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Deutsche 

geographische 

Blätter 


Geographische 
Gesellschaft in 
Bremen 








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Deutsche 



Heraus: gegeben von der 


&eographisclien Gesellschaft in Bremen. 


V. Band. 


Neue Folge der Mittheilungen des früheren Vereins für die 
Deutsche Nordpolarfahrt. 



BREMEN. 

Kommissions-Verlag von G. A. v. Ha lern. 

1881 . 


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2VS/Z 




Grössere Aufsätze • Seil« 

I. Die wissenschaftliche Expedition der Bremer geographischen Gesell- 
schaft nach der Tschuktschen-Halbinsel. Sommer 1881. Reisebriefe 
der Gebrüder Dr. Krause. I. (Mit 7 Holzschnitten) 1 

II. Ein Besuch auf Timor. II. Von Th. Studcr 35 

III. Die. Abgeschlossenheit China's, mit besonderer Berücksichtigung des 

deutschen Handels 40 

IV. Die Goldküste. Von Paulus Dahsc. Mit Karte. (Boden, Bevölkerung, 

Handel mul Verkehr, Goldbergwerke n. A.) 81 

V. Die Expedition der Bremer geographischen Gesellschaft nach der 
Tschuktschen-Halbinsel und Alaska. Heisebriefe der Gebrüder Dr. 
Krause. II. Mit. Karte, vier Kartons und einem Holzschnitt (Boot- 
reisen längs der Küste. Fahrt nach der Lorenz-Insel. Rückkehr 
nach Ban Francisco. Von San Francisco nach Chilkoot.) 111 

VI. Ein Besuch auf Timor. III, Von Th. Studcr 154 

VII. Die Expedition der Bremer geographischen Gesellschaft nach der 
Tschuktschen-Halbinsel und Alaska. 1881 — 82. Heisebriefe der 
Gebrüder Dr. Krause. III. 

1. Winterausfiüge von Chilkoot aus. Von Dr. Arthur Krause.... 177 

2. Frühjahrsausflüge von Chilkoot aus. Von Dr. Arthur Krause. 189 

3. Von Chilkoot nach Portland, Frühjahr 1882. Von Dr. Aurel Krause 2t>2 

VIII. Ueber den Einfluss der Nahrung auf die Verbreitung und die 

Wanderungen der Thiere. Von Professor Karl Möbius 223 

IX. Reise des Dampfers „Louise“ von der Weser nach dem Jenissej 1881. 
Bericht an die geographische Gesellschaft in Bremen von Graf 
Waldburg-Zeil 238 

X. Aus China. Mittheilungen von Dr. Friedrich Hirth. 

1. Die Mauern der Städte von Kuang-tung. Nach dem Kuang- 

tung-t’u-sliuo 26-1 

2. Beschreibung der chinesischen Küste des Continents von der 
Grenze von Annam bis Tien-pai. Nach chinesischen Quellen . . 208 

XI. A. G. Mosle. f 274 

XII. Die internationalen Polarexpeditionen. Von Professor Dr. C. Borgen 283 

XIII. Die Expedition der Bremer geographischen Gesellschaft nach der 
Tschuktschen-Halbinsel und Alaska. 1881 — 1882. Reisebriefe des 
Dr. Arthur Krause. IV. Mit 2 Karten (Skizze des Weges von Deschü 
bis zum westlichen Kussoöa und Skizze des Weges von Deschü nach 
den Seen des Yukon und zum östlichen Kussoöa) von Dr. Arthur Krause 308 

XIV. Ueber die von den Doctoren Aurel und Arthur Krause von der 
Tschuktschen - Halbinsel mitgebrachtc Pflanzensammlung. Von 

Dr. F. Kurtz 320 

XV. Das südliche Neu-Guinea. Nach D’Albcrtis, Moresby, Macfarlanc u. A. 

Von Oskar Baumann 327 

XVI. Katalog ethnologischer Gegenstände aus dem Tschuktsehenlandc 
und dem südöstlichen Alaska. Gesammelt von den Gebrüdern 
Dr. Dr. Arthur und Aurel Krause in den Jahren 1881/82. (Anlage 
zu Heft 4.) 

Kleinere Mittheilungen: 


2) Notizen über die Seefischereien und den Perlmnschelfang im Persischen 

Meerbusen 71 

3) Die Kultur der Kokospalme auf den Fiji-Inseln 72 

4) Handel und Verkehr au der portugiesischen Südostküste Afrika’s... 74 

51 Die deutschen Kolonien im Brasilischen Urwald 77 

6) Norwegische Eismeerfischerei 1881 79 

7) Geographische Literatur 80, 372 

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8| Eine Touristenfahrt nach Spitzbergen, Sommer 1881 

Seit« 

. . 167 

91 Die Schiffbarkeit der Angara und des Baikalsee 

. . 168 

10) Yam, Taro und Baumwolle auf den Fiii-Inscln 

. . 169 

ll) Notizen über die Seychellen und Almiranten 

. . 170 

12) Der Tschagos-Archipel 


13) Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen, von A. Meitzen 176 

14) Die letzten Nachrichten ans dem Eismeer 

. . 274 

15) Reisen des Dr. Kinsch 

278 

16) Die Krvolithbrfiche bei Ivigtut in Südwestgrönland 

. . 278 

17) Rcisebemerkuugen aus dem nordöstlichen Sibirien 

. . 279 

18) Die Zahl der Deutschen in den Vereinigten Staaten 

. . 279 

19) Arktis 

. . 280 

20) Die italienische antarktische Expedition 

. . 281 

21) Deutsche Kolonisationsgesellschaft für Argentinien 

. . 281 

22) Zur Handelsgeographie 


23) Berichte aus dem Eismeer 


24) Die neuesten Untersuchungen des Golfstromes durch den Ver. Staaten 

Dampfer „Blake**. Kommandeur .1. H. Bartlett. im Sommer 1881 . . 

. . 349 

25) Von der Goldküste 


26) Frank Gate s Reisen in Südostafrika 1873—1875 


27 ) Das westatrikanische Königreich Futa-Djallon 


28) Madagaskar 


29) Nähere Berichte über die Ermordung des Dr. Crevaux 


30) Eine neue Karte von Alaska 


31) Schneeschuhe in Alaska 


32) Graf Lütke f 

362 

33) Leopold v. Schrenck's „Völker des Amur-Landes“ 


34) Ethnologische Ausstellung in Elsfleth 


35) Die brasilianische Ausstellung in Berlin 

. . 366 

36) Errichtung einer Wettersäule in Bremen 

. . 367 

37) An der Küste Labrador’s 


38) Cohmhonn s Reisen im südwestlichen China 


39) Französische Dampferlinie nach Australien 


40) Von den Nen-Hebriden 


41) Beobachtung der Vogelzüge 


42) Deutscher Geographentag 



Karten und Ansichten: 

Tafel 1 : Karte des südöstlichen Theiles der Tschuktschen-Halbinsel mit Angabe 
der Niederlassungen nnd Zeltplätze, sowie der liootfalirten der Bremer 
Expedition. Sommer 1881. Maassstab 1 : 1,500,000. 

Tafel 2: Karte der Goldküste. Maassstab 1 : 750,000. Nach den Karten von 
Wyld, Petermann, Hassenstein, der Baseler Missions-Gesellschaft, Edward 
Stanfords kartographischer Anstalt, Bonnat und eigenen Ronten-Auf- 
nahmen bearbeitet von Paulus Dahse. Bremen im November 1881. 

Tafel 3 : Karte vom Ost-Kap. Maassstab 1 : 300,000. Nach Aufnahmen der 
Gebrüder Krause, vom 21. — 27. August 1881. 

Tafel 4 : Skizze des Weges von Deschü bis zum westlichen Kussoöa. Von 
Dr. Arthur Krause. 

Tafel 5: Skizze des Weges von Deschü nach den Seen des Yukon und zum 
östlichen Kussoöa. Von Dr. Arthur Krause. 

Kartons (im Text): Bai von Pöoten. Maassstab: 1:225,000. Nach Aufnahmen 
der Gebrüder Krause vom 30. und 31. August 1881. Seite 117. — 
Metschigmen-Bai. Maassstab 1 : 450,000. Seite 123. — Markus-Bai. 
Maassstab 1 : 450,000. Seite 128. — Skizze der Plover-Bai. Maassstab 
1 : 450,000. Nach Petcrmann’s geogr. Mittheilungen, 25. Bd. 1879, S. 139. 
Seite 134. 

Holzschnitte nach Originalskizzen des Dr. A. Krause: 1) 2) und 3) Tätowirungen 
der Tschuktschen; 4) schlafende Tschuktschenfrau; 5) Partie am Ostkap; 
6) Uedle; 7) Jarang; 8) die Plover-Bai. 


Heft 1. 


Deutsche 


Band V. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 

Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. 31. Lindemau, Bremen, Mendestrasse 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung 
mit der Redaktion gestattet. 


Die Expedition der Bremer geogr. Gesellschaft nach 
der Tschuktschen-Halbinsel. Sommer 1881.*) 

(Reisebriefe der Gebrüder Dr. Krause.) 


Hierzu Tafel L: Karte des südöstlichen Theiles der Tschuktschen-Halbinsel mit 
Angabe der Niederlassungen und Zeltplätze, sowie der Bootfahrten der Bremer 
Expedition. Sommer 1881. 

L 

In der Lorenz-Bai. Erste Eindrücke. Lagerplatz und Zelt. Die Eingeborenen: 
Tätowirnng und Kleidung. Ehrlichkeit und Bettelei. Sprache. Geologisches. Verkehr 
mit Eingeborenen. Der Schuner „O. S. Fowler“. Ausflüge. Thierleben am Lande. 
Vegetationsbilder. Meeresthiere. Die Vogelwelt. Ankunft des russischen Klippers 
„Strjelok“. Bootfahrt in das Innere der Bai. Lothungen. Ankunft des „Rodgers“. 
Die Bevölkerung an der Lorenz-Bai. Grabstätten. Witterung. Nach uud am Ostkap : 
Walfischjagd. Schwierige Landung. Freundlicher Empfang. Ankunft in Uddle. 

Besuch des Ostkaps. Begräbnissplatz. Neugier der Eingeborenen. Ungunst des Wetters. 
Das Dorf U<?dle. Bewohner. Einrichtung der Hütten. Die Häupter des Dorfes. Waaren- 
häuser. Küstentschuktscheu und Rentliiertschuktschen. Russische Verbote. Hungers- 
nöthe unter den Eingeborenen und ihre Ursache. Verkehr mit den amerikanische!! 
WalfischfUngern. Spirituosenhandel. Entenjagden der Eingeborenen. Jagdwaffen der 
letzteren, Pflanzennahrung. Sturm. Abreise vom Ostkap. 

Plover-Bai. Sonntag, den 2. October 1881. An Bord der „Golden 
Fleece“. Fast volle zwei Monate hat unser Zelt- und Wanderleben im 
Tschuktschenlande gedauert, eine zu kurze Zeit für die Fülle von 
Aufgaben, die wir uns gestellt hatten, immerhin jedoch ein Zeitraum, 
in welchem wir eine grosse Zahl interessanter Beobachtungen zu 
machen Gelegenheit fanden. Einen eingehenden Bericht’ über dieselben 
müssen wir uns für spätere Zeit Vorbehalten, jetzt vermögen wir nur an 
der Hand unserer Tagebücher den Verlauf unserer lieise zu schildern 
und einige vorläufige Bemerkungen allgemeinen Inhalts zu geben. 

Sonnabend, den 6. August, landeten wir in der Lorenz-Bai, 
nachdem wir durch die unerwartet langwierige Reise mit dem „Legal 
Tender“ den ganzen Monat Juli, auf den wir in San Francisco noch 
so sicher gerechnet hatten, für unsere eigentliche Aufgabe verloren 
hatten. Nun hiess es, die Zeit wahrnehmen. Neblig und regnerisch 


*) Die Fahrt von San Francisco nach der Lorenz-Bai wurde in den durch 
No. 4, Band IV. dieser Zeitschrift veröffentlichten Reisebriefen geschildert. 

1 


Geogr. Blätter. Bremen 1882. 



2 


war der Tag, an welchem wir nach zwei Monate langer Fahrt wieder 
festes Land betraten ; kein Wunder, dass die öden Gestade mit dem 
anscheinend äusserst spärlichen Ptlanzenwuchs und den vereinzelten 
bis an das Meeresufer heranreichenden Schneeflecken auf uns den 
Eindruck eines höchst unwirklichen Bodens machten. Bald, nach- 
dem das Schiff die Anker fallen gelassen hatte, kam auch eins der 
leichten aus Walrosshauten gefertigten Böte der Eingeborenen heran 
und zum ersten Male sahen wir die letzteren in ihrer eigenthüm- 
lichen aus Itobben- und Uenthier-Fellen nicht ohne Geschmack bereiteten 
Pelzkleidung, über welche sie meist noch den für alle Polarvölker 
charakteristischen Ueberwurf aus Seehuudsdärmen, den „Okouschek“, 
gezogen hatten. Es ist allgemein Sitte der amerikanischen Schiffe, 
welche diese Küsten anlaufen, der Walfischfänger sowohl, wie der 
Handelsfahrzeuge, die an Bord kommenden Leute mit Brod und 
Melasse zu bewirthen. Auch in diesem Falle geschah es, und bald 
sahen wir die ganze Gesellschaft, Männer und Frauen, Erwachsene 
und Kinder um einen Haufen Schiffszwieback und eine Schüssel 
mit Syrup gelagert und mit grossem Behagen ihr „Kau-kau“, mit 
welchem der Kanakensprache entlehnten Worte sie jede Art von 
Speise bezeichnen, einnehmen. Wie sehr ihnen diese Kost mundete, 
zeigten sie durch ihr Bemühen, sie bis auf den letzten Rest zu ver- 
tilgen, bis schliesslich noch von den Fingern jede Spur des süssen 
Nektars abgeleckt wurde. Nach eingenommener Mahlzeit brachten 
sie einige Handelswaaren vor, zumal aus Seehundsfell gefertigte 
Stiefel mit zugehörigen Lederstrümpfen und Handschuhe, nach 
schlauer Händlerweise nicht den ganzen Vorrath auf einmal, sondern 
Stück für Stück, um die Preise möglichst in die Höhe zu schrauben. 
Wie wir später durch eigene Erfahrung belehrt worden sind, ist die 
Fussbekleidung der Eingeborenen eine sehr praktische“? sie ist ausser- 
ordentlich leicht, bei feuchtem und kaltem Wetter hält sie den Fuss 
warm und trocken und bei einiger Pflege und Schonung ist sie auch 
ziemlich dauerhaft. Nur auf dem scharfkantigen Geröll der Berg- 
abhänge leisteten unsere Lederstiefel doch bessere Dienste. Es 
war eine dornenvolle Arbeit für uns, wenn wir mitunter, angethan 
mit der landesüblichen Fussbekleidung, einen steilen Felsabhang 
hinunterstiegen ; jede Unebenheit ist durch die dünnen Sohlen fühlbar, 
und jeder Stoss gegen einen Stein wirkt äusserst schmerzhaft auf 
die wenig geschützten Zehen. Freilich hatten wir es auch versäumt, 
zwischen die Lederstrümpfe und Stiefel nach Weise der Eingeborenen 
trockenes Gras oder Heede zu stopfen, durch welche Massregel der 
Fuss nicht alleiu bedeutend wärmer gehalten, sondern auch besser 
gegen Druck und Stoss geschützt wird. 


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3 


Die Leute, die an Herd des „Legal Tender“ gekommen waren, 
hatten ihren Wohnsitz in Nunamo, einem au der Nordseite der 
Lorenz-Bai, nahe ihrer Mündung gelegenen armseligen Fischerdorfe. 
Sie halfen uns gleich willig beim Ausladen unseres Gepäcks uml vier 
derselben ruderten uns auch ans Land. Als Landungs- und Lager- 
platz hatten wir auf Anrathen des Kapitäns des „Legal Tender“ 
die südöstliche Ecke von Lütkes-Hafen ausersehen. Durch eine 
Sandspitze wird daselbst eine kleine Bucht gebildet, in welcher keine 
allzugrosse Brandung für unser Boot zu befürchten war. Auch 
erwies sich späterhin dieser Platz als der geeignetste. Zwar konnten 
wir nicht, wie wir anfänglich gehofft hatten, unser Boot in eine 
kleine Lagune innerhalb der Sandspitze bringen, da der Eingang zu 
derselben nicht tief genug war, auch waren in nächster Nähe alle 
Wasserrinnen versiegt, so dass wir unser Trinkwasser ziemlich weit 
herholen lassen mussten, doch blieben dies eben die einzigen Mängel; 
im Uebrigen war der Platz so geschützt, wie er es an einer kahlen 
Küste nur eben sein konnte. 

Auf der von Leutnant Rodgers aufgeuoinmeuen Karte der 
Lorenz-Bai sind an dieser Stelle drei Hütten augegeben ; wir fanden 
nur noch Spuren derselben vor; die Bewohner sollen, wie wir später 
erfuhren, auf das jenseitige Ufer übergesiedelt sein. Eine Menge 
Walfischknochen lag überall zerstreut umher; hier sind in den letzten 
Jahren wiederholt Walfischfänger gelandet, um Thran auszukochen 
und Fischbein zu waschen. Neben zwei kolossalen Walfischschädeln 
schlugen wir unser Zelt auf, bei welcher Arbeit uns ein Theil der 
Eingeborenen behülflich war, während ein anderer in nächster Nähe 
dem Fange von Lachsforellen vermittelst Stellnetzen, die vom Ufer 
aus mit langen Stangen ins Wasser geschoben wurden, oblag. 

