organismen werden, infolge der Selektion sich dem 
Milieu anpassend. Das F'inale, Teleologische steckt nur in der 
Struktur der Wesen (mit deren „Streben zur Form"). Die orga- 
nischen Lebens- und Entwicklungsprozesse erfolgen rein kausal, 
mechanisch, eindeutig. Das Psychische wirkt nicht auf das Phy- 
sische, sondern geht demselben parallel (Die Maschinentheorie 
des Lebens, 1909). Die Maschinentheorie denkt jeden noch so zeit- 
fern gewählten Grundzustand als bereits geordnet und materiell. 
„War aber die Welt von Ewigkeit her sinnvoll, so bedürfen wir 
zur Erreichung des heutigen Kosmos weiter keiner Finalität" 
(Jahrbücher der Philosophie, 191 3, S. 168). Der maschinelle 
Kosmos ist die Erscheinung eines übersinnlichen (S. 187). — Ist 
man, wie J. Schultz, Anhänger des psycho-physischen Parallelis- 
mus und Panpsychist, so kann man gegen die Annahme von 
Strebungen, also immanenten Zielrichtungen, als „Tnnensein" des 
Kausalzusammenhangs und Mechanismus selbst, also nicht als 
Ursachen physischen Geschehens, eigentlich doch nichts einzu- 
wenden haben. 

Diese Ansicht ist zum Teil verwandt mit der älteren Theorie, 
welche Teleologie und Mechanismus in der Weise zu vereinigen 
sucht, daß nach ihr zwar das einzelne Geschehen in der Welt 
streng gesetzlich, kausal oder mechanisch erfolgt, aberdochnur auf 
Grund einer Weltordnung, vermöge deren alles so zweckmäßig 
als möglich verläuft oder doch dem Wcltplan sich einfügt. Die 
Gesetze des Geschehens selbst verbürgen die Zweckmäßigkeit 
desselben, und die Dinge sind, etwa durch eine „prästabilierte 
Harmonie" ^LeUmiz), einander von Anfang an aufs beste ange- 

*) Eine Art Maschinentheorie findet sich ferner bei A. Stöhr (Der 
Begriff des Lebens, 1910). Einen „Neomechanismus* vertritt M, Chdd- 
acKeid (Höherentwicklung und Menschenökonomie I, 1911). 



Enici Xi^UL yfuta ud Aitca der Tdeologic. 



19 



paßt, so daß die von Gott gewollte Weltordnung, die ihm als 
Idee vorschwebt, durch sie zur Verwirklichung gelangt. Der 
Mechanismus erscheint hier als ein Mittel im Dienste des V/tlt- 
Zvftckts (Zeibnü, Lotzen, a.). Daran schließt sich die Theorie, der 
zufolge Kausalität und Finalität im letzten Grunde eins sind. 

Ebendieselbe Reihenfolge des Geschehens, die wir von einem 
gewissen Standpunkt aus als eine kausale bestimmen, ist für eine 
Totalitätsbetrachtung, wie wir sie nur Gott zuschreiben können, 
zug-lcich ein einheitlicher teleologischer Zusammenhang. Es hat 
hiernach jedes Ding und jeder Vorgang in der Welt seine finale 
Bedeutung, es ist alles zugleich kausal und final bestimmt, deter- 
miniert {Sciielling^ Lotze, v. Hartmann, Sigtcart, Wundt u.a.). Dies 
kann etwa in pantheistischer (oder „panentheistischer") Weise be- 
gründet werden, muß also keineswegs einenTheismus einschließen. 
Man kann etwa lehren, allem Geschehen Hege eine Weltvernunft 
bder ein Weltwille zugrunde, und den Inhalt dieses universalen 
Prinzips bilde eine „Idee", die sich in der Welt entfaltet, reali- 
siert, so daß jedes Moment der W^eltentwicklung dieser Ver- 
wirklichung des Weltwillens oder der Weltvernunft dient {Hegel^ 
V. Hartmann u. a.). Die Dinge sind einerseits Zwecke, anderseits 
Mittel, letzteres im Hinblick auf den absoluten Weltzweck, der 
den Einzeldingen gegenüber transzendent, dem Universum und 
dem Weltwillen aber immanent ist. Mag auch im Einzelnen 
vieles unzweckmäßig erscheinen oder auf keinen sichtlichen 
Zweck hinweisen, das Ganze ist doch sinnvoll, vernünftig, und so 
hat auch schließHch das Einzelne seinen g^ten Sinn, es trägt 
irgendwie zum Ganzen bei, hat eine finale Bedeutung. 

Die Teleologie hängt aber nicht an der Forderung eines 
einheitlichen Weltzweckes, sie läßt sich auch rein plura- 
listisch, individualistisch gestalten. Dann sieht man von der 
Annahme eines den Dingen gesetzten und durch sie zu reali- 
sierenden Universalzweckes, eines obersten Zieles, nach dem 
alles strebt, ab und geht von den verschiedenen Zielen aus, 
welche die einzelnen Wesen anstreben. Diese individuellen 
Zielstrebigkeiten dienen zur Erklärung des Geschehens oder 
doch zur Deutung des Sinnes der im übrigen streng kausal ab- 
zuleitenden Vorgänge in der Welt. Der Pluralismus im weiteren 

2* 



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20 



I. AllfaHdiMr Ten. 



Sinne aber schließt nicht aus, daB man in den individuellen Ziel- 
setzungen etwas Gwnrinschaftliches, Gleichartiges findet und SO 
schließlich doch zn einer Einheit kosmischer Zielsetzungen 
gelangt. — 

Während die universelle Teleologie den Zweckbegriff 
auf alle Arten d€s Seienden anwendet, also ihm auch das Gebiet 
der Natur und des Anorganischen unterstellt, schränken die 
Vertreter einer bloß partiellen Teleolope die Anwendung: 
dieses Begriffes auf das Organische und Geistige ein, andere gar 
nur auf das Gebiet des geistigen, historisclien und kulturellen 
Geschehens. Nach diesen letzteren kann nur da die Rede von 
Zwecken und Zweckhandlungen sein, wo ein Bewußtsein und 
ein Wollen besteht. In der Welt des Geistes, der Ge- 
schichte, der Kultur hat der Zweck seinen Platz, da ist 
die teleologische Betrachtungsweise angebracht, die in der 
Naturwissenschaft, für die der Zweck ein „Fremdling" bleibt, 
nicht verstattet ist (Riehl, L. Stein u. a.). Teils läßt sich 
das Geistesleben dadurch verständlich machen, daß man auf 
die Absichten, Motive, Tendenzen, Zwecksetzungen zurück- 
geht, welche den Handlungen der vernünftigen Wesen zugrunde 
liegen, und daß man untersucht, welchen Zwecken die geistigen, 
kulturellen Schöpfungen und die sozialen Institutionen dienen. 
Teils wird die Teleologie kritisch und normativ, indem geistige, 
kulturelle, soziale, historische Gebilde, Funktionen, Taten be- 
treffs ihrer Zweckmäßigkeit, ihres Wertes beurteilt werden. 
Aber auch hier ergeben sich Unterschiede der Auffassung. 
Während manche in der teleologischen Methode etwas für die 
Geistes-, Kultur-, Geschichts- oder Sozialwissenschaften in 
erster Linie Konstituierendes finden, wenn sie nicht gar in 
ihnen reine „Zweckwissenschaften" erbhcken (Stammler, Münster- 
berg u. a.), betonen andere den Vorrang der rein kausalen Er- 
klärung vor der teleologischen Beurteilung und vor dem nor- 
mativen oder wertenden Verfahren, das zur rein kausalen und 
explikativen Theorie nur ergänzend hinzutritt. Die strenge 
Wissenschaft hat es nur mit dem Sein und mit der mechanischen 
oder aber teleolc^sch-kausalen Erklärung des Geschehens, nie mit 
dem Sollen, einer Wertung, Zwedcbeuftdlung, Nonnierungzu tun 



Entet Kapitd. Wegen «nd Arten der Teleologie. '2| 



<jr. Aßit, SünmOr Tämdm, Sombart, :M. WAer u.'su; vgllKip.'^. 

Für die Gesduchte kommt die teleologische (bzw. ätiologische 
oder die wertbeziehende) Methode in Betracht nach IH^e^, 
MBiMfBKhvff, Sideiri u.a. ^ Betreffs de^ ideologischen Erkennt- 
nistheorie vgt Kap. 13. — 

Eine Zwecknufiigkett ohne Zwecknrsäcfaen ist das Leitmotiv 
des Darwinismus.*) Unter den mämugfachen Variationen 
der Lebewesen gibt es„zuQilKg" auch solche, die dnem he* 
stimmten Naturmiliett am besten entsprechen. ■ Diese relative 
Zweckmäfiigkeit (Erhaltungsgemallheit) gewahrt den betreffenden 
Wesen einen gewissen Vor^krung; vor den weniger gut aus^ 
gestatteten. Während die minder tauglichen, schlechter aus- 
gestatteten Incüviduen im Kampfe ums Dasein, im Wettbewerb 
um die Existenzbedingungen meist den kürzeren riehen, haben 
die anderen in der Regel die meiste Aussicht, sich zu erhalten, 
zur Fortpflanzung zu gelangen und ihre nützlichen Eigenschaften 
auf ihre Nachkommen zu vererben. Indem die\ natürliche Aus- 
lese oft immer wieder in der gleichen Richtung wirkt, erfolgt 
allmählidi eine Steigenmg der zweckmäßigen, d. h. erhaltungs- 
gemäßcn Merkmale. Die Entstehung der schon relativ zweck- 
mäßigen Variationen selbst bedarf dann noch einer besonderen 
Erklärung. Femer ist zu beachten, daß jede Anpassung an 
die Lebensbedingungen zwar in dem Sinne zweckmäßig ist, daß 
rie der Erhaltung von Individuen und Arten dient (Erhaltungs- 
gemäßheit), daß sie aber nicht notwendig immer einen Fort- 
schritt, eine Vervollkommnung bedeutet. Es kann sogar die 
Sdektion unter Umständen rückbildend wirken, und es ist erst 
genauer zu ermitteln, wann und unter welchen Bedingungen 
eine Höherentwicklung erfolgt. Es sind also Zweckmäßigkeit 

*) Daß auch der Dorwinismiis eine regulativ-tdeologisehe Gnmd- 
läge hat, betont A. Stadler (Kants Teleologie*, z^ia, S. 142 f.). .Welche 
Mittel besitzt die Natur, ihre Produkte dem unendlichen Wechsel dieser 
Existenzbedingungen gemäß umzugestalten? Teleologische Beobach- 
tungen und Analogien mit der menschlichen Zwecktfttigkeit leiten auch 
die Gesetze der Anpasatmg.* Die teleologische Seite des Darwinismos 
betonen ferner WmmK (ßytttai der FlOkiojBMe l\ 1907), JL OottbcMcl 
(Höherentiriekfanig und Mcnschenflkonomie I, 19x1), B, Bmek (L Kant, 
19x1) o. a. 



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22 



L AMfciMtiMr Ten. 



im Sinne der bloBen Erhaltung: und Zweckmäfiigkeit im 
Sinne der VenrolUcofnmnuiii:, der Höherentwicklung, tu unter- 
scheiden. 

Gegen die ,,Mmacht" der Selektion sind wiederholt Bedenken 
geäultcrt worden, wobei Darwin selbst, t>esonders in seiner 
späteren Zeit, die Bedeutung auch der direkten Anpassung an 
das Milieu und auch die Wirkung funktioneller Anpassung an- 
erkannt hat, während der Neodarwinismus (Weümann U. a.) 
fast alles auf Selektion zurückführt. DaO sich zufällige tdls 
positiv, teik negativ gerichtete Variationen der Organe im 
Selektionsprozeß das Gleichgewicht halten und daß daher schon 
eine bestimmte Richtung des Variierens anzunehmen ist, um 
die Entstehung neuer Arten zu erklären („Orthogenesis", 
JSimer)^ daß im Darwinismus der Zufall überhaupt eine zu 
große Rolle spielt, daß geringfügige Abänderungen keinen 
Vorteil im Daseinskampf haben können, daß die Selektion zwar 
Unzweckmäßiges zu beseitigen, aber nicht Zweckmäßigkeiten 
positiv zu schaffen vermag — diese und andere mehr oder weniger 
schwer wiegende Argfumente werden immer wieder gegen den 
Selektionismus vorgebracht (Wigand u. a.) und immer wieder 
zu widerlegen gesucht, ohne daß man den Streit als erledigt be- 
trachten kann. Jedenfalls ist manches in diesen Argumenten 
berechtigt, imd es ist daher bet^eiflich, wenn heute der La- 
ma r c k i s m u s viele Anhänger fmdet, wenn auch meist mit 
Konzessionen an den Darwinismus. Der ,,Neolamarckismus'' 
betont die Rolle der aktiven, funktionellen Anpassung, der durch 
Bedürfnisse ausgelösten Selbsttätigkeit der Lebewesen, der Wir- 
kung des Gebrauchs und Nichtgebrauchs der Organe, der Übung 
und Mitübung und der Vererbung ihrer Resultate in Form struk- 
tureller Anlagen und funktioneller Dispositionen. Die meisten 
„Psychobiologen" sind Lamarckisten, aber nicht aller Lamarckis- 
mus muß „psychovitalistisch" sein, er kann auch eine mecha- 
nistische Form annehmen.*) 

Während die „objektive" oder „konstitutive" Teleologie 
aller Art das Geschehen oder einen Teil desselben aus Zwecken 



♦) Vgl. Kap. 6. 



Em» Xapild. W«im mä Ailea der Tdeolegle. 88 

oder Zielstrebigkeiten zu erklären sucht, also annimmt, daß der 
Zweck ein Faktor der Wirklichkeit selbst ist, beschränkt sich 
die rein formale, subjektive oder regulative Teleo- 
logie, wenigstens der nicht geistigen Wirklichkeit gegenüber, 
darauf, gewisse Erfolge oder Effekte so zu betrachten, als ob 
sie Zwecke, Ziele wären. Auf diese Weise ist das Sein und Wer- 
den besser zu begreifen, indem da, wo die besonderen Ursachen 
der als zweckmäßig betrachteten Wirkungen nicht oder noch 
nicht zu erkennen sind, die Vorgänge und Einrichtungen au$ 
ihrer Bedeutung für die Erreichung eines bestimmten Erfolges 
verständlich gemacht werden. Man frag^ hier: wie müssen die 
Ursachen beschaffen sein, wenn sie diesen Effekt zur Folge haben 
sollen? und gibt damit der Kausalforschung selbst eine Direktive, 
durch die sie bereichert und ergänzt wird, 

Kant (nachdem ihm zum Teil schon Leibniz hierin voran- 
gegangen) erklärt in diesem Sinne : En Ding seiner inneren Form 
nach als Naturzweck beurteilen, ist etwas ganz anderes, als die 
Existenz dieses Dinges für einen Naturzweck halten. Der formale 
Zweckbegriff ist ein Produkt der „Urteilskraft" und zugleich 
eine regulative „Idee" der Vernunft. Er ist keine „Kategorie" 
und keine Bedingung objektiver Erfahrung, kein Konstituens der 
empirischen Realität, aber von höchster Fruchtbarkeit für die 
Deutung des Geschehens und für die Kausalforschung, besonders 
in der Biologie (Kritik der reinen Vernunft; Kritik der Urteils- 
kraft). 

Nach Kant müssen die besonderen, empirischen Natur- 
gesetze hinsichtlich dessen, was in ihnen durch die allgemeinen, 
apriorisch gültigen Naturgesetze unbestimmt gelassen ist, nach 
ciuer solchen Einheit betrachtet werden, „als ob. gleichfalb ein 
Verstand (wengleich nicht der unserige) sie mm Bdiuf .unserer 
Erkenntnisvermögen, um ein System' der Er&hrtmg: nach be- 
sonderen Naturgesetzen mögttch zu machen, gegeben hätte". 
Die „reflektierende Urteibkraft" Efit uns die Natur so d^en, 
„alv ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen 
ihrer empirischen Gesetze enthalte". „DaB . . . Dinge der Natur 
einander als Mittel zu Zwecken dienen und ihre Möglichkeit 
selbst nur durch diese Art von Kausalität verständlich sei, dazu 



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2i 



I. Allgemeiner Teil. 



haben wir gfar keinen Grund in der allgemeinen Idee der Natur 
als Inbegriffs der Gegenstände der Sinne . . . Gleichwohl wird 
die teleologische Beurteilung, wenigstens problematisch, mit 
Recht zur Naturforschung gezogen, aber nur, um sie nach 
Analogie mit der Kausalität nach Zwecken unter Prinzipien 
der Beobachtung und Naturforschung zu bringen, ohne sich an- 
zumaßen, sie danach zu erklären. Der Begriff von Verbindungen 
und Formen der Natur nach Zwecken ist doch wenigstens e i n 
Prinzip mehr, die Erscheinungen derselben unter Regeln 
zu bringen, wo die Gesetze der Kausalität nach dem bloßen 
Mechanismus derselben nicht zulangen." Die mechanische Er- 
klärung der Dinge muß soweit als möglich vonlringcn, denn 
nur die mechanische Kausalität begründet objektiven Natur- 
zusammenhang. Zugleich muß man aber auch wenigstens das 
Organische aus dem regulativen Gesichtspunkt des Zweckes be- 
trachten» wobei es ,,als unausgemacht dahingestellt wird, ob nicht 
in dem uns unbekannten, inneren Grunde der Natur selbst die 
physisch-mechanische und die Zweckverbindung an denselben 
Dingen in anem Prinzip zusammenhängen mögen**. Als Natuf'- 
zwecke treten uns die Orgamsmen entgegen, an ihnen ist nicht 
UoB eine äußere, relative, sondern eine innere Zweckmäßigkeit 
zu erkennen; ihre Tefle sind nur durch ihre Beziehung auf 
das Ganze möglich und verbinden sich dadurch zur Einheit eines 
Ganzen, daß sie voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung 
ihrer Form sind. Nur so ist es möglich, daß die Idee des 
Ganzen die Form und Verbindung aller Teile besttnune, „nicht 
als Ursache — denn da wäre es ein Kunstprodukt ^ sondern als 
Erkenntnisgrund der systematischen Einheit der Form tmd 
Verbindung ..." 

„Man geht also aus von einem gegebenen Gegenstande, lauft 
in dessen Kausalreihe aufwärts und bildet eine neue, umgekehrte 
Reihe, iiidem man jede Wirkung des realen ,nexus effectivus' 
als Ursache in einen idealen ,nextts finaHs' setzt" (Stadürp Kants 
Teleok>gie* 1912, S. 114). Nach SkuUtr ist bei Kant die „Ob- 
jektive Zweckmäßigkeit" ein Spezialfall, eine empirische An« . 
Wendung der allgemeinen „formellen Zweckmäßigkeit" der Natur 
<S. 125). Der Zweck „vertritt den Grund der einheitlichen Koia- 



Entcs Kapltd. -Wctai nd Ailea der Tdeolofie. 25 



bination der Kräfte, welche uns wegen der Unerreichbarkeit der 
letzten Gründe zufällig erscheint" (124). Die teleologische 
Maxime vertritt die kausale nicht, sondern ,,wirkt in jedem ein- 
zelnen Momente der kausalen Forschung" (132). 

- „Alle Teilprozesse wienlen nach Kant erst verstandlich 
an ihrer Leistung- für den ganzen Organismus. Hat man diese 
festgestellt, so läfit sich aus ihr wohl die eine oder die andere ihrer 
kausalen Bedingungen rückersdiUefien" {N, Harfynann, Philos. 
Grundfragen der Biologie, 191Ä, S. 105). „Ist aber etwas 
einmal als zweckmäßig in bezug auf etwas erkannt, so muO es 
sich in irgendeiner, wie immer verborgenen Weise auch als ur- 
sächliche Bedingung dieses anderen verstehen lassen" (16). 
Der teleologische Begriff hat „Antizipationskraft" (106).*) 

Nach Wundt ist der Zweckbegriff überall von Be- 
deutung, „wo ein kausaler Zusammenhang durch die Regel- 
mäßigkeit bestimmter Endeffekte und durch die Verbindungen, 
in die diese Endeffekte miteinander treten, zu einer logischen 
Antizipation der Wirkungen herausfordert, die den Zusammen- 
hang der kausalen Bedingungen selbstverständlich machen soll" 
(System der Philosophie P, 1907, S. 314)- 

Nach Sigwart ist die teleologische Betrachtung nur „eine 
Aufforderung, die kausalen Beziehungen nach allen Seiten zu 
verfolgen, durch welche der Zweck verwirklicht wird*'. Hatten 
wir eine durchgängige Einsicht in den Kausalzusammenhang der 
Welt, so würden sich beide Betrachtungsweisen, die teleologische 
und die kausale, vollkommen decken. Ähnlich lehrt nun auch 
Wundt. Die subjektiv-teleologische Erklärung von Naturer- 

*) Vgl. Sigufortf Logik II*, 1893, S. 252 ff.,, Die rem kausale Betrachtung 
gebt von einzelnen wirioMuncn Elementen aus und ontermcht, was ans 
ümen bei dieser oder jener Kombination . . . hervorgehen muß . . . Die 
Betrachtung unter dem Gesichtspunkt des Zwecks dagegen nimmt 
den Erfolg zum Ausgangspunkt und fragt, welche Kombination oder 
welcherlei Kombinationen von Ursachen gerade diesen Erfolg hervor- 
bringen konnten; was sein ntnfile, wenn dieses Resultaf eintreten sottte^f 
„Ans dem Zwecke des Gänsen ergibt «ich die bestfanmte Verknitpf mig 
und Wirkungswdse so geformter Teile" (vgl. 4. Aufl. 1911; Kleine 
Schriften II). — Vgl. H, Golm, Logik, 1902 (Der Zweck als Kategorie; 
Begriff des j^Systems"). ' 



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I. Allgraipiner Teil. 



scheinungen ist nur „eine rückwärts gewandte Betrachtung Icau- 
saler Zusammenhänge", sie ergänzt die kausale Betrachtung 
und wird durch sie ergänzt. Es handelt sich nur um zwei Be- 
trachtungsweisen derselben Sache, wobei die „regressive" Auf- 
fassung (von den Wirkungen zu den Ursachen) die Umkehrung 
der Kausalbctrachtung bedeutet. Kausalität und Zweck ent- 
springen so „aus den zwei einzig möglichen logischen Gesichts- 
punkten, unter denen wir das allgemeine Erkenntnisgesetz des 
Grundes auf einen Zusamnienliang des Geschehens anwenden 
können. Auch das Zweckprinzip ist daher unterzuordnen dem 
Satz des Grundes . . . BeimKausalbcgrift wird der Grund zur Ur- 
sache, die Folge zur Wirkung; beim Zweckprinzip wird die Folge 
zum Zweck, der Grund zum Mittel" (Logik P, 1906; System der 
Philosophie l', 1907; Grundzüge der physiolog. Psychologie III*, 
1903). Nach Wundt kann prinzipiell jederzeit die kausale in eine 
teleologische Form der Verknüpfung umgewandelt werden, eben« 
darum aber audi zn jeder teleologischen eine kausale mindestens 
gefordert werden, wenn auch empirisch bald die eine, bald die 
andere Form vorherrscht (Grundzüge der physiologischen 
Psychologie 111% 1903, S. 692); aber es gibt keine »^weck- 
Ursachen" neben den bewirkenden. . Final- und mechanische Ur- 
sachen .schliefien sich aus» weil eine eindeutige Funktion nicht 
ztigleich eine vieldeutige sein kann (S. 728). Das Endglied, von 
dem die teleologische („regressive") Betrachtung ausgeht, um 
die vorangehenden Prozesse zu begreifen, darf nicht zum An- 
fangsglied einer kausalen Verknüpfung gemacht werden (S. 743)* 
Auch wo wir berechtigt sind, Zweckmotive als Faktoren, welche 
die Triebe der Lebewesen lenken, anzunehmen, sind sie nicht wie 
die Vitalkrafte der Vitalisten „Antizipationen ihrer Wirkungen, 
so daß alles, was in diesen zum Vorschein kommt, in der ur- 
sprünglichen Zweckidee schon gelegen wäre, sondern sie sind 
lediglich Ursachen unter anderen, .die zwar dem Ver- 
lauf der Erscheinungen dnen zweckmäfiigen Charakter ver- 
leihen, ohne daB jedoch jenes Zweckmotiv selbst schon den 
schlieBlich erreichten Erfolg als Vorstellung des handelnden 
Wesens .in sich enthalt" (S. 747). Das gesamte Geistesleben 
wird nach Wundt vom Zweck beherrscht, wobei aber, wie schon 



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Entct Kapitel. Wesen und Artea der Teleologie. 27 



im OrgBiiilclMD, daa Prinzip dor „Heterofoiile der Zweck»^*) 
ta berficknchtljBfen ist — 

Nacth P. Caumaim hat die KAOsalitSt zwar „MgSltig'kmV*, 
aber nicht „AüeingOltigiceil;". Neben den bloßen Kaoaal- gibt 
es anch Finalreüien, welche ans drei Gliedern beBtehen» ans 
Antecedens, Medium und Snccedens. Wahrend die bd,den ersten 
weclisehi, variabel sind, bleibt das letztere konstant (als typische 
oder individuelle Form des Organismns; Etemente der em- 
piiischen Teireologfie, 1S98). 

Während von mancher Seite die teleologische Betrachtung 
des Geschehens nur als eine Art Um kehrung oder als Spezial- 
fall der kausalen bestimmt wird» gilt nadi anderen, die 
Kausalität als ein der Teleologie untergeordneter, schon von 
einer zweckgerichteten Stellungnahme abhängig-er Begriff. 
So gibt es nach Fichte eine objektive, materielle Welt mit 
kansaler Notwendigkeit nur durdi deren Setzung- seitens des 
sittlichen Willens, der die Sinnenwelt als Material der Pflicht- 
erfüllung braucht. Wie bei Piaton hat hier, die Idee des 
Guten, des Sollens, des Wertes den Vorrang vor dem Sein, 
welches durch aie bedingt ist In der Gegenwart hat Mätuterberg 
einen Idealismus begrfindet, nach welchem der wertende» 
zwecksetzende, „stellungnehmende" WiUe, der ein „Wille zur 
Welt" ist, der Setzung einer objektiven Welt mit ihren 
kausalen Beziehungen und gesetzlichen Notwendigkeiten zu- 
grunde liegt. Am Anfang stehen nicht Tatsachen und daraus 
abgeleitete Kausalg-esetze, sondern Zielsetzungen und Wer- 
tungen, auf Grund deren erst die Welt des Physischen wie 
des Psychischen g-esetzt wird, während ursprünglich die Ding-e 
nur als Ziele und Mittel des Willens geg-eben sind. {Grund- 
züge der Psych olog-ie I, 1900; Philosophie der Werte, 1908). 
Auch in der Schule RickerU (von Windelhand beeinflußt) geht 
der Wert, der Zweck, das Sollen dem Sein logisch voran; 
der Primat, Vorrang der ^praktischen Vernunft" wird hier 

*) Vgl dsrOber <fie AosfOhrungen in den aichsten K^illdn. In 
seinen Ergebnissen steht der Verfasser W%mdt am n&cbsten, wenn er 
auch in seinen Begründungen zum Teil eigene Wege einschlagt ond 
auch sonst, z. B. in der Erkenntnistheorie, von ihm abweicht. 



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28 



I. AügiemdMr Tdl. 



betont. Die Ziele der Hikeontnis sind auf die Gestaltoogf 
des Gegenstandes der Wiasenschaften von Einfluß (Der Gegfen» 
Stand der Erkenntnis ^ 1904; Die Grenzen delr naturwissen- 
schaftlichen Begriffsbildung", 191 3; Abhandlungen in der 
Zeitschrift „Logos'').*) Nach K. Joel bestehen die Kausalität 
und der Mechanismus nicht an sich, sondern erst in bezug 
auf. die Zwecke des Willens, der etwas, ein Geschehen» in 
seinen Dienst stellt. „Weil wir wirken wollen, Wirkungen 
suchen, müssen wir Ursachen setzen. Der Wille setzt Zwecke, 
und damit ist die Kausalität gegeben.** Der Wille ist das 
Aktive, Freiem deiM Wesen es ist, Abhängiges, Notwendiges 
zu setzen und benronubiingen (Der freie Wille, 1908; Seele 
und Welt, 191 2). — 

Eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung**) des 
Zweckbegriffes liegt außerhalb des Rahmens dieser Arbeit, 
Zur Orientierung- diene nur das Folgende. Im Altertum finden 
wir teilweise einen Gegensatz zwischen der — schon der 
Stufe des naiven Bewußtseins und der primitiven Welt- 
anschauung eigenen — Teleologie {Anaxagoras, Sokrates, 
Flatofiy Aristoteles, die Stoiker, der Neuplatonism u s) und 
dem ausschließhchen Mechanismus (Demohntj JEpikur, 
Lticrez u. a.). Die mittelalterliche Philosophie ist fast durch- 
gehend teleologisch (Scholastik). In der Renaissance und 
neueren Zeit besteht einerseits eine teleologische Richtung 
(Paracelsus, Van Helmont, Cudwort/i, H. More u. a.), anderseits setzt 
die streng kausal-mechanistische Betrachtungsweise mächtig ein 
{Kepler, Galilei, Descartes, Spinoza^ Bacon, Hobbes, Newton u. a.). Ver- 
mittelnd lehrt namentlich Leibniz, auch Chr. Wolf. Im neunzehnten 
Jahrhundert tritt eineTeleolog-ie auf idealistischer Grundlage auf 
(Fichte, Schelling, Hegely zum Teil auch Schopenltauer), der später 
andere teleologische Standpunkte folgen (Zote« u. a.), bis dann 
der Kausalismus und Mechanismus immer mehr vorherrschend 
wird. Nun erfolgt aber wieder eine Wendung zur Teleo- 
logie, nicht nur im Lager dualistisch-theistischer Philosophen, 

*) VgL die Kapitel über Geschichte und Ober Erkenntnistheorie. 
**) Vgl. ZdUr, Über teteologisdie and mechsniscbe Natal»- 
erklflrungy 1876. 



Eistca Xapitd. Wesen «ml Arten der Tdeelogle. 



29 



sondern auch, in anderer Form, bei Vertretern einer mo- 
nistisch-evolutionktischeii Denkweise, bei Biologeo wie bei 
Philosophen*) 

Eine Kritik wesentlicher Punkte in den verschiedenen 
teleologischen Richtungen ist in den folgenden Gesamt- 
ansführungen des Verfassers mit enthalten. 

*) Als Teleologen sind ferner zu nennen W. Rofienkrnntz, Carritre, 
C. H. Weisse, J. H. Fichte, Ulrici, Chr. FUmck (Logisches Kausalgesetz 
und natOrUdie ZweckmSßigkeit, 1877X Barm$, Ä.La8$ou, ZeUer, K^Fttdker, 
R,8^/delt Feehner, Pauken, lÄpps, lAAnuam tLa.; C.Nenmaum, JAttvy, 
von Haiuiein, K. C. Schneider, W. Schneider, ScheU, üde, Qutberlet, Oeyger, 
Fe»ch, Paul Janet, Ladd, Myers, Mc Dou^aÜ, Domett, M, Otto, StoUk, 
Naegdi („yervoUkommnongstendenz'*) a. a. 



Zweites Kapitel. 
Teleologteche B«griflbbattiiiiiiiiiii8eiL 

Den Ausg-ang^punkt einer Untersuchungf, wie sie in dieser 
Schrift vorzunehmen ist, bildet am besten die Festleg-ung- der 
Bedeutung- der hier zu verwendenden Ausdrücke behufs 
einer ersten Orientierung über den Inhalt der mit ihnen zu 
verknüpfenden Beg-nffe. Wir treiben also zunächst weder 
Psycholog"ie noch Erkenntnistheorie, sondern gfehen rein defini- 
torisch vor; wir wollen uns einfach darauf besinnen, was wir 
eig-entlich meinen oder denken, wenn wir von Zweck, Ziel, 
Mittel, Zweckmäßigkeit u. dgl sprechen; wir wollen den 
betreffenden Denkinhalt analysieren, um ihn zum vollen Be- 
wußtsein zu bringen und in eindeutig bestimmter Weise zu 
gebrauchen. 

Das Wort „Zweck" bedeutet ursprünglich einen materiellen 
Zielpunkt, nämlich den Stift in der Scheibe, welcher das Ziel 
für den Schützen bezeichnet. Dieses Ziel ist der Endpunkt, 
der Terminus, zu dem das Geschoß dringt, welches das Ziel 
erreicht, und auch im Griechischen {xiloi^) und Lateinischen 
(finis) wird beim Zielbegrifif an einen gewissen Abschluß einer 
Tätigkeit, an den Endpunkt einer Bewegung gedacht Im 
weiteren Sinne bedeutet nun (seit Jakob Böhme) der „Zweck** 
einer Tätigkeit, einer Handlung, einer Sache dasjenige, was 
durch die betreffende Tätigkeit oder Handlung „erreicht" 
werden soll, oder wofür die Sache „bestimmt" ist, wozu sie 
dient. Das „Wozu" besagt den Endpunkt, von dem wir an- 
nehmen, daß eine Tätigkeit, eine physische oder psychische 
Bewegung ihm zustrebt; zugleich bedeutet er einen relativen 
Schlußpunkt für unser das Handeln begreifen wollendes 
Denken. Wir wissen zunächst unmittelbar, daß unser eigenes 



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Zweites Kapitel. Teleologische BegriATsbesümmaogeii. 



81 



Handeln einer bestimmten AbMcbt" Intention) entipriogt, 
dafi wir einen gewissen Zustand oder eine gewisse Zostands- 
ver&ndemng in oder außer uns »anstreben**, d, h. in der Vor-* 
stellnng vorausnehmen, und daft wir diesen Zustand, weil uns 
dies Lust bereitet, oder weil uns das Feblen, der Mangel des 
Zustandes unangenehm ist, herstellen, »verwirldidien*, d. h. aus 
der potentiellen und ideellen in die aktuale, reale Sph&re 
bringen wollen. Wir betätigen uns daher so» daß dadurch, 
unmittelbar oder mittelbar, der erwfinsehte, gewollte Zustand, 
die erstiebte Zustandsveranderung eintritt oder doch eintreten 
kann, falls nichts die Erreidiung des Seles verhindert Die 
zum Ziele fuhrende oder doch auf dasselbe eingestellte Tatig- 
keit nennen wir „Mittel" und bezeichnen mit diesem Worte 
dann auch überhi^pt alles, was sich der Herstellung einer 
erstrebten Wirkung unteroldnet, also auch eine Sache» eine 
objektive Einrichtung oder Anordnung, die durch ihre eigene 
Funktion oder durch ihre Beeinflussung seitens imserer Tätig- 
keit^ also als Werkzeug, Instrument, dem zu erreidienden 
oder zu verwirklichenden Zwecke dient — Treten uns nun 
fremde Handlungen entgegen, welche uns nicht als relative 
Abschlüsse, als in sich selbst beruhend erscheinen, und deren 
„Richtung** uns nicht klar ist, so fragen wir, falls wir sie 
verstehen wollen, nach ihrem Zwecke, 

Der Zweck ist demnach ein im vorstellenden oder 
empfindenden Bewußtsein antizipiertes Etwas, dessen 
Verwirklichung oder Erreichung den Inhalt eine» 
Strebens bildet Das za Verwirklichende oder zu Er- 
reichende kann wieder das Mittel für einen entfernteren Zweck 
bilden, und dieser wiederum kann sich einem „Endzweck" 
unterordnen, von dem (als Motiv) die glänze „Zweckreihe" ihren 
ideellen Ausgangspunkt nimmt. Es können foner außer 
einem „Hauptzweck**) noch mehrere „Nebenzwecke" an* 

*) „Hauptzweck" (finis principaUs) ist bei einer Handlung das- 
jenige, was in erster Linie (wesentlich, vorzugsweise) angestrebt wird,, 
weil es (den Umstflnden nach oder flberhaupt) am wiehttgsien ist oder 
erscheint, weil es den graßten Wert f flr den I&nddnden hit ,Ncbe n- 
nfetkt' läad IKnUenMwed» von aekondirer Bedeätoi^ milgewollte 



92 - I* ADg^gadncr TdL 



gfestrebt werden, etwa ein materieller, ökonomischer neben einem 
idealen Zweck. Liegt das zu Verwirklichende außerhalb des 
das Mittel her- oder darstellenden Wesens, so spricht man 
von einem äußeren (transzendenten), im g-egenteiligfen Falle 
von einem inneren (immanenten) Zweck, so z. B. bei den 
Org"anismen, sofern iu diesen das Ganze und die Teile sowie 
deren Funktionen einander wechselseitig" dienen. Von den 
^Sachen", die zur Benützung für menschliche Zwecke ver- 
wendbar sind, unterscheidet man die menschliche „Person'' 
als „Selbstzweck", sofern sie selbst zwecksetzend ist und nie 
als bloßer Zweck für andere dienen soll und darf. Unter 
einem „Selbstzweck" versteht man aber auch alles, was auch 
ohne Hinblick auf andere, überg-eordnete Zwecke, rein um 
seiner selbst willen, wegen des ihm beig'elegten Eig'enweites 
ein selbständig-es Willensziel bildet. 

Als „Endzweck" ist nicht bloß ein in der Zeitlinie 
g-elegeuer Endzustand zu verstehen, dem eine Entwicklung* 
sich allmählich zubeweg-t, also nicht ein letztes Ziel, welches 
das Werden tatsächlich zur Ruhe bring"t oder abschließt. 
Sondern der Endzweck bedeutet auch jenen Zweck, der nicht 
mehr als „Mittelzweck^, als Mittel zu einem überg^eordneten 
Zwecke dient, also einen Zweck höchster Rangordnung-, 
auf den die untergeordneten Zwecke gerichtet sind, durch den 
diese ideell (nicht etwa zeitlich) bedingt, bestimmt sind, und 
aus dem sie letzten Endes erst begreiflich werden. Ein 
solcher Zweck kann auch mitten in der Zeit, im Werden 
selbst angestrebt und (annähernd) verwirklicht oder erreicht 
werden. Die Mannigfaltig-keit der Zwecksetzungen läßt sich 
als Entfaltung des Endzwecks selbst auffassen. 

Von „Zielstrebigkeit" (der Ausdruck stammt von 
K. E. von Baer) ist da die Rede, wo man glaubt, daß ein 
Vorgang, eine Entwicklung, ein Werden eine bestimmte 
Richtung verfolgt, die voraus durch einen zu erreichenden 
Endzustand festgelegt ist. Auch da, wo noch keine Willens- 
tätigkeit oder kein Zweckbewußtsein vorliegt, wie etwa bei 

Eifekte, die durch dieselbe Tätigkeit, durch d^gselbc Mittel wie der 
Hauptzweck zu erreichen sind. ' . 



Zweitet Ka^td. TdeologiidM BcgiiAbcftimainifen. 



den niederen Orgfanismen, g-ebraucht man öfter in diesem 
Sinne den Ausdruck Zielstrebig^keit. — Wir reden im folg-en- 
den von „Zielstrebigfkeit" meist nur in dem Sinne des Ge- 
richtetseins eines S(r -bens oder Willens auf ein 
Ziel, auf einen zu verwirklichenden Inhalt, in zweiter Linie 
erst im Sinne eines durch die Richtung* auf ein Ziel 
charakterisierten Prozesses (einer Handlung", Beweg-ung-, 
Entwicklung). Eig-entlich ist „Zielstrebig-keit" im psycho- 
log-ischen Sinne ein Pleonasmus, denn allem Streben als 
solchem ist ja ein Ziel, das erstrebt wird, immanent. Aber 
dieser Pleonasmus schadet nicht, und wir können die nur im 
unmittelbaren Erleben verständliche Eig-enart des „Auf-ein- 
Ziel-Gerichtet-Seins^ (= Streben, Wollen) nicht besser bezeich- 
nen, wenn wir das Moment des Zieles mit dem der „Ein- 
stellung"" auf ein solches in einem einzig"en Ausdruck ver- 
einigen wollen. Auch läßt sich nicht etwa durchgängig für 
Zielstrebigkeit der Ausdruck „Richtungsstreben" {GoldscJiei<i) 
einsetzen, denn das Streben in einer bestimmten Richtung 
bleibt, mag auch dessen Endziel uns nicht bekannt sein, oder 
mag ein solches gar nicht anerkannt werden, doch immer auf 
irgendwelche Zielpunkte bezogen, sowohl für den Strebenden 
selbst als auch für den Standpunkt der Erkenntnis, da ohne 
Orientierung an Zielpunkten die „Richtung" des Strebens 
nicht bestimmt werden kann. Doch soll damit die partielle 
Anwendbarkeit und Nützlichkeit des Begrüfes der „Richtungs- 
strebigkeit" keineswegs bestritten werden, noch weniger die 
fundamentale Bedeutung des Richtungsbegriffes über- 
haupt.*) 

„Zweck" und „Ziel" lassen sich in der Regel einander 
gleichsetzen. Doch kann man auch den äußeren Zweck eines 

*) Über diesen vgl. R. Goldacheid, Annaica der Naturphilosophie VI; 
Sü^dimg, Der menschliche Gedanke, 1911. Nach Qddicheid ist das „Ziel" 
nur ,,d& Dorchgangsstadiom .des Cesehelieiis''« bzw. die Jeweilige Koii- 
stttutionsformel des Wd^anzen in etnem bestimmten Zeltdifferentisl". 

Das ,,Gerichtetsein" besteht vor aller KausaUtit, da die Wirklichkeit aus 

„Richtungselemcnten" besteht. „Was, von innen gesehen, als Zweck 
resp. Ziel erscheint, das ist, von außen erlalit, Richtung" (Annalen d. 
Naturphilos. VI, öoff.). .. . • - 

Bttler, Der Zwtck. 3 



S4 L AUgvneÜMr TdL 



Dingfes, einer „Handlung"" vom Ziel eines „Strebens" unter- 
scheiden; das Ziel steht hier in eng-erer Beziehung" zum wollen- 
den Bewußtsein als der Zweck. Zu unterscheiden sind der an [be- 
strebte und der erreichte oder verwirklichte Zweck; 
jener ist das erste, dieser das letzte, abschließende Moment 
der Zweckhandlung- („finis est primum in intentione, ultimum 
in executione", wie die Scholastiker sag"en). „Zweckursache" 
{causa finalis) ist ein Ausdruck für den Zweck, sofern dieser 
als etwas Ideelles, als Inhalt oder Geg-enstand einer Vor- 
stellung" den Willen oder das Streben erreg-t (motiviert) und 
vermittelst dieser Beeinflussung" eine zielstrebiire Handlung- 
zur Kol^e hat. Das Streben oder Wollen selbst g-ilt als eine 
-bewirkende Ursache (causa efficiens). Da aber der Zweck 
•auch dann, wenn ein bestimmtes Geschehen bezweckt ist, 
•kein Vorg'ang', sondern etwas Ideelles ist und alle wahren 
Ursachen reale Vorgäng-e sind, so werden wir es am besten 
vermeiden, von einer „Zweckursache" zu reden, auch nicht im 
Sinne einer auf ein Ziel gferichteten Ursache einer zielstrebigen 
Tätigkeit. Eine Ursache der Handlung psychischer Art ist 
die gefühlsbetonte Zweckvorstellung, sofern sie als Bewußt- 
seinsvorgang andere Bewußtseinsvorgänge (Streben) und das 
Handeln selbst zur Folge hat; ebenso ist eine „Ursache" 
der Gehirnprozeß, der die Außenseite oder das physiologische 
„Korrelat" der Zweck Vorstellung bildet, und aus dem die 
Handlung mit kausaler Notwendigkeit hervorgeht, sofern sie 
als physischer Vorgang betrachtet wird. Unter „teleologischer 
Kausalität" verstehen wir die Wirksamkeit des zielgerichteten 
Bewußtseins und Geschehens. 

Nicht jede Wirkung einer zielstrebigen Tätigkeit deckt 
sich mit dem angestrebten Zweck, denn sie kann von dem 
. Erstrebten, Bezweckten mehr oder weniger abweichen ; um- 
gekehrt aber ist der erreichte Zweck inhaltlich eins mit dem 
wesentlichen Effekt des Handelns, wenigstens unter Absehen 
von allen Nach- und Nebenwirkungen desselben. 

Zweckmäßigkeit besteht darin, daß die Wirkung einer 
ädstrebig^n Tätigkeit sich mit dem Bezwedcten deckt, d. h., 
daß die Handlung geeignet ist, das angestrebte Ziel zu er- 



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Zwett« lUpitd. TdeolegiMhe BegrifiEdiMtiniDungen. 35 



reichen, den gesetzten Zweck zu verwirkfichen ; oder aber, 
daß etwas so eingerichtet^ angeordnet ist, dafi die gewünschten 
Efifokte daraus entspringen kdnnen. Das „Zweckmäßige** 
(Zweckdienliche) ist oft eins mit dem tauglichen Mittet sa 
einem bestimmten Zwedce. Das (absolut) richtige Büttel aber 
ist nar das in jeder Beziehung Zweckmäßige. Denn es 
gibt Mittel, die wohl in gewisser Hinsicht, in bezug auf gewisse 
Ziele zweckmäßig*, in anderer Hinsicht aber, nämlich in bezug 
auf andere Zwecke desselben Individuums oder derselben 
Gemunschaft oder auf andere Verhältnisse unzweckmäßig oder 
gar, wenn sie den betreffenden Zwecken Abbruch tun, zweck- 
widrig sind. So kann man etwa ein Verfahren einschlagen, 
das wohl zum g-ewünschten Zwecke führt, insofern also sicher- 
lieh zweckmäßig ist; aber zugleich schadet vielleicht diese Art 
des Vorg-ehens der Gesundheit, oder es ist unökonomisch, 
wenn dabei unnötig* Kräfte vergeudet werden, die man ander- 
weitig braucht, mit denen man daher sparen muß, es wird 
dann dem Ziel der Sparsamkeit, des Haushaltens mit dem ge- 
gebenen Energievorrat zuwidergehandelt *) — Zweckmäßigkeit 
kann ferner unmittelbar mit einer Zielstrebigkeit oder Zweck- 
setzung zusammenhängen; aber einerseits kommt auch viel- 
fach eine Zwecksetzung ohne Erreichung des verfolgten Zweckes 
vor, etwa infolge der Wahl unzweckmäßiger Mittel oder der 
unvollkommenen Beschaffenheit des ausführenden Org-ans, 
anderseits gibt es eine Menge von Dingen, die, ohne mit einer 
bestimmten Zielstrebigkeit verknüpft zu sein, sich doch „zu- 
fällig"" als für gewisse Zwecke geeignet, als zweckdienlich 
erweisen. Die handelnden Wesen können immer wieder 
Dinge, Zustände, Verhältnisse, z. B. Lebensbedingungen der 
Umwelt, vorfinden, die ihre Zwecke fördern, für die Wesen 
verwertbar, brauchbar sind, ihrer Erhaltung oder Entwicklung 
günstig sind. Es geschieht so manches, was wir nicht 
bezweckten, und was doch für uns zweck- oder erhaltungs- 

*) V|^. ttber ökonomiiche Zweckverfolgnng die Arbeilen von 
B.Qold9cheiä (Begriff der .EntwicklnngiAkonomie''), femer W, (Mwslcb 
Begriff des „eneigetiadieii hnperstivs": Vergeade keine Energie, ver- 
werte siel 

3* 



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36 



L AUceadacr TdL 



gemäß sich gestaltet» Damit aoli der Theorie der Zweck- 
mäßigkeit noch keineswegs vorgegriffen werden; die hier 
angeführte Unterscheidung verschiedener Arten des Zweck- 
mäßigen besteht bei jedweder endgultigeii Deutang der 

Weltordnung zu Recht. 

Zu unterscheiden ist ferner zwischen objektiver und 
subjektiver Zweckmäßigkeit. Die subjektive Zweckmäßigkeit 
besteht in der Eignung einer Sache oder Tätigkeit zur unmittel- 
baren Befriedigung- eines Wunsches, einer Neigung, eines 
subjektiven Bedürfnisses oder Triebes; sie ist subjektive 
Bedürf nisg-emäßheit. Unter der „objektiven" Zweckmäßig- 
keit verstehen wir die Tauglichkeit einer Sache oder Funktion 
nicht nur zur Befriedigung einer Begierde, eines Strebens, 
sondern auch zur Förderung eines objektiven Zweckes, d. h. 
zur Erreichung einer bestimmten Wirkung, die im Interesse 
der Erhaltung oder Entwicklung von Wesen gefordert ist oder 
bei richtiger Einsicht gefordert werden könnte und müßte, 
mag sie auch unter Umständen von diesen Wesen nicht 
begehrt oder vielleicht gar verabscheut werden. So ist 
z. B. ein Medikament für die Gewinnung der Gesundheit 
objektiv zweckmäßig, obwohl es in bezug auf das dem 
Geschmackssinn eigene Begehren subjektiv zweckwidrig sein 
kann. Subjektive und objektive Zweckmäßigkeit können, 
müssen aber nicht zusammen bestehen. Daß ganz allgemein 
etwas für zweck- und bedürfnisgemäß gehalten werden kann, 
ohne es wirkUch zu sein, ohne also das zu leisten, was von 
ihm erwartet wurde, ist selbstverständlich. Unsere Urteile 
über die Nützlichkeit einer Sache, d. h. deren Brauchbarkeit 
zur Befriedigung eines Bedürfnisses oder deren Eignung als 
Mittel zur Verwirklichung oder Förderung eines objektiven 
Zweckes, können auf unzureichenden Erfahrungen oder un- 
berechtigten Annahmen uud Erwartungen beruhen und daher 
falsch, irrig sein. 

„Zweck" und „Motiv" einer Handlung können, müssen 
aber nicht inhaltlich zusammenfallen. Ein und derselbe Zweck 
kann ja aus ganz verschiedenen Beweggründen und Trieb- 
federn angestrebt oder verwirkücht werden. So kann man 



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Zwdtet Kapitd. Tdeokcitche BapUribcgüinmiuigeii. 37 



2» B. ane Wohltat ans Qgoistischeii oder xein altruistisdieii 
Motiven ausüben. Daa Gefölü der Lost und Unlnat ist zwar 
die allgfemeine Triebfeder des Handelns^ knüpft sich aber an 
die veischiedensten VocBfeellungsinhalte als Beweggründe. 
Umgekehrt werden oft ganz verschiedene Zwecke ans gleiehen 
Motiven Teifolgt Teilweise nur sind die gesetzten oder za 
setzenden Zwecke (etwa die sittlichen) zugleiöh anch Motive 
oder Hauptmotive des Handelns (f,Zweckmotiv**). Dnrch 
„Motivveischiebang'* können Mitlei zn Zwecken» Zwecke zu 
Mitteln werden, }e nach dem Wedisel des Int eress e s» 



Drittes Kapitel. 
KamaUtät und Ffnalilftt. 

Zw^^oa würden wir nichts von irg'endeinem Zweck 
wiaaen, wenn wir nicht diesen Begriff uzsprung'lich auf Grund 
unserer eigenen Willenserfahr u n g g-ewönnen. Wer Zweck 
\ sagft, sagt Wille ; wer von einem Ziele im teleologischen Sinne 
spricht, bezieht sich, bewußt oder unbewußt, auf ein Streben, 
und ein solches kennt jeder zunächst nur aus seiner inneren, 
unmittelbaren Erfahrung. Ohne ein Erlebnis bei der Zielstrebig-- 
keit und Zwecksetzung- in unserem eigenen Handeln wäre für 
uns der Zweckbegriff absolut leer. Rein aus sich heraus kann 
diesen Begriff kein Denken erzeugen. Wenn der Zweck, wie 
dies anzunehmen ist, ein fundamentaler, auf andere Begriffe 
nicht surückführbarer Begriff ist, so teilt er das Los aller 
unserer Grundbegriffe, nor an einem Eifahrungsmateiial, wenn 
auch nicht aus diesem entspringend, zustande zu kommen. 
Gewiß, die Relation von Zweck und Mittel ist als solche erst 
durch das primäre, S3mthetische (verknüpfende) Denken gesetzt, 
sie ist als Relation nicht in bloßer Wahrnehmung gegeben, 
kein passiv sich darbietender Erfahrungsinhalt, sondern wird 
an einem solchen erst durch das Denken gesetzt. Aber es 
muß eben etwas da sein, was sich in eine solche Relation 
bringen, ein Stoff, der sich zu einer solchen denkend ver- 
arbeiten läßt, ein Erlebnisinhalt. 

Das teleologische Urteil, durch welches eine solche 
Relation begrifflich formuliert wird, verknüpft zunächst und 
ursprünglich eine Handlung unseres Ich mit einer anderen 
oder mit einer äußeren Wirkung in der Weise, daß eine 
Zweck- oder Finalreihe entsteht, deren Glieder sich zu- 
einander als Mittel und Zweck verhalten. Auf die Frage: 



Drittes Kapitd^ KattnUtll aad FinalUlt. 



80 



Wom geschieht dies und jenes? weisen wir auf etwas liin^ 
d8A..wir durch unser Hin erreichen oder bewerkstdligen 
wollen, auf dnen Voig'ang- oder Zustand in oder außer uns» 

in unserem vorsteilenden Bewußtsein (ideell) vorweg)» 
genommen wird, und dessen Verwirklichung*, d. h. dessen 
Oberfütirung aus dem potentiellen und ideellen in den ak- 
tuellen und realen Zustand wir wollen, ansti^ben. Indem wir- 
nun die Frage nach dem „Wozu" beantworten, geben wir 
einen Grund für die Bestimmtheit unseres Verhaltens an ; 
wir machen dieses dadurch als zielstrebig, zweckdienlich, 
begreiflich oder verständlidi und ordnen es damit in einen 
intelligiblen, rationalen Zusammenhang ein. Unser Handeln 
erscheint jetzt als „Folge", der Zweck als „Grund", durch 
den diese gesetzt, bedingt ist. Das teleologische Urteil: 
ist, damit B ist", enthält ein A als ideelle Folge eines B 
als eines ideellen Grundes (Idealgrundes). Unter dem Gesichts- 
punkt des Zweckes hat das Denken eine eigenartige Synthese 
hergestellt, durch welche dem Postulat nach Begreiflichkeit 
oder Verständlichkeit des Gegebenen in einer gewissen Hin-, 
sieht Genüge gfetan wird. 

Nun läßt sich aber dasselbe Geg-ebone, dieselbe Handlung- 
auch rein kausal betrachten. Dann erscheint etwa die Hand- 
lung als „Ursache", ihr Hrfolg als „Wirkung". Jetzt ist das, 
was im teleologischen Urteil Folge war, Grund, und der frühere 
Grund tritt jetzt als Folge auf. Im Kausalurteil: „B ist, weil 
A ist", wird der Satz vom zureichenden Grunde so auf ein 
Gegebenes angewendet, daß ein Geschehen als, (reale) Folge 
eines Realgrundes (= Ursache) bestimmt wird. Das kausale 
und das teleologische Urteil widersprechen also einander in 
keiner Weise; sie sind durchaus miteinander vereinbar. Es 
wird ja nicht etwa im teleologischen Urteil die Ursache zur 
Wirkung und die Wirkung zur Ursache, so daß wir eigent» 
lieh zwei Ursachen für eine Handlung hätten: einmal das ihr 
in der Zeit vorangehende und sie bewirkende Geschehen, dann 
auch noch ein künftiges Geschehen, das die Handlung 
ebenfalls bewirkt und so der Eindeutigkeit des Kausal- 
zusammenhangs Abbruch tut An dem Verhältnis zwischen 



40 



I» AOgtmkur Teil. 



Ursache und Wirkung- wird durch das teleologische Urteil 
nichts g-eändert; denn dieses Urteil gibt keine „Ur- 
sache" der Handlung- an, sondern macht dieselbe nur 
durch die BeziehuDgr auf einen Xdealgrund begreiflich oder 
verständlich. 

Die oft aufgeworfene Fragte: Wie kann ein noch nicht 
Seiendes, Zukünftig-es auf ein Geg-enwärtig-es wirken? ist leicht 
zu beantworten, da sie auf einem Mißverständnis beruht. Das 
teleologische Urteil enthält ja, wie wir sahen, nichts von einer 
solchen Behauptung; es redet gar nicht von bewirkenden 
Ursachen, es gibt keine kausale Erklärung. Wohl aber läßt 
es sich ohne weiteres in ein kausales — und zwar teleologisch- 
kausales — Urteil verwandeln. Aus dem Urteil: ist, damit 
B ist", wird dann die Formel: „A ist, weil B erstrebt, gewollt 
wird." Hier ist das Erstreben oder Wollen von B, also eine 
Zielsetzung, als eine bewirkende Ursache, ein kausaler Faktor 
der Handlung bestimmt, und diese Ursache ist nun ein dem 
gegenwärtigen zeitlich vorangehender Vorgang wie alle 
anderen, nur daß er eben die Qualität der „Zielrichtung-" hat. 
Nicht der Zweck oder das Ziel für sich wirkt also als Ursache, 
sondern das Erstreben, Setzen des Zieles und die daraus er- 
fließende Handlung — beides als ein Vorgang, der eine 
psychische und physische (physiologische) Seite hat, die je 
nach dem Standpunkt der Erkenntnis in Betracht kommt. 
Der Zweck selbst ist wohl von „Euiüuß" auf das Handeln, 
aber nicht in kausaler Weise, als ein etwas bewirkendes 
Geschehen, sondern er löst durch die Zweckvorstellung, deren 
Inhalt er bildet, ein Streben aus, und dieses leitet die Hand- 
lung ein, als deren Wirkung die Realisation des Zweckinhaltes 
erscheint. Zwecke für sich, als ein Ideelles (Ideales), ent- 
falten keine reale Kausalität; sie sind keine Ursachen neben 
anderen, keine Kräfte, sondern alles Geschehen hat, kausal 
betrachtet, nur bewirkende Ursachen, zu denen auch 
zielstrebige Faktoren gehören können.*) Die Bezeich- 

•) Vgl. auch die vortrefflichen Ausführungen bei J3". Kdsen, Haupt* 
Probleme der Staatsrechtslehre, xpii, und M. Adler, Marxistische 
Probleme, 1913. 



Drittel Kapitel. Kaonlitftt «ad FinaUtit 



41 



tamg des Zwecks als «Ursache** <,»Zweckitnache'') ist irre- 
fQJu^nd and daher zu vermeiden. 

Das teleologisehe Urteil erzeu;^ den Zweck als ein« 
y^dee** oder als „Kateg-orie**, welche die Kategorie der 
Kausalität ergänzt und mit ihr xnsammen der Hersteliungr 
einheitlichen Erfahrungfszusammenhangs dient. Eine 
«Idee**, ein bloß regulativer, die Forschung leitender BegrifE 
kt der rein formale Zweckbegriff, unter dessen Leitung von 
einem bestimmten als Ziel betrachteten Erfolg auf die kausalen 
Bedingungen, unter welchen dieser Erfolg sostandekommt, 
zurückgegangen wird und gewisse Funktionen aus ihrer 
Bedeutung für den Zweck, aus ihren Wirkungen begreiflich 
gemacht werden. Aber dabei braucht es nicht sein Bewenden 
zu haben, es gilt auch einen objektiven, für die Wirklich- 
keit selbst gültigen (konstitutiven) Zweckbegriff, der zunächst 
jedenfalls für das Gebiet menschlichen Handelns g'ültig- ist, 
aber auch, wie wir sehen werden, eine umfassendere, sich 
weiter erstreckende Bedeutung- haben kann. Hier stellt der 
Zweck eine Kateg"orie dar, eine Beding"ung' (Konstituierende) 
des Wirklichke itsz.usam menhanges selbst als eines 
Gegenstandes möglicher Erfahrung. 

Verstehen wir unter „Realität" einen einheitlichen Zu- 
sammenhang von Gegenständen möglicher Erfahrung, dann 
gehört der Begriff und Grundsatz der Kausalität zu den 
diesen Zusammenhang konstituierenden, begründenden Be- 
dingungen. Mag es sich nun um das körperliche oder seelische 
Sein, um physische oder psychische Vorgänge handeln, wir 
sind genötigt, sie konsequent nach dem Gesichtspunkt der 
Ursächlichkeit miteinander zu verknüpfen, also zu jedem 
Geschehen, jeder Veränderung ein anderes Geschehen als 
Ursache zu suchen, um eine der logischen Verbindung von 
Grund und Folge entsprechende, wenn auch nicht mit ihr 
identische Ordnung zu gewinnen, aus der heraus die einzelnen 
Arten der Veränderung begreiflich werden. Den einheitlichen 
Zusammenhang, den wir das System der Erfahrung nennen, 
kann das Denken nur vermittels der kausalen Synthese er- 
arbeiten; der Grundsatz der Kausalität ist daher sowohl eine 



42 



I. AUgemdner Teil. 



apriorische, notwendige gültig-e Voraussetzung- als auch ein 
unerläßliches Postulat, eine strenge Forderung der Erkenntnis, 
wenn auch die einzelnen, konkreten Kausalverbindungen immer 
nur an der Hand von Erfahrungsdaten, also nicht durch bloßes 
Denken, nicht rein deduktiv sich bestimmen lassen. Das gilt 
auch von den Gesetzen des Geschehens, sowohl von den 
Naturgesetzen im engeren Sinne als von den psycliologischen 
Gesetzen, welche durch eine gedankliche Verarbeitung des 
Erfahrungsmaterials erkannt werden, während die Idee der 
Gesetzlichkeit überhaupt als solche apriorisch und ^trans- 
zendental" (erfahrungsbedingend) ist. In dem auf diese Weise 
erstellten Erfahrungssystem finden nun auch Strebungen 
und Wollungen, also auf Ziele gerichtete Tätigkeiten 
als Ursachen unter anderen Ursachen, ihren Platz, und 
zwar überall da, wo ihre Setzung zur Begreiflichkeit des Er- 
fahrungszusammenhangs erforderlich erscheint, wo empirische 
Kriterien zu ihrer Annahme vorliegen. Das Postulat durch- 
gängiger kausaler Ordnung schließt die, wenigstens partielle, 
Wirksamkeit „zielstrebiger" Faktoren nicht aus, sondern ein; 
nur nimmt hier die Kausalität eine besondere Färbung- oder 
Qualität an, sie ui d zu einer teleologischen Kausalität. 
Das „Gerichietsein auf ein Ziel" ändert nichts am Kausal- 
nexus, es bedeutet bloß eine besondere Beschaffenheit von 
Ursachen, ein besonderes Merkmal bestimmter kausaler 
Bedingung-en des Geschehens, welches in die besondere 
Gesetzlichkeit des betreffenden Tatsach en g-eb i ets 
schon von vornherein einzubeziehen ist. Diese Gesetz- 
lichkeit ist eben selbst schon durch die Wirksamkeit ziel- 
gerichteter Ursachen bedingt, sie gilt immer nur unter der 
Voraussetzung dieser. Die Gesetzlichkeit des psychischen, 
sozialen, kulturellen Geschehens z. B. resultiert aus dem 
Zusammenwirken äußerer Naturfaktoren mit Trieb- und 
willensmäßigen Zwecksetzongen als* Faktoren bestimmter, 
typischer und individuell verBchtedener Handlungen, Gestal- 
tungen und Verhältniase. > Hierbei braucht eine Durch- 
brechung des physischen Kausalzusammenhangs keineswegs 
angenommen zu werden, wofern man nur, im Interesse streng* 



Dritt« Ktpitd. KMMlitftt imd Finalitlt 



43 



einbeitlielier Erfahroogsverarbeitiing, mit konseqnenteater 
Festhaltimg' an dem jeweiligf eingenommenen Stand- 
punkt der Betrachtung' ' das einzelne ph3rsi8clie und 
physiologiadie Geschehen dem System der anfieren 
(sinnlich vermittelten), das psycfaist^e Einzelgeachehen aber 
dem System der inneren (unmittelbaren) Erfahrung ein* 
ordnet 

Eine teleologische Kausalität besteht da, wo als Ursache 
eines Geschehens eine auf ein Ziel gerichtete Tätigkeit (als 
Ausfluß eines Strebens oder Wollens) anzusetzen Ist Was 
▼om rein teleologischen Gesichtspunkte aus ein nMittel" heißt, 
ist in kauaal-teleologischer Betrachtung nichts anderes als die 
Ursache oder Beding-ung- eines bestimmten Effektes, nur daß 
die Eignung zur Herbeiführung- desselben zur besonderen 
Charakterisierung* der Ursache dient und daß wir annehmen, 
sie habe diese Eignung von Natur aus oder sie sei durch eine 
Kombination von Elementen zur Bewirkung des Effektes eist 
tauglich gemacht worden. In der (idealen) Beeinflussung- des 
Geschehens und Seins durch Zwecke liegt nichts Geheimnis- 
volles, wenn man nur immer streng- daran festhält, daß nicht 
der Zweck als solcher, als etwas Ideelles, wirksam ist, sondern 
das auf das Ziel, den zu bewirkenden, zu modifizierenden odw 
2u erreichenden Zustand gerichtete Streben als ein an einen 
Vorstellungsinhalt oder eine Empfindung, bzw. ein Gefühl, 
eine Wertung sich knüpfender Vorgang. Dem Zusammenhang 
von Mitteln und Zwecken entspricht kausal eine Abfolge 
bestimmter Willens- oder Triebhandlungen, eine Reihe, in der 
das folgende Glied von dem vorangehenden kausal ab- 
hängig ist. 

Die Frage: Wie ist eine Teleologie möglich, wenn 
der Grundsatz der Kausalität allgemeingültig sein 
soll? ist hiermit beantwortet. Es gibt in der Tat kein Ge- 
schehen in der physischen oder psychischen Natur, in der 
Körper- und Geisteswelt, das nicht seine bestimmten Ur- 
sachen und Wirkungen hat; nichts erfolgt ursachlos (kausal 
oder antikausal), sonst wäre es unbegreiflich und könnte 
kein Glied des einheitlichen Krfahrungszusammenhanges 



44 



L AUscmclMr TeO. 



bilden.*) Und noch mehr: di^ Kausalität der physischen Natur- 
phänomene iat aU eine geschlossene «zn denken» soll der 
einmal ein^nommene Standpunkt der si9olicb vermittelten, 
natnrwiflsenschaftlichea Erkenntnis konsequent festgehalten 
werden und sollen das aas diesem Standpunkt sich ergebende 
Postulat der einheitlichen und universalen quantitativen Be- 
stimmung der Veränderungen und das damit zusammen* 
hängende Prinzip der Erhaltung oder Konstanz der Energie 
zur Geltung kommen. Wird der Forderung der Allgemein- 
gültigkeit der Kausalität durch die Kinführunir des Begriffs 
der „telcoloßfischen Kviusalität" Genüg-e getan, so lassen 
sich die anderen Erkcnntnispostulate so erfüllen: Psychische 
Zielstrebigkeiten und Faktoren als solche werden nicht als 
Ursachen physischer, physikalisch - chemischer und physio- 
logischer Phänomene angesetzt, sondern als das Innen- 
oder Fürsichsein physischer Ursachen, d. h. ebender- 
selben Wirklichkeit aufgefaßt, die vom Standpunkt äußerer 
Erfahrung und deren kategorialer und methodischer Ver- 
arbeitung sich als physisch, körperlich, materiell, bzw. als 
Bewegung, Kraft oder Knergie darstellt. Nur auf identitäts- 
theoretischer Grundlage ist eine mit der strengsten und 
einheitlichsten Durchführung des Kausalprinzips vereinbare, 
monistische Teleologie möglich, die, wie wir sehen werden, 
auch in dem Sinne wahrhaft „monistisch" ist, daß sie sich, 
wenn auch nur in metaphysischer Deutung, auf das Gesamt- 
geschehen in der Welt anwenden läßt. 

Der Zweckbegriff hat nun zunächst eine rein explika- 
tive Funktion, er steht im Dienste des Erkenntniswillens. 
Einerseits wird das Geschehen, oder wenigstens ein Teil des- 
selben, erst durch die Einreihung zielgerichteter Ursachen in 



*) Treffend bemerkt R. Ooldacheid (Höherentwicklung und Menschen- 
ökonomie I, 191 1, S. 637): „Und wenn wir bei allem Zweckstreben 
stets von neuem fragen mflsien, mit welchen Mitteln diese Zwecke 
erreicht werden, so dringt ans eben die Teleologie selbst wieder anf 
das Prinzip der Kausalität zurück; mit anderen Worten: Je konsequenter 
wir teleologisch denken, desto konsequenter kausal mflssen wir zu 
forschen suchen." 



Drittel I CB f ^ ftl. KimwHWf «ad Fbwlitit. 



45 



den Kausalsusaminenliaag' im yollen Ma&e begreif lidh« ander- 
seits Terhilft die Forschung' nach den Bedingungen des 
Zustandekommens zweckmSfiigerElnrichtongen zur Entdeckung 
von Ursachen, die sonst nicht oder nicht so vollständig und 
gerade nadi dieser Seite ihres Wirleens bestimmt worden 
wiren. Von den anf diese Welse zu erforsdieiiden Ursachen 
und Faktoren bilden die gefundenen Zielstrebigkeiten und 
zielstrebigen Akte ein besondereSi f fir das Verständnis der vor^ 
gefundenen Zweckmäfiigkeiten wichtiges Ursaohengeblet; aber 
eine regulativ-heuristische, die Erkenntnis fördernde Be- 
deutung hat die explikative Zweckidee auch dann, wenn eine be- 
stimmte Zweckmäßigkeit zu keiner Entdeckung unmittelbarer, 
spezifischer Zielstrebigkeiten oder Zwecksetzungen führt In 
jedem Falle dient die explikative Zweckidee, wenn sie kritisch 
verwendet wird, als Leitfaden bei der Erforschung der Wirksam- 
keit zweckmäßiger Gebilde und Funktionen, also als Ergänzung 
des Kausalbegriffs. Eine kritische Teleologie darf eben in 
keiner Weise die Erkenntnis der Ursachen des Geschehens 
umgehen; sie darf auch nicht die neben den besonderen 
Zielstrebigkeiten wirksamen Faktoren vernachlässigen, noch 
auch imm^ das Zweckmäßige als ein von vornherein in 
solcher Form Beabsichtigtes, Bezwecktes betrachten. Er- 
kenntnishemmend wird nur jene Teleologie, welche die 
Frage nach dem „Wie?", nach den zureichenden Ursachen 
und Bedingungen von Zweckmäßigkeiten durch die Forschung 
nach den Zwecken der Dinge ersetzen will, statt jene bloß 
durch sie zu ergänzen und zu bereichern. — 

Es muß gleich hier bemerkt werden, daß selbst die Aus- 
dehnung der teleologischen Betrachtung auf das universale 
Geschehen, die metaphysische Annahme, daß überall in der 
Welt eine immanente Zielstrebigkeit besteht, an der Unter- 
scheidung spezifisch zielstrebiger von den sonstigen Ursachen 
einer besonderen Zweckmäßigkeit nichts ändert. Alle jene 
Strebuiigen und zielstrebigen Tätigkeiten, die nicht auf den 
in Frage stehenden besonderen Zweck gerichtet sind, be- 
deuten im Verhältnis zu der betreffenden Zweckmäßigkeit 
nichtgerichtete Ursachen, mögen sie auch im Hinblick auf 



46 



t AUgcmeiMr TdL 



andere Ziele zur universalen teleologischen Kausalität ge* 
hören. So können etwa Kräfte und Aktionen der Umwelt, 
die zur cweckmäßigfen Gestaltung* dea Organismus beig'etrag'en 
haben, ganz wohl auf eigene Ziele gerichtet sein, während sie 
in Beziehung zu dem betreffenden Organismus die Rolle nicht« 
gerichteter, rein mechanischer Faktoren spiele Beachten 
wir dies genau, so wird uns mit einem Schlage ventandÜchi 
wie ein „Pantelismus", die Annahme einer universalen Herr- 
schaft des Zielstrebens in der Welt, mit einem „Pankausalis- 
mus" durchaus vereinbar ist. Hiemach läßt sich die Mannig« 
faltigkeit des Geschehens als ein System von Ursachen und 
Wirkungen begreifen, welche in teleologischer Auffassung ins- 
gesamt als Ausdruck von Zielrichtungen erscheinen, d. h. als 
zielstrebige Reaktionen, die auf andere zielstrebige Reaktionen 
notwendig erfolgen und wiederum solche notwendig unaus- 
bleiblich zur Folge haben. Hierbei ist nicht etwa jeder Vor- 
Cfang- als das Mittel zu einem anderen aufzufassen, denn dies 
würde den Tatsachen Gewalt antun. Die Sache steht viel- 
mehr so. Alle Vorgänge können aus zielstrebigen Akten 
entspringen, aber die Ziele dieser sind zunächst elementarster 
Art; sie bestehen etwa in der Beseitig-ung unlustvolier Zu- 
stände der Wirklichkeitseiemente. Eine rein teleologische Re- 
lation besteht zunächst nur zwischen den Aktionen und deren 
immanenten Zielen, die als solche nicht selbst Vorgänge sind, 
sondern den ideellen Gehalt des Strebens bilden. Die einzelnen 
Aktionen selbst stehen miteinander in bloß kausalem Zu- 
sammenhang, wenn sie nicht aufeinander hingeordnet 
sind, in einem Finalnexus aber, wenn übergeordnete, 
dominierende Zielsetzungen untergeordnete, ihnen 
„dienende" zielstrebige Reaktionen bedingen, fordern, 
die nun als Mittel zu einem bestimmten gewollten Geschehen 
sich darstellen. Es sind also innerhalb des allgemeinen, kos- 
mischen Systems zielgerichteter Vorgänge besondere, zu ge- 
schlossenen Einheiten des Geschehens sich zusammen- 
schließende teh'olojjfische oder finale Reihen zu unterscheiden, 
innerhalb deren ein Glied sich als Mittel zum anderen verhält, 
wie dies besonders in den Organismen der Fall ist — 



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Drittes Kapitel. Xaanlitit nnd Fiaalittt 



47 



Flnalität und Kausalität stehen also, wie wir Sfesehen haben, 
in keinem unüberwindlichen Gegensatz zueinander* Voraus- 

j2fesetzt, daß alles Sein seinem innersten Wesen nach ein.- 
heitlicher Natur ist, daß alles Physische der Ausdruck, die 
objektive Erscheinung" einer der unserig-en zwar nicht gleichen, 
aber doch irgendwie analog-en „Innerlichkeit" und Regsamkeit 
ist, daß ein Streben, eine „Tendenz" allen Wirklichkeits- 
faktoren zukommt, läßt sich jeder Vorg^ang^ zug"leich als 
zielstrebig* und als kausal bedingt bestimmen, d. h. ebenso 
als Ursache und Wirkungf anderer Vorgänge begreifen wie 
als Mittel zu einem eigenen oder fremden (bzw. übergeordneten) 
Ziel verstehen. Alle Kausalität erscheint von diesem uni- 
versalen Gesichtspunkt aus als teleologische Kausalität, jede 
Ursache als final bestimmt, wenn auch nicht durchweg auf 
einen bestimmten äußeren Effekt als Zweck gerichtet. Alles 
Geschehen hat seinen Real- und seinen Idealgrund, eine 
Ursache und einen Zweck, der schon deshalb nie als eigener 
kausaler Faktor eingestellt werden darf, weil er der Ursache 
selbst immanent ist. Jeder ein Streben bekundende Vor- 
gang ist ebenso durch andere zielstrebig-e Vorgänge gesetzt, 
bedingt, wie er selbst andere Vorgänge zur Folge hat, so daß 
man sagen kann: die kausale Ordnung ist die Er- 
scheinung eines Systems finaler Elemente, oder die 
Finalität ist der Untergrund der Kausalität, das Innere, 
Qualitative zu den als solchen mehr äußerlichen kausalen Re- 
lationen des Geschehens. Und da ohne Finalität nichts ge- 
schehen wiirde, so ist die Finalität die metaphysische Vor- 
aussetzung aller Kausalität. In diesem Sinne geht der Zweck 
bzw. die „Idee" allem Geschehen voran, und setzt der Wille 
das Sein, dessen Verhältnisse und Ordnungen aus zielstrebigen 
Taten, aus finalen Aktionen und Reaktionen erwachsen. 
Die kausal-funktionalen Abhängigkeiten der Erscheinungen 
voneinander bringen innere, teleologische Zusammenhänge 
zwischen den Wirklichkeitsfaktoren zum Ausdruck. In diesen Zu- 
sammenhängen haben die kausalen Relationen ihr „Fundament", 
ihr Eigen- und Innensein. Die realen Glieder des universalen 
Systems ursächhcher Beziehungen sind zielstrebige Faktoren. 



48 



L Allgcmciiier TcQ. 



Fragen wir nun nach der Vorannetzang' der Gültigkeit 
dea Zweckdbegriffes und seiner Anwendung; ao ist es klar, daß 
die regulativ* he üristia che Bedeutung der teleologischen 
Methode im Sinne des Zurfickgehens von den Zwecken zti 
den Mitteln als Bedingungen des Zustandekommens bestimmter 
Erfolg-e auch dann bleibt, wenn wir diese Erfolge nur so be- 
trachten, als ob sie erstrebt, bezweckt wären, wenn die Zweck- 
setzung- also eine bloße „Idee" oder gar nur eine „Fiktion* 
( Vaihinger) bedeutet Diese rein methodologische Geltung des 
„formalen" Zweckbegriffes wird immer mehr anerkannt Soll 
aber der Zweckbegriff eine darüber hinausreichende Gültigkeit 
haben, also auf den Wert einer objektiven, einen realen Seins» 
Inhalt setzenden „Kategorie" Anspruch erheben können, dann 
muß die Möglichkeit bestehen, ihn auf ein dem unserigen 
analoges, tatsächlich bestehendes Streben und Wollen zu be- 
ziehen. Daß in unserem eigenen Seelenleben das Material 
zur Anwendung des Zweckbegriffes gegeben ist, daß wir also 
das Recht haben, uns selbst als zielstrebige und zwecksetzende 
Faktoren zu betrachten, unterliegt Iceinem berechtigten ZwetfeL 
Wir können auch nicht umhin, in unseren Nebenmensdhen 
solche im Handeln sich nach Zwecken orientierende, nel- 
strebige Wesen zu erblicken. Für die geistige, soziale und 
kulturelle Welt erscheint also die Geltung des konstitutionell- 
explikativen Zweckbegriffes gesichert, so kritisch wir auch bei 
der Anwendung desselben im einzelnen verfahren müssen. 
Soll nun aber die teleologische Methode auch auf das Seins- 
gebiet der übrigfen Lebewesen ausj^edehnt werden, und zwar 
in der Weise, daß wir organische Zweckmäßigkeiten als unter 
dem Einfluß von Zielsetzungen entstehend und sich entwickelnd 
betrachten, dann bleibt uns nichts übrig-, als daß wir schließ- 
lich schon den primitivsten Organismen ein „Innensein" in 
Form elementarer Strebungen zuerkennen, wobei wir uns 
natürlich vor jedem Anthropomorphismus zu hüten haben. Die 
Ähnlichkeit der fundamentalen Struktur aller Organismen so- 
wie des äußeren Verhaltens derselben mit der Grundbeschalfen- 
heit und den Grundreaktionen menschlich-organischer Substanz 
gestattet eine solche Einiegung oder JLntrojektion" psychischer 



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Drittes Kanitel. KuTOitBWt und FiaaliUtt 



Vorgänge in alle Lebewesen, und die Idee der Entwicklang der 
hoherent kompliderteren aus niederen, einfacheren Organismen 
bestärkt una noch in dem Glaaben an die Berechtigning dieser 
Introjektion. Wohl ist mis das tJnnensein** der Organismen 
nicht unmittelbar wie unser eig^enes gegeben; es ist relativ, im 
psycholog^iscfaen Sinne, nbewußtseinstranszendent", „transsub- 
jektiv", d. h* von unserem empirischen, individuellen Ich untM^ 
schieden und unabhängigf, aber keinesweg-s erfahrungs- oder 
erkenntnistranszendent, d. h, nicht etwas, das nicht Gegenstand 
mög-licher Erfahrung^ oder Erkenntnis sein kann (wie etwa das 
Unendliche, die Gottheit). Unser eigenes Innen- .oder Für- 
sichsein ist durchaus erkenntnisimmanent, und wenn wir eine 
Vielheit fremden „Fürsichseins" setzen, annehmen, fordern, so 
überschreiten wir wohl die Grenzen unserer rein subjektiven, 
psycholog-ischen, auf unser Ich sich beziehenden Erfahrung, 
nicht aber das Gebiet einer „Er&hrung überhaupt". Wir bilden 
also keinen Begfriff von etwas, zu dem uns jedes Erfahmng»- 
material fehlt; wir bleiben innerhalb der Grenzen des logfischen 
oder transzendentalen „Bewußtseins" als des Inbeg-riffs der Be- 
dingungen empirischer Erkenntnis, zu deren Inhalten eben eine 
Mannigffaltigkeit von relativ selbständigen Objekten und Sub- 
jekten (oder Ichs, strebenden und empfindenden Einheiten) 
gehört. Finden sich nun Gründe oder Anhaltspunkte zur 
denkenden Ergänzung- des „Außenseins" aller räumlichen Ob- 
jekte durch ein in sie hineingelegtes „Fürsichsein", so ist dies 
wohl schon Metaphysik, was wir da treiben, aber kritische 
Metaphysik, die sich ihres metaphysischen Charakters, der 
Voraussetzungen aller Erkenntnis, der Bezog- enheit alles 
Erkenntnisinhaltes auf die Gesetzlichkeit des er- 
kennenden, logischen Bewußtseins bewußt bleibt und es 
vermeidet, sich in das Gebiet des absolut Transzendenten, 
des vom „Endlichkeitsstandpunkt" Unerfaßbaren, Unerforsch- 
liehen, des „absoluten An sich", zu beg-eben. 

Vom erkenntniskritischen Standpunkte läßt sich demnach 
gegen die Annahme, daß alles Wirkliche nicht bloß aus einer 
Mannigfaltigkeit raumzeillich - kausaler Beziehungen besteht, 
sondern auch ein q,ualitativ bestimmtes E^igensein, eine 

£iiler. Der Zweck. 4 



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50 



L Allgemeiner Teil. 