Bald waren wir mit unserer Einrichtung fertig, und nun konnten 
wir uns ein wenig, soweit Regen und Nebel es gestatteten, unser 
Arbeitsfehl ansehen. Gleich hinter dem kiesigen Strande, auf welchem 
wir unser Zelt aufgeschlagen hatten, zog sich ein schmaler Strich 
sumpfigen, zur Zeit jedoch ziemlich trockenen, mit Seggen und 
Gräsern bestandenen Bodens hin, an dessen Saume wir zu unserer 
Freude eine reiche Flora vorfanden. Dahinter stieg das Land ziem- 
lich steil an, doch nur die schrofferen Abhänge und die höheren 
Partien entbehrten des frischen Grüns, das unsere nächste Umgebung 
zeigte. Mehrere fast nur noch verblüht anzutreffende Pflanzen 
mahnten uns daran, zunächst der gar zu vergänglichen Flora eines 
arktischen Sommers unsere Aufmerksamkeit zu schenken, und dieser 
Mahnung eingedenk legten wir noch gleich am ersten Tage, trotz- 
dem wir erst ziemlich spät mit der völligen Einrichtung unseres 


1 * 


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Zeltes fertig geworden waren, einige der in nächster Nähe blühenden 
Pflanzen ein. 

Nach einer längeren Seefahrt wird man selten die erste Nacht 
zu Lande ruhig verbringen; man vermisst das gewohnte Schaukeln. 
Wir wurden noch aus dem ersten Schlafe durch einen Aufschrei 
unseres Bootsmannes Franzen geweckt, der im Halbsclilummer einen 
an der Zeltthüre stehenden Sack mit daraufliegendem Südwester für 
einen Tschuktschen angesehen hatte. Gegen 3 Uhr bereits verliessen 
wir unser Lager, auf welchem wir während der ersten Nacht 
empfindlich gefroren hatten. Späterhin haben wir bei viel niedrigerer 
Temperatur fast stets sehr gute Nachtruhe im Zelte halten können, 
zum Theil wohl, weil wir uns besser in unsere Decken einhüllten, 
dann aber auch sicher in Folge schneller Gewöhnung an die klima- 
tischen Verhältnisse des Landes. — Als wir unseren Morgenkaffee 
bereiteten, kamen auch bald mehrere Eingeborene, die die ganze 
Nacht gefischt hatten, herbei, um mit neugierigen Mienen unseren 
Verrichtungen zuzusehen. Nun hatten auch wir mehr Müsse, sie 
einer näheren Betrachtung zu unterwerfen ; es waren Männer, Frauen 
und Kinder, die einen wie die andern im höchsten Grade unsauber. 



Tätowiruug uml Haartracht einer Frau. Lütkes-Hafen, den 10. August 1881. 

(Nach eiuer Zeichnung von Dr.,A, Krause.) , 

T&towirung der Nase: inküdlgit, der Wange: Apuktidlgit, des Kinns: nelkalkädlgit, 
des Arms: meniokädlgit. 

Alle Weiber sind tätowirt, mit blauen, durch Einkratzen von Russ 
mit Nadeln hervorgebrachte Linien; zwei derselben reichen von der 


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Stirn bis zur Nasenspitze, mehrere Doppelstriche sind am Kinn und 
koniplicirtere ans geraden und Kreislinien bestellenden Zeichnungen 
an den Wangen und 
am Unterarm einge- 
kratzt. Wir haben 
später die gleiche Tä- 
towirung überall an 
der Küste vom Ostkap 
bis zur Plover - Bai 
gefunden, nur hin und 
wieder sind kleine Ab- 
weichungen, wie es 
scheint aus Laune, 
beliebt worden. Die 
Operation selber mag 
etwa im 9. bis 10. 

Lebensjahre vorge- 
nommen werden, doch 
haben wir vereinzelt 
zwei vor den Ohren liegenden loose geflochtenen Zöpfen und 
einem Büschel über die Stirn herabhängender Ilaare, letztere 
lebhaft an die Mode erinnernd, durch welche jüngst in Europa 
zahlreiche Gesichter verunstaltet werden. Die Männer tragen 
das Haar ganz kurz geschoren, nur rings um das Haupt herum 
lassen sie einen Kranz von 3—5 cm langen Haaren glatt herab- 
hängen, in den mitunter grade vor der Stirnmitte eine oder 
mehrere Perlen eingeflochten werden. Die Kleidung fanden wir 
an allen von uns besuchten Orten sehr übereinstimmend. Das 
Oberkleid des Mannes ist ein aus Renthier- oder Seehundsfell gefer- 
tigtes, sackartiges, bis zu den Knieen reichendes Jaquet, welches, mit 
der Haarseite nach aussen, über den Kopf gezogen wird. Darunter 
tragen nur die Wohlhabenderen eine Art Lederhemd oder bei kaltem 
Wetter einen zweiten Pelzrock mit der Haarseite nach innen; Kragen 
und Aermel sind öfter mit langhaarigem Hundepelz besetzt. Die 
enganliegenden, bei der Küstenbevölkerung gewöhnlich aus Seehunds- 
fellen gefertigten Hosen werden oberhalb der Knöchel festgebunden, 
so dass sie zusammen mit den darüber gezogenen und unterhalb des 
Kniees festgeschnürten Stiefeln eine fast wasserdichte Bekleidung 
des ganzen Beines abgeben. Ein Ledergürtel, an welchem Tabacks- 
beutel und Messerscheide hängen und eine haubenartige Mütze von 
sehr verschiedener Gestalt vervollständigen die Tracht der Männer; 
die der Frauen ist dadurch unterschieden, dass die weitbauschigen 



Insel. Anfang October 1HN1. 


auch noch jüngere 
Mädchen tätowirt ge- 
sehen. Die Männer 
sind im Allgemeinen 
untätowirt; einige we- 
nige nur haben an den 
Wangen, am Kinn oder 
am Arm eine kleine 
Zeichnung einge- 
brannt. Auch in der 
Haartracht sind beide 
Geschlechter verschie- 
den. Die Frauen 
tragen langes schwar- 
zes Haar, mit einem 
bis nahe zur Stirn 
reichenden Scheitel, 


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6 


Hosen mit dein Oberkleid ein einziges Stück bilden. — Bei nassem 
Wetter tragen beide Geschlechter über ihrer gewöhnlichen Kleidung 
den bekannten mit einer Kapuze versehenen Ueberwurf aus Seehunds- 
därmen, einen Regenmantel, der mit dem besten Mackintosh an 
Wasserdichtigkeit wetteifert und ihn an Leichtigkeit bei Weitem 
übertrifft. Der Gebrauch von Zierrathen ist bei den Männern nicht 
sehr verbreitet, die Frauen dagegen tragen allgemein Perlenschnüre 
um Hals und Arm und in den verschiedensten Formen Ohrringe. 

Trotzdem wir während der Nacht einen grossen Theil unserer 
Sachen unbewacht ausserhalb des Zeltes hatten stehen lassen müssen, 
fanden wir doch am Morgen zu unserer grossen Befriedigung Alles 
an seinem Platze. Wir waren einigermassen in Sorge gewesen, da 
man uns auf dem Schiffe vor den Diebesgelüsten der Eingeborenen 
sehr gewarnt hatte. Aber auch späterhin haben wir uns nur selten 
über Mangel an Ehrlichkeit bei den Leuten zu beklagen gehabt. 
Einige Kleinigkeiten sind uns allerdings und zwar gerade in der 
St. Lorenz-Bai gestohlen worden, darunter merkwürdiger Weise einige 
Stücke Seife, die wir in der Voraussetzung, dass die Tschuktschen 
für dieselben keine Verwendung finden dürften, offen liegen gelassen 
hatten. Mehr belästigt wurden wir hier wie anderwärts durch 
Betteln um „Kau-kau“ und „tobakko“, sowie durch eine zudringliche 
Neugier, doch Hessen es sich die Leute im Allgemeinen gefallen, 
dass wir ihnen den Eintritt in unser Zelt nicht gestatteten und nur 
bei einzelnen Familienhäuptern eine Ausnahme machten. Es ist auch 
die Praxis vieler Kapitäne der Walfischfänger und Handelsfahrzeuge, 
die „chiefs“ der an Bord kommenden „indians“, wie sie alle Einge- 
borenen diesseits und jenseits der Beringsstrasse neunen, ein oder 
das andere Mal in die Kajüte zu nehmen und dort zu bewirthen. 

Die Verständigung mit den Laudesbewohuern wurde uns nicht 
schwer. Durch den steten Verkehr mit den Amerikanern, die in 
jeder Saison eine Anzahl Eingeborener yon verschiedenen Orten, 
namentlich aus der Plover-Bai, von Indian Point, aus der Lorenz-Bai 
und vom Ostkap an Bord nehmen und beim Walfischfange ver- 
wenden, sind viele dieser Leute mit der englischen Sprache leidlich 
vertraut gemacht worden, während einzelne Ausdrücke des Waler- 
jargons fast zu einem Gemeingut geworden sind. So ist durchweg 
au der Küste die korrumpirte spanische Redewendung „mi savi“ und 
„mi no savi“ für „ich weiss“ und „ich weiss nicht“ gebräuchlich, 
ebenso das schon erwähnte kanakische „Kau-kau“, dann wohl auch 
„pau“, welches Wort in gleicher Bedeutung wie das tschuktschische 
„uinga“ für „nichts“ oder „es giebt nicht“ gebraucht wird, wiewohl 
wir bei letzterem Ausdrucke — wie noch bei einer Anzahl andrer 


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nicht minder geläufigen — die Herkunft nicht sicher feststellen 
konnten. Gleich im Anfänge überzeugten wir uns aber auch von der 
Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit des von Nordquist verfassten und 
uns noch in der letzten Stunde von Nordenskjöld freundlichst zu- 
gesandten Verzeichnisses tschuktschischer Wörter, während das 
„Deutsch-Tschuktschisch-Korjakische Wörterbuch“ von Radloff („Ueber 
die Sprache der Tschuktschen und ihr Verhältuiss zuin Korjakischen“. 
Mein, de l’Acad. imp. des Sciences, VII. Serie) sich für diese Gegend als 
weniger zutreffend erwies. Selbstverständlich musste in der ersten Zeit 
und auch später noch vielfach die internationale Zeichensprache aushelfen. 

Eine nicht unwichtige Entdeckung machten wir gleich am zweiten 
Tage unseres Aufenthaltes in der Lorenz-Bai. Eine Viertelstunde von 
unserem Zeltplätze entfernt nach Nuuamo zu trafen wir direkt am 
Meeresufer steile, bis 30 in mächtige Lagen eines deutlich geschich- 
teten, dunkelgrauen Thonmergels an, in welchem vereinzelt Kalk- 
konkretionen mit zahlreichen Versteinerungen enthalten waren. Auch 
Mammuthskuochen fanden wir späterhin in denselben Thonklippen. 
Sind auch dergleichen junge Ablagerungen an der amerikanischen 
Küste, vorzüglich im Kotzebue-Suud, bereits seit langer Zeit bekannt, 
so war es für uns doch von Interesse, ihnen auch auf der asiatischen 
Seite zu begegnen, weil dadurch eine nicht unbeträchtliche Hebung 
dieser Küste seit der Diluvialzeit festgestellt wird. Die fossile Fauna 
der Kalkkonkretionen war, soweit eine flüchtige Beobachtung es er- 
kennen liess, von der jetzt in der Bai vertretenen nicht verschieden. 
Uebrigens haben wir dergleichen Ablagerungen an der ganzen Küste 
vom Ostkap bis Plover-Bai trotz darauf gerichteter Aufmerksamkeit 
nicht weiter beobachtet und von Versteinerungen überhaupt nur noch 
einmal undeutliche Beste in einigen Gerollen der Markus-Bai von 
wahrscheinlich paläozoischem Alter. 

Trotzdem die nächsten Tschuktschendörfer eine gute deutsche 
Meile und weiter von uns entfernt waren, verging doch selten ein 
Tag, an welchem wir nicht Besuch aus denselben empfangen hätten. 
Am häufigsten kamen Fischerleute aus Nunamo, theils über Land, 
theils zu Wasser ; aber auch von der gegenüberliegenden Seite, dem 
„Southhead“ der Amerikaner, kamen mehrmals Böte herüber. Die 
Leute blieben dann gewöhnlich längere Zeit in der Nähe unseres 
Zeltes und übernachteten entweder in den umgekehrten Böten oder 
auch ohne besonderen Schutz in zusammengekauerter Stellung am 
Strande. Wenn sie ihre Netze ausgelegt hatten, was bald geschehen 
war, überliessen sie sich einem „dolce far niente“, neugierig unserem 
Thun und Treiben zuschauend und ewig hungrig um „Kau-kau“ 
bettelnd. Sie verschmähten nichts Essbares ; Brod und Zucker in 


A 


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jeder Form schien ihnen jedoch am meisten zu munden. Vielfach 
verlangten sie aber auch nach Mehl, aus welchem sie mit Benutzung 
von Robbenfett eine breiartige Speise zu bereiten gelernt haben. 
Im Kaffee und Thec schienen sie nur den Zucker zu schmecken, 
von Pfeffer und Salz waren sie allerdings keine Freunde, doch Hessen 



Tschuktachenfrau, auf Kiea am Strande die Nacht durch schlafend. Lorenz-Bai, den 8. August 1881. 

(Nach einer Zeichnung von Dr. A. Krause.) 

sie sich kleine Zuthaten bei den Speisen gefallen. Besonders Weiber 
uud Kinder sahen wir öfters Tangstücke, die das Meer ausgeworfen 
hatte, verzehren ; am Ostkap und in Indian Point sammelten sie auch 
Ascidien, verschiedene Wurzeln und Blätter, wie die von Polygonum 
bistortum, Oxyria reniformis, Saxifraga rotundifolia, asseu sie ent- 
weder im rohen Zustande oder bereiteten aus ihnen ein Spinat ähn- 
liches Gemüse. Von den Fischen, die wir ihnen abkauften, baten sie 
sich gewöhnlich die Köpfe aus, welche sie meist roh, ohne weitere 
Zubereitung, auf der Stelle verzehrten. Während wir mit den Leuten 
aus Nuuamo immer auf gutem Fusse standen und höchstens durch 
ihre stete Bettelsucht belästigt wurden, waren uns die von der Süd- 
spitze kommenden Besucher weniger angenehm. Namentlich eine 
an der ganzen Küste übelberüchtigte Familie Troöschin, deren Ober- 
haupt durch eine Schusswunde in den Backen, welche ihm ein Be- 
wohner der Diomedes-Inseln beigebracht hatte, kenntlich war, liess 
uns eines Tages bereits Gewaltthätigkeiten befürchten. Einer der 
jüngeren Männer, dessen Körperkraft und Gewandtheit wir gleich 
darauf zu bewundern Gelegenheit hatten, wollte durchaus einen Ring- 
kampf provociren und machte dabei eine so wilde Miene, dass wir 
lange Zeit über die wahre Natur seiner Absichten im Zweifel waren. 
Als er sich beruhigt hatte, regten wir die Leute zu einigen gym- 
nastischen Uebungen, wie Wettlaufen, Steinwerfen und Springen an, 
wobei sie eine nicht gewöhnliche Fertigkeit an deu Tag legten. Bei 


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allen Niederlassungen und so auch bei den verlassenen Zeltplätzen 
in unserer Nähe fanden wir einen für gymnastische Uebungen be- 
stimmten Rasenplatz. Besonders eigentümlich ist die Art des Wett- 
laufes innerhalb eines ausgetretenen Ringes, hasch kümil, bei welcher 
es weniger auf Schnelligkeit, als vielmehr Ausdauer ankommt und 
derjenige als Sieger hervorgeht, der als letzter im Ringe verbleibt. 

Nicht lange blieben wir auf den Verkehr mit Eingeborenen 
beschränkt. Gleich am dritten Tage nach unserer Ankunft sahen 
wir einen kleinen Handelsschuner in den Hafen einlaufen, die 
„0. S. Fowler“ des Kapitän Nigh. Letzterer besuchte uns bald 
darauf und erbot sich freundlichst, etwaige Sendungen nach San 
Francisco zur Beförderung zu übernehmen. Er berichtete, dass in 
diesem Jahre das Eismeer ungewöhnlich eisfrei sei, dass die Walfisch- 
fänger einen guten Fang gemacht hätten und einer derselben „Thomas 
Pope“ bereits mit voller Ladung heimgekehrt wäre. Auch Kapitän 
Nigh hatte zumal auf der amerikanischen Seite bis zum Kotzebue-Sund 
hinauf gute Gelegenheit zu einem einträglichen Handel mit den Ein- 
geborenen gefunden; er bedauerte nur, in seinem kleinen Schiffe 
von 35 Tonnen nicht mehr Raum für grösseren Waarenvorrath 
gehabt zu habeu. Des ungewöhnlich schneefreien Winters wegen 
hatten die Indianer freilich nicht so viel Pelzthiere wie in anderen 
Jahreu fangen können; nur drei der bis auf 100 Dollar geschätzten, 
werthvollen schwarzen Fuchsfelle hatte Nigh einhandeln können, keinen 
der silbergrauen, die nicht viel weniger hoch im Preise stehen ; aber 
an Walrosszähnen und Fischbein hatte er eine volle Ladung erhalten. 
Taback, Mehl, Pulver und Blei waren seine hauptsächlichsten Handels- 
artikel gewesen. Am 15. April hatte er bereits San Francisco ver- 
lassen und gedachte nun nach kurzem Besuche der Lorenz-Insel und 
der amerikanischen Küste heimzukehren. Von nicht geringem Interesse 
war für uns auch die Mittheilung, dass er Fabrikate und Produkte 
der einen Küste auf der anderen verwerthe, dass ein Seeotter- oder 
Biberfell, in kleine Streifen zerschnitten, mit grösserem Vortheil an 
der asiatischen Küste als in San Francisco verhandelt werden könne, 
während für die von den Tschuktschen und amerikanischen Eskimos 
gefertigten Stiefeln ein guter Markt in Alaska zu finden sei. Auch 
führte er zwei Kajaks von den Kings-Inseln mit sich, die er auf den 
Aleuten verkaufen wollte. - 

Unsere täglichen Ausflüge landeinwärts brachten uns immer 
reiche Ausbeute an neuen Pflanzen und mit jedem Tage wuchs die 
Schwierigkeit, dieselben bei dem feuchten Wetter gehörig zu trocknen 
und unterzubringen. Arm dagegen erschien die Fauna des Landes. 
Wenn wir das Wiesenterrain überschritten und das steinige Plateau 


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erstiegen hatten, so herrschte Todtenstille uni uns. Hin und wieder 
nur hört man den Pfiff eines Pfeifhasen (Lagoinys hyperboreus Pall.), 
der sich vor dem Eingänge zu seiner Felsenkluft noch einmal auf- 
richtet und neugierig nach dem fremden Eindringling umsieht, eine 
Bewegung, die allein ihn von dem gleiehgefärbten Steingeröll unter- 
scheiden lässt. Weiter unten au den rasigen Abhängen und auf den 
Wiesen am Strande ist die Heimat des sibirischen Murmelthiers 
(Spermophilus sp.). Ein lautes „tschireh“ macht uns auf dieses 
Thier von Kaninchengrösse aufmerksam, das, kerzengrade wie eine 
Schildwache, aufgerichtet dasteht und bei jedem Schrei mit seinem 
kurzen Schwänzchen den Boden schlägt, blitzschnell jedoch in seine 
unterirdische Behausung verschwindet, sowie es eine verdächtige 
Bewegung unsererseits wahrnimmt. — Grössere Thiere, wie Füchse, 
Baren, Wölfe, wilde Renthiere oder Bergschafe haben wir auf unseren 
wiederholten Jagdausflügen nie zu Gesicht bekommen, wiewohl die- 
selben nach den Angaben der Eingeborenen hin und wieder auch in 
diesen Küstengegenden angetroffen werden. • 

Selbst das Insektenleben war wenigstens zu dieser Jahreszeit 
gering. Wenige Tag- und einige Kleinschmetterlinge belebten die 
blumigen Abhänge, unter den Steinen faud man kleine Carabiden, 
in Gesellschaft derselben mitunter eine Chrisomela; eine Hummel 
war überall anzutreffen, wo ein reicherer Blütenflor sich zeigte; 
nirgends fehlten Spinnen und Poduren, dagegen vermissten wir nicht 
ungern die allgemeine Phtge der Polarländer, die zahllosen Mücken- 
schwänne, die uns noch von unserer vorjährigen Reise über die 
Schneefelder der norwegischen Fielde lebhaft im Gedächtniss waren. 
So sehr uns auch Pflanzen wie Diapensia lapponica, Comus siiecica, 
Artemisia norwegica und viele andere an unsere Touren über das 
Stormdals- und Dovrefleld erinnern mussten, so fanden wir doch 
eine wesentliche Verschiedenheit in dem Landschaftscharakter dieser 
beiden nordischen Gebirgsländer. Wohl sehen wir auch hier steil 
zum Meer abfallende felsige Küsten mit tief einschneidenden Buchten, 
wohl stellt auch hier das Innere eine wellige von breiten Thalfurchen 
durchzogene Hochebene dar, aber die glatten Felswände fehlen, das 
Gestein ist zerrissen, zerstückelt in scharfkantige Blöcke jeglicher 
Grösse, die wie in Steinbruchshalden überall unter gleichem Neigungs- 
winkel die Bergabhänge bedecken. Und so mannigfaltig die Flechten- 
und Moosvegetation dieser Hochflächen ist, so erreicht sie doch 
nirgends die Ueppigkeit derjenigen der norwegischen Fielde, woselbst 
durch das gesellige Auftreten einzelner Flechtenspecies die weissen, 
gelben und grauen Farbentöne weiter Flächen, ja ganzer Bergzüge 
bedingt werden. In den Klüften zwischen dem loosen Steingeröll 


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— 11 — 

muss man die wenigen hier vorkommenden Phanerogamen, wie über- 
haupt jede reichere Vegetation suchen, während die mit dunklen 
Steinfiechten bekleidete Oberfläche der Felsstftcke durch einförmiges 
Grau das Auge ermüdet. Den gleichen Charakter zeigt die „steinige 
Tundra“ überall an der Küste, vom Ostkap bis zur Plover-Bai, ohne 
dass die Verschiedenheit des Gesteins von Einfluss zu sein scheint. 
Einen etwas erfreulicheren Anblick mag dieselbe in einer früheren 
Jahreszeit, im Monat Juli gewähren, wenn die schneeweissen Blüten 
der Diapcnsiarasen mit gelben und rothen Saxifrageen und purpur- 
farbenen Rhododendren untermischt, doch wenigstens an einzelnen 
Stellen eine Abwechslung bieten. 

An tiefer gelegenen und feuchteren Orten treffen wir die Moos- 
tuudra an, deren Charakter ein ganz verschiedener, doch kaum min- 
der einförmiger ist. Ihren wesentlichsten Bestandtheil bilden Moos-, 
Seggen- oder Wollgraspolster; zwischen und auf denselben wuchern 
Molte- und Rauschebeeren und an trockneren Stellen die Krähen- 
beere, Empetrum nigrum, deren Früchte im Spätsommer einen nicht 
unwesentlichen Beitrag zur Nahrung der Landesbewohner liefern. 
Hier finden auch Zwergbirken und krautartige Weiden, fast die ein- 
zigen, kaum fusshohen Vertreter der Baum- und Strauchvegetation, 
den geeignetsten Boden. Ein längerer Gang über diese Tundra ist 
nicht weniger beschwerlich als ein solcher über das Steingeröll; in 
beiden F'ällen darf man die Aufmerksamkeit vom Boden nicht ab- 
leuken, ohne Gefahr zu laufen, mit dem Fuss in Felsspalten oder 
den tiefen Löchern zwischen den Seggenpolstern stecken zu bleiben. 

Noch ein drittes Vegetatiousbild haben wir in Betracht zu ziehen, 
wenn wir uns von dem landschaftlichen Charakter des Landes eine 
richtige Vorstellung machen wollen; es ist dies die Flora der Ab- 
hänge, der Thalschluchten, der Quellen und Wasserrinnen. Hier ist 
jener Reichthum zu finden, der schon Chamisso bei seinem Besuche 
der Lorenz-Bai erfreut hat. Da mischen sich die Formen der steinigen 
oder Flechtentundra mit denen der Moostundra, aber auch zahlreiche 
neue treten hinzu und bilden einen bunten Blumenteppich, wie wir 
ihn in unseren Alpen zu sehen gewohnt sind. Und in besonders 
geschützten Thalschluchten, oft nur wenige Schritte von mächtigen, 
den Sommer überdauernden Schneelagern entfernt begegnet man 
einer so üppigen Entfaltung der Flora, wie man sie in diesem Lande 
kaum noch für möglich gehalten hat; man vergisst nicht, zu notiren, 
dass man Weidengebüsch von 1 Meter Höhe gesehen hat; so sehr 
ist man des Anblicks jedes Strauch- und baumartigen Pflanzenwuchses 
entwöhnt worden. 

Von der Erhebung des Bodens über dem Meeresspiegel scheint 


•gle 



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die Zusammensetzung der Flora in geringerem Maasse abhängig zu 
sein, als von der mehr oder weniger vor der Gewalt der Stürme 
geschützten Lage. Auf den steinigen, kahlen Hochflächen finden sich 
dieselben Pflanzen, dieselben Varietäten und eine ähnliche verküm- 
merte und in der Entwicklung zurückgebliebene Vegetation, wie auf 
dem nur wenige Fuss über dem Meeresspiegel hervorragenden (für 
diese Gegenden charakteristischen) Strandwalle, über welchen die 
Seewinde mit voller Wucht dahinbrausen; andererseits bieten ge- 
schützte Abhänge und Schluchten in Höhen von 2—300 m denselben 
Pflanzenreichthum dar, wie gleich günstig gelegene Orte der Tiefe. 

Nicht so arm wie die Landfauna fanden wir diejenige des 
Meeres, wenn dieselbe auch ungleich der norwegischen weniger durch 
Artenreichthum als durch massenhaftes Auftreten einzelner Spccies 
charakterisirt ist. Fast völlig unentwickelt ist jedoch die Strand- 
fauna, wie es auch bereits von Stuxberg, dem Zoologen der Norden- 
skjöld’schen Expedition für die nordsibirische Küste hervorgehoben 
worden ist. Ausser zahllosen Gammariden, deren Gehässigkeit sich 
vortheilhaft zur Präparirung von Skeletten benutzen liess, trafen wir 
hier fast gar kein Leben an und keine Spur von der reichen Strand- 
fauna der norwegischen Küste, wo jeder von der Brandung umspülte 
Felsblock mit Littorinen, Purpura, Patellen und Balanen dicht besetzt 
erschien und während der Ebbezeit die mit dem zurückbleibenden 
Wasser gelullten Vertiefungen nicht nur durch Formenmannigfaltig- 
keit und Farbenpracht der in ihnen lebenden Kalkalgen und Florideen 
das Auge erfreuten, sondern auch eine Fundstätte von immer neuen 
Thierformen lieferten. Nur in der Plover-Bai haben wir späterhin 
Littoriua- und Trochusarten innerhalb der Brandungszone gefunden. 

Ein reicheres Leben zeigte sich erst in der Tiefe von 4 Faden 
abwärts; aus 8 — 15 Faden brachten unsere Dredgen gewöhnlich die 
ergiebigste Ausbeute, zumal an Amphipoden, dereu sonderbare For- 
men und Farbenzeichnungen durch ihre Uebereinstimmung mit der 
Färbung und Beschaffenheit des Bodens nicht selten ein ausgezeich- 
netes Beispiel von Mimicry darboten. In grösserer Tiefe, von 20 bis 
zu 35 Faden fand sich wieder eine einförmigere, je nach dem Grunde 
natürlich sehr verschiedene Fauna vor. 

Die Vogelwelt war in der Nähe unseres Zeltplatzes im Lütkes- 
Hafen nicht gerade sehr entwickelt, mehr auf der niedrigen Lütkes- 
Insel, wo immer eine grosse Menge verschiedener Entenarten, einige 
Regenpfeifer, vor allen Dingen aber eine Unmasse der ausserordent- 
lich zutraulichen Tringa und Phalaropusarten anzutreffen war. 
Schaaren der zierlichen Seeschwalben und einige grössere und 
kleinere Möven waren unaufhörlich in nächster Nähe mit Fischen 


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beschäftigt, gelegentlich jagte ihnen eine Schmarotzermöve (len Fang 
ah. Am Ufer traf man auf den grünen Wiesen Schneeammern und 
Bachstelzen, während weiter hinauf ein munterer Steinschmätzer die 
sonst nur noch vom Pfeifhasen bewohnte öde Steinwüste belebte. 
Seltener sahen wir bei unserem Zelte einen der in der Nähe der 
Tschuktschendörfer immer in grösserer Anzahl anzutreffenden Raben. 
Am felsigen Gestade der Bai hausten Kormorane, Papageitaucher u. A., 
doch zeigte auch hier das Vogelleben lange nicht die Mannigfaltig- 
keit und den Artenreichthum, den wir an ähnlichen Stellen an der 
Meeresküste später zu beobachten Gelegenheit hatten. — Von 
grösseren Seesäugethieren sahen wir in der Bai hin und wieder 
einen Wal, häufiger einen Seehund (Phoca sp. sp.). 

Freitag, dm 12. August, hatte uns die „0. S. Fowler“ des 
Kapitäns Nigh verlassen, nachdem wir Briefe und eine Kiste mit 
Sammlungen zur Beförderung nach San Francisco an Bord geschickt 
hatten. — Vollauf durch unsere botanischen und zoologischen Samm- 
lungen und den Verkehr mit den Landesbewohnern in Anspruch 
genommen, wurden wir unserer Abgeschlossenheit kaum inne, und 
nur der Hinblick auf die so knapp uns zugemessene Zeit liess uns 
bereits nach Verlauf einer Woche an einen Wechsel unseres Aufent- 
haltsortes und Verlegung desselben mehr in das Innere der Bai 
hinein denken, als wir durch die unerwartete Ankunft eines russi- 
schen Kriegsschiffes von der Ausführung unseres Vorhabens wenigstens 
in der anfänglich geplanten Weise abgebracht wurden. Am Morgen 
des 16. August, gerade als einer von uns auf einer Bootfahrt nach 
Nunamo begriffen war, um die Einwohner in ihren eigenen Jarangen 
zu besuchen, sahen wir einen Dampfer in die Bai kommen und in 
unserem Hafen vor Anker gehen. Es war der russische Klipper 
„Strjelok“, wie wir bald bei einem Besuche, den wir ihm abstatteten, 
erfuhren. Das Schiff hatte Petropawlowsk Ende Juli verlassen und 
war nach kurzem Aufenthalte bei der Beringsinsel und in der Plover- 
Bai nach der Lorenz-Bai gekommen, um hier den „Rodgers“, für den 
der „Strjelok“ einige Provisionen an Bord hatte, zu erwarten und 
dann in Gemeinschaft mit ihm die Fahrt ins Eismeer anzutreten. 
Kapitän de Livron, der von unserer beabsichtigten Reise Seitens 
seiner Regierung*) in Kenntniss gesetzt worden war, bot uns die 
möglichste Unterstützung bei unseren Unternehmungen an; er 
besuchte uns noch am gleichen Tage in unserem Zelte und lud uns 
für den Abend an Bord seines Schiffes ein. Für den folgenden Tag 
war beabsichtigt worden, eine Dampfharkasse zur Aufnahme des 


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*) Durch gütige Vermittlung des Kaiserl. Auswärtigen Amts in Berlin. 



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Innern der Bai abzusenden und man forderte uns freundlichst zur 
Theilnahme an der Fahrt auf. Leutnant Beklemischeff, der mit der 
Leitung derselben betraut worden war, hatte wenige Tage vorher 
bei einer genaueren Aufnahme der Plover-Bai das interessante Resul- 
tat erhalten, dass das Innere derselben ganz ungewöhnlich tief ist; 
bis zu 80 Faden und darüber wurden an einzelnen Stellen gelothet. 
Die letzten unter Dalls Leitung ausgeführten Aufnahmen enthalten 
schon die Angabe, dass hier bei 80 Faden Tiefe kein Grund gefunden 
wurde. 

So fuhren wir denn am Morgen des 16. August bei schönem 
Wetter in das Innere der Bai hinein, indem wir unser Zelt und alle 
unsere Sachen der Obhut unseres bewährten Bootsmannes Franzen 
überliessen. Die während der Fahrt beständig ausgeführten Lothungen 
ergaben eine verhältnissmässig geringe, nach dem Innern zu ab- 
nehmende Tiefe, die nur an wenigen Stellen 30 Faden erreichte. 
Die Oberfiäehentemperatur des Wassers betrug um 8 Uhr Vormittags 
5° Celsius, die Luftwärme war die gleiche. Wir landeten zunächst 
auf einer am nördlichen Ufer gelegenen Sandspitze, am Fusse des 
„High Summit“, wie ein hoher Berg hart am Nordrande der Bai 
auf der amerikanischen Karte bezeichnet wird. Während Leutnant 
Beklemischeff einige Peilungen ausführte, untersuchten wir die hier 
wie an allen ähnlichen Lokalitäten ausserordentlich dürftig ent- 
wickelte Flora; nur die eigentlichen Strandgewächse, wie Halianthus 
peplöides, Steinhammeria maritima, Elymus (sp.) scheinen hier den 
geeigneten Boden für ihre Entwicklung zu finden. — Zahllose Schalen 
von Mytilus und Cyprina lagen am Strande; an manchen Stellen 
schienen sie von Menschenhänden auf einen Haufen geworfen zu 
sein, was uns um so mehr auffiel, als wir bis dahin noch nicht 
erfahren hatten, dass die Eingeborenen Muschelthiere zur Nahrung 
sammelten. 

Ein zweites Mal landeten wir auf der östlichen der beiden im 
Innern der Bai gelegenen kleinen Felseninseln. Hier fanden wir 
auf einem verhältnissmässig kleinen Raume eine ausserordentlich 
üppige uud mannigfaltige Flora; namentlich erfreute uns als neu 
die hübsche Saxifraga fiagellaris, der wir später nicht mehr begegnet 
sind. — Auch das Thierleben war in der Nähe dieser Insel reicher 
entwickelt, als au irgend einer anderen Stelle in der Bai. Dies 
Alles, zusammen mit dem herrlichen Wetter und dem prächtigen 
Ausblick auf die grossartige Gebirgslandschaft im Süden und Westen 
mit ihren bald regelmässigen, bald wild zerrissenen Bergformen und 
Jen weiten grünen Thälern im Vordergründe, gestalteten diesen 
rheil der Fahrt zu einem der genussreichsten. 


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Bei weiterer Fortsetzung derselben verschlechterte sich das 
Wetter; es wurde stürmisch und reguerisch. Nach Passirung einer 
neuen Sandbarre fuhren wir in die letzte Ausbuchtung der Bai hinein, 
geriethen aber hier, wo die älteren Karten 4 — 5 Faden Tiefe augeben, 
in einem nur 2 — 3 Fuss tiefen Wasser auf den Grund. Vergebens 
waren alle Anstrengungen, das Fahrzeug flott zu machen. Als 
schliesslich das Eintreten der Ebbe den Wasserstaud noch mehr 
erniedrigte, mussten wir uns darin fügen, die Nacht bei zunehmendem 
Sturm und Regen in keineswegs bequemer Lage im Boote zuzubriugen, 
statt, wie wir gehofft hatten, am Lande ein Zelt aufschlagen zu 
können. Der kommende Morgen sah uns noch auf derselben Stelle. 
Die während der Nacht beim Eintritt der Flut erneuerten An- 
strengungen waren erfolglos gewesen ; doch Wind und Regen hatten 
nachgelassen und ein schöner Tag schien bevorzustehen. Das an- 
scheinend überall seichte Wasser, aus dem bei wieder eingetretener 
Ebbe allenthalben biosgelegte Sandflecken emportauchten, bewog uns 
zu dem Versuche, bis zu dem grünen Gestade hindurch zu waten. 
Nach halbstündiger Wanderung erreichten wir auch glücklich das 
Ufer, woselbst uns eine reiche Flora für die gehabten Anstrengungen 
vollauf entschädigte. Einige Weidenarten bildeten ein wirkliches 
Gebüsch, in dessen Schutze Rittersporn, Primeln und Wintergrün 
(Pirula) ihro Blüten höher als sonst hervorzuheben wagten; die 
steileren Felsgehänge dagegen waren von den ungewöhnlich grossen 
Blättern der epheuartig kriechenden Netzweide (Salix reticulata) fast 
völlig bedeckt. Ein weites Thal führt von hier in westlicher Richtung 
in das Innere des Landes hinein; es wird von einem wasserreichen 
Fluss durchströmt, dessen zahlreiche Mündungsarme wir bei der 
Weiter Wanderung nicht ohne Mühe durchwateten. Vergebens sahen 
wir uns in demselben nach thierischen Bewohnern um; nur eine 
Schnecke (Physa) fand sich in den seichten Lachen am Uferrande. 
Nicht minder arm war jedoch auch die Landfauna; ausser einigen 
Landschneckeu, Arten der Gattungen Succinea. Pupa und Helia, 
einigen Schmetterlingen und Käfern zeigte sich trotz des schönsten 
Wetters kaum noch eine Spur von weiterem thierischen Leben. 