^Innerlichkeit*' analog der unserigen besitzt, kanm etwas ein- 
wenden; denn ein Hinansgeben aber das eigene subjektive 
Ichbewußtsein ist ja schon .mit der Anerkennong eines fremden 
Seelenlebens als Ffinichsein unserer Mitmenschen gegeben*) 
imd mit der Besinnong auf die logischen, transsendentalen» 
ainionschen Bedingungen der Erfohrung durchaus vereinbar. 
Vom Standpunkt der ^zelwissenschaften aber w&re die An- 
nahme eines universalen Fursichseins nur dann bedenklich, 
wenn das Prinzip der geschlossenen Kausalität dadurch 
verletzt würde, daß die den Dingren beigelegten ps3rchischen 
Regungen als Ursachen physischer Phänomene bestimmt 
werden, und daß die Eindeutigkeit der Kausalbeziehung 
verloren geht Es würde einen gefihrlicfaen Ruckschritt in 
der Wissenscfaaftsentwicklung bedeuten, wollte man physika* 
Usch-chemische Vorgänge, Veränderungen an Rauminhalten 
nicht immer wieder aus anderen raumzeitlichen, mate- 
riellen bzw. dynamisch-energetischen Vorgängen er- 
klären, sondern sie als Wirkungren nicht-physischer Kräfte 
betrachten, von denen nicht einzusehen ist, wie sie, noch dazu 
ohne Aufhebung fundamentaler Grundsätze und Postulate der 
Naturwissenschaft, auf etwas Materielles wirken können«*^ Aber 
die Setzung eines Innenseins aller Dinge ist, wie g-ezeigt 
wurde, mit der größten Konsequenz und Einheitlichkeit der 
naturwissenschaftlichen, quantitativen Erklärung des Ge- 
schehens durchaus verträglich; denn sie führt keine neuen 
Ursachen in das Gebiet der Naturwissenschaft ein, sondern 
ergänzt nur die kausalen Relationen durch etwas 
Qualitatives, das in ihnen selbst zum sinnfälligen 
und objektiven Ausdruck kommt. Es war von jeher der 
Grundfehler des dualistischen Spiritualismus, das Innensein 
der Dinge zu besonderen „Ursachen" und „Kräften" und diese 
zu Gliedern der Reibe der Naturkausalität zu machen, anstatt 
bloß der Gesamtreihe der Naturphänomene einen ebenfalls 
in sich geschlossraen Zusammenhang qualitativ-finaler Ver- 



*) Vgl. W. Jerusalem, Einleitung in die Philosophie, 5.-6. A, 1913. 
**) VgL JSMer, Leib und Sed^ igo6; Geist und KOiper, 1911. 



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Drittel XapitaL KuHlitlt nnd FfauOillt. 



51 



änderangen unterzulegen. Der Wille zum einheitlichen Ver- 
ständnis des Sinnes alles Geschehens darf das Postulat ein- 
heitlicher Begrreiflichkcit der Naturphänomene nicht be- 
einträchtig-en, so berechtiget er auch an sich ist 

Es steht somit der metaphysischen Annahme, daß alles 
Sein, wie es seiner sinnlich vermittelten Erscheinung" nach 
schließlich eines Wesens ist, so auch ein im Grunde g"leich- 
artigfes, wenn auch reich abg-estuftes „Inneres" besitzt, nichts 
im Weg-e, wofern nur die Gesetzlichkeit des Naturg-eschehens 
unverbrüchlich bleibt und an den Prinzipien der Naturerklärung" 
sich nichts ändert. Die Ergebnisse metaphysischer Deutung 
dürfen den Denkmitteln im Dienste des Zweckes der Natur- 
erkenntnis keinen Abbrach tun, sie dürfen deren Leistung und 
Tragweite in keiner Weise verringern. Daß aber „Innerlich- 
keit" als ein elementarstes „Psychisches" dem Realen über- 
haupt zukommt, ist nicht bloß deshalb anzunehmen, well so 
alles Geschehen einen Sinn bekommt, das spekulative Einheits- 
bedürfnis befriedigt wird, das Postulat der Stetigkeit des 
Seins zur Erfüllung kommt u. dgl., sondern auch aus dem 
bedeutsamen Grunde, weil in keiner Weise abzuseilen ist, wie 
das Psychische aus dem Physischen, die Subjektivität aus der 
Objektivität, das Bewußtsein aus dein Sein, der Geist aus der 
Materie irgend einmal hervorgehen kann. Will man nicht 
zugeben, daß das Seelische im Laufe der Entwicklung plötz- 
lich und aus nichts entstanden ist, und hält man auch die 
Annahme einer Erschaffung desselben durch Gott für keine 
innerhalb der Wissenschaft zulässige Erklärungsweise, dann 
bleibt eben nichts übrig, als die Voraussetzung: der Keim, die 
Potenz zu dem, was auf einer höheren Entwicklungsstufe als 
„Geist" im engeren Sinne auftritt, ist schon im Wirklichen 
überhaupt vorhanden, etwa als ein noch ganz undifferenziertes, 
nicht zentralisiertes „Momentanbewußtsein" {Leibniz» Wundt), 
als eine Art „Verspüren" von inneren Veränderungen und als 
eine Impulsivität des Reagierens auf erlittene „Störungen", also 
als eine rein immanente, äußerer bestimmter Zwecke noch er- 
mangelnde, dumpfe Zielstrebigkeit, noch ohne Selbstbewußt- 
sein, ohne Wahlfähigkeit, ohne eigentliche Aktivität, ohne 

4* 



62 



I. AlIfemdBcr TeOU 



Vorstellung'en und Assoziationen u. 6gL {S<Aopenhauer u. a.). Es 
hat demnach das elementare Reale swar noch keine ein^ 
heitliche Seele, keinen „Geist" im engeren SinDe. aber es 
kann g'anz wohl seelische DifEerenziale oder Potenzen besitzen. 
Nor das entwickelte seelische Sein setzt eine Orgfanisation 
voraus, in der es zum Ausdruck gfelangt und mit der es un- 
treimbar verbunden erscheint, während die seelische Potenz 
überhaupt, die Fähigkeit, Modifikationen zu verspüren und 
triebmäßig auf sie zu reagfieren, weit entfernt, ein bloßes Ent- 
wickln ngsprodukt zu sein, am Anfang- aller Entwicklung- 
stehen kann, ja stehen muß und der Substanz als solcher 
eig-en ist (Fechner, Wundt u. a.). Will mau eine solche Auf- 
fassung des Eig-enseins des Realen als „Panpsychismus" be- 
zeichnen, so ist dagegen nichts einzuwenden; nur ist dies eben 
ein kritischer Panpsychismus, der nicht mit bloßen Phan- 
tasiegebilden operiert, der weder den Bäumen, Steinen u. dg-l. 
noch auch notwendig den Gestirnen eine besondere, einheit- 
Hche Seele zuschreibt, der im Unterschiede vom primitiven 
Aniraismus den Dingen keine guten und bösen Absichten bei- 
mißt, kurz, der sich von der anthropomorphistisch-animistischen 
Weltanschauung des primitiven Menschen und auch vom dog- 
matischen „Hylozoismus" scharf unterscheidet. Dieser Pan- 
psychismus verleiht nur dem Standpunkt der unmittelbaren, 
„inneren" Erfahrung dieselbe Universalität, welche die 
Naturwissenschaft für den Gesichtspunkt der „äußeren" Er- 
fahrung und der auf sie eingestellten Erkenntnisweise fordert. 

Wenn gesagt wird, der Zweck sei „ein Fremdling- in der 
Natur*' (Kant, Riehl u. a.), so hat dies seine gewisse Berech- 
tigung, nämlich, falls man unter „Natur*' nicht etwa das Uni- 
versum, sondern den Inbegriff der nach Naturg-esetzen zu- 
sammenhängenden physischen Phänomene als solcher versteht. 
Ein Zielstreben im strengen Sinne des Wortes kann unmittelbar 
nur einem Wesen mit psychischen Fähigkeiten, einem Subjekt, 
nie einem physischen Objekt als solchem, zugeschrieben 
werden. So ist es denn auch nicht die physische Natur als 
solche, nicht das System der Körper und deren Relationen, 
wohin wir Zielstrebigkeit und Zwecksetzung unmittelbar zu 



Drittes Kapitel. KaoMlitlt and Fioalitlt 



58 



verleg-en haben, sondern da» Innen- oder Fiirsichsein eben«, 
derselben Wirklichkeit, die vom Standpunkt der äußeren Er- 
fahrung' sich als Natur darstellt oder als solche methodisch 
bestimmt, g-edacht wird. Und wenn man mit Recht der 
„Natur" im Sinne des mehr passiven, reaktiven und ixt" 
'wiichsig-en Seins das Reich des Greistes und der Kultur gfegen- 
überstellt, in welchem die zweckbewußte Tat zu schöpfenadiem 
Wirken und aktiver Gestaltung' des äußeren und inneren Da- 
seins wird, und welches das eij^entliche Gebiet der Wertung- 
lind Normierung darstellt, so darf man nicht verg'essen, daß, 
vom genetischen Standpunkt betrachtet, die Wurzeln dieses 
Kulturlebens in das Innensein dessen hinabreichen, was uns 
als Natur erscheint, daß es sich der Zeit nach aus einem 
solchen Innensein entwickelt hat. Gibt man dem Wort „Geist" 
die weiteste Fassung", dann kann man sagen: der Zweck steckt 
insofern in der Natur, als diese die Objektivation, Erscheinung, 
der Ausdruck, die Verkörperung- eines Geistes ist, der auf einer 
g-ewissen Stufe relativ unbewußt, unzusammenhängend, einseitig, 
automatisch, stabil, relativ erstarrt ist {Sclielling). Der Geist als 
Prinzip aber geht nicht aus der Natur hervor, auch steht er 
nicht äußerlich neben ihr, sondern die ganze Natur ist eine 
Objektivation, Erscheinung- und, in g^ewisser Hinsicht, zugleich 
eine Art Niederschlag des Geistes überhaupt, des universalen 
Zusammenhanges von Zielstrebigkeiten, die aller Entwicklung 
als innerste Faktoren zugrunde liegen und deren Produkt die 
Zweckmäßigkeit in der Natur ist (idealistischer Evolutionis- 
mus).*) Der „Geist** im kosmischen Sinne ist unentstanden 
und ewig wie die Natur; in allen Gebilden und auf allen 
Daseinsstufen derselben ist er wirksam, die ganze Natur ist 
seine Manifestation, sein Ausdruck, seine Verkörperung, nicht 
bloß die kultivierte Natur. Freilich ist der universale Geist, 
der das Innensein des Kosmos bildet, als Einheit und Totalität 
nicht erfahrbar, er ist für unser empirisches Erkennen absolut 
transzendent. Aber das hindert doch nicht, daß wir wenig- 
stens einen metaphysischen Ausbück gewinnen, indem der 

*) Ahnlich Ftchner, Wundi, FowOU u. a. 



Digitizec i^j *^oogIe 



54 



I. Allgemeiner Teil. 



dieorotiflehe Einheitswflle die Mannigfaltig'kett des Empiriselien 
zu einer Synthese höchster Ordnung^ verknfipfen läßt, die 
uns zwar kein Eifahrungsobjekt liefert, wohl aber die Idee einer 
All-Einheit des Geistigen wie des Physischen bedeutet, die 
eine Bedingung größtmöglichen Verständnisses des empiiischen 
Seins darstellt Die Gültigkeit des Zweckbegri& für alle 
Wirksamkeit in der Welt aber ist unabhängig von aller trans- 
zendenten Metaphysik, sie erstreckt sich auf das Gebiet mög- 
licher Erfahrung, auf die erkenntnis-immanente Wirklichkeit, 
auf die Realität, wie sie in den Formen und in der Gesetzlich* 
keit des logischen, transzendentalen Bewußtseins überhaupt 
zur Bestimmung gelangt Der universale Psychismus und 
Finalismus ordnet sich so dem Logismns und Transzendentalis- 
mus unter und ruckt damit von allem Psychologtsmus und 
„Metaphysizismus** im dogmatischen Sinne ab.*) 

*) Vgl. das vorletzte Kapitel: Der Zweck in der Logik und Er- 
kenntnistheorie. 



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Viertes KapiteL 
Zielstrebigkeit und Zweckmäßigkeit. 

Nicht selten wird gegen die Teleologfie der Einwand er- 
hoben, es gebe doch so viel Unzweckmäßiges, Zweckwidrigfes 
und Zwe<±lose8 in der Welt, daß von der Existenz and Wirk* 
samkeit zielstrebiger Faktoren in der Nator nicht wohl die 
Rede sein könne. Gewifi, so wird gesagt, benützen wir 
Menschen eine Menge von Dingen für unsere Zwecke, aber 
man könne doch keineswegs behaupten, diese Dinge seien 
von vornherein daza bestimmt, von uns Menschen verwertet, 
in Gebraoch genommen zu werden. Denn es bestehe kein 
sichtlicher Zusammenliang zwischen unseren Zwecken und 
dem Vorkommen, der Existenz dieser für uns zweckdienlichen 
Dinge. Femer sahen wir ja in so vielen Fallen, daß Hand« 
Jungen von Lebewesen, organische Funktionen überhaupt^ 
unzweckmäßig ausfallen, daß Organe nicht so gebaut sind, 
wie es der Zweck der Erhaltung der Organismen erfordern 
würde, daß es dem Anscheine nach ganz übezflüssige Organe, 
ja auch geradezu schädliche Rudimente solcher gibt. Und 
ebenso verweist man gern auf die nicht zu leugnenden Un- 
voUkommenheiten auf geistigem, kulturellem, sozialem, sitt- 
lichem Gebiete, auf die zahlreichen Obel in der Welt 

Diese „dysteleologischen***) Argumente {Haeekd u. a.) 
haben sicheiliah ihre Bedeutung, insbesondere gegen die 
NützUchkeitsteleoIogie und eine gewisse platte Art des „Opti- 
mismns**. Zweifellos kommen wir mit einer solchen NützUch- 
keitsteleoIogie alten Stiles nicht weit; eine brauchbare Er- 
klärung des Seins und Geschehens im einzelnen kann sie uns 

*) „Dysteleologie'^ beißt die Lehre vom Unzwecktnäi3igen in der 
Natur. 



56 



h Anfendncr Tefl. 



jedenfalls nicht liefern. Ebenso unterlieget es keinem Zweifel, 
daß für uns in der Welt vieles nicht so ist, wie es wohl sein 
müßte, wenn das Maximum an Zweckmäßigkeit fibendl schon 

verwirklicht wäre. 

Aber das Vorkommen des Unzweck mäßigten macht die 
Annahme oder Anerkennung- einer Zwecksetzungf und Ziel- 
strebigkeit keineswegs unmöglich. Zweckmäßigkeit und 
Zielstrebigkeit sind scharf zu unterscheiden. Etwas kann 
zunächst durchaus zweckmäßig oder zweckdienlich sein 
und doch unmittelbar mit keiner spezifischen Zwecksetzung 
zusammenhängen. Alle Stoffe, die wir in der Natur vorfinden, 
alle Kräfte und Energien, die wir antreffen, können sich 
früher oder später als tauglich erweisen, unsere Zwecke zu 
fördern; sie sind dann zweckdienlich, haben Eigenschaften, 
die in der Richtung dessen liegen, was wir anstreben, be- 
wirken, erreichen wollen. Ihre Wirkungen sind so, wie wir 
sie wünschen und benötigen, ohne daß sie deshalb schon 
einem besonderen Willen, unseren Bedürfnissen abzuhelfen, 
uns zu fördern , entsprungen zu sein brauchen. Die ver- 
schiedensten Dinge in der Natur eignen sich also zu Mitteln 
für die Zwecke der Menschen und der anderen Lebewesen, 
aber es ist keineswegs von vornherein bestimmt, was im ein- 
zelnen Fall gerade ein solches Mittel für besondere Zwecke 
werden wird. Es besteht in diesem Sinne eine „Zufälligkeit** 
der Mittel {Pauly), Ferner ist nicht zu leugnen, daß auch eine 
Reihe von Handlungen einen zweckmäßigen Charakter be- 
sitzt, ohne unmittelbar bezweckt zu sein. Diese Zweck- 
mäßigkeit kann rein , .zufälliger" Art sein, indem etwa eine 
Reaktion des Lebewesens eine Wirkung hat, die für dasselbe 
nützlich, förderlich ist, ohne daß diese bestimmte Wirkung 
vorausgesehen, gewollt war. Oder aber es kann eine Variation 
von Lebewesen auftreten, die in bezug auf die Umwelt, die 
Lebensbedingungen zweckmäßig ist und doch nicht im ge- 
ringsten vorgewußt und erstrebt war. Es kann als höchst 
bedenklich erscheinen, wenn man alle organische Zweck- 
mäßigkeit auf das Walten des bloßen „Zufalls" oder auf rein 
mechanische, äuJßere Faktoren zurückführt; aber es besteht 



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1 



Vierte» K«|>iteL Zkblrebif keU «ad Zmchnlfli^L 



57 



doch eine gfewisae Wahrscheinlichkeit, daß unter den vielen 
Mög"lichkeiten der Fonnenbildung- und des Reag-ierens immer 
wieder auch Fälle von relativer Zweckmäßigkeit (Erhaltung-s- 
gemäßheit) vorkommen werden. Ein anderer Teil des Zweck- 
mäßigen beruht wieder auf der Nachwirkung- früherer Zweck- 
handlungen. Unter deren Einfluß entstehen zweckmäßige 
Orp inc und Einrichtungen; vieles, was einst, zuerst bewußt 
zielstrebig, „teleokiin" (Kohnsfamm) verrichtet wurde, läuft nun 
automatisch, ohne besonderes Zweckbewulitsein und Wollen 
ab und ist dennoch zweckentsprechend, erhaltungsgemäß. 
Als Beispiel dafür wären etwa gewisse Ausdrucksbewegungen 
und Reflexe anzuführen. Die „Mechanisierung" von Wiliens- 
handlungen und damit von bewußten Zweckmäßigkeiten, die 
Verwandlung derselben in Triebvorgänge und schließlich in 
automatische oder Reflexbewegungen ist von höchster Be- 
deutung. Sie selbst ist eine zweckmäßige Erscheinung-, denn 
sie bedeutet eine Ersparnis an Energie, eine Entlastung des 
Lebewesens, ein Freiwerden zielstrebiger Kräfte für neue 
Wirkungen, neues Schaffen, eine Verwertung des in der Ver- 
gangenheit Errungenen. 

Anderseits gibt es genug zielstrebige Tätigkeiten, die ihr 
Ziel verfehlen und somit unzweckmäßig sind. Sie eignen sich 
nicht dafür, wozu sie dienen sollen, sei es, daß sie gänzlich 
verfehlt, völlig unangemessen sind, sei es, daß ihre Energie zu 
gering ist; oder äußere, unvorhergesehene Umstände wirken 
der zielstrebigen Tätigkeit hemmend, ablenkend entgegen. 
Fehlgriffe aller Art weisen darauf hin, daß die Fähigkeit der 
Wesen, zweckmäßig zu handeln, mehr oder weniger begrenzt 
ist daß sie der Übung, der Ausbildung, der Entwicklung be- 
darf. Wie leicht irren wir bezügücl] der Wege, die ein- 
zuschlagen sind, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, einen 
Zweck, einen Plan zu verwirklichen! Wie oft bedarf es erst 
vielen Probierens und Versuch ens, bis wir „richtig" und 
sicher operieren. Nicht anders verhält es sich bei den übrigen 
Lebewesen. Erst bemerken wir oft ganz erfolglose Bewegungen 
an ihnen; dann werden verschiedene andere Reaktionen pro- 
biert, von denen schließlich eine zweckmäßig ist. Nach 



58 



L Allgemdner Teil. 



wenigen Wiederholung-en findet schon öfter die zweckmäßig-e 
Bewegfungf mit Sicherheit statt. Hier spielt auch das Ge- 
dächtnis oder die „Mneme" {R. Semon) eine wichtige RoUe. 
Hat sieb eine der versuchten Tätig^keiteo als zweckmäßig' ex^ 
wiesen, dann bleibt von ihr eine Spur oder ein Eindruck zu- 
rück, der das Streben das nächste Mal bestimmt und der 
Reaktion die Richtung- gibt. Wir haben, bei höheren Lebe- 
wesen, dann schließlich nicht nur eine Zielvorstellung-, sondern 
auch eine durch sie reproduzierte Vorstellung* des Mittels, 
etwa eine bestimmte, nach Verwirklichung- dräng-ende Bewe- 
gung-svorstellung-. Infolg-e der Übung- kann sich die Handlung- 
automatisieren und an Stelle der Vorstellung- des Mittels wirkt 
dann eine bloße (psychophysische) „Disposition". Physiolog-isch 
entspricht sowohl der Ziel- als der Mittel-Vorstellunt^- ein be- 
stimmter Nerven- oder Gehirnprozcß, der auf früheren Reizen 
und deren Nachwirkung-en beruht und jetzt durch einen 
äußeren oder inneren Reiz ausg-elöst wird. Und ebenso hat 
die psychische Disposition ihr physiologisches Korrelat etwa 
in einer „Bahnung-", d. h. einer Modifikation der Nerven- 
substanz und einer damit zusammenhängenden besseren, 
schnelleren, leichteren Weiterleitung- der Erregung. Wie also 
Erfahrungen, die wir gemacht haben, unser ferneres Handeln 
beeinflussen und es immer zweckmäßiger gestalten, so hinter- 
lassen zweckmäßige Bewegungen Spuren („Engramme": Semon) 
in der organischen Substanz auch schon der niedersten Lebe- 
wesen und passen dadurch die ferneren Reaktionen derselben 
immer besser bestimmten Zielen an. 

Von höchster Wichtigkeit für die Erklärung des Zustande- 
kommens von Zweckmäßigkeiten ist ferner das Prinzip der 
,,Heterog-ODie der Zwecke" {Wandt u. a.).*) £s kommt 



*) Nach Wundt stellt sich „das Verhältnis der Wirkungen zu den 
vorgestellten Zwecken so dar, daii in den erstercn stets noch Neben- 
cffdcte gegeben sind, die in den voransgehenden ZweckvorBtellmigea 
nicht mitgedacht waren, die aber gleichwohl in neue Motivreihen ein- 
gehen nnd auf diese Weise entweder die bisherigen Zwecke umändern 
oder neue zu ihnen hinzufügen" (Grundriß der Psychologie ^ 1902, 
£. 400). «Der Zusammenhang einer Zweckreihe besteht danach nicht 



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Viertel Kapitd Zielsbeblclieit und ZwednnUigkdt 59 



Dämlich sehr oft vor, daß Zwecktätigfkeiten Wirkung-en, Folgen 
haben, die nicht angfestrebt wurden, ahex doch in der Grund- 
richtung' des Strebens liegten, und die nun« nachdem sie sich 
als er5;trebenswert, zweckvoil gezeigt haben, selbst zu Zwecken, 
zu Zielpunkten des Strebens werden. Das Gleiche g-ilt von 
gewissen Neben- und Nachwirkungen einer besonderen Reihe 
von Zweckhandlung-en. Daraus ergibt sich nun oft eine Dis- 
krepanz, eine g-roße Verschiedenheit zwischen dem ursprüng- 
lichen Zweckmotiv und dem aUmählich zum Strebensziel ge- 
wordenen Inhalte des Willens. Der ehemalig-e Zweck hat 
einem anderen Platz gemacht oder er ist jetzt wenigstens 
nicht mehr Hauptzweck, ein bloßer Nebenzweck des Handelns. 
Umgekehrt können Nebenzwecke im Laufe der Zeit zu Haupt- 
zwecken werden. Ferner ist nicht selten zu bemerken, daß 
etwas, was erst ein bloßes Mittel zum Zweck war, später 
selbst den Charakter eines Zweckes annimmt; es können 
eben äußere und innere Veränderangfen eintreten, die eine 
Wert- und Motivverschiebung- zur Folg-e haben, so daß 
jetzt der Lustwert des Mittels den des Zweckes überragt oder 
die frühere Zweckvorstellung jetzt Unlust, Widerstreben erregt. 
Die Wertverschiebung in Verbindung- mit der Heterogonie 
der Zwecke läßt aus einer ursprüng^Iich geringen Anzahl von 
Zielen allmählich eine große Fülle von Zwecksetzungen und 
Zwecken erwachsen, und die Einübung der betreffenden 
Zwecktätig^keiten führt schließlich zu vielen Zweckmäßigkeiten, 
die anfangs nicht im geringsten vorgesehen und vorgewollt 
waren. 

darin, daS der znletzt erreichte Zweck schon in den arsprangUchen 
Motiven der Handlungen, die sdüiefilich zn ihm geführt haben, als 

Vorstellnng enthalten sein muß, ja nicht einmal darin, daß die zuerst 
vorhandenen Motive die zuletzt wirksamen selbständig her\'orbringen, 
sondern er wird wesentlich dadurch vermittelt, daß der Effekt jeder 
Wahlhandlung infolge nie fehlender NebeneinflOsse mit der im Moüv 
gelegenen Zweckvorstdlnng un allgemeinen sich nicht deckt Gerade 
solche anfierhalb des nraprOni^ichen Motivs gelegenen Bestandteile des 
Effekts tonnen aber zu neuen Motiven oder Motivelementen werden, 
aus denen neue Zwecke oder Veränderungen des nrsprttngltchen 
Zweckes entsprmgen" (E^thik*, S. 266; 4. Aufl. 191a). 



60 



I. AUgemdaer Teil. 



Die Zielstrebigkeit in dem Sinne, daß etwas das Ziel eines 
Strebens oder Wollens bildet, darf also keineswegs däza 
dienen, alle bestimmte» gfewordane Zweckmäßisfkeit im Op-~ 
g-anischen und Geist^fmi als eine vorhergfesehene und von 
Anfangf an g-ev/ollte zu erklären* Auch die Berufungf auf 
(absolut) unbewußte Vorstellung'en oder auf eine „Hell- 
sichtig-keit'* des „Unbewußten" (E. v. Hartmann) ist übel an- 
g-ebracht und nur gfeeignet, alle Teleolog^ie zu diskreditieren^ 
Ebenso erregt es gewichtijre und durchaus berechtigte Oppo- 
sition, wenn man etwa schon ganz niederen Lebewesen irgend 
ein primäres „Wissen" um zweckmäßige Mittel und ein Urteils- 
vermögen zuschreibt, wie es auf einer solchen iintwicklungs- 
stufe noch nicht anzusetzen ist, weil hier eben die Voraus- 
setzungen dazu fehlen. — Es liegen nicht bloß der Entwick- 
lung- Ziele und Zwecksetzungen zugrunde, sondern die Zwecke 
und Zielstrebigkeiten selbst sind wie das Zweckbewußtsein der 
Entwicklung unterworfen. Sie differenzieren und integrieren 
sich, stehen im Wettbewerb miteinander; es gibt eine Selek- 
tion der Mittel und Zwecke sowie eine Anpassung der Ziel- 
strebigkeit und Zwecksetzung an die sich verändernden Ver- 
hältnisse. Die Zielstrebigkeit der Wesen ist, weit entfernt, 
etwas Starres, Abgeschlossenes zu sein, in verschiedenem 
Maße variabler Natur; ihre Richtung ist kerne geradlinige 
und nur von innen her determinierte, sondern immer auch 
durch äußere Umstände bedingt, denen sie sich anschmiegen, 
anpassen muß oder kann. 

Die Sache liegt also nicht so einfach, wie manche Teleo- 
logen, aber anderseits auch viele Antiteleolog-en glauben. 
Wohl ist es richtig, daß nicht jede Zweckmäßigkeits- 
erscheinung direkt oder indirekt auf eine besondere Zweck- 
setzung hinweist, daß sie insofern rein kausal zustande ge- 
kommen sein mag. Ebenso wahr ist es aber, daß das Un- 
zweckmäßige nicht schon an sich alle Zielstrebigkeit aus- 
schließt. Es ist femer der Zusammenhang zwischen deu 
Funktionen der Wesen und deren Tendenzen nicht immer 
ein eindeutiger und durchsichtiger; vielfacli liat die besondere 
Zweckmäßigkeit eines Organs oder einer Leistung zu der uu- 



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Viertel Xapild. ZidatocUckdl «ad Zwcdmtti^t 61 



mittelbaren Zielstrebigkeit, die hier wie in anderen Fällen an* 
zunehmen ist, keine direkte Beziehungv Sie ist nicht bloß die 
Wirkung dieser besonderen Zielstrebuog, sondern ein Produkt 
der Entwicklung und des Zusammenwirkens innerer und 
äußerer Faktoren. Aber es gfeht nicht an, alle organisch- 
g-eistige Zweckmäßigkeit nur auf das Walten des „Zufalls** 
oder bloß äußerer Ursachen zurückzuführen. Ein Minimum 
an 2äelstrebigkeit bildet die Voraussetzung für das Znstande* 
kommen der Zweckmäßigkeiten und für die Anpassung an 
die Veränderungen der Umwelt, mag diese Anpassung auch 
zum Teil auf keiner sie voraussehenden Zwecksetzung be- 
Zllhen. Und wenn die zweckvollen Reaktionen der Lebe* 
wesea vielfach automatisch ablaufen, so darf nicht übersehen 
werden, daß die Struktur der Org-anismen ihre zweckmäßige 
Einrichtung- schon unter dem Einflüsse zielstrebiger Funk- 
tionen und nützlicher Anpassuncfen erhalten hat. Sie ist 
g-leichsam ein Niederschlag dieser Funktionen, ist gleich- 
sam auf g-esp ei c h e rte Finalität, indem sie die Residuen 
derselben in ihrer Form wie in den an sie g-ebundenen 
Kräften und Reaktionen enthält. So wird sie zum In- 
strument weiterer, höherer Zielstreb ig^keit, die dann 
zum Teil ebenfalls sich verkörpert; und dieser Prozeß schreitet 
bei den höheren Organismen, insbesondere beim Menschen, 
immer weiter. 

Wir dürfen auch nicht vergessen, daß Zweckmäßigkeit 
stets etwas Relatives ist. Ganz abgesehen davon, daß für 
das eine Individuum etwas nützlich sein kann, was für das 
andere schädlich ist, und daß oft der Nutzen des einen der 
Schaden des anderen ist, ist auf die besonderen Verhält- 
nisse zu achten, von denen es abhängt, ob und in welchem 
Maße etwas zweckmäßig ist. Organe und Funktionen, die in 
einem bestimmten Milieu zweckdienlich, d.h. erhaltungsgemäß 
waren, können in einem anderen Milieu nutzlos, ja geradezu 
zweckwidrig werden. Es können auch Organismen sich so 
verändern, daß Organe, die einst zweckmäßig, nützlich waren, 
jetzt zwecklos oder auch schädlich sind (Rudimente). Auf 
dem Gebiete des Geisteslebens tritt uns so manches Un- 



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62 



L AUg CT udi i CT TdL 



zweckmäßige entg'egfen, das einst, unter ganz anderen Ve> 
liältnissen, seinen Zweck hatte. Das Zweckmäfitgfe der einen 
Entwicklungsperiode erweist sich nicht selten als das Un- 
zweckmäßigre einer anderen, und es bedarf hier wie auch 
sonst im Organischen und Geistigen einer immer neuen 
Anpassung- und Regfulierung-. Endlich ist auch der Um- 
stand zu beachten, daß das Maximum einer partiellen Zweck- 
mäßigkeit zuweilen nur auf Kosten einer partiellen Unzweck- 
mäßigkeit oder auch einer gewissen Schädigung des Ganzen 
erreicht wird, wenn eben die dem Organismus zur Verfügung 
stehenden Energien allzu sehr in den Dienst eines Sonder- 
zweckes gestellt werden. Zwecktätigkeiten können einandc»r 
ebenso hemmen, stören, beeinträchtig-en wie fördern, unter- 
stützen, und die einseitige Entfaltung der Tätigkeit nach einer 
besonderen Richtung bedeutet mitunter einen gewissen Still- 
stand oder eine Rückbildung nach einer anderen Richtung, 
einen Ausfall bestimmter Betätig-un2[-s- oder Entwicklungs- 
möglichkeiten. Freilich gibt es auch hier, besonders im 
Geistesleben und in der Sphäre kultureller Tätigkeit, aus- 
bleichende Repfulationen und Kompensationen. Das Geistes- 
leben der Menschheit schreitet so über alle Einseitig-kciten 
des Wollens und Handelns hinaus, indem allmählich alle seme 
Potenzen zur Entfaltung- gebracht und die Partialtendenzen 
immer wieder und immer mehr zur Einheit der Zwecksetzung 
verknüpft werden. 

Der Anschein, als ob gewissen Leistungen keinerlei 
Zwecktätigkeit zugrunde liege, hat seinen Grund darin, daß 
man hier nicht an den Unterschied zwischen äußeren (ob- 
jektiven) Zwecken und inneren (immauenten) Zielen denkt. 
Es muß eben nicht jede Tätip-keit unmittelbar auf die Er- 
reichung eines äußeren, objektiven Erfolges eingestellt sein; 
sie kann auch bloß der Ausdruck eines Strebens sein, innere 
Spannungen zur Lösung zu bringen, gewisse Kräfte zu be- 
tätigen, Funktionsbedürfnisse verschiedener Art zu befriedigen 
oder innerhalb des Bewußtseins selbst Veränderungen herbei- 
zuführen. So fehlt es der Erkenntnistätigkeit und dem künst- 
lerischen Schaffen kemeswegs an unmittelbaren, inneren 



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Viertes Kapitd. ZieUtiebiekcit und Zwecltmttiskeit. 68 



Zielen, mögen dann noch äulSere Zwecke dazu kommen oder 
nicht, oder mag* zugleich eine objektive Zweckmäßigkeit vor- 
liegen. Im Laufe der Entwicklung können aus äußeren innere 
Zwecke hervorgehen (z.B. beim Erkenntnisprozeß), oder äußere 
Zwecke können die inneren, unmittelbaren Ziele überwuchern 
(z. B. das Streben nach Gewinn den primären Zweck des 
Spieles). Festzuhalten ist, daß nicht alle Zwecke praktischer 
Art sind, daß es rein theoretische (logischoi ästhetische) 
Zwecke gibt (etwa „Erkenntnis** als relneTt unmittelbare 
Zweck der Erkenntnistätigkeit, des Denkens und Erkennens). . 

Auch solche Handlungen, die scheinbar keinen Zweck 
haben, können also einer Zielstrebung entspringen. Das Ziel, 
dem sie dienen, kann ganz verschwommen, unklar, un- 
bestimmt, relativ unbewußt oder unterbewußt sein, es braucht 
auch nicht in objektiven, materiellen Wirkungen zu bestehen. 
Aber das Ziel fehlt nicht ganz; es ist mindestens in dem Han- 
delnden etwas vorhanden, nach dessen Abstellung, Aufhebung 
er verlangt, wäre dies auch unter Umständen nicht mehr als 
ein Unbehagen, das sich an verworrene Empfindungen knüpft 
und ein Streben auslöst, es los zu werden. Ein besonderes, 
entfaltetes Zweckbewußtsein ist keinessvt-gs mit aller Ziel- 
strebigkeit verbunden, auch ist die Aufmerksamkeit nicht 
immer auf deu Umstand gerichtet, daß man überhaupt einen 
Zweck mit seinem Handeln verfolgt, so d.iü wir vom „primären", 
rein funktionellen das „reflexive" Zweckbewußtsein zu unter- 
scheiden haben. 

Zu den objektiven Zwecken gehört die Erhaltung und 
Vervollkommnung der organischen Individuen und Arten. Es 
zeigt sich nun, daß die subjektive Zielstrebigkeit selbst etwas 
objektiv Zweckmäßiges ist, denn sie läßt sich als ein Mittel 
zur Förderung des Erhaltungs- und Entwicklungszweckes be- 
trachten. Wesen, deren Zielstreben intensiver und extensiver, 
differenzierter und zugleich zentralisierter ist als das der 
anderen, haben in der Regel eine größere Aussicht, im Wett- 
bewerb um die Lebensbedingungen, im Kampf ums Dasein 
zu obsiegen. Außerdem wirkt die Zielstrebigkeit durch die 
an sie geknüpfte größere Übung der Organe direkt im Sinne 



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64 ■ h AUgenetner Teil. 



einer Steigerung biologiach wichtiger Funktionen und dient 
«a der Höherentwiciclang. Das gilt anch von psychiBclien 
Organen, Anlagen und Leistungen, zu deren Entwicklung und 
Potenzierung in erster Linie die aktive, bewußte Zwecktatig- 
<keit, das plan mäßige Wirken und ScbafEen beiträgt Ziel- 
Strebigkeit und Zweckmäßigkeit beeinflussen also einand^ 
wechselseitig; eine entwickeltere Zielstrebigkeit führt zu einer 
größeren Zweckmäßigkeit des Seins und Verhaltens, and um- 
gekehrt ermöglicht die zweckmäßigere Gestaltung eines 
Wesens eine reichere, aktivere, bewußtere, weitergreif ende 
Zielstrebigkeit und Zwecksetzung. Ein Prinzip der „Selbst^ 
■Steigerung" herrscht so in der organischen Welt und ebenso 
auch in der Welt des Geistes, der Kultur. Der Wille er- 
arbeitet sich immer mehr und immer tauglichere ^f^ittel zur 
Realisierung seiner Ziele, und die so erreichten Zwecke werden 
zu Ursachen und Mitteln seiner eigenen Potenzierung.*) Alle 
Zweckmäßigkeit in der Welt beruht letzten Endes auf einem 
Streben; in dem Maße, als ein Wesen „strebend sich be- 
müht", wächst die Zweckmäßigkeit seines Seins und Wirkens, 
kann es sich immer mehr von dem Drucke der Weit erlösen. 



♦) Nach Wundt macht der Organismus unter der Wirkung der in 
ihm mhendoi Willenstriebe in vrachsendem Ifafie die ans der Auflen- 
wdt angenommene Energie seinen Lebenszwecken nntertan. „Auf 
solche Weise bildet der AuflMin des Organischen das erste Glied in 
der Reihe jener Veranstaltungen, durch die der Wille als aktuelle 
geistige Macht die Naturkräfte in seine Dienste nimmt, um die Erfolge 
des geistigen Wirkens bleibend zu befestigen und neues Material für 
die Steigerung dieses Wirkens xn gewhmen." (System d. Pliilos. I*, S. 327.) 



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Fünftes Kapitel. 
Explikativer und normativer Zweckbegriff. 

Wie wir sahen, spielt die Zweckidee bei der Erforschungf 
und Entdeckuag* der Ursachen, der kausalen Faktoren des 
Geschehens, eine wichtige Rolle. Sie dient zur Herstellung 
einheitlicher Zusammenhänge, indem unter ihrer Leitung der 
Kausalnexus durch neue Glieder bereichert wird. Zu den 
eo gefundenen Ursachen gehören insbesondere zielstrebige 
Aktionen und Reaktionen, aus deren Zusammenwirken mit 
äußeren Faktoren bestimmte Zweckmäßigkeiten sich erklären 
lassen. Plierbei ist es nicht notwendig, die betreffenden 
Zweckmäßig-keiten selbst stets als direkt ang-estrebt aufzufassen ^ 
dies würde oft den Tatbestand verfälschen und zu einer Ver- 
schleierung der eig-entlichen Faktoren des Geschehens führen. 
Aber die Wirksamkeit eines, wenn auch oft nur vagen, all- 
gemeinen, unbestimmten Zielstrebens noch ohne feste äußere 
Ziele, die Summation solcher Wirkungen sowie die allmähliche 
Anpassung der zielstrebigen Funktionen an die Existenz- 
bedingungen unter dem Einflüsse teils äußerer Momente, teils 
der Erfahrung, Gewöhnung und Übung genügen zur An- 
erkennung der teleologischen Kausalität, der Bedeutung 
zielstrebiger Faktoren als Ursachen bestimmter Effekte. Soll 
aber die Zweckidee der Einheitlichkeit und Geschlossenheit 
kausaler Erklärung keinen Abbruch tun, so darf sie nicht im 
Sinne der Einführung einer ganz neuen Art von „Zweck- 
ursachen" neben anderen Ursachen gebraucht werden. Man hat 
vielmehr zunächst so vorzugehen, daß man sich im Reiche 
der durch die gedankliche Verarbeitung des Erfahrungs- 
materials gewonnenen und noch zu gewinnenden physischen 
und psychischen Tatsachen nach solchen Vorgängen umsieht, 

Eilte r. Der Zweck. b 



66 



I. AUsendner Teil. 



die als Unachen, Faktoren bestimmter, zweckmäßiger Wir- 
kungen gfeeignet sind, diese letzteren zu erklären. Diese zu- 
nächst lormale, regulative Funktion des Zweckbegriffs wird 
dann überall zu einer „konstitutiven", wo wir Grund zur An- 
nahme haben, daß ein wirkliches Streben direkt oder indirekt 
dem Sein und Geschehen zugrunde liegt, wie dies sicher auf 
geistigem und kulturellem Gebiete, mit gfrößerer oder ge- 
ringerer WahrscheinUchkeit auch vielleicht im Organischen, 
vielleicht auch schon im Anorg-ani^chen der Fall ist. 

Die Erklärung eines Tatbestandes aus der Wirksamkeit 
zielstrebiger Faktoren (Trieb- oder Willenshandlungen) leitet 
jenen aus einem Realgnind, einer realen Ursache ab, mag 
diese nun nach ihrer psychischen Seite und nach ihren 
psychischen Momenten oder nach ihrer physischen Erschei- 
nung betrachtet werden. Der erreichte Zweck tritt hier als 
Wirkung eines Strebens und einer aus diesem entspringenden 
Tätigkeit auf, und diese — das Mittel zum Zweck — wird 
als die Ursache der Verwirklichung des Zweckes gedacht. 
Die Notwendigkeit des Geschehens, die hier herrscht, ist eine 
teleologisch-kausale Notwendigkeit. Eine normativ- 
teleologische Notwendigkeit ergibt sich erst, wenn man 
die Relation von Mittel und Zweck nicht direkt auf ein kau- 
sales Verhältnis zurückführt, sondern den Zweck als Ideal- 
igrund betrachtet, aus dem das Mittel ideell folsrt. Die 
Setzung des Mittels erscheint dann als durch die Setzung des 
Zweckes bedingt, gefordert, oder das Urteil über das Mittel 
gilt, weil die Setzunqf des Zweckes gültig ist. Es handelt sich 
hier um eine Anwendung des Logischen auf eine besondere 
Sphäre, um „teleologische Logik" oder Logik des Zweckes. 
Die Kausalität kommt hierbei nicht direkt in Betracht. Ist 
auch das „Mittel" zugleich eine „Ursache" der Realisierung 
des Zweckes, so bedeutet doch die rein teleologische Relation 
eine Abhängigkeit besonderer Art. Ebenso sind die Zweck- 
gesetze nicht selbst Kausalgesetze, mögen sie auch, direkt 
oder indirekt, auf solche hinweisen. Sie bestimmen nur, was 
geschehen muß oder müßte, wenn ein gewisses Ziel erreicht, 
ein bestimmter Zweck erfüllt werden soll. Das „Müssen" hat 



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Fttnllei Kiqplld, Biplünliver vnd normativer Zweckbegriff. 



67 



hier keine direkt katuale Bedeatuiig; ea bezieht sich nidit 
auf daÄ Hervorge&en einer Wirkung aus einer Ursadie» 

sondern zunächst auf ein Bedingtsein des Mittels durch den 
Zwecfcr Psychologisch betrachtet wird eine Zielvorstellung 
zum Motiv, Beweggrund einer Handlungf, und diese erfolgt 
dann mit psychologischer Notwendigkeit, die einen kausalen 
Charakter hat, sofern die ZielvoxBtellung und das an sie gns- 
knüpfte Gefühl als ein Vorgang aufgefaßt wird, der einen 
anderen zur Folg-e hat. 

Die reine Zwecknotwendigkeit selbst aber ist ebenso- 
wenig psychologischer Art wie die rein logische Not- 
wendigkeit, d. h. die Abhängigkeit der Geltung eines Denk« 
o^er Erkenntnisinhalts von einem anderen. Sowie das jfGe ^ 
dachte" begh^lich vom Denkvorgang und dessen kausalem 
Slsämmenhang mit anderen Denkvorgängen zu unterscheiden 
ist, mag es auch keine selbständige „Existenz" haben, so 
müssen wir auch zwischen „ G ewolltem" (oder Willens- 
inbalt) und NVillensakt sowie zwischen dem „Bezwej:kten" 
Tind dem psychischen Vorgang der Zwecksetzung begriff- 
lich unterscheiden. Berücksichtigt man nun, daß auch das 
Mittel ein Strebensziel darstellt, so ergibt sich die Ein- 
sicht, daß der rein teleologische Zusammenhang eine Relation 
zwischen gedachten Willensinhalten, zwischen , .idealen Ein- 
heiten" {Hunseri), nicht direkt zwischen realen Vor- 
gäng-en bedeutet. Und wie der rein logische Geltungs- 
zusammenila ng- unabhängig" von der Subjekti%'ität des ein- 
zelnen Ich, als Inhalt emes idealen „Denkens überhaupt", mag 
dieses nun jeweils tatsächlich vollzogen werden oder nicht, 
seinen zeitlosen Sinn bewahrt, so kann es auch Final- 
zusammenhänge geben, deren Notwendigkeit unab- 
hängig vom Denken und Wollen des Subjekts 
ist, die also in diesem Sinne „an sich" oder „absolut" gelten. 
Damit ist gar nichts Metaphysisches oder Mystisches gemeint; 
denn die absolut gültigen Zweckrelationen haben keine 
Existenz in irgendeiner geheimnisvollen realen Sphäre, son- 
dern sind auf ein „Zweckbewußtsein überhaupt" bezogen, sind 
nur der Abstraktion nach von aller im individuellen oder 

5» 



68 



L AUgemdner TeU. 



kollektiven Woll ep Ig bejBdigeP Zwecksetzmig" abf^eaßR^ß^- Sie 
gehören dem aogenannten ,4ntten Reich" an, d. h. der neben 
der physischen und psychischen Realität oder J^justepz an- 
zusetzenden Sphäre der „Idealität" oder der immanenten 
Geg-enstände, auf die das "denkende, wollende, weitende Be- 
wußtsein genoliljfili ist, und die sich aus dem psychischen 
£rlebniszus&iiimenhang', in dem sie individuell bewußt werden, 
herauslosen, ffir sich, getrennt fixieren lassen. Sie smd 
keih'äi an sich existierenden Geg-enstände, sondern setzen die 
Gesetzlichkeit des idealen, überindividuellen, reinen 
Bewußtseins voraus.*) Es g-ibt also keine Zwecke, die nicht 
dufch irj^endeinen Willen, in iri^endeinem Bewußtsein g*esetzt 
älnd oder nicht auf ein zwecksetzendes Bewußtsein, auf ein 
zielstrebiges Subjekt zu beziehen sind. Unabhärig-ig- von allem 
Wollen und Bewußtsem kann nichts „Zweck" sein; Zweck 
und wollendes Bewußtsein sind Korrelate, Aber diese all- 
gemeine Willensbezog-enheit der Zwecke schüeßt noch keinen 
subJektivistischen Relativismus ein. Denn erstens sind all- 
gemeing-ültige, durch das Verhältnis der Wesen zur Umwelt 
und zueinander notwendigfc oder geforderte Zwecke anzu- 
erkennen, anderseits gfibt es Zweckbeziehungfen, die von aller 
(psychologischen) Subjektivität und Willkür unabhängig sind, 
schlechthin gelten, eine innere Notwendigkeit und Evidenz 
besitzen. 

'-"" Die normativ - teleologische Betrachtung-sweise nun 
besteht darin, daß ein angestrebter oder anzustrebender 
(relativer oder absoluter) Endzweck als Maßstab für die 
Beurteilung eines Inhalts oder Mittels dient. Es 
handelt sich jetzt nicht darum, eine Zweckmäßigkeit als 
Wirkung zielstrebiger Faktoren zu erklären, sondern zunächst 
um die Entscheidung der Frage: Ist ein als Willensinhalt 
betrachteter Vorgang oder Zustand wahrhaft zweck- 
mäßig, ist eine Handlung richtig, ist ein Verhalten 
SO, wie es seinem Zwecke nach sein soll? W^ir messen 
einen Willensinhalt, das Mittel (den IMittelzwcck) an einem 

•) Vgl die Arbeiten von MttMcrl, Meinong u. a., Mickert, Mümtetm 
barg, Cohn u. a. 



Digitizcd by Goügl« 



FOnfiei Kapilel. ExpUkativer «nd noniMtiver ZweekbcgriK 



69 



Zweck (Endzweck), um zu sdien, ob der eine dem anderen 
entspricht, ob er ihm nicht widerspricht, entgegen ist, sondern 
vielmehr mit ihm zur Eipheit des teleologischen Be- 
wußtseins zusammeng'eht. Es wird die Verträglichkeit 
von Zwecksetzungen und ihrer Inhalte miteinander untersucht, 
das Mittel auf seine Tauglichkeit im Hinblick auf die Er- 
reichung des Zweckes geprüft, sei es, daß es sich überhaupt 
erst als ein wirkliches, nicht bloß vermeintes Mittel zu legi- 
timieren hat, oder sei es, daß untersucht wird, ob es das in 
jeder Hinsicht ricbtig-e, beste Mittel ist. Die Frage nach der 
Zweckmäßigkeit oder dem objektiven Wert eines Verhaltens 
oder einer Sache zielt also nicht auf eine teleologisch-kausaie 
Erklärung- des Geschehens ab, richtet sich nicht auf die Ur- 
sachen desselben; es handelt sich hier um einen ganz anderen 
Gesichtspunkt als beim explikativen Zweckbegriff, um eine 
andere Methode, die direkt mit der teleologisch -kausalen 
nichts zu tun hat {Stammler u.a.). Gewiß, die kausale Grund- 
lage fehlt auch hier nicht; denn alle Mittel bedeuten zugleich 
Bedingungen und Ursachen der Verwirklichung von Zwecken, 
und im einzelnen lassen sich konkrete, spezifische Mittel 
direkt oder indirekt nur an der Fiand kausaler Erkenntnis 
finden, welche uns das Material darbietet, aus dem im Hin- 
blick auf gewisse Ziele bestimmte Faktoren als Mittel an- 
gesetzt werden. Aber dieser nicht zu bestreitende Zusammen- 
hang aller Teleologie mit dem Kausalnexus des Geschehens 
hebt doch die Eigenart und Eigengesetzlichkeit der 
normativ-teleologischen Beurteilung nicht auf, für 
wetehe die Kausalität nicht den Gegenstand der Blick- 
einstellung bedeutet. Eine bestimmte Einrichtung und 
Wirkungsfähigkeit der als Mittel in Betracht kommenden 
Sache ist zwar eine objektive Bedingung normativer Be- 
urteilung, aber nicht das „formale Objekt" derselben. Dieses 
besteht in dem Gefordertsein des Mittels durch den 
Zweck, in einer „Angemessenheit" des Mittels zu dem 
Zwecke, die zum Teil auf Grund des tatsächlichen Erfolges 
einer Handlung und der Vergieichung desselben mit dem 
gesetzten oder zu setzenden Zweck beurteilt wird. Die 



70 



L Al^^enciiier Teil. 



Zweckbeurteilung hat mit einer rein kauaalen oder teleologi- 
adbten Erklaning' dea Geacheliena nichts zu tun ; sie will nichts 
begreifen, ableiten, sondern den Wert eines Mittels prüfen, 
der darin bestellt, daß das Mittel die Eii^nung- besitzt, zu 
einem gfewünschten Effekt zu führen. Ist aber die Zweck« 
beurteilung* von kausaler Erklärung^ scharf zu unterscheiden^ 
ao achließt sie eine solche in keiner Weise aus, mög'en nun 
g'eg-enwärtig'e oder zukünftig-e Handlungfen in Frag"e kommen. 
Die Kategorie der Kausalität ist eine universale, vor keinerlei 
Geschehen haltmachende Denkform.*) — 

Unter einer Norm darf man nicht bloß ein Gebot, eine 
SoUenaregel verstehen. „Normativ" im weiteren Sinne ist 
demnadi nicht nur die Methode der Zuordnung* eines Ver- 
haltens zu einer solchen Regel, sondern auch das Verfahren 
der Bei^eilung eines Inhalts auf dessen Eignung als Mittel 
;l ZU einem Zwecke, der hier als Norm, d. h. als Richtmaß 
i fungiert Etwas ist ein ^richtiges", taugliches Mittel, wenn es 
einem Zwecke, einem Gewollten, Angestrebten entspricht, 
wenn es einen Erfolg hat oder erwarten läßt, der mit einem 
Willensziel kongruiert, mit ihm sich inhaltlich deckt. Hier 
wird noch gar nichts gefordert, weder daß das Ziel erreicht 
werden soll, noch daß man das Mittel unbedingt zu ergreifen 
habe. Auch wird hier nicht in rein subjektiver Weise ge- 
wertet, sondern es wird ein bestimmter Zweck als gegeben, 
gewollt vorausgesetzt und etwas als Mittel auf diesen Zweck 
bezogen. Das gleiche beziehende Verfahren ohne subjektive 
Wertung findet dort statt, wo ein Tun oder Unterlassen im 
y Hinblick auf eine imperativische Norm, eine SoUensregel be- 
urteilt wird. Die Wertung geht in beiden Fällen nicht bloß 
vom Beurteilenden aus, sondern liegt schon der Setzung des 
Zweckes oder des iSollens zugrunde; sie ist ihr immanent, 
kommt in ihr selbst zum Ausdruck. Der Wert des Mittels 
ist bedingt durch den am Zweck haftenden Wert, der wieder 
auf einen übergeordneten „Grundwert" hinweisen kann, wenn 
er selbst ein Mittel zu einem Endzweck bedeutet. Der Wert 



*) Vgl.: Der Zweck in den Sozial Wissenschaften. 



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FOnfles Kapitd. Riplftittw und nommtiver Ztreekbegiüt 7], 



des Mittels ist immer ein „konsekutiver" oder Wirkungswert, 
während der Zweckwert die Bedeutung- eines Eipfen wertes 
hat, wenig-stens in Beziehung* auf das Mittel. Der Endzweck 
hat unmittelbaren Wert, d. h. er stellt ein an sich, ein um 
seiner selbst willen Beg-ehrtes oder Begehrbares dar, weil dieses 
die Eignung- hat, ein fundamentales Bedürfnis zu befriedigen 
oder weil es einem Grundwillen (etwa dem log'ischen, 
ethischen, ästhetischen Willen) gemäß ist. 

Im allgemeinen verhalten sich Wert und Zweck so zu- 
einander, daß eine ganz unmittelbare, gefühlsmäßige Wertung 
allem Wollen und aller Zwecksetzung schon zugrunde liegt; 
hier gilt also, daß etwas zum Strebensziel gemacht wird, weil 
es primär gewertet wird. Aus der Erkenntnis der Bedeutung 
von etwas als Mittel zu einem Zweck ergibt sich dann eine 
neue Wertung auf Grundlage der Zwecksetzung, und es ist 
dann etwas wertvoll, sofern es zweckdienlich (bzw. auch norm- 
gemäß) ist. Doch läßt sich alles, was in einer Hinsicht ein 
Zweck ist, in einer anderen als ein Wert auffassen, so daß 
die höchsten Zwecke des „idealen" Menschen zugleich die 
höchsten Werte der Menschheit sind. Absolute" Zwecke, d.h. 
solche Ziele, die den Charakter unbedingt g^cforderter Zwecke 
haben, bedeuten auch „absolute Werte", Werte, welche 
schlechthin gelten. 

Ein wichtiger Unterschied ist derjenige, der zwischen (un- 
mittelbarer) Wertung und Werterkenntnis, Zwecksetzung 
und Zweckerkenntnis, Normierung und Normerkennt- 
nis besteht. Die, apriorische oder empirische, Erkenntnis, daß 
irgfendwo oder irgendwann eine Wertung seitens eines In- 
dividuums oder einer Gemeinschaft stattfindet oder statt- 
gefunden hat, und ebenso die Einsicht, daß unter bestimmten 
Umständen etwas für jemanden einen Wert annehmen kann, 
■wird oder muß, hat mit eigener, subjektiver Wertung* nichts zu 
tun und gehört noch zur explikativen Methode oder zur Tlieorie 
im strengen Sinne des Wortes. Ebenso ist die bloße Fest- 
stellung des Bestandes gewisser Normen auf irgendeinem 
Gebiete und der Nachweis, daß diesen Normen tatsächlich 
genügt oder nicht entsprochen wird, nicht mäxon als „norma- 



72 



I. AUgemdncr Tdl. 



tive Methode" zu betrachten. Wie es eine Wertgebung- gibt, 
die in einem Werturteil zum Ausdruck kommen kann, im 
Unterschiede von dem bloß eine Wertbezog-enheit aussagfenden 
Urteil, so ist die Norm^cbung- und das sie formulierende 
normative Urteil von dem theoretischen Urteil über die Kxistenz 
von Normen zu unterscheiden, von einer Aussage über ein 
Sein des Sollens im Gegensatze zum Urteil über das Sollen 
selbst als Sollen.*) Nicht normativ ist ferner die Untersuchung* 
des Entstehens und der Entwicklung von Normen und 
ihrer Zwecke; die kausal-pfenetische und historische Normen- 
erkenntnis ist durchaus Sache rein theoretischer Wissen- 
schaften. 

Die normativ-teleologische (oder teleologisch-norma- 
tive) Methode setzt erst da ein, wo wir uns nicht damit be- 
gnügen, auf bestimmte Ursachen, Wirkung'en oder Zwecke 
hinzuweisen, sondern wo wir mit einem objektiven Wert- 
maßstab an die Dinge herantreten, um zu bestimmen, welchen 
objektiven Wert oder Unwert sie haben, um die Größe dieses 
Wertes abzuschätzen, sie auf ihre Zweckmäßigkeit, Güte hin 
zu prüfen, die Richtig-keit eines Verhaltens darzulegen, die 
Angemessenheit desselben an ein gewolltes oder geseiltes 
Ziel als Norm zu beurteilen. Man geht von einem Zwecl^ als 
Norm oder von einer Reihe solcher Normen aus und übt nun 
eine Ivritik an dem zu beurteilenden Material, man bewertet 
oder beurteilt dieses im Hinbück auf seine teleolog ische Norm- 
gemäßheit. So untersucht man etwa bestimmte soziale Ein- 
richtungen auf ihre Zweckmäßigkeit, indem man sie an der 
Norm der Gemeinschaftsidee oder eines sozialen Ideals mißt 
und untersucht, ob und wieweit sie diesem entsprechen. An 
diese kritische, wertende Betrachtung- lassen sich dann auch 
Vorschläge in der Richtung einer Verbesserung von Ein- 
richtungen und Maßnahmen knüpfen, indem man, mit Zuhilfe- 
nahme der Erfahrung, allgememe oder zum Teil auch spezielle 
Normen für die Wahl der zweckentsprechenden, richtigen oder 
doch als richtig erscheiueudeu Mittel aufstellt. Diese Normen 



•) M. AHer, Marxistische Probleme, 1913, S. 148 f. 



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FOnAei XApitd. Explikilivcr nad naniMtiTer ZvcddKfriff. 



78 



fußen wohl oft auf einer Wertung-, aber diese braucht k^nes- 
wegB rein individuell-subjektiver Art su flein, sondern kann in 
einer Erkenntnis wurzeln, die sie zu einer nach Mögflich- 
keit sachg'emäßen, objektiven Wertung* macht So kann 
die Statuierung' gewisser Mittel als richtig' auch von allen an- 
erkannt werden, die eine gleiche Einsicht besitzen. Die Logik 
der Wertzusammenhänge hat, wie die teleologische Xogik, 
ihre feste Gesetzlichkeit, die innerhalb g-ewisser Voraus- 
setzungen und Bcding'ung'en Anspruch auf Allg'emeingültig- 
keit, zum Teil sogar auf unmittelbare Evidenz, machen kann. 
Durch Anwendung dieser Logik auf das Krfahrangsniaterial 
lassen sich normativ - teleologische Erkenntnisse ge- 
winnen, die in ihrer Art immer umfassender und zuverlässiger 
werden können, auf Grund einer Verarbeitung des Gegebenen 
durch die Gesetzmäßigkeit des teleologischen Denkens. Von 
der Wertung und Normierung des bloßen Empirikers und 
Praktikers unterscheidet sich die wissenschaftlich fundierte 
Zwecksetzung und Normengebung durch ihre objektiven Grund- 
lagen, ihre strenge Methodik und logische Konsequenz, ihre 
kritische Besonnenheit*) und vor allem auch durch den 
Willen zur Objektivität bei der Beurteilung des Ziel- und 
Normgemäßen. 

Es sind aber nicht alle praktischen, angewandten oder 
technischen Disziplinen normative Wissenschaften im engeren 
Sinne. Die Ermittlung und Ang^abe dessen, was geschehen 



♦) Sigwmi (Logik II*, 1893, S. 738f., 4. A. 1911^ bemerkt treffend: 
^Um zu sagen, daß eine bestimmte Handlung ein zweckmäßiges Mittel v 
für «neu bestimmten Zweck ist nnd darum gew^I^werden i^^ug^ weil \ 
der Zweck gewollt ist, bedarf es nidit blofi der GewiShell, dafi der \ 
Zweck im alfgemeinen notwendiger Effekt des Mittels ist, sondern daß 
auch unter der Gesamtheit der gegebenen Umstände dieses Mittel den 
Zweck hervorbringen wird. Diese Kenntnis ist in den einfachsten Fällen 
mit aller erreichbaren Sicherheit vorhanden, in den meisten aber nur 
mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit; die Gesamtheit der 
Prftmissen fdilt, durch welche aus dem Zwecke das geeignetste Mittel 
abgeleitet werden könnte, und darum kann für die Praxis nur die 
Regel gelten, dasjenige zu ton, was mit der größten Wahrscheinlich- 
keit den Erfolg hervorbringt ** 



kji 1^-^^ L-y Google 



74 



I. AUgemdner Teil. 



mufi, wenn bestimmte Ziele erreicht werden soUeo, bedient 
sich der Kausalität, um aus ihr die Mittel zu entnehmen, welche 
sie im Hinblick auf das zu Erreichende als die taugflichsten 
erkennt. Die Wissenschaften, deren Geg-enstand eine be- 
stimmte Art der Praxis bildet, verarbeiten das theoretische 
Erkenntnismaterial in der Weise, daß sie an der Hand des- 
selben die Beding-ung^en darzulegen vermögen, unter denen 
angestrebte Ziele erreicht werden können, ohne aber selbst 
diese Ziele zu werten und zu fordern (z. B. in der Medizin): 
es wird hier immer nur gesagt: „Wenn B., so A." Es werden 
hier teleolo gisch-kausalc Notwendigkeiten in einem 
System von Urteilen festgestellt, um damit der Praxis Richt- 
linien, einheitliche Grundlagen, feste Gesetzlichkeiten zu 
bieten. Von diesen technischen angewandten Disziplinen, 
welche bloß die Theorie in den Dienst der Praxis stellen, 
wenn auch nicht ohne eine spezifische, kombinatorische, er- 
finderische Phantasie- und Denkarbeit, unterscheiden sich 
nun die normativen Disziplinen im engeren Sinne da- 
durch, daß sie direkt Normen für das Handeln oder Gestalten 
aufstellen. Freilich nicht aus eigener Machtbefuq'nis, selbst- 
herrlich, sondern auf Grund einer logischen Verarbeitung" 
und einer Kritik der auf einem bestimmten Kultur- 
gebiet herrschenden Normen, durch begriffliche Heraus- 
arbeitung der ihnen immanenten obersten Normen, ihrer 
»■ Prinzipien und durch Begründung spezieller aus der Geltung 

't* von Grundnormen.*) Auf diese Weise gelangt man zu den 

logischen, ethischen, sozialen, ästhetischen Normen, zu deren 
einheitlicher Begründung und deren systematischem Zusammen- 
hang. Man bleibt nicht bei den tatsächlich vorgefundenen, 
' historisch entstandenen Normen stehen, sondern diese müssen 
sich vor dem Forum der Kritik und der „Logik der Normen" 
legitimieren, indem sie selbst an obersten Grundnormen 
gemessen und so auf ihre „Richtigkeit" geprüft werden. W^ir 
können auch zwischen „normativen" und „Normenwissen- 

*) Vgl. darüber Sigxcart, Logik II*, 1911 („Reduktion" spezieller 
auf allgemeine Normen); WimMf Ethik ^ 191a; Simmd, Einleitung in 
die Moralwissenschait, 1893. 



i- y i.i^L^^ L-y Google 



PBnftes Kapild. Explikativer «ad aormatiTer Zireekbegriff. 



75 



Schäften" unterscheid«!, indem wir beachten, daß „Norm" 
zweierlei bedeutet: einmal ein Richtmaß, das zur Beurteilung-, 
kritischen Wertung einer Sache oder eines Verhaltens dient, 
also ein oberstes Ziel, ein Ideal als Musterbild einer Voll- 
kommenheit; dann aber auch eine Vorschrift für das Handeln, 
eine Imperativische Soljensreg-el. Hiernach gibt es normative 
Wissenschaften, die es nicht mit Normen als Gegenstand zu 
tun haben und daher keine Nornienwissenschaften sind (z.B. die 
normative Ästhetik, iLbg-ik), und es gibt anderseits Disziplinen, 
die als Nornienwissenschaften zu bezeichnen sind, aber dabei 
keinen teleologisch-normativen Charakter haben müssen (wie 
etwa die dogmatische Rechtswissenschaft). Endlich kann es 
Wissenschaften geben — philosophische Disziplinen zum 
mindesten — die zugleich Normen- und normative Wissen- 
schaften sind, -wie die Rechtsphilosophie und Ethik. In dieser 
Gruppe von Disziplinen werden die Normen, die Gebote und 
Verbote, die positiven und negativen Sollensregeln, die 
Satzungen, Vorschriften, Verpflichtungen, nicht schlechthin 
als gültig hingenommen und logisch verarbeitet. Vielmehr 
wird geprüft, ob und inwieweit sie sich rechtfertigen lassen, 
indem man untersucht, erstens ob durch sie die Ziele, denen 
sie dienen wollen und sollen, wirklich erreicht »werden, ob sie 
also zweckmäßig auf Grund ihrer eigenen Voraussetzungen 
sind, zweitens, ob sie den obersten Zielen des betreffenden 
Kulturgebiets und der Kultur überhaupt entsprechen*). Darauf 
gründet sich ja der Unterschied zwischen bloß formal-positiver 
{relativer) und idealer (absoluter) Richtigkeit einer Norm. Es 
gibt nicht nur eine formale Logik der Normen, die, vom Ge- 
halt' und den Zwecken derselben abstrahierend, auf einen ein- 
heitlich-systematischen Zusammenhang der Normen eines Ge- 
bietes ausgeht, sondern es ist auch eine Tcleologie der 
Normen möglich und berechtigt, welche aber nicht eigent- 
lich kausal und explikativ vorgeht {Kelsen u. a.) und sich nur 
auf ein Sein, nicht auf ein Sollen bezieht. Denn die norma- 
tive Teleologie will nicht wie die exphkative e^kl^j;en. wie 



•) Vgl. die Arbeiten von StamnUer, Natorp, Goidscheid u. a. 



76 



I. Allgemeiner Tdl. 



die Nonnen entstehen und wie sie sich entwickelt haben^ 
sie will nicht deren Ursachen und auch nicht bloß deren 
Zwecke feststellen. Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, 
• Normen auf ihren objektiven Wert, ihre Zweckdienlichkeit za 
,f prüfen und auf kritischem Wege so zu bearbeiten, daß sie 
nicht bloß ihren, sondern auch übergeordneten, obersten, idealen 
Zwecken möglichst angemessen werden, ohne natürlich damit 
schon die Macht zu haben, das ideale Sollen zu einem real 
wirksamen zu gestalten, es zur praktischen (etwa politischen) 
Geltung zu bringen. Die Wissenschaft als solche kann ja 
|i nichts zwingend gebieten, aber sie kann festere, objektivere 
Grundlagen für die Normengebunt^- und Norraenentwick- 
;| lung bieten, als sie das unmethodische und unkritische 
Normieren des bloßen Praktikers besitzt. Im Laufe der 
historischen Entwicklung wird aber die Wissenschaft auch 
selbst immer mehr zu einer Quelle, aus welcher zum Teil der 
die Normen setzende Gesarotgeist den besonderen Inhalt 
dieser schöpft. 

Das Sollen überhaupt ist freilich nicht auf das bloße 
Sein zurückzuführen, es ist eine Art „Kategorie" {Sinimel, 
Kelsen u. a.), eine fundamentale und spezifische „Form", auf 
einer Grundbeziehung zwischen einem übergeordneten, zu-, 
mutenden, fordernden und einem untergeordneten, diese 
"Forderung oder Zumutung anerkennenden Willen beruhend, 
wobei der das Sollen setzende Wille ein individueller oder 
f I kollektiver, ein realer oder idealer, konkreter oder abstrakter 
j I ja sogar ein ad hoc konstruierter*) oder fiktiver Wille sein 
i kann. Das besondere Sollen geht immer wieder aus einem 
anderen Sollen hervor; das oberste Sollen aber wurzelt in 
einem Grundwillen, dessen absolute Zielsetzung den 
letzten Grund für das ganze System der Forderungen, der 
Sollensregel enthält, die endgültige Antwort auf die Frage: 
W^aruni soll man dies? Gewiß, Wollen und Sollen sind nicht 
dasselbe; wir können etwas wollen und es doch nicht sollen, 
und oft soll man etwas, ohne es im geringsten zu ^.wollen. 



*) Vgl. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre^ 191X. 



y i.i^L^^ L-y Google 



Fflaftct Kapitel. •ExpUk>tfyer iwd nonnatlva Zweckbegriff. 



77 



Aber das Sollen führt doch nrsprüngrlich immer auf einei^ ^ 
Wil len zlg gckj~stets erscheint das Gesellte alß.<^e Willens- ] 
'sietnmg' und rechtfertigt sich schUeßUch nur durch den Hin- /i 
weis auf ein mögliches Willenaziel, welches die Forderung* ' 
ersT zu einer wahrhaft begründeten» yemünftigen, berechtigten 
macht 

Das „Soüen*' ist ursprünglich rein imperativischer Art, es 
bekundet sich in der Anmutungf eines Gebietenden an einen 
Gehorchenden,*) eines Verpflichtenden an jemanden, der sidl 
Verpflichtet fühlt und daher sagt: Ich soll, oder wenn er der 
Pflicht, dem Gebot nicht nachkommt oder nachgekommen ist: 
Ich sollte oder hätte sollen. Da#. Sollen ist also arspriing-lich • 
der' Ausdruck ^nes Verhältnisses zwischen einem gfebieteri- 
sehen und einem sich unterordnenden Willen. Wird nun ein >' ■ 
'^st '^6n außen an das Individuum herangebrachtes Gebot in 
dessen eigenen Willen aulgenommen oder ist dieses In- 
dividnom so geartet, daß es aus eigenstem, persönlichem Ge- ^ 
wissen ein bestimmte«». eigenes, o^er fremdes VerhalteaJ[Q£i^^, 
dSnn kann es in seiner Person das ein Sollen setzende und 
das diesem sich unterwerfende Subjekt vereinigen. Man weiß 
dänn nicht bloß, daß das eigene Wollen und Handeln in 
einem besonderen Falle nicht mit dem Gesollteq überein- 
stimmt, sondern man verurteilt das eigene Wollen, weil man 
— ^ die „bessere Person" in uns — ein gASiZ anderes Wollen | 
und Verhalten fordert. 

" Als „richtig", „recht", „gut" im weitesten Sinne erscheint 
alles Wollen und Verhalten, das einer Norm gemäß ist; es \ , 
wird im Verhältnis zur Norm beurteilt und diese Beurteilung 
kann Anspruch auf Allgcmeingültigkeit erheben, auch wenn - 
die betreffende Norm selbst nicht gebilligt wird. So ist 
z. B. eine Tat, die einem Gesetz zuwider ist, selbst dann 
formal als normwidrig, unrecht zu beurteilen, wenn das 
betreffende Gesetz als schlecht, ungerecht erscheint oder 
der Täter einer gebilligten sittHchen Norm gemäß handelte. 
Die Billigung einer Norm selbst nun beruht, wo sie nicht 



*) VgL Schkienncu^, Philos. Schriften II, 1838» S. 40X. 



78 



I« Allgemeiner TeO. 



achon automatisiert^ gewohnheitsmäßig' geworden ist, zuhöchst 
auf der Einsicht in den ideellen Grund der Norm, in das 
Willensziel, aus dem die SoUensreg^el sich ableitet. Jede 
spezielle Norm erscheint dann als ein Mittel im Dienste 
des Norm Zweckes und ist aus diesem teleolog-isch zu be- 
gründen, nicht etwa bloß kausal, als Wirkung der Zweck- 
Setzung-, zu erklären. Ist zuerst etwas nur deshalb (formal) 
richtig, weil es eben g-esoUt, also nonngemäß ist, so erscheint 
es nun deshalb als gesollt, weil es material richtig, d.h. nun 
zweckgemäß ist, weil es einem Willensziel entspricht, durch 
das es inhaltlich gefordert, gesetzt ist. ,,Da8 soll sein" heißt 
nun endgültig: es ist das rechte Mittel zu einem theoretischen 
odOT praktischen Zweck und ist im Hinblick auf diesen als 
ein notwendig zu Wollendes oder zu Tuendes gefordert, ge- 
wollt oder wenigstens gewünscht, wobei es natürlich auch 
einen Eigenwert haben kann. Alles Sollen mündet schließ- 
Üch in ein das Sollen bedingendes Grund wollen. So erweisen 
sich etwa die verschiedenen Sittenregeln als das System der 
durch den idealen SittlichkeitswiUen geforderten Wollungen 
und Handlungen; und wenn jemand beim menschlichen 
Sittlichkeitswillen nicht stehen bleiben will, so kann er sich 
etwa auf den göttlichen Willen berufen. Eine oberste Ziel- 
setzung gibt dem Sollen die innere Kraft, Geltung, Dignität. 
— Wenn nun erklärt wird, das Sollen wende sich keineswegs 
immer an einen Willen,*) so ist dies so zu verstehen, daß das 
/'Gesollte auch gilt, wenn niemand es gerade befolgen will 
"■* ' öder niemand es zurzeit normiert. Indem wir etwas als durch 
ein Ziel des Vernunftwillens erfordert und daher als Sein- 
sollendes erkennen und im Namen dieses idealen Vernunft- 
willens jedem anmuten, gilt diese Anmutung für alles 
Wollen überhaupt, unabhängig vom individuellen, em- 
pirischen, psychologischen Willen.**) — Ferner gibt es ein 

*) Vgl. HuMtrl, Logische Untersnchnngen, 1900, I, S. 43ff. 
**) Man kann sagen, es gibt absolut oder allgemein gflltige 

Sollcnsrelationen, die zwar auf ein „normatives Bewußtsein ttber- 
haupt ' be:?ogen, aber von aller snbjekdven WillkOr und Relativität un- 
abhängig sind. 



Sollen, das nur den Wunsch oder Willen zu einem Andent- 
sein von Verhältnissen ausdrückt, wo alao die Wendungf an 
einen anderen Willen völlig^ in den Hintergrund tritt oder 
ausg-eschaltet ist oder höchstens nur im Sinne eines nAls ob" 
besteht. Auch der das Sollen setzende Wille kann zurück- 
treten, und dann bedeutet das „Hs soll" oder „Es sollte" 
in erster Linie nnr saviel wie: richtig, regelrecht, in Ord- 
uxmg ist oder wäre dies und jenes Sein oder Verhalten; 
es wäre, bei genügender Einsicht, zu fordern, zu wollen. 
Kurz, ein Wollen im jjsychologiscjien Sinag. muß nicht 
hinter allem Sollen stehen, aber ein normierendes Wollen 
muß alle Sollensregeln „beg-leiten können", analog dem „Ich 
denke", das nach Kant eine Grundbedingung der Erkennt- 
nis ist. 

Es ist richtig', daß aus der bloßen Konstatierung eines 
Seins oder Gewordenseins noch nicht auf das Sollen zu 
scTiTIeßen ist. Anderseits lassen sich die konkreten SoUens- 
inhalte auch nicht aus einer ganz allgemeinen Norm dedu- 
zieren, wenn auch im Hinblick auf ein „normatives A priori" 
legitimieren. Besondere Normen, Sollensregeln gewinnen 
wir methodisch viehiiehr so, daß wir allgemeinere Normen an 
das (wirkliche und niö;^^]iche) Seinsmaterial heranbringen und 
nun ein spezielleres Sollen zwar immer im Hinblick auf das 
ihm übergeordnete Sollen, aber doch nur an der Hand dieses 
Materials (möglicher Kausalverbindunj^'^en) setzen oder formu- 
lieren. Das Sollen als reine Form oder Ivategorie folgt nie 
aus dem Sein, aber der besoiulere Sollensinhalt kann und 
muß am Leitfaden des erfahrbaren und denkbaren Seins er- 
arbeitet und gesetzt werden; er ist uns zwar nicht durch 
bloße Erfahrung gegeben, aber durch die teleologisch-nor- 
mative Stellungnahme zu ihr „aufgegeben." Die Grundlagen 
zu allen Normen aber bilden oberste Zielsetzungen und ideale 
Zwecke. Von diesen Zwecken aus, wie Wahrheit oder Er- 
kenntnis, Sittlichkeit, Schönheit, orientieren wir uns zuhöchst 
bei der Bestimmung des „Richtigen" aller Art; sie sind das 
A priori aller Normierung und Wertbeurteilung, die 
obersten Maßstäbe aller konkreten Normen selbst, die zeitlos 



80 



I. AUfenciner Teil. 



g-ültigen Grundnormen.*) Identisch sind sie mit den 
Ideen, welche zur Regullemng' des inneren und äußeren 
Handelns dienen, bzw. mit den Idealen, welchen wir unab- 
lässigf zustreben. Der so aufg^efaßte „Platonismus** erweist sie 
als eine ewigfe Wahrheit, die auch sonst von einer „evolutio- 
nistisch" g-efärbten Weltanschauung* anzuerkennen ist. Ideen 
als typische Zielpunkte des Strebens und Wollens mani- 
festieren sich in der Entwicklung' der Welt, indem sie sich 
durch das Streben der Wesen verwirklichen.**) Und Ideen 
sind es, welche im Reiche der Kultur zu obersten Normen, 
VOL höchsten Maßstäben der Bewertung des Seins und Handelns 
sowie der Richtung werden, welidie die Entwicklung nimmt. 

*) Nach WindelbandB „tdeologischem Kritizismus", mit dem dieser 
Standpunkt verwandt ist, ist die V<Mnuissetzung der krilisdien Methode 
der «Glaube an die allgemein gflltigen Zwecke*. Alle Aadome sind 

„Mittel zum Zweck der Allgemein gültigkeit*, ihre Anerkennung ist 
^durch einen Zweck bedingt, der als Ideal für unser Denken, Wollen 
und Erfüllen vorausgesetzt werden muß*. Das ideale „Normbewußt- 
sein" ist der oberste WertmaÜstab. Die Geltung der Normen ist nur 
teleologisch zu begrOnden, sie dienen der Verwirklichung oberster 
Zwedce. (Prftludien, 4. AnIL, 1911.) 

**) Vgl. die Schriften von A. FimilUe (Begriff der ,idee-force*, 
Kraftidee), auch Q^tm n, a. 



DL Spezieller Teil 



Sechstes KapiteL 
Mechanismus^ Psychismus, Finalismus. 

£a besteht, wie wir sahen, kein 'Widenpruch zwischen 
• Kausalität und Zielstretaigicelt, weder wenn man den Zweck 
nur als regfulatives, die Kausalforachung' selbst erweitenidee 
Prinzip betrachtet, noch auch, wenn die ZweckmSAigkelt der 
Dinge auf eine ihnen selbst eigene, reale Zielstrebigkeit za- 
ruckgeffihrt wird. Der Zweck ist ja nicht eine besondere, 
spezifische Ursache oder Kraft, die andere Ursachen und 
Kräfte ausschaltet, überflüssig macht, sondern ein' Will«»* 
und Erkenntnisinhalt, der uns die Grundlag-e des Kausal» 
Zusammenhangs selbst verständlich macht. Gehören zu den 
bewirkenden Ursachen des Geschehens Willenskräfte und 
sind diese ihrer Nator nach auf Ziele gerichtet, die durch 
bestimmte Tätigkeiten erreicht werden können, dann erscheint 
es nicht mehr wunderbar, wie der Zweck einen idealen Ein- 
fluß auf die Richtung- des Geschehens gewinnen kann. 

Die Eindeutigkeit des Kausalzusammenhangs, mag er 
nun nach der physischen, mechanisch -energetischen oder 
nach der psychischen Seite hin betrachtet werden, erleidet 
durch die Einsetzung zielgerichteter Faktoren in die Reihen 
des Geschehens keinerlei Einbuße. Die Forderung der ein- 
deutigen 2Uiordnang von Vorgangen zu bestimmten anderen, 
ans draen sie notwendig hervorgehen, bleibt aufrecht, auch 
wenn diese Vorgänge als Ausdruck, Manifestation finaler 
Tendenzen erscheinen. Nur gegen eine solche Teleologie, 
welche den Zweck zu einer besonderen Ursache neben 

£itl«r, I>«r Zweck. 6 



i- kji i^L^^ L-y Google 



82 



II. Spezieller Teil. 



anderen macht, besteht der Vorwurf der Aufhebung- des 
Pdstulats der Eindeutigkeit des Geschehens zu Recht 

Nun wird aber auf die Geschlossenheit der Natur- 
kansalität und des Mechanismus hingewiesen, welche 
IQr das Eingreifen psychischer Faktoren keinen Platz läßt 
Die mechanistische Naturauffassuag in allen ihren Ge- 
staltungen, als Mechanismus im engeren Sinne oder als Dyna- 
mismus, kann, wenn sie konsequent sein will, in der Tat nur 
physische Ursachen und Wirkungen physischer Vorgänge 
anerkennen« Jedes Gesch^en in der Natur hängt mit 
anderen Naturprozessen zusammen, bildet ein Glied in der 
lückenlosen Kette von Phänomenen, wie wir sie vom Stand- 
punkt der äufieren, sinnlicdi vermittelten Erfahrung oder der 
mittelbaren Erklärung des Erfahrungsinhalts denken müssen, 
wollen wir die sonst sich unvermeidlich ergebenden Wider- 
sprüche vermeiden. Die Einheitlichkeit der Betrachtungsweise 
und des Denkens fordert vollste Konsequenz des einmal ein- 
genommenen Gesichtspunktes; in der Wahl desselben sind 
wu: zunächst frei, in der Festhaltung des Standpunktes aber 
durch unsere eigene Wahl determiniert Das Denken bindet 
sieb selbst, wenn es ein bestimmtes theoretisches Ziel verfolgt; 
es muß dann diejenigen und nur diejenigen besonderen Denk- 
mittel anwenden, die zu diesem Ziele führen. Haben wir also 
einmal das Fisychiscfae zurückgestellt, indem wir methodisch 
davon ' abstrahieren, um ausschließlich die objektiven 
Relationen der Exsdieinnngen ins Auge zu fassen, wie sie 
unabhängig von alter psychologischen Subjektivität (als all- 
gemeingültige Inhalte des „Bewußtseins überhaupt^} zu denken, 
zu setzen sind, dann gilt es, sich davor zu hüten, Glieder 
einer ganz anderen, heterogenen Betrachtung»- und Er- 
kenntnisweise des Gegebenen in das durch das besondere 
Denkziel geforderte S3r8tem einzufügen. Das Vermengen der 
naturwissenschaftlichen mit der psydiologisdien Art der Er- 
klärung, der „Animismus" im schlechten, dogmatischen Sinne, 
das &setzen physischer durch psychische oder metaphysische 
Faktoren, war von jeher ein Krebsschaden der Wissenschaft 
wie der Philosophie und muß energisch zurückgewiesen werden. 



Sechstes Kapitel. Mechanismus, Psychismus, Finalismus. 



83 



Vom Standpunkt der äußeren Erfahrung' und der ihrer 
Richtungf folgenden Denkweise gibt es also nichts anderes 
als physisches Geschehen, und diesem Greschehen liegen 
Korper, d. h. materielle Substanzen oder Komplexe von raum- 
lich lokalisierten Kräften, zugrunde. Das Geschehen selbst 
mag" streng* mechanisch als eine Summe von molaren, mole- 
kularen und Atombewegungen konstruiert werden oder man 
mag es, im Sinne der qualitativen Energetik, als Energie- 
Umsetzung* bestimmen — darauf kommt es hier weniger an, 
vorausgesetzt, daß Körper, raumliche Gebilde als solche immer 
nur mit anderen Körpern, räumlichen Gebilden in Wechsel- 
wirkung stehend g^edacht werden. Die Wirkungsweise eines 
Raumdinges ist eben eine solche, daß sie wieder ein Raum- 
ding brauch^ um überhaupt eine Wirkung hervorbringen zu 
können; Wirksamkeiten wie das Bewegen, Erwärmen, 
Elektrisdimachen und dergleichen setzen stets Körper vor- 
aus, an denen aUein soldie Wirkungen zustande kommen 
können. Etwas rein Immaterielles oder rein Geistiges bietet 
für derartige Einwirkungen gar keine Handhabe, keine An- 
satz^ und AngrÜEspunkte. Umgekehrt läßt sich auch nicht 
gut denken, wie etwas Immaterielles, Unränmliches auf dnen 
Körper »wirken", seinen Zustand modifizieren soll. Alle Ver^ 
änderungen, die ein Körper erleidet, erweisen sich als ab- 
hängig von Veränderungen an anderen Körpern und sind 
durch physikalisch-chemische Naturgesetze eindeutig bestimmt. 
Jedes Quantum an physischen Effekten fordert ein Äqui- 
valent an physischer Ursächlichkeit, und das Prinzip der 
Erhaltung der Energie, das eine apriorische, logische 
Wurzel und eine empirische Grundlage hat, und das zudem 
von größter methodologischer Fruchtbarkeit ist, macht jeden 
Energiezuwachs auf der einen Seite von einem bestimmten 
Eneigieverlust auf der anderen Seite abhängig. In einem 
geschlossenen materiellen System kann hiemach Energie 
weder aus nichts oder Nicht- Energie entstehen noch zu 
nichts oder Nicht- Energie werden; die Menge der aktuellen 
und potentiellen Energie ist hier konstant, sie ist weder ver- 
mehrbar noob, vermtnd»bar. So muß denn auch z. B. ein 

6* 



84 



IL Spezieller Teil. 



energetischer Prozeß im Gehirn auf Kosten eines be- 
stimmten Energieaufwands im Organismus erfolgen und 
wiederum eine bestimmte energetische Veränderung in diesem 
zur Folge haben. Auch wenn im Gehirn nur eine Auslösung 
latenter Energien oder wenn nur die Ri<ditung von Grehim- 
schwingungen und anderen organischen Bewegungen modi^ 
fiziert wird, gesdiieht dies nicht ohne einen gewissen Energie- 
i^braucfa, mag dieser auch unter Umstanden nur sehr ge- 
ring» minimal sein. SoUte also das Psychische als solches auf 
das Pliymsche „wirken" und von ihm kausal beeinflußt werden 
können, so mußte es selbst eine „Energie^* oder energetischer 
Natur sein und ein entsprechendes Äquivalent in anderen 
Energien haben, in die es sich umsetzt Nun ist dem 
aber nicht so. Psychische Vorgänge, Bewnfitseinszustande 
als solche betrachtet, sind nichts Materielles, Körperliches, 
Räumliches; daher leisten sie auch keine mechanische 
Arbeit, überwinden sie keine materiellen Widerstände, 
lassen sie sich nicht in andere Energieformen umsetzen« 
„Energie" im Sinne der quantitativen Natmrau^ssung ist zu- 
nächst ein Intensitäts- und MaßbegrifE (Riehl, Kern u. a.) und 
bezieht sich auf die L^stungsfähigkeit von körperlichen 
Massen und Massenteilchen in bezug auf andere Rauminhalte. 
Der naturwissenschaftliche Begriff der Energie dient von 
Anfang an ausschließlich der methodischen Verarbeitung der 
Inhalte der äußeren Erfahrung, der Vereinheitlichung und 
Beherrschung der Inhalte derselben. Für den Standpunkt 
der „inneren" oder unmittelbaren Erfahrung verliert dieser 
Begriff seinen Sinn und Erkenntniswert; denn ein Denkmittel, 
welches im Dienste der Objektivierung des Gegebenen 
steht, muß naturgemäß unbrauchbar werden, sobald es sich 
darum handelt, eben dasselbe Gegebene in seiner unmittel- 
baren, qualitativen, subjektiven Beschaffenheit zu be- 
schreiben, abzuleiten und zu erklären. So wenig wir nach 
Abstraktion von den subjektiven Elementen und dem rein 
Qualitativen der Wahrnehmung und nach dem „Umdenken** 
des Gegebenen zu rdn quantitativ-dynamischen Relationen 
zwischen Raumdingen (Körpern) noch etwas Psychisches in 



y i.i^L^^ L-y Google 



Sedtttes Kapltd. HcdiaalfiiiiiH, Fsyebuimtii F!u]isiiias. 8S 



der physischen Welt übrig- behalten, ebensowenig- kann sich 
in der subjektiven, unmittelbaren, psychologfischen Erfahrung" 
etwas von dem finden, was erst und bloß durch den Stand- 
punkt und das Ziel der objektiven Betrachtungsweise der 
Naturwissenschaft bedingt und gfefordert ist.*) 

Jetzt ist es klar, warum es nicht nur erlaubt, sondern 
g-eradezu notwendig- ist, alles Sein und Geschehen in der 
objektiven Natur als materiell, mechanisch, räumlich-dynamisch 
aufzufassen und keine andere Erklärung- physischer Vor, g-änjre 
anzuerkennen als die mechanistisch - dynamische (im weiteren 
oder im engeren Sinne). Vom Standpunkte der „äußeren" 
Erfahrung erscheint uns notwendig alles in der Welt als 
raumhaft, körperlich, materiell, energetisch, und da kann und 
darf es keine Ausnahmen geben.**) Also ist auch der Or- 
ganismus und ist auch das organische Geschehen für die 
quantitative Naturerklärung nichts als ein System räumlicher, 
materieller Elemente, die zueinander und zur Umwelt in 
dynamisch-energetischen Relationen stehen, und ebenso sind 
die Handlungen des Menschen für diesen Standpunkt nichts 
anderes als rein physische Prozesse. Als solche stellen sich 
auch alle jene Vorgänge dar, die für die unmittelbare Be- 
trachtung psychische Erlebnisse bedeuten. Der physische 
Kausalzusammenhang im Organismus ist überall ein ge- 
schlossener, jedes Glied der Kette des Werdens ist eine Be- 
wegung oder ein energetisches Geschehen, jedenfalls eine 
Veränderung der räumlichen Relationen ni der Zeit. Physi- 
kalisch-chemische Reize lösen im Organismus physikalisch- 
chemische Vorgänge aus, welche ebensolche Vorgänge in 
anderen Teilen des Organismus zur Folge haben. Erregungen 
der Sinnesorgane werden durch die sensorischen Nerven zum 
Gehirn geleitet und setzen sich hier in weitere physische 
(mtrazerebrale) Vorgänge um, die andere Partien des Gehirns 

*) Vgl BSUIer, Leib nnd Sede, 190$; SSM, Zur Einftthnmg in die 
Philosophie 1908; Enste, Geist nnd KAiper, 1904; a. A. xgia. 

*♦) V^l. die Schriften von B. Kern, welche eine vortreffliche Be- 
gründung des „Identitätsstandpunktes" und der doppelten Betrachtungs- 
weise des Geschehens enthaitcn. 



86 



IL SpeiieUer Tdl. 



erregfen, worauf dann etwa die motorischen Nerven die Er- 
regung^ der Ganglien aufnehmen und an die Glieder sowie 
schließlich an die Außenwelt abgeben. Nichts Psychisches 
als solches schiebt sich hier für diese Betrachtungsweise da- 
zwischen; im (Troben wie ira „Infinitesimalen", im Kleinsten 
und im Feinsten sind da nur physische Ursachen und Wir> 
kungen im Spiele. 

Auch wenn zu niethüdischen Zwecken die Handlungen 
der Menschen und der übrigen Lebewesen rein quantitativ- 
mechanisch (oder energetisch) erklärt werden, bleiben sie 
doch ihrer Form und Kompliziertheit nach vom anorganischen 
und künstlichen Geschehen unterschieden. Abgesehen 
davon, daß aus den allgemeinen, ganz abstrakten Gesetzen 
der Mechanik im engeren Sinne das konkrete, besondere, in- 
dividuelle Geschehen nicht restlos abgeleitet werden kann, ist 
zu beachten, daß die Wirkungen der Ursachen stets auch von 
der Beschaffenheit der Dinge abhängen, auf welche ein- 
gewirkt wird. Schon deshalb müssen die Reaktionen der Or- 
ganismen anders ausfallen als die anorganischer Körper. Da 
die Lebewesen eine Fähigkeit des Zurückbehaltens von Ein- 
drücken, eine Art Gedächtnis („Mneme*') besitzen, da viele 
Organismen ein Nervensystem haben, welches auf Grund ver- 
g'angener, aufgespeicherter und verdichteter Erfahrungen in 
Form von feinsten Modifikationen (Anlagen, Dispositionen) 
regTilierend auf das Verhalten des Gesamtsystems wirkt, da 
jede Art und jedes Individuum eine besondere Vergangenheit 
besitzt, die ihre Spuren hinterlassen hat und nun in den orga- 
nischen Reaktionen zur Geltung" koniint, so unterscheidet sich 
jeder Organismus — und in höchstem Maße der Mensch — 
von einem anorganischen Aggregat und ebenso auch von 
einer künstlichen Maschine, kurz von allem, was die organi- 
schen Eigentümlichkeiten: innere Verbindung und Einheit, 
Reizbarkeit, Gedächtnis, Selbstregiilation usw. nicht besitzt 
Die Fähigkeiten der Anpassung* und der Reizverwertung, des 
„Lernens", der Regulierungf der Funktionen je nach den Um- 
ständen, des „Anderskönnens" usw. machen die Organismen 
zu relativ selbständigen, eigengesetzlichen Wesen, 



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Sechstes Kapitel. Mechauiismus, Psychisrnns, Finalismus. 



87 



deren Tätigkeiten «war, direkt oder Indirekt, ▼on außen aiu- 
gfelöst werden, aber doch zogleich von innen ker ihre Rich- 
tung erhalten und mehr sind als bloß passive Fortsetzungen 
der Aoßenvorgäng-e. 

Wenn also die menschlichen Handlungen sich so be- 
trachten lassen, als ob sie rein physische Ursachen hätten, 
so setzen sie hierbei doch etwas sehr Wichtiges voraus: ein 
menschliches Grrofihim, von dessen Struktur und Eigenenergie 
sie unmittelbar abhängen. nVon selbst^* wäre natürlich ein 
Kunstwerk wie der Goethesche „Faust** nie erstanden; die 
Schöpfung eines soldienWerkes setzt eben ein bestimmtes, hoch- 
entwickeltes Gehirn mit bestimmten Anlagen und Bahnnngen 
voraus, eine individuelle Konstellation, Konfiguration, Struktur 
von höchster Seltenheit^ etwas Einmaliges in besag auf seine 
Form und Leistung. Und ebenso sind die historischen, sozialen 
und kulturellen Begebenheiten auch als rein physische Vor- 
gänge von dem Funktionieren besonders beschaffener, en^ 
wickelt«r Grehime abhängig und also sicher weder als Zufalls- 
produkte aufzufassen noch aus allgemeinsten Naturgesetzen 
restlos abzuleiten. 

Da die exakte Naturwissenschaft die objektive Wirklich- 
keit als ein System quantitativ-dynamischer Relationen auf- 
bißt, so fällt die unmittelbare Daseinsweise des Gegebenen 
einer anderen Gruppe von Disziplinen zu: der Psychologie 
und den Geisteswissenschaften. Für diese Wissenschaften 
bedeutet nun das menschliche Handeln einen Veränderungs- 
komplex, der seine Ursachen in bestimmten Bewußtseins- 
veränderungen als solchen, in bestimmten seelischen Vor- 
gängen, in gefühlsbetonten Vorstellungen imd Willensimpulsen 
hat, die wieder von außen, durch das ,Jnnensein" physischer 
„Reize", veranlaßt sein können. Auch hier ist ein geschlossener 
Kausalzusammenhang gefordert, innerhalb dessen aber nun 
jedes Glied als psychisches Moment eingestellt wird, mag 
•es für sich, gesondert zum Bewußtsein gelangen oder nicht, 
mag es bewußt, unterbewußt oder relativ unbewußt sein. Die 
Einheit und Konsequenz der Betrachtungs- und Erklärungs- 
weise muß hier ebenso gfefordert werden wie in der Natm> 



88 



n. SpoieUtf TciL 



Wissenschaft. Das Schema einer Haudlungf ist jetzt so: das 
„Innensein" eines als Reiz fung^ierenden Geschehens in der Urn- 
welt erregt in uns bestimmte Krapfindungen oder Sinneswahr- 
nehmungen; diese reproduzieren gewisse gefühlsbetonte Vor- 
stellungen, es finden ferner Assoziations- und Apperzeptions- 
prozesse statt; dann erfolgt ein motorischer Willensimpuls, und 
an diesen schließen sich Bewegungsempfindiingen und Be- 
wegungswahrnehmungen. Den verschiedenen Momenten, 
Phasen derWillenshandlung entsprechen bestimmte Abschnitte, 
Glieder des physischen bzw. physiologischen Prozesses. Dies 
ist ohn« weiteres begzeiflidi; denn es handelt sich hier ja nur 
um Z9ni yeisdiiedene Betraditangfsweisen ein und desselben 
(jsschehens» das sich vom Standpunkt der unmittelbaren Er- 
fahrung und der ihr gemäßen Deutung* fremden Handelns 
anders darstellt als von dem der mittelbaren Erkenntnis» der 
äußeren Erfahrung. Demnach läßt jede Handlung eine 
doppelte Auffassung zu. Wird sie aeXbat als ein physischer 
Vorgang unter anderen physischen Vorgangen betrachteti 
dann muß sie, wo exakt vorgegangen werden soll, als Wirkung 
rein physischer Ursachen bestimmt werden; hingegen ist sie» 
wo sie als Ablauf von Bewußtseinsvorgängen betrachtet wird, 
auf psychische Ursachen zurückznf fihren, ohne daß deshalb der 
Zusammenhang desEsychischen mit auslösenden Naturfaktoren, 
mit den Einflüssen der Umwelt vernachlässigt zu werden 
braucht 

Zwischen den materiell-energetischen Vorgängen und den 
psychischen Prozessen besteht demgemäß keine reale Wechsel- 
wirkung, sondern ein bloßer Parallelismus,*) in dem Sinne, 
daß beide Reihra des Geschehens einand«: zugeordnet, von* 
flsnander funktional abhängig, in ihrem Auftreten Wechsel* 
seitig aneinander gebunden sind. Der Schein, als ob etwa 
der Wille die reale Ursache (nicht bloß Bedingung) der aktiven 
Körperbewegung wäre, entsteht nur daraus, daß der Willens- 
impuls, der das „Innensein" eines Gehimprozesses bildet, der 

*) So nach Spinoza, Schopenhauer, Feckmr, Wundt, Faulaen, 
König, Heymans, B^Er^mam, Spencer, Roffding, RieUf Jodl, B^Kvm, 
J. SdkMttr n. tu 



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Sechste« Kapitel. Mechanismus, Psycbismus, Finalismns. 



89 



eigfentlichen Handlung- ebenso zeitlich vorausgeht und 
diese ebenso kausal bedingt wie der ihm entsprechende 
Gehirnvorgang die zeitlich vorangehende Ursache der- 
selben Handlung ist, nur daß jetzt diese als physiologischer, 
nicht mehr als psychischer Prozeß in Frage kommt. Was 
man als „psychophysische Wechselwirkung" ansieht, erweist 
sich bei genauerer Betrachtung als eine psy chopsychische 
Wechselbeziehung, nämlich als wechselseitige Abhängig- 
keit verschiedener Glieder des psychischen Zusammenhangs 
selbst, als Wechselwirkung" etwa zwischen dem „Geistigen" im 
engeren Sinne, dem Denken, Wollen usw., und dem „Sinnlichen", 
welches in Form von (Organ-) Empfindungen, Trieben u. dgl. 
das unmittelbare, innere Sein des „Leiblichen" oder das „Phy- 
sische** in der weiteren, laxeren Bedeutung des Wortes dar- 
stellt Dieser Wechselwirkung entspricht eine Wechselwirkung 
zwischen den Bestandteilen und Funktionen des Körpers 
einerseits und denen des Nenrenqrstems anderseits, eine physio- 
logische Wechselwirkung. Wir können auch sagen: Ein 
je nach der Betraditangswelse — sowohl psychischer als phy- 
sischer Vorgang bewirkt wieder einen sowohl psychischen als 
physischen Vorgang, oder Psychophystsches steht in Wechsel- 
wirkung mit Psychophysischem {GcldaMd), und zwar so, daß 
die gleichnamigen Seiten der Gesamtreihe mitonander direkt 
kausal verbunden sind» während die ungleichnamigen Seiten 
einander nur funktionell zugeordnet, nur voneinander abhängig 
sind. Dabei darf nie vergessen werden, dafi dieser streng 
dnrchzufflhiende methodisch-phänomenologische Dualis- 
mus eine monistische Auffassung des Geschehens einsdilie&t. 
Es sind nicht zwei Reihen eines an sich heterogenen Ge- 
schehens miteinander verbunden, sondern ein und dasselbe 
reale Geschehen, das von dem einen Standpunkt als physisch 
erscheint, ist seinem unmittelbaren Higenseln nach psychisch. 

Was in der unmittelbaren Daseinsweise als Empfindungs- 
qualitat, Gef uhlscharakter, Wert, Einheitsbewußtsein usw. auf- 
tritt, das kann naturgemäß im Physischen in dieser Art nicht 
noch einmal vorkommen. Wohl aber ist anzunehmen, daß 
allen Bestimmtheiten imd Unterschieden auf der einen Seite 



90 



II. Sp^zifüf^r Teil. 



Bestimmtheiten und Unterschiede auf der anderen Seite ent- 
sprechen. Je einheitlicher, reicher, differenzierter, aktiver, be- 
wußter das Seelenleben ist, desto höher entwickelt erscheint 
auch das Organsystem, welches die Außenseite, die Objek- 
tivation, den sichtbaren Ausdruck, die sinnfällige Erscheinung- 
desselben bildet. Die Entwicklung- der Lebewesen g-estaltet 
sich im ganzen so, daß zwar schon den niedersten Organismen 
ein primitives, noch ganz vages und dumpfes Innenleben eigen 
sein mag, ein höheres, düierenziertcs Seelenleben aber erst 
in Verbindung mit einem Nervensystem verbunden ist. Die 
organische Entwickiui,^ selbst vollzieht sich unter dem Ein- 
fluß psychischer Antriebe, welche den Reaktionen der Orga- 
nismen auf die Reize der Umwelt die zielstrebige Richtung 
gebeu, und die unter diesem EinÜusse cntstaudeue höhere 
Organisation der Lebewesen ermöglicht wiederum ein höheres, 
reicheres, einheitlicheres Seelenleben. Der Organismus als 
Ganzes ist seinem Innensein nach ein System psychischer 
Triebkräfte, das sich selbst, wenn auch nur im Zusammen- 
leben mit der Umwelt, immer höher gestaltet, steigert. Es 
kann nun nach dem, was wir betreffs des Verhältnisses des 
Psychiachen zum Physisclien gesagt haben, keinem Miß- 
verständnis mehr unterliegen, wenn wir erklären; An den orga- 
nischen Prozessen, an den Lebensfonktaonen sind psychische 
Faktoren beteiligt Aber nicht, wie dies manche „Psycho- 
vitallsten** annehmen, als die Ursachen physischer Phäno- 
mene, sondern als das Innensein des Organismus, das in den 
physischen (phystologflschen) Reaktionen desselben selbst zum 
objektiven Ausdruck gelangt Die Frage „Mechanismus oder 
Psychismus?" muß demnach so beantwortet werden: Mecha- 
nismus und Psychismus. Vom Standpunkt der äußeren Er- 
fahrung ist alles „Leben*' als ein eigenartiger, eigengesetz- 
licher Zusammenhang physischer Ptozesse, als ein besonderer 
Komplex medianisch-energetischer Vorgänge aufeu&ssen und 
als solcher konsequent und allgemein zu erklären, so daß also 
nicht irgendwo, etwa for bestimmte Lebensfunktionen kom- 
plizierterer Art, von dieser methodischen Regel abgewidien 
werden darf. Das hindert aber in keiner Weise die Ergänzung 



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Sechstes Kapitel. Mechanismus, Psychismus, Finalismus. 



91 



dieser rein physiolog-ischen und mechanistisch-energ-etischen Be- 
trachtungsweise durch eine psychologische oder „biopsychische" 
Deutung der Lebensvorgänge. 

Nun können wir noch weiter gehen und metaphysisch 
auch das Anorganische im Lichte einer solchen „Identitäts- 
theorie" betrachten. Verschiedene Gründe berechtigen wohl 
zu der Annahme, daß auch das niclit-ort^anisierte Sein nicht 
eines Analogons des Psychischen entbehrt, (rewiß wäre es 
hc)chst unkritisch und würde ea einen Rückfall in eine längst 
überwundene Weltauffassung bedeuten, wollten wir etwa leb- 
losen Aggregaten, etwa einem Felsblock, einem Tische u. dgl., 
eine einheitliche Seele, ein eigenes Ich, ein Selbstbewulitseiu, 
einen Eigenwillen zuschreiben. Hingegen hindert uns nichts, 
auch schon den einfachsten Wirklichkeitselementen eine Art 
„psychisches Differential" zuzuerkennen, etwa in Gestalt eines 
dumpfen, vagen Strebens, einer noch ganz undifferenzierten 
„Tendenz", eines „Verspiirens" von Einflüssen seitens anderer 
Elemente, verbunden mit einer Art Trieb zur Wiederherstellung' 
des gestfirten Eigenzustandes. Eine solche Annahme hat gar 
nichts , J^hantastisches", sie ist weder bloß poetisch« noch 
mystischer Axt und steht in keinem prinzipiellen Gegensatz 
zu den Ergebnissen der exakten Wissenschaft, zu methodo- 
logischen Prinzipien oder zu erkenntnistheoretischen Grund- 
sätzen. Im Gegenteil, gerade aus erkenntniskritischen Er- 
wägungen heraus werden wir leicht den Schluß ziehen können, 
daß die Dinge nicht bloß ein Sein für andere oder als Objekt 
sinnlich vermittelter Erkenntnis, sondern auch ein Für- 
sich- oder Eigen sein haben, so daß dem ,r^ufieren'' ein 
„Inneres** entspricht. Die Subjektivität ist in jeder Hindcht 
das Korrelat zur Objektivität Sie ist so ursprünglich wie 
diese, ist aus ihr in keiner Weise abzuleiten. Der Keim zum 
Psychischen, zum subjektiven Sein muß, da dieses etwas Ur- 
sprüngliches, Prinzipienhaftes bedeutet, urewig Bestand haben. 
Es muß im Seienden als solchen wenigstens die Anlage zu 
dem stecken, was sidi spater zu eigentlichem, differenziertem 
und zentralisieitem Seelenleben entwickelt (WuiuU u. a.). Ist 
alles Sein nach seiner äußeren, materiellen und dynamischen 



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92 



n. Spendier Teil, 



Beschaffenheit im Grunde gfenommen einheitlich, so wird 
es sich auch innerUch nur gfraduell unterscheiden. Es ist 
nicht anzunehmen, daß ein Teil des Geg^ebenen nur physisch 
ist, während bei einem anderen plötzlich — man weiß nicht 
woher — etwas so fundamental Eig-enartig-es und Neues wie 
das Psychische als Eig-enschaft oder Funktion auftritt. Wir 
können daher nicht umhin, im Psychischen eine Seite alles 
Wirklichen zu erblicken, so energ-isch wir auch jeden Anthropo- 
morphismus ablehnen müssen. Die Aussag-en der exakten 
Naturwissenschaft über die Ding-e und deren Eig-enschaften 
sind unanfechtbar, soweit sie sich auf die äußeren Relationen 
mög"licher Erfahrung-sobjekte beziehen. Es ist also nicht 
gestattet, die mechanistisch oder energetisch aufg-efaßteu Natur- 
vorgäng"e auf psychische Ursachen zurückzuführen. Das 
würde in der Tat den „Tod" der Naturwissenscliaft bedeuten 
(Kant). Aber der mechanistische Standpunkt der Naturwissen- 
schaft ist einseitig und abstrakt; er darf nicht dogmatisch 
verabsolutiert werden, er reicht zur Begründung einer der 
Gesamterfahrung Rechnung tragenden Weltanschauung 
nicht aus und läßt immer noch Platz für seine Ergänzung 
durch eine „psychistische" oder idealistische Deutung des 
Wekgeschehens. 

Man ist nun mit dem \ t-r]ialtnis zwischen dem Psychischen 
und dem Physischen y'enügend vertraut, um die Konkordanz 
von Finalität und Mechanismus einzusehen und den 
Schlüssel zur immanenten Teleologic zu erhalten. Gibt es 
beim Menschen und bei den übrigen Lebewesen entschieden 
zielstrebige Tendenzen und Handlungen, die sich vom Stand- 
punkt der äußeren Erfahrung als mechanisch -energetische 
Vorgänge darstellen oder denken lassen, dann wird es viel- 
leicht auch möglich sein, das gesamte Geschehen „teleo- 
mechanisch'* aufzufassen, d. h. anzunehmen, daß etwas unserer 
eigenen Zielstrebigkeit Analoges sich im Mechanismus selbst 
manifestiert Nur mässen wir hiw vorsichtig verfahren und 
den Parallelismiis zwtsdien FinaUtat und Mechanismus so 
durchführen, daß die angenommene Selstretngkeit überall zu 
der mechanischen Außenseite des Geschehens möglichst paßt, 



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Sechstes Kapitel. Mechanismus, Psychismus, Fioalismus. 



93 



daß aie also der Seins- und Entwiddungastufe der Wesen 
angemessen ist 

Von naufien" gesehen, stellt sidi uns alles Geschehen als 
ein geschlossener kausal- mechanischer Zusammenhang- dar. 
Durch Drude und Stoß, dnrdi thermische, optische, elek- 
trische n. & Kralte, durch chemische Einflüsse werden von 
und an den Körpern bestimmte Vorgänge in streng gesetz- 
licher Weise hervorgebracht; jede physische Aktion hat eine 
physische Reaktion zur Folge. Diese Reaktionen sind yon 
der Beschaffenheit, Form, Struktur der Dinge abhangig. Die 
Richtung des Geschehens ist also nicht allein durch die 
wirkenden Dinge, sondern auch durch die Dinge^ auf die 
gewirkt wird, bedingt Ein absolut passives Geschehen 
existiert nicht; alle Veränderung in der Welt beruht auf 
Wirkung und Gegenwirkung, auf wediselsextiger Reaktivität 
Mit dem BegrifFe der Reaktion treten wir nun auch an das 
„Innenaein** des Geschehens heran. Jedes WirUichkeitBelement 
reagiert auf Einflüsse, die es erleidet^ und strebt nach Erhaltung, 
Wiederherstellung des ihm gemäßen Oinormalen*^ Zustandes, 
es erstrebt das ihm Passende und widerstrebt der ,3törung**.*) 
So erscheint jede Reaktion als der direkte oder indirekte 
Ausfluß einer immanenten Zielstrebigkeit und ist doch 
zugleidi, in anderer Betrachtungsweise, streng kausal be- 
stimmt, d.h. die notwendige Wirkung („Abhängige^ eines 
anderen Geschehens. Dieses selbst ist wieder der Ausdruck 
einer elementaren Zielstrebigkeit, und so ergibt sich schließ- 
lich folgende Annahme: Das Geschehen in der Welt weist, 
zwei Seiten auf, eine kausal-mechanische und eine 
teleologisch - psychische. Alle Vorgänge in der Welt 
sind miteinander kausal verkettet, sie verhalten sidi zu- 
einander wie Ursache und Wirkung, lassen sich nach dem 
Grundsatz der Kausalität beurteilen. Zugleich aber sind sie 
die objektive Erscheinung, der Ausdruck eines „FÜrsich- 
seins", einer immanenten Zielstrebigkeit der Wirklichkeits- 
faktoren. 

•) Ober den Begriff der »Störung« vgl die Sdvifien EeiMt, 
XotoM n. a. 



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94 



IL Spezieller Teil. 



Das Mechanische ist somit nicht das Letzte cder nicht 
das ontologisch Primare, so universal und ausnahmslos es 
gültig sein mag. Es gehört zur ,iAnßens^te** des Wirklichen, 
es ist der Inbegriff äußerer Relationen der Dinge, so 
wie diese sich in den Formen der sinnlidi bedingten Erfahrung 
darstellen. Der Mechanismus bringt die Weohselberiehungen 
der Dinge zur Erscheinung. Diese selbst entfalten eine innere 
Regsamkeit,*) ein Streben und Gege n streben mit einem 
„primären", inneren, ganz unmittelbaren Ziel. Das besondere 
Geschehen aber ist stets eine Resultante yerschiedener kon- 
kurrierender Zielstrebigkeiten. In allem Geschehen bekundet 
sadi also die Tendenz nach Verwirklichung eines Zieles; aber 
diese Tendenz muß nicht Erfolg haben oder sich rein durch- 
setzen. Die Zielstrebigkeit, die den Reaktionen der Dinge 
zugrunde liegt, und die nach Analogie des uns bekannten 
Psychischen, keineswegs aber anihropomorphistisch aufzufassen 
ist, manifestiert sich in einer ,3o]strebigkeft" der ph3rsischen 
Reaktionen; diese besteht in einer bestimmten Richtung 
und Form der Bewegung oder des energetischen Ge- 
schehens. 

Die Eindeutigkeit des Geschehens, wie sie die mecha- 
nistische Naturauffassung- fordert, wird durch die Annahme 
einer Finalität in den Pingen nicht aufgehoben. Auch die 
Gültigkeit der Naturgesetze erfährt durch die teleologische 
Ergänzung der mechanistischen Betrachtungsweise keine Be- 
einträchtigung. Das Postulat der Gesetzlichkeit überhaupt 
ist eine apriorische, notwendige Bedingung objektiver Er- 
fahrung- und Erkenntnis. Die besonderen einzelnen Gesetze 
sind als solche freilich nicht unabhängig vom Erfahrungs- 
inhalt zu finden. Sie sind Formeln für konstante Relationen,, 
im engsten Sinne für mechanisch-energetische Abhängigkeiten 
der Phänomene voneinander. Sie bedeuten nicht Wesenheiten,- 
die über den Dingen schweben, nicht geheimnisvolle Mächte, 
welche diese von außen zu etwas zwingen, sondern sie bringen 
das gleichmäßige Wirken, Zusammen- und Gegenwirken der 

*) So JDeiMr, Bdugfenkamr, Feetmer, NteU$dtet Bofimi, LoUe, 
WuMdtf tu a. 



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Sechstes Kapitel. Mechanismus, Psychismas, Finaiismus. 



95 



Diogfe selbst und die Erhaltangf derselben zum Aosdrock. 
Biese Gleichformig'keit der Reaktionen der Dingfe ist eine 
Folge der Einheit und Identität, des sich Gleichbleibens 
der „Natur** der Wirküchkeitsfaktoren unter gfleichen Be- 
dingungen. Es ist notwendig, daß unter gleichartigen Um- 
ständen Gleichartiges geschieht. Ebenso ist durch das Zu- 
sammensein eines Dinges mit bestimmten anderen die Reaktion 
des Dinges bestimmt; sie erfolgt also mit kausaler Notwendig- 
keit, bleibt aber dabei stets auch ein Ausfluß des eigenen 
Wesens des Dinges selbst Zu diesem „Wesen** gehört nun 
als Innensein ein Streben, und den Lihalt dieses Strebens 
bildet ein Ziel In den speziellen Naturgesetzen bekundet 
sich denmach eine Abhängigkeit der besonderen ZieU 
strebigkeiten voneinander; der Kausalnexus ist die Außen* 
Seite eines Finalnexus oder auch der Niederschlag zielstrebiger 
Reaktionen und deren Verkettungen. Diese teleologische 
Weltdeutnng ist monistisch. Denn nirgends stellt sie sich 
dem Kausalen entgegen, nie fuhrt sie in die Reihe des 
kausalen Zusammenhanges der Phänomene selbst heterogene 
Faktoren ein. 

Mechanismus und Teleologie schließen also einander in 
keiner Weise aus. Einerseits läßt sich das Mechanische und 
Mechanisierte als ein Mittel zur Verwirklidiung von Zwecken 
auffassen. Die strenge Gesetzlichkeit des Mechanischen und 
Energetischen ordnet sich so der teleologischen Gesetzlichkeit 
unter, indem mechanische Kräfte und Systeme solcher durch 
bestimmte Komplexe anderer Kräfte in ihrer Wirksamkeit 
Richtung beeinflußt oder im Sinne dieser Kräftesysteme um- 
geformt, transformiert werden. Nicht durch spezifische „Richt- 
kräfte" {Reinhe) geschieht dies aber, sondern nur durch ein 
besonderes Zusammenwirken ebensolcher Kräfte, wie sie sonst 
in der Natur vorkommen, also energetisch-gerichteter Kräfte.*) 
Ihr Einfluß auf die Richtung- anorganischer Energien fällt 
auch dann nicht aus dem Rahmen der Gesetze der Mechanik, 
Dynamik und Energetik heraus^ wenn er aus abstrakten Ge- 



*) Vgl die Arbeiten von Wiffüng, JZ. QdkdiMi u. a. 



96 



IL Spezieller Teil. 



setzen allein, ohne Berficksichtigimg der spesifiachen nnd 
individuellen Konstellationen oder Systeme, nicht eiidärbar 
ist Und wenn diese Kräftesysteme zielstrebig' sind, wenn sie 
den Ausdmck einer immanenten Finalität bilden, so wirken 
sie auf Kräfte ein, die ebenfalls, nur in anderer WeSao und 
Richtung', einen „zielstrebigen** Charakter besitzen. Die Kau- 
salität, die in den Dienst von Zwecken irgendwelcher Art 
g'estellt wird, ist selbst schon eine teleologische Kausalität, 
ma^f de nun in einem anorgfanischen Komplex von Reaktionen, 
einer Maschine oder in einem oiganisierten System mch 
entfalten. 

Dazu kommt nun noch der Umstand, dafi immer wieder 
lebendige und variable, aktive ZwecktatigkMt durch öftere 
gleichsinnige Wiederholung^ eine feste, einseitifjfe, konstante 
Richtung* annimmt, sich automatisiert. Auf diese Weise er- 
folgt immer wieder ein Niederschlag von Mechanismen. 
Nicht aber, wie manche zu glauben scheinen, als Ver* 
Wandlung psychischer in physische Kausalität, sondern auf 
der psychischen Seite des Geschehens selbst, die dann auch 
ihre physische Erscheinungsweise hat Die „Mechanisierung*'» 
von der hier die Rede ist, bedeutet zunächst, primär, eine 
Art Erstarrung p^<duscher und org-anischer Reaktionen, ein 
Herabsinken dieser auf eine niedere, einfachere Stufe des 
Geschehens. Diese Mechanisierung* erweist sich, wenn sie 
innerhalb einer gfewissen Grenze bleibt, als zweckmäßig; sie 
entlastet den Geist und den Organismus, in dem er nch 
manifestiert, sie erspart En^gien für weitere Zwecksetzungen 
und Zweckverwirklichungen und bietet für solche eine ent- 
sprechende, verwertbare Maschinerie dar. 

Der auf den ersten Blick scheinbar unüberbrückbare 
Gegensatz zwischen mechanischen, bewegenden nnd be- 
schleunigenden Kräften und zielgerichteten Tendenzen erweist 
sich hiermit als kein absoluter. Wir müssen auch daran 
denken, daß der mechanische Kraftbegriff schoD dadurch 
dem Begriffe einer auf ein Ziel gerichteten, psychischen Kraft 
nähergerückt erscheint, daß wir zunächst in unseren äußeren 
Willenshandlungen, in der Form von Muskelempfindungen 



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Sechstes Kapitel. Mechanismos, Psychismus, Fiaaliamus. 



97 



beflOBden, etwas «leben, was wir in die Objekte der Außen- 
welt hiseinlegen, die dann ala Zentren bewegender KrSfee 
erBcheinen. Diese iCzSfte sind ursprünglicli nach Analogie 
nnserer WiUens- und Muskelkraft gedacht, ond wenn sie auch 
im Laufe der wiisenscfaaf tUchen Entwicklung su blofien äußeren 
Relationen werden, bei denen das urspränglich Qualitative 
der „Kraft** zur&drtxitt, so geht doch der Zusammenhang 4ss 
mechanischen mit dem nrsprfingiichen Kraftbegiiff nicht gans 
verloren, so daß sogar manche positiviStisdien Denker die 
Tendenz zeigen, alle Kraft für etwas MMetaphystsehes** oder 
JPetischtstisches** zu halten, weil sie rein nach Analogie des 
Strebens gedacht ist und weil von ihr sich in der äußeren 
Erfahrung nichts findet Ist nun auch die positivistische 
Tendenz, alles Geschehen in der Natur auf äußere Relationen, 
Abhängigkeiten der sinnlich vermittelten Erscheinungen zurüdc* 
zuführen, vom Standpunkt der möglichst exakten Naturwissen- 
schaft, der Physik, berechtigt oder zweckmäßig, so gilt das 
nidxt auch für eine umfassendere, der Gesamtheit der uns 
zur Verfügung stehenden Erfahrungs- oder Erkenntnisweisen 
Rechnung tragende, philosophische Weltbetrachtnng. 
Das von der — in dieser Hinsicht abatrakt-einseit^n — 
Naturwissensdiaft oder wenigstens Physik methodisch und 
zweckmäßig vernachlässigte, nicht verwertbare qualitative 
Element oder Moment des Wirklichen, wie wir es in unserem 
eigenen Handeln und Reagieren unmittelbar erleben, kann 
und muß von der Naturphilosophie und „Metaphysik** wieder 
in die W^trechnung eingesetzt werden,"^ wodurdi der Schritt 
von der „Nachts zur „Tagesansichtf* (Feehner) getan wird. 
Man kann dann nach wie vor den mechanisch -energetisch«! 
Kraftbegriff als einen bloßen RelationsbegrifE bestimmen, der 
zunächst nur für bestimmte Abhängigkeiten zwischen den 
physischen Phänomenen gilt. Diese Auffassung ist aber dahin 
zu ergänzen, daß die mechanischen Kräfte selbst als der 
äußere, den Formen des physikalischen Denkens gemäße 
Auadruck «innerer**, unmittelbarer, Jnr sich** seiender Ten- 



*) So auch JFVdlNer, X^ßfi WM^it, LaduMer, Bergton o. a. 

Eitler« Der Zwedt. 7 



98 



IL Spetidler TdL 



denzen zu. gelten haben, deren Wechselbezielrangfen sich in 
dynamischen Relationen spiegeln, objektivieren. Ohne mit 
S^op$nhttU0r in jeder Hinsicht übereinsostimmen und seine 
Argamente gutzuheifien, können wir doch gleidi ihm im 
Streben, im primären ^WiHen**, zu dem als Inhalt ein imma- 
nentes, wenn aach noch so dumpfes und vages Ziel gehört^ 
das iJnnensein** dessen erblicken, was vom Standpunkt der 
äußeren Erfahrung oder besser des ihren Stoff entsprechend 
verarbeitenden Denkens sich als Kraft im naturwissenschaft- 
lichen, phsnrikalisch-chemischen Sinne darstellt. 

Selbstverständlich kann die Physik als solche die mecha- 
nisch-energ-etischen Erscheinungen nicht aus dem Streben 
oder Willen als solchen, sondern immer wieder nur aus 
physischen Manifestationen eines solchen Strebens erklären. 
Die Verquickung empirisch-phänomenaler Erklärung mit einer 
metaphysischen oder psychistischen Deutung des Gescdiehens 
bildet den Krebsschaden der Philosophie wie der 80 ver- 
fahrenden Wissenschaft Es kann vor diesem folgenschweren 
Fehler, in den auch noch jetzt so mancher sonst sehr scharf- 
sinnige Denker verfällt, nicht genug gewarnt Warden, soll die 
«Metaphysik" das Ansehen, das sie wieder zu erlangen sucht, 
dauernd gewinnen. Nicht als „Ursachen" mechanischer Vor- 
gänge dürfen zielstrebige Tendenzen benutzt w^den, sondern, 
wie nicht scharf genug betont werden kann, nur als Grund- 
lage, als „Fundament" der mechanisch«! Relationen selbst, 
als etwas, das sich in ihnen „äußert", sinnenfällig manifestiert, 
ohne daß es ein Glied der mechanischen Kausalreihe selbst 
bildet. 

Ferner darf man nicht etwa meinen, daß die in den 
mechanisch-energetischen Prozessen zur Erscheinung gelangen- 
den Tendenzen auf bestimmte äußere Effekte, wie wir sie 
in den Prinzipien der Trägfheit und der Erhaltung' der Energie 
beirnfflich bestimmen, g-erichtet sind. Von diesen, der äußeren 
Erfahrung" und Erkenntnis sich darstellenden Effekten weiß 
natürlich das zielstrebige AVirklichkeitselement nicht das Ge- 
ringste. Erstrebt wird immer nur ein gewisser innerer, un- 
mittelbarer Zustand; eine gewisse unmittelbare „Erhaltungs- 



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Sechstes Kapitel. Mechanismus, Psychismus, Fiaalismus. 



99 



tendenz" mag" in den I>iogien aller Art sich geltend machen, 
die in Wechseibeziehimg- za den Erhaltangstendenzen anderer 
Wirldichkeitselemente steht Die Gesetze der Mechanik und 
Energetik aber gelten als solche nur f9r die Art und Weiae, 
wie dieWeehseibeziehnngen aller dieser Tendenzen sich vom 
Standpunkt der sinnlich vermittelten und entsprechend durch 
dss Denken verarbeiteten Erfahrung* bestimmen lassen. Und 
wenn auch alles Geschehen in der Welt sich als Manifestation 
zielgerichteter Strebungen darstellt, so ist zu beachten, daß 
die Folgen der Aktionen der Dinge nicht von den fremde 
Elemente beeinflussenden Faktoren gewufit und gewollt sind, 
sondern eben Reaktionen anderer, anderen Elementen eigener 
Tendenzen bedeuten, die ebenso auf unmittelbare» eigene, 
innere Zustande gerichtet sind wie die Tendenzen der ver- 
ursadienden Faktoren. Die Zielstrebigkeit der Wirklichkeits- 
elemente ist zunächst und primär eine rein immanente 
und subjektive, rein qualitativ -intensive. 

Soll die Teleologfie den mechanischen Vorgängen und 
deren Gresetzmäffigkdt gerecht werden, so muß sie gleichsam 
infinitesimal begründet werden und das medianiscfae Ge- 
schehen als Objektivation einer Verbindung elementarster und 
minimalster Zielstrebigkeiten auHassen, deren Gesamtwirkungen 
nicht selbst ein Ziel des Strebens bilden. Nur im Sinne des 
regulativeD, der Erweiterung der Kausalforschung' dienenden 
ZweckbegrifEs läßt sich von diesen Gesamtwirkungen als einem 
gedachten, als ein solches betrachteten Ziel ausgehen und das 
Geschehen so denken, als ob es etwa die Tendenz hatte, 
dem Trägheits- oder Energiegesetze zu entsprechen. 

Im Anorganischen bleibt die Finalität ganz elementar, 
die Tendenzen verschiedener Wirklichkeitsfaktoren ver- 
binden sich nur äußerhch miteinander, ohne inneres Band. 
Die Verbindung^ Komplexe der Wirklichkeitselemente als 
solche, als Ganzes sind hier nicht eigene Strebungszentren, 
sie verfolgen also keine eig'enen Ziele, die wieder auf die 
Partialziele von Einfluß sind. Keine innere Verbindungs* 
einheit bedingt die Richtung des anorganischen Geschehens, 

und der Ablauf der Reaktionen hinterläßt keine die späteren 

7* 



Oigitizec l,;, *^oogle 



100 



II. Spezieller Teil. 



Reaktionen meildich beeinflnasenden Spuren. Es gibt in der 
anocganiaciben Welt ao gut wie kein wLemen**, kein Vei^ 
werten von Er&hmngen, kein eigentliches Gredachtnia» kein 
Ftobieren, Versudien. 

Alles dies findet sich nun, in verschiedenem Maße^ im 
Reiche des organischen Lebens. Mag dieses aus dem An- 
organischen hervorgegangen sein oder mögen Organisches 
und Anorganisches divergierende Entwicklungsprodnkte sein, 
denen ein noch indifferentes ^rotorganisches**, das zugleich 
ein nProtanorganisches** war, vorangegangen ist, mögen 
ferner aUe Dinge aus den gleichen Grrundstoffen und 6rrund- 
kräfton bestehen:, der formale Unterschied zwischen einem 
Organismus und einem anorganischen Aggregat oder einer 
kOnstUdien Maschine ist unverkennbar. Wohl unterliegt das 
einzelne Geschehen an den Organismen den gleichen Natm> 
gesetzen, wohl verliert hier kein Prinzip der Naturwissenschaft 
seine Greltung, aber wir finden hier einen besonderen Ablauf 
einen besonderen Zusammenhang des Reagierens, der von 
der besonderen Verbindungseinheit des Organismus un- 
mittelbar abhangig ist und daher in der übrigen Natur, wo 
diese Einheit, dieses eigenartige „System** {Cdkm u. a.) fehlt, 
nicht in der völlig gleichen Weise zu konstatieren ist*) 



*) zur ErgffBzong dieses Kspitdt das 7. and 15. EspiteL 



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Siebentes Kapitel 
0er Zweck in der Biologie. 

Der Kampf für und g-egen die Teleolopfie ist es zumeist, 
was die Biologen und Naturphilosophen in die Partei der 
„Vitalisten" und die der „Mechanisten" scheidet. Die ersteren 
(bzw. die „Neo vitalisten") bestreiten jede Möglichkeit, die 
eigfentlichen Lebensfunktionen aus rein mechanischen Ur- 
sachen, also bloß aus physikalisch -chemi';rhen Kräften abzu- 
leiten; sie g-ehen auf spezifische, nicht-mechanische Faktoren 
zurück, die, mögen sie nun als besondere „Lebenskräfte", 
„Dominanten", „Entelechien" und dergleichen oder aU 
psychische Potenzen bestimmt werden, insgesamt die Eigen- 
schaft der Zielstrebigkeit, des Gerichtetseins auf ein Ziel haben, 
die sich den unter ihrer Leitung stehenden organischen Re- 
aktionen, Regulationen, Regenerationen und Entwicklungen 
mitteilt. Was bei diesen Funktionen schheßlich herauskommen 
soll, das Zweckmäßige, das wird, in gewissem Ausmaße, von 
den vitalen Potenzen vorweggenommen und angestrebt; diese 
lenken mit unbewußter Intelligenz, einer Art Vorwissen, die 
Reaktionen der Lebewesen so, daß sie zweckmäßig ausfallen, 
der Erhaltung dienen, eine bestimmte Form, einen „Typus" 
aufbauen oder immer wieder herstellen. Die Vertreter der 
rein mechanistischen Biologie hingegen wollen von einer 
Annahme zielstrebiger P'aktoren nichts wissen. Sie verwerfen 
alle zwecktätigen Agentien, schreiben auch dem Psychischen 
keinerlei Einfluß auf den Ablauf der Lebensprozesse und die 
Entwicklung der Arten zu. Die Zweckmäßigkeit des Organi- 
schen wird von ihnen als Produkt rein kausaler und mecha- 
nischer Faktoren betrachtet, meist als Resultat der (passiven 
oder aktiven) direkten Anpassung an die Umwelt oder als 



102' ' n. Speiiellcr Tdt 

Wirkung- der natürlichen Auslese im Kampfe ums Dasein 
und der durch sie bedingten indirekten Anpassung. 

Es läfit sich aber auch ein vermittelnder Standpunkt 
einnehmen, und zwar ohne schwächliche Konzessionen. An 
der Universalität des Kausalismus und Mechanismus braucht 
nicht im geringsten gezweifelt zu werden, „Ausnahmen" kann 
es für eine konsequente, methodisch strencfe Naturwissenscliaft 
und Biologie nicht geben. Demnach ist für jede organische 
Funktion oder Reaktion, so komphziert sie auch sein mag-, 
zunächst ein physisches Geschehen außerhalb und inner- 
halb des Organismus als Ursache anzusetzen. Ob es sich 
nun um Assimilation, Wachstum, Regeneration und Restitution 
von Or;^anteilen, Regulationen von Störungen, Vererbung u.dg-1. 
handelt, in jedem Falle führen diese Prozesse auf physi- 
kalisch-chemische Faktoren zurück, und zwar wirken 
diese Faktoren eben in der Weise zusammen, daß die den 
Lebewesen eigenen, spezifischen Reaktionen herauskommen. 
Ohne das spezifische „Gefüge" oder „System", als welches 
der Organismus erscheint, würden jene Reaktionen nicht zu- 
stande kommen; sie sind abhängig von der Struktur, der Kon- 
figuration der als besondere „Transformatoren von Energie" 
(Ostwald) und „Katalysatoren" fungierenden Organismen. Stets 
ist zu beachten, daß Prozesse, die als unmittelbare, rein passive 
Effekte äußerer Ursachen unbegreiflich wären, sofort ver- 
ständlich werden, wenn diese Ursachen als bloße Auslöser 
innerer aufgespeicherter, bereitliegender Kräfte fungieren. 
Durch diese letzteren stellt das organische System ein selb- 
ständiges Kraftzentrum dar, das die Fähigkeit besitzt, äußere 
Energien spontan zu beeinflussen und ihnen eine dem orga- 
nischen System gemäße Richtung- zu g^eben. Störungen des 
organischen Betriebes wirken ebenfalls auslösend; sie funk- 
tionieren als innere Reize, welche zu einer Regulation im 
Sinne der Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts des 
Organismus den Anstoß geben, wobei, chemisch betrachtet, un- 
gesättigte Affinitäten ins Spiel treten. Das Streben nach 
Erhaltung oder Wiederherstellung der organischen Form, des 
strukturellen Zusammenhangs, der Einheit der Lebewesen, 



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103 



kommt in einer Reihe von regulativen Prozessen zum Aus- 
druck, die im einzelnen einen physikalischen oder chemischen 
Charakter aufweisen und zu welchen es nicht an Vorbildern 
oder Ansätzen im Anorganischen fehlt.*) Eig-enartig- bleibt 
aber der besondere Ablauf und Zusanimenhangf dieser Pro- 
zesse, die „Solidarität" der Elemente und Funktionen des Or- 
ganismus, die Wechselbedingthcit der Teile und des 
Ganzen, das Verhältnis der Unterordnung- der Partial- 
funktionen unter die Einheit des Ganzen, die „Konvergenz" 
jener nach einer Richtung- des Wirkens. Der Organismus ist, 
im Unterschied von anorganischen Aggregaten, ein inneres 
Ganzes, ein „System", eine „Totalitat" des Seins und Wirkens, 
etwas in sich Geschlossenes, das als spezifisch -individuelle 
Einheit reagiert, so daß das Einzelgeschehen am Organismus 
nur aus dieser Einheit und Ganzheit zu begreifen ist**) 

Analogien der organischen Selbsterhaltung u.dgl. auf anorgani- 
schem Gebiete weist z. B. Wundt auf. Der Stabilität organischer Ele- 
mentarteile Shneln sdir Jene Selbsterhaitnngen chendsdier Verbin- 
dungen, die abwechselnd dnreii die Kontalctwirkungen mit ihnen in 
Berührung tretender Stoffe zersetzt werden und dann durch die anf 
solche Weise frei werdenden Affinitäten ihre Konstitution wieder her- 
stellen." So gibt es auch im Anorganischen Systeme, die nicht nur bei 
stetem Wechsel ihrer Bestandteile sich selbst erhalten, sondern auch, 
wenn sie sich in Teile spalten, diese l^en8Cfaaf*> wieder anf diese Tdle 
übertragen (z. B. bei der Teilung eines Tropfens, bei bestimmten 
chemischen Verbindungen mit Restitution des Spaltungsprodukts). Vgl. 
J. Schultz, Die Mnschincntheorie des Lebens, 1909, der viele Beispiele 
bringt, die Arbeiten von J. Loebf Ostwald, CMdscheid u. a. 

**) Als .Gelage", „System* n. dfß. bestimmen den Oiganismtis 
LaßwUz, Qoldieknä, MSffdmgt Cdhtn, ilT. Sartmann n. a »Der form- 
bildende oder morphogenetische Prozeß ist es, der die lebendige 
Form von der unlebendigen unterscheidet" {N. Hartmann, Philos. Grund- 
fragen d. Biologie, 1912, S. 3). Der Organismus ist ein sich — unter 
äußeren Bedingungen — selbst erbauendes System von Formungen 
and formbüdenden Prozttsen (S. 4> Die spezifische WirknngiBweiBe 
des lebendigen Systems ist bereits wesentliche Bedingung fOr sein 
eigenes Zustandekommen and Fortbestehen. Die Eigengesetzlichkeit 
des Lebens liegt in dessen tibergreifender Einheit (S.45). Die Stabilität 
des organischen Gleichgewichtes beruht durchweg auf einer Sclbst- 
regulation, wobei die chemische Dissimilation selbst immer wieder ziun 
„Anreiz* der Assimilation wird (S. 49). Der Organismus ist ein „regu- 



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104 



IL Spezieller TeO. 



Dazu kommt die Leistung der „Mneme" (Semon) oder des „or- 
ganischen Gedächtnisses" (Hennef), als Beeinflussung" der Re- 
aktionen der Lebewesen durch die Einwirkung"en, die sie 
früher erhtten haben, durch die Spuren der Vergangen- 
heit, durch die aufgespeicherten „Erfahrungen" des In- 
dividuums und der Vorfahren (Vererbung), welche eine ge- 
wisse Konstanz und Stetigkeit des Verhaltens des Organismus 
gegenüber der Umwelt bedingen, die organische Form fixieren 
und Bildungsprozesse abkürzen, indem sie auf bloße Aus* 
lösuDgen hin ganze Reihen von Reaktionen automatisch ab- 
laufen lassen. 

D«r Ejreislanf der physisdien ProxesM Im Organismus ist 
ab ein geschlossener su betradifen. Vom Standponkfc der 
äußeren Eifahrung katm die Biologie also immer wieder nur 
medbaxiisch-energetische Vorgänge als Uisachen und Wir- 
Iningen ansetzen. Es darf für diesen Standpunkt nicht etwa 
gewisse Lebensfimktionen geben, die auf nicht- physische^ 
metaphysisdie oder psychische Ursachen zurückgeführt werden. 
Es geht nicht an, einen TeO des Naturgeschehens inkonsequent 
zu behandeln, wie dies der Vital ismus oB: zu tun pflegt Alle 
Einheitlichkeit der NaturerklSrung geht in die Bruche^ sobsld 
zweierlei Arten von Kräften odef Agentien unterschieden 
werden, von denen die einen zielstrebiig sind, die anderen 
nicht, die einen nicht-enetgetische, die anderen eneigetischci 
Kräfte sind. Auch ein , J^sychovitalismus", der eine Wechsel- 

laüvcs System" (S. 53). Nach Möffding entstehen durch Verbindung 
von aRiGfatangstendenzen* und „Richtungen* der KrBfte «mehr oder 
weniger hannonische Systeme von Kausalitätsreihen*, „Totalitäten" oder 

„Richtungssysteme" (Der menschliche Gedanke, 1911, S. 238 ff.). Nach 
R. Ooldscheid ist die „Richtungsintensität" ein Urphänomen, eine Be- 
stimmtheit jeder Kraft, so daß es keiner besonderer Richtkräfte in 
den Organismen bedarL Im Organismus liegt eine „Richtungs- 
k<»iiplexioD* vor, als Produkt dner »MatnaUtSt" der Teile, ohne vor- 
hergehendes Erhaltungs- oder Zielstreben. Die Erhaltungsgemäßheit 
der Organismen beniVit auf deren „Synergismus" und deren kn" 
passung an das Naturmilieu (Höherentwicklung und Menschenökonomie I, 
1911, S. 103 ff.). G. vertritt einen biologischen „Neomechanismus^, der 
sehr beachtenswert iit ~ Vgl. E, Kromr, Zweck mid Gesetz in der 
Biologie, 1913. 



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Sebedtoi KapHd. Der Zwedt in der Biologie. 



Wirkung" zwischen dem psychischen und physischen Geschehen 
annimmt und g-ewisse Lebensfunktionen ledig-lich aus seelischen 
Faktoren erklärt, setzt sich ernsten Bedenken aus. Ander- 
seits ist es eine Tatsache, daß wenigstens ein Teil der or- 
ganischen Reaktionen, der Lebensprozesse unter dem „Einfluß'* 
seelischer Triebkräfte verläuft. Denn die menschlichen Hand- 
lungen sind uozweifelhait solche psychisch bedingten Re- 
aktionen. 

Nachdem wir schon früher uns das Verhältnis des Psy- 
chischen zum Physischen begrifflich so zurecht gelegt haben, 
daß sowohl den Erfahrungstatsachen als den Prinzipien und 
Postulaten der Wissenschaft möglichst Genüge getan wird, 
können wir zugeben, daß an den organischen Funktionen 
psychische Faktoren mit beteiligt sind, ohne der Kon- 
sequenz der mechanistisch -energetischen Erklärung des Ge-» 
schehens im geringsten Abbruch zu tun. Mit den psychischen 
Faktoren als „Innensein" organischer Regulationen sind auch 
schon die zielstreb ig-en Agentien gegeben, welche dem 
organischen Geschehen die Richtung erteilen, ohne daß der 
Kausalität entgegengewirkt wird oder das Gesetz der Er- 
haltung der Energie eine Ausnahme erleidet. Ebendasselbe 
Geschehen, das als mechanische Reaktion (im weiteren Sinne) 
auf mechanische Reize erscheint, ist seinem Fürsichsein nach 
eine zielstrebige, psychisch bedingte Handlung. Die ver- 
schiedenen „Tropismen" etwa,*) wie der Geo-, HeUo- oder 
Chemotropismus, lassen sich einerseits als rein physische Re- 
aktionen (Auslösungen) auffassen, anderseits beruhen sie 
wohl meist auf Strebangen nach einem bestimmten Zustand, 
die durch spezifische Reize voanlaßt sind. Ebenso Tcurhält 
es ^ch mit allen Regenerationen, Restitutionen usw. Sie 
stellen sich sowohl als (eigenartige) Abläufe physikaHseh« 
chemischer Prozesse wie als Tätigkeiten dar, die ein be- 
stimmtes Ziel haben, die Wi^erheratellung eines gestörten 
Zostandes. Nichts hindert uns, von „bedür&isgemäßen^ Re* 
aktionen der Organismen zu sprechen, wenn nur damit nicht 

*) VgL die Arbeiten von Darwin, J. Loeb, Jenninga, Haberlandt, 
Ifeffer tt. tu 



106 



IL Speiidkr Tdl. 



die im'g-e Meinung" verbunden wird, als ob dies eine mecha- 
nistische Erklärungf ausschlösse. Gemäß dem Prinzip des 
„psycho-physischen Parallelismus" entsprechen ja den psychi- 
schen Vorg-ängen bestimmte physische Phänomene, und so 
müssen wir denn auch annehmen, daß demjenig-en, was sich 
innerlich als Streben, Bedürfnis, Zielstrebigkeit, Zwecksetzung 
darstellt, eine Veränderung" auf der physischen Seite ent- 
spricht Sowie nun im Anorganischen die Richtung" des Ge- 
schehens eine Resultante des Zusammenwirkens der Ding"e 
ist, deren individuelle, aber im Wesen gleichartig-e Zielstrebig- 
keit in jener Richtung zum sichtbaren Ausdruck gelangt, so 
ist die Richtung der organischen Reaktionen zugleich von 
außen und von innen her bestimmt. Nur daß hier die ganze 
dynamische Verß-angenheit des Lebewesens und seiner Gattung 
einen EinfluC auf den Ablauf des Geschehens, die Entwicklung 
ausübt und die Eigenrichtung des Organismus, der ein- 
heitlichen Ganzheit seines Kräftesystems, besondere Bedeutung 
erhält Diese Eigenrichtung ist der Ausdruck des einheitlichen 
Zusammen- und Wechselwirkens der Elemente des Organis- 
mus und der Veibindung der partiellen Zielstrebig^keiten jener 
« zu einem Gesamtstreben, dessen Ziele das Verhalten der 
Teile beeinflußt Die Teile „dienen" dem Ganzen, unterordnen 
sich der höheren Einheit desselben und das Ganze wirkt im 
Dienste der Teile. Was diese orleiden, madit sich mehr oder 
weniger dem einheitlidieQ Ganzen fühlbar, und die Schicksale 
des letzteren wieder teilen sic^ in irgendeiner Weise den 
ersteren mit Das gilt, auch wenn nicht alle individuellen 
Erwerbungen neuer Eigenschaften sidi direkt vererben, son- 
dern höchstens soldie, die tiefer eingreifen oder die eine 
größere Anzahl von Generationen hindurch stattfinden {Wundt 
u. a.). Die „Ziele** des Gesamtoxganismns sind aber ursprüng- 
lich nicht bestimmte, objektive, äußere Effekte, von denen er 
ja im vorhinein gar nichts wissen kann, sondern sie bestehen 
zunächst in der Herstellung eines als lustvoll empfun- 
denen bzw. in der Abwehr eines unlustvollen Zn- 
standes.*) Sind aber infolge günstiger Umstände, vielleicht 



*) Vgl. Jodl, Lehrbuch d. Psychol. II*, 443. 



Siebentes Kqntd. Der Zwedc in der Biologie. 



107 



erst nach öfterer Wiederholung, nach manchem Tasten, 
Probieren und nach Terachiedenen Fehireaktionen, die ziel- 
strebigen Anstrengungfen des Organismus erfolg-reich ge- 
worden, dann können sie entweder automatisch -zweck- 
mäßige Funktionen zur Folge haben oder es können die 
zweckmäßig gewordenen Reaktionen von nun an direkt als 
Mittel zum Zweck der Herstellung des erwünschten Zustandes 
angestrebt werden.*) Das Automatischwerden zwecktätiger 
Handlungen bedeutet nicht etwa, daß sie nun rein physische, 
mechanische Prozesse geworden sind, sondern nur, daß sie 
nicht selbst ein besonderes vStrebensziel, bloß ein Glied des 
totalen Strebungszusammenhangs bilden. Die „primäre" Ziel- 
strebigkeit des Lebewesens, die zunächst ganz allgemeiner, 
vager, zuständHcher Natur ist, differenziert oder spezialisiert 
sich erst infolge der Einflüsse, denen es seitens der Umwelt 
ausgesetzt ist, durch die es zu immer ausgeprägteren Re- 
aktionen genötigt wird. Weder bloß von innen noch von 
außen allein ist die objektive Zweckmäßigkeit, die sich an 
den Organismen findet, zu erklären. Sie ist vielmehr ein 
Resultat des steten Zusammenwirkens der primären, all- 
gemeinen, fundamentalen organischen Zielstrebigkeit und der 
Faktoren der Umwelt. 

Der Pflügersche Satz: „Die Ursache des Bedürfnisses ist 
auch die Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses", ist so- 
wohl teleologisch als mechanisch von hoher Bedeutung. 
Teleologisch und psychobiologisch betrachtet stellt sich die 
Sache so dar: Eine durch einen äußeren oder inneren Reiz 
bedingte Störung des subjektiven Zustandes des Lebewesens 
erregt ein gewisses Unbehagen, eine Unlust (,,Bt;dürfnis"); es 
erfolgt nun zugleich infolge desselben Reizes und der als 

*) „Indem die Willenshandlungen durch die sie begleitenden Ver- 
änderungen der lebenden Substanz bleibende Nachwirkungen hinter- 
lassen, gewinnt diese Substanz die Fähigkeit, auf Außere wie auf innere, 
chemische Reize^ die durdi die Lebensprozesse entstehen, im selben 
Sinne zwedcmifiig, aber ohne begleitende Zweckvorstdlung za 
reagieren" {Wundt, GnmdzQge der pbynoL Fsycbologie IIP, 1903, S.753). 
„Indem sich nun aber an die so gewonnenen mechanisierten Willens- 
vorgänge neue, bewußte Willensaktc anschließen, steigert sich fortan 
der zweckmäßige Charakter der Erscheinungen'' (ibid.;. 



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108 



IL Spesidlcr TcQ. 



weherer, innerer Reiz fungierenden Störung* ein Streben und 
eine Reaktion, welche, entweder sogleich oder aber erst nach 
verschiedenen Versuchen, zur Abstellung der als störend 
empfundenen Modifikation des org'anischen Zustandes führt. 

Diese Reaktion ist eine bedürfnisg^emäße, zielstrebige 
Tätigkeit, ein Strebens- oder Triebvorg-angf, der ebenso teleo- 
logisch aus seinen immanenten 7iplen verständlich wird, als 
er sich kausal aus anderen ihm vorangehenden biopsychischen 
Vorgängfen erklären läßt. Von „außen" gesehen, d. h, vom 
Standpunkt der sinnlich vermittelten Erfahrung- betrachtet, 
stellt sich nun dieselbe Reaktion als ein mechanisch -ener- 
getischer, physikalisch-chemischer Prozeß dar, der durch eine 
bestimmte Änderung in der strukturell -energetischen Ver- 
fassung von Teilen des Organismus ausgelöst wurde und der 
so verläuft, daß die ihn einleitende Störung des dynamischen 
und chemischen Gleich g^ewichts wegfallen, behoben werden 
kann. Das „Bedürfnis" sowohl wie die „Befriedigung^' des- 
selben, die empfundene Spannung" wie die gefühlte Lösung, 
das Initialmoment der Unlust, das Streben und das 
Endmoment der Lust — sie haben alle ihre physischen 
Korrelate, ihre rein physiologische Daseinsweise. Denn es 
handelt sich hier nur um eine verschiedene Betrachtungs- 
weise eines im Grunde, an sich identischen Geschehens. Eine 
„teleologische Mechanik" besteht hier, aber nicht etwa, wie 
manche meinen, weil die zielstrebigen nicht-physischen Fak- 
toren direkt auf das Mechanische kausal einwirken und es 
entsprechend modifizieren, richten. Sondern sie besteht deshalb, 
weil erstens alles Mechanische der sichtbare Ausdruck, die Er- 
scheinung* bzw. der Niederschlag eines Kig-enseins ist, welches 
unserem psychisclien Sein analog zu denken ist; zweitens, 
weil die besondere Seinstuie organischer Komplikation auch 
in besonderen Modifikationen physikaUsch-chemischer Ablaufs- 
reihen zum Ausdruck kommt. So ist ja auch schon in einer 
künstlichen Maschine die Bedingung für eine bestimmte, 
eigene Form und Richtung des physischen Geschehens ge- 
geben, nur daß hier eben von einem einheitUchen Streben 
nach Formerhaltung, vQn einer lebendigen» spontanen, durch 



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Siebentel Kapitel. Der Zweck in der Biologie. 



109 



die ganze Versfangenhett bedingten Sölbatregulation keine 
Rede sein kann, wilirend der Organismos in allen seinen 
Elementen als ein Gansee einheitlicli reagiert 

In den Organismen stehen die bedürfnisgemSfien Funk* 
tionen in einem inneren Zusammenhang; eine gewisse mSoU« 
daritat** herrwht hier, vermöge deren Störungen, die an einer 
Stelle empfunden wurden, an andere Teile signalisiert werden, 
welche nun ebenfalls in Tätigkeit treten, auslosend oder 
hemmend, besdbleunigend oder verzögernd, kurz untostützend 
und kompensierend, wie die Situation es jeweilig mit sich 
bringt Eine Mitteilung, Weiterleitung der Zustande des Lebe- 
wesens, eine Art organischer Kommunikation, Influenz 
oder Resonanz besteht, welche sich physiologisch wie 
psychologisch (als eine gewisse „Sympathie", ein Miterleben) 
interpretieren laßt {Wundt, Paubf u. a.). Der physischen 
Wecitsehrirkung der Teile und Funktionen des Organismus 
entspricht eine psychische Wechselbeziehung zwischen 
den verschiedenen Zuständen, welche das ,Jjinen8ein" dieser 
Teile und Funktionen bilden, wobei allerdings nur eine Reihe 
von Zuständen und deren Zusammenhängen gesondert und 
deutlich zum Bewußtsein kommt, während viele derselben 
unterbewußt oder relativ unbewußt bleiben, indem sie 
nur als Glieder, Momente, Elemente des psychischen Gesamt- 
vorlaufs am Bewußtsein teilhaben. Das gfilt insbesondere für 
die vegetativen Funktionen der höheren Organismen, deren 
ninnensein" nur etwa in der Form eines MGremeingefiihls" oder 
auch zum Teil vager „Organempfindungen" zum Bewußtsein 
kommt Ein Bewußtsein im Sinne des Gewußtseins oder der 
klaren und deutlichen Abhebung einzelner Inhalte aus der 
Totalitat des organischen Innenseins (Apperzeption) kommt 
immer nur einer beschränkten, kleineren Anzahl von Re- 
aktionen zu. Man nmß sich also vor dem groben Miß- 
verständnis hüten, als ob etwa diese „psychistische" Deutung 
der Lebensfunktionen alle organischen Prozesse aus einem 
entwickelten, deutlichen, bestimmten Zweckbewußtsein ableiten 
wollte oder als ob sie ihnen allen einen aktiven, von Vorstellungen 
geleiteten, zielbewußten Willen zugrunde legen würde. Es 



110 



n. Spendier TeiL 



handelt sieh vielmehr meistens nur um rein triebhafte, 
impulsive^ einfache 'Willensreaktionett, die zum Teil sogar 
völlig' automatisiert sind und nur noch ein Mimmalbewußt- 
sein daxstellen. Es gibt auch eine mechanisierte» stabili- 
sierte, gleichsam erstarrte Zielstrebigheit und ziel* 
strebige Reaktion, und diese tritt in den Oiganismen 
beständig in Wechselbeziehung mit der aktiveren, 
leben dig^eren Finalität, aas der sie immer wieder als 
eine Art Niederschlag hervorgeht, um dann die Grund- 
lage für neue, höhere Zielstrebigkeiten zu bilden. 

Es darf ferner auch die Rolle nicht vergessen werden, 
welche das uns schon bekannte Prinzip der Heterogonie 
der Zwecke spielt. Eine ganze Reihe von Zielstrebigkeiten 
und Zweckmäßig'keiten ist auf die Weise zustande gekommen, 
daß erst ein elementares, vages Streben des Organismus voi^ 
lag, dessen Neben- oder Nachwirkungen oder nicht gewollte 
Resultate später selbst zum Ziel genommen wurden, weil sie 
in der Richtung- des organischen „Grundwillens" lagen. In- 
dem dieser Prozeß im Laufe der Zeit immer wieder stattfindet, 
so daß es immer von neuem zu einer Verwandlung bloßer 
Wirkungen und Folgen von Willenshandlungen und Zweck- 
set^ungen in Ziele oder auch von Mitteln in Zwecke kommt, 
häuten sich nach und nach immer mehr Zwecksetznngen 
und Zweckmäßigkeiten an, mit einem Minimum an Voraussicht 
und Vorherwollen und doch nicht ohne alle (immanente) 
Finalität. Die Zielstrebigkeit selbst differenziert sich so 
immer mehr, sie entfaltet sich allmählich nach bestimmten 
Richtungen und paßt sich so immer mehr den Anforderungen 
der Umwelt an, indem sie ihren konkreten, objektiven Inhalt 
in Wechselwirkung- mit den Einflüssen dieser und an der Hand 
der Erfahrung-en des Lebewesens gewinnt und entfaltet. 

Das S abstrat für die Verwirklichung seiner Ziele muß sich 
der orcranische Wille erst schaffen; er ist g-enötig-t, sich das- 
selbe in hartem Kampf mit der Umwelt zu erarbeiten, und 
es bedarf oft einer langen Entwicklung, bis der Organismus 
so eingerichtet ist, daß er sicher, rasch und gleichmäßig das 
Bedürfnisgemäße zu leisten vermag. Daß er aber dazu er- 



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Siebentes Kapitel. Der Zweck in der Biologie. 



111 



zogen, herangebildet, gezüchtet wird, daran hat das Bedürfnis 
selbst und das ihm entspringende Streben, welches za immer 
erneuter nnd schließlich oft gelingender Betätigung im Sinne 
der Befriedigung des Bedürfnisses fahrt, seinen bedeutsamsten 
Anteil, so wichtig die Einflüsse und die auslösenden Reize 
der Umwelt auch sind und so wenig das bloße Bedürfnis 
imstande ist, Zweckmäßigkeiten aus dem Nichts hervorzu- 
zaubern«*) So manche Bedürfhisie können erst dann zu zweck- 
mäßigen Reaktionen führen, wenn frühere Bedürfnisse im Vez^ 
ein mit äußeren Bedingungen die Organisation so gestaltet 
haben« daß diese in ihrem Innen- wie in ihrem Außensein 
dazu vorbereite^ disponiert ist In den Organismen ist so 
die Vergangenheit stets am Werk; durch die Dispositionen 
(Anlagen), welche die frohere Arbeit der Individuen wie ihrer 
Vorfahren hinterlassen hat, erstreckt sich das Vergangene, 
Erlebte, Erarbeitete lebendig in die Gegenwart hinein und ist 
hier noch „wirklich", sofern es wirksam ist. In der Struktur 
der Organismen haben wir die objektive Erscheinung' einer 
gleichsam verdichteten, konzentrierten, aufg^espeicherten Ziel- 
strebig-keit und ihrer Erfolge vor uns. Zugleich ist hier ein 
Teil der Zukunft oder des zukünftigen Geschehens und Seins 
gewissermaßen schon vorweggenommen; er ist potentiell in 
einer Reihe von Tendenzen angel^jjt, vorbereitet, in der Form 
von potentiellen Energien, Spannungen wirksam, deren Lösung 
die Oberführung eines Möglichen in ein Wirkliches, eines 
noch nicht Seienden in ein gegenwärtig Existierendes bedeutet. 
Die Organismen gehen mit der Zukunft schwanger, wie dies 
Leihniz von den »Monaden" sagt — 

*) Es ist, mit Wundt, gegenüber manchen Vertretern des psycho- 
bidlogisdieii Lamarekismtts au betonen: „Wenn die Moskda durch be- 
stimmte Arbeitsleistungen sich selbst verändern und modifizierend auf 
Skeletteile und andere Organe, namentlich auch auf die sie be- 
herrschenden Nervenzentren, einwirken, so liegen diese Effekte außer- 
halb der vorgestellten Zwecke, so innig beide aneinander gebunden 
sein mögen. So ist auf jeder Stufe die Veränderung, in der sich die 
objektive Zweekmflfiigiceit ehier organischen Bildnng ftufiert, durchaus 
veTBCbieden von den subjektiven Zweckvorstellungen, die jene hervor^ 
tHTSchten* (S^rstem der Plülcksophie I', S. 326). 



112 



U. Spesidkr Tdl. 



Die „Richtkräfte" und „Entelecfaien**, von denen der Neo- 
▼italismiis apriclit, sollen den Organismus auf Grund der 
gegebenen Stoffe aufbauen und dem Lebensprozefi die sweck- 
mäßige Richtung geben. In der Weise aber, wie diese Be« 
griffe gfepragt und gfebraucbt werden, stehen sie einer ein- 
heitlichen, exakten Erklärung der Lebensprozesse entgegen. 
Eine n^ntelechie** als Agens in Wechselwirkung mit mecha^ 
nisch-enei]getisdien Vorgängen {Driedeh) oder eine nicht- 
enei^fetisohe ,,Richtkiaft" dJ^ominante^: iSrnnib«) sind Faktoren, 
deren Aufteilung weder notwendig" noch brauchbar ist*) Die 
„Richtung** aller Bewegungen ist durch das Zusammen-, Gegen- 
und Wecfaselwirken physikalisch-chemischer Kräfte eindeutig 
bestimmt Jede Beeinflussung der Richtung einer Bewegung* setzt 
einen — wenn auch minimalen — Energieaufwand voraus, und 
ebenso erfordert die Suspension, Hemmung* eines Geschehens 
(einer Energdeumsetzung) einen gewissen Energieverbrauch. 
Man sollte doch endlich von dem vergeblichen Bemühen ab- 
lassen, nicht-energetischen Agentien einen kausalen Einfluß 
auf das physische, energetische Geschehen zuzuschreiben, im 
Glauben, damit nicht das Prinzip der Erhaltung der Energie 
zu verletzen. Dann erst könnte das Haltbare in den neo- 
vitalistiscben Begriffen zur Geltung kommen. Was zunächst 
die „Richtkräfte** betrifift, so haben wir ja schon anerkannt, 
daß der Organismus ein System von Elementen ist, durch 
dessen Form der Ablauf der Reaktionen des Organismus be- 
dingt ist Die physischen Kräfte selbst, die hier als Resultanten 
der innig verbundenen, einheitlich ausgerichteten, kon* 
veigterenden Partialkrälte wirksam sind, genügen, um die be- 
sondere Richtung, welche das organische Geschehen und 
Werden aufweist, befriedigend zu erklären, insbesondere wenn 
man, bei den höheren Organismen, den Einfluß der im Nerven^ 
System aufgespeicherten Kräfte berücksichtigt, welche sie su 
selbständigen Aktionszentren machen. 

In diesem Zusammenwirken innerer, an die Organisation 

*) VgL die treffenden AntfOhningen S. CMdaMd» g^gm die 
Richtkräfte (Annalen der NattuphikMophie, 1906; HAherentwicUnog und 
Mcnschenökonomie I, 191z). 



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Siebente* Katpitd. Der Zwe^ in der Bido^e. 



118 



gebundener Kräfte zur Einheit wurzeln aach die sogen. „En- 
telechien" des Vitalismus. Die „prospektiven" (auf die typisdie 

organische Form ein gestellten) Potenzen und Tendenzen, die 
„harmonische Äquipotentialität", die Fähigkeit der Umgestal- 
tung von Bruchteiien eines Org-anismns zu einem verkleinerten 
ganzen Organismus als Restitutionserscheinung nach einw 
(künstlichen oder natürlichen) Teilung des Organismus, die 
organischen Regulationen, die Regenerationen (nach Ver- 
letzungen) — sie nötigen nach einer Richtung des Neovitalismus 
{Drieaeh) zur Setzung einer „Individualitätskonstante", einer 
„intensiven Mannigfaltigkeit", einer „Entelechie" als Quelle 
ttberentng^tischer, unräumlicher, aber Räumliches gestaltender 
Leistung-en. Die „Entelechie" ist ein Prinzip naturhafter Art, 
welches dem Psychischen analog ist und insofern als ,,Psychoid" 
bezeichnet wird, ein d«is Ziel der Erhaltung und Gestaltung 
der organischen Form in sich bergendes, auf dieses Ziel ohne 
Bewußtsein gerichtetes Agens, das mit der körperlichen Natur, 
dem Mechanismus, in Wechselwirkung steht und die Macht 
hat, Enerq-ieumsetzungen so lan^e zu suspendieren, aufzuhalten, 
als es dies für seine Zwecke nötig- hat, ohne aber den Energie- 
verrat in der Natur zu vermehren oder zu vermindern. — (xegen- 
iiber einer zu rohen, starren, einseitigen, grob mechanistiscliea 
Biologie, welche die Bedingtheit der Lebensfunktionen und 
der Entwicklungsprozesse durch das „Gefüg-e" oder „System", 
durch die typische und individuelle „Form" des Organismus 
sowie die historische Reaktionsbasis" (Driesch), d.h. die ganze 
Vergangenheit, die früheren Schicksale des Lebewesens und 
seiner Vorfahren nicht genug berücksichtigt, weiß dieser Neo- 
vitalismus manches Triftige*) vorzubringen. Er kann jedenfalls 
zur Verfeinerung der biologischen Mechanistik und f-Cnergetik 
beitragen, wie ja schon verschiedene Versuche zu einem bio- 
logischen „Neo-Mechanismus" {GoidacJieid, Ostwald, J, Schultz, 
Siölir u. a.) unternommen werden. 

Wohl sind wir noch nicht in der Lage, alle Lebensprozesse 

*) Wie z. B. auch N. Hartmann, ein GqpEier des Vitalismus, an- 
erkennt. Vgl. Laßwitz, Seelen und Ziele, 1907; Clu Morgan, histinkt 
und Erfahrung, 1913, S. iiaff. 