Nach mehrstündiger Fusswanderung längs des südlichen Gestades 
wurden wir zur Mittagszeit von dem inzwischen flott gewordenen 
Boote wieder aufgenommen und traten nun mit demselben unsere 
Rückfahrt nach Lütkes-Hafen an. Noch einige Landungen wurden 
gemacht, die jedoch zu neuen Beobachtungen keine Veranlassung 
gaben. Ziemlich spät am Abend langten wir erst beim Schiff und 
bald darauf auch bei unserem Zelte an. Hier fanden wir Alles in 
Ordnung; nur war während unserer Abwesenheit ein Diebstahls- 


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versuch gemacht worden, dem Franzen jedoch, gestützt auf die 
Anwesenheit des russischen Kriegsschiffes, energisch hatte entgegen- 
treten können. 

Am folgenden Morgeu fuhr der längst erwartete „Rodgers“, 
das von der amerikanischen Regierung zur Aufsuchung der „ Jeanuette“ 
ausgerüstete Schiff in den Hafen ein. Da Kapitän de Livron bald 
nach Ankunft desselben die Weiterfahrt nach Norden antreten wollte 
und wir sein Anerbieten, uns mit nach dem Ostkap zu nehmen, 
dankbar angenommen hatten, so packten wir alsbald unsere Sachen 
zusammen und gingen gegen Abend an Bord des russischen Klippers, 
woselbst wir der freundlichsten Aufnahme Seitens des Kommandirenden 
und der Officiere begegneten. Als am gleichen Abend noch einige 
Officiere vom „Rodgers“ herübergekommen waren, durften wir uns 
wieder einmal des langentbehrten Genusses einer fröhlichen Gesellig- 
keit erfreuen. 

Dichter Nebel verhinderte am folgenden Tage die Abfahrt des 
Dampfers. Wir benutzten die Zeit, einige Briefe zu schreiben, dann 
aber auch zu einem Besuche des „Rodgers“, der gleichfalls das 
Weichen des Nebels abwarten wollte. 

Wir fanden Kapitän Berry und seine Officiere in der kleinen, 
aber recht gemüthlicli eingerichteten Kajüte guten Muthes und voll 
der besten Hoffnungen rücksichtlich der von ihnen zu lösenden Auf- 
gaben. Durch einen kleinen Schoner, den Walrossfänger „Hendy“, 
der an demselben Morgen, an dem wir unsere Fahrt in das Innere 
der Lorenz-Bai angetreten hatten, in den Hafen eingelaufen war, 
jedoch am Abend vor der Ankunft des „Rodgers“ denselben wieder 
verlassen hatte, waren neuere Nachrichten aus dem Eismeere ein- 
gegaugen. Bestätigt wurde die Nachricht von den ausserordentlich 
günstigen Eisverhältnissen dieses Jahres und den guten Erfolgen der 
Walfischfänger. Nur ein Schiff war im Eise nahe Point Barrow ver- 
loren gegangen, die Bark „Daniel Webster“ ; doch hatten sich Kapitän 
und Mannschaft in zwei Böten nach dem Lande zu retten können, 
längs dessen Küste sie bis Point Beicher gewandert waren, woselbst 
sie nach Verlauf von zwei Monaten von einem anderen Walfisch- 
fänger, dem Dampfer „Belvedere“, aufgenommen wurden. Durch 
den schiffbrüchigen Kapitän, der au Bord des „Hendy“ die Rückreise 
nach San Francisco antrat, waren auch bestimmtere Angaben über 
ein an die asiatische Küste getriebenes Wrack, in dem sich nach 
Berichten der Eingeborenen mehrere Leichen befunden hätten, ge- 
macht worden. Natürlich hatten alle diese Nachrichten das leb- 
hafteste Interesse des Kapitäns Berry erregt und seinen Wunsch, 
schleunigst nach dem Norden aufzubrecheu , nur noch verstärken 


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müssen. Als daher au demselben Abend der Nebel nachliess und 
Kapitän de Livron sich zur Abfahrt bereit erklärte, entschloss sich 
Kapitän Berry gleichfalls, sofort aufzubrechen. So lichteten beide 
Schiffe gegen 9 Uhr Abends am Freitag, den 19. August, die 
Anker, und fuhren, der Klipper, an dessen Bord wir uns befanden, 
unter Dampf, der „Rodgers“ unter Segel, zur Bai hinaus. 

Fast volle 14 Tage hatte somit unser Aufenthalt in der Lorenz- 
Bai gedauert. Während desselben dürften wir trotz der vorgerückten 
Jahreszeit eiu ziemlich vollständiges Bild der Küstenflora gewonnen 
haben. Weniger zufrieden konnten wir mit dem Resultate zoolo- 
gischer Sammlungen sein. Unseren Alkohol vorrath hatten wir sorg- 
fältigst vor den Augen und Nasen der Eingeborenen zu schützen, 
da der Zusatz von Brechweinstein sie schwerlich von dem Genüsse 
desselben abgehalten hätte. Alle Arbeiten mit demselben konnten 
nur in ihrer Abwesenheit vorgenommeu werden, und dass diese Vor- 
sicht nicht unnütz war, zeigten uns wiederholte Anfragen nach „ram“, 
den sie, wie es schien, glücklicherweise in diesem Jahre nicht so 
reichlich, wie iu früheren erhalten hatten. Nach übereinstimmenden 
Berichten geben sie für Branntwein schlechtester Sorte, wie er ihnen 
von Händlern aus Honolulu oft fässerweise verkauft werden ist, 
Alles hin, w r as sie besitzen, während sie sonst, wie wir selber mehr- 
fach zu beobachten Gelegenheit hatten, sich schwer dazu entschlossen, 
einen Handel definitiv abzumachen und immer mit neuen Forderungen 
herauszurücken pflegen. Im trunkenen Zustande sind die Leute ganz 
unzurechnungsfähig, so dass die Weiber, um grösseres Unheil zu ver- 
hüten, alsdann den Männern die Messer wegnehmen. Eine ganze 
Reihe von Mordthaten, die in den letzten Jahren an dieser Küste 
verübt w r orden, sind auf Rechnung des Alkoholgenusses zu setzen, 
wenn auch in den Fällen, wo Weisse das Opfer derselben waren, 
meist eine Verschuldung ihrerseits vorliegt. 

Nur gering ist die Zahl der an der Lorenz-Bai gelegenen An- 
siedelungen; auch hier wie an der gauzen Küste fanden wir in 
Uebereinstimmung mit früheren Berichten unzweideutige Anzeichen 
einer Abnahme der Bevölkerung. Der Ilauptort Nunämo (Nuniamo 
der Karte) besteht aus dreizehn auf einer steil zum Meer abfallenden 
Wiesenfläche gelegenen Jarangen, deren Bevölkerung in Summa viel- 
leicht 60 — 80 Seelen erreichen kann. Eine nähere Bekanntschaft mit 
der Niederlassung haben wir nicht machen können, da bei einem 
beabsichtigten Besuche derselben eine allzustarke Brandung die 
Landung mit unserem Boote unmöglich machte. — Nunämo gegen- 
über, auf der Südseite der Bai, liegt der nur aus wenigen Hütten 
bestehende Ort Nutepelmen, der Wohnsitz der Familie Tröoschin; 


Geogr. Blätter. Breraon, 1882, 


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18 


eine grössere Niederlassung, Jandanga genannt, aus der wir gleich- 
falls öfters Besuch erhielten, befindet sich daun noch am „Southhead“ 
der Amerikaner, nach dem offenen Meere zu. Das Innere der Bai 
ist völlig unbewohnt, doch trafen wir an verschiedenen Stellen, wie 
in der Nahe unseres Zeltplatzes, dann nördlich von demselben auf 
der hochgelegenen Tundra und auch nahe dem äussersten Westende 
der Bucht die deutlichen Spuren ehemaliger Wohnsitze, nämlich aus 
grossen Steinen gebildete Ovale, die gleichsam das Fundament der 
Jarauge darstellen, Gräberreste, Itenthiergeweihe und Knochen. 
Hundeschädel und schliesslich auch die charakteristische Ruderal- 
flora, bestehend aus Artemisien, Cochlearia und verschiedenen 
Gräsern. 

Eine ziemlich bedeutende Anzahl von Grabstellen auf der 
steinigen Tundra, nur eine Viertelstunde von unserem Zelt entfernt, 
schien von hohem Alter zu sein; wenigstens waren menschliche 
Schädel und Gebeine, desgleichen die den Todten mitgegebenen 
Attribute, als Lanzen, Bogen und Pfeile für die Männer, Koch- und 
Hausgeräthe für die Weiber nur noch ganz vereinzelt zu finden- 
Die Art der Bestattung ist eine sehr einfache. Der Leichnam wird 
auf den steinigen Boden gelegt, um ihn ein Oval von grösseren 
Steinen, daneben die erwähnten Geräthschaften und unter einem 
kleinen Steinhaufen ein Hunde-, Reuthier-, Bären- oder Walross- 
schädel. Raben und Hunde, und wohl auch Füchse und Wölfe sorgen 
bald für Vertilgung der irdischen Ueberreste in einem Grade, dass 
selbst bei jüngeren Grabstätten meist nur wenige zerstreute Knochen 
und mehr oder minder verletzte Schädel umherliegend augetroffen 
werden. 

In der Lorenz-Bai, wie später auch am Ostkap und in Pöoten 
glaubten wir eine nordsüdliche Orientirung der Gräber konstatiren 
zu können, in der Plover-Bai jedoch war von einer solcheu Regel- 
mässigkeit nichts wahrzunehmen. An letzterem Orte fanden wir 
neben den gewöhnlichen Steinovalen auch noch grössere und höhere 
Steinringe von etwa 3 m Durchmesser, dann kleine, aus einzelnen 
flachen Steinen hergestellte Kammern ohne irgend welchen Inhalt, 
vielleicht Jarauge eu miniature darstellend. In Indian Point fehlten 
selbst die Steinovale ; nur durch die zahlreichen Schädel und Knochen 
war das auf der sandigen Landzunge gelegene Gräberfeld gekenn- 
zeichnet. 

Die Witterung war während unseres Aufenthaltes in der Lorenz- 
Bai, vom 6. bis 19. August, nicht so ungünstig gewesen, als wir 
erwartet hatten, wenn wir auch während der ganzen Zeit nur zwei 
schöne, klare Tage hatten zählen können. Nebel stellte sich sehr 


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19 


häufig ein, fast an jedem Morgen und Abend; an sechs Tagen fiel 
Kegen, doch nur einmal, am 14. August, regnete es den ganzen Tag 
hindurch bei starkem Ostwinde und sehr niedrigem Barometerstaude. 
Grösstentheils wehten leichte, südliche Winde. Die Lufttemperatur 
war ziemlich gleichmftssig, sie schwankte im Allgemeinen während 
des Tages zwischen 6° und 8° Celsius. Die beobachteten Extreme 
waren 9,s° am 7. August 8 Uhr Vormittags und 5° am 16. August 
zur gleichen Tageszeit. 

Am Abend des 19. August verliessen wir also, wie bereits 
erwähnt, an Bord des „Strjelok“ die Loreuz-Bai. Am Morgen des 
folgenden Tages hatten wir die gleich Festungsmauern steil auf- 
gethürmten Felsen des Ostkaps, des Ostendes der alten Welt, in 
Sicht. Es war ein schöner, ' klarer Tag, doch scharfer Wind wehte 
uns entgegen und bewirkte ein starkes Aufwallen des nach Norden 
strömenden Wassers. Der „Rodgers“ war beträchtlich zurückgeblieben, 
da er bei dem widrigen Winde nur langsame Fahrt hatte machen 
können. Sobald wir jedoch das Ostkap passirt hatten und nord- 
westlichen Kurs steuerten, liess Wind und Strömung nach, so dass 
wir unser Vorhaben, hier mit dem Boote ans Laud zu gehen, aus- 
führen konnten. Gegen 12 Uhr Mittags verliessen wir denn auch 
den Klipper, auf dem wir so gastlich aufgenommen worden waren, 
nachdem uns noch der Kommandant als ein äusseres Zeichen des 
Schutzes, den er unserer Bestrebung angedeihen lassen wollte, eine 
russische Flagge übergeben hatte. Bald entschwand der „Strjelok“, 
der nun gefolgt von dem „ltodgers“ seine Fahrt nach Serdzekamen 
zu fortsetzte, unseren Augen, während wir unser Boot der etwa 
acht englische Meilen entfernten Küste zulenkten. Wir steuerten 
nun bei schönstem Wetter, doch leichtem Winde der Stelle zu, wo 
die steilen nördlichen Felsgehänge des Ostkaps in flaches Land über- 
gehen, da wir hier die auf den Karten verzeichnete Niederlassung 
und auch eiueu geeigneten Landungsplatz zu finden hofften. Ein 
klares Bild von der Situation konnten wir freilich damals nach den 
ungenauen und wenig übereinstimmenden Darstellungen des Ostkaps, 
wie sie amerikanische sowohl wie russische Karten geben, nicht 
gewinnen, doch erwies sich unsere Voraussetzung soweit als zu- 
treffend, als wir nach längerer Fahrt die Maulwurfshaufen gleichen- 
den Hütten auf dem flachen Strande unterscheiden konnten. Nicht 
lange darauf sahen wir auch zwei Böte auf uns zukommen. Da es 
inzwischen windstill geworden war und wir zu den Rudern hatten 
greifen müssen, nahmen wir die Unterstützung der Leute in Anspruch, 
die auch gleich sich bereit erklärten, für einige Stücke Taback uns 
nach dem noch ziemlich fernen Gestade zu rudern. Jedoch nicht 


2 * 


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20 


unsertwegen waren die Böte in die See hinausgefahren; zwei Wal- 
fische, die in unserer Nähe von Zeit zu Zeit emportauchten, hatten 
sie herausgelockt, und wir hatten noch Gelegenheit, der Jagd auf 
dieselben eine Weile zuzusehen. Von verschiedenen Seiten ruderten 
sie so schnell wie möglich der Stelle zu, an welcher der Walfisch 
zuletzt uutergetaucht war, beim Emportauchen desselben zur Ver- 
meidung jeglichen Geräusches sofort innehaltend. Vorn im Boote 
steht aufrecht der Harpunier; seine Waffe scheint allerdings recht 
ungeeignet für die Jagd auf das riesige Thier zu sein, zumal wenn 
man sie mit der schweren eisernen Harpune der weissen Walfisch- 
fänger vergleicht; aber der Eingeborene denkt auch nicht daran, 
sein Boot an dem Wale festzumachen. Geliugt ihm der Wurf, so 
bleibt, indem sich der hölzerne Schaft ablöst, nur die aus Eisen und 
Elfenbein gefertigte Spitze in der Haut stecken. An ihr sind aber 
mittelst einer langen aus Walrosshaut geschnittenen Leine ein oder 
mehrere luftgefüllte Seehundssäcke befestigt, welche dem getroffenen 
Thiere das Untertauchen erschweren und den Verfolgern seinen Weg 
kennzeichnen, bis sie Gelegenheit zu einem zweiten und dritten Wurf 
und schliesslich zum Versetzen des Todesstosses finden. 

Die Jagd blieb diesmal erfolglos, da die Walfische sich mehr 
und mehr entfernten. Nun kamen die Böte wieder zu uns heran 
und nachdem die üblichen Fragen nach dem „woher“ und „wohin“, 
so gut es ging, beantwortet worden waren, wurde namentlich durch 
das Zauberwort „tschelupa“ (Taback) bald eine Verständigung erzielt. 
Fünf junge Leute stiegen in unser Boot, und nun begann eine Wett- 
fahrt nach dem noch ziemlich entfernten Ufer, bei der unsere 
Mannschaft, durch muntere Zurufe sich gegenseitig anfeuernd, zeigte, 
dass sie die schweren Ruder eines Walfischfängerbootes eben so gut 
zu handhaben verstand, als die kurzen Paddeln ihrer leichten Leder- 
böte. Sie waren auch fast alle schon einmal während der Jagdsaison 
an Bord eines Walfischfahrers gewesen, wie sie uns nicht ohne Stolz 
unter Nennung der Namen von Kapitän und Schiff erzählten. 

Bald wareu wir dem Orte nahe und sahen nun eine Schaar 
von Männern, Weibern und Kindern am Strande versammelt, die 
unsere Landung erwarteten. Eine starke Branduug jedoch Hess uns 
eine solche als ein bedenkliches Wagniss erscheinen, das leicht den 
Verlust unseres schwerbeladenen Bootes herbeiführen konnte. So 
versuchten wir denn auf Zureden der Eingeborenen zuerst den 
grössten Theil der Gepäckstücke in den leichten Lederkanoes ans 
Land bringen zu lassen, und, um unsere Sachen nicht aus den Augen 
zu verlieren, stiegen wir selber in je eins derselben ein. Die 
Landung in diesen Böten bildete für uns eine höchst interessante 


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Episode. — Mit dem schweren Schwall hebt und senkt sich das 
Boot wie eine Feder; das Brausen der Brandung und das Geräusch 
der hin- und hergerollten Steine übertönt die lauten Zurufe der 
Männer. Da, als eben eine besonders hohe Welle das Boot fast auf 
den Strand schleudert, wirft ein Mann von der Spitze aus einen an 
langer Deine befestigten aufgeblasenen Seehundssack in die Brandungs- 
welle, die ihn weit auf das Hache Gestade hiuaufrollt; zugleich aber 
rudert die Mannschaft unter Aufbietung aller ihrer Kräfte rückwärts, 
um das Boot aus der gefährlichen Nähe des Strandes zu entfernen. 
Der am Ufer gestrandete Sack wird eiligst von einem der dort 
wartenden Leute erfasst und höher hinaufgezogen, wo zahlreiche 
hiilfbereite Hände die Leine ergreifen. Wiederum wird nun eine 
günstige Welle abgewartet, dann auf ein gegebenes Zeichen unter 
Zusammenwirken der Ruderer und der am Lande befindlichen Dorf- 
bewohner das Boot mit einem Male auf den Strand gebracht. In 
demselben Moment springen die Insassen heraus, erfassen das Boot 
und tragen es höher hinauf aus dem Bereich der nachfolgenden 
Brandungswelle. Nicht immer geht die Landung so glatt von 
Statten: auch wir wurden noch von einer zweiten nicht programm- 
mässigen Welle erreicht, die allerdings keinen weiteren Schaden 
anrichtete, als dass sie unser Gepäck durchnässte. 