Eis ler. Der Zweck, 8 



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114 



0. Spciidler TdL 



restlos nach mecliaiiiscIi-eQergetischen Prinzipien za erklären; 
»bar es zeigt sich doch immer mehr, da0 prinzipieU einer 
Zurückfühning' anch der kompliziertesten Lebensvors^äng'e auf 
Znsammenhänge physikalisch-chemischer Vorgfängfe nichts im 
Wege steht. Die Annahme besonderer Natnrkräfte als der 
wahren Ursachen des Lebens ist nur geeignet^ bahnsperrend 
zu wirken, die Suche nach den mechanisch-energetisc^eo (bzw. 
nach psychischen) Faktoren und Beding-ung-en org-anischer 
Reaktionen zu unterbinden und sich dort bei Pseudoerklarungen 
beruhigen zu lassen, wo die biologische Analyse immer weiter 
vordringen sollte. Die formale Eigenart des organischen 
Systems gegenüber einem anorganischen Aggregat oder auch 
einer künstlichen, nur beschränkte, einseitige Funktionsmög- 
lichkeiten darstellenden, wenig plastischen Maschine*) kann 
man ja ruhig zugeben, ohne deshalb schon zu über mechanischen 
vnd überenergetischen, vitalen Kräften seine Zuflucht nehmen 
zu müssen, die weder in der Erfahrung gegeben noch durch 
die denkende Verarbeitung derselben gefordert sind und die 
entweder das, worauf es ankommt, doch nicht erklären oder 
aber der Geschlossenheit und Einheit biologischer, natur- 
wissenschaftlicher Erkenntnis Abbruch tun. Zwei wichtige 
Forschungsprinzipien dürfen auch in der Biologie nicht ver- 
nachlässigt werden. Erstens der Grundsatz: „Principia praeter 
necessitatem non sunt multiplicanda" und das damit verwandte: 
„Hypotheses non finge" {Xeivton), wobei der Nachdruck auf 
das ,, finge", das künstliche, unnötige Ersinnen von Faktoren 
des Geschehens, zu legen ist. Gewiß, die BegrÜfe, deren sich 
der Neovitalismus bedient, sind keineswegs ohne allen Wert, 
aber freilich zunächst nur als reg ulativ - heuristische 
Prinzipien, welche zur Verfeinerung und Bereicherung- 
der Biomechanik, Bioenergetik und Biochemie dienen 

*) Es gibt allerdings, wie z. B. Lotze betont, auch Maschinen „mit 
einer Reihe solcher giacklicher Einrichtungen, daß äußere Störungen 
in ihnen eine Rfldcwirkong hervormfen müssen, durch welche der 
schädliche Einfluß der Störung wieder ausgeglichen wird* (Grundzüge 
der Naturphilosophie, i88^ S. 8a). J. SelniUs, Die Maschinentheorie 
des Lebens, 1909. 



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Sebentes Kapitel. Der Zwe^ in der Biologie^ 



115 



können,^ ohne neae^ ans den Bedingungen objektiver Er- 
fahrung nicht eifliefiende Agentien dem Kausalnexna des 
Geschehens selbst als Glieder einznfögen. Solcher Agentien 
bedarf es ffir die Wissenschaft nicht; aie sind höchstens 
Surrogate für die wahren, realen Faktoren des Lebens und 
der Entwicklung. 

Wenn aber der Neovitalismus eine dynamische Teleo" 
logie für unentbehrlich hält, mindestens als naturphüosophische 
Ergänzung- der biologischen Kausalerklärung, so ist er im 
Rechte, Aber eine solche Theologie ist, wie wir gesehen 
haben, mit einem strengen Kausalismus und Mechanis- 
mus durchaus vereinbar. Es ist nirgends notwendig, be> 
sondere Zweckursachen neben -und über den bewirkenden 
Ursachen anzunehmen oder ein besonderes Reich zielstrebiger 
•Faktoren zu setzen, welche mit den absolut nicht-zielstrebigen 
Ursachen in Wechselwirkung treten. So wie es keine eigenen, be- 
sonderen „Richtkräfte" gibt, da alle Kräfte in der Natur eine 
„Richtung" haben {GoldnAeidf Böfding, Laßtßitz)^ so brauchen wir 
auch keine besonderen, spezifischen, zielstrebigen Agentien, 
weil alle Ursachen in der Welt ihrem „Innensein" nach auf 
ein immanentes Ziel gerichtet sind oder ein subjektives ^el- 
streben zum objektiven Ausdruck bringen. Nur daß eben im 
organischen Geschehen eine besondere Verbindung, Einheit 
und Ganzheit des Strebens und Wirkens vorliegt, die den 
organischen Reaktionen eine solche Richtung gibt, wie sie 
anorganische Vorgänge, energetische Um Setzungen zwischen 
anorganischen Komplexen nicht aufweisen können, weil hier 
die Strukturbedingungen dazu fehlen. 

Der Grundmang-el der vitalistischen Teleologie besteht 
in ihrem dualistischen Charakter, der sie dazu verführt, die 
Finalität mitten in die Kausalreihe des Geschehens zu ver- 
legen, statt sie dort anzusetzen, wohin sie in Wahrheit gehört: 

•) Treffend bemerkt N. Hartmann (Die philosophischen Gnmd- 
lagen der Biologie, 191a, & iio): ^Der Vittdismns hfllt den 
Medumismns dauernd m Schach und zwingt ihn, immer wieder 
Uber seine eigenen Errangenschaften hinanszogelien.'' Vgl. Jloryafi, 
s. a. O. 

8* 



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116 



n. Spesldlcr TeiL 



in das Innen- oder Füiricihsein der Dinge, in die Sphäre des 
nach Analogie der inneren Erfahrung gedachten unmittelbaren, 
„subjektiven** Seins der Dinge als Grundlage ihrer objektiven 
£rBcheinung. Die ,3ntelechien", von. denen geredet wird, 
können ihren guten Sinn haben, aber nicht als besondere 
Natuxfaktoren unter anderen, sondern als das Eigen- und 
Innensein der organischen Systeme selbst. Jetzt erst 
verstehen wir den „überenergetischen" Charakter der En- 
telechien, Richtkräfte, Dominanten und ebenso deren „unräum- 
liches** Wesen. Denn alles Innensein'* des Physischen 
ist ja als solches etwas Unräumliches und Nicht- 
energetisches, mag- es auch immer eine räumliche 
und energetische Erscheinungsweise haben oder sich 
als solche betrachten, denken lassen. Mit einem Schlage 
wird es nun klar, wie die „vitalen Faktoren" zielstrebig und 
zweckmäßig lenkend tätig sein können, ohne das Prinzip der ge- 
schlossenen Naturkaosalitat und der Energiekonstanz zu verletzen. 
Jetzt begreifen wir, wie sie an den Kegulationen, Restitutionen, 
Regenerationen, Anpassung-en wirksam beteiligt sein können, 
ohne daß die Eindeutigkeit des Kausainexus verloren geht. Nun 
braucht man sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, wie es 
denn sein kann, daß nicht-mechanische und nicht-energ-etische 
Kräfte auf die Materie, das Körperliche, das räumlich Aus- 
gedehnte und räumlichen Widerstand Leistende, Energetische 
gestaltend, bewegend, hemmend, richtend, lenkend einwirken, 
und wie sie seitens dos Materiellen oder Energetischen 
Wirkungen zu empfangen vermögen. Die Bestimmung der 
„Entelechie" als , intensive Mannigfaltigkeit" erweist sich jetzt 
als durchaus gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß eben alles 
Innensein, alles Psychische im weitesten Sinne nichts Ex- 
tensives, sondern rein qualitativer und intensiver Natur 
ist, obzwar ebendasselbe Wirkliche, welches für sich eine 
„Entelechie" oder ein System von „Kntelechien" ist, vom 
Standpunkt der sinnhch vermittelten Erfahrung als extensiv 
und energetisch sich darstellt. Will man endlich das relativ 
unbewußte Innensein der Organismen und der Dinge von der 
eigentlich bewußten Selbsterscheinung derselben unterscheiden, 



Siebentes Kqplfd. Dar Zweck in der Bielogie. 



117 



80 kann die Bezeichnung des erat e r e n als „Psyclioid,"*) für 

zweckmäßig" gelten. 

Mit dem allen soll aber nicht etwa eine Schwenkung zum 

Neovitalismus gfemach^ sondern es soll nur dargfetan werden, 
daß und wie sich dessen Prinzipien auf die Grrundsätze einer 
monistischen Teleolog'ie, einer Teleologie auf identität»» 
tibeoretischer und parallelistischer Grundlage, zurückführen 
lassen, wobei das Brauchbare im teleolog-ischen Vitalismus ge- 
bührend anerkannt wird, wenn er auch als Gesamttheorie, als 
eine sich zum Mechanismus in Gegensatz stellende Lehre ent> 
schieden abzulehnen ist. Der Scharfsinn und die nicht geringe 
spekulative Kraft so mancher seiner Vertreter, namentUch 
Driesch, sei aber rückhaltlos anerkannt — 

Nicht dadurch also unterscheidet sich das Organische vom 
Anorganischen, daß jenes von zielstrebigen Agentien getrieben 
wird, während dieses letztere rein kausal und mechanisch er- 
klärbar ist, sondern beide Seinsstufen sind zugleich finaler 
und mechanischer Natur und nur formal unterschieden. 
Nicht die zielstrebige Kraft oder das psychische Innensein 
überhaupt ist es, was den Organismen die besondere Stellung- 
in der Natur verleiht, sondern nur die Besonderung, Ver- 
bindung und Komplikation der Zielstrebigkeiten, die ihre 
materielle und dynamische Außenseite in der Struktur und 
im Kräftesystem der Organismen hat. Eine „Entelechie" ist 
der Organismus selbst, insbesondere seinem zielstrebigen Innen- 
sein nach, als Totalität von Aktionen, die alle nach der 
Richtung der Erhaltung eines einheitUchen Zustandes kon- 
vergieren. Die der „Entelechie" wie den „Richtkräften" zu- 
geschriebenen Fähigkeiten sind gar nicht anzuzweifeln, aber 
sie sind Potenzen der organischen Struktur selbst, die eben 
anderer Art ist als das Gefüge einer künstlichen Maschine. 
Aus der Reaktion der Strebungen des Organismus auf die 
Reize der Umwelt sind, phylogenetisch, bestimmte Zweckmäßig- 
keiten hervorgegangen. Dem entspricht dann eine struktureile 
Beschaffenheit des Individuums, welche von Anfang 

*) Vgl. aber das uPsychoid" auchi«. Qübart, Neue Enersetik, 1911; 
J. SehuUz, a. a. O. 



118 



n. Spaidlw TeU. 



an eine mehr oder wenig-er bestimmt g-erichtete Ent- 
wicklung desselben bedingt, vorausg-esetzt, daß keine 
hemmenden, störenden Einflüsse stattfinden. Diese Entwicklung 
ist „zielstrebig" in dem Sinne, daß der Ablauf der organischen 
Reaktionen unter normalen Umständen zu ganz bestimmten, 
in den „Anlagen** des Organismus begrilndetcaa Zuständen und 
Formen führen muß und oft auch unter anormalen Um- 
ständen dazu fuhrt Der artliche und individuelle Typus 
bringt sich selbst zur Entfaltung, aber nicht in einer dem 
Mechanismus widersprechenden Weise, sondern, unmittelbar, 
durch die psychischen Tendenzen, welche das Innensein 
des Lebewesens bilden und die, in objektiver Betrachtung, als 
bestimmte phylogenetisch (von der Gattungf) erworbene, 
materiell-dynamische Dispositionen (des Keiinplasma) 
siVh darstellen. Geg-enüber störenden, modifizierenden Ein- 
flüssen von außen besitzt der Organismus vermöge der in ihm 
angelegten, bestimmt gerichteten Kräfte eine mehr oder 
weniger große Plastizität. Das für die Lebewesen charakte- 
ristische Moment ist die Eigenschaft der „Selbststeuerung" 
oder „Seibstregulation". Auf dieser Eigenschaft beruhen zwei 
einander entgegengesetzte Fähigkeiten des Organischen: einer- 
seits die Fähigkeit, die artliche und individuelle Eigenform 
immer wiederherzustellen, durch eine dem „Typus" ent- 
sprechende Assimilations- oder Transformationsarbeit; ander- 
seits auch die Fähigkeit, sich veränderten Umständen, Lebens- 
bedingungen bis zu einer gewissen Grenze anzupassen und 
so zu variieren, sich weiterzuentwickeln. Konstanz und 
Variabilität haben so einen gemeinsamen teleolo- 
gisch-kausalen Faktor. — 

Was nun die Entwicklung der organischen Arten 
betrifft, so scheint vieles dafür zu sprechen, daß verschiedene 
Faktoren an ihr beteiligt sind, wobei bald der eine, bald der 
andere eine überwiegende Bedeutung besitzt. Sicherlich ist der 
extreme Selektionismus(TFeiswan«,Ti'a//acßu.a.) einseitig und 
unzulänglich; eine „Allmacht" der Naturzüchtung ist nicht an- 
zuerkennen, es ist kaum möglich, alle Zweckmäßigkeit und 
alle Entwicklung der Lebewesen aus der bloßen Auslese „zu- 



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SidMntei Kftpitd. Der ZwtA in der Biolo|^ 



119 



^lUg-er" Vaxiationen zu erklären. Aber unberechtigt ist die 
Behauptung*, die natürliche Selektion könne ganz und gfar 
nichta begreiflich machen. Wohl mag ein großer Teil der 
organischen Zweckmäßigkeiten aus dem bloßen Walten der 
natürlichen Auslese nicht hinlänglich erklärbar sein. Sicher ist 
aber zum mindesten dies, daß unzweckmäßige Variationen 
durch sie leichter, schneller zur Ausmerzan^ gelang-en können, 
und daß relativ zweckmäßige Eigenschaften im Wettbewerb 
um die Lebensbedingungen und im Kampfe ums Dasein den 
Organismen vielfach besondere Aussichten zum Überleben 
und zur Fortpflanzung ihrer nützlichen Eigenschaften verleihen. 
Aber die Anpassung der Organismen an die Umwelt, das 
„MiHeu" durch die natürliche Auslese ist sicherlich nicht die 
einzig mögliche und einzig bestehende Anpassungsform. Ihr 
geht eine primäre Anpassung der Lebewesen voraus, und 
diese ist eine direkte, unter dem unmittelbaren Einfluß des 
Naturmilieu erfolgte und zum Teil noch immer erfolgende 
Anpassung. Veränderungen des Milieu*) bilden nicht nur 
einen Anlaß für das Wirken der Selektion. Sie können auch 
ganz unmittelbar Variationen von Arten zur Folge haben. Die 
Anpassung der Organismen an die Lebensbedingungen kann 
ferner eine „passive" oder „aktive" sein, mögen auch beide 
Anpassungsarten bloß graduell verschieden sein. Die aktive 
Anpassung beruht wesentlich auf der Veränderung von Organen 
durch gesteigerte Inanspruchnahme, Leistung derselben, nament- 
Kch durch die Übung („funktionelle Anpassung"). Man darf 
wohl das lamarckistische Prinzip des Gebrauchs und Nicht- 
gebrauchs der Organe nicht in seiner Tragweite überschätzen; 
aber dieses Prinzip dürfte doch einen bedeutsamen Ent- 
wicklungsfaktor darstellen, teils als vorbereitende Grundlage 
für die natürliche Selektion oder als Unterstützung dieser, 
teils aber auch in Verbindung mit einer direkten Vererbung 
individuell erworbener Eigenschaften, für deren wenigstens 
partielle MögUchkeit manches spricht. 

*) Vgl. über die Bedeutung des natürlichen Milieu die trefflichen 
Ausführungen R.Goldscheids (Höherentwicklung und Menschenökonomicl, 
1913), der die Einseitigkeiten des Selektionismus scharf bekämpft. 



120 



n. Spendier TeiL 



Wie immer die Entwicklungf im einzelnen sich g-estalten 
mag, daran ist wohl nicht mehr zu zweifeln, daß sie daa 
Resultat des Zusammenwirkens äußerer und innerer Fak- 
toren, mit Überwiegen bald der einen, bald der anderen ist. 
Ohne eine Auslösung der organischen Kräfte oder lüiergien 
durch die Einflüsse der Außenwelt, ohne immer erneuerte 
Determination der in den Organismen angelegten weiteren 
und engeren Möglichkeiten durch die Einflüsse des Xatur- 
milieus würde eine Entwicklung ebensowenig zustande kommen, 
wie bei Wegfall allgemeiner und besonderer Anlagen, Dis- 
positionen, Tendenzen, Potenzen der Lebewesen. DieRichtung 
der organischen Entwicklung hat also mehrere Determinanten. 
Sie ist weder von außen noch von innen allein her „prädeter- 
miniert", sondern bedeutet eine Anschmiegung des Inneren 
an das Außere, eine Anpassung, die je nach dem Milieu 
und den Umständen eine relative Zweckmäßigkeit besitzt, auch 
wenn sie etwa im Hinblick auf die Gesamtentwicklung und 
deren Zielpunkte einen gewissen „Rückschritt" darstellt. Denn 
es kann ja in gewissen Verhältnissen nützüch, zweckvoll sein, 
einen schon erreichten Zustand größerer Differenzierung und 
Komplizierung, der in der Regel einen Vorteil bedeutet und 
seinen Träger zu einem „vollkommeneren" Wesen macht, wieder 
einzubüßen. Die Selektion aber kann erst einsetzen, wenn 
schon unabhängig von ihr neben unzweckmäßigen auch eine 
Reihe relativ zweckmäßiger Variationen und Anpassungen 
aufgetreten ist Ein Grundstock an Zw^eckmäßigkeiten muß 
allen Organismen, die sich überhaupt zu erhalten und zu ent- 
wickeln vermochten, von Anlang an zu eigen gewesen sein.*) 

Teleologisch betrachtet, ist die organische Entwicklung 
das Produkt zielgerichteter Reaktionen der Lebewesen, 
mögen nun diese Reaktionen jeweils durch die auüeren 
Faktoren abgenötigt sein, oder mögen sie mehr spontan, 
aus bestimmten Eigentendenzen entspringen. Triebe und Be- 
dürfnisse, in denen sie wurzeln, das Streben nach Erhaltung 
oder nach Beseitigung von Zuständen lustvoller bzw. unlust- 



*) Vgl J. SchuUz, a. a. O. 



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^ebeotes Kapitel. Der Zweck in der Biologie. 



121 



voller Art» Assoziationen der Triebe mit £mpfindang«n oder 
Vorstellung-en bilden das „Innensein** dieser Reaktionen, 
Eine innere Zielstrebig^keit oder vielmehr ein einheitlicher Kom- 
plex von Zielstrebififkeiten bekundet sich bei den Orgfanismen 
von Anfang* an. Aber es muß immer wieder betont werden: 
Die speziellen, objektiven Zweckmäfiigfkeitetti die wir an den 
Org-anismen finden, sind nicht alle voraosg-esehen und voraus- 
erstrebt, sondern sie sind eist unter dem Einfluß der primären, 
allgemeinen, vag-en Strebungen entstanden, auf Grund der 
Verwertung der durch die Verhältnisse gfebotenen Anpassungs- 
möglichkeiten. 

Bei den höheren Organismen erst darf nuun eigentliche 

Zweckvorstellungen als Entwicklungsfaktoren annehmen. 
Erst der Mensch vollends ist im Besitze einer artikulierten Sprache, 
die ein abstraktes, unanschauliches, begriffliches, streng logisches 
Denken ermöglicht. Von einem planmäßigen Vorhersehen, 

Vorherwissen, von einer aktiv-bewußten Zwecksetzung kann 
bei den niederen Lebewesen absolut nicht die Rede sein; es 
dürfen ihnen keine eigentlichen Urteils-, Schluß- und Wahl- 
akte, höchstens gewisse Analoga solcher zug-eschrieben werden. 
Insbesondere hat man sich vor dem oft beg-ang-enen Fehler zu 
hüten, Instinkthandlung en auf bewußte IntelHgenzakte zu- 
rückzuführen.*) Gewiß fehlt es auch bei diesen Handlungen 
nicht an immanenten Zielstrebigkeiten. Aber diese sind ganz 
elementarer Art, sie werden durch innere Reize ausgelöst, 
gehen bloß auf die Lösung verspürter Spannungen u. dg]., 
und wenn sie bestimmte zweckmäßige Funktionen und Gebilde 
zur Folge haben, so beruht dies vorwiegend auf Anlag^en, die 
phylogenetisch seitens der Gattung erworben wurden und sich 
nun im Individuum meistens automatisch betätigen. Es handelt 
sich hier meist um mechanisierte Triebhandlungen der 
Vorfahren, die ihren Niederschlag in der organischen Struktur, 
in bestimmten Koordinationen hinterlassen haben. Manches 
an den Instinkthandlungen ist sogar nur Reflexbewegung. 
Dafür beruht wieder anderes auf lebendigen Trieben und auf 



*) VgL C. L. Morgan, Instinkt and Erfahrung, 1913, der dies betont. 



122 



n. Speddler Teil. 



einzelnen Vorstellungfen oder Assoziationen. Daß Instinkte teil- 
weise durch, abnorme Verhältnisse und durch individuelle Er- 
ahruDg'en beeinflußt, modifiziert werden können, ist ja bekannt 
Betreffs der Entwicklung der organischen Individuen wie 
der Arten der Lebewesen ist also dreierlei auseinanderzuhalten: 
erstens die Wirkung der äußeren Faktoren, zweitens der 
Einfluß der inneren Zielstrebigkeiten und drittens die 
Nachwirkung der letzteren. Nicht darin besteht der Fehler 
der teleologischen Betrachtun, qfsweise. daß sie die Zweckmäßisf- 
keit der Organe und der Organisiiien zu zielstrebigen Tendenzen 
und Reaktionen in Beziehung setzt, sondern daß sie oft das 
Besondere, objektiv Zweckmäßige für einen unmittelbaren 
Effekt dieser Tendenzen und Tätigkeiten hält, während in 
Wirklichkeit die organische Zweckmäßigkeit vielfach erst all- 
mählich entsteht, durch Vererbung erhalten, fixiert wird, wo- 
bei die in den Individuen wirksamen zielstrebigen Tendenzen 
(bzw. deren physiologische Korrelate) nur als Auslöser eines 
bereitliegenden Koordinationskomplexes, eines be- 
stimmten Kraftsystems dienen. Es ist wohl anzunehmen, daß 
der „Wille" im weitesten Sinne (als Streben und Trieb) der 
innerste Motor der Entwicklung und der Req-ulator des Lebens- 
prozesses ist.*) Aber die Resultate dieser wahren „Lebens- 
schwungkraft" [Bergson) sind nicht durch sie aliein bedingt, noch 
weiß das Streben im vorhinein etwas von ihnen. Erst nach- 
träglich, nach bestimmten Erfolgen werden sie zu eigenen 
Zielen des Strebens, und schließlich spielen sich die zweck- 
mäßigen Funktionen und Reaktionen rein impulsiv-auto- 
matisch ab, d.h. ohne daß es eines besonderen, eigens auf 
sie gerichteten Willens bedarf. — 

Nicht alle organische Evolution ist eine Höher- 
entwicklung.**) Die „Zweckmäßigkeit" der Anpassung der 
Lebewesen an die Lebensbedingungen ist zunächst nur danach 
zu beurteilen, ob ein Individuuni oder eine Art imstande ist, 
sich unter bestimmten gegebenen Umständen zu erhalten. 

*) Besonders gut von TFurntt dargetan (System der Philosophie U', 
1907). 

**) JZ. Goldscheid, Höherentwicklung und Menschenökonomie 1, 1913. 



Siebentes Kapild. Der Zvede ia der Biologie. 128 



Was In bezug auf ein bestimmtes Miliea „nützlich" ist^ kann 
in einer anderen Umwelt schädlich, onsweckmäßigf sein oder 
es kann seinen früheren Wert einbüfien, und es sind dann 
oft ganz andere Higensdiaften, die einen Vorteil im Daseins* 
kämpfe bieten können. Auch kann unter Umständen die 
Anpassung an bestimmte Verhältnisse geradezu eine Ver- 
kummerungf einzelner Organe und Funktionen nach sich ziehen 
oder auch die Anpassungsfähigfkeit an neue Lebensbedingfungen 
erschweren, wo nicht gar völlig aufheben, so daß dann die 
Entwicklung abbricht, erstarrt Es gibt so etwas wie Sack- 
gassen der Entwicklung; diese wird mitunter regressiv, sie 
bleibt auch oft stationär.*) Der Wirkungsspielraum aller Ent- 
wicklungsfaktoren ist eben ein begrenzter. Insbesonderit ist 
mit der Unveränderlichkeit des Naturmilieu die Tendenz sur 
Stabilisierung der Entwicklung verbunden. 

Wonach beurteilen wir nun die Höhe der organischen 
Entwicklung? Im allgem«nen nach dem Maße der Dilferen- 
sierung der Lebewesen, vorausgesetzt, daß mit ihr eine ent- 
• sprechende Integrier ung und Zentralisierung (Vereinheit- 
lichung) verbunden ist. Die Differenzierung der Organe und 
Funktionen und die Arbeitsteilung, die durch sie ermöglicht 
ist, gestattet eine bessere, ökonomische Ausnutzung und 
Transformation der Naturenergien durch den Organismus, 
eine genauere Selbstregulierung, ein zweckmäßigeres Funktio- 
nieren der Kräfte, welche der Erhaltung und Förderung der 
Organismen dienen. Ein differenzierterer Organismus ist gleich- 
sam auf die verschiedensten Vorgänge in der Umwelt feiner 
abgestmimt. Kr besitzt ein größeres Quantum Macht über 
die lebensfördernden und lebenshemmenden Faktoren. In der 
Regel erweist sich denn auch eine größere Differenziertheit 
als ein für den Daseinskampf und die Selektion günstiges 
Moment; sie gewährt meist besondere Aussichten im Wett- 
bewerb um die Lebensbedingungen. 

Je höher wir die Stufenleiter der Lebewesen hinaufsteigen, 
desto differenzierter huden wir sie denn auch zumeist. Ins- 



*) Vgl Bergson, L'dvoiation cröaUice % 19x0 (deutsch 1913). 



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124 



n. Speddlcr TtXL 



besondere gfehört zu dieser Differenzierung' der Besitz eines 
Nervensystems, welches das Substrat, die Grundlage für 
Reaktionen darstellt, die den jeweUigen Veränderungen aofi^ 
und innerhalb des Organismus besser und schneller Rechnung 
tragen können und der Erstarrung- entgegenwirken.'*') Im 
Nervensystem schafft sich der Wille ein besonderes Organ» 
welches die Nachwirkungen zweckmäßiger Reaktionen auf- 
speichert und sie, in der Form von Dispositionen, Anlagen 
für das weitere, künftig^e Verhalten bereithält, verwertbar 
macht. Die Fähigkeit, Störung-en zu versp&ren und die ver> 
schiedenen Reizungen, die der Organismus erfährt, zu untere 
scheiden, das Vermögen, bedürfnisgemäß zu regulieren, aus- 
zugleichen und die verschiedenen Regulationen einheitlich zu 
koordinieren, zu verknüpfen, die Fähigkeit der Verwertung von 
Erfahrungen und der daran anknüpfenden Voraussicht der 
Zukunft, sie kommen in einem Zentralnervensystem, zuhöchst 
in einem menschlichen Großhirn zum objektiven Ausdruck, 
zur Erscheinung. Das Gehirn ist die Außenseite eines be- 
sonders differenzierten Innenseins, einer psychischen Organi- 
sation von relativ hoher Vollkommenheit. Es repräsentiert 
eine relativ große Selbständigkeit, Aktivität, Freiheit 
des Lebewesens, die es unabhängiger von den Wechselfällcn 
des Daseins und vom Druck der Umwelt, der mechanischen 
Notwendigkeit macht. Es ersetzt den Mangel an Organen 
und Funktionen, die sonst nicht oder doch schwerer zu ent- 
behren wären, und es gibt auch damit der Selektion eine 
andere, neue Richtung. 

So entwickelt sich insbesondere die menschliche Gattung 
wesentlich nur noch nach der Seite der Nervendifferenzierung 
und der mit ihr zusammenhängenden Eigenschaften und 
Leistungen. Vermöge seines hoch entwickelten Hirnes steht 
der Mensch der Natur ganz anders gegenüber als die übrigen 
Lebewesen. Er hat sich so immer mehr von dem Zwang der 
Umwelt emanzipiert. In immer höherem Maße vermag er 
die Umwelt sich selbst, seinen Bedürfnissen, Tendenzen und 

♦) Vgl. dazu die Arbelten von H. Bei-gson, dessen geistvolle Dar- 
legungen aber erst in rein monistischer Deutung haltbar werden. 



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Sebeatei Kmpilel. Der Zwick in der Biologie. 



125 



Zielen aktiv anzapaasen, indem er die Natur so ertragreidi 
als möglich gestaltet, ihre Kräfte in seinen Dienst stellt, ihnen 
die gewünschte Richtung gibt, indem er seine Feinde in der 
Tierwelt yemichtet, einschränkt oder ihnen abwehrend be- 
gegnet, usw. 

Es wird also aucb beim Menschen die naturliche Auslese 
nicht unwirksam, aber immer mehr vermag die Menschheit, 
insbesondere durch ihre Technik (im weitesten Sinne) 
und durch ihre soziale Vereinigung und Kooperation, 
sie zu beeinflussen. Die menschliche Rasse braucht deshalb 
keineswegs zu degenerieren, biologisidi zu verfallen. Die 
Verbesserung der Lebensbedingungen kann aUmählidi die 
Qualität der Menschen durch Ausmerzung so vieler sie 
herabsetzender Faktoren in hohem Maße steigern, und 
schließlich bleibt die Einsicht, daß nicht unter allen Be- 
dingungen Nachkommen in die Welt gesetzt werden dürfen, 
auch nicht unwirksam, indem sie das individuelle und soziale 
Gewissen aufrüttelt. Die Menschheit bekommt es immer mehr 
in die Hand, den Lebensprozeß aktiv zu regnU«ren, zu be- 
herrschen. Ihre Entwicklung wird dann immer öko- 
nomischer,"^ sie kostet nicht mehr so viele durch ihre An- 
lagen und Funktionen oft sozial wertvolle Individuen, die bei 
rein passiver Hingabe an die brutale Naturauslese verloren 
gehen würden. Die Erhaltung auch biologisch schwächerer 
Individuen bringt der Menschheit nicht immer nur Schaden, 
sondern teilweise sogar einen nicht geringen Gewinn. Teils 
durch die geistigen, kulturell wertvollen Qualitäten, die sich 
oft gerade bei solchen Individuen finden und die übrigens 
auch biologisch, für die Züchtung produktiver Gehirne selektiv 
wertvoll sind. Teils durch die sozialen und kulturellen An- 
strengungen,, welche zur Erhaltung solcher minder kräftigen 

*) In scharfsinniger, tief eindringender Weise hat R. Goldscheid die 
Prinzipien einer „Entwicklungsökonomic" dargelegt, welche er durch die 
«Menschenökononiie'' ergflnzt Er bekämpft dea Malthosianismiis im 
Darwinismtis und den extremen Selektionismns und vertritt einen aktiven 
Evolutionismus. — Vgl. E. Becker, Der Darwinismus und die soziale 
Ethik, 1909; ferner die Schriften von ünold, MMm-'Lytr, (htwali u. a. 



126 



n. spendler Tdl. 



Menschen nötig' sind. Endlicli durch die Steig'ernng' der 
menschlichen Solidarit&t, w^che eine Bedingung' der 
Humanität und, wie die soziale Gemeinschaft überhaupt, ein Vor* 
teil im Kampf ums Dasein, einSelektions- und Entwicklung»* 
faktor von nicht geringer Bedeutung ist*) Was aber den Da^ 
seinskampf innerhalb der Gesellschaft betrifft, so ist ja nicht zu 
leugnen, daß neben sittlich wertvollen auch oft ethisch niedrig- 
stehende Eigenschaften dem Individuum zum Vorteil gereichen 
können. Dem kann eben nur dadurch abgeholfen werden, 
daß mit der Zeit die sozialen und kulturellen Lebens- 
verhältnisse immer mehr so gestaltet werden, daß nur 
das kulturell und sittlich Wertvolle selektorisch 
begünstigt wird, so daß dann das sittlich Minderwertige 
zurücktreten muß. Wir sehen, von einer besonn enen,akti vistLsch- 
evolutionistischen Betrachtungsweise menschlichen Seins und 
Verhaltens ist nicht das Geringste für den kulturellen und 
sittlichen Fortschritt zu befürchten. Der Aktivität, Freiheit, 
Verantwortliclikeit des Menschen geschieht durch sie kein 
Abbruch. Nur hat man immer wieder zu beachten, daß die 
„Gesetze** der Entwicklung nichts Starres sind und daß sie 
immer schon selb^ von der erreichten Entwicklungshöhe ab- 
hangen. Weit entfernt, ein Sklave der Natur und ihrer Ge- 
setze zu sein, konstituiert der Mensch durch sein Verhalten 
selbst einen TeU der Entwicklungsgesetzlicbkeit**) Die aus 
ihr sich ergebende „Notwendigkeit" ist kein unentrinnbarer, 
äußerer Zwang, sondern gründet sich auf Faktoren, zu denen 
vor allem auch die menschlich-organischen Reaktionen und 

*) ^Sl* J^ropotkin, Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung, 1904. 
»Der bewußte, denkende Wille des Menschen ist nicht bloß 
Produkt der Welt, londem auch Fakten*, ieine Kraft unter anderen 

Kräften. Die Evolution des Menschen ist nicht . . . das Werk blinder 
Naturkräfte . . ., sondern das Ergebnis stetigen Zusammenwirkens der 
blinden Naturkräfte mit den sehend gewordenen Naturkräften, d. h. 
menschlichen Zweckgedanken" {Jodl, Lehrbuch der Psychologie I', 1909; 
Zufall, Gesetzmäßigkeit, Zweckmifiigkeit, 1911). Vgl. CMdtMd, Ent- 
wicldungswerttheoiie, 1908; Grundlagen zu einer Kritik der Willenskraft, 
1905 (die „Wülcnskritik" fordert, „daß wir nicht eher ruhen, bis wir die 
Zweckmäßigkeit des Geschehens bewerkstelligt haben"). 



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Siebentel Kftpitd. Der Zweck in der Biol<^e. 



127 



Alctioneii gehören. Die Richtung' der menschlichen Entwick- 
lung ist also weder psychisch noch physisch in einem fata^ 
listischen Sinne determiniert Mag ne auch hinterher als streng 
kauaal bedingt, als notwendig erscheinen, so ist dies doch kein 
Einwand gegfen die Möglichkeit einer immanent-teleologischen 
AufCassnng dieser Entwicklung. Denn als Ursachen und Krifte 
derselben sind stets auch die zielstrebigen Tendensen und 
Funktionen und zum Teil auch die zweckbewußten Handlungen 
der Menschen selbst anzusetzen.*) 

Die wohlverstandene biologische Gesetzlidikeit bildet^ 
weit entfernt, eine „aktivistische'* und idealistische Lebens^ 
au{£assnng unmög^ch zu machen, geradezu eine Stutze fSur 
dieselbe; sie bedingt keineswegs einen kulturhemmenden, 
passivistischen Naturalismus. Ideen und Ideale, theoretische 
und praktische oder sittliche Imperative und Normen, Pflichten, 
SoUensregeln aller Art können und mSssen das menschliche 
Leben auch vom biologischen Standpunkte beeinflussen, denn 
sie sind Inhalte psychischer Akte, welche das Innensein 
physiologischer Prozesse bilden, die als Faktoren der orga- 
nischen Entwicklung in Betracht kommen und deren Richtung 
mitbestimmen. Auch das normgemäße Verhalten hat, wie 
die Normg^ebung selbst, eine biologisch-physische Seite. Zu 
den Bedürfnissen, welche für die organische Selbstregulation 
und Evolution von Bedeutung- sind, g*ehören eben auch soziale, 
kulturelle und sittliche Bedürfnisse. Die Eig-enart der 
menschlichen Entwicklung gegenüber der Evolution anderer, 
niederer Arten ist durchaus an 7:11 erkennen; die „Art ihrer Er- 
haltung" {R. GoUktheid) wurzelt in besonderen Verhältnissen, 
und nicht alles, was für andere Lebewesen gilt oder nützUch 
ist, besteht auch hier zu Recht. Freilich, aus dem allgfemeinen 
Rahmen biologischer und evolutionistischer QesetzUchkeit fallt 
auch die menschliche Entwicklung" nicht heraus, sie nimmt nur 
eine besondere Modifikation an, die namentlich auf der Org-ani- 
sation des menschlichen Zentralnervensystems und auf der 
sozialen Kooperation der Menschen beruht. Die Entwicklung 



*) Vf^ M. AUiBft Alarzistische Probleme, 1913. 



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128 



IL SpcHdkr Teü. 



der menschliclieii Gattung ist letzten Endes nicht mehr in* 
dividual-, sondern nur sozial- und kulturbiolog'isch zu 
interpretieren. Im Menschen, Insbesondere im Kulturmenschen, 
kommt der Lebensprozefi teils direkt, teils indirekt znm Selbst- 
bewußtsein, Die fortschreitende Menschheit erlangt immer 
mehr Macht auch Uber das eigeneLeben; sie vermag immer mehr 
dieRichtung desselben und derEntwicklang aktiv und planmäßig 
zu beeinflussen. Aus der Erkenntnis der Bedingungen eines kraft- 
vollen I^ebens und der Höherentwicklung der menschlichen Art 
gewinnt sieUnteriagen und Direktiven für ihren aktiven Lebens- 
und EntwickiungswiUen, für ihren Kampf mit der Natur, für 
die Anpassung dieser an ihre Ziele. Im Dienste solcher Ziele 
stehen alle Maßnahmen, welche sich unter dem Namen der 
„Biotechnik" zusammenfassen lassen, wie „Eugenik" {Galtonu^a^ 
Hygiene, Greburtenregulation, Mutter- und Kinderschutz usw., 
Rassenverbesserung überhaupt. Der kollektiv, sozial g-ef iihrte 
Daseinskampf aber entlastet das Individuum. Er gibt ihm 
neue Erhaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, er ist ein 
Faktor der Befreiung desselben von brutalen Naturnotwendig*- 
keiten, der Steigferungf der Individualität und ihrer Macht 
über die Natur, endlich des Aufstiegs der Gattung Mensch zu 
immer höheren Lebensstufen. So dient er dem „Willen zur 
Macht" {Nietzsche) und dem „Willen zur Freiheit'* (iC Lange}, 
SO ist er ein Mittel zur Verwirklichung von Ideen, ein Faktor 
der Geistes- und Kulturentwicklung. 



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Achtes Kapitel 
Der Zweck in der Payehologie. 

Das Psychische, den Inbegriff von Bewußtseinsvorg-äng-en als 
solchen, haben wir als „Innensein" des Physischen und Physio- 
logischen bestimmt. Alles Geschehen läßt sich auf zweierlei 
Weise betrachten, denken, erklären und erforschen. Einmal 
als Gegenstand der sinnlich vermittelten, äußeren Erfahrung" 
und mittels der zur Verarbeitung, Verknüpfung und Ver- 
einheitlichung des Stoffes dieser Erfahrung (der Sinnesdaten) 
dienenden Formen, Begriffe und Grundsätze. Dann aber auch 
als Ablauf von Bewußtseinszuständen, welche das betreffende 
erlebende Subjekt auf sich bezieht — als unmittelbare Modi- 
fikationen seiner selbst und von denen es annimmt und mit 
Fug annehmen darf, daß sie nicht die einzigen „seelischen" 
Vorgänge in der Welt sind , sondern daß ihnen analoge 
„Innenzustände" in anderen Subjekten entsprechen. Da die 
physischen bzw. physiologischen Phänomene nur eine Seite 
desselben Geschehens und Reagierens darstellen, welches 
seiner unmittelbarsten, eigensten Beschaffenheit nach den 
Charakter des Psychischen, des „Erlebens" hat, so kann von 
einer eigentlichen Wechselwirkung zwischen Seelischem und 
Körperlichem (als solchem) nicht die Rede sein, so sehr auch 
der Bestand einer wechselseitigen „Abhäng["ig"keit'* des einen 
von dem anderen anzuerkennen ist. 

Man darf aber durch diese Auffassung des Verhältnisses 
von Geist und Körper, Seele und Leib, Psychischem und 
Physischem sich nicht zu einer Leugnung der (immanenten) 
psychischen Kausalität verleiten lassen und etwa das 
Seelische als ein bloßes „Epiphänomen" der Nervenprozesse 
auffassen, als eine rein passive, schattenhafte Begleiterscheinungf 

Bia1«r, Der Zuidc. 9 



180 



n. Speddlar Tcfl. 



ohne eigene Wirksamkeit ohne Aktivität Das Psychische 
g-eht nicht wie ein Schatten neben dem Phjrnschen oder den 
Gehirnphänomenen einher, wobei nicht zu begreifen wäre, 
woher es eig-entlich kommt, wie es entsteht Sondern es ist 
selbst etwas Wirkliches und Wirksames. Die einzelnen Glieder 
des psydiischen Greschehens stehen miteinander in kausalem 
Zusammenhang, sie lassen sich miteinander kausal yer- 
knüpfen, ordnen, haben ihre psychischen Ursachen und 
Wirkung-en, sie beeinflussen einander. Haben wir einmal 
das Geschehen als etwas Psychisches betrachtet, bestimmt^ 
dann müssen wir es unweig-erlich nach dem allgemeingültigen, 
apriorischen Grundsatz der Kausalität beurteilen, genau so 
wie das als physisch oder physiologisch aufgefaßte Geschehen 
die Anwendung der Kategorie der Kausalität erfordert. 

Die psychische Kansalität*) bekundet sich in dem Ein- 
fluß der Bewußtseinsvorgänge aufeinander, in der Abhängig- 
keit bestimmter seelischer Zustände oder Veränderungen 
von bestimmten anderen seelischen Zuständen, ferner in der 
Erzeugung psychischer Gebilde durch psychische Funktionen 
und in psychischen Entwicklungen und Gesetzmäßigkeiten. 
Bestimmte Vorstellungen z. B. erregen bestimmte Gefühle 
oder Affekte, das „Interesse" wirkt auf die Aufmerksamkeit, 
diese (bzw. die „Apperzeption") auf die Klarheit, Bewußtheit 
der Vorstellungen, Die Analyse, die psychische Synthese, 
das Beziehen u. dgl. haben ihre bestimmten Wirkung-en inner- 
halb des Bewußtseins selbst. Aber der seehsche Zusammen- 
hang resultiert nicht aus einer äußerlichen Verbindung selbst- 
ständiger, getrennt existierender Elemente, sondern er setzt 
schon einen gewissen primären Zusammenhang {DilUiey^ 
BergsoHy James u. a.), eine psychische ,,Org-anisation" voraus. 
Aus dieser entspringen die einzelnen Reaktionen des Subjekts, 
die sich dann zu einem immer neu sich gliedernden, in 
mannigfaltige Elemente und Momente zerlegbaren, dabei aber 
einheitlichen Zusammenhang abgeleiteter Art verbinden.**) In 
dem einheitlich-stetigen Zusammenhang bewußter und unter- 

*) Vgl. die psychologischen Schriften Wundtt» 
**) VgL Maler, Das Wirken der Seele, 1909. 



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Aebtet Kapitel. Der Zweck in der Ftychologie. 



131 



bewoßter (relativ unbewußter) Erlebnisse kommt die «Seele^ 
selbst sur Entfaltung* ibres Ihbalts, auf Grrund primirer, er- 
erbter, angeborener, sowie sekundärer, individuell erworbener 
Dispositionen, Anlagen, Potenzen. Die Erlebnisse der Seele 
wirken beständig* auf die Organisation derselben surfick; sie 
modifizieren diese immer wieder, so daß ^ Vergangenbeifc 
des Subjekts in der Axt seines Reagierens auf Reize mebr 
oder weniger zum Ausdruck gelangt {Wmdtf Bttgtoti^, Das 
Seitenstuck dazu findet sich in der Entwicklung des phy- 
sischen Organismus, insbesondere des Gehirns als des sinn- 
fälligen Ausdrucks oder der objektiven Erscheinung der 
seelischen Organisation und als der Statte physiologischer 
Dispositionen. 

Vom Standpunkt der kausalen Betrachtang «rweisen dch 
die einzelnen Momente des seelischen Prozesses und Zu- 
sammenhangs als Wirkungen früherer Momente oder Phasen 
desselben, natürlich unter Berficksichtig-ung der die psychischen 
Vorgänge auslösenden Faktoren der Außenwelt, der „Rei2e'S 
von denen die Empfindungen und Vorstellungen abhängig sind. 
Ebendieselbe Entwicklung- aber läßt sich auch unter dem 
Genchtspunkt der Finalität, also teleologisch, auffassen und 
verstehen. Eine solche Betrachtungsweise vermag- sog-ar dem 
konkretmi, lebendigen Ablauf des psychischen Greschehens, 
d&t Bewußtseinsreaktionen teilweise noch mehr gerecht zu 
werden. Dieses Greschehen setzt sich aus Reihen ziel- 
strebiger Aktionen und Reaktionen zusammen, es er- 
folgt bewußt oder relativ unbewußt, unwissentlich — im Hin- 
blick auf gewisse Ziele, es hat eine bestimmte „Richtung^* 
{Höf ding, DilÜiey, Lipps^ Bergwn vu a.). Dies ist sehr begreif- 
lich, denn der vollständige, ungebrochene, ungehemmte 
psychische Vorgang ist stets und überall ein einfacher oder 
zusammengesetzter Willensvorgang; er schließt also ein 
Streben und damit ein Ziel ein. Das seelische Geschehen 
ist keine bloße „Summe" selbständig wirkender Elemente, 
sondern die Elemente des Bewußtseins g-ewinnen wir, wie die 
verschiedenen Seiten desselben (Vorstellung-, Gefühl usw.), nur 
durch einen Prozeß der Analyse und Abstraktion, durch den 



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182 



n. SpesicJler TcQ. 



sie aus dem stetigen Floß des Bewußtseinsablaufes heraus^ 
gelloben werden. Dieser MStrom des Bewußtseins" (JamM) 
gewinnt seine Richtung aus der Verflechtung* der ziel- 
gerichteten Tendenzen, als welche die Seele selbst sich 
darstellt, so daß die ^»psychisclie Dynamik" im Grunde eine 
Teleodynamik ist. 

Auf der Basis eines Strebens 7a:]aufen zunächst die „intel- 
lektuellen" Prozesse, ebenso die Assoziationen und die all- 
gemeinen „apperzeptiven", unter dem Einfluß der Aufmerk- 
samkeit erfoig-enden Verbindungfen der Bewußtseinsinhalte, 
mag- auch das Streben selbst teilweise nicht für sich, ge- 
sondert, deutlich zum Bewußtsein kommen. Aber schon der 
primitivste seelische Prozeß ist nicht etwa eine bloße, „reine" 
Empfindung, ans der dann erst ein Gefühl und ein Streben 
äuß^lich hervorgehen, sondern ein Triebvorgang (If^iuM^t u. a.), 
der die Empfindung als ein ihn auslösendes Moment einschheßt 
und in einer (inneren oder äußeren) Handlung endigt. Erst 
später differenzieren sich aus diesem primären, elementaren 
Willens Vorgang- die Empfindung und Vorstellung in der Weise 
heraus, daß die übrigen Momente des Vorg"angs abgeschwächt 
oder gehemmt werden und zug"leich die intellektuelle Seite 
desselben in den Vordergrund tritt oder eine gewisse Selb- 
ständigkeit erhält. Das rein „theoretische", intellektuelle Ver- 
halten ist nicht das, womit das Seelenleben ursprünglich ein- 
setzt, sondern dieses bekundet sich ursprünglich und vielfach 
auch später in biologisch bedeutsamen Handlung-en 
Es dient zunächst der Lebenserhaltung, der Aufsuchung 
und Findung des für das Lebewesen Notwendigen, Förder- 
lichen, der Vermeidung und Abwehr des Schädlichen und 
Feindlichen; es ist also ein Mittel im Daseinskampfe und ein 
Faktor der Anpassung an die Lebensbedingungen, indem es 
zur Orientierung in der Außenwelt und betreffs der Eigen- 
schaften der Dmge verhilft. In diesem Sinne wirken etwa 
die Aufmerksamkeit, die Erwartung, die Assoziation, das Ge- 
dächtnis, die Beobachtung, das Interesse, der Schmerz teleo- 

*) Vgl. die Arbeiten von Ebbinghaus, W. Je-ntfinlem, Baldimm, JotU, 
Bibotf Sj^cer, Höff'ding, James, F. C. 8. Schiüer, Bergion u. a. 



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Achtet Kapitel. Der Zweck in der Psychologie. 



133 



logfiscb, als Fnnktiooen, die zunächst im Dienste der Selbst 
erhaltung und Entwicklung' stehen. Der primitivste psychische 
Vorg'ang' aber ist die triebmäßige Reaktion eines Oiigfanismus 
infolge eines Bedürfnisses, etwa eines als unlustvoli emp- 
fundenen Zustandes, den er zu beseitigen strebt Hat sich eine 
Assoziation zwischen einem erreichten, bestimmten Zustand und 
einer an ihn geknüpften Lust gebildet, dann kann dieser Zustand 
selbst zum besonderen Zielpunkt des Strebens werden. Im 
Laufe der individuellen wie der Gattungfsentwicklung- schieben 
sich immer mehr Zwischeng-lieder zwischen die eine Reaktion 
oder Handlung auslösenden Reize oder Eindrücke und die zu 
verwirklichenden Endziele. Die verschiedensten Bewußtseins- 
inhalte fung-ieren dann als mittelbare Zwecke. Die besonderen 
Zielrichtungen des Strebens und Wollens sind also nicht von 
Anfang an gegeben, sondern sie bilden sich erst nach und 
nach heraus, wobei Gedächtnis, Erfahrung, Phantasie und 
Denken (Reflexion) eine wichtige RoUe spielen und das Prinzip 
der wHeterogonie der Zwecke" sich immer wieder als wirk- 
sam erweist. Doch ist zu beachten, dafi diese Entwicklung 
des Willens und Zweckbewußtseins nicht auf äußerliche und 
rein zufällige Weise erfolgt; sie unterliegt vielmehr von An- 
fang bis zum Ende dem Einfluß des Strebens und Wollens, 
der Zielrichtung selbst. Der „Grundwille" des Subjekts macht 
sich stetig in ihr geltend, ist als Hauptfaktor ilirer Richtung 
in Betracht zu ziehen. 

Der Wille ist also das eigentliche Agens, die Triebkraft 
des seelischen Lebens, welches sich als ein stetiger Zusammen- 
hang von Willensreaktion auffassen läßt (Voluntarismus). FAn 
bedeutsamer Unterschied ergibt sich ahor daraus, daß der Wille 
als passiver (reaktiver) ,, Triebwille" und als ein dem Zentrum, 
der einheitlichen Totalität des Ich entspringender aktiver Wille 
auftritt. Die Triebhandlungen werden von momentanen, be- 
ständig- wechselnden Eindrücken ausgelöst und entbehren des 
klaren und deutlichen Zieibewußtseins; sie sind impulsiver 
Natur, werden dem Ich gleichsam abgenötigt. Es gibt nun 
nicht bloß äußere Willenshandlungen , das heißt einfache 
Wiliensakte motorischer Art, die auf eine Veränderung in 



n. Spaidlcr TcQ. 



der Außenwelt, zu der auch der eigene Körper g-ehören 
kann, gerichtet sind, sondern auch innere Willenshandlung'en, 
deren Ziel eine Bewußtseinsmodifikation als solche bildet. Die 
Aufmerksamkeit z.B. ist in jedem Falle eine innere Willens- 
handlung'. Sie ist ein Verhalten des Subjekts, durch welches 
ein Inhalt des Bewußtseins vor anderen bevorzugt wird, indem 
er mit besonderer Konzentration ergriffen und festgehalten 
wird, während andere gleichzeitige Eindrücke vernachlässigt 
werden; die Wirkung davon ist die größere Klarheit und 
Bewußtheit des aufmerksam Erlebten, das Zurücktreten des 
bloß „Perzipierten", nicht „Apperzipierten". Während nan 
bei der passiven Aufmerksamkeit das Wissensstreben von 
außen geweckt oder von einzelnen, intensiven oder gefühls- 
betonten Erlebnissen erzwungen wird, kommt bei der aktiven, 
willkürlichen Aufmerksamkeit das Interesse, der Wissenswille, 
den Kindrücken spontan entgegen und bringt jene Inhalte, 
die angestrebt werden, zur besonderen Klarheit des Bewußt- 
seins. Hier liegt eine bewußte Zwecksetzung vor, die einen 
Einfluß auf den Ablauf und den Zusammenhang der seelischen 
Inhalte ausübt. Was für den Wissenswillen keine Bedeutung 
hat oder zu haben scheint, wird g-ehemmt oder vernachlässigt, 
so daß nun bloß ganz bestimmte, direkt oder indirekt gewollte 
Bewußtseinsinhalte sich miteinander verbinden oder sich in 
bestimmter Weise gliedern. Alles Vergleichen und Beziehen, 
alle Analyse und bewußte Synthese , alle Begriffsbildung, 
alles Urteilen und Schließen, kurz, der gesamte Prozeß 
des Denkens ist eine innere Willenshandlung, ein Ausfluß 
des aktiven Wissenswillens. Das Denken ist demnach eine 
zielstrebige Tätigkeit.*) Ein zweckbewußter Wille erweist 
sich hier als richtend, lenkend, reguUerend, organisierend, in 
gewissem Maße als schöpferisch, indem er Verbindungen, Zu- 
sammenhänge herstellt, die von selbst meist nicht zustande 
kämen, und zwar Verbindungen, die mehr sind als die bloßen 
Summen ihrer Bestandteile (Wundf). Eine analoge Tätigkeit 
übt der Wille in den Leistungen der aktiven Phantasie 

♦) Das zeigt vortrefflich jF'. C. S. Srhiller (Humanismus, Xj^i)* VgL 
Yaihingtr, Die Philosophie des Als ob. a. Aufl. 1913. 



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Achtel Kftidld. Oer Zwedc In der F^ehologie. 



185 



aus, die also ebenfalls zielstrebig" gerichtet sind. Durch 
die Einstellung" des Willens auf bestimmte „Zielvorstellung-en" 
erhält die Reproduktion der Vorstellungen eine eigene 
Richtung; es findet unter ihnen eine gewisse Auswahl statt, 
vermöge deren nur diejenigen Glieder von Assoziationen 
lebendig werden und sich verbinden, welche in der Richtung 
der Zielvorstellung und des Willens liegen*) Mit Recht hat 
man wiederholt auf den „selektiven" Charakter der Psyche, 
"des Bewußtseins, der Wahrnehmung hingewiesen {James, 
EhhinqhauSy Jerusalem^ Bergson u. a,). Das Ich kann nicht alle 
Eindrücke, die sich ihm darbieten, gleichmäßig aufnehmen und 
verarbeiten; es wendet sich stets nur jenen zu, die geeignet 
sind, sein theoretisches oder praktisches Interesse wach- 
zurufen. Selbst eine Fähigkeit und Funktion, die scheinbar mit 
dem Willen nichts zu tun hat, nämlich das Gedächtnis bzw. die 
Erinnerung, läßt den Einfluß des Strebens und Wollens auf 
das Bewußtsein deutlich erkennen. Unter normalen Umständen 
merken wir uns dasjenige, das uns interessiert, das wir uns 
merken wollen, besonders gut, jedenfalls besser, genauer, 
länger, als wenn es uns völlig gleichgültig wäre. Der Wert, 
den es für uns hat, verleiht ihm eine größere psychische 
Energie , es regt öfter unser Streben an , es über die 
Schwelle des Bewußtseins zu heben, es reizt zu seiner Re- 
produktion, Wiederbelebung. Der Wille, einen Inhalt in die 
Erinnerung zu rufen, gibt direkt oder indirekt (vermittels 
der Assoziation) der Reproduktion von Vorstellungen die 
gewünschte Richtung. Auch ohne daß wir darum zu 
wissen brauchen, sind in uns beständig mannigfache Ten- 
denzen, Strebungen**) rege, die dem Strome des Bewußt- 
seins die Richtung geben. Diese unterbewußten und relativ 
unbewußten Faktoren des Seeleniebens spielen in ihm eine 

•) Über die Fankticm des WQleiis im Psychischen vgl die Arbeiten 
von TTtmdf, Pouben, HSfdmg, Staiet, Jerutabm, Knibig, JoO, FoiOU», 
Lipps, Loßkij a. a. Über „ZidvOfstellungen" and deren „determinierende 

Tendenzen" vgl. die Arbeiten von N. Ach. 

**) ^'gl die in diesem Punkte noch zu wenig gewürdigten Arbeiten 
Benekes, auch die Schriften Fortiages, J. S. FicMts u. a. 



186 



TL l^ieiiener Tdl. 



nicht g-ering-e Rolle; sie insbesondere stellen die Stetig'keit 
und Einheit desselben her. 

Auch die Assoziationsprozesse (assoziativen Ver- 
bin dungren) kommen nicht ohne alle Beteilig^ung- unterbewußter 
Strebungfen zustande, so wenig* sie mit der aktiven Willkür* 
liehen Gcistestätig"keit zusammenhäng"en. Treten Vorstellung-en 
auf, die mit bestimmten anderen Vorstell ungfen wiederholt im 
Bewußtsein verbunden waren, so erreg"en sie den freilich meist 
nicht deutlich bemerkbaren, oft mechanisierten Trieb aach 
Reproduktion*) derjenig"en Elemente, mit denen sie ein 
Ganzes bildeten („Gesetz der Totalität"). Es fehlt also auch 
hier nicht an einer g'ewissen Zielstrebigkeit, so passiver (re- 
aktiver) Art sie auch sein magf, wie etwa im bunten Gewirr 
der Traumbilder, deren Richtung- übrig^ens durch verschiedene 
Triebe und Tendenzen beeinflußt wird, zum Teil, wenn auch 
nicht durchweg", durch positive oder negative Wünsche 
{Freud u. a.). Auch in psychopathischen Zuständen machen 
sich verschiedentlich unterbewußte Zielstrebigkeiten geltend, 
zum Teil auch solche, die auf normale Weise sich nicht reali- 
sieren („abreagieren") lassen und nur einen symbolischen 
Ausdruck erhalten, wie dies die „Psychoanalyse" (Freud, Breuer^ 
Bleuler, P/her, Adler, Sterkel, Schrerker u. a.) an den Tag legt. 

Das seelische Leben weist also ein fortwährendes Zu- 
sammenspiel aktiv bewußter und relativ unbewußter, nur in 
ihren Wirkungen zum Bewußtsein kommender teleologischer 
Prozesse auf. Infolge ererbter und erworbener Anlagen, 
Dispositionen als Nachwirkungen genereller und individueller 
Übung, Erfahrung, Einsicht, Fertigkeit, sowie auch als Aus- 
fluß des Grundstrebens des Subjekts und der aus ihm ent- 
springenden Sondertriebe sind in der Seele bestand ig ziel- 
strebige Tendenzen (als Modifikationen der Seeleneinheit selbst) 
rege. Vielfach wirkt der Versuch, diese meist minder- oder 
relativ unbewußte Wirksamkeit im vollen Lichte der Bewußt- 
heit und willkürlich auszuüben, störend, hemmend. Der 
sichere Fortgang der seelischen Arbeit wird dadurch beein- 



*) Vgl. Schopetüiauer, Winddband, Wundi u. a. 



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Achtes Kapitd. Der Zweck in der Fiqpciiologic. 



187 



trächtigft, sie gferät leicht ins Stocken, verlangsamt und ver- 
schlechtert sich leicht. So manches, was wir in aktiv- be- 
wußter, willkürlicher Weise nicht oder nur mit den größten 
Schwierigkeiten zu bewältig-en vermög-en, gelingt der unter- 
oder unbewußten Zielstrebigkeit dem „instinktivon" und „in- 
tuitiven" Operieren der Seele vortrefflich. Der Forscher wie 
der Künstler — letzterer in besonders hohem Maße — schöpft 
immer wieder aus dem, was in den tieferen Schichten des 
Bewußtseins intuitiv produziert und gestaltet wird *) angeregt 
durch bestimmte Zielvorstellungen oder durch ein zunächst 
mehr oder weniger unbestimmtes, verschwommenes Ziel- 
bewußtsein, welches dann auch eine vollbewußte und aktive 
Produktivität auslöst, ein bewußtes Suchen nach den besten 
Mitteln zur Lösung der gestellten Aufgabe. 

Nicht bloß das praktische, auch das rein theoretische 
latereme**) wirkt als Kristallisationspunkt, als Attraktions- 
zentrum sowohl in relativ unbewußter als auch in bewußter 
Weise, Es bekundet sich im logischen Denkwillen als der 
aktivsten Form des allgemeinen Wissens- und Erkenntnis- 
strebens. Mag dieses, wie schon bemerkt, ursprüngflich völlig 
im Dienste der Lebenserhaltung und Lebensförderung- stehen 
und auch später vielfach von der Praxis in Beschlag* ge- 
nommen werden, so erhält es doch auch selbständige Be- 
deutung, indem schon beim Kinde ein Trieb nach Erkenntnis 
um ihrer selbst willen (als Neug"ierde mindestens) nicht zu 
verkennen ist. Dieser reine Erkenntnistrieb erreicht bei 
einzelnen Individuen eine besondere Stärke und zeitig^t den 
Tvpus des „Theoretikers". Die im Menschen angelegten 
intelh'ktuellen Bedürfnisse und Triebe verlangen ihre Be- 
friedigung und reizen die Aufmerksamkeit zu spontaner Be- 
tätigimg.***) Das Streben nach Ausfüllung von Lücken im 

*) Vgl. B, Erdmann, Die Rolle der Phantasie. 2. Auflage 19 13; 
Loewenfeld, Bewnßtaein u. psychisches Geschehen, 1913. 

**) VgL Kreibig, Die inteUektuellen Fonkdonen. 190^ (Memuum, 
Das Interesse 3 Auflage 191a. 

***) Vgl. Jmualem, Einleitung in die Philosophie. 5.-6. Auf- 
lage. 1913. 



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188 



if spendier TcO. 



Bewußtsein, nach Ergänzung- fragmentarischer Erlebnisse und 
Erfahrung'en, nach Beseitigung- von Widersprüchen und Her- 
stellung eines einheitlich geordneten Zusammenhanges der 
Wahrnehmungs- und Denkinhalte äußert sich m den Prozessen 
des Denkens und Erkennens. der „synthetischen" Bewußtseins- 
tätigkeit, Der Wille zur Begreiflichkeit des Gegebenen, zur 
Rationalisierung desselben durch dessen Unterwerfung unter 
die Gesetzlichkeit des Intellekts, das Streben nach Verein- 
heitlichung, Harmonisierung des gedanklich Erarbeiteten sind 
die innersten Triebkräfte des Denk- und Erkenntnisprozesses 
(vgL Kapitel 13). 

Eine teleologische Bedeutung hat ferner das Gefühls- 
leben, die j.emotionale'' Seite des Bewußtseins. Die an 
Empfindungen oder Vorstellungen sich knüpfenden Gefühle 
der Lust und Unlust sind rein subjektive Zustände, nicht 
etwa verworrene Erkenntnisse der Eigenschaften der Dinge 
oder der in der Außenwelt bestehenden Verhältnisse. Sie be- 
deuten die Art und Weise, wie das Subjekt auf seine Er- 
lebnisse zentral, ganz unmittelbar reagiert, wie es diese Er- 
lebnisse aufnimmt und verarbeitet, sich zu ihnen stellt. Sie 
leiten Strebungen und Willensakte ein oder sind auch Zeichen, 
Symptome eines (befriedigten oder unbefriedigten) Strebens. 
Sie wirken als „Triebfedern" des Handelns, bilden eine Seite 
der „Motive" desselben. Die Regel ist nun, daß das Lust- 
gefühl das zweckmäßige, günstige, entsprechende, normale 
Verhältnis eines Reizes, einer Erregung zur Organisation des 
Subjekts anzeiget, während im Gefühle der Unlust sich eine 
relativ unzweckmäßige, unangemessene, störende Erregung 
der Psyche ankündigt, bemerkbar macht Was vermöge 
seiner Qualität, Intensität, Richtung oder Form der jeweiligen 
Verfassung der psycho -physischen Organisation besonders 
gemäß ist, die Kräfte und Energien dieser in rechtem Maße 
anregt und bescbäfligt, das wird in der Regel als lustvoll 
(angenehm), das Gegenteilige alt nnlustvoll (unangenehm) 
empfunden. Zu beachten ist aber, dafi zwar im lAiife der 
oxgamscben Entwicklung die Gefühle vielfach hol subjektiven 
Anzechen objektiv-zweckmäßiger iSnstände das Organismus 



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Aditcfl Ki^JÜd. Der Zwede in der Pafchoto^pe. 



189 



g-eworden sind, daß jedoch auch Abweichungfen von der 
Regel oder wenigstens scheinbare Ausnahmen vorkommen. 
Sie erklären sich darana, daß erstens manches, was für den 

Gesamtorgfanismus unzweckmäßig ist, doch in Beziehung 
zu bestimmten Zuständen bestimmter Organe bedOrfnis- 
oder tnebgemäß sein kann und daher Lust erregt, daß 
zweitens abnorme Zustände des Organismus diesen in abnormer 
Weise reagieren, fühlen lassen, daß zunächst immer nur der 
momentane Zustand, ohne Hinblick auf künftig-e Folgen, auf 
Nach- und Nebenwirkung"en des Zustandes das Gefühl der 
Lust auslöst. Ein Fortschritt besteht in der Richtung-, daß 
mit der Zeit immer mehr Assoziationen zwischen total und 
dauernd, konstant zweckmäßigen Zuständen und Lustgefühlen, 
sowie zwischen schädlichen Dingen und Unlustg^efühlen zu- 
stande kommen. Auch der Intellekt und die durch ihn er- 
worbene Erkenntnis der späteren Folgen, welche sich an 
Lust- und Unlustvolles knüpfen, beeinflussen vielfach den 
Gefühlston. Bis zu einer gewissen Grenze lassen sich die einer 
zweckmäßigen Regulation von Funktionen dienenden Gefühle 
selbst regulieren, unter dem Eindruck, den die früher oder 
später zutag-e tretende Unzweckmäßigkeit von Gefühlen, 
Affekten und Leidenschaften im Bewußtsein hervorruft. Die 
Einwirkung- der Vernunft", des Denkens ist hierbei selbst 
durch ein Gefühl vermittelt 

Die Förderung oder Schädigung, welche das Gefühl an- 
zeigt, kann sich auf die physische oder die psychische Er- 
haltung und Entwicklung beziehen. So erregt nicht bloß 
eine erheblichere Störung des normalen Ablaufs der vitalen 
Funktionen Unlust, sondern auch jede Hemmung, jedes 
Stocken, jede Verwirrung des Vorstellungsablaufs, ebenso alles, 
was nicht in die Richtung und den Zusammenhang des Er- 
lebens oder Denkens paßt. Während in der Regel die 
Herabsetzung der psychischen Energie und die Schwächung 
des Ichbewußtseins, des Selbstgefühls, unangenehm empfunden 
wird, kommt die harmonische Betätigung psychischer 
Kräfte in besonderen Lustgefühlen zum Ausdruck. Der 
Überschuß sinnücher, intellektueller, emotioneller und voli- 



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140 



n. Speddler TdL 



tioneller Energie verlangt nach Entladung^; diese ist last- 
betont, weil sie, ohne ein Zweckbewußtsein einzuschließen, 
immanent-zielstrebig ist. Zug^leich weist die „Funktionslust" 
aber auch auf eine objektive Zweckmäßigkeit hin, denn die 
Betätigung funktioneller Bedürfnisse trägt zur Erhaltung und 
Entwicklung, zur besseren Ausbildung der Organe bei; beim 
Kinde insbesondere bekundet sich diese in den verschiedenen 
Spielen wirksame Funktionsübung als höchst bedeutsamer 
Entwickln ng-sfaktor, als Vorbereitung für den Emst und Kampf 
des Lebens.*) 

In den Gefühlen der Lust und Unlust macht sich eine 
ganz unmittelbare Wertung- von Zuständen und Dingen 
geltend. Diese Wertung ist aber nicht durchaus zuverlässig; 

sie ist auch von Momenten abhängig, die g-eeig-net sind, unter 
Umständen auch Unzweckmäßiges lustvoll und Zweckmäßiges 
unlustvoll empfinden zu lassen. Der „Wert" einer Sache 
besteht in der Bedeutung-, die sie für das Bewußtsein an- 
nimmt, wenn sie als taug-lich zur ßefriedig-ung- eines Bedürf- 
nisses, zur Verwirklichung- eines Zweckes und daher als begehr- 
bar erscheint. Das unmittelbare Wertg-efühl knüpft sich nun 
zunächst an eine bestimmte Beschaffenheit oder Wirkung-s- 
fähigkeit der Sache, die partiell bedürfnis- oder zweckg-ernäß 
sein kann, obzwar sie mitunter unzweckmäßige Folgen hat. 
Erst das auf Grund genügender Erfahrung- oder Reflexion 
erwachsende Werturteil wird dann der wahren, objektiven 
Zweckmäßigkeit der Ding-e g-erecht. „Richtig" ist ein solches 
Urteil, erstens, sofern es sich auf etwas wahrhaft, wirklich zur 
Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses Dienendes bezieht, 
mag dieses Bedürfnis selbst wie immer geartet sein; zweitens, 
wenn es sich auf etwas einem normalen, wahren Bedürfnis 
Dienendes, das heißt auf ein solches, das möglichst frei von 
bedürfnis- und zweckwidrigen Nach- und Nebenwirkungen ist, 
bezieht. Direkt oder indirekt steht also alle Wertung mit einer 
Zielstrebigkeit im Zusammenhang, mag diese nun individueller 



*) Vgl. die Arbeiten von £. Qroo*; femer die Schriften von DöHngf 

Jei^vsalem u. a. 



Aelitci Xai^. Der Zwedc in der Fq^dlogle. 



141 



oder allg'emeiner (sozialer) Art sein. Das unmittelbari an sich, 
oder mittelbar» wegen seiner Wirkungen, Gewectete wird zum 
Gegenstand des Strebens, des Willens, also zum Willens- 
ziele, und das Zieigfemäße wird, sofern es als solches erfaßt, 
erkannt wird, zu einem Wertobjekt. Im Laufe der Ent- 
wicklung wird die Beziehung- auf das Gefühl und Streben in 
immer umfassenderer Weise durch die empirische und 
rationaie Erkenntnis der Eigenschaften und Wirkungen der 
Dinge, der Folgen von Handlungen, also intellektuell ver- 
mittelt. 

Die Bezogenheit aller Werte, auch der „absoluten**, 
schlechthin gültigen, auf ein wertendes Bewußtsein, auf über- 
individuelle, ideale Ziele, auf einen stellungnehmenden Willen 
überhaupt steht der Objektivität der Wertung und Wert- 
erkenntnis durchaus nicht im Wege. Es gibt eine allgemein- 
gültige, von subjektiv-individueller Willkür unabhängige Be- 
stimmung von Relationen aller Art, abo auch von Wert- 
relationen. Das theoretische, logische „Bewußtsein über- 
haupt" hat sein Seitenstück in einem „Wertungfsbewußtsein 
überhaupt", auf dessen idealen, überindividuellen Standpunkt 
man sich stellt, wenn man richtig, objektiv, sachgemäß, das 
heißt so wertet, wie man bei vollster Beriicksichtig-ung- der 
in Betracht kommenden Bcdingung'en , Wertgrundlagen 
werten soll.*) Es ergeben sich so gewisse Normen der 
Wertung, welche aussagen, wie gewertet werden soll, wenn 
man objektiv, allgemeingültig werten will. Das gilt für die 
verschiedensten Wertgebiete, nicht etwa bloß für die sittliche 
Wertung. Die Rede von „absoluten" Werten, von Werten 
„an sich" [Münsterberg, Rickert u. a.) hat ihren guten Sinn, wenn 
sie nichts anderes ausdrückt als die Tatsache, daß es Werte 
gibt, die, mögen sie von diesen oder jenen Individuen oder 
auch sozialen Gemeinschaften zurzeit nicht erfaßt, nicht er- 
kannt oder anerkannt sein, doch ihre Gültigkeit für den 
idealen Standpunkt eines wertsetzenden Bewußtseins über- 



*) Eine ähnliche Auffassung der objektiven Werte findet sich bei 
Kreibigt Archiv für systemat. Philos. XVUL 



142 



n. Spendler TeiL 



hanpt haben. Wie es unbedingte, absolute UrteüsnotwencUgf* 
keiten gibt ^»Wahrheiten an sich"), so gibt es auch als 
Korrelat der „absoluten**, sohledithin gültigen Werte ab- 
solute Wertungsnotwendigkeiten, die ihr „Fundament" 
in dem Verhältnis des Gegebenen su möglichen und not- 
wendigen oder gelorderten Willenszielen haben. Die Be> 
aehung auf ein Willensziel überhaupt freilidi fehlt auch den 
„absolttten** und objektiven Werten nidit; unabhängig von 
ihr kann wohl eine objektive Wertgrundlage, nicht aber 
der „Wert" einer SacÄie als solcher Bestand haben. Der 
Wert ist eben kein »Ding an sich**, ebensowenig wie die 
Wahifaeit; beide schließen eine Relation ein, wenn auch 
nnt«: Umstanden eine objektiv oder absolut gültig-e Relation. 
Diese im Wesen des Wertes liegende fundamentale Relation 
hat selbstverständlich nichts mit der Relativität und Sub- 
jektivität einer Reihe von Werten im Sinne ihrer Abhängig- 
keit von individuellen, ethnischen, sozialen, historischen, 
kulturellen Bedingungen, also nichts mit dem Wandel der 
Wertung im Wechsel der Zeiten zu tun. In aller psycho- 
logischen, sozialen, kulturellen, historischen Entwicklung gü>t 
es konstante, bleibende, fundamentale Bedurfnisse, Tendenzen, 
Zielstrebigkeiten. Ihnen entsprechen konstante Wertungen 
und Werte von überhistorischer Geltung, welche nicht ein 
bloßes Produkt der Entwicklung- sind, sondern selbst zu 
Entwicklungsfaktoren werden und als Mafistabe, Normen 
der Beurteilung der Entwicklung, des Seins und Werdens, 
dienen. Ferner gibt es neben den auf rein individuelle, sub- 
jektive Bedürfnisse und Ziele sich beziehenden Werten „inter- 
subjektive** (soziale) Werte, welche auch dann g-elten, wenn 
sie von einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft nicht erkannt 
oder anerkannt werden und welche soziale Zweckmäßigkeiten 
bleibender oder wechselnder Art zur Grundlage haben. Die 
„absolute" Geltung von (logischen, ethischen u. a.) Werten 
aber ist auch von der sozialen Allgemeinheit des Wertens zu 
unterscheiden. Sie ist durch die absoluten, höchsten Ziele des 
Wollens und durch den Zusammenhang von Mittel und Zwecken 
gesetzt. Sie bedeutet die Notwendigkeit bestimmter Wert- 



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Achtes Kapitel. Der Zweck in der Psychologie. 



143 



setsungfen und bestimmter, durch die »Logik der Werte** ge- 
forderter Wert- und Wertongszusammenhänge, analog dem 
rein logischen, theoretischen Geltongszusammenhang.*) 

Geffihle der Lust und Unlust sind Momente der Willens- 
handlungen selbst Sie bilden die Triebfeder solcher, die sub- 
jektive Seite des Motivs, dessen intellektuelle Komponente 
die als Beweggrund wirksame Vorstellung bildet {Wimdfy, 
Überdies ist das Handeln von Gefühlen begleitet, und auch 
der Erfolg desselben pflegt einen Gefuhlston zu haben. Der 
Zweck einer Handlung aber ist in der Regel ein bestimmter 
äußerer oder innerer Effekt^ eine gewisse physische oder 
psychische Veränderung. Dieser Zweck wird angestrebt, ver- 
folgt, weil, unmittelbar oder mittelbar, ein unlustvoU«' Zustand 
dazu antreibt, oder auch deshalb, weil das Angestrebte Lust 
verheißt, oder endlich, weil die Unterlassung der Handlung 
schon in der bloßen Vorstellung davon Unlust^ Unbehagen 
erweckt, so z. B. wenn es sich um eine zu eif&llende Pflicht 
handelt. Keineswegs aber steht die Sache so, wie ein extremer 
nHedonismus" oder subjektiver nEudämonismus" sie darstellt, 
nämlich als ob etwa stets und überall die Gewinnung von 
Lust oder Glfick den einzigen wahren Zweck menschlichen 
Handelns bildete. Gewiß kommt es zuweilen vor, daß etwas 
rein nur aus dem Lust- oder Glücksstreben heraus gewollt 
und getan wird, oder daß der Genuß als solcher das Willens- 
ziel, den Zweck des Handelns bildet In der Regel jedoch 
wird nicht ein bloßer Gefühlszustand, sondern etwas, woran 
nch ein solcher heftet, erstrebt, bezweckt, sei dies auch nur 
eine gewisse Kraftbetätigung, wie bei den funktionellen Be- 
dürfnissen. Triebfeder und Zweck der Handlung sind also 
nidit immer identisch. Das im Streben selbst lieg-ende, 
treibende Gefühlsmoment ist von dem Strebung-sziel wohl zu 
unterscheiden, mag es auch an dasselbe als Zeichen oder Folge 



*) Vgl. thm den Wertbegiriff die Arbeiten von Bmefee, Ekitnfela, 
Mantmgt Krabig, Mo», ChUMuid, (MuM, WMObani, Biekert, 
B. Ckristiamen, J. Cohn, Mümterberg, F, Krüj^, F. fiMd, EöUßämg, 
Mbkut, Mdiemann, OnKUmo, Hiebsaehe tt. a. 



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144 



n. Spesddler TcO. 



geknüpft sein. Die Lust an oder zu etwas in der Vorstellungf 
Vorweggfenommenem ist nicht identisch mit dem Zweck der 
Handlung, ist nicht das Wülcnszicl selbst. Aber Lust und 
Unlust ieblen in keiner Wülensbandlung; die bloße Vorstellung 
oder das reine Denken genügt noch nicht» um den Willen 
auszulösen, anzutreiben. Ein Gefühlselement ist für die Moti- 
vation des Willens unerläßlich, so schwach es auch mitunter 
sein mag. 1^ muß aber nicht gerade sinnliche Lust oder 
Unlust sein, vas zum Handeln antreibt, auch „geistige", ideelle 
Vorstellungs- oder Urteilsgefühle können als Xriebfedeni im 
„Wettstreit der Motive" zur Geltung gelangen, und neben 
egoistischen erweisen sich vielfach auch altruistische und 
soziale, sowie „ideale" Gefühle ethischer, religiöser und anderer 
Art als wirksam. Das Streben nach Lust schlechthin oder 
nach „Glück" ist nur ein Spezialfall des auf verschiedene 
Ziele eingestellten, niannig-fache Zwecke verfolgenden Willens, 
ebenso das Streben nach Freisein von Unlust. Da nicht alles, 
was Lust erregt, wahrhaft, objektiv zweckmäßijr ist, und da als 
Mittel zum Zweck auch vielfach Unlustvolles mitg-ewollt werden 
muß, so iieg"t es auf der Hand, daß ein universales Streben 
nach Lust schlechthin, nach Lust um jeden Preis oder nach 
Abwehr jeder Unlust sowohl in individueller wie in genereller 
und sozialer Hinsicht unzweckmäßisr- ist, im Gegensatze zur 
Erhaltungs- und Entwicklungstendenz steht, ja oft das, was es 
erreichen will, die Lust oder das ,,Glück*', verfehlt.*) 

In den Trieben, welche der Erhaltung und Entwicklung 
der Lebewesen dienen, machen sich gewisse Bedürfnisse geltend. 
Sie erzeugen einen Drang nach ihrer Befriediq-ung-. Diese 
Bedürfnisse sind Zeichen für Mängel, Störungen, Hemmungen, 
für zu schnellen, starken oder aber zu langsamen, geringen 

*) Nach Wundt ist die Lust nicht der Zweck, sondern das nächste 
Maß des Wertes oder Grades d«r Gftter und zugleich eine onentbehr- 
Uche Triebfeder zur Erstrebung dersdben. „Aber das Gut ist ni^ 

deshalb ein Gut, weil es erfreut, sondern es erfreut, weil es ein Gut 
ist" (System der Philosophie II *, 1907, S. 231). Vgl. die Arbeiten von 
l^auisen, Thiüy, Unold u. a. Manche guten Argumente für den EudämoiUB- 
mus bringt E. Becher, Die Grundfrage der Ethik, 1908. 



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Achtet Kftpitd. Der Zwedi in der Pa^diolocle. 



145 



Eaergieverbrauch, und die aus ihnen entspxing'enden Triebe 
zielen auf die Beseitigung- der subjektiv empfundenen orga» 
nischen Unzweckmäßig'keiten ab. Die Entwicklung* der Gattung 
wie des Einzelwesens hat eine im ganzen objektive Zweck- 
mäßigkeit der Triebe und ihrer Wirkungen zur Folge. Da- 
neben aber gibt es auch Triebe, welche ihr Ziel verfehlen 
lassen oder welche durch ihre einseitig sich vordrängende 
Gewalt g-eradezu schädlich werden, indem sie anderen lebens- 
fördernden Trieben Abbruch tun oder durch ihre Wirkungen 
die Erhaltung oder Entwicklung der psychisch-physischen 
Organisation gefährden. Das normale Verhältnis kehrt sich 
hier um: anstatt der psychisch-organischen Einheit des Gesamt- 
organismus zu dienen, dem Erhaltungs- und Entwicklungs- 
streben desselben sich einzugliedern, werden solche einseitig 
oder übermäßigf hervortretenden Triebe zu eigenen Strebens- 
Zentren, die den Org-anismüs und dessen „Gruudwillen" unter- 
jochen und zuweilen sog"ar zerstören. Wo dies der Fall ist, 
da fehlt es an einer gfenüg-enden Kraft psychischer Selbst- 
regulierung, der Beherrschung, Lenkung, Hemmung, Ab- 
leitung übermäßiger Triebe durch den auf die harmonische 
Einheit und Ganzheit der Lebensentfaltung gerichteten aktiven 
Willen, der im Gegensatz zu den blinden Trieben die Fähig- 
keit der Voraussicht hat und Erfahrungen verschiedenster Art 
zu verwerten weiß. Es handelt sich natürlich nicht um die 
völlige Unterdrückung der für den Lebensprozeß unentbehr- 
lichen Triebe, sondern um eine möglichste Beseitigung der 
ungünstigen Verhältnisse, unter denen sich abnorme, einseitige 
Triebe bilden, sowie um die zweckvolle Anpassung der 
Triebe aneinander und an den Grundwillen des Sub- 
jekts. Die bei verschiedenen Menschen in verschiedenem 
Maße auftretende Fähigkeit, sich durch die eigenen Triebe, 
das eigene Wollen nicht einseitig binden zu lassen*) und die 
Ziele des „Vernunftwiilens" auch starken Impulsen gegenüber 
aufrechtzuerhalten und durchzusetzen, bildet den Kern dessen, 
was mau unter Willensfreiheit zu verstehen hat, und ist 



*) Vgl. A'. Jod, Der freie WiUc, iy>8. 