So waren wir denn glücklich gelandet, aber unser Boot mit 
einem Theile der Sachen lag noch ausserhalb und die eben gemachten 
Wahrnehmungen konnten uns nicht dazu bestimmen, dasselbe in 
gleicher Weise landen zu lassen. Die dünnen Holzwandungen wären 
schwerlich im Stande gewesen, in gleicher Weise der Wucht der 
Brandung Widerstand zu leisten wie die nachgiebigen Lederwände 
der „Atkuats“. Wir hatten erfahren, dass hinter dem Orte eine 
Lagune und weiter westlich ein Eingang zu derselben sich befände. 
So gaben wir denn unserem Bootsmanne Franzen durch Zeichen zu 
verstehen, diesen Weg einzuschlagen und überredeten nicht ohne Mühe 
einige Leute, mit ihm die Fahrt zu machen. 

Nicht ohne Besorgniss freilich sahen wir unser Boot wegfahren ; 
erst in der Nacht, hörten wir, dürfte auf Ankunft desselben zu 
rechnen sein, und aus einzelnen Aeusserungen der Eingeborenen 
konnten wir entnehmen, dass die Einfahrt in die Lagune nicht ganz 
ohne Bedenken sei. Andererseits war das Benehmen der Leute 
ganz geeignet, uns über unsere Lage zu beruhigen. Wohl durch- 
stöberten sie ziemlich ungenirt unsere Sachen, wohl besichtigte 
und prüfte mancher der jungen Männer mit leuchtenden Augen 
unsere Büchsen und Flinten; aber Alles wurde auch wieder sorg- 
fältig an seinen Platz zurückgestellt, und der Eifer, mit dem sich 


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22 


Jang und Alt uns bei der Fortschaffung des Gepäcks behülflicli zeigte, 
war wohl nicht allein durch die Aussicht auf Belohnung hervor- 
gerufen. — Ein alter zahnloser Mann, Namens Akenen, wurde uns 
als der „chief“ des Ortes bezeichnet; ihm und einem seiner Ver- 
wandten, genannt Atelen, welcher ziemlich gut englisch sprach, er- 
klärten wir unsere Absicht, einige Tage in ihrer Mitte zu verweilen. 
Akenen gab uns darauf die Zusicherung, dass von unseren Sachen 
nichts gestohlen werden würde, und dass wir für dieselben wie für 
uns selbst ein Unterkommen in seinem Hause finden könnten, ein 
Anerbieten, das wir unter den obwaltenden Umständen gern an- 
nahmen. — Schon vom Meere aus hatten wir unter den übrigen 
Hütten ein nach europäischem Muster gebautes Haus bemerkt ; 
AJcenen führte uns nun auf die andere Seite des Strandwalles zu 
zwei ähnlichen aus Balken und Brettern recht solide aufgebauten 
Häusern. Nachdem in dem grösseren derselben für uns Platz gemacht 
worden war, suchten wir uns, so gut es eben unter den Verhält- 
nissen anging, mit den Leuten nützlich zu beschäftigen. Doch war 
dies nicht so leicht; was nur irgend konnte, drängte sich in den 
Raum hinein, so dass wir an jeder freieu Bewegung gehindert wur- 
den ; draussen stand ein nicht minder grosser Haufen, der neugierig 
auf die Fremden und ihr Thun und Treiben schaute und sehnsüchtig 
auf eine Gelegenheit wartete, in ihre Nähe zu kommen. Ueber- 
zeugt, dass die Geduld der guten Leute nicht so leicht ermüden 
würde, nahmen wir schliesslich Jagdtasche und Flinte, und machten 
uns, nachdem Akenen die Besucher hinausgetrieben und das Ilaus 
verschlossen hatte, nur von Atelen und einigen Knaben begleitet, 
auf den Weg nach den nächsten Anhöhen, um uns noch vor ein- 
brechender Dunkelheit über die Lage Uedle’s zu orientiren. Nach 
unserer Rückkehr bereitete man uns aus Renthierfellen ein w’eiches 
und warmes Lager, auf dem wir bald, nachdem auch die letzten der 
wieder herbeigeströmten Zuschauer sich entfernt hatten, einen ge- 
sunden Schlaf genossen. Erst nach Mitternacht langte Franzen 
mit dem Boote an ; fast die ganze Strecke hindurch hatten die Leute 
angestrengt rudern müssen, bis noch in der letzten Stunde ein 
günstiger Wind ihnen zu Hülfe gekommen war. 

Am nächsten Morgen schlugen wir nun gleich nahe der Lagune 
und nicht fern von dem hölzernen Hause unser Zelt auf und brachten 
alle Sachen in dasselbe hinein. Darauf benutzten wir das schöne 
Wetter zu einem Ausfluge nach dem steilen Felsufer, um wo möglich 
das Ostkap zu erreichen. Begleitet von einem jungen Uödlaner, von 
dem wir manche wichtige Auskunft erhielten, gingen wir zunächst 
am Meeresstrande entlang, bis die direkt ins Meer herabsteigenden 


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Felswände hier ein Halt geboten. Nun kletterten wir in einer steilen 
Schlucht auf das Plateau hinauf, um dort unsere Wanderung fort- 
zusetzen. Die Flora fanden wir mit der der Lorenz-Bai durchaus 
übereinstimmend, nur ärmer und etwas weniger vorgeschritten ; ver- 
gebens sahen wir uns nach eigenthümlichen Formen um, die wir hier, 
wo alte und neue Welt nur durch einen schmalen Meeresarm von 
einander getrennt sind, zu finden gehofft hatten. Nur an Flechten 
und Moosen hatten wir eine grössere Ausbeute. Die Hauptmasse 
des Gesteins war ein heller Syenit, während die steilen Ufergehänge 
von schöngebänderten und oft wunderbar gestalteten Kieselschiefern 
gebildet wurden. 

Als das Wetter mittlerweile sich verschlechterte, stürmisch und 
regnerisch wurde, beschlossen wir, für dieses Mal die Weiterwanderung 
aufzugeben, da ein klarer Ueberblick doch nicht zu erreichen gewesen 
wäre. Noch bestiegen wir die nächste Höhe, um dann über das den 
Abhang bedeckende Steingeröll nach Uödle zurückzukehren. Der Blick 
von dem Hochplateau gab uns von der Situation eine bessere Vor- 
stellung, als wir sie aus allen Karten gewonnen hatten. Das Felsen- 
massiv des Ostkaps bildet gleichsam eine Insel. Nur ganz Haches, 
aller Orten durch Lagunen zerschnittenes Land verbindet es mit dem 
Festlande; fast glaubt man eine zusammenhängende Wassermasse von 
der Berings-See zum Eismeer zu sehen. Eine lange, schmale Nehrung 
zieht sich vom Ostkap bis nahe zum Kap Jntschauin hin; auf ihr 
liegen die beiden Orte Utklle und Tunkau, ersterer am östlichen, 
letzterer am westlichen Ende. Die weite Lagune, welche durch diese 
Landzunge vom Meere abgegrenzt wird, steht nur an einer Stelle 
durch einen ganz schmalen und etwa sechs nautische Meilen von 
U&lle entfernten Durchbruch mit dem Eismeere in Verbindung. 

Beim Abstieg über das Steingeröll passirten wir auch den 
Begräbnissplatz , "welcher dem beschriebenen aus der Lorenz -Bai 
durchaus ähnlich war, nur dass die zahlreichen Gebeine und frischeren 
Schädel noch eine fortdauernde Benutzung desselben erkennen Hessen. 
Unser Begleiter erzählte dabei, dass im letzten Winter viele Leute 
aus Nahrungsmangel umgekommen seien; auch er hätte ein Kind 
verloren. Durch ihn aufmerksam gemacht, sahen wir wieder neben 
den Frauengräbern Küchengeräthschaften, namentlich irdene Töpfe 
und hölzerne Schüsseln (mitunter jedoch auch zu Kochgeschirren um- 
gewandelte Konservenbüchsen) liegen, Lanzen, Bogen, Pfeile und 
Schlitten dagegen neben den Gräbern der Männer. Eine besondere 
Scheu scheinen die Leute vor den Wohnstätten der Todten nicht 
zu haben; Fusswege führten hier wie anderwärts mitten durch die- 
selben hindurch. Doch fürchteten sie sich, die Schädel oder Knochen 


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Partie am Ostkap. (22. August 1881.) 

Kach dar Natur aufgcnummen von Dr. A. Krause. 


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Kap Intschauin. Waarenhaua dea Jinkergin. Zelt nebst Boot. 

WaarenhauH doa Akvnon. 

l T edle. (23. August 1881.) 

Nach der Natur aufgcnommon von Dr. A. Krau»« 


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zu berühren, und als einst Franzen uns zwei aus Holz geschnitzte 
Figuren überbraclite, die er in der Nahe des Gräberfeldes gefunden 
hatte, erklärten sie es für „nicht gut“, so dass wir es für räthlich 
hielten, dieselben wieder an Ort und Stelle zurückbringen zu lassen. 

Bei unserer Rückkehr fanden wir das Zelt voll von Uedlanern, 
Franzen mitten unter ihnen. Es war ihm nicht möglich gewesen, 
die Leute fern zu halten, und auch wir konnten fürs erste durch die 
Vorstellung, dass nicht Rauin genug vorhanden sei, nur erreichen, 
dass die jüngere Gesellschaft dasselbe verliess. Ueberhaupt mussten 
wir uns während des dreitägigen Aufenthalts in U&lle darein fügen, 
beständig mehr oder minder zahlreiche Gesellschaft um uns zu haben, 
was zwar einerseits den Vortheil hatte, dass wir manche werthvolle 
Erkundigungen einziehen konnten, andererseits uns aber auch eine 
grosse Beschränkung in den Arbeiten auferlegte; den Alkohol- 
vorrath wenigstens mussten wir die ganze Zeit über unberührt lassen. 

Noch ein anderer Umstand aber machte uns eine völlige Aus- 
nutzung dieser wenigen Tage unmöglich, es war dies die Ungunst 
des Wetters. Die stürmische und regnerische Witterung hielt vom 
Sonntag, den 21. August Mittags bis zum Morgen des 24-. August fast 
ohne die geringste Unterbrechung an. Nach Süden zu war die Lage 
unseres Zeltes ungeschützt, und gerade daher kam der Sturm und 
peitschte den Regen gegen die Zeltwäude, die diesem Anprall gegen- 
über sich nicht als dicht genug erwiesen. Nur mit Mühe konnten 
wir die Pflanzen und Instrumente vor der überhandnehmcuden Nässe 
schützen; jeden Augenblick mussten wir befürchten, dass das ganze 
Zelt uns über den Kopf hinweggerisseu werden würde. — Mit diesem 
Winde, so glaubten wir damals, musste der „Rodgers“ Wrangel-Laud, 
das Kapitän Berry sich als nächstes Ziel gestellt hatte, erreichen ; 
und auch für den „Strjelok“ hätte die Gelegenheit günstig sein 
müssen, wenn nicht Maugel an Provisionen ihm die Rückkehr bereits 
von Serdzekamen aus geboten hätte. 

So beschränkten wir uns denn darauf, Ort und Leute zu studiren. 
Geführt von Atelen, der auch den Dolmetscher abgab, besuchten wir 
die einzelnen Jarange, Taback den Männern, Zucker und Nadeln den 
Frauen und Kindern zutkeilend. Aus 28 Hütten Hessen wir uns die 
Zahl der Bewohner und deren Geschlecht angeben, wobei wir die 
folgenden Angaben erhielten: 


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7. Jarang lebten 3 männl., ö weibl, Individuen, zusammen 8 Personen, 


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77 


Also in 28 Jarangen lebten 79 männliche und 87 weibliche 
Individuen, zusammen 186 Personen. Diese Zahlen dürfen auf Zu- 
verlässigkeit Anspruch machen, da unser Führer die zufällig An- 
wesenden immer ausschloss und sich gewissenhaft nach der Zahl der 
gerade abwesenden Hausinsassen (mehrere Männer waren zum Walross- 
fang hinausgefahren und des stürmischen Wetters wegen nicht zurück- 
gekehrt) erkundigte. Ausser diesen 28 besuchten Jarangen zählten 
wir noch 14 weitere; die Gesammtzahl derselben beträgt also 42. 
Die Zahl der Bewohner dieser 14 Hütten auf 83 veranschlagt, er- 
giebt eine Gesammtbevölkerung von 259 Seelen. Möglicherweise sind 
bei der zerstreuten Lage der Wohnungen zwei oder drei derselben 
übersehen worden, immerhin aber werden die angeführten Zahlen 
ein im Allgemeinen zutreffendes Bild geben; auch stimmen hiermit 
die von Nordquist gemachten Angaben, welche auf Erkundigungen 
bei den Eingeborenen beruhen, hinlänglich überein. 

Die Bauart der Hütten war überall die gleiche ; nur in der Grösse 
zeigten sich Unterschiede. Alle hatten die Eingänge nach Westen zu 
gerichtet, die meisten lagen gleich hinter dem Strandgeröll auf der 
Höhe der Landzunge fast in einer geraden Linie, der Rest mehr zer- 
streut auf dem Wiesenterrain nach der Lagune zu. Grosse Steine, 
Walfischknochen und Treibholz bilden überall gleichsam das Fundament 
des Gebäudes. Bis zur Höhe von ungefähr l 1 /» m sind die Wände 
vom Boden aus nahezu senkrecht geführt, von da aus beginnt das 


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schief kegelförmige Dach, dessen Scheitel im ersten Drittel nach dem 
Eingänge zu gelegen ist. Der innere Raum zerfallt in zwei Ab- 
theilungen : die vordere, grössere, bildet den Wohnraum, in der Mitte 



Akenc's Jur&n#- 


des hinteren befindet sich ein viereckiger, etwa l 1 2 m hoher Ver- 
schlag, der Schlafraum der Familie, dessen Wände mit Renthierfellen 
dicht behängen sind. Die zu den Seiten desselben befindlichen 
schmalen Gänge werden als Aufbewahrungsorte fiir allerlei Geräthe 
benutzt. Die Hauptstütze des Gebäudes ist eine starke Holzstange 
oder Walfischrippe, „amteut“ genannt, welche von der Mitte des 
Wohnraumes bis hinauf zum Scheitel des Daches geht, 5 — 6 schwächere 
Stangen, „puinängit“, die 11m sie herum schräg gegen das Dach ge- 
stellt sind, dienen zur weiteren Stütze desselben. Ein komplicirtes 
System von Holzstangen und Walfischknochen vervollständigt das 
Gerippe des Daches und der Wände, welches mit straff gespannten 
und durch Lederriemen oder schwere Steine festgehaltenen Walross- 
häuten überzogen ist. — Iui Winter wird im Innern noch ein Zelt 
aus Renthierfellen gebaut, welches dann als Wohuraum benutzt wird. 

Die Männer von Uödle waren im Allgemeinen von mittlerer 
Grösse, aber kräftig und wohl gebaut. Vorstehende Backenknochen, 
etwas schief gestellte, geschlitzte Augen und breite platte Nasen 
waren auch hier die charakteristischen Merkmale. I11 der Haartracht, 
Tätowirung und Kleidung fanden sich keine bemerkeuswerthen Ab- 
weichungen von Dem, welches wir in der Lorenz-Bai beobachtet hatten. 


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29 


Die beiden einflussreichsten Leute waren Akenen und Jinkcrgin, 
beide im Besitze eines grossen hölzernen Hauses und gut eingerich- 
teter Jarangen. Nur die letzteren dienten ihnen als Wohnungen, die 
Hauser dagegen, die, obgleich wir über ihre Erbauung leider nichts 
Sicheres erfahren konnten, wohl einer amerikanischen Handelsunter- 
nehmung ihren Ursprung verdanken, waren Waarenhäuser. In ihnen 
sahen wir ausser vielen Fuchspelzen, Walrosszähnen und Fischbein 
für den Handel mit den weisseu Männern, auch Walross- und Seehunds- 
häute im rohen Zustande für den eigenen Bedarf, sowie eine grosse 
Anzahl von Erzeugnissen einheimischer Manufaktur, wie Fisch- und 
Seehundsnetze, Schlitten, Hundegeschirr, Peitschen, Bogen und Pfeile, 
Harpunen und Schneeschuhe, ausserdem aber auch die Erzeugnisse 
der Fremde, Tabackskisten, Mehlfässer, Musketen, Pulver und Blei, 
Zeuge, Aexte, Beile, Sägen und anderes Handwerkszeug ; soweit wir 
sehen konnten, Alles amerikanischen Ursprungs. 

Weniger wohlhabend war der von uns mehrfach als Führer 
und Dolmetscher in Anspruch genommene Atelen, in dessen Hause 
im Jahre 1870 der Kapitän eines gestrandeten Walfischfängers, 
Namens Barkei’, überwintert hatte. 

Die Autorität, welche die oben erwähnten Männer augenschein- 
lich ausüben, ist wohl nur auf Rechnung ihres grösseren Besitzes zu 
setzen. Der „chief“ ist jedes Mal der reichste Mann, ein „big man“, 
wie er auch wohl von den Amerikanern und den englisch sprechen- 
den Eingeborenen genannt wird. 

Nirgends haben wir Spuren eines staatlichen Gemeinwesens 
erkennen können und nur das Familienhaupt scheint grössere Gewalt 
über die einzelnen Glieder auszuüben. Aber althergebrachte Ge- 
wohnheit regelt auch ohne bestimmte Normen den gegenseitigen 
Verkehr der Ortsbewohner. Die Vertheilung von Geschenken, von 
Belohnungen für geleistete Dienste durften wir getrost den Häuptern 
überlassen; jeder erhielt dann seinen Theil nach Verdienst und 
Würdigkeit, sie selber selbstverständlich den Löweuantheil, und kein 
Widerspruch wurde dagegen laut, wie überhaupt Streit und Zank 
von uns nie bemerkt worden sind. Nach unseren Wahrnehmungen 
respektiren sie auch gewissenhaft den gegenseitigen Besitz, doch 
scheint die Benutzung von verschliessbaren Waarenhäusern und 
Schränken, wie wir sie mehrfach angetroffen haben, nicht für ein 
allzugrosses Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Landsleute zu 
sprechen. 

Eine der uns am meisten interessirenden Fragen war die nach 
dem Verhältuiss der Küstentschuktschen zu den Renthiertschuktschen. 
Der Aufenthalt in Uödle gab uns nun Gelegenheit, hierüber einige 


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Aufklärungen zu erhalten, die sich auch bei unserer späteren Reise 
südwärts als durchaus korrekt auswiesen. Aus wiederholten Er- 
kundigungen ergab sich das übereinstimmende Resultat, dass Küsten- 
und Reuthiertschuktsehen dieselbe Sprache sprechen, dass aller Wahr- 
scheinlichkeit nach nur eine verschiedene Lebensweise die beiden 
trenne, dass aber die älteren Angaben über ein gänzlich von den 
Tschuktschen verschiedenes Fischervolk an der Küste ihren Grund 
darin finden, dass in der That die den Diomedes-Inseln gegenüber- 
liegende bedeutende Ortschaft am Ostkap, Nüokan, ebenso wie die 
Diomedes-Inseln selber, von einem fremden Volksstamm, wahrschein- 
lich amerikanischen Ursprungs, bewohnt wird, und dass weiter an 
der südlichen Küste, von Kap Tschaplin (Indian Point) nach Westen 
zu, mitten unter den Tschuktschen, gleichfalls ein, wie es scheint 
nicht allzu zahlreiches Fischervolk mit gänzlich abweichender Sprache 
angesiedelt ist. Die ganze Nord- und Westküste aber, mit Ausnahme 
des erwähnten Nüokan, wird jedoch, wie es auch bereits Nordquist 
hervorgehoben hat, von einein in Sprache und Körperbau von den 
Rentliiertschuktschen nicht verschiedenem Volksstamme bewohnt. — 
Selbstverständlich muss bei einer so abweichenden Lebensweise sich 
in Kleidung und Geräth ein äusserlich auffallender Unterschied 
zwischen beiden Berufsklassen zeigen, aber dieser Unterschied ist 
kein tiefgehender, er erstreckt sich nicht einmal auf Familien, ge- 
schweige denn auf Geschlechter und Stämme. Der eine oder andere 
Uüdlaner hat einen Bruder, einen Verwandten unter den Renthier- 
tschuktscheu ; ja derselbe Jinkergin, der in Uedle eine Jarange und 
ein grosses Waaienhaus besitzt, hat in Tuuätschkau, auf der süd- 
westlichen Seite der Lagune, eine nicht unbedeutende Renthierheerde 
und begegnet uns später während unseres Aufenthaltes in Tunkan 
als Führer eines Kanoes, welches nach Kap Intschauin zur Walross- 
jagd auszieht. 

Bis zum Kap Serdze nach Nordwesten und bis Indian Point 
nach Süden zu war die Küste einzelnen Uüdlanern mehr oder weniger 
bekannt; selten jedoch machen sie zur Sommerszeit in ihren Böten 
so weite Reisen, kaum dass sie mit denselben südwärts über die 
Loreuz-Bai hiuausgehen. Grössere Reisen werden mit Hunde- und 
Renthierschlitten während des Winters unternommen, mitunter bis 
zu den Russen an der Kolyma, von denen sie angaben, dass sie in 
hölzernen Häusern wohneu und grosse Thiere, „Kong“ genannt, 
besitzen, und mit deren Art und Weise der Begrüssung sie wohl 
bekannt waren. Drei Monate lang soll die Reise bis zu denselben 
in Anspruch nehmen. 

Der Zugehörigkeit zu Russland waren sich die Bewohner von 


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U6dle nicht bewusst, während in der Lorenz-Bai und später auch in 
der Plover-Bai die Leute sich uns gegenüber, die wir für Russen 
galteu, öfters gleichfalls als Russen ausgegebeu haben. Doch zeigte 
uns Jinkergin gelegentlich ein russisches Petschaft mit dem Bildniss 
eines Walrosses uud einer Umschrift, welche, wie es schien, den 
Besitzer als eine Art Aeltesten unter seinen Stammesgenossen kenn- 
zeichnen sollte. Ferner zeigte uns Atrien eine iu englischer Sprache 
gedruckte Instruktion, welche in den letzten Jahren von den russi- 
schen Klippern an diesen Küsten vertheilt worden ist, uud durch die 
den Amerikanern der Fang von Walfischen und Walrossen nahe der 
Küste, desgleichen das Auskochen von Thran in den asiatischen 
Iläfen, sowie der Handel mit Schiesswaffen, Munition und Spirituosen 
untersagt wird. Allerdings scheint eine energische Durchführung 
dieser Verbote im Interesse der Küstenbevölkerung zu liegen. 
Allenthalben haben wir Klagen über Huugersnoth im Winter gehört; 
namentlich im vergangenen Jahre sollen besonders zahlreiche 
Menschenleben aus Mangel au Nahrung zu Grunde gegangen sein, 
und immer gab mau als Ursache den abnehmenden Reichthum von 
Walfischen und Walrossen an. In der That, die amerikanischen 
Walfisch- und Walrossfänger haben in wenigen Jahren bewirkt, dass 
das Walross, welches früher nach übereinstimmenden Angaben ausser- 
ordentlich häufig au diesen Küsten war, jetzt eine seltene Erscheinung 
geworden ist. Namentlich ist es der von den Einsichtigen mit Recht 
beklagte Umstand, dass die Kühe grösstentheils in einer Zeit ge- 
tödtet werden, iu der die Jungen noch nicht fähig sind, für sich 
selbst zu sorgen, welcher die völlige Vertilgung dieser Thiere nur 
eine Frage der Zeit sein lässt. Während früher der Eingeborene 
beim Eintritt des Winters mit dem nahenden Eise Schaaren von 
Walrossen an seinen Küsten erwarten konnte, bleibt jetzt häufig 
diese Quelle seines Unterhaltes aus, was für ihn um so verderblicher 
sein muss, als er noch nicht gelernt hat, in den Zeiten des Ueber- 
flusses für den kommenden Winter zu sorgen. Daher treffen die 
russischen Verbote, soweit sie den Walfisch- und Walrossfang an 
den Küsten verbieten, auch nicht den eigentlichen Kern der Sache, 
und uur durch internationale Verträge könnte vielleicht die gäuz- 
liche Ausrottung der Thiere verhindert werden. 

Wenn im Frühjahr die amerikanischen Walfischfänger an diese 
Küsten kommen, so pflegen sie einige der Eingeborenen an Bord zu 
nehmen, indem sie dadurch brauchbare uud zugleich billige Arbeits- 
kräfte sich verschaffen. Denn der Tschuktsche, sonst gewohnt, aus 
Allem, was er den Fremden verhandelt, den möglichsten Vortheil zu 
ziehen, achtet körperliche Dienstleistungen, wenn er nur genug zu 


^ Coogle 



32 


essen erhält, für gering und in seiner Freude über den kargen Lohn 
an Taback, Messern u. A. vergisst er, dass er den ganzen Sommer 
verloren hat, in dem er für den kommenden Winter hätte sorgen 
können. — Andererseits wird dem Küstenbewohner durch den Ver- 
kehr mit den Amerikanern ein leichter Absatz für sein Fischbein, 
seine Felle uud Walrosszähne eröffnet, durch den er sich bessere 
Waffen, Jagdgeräthe und Werkzeuge zu beschaffen vermag, wenn 
ihn nicht, wie es leider oft genug der Fall ist, der gewissenlose 
Händler durch das Anbieten des verlockenden „Kam“ um diese Vor- 
theile bringt. Könnte diesem verderblichen Spiritushandel auf irgend 
eine Weise Einhalt gethan werden, so wäre damit sicherlich besser 
für die Eingeborenen gesorgt, als durch die oben erwähnten Prokla- 
mationen, über die, wie uns Atclen nicht ohne Bitterkeit erzählte, 
die amerikanischen Kapitäne doch nur lachen. 

Walfisch-, Walross- und Seehuudsfleisch bildet noch heute die 
Hauptnahrung der Bevölkerung; Fische (Lachse und Dorsche) sind 
nur an wenigen Orten in reichlicher Anzahl vorhanden; an Vögeln 
sind Schaaren von Enten und kleinen Straudläufern an der ganzen 
Küste anzutreffen, weniger häufig haben wir Graugänse gesehen. 
Am eifrigsten wird von Jung uud Alt die Entenjagd betrieben. In 
U6dle trug fast Jeder die Eutenschleuder, welche aus 5 — 7, durch 
schmale Lederschuüre mit einander verbundenen Knochenstücken 
besteht und beim Nichtgebrauch so um das Haupt herumgeschlungen 
wird, dass die Schnüre von dem herabfallenden Haarkranze bedeckt 
werden und die grossen Kugeln vor der Mitte der Stirn herabhängeu ; 
doch haben wir diese Mode nur am Ostkap beobachtet. Von der Lagune 
aus pflegten jeden Morgen uud Abend grosse Eutenschaaren über 
den Ort hinweg nach dem Meere zu fliegen. Dann wurden durch 
Pfeifen und Schreien die Thiere so geäugstigt, dass sie ihren 
Flug abwärts richteten und nun durch die mit grosser Sicherheit 
geworfene Schleuder oder durch Flintenschüsse erreicht werden 
konnten. 

Ausser der Entenschleuder trägt jeder Knabe und Mann eine 
Steinschleuder im Gürtel, die völlig der auch bei uns von Kmaben 1 
gebrauchten gleicht; nur ist der Wurf ein ganz andrer, da sie, wie 
auch die vorher erwähnten Entenschleudern, horizontal und nicht 
vertikal geschwungen wird. 

Obgleich der Gebrauch von Schusswaffen im ganzen Lande 
immer allgemeiner wird, so sind doch in Uödle für die Jagd auf 
kleinere Thiere Pfeile und Bogen noch sehr gebräuchlich. Die 
meisteus aus Knochen und Elfenbein gefertigten Pfeilspitzen haben 
je nach ihrer Bestimmung eine verschiedene Gestalt, namentlich 


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sind die vielspitzigen Entenpfeile, welche an einer langen aus Fisch- 
bein gefertigten Schnur befestigt sind, recht bemerkenswert!!. Beim 
Spannen wird der Pfeil nicht zwischen Daumen und Zeigefinger, 
sondern zwischen Zeige- und Mittelfinger gehalten. 

Zur Zeit unseres Aufenthalts in U6dle sahen wir Frauen und 
Kinder, wenn es das Wetter irgend gestattete, auf die benachbarten 
Bergwiesen wandern, um hier Blätter und Wurzeln verschiedener 
Pflanzen einzusammeln, theils für den augenblicklichen Bedarf, theils 
auch als Nahrungsvorrath für den bevorstehenden Winter. Es sind 
namentlich die Blätter des rundblättrigen Steinbrechs (Saxifraga 
rotundifolia), der Knöteriche (Polygonum viviparum und bistortum), 
der Ampfer (Rumex sp. und Oxyria reniformis) und einiger Weiden- 
arten , welche mit Seehundsthran entweder roh genossen oder 
mit Wasser zu einem Spinat ähnlichen Brei von, wie wir selber 
erprobt haben, gar nicht so üblem Geschmack gekocht werden. Die 
Wurzeln von Polygonum bistortum und die unterirdischen Knollen 
einer Phacaart dienen gleichfalls als Nahrungsmittel. 

Am Dienstag, de)i 23. August, war der Sturm am heftigsten; 
die Wände unseres Zeltes waren schon mehrfach durchlöchert und 
die gelockerten Pfosten mussten wiederholt fester eingeschlagen werden. 

Als wir uns gegen Abend, nachdem wenigstens der Regen etwas nach- 
gelassen hatte, zu einem kleinen Spaziergange herauswagten, war die 
Gewalt des Sturmes so gross, dass es fast die Aufbietung aller Kräfte 
erforderte, um gegen denselben anzukämpfen. Nur die steilen Felsen 
am nahen Meeresufer boten Schutz; hierher hatten sich zahllose 
Strandläufer geflüchtet und von hier aus konnte man auch das gross- 
artige Schauspiel der aufgeregten See in Müsse betrachten. 

In der folgenden Nacht hörte der Sturm gänzlich auf und am 
Morgen des 24. August rüsteten wir uns zur Abreise. So wichtig 
auch ein längerer Aufenthalt in Uddle für eine nähere Bekanntschaft 
mit dem Volke gewesen wäre, so Hess uns doch die Rücksicht auf 
die vorgerückte Jahreszeit, in der ausser einer längeren Bootreise 
noch manche Aufgaben zu erledigen waren, nicht länger mit der 
Rückkehr zögern. Noch wurden schnell mehrere Geräthschaften ein- 
gehandelt, einige Geschenke unter die uns bei der Verladung der 
Gepäckstücke unterstützende Bevölkerung vertheilt, daun der Anker 
gelichtet, und die Fahrt zunächst nach Westen, zu der schmalen 
Durchfahrt nach dem Meere, gerichtet. Wir hatten Atelen bis zur 
Lorenz-Bai- mitnehmen wollen, wozu er sich auch Tags zuvor bereit 
erklärt hatte. Im letzten Moment jedoch zeigte er sich abgeneigt 
und ebensowenig Hess sich ein anderer bereit finden, so dass wir uns 
allein auf den Weg machen mussten. Vielleicht wurden die Leute 

Geogr. Blätter. Bremen 1882. 3 

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durch das noch immer unsichere Wetter, vielleicht aber auch durch 
den Umstand abgehalten, dass in diesem Augenblick gerade die 
Walrossfänger mit guter Beute zurückkehrten. Das Herannahen der 
vier vor dem frischen günstigen Winde rasch dahinsegelnden Böte 
gewährte einen malerischen Anblick; ein jedes führte zwei aus blauem 
und weissem Kaliko sauber zusammengenahte Segel, ein kleineres 
von der Form eines liegenden Rechtecks über dem grossen mehr 
quadratischen Hauptsegel, welches letztere durch zwei von den Seiten- 
wänden des Bootes schräg nach vorn gerichtete Stangen in seiner 
Lage festgehalten wird. 

Namen der Orte an der Küste von Kap Intschauin bis Plover-Bai. 

1. Intschauin (grosses Dorf, nach Erkundigungen bei Atelen undllidlako ausUedle). 

2. Tumkan (10 Hütten, bei persönlichem Besuch gezählt). 

3. Gadlandgöadlin (Renthiertscliuktschen, nach Atelen). 

4. Tunätschkan (Jinkergin’s Wohnung, nach Hidlako). 

ö. Uödlo (42 Hütten, während dreitägiger Anwesenheit gezählt). 

6. Nüokan (Natne nach Hidlako und Atelen; ungefähr 50 Hütten, vom Boote 

aus gezählt). 

7. Enmittan (1 Hütte, nach Hidlako). 

grosse Diomedcs Insel = Imadün, Dorf Kuküma (Hidlako). 
kleine „ „ = Engädlin (Hidlako). 

Dorf bei Kap Pr. Wales = Küomin (Hidlako). 

8. Nunädlun (4 Hütten, vom Boote aus gesehen, Name nach Hidlako). 

9. Leimin (5 Hütten, nach Hidlako). 

10. Pöoten (4 Hütten; viertägiger Aufenthalt daselbst). 

11. Tschiingen oder Tschiimin (Name nach Hidlako und Bewohnern von Pöoten 

und Tschiingen, Hütten vom Boote aus gesehen). 

12. Nuniamo oder Nunämo (13 Hütten, vom Boote aus gezählt und nach Erkun- 

digungen bei Einwohnern). 

13. Nutepelmen (2 oder wenige Hütten der Familie Tröoscliin, nach Hidlako. 

Platz von Lütkes-Hafen aus gesehen). 

14. Jandanga (Name nach Hidlako, Wohnsitz von Jonnyboy, 8 Hütten, vom Boote 

aus gezählt). 

15. Akanin (Name nach Hidlako, 4 Hütten, vom Boote aus gezählt). 

16. Kukun (Name nach Hidlako, gegen 20 Hütten, vom Boote aus gezählt). 

17. Ydleän (Name nach Hidlako, 2 Hütten, vom Boote aus gezählt). 

18. Floren (Name nach Hidlako, 2 Hütten, vom Boote aus gezählt). 

19. Metschüemen (Name nach Hidlako, 7 Hütten, vom Boote aus gezählt). 

20. Nachtschüan (Name nach Hidlako, mehrere Hütten, vom Boote aus gezählt). 

21. Möingen (Name nach Hidlako, 3 Hütten, vom Boote aus gezählt).*) 

22. Jandakinut (Name nach Hidlako, 3 Hütten, vom Boote aus gezählt). 

23. Unguasohek (Name von einem Bewohner des Ortes, ungefähr 12 Hütten, bei 

persönlichem Besuche gezählt). 

24. Nukamok (Name von den Bewohnern, doch zweifelhaft, 2 Hütten, vom Boote 

ans gesehen). 


*) In der Karte ist irrthümlich M 6 in grau verzeichnet. 


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25. Kaliko (nach dem Namen des Ortes gefragt, erklären die Bewohner, „ei- 

laute ebenso wie Kalikoo“). 

26. Awün (Name nach Kingak aus Awän und Hemlo' aus Hirak). 

27. Birak (Name nach Kingak und Hemlo, 8 Hütten, bei persönlicher Anwesen- 

heit gezählt). 

28. Nasskätulok (2 Hütten, bei persönlichem Besuche gezählt, Name von Hemlo). 

29. Akätlak (Name nach Hemlo); im Flussthal ein Renthicrmann mit Namen 

Auäut, Besitzer einer grossen Renthierheerde, nach Westen folgen nach 
Hemlo : „Uten, viele Häuser, Atschongun, Tschendlin, Nonlüdan, Enmidlan, 
Üclkudlan, Atschkan. 