Eisler, Der Zveck. 



10 



146 



n. SpedeOcr TeO. 



ein höchst bedeutsamer Entwicklungsfaktor. Der bewußte 
„Wille zur Freiheit" setzt sich das Maximum der Herr- 
schaft des Ich über seine Triebe und EinzelwoUung-en 
zum Zweck und verwirklicht so immer mehr die Idee der 
l?'reiheit. — 

Was nun die Psychologie des Zweckbewußtseins als 
solchen betrifft, so entwickelt es sich aus einem erst ganz 
vag"en, dumpfen Streben, welches auf (Trundlage eines als 
störend, unangemessen, unbehaglich, unangenehm empfundenen 
Zustandes auftritt und auf die Beseitigung oder Abwehr dieses 
Zustandes gerichtet ist. Erst dann, wenn die Beseitigung der 
Störung oder Spannung gelungen ist und infolge der ziel- 
strebigen Reaktion ein Gefühl der Lust oder der Lösung auf- 
tritt, kommt es auf Grund einer Assoziation des Strebens 
oder Triebes mit einer bestimmten Empfindung oder Vor- 
stellung zur Richtung des Strebens und der Reaktion auf ein 
bestimmtes, objektives Ziel. Das Kmd begehrt nun etwa die 
Nahrung, weil deren Vorstellung die Erwartung der Befriedi- 
gung des Sättigungstriebes durch das Verzehren derselben 
auslöst. Die seelische Entwicklung nimmt dann einen solchen 
Verlauf, daß die Reihe der Mittel und Zwecke immer größer 
wird, daß sich immer neue Zwischenglieder in dieselbe ein- 
schieben, daß aus Zwecken Mittel zu entfernteren Zwecken 
werden, wobei alle objektiven und äußeren, mittelbaren immer 
auch mit subjektiven, inneren, unmittelbaren Zielen zusammen- 
hängen und das (sinnliche oder geistige) Gefühlsmoment die 
Rolle zwar meist nicht des Zweckes, wohl aber der allgemeinen 
Triebfeder alles Strebens und aller Zwecksetzung spielt. An 
die Stelle bloßer Assoziationen treten später apperzeptive 
Verbindungen. Das Empfinden und Vorstellen wird durch 
ein Denken und Schließen ergänzt, welches gestattet, 
größere Zweckreihen geistig zu umspannen, zielbewußt 
und planmäßig zu verfahren, nicht uhne bedeutsamen An- 
teil der kombinierenden und produktiven Phantasie. Aus 
der dumpfen, vagen, impulsiven, elementaren, primären Ziel- 
strebigkeit geht so die reflexive, vollbewußte, aktive 
Zwecksetzung und Zweckhandlung, die auf denkender Ver- 



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Adiles Kapitd. Der Zweck in der Ftydwiogie. 147 



arbcitungf von Erfahrung'en und auf einem Vorausblick in 
zukünftige Möglichkeiten und Notwendigkeiten, auf der Er- 
kenntnis der Gesetze des Geschehens in der äußeren . und 
inneren Natur beruhende, planmäßige Verwirklichung von 
sinnlichen und geistigen, inateriellen und ideellen oder idealen 
Zielen hervor. Das teleologische Denken ist nun wirk- 
sam; es richtet sich auf immer weitere Gebiete des Handelns 
und wird immer feiner, genauer, zutreffender, richt^fer. Man 
reagiert nun nicht bloß auf eine momentane, unerwartete, von 
außen sich ergebende Situation, sondern das Ich setzt sich 
jetzt spontan, aktiv, ohne erst durch einen äußeren Reiz dazu 
genötigt zu werden, Zwecke und denkt über die tauglichsten 
Mittel zu deren Erreichung nach. Es stellt sich bestimmte, 
mehr oder weniger komplizierte, theoretische oder praktische 
Probleme. So gestaltet es sein Leben aktiv und frei, aus 
der ganzen Fülle und Kraft seiner einheitlichen, zentrali- 
sierten Org-anisation heraus. Nun ist nicht mehr der bloße 
Triebwille wirksam, sondern der von Wertgedanken, Ideen, 
Idealen, Normen geleitete aktive Vernunftwille, der regu- 
lierend und dirigierend das äußere und innere Leben be- 
einflußt und es, soweit ps die Verhältnisse ermög-lichcn, zweck- 
mäßig gestaltet.*) Der Vernunftwille unterordnet das Handeln 
den Gesetzen der Logik, der teleologischen Logik ins- 
besondere, welche einheitlichen Zusammenhang der 
Zwecksetzungen untereinander gebieterisch fordert und 
das subjektive Wollen und Handeln in die Sphäre des 
Allgemeingültigen , Objektiven erhebt. Die Autonomie, 
Selbstgesetzgebung des idealen Vernunftwillens erweist sich 
so als der tiefste Grund , die Forderung desselben als 
der oberste Maßstab der Normalität des Wollens und 
Handelns. 

Die Seele verdient als Ganzes den ihr von Aristoteles 
beigelegten Namen der „ersten Entelechie". Sie ist die Ein- 
heit von Tendenzen, die ihr Ziel in sich haben und auf dessen 
Realisierung gerichtet sind. Sie ist weder eine vom leiblichen 



*) Vgl P. Natorp, Stanunier n. a. 

10* 



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148 



n. SpeiieUer Teil. 



Oxganismus getrennt existierende, atomistisc^-emfache Sub- 
stanz oder Kraf^ noch die bloße Summe oder ein bloßer 
Komplex oder ein nBündel" elementarer, für sich bestehender 
und wirk<;amer Vorgange. Die psychischen Geschehnisse sind 
nicht selbständig wirJcBame Kräfte, gewissermaßen selbst kleine 
Seelen, sondern wir sind genötigt, sie als Funktionen einer 
aktualen Einheit zu denken. Diese hat allerdings nicht vor 
oder hinter ihnen Bestand, sondern ist eine Einheit, die sich 
in dem stetigen Zusammenhang und Ablauf der Bewußtseins- 
zostande selbst entfaltet, setzt und erhält. Sie „setzt" sich als 
das aktuelle „Subjekt", das sich von den Objekten seiner 
Tätig"keit unterscheidet, und das die Mannig-faltigkeit seiner 
Erlebnisse (direkt oder iudirekt, rein funktional oder reflexiv) 
auf seine in diesen selbst zur Geltung- kommende Identität 
und Permanenz bezieht, indem es sie immer wieder zur Ein- 
heit des Ich zusammenfaßt. Die Einheit der Seele bedeutet 
also nicht mathematische Einfachheit, nichts numerisch Ein- 
heitliches, sonderu schließt eine Mannigffaltig-keit von Momenten 
und Zuständen ein. Sie ist eine Einheit formaler Art, aber 
freilich nicht bloß eine gedachte passive Einheit wie die der 
Objekte der äußeren Erfahrung, sondern eine sich unmittelbar 
selbst setzende, denkende, aktiv-reaktive Einheit, nach deren 
Muster wir dann auch die Einheit des fremden „innenseins" 
denken und fremde Seelen oder Subjekte denkend setzen. 
Der seelischen Einheit entspricht auf der physischen Seite 
des Organismus die Einheitlichkeit des organischen 
Verbandes und sein er Funktionen, deren stetiger Ablauf 
das Seitenstück zur Stetigkeit des psychischen Zusammenhanges 
bildet. Teleologisch betrachtet, ist die Seele ein einheit- 
licher Zusammenhang zielstrebiger Reaktionen und 
Aktionen,*) welche Momente, Phasen einer „Selbstentwick- 

, . •) Nach DiUhey ist der „seelische Strukturzusammenhang" ein Zu- 
sammenhang, welcher IjebensfOUe^ Triebbefriedigung und Glftck m ei^ 
wirken die Tendenz hat, ein ^weGkauammenhang", den wir als solchen 

nnmittelbar erleben, und nach dessen Analogie wir das fremde Geistes- 
leben deuten, verstehen. — Nach Münsterberg besteht die volle geistige 
Realität aus stellungnehmenden, wollenden, zwecksetzenden Subjekten, 



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Achtes Kapitel. Der Zweck ia der Psychologie. 



149 



lung*' sind, einea unnnterbroclieneii, stetigen Fortschreitens 
von einem Ziele zum anderen, so aber, daß spezielle Ziele 
erat im Laufe dieser Entwiddung und schon durch sie be- 
dingt, gezeitigt auftreten. Die Seele rankt sich gleichsam an 
ihren Zielen und Erfolgen empor; sie ist ein Prinzip der 
Selbststeigerung, sie formt sich selbst in einer als „schöpfe- 
risch'* zu bezeichnenden Weise; sie wachst gleidisam von 
innen aus» wenn auch immer wieder von aufien angeregt und 
bestimmt. Sie organisiert, differenziert und integriert oder 
synthetisiert sich bis zu einer gewissen Hohe, und diese p«y' 
diische Selbstgestaltung, die natürlich schon eine gewisse 
Qrganisationsstufe zur Bedingung hat, kommt zugleich in einer 
Steigerung der physischen Organisation, insbesondere der 
Struktur und Leistungen des Zentralnervensystems, zum sicht- 
baren Ausdruck, zur Exschdnung, zur Objektivation. Ein Prozeß 
abwechselnder Evolution und Involution {Wundt^ findet hier 
statt, demzufolge immer wieder mehr oder weniger bewußte 
und aktive Zielsetzungen durch Gewohnheit und Übung auto- 
matisch, relativ unbewußt werden, und umgekehrt auf Grund 
mechanisierter Prozesse neue Zielstrebigkeiten erwachsen. Aber 
das Finale, Zielstrebige fehlt der psychischen Entfaltung nie- 
mals;*) alles geschieht in der Seele auf dem Unteigrunde von 

deren Verhalten wir lediglich durch Interpretation und Wertbeorteiloiig 
ihrer Ziele und Meinungen verstehen können. 

*) Das immanent-teleologische Moment des Psychischen betonen 
Schopenhauer, «. Mmtmann, Steinthal, SiguMori, Spencer, MmaneB, Jamet, 
8UnU, Baldwin, Dexcey, F. C. S. Schüler, FouilUe, Bibot, Bergeon, Lttcquet, 
Dilthey, J. Schultz, Kohnstamm, Pauly, Ebbinghaus, Jerusalem, Avenariu», 
Mach, H. Maier, Jodl, Wundt, Driesch u. a. So besonders auch Vaihinger, 
welcher erklärt, s&mtliche psychischen Prozesse seien zweckmäßig 
(Die Philosophie des Als Ob, igir, S. iff., s. Aull. 191^ „Die Ptoyehe 
ist eine organische Gestaltungskraft, welche das Aufgenommene 
'^elb'^Ondig zweckmäßig verarbeitet und ebensosehr das Fremde sich 
anpaßt, wie sie sich selbst dem Neuen anzupassen vermag." — Vgl. 
dagegen K. 0. Bai^, Der Zweckbegriff im psychologischen und er- 
kenntniatheoretischen Denken, Wissensch. Beilage der PhÜot. GeseD- 
sduift zu V^en, 1910 (treffende Bemerkongen gegen eine elnseitit^ 
Teleologie, aber in der Negiemng aller Bedeutung des c^likativen 
ZwecUx^riffs zu weit gehend). 



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150 



n. Spezieller Teil. 



Tendenzen, die beständig* auf etwas gerichtet sind, mögen sie 
und ihre Ziele nun zu deutlichem, gesondertem Bewußtsein 
kommen, oder mögen sich diese Tendenzen nur als dumpfer, 
verworrener Drang* oder nur durch ihre Gefühlswirkungen be- 
merkbar machen. Der wStrom des Bewußtseins" hat stets eine 
bestimmte Richtung, die eine Resultante der Partialtendenzen 
des seelisdien Lebens ist, selbst aber wieder die psjrchischen 
Reaktionen beeinflußt. Diese Partialtendenzen stehen in be- 
standiger Wechselwirkung^ miteinander. Teils hemmen sie, 
teils unterstutzen und verstärken sie einander; sie wirken «n- 
ander entg^^en, durchkreuzen sich, oder sie gehen Ver- 
bindung-en ein, aus denen qualitativ neue Grebilde entspringen. 
Wie denn überhaupt im Ablauf des seelischen Lebens keine 
spatere Phase völlig* den früheren g-leicht, so daß man mit 
Recht von einer «ysohöpferischen Synthese" und einem „Wachs* 
tum geistiger Energie" (TFwuft) oder von „schöpferischer Ent- 
wicklung" (J^ Ber^to») spricht, indem man dem Aoftreten 
immer neuer Formen, Qualitäten und Werte durch die 
^)aychische) Entwi<^ung des einzelnen wie der Gattung 
Rechnung* trägt — 

Eine besondere Rolle spielt der Zweckbegriff in der 
ang'ewandten Psycholog'ie als einer JPsychotedinik". 
Hier handelt es sich um die Verwntung* psychologischer Er- 
kenntnisse im Dienste bestimmter praktischer Zwecke, welche 
mit psychischen Mitteln verwirklicht werden sollen. Die 
Psychotechnik als angewandte Wissenschaft hat zu zeig-en, 
„wie g'e wisse Ziele, die dem Menschen wertvoll sind, dorch 
die Beherrschung* des seelischen Mechanismus beherrscht 
werden können" {MUnstarberg), Ob jene Ziele selber richtig, 
wertvoll sind, kümmert die angewandte Psychologie nicht 
Sie sagt nur, was man tun muß, wenn man ein bestimmtes 
Ziel erreichen will, welches also als gegeben betrachtet wird. 
Auf diese Weise lassen sich, gestützt auf psychologische 
Experimente, wertvolle Fingerzeige für die verschiedensten 
Tätigkeiten geben, für das Erlernen eines Stoffes wie für das 
Lehren desselben, für die möglichst sichere und schnelle, dem 
„energetischen Imperativ" gemäße, psychophysische Arbeit 



Achtes Kapitel. Der Zweck Id der Psychologie. 



151 



ersparende Herstellang' yoD Gutenit für das zweckmäßigste 
Veifahren auf wlrtschaftlichein Grebiete usw.") Diese „Psycho- 
technik" ist dne Riditung der Zweckbetätigimg, die im 
Dienste der Kultoridee, als der Idee aktiver Formung des 
Gegebenen, stdit. 



*) Vgl. Mümterberg, Psychologie nnd Wirtschaftsl^CQ, zpia; Stern, 
Differentielle Psychologie, 1911. 



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Neuntes Kapitel. 

Der Zweck in den Geistes- und Knltarwigsensdiaften« 

Das Geistesleben im enteren, höheren Sinne ist zwar 
ivie alles Psychische das „Innensein'* derjenigfen Wirklichkeit, 
die vom Standpunkt äußerer Erfahrung* sich als körperlich 
darstellt, also nicht eine zweite Welt im Sinne des meta- 
physischen Dualismus, die getrennt von allem Physischen zu 
bestehen und zu wirken vermag*. Aber es bedeutet dieses 
Geistesleben doch auch so noch eine eigene, besondere Sphäre 
des Seins und Wirkens, einerseits g'eg-enüber der äußeren 
Natur, der Welt der Objekte sinnlich vermittelter Erfahrung* 
und unmittelbarer Erkenntnis, wie sie als ein Inbegriff von 
Koipem und phjnnschen Vorg-ang-en g^edacht wird, anderseits 
im Unterschiede von allem naturhaft Psychischen selbst, vom 
Sinnlichen, Triebhaften, rein Assoziativen, vom bloß reaktiv 
und automatisch g*ewordenen, mechanisierten Psychischen. 
Mit diesem sowie mit dem assoziativen, reaktiven Seelenleben 
steht das Geistige in Wechselwirkung- : es wird von den sinn- 
lichen, triebhaften Regfungen, von den Empfindung'en, Wahr- 
nehmungfen, Erinnerung-svorstellung-en , von den sinnlichen 
Gefühlen, von unterbewußten und relativ unbewußten Zuständen 
und Vorg-äng-en kausal beeinflußt und es modifiziert selbst den 
Ablauf und die Richtung des niederen seelischen (xeschehens. 
Der Geist als Inbegriff aktiver Bewußtseinstätigkeiten, wie sie 
in der produktiven Phantasie, im analytisch - synthetischen 
Denken und im zielbewußten, vernünftig-en Wollen, in der 
g-estaltenden, wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen, 
sittlichen Aktivität sich bekunden, steht so in einem gewissen 
Geg-ensatz zur „Psyche", dem Seelenhaften im engeren Sinne, 
demgegenüber er zwar keine eigene Substanz oder real ver- 



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Neuntn K«pitd. Der Zweck in den Gcistei' nnd KdtmnriMeiudMfteii. 153 



schiedene Potenz, aber eine beaondefe Tätig^keits-, Daseins- 
und Entwicklnngsatufe bedeutet Wie alles Psychische im 
weitesten Sinne hat der Geist seine physische Aufiensdte 
oder Erscheinung-. Durch diese steht er direkt mit der 
äußeren Natur in Wechselwirkung', während er zugfleich — vom 
Standpunkt der inneren Erfahrung- und der ihr gemsSen. 
Deutung- des Seins als Fürsichsein — mit dem Innensein 
ebenderselben Natur in kausalem Verkehre steht Der Greist 
wirkt auf dieses Innensein des Physischen und wird von 
diesem beeinflußt 

Teleologisch betrachtet ist der „Geist" ein Zusammenhang* 
von aktiven Zwecksetzungen und von zielstrebigen Tätig- 
keiten, deren Erzeugnisse und Resultate, in ihrer Unmittel- 
barkeit genommen, ebenfalls etwas „Geistiges" sind. Der 
Begriff der Kausalität aber verliert in den Geisteswissen- 
schaften keineswegs seine Bedeutung; denn die geistigen 
Akte und deren Produkte lassen genau so wie die Vorgängie 
in der Natur eine Zurückführung auf bestimmte Ursachen 2tt» 
sei es auf andere Geistestätigkeiten, sei es auf innere und 
äußere Faktoren, aus deren Zusammenwuicen die Entstehung- 
g-eistiger Gebilde und Errungenschaften zu erklären ist 
Neben den rein psychischen Ursachen geistiger Taten und 
Veränderungen sind auch die naturhaften und sozialen Be- 
dingungen dieser aufzuzeigen; es ist in allen Fällen ein 
methodologisches Postulat, soweit als möghch die Tatsachen 
des Geisteslebens , des individuellen wie des kollektiven 
(sozialen), in einen kausal geordneten Zusammenhang 
zu bringen. Der Umstand, daß hier Zwecksetzungen, 
Wertungfen und Norinierung"en teilweise eine große Rolle 
spielen, tut nicht das geringste zur Sache, hebt die Allgemein- 
gültigkeit der Kausalität keineswegs auf. Bevor wir daran 
gehen, geistige Leistungen und Gebilde zu werten, kritisch 
zu beurteilen, können und müssen wir auch ein Interesse 
daran haben, das Geistesleben überhaupt und in seiner Spe- 
ziahsierung so zu erkennen, wie es tatsächlich ist, es zu 
analysieren, in seinem Werden, in seiner Entwicklung zu 
verfolgen und nach den konstanten und variablen Faktoren 



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154 



n. Speddlcr Tdl. 



dieses Werdens zu fragen. Es mögen sich auf geistigem Gre- 
biete aucli nicht so viele und so exakt formnUerbare, strenge 
Gesetze wie in der Natur entdecken lassen, weil hier die 
Komplikation und Dorchkreuzung- des Geschehens, femer 
irrationeile Faktoren wie die mehr hervortretende Individua- 
lität, der „Zufall", die Rückwirkung der Wirkungfen und 
Produkte des Geiste"^ auf ihn selbst, die „schöpferische Ent> 
Wicklung" und das Wachstum geistiger Energie mehr Varia- 
tion in das Geschehen bringen und dieses weniger der Voraus- 
sicht zugänglich machen. Aber es fehlt doch auch hier nicht 
die Möglichkeit, immer mehr und immer umfassendere Gesetz- 
mäßigkeiten, Regelmäßigkeiten und Entwicklungstendenzen 
durch methodische Verarbeitung des Erfahrungsmatenals nach 
dem Leitfaden der Kausalität zu finden. 

Daß ein großer Teil der geistigen ££Eekte das Ziel eines 
mehr oder weniger bewußten Strebens und Wollens bildet, 
wobei aber das Prinzip der Heterogonie der Zwecke wohl 
zu beachten ist,*) ändert nichts an der ursächlichen Bedingt- 
heit alles geistigen Schaffens und Handelns. Gewiß, „ver- 
stehen'' können wir den Sinn und innersten Grund geistigen 
Wirkens nur aus dessen Zielen und Motiven, aber erklären 
müssen wir es zugleich durch den Nachweis der Zustände 
und Vorgänge t3rpischer oder besonderer Art, auf welche 
jenes Wirken mit psychologischer Notwendigkeit erfolgt. 
Das theoretische, logische Bedürfnis, für alles Geschehen 
einen zureichenden Realgrund zu suchen und zu finden, um 
einen einheitlich geordneten Zusammenhang der Erfahrungs- 
inhalte zu gewinnen, regt sich gebieterisch auch dann, wenn 
es sich um g-eistig^e Vorgänge oder Akte handelt. Die teleo- 
logische BetrachtunjTswcisc, die ja g"e\viß in den (xelsteswissen- 
schaften eine noch größere Rolle als in den Naturwissen- 

*) Es verbinden sich, nach Wiindt, die einzelnen Zwcckhandlungen 
zu einer „Zweckreihe, in der die Erfolge fortan qualitativ und quantitativ 
sn Umfang teflndunen, weil zwischen die dnzehien Glieder Immer 
wieder eine inteUektuelle Verarbeitimg der erreichten Erfolge sich ein- 
schiebt, die aus ihnen neue inhaltreichere Motive entspringen lifit". 
(System der Philosophie I*, 1907, S. 336f.) 



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Neuntes Kapitel. Der Zweck in den Geistes- und Kulturwissenschaften. X55 



Schäften spielt; stellt dem geisteswissenschaffiliclieii Kausalis- 
mufl nicht im Wege. Wir wissen ja bereits, daß äe, als ex- 
plikative Teleologie, geradezu dazu dient, die Kansal- 
forachung' zu fordern, und daß sie den Begriff einer teleo* 
logischen Kausalität zeitigt, dem gemäß als kausale 
Faktoren des Geschehens direkt oder indirekt zielstrebige Akte 
einzusetzen dnd. Das Reich des Geistes ist ein Reich, in 
welchem Stellungnahmen, WoUungeo, Zwecksetzungen die 
Herrschaft haben; aber diese Akte haben auch alle ihre be- 
dingenden und aualosenden „Ursachen" und stehen selbst 
miteinander in einem kausalen Znsammenhang, auch da, 
wo sie als Mittel zur Verwirklichung von Zwecken bettachtet 
und aus diesen Zwecken heraus gedeutet werden. Die Frage 
nach dem „Wozu**, nach dem nSinn** des geistigen Wirkens 
und Seins, nach dem Gehalt und der Bedeutung, dem Wert 
desselben bringt eine fundamentale, eigene Methode der 
Untersuchung mit sich, aber sie macht die Forschung nach 
dem kausalen Warum nicht überflüssig, so scharf sie auch 
von dem Gesichtspunkt der Kausalität, audi der teleologischen, 
unterschieden ist 

Die Betrachtung des geistigen SchafEens und Handelns 
unter dem Gesichtspunkt der Kausalität und kausalen Gesetz- 
lichkeit ist keineswegs eine bloße Übertragung naturwissen- 
schaftlioher Denk- und Forschimgsweise auf das Geistesleben, 
sie bedeutet keinen, der Eigenart und Eigengesetzlichkdt 
des letzteren nicht genügend Rechnung tragenden, „Naturalis- 
mus**. Der Grundsatz der Kausalität ist nicht erst aus der 
naturwissenschaftlidien Erfahrung oder Erkenntnis geschöpft, 
sondern er ist selbst eine apriorische Bedingung dieser Er- 
fahrung und ihrer Objekte, und ebenso bildet er eine logische 
Voraussetzung der psychologischen und geisteswissenschaft- 
lichen Erfahrung und Erkenntnis. Er ist ein Postulat, welches 
das Denken an alles Material des Forschens heranbringt, und 
edmhsic dieses immer wieder fügt. Aber nur der allgemeine 
Satz, daß jedes Geschehen eine Ursache in bestimmten anderen 
Vorgängen haben muß, ist apriorisch und allgemeingültig. 
Die einzelnen, besonderen, konkreten Ursachen lassen sich 



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156 



IL Spendier Teil. 



nur durch denkende, mediodisolie Verarbeitung' des Erfahmng«- 
matetialB erkennen, bestimmen. Die BesdiaSenheit dieser 
Ursachen und der Gesetzlichkeit ihrer Verknüpfung mit den 
Wirkungen richtet sich ganz nach der Besen derung* dieses 
Materials. Die geisteswissenschaftliche Erfahrung' unteF- 
scheidet sich nun von der naturwissenschaftlichen in wichtigen 
Punkten, und dies ist auch ohne eine dualistische Wel^ 
anschauung sehr begreiflich. Denn sie ergibt sich aus einem 
gfanz anderen Stand- und Zielpunkt der Betrachtung des Ge- 
g'ebenen, welches in seiner qualitativen Unmittelbarkeit und 
als Glied von Bewußtseinszusammenhängen, bzw. als Erzeug^nis 
des Bewußtseins, aufg'efaßt und verarbeitet wird. So kommt es, 
daß sich hier von den quantitativen, mechanisch oder energetiscdi 
kausalen Relationen, auf welche die Naturwissenschaft ge- 
nötigt ist, das Gegebene zurückzuführen, nichts findet, also 
auch nichts von eoei^etischer Äquivalenz und Konstanz u. dgl., 
welches alles eben nur für die physische Außenseite, für die 
Objektivation des Geistigen gilf**) 

Dazu kommt nun aber noch der wichtige Umstand, daß 
das geistige Wirken im engeren Sinne, das theoretisch^ 
praktische und künstlerische Schaffen, eine Aktivität, Frei- 
heit, Planmäßigkeit aufweist, die wir in der äußeren, unter- 
menschlichen Natur nicht finden, die eine besondere seelische 
Organisation voraussetzt und nicht in der anorganisch- 
mechanischen, sondern nur in der organischen Kausalität 
(als einer höheren Form der Naturkausalität) ihr physisches 
Korrelat besitzt. Berücksichtigen wir die Kig-engesetzlich- 
keit dieser organischen Kausalität, insbesondere in ihrer 
spezitisch menschlichen Form und vollends g-ar :ii deren 
individueller, personaler Ausprägung, dann sehen wir em, wie 
die Aktivität und Freiheit, die Autonomie des Geistes sowie 
die schöpferische Wirksamkeit desselben keinen Widerspruch 
zur theoretischen Unterordnung- des geistigen Geschehens 
und seiner Außenseite unter das formale Prinzip der all- 
gemeinen Kausalität büden. Es braucht im Geistesieben 



*) So besonders Wtmdt. 



NeuDMi Kiqpitd. Der Zveek In den Geiitet- nad KultorwiMenidwfteii. 157 



keineswegs bloß die äußere Notwendigkeit des mechanischen 
„Zwanges**, des blinden Müssens ta. walten, es bleibt Raum 
für ein Wollen und Tun auf Grund ideengemäßer, selbst- 
eigener, autonomer Wertung, Zielsetzung, vernünftiger Er^ 
wäg^g, Voraussicht Die geschlossene Einheit des rdifen, 
entfalteten, aktiven Selbstbewußtseins kann änßeren und 
innren Reizen und Motiven sich wirksam entgegensetzen, 
durchsetzen, ohne daß dies an der Bedingtheit alles geistigen 
Geschehens durch Faktoren, die als (auslösende) Ursachen zu 
bestimmen sind, etwas ändert Aktives und passives Ver- 
halten, Freiheit und Zwang sind Gregensätze, die zusammen 
unter den ihnen allen übergeordneten oder gemeinsamen 
Begriff der Kausalität überhaupt fallen. 

Wenn man nun dem Sein das Sollen entgegenstellt, 
welches eine andere Gesetzlichkeit einschließt, die eine nicht 

« 

kausale, sondern normativ - teleologische Notwendig- 
keit bedeutet, so ist man ja damit vollkommen im Rechte, 
aber die konstituierende, grundlegfende Bedeutung- der Kau- 
salität für die geisteswissenschaftliche Erfahrung bleibt trotz- 
dem gewahrt Denn das Bewußtsein des Sollens ist wie die 
SoUensforderung selbst ein geistiger Vorgang, der seine kau- 
salen Bedingungen und, als psychische Ursache, seine 
Wirkungen hat, indem das Normbewußtsein unter günstigen 
äußeren und inneren Verhältnissen als Motiv zu Willens- 
handlungen antreibt, durch die das Sein modifiziert werden 
kann.*) In ebensolcher Weise erhalten Ideen und Ideale 
Einfluß auf die Richtung des individuellen und sozialen Lebens; 
der Wille, dessen Ziele sie bilden, wird zur Ursache von 
ideengemäßen Veränderungen in der Außen- oder Innenwelt 
in der Geschichte, Gesellschaft usw. Es gehört eben zum 
Wesen des Geistigen, auf ein Ideelles und Ideales gerichtet 
zu sein, und es hat infoige seiner, auch physisch zum Aus- 
druck kommenden Organisation die Macht, Ideen, Ideales zu 
realisieren. Gewolltes, Bezwecktes, Gewertetes, Gefordertes, 



*)Vg|L Wwiddbmii, PrSludien« 1911; M. Adkr, Manüitiiehe 
Probleme, 19x3. 



158 



n. SperieUer Tdl. 



kurz alle Arten eines noch nicht real, aktuell Existierenden, 
aber in der Idee, im Bewußtsein Antizipierbaren ins reale 
Dasein zu setzen, zu verwirklichen oder, genauer, das Seiende 
nach idealen Musterbildern möglichst konform su 
gf estalten.*) Was erst sein wird oder auch was nie war 
mid ist, aber zeitlos g^ilt und Wert hat, kann so, als Inhalt 
des individuellen oder des Gesamtgfeistes, das Sein oder die 
Richtung" des Werdens bestimmen. Es selbst, das Ideale 
als solches, untersteht freilich nicht der Kausalität, die ja 
immer nur für physische oder psychische Vorgänge gilt ; es ist 
nicht „bewirkt" und es bewirkt nichts direkt, es ist ein „In- 
tellijribles", gehört dem „dritten Reich" {Simmel). einer eipfenea 
Sphäre reiner Gcistesinhalte an, an welchen wir das 
Sein und Wirken messen, das uns also als Norm zur Be- 
wertung des Seienden und als Richtpunkt für das Handeln 
und Gestalten, für die gesamte Kulturtätigkeit dient Aber 
diese idealen Inhalte bestehen nicht etwa außerhalb des 
Geistes überhaupt, sie haben keine von diesem getrennte 
„Existenz"; sie sind dem Geiste immanent, der ja selbst 
schon und nur dadurch „Geist" ist, daß er sie zum Inhalt 
und Gegenstand hat. Der Geist stellt em lebendiges System 
von Zielverwirklichungen dar, gleichsam einen Fokus, der das 
Licht der Ideen auffängt, sammelt und dann reflektiert, indem 
er seine eigene, spezifische Kausalität in den Dienst des 
Idealen, des Rechten, Guten, Seinsollenden stellt So ver- 
schieden die normative Blickeinstellung von der explikativen 
ist, so gibt es doch Brücken zwischen den beiden, vor allem 
dadurch, daß die Bewertung des Seienden und die normierende 
Regelung desselben selbst zu einem bedeutsamen kausalen 
Faktor des Geschehens und der Entwicklung wird. Der 
Geist, dessen ideale Ziele als Normen fungieren, wird 
zum Verwirklicher dieser Normen, zum Transformator 
des Idealen in Reales. 

Die Formung eines Naturhaften, Gegebenen, eines Phy- 
sischen oder eines Psychischen, im Sinne menschlicher Be- 

*) Vgl. V. d. Ffordien, Konfonnismoi, 19x1* 



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Neontes Kaphd. Der 2w«ck in den Gtjrtcs» ttod Kaltanriweeiidiaften. 159 



dorfoisse, Tendenzen, Ziele, Ideen oder Ideale ist das, was 
unter der Kultur im aktiven Sinne sa Teistehen ist, wahrend 
Kultar im Direktiven Sinne den Inbegfnff der Produkte und 
Resultate dieser Kultnrtatigktit und den Zusammenhang der 
Kultuzprodukte oder Kulturwerte bedeutet Kultivierung* ist 
Formung', Veredelung-, Vervollkommnung^ der äußeren oder 
inneren Natur, der Dingfe und deren Wirkungen und Eigen- 
schaften wie auch (dadurch oder direkt) des menschlichen 
Seins und der menschlichen Potenzen, Kräfte, Anlagen, 
Leistungen selbst. Je nach den Kuiturobjekten gibt es eine 
Sach- und eine Personalkultur, eine naturale und Menschheits- 
kultur, äußere Kultur (oder Zivilisation), Real- und Idealkultur, 
technische, ökonomische, ethische, ästhetische, relij^iöse, soziale 
Kultur u. dgL Femer ist von der Halb- die Vollkultur, von 
der Partialkultur die Gesamtkultur zu unterscheiden. Die An- 
lagen zur Kultur sind nicht bei allen Menschen g-Ieich, wenn 
auch das Naturmüieu eine gewisse Rolle spielt. Während die 
„Naturvölker" über gewisse Kulturansätze nicht hinauskommen, 
weil ihr Geistesleben wenig differenziert ist, das Triebhafte, 
Passive, Reaktive, Impulsive, Assoziative überwiegt, die Zukunft 
in geringem Maße antizipiert wird, das Streben immer nur 
auf nächste Ziele sich richtet und die planmäßige Fürsorge 
rudimentär bleibt, findet sich bei den Kulturvölkern ein 
viel aktiveres Verhalten. Der Wille tritt hier dem bloß Trieb- 
haften entgegen; er wkrkt hemmend, regfuUerend, dirigierend; 
er setzt aktiv das Denken in Bewegung, welches immer mehr 
das Handeln durchdringt; er tritt insbesondere als schaffender 
Arbeits- und Gestaltungswille auf, der seiner immer be- 
wußter und immer stärker wird, und der immer mehr Gebiete 
des Seins sich zu unterwerfen sucht.*) Immer mehr werden 
Wirkung-en der kulturellen Tätig^keit, die anfangs nicht vor- 
hergesehen und vorgewollt werden konnten, selbst zu Kultur- 
zwecken. Zugleich erstarken das Kulturbewußtsein und der aktive 
Kulturwille immer mehr; dieser verlangt immer energischer 



*) Vgl Ä. Vierkandt, Naturvölker and KoltanrOlker, 1896; JISBm^ 
Lyer, Phasen der Kultur, 19x11 



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160 



TL Spciidler TeU. 



nach Verwirklichung- der Ktütiirziele. In dem Maße, als die 
Kultur, die Durchdring-unsf der Natur durch den Geist, die 
Vemanft, die aktive Anpassungf der Natur an die Ziele 
des Menschengfeistes, fortschreitet, werden immer neae 
Bedingfung-en g'eschaffen, welche die kulturelle Entwickluogf 
beschleunigen und oft JErfolgB ermöglichen, die noch kurz 
vorher g-anz undenkbar sein mußten. Zugleich werden die 
Unzuträglichkeitent die als Folgen und Nebenwirkungen 
partieller Kultur und in Übergangszeiten leicht auftreten, 
immer mehr selbst zu Motiven der Kulturtätigkeit. Es 
macht sich nun die kompensatorische, kulturelle Selbst- 
regulation geltend; der kulturelle Einheitswille fordert 
gebieterisch die Beseitigung kultureller Widersprüche und 
Einseitigkeiten, die Einheit und harmonische Totalitat der 
Kultur nach allen ihren Richtungen („Kulturkonvergenz": 
Ostwald), Es ist überhaupt eine höchst bedeutsame Er- 
scheinung, daß die Kultur aus einer Reihe von Bedürf- 
nissen und Zielstrebigkeiten erwächst, um dann selbst immer 
neue Bedürfnisse und Zwecksetzungen , aber auch die 
Mittel zur Befriedigung der ersteren, zur Erreichung der 
letzteren zu zeitigen. Die Kultur schläg-t mitunter mehr 
oder weniger schwere Wunden , aber schließlich ist sie 
es nur, die diese Wunden zu heilen vermag; dazu bedarf 
es immer besserer, immer umfassenderer Kultur, einer 
unaufhörlichen kulturellen Reg-ulation und Kompensation. 
Vor allem bedarf es aber einer wahren Menschenkultur, 
der harmonischen Ausbildung aller produktiven, wertvollen 
und wertschaffenden Anlagen und Kräfte des Menschen, 
der Steigerung des intellektuellen , emotionellen und voli- 
tionellen Lebens der Menschen , ihrer Individualität und 
Persönlichkeit wie ihrer Sozialität, ihres Gemeinschaftslebens 
als der beiden Grundfaktoren aller höheren , vollen Kultur 
und zug-leich schon als Resultate der Kultur überhaupt. 
Der äußeren Kultur oder Zivilisation muß eine Verinner- 
lichung des Lebens stets das Gleichgewicht halten , soll 
das reine Kulturideal, größtmögliche Harmonie innerhalb 
reichster Mannigfaltigkeit des äußeren un4 inneren DaseinSf 



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N«nitei KiptteL Der Zweck in de» Gditei* nnd KnltiinriiMBMliilleB. 151 



die mensdiUcbe Entwicklung' leiten, soll diese sich aufwärts 
bewegren. 

Es gibt also eine kulturelle Finalität, einen historisch 
sich entfaltenden Zusammenhang- von Zielstrebig-keiten, von 
Tendenzen, welche Kultur teils unmittelbar zum Zielpunkt, teils 
zum ungewollten Resultat haben, auf dessen Grundlag-e dann 
neue Kulturtendenzen erwachsen, gemäß einem Prinzip der 
Heterogfonie der Kulturzwecke. Die Summe der als objektive 
Kultur zu bezeichnenden Kulturgüter ist das Erzeugnis einer 
wesentlich tcleolog-ischen Kausalität, der Wechselbeziehungen 
zwischen zielstrebigen Aktionen und Reaktionen der Individuen 
und der Gesamtheiten, zu denen sie sich vereinigen. Der 
aus der Wechselwirkung- der Individualgeister erwachsende, 
aber ihnen gegenüber etwas Neues, Einheitliches, Selb- 
ständiges, Übergeordnetes, Autonomes darstellende Gesamt- 
geist, dessen Ziele in den großen Persönlichkeiten, den 
„führenden Geistern" zu besonderer Bewußtheit gelangen 
und durch sie angebahnt und bereichert werden, erzeugt die 
Kultur. 

Die Kulturwissenschaften haben wie alle anderen 
Disziplinen nach den Ursachen und Bedingungen kultureller 
Produktionen zu forschen, die kulturelle Kausalität in allen 
ihren Verzweigungen aufzuspüren, die Kulturvorgänge in einen 
einheitlichen kausalen Zusammenhang zu bringen und mög- 
lichst auch die auf kulturellem Gebiete waltenden Gesetze, 
Rhythmen, Tendenzen, also das relativ Konstante neben dem 
Variablen und Individuellen in der Kultur aufzufinden, wenigstens 
sofern es sich nicht um rein historische Disziplinen handelt. 
Die explikativ -teleologische Betrachtungsweise dient dazu, 
erstens, die kausalen Faktoren der Kulturbewegung vollständiger 
und genauer zu ermitteln, zweitens auch, das kulturelle Sein 
und Geschehen aus dessen Zielen und Zwecken einheitlich 
verständlich zu machen, sinnvoll zu deuten. Es muß also 
untersucht werden, welches die allgemeinen und besonderen 
Ursachen wissenschaftlicher, technischer, ästhetischer, religiöser, 
wirtschaftlicher, sozialer u. a. Leistungen und Gebilde sind, 
unter welchen Umständen sie zustande kommen, welche 

Kitler, Der Zweck. 11 



162 



n. Spcliellcr TdL 



'V^klincren sie haben, wie sie einander gegeoaeitig beein- 
flussen. Es muß aber ebenso g'efragt werden, wozu Kultxu:- 
gfebilde dienen, welchen Sinn, welchen Zweck sie besitzen 
oder einst grehabt haben, oder zu welchen Zwecken sie noch 
verwendet werden können, welche teleologischen Möglichkeiten 
in ihnen stecken, auf welche Ziele die kulturelle Entwicklung 
gerichtet ist, welche Tendenz sie hat Kultarerklärang* im 
kausalen Sinne und Kulturdeutungf erg-änzen einander 
wechselseitig; die letztere führt zur Erkenntnis derzielstrebigfen 
Tätigkeiten, ans welchen kulturelle Schöpfungen direkt oder 
indirekt entspring-en, und die Einsicht in die Ursachen der Ent- 
stehung* und Entwicklung von Kulturgebilden fördert die Erkennt- 
nis der wahren, ursprünglichen und sekundären Zwecke der- 
selben, trägt also zur richtigen Deutung der Kulturgebilde bei. 

Von* den Kulturzwecken ausgehend, gelangt man einer- 
seits zur Erforschung- der Ursachen kultureller Taten, ander- 
seits zu den Kultur ii o rm en. Und da ist nun wieder zu be- 
tonen, daß die Wertung, Kritik, Normierunjj^ teils in impulsiver, 
teils in reflexiv bewußter Form selbst zu den kausalen Fak- 
toren der Kulturentwicklung gehört. Seitens der Individuen, 
der sozialen Gesamtheit und der en;:T-eren Gruppen innerhalb 
dieser wird immer wieder das Verhalten der Menschen und 
die Güte ihrer Leistungen sowie der Wert der durch die Ge- 
samtheit der Generationen geschaffenen Kulturgebilde be- 
urteilt. Es bilden sich auf den verschiedensten Lebensgebieten 
Normen heraus, die zum Teil ausdrücklich formuliert werden, 
und denen das menschliche Verhalten, Wollen und Handeln 
sich unterordnen soll. Ohne Beziehung der Kulturentwicklunt^- 
auf die sie historisch bestimmenden Zwecke, Werte und Normen 
bleibt sie absolut unverständlich. In diesem Sinne kann man 
sagen, das Sollen bestimmt nicht nur das Sein, sondern auch 
die Erkenntnis des kulturellen Seins und Werdens. Die Er- 
forschung der Ideen und Ideale der Menschheit hat nicht nur 
für die Praxis Wert, sondern ist auch von hoher Bedeutung 
für die Theorie der Kultur, für die Erforschung der Richtung 
des Kulturwiliens in allen seinen Verzweigungen und Sonder- 
gebieten. 



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Neuntes Ki^d. Der Zwedc ia den Gditet- und 



163 



Wenn die normative Kulturwissenschaft oder die normatlTe 
Kultorphilosophie nun selbst daran geht, Geschehnisse, Maß- 
nahmen, Leistung-en, Erzeugnisse auf deren kulturellen Wert 
zu. prüfen und Fingerzeigfe für eine aktive Werterhöhung* 
von Kulturgebilden zu geben, so stützt sie sich, will sie mdg>- 
hchst objektiv sein, auf die Einsicht in die festen, allgemeinen 
Ziele des Kulturschafifens aller Art, auf die Erkenntnis der 
dieses leitenden Werte, Ideen und Ideale, an denen sie die 
Zweckmäßigkeit und Normgemäßheit des Seienden mißt Es 
bleibt hierbei nicht an^ daß die Wissenschaft oder Philosophie 
auf Grund ihrer umfassenden Analysen und Synthesen, ihrer 
besseren und tieferen Erkenntnis der Kulturziele und der ihnen 
dienenden Mittel zu Normen gelangt, die mit der 2^t selbst 
das kulturelle Leben beeinflussen. Es gehören dann eben die 
Schöpfer dieser Normen mit zu den führenden Geistern, 
welche immer wieder die Richtung der Kulturbewegung' 
modifizieren, indem sie der Gesamtheit ihr Wissen um das 
Richtige oder Bessere mitteilen und ihr den Impuls zur 
Verwirklichung desselben geben. Als oberster Maßstab der 
Beurteilung aber muß in jedem Fall die reine Kulturidee 
dienen, die Idee einheitlicher, harmonischer, totaler Kultur 
als idealer Zielpunkt einer höchsten kulturellen Synthese. 
Denn man kann nicht, wenigstens nicht als Philosoph, bei 
der Beurteilung der im Verlaufe der Kulturentwicklung ent- 
standenen Gebilde und Verhältnisse aus deren bloßen Partial- 
zwecken oder historisch gewordenen Zielen stehen bleiben, 
sondern muß schließlich auch fragen, wie sich die Kultur- 
objekte zur Idee und den Zielen der Voll- und Gesamtkultur 
verhalten, was sie zur Vervollkommnung, Bereicherung, Er- 
weiterung-, Erstarkung, Verinnerlichung, zur Differenzierung 
und Harmonisierung des menschlichen Seins"') beitragen, ob 

*) „Wir fassen alle den Menschen auszeichnende Leistung in den 
Begriff der Kultur «uftmmen; was aber ist Kultur, wenn sie den 
Menschen nicht eine sdbst&ndlge SteUnng gegenftber der Natur ge- 
währt, wenn sie nicht eigene Ziele aafstellt, die doch nur aas einem 
neuen l ("hcn kommen können? Schließlich ist die Haupttriebkraft der 
Kultur das Verlangen der Menschheit nach einer neuen Art des Seins 

11* 



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164 



n. Spedeller Tdl. 



sie nicht etwa, statt positive Kulturwerte zu sein, vielmehr 
nur Auswüchse oder Veriming'en des Kulturstrebens bedeuten, 
der Reinheit des Kulturwillens, des Kulturideals widersprechen 
oder g9t die Vonussetnmgen aller wahren Kultur aufheben. 

gegenüber der bloßen Natur; die Kultur wird notwendig flach und leer, 
wenn sie das Streben des Menschen nur nach außen, nicht durch alles 
Äußere hindurch gegen sich selbst kehrt und zu einer Erhöhung des 
eigenen Wesens wendet; wahr und krflftig ist die Knltttnurbeit nor, 
wenn in ihr der Mensch sein eigenes, wahres und abschlieflendes Selbst 
sucht" {Euchen, Grundlinien einer neuen Lebensanschauung, 1907, S. 106). 
Die Anerkennung einer selbständigen, uns innerlich gegenwärtigen 
Geisteswelt konstituiert erst die echte Geisteskultur, die über die bloße, 
naturhafte Menschenkidtor hinansragt (a. a. O. S. 255 f.). — Vgl zu dem 
ganzen Kapitel die Arbeiten von DSäiey, Biete, O. Braun, L. Zieglar, 
Linde, Simmel, Kneck, DtUemm», L. Stein, Ostwald, Jodl, Goldscheid, 
Koigen, Birkert, H. Leser u. a.; auch die Zeitschriften jfLogos* und 
„Annalen der Natur- und KultuiphUosophie". 



Zehntes Kapitel. 
Der Zweck in den Sorialwissenscliaften. 



Wo immer wir ein Geschehen oder irgendwelche Ver- 
ändenmgfen vorfinden, da sind wir gemäß der Gesetzlichkeit 
des erkennenden Bewußtseins genötigt, nach den Ursachen 
dieses Geschehens, dieser Veränderungen zu fragen. Das gilt 
natürlich auch betreffs des sozialen Geschehens, der Ver* 
änderungen gesellschaftlicher Art. Der Umstand, daß zu diesem 
Geschehen menschliche Tätigkeiten und Handlungen ge- 
hören, also zielstrebige Akte, ändert daran nichts. So aktiv 
und irei gewollt oder ideengemäß eine Handlung axush sein 
mag) so müssen wir sie doch als Glied eines Kausalzusammen- 
hanges bestimmen können, und zwar nicht bloß als Ursache 
bestimmter Wirkungen, sondern auch als bedingt durch kau« 
sale Faktoren, durch die sie hervorgerufen oder ausgelöst wird. 
Das soziale Leben setzt sich ans Aktionen und Reaktionen, 
aus Trieb- und WiUenshandlungen zusammen, die miteinand^ 
in Wechselwirkung stehen und als die nächsten unmittelbaren 
Ursachen der Entstehung und Entwicklung sozialer Gruppie- 
rungen, Gebilde und Verhältnisse aufzufassen sind, die einander 
ebenfalls wechselseitig beeinflussen. Eine beständige Wechsel- 
wirkung besteht femer zwischen den Individuen und der Ge- 
samtheit, indem erstere von Anfang bis zum Ende aus der 
letzteren Impulse, Anregungen, Regelungen für ihr Denken, 
Fühlen, Wollen, für ihr Werten und ihre Zwecksetzungen er- 
halten, während sie selbst, besonders die ausg-esprocheneren, 
kräftigeren Individualitäten und Persönlichkeiten, den sozialen 
Gesamtgeist modifizieren, bereichern. Es ist für das soziale 
wie für das geistig-e and auch schon für das organische Leben 
charakteristisch, daß immer wieder die Wirkungen der kau- 



166 



n. Spexieller Tdl. 



aalen Faktoren des Gesch^eiis auf diese selbst zurückwirken, 
daß insbeeondere die Menschen durch ihre im sozialen Zu- 
sammenleben und Zusammenwirken erzeugten Gebilde und 
Verhaltnisse, deren Inbegriff den „objektiTen Geist" (Meff^ 

Jodl u. a.) darstellt, verändert, geformt werden. 

In den Gebilden des objektiven Geistes, in den socialen 
Produkten, Verhältnissen und Institutionen, sind innere und 
äußere Willenshandlung'en der in Gemeinschaft lebenden 
Mensdien verkörpert und verdichtet Sie sind der Nieder- 
schlag des Denkens» Fuhlens und Strebens der Individuen und 
der Verbindungen dieser und lösen selbst wieder Willens- 
tendensen und Handlungen aus oder beeinflussen die Richtung 
derselben. In diesen Wirkungen der Gebilde und Formen des 
Gremeinschaftslebens (Recht, Sitte, Sittlichkeit, Religion usw.) 
auf die Menschen und aufeinander, sowie in der Funktion des 
Zusammenwirkens der Menschen bei der Erzeugung der 
sozialen Gebilde und bei der Gestaltung* der sozialen Ver- 
bältnisse besteht wesentlich das, was man als die soziale 
Kausalität bezeichnen kann.*) Eine besondere Sphäre 
der Gesetzlichkeit eröffnet sich hier, die wohl nicht die 
Strenge der Naturgesetzlichkeit erreicht, aber doch eine ge- 
wisse Konstanz und einen typischen Charakter spezifischer 
Relationen und Vorgäng-e bedeutet. An dieser Konstanz sind 
insbesondere psycholog-ische, aber auch biologische und andere 
Gesetze beteiligt, ohne daß sich aber die Gesetzmäßigkeit des 
sozialen Lebens restlos auf diese Grundlagen zurückführen 
läßt, um so wenig-er, als die psychologischen und biologischen 
Gesetzmäßigkeiten und Tendenzen selbst unter dem Einfluß 
des sozialen Lebens teilweise Modifikationen erleiden, in- 
dem sie zu sozialpsychologischen und soziaibiologischen Ge- 
setzmäßigkeiten werden. 

Soziale Kausalität und Notwendigkeit sind, weit entfernt, 
in absolutem Gegensatz zur Aktivität und psychologisch-sitt- 
lichen Freiheit des Willens zu stehen, durchaus mit ihr ver- 
einbar, ja sie resultieren zum Teil geradezu aus der Wechsel- 



*) Vgl. £Mer, Soziologie, 1903; M. Aäieff Marxistische Probleme, 1913. 



Zehntes K^teL Der Zweck in den Soäalwiaentdiaften. 



167 



Wirkung* von Wollungfen, die in der zentralen Einheit des 
Ich der handelnden Menschen wurzeln und frei von allem 
mechanischen Zwange sind. Auch ist das Individuum keines- 
Wega ein rein passives Atom (Gumploiincz), ein bloßer Kreuzungfs- 
pankt sozialer Kräfte. Mag- der einzelne auch vielfach den 
Einflüssen der Gemeinschaft ausgesetzt und vom Inhalt des 
Gesamtgeistes durchdrungen sein, ao ist doch an allem, was 
er tut und unterläßt, in erster Linie und unmittelbar sein 
eigenes Streben, Begehren und Wollen beteiligt, und es bleibt 
genug Raum für aktive, ja schöpferische Zwecksetzungen und 
Maßnahmen der Individuen übrig. Die soziale Statistik zeigt 
wohl eine gewisse Regelmäßigkeit menschlichen Verhaltens 
unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, aber mit 
mechanischem Zwange hat dies nichts zu tun, nur mit einer 
relativ konstanten Motivation des Willens der Glieder der 
Gesellschaft, im Sinne eines pS3''chologisch-sozialen Determinis- 
mus, der die Wahl und die Wahlfreiheit und die Autonomie des 
vernünftigen Willens keineswegs ausschließt. Die soziale Kau- 
salität geht eben nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, 
sondern vollzieht sich immer und überall durch das Medium 
des Willens, des reaktiven und aktiven, spontanen, überlegten, 
ideengeleiteten, zielstrebigen und teilweise auch zweckmäßigen 
Handelns der Individuen. Triebwille und Vernunftwille sind 
die unmittelbaren Faktoren, die Triebkräfte sozialer Wirkungen 
und Gegenwirkungen. Gewiß, alles soziale Geschehen erfolgt 
für unsere kausale Erkenntnis notwendig und gesetzlich; wir 
könnten auf Grund der Einsicht in alle Bedingungen desselben 
lurteilen, es habe dies und jenes so und nicht anders kommen 
müssen, und es werde unter bestimmten Umständen notwendig 
sein und nicht anders sich abspielen. Aber diese soziale Not- 
wendigkeit und Gesetzmäßigkeit setzt das trieb- und willens- 
gemäße Reagieren von Zwecke verfolgenden, Ideen reali- 
sierenden, einem Sollen gehorchenden, ein noch nicht Seiendes 
ins Sein überführenden Menschen schon voraus. Sie hat die 
menschliche Aktivität und Freiheit zur Grundlage, sie ist durch 
diese gesetzt, bedingt und entstammt also nicht einem blinden 
Schicksal, dem die Menschen nicht entgehen können, mögen 



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168 



n. Speüäht TeD. 



sie wollen und handeln oder untätig zuaehen. Gresetze sind 
wie Notwendigkeiten nicht vor und hinter den Dingfen, sondern 
nach und in ihnen, d. h. sie sind ein Ausdruck für die Resul- 
tate der Wechselwirkung derselben, um dann freilich auch 
einen Rahmen zu bilden, innerhalb dessen weitere Wirkungen 
erfolgen. Die sozialen Notwendigkeiten und Gesetze gehen 
dem Wollen und Handeln der vergesellschafteten Menschen 
nicht voran, sondern bauen sich erst auf dem Kausalzusammen- 
hang reaktiver und aktiver Willensvorgänge auf, um dann die 
Richtung solcher mehr oder weniger zu beeinflussen. — Die 
Erkenntnis gewisser sozialer Notwendigkeiten oder Tendenzen 
kann selbst, durch die an diese mch knüpfenden Gefühle, 
Wertungen und Entschlüsse, zu einem Faktor der sozialen 
Entwicklung* werden, sie kann diese Tendenzen fördern, be- 
schleunigen. So kann auch das Bewußtsein des sozialen 
Sollens das soziale Sein und Werden mehr oder weniger 
beeinflussen; es muß dann auch als ein die soziale Kausalität 
und Notwendigkeit bestimmender Faktor mit in Anschlag ge- 
bracht werden, wenn man die Richtung der sozialen Ent- 
wicklung- erfassen will. Es kann und muß also ein bestimmter 
sozialer Zustand erreicht werden, weil und wofern ein Wissen 
um das, was sein soll, sowie ein tatkräftig^er, orgj-anisierter 
Wille zum Seinsollenden auf Grund bestimmter, historisch g-e- 
wordener Verhältnisse und der allgfemeinen Beschaffenheit der 
menschlichen Natur lebendig werden und das soziale Werden 
beeinflussen.*) 

Als Inhalt des individuellen wie des kollektiven Willens 
werden Ideen verschiedener Art, wirtschaftliche, technische, 
pohtische, religiöse, sittliche Ideen, zu Faktoren des sozialen 
Werdens, die einander wechselseitig* beeinflassen, so aber, daß 
jede Idee in einer eigenen Richtung des Willens und Bewußt- 
seins wurzelt und ihre eigene Entwicklungstendenz besitzt Es 
ist nicht so, daß etwa, wie die extrem ökonomische Gesell- 
schafts- und Geschichtsauf fassun g (der streng e M a r x i s m us) lehrt, 
die Produktionsweise die soziale und „ideologische*' Entwicklung 



*) Vgl. JS. Q<M8cheid, Entwickloogswerttheorie, is^oB. 



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Zehntel Kepitd. Der Zweck ia den Sorial-wiMffmfihaften. 



169 



piimär oder gar ausschlieBlich bestimmt, mag aie aacfa immer 
wieder aul die besondere Richtoogf des sozialen Werdens von 
größerem oder geringerem Einflufi sein. Sondern der halt- 
bare Kern im soziologiscben ökonomismns liegt darin, daß 
wirtschaftliche Prozesse, die zum Teil selbst von )4deologi8dien** 
Faktoren, wie Sitte und Sittlichkeit oder Religion, Welt- 
anschauung abhangig sind, bestimmte Verhältnisse schaffen, 
die sich zum Teil wieder im Bewußtsein der Mens<^en spiegeln 
und als Motive das Wollen und Handeln der Individuen und 
Gesamtheiten, der Gesellsdiait und des Staates mit bestimmen, 
manchmal freilich in ganz besonderem Maße, niemals aber 
allein, ausschließlich ohne Mitwirkung anderer Motive, Bedürf- 
nisse, Tendenzen. Der einseitige soziologische Ökonomismus be- 
geht denselben Fehler wie der doktrinär werdende Manchester- 
Hberalismus: beide machen aus der an sich frachtbaren, einen 
heuristischen Wert besitzenden Fiktion des »homo oecono- 
micus^, des rein durch wirtschaftliche EinflQsse und Motive 
geleiteten Menschen, der ja in der konkreten Wirklichkeit 
nicht vorkommt, eine selbständig-e Realität, nur daß die 
Manchestertbeorie individualistisch und psychologisch, der 
Marxismus aber kollektivistisch und objektivistisch denkt 
und erklärt. Die Bedeutung des rein wirtschaftlichen Mo- 
ments wird von beiden Richtungen überschätzt, die Sonder- 
kraft und Eig-engfesetzlichkeit der übrigen Gesellschaftsfaktoren 
untersdiatzt Die Besonneneren unter den Marxisten fühlen 
dies auch, und so versuchen sie es mit mehr oder weniger 
Glück, die Lehre ihres Meisters, die ja eine gewisse Umbiegung 
verträgt, weniger schroff und einseitig* zu gestalten, indem 
sie etwa das Ökonomische als bloße „Bedingung'*, nicht Ur- 
sache des sozial-historischen Geschehens bestimmen und eine 
Higenrichtung der ideologischen Faktoren anerkennen (so be- 
sonders Max Adler), Die Auffassung, als ob das Ideologische 
ein bloßer «Reflex" der Produktionsverhältnisse wäre, lehnen 
diese Neo* oder Jung-Marxisten entschieden ab, und auch 
sonst kommen sie der idealistischen oder real-idealistischen 
(voluntaristischen) Geselischafts- und Geschicbtstheorie ent- 
gegen, um so mehr, als sie zum Teil auch die immanente 



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170 



II. Speddler TeiL 



Teleolo^ie des Sozialen zugfeben. Daß alles soziale Ge- 
schehen aus den StrebuDgpen, Zwecksetzung-en und Handlungen 
der Menschen resultiert, dafi es das Medium des vorstellenden, 
fühlenden, begehrenden, normierenden Bewußts^s passiert, 
dafi also die Einstellung des Willens auf Ziele wesentlich mit 
zur sozialen Kausalität und Gesetzlichkeit gehört, das ist nach 
ihnen durchaus mit der Notwendigkeit der sozialen £ntwicklimg' 
vereinbar.*) 

Wenn nun seitens des Neo-Marxismus die Vereinbarkeit 
von Kausalität und Finalität im Sozialen anerkannt, der Be- 
griff einer teleologischen Kausalität akzeptiert und mit 
vollstem Recht betont wird, daß die Kategorie der Kausalität 
ebenso auf wirkliche und schon erfolgte als auf mögliche» 
künftige Vorgänge angewandt werden kann und muß, sofern 
diese Vorgänge denkend oder wollend antizipiert werden, so ist 
dagegen nicht das geringste einzuwenden. In der Tat weist 
die teleologische Betrachtung aller Arten von Handlungen, 
weit entfernt, die Kausalität auszuschließen, geradezu auf einen 
Kausalnexus hin, innerhalb dessen das auf ein zu erreichendes 
Ziel, einen zu verwirklichenden Inhalt gerichtete Streben oder 
Wollen von Menschen als eine Ursache wirksam ist oder das 
Innensein der als Ursache eines Effekts jreltenden psvcho- 
physischen Aktivität bildet. Aber wir meinen damit nicht 
etwa, daß das Primäre, eigentlich Reale die physische Kau- 
salität ist, die im Zielbewußtsein ihre Spiegelung oder ihre 
bloße Begleiterscheinung, ihr „Epiphänomen" hat, sondern die 
Sache steht so, daß umgekehrt die Zielstrebigkeit das un- 
mittelbare Eigensein dessen bildet, was vom Standpunkt 
äußerer Erfahrung als physische Kausalität sich darstellt. Und 
ebenso setzen wir nicht eine äußere soziale Kausalität und 
Notwendigkeit als das Primäre und Absolute an, das im 
Menschen als teleologische Kausalität bewußt wird, sondern 
wir betrachten die Wechselbeziehungen der Willens- 
tendenzen und Zielstrebigkeiten der Menschen als das 



*) Vgl. M. Adler, Marxistische Probleme, 1913, der sich teilweise 
mit Recht schon auf Marx und Engei» selbst beruft 



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Zehntes Kapitel. Der Zweck in den Sozial wissenschaflen. 



171 



soaale lonenaem, dessen NiedersdUag', Auadrack, EracheinuDg' 
die Sodale Kausalität und Notwendigkeit ist Das soziale 
,,Sein**, das sich im Bewußtsein der Menschen „spiegelt", be- 
ruht selbst schon auf einem primären Bewußtsein im 
weitesten, rein funktionalen Sinne, d. h. nicht als Wissen, 
sondern als Zusammenhang der psychischen Aktionen und 
Reaktionen der in Verbindung lebenden Menschen. Auf 
immer neuen Stufen bedingt das soziale Bewuflts^ das 
soziale Sein und Werden, und dieses beeinflußt wieder das 
soziale Bewußtsein; beide setzen sich immer wieder ineinander 
um, so aber, daß der gesamte soziale Zusammenhang eine 
immanente Finalität zum Ausdruck bringt tmd zur Grund- 
lage hat*) 

♦) Nach Rudolf Stammler ist die soziale Gesetzlichkeit nicht kau- 
saler, sondern rein teleologischer Art, und zwar im normativen Sinne. 
Auf die VorBtaUung von kOnftigen nur mfl^^ichen Handlungen und auf 
den Gedanken einer Wahl zwtscfaoi ihnen findet nach ihm <ia8 Prinz^ 
der Kausalität gar keine Anwendung. „Menschliche Handlungen unter- 
liegen der Betrachtung nach dem Kausalitätsgesetz erst dann, wenn sie 
Erscheinungen der Sinnenwelt geworden sind." Eine erst in der Zu- 
kmift durch den Willen zu setzende Handlung ist nicht als kansal not- 
wendig, sondern nur unter dem Gesicht^unkt des Zwecks zn be- 
trachten, der als ein richtiger gewertet wird, wenn er sich der Einheit 
der Zwecksetzung widerspruchslos einfüiit (Wirtschaft und Recht, 
2. Aufl., 1906; Die Lehre vom richtigen Recht, 1902; Theorie der 
Rechtswissenschaft, 1911). Daß die explikativ- teleologische Betrachtung, 
die von der normativen zu schaden ist, die kausale Eridimng auch 
des erst zn Bewirkenden nicht aosschlleflt, begrOadet in scharfsinniger 
Weise gegen Stammler Max Adler in seinen auf kritizistischer lud 
marxistischer Grundlage stehenden Schriften: Kausalität und Teleologie, 
1904, und besonders: Marxistische Probleme, 1913. Treffend bemerkt 
er; „Nicht bloß die in ihrer kausalen Notwendigkeit noch nicht ein- 
gesehenen sttkfinf tigen mensdüichen Handlungen, sondern ebenso auch 
die kausal anfgekUrten vergangenen Handlangen können ans stets nur 
als durch einen Willen, der sie bewirken sollte, verständlich werden; 
so daß, weit entfernt, daß Willenshandlungen den Begriff der Kausalität 
als widersprechend ausschließen, wir sie gar nicht anders kausal be- 
greifen, als wenn wir sie in ihren Zwecken verstanden haben."" Die 
Voratdlong ein«r za bewiricenden Handlang ist nar die Form, in der 
die Kausalität willensmflßig erscheint. Die Zwecksetzong als bloSe 
Form der psychischen Kansalitflt weist noch keine notwendige Be- 



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172 



n. Spcddler TdL 



Schon die allgfemeinste soziale Tatsache, die Vereinigimg' 
von Individaen zu Gruppen, das soziale Zusammenleben und 
Zusammenwirken überhaupt, ist vom Zweck beheirscht. Be- 
düifnisse, Instinkte und Triebe, also zielstrebig-e Faktoren, die 
freilich durch äußere Reize ausgelöst werden, fuhren die 
Individuen zueinander oder lassen sie mehr oder weniger fest 
zusammenhalten. Selbstverständlich entsteht aber das soziale 
Leben nidit dadurch, daß von Anfang an den Individuen der 
Nutzen der sozialen Assoziation klar bewußt ist, sondern 
instinktiv oder triebhaft scharen sich die Menschen zusammen 
oder bleiben sie vereinigt^ und erst durch die Gewohnheit 
des Zusammenseins entstehen neben den sozialisierenden die 
(sekundären) sozialen Triebe undTendenzen. DieErfahrungen> 
welche die Individuen betrefEs der wohltätigen Wirkungen 
des gesellschaftlichen Lebens, der Kooperation, machen, be- 
einflussen dann auch die Starke und Ausdehnung der sozialen 
Verbindungen. Schließlich erwächst auf höheren Entwicklungs- 
stufen ein als solcher bewußte Wille zur sozialen Verbindung» 
Die Konvention, der Vertrag, von dem sich am An£su]g der 
sozialen Evolution noch nichts findet, wird erst später zu einem 
sozialisierenden Faktor neben andezea. Mannigfache Gesell* 
schaftsgntppen bilden sich schon vorher auf Grund ge- 
meinsamer Erfordernisse und Bedürfnisse, Interessen, Ziele 
materieller und ideeller Art Diese Grruppen stehen vielfach 



Ziehung auf dne Beurteilung der Zweckbeziehung ntdi einem obersten 
Gesichtspunkt auf, die Frage nach der Berechtigung; eines Zweckes 
taucht hier noch gar nicht auf. Die normative Betrachtung ist über- 
haupt nicht Sache der Wissenschaft, sondern ergänzt die kausal- 
nkecfaanische und kansalteleologische ErUftmng. — .Es ist", betont auch 
JET. Kdun, «nicht einzusehen, welcher Unterschied darin gelegen sein 
soll, daß in dem einen Falle die künftige Handlung als kausal bewirkt^ 
in dem anderen als von mir zu bewirkend vorgestellt wird." „Eine 
künftige Handlung kann ich als durch mich zu bewirkend nur insofern 
vorstellen, als ich mich als Ursache (im streng kausalen Öinne) dieser 
kflnftigen Handlang vorstdle. In allen Fällen ist das Bewirkte oder 
als ent zu bewiricend Voi^^estdlte nicht anden als notwendig^ d. h. 
kausal durch eine Ursache bewirkt oder zu bewirkend zu denken* 
(Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 19x1, S. 59). 



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Zehntes Kapitel. Der Zweck in den SomlwiaMmduiflen. 



173 



im Kampfe mit anderen Gruppen« Sie haben entweder nur 
walirend dieses Kampfes Bestand, oder aber sie erhalten sich 
fLber den Kampf hinaus. Sie weisen ein lockereres oder 
ein festeres Gefuge auf. Sie verbinden sich mit and«en 
Gruppen zu umfassenderen Gemeinschaften (Stammen) und 
werden zum Teil unter der Herrschaft mächtiger Persön- 
lichkeiten und Stande zu VoUcs- und Staatsverbänden zu- 
sammengeschweißt 

Verbindungen sozialer Art finden- sich schon bei einer 
Reihe von Tieren und erweisen sich schon hier als ein Mittel 
der Selbsterhaltung, als ein durch die Selektion be- 
■ gunstigter Entwicklungsfaktor, der die betreffenden Arten 
im Kampf mit anderen Arten und im Wettbewerb um die 
Lebensbedingungen fördert*) Ein soziales, durdi seine Organi- 
sation für das Gemeinschaftsleben prädestiniertes Wesen ist 
besonders der Mensch, der erst in der Gesellschaft sein volles 
Menschentum entfalten kann. Aus kldnen Hordoa, die durch 
natürliche, verwandtschaftliche Bande ebenso zusammen« 
gehalten werden wie durch das Bedürfnis nach mög-lichst 
kräftiger Abwehr von Feinden aller Art, gehen im Laufe der 
Zeit umfassendere Gemmnschaften hervor, in die sich immer 
mehr auch fremde Gruppen eingliedern, oft auch solche, mit 
denen man erst lange und heftige Kämpfe geführt hatte. 
Innerhalb der so entstehenden Gesellschaften bilden sich dann, 
nach erfolgter Arbeitsteilimg und sozialer Differenzierung, 
Sondergruppen, die durch gemeinsame Interessen und Zwecke 
besonders verbunden sind. Stets ist es die Gemeinsamkeit 
von Zielstrebungen, was den unmittelbaren Faktor der 
Sozialität bildet, mag nun die Zielstrebigkeit den Menschen 
durch äußerere Verbältnisse abgenötigt werden oder mögen 
aktive Zwecksetzangen die Menschen sich vereinigen lassen. 
Nicht nur das Zusammenwirken der Menschen, auch die soziale 
Wechselwirkung in friedlicher oder Kampfform beruht auf 
bedurfius> und zielgemäßeo Tendenzen, die in den gesellsciiaft- 



*) Vgl. EUler, Soziologie^ 1903; RrqpoOsm, Gegenseitige H&fe ia 
der Entwicklung, 1904. 



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174 



n. SpeddlerTcO. 



lachen Phänomenen der Konkurrenz, der Über- und Unt^ 
Ordnung; der Wirkung der Autorität, des Prestige, der Kach- 
ahmung, der Sitte, Mode usw. zum Ausdruck kommen.*) 

Die sozialen Verbindung-en als solche haben einen be- 
sonderen Zweck, nämlich die Förderungf der besonderen 
Zwecke, denen das Gemeinschaftsleben dient. Dieses 
Zusammenwirken, nicht die bloße Wechselwirkung, ist die 
soziale Kategorie als Kategorie der Gemeinschaft. In diesem 
Zusammenwirken bezieht das Denken die Individuen als Mit- 
glieder der Gemeinschaft aufeinander und auf die Einheit 
der Gemeinschaft. Das Soziale bildet aber auch schon einen 
Teil des Bewußtseinsinhalts der Gesellschaftsglieder selbst, 
indem es ihr Streben, Fühlen und Denken durchzieht und 
färbt und auch ein besonderes Bewußtsein der Zugehörigk^t 
der Individuen zur Gruppe erzengt, weiches ihr Tun und 
Unterlassen beeinflußt, regelt. 

In Beachtung des Prinzips dor „Ueterogonie der Zwecke" 
muß man stets nach den nächsten und ursprünglichen Zielen 
sozialisierender und sozialer Tendenzen forschen, um dann 
weiter zu sehen, welche Wirkungen oder Folgen zielstrebiger 
Aktionen und Reaktionen im Laufe der Zeit selbst zu Zwecken, 
zu Zielpunkten des Willens geworden sind oder noch werden 
können. So manche sozialen Gebilde, die einst einen be- 
stimmten Zweck hatten, haben später diesen Zweck mit einem 
anderen vertauscht oder sind als Formen erhalten geblieben, 
denen jetzt ein eigentlicher Gehalt fehlt. In verschiedenen 
Sitten und Gebräuchen tritt der eine oder andere Fall zutage. 
Einrichtungen, Verhältnisse, Kooperationen, die erst nur in- 
folg-e äußerer Bedingungen, „zufällig" oder rein zwang-smäßig 
entstanden sind, werden, wenn ihre Wirkungen in der Richtung 
möglicher und wünschenswerter Ziele Herren, zu sozialen 
Zwecken. Umgekehrt automatisieren sieb oft soziale Zweck- 
handlungen zu trieb- und gewohnheitsmäßigen Vorgängen. 
Es kommt ferner vor, daß soziale Formen, die zuerst nur den 
Zweckeu einzelner Grruppeu oder Klassen dienten, Wirkungen 



*) Vgl. Simmel, Soziologie, 1908; die Schriften von Tardc 



Zdmtet Kaj^td. Der Zweck in den SodalwiMentchefteo. 



175 



haben, die sie dazu geeignet machen, die Ziele der Getamt- 
hat zu fördern, ao daß aie dann immer mehr den Qiarakter 
aUgemeiner Inatitationen annehmen. So sehen wir, wie der 
Staat, der mit seinen Gesetzen vielfach erst den Interessen 
mächtiger Individuen und Gruppen (Klassen) dient, schließlich 
in einen wahren Volksstaat übergeht, zur zentralisierten 
Organisation der Gesellschaft wird, indem er zugleich auB 
einem bloßen Machtstaat zu einem Rechts- und Kulturstaat 
sich entwickelt. Die Tendenz, Gemeingut der Gesellschaft, 
der Gesamtheit zu werden, ist einer ganzen Menge von Dingen 
eigen, die längere Zeit hindurch das Privilegium bevorrech- 
teter oder begünstigter Klassen bildeten und nicht für die 
Zwecke der Gesamtheit bestimmt waren, v.ie das Heer, die 
Post, verschiedene technische Errungenschaften usw. Von 
besonderer Wichtigkeit ist natürlich der Umstand, daß, infolge 
der im Laufe der Zeit sich verändernden Lebensverhältnisse 
und der Weiterentwicklung der Menschen und ihres Geistes» 
zustandes sowie der aligemeinen Kulturlage, soziale Formen, 
die erst ihrem Inhalte angemessen und daher relativ zweck- 
mäßig waren, später völlig unzweckmäßig, ja oft höchst zweck- 
widrig werden. Dies geschieht um so leichter, als diese 
Formen oft eine starke Beharrungatendenz aufweisen. Soll 
das, was einst eine Wohltat war, nicht schUeßlich zur un- 
ertri^lif^en Plage werden, so muß die sozicde Form, die Art 
der sozialen Regelung sich immer aufs neue der sozialen 
Materie und den veränderten Umständen anpassen. In der 
Tat weist die soziale Evolution solche wiederholten Neu- 
anpassungen auf; es besteht eine Art sozialer Selbst- 
regulierung, welche darauf abzielt, Störung-en, Disharmonien, 
Widersprüche zwischen Form und Inhalt sowie zwischen 
verschiedenen sozialen Gebilden zu beseitigfen, zu kompensieren 
und möglichste Einheit im sozialen Leben herzustellen. Je 
weiter die Gesellschaftsentwickluncr fortschreitet, desto be- 
wußter, aktiver, planmäßig-er, umfassender j^estaltet sich dieser 
Prozeß sozialer Selbstregulierung- oder „Dialektik", der natür- 
lich, da die Lebens- und Kulturverhältnisse sich immer weiter- 
entwickeln, nie völlig abgeschlossen sein kann. Ais Fort- 



176 



n. Spoidler Tdl. 



schritt ist dieser Prozeß eine „Idee**, er ist der Gesellschaft 

aufg-egfeben. — 

Bei der Erklärung- sozialer Tatsachen sind also — außer 
den rein naturhaften, in der physischen Umwelt lieg-enden Be- 
ding-ung-en, von denen übrigens das g"esellschaftliche Leben 

immer weniger abhänp^ig" wird, sowie außer den biolog-ischen 
Faktoren und außer den einzelnen sozialen Gebilden, die in 
ständiger Wechselwirkung- miteinander stehen und auf die 
soziale Struktur, zurückwirken — in erster Linie psychische 
Faktoren zu berücksichtig-en , die zu Momenten ziel- 
strebiger Aktionen und Reaktionen werden. Es 
handelt sich hier teils um eine durch die Verhältnisse und 
triebmäßig- sich äußernde Bedürfnisse fast zwangsmäßig aus- 
gelöste Finahtät, teils um aktivbewußte Zwecktätigkeit, um 
ein aktives Verwirklichen von Zielen materieller und ideeller 
Art, wobei neben wahrhaft kollektiven, sozialen auch viel- 
fach egoistische oder doch partikuläre Interessen und 
Zwecke ins Spiel treten. Willensziele der Individuen und 
der Gesamtheit als solcher sind in Anschlag- zu bringen, 
soll ein einheitliches Verständnis des sozialen Geschehens 
erlangt werden. Der Zweckbegriff kommt hier zunächst 
wieder in rein explikativer Hinsicht zur Geltung, und ein 
Gegensatz zur kausalen Auffassung des Geschehens besteht 
hier ebensowenig wie in der Naturwissenschaft. Unter 
der Leitung der Zweckidee suchen wir nach den Ursachen, 
durch welche in der Gesellschaft Wiilensziele direkt oder in- 
direkt realisiert werden, sowie nach den naturhaften und 
sozialen Bedingungen dieser Realisierung, Die Zweckidee 
dient also zur Herstellung eines möglichst vollständigen 
sozialen Kausalzusammenhanges und zugleich zum Ver- 
ständnis des Sinnes, der Bedeutung sozialer Gebilde, In- 
stitutionen und Haiidlung-en. — Ein Teil der Wirkungen dieser 
Ursachen bildet zuerst den Inhalt der als wesentliche soziale 
Ursachen gefundenen Willensakte; er tritt zuerst als ein 
Ideelles, im Bewußtsein Antizipiertes auf. Es ist nun ohne 
weiteres verständlich, wie Ideen und Ideale im sozialen Leben 
von Einfluß werden können, wie das, was noch nicht ist, 



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Zdttics Kapitd. Dar Zw«ek Ia des SosialvinenidialleB. 



177 



sondern erst werden selli das Zukflnftige, Ideelle, das Sein 
und Werden zu modifizieren vermag'* Soziale Ideen und Ideale 
sind typische Willensziele und setzen sicdi, wenn die 
Willenskraft genügend stark ist und die bistoriacb gewordenen 
Verhältnisse es g-estatten, in soziale Taten um, deren Nieder- 
schlag wieder ein entsprechend verändertes gesellschaftliches 
Sein ist. Nur müssen diese Ideen und Ideale aus wahren 
Bedürfnissen und Zielen heraus geboren sein, gewisse „Ent- 
wicklungstendenzen" müssen hinter ihnen stehen oder sie be- 
gfÜDstigen. Vielfach bedarf es auch einer organisierten 
Macht, um sie zn verwirklichen. Soziales Sein und Bewußt- 
sein bedingen also einander immer wieder« wobei aber nicht 
zu vergessen ist, das ein rein funktionales, unreflektiertes Be- 
wußtsein im Sinne eines Komplexes von Strebungen und Vor- 
stellung-en schon dem primären gesellschaftlichen Sein im- 
manent ist, welches von Anfang bis zum Ende auf Wechsel- 
beziehungen zwischen strebenden, wollenden, Ziele verfolgenden 
Menschen sich gründet. Einers^ts spiegeln sich in den Ideen, 
im ,4<leologi8chen" schon soziale Verhältnisse, anderseits 
kommen diese selbst bereits teilweise unter dem Einflüsse von 
Ideen und Idealen zustande. Das „Ideologische", also der In- 
begriff relig-iöser, sittlicher und anderer Inhalte des Bewußt- 
seins und Strebens, ist schon ursprünglich ein selbständiger 
Faktor der sozialen Entwicklung und beeinflußt auch von 
Anfang- an das wirtschaftliche Verhalten, mit dem zusammen 
es aus einer gemeinschaftlichen Wurzel, aus der psycho- 
physischen Organisation des Menschen und deren An* 
lagen und Tendenzen, der Zeit nach entspringt. 

Die Notwendigkeit und Gesetzlichkeit der sozialen Ent- 
wicklung bildet keinen Einwand gegen die Möglichkeit einer 
Beeinflussung durch den Willen und durch aktive Zweck- 
setzung. ,,Von selbst", über die Köpfe der Menschen hinweg, 
g'eschieht im sozialen Leben nichts, stets kommen hier mensch- 
liche Strebungen, Handiung-en und deren Resultate m Betracht, 
die dann wieder auf das Handeln und Streben zurückwirken. 
Die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Werdens ist eine 
Resultante äußerer und innerer Faktoren, nicht aber etwas 

Eitler, Der Zweck. 12 



178 



tL SpcdcOcr TcO. 



rein von außen Gegfebenes, Auf gedrungenes, kein mediani- 
achar Zwaag; Gewi0 hat daa aoiiale wie daa individoelle 
Wollen und Tun seine Sdinnken und Grensen, ea kann 
nickt alles und nidit jedes an jeder Zeit Terwixkliclien, auch 
iat ea ateta dmch die gegebenen, gewordenen Verhiltniase 
bedingt, also nidit absolute WillkSr. Aber aidieriidi iat daa 
soziale Werden selbst vom Willen und Handln der Menschen 
in dem Sinne abhängig, daß ea nidit erfolgen oder anders 
anafollen würde^ wenn der Wille, die Tat fehlte oder anderea 
bezweckte. In der Richtung der gesellachafllidien Ent- 
wicklung bekundet sich immer das Zusammenwirken einer 
Mannigfaltigkeit von Willenskräften in deren Reaktion auf 
beatimmte naturhafte, soziale, historisch gewordene Verhält- 
nisse. Wenn auch nicht alles und jedes Wollen nnd. alle 
aktive Gestaltung die Macht und Freiheit hat, diese Richtung' 
nachhaltig* zu beeinflussen, so ist sie doch anderseits niemals 
in solchem Maße prädeterminiert, daß nicht ein zielbewußtes 
und der richtigen Mittel sich bedienendes kraftvolles Handeln 
Erfolg haben könnte. Nichts berechtigt daher zu einem 
sozialen Passiviamus und Fatalismus; vielmehr zeigt uns die 
historische Erkenntnis und die Besinnung auf das Wesen der 
Gesellschaftsentwicklung, daß der kritische Aktivismus oder 
aktivistische Idealismus im Realen fest verankert ist 

Der Zweckbegnff hat aber in den Sozialwissenschaften 
nicht bloß eine explikative Bedeutung. Er ermöglicht auch 
eine Wertung, Kritik und Normierung sozialen Ver« 
haitens und socialer Gebilde.'*) Indem wir uns auf die Ziele 

*) Der Streit um das Sein und Sollen in den Sozialwissen- 
schaften wird jetzt heftig geführt und ist noch nicht zum Abschluß ge- 
kommen. Rein logisch ist er wohl kanm zn erledigen, schließlich 
kommt es darauf an, was man noch als „Wissenschaft** gelten lassen 
will. Für die normative (bzw. wertende, „axiologische") Methode sind 
Stami)der, Natorp, Kichert, Münsterberg, Windelband, Schmoüer, Ad.Wagner, 
i'hüippovich, Goldscheid u. a.; dagegen M. Weber, W. Sombart, Tönnie», 
M. AMtr u. a. — Nach QMMA sind unsere Zwecke sdorch das Ver- 
bfilmia unserer Anlagen za den Natorenergien, wenn auch nicht in- 
dividuell, so doch interindividuell vorgezeichnet, und wir können sie 
feststellen, indem wir dieses Verhftltnis auf das genaueste studieren.* 



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Zehntes Kapitel. Der Zweck in den SozialwissenichaAen. 



179 



und Zwecke, denen diese Gebilde dienen, besinnen, betrachten 
wir sie daraufhin, ob sie wirklich geeig-net sind, diese ihre 
Zwecke zu erreichen, und ferner auch, ob dies jeweils auf 
die bestmög-liche Weise, mit den richtigen Mitteln geschieht. 
Es wird untersucht, ob das Maximum des Erstrebten^ 
Bezweckten mit dem Minimum unzweckmäßiger 
Nebenwirkung-en und Folgen bewerkstelligt wird. 
Die Bewertung* eines sozialen Gegebenen richtet sich nach 
dem Ergebnis dieser teleologischen Prufung^ und kann 
•ehr wohl ein hohes Maß von Objektivität erreichen. Anf 
jeden Fall ist sie von der rein subjektiven, gefühlsmäßigen, 
impulsiven Wertung so^er Tatsadhen s^tens des bloßen 
Praktikers scharf zu unterscheiden. 

Man mag* mit Fug verlangen, daß die Sozialwissen. 
Schäften zunächst in der Form streng theoretisch-explika- 
tiver, analytisch-genetischer, kansal-teleologischer Disziplinen 
auftreten, die ausschließlich untersuchen, wie die Dinge sind 
und geworden sind, wie sie sich entwickelt haben und wie 
sie miteinander kausal zusammenhängen, wobei aber die 
zielstrebigen Faktoren des sozialen Seins und Werdens nicht 
vemachlasrigt werden dürfen. In den letn theoretischen 
Sozialwissenschaften hat die normativ-teleologische Methode 
noch nichts zu suchen, das „Es soll^ oder »Es ist gut, 
schlecht^ darf hier noch nicht seine Stimme ertönen lassen. 
Aber so berechtigt dieses methodologische Postulat sein 
mag, so unbegründet erscheint die Behauptung, die teleo- 
logische Betrachtungsweise sei überhaupt völlig unwissen- 
schaftlich, komme nur der Praxis zu. So steht die Sache 
denn doch nicht Außer den theoretischen Wissenschaften 
im engsten Sinne des Wortes gibt es angewandte, tech- 
nische, praktische, normative Disziplinen, außer der 
Praxis selbst gibt es noch eine Theorie der Praxis. Die 
angewandten Wissenschaften fußen auf den Ergebnissen der 
streng theoretischen Disziplinen und verwerten die von diesen 



.Das tdeologische Urteil ist die Darstellnigsfum der aktivistttch ge- 
wendeten Wissenschaft" (EntwiddmigBwerttheorie, 1906, S. X74ff.)b 

12* 



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IBO 



n. SpoMlIer TdL 



io f Ihtfindigf^ri gsox e^raer Wesse. Sure Pkobleme fatdani 
^beMMidmGdMeMttitade: entens die FiUgfcail^ Mi die 
Wirkungen der Dinge klar vor Angen m halten, die teleologi- 
•dien Relationen, die ZnsumnenhSnge von Büttel nnd Zweck 
za eigrfinden; zweitens eine kombinatorisdie nnd adiopferiadie 
PhantasM^ welche Musterbilder Inr die richtige Praxis 
za liefern vermag. Die Grundfrage in den ai^pewandten 
Diiiq>linen lautet stets: Wie maß etwas sein oder g^eschehen, 
wenn dieser bestimmte Zweck erreicht werden soll ? Es wird 
ontefSQcht, ob and inwieweit das Seiende oder Werdende 
dem Sollen entq>hcht, and dann werden Regeln für das 
richtige. zweck> und normgemäfie Verhalten aufgestellt oder 
doch Fingerzeige xa einer besseren, riditigeren, zweck» 
mäßigeren Praxis gegeben. Widersprüche und Fehler ver- 
schiedener Art, wie sie in der Praxis auftreten, werden auf- 
gezeigt, and der Versuch wird gemacht, vollste Einheit des 
praktischen Verhaltens durch sachgemäße Regelung desselben 
zu erzielen. 

Nun muß die normative Sozialwissenschaft aber nicht 
bei der Beurteilung der Angemessenheit zu den jeweils er- 
strebten Zielen stehen bleiben. Sie kann, mag sie auch da- 
durch schon einen philosophischen Charakter erhalten, also 
zur Sozial-, Wirtschafts- oder Rechtsphilosophie sich gestalten, 
noch weiter gehen, indem sie die Ziele und Zwecke wie die 
Normen der Praxis selbst der Prüfung- und Wertung unter- 
zieht. Es ist dann zu ermitteln, ob diese Ziele richtige 
Ziele sind, ob sie mit den ihnen bei- und überg^eordneten 
sozialen und kulturellen Zwecken und schließlich mit dem End- 
ziel des sozialen und kulturellen Handelns vereinbar sind, 
ob sie zu voller Einheit menschlicher Zwecksetzun g- 
zusammengehen (Sünnmler). Es mag wohl die Ausmalung 
einer „idealen" Gesellschaftsordnung den Rahmen der bloßen, 
strengen Wissenschaft überschreiten, aber sie kann auf wissen- 
schaftlicher Basis erfolgen und in großem Umfange sich 
wissenschaftlicher Begründungsmethoden bedienen. Jedenfalls 
lassen sich aber gewisse Normen aufsteilen, denen soziale 



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Zdialct K^iitd. Dar Zwedi in den SorialwiMemdiiftwi. 



181 



ZofltSnde und Institationeii entspredhen mfisson, wenn sie 
waluliaft sweckmifiig' sein sollen, Nonnen von objektiver 
Gültigkeit im Sinne des berechtigten Anspruchs auf allgemeine 
Anerkennung, wenigstens bei allen jenen, die betreffs der 
obersten Swle des Gremeinschaftslebens fibereinstimmen. DaS 
infolge der Bescdiranktheit menschlicher Erkenntnis und w^fen 
der Kompliziertheit des Gesellschaftslebens oft Irrtümer in 
der Kritik und Normierung desselben begangen werden 
können, ist kein Einwand gegfen den wenigstens partiell 
wissenschaftlichen Charakter der kritisch - teleologischen 
Methode in der Sozialwissenschait und Sozialphilosophie. 

Die Normen der Regelung sozialer Lebensverhältnisse 
durch Sitte und Recht werden zunächst in der Praxis ge- 
setzt und kommen mit Rücksicht auf Interessen, Bedürfnisse, 
Forderun g-en» Zwecke der Gesamtheit oder einzelner Gruppen 
innerhalb derselben zustande*) Aus diesen Normen, ins- 
besondere den Gresetzen des Staates, folgen nun bestimmte 

*) „Die an sich gewiß unleugbare Tatsache, daß die Normsetzung zu 
bestimmten Zwecken geschieht, unter dem Zweckgesetze steht, mit anderen 
Worten teleologischer Natnr ist, kann in keiner Weise präjudiziell sein fflr 
die Natar der auf der Norm beruhenden Begriffe, aus der Norm ab- 
gdeiteten Korollarien" (Kehni, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 
1911, S. 92f.). Die Jurisprudenz hat es nur mit dem Recht als Form, Mittel 
zu tun. Gegen G. Jeüinek, nach welchem eine rein formale Rechts» 
konstruktion unmöglich ist, betont K4»m den rein formal>normativen 
Charakter der Juri^rudenz, die er ak eine Art „Geometrie der totalen 
Reehtseradieinung" bezeichnet (S. 93f.). Die Jurisprudenz geht nicht 
auf das Was, Hm Inhalt, den Zweck sozialer Tatsachen, sondern aiif 
deren „Wie" oder Form. — Allerdings lassen sich gegen die rein formale 
Methode der Jurisprudenz wenigstens insoweit Bedenken erheben, als 
sie vidleicht in der Praads doch nnr mivoUkonunen dnrchftttirbar ist 
nnd flberaU da versagen kann, wo es sich darum handelt, LOdcen des 
Gesetzes atiszufQllen oder veränderten sozialen VerhAltniaaen und einem 
fortgeschrittenen Rechtsbewußtsein Rechnung zu tragen. Da aber die 
Rechtsetzung, Gesetzgebung selbst, auch nach dieser formalistischen 
Theorie, vom Zweck beeinflußt ist und die rein formale Betrachtungs- 
weise eist und nnr fttr das schon gesetzte Recht gilt, so ist allerdings 
auch hier fflr einen Fortschritt der Reehtsentwiddnng Rsmn gdaaaen, 
also fflr die umfassendste Berflcksichtigung sozialer Interessen 
sdtens der Gesetzgebung; ja auch im Sinne der modernen „Freirechts- 



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182 



n. SpakJIcr TeU. 



juridische Zurechnung-en, und diese sind insofern rein formaler 
Art, als sie nicht unmittelbar auf den sozialep Lebensinhalt, 
auf die Zwecke der Normen oder „Gesetzgeber** oder des 
Rechtes zurückgehen. So kommen für die dofifmatische Juris- 
prudenz, für die systematische Rechtswissenschaft, für 
die Rechtsdefinitionen und juristischen Konstruktionen und 
BegrifFsbildung-en die sozialen Zwecke, denen die Rechts^ 
normen dienen, nicht mehr direkt in Betracht. Sie können 
und müssen wohl vorausgesetzt werden, bestimmen aber 
nicht unmittelbar die aus der Norm selbst abgeleiteten 
Konsequenzen. Die rein formal -juristische Methode hat es 
nur mit dem immanenten Rechts willen zu tun, aus dem 
sie ihre Begriffe ableitet, und dessen Normen sie logisch ver- 
arbeitet. Die Gesetzgebung- selbst hingegen kann und muß 
sozial-teleolog-isch orientiert sein, und auch die historische 
Entwicklung- des Rechts läßt sich teleologisch betrachten.*) 
Es ist aber nicht zulässig oder notwendig, die dogmatische 
Rechtswissenschaft mit der (materialen) Rechtsphilosophie 
zu identifizieren; diese läßt sich sehr wohl, z. T. auf einer sozio- 
logischen Basis, kritisch durchführen und wird so zu einer 
normati v-teleologischen Beurteilung des Rechts und der 
Rechtsgesetze, zu einer Prinzipienlehre, welche die Normen 
und idealen iVlaßstäbe zur Bewertung und Auf Stellung 
von Rechtsnormen bietet. Es handelt sich hier nicht etwa, 
wie in der historischen Soziolog-ie, nur um eine Erklärung 
der Entstehung und Entwicklung des Rechts aus zielstrebigen 
Faktoren, sondern um die Frage, ob und inwieweit 
Stehendes Recht der Rechtsidee, dem reinen, idealen 



Schule" (Kantormie* vu a.) kftnnte wohl trete dieses FormaUsmos judi- 
ziert werden. 

*) Die Rolle des Zwecks im Recht betont besonders R. Jhering, nach 
welchem „der Zweck der Schöpfer des Rechtes" ist, indem es den 
Bedttffilisaen, Interessen der Gesellscliaft dient (Geist des rSmisclien 
Rechts, 5.-6; Anflsge, zS^fft Der Zwedc im Recht, 4. Anflsge, 1904!). 

Doch bekämpft Jhering zuweilen die teleologische Begriffsbildung in 
der Jurisprudenz. Sozialteleolo^isch orientiert ist z. B. die moderne 
Strafrechtsschale (0. LUzt u. a.). 



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Zchale* Ktpitd. Der Zweck in den SoMMmmuibtitea, 188 



RechtswiUen entspricht, und nach welchen oberaten 
Gesichtspunkten das Recht zu setzen ist, wenn es 
den Postulaten der Rechtsvernunft g-enüg-en, also 
roaterial richtigfes Recht sein soll Gefordert wird hier 
aber nicht eine Deduktion von einzelnen Gesetzen aus 
einem eigenen, selbständig-en Natur- oder Vernunftrecht oder 
aus apriorisch aufpfestellten Rechtsnormen, sondern nur eine 
Kritik der Gesetze und der Gesetzg-ebung* auf Grund der 
Rechtsidee, eine Leg-itimation der Rechtsnormen.*) 

Die positiven Rechtsnormen lassen sich in zweifacher Weise 
normativ-teleologisch betrachten. Erstens können sie darauf- 
hin geprüft werden, ob sie zweckmäßig im Sinne des Willens 
der betreffenden Gemeinschaft und Gesetzgebung sind, ob 
durch sie alles das, was man mit ihnen erreichen wollte, 
wirklich erzielt werden kann, oder ob sie etwa Folgen und 
Nebenwirkungen haben, die den Zielen, den Intentionen der 
Gesetzgebung zuwider sind. Schon aus einer solchen Rechts- 
kritik werden sich Normen für die Beurteilung und eventuelle 
Abänderung bestehender Gesetze erg-eben. Zweitens ist zu 
untersuchen, ob und inwieweit die Rechtsnormen samt deren 
positiven Zielen dem reinen Rechtszwecke oder dem 
Rechtsideal gemäß sind, ob sie in der Richtung- des Fort- 
schrittes zu diesem liegen, das heißt: ob sie zur Herstellung^ 
von sozialen Verhältnissen beitragen, die dem reinen Gern ei n- 
schaftswillen, als der obersten Quelle richtigen Rechts, 
entsprechen (Stammler u. a.). Hier handelt es sich um die 
soziale Zweck- und Normmäßigkeit der Rechtsordnung im 
höchsten Sinne, um die ideale Funktion des Rechtes, eine 
möglichst vollkommene Gesellschaftsordnung- zu 



*) Bei Kelsen fällt die teleologisch -normative Methode sozusagen 
unter den Tisch, denn er kennt nur die kausal-teleologische (explikative) 
und die normative Methode als Normenlehre, als Logik der Normen. 
If. Adbr bsl nicht nnredit, wenn er (ManiBtiscbe Probleme, tgs^, 
S. 149) bemerkt, es wäre zu untersuchen, inwiefern Kelsens „normative** 
Rechtslehre, die „bloß das Sein der Nonnen" betrachtet, „nicht etwa 
dem Charakter einer formalen Wissenschaft entspräche, wie die 
Mathematik", wie dies Kelsen übrigens selbst zugibt 



184 



n. Spesidler TdL 



konstituieren, das heißt, eine solche Ordniuig', bei der eine 
volle Solidarität mög^lichst kraftvoller, in ihrer positiven, schaffen- 
den Betätigfunff freier und entwicklungsfähiger Individuen mög- 
lich ist Mag auch die dogmatische Jurisprudenz als solche sich 
nur oder in erster Linie um die rein formale Richtigkeit der 
Rechtsableitung und der Rechtsverwirklichung kümmern, die 
(materiale) Rechtsphilosophie kann nicht umhin, auch die 
soziale und ideale Zweckmäßigkeit der Rechtsnormen und 
deren Wirkungen ins Auge zu fassen. Sie kann sogar auf 
das Gebiet der Ethik hinüberschweifen, indem sie schließlich 
das Recht zu den höchsten Zielen der Menschheit in Be- 
ziehung setzt, ohne aber den Unterschied zwischen Recht 
und Moral verkennen zu dürfen. Zu fordern ist jedenfalls, 
daß die Rechtsnormen mit den sittlichen Normen möglichst 
im Einklang stehen, daß sie ihnen nicht widersprechen; dies 
gebietet die Einheit des Kulturwillens wie auch die des 
reinen Gemeinschaftswillens, auf dessen ideale Ziele sich alle 
praktische und normative Philosophie zu besinnen hat. Eine 
Philosophie des Rechts muß jedenfalls auf einem höheren 
Niveau stehen als eine bloße Rechtspolitik, so sehr auch 
diese sozial -teleologisch und ethisch orientiert sein kann 
und muß. 

Daß nur das historisch gewordene, positive Recht, das 
zum Teil aus der Rechtssitte hervorgegangen ist imd im 
Staate zu einem kodifizierten Gesetzesrecht sich gestaltet 
hat, Geltung im Sinne der Zwangsgewalt besitzt, und daß 
sich kein von aller Rechtserfahrung und Rechtsentwicklung 
unabhängiges „Naturrecht" als Rechtssystem konstruieren 
läßt, das ist seit dem Aufkommen der historischen Rechts- 
schule die weitaus überwiegende Meinung geworden. Gibt 
es aber kein Natur- oder Vernunftrecht als System gültiger 
Rechtsnormen, so besteht doch eine Rechtsvernunft, als 
Anwendung der allgemeinen Vernunftgesetzlichkeit auf das 
Rechtsgebiet. Zunächst kommt hier die theoretische Ver- 
nunft zur Anwendung, indem die Rechtsnormen, wie sie 
durch die Gesetzgebung erstehen, in einen logischen Zu- 
sammenhang gebracht werden müssen, aus dem heraus sie 



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Zdmtes KapHd. Der Zweck In den Sottalwuteacdiaften. 



185 



auf ibxe rein formale Richtigfkeit beurteilt werden können 
(Logik dee ReditB). Die Einheit dee Rechtawillens muß in 
der Mannigfaltigkeit der Reclitanomien zur Geltang' kommen 
und gewalurt bleiben, und so maß anch im fiinselfall ent- 
achieden werden, wie su urteilen iat, damit die Forderunsr 
der Einheit dea Rechtszuaammenhang'ea erfallt wird. 
Aber damit ist noch nicht alles g^etan. Denn auch die 
„praktische Vernunft" verlangft ihre Realisation im Recht 
Die Rechtsnormen sollen» heißt dies, „vernünftig" auch in dem 
Sinne sein, daß sie den Zweck, zu dem sie bestimmt sind, oder 
dem sie dienen sollen, auch tatsächlidi erfüllen. Ist das nicht der 
Fall, so werden sie als schlecht, unzweckmäßig- beurteilt und 
schließlich auch abgeändert werden müssen. Wenn der Unwert 
solcher dem Rechtszweck widersprechenden Gesetze nicht 
von selbst erkannt wird, so muß eventuell die normative 
oder kritische Rechtswissenschaft der Gesetai^bung auf- 
klärend, leitend, normierend vorangehen. Bis zn einer ge- 
wissen Greoze kann man hier ja noch durchaus auf dem 
Boden der zurzeit geltenden Rechtsordnung stehen bleiben; 
aber schließlich wird sich immer wieder die Notwendigkeit 
ergeben, fortgeschritteneren Entwicklungstendenzen der Ge- 
sellschaft Rechnung zu tragen und das bestehende Recht in 
der Richtung der Idee des nicht bloß formal, sondern auch 
material richtigen Rechts gedanklich za modifizieren, um 
so die Rezeption dieses sozialvernünftigen oder besseren 
Rechts seitens der die Gesetze schaffenden Macht anzubahnen. 

Der nächste immanente Zweck des Rechts ist die Fest- 
legung der Machtsphäre der einzelnen und der Gesamtheit, 
des Staates, die Sicherung der Freiheit beider vermittelst 
einer gewissen Bindung derselben, die Herstellung- g-eord- 
neter Verhältnisse zwischen den Mitgliedern der Gemein- 
schaft. Die durch das Recht reg-uüerte Machtsphäre und 
Freiheit bestehen aber schheßlich nicht bloß in der Betätigung 
nach der Richtung- der Selbsterhaltung überhaupt, sondern 
zuhöchst in einer Erhaltung und Entwicklung in menschen- 
würdiger, der Humanitätsidee angemessener Weise. Es ist 
also das höchste Rechtsideal dahin zu interpretieren, daß als 



18« 



n. Speiidkr TdL, 



material richtig nur eine solche Rechtsordming* gelten kann» 
bei der die Möglichkeit menschlich - kultureller 
Existenz und Höherentwicklung besteht Tatsächlich 
zeigt die Geschichte des Rechts eine gewisse Tendenz nach 
der Ausbildung, Durchsetzung eines immer reineren Kultur- 
rechts, so daß einerseits der Zweck des Rechts erweitert 
und höher gesteckt wird, anderseits auch der reine Rechts- 
zweck in immer umfassenderem Maße die Recditsentwicklung 
leitet Und so wird vielleicht die Zeit kommen, da wirklich 
alle Rechtsetzung ein Versuch zur Setzung richtigen Rechts 
ist (Stammler). Die Idee des Rechts verwirklicht sich im 
Prozeß der historischen Rechtsentwickiung selbst Das 
geltende paßt sich immer wieder und immer besser dem ge- 
sellten, vom idealen Rechtswillen geforderten Recht an.*) 

Der Zweck ist also nicht bloß für das Verständnis des 
Rechts, für die Erkenntnis der Entstehung und Entwicklung 
von Recht und Staat bedeutsam, sondern auch für die Be- 
urteilung- beider erstens im Hinblick auf ihre nächsten, 
immanenten, spezifischen Zwecke, zweitens aber auch mit 
Rücksicht auf die obersten Zwecke der Menschheit, 
denen sich schließlich die Rechts- und Staatszwecke unter- 
ordnen müssen, indem sie aus relativ selbständig-en, eig-en- 
wertigen Zwecken zu Mittelzwecken werden. Analog- verhält 
es sich nun mit der Wirtschaft, dem Inbegriff oder System 
der zur Befriedig-ung- materieller Bedürfnisse unmittelbar 
dienenden Funktionen und Gebilde. Alles Wirtschaften geht 
von bestimmten Zielstrebig-keiten und Zwecksetzungen aus. 
Es steht im Dienste der Lebenserhaltung-, der Lebensfürsorge, 
und entwickelt sich von der Beschaffung- des momentan 
Gebrauchten zur weitsichtigen und planmäßigen Arbeit im 
Dienste künftiger Bedürfnisse. Ursprünglich wirtschaftet man 
nur, um Güter für den Konsum, Verbrauch zu gewinnen; 

*) Vgl. sndi &. M Fecdbco, Der Fortsduitt im Recht, Archiv fttr 
Rechts- wid Wirtsdiaflsphilosophie VI, H.3, 19x3; n concetto dd diritto, 
191a. — Vgl. die Arbeiten von Hegel, Chr. Krause, TrenddBnbwrg, Daknt 

A. Lasson, J. H. Fichte, Köhler, Berohheimer, Bierlin^f Sr* SUm, Mad~ 
In'wht Cohen, Natorp, Kornfeld, Goldscheid, Bozi u. a. 



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ZcbntM KapHd. Der Zircdc in dea Soihihristenwbdtoi. 



187 



dann aber entsteh^ gemäß dem Prinzip der »^eterogonie der 
Zwecke** und dem Gesetz der „Motivversefaiebong'S der Wille 
zur Bereicherung, zur Aufstapelung von Gütern, von Kapi- 
talien, die dem Menschen größere Macht über die Natur und 
zugleich eine JMacht in der Gesellschaft gewähren, in manchen 
Fällen sog-ar fast zum Selbstzweck werden. Zugleich unter- 
liegt die Wirtschaft einer gewissen Kultivierung und Ratio- 
naiisieruDgf. Die Tendenz zum ökonomischen, mit dem klein- 
sten Kraftaufwand den größtmög-Iichen Effekt erzielenden 
Verfahren findet auf die Güterproduktion immer mehr An- 
wendung und wird auch maßgebend für die Beurteilung der 
formalen Zweckmäßigkeit der Wirtschaft 

Der ökonomische Gedanke erreicht seinen Höhepunkt, 
sobald erkannt wird, daß der Mensch selbst als produ- 
zierender Faktor, als Arbeitskraft ein „organisches Kapital" 
bedeutet, dessen unökonomische, es vorzeitig erschöpfende 
Ausbeutung" der Gesellschaft und dem Staate einen enormen 
Schaden bringt. So wird die Forderung nach einer „Menschen- 
ökonomie" {Goldscheid) laut, der gemäß die Arbeitenden aller 
Art betreffs ihrer Arbeitsweise, Arbeitszeit, ihrer Arbeits- 
und Lebensbedingungen so gestellt sein müssen, daß sie, 
statt vorzeitig abg-enützt zu werden und dann der Gesell- 
schaft und sich selbst zur Last zu fallen, möglichst noch 
„organischen Mehrwert" gewinnen.*) Dieses theoretisch er- 
arbeitete Postulat des Wirtschaftens an und mit dem 
Menschen ergänzt die allmählich zur Geltung kommende 
Idee, daß von einer wahren Sozial- und Volkswirtschaft 
erst dann die Rede sein kann, wenn die Güterproduktion 
nicht nur bevorzugten Schichten der Bevölkerung oder 



*) Nach R. Goldscheid ist es unsere entwickltuigsOkonomische Auf- 
gabe, „die Arbeitskraft jedes Menschen in solcher "Weise aufzubrauchen, 
daß durch sie Kntwicklungs werte geschaffen werden, ohne daß er 
selbst in seinem Kntwicklungs wert beeinträchtigt wird" (Entwicldungs- 
wertüieorie, 1908, S. 52). Die Mcnschenftkonomie ist die I.ehre vom 
oi^nisdien Ki^ital; sie hst dnen rein theoretischen and dnen 
angewandten, kritischen, nonnstiven Teil (HOherentwiddimg und 
Menschenökonomie I, 1911). 



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188 



II. SpeiieUer Tdl. 



gar nur wenigen Individuen dient, sondern so reguliert 
wird, daß für alle Mitglieder der Gesellschaft eine 
menschen* und kulturwurdige Existenz möglich ist. 
Mit anderen Worten: Die Frage nach der sozial richtigen 

Produktion erglänzt die Frage nach der vom soaal- 
kohurellen Standpunkt richtigen, zweckmäßigen GClter« 
verteilang und Konsumtion. 

Die Anwendung des ZweckbegzifiiEi auf wirtschaftliche 
Phänomene bedeutet also keineswegs schon oder bloß ein 
Hineintragen rein ethischer Gesichtspunkte in die National- 
und Sozialökonomie. Durchaus berechtigt ist zunächst die 
Forderung, die rein theoretische Nationalökonomie habe sich 
der Wertung und Normierung des Wirtschaftlichen zu ent- 
halten, sie habe nur den Kausalzosammenhang und die Ent- 
wicklung des wirtschaftlichen Seins, nicht das wirtschaftliche 
Sollen zn bestimmen {M. Weber u. a.). Aber dieser Kausal- 
zusammenhang selbst kann nur dann möglichst vollständig und 
richtig hergestellt und die wirtschaftlichen Prozesse können nur 
dann gedeutet, verstanden werden, wenn man von der Idee 
erstrebter Ziele und gesetzter Zwecke zu den Ursachen ihrer 
Verwirklichung geht und unter diesen Ursachen wesentlich 
zielgerichtete Aktionen und Reaktionen von Individuen und 
sozialen Gruppen findet. Auch die ökonomische Kau- 
salität erwächst auf dem Grunde einer immanenten 
Finalität, sie schhußt zielgerichtete Faktoren als Glieder 
und Momente ein. Die Wirtschaftsentwicklung vollzieht sich 
auf der Basis von Wechsehvirkungfen zwischen individuellen 
und kollektiven Zielstrebigkeiten, um dann freilich immer 
wieder diese selbst zu beeinflussen, deren besondere Richtung 
zu modifizieren. 

Neben der theoretischen Nationalökonomie g-ibt es nun 
auch eine praktische, angewandte Nationalökonomie. In 
dieser Disziplin, welche auf den Ergebnissen der Wirtschafts- 
theorie fußt, ihr selbst aber auch wertvolle Fingerzeige für 
die Forschung zu geben vermag, stellt man sich nicht die 
Aufgabe, das wirtschaftliche Geschehen zu beschreiben, zu 
analysieren und kausal-teleologisch zu erklären, sondern man 



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ZAaUa Kapitd. Der Zweck in den Soxialwisaenschaflai. 189 



gibt hier die Mittel an» welche angewendet werden müssen 
und sotten, wenn man beitimnite wiitachaftlidie Zwecke er- 
reichen will, ohne aber die Berechtigung, die Gute, den Wert 
dieser Zwecke selbst zu beurteilen. Gewertet und normiert 
wird hier in erster Linie nur im Hinblick auf die von der 
Wirtachaftstiieorie erkannten immanenten, unmittelbaren Ziele 
der Individual* und Volkswirtschaft, wobei zum Teil allerdings 
auch die Entwicklungstendenzen des wirtschaftlichen und 
sozialen I^bens und die Forderungen, die aus ihnen ent- 
springen, zur Gdtomg kommen können. 

Die Wirtschaftsphilosophie endlich, die zuhöchst 
auch eine Anwendung der Ethik auf das Ökonomische 
einschließt, beurteilt das gesamte wirtschaftliche Sein aus 
dem Gresichtspnnkte der obersten, sozialen und kulturellen 
Zwecke des Menschen und untersucht, inwiefern die be- 
stehenden Wirtschaftsformen diesen Zwecken entsprechen, 
um dann auch anzudeuten, in welcher Richtung sich die 
Wirtschaft entwickeln mfifite oder sollte^ um möglichst der 
Idee der wahrhaft guten, richtigen, vollkommenen Wirt- 
schaft, dem kulturmenschheitlichen Wirtschafts- 
ideal, zu genfigen. Als „richtige" Wirtschaft kann hier 
nur jene gelten , die mit den anderen sozial - kulturellen 
Gebilden zur Einheit reiner und voller Kultur 
zusammengeht, die also geeignet ist, die menschlich-geistige 
Höherentwicklung zu fördern oder die Unterlagen zu einer 
solchen zu bieten. Ks beruht also das Normativ - Teleo- 
logische hier wie in den anderen normativen Disziplinen 
keineswegs auf rein subjektiven, individu^en, willkürlichen 
Annahmen, Wertungen und Forderungen, sondern einerseits 
auf der Grundlage der Theorie, der kausal-teleologischen Er- 
kenntais des wirtschaftlichen Wollens, Handelns und der Ziele 
desselben, welche die Handhabe zur Kritik und Regelung 
der Mittel zu diesen Zielen gibt, anderseits auf der Einsicht 
in die Zwecke des sozialen, kulturellen, menschheitlichen 
Lebens und in die aus ihnen zu gewinnenden Normen. Gewiß 
können hier zum Teil verschiedene Beurteilungen neben- 
einander gehen, eine Einigkeit bezüglich aller dieser Ziele 



Ijiyiiizca by GoOglc 



n. Speridlcr TdL 



und Mittet wird aich nlolit ao leicht erzieleii lassen wie be- 
treib der Unachen dea Geadiehena Aber wenn man aadi 
nidit eine .»exakte** Wiasenaoliaft vom SeinaoUenden atatniert» 
ao kann man liier wie sonst doch immerhin anerkennen, daß 
«ne wissenadiaMch and philolcphiadi fondierte Theorie 
nnd Kritik dea Sollens mosflich ist, deren teilweise 
hypothetischer Charakter keineswegs alle Objektivität ans- 
schlieflt Diese Objektivität wird um so g-rößer sein, je mehr 
es' gelingfen wird, bei der Wertung* und Normierung sich aul 
einen überindividnellen, universalen, idealen Standpunkt zu 
stellen, den eines „sozialen Bewußtseins überhaupt^*. 

Es kann nicht die Angabe der praktischen, angewandten 
Soziolog'ie oder der normativen Sozialphilosophie sein, in 
allen Einzelheiten Vorschriften für die Reg-elung- der sozialen 
Verhältnisse zu geben. Die Leistungsfähigkeit der teleo- 
logischen und normativen Methode ist eine be^enzte, so 
wertvoll und notwendig auch die auf gründlicher soziologischer 
Erkenntnis beruhende Darlegung* von Maßnahmen zur Er- 
reichung- bestimmter sozialer Zwecke erscheint, so wichtig das 
sozial - kritische Denken und Forschen als Ergänzung 
und Abschluß der sozialen Theorie ist Aber dies wird man 
von einer normativen Soziologie oder Sozialphilosophie 
mindestens verlangen dürfen und müssen, daß sie am Leit- 
faden der obersten sozialen Ziele, Ideen und Werte allgemeine 
Gesichtspunkte zur Beurteilung und Kritik des sozialen Seins 
gewinnt und die Grundnormen aufstellt, die für die aktive, 
rationelle Weiterg-estaltung sozialer Verhältnisse richtunggebend 
sein können oder müssen. So gibt es denn eine drei- 
fache soziologische Erkenntnis: Erstens die Erkenntnis 
des sozialen Seins und Werdens, zweitens die Erkenntnis des 
in gesellschaftlicher Beziehung Notwendigen, des sozial- 
teleologischen Müssens, drittens die Erkenntnis des sozialen 
Sollens, soweit eine solche möglich ist. Man kann und soll 
diese drei Erkenntnisarten reinlich auseinanderhalten, also nicht 
etwa da, wo es sich nur um die exakte Feststellung eines 
sozialen Tatbestandes oder -um die Erklärung sozialer Komplexe 
und Zusammenhänge handelt, kritisieren und werten oder 



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Z^tes Kastel Der Zweck in den SonalwtMewrfuften. 



191 



Voncfaläge für eine Änderung' der sozialen Verliältnisse der 
GeaeUscIiaftsordnimg' machen. Die Berechtigung einer aozial- 
technifldien und aozialphilosophiaGfaen, normierenden Wiasen» 
achaft aber wird dadurch nicht angetaatot» mag man auch als 
„atreng«" Wissenschaft nur die reine Theorie, die reine Seina- 
wissenschaft ansehen und die kritisdi-nonnative Beurteilung 
philosophischen Disziplinen überlaaaen. — 

Gesellschaft und Staat erfüllen einen doppelten Zweck. 
Etatens dienen sie der Erhaltung- und Entwicklung, der Föi^ 
derung der Individuen und ihrer persönlichen Zwecke, die 
durch die zentralisierte Organisation des Gemeinschaftslebens 
allein zu verwirklichen sind. Zweitens aber sind sie die alles 
geist^ie Wirken und alles kulturelle Schaffen zusammen- 
fiueenden und fördernden Vermittler des g-eistig-kulturellen 
Entwicklungfsprozesses, die Faktoren der Erzeugung* über- 
individuell gültiger, allgemeiner Werte und Guter. 
Sie sind dies zunächst ihrer Idee nach und sollen es sein. 
Aber die Geschichte zeigt zugleich, daß sie sich tatsächlich 
immer wieder und immer mehr in der Richtung nach diesem 
Ideal und Endzweck ausgestalten lassen. In diesem Sinne ist 
die soziale wie die geistige und kulturelle Entwicklung ziel- 
strebig; in der Mannigfaltigkeit ihrer Zielsetzungen entfaltet 
sich ein einheitlicher, universaler, alle Sonderzwecke in sich 
beschließender und aus sich entlassender sozial- historischer 
Endzweck, wie dies in genialer Weise besonders M^/d erfaßt 
hat. Alles Wirkliche ist zwar nicht schon von vornherein 
(im empirisch -phänomenalen Sinne) „vernünftig", aber es hat 
die Tendenz, immer vernünftiger, zweckmäßiger zu werden — 
nicht „von selbst" freilich, sondern durch den tatkräftigen 
Willen der Menschen.*) 

*) Vgl. zu dem ganzen Kapitel die Arbeiten von Comte, Spencer, 
P. Barth, Schäffk, LUienfeld, R Worm», Qidding», L. JP. Ward, Espinas, 
De Bttbertif, lÜMf Gftmyloioier, BotrenAofer, H Ogpenheimerf Eulmbiirg, 
Wundt, JeruMim, JDufWieim, de Greef, Tarde, 8immd, 0. Spann, L. Stein, 
Tonniea, Vaccaro, Comejo, SchaOmayer, 0. Amman, MaUat, Qoldsekeid, 
Natorp, M. Adler, P. Steffen u. a. 



Elftes Kapitel. 

Der Zweek In der Geschichte. 



In den letzten Jahren ist von verschiedener Seite {DiltJiey^ 
Windelhand j Rickerl u. a.) betont worden, daß die Geschichte 
keine „Gesetzeswissenschaft" sei. Wir wollen uns hier nicht 
auf eine Erörterung- der Streitfrag-e einlassen, sondern ohne 

weiteres zugeben, daß es gewiß nicht die eigentliche Aufgrabe der 
rein geschichtlichen Betrachtung oder Geschichtswissenschaft 
sein kann, Gesetze des Geschehens zu finden. Damit ist natür- 
lich nicht gesagt, die Geschichte habe nur einfach darzustellen, 
was sich im Leben der Völker und Staaten zu verschiedenen 
Zeiten tatsächlich ereignet hat, sie habe nur zu schildern, zu 
erzählen. Keine Wissenschaft — und eine solche will und 
kann die Geschichte meist doch sein — begnügt sich mit 
der bloßen Aufzählung dessen, was auf irgendeinem Gebiete 
möglicher Erfahrung festzustellen ist Man fordert von jeder 
wissenschaftlichen Disziplin, sie solle uns die Tatsachen, mit 
denen sie sich beschäftigt, erklären, begreiflich machen, in 
ihren Zusammenhängen aufweisen. Das ist aber nicht ohne 
Heranbringung des Begriffs der Kausalität an das Er- 
fahrungsmaterial möglich, und so ist es klar, daß ohne Er- 
mittlung der Ursachen des historischen Geschehens und der 
Wirkungen desselben eine wissenschaftliche Geschichts- 
forschung nicht betrieben werden kann. Nun kann man ja 
mit Recht von einer „historischen Kausalität" sprechen 
{Richert, S.Hessen u.a.), von einmaligen, sich nicht wieder- 
holenden ursächlichen Zusammenhängen im Unterschiede von 
dem konstanten und allgemeinen Kausalnexus, wie er in 
einem Naturgesetze formuliert wird, zum Ausdruck kommt. 
Volle Begreif lichkeit des historischen Geschehens ist aber 



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Elftes Kapitel. Der Zweck in der Geschichte. 



193 



doch erat dadurch za enideii, daft man den immer wieder za 
emeuemden Verauch maobti die nngvlären Kaasalzusammen» 
hänge und Abfolgen in der Geachidite eines KnltuigebÜdeSt 
eines Volkes, der Menschheit möglidist auch ans der Geltung 
allgemeiner, relativ universaler Gesetze einheitlieh zu begreifen. 
Die historischen Ereignisse sind also wenigstens als gesetz- 
mäßig darzustellen, wenn es auch vielleicht nicht mogfich ist^ 
besondere, spezifisch historische Gesetze zn ermitteln, oder 
wenn es auch richtig ist, daß die Erforschung solcher Gesetze 
nicht den Gegenstand der reinen Geschichtschreibung büdet.^ 
Daß die Beleuchtung der geschichtlichen Vorgänge durch 
biologische, psychologische^ soziologische, kulturelle Gesetzlich- 
keiten hohen Erkenntniswert f&r die Geschichtswissenschaft 
besitzt, wird auch derjenige zugeben können, der weiß, daß 
historische Ereignisse sich niemals restlos aus solchen und 
anderen Gesetzlichketten ableiten und erklaren lassen. Es 
bleiben stets gewisse irrationale Faktoren übrig, wie die 
Individualität der führenden Geister, der „Zufall" als ein 
ZusammentreiBfen von Bedingimgen, das außerhalb aller Be- 
rechnung Hegt, und anderes. Doch darf die „Einmaligkeit**, 
die Singularität des Historischen auch nicht allzusehr über- 
trieben werden. Es fehlt nicht an einem Rhythmischen, 
Typischen, relativ Konstanten in der Greschidite, es lassen 
sich gewisse geschichtliche Tendenzen allgemeiner Art auf- 
weisen, und es ist jedenfalls ein berechtigtes Ideal, das 
historische Irrationale auf ein möglichstes Minimum zu bringen. 

Die in der Geschichte waltende Kausalitäf^ schwebt 
nun nicht gleichsam über den Menschen, sondern wurzelt in 
den menschlichen Handlungen selbst, mögen diese andi 
durch das natürliche und soziale Milieu ausgelöst und be- 
einflußt sein. Die Geschichte rollt nicht von selbst automatisch 
ab, die Menschen in ihren festen Bann zwingend, in einer 
von vornherein bestimmten, von außen unabänderlich fest- 



•) So maa, Smmd, Wmät, €MäMdtM u. a. 
**) Vgji. Eisler, Wille und Notwendif^eit In der Geschichte^ Annalea 
fOr Nator- und Kaltaiphilosophie, 1914. 

Bttler, Oet Zweck. 13 



194 



II. SpcKteUer Teil. 



g-elegften Richtixn; sich bewegend, unbeemfloOt von mensch- 
lichem Wollen and Handeln. Sondern za den unmittelbaren 
Faktoren der Getchidite gehören vor allem die Akttonen 
nnd Reaktionen der Menschen selbst, und zwar vor allem auch 
der gesellschaftlich verbundenen Mensdien, der menschlichen 
Gemeinschaften, innerhalb deren grofie, hervorragende Per- 
sönlichkeiten zu führenden Geisteni werden, indem sie durch 
ihre besondere Einsicht, Initiative, Eiieigie, durch ihre 
Bichtungs- und Zielbewußtheit eine Autorität über die Maasen 
gewinnen und sie früher oder spater, oft nach harten Wider- 
standen, mitreiAen. Aus den Wechsel- und Gegenwirkungen 
der Menschen, ans menschlich- dynamischen Relationen geht 
alles geschiditUche Leben kausal hervor. Die historisch ge- 
wordenen Zttstindlichkeiten und Verhältnisse bedingen und 
beeinflussen wohl die besondere Art und Weise, den be- 
sonderen Inhalt menschlichen WoUens und Verhaltens, aber 
sie selbst entstehen primär durch die Wirksamkeit mensch- 
licher Aktivität nnd Reaktivität (gegenüber der Natur wie 
dem historisch Gewordenen selbst) und sind in diesem Smne 
ein Niederschlag dessen, was die Menschen wollen, ersdeben. 

Die historische Entwicklung ist die Resultante der 
menschlichen Wechselwirkungen, und die individual- und 
sozialpsychische Gesetzlichkeit menschlichen Wollens 
und Handeins selbst verieiht ihr eine aller Wülkfir sich ent- 
ziehende Notwendigkeit. Diese historische Notwendigkeit 
ist also nicht im Sinne eines fatalistischen, pasdvistischen, 
naturalistisGiien Determinismus zu verstehen. Die Geschichte 
läuft nur deshalb so und nicht anders ab, weil die und die 
bestimmten Willens- und Triebimpulse bestimmte Aktionen 
und Reaktionen bedingen, und weil das eigene Wesen indi- 
viduellen und sozialen Wollens in den historischen Er- 
eignissen zur Erscheinung-, Äußerung-, Entfaltung gelangt. 
Der Charakter, „der Grundwille** der Menschen und 
der Menschheit selbst manifestiert sich im einheit- 
lichen Zusammenbangfe des geschichtlichen Pro- 
zesses und gibt diesem die Gesamtrichtunj^. Die Ge- 
schichte ist nicht ein Werk der Natur außerhalb des 



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Elftes Kapitel. Der Zweck in der Gesdiidite. 



195 



Menschen, sondern sie ist bei allem Eiogfebettetsein in den 
Strom des kosmischen Geschehens und in die Gesetzlichkeit 
des Alls in erster Linie ein Produkt menschlicher Energie, 
menschlichen Geistes, menschlichen Willensi der sich in einen 
reaktiven Triebwillen und einen aktiv-bewußten Willen im 
engeren Sinne gliedert 

Die Notwendigkeit der geachichtiHchen Entwicklung 
bedeutet nicht» daß wir im ▼orhinein mit Bestimmtheit be- 
urteilen können, was geschehen wird, weil es von selbst 
so gesdiehen muß, sondern nur, daß einerseits das Ge- 
schehene infolge der entstandenen Verhältnisse und der 
menschlichen Willensreaktionen and Maßnahmen nicht anders 
ausfallen kann, und daß anderwits alles künftige Geschehen 
durch äußere und besonders innere Bedingungen bestimmt 
ist, die wir aber, da sie sich beständig verschieben und 
durch das geschichtlich Gewordene sich verändern, nicht 
als absolute Konstanten einsetzen können. Richte ist es, 
daß keine individuelle Willkür an dem Gesamtverlauf und 
der Grundrichtung der Greschichte etwas ändern kann. 
Aber dieser Gesamtverlauf, diese Grundrichtung selbst ist 
durch die Willenstätigkeit der Menschen begrnndet und be- 
dingt, und ein Teil der menschlichen Willenskraft ist auf eine 
Beeinflussung, Abänderung der Verhältnisse gerichtet, ja solche 
aktive Grestaltung und Modifikation des Gegebenen gehört 
geradezu zum Inhalt und Wesen der Weltgeschichte. Gewiß» 
nicht jede individuelle Velleität kommt in der Geschichte zur 
Geltung, auch muß die Zeit erfüllt sein, es müssen gewisse 
Voraussetzungen in bezug auf Kultur, Macht, Organisation 
gegeben sein, soll der historische Schöpferwille seine Ziele 
verwirkUchen können. Aber nicht bloß die Geschwindigkeit 
des geschichtlichen Prozesses läßt sich dann beschleunigen, 
sondern auch eine neue, von der bisherigen abweichende 
Teilrichtung kann ihm gegeben werden, ohne daß deshalb 
die Grundtendenz des historischen Werdens der Einheit und 
Konsequenz zu ermangeln braucht. Historische Notwendig- 
keiten haben, das muß betont werden, nichts mit bloß mecha- 
nischem Zwang zu tun, sie sind djorchaus mit der psycho- 

13* 



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196 



II. Spezieller Teil. 



logischea und sittlicheii Willenstreiheit^ mit der FahiglEeit des 
Menfcheii, vemunftigf-alttltchen Wertungen, Ideen und Nonnen 
gemiß zu woüen und su handeln, vereinbar. Die Eigen* 
gesetaliclikeit, die Autonomie des Willens, zuliöolist des Ver* 
nnnftwillens, kommt in der Geschidtte su ihrem Rechte, in 
um so höherem Maße, je weiter die Menschheit lortschxeiteL 
Zur Gesetzlichkeit der Gesdiichte gehört die wachsende 
Selbstbefreiung des Menschen von der Natur, die Steigerung 
der Macht, menschliche Willensziele zu verwirklichen. 

Die Geschichte ist also kein aus dem Walten bloß 
änßwer Naturfaktoren ableitbarer Prozeß, sie resultiert vielmehr 
aus der Wechselwirkung, dem Zusammen- und Gegenwirken 
strebender, wollender, tätiger Menschen.*) Die unmUtelbaren 
Ursachen historischer Begebenheiten und Umwälzungen sind 
stets Handlungen, die der Historiker mit anderen, gleichzeitigen 
und vorhergegangenen Handlungen kausal verknüpft, wobei 
er zugleich auf die Verhältnisse, Umstände, Bedingfungen, 
Zustände naturhafter, sozialer, kultureller Art Rücksicht nehmen 
muß. Um alle diese Handlungen nicht bloß miteinander zu 
verknüpfen, sondern auch zu „verstehen*', muß der Geschichts- 
forscher sich in das Seelenleben der wollenden und handelnden 
Mensch«! einfühlen, er muß imstande sein, sie zu deuten, 
indem er die Motive, die Triebfedern und Beweggründe, 
denen die historischen Aktionen und Reaktionen entquellen, 
richtig erfaßt. Bestimmte Verhältnisse lösen als historisch- 
soziale „Reize" bestimmte Vorstellungen aus, an diese heften 
sich bestimmte Gefühle und Strebungen, die in bestimmten 
Handlung-en sich entladen, zum Ausdruck kommen; diese Hand- 
lung-en erregen wieder bestimmte psychische Vorgänge, die 
in weiteren Handlung-cn sich objektivieren und dadurch in- 
direkt zu neuen Verhältnissen führen. Das relativ Konstante 
in diesem bunten Spiel von Aktionen und Reaktionen bildet 
die Gesetzlichkeit des individual- und sozialpsychischen Lebens, 
die Gleichartigkeit eines Grundstocks von Anlagen, Be- 

*) Vgl. M. Aähr, Marxistische Probleme, 1913; .EMer, GnmdUigen 
der Philosophie des Geisteslebens, 190B; Soziologie, 1903; QMäaMi» 
Kriük der WUlenskraf«, 1905. 



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dfia Kapitd. Der Zweck in der Gcaehidrte. 



197 



durfnissen, Trieben, Intereaaen, Wertungen, 2Uel8trebig^keiten» 

Zwecksetzungfen. 

Damit gelangen wir zur historischen Finalität. Der 
Kausalnexus, in dem historisches Geschehen steht, umfafit siel* 
strebige Aktionen und Reaktionen. Zu den Ursachen und 
Wirkungen, aus denen das geschichtliche Leben resultiert, ge- 
hören Trieb- und Willenshandlungen, und diese haben zum Inhalt 
Ziele, welche verwirklicht, Zwecke, welche erreicht werden 
sollen. Der historische Zusammenhang- ist wohl kausaler Art, 
aber ein Kausalnexus, dessen Glieder direkt oder indirekt eine 
Finalität zur Grundlag-e haben. Als Ursachen wie als Wir- 
kungen treten uns hier Akte entg-eg-en, die einem Streben 
entspringen, und die nur so verstanden werden können, daß 
wir sie als Mittel zn bestimmten Zwecken auffassen. Freilich 
muß hier wieder an das Prinzip der Heterogfonie der 
Zwecke erinnert werden: es darf nicht der Fehler begang-en 
werden, alles Historische als vorgewußt und von vornherein 
gewollt, beabsichtigt zu betrachten. Sondern es verhält sich 
so, daß immer wieder bloße Wirkungen, Folgen von Zweck- 
handlungen unter gewissen Bedingungen selbst zu Zielen und 
Zwecken werden, und daß erst aus der Integrierung, Anein- 
anderreihung ursprünglicher und historisch gewordener Ziele 
umfassendere Zweckzusammenhänge, historische Zweck- 
reihen erwachsen. Es besteht hier, wie schon in der Natur, eine 
Kombination elementarer Zielstrebig keiten zu Gesamtwu'kungen 
auf dem Wege der Beeinflussung anderer zielstrebiger Sub- 
jekte. Es sieht oft so aus, als ob diese Gesamteffekte direkt 
erstrebt worden wären, obzwar in Wirklichkeit zuuäclist nur 
einzelne, nächste Veränderungen, etwa die Beseitigung 
unerträglicher Zustände, die Lösung gewisser Spannungen, 
die Befreiung von unerträglichem Druck, das Strebensziel der 
Menschen bildeten und die tatsächlich sicli ergebenden neuen 
Verhältnisse mit ihren Zweckmäßigkeiten und ihrem positiven 
Gehalte das Produkt einer kürzeren oder längeren Entwicklung 
sind. Teilweise kommt aber das, was in der großen Masse 
der Völker gärt und hier nur als dumpfe, verworrene, un- 
klare Strebung sich regt, in eminenten, führenden Persönlich- 



198 



n. Spetidler TeO. 



keiten zu hellerem, deutlicherem Zweckbewußtsein. So wird 
der historische Fortgang* immer wieder beschleunigt, und es 
kommt in das historische Geschehen mehr Zielsicherheit, mehr 
Initiative, Aktivität und Planmäßigkeit Ferner g"ibt es eine 
Reihe von Faktoren, welche ein Wachstum der Zwecke 
und Zweckmäßigkeiten in der Geschichte ermöglichen. 
Das geistige Leben differenziert sich immer mehr, es er- 
füllt sich mit immer neuen Inhalten und gewinnt an Fähig- 
keit, die Mannigfaltigkeit der Erfahrung und der Gedanken 
einheitlich zu verknüpfen, zu ordnen und zu verwerten. So 
ist für die kulturschaffende Tat eines immer mehr im Bewußt- 
sein seiner obersten Ziele und der richtigen Mittel zu ihrer 
Verwirklichung erstarkenden Vernunftwillens die Voraussetzung 
gegeben. Das bloß Triebmäßige, Impulsive, das um die Folgen 
wenig bekümmerte Streben macht immer mehr, auf immer 
mehr Lebens- und Kulturgebieten dem Zielbewußten Platz, 
die Selbstregulation im Sozialen und Kulturellen wird immer 
sicherer und zweckmäßiger, einheitlicher, methodischer. Immer 
besser gelingt es, die Natur und das Naturhafte zu ver- 
geistig-en und zu rationalisieren, den Bedürfnissen und Zielen 
der sich cutwickelndcu Menschheit anzupassen, auf Grund- 
lage der Erkenntnis, der Wissenschaft und Technik sowie 
der Einsicht in das, was das rein und voll Menschliche ver- 
langt und benötigt, also aus einer immer bewußteren richtigen 
Wertung heraus. 

Ideen und Ideale sind von Anfang an in der Geschichte 
wirksam, nicht als blasse Schemen, sondern als typische 
Willensziele, alsRichtpiinktedes Wollens, Wertens, Denkens 
und Gestalteiifl. Sie sind der Aosdrack fündamratsler Ten- 
deasen der menschlidien Organisation und der Stmktiir des 
Geistes, und sie treiben immer wieder die Menschen an, sie 
SU realisieren. Sie verkörpern sicli in den Gebilden ond 
Institutionen des Gesamtgeistes, in Wirtschaft und Recht, 
Wissenschaft und Technik, Kunst und Religion, sittlichen 
und sozialen Einrichtungen und Verhältnissen, im „objektiven 
Greist^, der aus den Wechselbezieihungen der Einzelgeister 
entspringt und diese zugleich beeinflußt. Im Verlaule der 



Elftes Kapitel. Der Zweck in der Geschichte. 



m 



geschichtlichen Entwicklung" steigert sich die Bewußtheit 
dieser Ideen. Sie kommen immer reiner und umfassender 
zur Geltung, und wie sie in der Einheit der Organisation 
des Menschengeistes wurzeln, so differenzieren sie sich 
nicht bloß immer mehr, sondern sie beeinflussen einander 
stets, aber so, daß der Wille zur Einheit der Ideen, der 
historischen Ziele und Zwecke immer kräftiger und immer 
mehr seiner selbst bewußt wird. Es ist eine Folge der histo- 
rischen Entwicklung, daß Widersprüche in den Zweck- 
setzungeri und zwischen den Mitteln, die ihnen dienen, immer 
mehr bemerkt und iiimier unerträglicher werden, so daß der 
menschliche Kulturwille in immer höherem Maße nach Be- 
seitigung des Irrationalen streben muß. 

Es fehlt gewiß nicht an Perioden relativer Stagnation, 
auch bleiben Rückschläge nicht aus, aber im ganzen weist 
doch die Menschheitsgeschichte einen wahren Fortschritt 
auf, der bei genügender Erstarkung und Aasbreitang des 
Kulturbewußtseint und auf der Grundlage einer umfassenden 
Organisation der Kultormenacdilieit unanfhaltiam ist, wo- 
fern nicht nocli furchtbare Umwälzungen in der Natur die 
Menaohheit vernichten oder veik&mmem luaea werden. 
Hat einmal der bewufite Fortschrittswille eine gewisse 
Intensität und Extenaität erreicht und sich entsprechend 
organisiert, dann besteht die höchste Wahrscheinlidikeit für 
ein immer stetigeres Aufateigen der in der Idee und zu- 
gleich immer mehr auch im realen Wirken vereinigten, 
kooperierenden Menschheit. Das Fortschreiten, die Höher* 
entwicklung im Sinne immer vollkommenerer Beherrschung der 
Natur und immer feinerer und umfassenderer Kultivierung 
und Humanisiemng menschlichen Seins und menschlicher 
Schöpfungen, ist selbst eine der Ideen, die den Willen zu 
ihrer Realisierung antreiben und die aidi vermittelst der Tat* 
kraft der Menschen immer besser verwirklichen lassen. Ist 
auch nicht alles Wurkliche vernünftig und alles Vernünftige 
wirklich, heizscfat auch nicht in der Gesdiichte die reine 
Logik, so kann doch der GreschichtsphOoaoph, der die einzelnen 
Momente und Phasen des historischen Gesdiehens zur Einheit 



200 



II. Spezieller Teil. 



einer Idee zusammenfaßt, mit gfuteii Recht von einer Tendenz 
in der Geschichte sprechen, die „Vernunft", das wahrhaft und 
allgemein Menschlich-Zweckmäßige zu reahsieren, dem „Logos" 
immer ungetrübter zur Herrschaft zu verhelfen. Und zwar so, 
daß das ,HA.logische'S die blinde Leidenschaft und der be- 
schränkte Trieb, immer wieder in den Dienst des „Telos", des 
idealen Ziels, gestellt werden, also nicht von außen her, 
sondern durch den I^zeß historischer Selbstregulation und 
Kcmpensatton („Dialektik:**). Individuen und Völker erscheinen 
80, wie dies Hegel gezeigt hat, als Trager von Ideen, zuhöchst 
der reinen Men8chbeit8*> ond Kulturidee, die den Inhalt und 
Zielpunkt des humanen Gesamtwillens bildet 

Wir sehen also, eine historische Teleologie ist mög* 
lieb, die, weit entfernt^ die strenge Kausalitit des Geschicht- 
lichen zu leugnen oder zu vernachlässigen, yielmehr betont, daft 
alle Zielstrebigkeit und Zwecksetzung in der Geschichte, ganz 
abgesehen von ihrer nicht zu übersehenden Beeinflussung durch 
Natnrbedingungen, auch in den Rahmen des Kausalzusammen« 
hangs Ebendieselben Aktionen und Reaktionen, die sich 
uns ab zielstrebig zeigen, sind fOr die kausale Betrachtung Ur- 
sachen und Wirkungen, und umgekehrt sind die Ursachen 
geschichtlicher Veränderungen direkt oder indirekt selbst 
finaler Art, ohne daß die Notwendigkeit der kausalen Relationen 
irgendwie aufgehoben oder lockerer wird. Auf Grundlage 
bestimmter Verhaltnisse erfolgen aus der Natur der gesell- 
schaftlich verbundenen Menschen bestimmte Reaktionen, die 
weitere Reaktionen zur Folg« haben, und der Kausalnexus 
zwischen allen diesen Akten wird durch den Umstand, daß 
sie auf etwas gerichtet, also in diesem Sinne zielstrebig 
sind, nicht im geringsten berührt. Wie in der Natur, nur noch 
viel deutlicher und unmittelbarer, erweist sich in der Geschichte 
die Finalität als die Innenseite der Kausalität, des äußeren 
Kausalnexus, der phänomenal-kausalen Relationen. Gehen 
wir von den Zielen aus^ die in der Geschichte angestrebt 
werden, dann weiden ebendieselben Akte^ welche Glieder des 
Kausalzusammenhanges bilden, zu Mitteln, also zu Momenten 
eines Finalzusammenhanges; die Eindeutigkeit des Geschehens, 



Elftes Ki^td. Der Zweck ia <ler Gcwliidite. 



201 



soweit sie für uns mög-lich ist, wird dadurch nicht beeinträchtiget. 
Der kausale Zusammenhang- der Handlungfen selbst ist ein 
Ausdruck, eine Objektivation der Wechselbedingtheit, der 
g'egfenseitig'en Abhäng^ig-keit von Tendenzen, deren Inhalt Ziele 
bilden. Die telcolog-ische Notwendig"keit im eng-eren Sinne 
aber, das Beding"t- oder Gefordertsein der Mittel durch die 
Zwecke findet ebenfalls seinen kausalen Ausdruck, nämlich 
in der „determinierenden Tendenz" des Zielwillens, die ein 
Wollen des Mittels zur Folg-e hat, wobei zugleich der 
Willenszusammenhang" seine physische Seite, sein physio- 
logisches Korrelat hat. Wie in den übrigfen Wissenschaften 
ist auch in der Geschichte die Kategorie der Kausalität all- 
gemeingültig,*) aber sie wird durch die Idee der Finalität 
ergänzt, und zwar so, daß die an sich einheitliche, identische 
Reihe des Geschehens die Anwendung beider Gesichtspunkte 
der Betrachtung zuläßt. 

Die Geschichte ist eine Kausal- und eine Zweckwissen- 
SChaft zugleich. Letzteres freilich nicht im normativen Sinn. 
Versteht man aber unter ,,Xorm" bloß einen objektiven Maß- 
stab des Wertens und der Beurteilung, dann laßt sich natür- 
lich die normative Beurteilung auch an die Tataachen der Ge- 
schichte heranbringen. Diese Art teleologischer Betrachtungs- 
weise allerdings hat weder hier noch in den Sozial- und 
Kulturwissenschaften mit der Kausalität direkt etwas zu tun. 
Die Bewertung^ und Beurteilung historischer Begebenheiten 
und Verhältnisse, die Einschätzung der Bedeutung geschicht- 
licher Ereignisse, der Schöpfungen, Leistungen von Person* 
licUceiten und VoUcern erfolgt axd Grund der ericsmiten 
historifldien Ideen und Ziele. Zunädhat in den partiatkaltaiellen 
Gebietes, wie Politik, Wirtschaft, Religion usw., nnd nach 
„relativen Wertmafistäben", das heiflt auf Grund der historisch 
angestrebten Sonderziele,''"'') sodann aber auch, wenigstens für 
den Geschichtsphilosophen, vom Standpunkt der univexsalen 
Kultur« und Menschheitsidee, im Hinblick auf die obersten 

*) Anders Mimsterberg, der die Geschichte als rein teleologische 
Wissenschaft auffaßt 

**) Vgl. 0. Zoremr, Die Geschichtswissenschaft, 1886. 



202 



II. Spezieller Teil. 



Ziele und Werte des Menschen- wie des Geisteslebens überhaupt. 
Diese Wert- und Zweckbezügfe ermogflichen auch eine gewisse 
Auswahl unter dem Material zu einer Geschichte, zum Zwecke 
der Hervorhebung" des historisch Bedeutsamen und als eine 
entsprechende Gruppierung und Ordnung des Materials.*) 
Historisch bedeutsam ist aber alles, was zur Herstellung 
des hislorisclieii Zusammenhanges dienen kann, was eine Stelle 
innerhalb desselben einnimmt, was zur Begreiflichkeit und 
zum Verständnis der historischen Entwicklung beiträgt. Diese 
Bedeutsamkeit bekommt ein Vorgang einerseits als Ursache 
bestimmter Ereignisse, anderseits als Mittel zu einem Zweck, 
der selbst wieder als Mittel zu einem anderen Zweck dienen 
kann, schließlich als Glied des teleologischen Gesamt* 
Zusammenhanges der Geschichte, als ein Moment im Prozeß 
der Realisierung von Ideen und Zielen, die zur Einheit einer Ge- 
samtidee, etDCKi wenigstma fonnalen Eadadea «laammengehen. 

Im Veriaufe der geschiditlicfaen Entwickinn^ wird die 
Keihe der von den Menschen gesetzten Zwecke immer mannig- 
faltiger. Immer neue Ziele werden erstrebt, teils direkt in- 
folge der geänderten Verhältnisse, teils gemafi dem Prinzip 
der Heterogonie der Zwecke, nach wdchem aus "Wirkungen 
von Willenahandlungen eigene Zwecke werden, teils endlich 
durch Umwandlung bloBer Mittel in Zwecke^ Überblicken wir 
aber die Gesamtrichtnng der geschichtlichen Entwicklung, so 
finden wir, daß trotz aller „Zufälligkeiten** der Zweckentstehnng 
nnd trotz alles Unvorheigesehenen und Unvorgewollten in 
der Geschichte im ganzen doch immer wieder eine Tendenz 
nach einem idealen Zielpunkt besteht. Jedeniblls laßt sich 
die Greschichte der Menschheit besser verständlich machen, 
vereinheitlichen, wenn man sie am Leitfaden der Idee einer 
einheitlichen Richtung betrachtet und dann untersucht, ob 

*) Vgl. Bidtert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffs- 
bildung, a. AniL I9i3> Nach Rlckert ist die historische Begriffsbildniig 
iftdedogisch*, das hdßt sie erfolgt dtireh „Wertbeziehang', durch Aus^ 
wsU der dnrdi Beziehung auf einen allgemeinen, absoluten „Kultur- 
wert* (Religion, Sittlichkeit usw.) bedeutungsvollen „historischen Indi- 
viduen". Vgl. H. Engert, Teleologie und KausalitAt, 1911; i^VMcAewe»- 
Köhler, Archiv f. systemat. Philos. XII— XIII. 



Elftes KapHd. Der Zweck in der Getdildtte. 



203 



und auf welche Weise die Annäherung' an das in der Idee 
vorweggenommene geschichtliche Endziel empirisch, tatsach- 
lich bewerkstelliget wird.*) 

Dieses Endziel schwebte nicht etwa von Anfang an den 
Menschen als ein bewußt erstrebter Inhalt vor; aber man kann 
doch, ohne unkritisch zu werden, sagen, daß in den mensch* 
liehen A n 1 a g e n , in den Potenzen der menschlichen Orgfanisation, 
welche in das bestimmte Milieu der Erde gfestellt und hier be- 
stimmten Einflüssen ausgesetzt ist, die Ziele und der Endzweck 
der Geschichte potentiell begründet, vorbereitet sind. So, daß 
schliefilich in der Geschichte — wie auch in der Natur — nur 
das g-eschieht, was geschehen sollte, wozu die Wesen in ihren 
Beziehung*en zueinander „bestimmt" sind, bestimmt nicht 
bloß durch die Umwelt, sondern in erster Linie durch nch 
selbst, durch die Eig'enrichtung' ihres Strebens and 
Handelns, durch den „Wesenswillen" (Tönnies), Zu dieser 
„Bestimmung-" der Menschheit in der Geschichte gehört vor 
allem auch die Setzung immer neuer und höherer 
Zwecke und deren aktive Verwirklichung in der 
Kulturentwicklung, als Entfaltung der Menschheitsidee 
in der Zeit und als Realisierung der Freiheit und Kig-en- 
gcsetzlichkeit des Geistes, der in der Menschheit eine 
besondere Daseins- und Wirkungsform hat, und dessen innerstes 
Wesen die Geschichte immer mehr zur Bewußtheit und 
Geltung bringt fllegelj**) 

*) So Kant. Vgl. P. Mens», Kants Lebre von der Ditwicklmig in 
Natnr und Geschichte, 191 1. 

**) Vgl. zu dem Ganzen die geschichtsphilosophischen Schriften 
von Ttco, Seräett Kant, Fichte, Hegd, Chr. Krause, Lotze, C. ffwrmoi m 
(Philos. der Geschichte, 1870), iVe^ (Die Entfaltung der Idee des 
Menschen durch die Weltgeschichte, 1870), Th. Idndner, K. Breyiigf 
Larnprerht, L. Harimann u a.; femer die Arbeiten Ober die ökonomische 
(„materialistische'*) Geschichtsauffassung von Plechanow, Kautsky, WoU- 
mann, Ma»aryk, F. Barth, 0. Lorenz, Weiset^prün, Semmacher, Charasoff, 
CMOusheid, M^ASUr, Bmaltim, CSdmidt, O. Bauar o. a. Ferner DüfJhay, 
Der Aufbau dar geschidiffiehen Welt in den GeisteswIsseiiSGhaften, 
1910; Frischeiten-KShkr, Archiv für systemat Philos. XII, igo6; Groten- 
feld, Die Wertschätzung in der Geschichte, 1903; Bemhehn, Lehrbuch 
der historischen Methoden und der Geschichtsphilosophie, 1908. 



Zwölftes Kapitel. 

Der Zweck in der Ethik. 

Die sicherste Tatsache der Ethik ist, daß wir eigfene und 
fremde Willenshandlungfen und Gesinnungfen in einer spezi- 
fischen Weise beurteilen, werten, und daß menschliche Indi- 
viduen und Verhältnisse als sittlich oder unsittlich betrachtet 
werden. Eine Reihe von Eigenschaften und Tendenzen g-ilt 
als sittlich „gfut", wir billigten sie, loben sie unter Umständen. 
Das Sittliche wird g-efordert, das Unsittliche verdammt; 
ersteres soll sein, letzteres soll unterlassen werden. Es be- 
stehen also bestimmte moralische Werturteile und sitt- 
liche Normen'*') oder Imperative. £s zeigt sich ferner, daß 



♦) Die wissenschaftliche Ethik kann die sittlichen Normen nicht 
aus eigener Willkür geben. Sie findet zunächst solche Normen im 
geschichtlich -sozialen Leben vor, ausdrflcklich formuliert oder nur in 
gewitten Wartongeii und Reaktionen sidi gdtend madiend, nnd sie 
hat non vorerst „die tatsächlich geltenden Nonnen des sittlichen 
Lebens auf ihren Inhalt und ihren Ursprung za pröfen" (Wnjidt). Sie 
ist wie die Jurisprudenz eine Normenwissenschaft als Wissenschaft 
von tatsächlich geltenden Normen, die sie logisch -systematisch be- 
arbdt» mnfi. Sie arbeitet die in der Mannigfaltigkdt der sitlüehen 
Nonnen sidi entfaltenden ethischen Grandnonnen bq^rißUch heraas 
und begründet die einzelnen Moralpflichten als Feigen ans diesen, die 
ihnen ideell, wenn auch nicht zeitlich vorangehen. Der Logik des 
Rechts ist so eine Logik der Sittlichkeit an die Seite zu stellen. 
Aber wie die Rechtsphilosophie bleibt auch die philosophische Ethik, 
im Unterschiede von der positiven lloralimenschaft, nicht bei der 
Erforschnng, BegrOndnng nnd Systematisierang ihres Nonnenmaterisis 
stehen. Sie flbt auch Kritik an den sittlichen Normen imd wertet sie 
nach ihrer Tauglichkeit zur ErfOllung der sittlichen Zwecke, die sie 
durch Besinnimg auf den innersten, letzten Sinn der Sittlichkeits- 
forderungen erkennt und dann als obersten Maßstab zur Beurteilung 



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ZwölRes Kapitel. Der Zweck in der Ethik. 



205 



bei Terachiedenen Rassen und Völkern und zu verschiedenen 
Zdten eine gewisse Verschiedenheit in den sittlichen An- 
schauungen und Wertungen zu finden ist, aber auch ein 
Grundstock gleicbartig-er Sittengfesetze ist zu konstatieren, 
ein Komplex sittlicher Daumnormen. 

Den sittlichen Normen entsprechen sittliche Pflichten, 
Verhaltungsweisen, die unbedingt gefordert sind, und die wir 
in derRagel selbst von uns fordern, mindestens in der Weise, 
daß unser „Gewissen" uns die Vemachlässigfung von Pflichten 
mahnend oder tadelnd vorhält. Auf die Frage: Wamm 
sollen wir denn so handeln, wie das Sittengebot, die Norm, 
die uns etwas zur sittlichen Pflicht macht, es verlangt? kann 
man mm verschiedene Antworten geben. Man sagt etwa dem 
uns so fragenden Kinde: Gott, der Allweise und Allgütige, 
hat solche Gebote und Verbote erlassen. Oder man weist 
auf die Gesellschaft hin, die von ihren Mitgliedern ein be- 
stimmtes Verhalten fordern müsse, oder es werden die Folgen 
des Handelns dargetan, oder man begnügt sich damit, den 
Wert oder Unwert, die nicht weiter ableitbare Güte oder 
Schlechtigkeit, Schönheit oder Häßlichkeit von Handlungen 
und Gesinnungen zu betonen. Jedenfalls treten die sittlichen 
Normen als solche an das jugendliche Individuum zuerst 
meist von außen heran; durch die Erziehung-, das Beispiel, 
die Lektüre, persönliche Krlahrung-en verschiedener Art wird 
der Mensch mit den in der Gesellschaft herrschenden mora- 
lischen Wertungen und Forderungen vertraut.*) Allmählich 
gehen sie ihm aber in Fleisch und Blut über, es wird ihm 
selbstverständlich, so zu werten und zu handeln, zumal wenn 
außer der Gewohnheit noch die eigene sittliche Urteilsfähigkeit, 



der GQte konkreter ethischer Normen verwendet. Die Mannigfaltigkeit 
derselben muß zur Einheit des sittlichen Endzweckes, des obersten 
Zielpunktes des sittlichen Grundwillens zusammengehen. Daraus ergibt 
sich eine entsprechende Korrektur einzelner bestehender moraUscher 
Wertnngen und Forderongen, eiae partidle ethkdie Umwertung und 
Umnormienuig ans dem Gebt« rdn ethisdier Gesetzlichkeit heraus, 
die hier auf besondere Fälle ihre Anwendung findet 

*) Vfs^ JeruBoUm, Emleitong in die Philosophie, 5.-6. Aufl. 1913. 



206 



n. Spcridkr Tctt. 



die selbständige sittliche Wertung' zur GeUnng kommt, die 
freilich mitunter in einen gewissen GegenBatz zur herkömm* 
liehen, konventionellen, historisch gewordenen Moral tritt. 



Betrachten wir nun die sittlichen Wertungen, wie sie 
durch die Erziehung dem einseln«! beigebracht und von ihm 
selbständig vorgenommen werden, so bemerken wir, daß sie 

znnächst so und nicht anders erfolgen, weil das gewertete 
Verhalten schlechthin als ein geseiltes erscheint. Der sitt- 
hßh. Wertende halt etwas für gut, er billigt es, weil er fühlt 
oder urteilt, es sdle so sein, das Gegenteil sei verwerflich, 
XU mißbilligen, zu vemrteilen. Das Gate ist also „gut 'S weil 
es Pflicht ist oder normgemäß, weil wir wissen, daß wir so 
zu wollen und zu handeln haben. Es mag eine Handlung 
oder Unterlassung als solche material unlustvoll sein oder 
unangenehme Folgen für uns haben, dennoch kann sie von 
uns selbst als gut gewertet werden, wenn wir nur darauf 
achten, daß sie sittlich gesollt, gefordert ist Die Unlust, die 
an eine Handlung oder Unterlassunjj- sich knüpft, kann 
übrigens überwogen werden durch die Gewohnheit sittlichen 
Handelns oder durch die Unlust aus dem Bewußtsein einer 
Pflichtverletzung oder durch die (ideelle) Lust aus der Vor- 
stellung der Pflichterfüllung, also durch das spezifisch sitt- 
liche Gefühl, welches eine eigene, oft sehr starke, allen 
Reizungen begegnende Motivationskraft besitzt. 

Es besteht auch ein besonderer Wille zur Pflicht, ein 
Streben, so zu wollen und sich so zu verhalten, wie die Pflicht, 
die Norm es gebietet Und eine Tatsache ist es, daß der Wille 
zur Pflicht, zu dem als gut, gesollt Erkannten oder Gefühlten, 
oder die sittliche Gesinnung als solche, höchsten sitt- 
lichen Wert hat. Das Gute, Sittliche, Pflichtgemäße um 
seiner selbst willen, ohne Rücksicht auf persönliche Vor- 
teile oder Nachteile, auf Unlust, Schmerz, Lohn oder Strafe 
zu wollen und auszuüben, gilt als das Kennzeichen eines 
wahrhaft guten, sittlichen Charakters, einer wertvollen Per- 
sönUchkeit, einer reifen, vollendeten Sittlichkeit, die also sehr 
wohl eine „Neigung", nämlich die Neigung zum Guten als 
solchem, einschließen kann, mag sie auch unter Umständen 




Zwölftes KapitcL T)rr 7wf-ck in der p-thik. 



207 



zn andereiit etwa sinnlichen, egoistischen, manchmal aber 
audi »altnxistiflcheii*' Keigungen und Trieben im Gegensatz 
stehen. 

Sittlioli wollen und handeln heißt also »inidhst, sich 
Yom Pflichtbewußtsein leiten lassen, dem Willen zum 
Guten und damit der sittlichen Norm gehorchen. Mag 
auch ursprünglich der Erfolg der 'Willenshandlttng vor 
allem in Frage kommen, so gehört es sicherlich zur Sittlicfa- 
keitsentwicklung, daß schließlich die reine, sittliohe Ge- 
sinnung als solche aufs hÖdiste gewertet wird, mag 
auch im emzelnen Fall der gewünschte Erfolg des Handelns 
ausbleiben oder gar teilweise ein objektiv schädlicher sein« 
Eine an sich objektiv gute Tat kann ans sittlich indifEe- 
renten oder selbst aus unsittlichen Motiven entspringen, 
und ein Mensch, der so handelt, braucht daher noch nicht 
einen guten Charakter, ^nen guten, sittlichen Willen zn 
haben. Der äußere Erfolg des Handelns steht nicht immer 
in der Macht des Menschen, und so muß man sich oft mit 
dem gut«i und ernsten Willen begnügen. Vor allem aber 
gibt uns erst die sittliche Gednnung die Gewähr, daß der 
betreffe n de Mensch auch in Fällen, wo die Handlung gegen 
den Vorteil und die Neigung des Handelnden ist, sittlich zu 
wollen und zu handeln vermag. Erat ein Mensch mit dner 
solchen Gesinnung, mit einem sittlichen Dauerwillen, mit 
der Fähigkeit, den Pflichtwillen zur Dominante seines Strebens 
und praktischen V^haltens werden zu lassen, «scheint uns 
als ein ethisch vollwertiges Wesen. Es darf freilich nicht 
der Fehler bogangen werden, die sittliche Gesinnung mit der 
bloßen »guten Absicht** zu verwechseln, die sich oft nicht zu 
einem wirklichen, kräftigen Willensentschlufl erhebt und sich 
um die Folgen des Handelns wenig kümmert Der Wille, 
das Gute zur Tat werden zn lassen, wo immer dies nur 
möglidi und zu fordern ist, bildet schon einen integrierenden 
Bestandteil des sittlichen WoUens.") 

Die Pflicht aber, mag sie nun erst von außen an das 



*) Oohm, Ediik, s. A., 1907. 



208 



n. Spttieller TeU. 



Individttttm herangetreten sein oder aus der SteUungnahme 
desselben zam Leben unmittelbar als solcbe gefülilt, gewertet 
und gewollt werden, muß steh als wahre Pflicht legitimieren, 
rechtfertigen lassen, so richtig es auch ist, dafi wir im konkreten 
FaU meist nicht erst nach dem Gnmde, geschweige nach den 
letzten Granden und Zwecken der sittlichen Fordemng fragen, 
und daß erst in schwierigeren, komplizierteren, heikleren 
Fällen die Besinnung auf die Voraussetzungen und Zwecke 
sittlichen Verhaltens erwacht und notwendig wird. Schließlich 
aber können wir uns nicht damit begnfigen, einfach auf die 
Norm, das Sollen, die Pflicht zu verweisen, ohne darzutun, 
wamm und wozu etwas gesollt ist Zu welchen Ergebnissen 
die Ethik auch gelangen mag, die Frage nach dem Sinn, der 
Idee des Sittlichen, nach dem sittlichen Zweck, nach dem, 
worauf die sittlichen Normen abzielen, ist schließlich nicht 
abzuweisen, jedenfalls nicht für den Ethiker. 

Die Relativität einzelner Sittengebote, die Abhängigkeit 
dieser von bestimmten sozialen Faktoren, von der Struktur 
der Gesellschaft und den Bedürfnissen derselben sowie von 
der Entwicklungshöhe der Gefühle, Wertungen und der Er- 
kenntnis, der Einsicht, von der Kulturlage überhaupt^ den 
Wandel sittlicher Anschauungen, Wertungen und Normen in 
der Gesdiichte wird wohl niemand mehr bestreiten, auch nicht 
der besonnene Vertreter des ethischen Formslismus und 
Apriorismus. Was im besonderen eine Tugend oder ein 
Laster ist, moralisch gebilligrt oder mißbilligt wird, das unter- 
liegt zum Teil einer Entwicklung,*) das ist nicht durchweg 
für alle Zeiten konstant, nicht absolut gültig. Aber die Sitt- 
lichkeit als solche ist etwas a priori Gültiges**) und etwas All- 

*) Vgl. die Arbttten von i^penoer, L. Stephen, Wiüiams, SutheHand, 
Chiffau, Joß, MSffäAng, Weitematdt vu a. 

•♦) Die „Aprioritäf des Pflichtbewußtseins als solchen, des sitt- 
lichen Sollens überhatipt, ist mit der Tatsache, daß der Inhalt besonderer 
sittlicher Normen teilweise einer Entwicklung unterliegt, durchaus ver- 
einbar. Was sich nicht entwickelt, nicht bloß historisch bedingt ist, 
das ist die sittliche Form, das Spezifische, Formale des Ethischen, die 
dttliche Normalität als solche, die sittliche Forderung als Aiisllafi des 
reinen Sittlidikeitswilleiis, die durch die ganze Menschheitsgeschichte 



y i.i^L^^ L-y Google 



Zwölftes X^ntd. Der Zweck in der Ethik. 



209 



g^emeines, dessen Wurzeln schon im Tierreich angelegt sind, 
und das schon im Keime beim primitiven Menschen, soweit 
dieser gfesellschaftlich lebt, zu finden ist Aus der Ursitte 
hat sich einerseits das Recht, anderseits die Moral differenziert 
( Wundt). Die Sitte selbst aber schließt schon eine der eig-ent» 
lieh moralischen analogfe Regelung- des Verhaltens der Menschen 
zueinander und zum Ganzen ihres sozialen Verbandes ein. 
Es wird hier wenigstens so von der Gesamtheit g'eg'en deren 
Mitglieder reag-iert, verfahren, als ob schon sittUche Normen 
für das Verhalten derselben beständen. 