Name der laugen, schmalen Insel südlich der Heiligenkreuz - Bai , nach 
Hemlo, ist Masken. Die Böte, welche nach dem Anadyr fahren, gehen gewöhn- 
lich zwischen dieser Insel und dem Festlande und meist auch der Küste der 
Heiligenkreuz - Bai entlang. Nur bei sehr günstigem Wetter fahren sie quer 
herüber. 

Auf der handschriftlichen Karte der Herren Dr. Krause, welche in Tafel 1 
wiedergegeben ist, wird bemerkt: „Von folgenden Orten ist die genaue Lage 

zweifelhaft: Tunätsclikan, Gadlandgoadlin, I.öimin, Akanin. Die Namen sind 
zweifelhaft von: „Akanin, Kukün, Ydlean, Floren, Möingen, Jandakinut,Unguaschek, 
Nukamok, Kaliko.“ 


Ein Besuch auf Timor. 

Von Th. Stader*). 

n. 

In einem Aufsatze, welcher im Jahrgang II, Heft IV. dieser 
Blätter erschien, suchte ich ein Bild von der Insel Timor und Er- 
innerungen an einen mehrtägigen Ausflug in das Innere zu geben. 

Jener Ausflug, unternommen unter der Leitung des Kommandanten 
der Korvette „Gazelle“, Freiherrn v. Schleinitz, hatte an der 
Ostkiiste der Bai von Kupang sein Ende gefunden, da über- 
schwemmte Reisfelder einem weiteren Vordringen nach Norden 
zu Lande ein Ziel gesetzt hatten. Die Expedition war daher von 
Babauw nach Kupaug und von da an Bord des Schiffes zurück- 
gekehrt. Die Besteigung der Bergketten, nördlich der Bucht von 
Koepang war jedoch nicht aufgegeben. Täglich lockten die zackigen 
Gipfel des 4000 Fuss hohen Vatu Leo**) und seiner Ausläufer und 
endlich wurde beschlossen zu Boot das Rottinesendorf Pariti an 
der Nordostküste der Bai zu erreichen und von dort zu Pferde in 
das Gebirge vorzudringen. 

*) Den ersten Artikel s. in Jahrgang II, S. 230 dieser Zeitschrift. 

**) Vatn ist das malayische Bato ; die Timoresen verwandeln das malayische 
B in V ; die niederländischen Karten verzeichnen Fatu, aber Vatu entspricht 
phonetisch besser. 

3 * 

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Die Gebirgsketten, welche im Norden der Bai von Koepang 
bei Sulamoe beginnen und sich parallel der Nordküste der Insel 
erstrecken, haben einen wesentlich verschiedenen Charakter von 
denen, welche die Expedition in der Gegend von Koepang und in 
Amarattie durchstreifte. Hier mehr breite Rücken, oft plateau- 
artig ausgedehnt, umlagert von recenten Korallenkalkformationen, 
die leicht der Verwitterung ausgesetzt, in steilen Wänden die Ufer 
der sich einschneidenden Bucht begrenzen, dort parallele Bergreihen 
in mehreren Parallelketten hintereinanderlaufend, die schmalen Rücken 
in oft zackige Gipfel zerschnitten. 

Die südlichste Kette erhebt sich am Nordwestkap der Bai, 
bei dem Ort Sulamu, im Vatu Sulamu oder Gunung Bimanasi, 
einem Gipfel von über 3000 Fuss Höhe; dann folgt der Gunung 
Kalali, welchen eine tiefe Depression, vom Paritifluss durchströmt, 
von der weiter östlich bis in das Reich Manubait sich erstreckenden 
Kette des Vatu Leo, des über 4000 Fuss hohen heiligen Berges, 
mit dreizackigem nackten Gipfel, trennt. 

Hinter der Depression erkennt man die höheren Gipfel der 
zweiten Parallelkette, die sich in dem schroffen, kahlen Gipfelzacken 
Tai Mananu bis 40(X) Fuss erhebt, eine dritte Parallelkette folgt nörd- 
lich davon. Südlich dieser Höhenreihen dehnt sich ein flaches Vor- 
land bis zum Meeresstrand, dasselbe bildet am Nordufer der Bai 
palmeubewachsene, wasserreiche Ebenen von über eine Stunde Breite 
und dehnt sich noch weit am Ostende der Bai dahin über Babauw 
bis an die östliche Grenze des Gouvernementsgebietes. 

Diese Ebene hat ganz den Charakter eines angeschwemmten 
Landes und senkt sich ganz allmählich unter den Wasserspiegel in die 
Bucht von Kupang. 

Am 22. Mai 1875 ging eine zweite Expedition von Seiten der 
„Gazelle“ ab, um mit einer Dampfpinass den Ort Pariti zu erreichen 
und von da zu Pferde in das Gebirge vorzudringen. Theilnehmer 
waren der Kommandant der „Gazelle“, Kapitän v. Schleinitz, der 
Stabsarzt Dr. Naumann, der Adjutant Leutnant Zeye, der Zahl- 
meister v. Lindenberg und der Verfasser. 

Ein malayischer Polizeiofficier, welcher uns schon auf der letzten 
Exkursion gute Dienste geleistet, begleitete uns wieder, während der 
Polizeichef der Kolonie die Fahrt nur bis nach Pariti mitmachte, 
um dort die nothwendigeu Leute und Pferde für unser Fortkommen 
aufzubieten. Das Boot verfolgte zunächst die Südküste der Bai 
bis zur Höhe eines weissen Korallenfelseus , des Vatu Puti, der 
durch seine Farbe als Landmarke weithin sichtbar ist, dann wurde 
die Bai in schräger Richtung nach NO. gekreuzt. Hier machte sich 


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bald der Ostmonsun, der unter Kupang und der nach Ost fort- 
laufenden Küste noch durch die hinterliegenden Höhenzüge abgehalten 
war, fühlbar. Kurze Wellen schaukelten das Boot, und zwar um 
so mehr, je mehr es sich dem dort sehr seichten Ufer näherte. 
Endlich war gegen Mittag das Land erreicht. Zunächst war es ein 
flacher Strand von Creeks durchschnitten und von Mangrovedickicht 
besetzt, der sich den Blicken darbot. Erst hinter dem Gürtel dieser 
Eieberterrains dehnte sich trockener, grasbewachsener Boden, von dem 
sich das reinliche Dörfchen Pariti, halb zwischen Bäumen versteckt, 
hervorhob. 

Gleich am Strande war Gelegenheit die Art einer Gesteins- 
bildung zu beobachten, welche in den mitteleuropäischen Tertiär- 
ablagerungen, namentlich am Abhange der Alpen, häufig gefunden 
wird, nämlich des Muschelsandsteins. Der Paritifluss, vom nahen 
Gebirge strömend, bringt sein Geröllmaterial von wallnuss- bis faust- 
grossen Stücken Porphyr, Serpentin, Kalk, Jaspis dem Meere zu und 
ergiesst es über den seichten Strand, gegenan aber rollen die Wellen 
vom Ostmonsun erregt, und mischen den aufgewühlten Sandschlamm 
mit den Gerollen, darunter die Schalen der schlammbewohnenden 
Mollusken, der Melania, Potamides, Cerithium, Cardium, Area u. A. 
vermengend. Ihrem weiteren Vordringen setzen die Wassersenker 
und Wurzeln der Mangroven einen Damm entgegen. Wechselt nuu 
in der anderen Hälfte des Jahres der Monsun, so wird das Wasser 
von der Küste abgetrieben, die zum Theil trocken werdenden sand- 
gemischten Gesteins- und Muscheltrümmer konsolidiren sich durch 
den, aus dem verdunstenden Wasser zurückbleibenden Kalk und es 
bleibt ein fester Muschelsandstein, welcher nun dem nächsten Wogen- 
andrang widersteht. Ein solcher bildet zunächst die Grundlage 
der Küste. 

Während dieser Ruhepause dringt auch die Mangrovevegetation 
weiter vor und mischt ihre abfallenden Blätter dem Sandschlamme 
bei, in welchen sie ihre Senker eintaucht. Kehrt der Ostmonsun 
zurück, so wird die Vegetation wieder zurückgedrängt, so weit sie 
nicht auf dem schon konsolidirten Boden steht und das Blätterlager 
des Grundes wird wieder überdeckt mit Muschelsand und Geröll. 

Unwillkürlich treten mir hier gewisse Profile in meiner heimischen 
Molassegegend vor Augen, wo wir Mergel, erfüllt mit Laurineen- 
blättern und Brackwassermuscheln wechsellagernd mit Muschelsand- 
steinen und Nagelfiuh antreffen. Auch hier waren es wohl flache 
Buchten, welchen rasch fliessende Bäche das Geröll des nahen 
Nagelfluhgebirges zuführten. Gegenan wälzte der herrschende Süd- 
westwind seine Wellen, die Sand und Muschelschalen mit dem Gerolle 


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mischten. Dann folgten die winterlichen Ostwinde, welche das Wasser 
abtrieben und die Vegetation Vordringen Hessen, bis wieder Siidwest 
eintraf, vorausgesetzt, dass die Windverhältnisse die jetzigen waren, 
was wohl für die verschiedensten Erdperioden Geltung haben wird. 

Unsere Ankunft war vom Dorfe aus bald bemerkt worden, der 
Ortsvorsteher (Fetor) kam uns mit einigen Leuten zum Empfang 
entgegen und geleitete uns nach dem wenig landeinwärts liegenden 
Pariti, wo wir vorläufig Unterkunft fanden, bis die nöthigen Menschen 
und Pferde zur Weiterreise aufgebracht waren. Der officielle Ver- 
treter der holländischen Macht, der Posthalter, war, auf einer Heise 
ins Innere begriffen, abwesend. Trotzdem fanden wir freundliche 
Aufnahme theils in seinem Hause, theils in dem luftigen geräumigen 
Zimmer des Schulhauses, wo die Hängematten für die Nacht ange- 
bracht wurden. 

Pariti ist eine Ansiedlung von malayischen Rottinesen, deren 
Dörfer sich längs der ganzen Küste der Bai von Kupang erstrecken, 
die holländische Regierung vertritt der Posthalter, während als Orts- 
vorsteher ein Rottinese mit dem Titel Fetor (nach dem Portugiesischen 
Feitor, Factor) funktionirt. Die Häuser liegen zerstreut in Gärten, 
in denen Bananen, schwarzer Pfeffer, Bataten, Limonen gepflegt 
werden. Das Haus des Posthalters und das Schulhaus liegen an 
einem grossen, grasbewachsenen Platz, der von riesigen Banjanbäurnen 
beschattet wird. Das Schulhaus, mit einem hohen, luftigen Schul- 
zimmer, enthält die gewöhnlichen Requisiten einer Primarschule, 
Karten, so die Wandkarte der Welt, Hollauds und der niederländisch- 
indischen Besitzungen, die Karte Timors. Den Unterricht leiten 
amboinesische Lehrer. Nach den Schreibheften der Kinder, welche 
in der Schulstube sich befanden, die Aufsätze und Diktate in 
malayischer Sprache mit lateinischen Lettern enthielten, stehen die 
dortigen Kinder in keiner Weise gegenüber ihren europäischen Alters- 
genossen zurück. 

Gegen Norden hin wird Pariti durch ein Blockhaus, das eine 
etwas alterthümliche Kanone besitzt, vor feindlichen Ueberfällen 
geschützt. Die Umgebung ist wenig kultivirt, Reis gedeiht hier 
nicht, ein Versuch mit Zuckerplantagen scheiterte an der dünnen 
Humusschicht, die auf hartem Untergrund liegt, der wahrscheinlich 
von dem jungen Muschelsandstein gebildet wird, welcher noch jetzt 
an der Küste entsteht. 

Dagegen liefert die Ebene Nahrung für Büffelheerden und die 
reichlich wachsenden Gavang- und Lontarpalmen Zuckersäfte und 
Palmwein, der gegohren und mit Honig gemischt das angenehme 
timoresische Bier liefert. 


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Früh am nächsten Morgen wurde nach dem Gebirge auf- 
gebrochen, um noch am Abend den Gebirgskamm zu erreichen und 
am nächsten Morgen den Gipfel mit frischen Kräften zu besteigen. 
Als Führer diente der Fetor von Pariti, ein älterer Malaye, hegleitet 
von einigen Itottiuesen, so dass auf dem engen Pfade, dem wir 
folgten, ein ziemlich langer Zug von Heitern sich entwickelte. 

In gleichmässigem Trabe bewegten wir uns auf vielfach ge- 
wundenem Pfade durch das ebene Terrain bis zum Gebirge, das 
etwa V!» Stunde Wegs entfernt war. Den Weg säumte Iluschwerk 
von niederen Pflanzen, dazwischen standen zerstreut die Gawang- 
palmen, ihre breiten Fächerblätter ausstrcckcnd, untermischt mit 
fiederblättrigen Tamarinden, Acacien und Caesalpinien. In diesem 
lichten parkartigen Gehölze fehlte es auch nicht an fröhlichem 
Thierleben. Aus den Zweigen der Tamarinden tönte das Girren 
der Fruchttauben (Carpophaga vinacea Tem.), die an den Früchten 
der Gawangpalmen ihre Morgeumahlzeit gehalten. Schwalbenwürger 
(Artamus) und der Tropidorhynchus Timoriensis, die einen, um die 
honiglüsternen Insekten abzufangen, der andere, um seine Bürsten- 
zunge in den süssen ausschwitzenden Saft des Baumes zu tauchen, 
umflatterten die Wipfel der Gawangpalmen und zwischen den niederen 
Gebüschen schlüpften die Pärchen der zierlichen langschwänzigen 
Erdtaube (Geopelia Mangei Teni.). 

Nach einer Stunde war das Gebirge erreicht, der Weg folgte 
nun dem breiten Thale, das der Paritifluss sich durch die nordwest 
fallenden Schichten eines röthlichen Kohlenkalkes eingefressen hatte. 

Mit dem Betreten dieser Formation änderte sich mit einemmale 
die Umgebung. An die Stelle des lichten Palmenparkes trat dichter 
Kasuarinenwald. Die melancholisch im Winde rauschenden Bäume 
erinnern mit ihren schachtelhalmartigen Zweigen an die Vegetation 
der Kohlenperiode, deren Zeugen, die Kalk- und Sandsteinlager, 
welche den Boden Timors grössten theils ausmachen, noch jezt den 
Vegetationscharakter ihrer Bildungszeit festhalten zu wollen scheinen. 

Der Weg folgte bald dem jetzt rasch mit starkem Gefälle dahin- 
strömenden Paritifluss, bald kreuzte er ihn, je nachdem das rechte 
oder das linke Ufer der Begehung günstiger war. Sehr viele An- 
sprüche durften freilich an den Weg nicht gemacht werden, oft 
kreuzte er einen in den Fluss mündenden Seitenbach, der sich eine 
tiefe Kinne eingegraben hatte. Vorsichtig stiegen dann die kleinen 
sicheren Pferde den steilen Uferabhang hinunter und ihre Schuld 
war es nicht, wenn es einem Reiter passirte, dass er über den Hals 
des Pferdes rutschend, vor demselben in dem Bachbett anlangte. 
Unten war der Grund feucht und weich, so dass der Ueberraschte 


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gern den Spott für den Schaden nahm. Wir waren noch nicht weit 
auf dem ansteigenden Wege fortgerückt, als ein Zug eingeborner 
Timoresen zu Pferde und zu Fuss uns entgegenkam. An der Spitze 
schritt ein Mann, umkleidet mit dem braunen Sarong, auf der Schulter 
trug er ein altes Steinschlossgewehr, seine Hand lenkte ein Pferd, 
auf dem eine Frau in mittleren Jahren, mit angenehmen, energischen 
Gesichtszügen sass. Hinter ihr ritt ein älterer Mann, nur mit dem 
Klewang, dem schwertartigen, einschneidigen Messer in hölzerner 
Scheide bewaffnet, bekleidet mit dem braunen Sarong und dem schal- 
artigen braunen Ueberwurf. Ihm folgte, auf einem Pferde sitzend, 
ein junges Paar. Ein junger Bursche, dem ein scharlachrothes uin 
das buschige Haar geschlungenes Tuch ein keckes, * ansprechendes 
Aussehen gab, hielt vor sich ein junges Mädchen, das seinen Arm 
um ihn geschlungen hatte. Den Reitern folgten zwei Diener zu 
Fuss. Diese Timoresen, die sich in Aussehen nicht von den im süd- 
lichen Gebiet beobachteten unterscheiden, trugen alle als eigenthüm- 
lichen Schmuck einen Ring von Ziegenfell um die Knöchel. 

Das Zusammentreffen gab Veranlassung zu einer Unterhaltung 
mit unsrem Führer, der ältere Reiter stellte sich als Radjah von 
den höher gelegenen Distrikten heraus; als er vernahm, dass er in 
den Reisenden den Kapitän des deutschen Dampfschiffes (Radiah 
Kapal api, wörtlich : den Chef des Feuerschiffes) und seine Begleiter 
vor sich habe, erbot er sich sogleich in der höflichsten Weise, wieder 
umzukehren und als Führer zu dienen. Für seine Geschäfte, die er 
in Pariti besorgen wollte, wurde das junge Paar geschickt, die 

übrigen kehrten um, uns das Geleite zu geben. Die Timoresen 

nahmen nun die Spitze des Zugs und rasch ging es den 

steiler werdenden Weg am rechten Ufer des Paritiflusses, der jetzt 
in einem förmlichen Thale floss, hinan. An unsren neuen Begleitern 
fielen bald mehrere Eigentümlichkeiten auf, die sie von den ver- 
schlossenen Malayen wohl unterscheiden. Zunächst zeigte die Frau, 
dass ihre Stellung eine andere war, als man diese sonst bei den 
Völkern des indischen Archipels gewohnt ist. Sie ritt an der Spitze, 
ihr Pferd führte der bewaffnete Krieger, sie gab ihren Begleitern 
Befehle und ihre Stimme hatte wesentlich dazu beigetragen, dass der 
Radjah seine unternommene Reise aufgab und unsere Führung über- 
nahm. Eine selbständige Stellung der Frau, die sich auch im 

weiteren Verlauf unserer Exkursion kund gab, treffen wir erst wieder 
bei den polynesischen Völkern der Südsee. Der Radjah selbst war 
ein sehr fröhlicher alter Herr, beständig hielt er laute Selbstgespräche; 
entdeckte er auf der anderen Thalseite einen Menschen, so hielt er 
gleich dorthin eine Anrede, jeden Satz mit einem frischen Jauchzer 


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schliessend, der von drüben beantwortet wurde, eine Sitte, die mich 
lebhaft an die analoge unserer Bergbewohner erinnerte. 