Vergleichen wir nun die verschiedensten Gemeinschaften 
miteinander und fragen wir uns: Was ist denn das Gemein- 
same ihrer undifferenzierten oder ausgebildeten sittlichen 
Wertungen und Normen? so finden wir: Gebilligt und 
gefordert wird stets ein solches Verhalten, wie es für die 
Zwecke der Gemeinschaft erforderlich ist oder erscheint. 
Stets und überall ist das sittlich gute Verhalten und später 
der sittlich gute Wille identisch mit dem Handeln und 
Wollen im Sinne des Gemeinschaftswillens und in der 
Richtung der Förderung oder Nichtschädigung der Ziele dieses 
Willens. Die Entwicklung* der Sittlichkeit besteht nun darin^ 
daß die Gemeinschaft, deren Zielen sich die einzelnen unter- 
ordnen, hingeben sollen, immer weiter, umfassender wird, 
immer mehr den partikularistischen und ausschließenden 
Charakter verliert, bis schließlich die Menschheit, vorläufig- in 
der Idee oder im Bewußtsein großer, die sittliche Entwicklung 
antizipierender Persönlichkeiten, sich als eine universale Ge- 
meinschaft konstituiert, die sich den einzelnen Geaellschafts- 

geht und gleichsam flberhlstorischen Charakter besitzt Sittlichkeit ist, 
wie Wahrheit und Schönheit, nicht bloß „Empirisches", sondern einr 
Idee, die als Maßstab des Empirischen und historisch sich Entwickelnden 
dient. Sittlichkeit ist kein bloßes Produkt des Seins, sondern einer 
Stellungnahme zum Sein, eine ideale WiUenMeiziaig und dn aas 
Ihr erfliefiendes Sollen. Nur was im besonderen gesollt Ist, richtet sldi 
nach dem Sein, nicht aber daß überhaupt gesollt wird. Vgl. Simmel, 
lünleitang in die Moralwissenschaft, 1893; M. Adler, Marxistische 
Probleme, 1913, S. isgff., ferner die Arbeiten von Cohen, Natorp, 
P. Mensel, Ä. Messer, Uenouvier u. a. 

BUIer, ]>er Zuwek. 14 



8t0 ». Speddler Tc». 

grnppen uberordnet , indem sie dieselben als relativ be- 
rechtigte und wertvolle, ja onentbehriicbe Einheiten aniHrkennt. 

- Die sittlichen Normen erfließen somit logisch aus dem 
reinen Gemeinschaftswillen und geben dem individuellen 
Handeln eine überindividuelle Richtung. Je höher die Ziele 
sind, die eine Gemeinschaft verfolgt, desto höher steht die Moral 
ab Syatem aittücher Nonnen, als Inhalt des objektiven Geistes» 
und so gewinnen wu: einen objektiven Maßstab für die Be- 
wertung der historisch gewordenen und werdenden Sittlichkeit^ 
der natürlich die Wertung der subjektiven Sittlichkeit nach 
der Reinheit der Gesinnung nicht im geringsten aus-, sondern 
vielmehr einschließt. Auch ist diese Erklärung des Sittlichen 
keineswegs eine „heterogenetische*' und „heteronomische": 
denn die Normen, welche festsetzen, was sittlich gut und böse 
ist, gehen von den zur Gemeinschaft verbundenen und die 
Gemeinschaft wollenden Menschen, von dem ihnen selbst 
immanenten Gemeinschaftswillen aus, an dem sie teilnehmen, 
mögen auch die Normen den Individuen zunächst von außen 
her zum Bewußtsein gebracht werden. 

Der „Gesamtwille", dessen Erzeugnis die Sittlichkeit ist, 
hat zwar einen allgemeinen, überindividuellen Inhalt, auch ob- 
jektiviert er sich in Normen, Gebilden und Institutionen, die 
von den Individuen relativ unabhängig sind, aber er ist doch 
immer nur in den etwas Gemeinsames wollenden Menschen 
selbst lebendig. Wenn auch die sittlichen Normen als 
Forderungen des Gesamtwillens zum Teil auf den Widerstand 
individueller Neigungen stoßen, so wurzeln sie doch ursprünglich 
in Gefühlen und Trieben der gesellschaftlich lebenden Indivi- 
duen, werden immer wieder von diesen seelischen Vorgängen 
bestimmt und setzen sich beständig in solche um. Das Soziale 
wird so zu einem Teile des eigenen Wesens der Individuen. 

Auch darf man nicht glauben, das Objekt, der Zielpunkt 
des sittlichen Handelns sei nur die Gesellschaft als solche. Zu 
den ethischen Forderungen gehört auch eine richtige, norm- 
gemäße Behandlung anderer Individuen sowie auch des eigenen 
Ich, welches Pflichten gegen sich selbst hat. Wenn die In- 
dividuen die Zwecke der Gemeinschaft fördern sollen, so 



Zwölftes Kapitel. Der Zweck in der Ethilc. 



211 



rnSaten sie ihre eigenen Anlagen und Kräfte so ausbilden 
nod eibaiten, da0 sie mögliclist wertvolle, kraftvolle, tiiditige 
Glieder der Gemeinschaft daxiteUen, weldie allerdings ver- 
langt, daß die individüetten Eneigien möj^lichst im Sinne des 
GreröonschaftswiUens, jedenfaUs aber nie im gegensätsHchen 
gebraiidit weiden. Ein Ideal ist es« daß die £ntfa]tang der 
Persdnlicbkeit nicht änf Kosten der Solidarität, die So- 
zialität aber auch nidit anl Kosten der Persönlichkeit snr 
Geltung kommt. £s ist also im eigensten Interesse der 
Gesellschaft, Mitglieder za besitzen, die ihre Individualität 
entfalten, wofern diese nur nidit Egoisten im schlechten 
Sinne des Wortes sind, sondern die Ziele des Cresamtwillens 
such zu den ihren macheiL Eine Vernachlässigung des 
eigenen Ich, wofern sie nicht durch ganz besondere Um- 
stiude gestattet und gerechtfertigt ist, ist antisozial und ethisch 
verwerflich. Zuhochst widerstreitet aber die Vernachlässigung 
der Peiaonltchkeit der Idee der Kultur und der reinen 
Humanitätsideeb 

Alle die Eigenschaften und Handlungen, die als sittlich, 
als gut gelten, alle Tugenden weisen das Gemeinsame auf, 
daß sie zur Konstituierung, Erhaltung und möglichst auch 
zur Höherentwicklung des Gemeinschaftslebens dienen, welches 
das Leben der Individuen einschließt. Umgekehrt gilt alles 
als schlecht oder böse, was die Tendenz hat, dem Gemein- 
schaftsleben und dessen Zielen Abbruch zu tun. Es gibt 
nun Tugenden und Pflichten, die Bedingungen jeglichen 
Gemeinschaftslebens sind, während andere wwtlos, ja sdiäd- 
lieh werden, wenn die sozialen Verhältnisse und das kulturelle 
Milieu sich geändert haben. Solche Tugenden und Pflichten 
erhalten sich wohl noch infolge einer Art Behairungs- 
vermögens eine Zeitlang, schließlich aber kommen sie außer 
Geltung, und neue Tugenden und Pflichten treten an ihre 
Stelle. Aber auch die konstanten und allgemeinen Tugenden 
sind nicht absoluter Selbstzweck, sondern Mittel für die Verr 
wirklichung der obersten sittlichen Zwecke, so sehr ihnen auch 
ein relativer Eigenwert zukommt Der „absolute" Wert haftet 
schließlich nicht an ihnen, sondern an der Sittlichkeit über- 

14* 



i- kji 1^-^^ L-y Google 



212 



U. Spnkller Tdl. 



haupt und an den obersten sittlichen Zielen. Diese Uefern 
den Maßstab für die endgültige Bewerttmg' des WoUens und 
Handelns in objektiver Hinsicht. 

Die sittliche Gesinnung- bemißt sich danach, ob man das 
Gute nicht aus unethiachen Motiven will und tut, mit anderen 
Worten danach, ob der sittliche Zweck selbst das Motiv, den 
Beweg'gTund des Handelns bildet*) Aber von allen und jeden 
Zwecken läßt sich im Ethischen nicht abstrahieren, auch nicht 
vom Standpunkt einer ,/ormalistiscben" PflichtenmoraL Denn 
auch hier fehlt der Zweck keineswegs. Kr besteht hier in der 
Verwirklichung- des formalen Sittengebotes, in der Krfüllung 
der Pflicht, der die sittliche Handlung dient. Wenn wir dem 
„kategorischen Imperativ" gehorchen, so setzen wir uns den 
Zweck, allgemeingültig oder als (irlied eines „Reichs der Zwecke" 
zu wollen und zu handeln, in uns und anderen die Würde reiner, 
autonomer Menschlichkeit zu betätigen, oder den Menschen 
nie als bloßes Mittel zu praktischen Zwecken, nie als bloße 
„Sache", stets auch als „Person", als Eigenwert und Selbstzweck 
zu behandeln. Wie jeder Wille, ist also auch der sittliche 
Wille auf ein Ziel gerichtet, und dieses sittliche Ziel erst 
macht ihn zu einem guten Willen, mag er auch zuweilen in 
der Wahl der Mittel zur Realisierung des Zieles nicht glücklich 
sein. Man kann nun sehr wohl die Pflichterfüllung als solche, 
abgesehen von ihrer näheren Bestimmung, als unmittelbares, 
ideales Ziel des sittlichen Willens betrachten. Aber man kann 
nicht dabei stehen bleiben, sondern muß auch fragen, was 
denn nun eigentlich Pflicht ist. 

Da bleibt nun kein anderer Weg als die Darlegung der 
verschiedenen, besonderen Pflichten als Glieder eines Systems 
von Verhaltungs weisen , die durch den Gemeinschaft-swilien 
und dessen Ziele gefordert sind. Den „Willen zur Pflicht" 

*) „Der wiridiche Sachverhalt bestdit vielmehr darin, daß die 
subjektive Wertadiitzimg mensdiUcher Handlungen inuner von 
Zweck nnd Motiv zugleich bestimmt md . . . Sittlich sind ... die 

Motive, wenn das erstrebte Gut nur um seiner selbst willen, 
nicht wegen irgendwelcher Nebenzwecke gewollt wird'* (IFMmi^^Sjrstem 
der Philosophie II *, 1907, S. ^6). 



Zwölftes Kapitel. Der Zweck in der Ethik. 



213 



liaben, bedeutet dano, da6 man befeit ist, solche sittlichen 
Ziele sa eigenen Zwecken zu erheben und ihnen niedere, 
minderwertige Ziele unterzuordnen oder zu opfern. Der 
kategorisdie Imperativ laßt sich dann etwa so formulieren: 
Wolle und handle nach Kräften und bester Einsicht so, 
daß du dich durch dein Wollen und Handeln zu einem 
möglichat wertvollen Gliede der Gremeinschaft, znhochst der 
menschlichen Kulturgemeinschaft, des kulturellen „Reichs * 
der Zwecke** machst Oder: Wolle und handle im Sinne des 
reinen Gemeinschaftswillens, den Bedingungen einer mög- 
lichst umfassenden Menschengemeinschaft gemä& Die im 
katagoriachen Imperativ erhobene Forderung, so zu handeln, 
daß die Maxime, der Grundsatz unseres Willens zum 
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gemacht werden 
könne — also das Postulat allgemeingültigen Wollens und 
Handelns — ist etwas genauer zu begründen, als dies bei Xaid 
geschieht, der hieibei sogar einmal in den von ihm ao per> 
horreszierten Eudämonintras, ja E^ismus zuräckföUt Der 
wahre Sinn des kat^orischen Imperativs ist, daß nur jene 
WiUenshandlung als wahrhaft sittlich zu werten ist, von der 
aich denken läßt, daß sie dem Willen zur Gemeinschaft 
entspricht, daß sie also mit der Zugfehörigkeit des 
Wollenden zu einer Gemeinschaft frei wollender, per- 
sonaler Wesen vereinbar, ja durch sie geradezu g-efordert ist. 
Der kategorische Imperativ ist gleichsam die Stimme des 
reinen Gemeinschaftswillens in uns, der uns „Achtung** 
einflößt, uns aber auch „Würde" verleiht, da wir ja selbst ein 
Glied dieser Gemeinschaft sozialer und humaner Art sind und 
als solches nicht bloß Gesetze, Nonnen empfangen, sondern 
auch selbst geben und gutheißen. Dies hat ja Kant selbst, 
wo er vom „Reich der Zwecke" spricht, vortrefflich (nur mit 
«ner Schwenkung ins Metaphysische) dargetan.*) 

*) Vgl. Grundiegang zur Metaphysik der Sitten, 1785. Femer 
O0A«N, Ksms Bcgrflndnng der Etlilk, a. AniL 1911; K, Vorlänäer, Der 
FormaUsmus der Ksntschen Ethik, 1893; Ä, Mmtr, Ksnts Ethik, 1904, 
J^. 8kmdmfftr, Das Sttengesetz, a. AnlL 1897; Bmmvkrf La acience de 
la morale, 2908. 



214 



IL Sreama Tefl. 



Im ninen Gemeiiischaftswineii od«r Wüleii tnr Gremetfif 
achaft liegt, daß wir unsere Uttmeofdieii als gleichbeieclitigl» 
GUeder der GremeiDechaft» der aozialen wie der humanen, tu 
behandeln haben; e« ergeben sich ans diesem Wollen also 
die Gxundpflichten gegen den Nächsten, als Beding-ung-en 
eines einheitlichen Gemeinschaftslebens. Weiten 
Pflichten sind jene gegen uns selbst und die Pflichten gegeo 
die Gesamtheit als solche, gegen deren Organisationaformen, 
gegen die Nation, den Staat usw. Nun hat aber das soziale 
and staatliche Gemeinschaftsleben, so wertvoll und zweckvoU 
es selbst ist, nicht die Bedeutung- eines absoluten Endzwecka. 
£s dient teils dem Zwecke der Erhaltung und Entwicklung 
der Individuen, teils überindividu^en, objektiven Zwecken, 
die es im Laufe der Gesdüchte immer bewußter und aktiver 
setzt und verfolgt. Das soziale Gemeinschaftsleben ist die 
Form, die Organisation, die das menschliche Geistesleben an- 
nimmt, um sich in der möglichst intensiven und vollkommenen 
Weise zu entfalten und zu immer höheren Stufen empor- 
zusteig-en. Es ist zuhöchst eine Org-anisatiou des Kultur- 
will ans, des Willens zur Erzeugung von Gebilden, Zuständen 
und Verhältnissen, die der Ausdruck, die Objektivation und 
Realisation geistiger Tendenzen, Werte, Ideen, Ideale sind, 
zugleich eines Willens zur Höherentwicklung des mensch- 
lichen Lebens in dessen höchsten Potenzen, in allem, was es zu 
einen) Verwerter und Beherrscher des Naturhaften, des außer- 
und innerhalb des Menschen Gegebenen macht Je höhere Ziele 
der Menschengeist sich im Verlaute seiner historischeu Ent- 
wicklung setzt, je mehr er sich über seine, in seiner ureignen 
Gesetzlichkeit wurzelnden obersten Zwecke klar wird, desto 
mehr erkennt er die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit 
eines universalen Zusammenschlusses, einer Vereinheit- 
lichung menschlicher Tendenzen und Kräfte, und desto mehr 
breitet sich die Idee der alle Sondergemeinschaften um- 
spannenden humanen, rein menschlichen Gemeinschaft aus. Die 
Humanitätsidee — die Idee reiner MenschUchkeit und der 
Zusammengehörigkeit aller Menschen zu einem idealen „Reich 
der Zwecke", in welchem jedes Glied seine Funktionen und 



Zwölftet Kapitel Der Zweck In der Ethik. 



SM 



seine Pflichten, aber auch seine Menschenrechte hat, und io 
wdehem jeder Wirkende, Schaffende direkt oder indirekt^ 
aber nur der sittUche Charakter durch seinen eig-enen Willen, 
zur Verwirklichung der Menschheitsziele beiträgt — liefert den 
obersten Wertmaßatab für die Sittlichkeitshöhe nicht bloß der 
IndividuMi, sondern auch der Sondergemeinscliaften nad ihrer 
Institutionen, die sich schließlich den rein humanen Zwecken, 
den Zwecken vollmenschlischer, idealer Kultur unterordnen 
müssen.*) Und diese Idee ermösflicht zugleich die Kritik der 
historisch gewordenoit positiven Moral, sie wird snr Norm 
fär die Beurteilung* der positiven sittUchen Normra, wie ne 
auch in der geschichtlichen Entwicklung selbst immer wieder 
/u einer wenigstens partiellen Umwertung von Moralwerten 
oder doch zu einer gewissen ethischen Wertverschiebung führt. 

Die als sittlich zu wertenden Handlungen müssen also 
einerseits einer sittlichen Gesinnung entspringen, anderseits 
aber können sie nur dann vollen Anspruch auf objektive 
Sittlichkeit machen, wenn diese Gesinnung- eine Bedingung 
zur Verwirklichung' des objektiv Guten, d. h. des im ethischeti 
Sinne Wert- und Zweckvollen ist. Die Gesinnung ist eine 
gute, wenn sie sich als Wille zur Pflicht, zum Seinsollenden 
erweist, als ein Wille zur Realisierung von Zwecken, die der 
reine Gern ein schafts- und Menschheitswille unbedingt und all- 
gemeingültig setzt, aufgibt, und aus denen die Pflichten für 
jeden einzelnen und jede Sondergemeinschaft mit logisch- 
teleologischer Notwendigkeit erwachsen, unabhängig von den 
Privatzwecken, Sonderneiguugeii und Sonderinteressen der 
Verpflichteten. In diesem Sinne ist das Sittliche wahrhaft 
Selbstzweck, und so wird auch dem ethischen „Rigorismus^* 
sein relatives Recht gewahrt. 

Die einzelnen Pflichten und Tugenden aber sind ihrem 
Inhalte nach nicht absolute, letzte Zwecke und Werte, sondern 

. Der letzte Zweck sittlicher Entwicklung besteht aacfa nach WmM 
in der „Hcnrtelhuig einer allgemeinen Willensgemeinschsft der 

Menschheit, als der Grundlage ftkr die möglichst große Entfalnug 
menschlicher Geisteskräfte zur Hervorbringung geistiger Gttler*^ (System 
der PhUosophie II*, 1907, 8.332; vgl. Ethik*, 191a). 



216 



IL SpesieUcr Tdl. 



die Mittel zur Verwirklichung' der aittlicheu Zwecke und 
keineswegs alle für immer, von vornherein festgelegt. 
Immer wieder müssen sie sich als die sittlich richtigen 
Mittel bewähren, legitimieren oder aber müssen sie besseren» 
tauglicheren Mitteln weichen. £s besteht ein Kampf um 
die sittlichen Werte, eine Art „moralische Selektion**» eine 
Anpassung sitUicher Gebilde, Werte und Normen an die 
fortgeschrittenen ethischen Bedürfnisse und die vervoll- 
kommnete ethische Einsicht. Die sittliche Vervollkommnung 
als solche wird schUeßlich selbst zu einem höchsten Ziele 
des SittUchkeitswillens und damit zu einem Bestandteil der 
obersten Kulturziele der Menschheit.*) Die Förderung der 
sittUchen Gesinnung und des sittlichen Verhaltens der einzelnen 
wie der sozialen Gemeinschaften wird dann bewußt an- 
gestrebt, und es bildet sich eine eig^ene Moral- und Sozial- 
pädagogik aus, welche in Verbindung" mit einer Reihe von 
Institutionen zur aktiven Regulierunpf der Moral der einzelnen 
wie der Gesamtheit beitragen kann.**) 

Welches sind nun die obersten Zwecke der Menschheit, 
die im System der besonderen sittlichen Zwecke sich ent- 
falten? Sie gehören zu den reinen Kulturzwecken. Der 
Wille zur Schaffung von Kulturwerten und zur Fördenxng von 
Kulturzwecken, zu denen auch die innerliche Versittlichung, 
die ethische Kultur der Menschen selbst gehört, trägt das 
System der sittUchen Normen und legitimiert sie zuhöchsL 
Der Endzweck des Sittlichen ist keineswejjfs die ,,Lust" um 
jeden Preis» wenn auch immer nur etwas gewollt, zum Zweck 
gesetzt wird, dessen Vorstellung direkt oder indirekt lustbetont 
ist. Noch weniger läßt sich der bloße Genuß als Endzweck des 
Handelns überhaupt, also auch nicht des sittlichen, betrachten. 
Die Menschen streben in der Regel objektive Zwecke an, 
nicht bloße Gefiihlszustände, wenn auch jene Zwecke auf 
subjektive Bedürfnisse individueller oder interindividueller Art 
sich beziehen, mit inneren Zielen verknüpft bleiben. In der 



•) So besonders FicJde und Wundi. 
**) Vgl. P. Natorp, SozialpftdAgogik *, X909. 



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ZvSlflct Kapitd. Der Zweck in der Ethik. 



217 



Mflnachheit schlummern verschiedene^ den rein menschlichen 
Charakter konstituierende Anlagen und Potenzen, teils von 
Anfang an, teils durch die Entwicklung und Geschichte der 
Menschhext eist geschaffen. In der immer grofieren Dif> 
ferenzieruog und sugleich Vereinheitlichung- dieser allmählich 
•zur Entfaltung kommenden Anlagen durch die zielstrebige 
Tätig-keit der Menschen selbst besteht das innerste Wesen 
der Menschheitskultur, deren Ziele nur innerhalb der Mensch- 
heitsgfemeinschaft zu erreichen sind. 

Indem die Menschheit einen immer mehr wachsenden 
Reichtum an Werten odw Gütern produziert, realisiert sie 
zugleich ihre eigene Idee, die Idee einer nur im rastlosen 
Fortschreiten ihr Glück suchenden und findenden Gattung 
von Wesen, deren „Hndzweck" in der unablässigen Setzung 
immer höherer und umfassenderer Ziele selbst liegt. Es 
„wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken'*;* im Streben 
nach diesen entfaltet und betätigt er sein wahres, volles, 
reines Menschentum, erfüllt er seine „Bestimmung'', die ihm 
durch die einheitliche Weltordnung gesetzt ist. So betrachtet» 
steckt in dem Glauben, sittlich handeln heiße im Sinne des 
göttlichen Willens handeln, heiße den Willen der Gottheit 
erfüllen, eine ewigfe Wahrheit, die dem SittUchen zwar nicht 
die Grundlage, aber die religiöse oder metaphysische Weihe 
gibt, iodein sie die Menachheitszwecke den kosmischen 
Zwecken einordnet. 

Auf die so oft gestellte Frage, was denn der Zweck 
oder Sinn des menschlichen Lebens sei? ist zu ant- 
worten: das Leben seibst."*) Das Leben als Ganzes, £in- 

*) „Der Mensch lebt, well es seine Bestimmimg ist, zn leben. Die 
Besttnimnog dieses Lebens aber besteht in dem, was es seinem 

eigensten Wesen nach hervorbringt. Dieses eigenste Wesen des 
Lebens ist geistiges Leben. Auf die Erzeugung geistiger Schöpfungen 
ist daher immittelbar oder mittelbar alles Leben gerichtet" {Wttndtf 
System der PhSosopliie Jl\ 1907, S. 338 f.). — „Dss Leben hat nnr in- 
sofern einen Wert und efaie Bedeotnng, als vric sie ihm geben. Das 
ist das Wesen und Insiegel des Geistes, daß er schaffe, daß er pro- 
duktiv sei. Und das ist das Vorrecht des Menschen unter den Ge- 
schöpfen , daß er ein Leben des Geistes leben könne . . . Der Geist 



218 



IL SpoicUcr Tdl. 



heitliches besteht ja in einem stetigen Zusammenhangfe von 
Zielstrebigkeiten und Zwecksetzungen, es ist ein Passieren 
von immer neuen Zielpunkten und ein Verwirklichen von 
subjektiven und objektiven Zielen. Nur muß man die ver- 
schiedenen Phasen des Lebensprozesses von dem Leben als 
Geaanitschaffen und Gesamtresultat, als Idee unterscheiden 
und nicht glauben, das physische, sinnliche, triebhafte, ego- 
istische Leben sei das ganze, volle, höchste Leben. Auch 
das geistige, kulturelle, das auf ein Allgemeines, Ober- 
individuelles, Objektives gerichtete, opferfähige Leben ist in 
Anschlag zu bringen, ja es bildet die höchste Stufe und Form 
des Lebens. Dieses höhere schöpferische Leben hat den 
Endzweck, die Idee seiner selbst durch seine Zweck- 
setzungen zu realisieren, sich selbst, seinen Wesensgehalt in 
der Zeit zu entfalten und zu steigern, die in ihm latenten 
Möglichkeiten zur Tat zu machen. Die Bestimmung des 
Menschenlebens ist, möglichst viel Werte zu produzieren 
und so am Bau der Welt mitzuarbeiten, zunächst in seiner 
besonderen Sphäre, für sich und die Mitmenschen, durch 
seine Nachwirkungen aber auch ins Weiteste und Fernste, 
im Sinne des Goetbeschen Ausspruchs: „uns zu verewigen 
sind wir ja da". 

Die individuellen ordnen sich den sozialen und humanen 
Zwecken unter (WundtJ, aber damit erschöpft sich der Sinn 
des Lebens noch nicht. In irgendeiner Weise und in irgend- 
einem Maf5e füjrt sich das menschliche Leben wie das Wirken 
aller übrigen Wesen dem kosmischen System der Zwecke 
ein, dessen Glied es bildet, und auf das es durch alle Zeit 
hindurch bezogen bleibt. Sich bewußt, willig und kraftvoll 
in den Dienst des universalen Lebens zu stellen, sich ihm 
hinzugeben, das ist das Höchste, was uns die Ethik als Auf- 
gabe stellen kann, als eine das Bewußtsein des un- 
verlierbaren Wertes aller Tat erweckende Idee. So 

wirkt and bildet, seinem Ideale gemäß; was sein soll, nicht was ist, 
schwebt ihm als Zweck seines Daseins vor " ( Fettrhtersleben, Aphorismen, 
nebst der „Diätetik der Seele" herausgegeben von R. Eisler, Deutsche 
Bibliothek, 1913, S. 189). 



Zwölftel Kapitel. ]>er Zweck in der EOiik. 



219 



erweitert sich das EtiüsGihe ins Kosmische und Metaphyaisoiie* 
Die Menschheit Wüt sich dann bestimmt zu einer ihr durch 
die immanente Weltosdnongf gesetzten Aaf|rabe, sie hat eine 
Mission zu erfüllen, nach Kräften alles das, was an produktiven 
Potenzen in ihrem Wesen schlummert, zu entfalten und zu 
steigfem, um das All-Leben dadurch zu bereichem. So dient 
alles Leben dem Leben selbst, das niedere, engere dem 
höheren, umfassenderen, das reale, zeitliche Leben der ewigen 
Idee des Lebens. 

Freilich, eine sichere Erkenntnis dessen, wozu wir Men sdien 
und die anderen Wesen letzten Endes „bestimmt" sind, steht 
uns nicht zu Gebote, eine solche Erkenntnis reicht schon 
stark ins Transzendente. Hier muß der Glaube das Wissen 
erginzen, aber nicht als ein blinder, rein autoritativer Glaube, 
sondern als ein Glaube, der ebenso auf die Vernunft und das 
Wissen sich stützt und in dessen Richtung weiteigeht, als er 
Bedürfnissen des Gemütes und Willensforderung-en entspricht. 
Der „richtige" Glaube, das wird stets der Glaube sein, der 
uns theoretisch und praktisch fördert, kräftigt, weiterbringt, 
der die Menschheit über die Niederungen des endUchen Da- 
seins erhebt, der, ohne jemandem das geringste Opfer an 
Vernunft und einheitlichem, wissenschaftUchem Denken zu- 
zumuten, den Lebensmut und die Lebensfreudigkeit steigert, 
indem er uns so wollen und handeln läßt, als ob wir genau 
wüßten, daß wir für alle Ewigkeit wollen und handehn.*) 

*) Vgl- 2" dem ganzen Kapitel die Schritten von Fwhte, Hchkier- 
»uicher, HegtL, Comte, Spencer, S. Alexander, L. Stephen, Sidgwick, Nietzsdie, 
Omifoiu, Bergenumn, U»M, W. Stern, Jodl, Höffding, Fuuktn , TMOff, 
Okydn, E, Dürr, SMrrAy, K Bedter, Lijtp», WeiM^, FoutOie, Ehrenfd», 
Domer, Warndt, E. v. Bcertnumn, Royce, Cohen, Natorp, A. Mester, M. JMtr, 
aimmA, M, JL Stern, KauUky, Batzenhof er, Goldacheid, Oaheald, Mndcen a. a. 



Dreizehntes KapiteL 

Der ZwedL in der Ästhetik. 

Ist die Ästhetik eine axiolog-isch-normative Wissen* 
schalt oder hat sie nur ZQ beschreiben, zu erklaren, m ana- 
lysieren und sich der genetischen Methode zu bedienen? 
Darüber wird immer wieder gestritten.*) Die Gegfner der 
normativen Ästhetik betonen, es ließen sich keine allgemeinen 
Normen fär das künstlerische Schaffen oder das ästhetische 
Genießen, den Geschmack aufstellen, diese Normen seien 
immer relativ oder gar willkürlich und einseitig, sie würden 
der Mannigfaltigkeit, dem Reichtum der ästhetischen Gebilde 
nicht gerecht. 

Um die Frage nach der normativen Methode in der Ästhetik 
zu beantworten, müssen wir zunächst .sehen, ob und inwieweit 
der Zweck im ästhetischen Schaffen, Werten und Genießen 
eine Rolle spielt. Zweifellos haben nun diejenigen völlig recht, 
welche (wie Kant, Schopenhauer u. a.) die Uninteressiertheit 
im Ästhetischen, das Fehlen äußerer praktischer Interessen, 
Zwecksetzungen und Zweckbezogenheiten beim ästhetischen 
Genießen und auch beim rein künstlerischen Produzieren be- 
tonen. Das ästhetische Gefühl oder die ästhetische Wertung 
beruht nicht auf der Vorstellung einer äußeren, materialen 
Zweckmäßigkeit, einer „Nützlichkeit" des ästhetischen Ob- 
jekts. Dieses erregt nicht Lust um eines äußeren Zweckes 

*) Vgl. Cohn, Allgemeine Ästhetik, 1901; H. Cohen, Ästhetik des 
reinen Geftthlst 1912; Dmaitt Ästhetik und allgemeine Kimstwiwen^ 
Schaft, 1906; GrwM, Der ästhetische Genuß, 190a; Ästhetik, in: Die 

Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts, 1905; MuUer- Freien f da, 
Psychologie der Kunst, 19x2; K ütäM, Die Fonktioiisfreuden im ftsdie- 
tischen Verhalten, 191 1. 



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DtdacfeatM Kapllel. Der Zwedr te der AiUielik. 



221 



wülen, dem es als lifittel diente sondern es gefällt in der An- 
schanimg' unmittelbar um seiner selbst willen; das An- 
schauen und geistige Verarbeiten desselben befriedigt als 
solches schlechthin, ohne daß eine materielle Begierde 
sich regt Freilich ist der Zustand des ästhetischen Genießens 
keineswegs ein absolut willenslreier (wie Schopenkantr 
flUeint); das Wollen ist aucb^hier nicht aasgeschaltet, aber es 
ist hier der asthetisdieD Betrachtung, der Ansf^uung selbst 
völlig- hingeg-eben und richtet sich immer wieder auf diese, 
es ist ein „Wille zur Schau*', zur Aufnahme, Festhaltung und 
phantasiemäßigen Verarbeitung- der empfangenen Eindrfidce, 
ein Wille zum reinen, ästhetischen Erleben, aus der an 
dieses Erleben sich knüpfenden „reinmi'S von fremdartigem 
Begehren freien Lust heraus. 

Werten wir also etwas als „schön" u. dgL, so denken 
wir nicht an einen durch das Wertungsobjekt zu verwirk» 
lichenden äußeren Zweck, wenigstens nicht primär; denn die 
Vorstellung des Zweckes, dem etwa ein Bauwerk dient, kann 
ja im Bewußtsein mitsdiwingen und auf die ästhetische 
Wertung von Einfluß sein. Welches ist nun der Grund des 
ästhetischen Gefallens und Genusses, das „Fundament" der 
ästhetischen Wertung? Wir finden ihn auf dem Wege 
einer objektiven in Verbindung mit einer subjektiven Ana- 
lyse. Erstere läßt uns an den ästhetischen Objekten ge- 
wisse allgemeine Merkmale, Eigenschaften entdecken, ver- 
möge deren sie tauglich sind, das ästhetische Bedürfnis 
und Interesse mehr oder minder vollkommen zu befriedigen. 
Mag- es sich nun um bestimmte Qualitäten und Intensitäten 
von Sinneseindriicken (Farben, Töne), um gewisse Formen 
und Gestalten, um Symmetrie, Rhythmus, Harmonie, Kon- 
sonanz, um bestimmte Verhältnisse oder Relationen an- 
schaulicher Inhalte des Vorsteilens oder um die bestimmte, 
eigenartige Formung eines Stoffes zu einem bedeutsamen 
Gebilde handeln, stets kommen hier auch objektive Faktoren 
in Betracht, die vorhanden, gegeben sein müssen, soll ein 
ästhetisches Gefallen und Werten möglich sein. 

Anderseits kann man nicht sagen, etwas sei absolut, an sich 



222 



II. SfMttdlcir T«». 



oltne alle BeziAhnng anf ein fOhlADdea, weitendes Snbjekt über- 
haiipt aatbetifldi odersdios. Vtehtiehr kommt der asl^etisohe 
Charakter, das ästhetische Sein nur dadurch zustände, daß 
ein mit gewissen Eigenschaften bdiaftetes Objekt in Besiehnng 
zn «inem entsprechend reagierenden Bewußtsein tritt oder 
doch treten kann. Relativ sich'* besteht ja immer nur 
das Fundament, die objektive 0nindIage von Wertungen, 
nkiht diese selbst Denn auch die „absoluten**, sddeohthin 
gfiltigen Werte bleiben auf Wertungsmögliohkeiten, auf ein 
Wertnngsbewußtsein überhaupt bezogen, so fundamentaler 
und universaler Art diese Werte audi sein mögen. So gibt es 
denn zwar objektive ästhetische Werte, sow«t die Möglichkeit 
und Notwendigkeit einer bestimmten Wertungsreaktion gegen- 
über bestimmten Objekten obwaltet, aber unabhängig von 
allem Bewußtsein kann etwas weder positiv noch negativ 
ästhetisch, weder schön noch häßlich sein; an sich bleibt 
es jenseits von beiden Werten. Damit ist natürlich noch 
keineswegs einem extremen ästhetischen Subjektivismus oder 
Relativismus das Wort geredet, denn es gibt objektive 
Grundlagen ästhetischer Werte und sachlich begründete oder 
begrundbare ästhetische Wertungen. Es fehlt nicht an Be- 
dingungen allgemeingültigen Wertens auch auf dem ästhe- 
tischen Gebiete, und auch eine gewisse Gleichartigkeit oder 
Konstanz des ästhetischen Reagierens, wenigstens innerhalb 
bestimmter Rassen, Kulturkreise oder Kulturpezioden, läßt 
sich feststellen und auch begreiflich machen. 

Wenn nun gewisse Eicfcnschaften den ästhetischen Ob- 
jekten oder ,, Reizen" ihren objektiven Wert verleihen, so 
fragt es sich weiter: Worauf beruht denn die Wertung dieser 
Eigenschaften seitens des ästhetisch genießenden Subjekts? 
Was ist es, das sie seitens des Subjekts als lustvoll empfinden 
und das Objekt als schön beurteilen läßt, in der Erwartung, 
daß auch andere Subjekte ähnlich reagieren und ur- 
teilen werden? Hier liegt, wie Kant sich treffend ausdrückt, 
eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck" vor. Worin besteht 
aber diese rein ästhetische Zweckmäßigkeit? Wohl 
zuletzt darin, daß das ästhetische Objekt das Bewußtsein 



Dreizehntes Kapitel. Der Zweck in der Ästhetik. 



223 



in einen Zustand veraetst oder doch zn venetsen ▼ermag', 
der als einheitliches Zusammenspiel einer Mannig* 
faltig'keit seelischer Regung'en m. charakterisieien ist, 
als Zusammengehen von ErlebniBsen zur Einheit des 
schauenden Bewußtseins. Dazu kommt dann noch die 
asthetiache ' „Einfühlung** und anderes, was hier nicht zu 
erörtern ist, da es si6h uns nur um die allgemeine Zweck- 
mäfligkeit im Ästhetischen, nicht um die vollständige Er- 
klärung desselben, nicht um eine Theorie des Ästhetischen 
handelt. 

Das Ästhetische ist bedürfnisgemaß und auf ein im- 
manentes, inneres Ziel bezogen, dessen Verwirklichung 
Lust erweckt, und das dem sie auslösenden, bedingenden 
Objekte seinen ästhetischen Wert verleiht Schön nennen 
wir etwas, was Qualitäten besitzt, die in besonderer Weise 
geeignet sind, gleichsam alle Fasern der Seele zu erregten, 
schwingen zu lassen, aber so, daß die Eindrücke einheitlich sich 
miteinander verbinden, in ungehemmter, günstiger Weise sich 
zusammenschauen, anschauend verknüpfen lassen. Man kann von 
einer „ästhetischen Apperzeption" sprechen, von einer ästhe- 
tischen Einheitsfunktion des Bewußtseins, die durch das 
ästhetische Objekt ausgelöst und mehr oder weniger zweck- 
mäßig erfüllt wird, indem es ihr einen passenden Stoff zur 
Betätigung darbietet. Was immer auch im ästhetischen Zu- 
stand an Komponenten enthalten sein mag, jedenfalls ist er 
deshalb lustvoll, weil durch ihn gewisse Tendenzen der Seele 
befaiedigt werden, die in der Regel nicht zu klarem Be- 
wußtsein kommen, aber auch als starkes ästhetisches Be- 
gehren sich geltend machen können. „Funktionsbedürf- 
nisse*' spielen hier eine Rolle, wenn sie auch nicht allein zur 
Erklänmg des ästhetischen Genusses ausreichen,*) Es kommt 
darauf an, daß die erstrebten Funktionen der Sinne, des 
Intellekts, der Phantasie, des Gemüts und des Willens im 
harmonischen Zusammenspiel der beteiligten seelischen 



*) Vgl. die Arbeiten von Ditbos, Döring, Jerusalem, Einleitting in 
die Philosophie 1913 u. a.; UHtz, Die Fonktionsfreuden, 191 1. 



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224 



n, Speridicr TcU. 



Energien aicli vollziehen.*) Nicht die Erregung' und seelische 
Betatigiing' schlechthin bildet ein 2Uel des ästhetischen Willens, 
sondern die einheitlich sich zusammenschließende 

Mannigfaltigkeit seelischer Erreg-ungen. 

Der ästhetische Zustand unterscheidet sich von der prak- 
tischen Stellungnahme zu den Dingen sowohl als von der 
des Erkenntniswillens. Es handelt sich hier weder um ein 

Streben nach Besitzergreifung' und Benützung von Objekten 
noch um ein Bcc!"ehrcn nach Wissen. Die ästhetische Lust 
haftet unmittelbar an dem Zusammenspiel der durch das 
ästhetische Objekt ausgelösten seelischen Regungen, an der 
Tätigkeit der den Intentionen des Objekts folgenden An- 
schauung und der ihre Daten unter Mitwirkung des Denkens 
verarbeitenden Phantasie. Diese Auffassung des ästhetischen 
Zustandes ist aber keine rein formalistische. Denn ein tiefer 
befriedigendes Spiel der ästhetisch genießenden Phantasie ist 
nur möglich, wenn sich ihr ein in irgendeinem Maße be- 
deutsamer Inhalt zur Verarbeitung darbietet Die unmittel- 
bare, anschauhch- gefühlsmäßige Beziehung der ästhetischen 
Daten auf einen solchen, auf eine durch das ästhetische 
Objekt, insbesondere durch ein Kunstwerk repräsentierte 
„Idee", d. h. auf einen einheitlichen Sinn, der dem Ästhe- 
tischen den Charakter des Typischen verleiht, gibt dem 
ästhetischen Erlebnis erst seinen Gehalt. Diese Idee kann 
in einer bloßen Stimmung gegeben sein, sie kann ferner der 
Wirklichkeit, dem realen Leben direkt entstammen oder erst 
in die Wirklichkeit hineingeschaut sein. Aber niemals kann 
sie ganz fehlen, stets bringt das Ästhetische etwas Typisches, 
Einheitliches, dabei aber Konkret- Anschauliches zum indi- 
viduellen Ausdruck. Dieser Ausdruck ist um so gelungener, 
zweckmäßiger, je mehr die Form des Ästhetischen, des Kunst- 
werkes dem Inhalt angemessen ist. Der ästhetische Gegenstand 
ist eine ideale Wirklichkeit, d. h. „die Wirklichkeit selbst in 
ihrer durch den Geist des Künstlers oder des in ästhetischer 



*) Vgl. I[. Jäger. Die gemeinsame Wurzel der Kunst, Moral and 
Wissenschaft, 1909; Eisler, Krit. EinfOhr. in die Philos. 1905. 



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Dreizehntes Kapitel. Der Zweck in der Ästhetik. 



225 



BetrachtansT veraenkten Zuschaueis vennittelten Auffassung". 
Und ein Lebensinhalt ist eben dann ein bedeutsamer, „wenn 
in ihm Ideen zum Ausdruck gelangen, die von dem An- 
schauenden in der Form des phantasiemaßigen Denkens nach* 
gedacht» und deren begleitende Gefühle von ihm nachgefühlt 
werden können".*) Ein Gebilde ist in dem Idaße schön, als 
die Form seiner Erscheinung 6er in ihr zur Darstellung ge-^ 
langenden Idee angemessen, adäquat ist, als sie die an- 
schauliche Beziehung der Eindrücke auf die de sinnvoU 
gestaltende Einheit und Ganzheit spielend sich vollziehen laßt. 

Wie im ästhetischen Genießen unmittelbare Zide des 
Strebens verwirklicht werden, so ist auch die künstlerische 
Tätigkeit zielstrebig.**) Mag auch der Künstler oft keine 
äußeren, objektiven Zwecke verfolgen, so fehH: es doch auch 
hier nicht an ein^ ästhetischen ^Istrebigkeit Der Wille 
zur Gestaltung dessen, was die Künstleiseele mächtig enregt 
und bewegt, d. h. der Wille zur adäquaten Darstellung, zur 
packenden Ausdruckgebung, ist in ihr wirksam. Die 
Fülle der Gesichte, der Schauungen der Phantasie, der 
künstlerischen „Ideen** und der durch sie ausgelösten Gefühle 
treibt, zunächst unterbewußt, in den Tiefen des Bewußtseins, 
zur äsÜiettBchen Produktion, die dann im Lichte der Reflexion 
sich vollendet (GüM^ Das Kunstwerk ist somit eine Ob- 
jektivation zielstrebiger Tendenzen eigener Art, es spiegdt 
die Reaktion der Künstlerseele auf deren Erlebnisse. 
Es ist zunächst rem subjektiv zweckmäßig, insofern es ein 
Mittel im Dienste der den Schaltenden bewegenden Gefühle 
und Strebungen ist, deren Ausdruck und Niedersdilag es 
bildet. Mit dem Spiel ist die Kunst in der Hinsicht ver- 
wandt, daß tte, wie dieses, eine Tätigkeit ohne bewußten 
äußeren Zweck, ein um seiner selbst willen lustvolles und 
erstrebtes Tun bedeutet {Otoot u. a.). Freilich geht sie auch 



*) Wunät, System der Philosophie II", 1907, 5. afiaf.; v^ YcHMt, 
Asdietik. 

**) Vgl. VolkeUt Zeitschrift fOr Astheük VI; £. Lange, Der Zweck 

der Kunst, 1912. 

Killer, I>«r Zweck. 15 



226 



n Spendier Teil. 



Aber das blofie Spiel Idnaos. Denn der Künstler wüt 
•diUefilich nicht bloß dem, w9b ihn im Innezsten bewegt^ 
lebendigen und anachanliehen, kraftvollen Auadmck geben, 
er viU anch in der Regel auf die Gemüter und die Fhantaaiet 
der Menschen wirken, er will ähnliche Znstinde, wie er sie 
hegt, In fremden Seelen anslöaen, welche ao schauen, fühlen, 
werten sollen wie er, er will sieb ihnen mitteilen, einen 
Widerhall, Sympathie bei ihnen finden und dadurdi sein Ich 
et weitem» 

Von den der Kunst immanenten, inneren Zielen sind die 
inSexen Zwecke zu unterscheiden, welchen die Kunst zu dienen 
Tsnnag', und denen sie tatsächlich, teils schon ursprOng^di, 
teils, gemäß dem Prinzips der Heterog'onie der Zwecke, erst 
(oder wieder) später dient. So finden wir, daß die primitive 
Kunst innigf mit der Religion (bzw. dem Mythus und Kultus) 
verknüpft ist, indem sie z. B. als Zaubermittel dient ; ferner hat 
sie teilweise eine soziale Bedeutung*, etwa als Ausschmiickunj^ 
des Körpers und der Waffen als Zeichen besonderer Würde; 
auch entwickelt sich eine künstlerische Tätigkeit aus der 
Rhythmisierung der Arbeit, welche diese erleichtert {K. Bücher), 
Und auch auf höheren Entwicklung^tufen wird die Kunst 
nicht nur um ihrer selbst willen geschätzt, sondern auch als 
Mittel im Dienste religiöser, sozialer,'^) sittlicher, kultureller, 
technischer Zwecke. Da von ihr Wirkungen ausgehen, welche 
geeignet sind, bald diesen, bald jenen äußeren Zweck zu fördern, 
so bleibt es nicht aus, daß immer wieder diese Wirkungen 
der Kunst zu Willenszielen werden, teilweise sogar bei den 
Künstlern selbst. Zunächst muß allerdings der rein ästhetische 
Zweck erfüllt werden, soll ein Gebilde künstlerischen Schaffens 
auf rein künstlerisch-ästhetischen Wert Anspruch machen 
können, und dieser Zweck muß mit rein künstlerischen Mitteln, 
nicht mi Sinne einer schlechten Tendenzkunst, erreicht werden. 
Ist aber auch die Kunst nicht zur Erweck ung religiöser oder sitt- 
licher Geiühle da, hat sie auch ihren Eigenwert und Eigenzweck 



*) E. jRdch, Kunst und Iii«»!], zgoi; Quifau, Die Knnit sla soziolo- 
gisches PhAnomen, xpix« 



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DittudulM K^üd. Der Zwe^'in der Aithetik. 



227 



neben Religion, Moral und 'Wissenschaft, so kann, caeteiis 
{ftaribm, die Knnst nicht an Wert verlieren, wenn de anBer 
der Fordemngf, welche dem Menschen dnrch den reinen Kunst- 
gennfi als solchen unmittelbar zuteil wird, auch noch andere 
gfinsdg« Wirkungen für die kulturelle Entwicklung der 
Menschheit besitzt und anstrebt. Nur darf ihr Hauptsweck, 
die isthetiscfae Eizegung der Menschenseele, die dadurch 
bewirkte Ausweitung, Bereicherung, Erhöhung derselben, die 
Befreiung des Menschen vom Druck des Wirklichen und 
dessen Eihebung in die Region des „Scheins", der „reinen 
Formen'* und des reinen, begierdelosen Fühlens*) nie 
Mater die Nebenzwecke der Kunst zurücktreten. Es mofi 
stets beachtet werden, daß Kunst und Kunstgenuß selbst 
schon ein Stück Kultur bedeuten und daß an ihnen ein un- 
mittelbarer Kulturwert haftet. 

Nun sind wir imstande, die Zulässig-keit der normativen 
Methode in der Ästhetik und Kunstwissenschaft entschieden 
zu bejahen. Die psychologische Analyse des ästhetischen 
Zustandes und des Kunstschaffens ist allerdingfs eine un- 
erläßliche Vorarbeit, auf die sich die normativ-teleolog^ische 
Betrachtungsweise zum Teil stützen muß. Wir müssen femer 
ent wissen, weldhen formalen Bedingungen etwas genfigen 
muß, um Anspruch auf das Prädikat des Ästhetischen, des 
Schönen, Erhabenen usw. überhaupt zu machen, welches die 
Voraussetzungen der rein ästhetischen Wertung sind, welches 
objektive und subjektive Fundament diese besitzt, welche 
Eigenschaften ein Objekt besitzen muß, um einen ästhe- 
tischen Zustand allgemeiner und spezieller Art auszulösen, 
um sich als taugliches Mittel für den ästhetischen Zweck zu 
erweisen. 



♦) ,Es ist die Aufgabe der Kunst, die Wirklichkeit in der Fülle ihrer 
bedeutsamen Formen in die Sphäre jener reinen Betrachtung zu er- 
heben, von der jedes der Versenkung in den Gegenstand selbst fremde 
Begdana weit abliegt, and die danun unter alleii in der linnlidm 
Wirklichkdt denkbaren Genossen die dauerndste Befriedigting gewlhrt* 
{Wundt, System der Philosophie II', 1907, S. alSisf.) Vgl. S^openhmier, 
Die Welt als Wille ond Vorstellung, I— IL 

15» 



228 



n. ^tendier TdL 



Die Fragte: Wie sind ästhetische Urteile mög-lich, wie 
können sie auf eine gewisse Allg-emeing-iiltig-keit Anspruch er- 
heben? (Kant) ist auf dem Weq-e einer Kritik des „ästhetischen 
Sinnes", des „Geschmacks" zu orledigfen. Zugleich ist aus der 
Kunstgeschichte an der Hand der Schöpfungen der Meister, der 
künstlerischen Genies zu entnehmen, welche künstlerisch-tech- 
nischen Mittel verwendet wurden und werden, um allgemeine 
und auch besondere ästhetische Effekte zu erzielen. Aus dem 
allem lassen sich dann durch logische Verarbeitung seitens des 
kritisch - teleologischen Denkens gewisse Normen ableiten, 
gegen welche in der Regel Kunstwerke nicht verstoßen 
dürfen, wenn sie bestimmte ästhetische Wirkungen haben 
wollen und sollen.*) Es handelt sich in der Ästhetik natürlich 
nicht um detaillierte Regeln für das künstlerische Schaffen, 
nicht um beengende Vorschriften für das Genie, sondern in 
erster Linie nur um Grundnormen, welche zur kritischen 
Beurteilung von Kunstwerken aller Art dienen, von Normen, 
welche sich hauptsächlich auf die fundamentale Gesetz- 
lichkeit des ästhetischen Bewußtseins stützen, die aber 
ganz wohl auch der Entwicklung des Geschmacks und der 
Verschiedenheit der Geschmacksrichtungen, wenigstens soweit 
sie t\^pischer Art ist, Rechnung tragen und dem Kunst- 
geniuljenden gewisse Anhaltspunkte dafür geben können, 
ob und inwieweit sein ästhetischer Geschmack eine gewisse 
Kulturhöhe erreicht hat. 

*) Vgl E. Bemkemur, Philosophische Kunstwisseiiscfaaft, 1913. 



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Vierzehntes Kapitel. 

Der Zweck in der Logik und Erkenntnistiieorie. 

Es ergab sich bereits die Gelegenheit, zu zeigen, daß das 
Denken als geistige Tätigkeit ein zielstrebiger Akt» eine 
innere Willen sbandlung ist.*) Es besteht ein eigener „Denk* 
wille" ißiffwartjy mag dieser nun durch bestimmte» momentane 
Anlässe uns abg^enötigt werden, oder mag er spontan aus der 
Tiefe auftaachen und in aktiver Weise die Denkarbeit ins Werk 
setzen lassen. Das Denken selbst freilich, dies sei zur Ver- 
hütung von Mißverständnissen betont, ist kein bloßes WoUen» 
sondern ein besonderer Frozeß der Ordnung, Gliederung, Ver* 
knüpfung, der Setzung und In-Beziehung-Setzung. Insofern 
aber diese Geistesarbeit durch ein den Vorstellungaverlauf 
und die Bewußtseinsrichtung beeinflussendes Wollen ausgelöst 
wird, erweist sie sich als eine echte, innere Willenshandlung, 
als eine Richtung der Willensbetätigung, die freilich wie 
andere Willenshandlungen durch Übung triebmäßig, automa- 
tisch, mechanisiert oder assoziativ werden kann. Ferner darf 
man nicht glauben, daß diese „voluntaristische" Auffassung 
des Denkens der rein subjektiven Willkür Raum gewährt. 
Gewiß spielt ja auch die sog-en. „Willkür" eine gewisse, 
nicht wenig bedeutsame Rolle**) im Denken, so etwa bei der 
Definition mancher wissenschaftlichen Begriffe, bei manchen 
Axiomen und zum Teil in der Hypothesenbildung. Aber 
dies macht das Denken noch keineswegs zu einer un- 
gebundenen, gesetzlosen Tätigkeit Denn, wenn wir denken» 

•) Vgl. Kap. 8. 

**) Vgl die Arbeiten von iVineorl, Le Boy, Dnikm o. a.; Dki^, 
Die Grundlagen der Naturphflosoplü^ 1913; TP. FoOaA, Fhilos. Grund» 
bgen der philos. Forschung; 1907. 



230 



n. Spedälmc Tdl. 



einen Denkzusammeohang- herstellen wollen, so mfissen wir 
die tauglichen Mittel zur Erreichung' des Denkzieles wollen, 
d. h. wir müssen so denken, dafi der reine Denkwille aeine 

Erfüllung- finden kann. 

Der Denkwille bindet sich gleichsam selbst, er stellt an 
seine Akte bestimmte Anf orderung-en. Die Aktivität und 
Freiheit des Denkens*) schließt daher die Notwendig'kttt und 
Gesetzlichkeit des Denkens nicht ans, sondern ein. Diese 
Denkg^esetzlichkeit stammt nicht von außen, tte erfließt 
aus der Autonomie, der Selbstgesetzgebung des reinen 
Denkwillens, ist durch das unmittelbare Ziel desselben be- 
dingt und gilt, als konstituierende Bedingung* eines logischen 
„Denkens überhaupt", a priori und absolut. Das Denken als 
psychische Funktion ist allerdings zunächst eine subjektive 
Tätigkeit, eine Betätigung individueller (psychologischer) Sub- 
jekte. Die Richtung des logischen Denkens aber ist eine 
objektive; es macht Anspruch auf strenge und allgemeine 
Geltung, auf Gültigkeit für alles, was nur je Inhalt oder Gegen- 
stand des Denkens werden kann. Ja, das Denken setzt und 
bestimmt selbst, wenn auch zunächst an der Hand sinnlicher 
oder empirischer Daten, die Gegenständlichkeit, die objek- 
tive Realität des zur Erkenntnis Aufgegebenen. Das logische 
Denkziel ist eben nichts Subjektives. Die Gewinnung- eines 
Allgemeinen, Objektiven, von der Willkür und Subjektivität 
der einzelnen Denkenden Unabhängigen, im logischen (nicht 
etwa ontologischen, metaphysischen) Sinne „an sich" oder 
„absolut", d. h. schlechthin Gültigen bildet das immanente 
(theoretische) Ziel des Willens zum Denken, des „reinen Denk- 
willens überhaupt", in welchen Subjekten, Individuen oder zu 
welchen Zeiten er sich auch immer verwirklichen mag. Daß 
keine „subjektiven", d. h. hier unsachlichen und unlogischen 
Momente (Affekte, Leidenschaften, Wünsche, Vorurteile u. dg-l.) 
auf die Richtung des Denkprozesses Einfluß erhalten, daß der 
reine Denk- und Erkenntniswille zu voller, ungehemmter und 
ungetrübter Geltung und Auswirkung gelange, ist eine For- 



•) Vgl Sigwart, Wundt u. a. 



yienehiites Ka^td. Der Zweck in der Logik nad Elrkeimtotelheoile. 88t 



derung", die der rationelle, kritische (nicht alog"ische oder anti- 
logische) Volontarismus unbedingft stallen muß. So schliofl^ 
er den „Logismus** und „Objektivisniiu" (bzw. den H^ogischeii 

Absolutismus") ein. 

Die Auffassung* des Denkens als eines zielstrebigcen Pro- 
zesses ergibt eine teleologische Interpretation der 
Logik.*) Die logischen Axiome oder Denkgesetze sind hier- 
nach nicht bloße Naturg'esetze des Denkens, es handelt sich hier 
nicht um eine bloß psychologische, wiewohl um eine geistige, 
ideelle Gesetzmäßigkeit. Die Logik als solche („reine" Logik) 
hat es nicht mit dem individuell, subjektiv variierenden, teils 
richtigen, teils falschen Denken zu tun, sondern mit dem 
richtigen Denken überhaupt, mit dem Denken, wie es sein 
soll, mit dem idealen, normmäßigen Denken. Sie zeigt, 
welchen obersten Bedingungen jedes beliebige Denken 
g-enügen muß, wenn es ein richtiges, d. h. das immanente Denk- 
ziel verwirklichendes Denken sein will, und welche Fehler es 
vermeiden muß. Sie stellt die Voraussetzungen für die gültige 
Setzung von gedankhchen Relationen auf, auf welchen Inhalt sie 
sich immer beziehen, und von wem immer sie gedacht werden 
mögen. Sie hat es mit Geltungszusammenhängen, mit 
Abhängigkeiten der Denksetzungen oder Denkinhalte von- 
einander zu tun, mit der Vereinbarkeit solcher miteinander, 
mit gedanklicher Folgerichtigkeit und Notwendigkeit. Diese 
rein logische Notwendigkeit ist nicht die eines psychologisch- 
kausal bedingten Denkenmüssens, sondern eine andere Art 
von Abhängigkeit. Sie äußert sich als eine besondere teleo- 
logische Notwendigkeit, insofern als die obersten Normen 
oder Postulate, welche die Gültigkeit der Denksetzungen be- 
gründen (die Prinzipien der Identität, des Widerspruches, des 
ausgeschlossenen Dritten, des zureichenden Grundes), sich aus 
dem reinen Denkziel als die durch es g^eforderten Mittel 
zu dessen Verwirklichungf erg'eben .♦*) 

*) Vgl. aigwart, Logik«, 191 1; ITuM», Logik P, 1906; snch z.T. LtttB, 

Logik, 1881, F. C. S. Schiüer, Dewey n. a. 

**) Von den immanenten, inneren Zielen des Erkennens und 
Denkens ist der äußere Zweck zu unterscheiden, dem die Erkenntnis 



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282 



n. SpMielkr TciL 



Der Wille zu den einheitlichen Zusammenhängen, in 
welchen Wahrheiten als eine Reihe richtiger, allg-emein und 
sachlich gültiger Urteile gewonnen werden , schließt den 
Willen und die Forderung ein, einheitlich, stetig, konsequent 
das in einem Denkbezuge Gesetzte als gültig festhaltend, 
von einer Denksetzung zur anderen fortzuschreiten, um 
nicht das angestrebte, gewollte Denkziel preiszugeben. Der 
logische Wille ist eine Richtung des allgemeinen Einheits- 
willens. Die logische Gesetzlichkeit ist durch diesen 
Willen gefordert, als Bedingung des zielgemäßen Denkens, 
als die ein solches begründende, konstituierende Form. 
In der Logik kommt das Denken zum Selbstbewußtsein 
seiner eigenen Gesetzlichkeit und Gesetzgebung, die zu- 
gleich eine für alles Gedachte, für alle Denkobjekte als 
solche geltende Gesetzhchkeit ist; denn alles Denken ist 
Denken, Setzen eines Inhalts und Betätigung an einem Inhalt, 
von dem sich der „Denkakt" nur in der Abstraktion trennen läßt. 

Die logischen Axiome gelten a priori, streng not- 
wendig, weil ohne sie ein logisches, richtiges, einheitlich zu- 
sammenhängendes Denken nicht möglich ist, weil sie die 
Wesensform desselben zum Ausdruck bringen. Ihre Gültig- 
keit lalit sich nicht aufheben, denn sie bedingen die Geltung 
eines jeden Argumentes, einer jeden Begründung, eines jeden 
Beweises; sie erweisen sich als Voraussetzung jedes kritischen 
Denkens, das über sie zu Gericht sitzt. Jeder Versuch ihrer 
Aufhebung, Negierung, Auzweifluntr hebt sich selbst auf, 
führt sich selbst ad absurdum, legt unfreiwillige Zeugenschaft 
für ihre absolut notwendige Geltung und ihre Unentbehrlich- 
keit ab. Man kann wohl gegen die Denkgesetze verstoßen. 



dienstbar gemacht werden k&nn, und welcher selbst nicht ein unmittel- 
bares Erkenntniaael, sondern em Ziel des praktischen Wollens 
ist, fOr den dann die Erkenntnis und Wissenschaft ein Mittel be- 
deutet Die Rlcht^keit, der theoretische Wert des Denkens und Er- 
kennens bemißt sich nicht nach diesem äußeren Zweck, sondern nach 
dem immanenten, theoretischen Ziel, dem „reinen Erkenntniszwecke"*. 
Das Denken und Erkennen hat eine eigene, selbständige Normalität, die 
dvrdk keine heterotgenen Zwecke modülaerbar sein darf. 



Vjendmtes Kftjdtd. Der Zwede üi der Logilc aad Exkeantiiiittieone. 283 



aber nur daon, wenn man die Fehler und Widersprüche, die 
man hierbei begeht, nicht bemerkt, sich ihrer nicht bewußt 
wird. Die log-ischen Denkg-esetze sind zugleich Postulate, 

die im Namen des reinen Denkwillens überhaupt an jedes 
mögliche Denken sich richten. Sie besagen, wie gedacht \: 
werden soll, sind also nicht bloß empirische, durch Abstrak- Ii 
tion von der Erfahrung* oder durch Induktion aus besonderen 
Fällen gewonnene Gesetze. Jeder Versuch, sie aus der Er- 
fahrung begründend abzuleiten, ist selbst schon ein ihre 
Geltung voraussetzendes Denken. Zum Bewußtsein kommen 
uns die Denkgesetze durch Besinnung auf die allgemeinsten 
Voraussetzungen gültiger Denksetzungen und Denkzusammen- 
hänge, durch eine Analyse der Struktur des als gültig anzu- 
erkennenden Denkens, durch die Reflexion des Denkens auf 
seine eigenen Ansprüche und Ziele. Indem der Denkwiile 
sich zum vollen Bewußtsein seines Zieles erhebt, gewinnt er 
auch ein reflexives Bewußtsein der allein zu diesem Ziele 
führenden, durch dieses gesetzten Mittel, welche als logische 
Denkgesetze formuliert werden. 

Die dem Denken immanente Gesetzlichkeit beherrscht 
nun auch den Erkenntnisprozeß, der über das bloß formale 
Denken hinausgeht. Entscheidungen über ein objektives Sein 
brauchen nicht immer erst auf dem Wege eines Schlußver- 
fahrens gewonnen zu werden; sie sind oft Denksetzungen 
unmittelbarer Art, sie kommen direkt am Anschauungsmaterial 
zustande, sind durch den Erfahrungsinhalt unmittelbar ver- 
anlaßt oder abgenötigt, folgen nicht erst aus anderen Denk- 
setzungen. Dem Logischen im engereu Sinne, dem begriff- 
lich-syllogistischen Denken geht immer wieder ein primäres, 
konkretes, unmittelbares Denken voraus, durch dessen 
Setzungen und Bestimmungen erst das, was wir objektiven 
Erfahrungszusammenhang nennen, erarbeitet und begründet, 
konstituiert wird. Die obersten Gesichtspunkte, nach welchen 
dieses „synthetische" Denken*) das ihm geg-ebene Ezfabrungs- 
material ordnet nnd verknüpft, aind die Grnmdformen des 



*) Im Sinne KatUs, Cohens, Natorps u. a. 



234 



n. Spciicller Teil. 



g-egfenständlichen , auf objektive Erfahrung- eingestellten 
Denkens überhaupt, die Kateg-orien nebst den aus ihnen 
erfließenden Grundsätzen und Postulaten des Erkennens. Das 
Denken rein nach diesen Gesichtspunkten, bzw. die durch 
sie bedingte Gesetzlichkeit der Herstellung, Setzung eines 
objektiven Erfahrungszusammenhanges, ist das „reine Denken" 
(das „Transzendental-Logische" im Unterschiede vom analytisch- 
formalen Logischen). Alle Erkenntnis ist für uns nur in den 
Formen dieses, objektive Erfahrung bedingenden, ermöglichen- 
den Denkens gegeben; m diesem Sinne ist ihr das „Logische" 
immanent, gehört es zu ihrer Struktur, zu ihren Gniodlagen 
und Voraussetzungen.*) 

Aber, wenn auch das bloß Formallog-ische nicht die erste 
Grundlage des Erkenntnisprozesses bildet, sondern immer schon 
ein primäres, synthetisches Denken und Erkennen vor sich hat, 
so spielt es doch sofort eine Rolle, sobald es sich darum 
handelt, die gewonnenen, am Anschauungsmaterial erarbei- 
teten Erkenntnisse miteinander zu verknüpfen und vermittels 
des folgernden Denkens neue Einsichten und Erkenntnisse aus 
Urnen zu erzielen. Ja, auch primäre, unmittelbare Denk- 
Mtzongen, die ab riditig, walir, als echte Erkenntnis ange- 
sprochen werden, müazen sich oft vor dem Forum der formalen 
Logik daraufhin legitimieren, ob de den iogiscfaen Geaetwn 
gemäß nnd, ob me nicht anderen, anerkannten Denksetzungen 
widersprechen. Denn die Forderung des Einklangs aller 
Urteile miteinander erstreckt sich natürlich auch auf das Ver> 
hältnis von unmittelbaren (primären) zu anderen unmittel- 
baren und zu mittelbaren (abgeleiteten) Denksetzungen. So 
ist denn die Erkenntnis der Tatsachen zwar nicht ein reines 
Denkprodttkt, aber wie sie einerseits das „Transzendental- 
logische'* zur Grundlage hat, so untersteht sie auch der all- 
gemeinen logischen Gesetzlidikeit, die für sie ein Kriterium 
bUdet 

SicheiUch muß sich das Denken an und in der Er- 
fahrung bewähren, es muß seine Grültigkeit ffir sie dadurch 

*) Vgl. Biekl, Hönigwald u. a.; B. Bauch, Stadien zur Philosophie 
der exakten Wisseiisduften, 191 1. 



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'^cnduites Kapitd. Ikr Zweck ia der Loflk und Erkeaittiiiitlieorie. 235 



«rproben, däfi keine neue Erfabrang' oder kein neues Er&Iirnngv* 
denken es widerlegt Aber uingfekebrl muß aucb die Erfahrongf 
selbst sich als wahrhafte und objektive^ allgemeine Erfahrongf, 
die mehr ist als bloße Aussage über ein subjektives» indivi- 
duelles Erlebnis, leg-itimieren, und das geschieht nur unter 
•der Kontrolle des Denkens und seiner unverbrüchlichen Ge- 
^tse. Die „Tatsachen**, mit denen das Denken „übereinzu- 
stimmen", denen es zu „entsprechen" hat, werden selbst dorch 
ein Denken erstellt, bestimmt, als objektive Tatsachen gesetzt 
und anerkannt Sie sind uns nicht fertig* „gegeben", sondern 
der Erkenntniswilie setzt sich die Aufgabe, solche Tatsachen 
zu gewinnen. Er erreicht sein Ziel durch aktive, der Gesetz- 
lichkeit des erkennenden Bewußtseins gemäße Verarbeitung, 
Synthese von Daten, die zu den Inhalten unserer Erlebnisse 
gehören. 

Die so vom Denken, besonders vom Denken der Wissen- 
schafib, gewonnenen „Tatsachen" sind durch die Gesetzlichkeit 

und das oberste Ziel des erkennenden Bewußtseins bedingt 
und bleiben insofern insgesamt auf ein ideales, logisches, „trans- 
zendentales" (nicht psychologisch-subjektives) Bewußtsein be- 
zogen, dessen Gegenstände sie sind. Von den einzelnen 
(psychologischen) Subjekten aber sind sie nach ihrer Existenz, 
ihren konstanten Bestimmtheiten, Relationen und Gesetzen 
unabhängig: sie bilden eine (relativ) selbständige Außen- 
welt, die den „Innenwelten" der verschiedenen Ichs als ein 
Gemeinsames, Allgemeingültiges gegenübersteht.*) Die 
Welt der Objekte und der fremden Subjekte ist also im Ver- 
hältnis zum eigenen (psychologischen) Ich transsubjektiv 
(oder „relativ transzendent"), d. h. mehr als bloß subjektives 
Erlebnis. Zugleich aber ist sie der möglichen Erfahrung und 
dem rein logischen, transzendentalen Bewußtsein (als Inbegriff 
der Geltungen, Formen, Erfahrungsbedingungen, welche zu- 
gleich Bedingungen der Erfahrungsobjekte sind) immanent. 

Die Unabhängigkeit der wirküchen Dinge, die Selbständig- 
keit ihres Seins und Wirkens gegenüber der Existenz und 

*) Vgl. Cohen, Cassirer, Baitch, Rickert, Frwhem^-Köhler, Banmgtr 
(Philosophie des Jbjrkennens, 1911) u. a. 



296 



JL Spetidler TdL 



Wirksamkeit der erlebenden und wollenden Individuen, die 
„empirische Realität" (Kant) der einen wie der anderen ist 
keine Inkonsequenz des kritischen (transzendental - logischen) 
Idealismus, sondern im Gegenteil g-erad^u dnich ihn gesetzt, 
geordert. Denn eben die Kategorien, von denen alle Er- 
fabrungsobjekte abhängig sind, und die ihnen den Charakter 
von „Ersch^nungen für ein Bewußtsein überhaupt" verieiben, 
machen sie zu relativ selbständijjren Einheiten neben 
und außer den Subjekten, zu denen sie in kausal-dyna- 
mische Beziehung treten, indem sie (durch ,3>cize") in ihnen 
Empfindungen und Wahrnehmungen auslösen und sie zu Hand- 
lungen veranlassen. Die Objekte sind also nicht bloße Er- 
zeugnisse der erlebenden Subjekte, deren empirische Exi- 
stenz, d. h. Enthaltensein im Zusammenhange möglicher Er- 
fahrung-, ja keine konstituierende Beding-ung der Realität 
der Objekte darstellt. Indem diese letzteren als „existierend", 
„real", „wirksam" usw. g-esetzt werden, sind sie damit schon 
vom rein subjektiven Dasein unterschieden, haben sie eine 
eigene „Dig-nität". 

Völlig unabhängig vom erlebenden (ps^^cholog-ischen) Ich 
ist ferner das „Fürsichsein" oder „Innensein" desjenigen, was 
sich als Objekt der äußeren, sinnlich vermittelten Erfahrung 
darstellt, die der eigfenen analog zu deutende „Subjektivität" 
der Dinge oder der Keim zu einer solchen, der in den höher 
stehenden Wesen zu einem „Ich" wird. Das fremde Ich ist 
hinsichtlich seiner „empirischen Realität" unserem Ich völlig 
gleichwertig gedacht. Denn die Setzung oder Anerken- 
nung eines solchen fremden Ich hat ja den Sinn, uns eine 
Einheit gegenüberzustellen, die ebenso ein aktiv-reaktives 
Zentrum von Erlebnissen und Stellungnahmen, ein Erleben- 
des, Wollendes, Zwecksetzendes ist wie wir. Diese Einheit 
hat ein eigenes, individuelles, von dem unseren ge- 
schiedenes Bewußtsein, das als solches niemals zum Inhalt 
unseres (empirischen, psychologischen) Ich werden kann, weil 
es sonst eben zu diesem selbst gerechnet werden müßte. 

Von unserem eigenen Ich und dessen subjektiven, indivi- 
duellen Erlebnissen oder Vorstellungen und der rein psycho- 



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Vicndintes Kapitel. Oer Zweck ia der Logik und Erkenatniidieorie. 237 



iQgisclien Cresetzmäfiigkeit des Auftretens, des Kommens imd 
Gehens dieser sind also die Welt der physischen Objektivität 
ond die der fremden Sabjektivitat, das Außen« und Linensein 
der Dinge und der gesetzliche Zusammenhang derselben begriff- 
lich scharf za anterscheiden, ohne daß dieser „empirisch-phäno- 
menale Dualismus** einen „Kfonismus** der Weltanschauung aus- 
schließt Mag auch die absolute Wirklichkeit einheitlich, iden- 
tisch, eines Wesens sein, so ^d wir doch genötigt^ sie in zwei- 
facher Weise zu betrachten und zu erforschen; je nachdem wir 
eben den Standpunkt der inneren „unmittelbaren" Erfahrung 
einnehmen, von dem aus die Wirklichkeit als eine Welt von 
Subjekten oder subjektiven Vorg-äng-en zu denken ist, oder aber 
dem Standpunkt der äußeren, sinnlich vermittelten Erfahrung 
Rechnung tragen, der zur Setzung- einer Welt von physischen 
Objekten, von quantitativ-dynamischen Zusammenhäng-en oder 
Relationen nötigt Der „metaphysischen" Deutung bleibt es 
dann unbenommen, etwa das objektive, physische, materielle 
Dasein als Manifestation, Erscheinungf, Ausdruck eines dem in 
ans unmittelbar bekannten Innen- oder Fürsiohseins, einer der 
unseligen analogen „Subjektivität" aufzufassen, um so in unsere 
Erkenntnis möglichste Einheit zu bringen. Eine solche „kri- 
tische Metaphysik" ist mit dem transzendentalen Idealismus oder 
Ideal-Realismus wohl vereinbar, denn sie setzt sich nirgends 
über die Bezogenheit alles äußerlich und innerlich Erfahr- 
baren auf ein logisches Bewußtsein als dessen Geltungsbasis 
hinweg. Sie unterscheidet auch zwischen dem Fürsichsein, 
als der „Selbsterscheinung**, dem „relativen An sich" des 
Wirklichen, und dem absolut Transzendenten, d. h. 
der über alle Formen des Erkennens und über alle Re- 
lation erhabenen Seinsweise eben dessen, was sich für den 
„Endlichkeitsstandpunkt" in eine Welt des Objektiven und 
Subjektiven und eine Mannigfaltigkeit von Beziehungen 
gliedert. 

Die Bedeutung- des Zweckbegriffs für die Erkenntnistheorie 
erhellt also auch aus der Hinsicht, daß die Setzung einer von 
unseren subjektiven Erlebnissen unabhängigen Welt objektiver 
Relationen schon eine zweckgemäße Funktion, eine ziel- 



238 



n. SpcdcOcr TdL 



•trebigfe Tat ist*) Der Ericenntaiswine ist ein Wille zum 
einlieitliclien Begreifen, znr Einlieitasyntheae des dem 
Bewußtsein gegfebenen Mannigfaltigen« zur Heistellnttg 
eines einheitlichen Zusammenhanges aller Wahr-* 
nehmnngsdaten oder Erlebnisinbalte, insbeawdere eines 
objektiven, allgemeingültigen Erfahrangssystems. Die 
Fonnen der Erkenntnis nun, die Kategorien, sind nichts 
anderes als die konstitutiven und regulativen Mittel im 
Dienste des Erkenntniswiilens („Voluntaristischer Kritizismus"). 
Das oberste Ziel desselben erfordert mit apriorisch-teleo- 
logischer Notwendig-keit die in den Kategorien und 
Grundsätzen selbst voriiegeoden Einheitssynthesen, die 
diesen gemäße Ordnung und Verknüpfung des Erfahrungs- 
materials. Nur dadurch, daß — an der Hand der Erlebnis- 
daten und im einzelnen von diesen beeinflußt — das Denken 
feste, konstante Einheiten und räumlich -zeitlich- kausale 
Relationen zwischen diesen setzt, schaät es zureichende 
Gründe, ans welchen sich das von unserem Willen unab- 
hängige, allgemeine Auftreten und Verschwinden der Wahr- 
nehmungsinhalte einheitlich begreifen läßt Dieses „Umdenken'* 
des Gegebenen zu einem System allgemeingültiger, objektiver 
Einheiten und Relationen, das als g-emeinsame Außenwelt das 
Korrelat zu den erlebenden Subjekten bildet, ist schließlich 
nur teleologisch zu verstehen. 

Die Kateg-orien und die apriorischen Grundsätze der 
Wissenschaft legitimieren sich letzten Endes als Mittel für 
den reinen Erkenntniszweck, so wie die log-ischen Gesetze 
sich als Mittel für den reinen Denkzweck legitimierten. Da 
durch die Kategorien (Substanz, Kausalität usw.) erst das 
ersteht, was wir von den unmittelbaren Erlebnissen als „Wirk- 
lichkeit", als objektive Realität unterscheiden, so g-eht es nicht 
an, von einer „Verfälschung" der Wirklichkeit — die nicht 
mit dem Empfindung-smaterial identisch ist — durch die 
Kategorien als „Denkzutaten" zu sprechen oder sie als 
bloße, wenn auch praktisch zweckmäßige „Fiktionen" zu be- 



*) VgL MiUuterbarg, Philosophie der Werte, 1908. 



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Vicizchnlcä Kapitel. Der Zweck in der Logik und Erkenntaistheorie. 239 



loicbnen.*) Die Zweckm&ßtgkett der Kategorien ist nicht 
bloß eine praktiadie, d. Ii. ilize Anwendtmsr fördert nicht 
blo6 die Lebenserhaltung* {Nkta^t das Handeln» auch haben 
sie nicht bloß eine „denkökonomiscfae**, Denkarbeit ersparende 
Funktion (ütuA). Sondern ihre Zweckmäßigkeit ist vor allem 
rein theoretisch*logisoher Art, die von der praktischen, 
biologischen und psychologischen Zweckmißigkeit scharf sn 
unterscheiden ist**) Zweckmäßig' sind die Kategorien in erster 
Linie deshalb, weil und sofern sie der Herstellung eines 
einheltlich-geordneten ErCahrnngszusammenhanges dieneui der 
das Ziel des reinen Erkenntniswillens bildet^ eines Erfahrungs- 
zusammenhanges, in welchem allein die objektive WirkUch- 
kett sich dem erkennenden Subjekt entfaltet 

Daß die Wissenschaft ursprünglich im Dienste prak- 
tischer Bedürfnisse steht, und daß sie auch dann, wenn sie 
einem besonderen Eikenntnistrieb Genüge leistet, immer wieder 
vonjder Praxis Direktiven für das su Erforsdiende erhält, daß 
sie in mannigfachster Weise die Praxis bedlnflußt, steht fest 
Der Wille zur Erhaltung* des Daseins und zur Höherentwick- 
lung; der in der Geschichte als Wille zur Kultur wirksam ist, 
Verwertet unablässig- die Ergebnisse wissenschaftlicher Er- 
kenntnis und fordert, daß die Wissenschaft dem Leben diene, 
daß sie planmäßig darauf ausgehe, Tatsachen und Kausal- 
zusammenhänge zu finden, die von der Praxis zweckvoll sich 
anwenden lassen. Die Wissenschaft hat also nicht nur einen 
Eigenwert indem sie rein theoretischen Bedürfnissen dient 
und zur inneren Kultur des Menschengeistes beiträgt, sondern 
auch einen Wirkungswert, im Hinblick auf die praktischen 
Ziele, die sie zu fördern yennag. Sicherlich bleibt auch die 
Orientierung des Erkennens auf die Praxis oder die Lebens- 
beherrschuDg hin nicht ohne Einfluß auf die F'ormen und die 
Richtung desselben, auf die Auswahl und Gliederung des 
Erkenntnisstoffes. Aber dieser Einfluß der Praxis auf die Theorie 

^ So Fsttln^, Die Hiilosophie des Als ob, a. Anfl* 1913. Den 
meÜiodischen Wert vider Fikdooen hat aber VaHütger trefflich dar-, 
getan. 

**) Vs^. S, DingleTf Die Grundlagen der Naturphilosophie, 1913. 



240 



n. Spendier Tca. 



darf nicht übencbätzt werden. Grundlegend ffir das System 
der Eikenntnis sind in anter XJnie die reinen Erkenntnis- 
ziele. Diese bedingen a priori, mit strenger Notwendigkeit 
die Formen und Methoden der Erkenntnis als die reinen Er- 
kenntnismitteL Der Wille zu einheitlich - geordnetem , all- 
gemeingfiltigem Zusammenhang möglicher Erkenntnisinhaite 
bestimmt als theoretisdier Imperativ, wie im Dienste des imma- 
nenten Erkenntniazieles gedacht, geforsdit und das Erforsdite 
verknüpft werden soll 

Die Grundsätze der Erkenntnis gelten unabhängig von 
der Praxis, auch wenn die Erkenntnis ein Glied im System 
menschlicher Zwecksetzungen bildet and sich praktischen 
Zielen unterordnet. Gerade, wenn sie einen praktischen 
Wert haben will, wenn sie die Wirklichkeit SO erforschen 
will, daß die Eigenschaften und Beziehungen der Dinge 
für das Leben dienstbar gemacht werden können, muß die 
Wissenschaft unbeirrt auf ihr theoretisches Ziel blicken, vor 
allem wahre, objektive Erkenntnis anstreben und rein von 
dem Gesichtspunkt einer solchen sich leiten lassen. Der be- 
ständige Ausblick auf praktische Bedürfnisse kann sogar für 
die Praxis selbst, nicht bloß für die immanenten Ziele der 
Wissenschaft schädUch werden, denn sie kann von der For- 
schung nach Daten und Zusammenhängen abhalten, deren 
Kenntnis, ohne daß sich dies voraussehen läßt, einmal für die 
Praxis wertvoll sein kann. Es ist, wie J. Schultz treffend be- 
merkt, zuweilen das Praktischste, von der Praxis zu abstra- 
hieren und an das nächste, theoretische Erkenntnisziel zu 
denken. Wie immer es aber um die praktische Brauchbar- 
keit von Erkenntnissen oder Gedanken stehen mag, in jedem 
Falle ist diese Brauchbarkeit von der Geltung der reinen Er- 
kenntnismittel, der Grundbegriffe und Grundsätze des Erkennens 
scharf zu unterscheiden. Auch ist das Urteil über eine solche 
praktische Zweckmäßigkeit nicht wieder aus praktischen 
Gründen gültig, sondern vermöge einer rein theoretischen 
Einsicht. Der erkenntnistheoretische Voluntarismus und Teleo- 
logismus hat seme Berechtigung, aber nur dann, wenn er 
den Logismus einschließt, wenn er den Eigenwert rein 



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Vimduitet KMfiUL Der Zveclc in der Logik oad Erkenatoiitheorie 241 



tlieoietischer Gettung' von Urteilen oder Sätzen anerkennt. 
Der Wille im JSrkennen maß ale logischer, theoretischer WiUe 
eich durchfuhren, als reiner £rkenntni8wille, der amne «genen 
Normen setzte autonom ist Die Entwicklung der Erkenntnis 
und die Geschichte der Wissenschaft zeigt, wie die Auto- 
nomie dieses Willens an einem immer neu zuflutenden Idateiial 
sich betätigt und zur Anpassung desselben an das Erkenntnis- 
ziel treibt, zu einer Anpassung freilich, die den Intentionen 
des „Gegebenen** im einzelnen Rechnung trägt 

Damit haben wir auch zur teleologischen Erkenntnistheorie 
des „Pragmatismus"*) kurz Stellung- genommen. Die ^rag*- 
matistische Lehre, „Wahrheit" bedeute nicht eine Oberein- 
stimmung- des Vorstellens oder Denkens mit einer an sich 
bestehenden Wirklichkeit, sondern nur die Fähigkeit eines 
Urteils oder einer Annahme, die Lebenserhaltung" oder die 
„Praxis" aller Art, das Handeln oder das Denken oder den 
Fortschritt von einer Erfahrung zur anderen zu fördern und 
sich in der Erfahrung zu bewähren, ist in ihrer extremen 
Form nicht haltbar, so wertvoll der Hinweis auf die teleo- 
log-ische Natur des Denkens, die Zielstrebigkeit und 
die WillensgTundlage desselben, ist. Richtig ist in dieser 
Lehre aber folgendes. Die Wissenschaft, besonders die Natur- 
wissenschaft, greift öfters zu Hypothesen oder Fiktionen, um 
in der denkenden Verarbeitung des Erfahrungsmaterials 
besser fortzukommen. Der Wert dieser Annahmen bemißt 
sich nach dem Maße ihres „Nutzens" für die Denk- und 
Erkenntnispraxis, also nach ihrer theoretischen Arbeits- 
leistung-. Aber auch diese „Nützlichkeit" von Annahmen 
ist noch keineswegs identisch mit dem, was wir in der Regel 
unter objektiver Wahrlieit verstehen. 

Fiktionen zunächst sind ja als solche von vornherein 
frei von jedem Anspruch auf Wahrheit, so zweckmäßig sie 
im einzelnen für die geistige Beherrschung des Gegebenen 

*) Jörne», F, C* S, SdMBer, Dewey o. a.; vgl die Arbeiten von 
IT. Jtntdem, der dem Prsgmatismos sehr nahe steht, aber auch die 

theoretische Bedeutung der Wahrheit durchaus anerkennt (vgL 

Deutsche LiteraturzeitUDg, 1913, S. ao6ff.). 

Eitler, Der Zweck. 16 



242 



n. Speridicr TeiL 



sein mögen. Hypothesen aber können trotz aUer Nfitztich- 
keit nnd trotz eines gewissen objektiven Erkenntni^febaltes 
sich schließlicli doch als unhaltbar erweisen, weil nnd sofern 
die Erfahrung' und die weitere Verarbeitung derselben durch 
das methodisch ▼erfahrende Denken mit ihnen nicht mehr 
fibersinsttmmt oder zu einer anderen Ergänzung nStigt. 
Anderseits kann wohl in manchen Fällen die Nützlichk^t 
einer Annahme zug-leich ein Zeichen und eine Folge davon 
sein, da8 die Annahme objektiv richtig- ist; dann fördert sie 
das Denken und ist zugleich ein als richtig, wahr im ob- 
jektiven Sinne anzuerkennender Satz, ohne daß auch hier 
die Nützlichkeit und Wahrheit des Urteils identisch sind, 
^Eusammenfallen. Daß femer gewisse Annahmen und Urteile 
der Lebenserhaltung" und der Praxis dienen, uns im Kampf 
ums Dasein fördern können, ist ja nicht zu bestreiten. Aber 
diese Urteile sind nicht bloß weg-en dieser ihrer „Führunjr" 
und nur in diesem Sinne wahr, sondern sie fördern uns und be- 
währen sich schließlich doch nur deshalb praktisch, weil sie eben 
objektiv wahr, richtig sind und uns deshalb die Wirklichkeit, 
der wir uns und unser Denken anzupassen haben, oder die wir 
unseren Zwecken anpassen wollen, besser bestimmen, er- 
kennen lassen. Mag auch zuweilen die Nützlichkeit*) von 
Annahmen ein Motiv für unser Fiirwahrhalten derselben abgeben, 
so bildet doch nie eine solche Nützlichkeit das Wesen, die 
Idee, den Sinn der Wahrheit selbst. Stillschweigend muß 
ja auch der Praqfmatismus eine rein log-isch-theoretische Wahr- 
heit anerkennen, so z. B. seine eigene Wahrheit und die 
Geltung alles dessen, was er bei seiner Wahrheitslehre 
voraussetzt, und womit er deren unbedingte Richtigkeit zu 
beweisen sucht. 

Immerhin ist der vom Pragmatismus herangezogene Be- 
griff der „Fruchtbarkeit** des Denkens auch für den Stand- 

*) Zweckmflßigkeitsgrflnde nicht rein logischer Art sind fQr ge- 
wisse nmthcmaiischc nnd phywkslisehe Theorien maftgebend, wddie 

sich als ^beqam" oder „denkAkononüsch" darstellen und nur des- 
halb vor anderen Theorien bevonnigt werden (Afoelk, Fcineari, Xe üoy, 
Duhem Q.a.). 



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Vierzehntes Kapitel. Der Zweck in der Logik und Erkenntnistheorie. 243 



pnnkt des Kritizismus nicht oline Bedeutung.*) Nur mnfi er 
im engsten Sinne einer zunächst rein theoretisch-logischen 
nFrucfatbarkeit'S d. h. einer Forderung des reinen, immanenten 
Denk- und Erkenntniszwecks (d. h. zunächst des Denkens und 
der Erkenntnis ats Resultat des Denk- tmd Erkenntnisprozesses) 
selbst aufgefaßt werden. Urteile und Annahmen werden oft, 
wenn sie auch nicht alle wahr oder richtig sind, jedenfalls 
schon einen gewissen Erkenntnis wert haben, wenn sie sich 
als fruchtbar für die Erklärung der Phänomene erweisen, 
wenn sie uns theoretisch ,4fihren*', im Denken, Erfahren, 
Erkennen weiterbringen, wenn sie zur geistigen Beherrschung 
oder Harmonisi^nng des Gegebenen dienen.**) Damit sie aber 
zugleich auch Anspruch auf objektive Wahrheit madien können, 
müssen Urteile die Eignung haben, mit anderen Urteilen zur 
Einheit eines allgemeingültigen Erfahrungs- und Er- 
kenntniszusammenhangs sich verknüpfen zu lassen; sie 
dürfen also den Gesetzen des das Erfahrungsmaterial ver- 
arbeitenden Denkens und den methodisch gerechtfertigten 
Setzungen desselben nicht widersprechen, müssen diesen ^kon- 
form" sein. 

Die Wahrheit eines Urteils besteht freilich nicht in 
der Obereinstimmung einer Vorstellung mit einer außerhalb 
alles (log-ischen) Bewußtseins belegenen, durch sie abge- 
bildeten Wirklichkeit; dies gibt der Kritizist dem Pragmatis- 
mus gern zu. Auch ist das objektiv Seiende, Reale, an dem 
wir die Wahrheit unserer Urteile messen, nicht fertig, unab- 
hängig vom Erkennen gegeben, sondern „aufgegeben**; es 
ersteht für uns erst im und durch den Erkenntnisprozeß selbst.**^ 
Die Bestimmung: „Wahr ist ein Urteil, das der Wirklichkeit 
gemäß ist", verliert aber ni<^t jeden Sinn. Mag auch die ob- 
jektive Realität dar Dinge erst und nur in einem allgemein- 
gültigen Zusammenhange oder System von Inhalten oder 
Gegenständen des logischen (bzw. wissenschaftlichen) Bewußt- 



*) Vgl. Th. Lorentz, Kantstudien, 1909. 

••) Vgl Dcirey, Fr. C. S. SchiUer, Vaihinger, G. Jacoby, Eöffding u. a. 
***) So auch Cohm, Natarp, Cauker, Kinkel u. a. «Neukantianer". 



244 



n. Spcsdkr TciL 



amuM v(Mrlieg<eii, ao bleibt doch immer noch der Untnadiied 
zwischen dem rtnzelnen, subjektiven Urteil und den objektiven 
mitRechtab »real** gesetzten und anzuerkennenden, methodisch 
gewonnenen Urteilainhalten, in welchen die Objekte der 
ihhrung nach ihren festen Bestimmtheiten und Relationen sich 
dantellen, und mit welchen die Urteile der Einzelsubjekte iibeiw 
einstimmen müssen, um wahr zu sein. Unsere individuellen 
Urteile mfissen, heifit dies, ihren Geg^enstand jeweils so setzen 
und bestimmen, wie es durch die Normen allgfemeingrultig'er 
Hrfohrungsurteile gelordert ist; sie müssen diesen „WiikUch- 
keitssetzungcn** entsprechen, dürfen ihnen nicht widersprechen. 
Keine Denksetzung darf die Einheit des Erfahrung-s- und 
Erkenntniszusammenhanges aufheben, jede muß sich diesem 
einfügen lassen. Das ist das oberste Kriterium aller 
materialen Wahrheit, zugleich aber auch alles denkend zu 
setzenden und anzuerkennenden Seins. Ebendasselbe, was 
die wahre, normgemäße Erkenntnis, die Wahrheit konstituier^ 
das konstituiert auch die Gegenstände des Erkennens, das 
objektive Sein, die Wiridichkeit als objektiv-empirische Reap 
litat Das gilt, auch wenn wir nicht das Sein mit allen 
s^en Bestimmtheiten aus dem reinen Denken ableiten 
können, sondern anerkennen müssen, daß die einen objektiven 
Erfahrungszusammenhang schaffenden Denksetzungen an einem 
anschaulichen Material erfolgen, das wohl auch für das Denken, 
aber nicht bloß durch dasselbe gegeben ist 

Ein Urteil ist von ,, primärer" Wahrheil, sofern es eine 
solche Setzung enthält, wie sie durch die Erkenntnisgesetzlich- 
keit in deren Anwendung auf einen besonderen Fall, auf ein 
bestimmtes Gegebenes, auf methodisch zu verknüpfende Daten 
gefordert ist. Es muß also dem anschaulich Gegebenen gerecht 
werden, sich lu gewissem Sinne ihm anpassen, zugleich aber 
das Gegebene der reinen Denkgesetzlichkeit, den Erkenntnis- 
normen gemäß formen. Die von uns gefällten Urteile gelten 
von den Objekten und für sie, weil die Objekte der Erkennt- 
nis selbst — als solche wenigstens — eben die zu den denkend 
gesetzten Bestimmtheiten gehörigen Einheiten und Zusammen- 
hänge bedeuten, die im nie abgeschlossenen Prozesse des £r- 



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Viendmtcs K«plld. Der Zw«ek ia der Logik vnd Erironntiilitheorfe. 245 



konnena iniiner ▼olbtändigar und genauer, nach immer mehr 
Seiten zur Bestimmung' gelangen. 

Parallel mit der Verarbeitung der Daten der Sinneawalur* 
nehmung zum Zwecke der Gewinnung des objektiven £r^ 
lahmngszusammenhanges der „Nator** erfolgt die Setzang eines 
Systems von Subjekten, auf die als besondere Einheiten die 
Daten der inneren oder unmittelbaren Wahrnehmung, also die 
Vorstellungen, Gefühle, Denk- und WilJensakte, die Bewufit- 
seinsfunktionen als solche und deren Zusammenhäng-e bezogfen 
werden. Psychologisch betrachtet, erscheint das Denken als 
Funktion, Tätig-keit eines einzelnen Ich; erkenntnistheo- 
retisch auf g-efaßt, wird dieses Idi ZU einer Denksetzung unter 
anderen, aber nicht etwa zu einem reinen Denkerzeug-nis, 
sondern nur auf Grund von primären Erlebnissen, welche das 
Denken zwar verarbeiten, verknüpfen, bestimmen, aber nicht 
ans sich produzieren kann."') Während das auf Erstellung 
eines einheitlichen objektiven Erfahrungszusammenhanges g-e- 
richtete Denken schließlich sein Ziel nur dadurch erreicht, daß 
es alles Unmittelbar-Qualitative des Geg-ebenen auf quantitativ- 
kausale Relationen zurückführt, läßt das psychologisch und 
geisteswissenschaftlich orientierte Denken das ihm Gegebene 
in seiner qualitativen Unmittelbarkeit bestehen; es wendet 
seine Kateg"orien nur so an, wie sie zur Begreiflichkeit, Syn- 
these des Psychischen, der Erlebnisse als solchen erforderlich 
sind. Die Verschiedenheit des Erkenntnisziel es bcdincft eine 
partielle Verschiedenheit im Gebrauch der J^rkenntnismittel. 
So wird es verständlich, warum die quantitative, mechanistische 
(oder dynamistisch-energ-etische) Betrachtung-s- undErklärung-s- 
weise des Geschehens vom Standpunkt der äußeren, objektiven 
Erfahrung- allseitig-, ausnahmslos g-ültig- und theoretisch zweck- 
mäßig ist, während sie auf dem rein psychologischen oder g-eistes- 
wissenschaftlichen Standpunkte allen Sinn, allen Arbeitswert 
verliert. Wohl läßt sich alles Geg^ebene als materiell-energ-e- 
tisch betrachten oder dem kausalen Zusammenhang physischer 
Erscheinungen einordnen, aber immer nur vom Standpunkte 



*) Vgl Ftiacheisen-Kolder, Wissenschaft and Wirklichkeit, 191a. 



246 



n. Spesidicr Tdl. 



des auf die allgemein g-iilti gen Erfahrungfsobjekte gerichtetea 
Erkennens, welches schließlich der Ergänzung^ durch das die 
Welt der inneren, unmittelbaren Erfahrung bestimmende 
Denken bedarf. Für dieses Denken ist dasKeale, Wirkliche 
also nicht eine Summe von Körpern, Bow^fungen, Energien usw., 
sondern es stellt sich jetzt dar als eine Mannig'faltig^keit von 
Bewußtseinseinheiten, von Zentren aktiver oder reaktiver Be- 
wußtseinsfunktionen, von »Subjekten", nicht mehr als materielle 
„Substanz". 

Unser „Subjektsein" ist weder ein bloßes Erlebnis, etwas 
rein intuitiv Gegebenes, noch ein reines Denkprodukt, sondern 
das Denken setzt es auf Grund von Bewußtseinsbestimmt- 
heiten, die zur Unterscheidung eines „Nichtich" von einem 
„Ich" (,, Selbst"), d. h. der Objekte der Erfahrung, des Denkens 
und des Willens von der Tätigkeit des Erfahrens, Denkens und 
Wollens von Objekten nötigt. Das erkennende Bewußtsein 
in uns „dirimiert", spaltet sich in ein Objekt- und Subjekt- 
bewußtsein, in welchen beiden je ein anschaulicher und ein 
gedanklicher Faktor steckt oder ein auf ein Anschauliches 
oder ein Erleben bezogenes Denken enthalten ist. Die fremden 
Subjekte werden analog dem eigenen gesetzt und bestimmt, 
wobei ihre Setzung, mag sie auch zunächst eine psycho- 
logische Wurzel haben („Ein füh hing"), als Mittel zur Verständ- 
lichung von Erlebnisinhalten, zur Deutung ihres Sinnes auch 
eine logische Funktion erfüllt und dadurch ihre Gültig'keit 
erhält 

Wenn endlich die „metaphysische Spekulation'' schließlich 
die Einseitigkeiten der objektivierenden und subjektivierenden 
Denkw^eise dadurch zu überwinden sucht, daß sie das objek- 
tive und subjektive oder das physische und psychische Dasein als 
zwei , .Seiten" (Aspekte) einer einheitlichen, identischen Wirk- 
hchkeit, als das Außen- und Innensein dieser bestimmt, so 
bedeutet dies kein unkritisches Dogmatisieren, sondern eine 
im Rahmen der Erkenntnisgesetzlichkeit verbleibende 
Denksetzung zum Zw^eck umfassendster Begreiflichkeit der 
Gesamterfahrung. Die Herstellung eines einheitlichen 
Zusammenhanges zwischen den in sich selbst zusammen- 



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Vicndmtei Kapild. Der Zweck in der Logik uad Erkmirtniühciirie. 247 



häng'endeo Reihen der äußeren und inneren Krfahrung berulit 
auf einer Synthesis höchster Ordnung, die man als „meta-* 
physische Synthese" bezeichnen kann und die nur die kon- 
sequente Durchführung* der synthetischen Einheitsfunktion des 
Bewußtseins bedeutet. 

Das denkend bestimmte Iniieu- oder Fürsichsein der Wirk- 
lichkeit, wie CS an der Hand unmittelbarer Erlebnisse von dem 
System der Raunidinge und ihrer Relationen unterschieden 
wird, als eig^ene wie als fremde „Innerlichkeit", wird, sobald 
die Idee der Entwicklung" auf dasselbe zur Anwendung- g-e- 
langt, zu einer Stufenfolge von relativ selbständigen Erlebnis- 
zentren, vom „Monientanbewußtsein" und der triebhaften Re- 
aktivität der niedersten Wesen ang-efangen bis zu den selbst- 
bewußten, aktiv- wollenden Einheiten; hierbei ist überall das 
Phänomen der „Mechanisierung" oder Automatisierung von 
Bewußtseins- und Willensvorg"ängeu und die Entwicklung- 
höherer Stufen aus niederen ebenso wie der gegensiunige 
Prozeß zu berücksichtigen. 

Das Denken, welches, rein erkenntnistheoretisch, log^isch, 
transzendental betrachtet, ein zeitloser Zusammenhangs von 
Setzungen, Geltung-en, Ideen, Normen, Urteilsinhalten ist, 
setzt sich nun selbst bewußt als eine geistig-reale Tätig- 
keit unter anderen. Es ist nun nicht mehr ein Inbegriff 
von Geltungen als Mitteln zu einem theoretischen Ziel, 
sondern eine zielstrebige Funktion, wie auch die Momente 
des gesamten Erkenntnisprozesses es jetzt sind. Diese Ein- 
ordnung des Denkens und Erkennens in den als „Innen- 
welt" charakterisierten psychischen Zusammenhang gehört 
selbst zu den Mitteln, welche dem Erkenntnisziel der Be- 
greiflichkeit des Gegebenen, der einheitlichen Ordnung des 
Krkenutuismaterials dienen. Das Denken, welches vom rein 
logischen Gesichtspunkt aus eine Sphäre des Idealen, gleich- 
sam ein „drittes Reich" neben dem physischen und psychischen 
oder psychologischen Dasein und Geschehen begründet, bildet 
nun vom Wirklicbkeitsstandpunkt einen eigenartigen Teil 
des Geschehens der in der Zeit erfolgenden Entwicklung und 
hat dann auch wie ein jeder Weltbestandtetl eine physlaohe Seite 



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248 



n. Spcdelkr Tefl. 



oder Erscheinung-sweise (etwa als Koordinations- und Regfula- 
tionsvorgangf im Gehirn). Die Psycholog^ie, Biolog-ie und 
Soziolog'ie des Denkens und Krkennens und die genetische 
Betrachtung" desselben treten nun in ihre Rechte, ohne allen 
„Psychologismus" und Subjektivismus, ohne Übersehen der 
logischen oder transzendentalen, apriorischen Voraussetzungen, 
Bedingungen, Grundlagen aller, also auch der psychologischen, 
biologischen und soziolog-ischen Geltungen selbst*) Die psy- 
chologisch-teleologische Erklärung ergänzt die trans- 
zendental-teleologische Deduktion oder Legitimation des 
Logischen, als eine besondere, aus einem bestimmten Er- 
kenntnisziel sich ergebende Methode **) 

So beherrscht denn der Zweck den ganzen Erkenntnis- 
prozeß, er gibt ihm die fundamentale Richtung und er be- 
gründet dessen Methoden, soweit sie nicht durch die besondere 
Erkenntnismaterie bedingt, aufgegeben sind. Das ideale Ziel 
einheitlich geordneten Zusammenhanges möglicher Erfahrungs- 
inhalte, in welchem uns eine objektive, allgemein gültig be- 
stimmte Welt ersteht, legitimiert die Formen unseres Er- 
kennens als die Mittel zu Erreichung dieses reinen Erkenntnis- 
zwecks und daniit als Bedingungen der empirischen Realität 
der Erkenntnisobjekte. Der ideale Wille zur Erkenntnis und 
damit zur Objektivität, zu allgemein gültigem Sein, diktiert 
uns die Gesetzlichkeit des Verfahrens zur Verarbeitung des 
gegebenen P>kenntnismaterials; er setzt die Normen für die 
Erkenntnismethodik, er bestimmt, wie wir im Denken und Er- 
kennen vorgehen sollen. Nicht ein ,, transzendentes Sollen" 
(wie Rickert meint) bedingt das Erkennen, wohl aber ein trans* 

*) Vgl. JZ&fart, Kant^tadien XI, 1909; ferner Din^, tu a. O., 

2Vk8cA q. a. 

••) Man kann also durchaus auf dem Boden des Transzendentalismus 
und Logismas stehen und dennoch auch die biologisch-psychologische, 
iiniiuuient>tdeologische Sdte des Ericemneiui und dessen EntwicUnng 
gdten lassen. Der Apiiorismns ist keinesw^ «bahnqierrend" (wie 
IT. Jtruatätm meint); nur unterscheidet er mit Recht sdiarf zwischen 
der Frage nach der Geltang von Erkcnntnisbcdingungen und der Frage 
nach der Entwicklung des Zrkennens und Denkens, deren Beantwortung 
jene Geltung schon voraussetzt. 



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Vienebatet Kapitel. Der Zvcek Ja der Logik «ad EAenntabÜiBorie. 249 



zendentalea SoUeOf and dieses Sollen, diese feste Normienuig' 
geht ai38 von dem allem subjektiven Bewnfitsein immanenten, 
in ihm sich geltend machenden, den historisch sich ent- 
wickelnden &kenntnisprozefi leitenden reinen Erkenntnis- 
willen.*) 



*) Die teleologische Seite des Denkens und Erkennens betonen 
aofier den Vertretern des Pragmatismus (oder „Instrumentalismus**, 
weil die Wahrheit als Mittel für eine Praxis gilt) und Humanismus alle 
diejenigen „Aktivisten", welche der Wissenschaft die Aufgabe zuweisen, 
dem Leben und dem Handeln 2n dienen, wie Mach, OBtuMäd, JentMokm, 
CMUtduid, Vaüimigar n. s., znmTdlsnchBto^gfWM» nach wdehem im bteresse 
des Handelns der wissenschaftliehe Verstand den an sich stetigen Flnfi 
des Werdens stabilisiert, in homogene Elemente zergliedert und ver- 
räumlicht, während die „Intuition" sich in das „Absolute", das innere 
Wesen des Werdens, der „schöpferischen Entwicklung" des universalen 
Lebens einfühlt nnd das Wirkliche von hmen ans onmittelbar erfafit 
Einen „teleologischen Kritlzisrnns' vertreten in vertchiedener Wdse 
Windelband, nach welchem die obersten Ziele des Bewußtseins die 
Grundsätze der Erkenntais, des Handelns und Schaffens legitimieren, 
RickeH, nach welchem im Urteil ein praktisches, billigendes oder miß- 
bilUgendes Verhalten steckt, die Sieilungnahmc zu einem Wert; die 
Wahrheit sdbet ist eüi Wert, der in der Anerkennung einer Norm, 
eines das Urteil bestimmenden SoUens sich beknndet; dem Erkennen 
liegt, wie nach Winddband, der WiUe zur Wahrheit zugrunde. Kritisch 
ist nach Rickert das Verfahren, welches „zwischen wertvollen und wert- 
losen Zielen der Erkenntnis unterscheidet und mit Rücksicht auf sie 
die Geltung der za ihrer Erreichong notwendigen Erkenntnismittel be- 
gründet*. Femer smd hier zu nennen J. Cakn, nach welchem das ideale, 
fiberindividuelle Ich tmd der fQr dieses geltende allgemeine Urteils- 
zusammenhan«^ das Ziel der Erkenntnis bildet, Münstcrher;';, nach 
welchem Zielsetzungen und Postulatc sowie Wertungen die Erkenntnis 
bedingen, so aber, daß es uns logisch wertvoll sein muß, in der Natur- 
Wissenschaft die Welt als wertfrei, als streng kansalen Zusammenhang von 
Objekten zu denken, J*. Bof/u, nach welchem alle Logik ehie Logik des 
Willensimd die Wahrheit ein Mittel zur Erreichung des Zieles alles mensch* 
liehen Wollens ist, so aber, daß es absolute Wahrheiten als reine 
Willensformen gibt, it. Joel, nach welchem die Setzung eines kausal- 
gesetzlichen Zusammenhangs schon durch unser Willensziei bedingt 
ist, Dirkieh („Ordnong** sls 2id), Siadtar n. s. — JZ. GMadtdi betont: 
„DieWeltwollnng ist es, die unsereWeltanschsnung dirigiert 
Wenn wir Falsches wollen, mQssen wir notwendig auch zu falschen 
Forschungsmethoden gelangen oder in solchen verharren. Darin ist 



250 



O. SpesieUer Teil. 



Das £rkeimeii als zmtlicher Prozeß, als Leistung' der In- 
dividuen und des Gesamtgfelstes, macht eine Entwicklung- durch, 
infolg^e deren es immer zweckmäßig'er wird, indem die Idee 
der Erkenntnis sich immer vollkommener verwirklicht. Der 
Erkenntniswille treibt zu immer neuen Formongvn des £r- 
fahrung^smaterials, zu unablässig-en Berichtigxing"en der an der 
Hand dieses Materials t^ efäUteo Urteile und Annahmen. Wenn 
aber auch im Verlaufe der wissenschaftlichen Entwicklang* 
die Gesetzlichkeit des erkennenden Bewußtseins sog^ar in den 
GrundbegrifEen sich differenziert,"') so behalten doch die ober- 
sten Voraussetzungen aller oder wenigstens der wissenschaft- 
lichen Erkenntnis in dieser Entwicklung- ihre apriorische 
Geltung, weil diese eben durch die Erkenntnisidee ein für 
allemal gesetzt, durch das Erkenntnisziel zeitlos gefordert ist 
Für ein endliches, „diskursives" Bewußtsein wenig^stens ist ein 
einheitlicher Krfahrung'szusamnienhang- nicht ohne die Geltung 
gewisser oberster Voraussetzungen, ohne die Anwendung- funda- 
mentaler, das Geq-ebene ordnender, vereniheitiichender, ob- 
jektivierender Erkenntuismittel möglich. Es braucht wohl nicht 
betont zu werden, daß diese Erkenntnismittel nicht „angeborene" 
Begriffe bedeuten, daß sie der Erfahrung nicht zeitlich voran- 
gehen, sondern sie rem logisch bedingen. „Ursprüngüch" sind 
sie nur in dem Sinne, daß sie aus der Gesetzlichkeit des er- 
kennenden Bewußtseins, bzw. der „wissenschaftlichen Vernunft" 
(Cohen) entspringen oder vielmehr diese Gesetzlichkeit selbst 
in deren Besonderungen darstellen. Und ferner ist das, was 
der Menschengeist unter der Leitung dieser Vernunft, dieses 
„Logos'* als real setzt und findet, zwar durch die Formen der 
reinen Vernunft bedingt. Aber eben durch diese Formung 
erhebt es sich über den Fluß des subjektiven Erlebens als ein 
fester, vom Wechsel der Sinneswahrnehmung und von der 
Verschiedenheit der wahrnehmenden Subjekte durchaus unab- 

snch die tiefinnere Korrelatkm zwischen KsnsalitU und Tdeologie ver* 
ankert* (HöherentwicUang und MenschenOkonomie I, SJCXV). — Vg^. 
auch zu dem Kapitel die Arbeiten von Potom^ L, SMn, Simmd (Archiv 
L systemat, Philos. 1895) u. a. 

•) So auch Cohen, Natorp, t'assvr&r usw. 



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Vicnehntes Kapitel. Der ZweA ia der Lofik vad EiiieutiriiaMoHe. 251 



hangiger, gesetzludi zuaammenliängender Wirklichkeits- 
bestand, als ein System von Beziehungen, von denen 
die Relation der Anfiendinge zu erlebenden Subjekten nur 
einen Spezial&Il bildet*) 

Weit entfernt also, von den subjektiven Bewußtseins» 
erlebnissen der Individuen abhängig oder mit ihnen als solchen 
identisch zu sein, enthalt dieses Wirklichkeitssystem vielmehr 
die objektiven, transsubjektiven Bedingungen für das Kommen 
und Grehen der subjektiven Wahrnehmunqfsinhalte sdbst. 
Die transsubjektive Realität bildet so das Korrelat zu dem 
in seinen Setzungen selbst sich verwirklichenden, über- 
individuellen (»Bewußtsein überhaupt",**) dem idealen Be- 
ziehungspunkt für die objektive Erfahrung. — Diese Er- 
fahrung besteht darin, daß wir die Wirklichkeit so erkennen, 
wie sie sich vom Standpunkte jenes Bewußtseins notwendig 
und allgemein darstellt. Und es bildet das ständige Ziel aller 
Wissenschaft, das Denken auf einen solchen Standpunkt'"**) 
zu erheben, von dem aus alle subjektiven Differenzen neutrali- 
siert und aufgehoben erscheinen, auf den Standpunkt äber^ 
individueller, allgemeingültiger Seinsbestimmung. 



*) Vgl. Ca$8irer, Jahrbacher der Philosophie I, 1913. 
**) Vg). M, Amrhem, Kants Lehre vom Bewnfltaein Oberhaupt, 1909. 
***} Vgl. J, Cohn, Voraossetzimgen imd Ziele des Eiketmens, 1906. 



Fünfzehntes KapiteL 
Der Zweck in der Metaphysik. 

Eine Metaphysik als strenge Wissenschaft vom absolut 
Transzendenten, von dem, was mög-liche (denkbare, eig"ene 
und fremde) Erfahruncf überschreitet, muß für jeden, der auf 
dem Boden des kritischen Erkenntnisbegriffs steht, ein Ding 
der Unmöglichkeit bedeuten, auch wenn er nicht alle Lehren 
Kants, des eigentlichen Begründers des Kritizismus, in 
Bausch und Bogen, ohne jede Fortbildung übernimmt. Wir 
können die objektive Wirklichkeit nicht so erfassen, wie sie 
in ihrem, alle durch unser Denken bestimmten Relationen 
überragenden, absoluten Sein besteht. Wir erkennen sie 
immer nur vom Endlichkeitsstandpunkt, d. h. nicht in 
ihrer ungebrochenen Einheit und Totalität, in der die Gegen- 
sätze von Subjekt, Geist und Materie, FinaUtät und Kausalität 
völlig aufgehoben sind. Wir gelangten zu diesem absolut 
transzendenten „Übersein" — als Einheit von Sein und Werden 
oder als überzeitlicher Seinsart dessen, was vom Endlichkeits- 
Standpunkt sich in eine endlote Reihe zeitlicher Monxente und 
raomzeitiicher Relationen auseinanderlegt — nur als zn einem 
Grensbegriffi der allen spekulativen Dogmatismus aufhebt 
und uns vodiindert, das für die empirische Welt gesonderter 
Dinge und deren Relationen Gültige, Wahre und insofern 
durchaus Objektive (von unserer Subjektivität Unabhängige) 
auf das Allsein als ungebrochene Einheit zu übertragen. 

Wenn wir im Folgenden von „Metaphysik" sprechen, so 
meinen wir damit kune Wissenschaft „höhwer" Art, sondern 
etwas Bescheideneres.") Nämlich bloß den Versuch, auf Grrnnd 

*) Vgl. über „kritische Metaphysik* O. JAebmann, Zur Analysis 
der Wirklichkeit, 4. Aufl. 1911. 



PHaftelmto Kapitd. Der Zweck ia der Metaphysik. 



253 



der eikenntnistheoretiscfaen Bednnnog' und der »spekiilativen*', 
dvrdtk die philosophische Phantasie vermittelten Sjmthese des 
Erkenntnismaterials zu einer höchsten Einheit des Denkens, 
wennschon nicht exakter Erkenntnis» das Weltgeschehen in 

einen umfassenden Zusammenhangf zu bringen nnd es auf 
einheitliche Faktoren zurückzuführen, aus deren Zusammen- 
wirken es begreiflich wird. Und da, wie gezeigt wurde, der 
Kausalzusammenhang des Geschehens erst dadurch einen 
Sinn erhält, verständlich wird, daß wir zielstrebige Faktoren 
als das Innensein oder Fundament desselben ansetzen, so 
bildet es eine Hauptaufgabe kritischer Metaphysik, das ge- 
samte Weltgeschehen als Ausfluß einer ihm immanenten 
Finalität zu deuten, um so das möglichste Verständnis für 
dasselbe wie für die Glieder und Momente des Weltprozesses 
zu gewinnen. Kritisch ist diese metaphysische Deutung 
deshalb, weil sie nicht aus dem Rahmen der Gesetzlichkeit 
des Denkens und Erkennens überhaupt herausfällt und nichts 
aussagt, was sich nicht auf das Material möglicher Erfahrung 
und möglichen Denkens bezieht. Denn die Zielstrebigkeit, 
aus der sich das Geschehen verständlich machen läßt, gehört 
noch mit zu dem denkend verarbeiteten Erfnbranj^sinhalt, 
hat also eine , .anschauliche" Grundlage, so daß die Zweck- 
idee nicht absolut ,,leer*' ist. Sie bleibt auf ein dem 
logischen, transzendentalen Bewußtsein Immanentes bezogen, 
ist nicht absolut transzendent. 

Vom Standpunkte der durch die Sinne vermittelten Er- 
fahrung stellt sich uns die Welt als eine Vielheit von räum- 
lichen Dingen, von Körpern, räumlichen W^iderstand leisten- 
den Kraft- und Energiezentren dar, welche zueinander in 
dynamisch-energetische Beziehungen treten, die das Denken 
zu einem in sich geschlossenen Kausalzusammenhang ver- 
knüpft. Die Glieder dieses Zusammenhanges fungieren als 
aktuelle Ursachen und Wirkungen, und diese sind, genauer 
bestimmt, Vorgänge an den Dingen, die vonemander nach 
bestimmter Gesetzlichkeit eindeutig abhängig sind, so daß an 
das Auftreten der einen das der anderen unausbleiblich, nach 
einer festen Regel geknüpft ist. In den als solchen be- 



254 



n. Spendier TcO. 



währten Naturgesetzen kommt die Konstanz dieser Ver- 
knüpfang zu zahlenmäfiigem Ausdruck; sie sind Formeln, in 
denen wir das typische Wirken (Reagieren) der Dinge, das, 
was ans deren Wesra od^ „Natur** unter bestimmten Be- 
dingungen folgt, einheitlich und zugleich möglichst „denk- 
ökonomisch'* festlegen. Wir „erklaren** einen Votgang, indem 
wir ihn auf eine bekanntere^ einfachere, allgemeinere Klasse 
von Geschehnissen zurückführen oder ihn als Folge bestimm- 
ter allgemeiner Faktoren begreifen. Wir suchen stets nach 
solchen Faktoren, die als Realgründe oder „Ursachen** die 
Notwendigkeit des Auftretens von Veränderung-en begreiflich 
machen. Dazu bedarf es einer entsprechenden Ordnung des 
ErfahruDgfsmaterials durch das Denken, einer gewissen, nach 
dem Grundsatz der Kausalität erfolgenden Auswahl aus dem- 
selben. 

Ein ähnliches, nur entsprechend modifizi^tes Verfahren 
findet auch statt, wenn man den Standpunkt der inneren oder 
unmittelbaren Erfahrung einnimmt, wie dies in der Psycho- 
logfie und in den Geisteswissenschaften der Fall ist, welche 

das Sein und Geschehen so betrachten, wie es in seiner un- 
mittelbar qualitativen Beschaffenheit und in seiner Abhängig- 
keit von erlebenden und stellungnehmenden, strebenden und 
g-eistig tätigen Subjekten sich darstellt und denken läßt. Auch 
hier wird das Material zu einer möglichen Erfahrung so ver- 
knüpft, g-eordnet, verarbeitet, daß daraus ein einheitlicher Zu- 
saiiuneuhang* von Ursachen und Wirkunj^en nebst den dazu- 
gehörigen BediniTur:e''"n und Umständen wird. Kurz, mit Hilfe 
des Kausal itätsprmzips erarbeitet sich das Denken methodisch 
die empirische Realität des Physischen und des Psychischen, 
der Natur und des Geistes, der Welt der räumlichen Objekte 
sowie der erlebenden und wollenden Subjekte und ihrer 
Schöpfung*en, 

So bekommen wir zwei Reihen des Seins und des Ge- 
schehens, deren jede in sich g^eschlossen ist und ihre Souder- 
gesetzlichkeit hat. Nun kann das Denken aber bei dieser 
empirisch-phänomenalen Dualität nicht stehen bleiben; der 
philosophische Einheitswille regt sich angesichts der zahl- 



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FinfiMlttitet Kapild. Der ZwwA in. der Metephytik. 



255 



reichen Abhängig'keiteii, welche die beiden Reihen in ihrem 
Verhältnis zueinander aufweisen. Und so kommt man denn 
dazu, zunächst bei uns Menschen selbst, diese Dualität der 
Erscheinungfen dadurch su überbrücken, dafi man annimmt, 
die beiden Reihen hängfen im Grunde zusammen, sie sind 
nur -versdiiedene, vom besonderen Standpunkt der Betrach- 
tung* des Seienden abhängige Erscheinungsweisen einer ein- 
heitlichen Wirklichkeit, eines an sich «identischen'*. So läßt 
sich jedenfalls, zwar nicht alles, aber doch vieles begreiflich 
machen, begreiflicher mindestens, als es der endgultigfe, 
metaphysische Dualismus vermag, der das Psychische und 
das Physische als zwei real geschiedene, gegfensätzliche, mit- 
einander in Wechsel wirkunj:^ stehende Seinsarten auffaßt. Er 
stößt auf die größten Schwierig-keiten, wenn er sich mit 
fundamentalen und jedenfalls für die Erkenntnis höchst zweck- 
mäßigen Grundsätzen lud Postulaten des wissenschaftlichen 
Denkens in Einklang setzen will. Wie wir bereits früher dar- 
g^tan haben, steht der Ausdehnung- der bei uns selbst sta- 
tuierten Einheit beider Reihen des Geschehens auf alle Dinge, 
alle realen Faktoren der W^elt nichts im Wege. Hiernach 
ist es wenigstens der Metaphysik gestattet, die körperliche, 
physische Natur als Außensein, Erscheinung, Objektivation, 
einer der bei uns selbst unmittelbar erlebten analogen Inner- 
lichkeit zu deuten. Als Ausdruck eines „Fürsichseins", das 
von der vStufe eines bloßen, unzusammenhäng-enden, nicht 
zentralisierten Monientanbewußtseins und eines dumpf trieb- 
haften Reagierens auf Eindrücke sich zu einem aktuellen 
Bewußtsein und Selbstbewußtsein erhobt. Aus dem Jnnensein 
der Natur, in dem er schon potentiell angelegt ist, geht 
so unter günstigen Bedingungen der endliche Geist im 
engeren Sinne hei'vor, der dann die äußere, naturhaftc Wirk- 
lichkeit nach seinen Zielen umformt, sie zum Mittel für seine 
Zwecke macht und verarbeitet und so ein Reich der Kultur, 
eine kulturelle Geisteswelt erschafft. 

Teleologisch betrachtet, stellt sich so das Weltgeschehen 
als ein unermeßliches System von Zielstrebigkeiten und 
zielstrebigen Aktionen und Reaktionen dar. 



256 



U. Spatdkr Teil. 



Jeder Vorgang* lat von einem anderen kanaal abhangig, aber 
fagleich o&nbart sich in ihm eine „Tendenz*', ein Streben 
nadi etwas. Die kauaalen Abhäng^igkeiten sind nur das luißere 
Zeichen der zwischen den zielstrebigfen Tendenzen selbst be- 
stehenden inneren Abhängigkeiten, denen zufolge sich 
die einen nach den anderen gleichsam richten. Alles in der 
Welt geht kausal und alles in der körperlichen Natur mecha- 
nisch-energetisch zu, aber die Quelle des Kausalen und Mecha- 
nischen selbst liegt in der Finalität, welche gleichsam die 
von innen erfaßte Kausalität ist. Nichts in der Welt geschieht 
absolut ziellos, auch da nicht, wo wir keine äußeren Zwecke 
zu erkennen Yermögen oder wo die Ziele nicht erreicht 
werden, oder wo Unzwedcmäßiges sich findet. Alles Ge- 
schehen ist innerlich „gerichtet", und zwar deshalb, weil es 
die Resultierende von teils konvergierenden, teils divergieren- 
den Tendenzen ist, die sich in einer Mannigfaltigkeit von 
Bewegxingen und Energieumsetzungen manifestieren. Von 
diesen Bewegungen und allen anderen objektiven Verände- 
rungen und Effekten ist natürlich den elementaren Wirklich- 
keitsfaktoren selbst nichts bekannt, ja selbst ein großer Teil der 
Organismen weiß nichts von ihnen. Erstrebt werden zunächst 
immer nur innere Zustände, als eine Reaktion auf „Störungen", 
die aus dem „Zusammen" mit anderen Wirklichkeitsfaktoren 
sich ergeben. Es dürfte ungefähr so zugehen, wie dies etwa 
IjOtze dartut: „Die räumliche Wechselwirkung der Welt ist 
daher der durch unsere geistige Natur uns notwendig gemachte 
Ausdruck der immer unter den Wesen unter sich und mit 
uns stattfindenden inneren Wechselwirkungen, also ein Effekt 
ihres Wirkens." „So wie die nihit^'^e Lagerung der Dinge im 
Räume der Ausdruck ihrer inneren Gegenwirkungen ist, so 
wird auch ihre uns erscheinende räumliche Bewegung Folge 
und Ausdruck ihrer inneren Zustände sein. Wir kennen diese 
letzteren nicht, aber als selbstverständlich dürfen wir doch 
ansehen, daß jede Veränderung, die ein Element durch das 
bereits in Gang gesetzte Geschehen erleiden soll, in ihm eine 
Rückwirkung hervorruft, die sich als Selbsterhaltung deuten 
läßt, d. h. die darauf ausgeht, die ursprüngliche Natur des 



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Fünfieelintei Kapitel. Der Zweck in der lletaphyiik. 



257 



Elements und seinen bestehenden Zustand g-egen Verände- 
rung' zu verteidigen." ao entstehende Bewegung wird 
daher nicht einer sogenannten bewegenden Kraft an sich zu 
verdanken sein, d, h. einem Bestreben der anderen Elemente, 
Bewegung sozusagen als ihren Zweck hervorzubringen, son» 
dern sie wird nur die gewissermaßen beiläufige Form sein, 
welche das Bestreben aller Wesen nach einem Gleichgewicht 
ihrer inneren Zustände für unsere Anschauung annimmt."*) 

Es liegt also allem Geschehen in der Welt eine Ziel- 
strebigkeit zugrunde, denn alles Streben bedeutet ein „Ge- 
richtetsein auf etwas*'. Der äußere Kausalnexus ist der sicht> 
bare Ausdruck der in Wechselbeziehungen stehenden finalen 
Tendenzen, die insgesamt auf die Beseitigung und Erreichung 
von Zuständen der Wesen gerichtet sind, als Reaktion auf 
die von anderen Wesen erlittenen „Störungen" {Herbart, Lotze) 
oder Hemmung-en. Es sind überall pfewisse ,,Spannung-en" 
vorhanden, die nach einer Lüsang" dräng^en, und deren Besei- 
tipfuntr die MerstellunK'- oder Erhaltung eines inneren Gleich- 
gewichtszustandes, einer gewissen Einheit oder Identität be- 
deutet. Wenicrstens laßt sich die fundamentale Reaktion der 
Dinge in dieser Form deuten, verstäüdUch machen, wenn wir 
auch nie wissen können, was in ihnen eigentlich vorgehL 
Mehr als ein einheitliches Verständnis, als einheitliche Deu- 
tung des Sems und Werdens kann ja die Metaphysik weder 
anstreben noch erzielen. 

Im Anorganischen gibt es jedenfalls noch keine 
Konvergenz des Zielstrebeus , keine Vereinheitlichung 
und Zentrierung, keine „Synergie" und Solidarität der 
finalen Tendenzen. Auch übt die Vergangenheit der Re- 
aktionen noch keinen erheblichen Einfluß auf die späteren 
Reaktionen und deren Ablauf aus, es werden noch keine 
„Erfahrungen" gesammelt, die für die Zukunft verwertet werden 
könnten. Es bestehen hier keine „Totalitäten", keine ein- 
heitlichen, als Ganzes funktionierenden und wirksamen, Ener- 
gien transformierenden „Systeme", denen als Fiirsichsein ein 



*) Gnmdzüge der Naturphilosophie, 1883, S. 3s f. 

Bialer, Der Zirack. 17 



8S8 



n. Spcrfdkr Tdl. 



die Einzdreaktionen beding-endes einheitliches Gesamt« 
streben entspricht. Zu äußeren ZwecksetzungfeQi za eigent- 
lichem Handeln auf Grund der ideellen Vorwegnähme be* 
stimmter Efiekte kommt es hier noch nicht, daher auch nicht 
za besonderen, in sich geschlossenen Finalreihen, in wel- 
chen die Glieder nach dem Verhältnis von Mittel und Zweck 
sich ordnen. Die tatsächlich erfolgenden Wirkung'en des Ge« 
schehens sind nicht als solche erstrebt, sondern sie sind je> 
weils die Resultante der Wechselbeziehung zwischen den 
finalen Tendenzen verschiedener Wirkiichkeitselementei deren 
Ziele rein zuständlicher Art sind. 

Erst in den Organismen besteht gleichsam eine Synthese 
oder Integrierung der teleologisch enDiff er enziale, ein 
Zielstreben als Ausfluß innerlich verbundenerSysteme, auf Grund 
einer Entwicklang, einer Geschichte" solcher. Das Erhal- 
tungsstrebeii differenziert sich hier immer mehr zu einem 
Kntwicklungsstreben, das im Menschen immer bewußter 
und aktiver wird. In ihm erreicht die Fähigkeit der Verwand- 
lung von Wirkungen in besondere Zwecke ein relatives Maxi- 
mum, namentlich in seiner geistigen, kulturellen, historischen 
Entwicklung. Immer mehr wächst die Freiheit, als Macht 
über die äußere und innere Natur, als Emanzipation von jenen 
starren Notwendigkeiten, welche andere Wesen binden, als 
Fähigkeit aktiver, von der Vernunft, von Ideen und Idealen 
geleiteter, eine Fülle von realen und idealen Relationen zu- 
sammenfassender und vorwegnehmender Zwecksetzung. Die 
Idee des Seinsollenden, des dem Menschen durch seine 
Stellung in der Welt Aufgegebenen, Gebotenen und auch 
von ihm als ein solches Erkannten und Gewollten, leitet die 
kulturelle Entwicklung der Menschheit trotz aller Hemmungen 
und Abbiegungen im einzelnen. Der „Geist" kommt, wie 
Hegel dies in genialer Weise dargetan hat, immer mehr zu 
sich selbst; er bringt immer mehr seine Ziele und damit sein 
ureigenstes Wesen zur Entfaltung- und Geltung, er befreit 
sich immer mehr nicht bloß vom Drucke der äußeren Natur, 
sondern auch von den Schlacken, die seine eigene, oft ein- 
seitige Arbeit hinterläßt, von den Fesseln, in die er sich, be- 



FOnMnttt Kifitd.- Der Zirwk fai der Metaphysik. 259 



I 

sonders auf niederen Stufen seiner Entfaltungf, immer wieder 
selbst verstrickte. In seinem dunklen Drangfe ist sich der 
Geist des rechten Weges wohl bewußt, auch wenn ihm mdit 
alle Ziele und Mittel seines Schaffens von vornherein zum 
Gegenstand des Wollens und Wissens werden. Und es ist, 
wie Hegel sagt, die »,List der Vernunft", daß sie die Leiden- 
schaften, die selbstsüchtigen Interessen der Menschen und 
Völker in ihrem Dienste wirken läßt, so daß sie, von Stufe 
zu Stufe aulsteigend, oft auch ohne, ja gegen ihren Willen 
die in ihnen angelegten Zwecke erfüllen. 

Indem wir das Streben für einen Grundziig- alles Wirk- 
lichen halten und das Innensein der Welt als wWillen** im all- 
gemeinsten Sinne des Wortes bestimmen, nehmen wir den 
Standpunkt des metaphysischen Voluntarismus ein*) 
Mag auch das absolute An -sich des Seins unerkennbar sein, 
magf uns die Wirklichkeit nur in den Formen des erkennenden 
Bewußtseins überhaupt zugänglich sein, so hindert uns doch 
auch alle erkenntniskritische Reserve nicht, den äußeren Re- 
lationen der Dinge ein qualitatives Eigen- oder Fürsichsein, 
mne ^Inii^i^^^cbkeit" analog der uns selbst eigenen zu suppo- 
nieren. Dadurch vermögen wir einerseits den Standpunkt 
der unmittelbaren Erfahrungsweise konsequent, einheitUch 
durchzuführen, anderseits das Weltgeschehen nicht bloß zu 
begreifen, sondern auch zu verstehen. Ebendieselbe Wirk- 
lichkeit also, die ihrer äußeren Erscheinung nach, als „Außen- 
welt", ein System körperlicher Dinge und dynamischer Rela- 
tionen zwischen solchen bedeutet, ist in ihrer „Selbsterschei- 
nung'*, in ihrer Unmittelbarkeit Wille. Dieser Wille darf aber 
niemals als eine Ursache materieller Phänomene g-elten; ein 
Animismus, wie ihn der primitive Mensch und auch noch eine 
frühere Entwicklungsstufe der Wissenschaft und Philosophie 
vertritt, ist durch die quantitative, mechanistische oder dyna- 
mistische Naturerklärung unmöglich geworden. Der Wille ist 

*) Vgl. die Schriften von S^epemkaiter, BoAmwi, E. «. Sortmmn, 
O. FOerip JMBIanr, Sdtdbnen, NietzBche, E. Eomeffer, PauUtn, Wundt, 
Lipps, Mümterberg, FritzBche, Wengig, £iUMMMmi^ Drenler, I^ro^Kckf 
Lachdier, FouiiUef Bergeon u. a. 

17* 



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260 



n. Spesidler TeO. 



etwas Psychisches, and dieses kann als solches keine Bewegfungf 
als solche hervorbringen oder beeinflussen oder mechanische 

Arbeit verrichten. 

Wiederholt haben wir die Geschlossenheit des ph^'^sischen 
Kausal zusammenhang's betont, und auch an dieser Stelle sei 
es, um jedem Mißverständnis entschieden zu beg'egnen, g'esagt: 
Das Psychische als solches hat immer nur wieder psychische 
Uisachen und Wirkung-en, sowie das Physische als solches 
immer nur das Glied eines physischen Kausalnexus bildet. 
ISst anderen Worten: Betrachten wir ein Geschehen in der 
Welt vom Standpunkt der unmittelbaren od«r inneren Er- 
fahrung-, dann müssen wir, wo wir exakt denken, jeden Vor- 
gang, zu dem wir jenes Geschehen in eine direkt kausale 
Beziehung setzen, ebenfalls so betrachten; das Analoge gilt 
von der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise der Dinge, 
Demgemäß ist der Wille, den wir als universales Prinzip an- 
setzen, nicht eine Kraft, aus der physische Veränderungen 
entspringen, sondern er ist die Unmittelbarkeit, das Innen- 
sein ebendesselben Geschehens, das wir vom Standpunkte 
der äußeren Erfahrung als einen physischen Kausalzusammen- 
hang denkend ordnen. Das physische Geschehen ist nicht 
die Wirkung des Willens, sondern dessen Objektivation, 
dessen sinnfälliger Ausdruck. 

So kann es nicht mißverstanden werden, wenn wir, mit 
Wundi, im Willen den Schöpfer aller Zweckmäßigkeit er- 
blicken. Es geht hierbei in keiner Weise mystisch zu, die 
Einheit der wissenschaftlichen Erkenntnis und des natur- 
wissenschaftUchen Weltbildes bleibt völlig aufrecht. Der Wille 
zaubert die Zweckmäßigkeit der Dinge nicht aus dem Nichts 
hervor, er bewirkt nichts ohne oder gegen die Naturkausalität 
und den Mechanismus des Geschehens, sondern auch das ziel- 
gemäße Wirken und Gestalten hat seine mechanische und 
energetische Seite oder Erscheinungsweise. Was wir als 
Mechanismus bezeichnen, ist selbst schon der Niederschlag 
der Beziehungen zwischen den primitivsten Strebungen, der 
sichtbare Ausdruck solcher elementaren finalen Relationen, 
das Ergebnis ihres Zusammenspiels. Auf der Basis dieser 



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fliiftrtmtfi XapIteL Der Zweck in der Metaphysik. 



261 



pzimSren Teleomedumik kommt es zur EntwidduDg- höherer 
Zielsetsangen und Zweckmäßigfkeiten, verbunden mit immer 
neuen Automatisierimgen oder Mechanisierung-en. Und das 
alles erfolgt so, daß vom Standpunkt der äußeren Erfahrunsf 
immer und überall nichts als kausal verknüpfte Beweg^ungen 
und Energieumsetzungen, kurz, nichts als physische Ver- 
änderungen zu finden ist 

Es ist demnach gegen eine noch so strenge Betonung 
des universalen KausaUsmus und Mechanismus nichts einzu- 
wenden, es muß sogar unbedingt stets der Versuch gemacht 
werden, auch die höchsten Zweckmäßigkeiten auf das Zu- 
sammenwirken rein physischer, mechanisch-energetischer Kräfte 
zurückzuführen. Die Welt muß und kann sich so betrachten 
und erforschen lassen, als ob sie nichts als ein Riesenmecha- 
nismus wäre. Nur darf dies nicht zu einem Dogmatismus 
fahren; man darf nicht vergessen, daß das Weltbild der quan- 
titativen und mechanistischen Naturwissenschaft einseitig 
ist wnd einer Ergänzung bedarf, die teils von der Psycho- 
logie und den Geisteswissenschaften, t^ls von der Philosophie 
als Metaphysik geliefert wird. Wozu noch die erkenntnis- 
kritische Besinnung auf die Bedingtheit des naturwissenschaft» 
liehen Weltbildes durch die Gesetzlichkeit des erkennenden 
Bewußtseins kommt*) 

Die Zwecke und Ziele des Geschehens sind aber den Dingen 
nicht von außen her gesetzt; es ist nicht so, daß die Dinge 
irgendwie auf sie zugetrieben würden.**) Zwecke sind nichts 
vor den Dingen Existierendes, für sich Bestehendes, sondern 
sie erstehen immer erst im Prozeß des Werdens, der Ent- 
wicklung selbst, sie werden in immer neuer Weise durch das 
Streben der Wirklichkeitsfaktoren gesetzt, erzeugt. Wille und 
Zweck sind untrennbare Korrelate. Kein Wille ohne Ziel, 
aber auch kein Zweck ohne einen Willen, dessen Inhalt er 
bildet, mag nun dieser Wille ein individueller oder ein all- 



*) Vgl. dazu F. A. Lange, Geschichte des UaterisUsmus, S^edmer, 

J%. Lipps, Münsterherg, Wundt, Stern u. a, 

**) So auch Bergson, L'^voluüon cr^atrice. S. S4ff. 



262 



n. Spcndkr TdL 



gemeiner, ein Geaamtwille aein, der dem Zwe<± eine ftber* 
individuelle (xfiitigkeit verleiht. 

Ebenso ist die Zweckmäßigkeit der Dinge und Funk- 
tionen nicht von einer aufieren zweckaetzenden Macht bewid±, 
aber auch nicht von besonderen, auf diese Zweckmäßigkeit 
im vorhinein eingestellten „Krälten**. Die teleologisch wir* 
kende, gestaltende, lenkende „Vernunft", auf welche man sich 
so oft beruft, ist keine bloße Illusion, aber sie muß anders 
aufgefaßt werden, als dies seitens dualistischer Teleolog-en zu 
geschehen pflegt Sie besteht in dem Inbegriff und in der 
Resultante aller der im Laufe der individuellen und Gattungs- 
entwicklung wirksamen zielgerichteten Tendenzen der Wesen 
selbst, die insgesamt ihre physisch-dynamische „Außenseite" 
haben, und sie entwickelt sich selbst auf der Grundlage ihrer 
Resultate. Die teleologische Vernunft steckt nicht irgendwo 
in der Welt, um von einem bestimmten Punkte aus zu wirken, 
sondern sie entfaltet und manifestiert sich in der TotaUtät der 
im Universum sich verwirklichenden Zielstrebigkeiten selbst; 
sie steht nicht hinter diesen, geht ihnen auch nicht voran, 
sondern ist ihnen immanent Die Ziele, die von den Wesen 
angestrebt werden, ergeben sich zunächst und unmittelbar 
aus dem eigenen Streben dieser Wesen, aus deren besondere 
Beschaffenheit und Struktur. Nun existieren aber die Wesen 
nicht in völliger Isoliertheit, sie sind hineingestellt in eine 
engere und weitere Umwelt, von welcher sie beständig Ein- 
flüsse erfahren, d. h. nach denen sie sich richten müssen. 
Dadurch kommt in das Streben der Dinge eine Determi- 
nation, die Richtung desselben differenziert sich je nach der 
Art und Weise, wie die Ding"o zur Umwelt in IVziehunof 
stehen. So tlielien die Zwecke der Dinge zwar immer aus 
deren ureij^enem Wesen, aber zugleich besondern sich diese 
Zwecke immer auch in Anpassung- an die Umwelt. Es ist 
nun in keiner Weise miüzu verstehen, wenn wir sagen, daß 
den Wesen ihre Ziele letzten Endes durch die Allheit des 
Seins, durch das Gesamtsystem des Kosmos gesetzt sind, 
daß die Funktion jedes Wesens oder der Inbegriff seiner 
Funktionen durch die Totalität des Ailzusammenhangs gegeben 



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FflaftehnUt Kapttd. Der Zvedi in der Mdapliynk. 



203 



oder vielmehr aufgfegfeben ist Damit ist die größtmögliche 
Aktivität und Freiheit, die vollste Autonomie hoch- 
entwickelter Wesen vereinbar, wenn auch eine grundlose 
Willensfreiheit im Sinne eines unhaltbaren Indeterminismus 

nicht anzunehmen ist. Freiheit und Notwendij:Tkeit, die nicht 
mit Zwang" zu verwechseln ist, sind keine absoluten Geg"en- 
sätze. Das Notwendig-e kann frei, aus eig-enster Initiative 
gewollt und getan werden, und das aus freiem, vernüuftigcoi 
Entschlüsse entspringende Wollen und Handeln kann not- 
wendig sein, und zwar sowohl teleologisch als metaphysisch 
notwendig, d. h. bedingt durch einen selbstgesetzten Zweck, 
wie auch durch den Weltzusaramenhang, der eben die 
freie, aktive ZwecksetzuDg und Zweckeriüllung mit ein- 
schließt. 

Die Frage nach einem Weltzweck ist dahin zu beant- 
worten, daß er jedenfalls nicht als außerhalb des Welt- 
prozesses zu denken ist. Alle nur mögüchen Zwecke und 
Ziele fallen in den Weltzusamnienhang selbst, sie bilden 
Glieder oder Momente desselben und stellen Reihen dar, 
die ins Unendliche weitergehen, da wir kein Recht haben, 
sie in irgendeinem Zeitpunkt als abgeschlossen zu be- 
stimmen. Der „Weltzweck" Hegt also keinesfalls außerhalb 
der unendlichen Zweckreihen, deren Allheit das Universum 
nach seiner Innerlichkeit bedeutet, sondern er geht gleich- 
sam durch die Unendlichkeit dieser Reihen hindurch, er 
ist mit ihr gesetzt, oder sie läßt sich als seine Entfaltung 
denken. Überall in der W^elt, wo Ziele angestrebt und ver- 
wirklicht werden, hat das Geschehen einen Sinn, eine innere 
Bedeutung. In der reichen, unendlichen Mannigfaltigkeit 
dieser Zielsetzungen und Zweckverwirklichungen erfüllt sich 
in jedem Moment der „Sinn" der Welt, der in der Reali- 
sierung der in ihr beschlossenen Potenzen, in der Ver- 
wirklichung des ewigen, zeitlosen Weltgehalts (der 
„Idee") besteht. 

Als ein unendliches Reich der Zwecke läßt sich das 
All der Dinge auffassen, als ein System zielstrebiger Einheiten, 
die zueinander im Verhältnis der Unter- und Überordnung 



264 



n. Spodencr TdL 



stehen, and die za dem gewaltigen Bau der Welten ZQsammen» 
wirken, auch wo sie zueinander in einem Gegensatz stehen« 
Aus diesem Gegensatz und der relativen Selbständigkeit der 
Partialzwecke ergeben sich die verschiedenen Un Zweck- 
mäßigkeiten der Dinge, die ebenso relativ sind wie deren 
Zweckmäßigkeiten. Das „Dysteleologische" bezieht sich nicht 
auf das All, die einh^tliche Totalität des Seins, die keinen 
Mangel haben kann, da sie nichts außer sich hat, und da die 
GegensatzUchkeit des Negativen und Positiven der Dinge in 
ihr aufgehoben ist. Was wir als „Übel" empfinden, und was 
für die von ihm betroffenen Wesen in der Tat Unzweck- 
mäßigkeiten bedeutet, das läßt sich metaphysisch als die not- 
wendige Folg-e der Vereinzelung der Dinge auffassen, mit der 
sofort ihre Spannungen zueinander gfegfeben sind. Ohne daß 
Konflikte zwischen den verschiedenen Strebensrichtung'en oder 
Willenseinheiten entstehen, kann eine Vielheit relativ seib- 
ständiger Wesen nicht bestehen. Wenn man die Übel der 
Welt auf eine metaphysische „Urschuld" zurückgeführt hat, 
so war das nicht ganz unbegründet, sofern nur diese Schuld 
nicht im ethischen Sinne verstanden wird. Eine Schuld kon- 
trahieren die Einzelwesen eben durch ihre Vereinzelung, durch 
ihren Besonderung-swillen, durch ihr fundamentales Streben 
nach Erhaltung eines individuellen Daseins, das auf Kosten 
anderen Seins Bestand hat, bis es schließlich in seinem Kampfe 
mit diesem fremden Sein nachgeben und zerfallen muß. In 
diesem Kampfe mit der Umwelt erwachsen den Wesen 
die Übel, die sie um so stärker empfinden, je differenzierter 
sie sind. Dafür erwerben die höher entwickelten Wesen 
die Möglichkeit, in immer größerem Umfange und mit 
immer bessereu Methoden die sie bedrohenden Übel ab- 
zuwehren. 

Auch zeigt es sich, daß im allgemeinen die Empfindung des 
Übels auch zweckmäßig wirkt, indem sie zu erhaltungsgemäßen 
Regulationen antreibt und die Rolle eines bedeutsamen Ent- 
wicklungsfaktors spielt. Kosmozentrisch betrachtet, erscheinen 
alle Übel nur als Durchgangsphasen der Weltentwicklung, als 
durch diese selbst immer wieder aufgehobene Momente, die 



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FiafiMdmtc* Kapitd. D«r Zwcdc ia der Meuphysik. 



265 



nie bloß negativ und destruktivi immer auch poaitiv und ge- 
staltend wirken. Ein absolut Schlechtes oder Böses gibt es 
nichts alles hat einen Wirkungvwert, durch den es sich in 
den Allzusammenhang des Werdens eingliedert, dem es dienen 
muß, es mag wollen oder nichts wie dies am besten CtoeAe 
im „Faust** snm Ausdradc gebradit hat Als Totalität, als un- 
endliche Einheit ist das Universum weder gut noch schlecht, 
es ist vielmehr über diesen wie über jeden anderen Gegen- 
satz erhaben.'*') 

Der „teleologfische Beweis" für das Dasein Gottes**) geht 
von der Annahme aus, da& die in der Welt herrschende 
Zweckmäßigkeit und Ordnung nicht anders zu begreifen sei 
als durch die Weisheit eines göttlichen Welterschaffers oder 
Weltbaumeisters. Für eine monistische Teleologie hat dieser 
Beweis keine Kraft, denn es besteht, wie gezeigt wurde, die 
Möglichkeit, die Zweckmäßigkeit der Dinge auch ohne die 
Annahme eines Weltordners zu begreifen, ohne daß damit 
schon die Idee der Gottheit als solche als völlig \ees abzu- 
weisen ist Mag es einen Gott geben oder nicht, genau so 
wie der Kausalzusammenhang des Geschehens für die Wissen- 
schaft und Philosophie ohne die geringste Berufung auf das 
Walten göttlicher Kräfte erklärt werden muß, ebenso muß 
der Finalzusammenhang in der Welt so erforscht und be- 
stimmt werden, als ob es keinen Gott gäbe. Die Gottheit 
und deren Walten ist kein Geg-enstand der Erkenntnis, mag 
sie auch durch das Denken oder durch den Glauben als seiend 
gesetzt werden. Weder ist also die Existenz (jottes aus der 
Zweckmäßigkeit des Daseins, noch diese aus dem Wirken der 
Gottheit abzuleiten. 

Gerade weil wir allen Grund haben, eine elementare Ziel- 



*) Vgl. über „Theodizee" Platan, die Stna, Plotin, Augustinus, Thomas 
von Aquino, Leibniz, Shaftesbury, SchiUer, Hegel, Schopenhauer, v. Hartmann, 
VoOcelt, OekeU-Newin u. a., sowie die Arbeiten von Kremer, Lindau, Jjcmp, 
Weguur u. u, 

••) Er findet sich bei JPlaton, Aristoteles, Cicero, Augtigtinus, Thoma$, 
Leibniz, Rerhart, Drdbitdt u. s. VgL Ktmt, Kritik der reinen Vemunft, 
Redam, S. 4891 



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266 



n. Speiieller Teü, 



atrebig-keit allem, auch dem einfachsten Sein zuzuschreiben, 
und weil wir in der Finalität ein ewigfes Attribut des Wirk- 
lichen erblicken, bedürfen wir keines Demiurgen, der die 
Dingfe zweckvoll hergCvStellt und ang-eordnet hat. Für unsere 
rein immanente Teleolo^ie erwächst alle Zweckmäßig"keit 
und Ordnung- in der Welt aus dem Zusammenspiel einer un- 
endlichen Mannig-faltigkeit von Tendenzen in allmählicher 
Entwicklung-, innerhalb deren immer neue Zwecke und Ziele 
aus Wirkung-en und Folgen von Zwecktätigkeiten hervor- 
gehen. Die Welt selbst ist durch die ihr immanente Finahtät 
auf Zweckmäßigkeit angelegt; diese ist das Produkt immer 
neuer gegenseitiger Anpassungen der Wirklichkeits- 
elemente, die sich immer wieder so anordnen müssen, daß sie 
miteinander verträg-Iich, kompossibel sind, wobei das nicht 
Erhaltungsfähige beständig ausgemerzt, d. h. umgeformt, um- 
geordnet wird. 

Das Ordnungsprinzip, auf welches sich so viele Teleo- 
logen berufen, erweist sich so als eine dem Zusammenhange 
der Dinge immanente Tendenz, aus der heraus dieser Zusam- 
menhang immer neu gestaltet wird. Man könnte ganz wohl 
von einer „kosmischen Selbstregulation" reden, durch welche 
die jeweils größtmög-liche Harmonie in der Welt her- 
gestellt wird, die aber nie einer völligen Stabilität*) gleich- 
kommt und daher zu beständiger Fortentwicklung nötigt, 
treibt. Immer neue „Differenzierungen", verbunden mit immer 
neuen „Integrieningen" {Spencer), ein ewiges Aus- inandertreten. 
Sichentfalten und Vereinheitlichen des Seinsiuliaites, das ist 
das Allgemeine, Gleiche, Beständige im Wechsel, der immer 
auch eine Krhaltun^r des Alten im Neuen einschließt 
Der universalen Tendenz zur Besonderung hält eine 
ebenso universale Vereinheitlichungstendenz das Gleich- 
gewicht Einheit in der möglichsten Fülle des 

**) Auch die „Entropie'', die immer mehr sich ausbreitende Ans- 

gleichung der Intensitätsunterschiede zwischen den Energien, erreicht 
wohl nur im Unendlichen, d. h. niemals, ihr Maximum; es wirken ihr 
wohl auch andere Tendenzen entgegen. Vgl. Arrheniua, Das Werden 
der Welten', 1908, Auerbach u. a. 



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Flnfiduites Kapitd. Der Zweck in der Bfeteplqriik. 



267 



Mannig^faltig-en — das ist daa durch alles Werden gehende, 
allgfemeine Ziel des Geschehens; wenigstens läßt sich das 
kosmische Werden so auffassen, als ob es ein solches 
Ziel hätte. 

Vom „Absoluten" aber können wir, einen Ausspruch 
tSdälen und Hegels variierend, sagen : Aus der Fülle der ihm 
immanenten Zielsetzung'en und Zielverwirklichungen nSchaumt 
ihm die Unendlichkeif*. 



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Ziegler, H,E., Der Bogriff des Instinktes einitniid jetzt s.Aiifl, 191Q. 



f 



Namenverzeichnis. 



A. 

Adler, M. 21, 40, 72, 127, 135. 136, 
157, 166, 169, 170, 171, 178, 183, 
191, 196, 203, 209, 219. 

Alexander, S. 219. 

AmmoB, O. 191. 

Amriidii, H 251. 

Anaxagoras 28. 

Aristoteles 5, 16, 28, 265. 

Arrhenius, S. 2fi6. 

Auerbach, F. 266. 

Augtutiniu 265. 

Aveomiia«, R. 149. 

B. 

Bbcoo, f. 8, 28. 
Bacr. K. E. v. 4, 82. 
Bduueo, J. 2S9. 
Biadwia, J. M. 182, 148. 

Barth, P. 191, 203. 
Bauch, B. 21, 234, 235. 
Bauer, O. 203. 
Becher, E. 125, 144, 219. 
Beoeke, E. 135. 143. 
Bofenatm, P. 219. 
Bergson, H 97, 123, 124, 130, 131, 
132, 135, 149, 180, 249,259,261. 
Bemheim, E. 203. 
Bernheimpi-, E. 228. 
Bernstein, Kd. 208. 
Bcrolzhcimcr, F. 186. 
Bierling 186. 
Biese 164. 
Bilharz, A. 259. 
Bleuler 136. 
Böhme, J. 30. 
Boii, A., 186. 
Braun, O. 164. 
Breuer 136. 
Breyäg, K. 203. 
Bacher, K. 226. 
Bttdmer, L. 3. 
Bunge 16. 



Busse, L. 85. 
Btttscbli 15. 

c 

Caraeri, B. 8. 
Carriere, M. 29. 
Cassirer, E. 243, 250. 251. 
Cbarasoff 208. 

Christiansen, B. 148. 
Cicero 265. 

a»hen, H. 25, 80, 100, 108, 186« 207, 
209, 218, 219, 220, 288, 285, 248, 

250. 

Cbbn, ;. 68, 148. 249, 251. 

Comte, A. 191, 219. 
Comejo 191. 
OiimaiiB, P. 27. 
Cadvorth, R. 28. 

D. 

Dahn, F. 186. 

Darwin, Ch. 3, 22, 105. 

Demokrit 8, 28. 

Dennert 29. 
Dcscartes 8, 28. 
Dessoir 220. 

Dcwcy 149, 231, 241, 243. 

Dilthey 21, 130, IBI, 148, 149, 164, 

192 203 
DinRier' H. 229, 239, 248. 
Dönng 140, 223. 
Domer, A. 8, 219. 
Drcßlcr 259. 

Driesch 13, 14, 112, 113, 131, 149. 259. 

Driesmans 164. 

Drobisch 265. 

Dubos 223. 

Duhem 229, 242. 

Durckheim 191. 

DUrr, E. 219. 

E. 

Ebbinghaus 182, 185. 
EhzcnlUs, Chr. t. 148, 219. 



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NuDcnvcnndiiiii» 



283 



Eimer, Tb. 22. 

ESder. R. 8, «X, 85, 180, 166, 178, 

— 198, 196, 218, 224. 

Engels 170. 

Epilrar 8, 28. 

Erdmann, B. 88, 187, 149. 

Erfaardt, F. 10. 

BspioM 191. 

Eucken, R. 164, 219. 

Ealenburg, F. 191. 



F. 

Fechner 29, 52, 53, 88, 97, 261. 

Feoditerslehen, E. v. 218. 

Fichtp, f. II. 29, 135, 186. 

Fichte, J. G. 27, 28, 203, 216, 219. 

Fischer, K. 29. 

Förster-Nietzsche, E. 3. 

Fortlagc, K. 135. 

Fouime 53, 80, 185, 149, 219, 259. 

France, R. H. 16. 
Freud, S. 136. 

Frischeisen-Köhler 202, 208, 285, 245. 

Fritzsche 259. 
Fröhlich, J. A. 259. 



a 

Galilei 28. 
Galton 128. 
Geyser 29. 
Giddiags 191. 
Gilbert, L. 117. 
Gizycki 219. 
Goethe 3, 225. 

Goldscheid. R. 15, 18, 21, 83, 35, 44, 
78, 89, 95, 103, 104, 112, 113, 
115, 119, 122, 125, 126, 127, 143, 
164, 168, 178, 186, 187, 191, 193, 
196, 203, 219, 249, 260. 

Grcef, de 191. 

Groos, K. 140, 220, 225. 

Grotcnfelt, A. 203. 

Gumplowicz 167, 191. 

Gutberiet 29. 

Gnym 208, 219, 226. 



a 

HaberUndt 105. 
Haecicel, E. 3, 15, 55. 
Haraan, O. 15. 
Hammacber 203. 
Haurtcfn 29. 



Harms 29. 

Hartmann, E. v, 9, 15, 19, 6ü, 219, 

259, 265. 
Hartmann, L., 203. 

HartmMia, N. 25, 118, 115. 149, 168, 
Hegel 19, 78, 166, 186, 191, 208.219, 

258, 259, 265, 267. 
HdiDoiit, Tan 28. 
Hen.sel, P. 209. 
Herbart 93, 94. 257, 265. 
Herder 208. 
Hering 104. 
Hermann, C. 203. 
Henen, S. 192. 
Heymans 88. 
Hobbes 8, 28. 

Höffding 33, 88, 95, 103, 104, 115, 
131. i;^2, 135, 148, 208, 219, 248. 

Hoffrncister 15. 
Holbach 3. 
Hönigswald 234. 
Horneffer, E. 259. 
Hnaserl 67, 68, 78. 



I. J. 

Jäger, H. 224. 

Tacoby, G. 243. 

james, W. 130, 132, 135, 241. 
Jftnet, P. 29. 

JelHnck, G. 187. 
Jennings 105. 

Jerusalem, W. 50, 182, 135. 137, 140, 
149, 191, 205, 218, 241, 248, 249. 

Jhering. R. 182. 

Jodl, 1 r. 88, 106, 182, 185. 149, 164, 

166, 208. 
Joel, K. 28, 145, 249. 
Izoolet 191. 



Kant 21, 23. 24, 25, 52, 79, 206, 218, 
220, 228, 233, 236, 265. 

Kantorowicz 182. 

Kassowitz 15. 

Kautsky 203, 219. 

Kelsen, H. 40, 76, 172, 181, 183. 

Kepler 28. 

Kern, B. 84, 85, 88. 
Kinkel, W. 243. 
Kohler 186. 

Kohnstamm 16, 57, 149. 
Koigen, D. 164. 



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284 



Namanrcndcbiii*. 



König 88. 
KornAld 186. 

Krause, Chr. 186, 208. 
Krdbig 135, 137» 141, 148. 
Kremcr 265. 
Krieck 164. 
Kroner, R. 104. 
Kropotldn 126, 178. 
Krüger, F. 143. 
Ktlhtmann, A. 259. 



L. 

Locbeller, J. 10, 97, 259. 

I.iiclJ 29. 
Lamprccht 203. 
Lange, F. A. 261. 
Lange, K. 12«. 225. 
Lasson, A. 29, 186. 
lAftwits 108, IIS. 

Leibniz 7, 18. 19, 28, 28, 51, 94, 

III, 265. 
Lemp 265. 
Le Roy 229, 242. 
Leser, H. 164. 
Liebmann, O. 29, 252. 
Lilienfeld 191. 
Lindau, H. 265. 
Linde 164. 
Lindner, Th. 203. 

Lipps, Th. 29, 94, 97, 131, 135, 219, 

259, 261. 
Lisrt, F. 182. 
Loeb, J. 15, 103, 105. 

Locwenff'ld IJiT. 
Lorentz, Th. 243. 
Lorenz, O. 201, 203. 
Loflkij 135. 

Lotze 8, 19. 28, 93, 94. 114, 203. 

231, 256, 257. 
Lucquet 149. 
Lucrez 3, 28. 
LUdemann 143. 



M. 

Mach, E. 149, 289, 242, 249. 
Maier, U. 149. 
Marx, K. 170. 
Masaryk 203. 
Matzat 191. 
Me Doagall 29. 
Meinon^, A. 68, 148. 
Menzer, P. 203. 

MMter, A. 148, 209, 218, 219. 



More, H. 28. 

Morgan, C. L. 118. 115, 121. 

MUhry 29. 

MüUer-Freienfels 220. 
MüUer-Lyer 125, 159. 
Mtostcrbcrg, 20, 21, 27, 68, 141, 143, 

148, 150, 151, 178, 201,238,249. 

259, 261. 
üycn 29. 



N. 

Naegeli 29. 

Naiori., P. 75, 147, 178, 186, 191, 

209. 216, 219. 233, 248. 
Neumann, C. 29. 
Newton 28, 114. 

Mietnche 8, 94, 128, 148, 219, 289, 
259. 



O. 

Oelzdt-Newin 265. 
Oppenheimer, F. 191. 
Orestano 143. 
Ostermann 137. 

Ottwald. W. 85, 102, 103, 113, 125^ 

143, 164, 219, 249. 
Otto, R. 29. 



P. 

Paracelsus 16. 28. 

Paulsen 29, 88, 135, 144, 219. 259. 
Pauly, A. 15. 16, 17. 109, 149. 
Pesch 29. 
Petera, C. 259. 
Pfeffer 105. 
Pfizer 136. 

Pfordteo, von der 158. 
PhiKppovich 171. 
Planck, Chr. 29. 
Piaton 27, 28. 265. 
Pledianow 208. 
Plotin 265. 
Poincare, H. 229. 
Pollack, W. 229. 
PatoBi4 250. 



R. 

Ratzenhofer. G. 191, 219. 
Reich, £. 226. 
Reüdacer, R. 285. 



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NHBenvcncidmtt. 



285 



Reinkft 13, 93, 112. 
RenouTier 209, 213. 
Ribot 132, 149. 

Rickert 21, 27, 68, 141, 143, ICA, 
178, 186, 192, 202, 235, 248, 249. 
Riehl 20, 52. 84, 85, 88, 198, 284. 

Rindfleisch 15. 
Robcrty, de 191. 
Romancs 149. 

RorcU, K. V. 149. 
KoscnkranU, W. 29. 

Royoe^ J. 819, 848. 



S. 

Schäffle 191. 

ScballtDayer 191. 

Schdl. H. 29. 

ScbeUing 19, 28, 88. 

Schellwien 259. 

Schiller, Fr. 265, 267. 

Schiller, F c. s. 132, 134» 149. 281, 

241, 243. 
Schleicrmacher 77, 219. 
Schmidt, C. 203. 
Schmoller 178. 
Schneider, K. C. 15. 
Schneider, W. 29. 

Schopenhauer 28, 52, SU, 94, 98, 136, 
149, 220, 221, 887, 8S9, 865. 

Schrecker 136. 

Schultz, J. 18, 88, 103, 113, 114, 117, 

120, 122, 125, 149. 840. 
Semon, R. 15, 38, 104. 
Scydel. R. 29. 
Shaftesbury 265. 
Sidgwick 219. 

Sigwart 19, 25, 73, 74, 149, 228, 230, 
231 

Simmel'21. 74, 158, 164, 174, 191, 

198, 209. 219, 250. 
Sokrates 3, 28. 
Sombart, W. 21, 78. 
Somlo, F. 143. 
Spann, O. 191. 

Spencer 3, 15, 88, 132, 149, 191, 208, 

819, 866. 
Spinoza 3. 28, 88. 
Stadler 21, 24, 249. 
Stahl, G. E. 16. 

Stammler, R. 20, 69, 78, 147, 171, 

178, 180. 
StraSMo, «ir, 0. 15. 
Staudiogcr 218. 
Stecke! 136. 



Steffen, G. 191. 

Stein, L. 20, 164, 191. 250. 

SteiBl>adiel 6. 
I Steinthal 149. 
i Stephen. L. 208, 219. 

Stern, B. 186; 
] Stern, L. WÜHam 11, 819. 261. 

Stern, M. L. 219. 

Stöckl 6. 

Stöhr. A. 18, 113. 

Stoiker 3. 
Stülzlc 29. 
Storriiifi: 219. 
Stout 29, 149. 
Strauß, D. Fr. 3. 
Sutberlaad 208. 



T. 

Tarde 174, 191. 
ThiUy 144, 819. 

Thomas von Aquino 0, 259, 265. 
TSonies 21, 185, 178. 191. 203. 
Trenddenbwg, A. 8, 186. 



U. 

Udc, J. 29. 
UexkUU, V. 15. 
Ulrid 29. 

Unold, J. 125, 149, 219. 
Urban 143. 
mtz, E. 880, 828. 

V. 

Vaccaro 191. 

Vaihinger 134, 189, 239, 243, 249. 

Vecchio, G. del 186. 

Verworn, M. 15. 

Vico 203. 

Vierkandt 189. 

Volkelt, J. 225, 265. 

VorUlnder, K. 213. 



W. 

Wagner, A. 17, 178. 
Wallace, A. R. lia 

Ward, L. F. 191. 
Weber 21, 178, 188. 
Wegner 865. 

Weisengrün, P. 203. 
Weismana 22, 118. 



286 



NmcBvoiddiiiii. 



Weific, C. H. 29. 
Wentscher, M. 219. 
Wensig 259. 
Wigand 22. 
WUliams 208. 

Windelband, W. 27« 80> 126, 148, 

157, 178. 192, 249. 
Wolff, Chr. 3, 7. 
WoUr, G. 15. 
Weltmann 203. 
Worms, R. 191. 
Wolf, M. de e. 



Wondt, W. 19, 21. 25. 26, 51, 52, 53, 
58» 64, 74, 88, 91, 94, 97, loa, 
106, 107, 109. III. 122. 181, 182, 
184, 13ß, 143, 149, 150, 154, 156, 
164, 191, 193, 204, 209, 212, 215, 
216. 217, 219, 885, 287, 880, 281. 
250. 

Z. 

Zehnder 15. 
ZeUer 28, 29. 
Ziegler 164. 



JE. S. Mittler * Sohn, BerUn SW 68. Kochatr. 68—71. 



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JAN 19 1 




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