Im Laufe des Weges gebot plötzlich der gewehrtragende Führer 
Halt. Er hatte oben im Gebüsch ein Wildschwein entdeckt, das 
sorglos nach Wurzeln grub. Kaum war das Signal zum Anhalten 
ergangen, krachte schon das alte Steinschlossgewehr und das Schwein, 
von der Steinkugel auf über 60 Schritt aufs Blatt getroffen, sank 
lautlos zusammen. Triumphirend trugen es die Diener dem wieder 
vorwärts schreitenden Zuge nach. Es wurde Mittag, aber die Hitze 
war unter den dichten Bäumen an dem rasch hinfiiessenden Wasser 
nicht drückend. An einer freien Stelle wurde Halt gemacht, um 
eine verdiente Stärkung zu nehmen. Der Lagerplatz war an einem 
interessanten Punkte. An das Thal des Flusses, das sich hier etwas 
erweiterte, lagerte sich ein Bergvorsprung, von dessen östlicher Seite 
ein Zufluss in den Paritifluss strömte. 

Am Ufer des Flusses stand grauer Kalk in 20° Nordwest fallenden 
Schichten an, die Gerolle des Flusses bestanden theils aus diesem 
Kalke, theils aus Gesteinen von Serpentin, Diorit und grünem Porphyr, 
die wohl von dem Bergvorsprung stammen, welche aber anstehend 
nirgends zu finden waren, ebenso wenig wie im weiteren Ansteigen 
eine Störung in den immer gleiehmässig NW. fallenden Schichten 
des grauen Kohlenkalkes wahrzunehmen war. An diesem Punkte 
war die vom Flusse durchschnittene südliche Bergkette passirt und 
unser Ziel, der Tai Mananu, lag nun direkt vor uns. 

Nach eingenommener Mahlzeit, wozu uns von dem frischerlegten 
und rasch am Feuer gebratenen Wildschweine ein saftiger Theil 
willkommen war, wurde die Reise fortgesetzt. Der Weg, über dem 
rechten Ufer des Flusses sich hinziehend, stieg ziemlich steil empor. 
Die Vegetation fing an sich zu ändern. An die Stelle der Kasuarinen 
trat der Bambus (Bambusa spinosa), gemischt mit Laubbäumen, 
zuweilen auch erhoben sich unter dem schattigen Blätterdach schlanke 
Stämme von Cycadeen, ihre zierlichen Wedel ausbreitend; endlich, 
schon gegen Abend, war die Höhe der Kette erreicht. Zu unserer 
Linken im Westen erhob sich der nach Süd senkrecht in nackter 
Felswand abfallende Gipfel des Tai Mananu, sein nördlicher Abfall 
senkte sich zu einem flachen Hochthal, dessen Mulde nach Norden 
wieder von Süd fallenden Kalkschichten begrenzt war. 

Man hatte es also mit einem regelrechten Synklinalen Hoch- 
thale zu thun, einer sogenannten Kombe, wie sie zwischen Parallelketten 
Regel sind, an der südlichen Thalwand fielen die Schichten des 
grauen Kohlenkalkes nach Nordwest mit 35°, nach Südost mit ihren 
abgebrochenen Schichtköpfen eine über 100 Fuss hohe Wand bildend, 


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die andere Thalseite bildet einen steilen Abhang, dessen Schichten 
Südost fallen. Diese Bildung muss bewirken, dass die Tagwasser, 
zunächst in die Spalten und auf die Schichtflächen des zerklüfteten 
Kalkes dringend, dem Hochthale zugeführt werden müssen. Sie 
kommen unten aber nicht als Quellen, sondern als zwei eigentümliche 
Schlammvulkane zu Tage. 

Der Boden des Thaies ist mit einer lehmartigen Erde, von 
Bambus bestanden, bedeckt. Im Verlaufe bemerkt man zwei nackte, 
etwa 40 Schritt im Durchmesser haltende kreisrunde Stellen, die 
gauz aus zähflüssigem, grauen Lehm bestehen. Bei genauerer 
Betrachtung sieht man, dass diese Lehmmasse einen sehr flachen, 
sanft ansteigenden Kegel darstellt, dessen Gipfel durchbohrt ist. 
Aus der Oeffnung quillt mit gurgelndem Geräusch Wasser mit reich- 
lichen Gasblasen und breiartig flüssiger Schlamm, der langsam, lava- 
artig nach der Peripherie fliesst. Nach der Oeffnung zu gelangen 
war nicht möglich, ohne in der zähflüssigen Umgebung zu versinken. 
Es scheint hier ein tieferes unterirdisches Reservoir zu existiren, auf 
welches die steilen Abzugskanäle des Tagwassers in den nach dem 
Thal abfallenden Kalksteinschichten einmünden. 

Hier kamen uns mehrere Timoresen aus einem nahe gelegenen Dorfe 
entgegen, die im Allgemeinen sich sehr freundlich verhielten. Unsere 
Führer brachten uns nun, da die Nacht einbrach, in eine kleine 
Thalsenkung, wo wir das Nachtlager aufschlugen. Es war ein weiter 
Grasplatz, rings umgeben von prachtvollen, hohen Bambusbäumen, 
deren zarte Wipfel im Monsun träumerisch rauschten. Feuer wurden 
nun angezündet und die Nachtmahlzeit eingenommen. Wir waren 
bald von zahlreichen Timoresen umgeben, die unsere Ankunft aus 
einem benachbarten Dorfe herbeilockte. Meist waren es jugendliche 
kräftige Gestalten, alle fröhlich und zu Lachen und Scherzen auf- 
gelegt. Einer darunter zeichnete sich namentlich durch sein zuvor- 
kommendes Wesen und seine Dienstfertigkeit, sowie auch durch 
seine vorstechende Kleidung und Zierrathen aus. Auf dem Kopfe 
trug er eine scharlachrothe Mütze, welche an ihrem Rande von 
einem aus Zinnblech verfertigten diademartigen Ring verziert war, 
von dem grosse Zinnmedaillen auf die Stirn und den Kopf hingen. 
Um den Hals trug er Ketten von Silber und um den Arm Ringe 
von Elfenbein. An seiner Seite hing ein schöner Klewang mit 
elfenbeinernem Griff. Auf seine Ringe war er besonders stolz, jeder 
bezeichuete, wie wir von unseren malayischen Führern, denen etwas 
uugemüthlich zu Muthe zu sein schien, erfuhren, einen von seinem 
Träger erbeuteten Kopf. Es war dieser Manu ein professioneller 
Kopfabschneider, wie solche als Freibeuter zu verschiedenen krieg- 


k. 



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führenden Radjahs ziehen, ihre Dienste im Kriege anbietend, um 
dann, für die erbeuteten Köpfe mit Elfenbeinringen belohnt, nach 
Hause zurückzukehren, wo sie nun grosser Achtung gemessen. Dieser 
Mann hatte 11 Ringe in dieser Weise erbeutet. Das Bild des 
Nachtlagers, das sich nun entfaltete, war ein höchst romantisches. 
Rings im Kreise waren auf der weiten Grasfläche die wilden halb- 
nackten Gestalten der Timoresen gruppenweise um Feuer gelagert, 
dahinter hoben sich vom Nachthimmel die schlanken, vom Winde 
bewegten Wipfel der Bambus ab, während vom Winde zerrissene 
Wolken über dieselben dahinsegelten; dazu war die Luft mild und 
erquickend. 

Trotz der an den Tag gelegten friedlichen Gesinnung unserer 
jetzt sehr zahlreichen und bewaffneten Umgebung schien es uns 
doch gerathen, die Nacht durch unser Feuer zu unterhalten und 
- abwechselnd zu wachen, denn der Ehrgeiz nach elfenbeinernen Ringen 
hätte immerhin den Einen oder Anderen unsrer dunklen Ehrenwache 
zu einem unheimlichen Schritt verleiten können; doch verlief die 
Nacht ruhig und gestärkt konnten wir am Morgen das Ziel unsrer 
Reise zu erreichen suchen. 

Wie schon erwähnt, bildet der Tai Mananu einen kahlen Fels- 
kopf, der nach Süden senkrecht abfällt, nach Norden einen steilen 
Abhang zeigt. In südwestlicher Richtung setzt er sich in einem 
waldigen schmalen Grate fort, welcher die Begränzung des erwähnten 
Hochthaies weiter westlich ausmacht. Zunächst musste nun der 
Grat erreicht werden, um dann von da auf den höchsten Gipfel zu 
gelangen. Mit Tagesanbruch wurde das thauige Nachtlager verlassen, 
freilich nicht ohne einige Zwischenfälle. So passirte einem unserer 
Gesellschaft, dass er in seiner Jagdtasche, welche er als Kopfkissen 
während der Nacht verwendet hatte, einen grossen Skorpion fand, 
der sich dort eingenistet hatte. Meine Spiritusfiasche nahm bald 
den ungebetenen Gast auf, zum grossen Jubel der Timoresen, denen 
natürlich der Zweck, solches Ungeziefer in kostbaren Glasflaschen 
mitzuführen, nicht recht einleuchten wollte. 

Die kurze Strecke von unserem Lagerplatz bis zum Abhang 
des Grates konnte noch zu Pferde zurückgelegt werden, dann aber 
musste der Grat zu Fuss erklommen werden. Es war ein sehr 
beschwerliches Steigen durch dichtes dorniges Gestrüpp, an dem 
man sich mühsam emporwand. Nach manchem Schweisstropfen war 
die Höhe des Grates erreicht. Bis hierher folgte ein Theil der 
timoresischen Begleitung, bis zum Gipfel des Tai Mauanu zu steigen 
weigerte sie sich aber entschieden. Wahrscheinlich war es der 
Glaube an die die hohen Berggipfel bewohnenden Geister, der sie 


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davon abhielt. Uns drängte es um so mehr nach dem hohem Gipfel, 
als der Grat, auf welchem wir uns befanden, vollkommen bewachsen 
war und keinerlei Aussicht gestattete. Nach einem kurzen Wege 
auf dem Grate erhoben sich die steil aufgerichteten Schichten des 
grauen Kohlenkalkes, bald zeigten die Schichten eine steil, 33°, an- 
steigende Fläche, die zwar keinerlei Humus und Vegetation trug, 
dafür aber so von dem Regen zerfressene schrattenartige Rinnen 
zeigte, dass der Fuss leicht haftete und der Anstieg daher nicht 
besonders mühsam war. Bald war der Gipfel erreicht, der nur 
einen schmalen Standort bot. Nach Süden schweifte der Blick über 
das Thal des Parititlusses, das bewaldet, bis zu der Palmenebene 
von l’ariti sich hinzieht, dann über die weite Bucht von Kupang bis zu 
ihrer südlichen Begrenzung und die Berge der südlichen Halbinsel 
Timors. Nach West und Ost konnte man die parallelen Höhen- 
züge mit zwischenliegenden Parallelthäleru verfolgen, nach Norden 
hemmten weitere Höhenzüge den Ausblick. Wälder und dazwischen 
hervortretende kahle Felsköpfe bildeten den wesentlichen Charakter 
der Landschaft, während die Spuren des Menschen mit seiner den 
wilden Charakter der Gegend mildernden Thätigkeit ganz zurück- 
treten. Wir trafen zurückkehrend unsere Begleitung wieder, welche 
uns nun, durch das Gehölz einen mehr östlichen Weg einschlagend, 
thalabwärts führte. Bald kamen wir in Anpflanzungen von Bananen 
und Taro und endlich in ein Dorf, wo uns der Radjah, welcher uns 
gestern geleitet, empfing und wo wir unsere Pferde wieder fanden. 
Das Dorf bestand aus wenigen Hütten, welche alle kreisrund gebaut 
waren, das spitze Dach mit Palmblättern bedeckt. Im Allgemeinen 
machte das Dorf einen ärmlichen Flindruck gegenüber denen der 
südlichen Halbinsel. Inmitten der ursprünglichen unverfälschten 
Bevölkerung der Bergtimoresen, die uns umgab, hatten sich hier 
zwei muhamedanische Slings niedergelassen, welche Handel treibend 
sich bis hierher verstiegen hatten und uns bald durch zudringliche 
Anpreisuug timoresischer Kuriositäten lästig fielen. Diese Leute, 
mit ihren nahezu arabischen Gesichtszügen und orientalischer Kleidung, 
finden sich im ganzen malayisehen Archipel, mit ihren Waaren 
zugleich den moslemitischen Glauben verbreitend und damit die 
Eingeborenen mehr und mehr den Europäern entfremdend. 

Nach kurzer Rast wurde der Rückweg nach Pariti zu Pferde 
eingeschlagen. Diesmal die linke Thalseite des Thaies vom Pariti- 
fiusse innehaltend, gelangten wir noch vor Abend nach Pariti zurück. 
Der unterdessen von seiner Reise zurückgekehrte Posthalter Hess 
uns mit seiner Gastfreundschaft bald die gehabten Strapazen ver- 
gessen. Da auf den nächsten Tag die Ankunft unserer Dampfpinasse, 


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welche uns wieder an Bord der „Gazelle“ vor Kupang bringen 
sollte, erst am Mittag zu erwarten war, so konnte noch ein halber 
Tag zu Jagdausflügen in der Ebene von Pariti verwendet werden. 

Die Ebene von Pariti bietet mit ihrem lichten Buschwald für 
die Jagd ein sehr günstiges Terrain. Namentlich sind es die zahl- 
reichen grossen Fruchttauben Carpophaga vinacea Tem., welche am 
Morgen von ihren Ausflügen nach den waldigen Distrikten zurück- 
kehrend, leicht einen angenehmen Braten verschafft. Die Thiere 
scheinen sich fast ausschliesslich vou den Früchten der Gawang- 
palme zu ernähren. Jede der erlegten Tauben hatte in ihrem 
Kropfe eine der pflaumengrossen, ziemlich hartschaligen Früchte. 

Sehr belebt erscheint zur Ebbezeit der mit Mangroven be- 
wachsene Strand. Auf dem sumpfigen Boden, von dem das Wasser 
sich erst kurz vorher zurückgezogen hat, wimmelt es von Krabben 
der Gattung Gelasimus, deren Männchen eine monströs vergrösserte 
rechte Scheere besitzt, hüpfen die merkwürdigen Schlammspringer, 
Periophthalmus Koelreuteri, Fische, welche mit Hülfe ihrer 
verlängerten Brustflossen und des Schwanzes im Stande sind, 
auf dem schlammigen Grunde sich hüpfend zu bewegen, bei 
Verfolgung gewandt in das nächste Wasser springen, so dass 
man auf den ersten Blick eher Frösche als Fische vor sich 
zu haben glaubt. Die zahlreichen thierischen Reste, welche das 
Meer zurücklässt, locken wieder viele Bewohner des Landes an. 
Namentlich sammeln sich hier prachtvoll blaue Eisvögel, Dacelo chloris, 
weisse Reiher u. A. Bei Gelegenheit der Jagdstreiferei um Pariti 
lernte ich auch die timoresische Bierbereitung kennen. Ein rotti- 
nerischer Bursche, welcher mich begleitete, führte mich durch ver- 
schlungene Pfade in der Ebene zu einer einsamen Hütte, welche 
eigentlich nur aus einem, von einigen Pfählen gestützten schiefen 
Dache bestand. Hier lebte der Bierbrauer mitten unter seinen, ihm 
das Material liefernden Palmen. 

Die Bierbereitung ist sehr einfach. An der Lontarpalme, Bo- 
rassus ttabelliferus werden junge Blatttriebe abgehauen und der 
herausfliessende Saft in darunter aufgehängteu Gefässen aufgefangen. 
Dieser Saft, der sehr zuckerhaltig ist, geräth rasch in Gährung uud 
wird mit Honig gemischt. Das Getränk schmeckt sehr angenehm 
und erfrischend, hat aber wegen eines ziemlichen Gehalts an Alkohol, 
der aus der Zuckergährung hervorging, berauschende Wirkung. Mit- 
unter wird dem Getränke noch der bitterschmeckende Bast einer 
Caesalpinie, Caesalpinia ferruginea, beigemischt. Die Gefässe, in 
welchen der einsiedlerische Bierbrauer seinen Palmsaft der Gähruug 


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aussetzte, waren aus den Fächerblättern der Palme selbst verfertigt. 
Am Nachmittage fuhr die Expedition mit der unterdessen allgelangten 
Dampfpinasse wieder nach Kupang und bald darauf verliess die 
„Gazelle“ die Bai von Kupang. 


Die Abgeschlossenheit China’s, 

mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Handels.*) 


Die natürlichen Grenzwälle iin Westen und Südwesten. Die chinesische Mauer. 
Geschichtliches. Die Sprache, ihr Hau und Charakter. Die Schrift Die politische 
Abgeschlossenheit. Frühere Duldsamkeit gegen Fremde. Eröffnung der europäischen 
Seefahrt nach China. Europäische Kolonien an der chinesischen Küste. Ausschluss 
europäischer Kaufleute aus China. Erfolge der Jesuiten. Ihre Ausweisung. Ursachen 
der Abneigung gegen das Christenthum im heutigen China. Der Opiumhandel. Die 
Verträge mit europäischen Staaten. Die Beziehungen zwischen Chinesen und Aus- 
ländern. Religionsfreiheit und Exterritorialität der letzteren. Die europäische Kolonie 
in Shanghai. Vergleich zwischen China und Japan. Wirtschaftliche Fortschritte in 
China. Eisenbahnbauten in Aussicht. Hebung der Ein- und Ausfuhr durch solche. 
Der deutsche Handel in China. Wichtigkeit baldiger Förderung desselben durch direkte 
Dampferverbindungen zwischen chinesischen und deutschen Häfen. 

Die Abgeschlossenheit der Chinesen, auf ihre Ursachen zurück- 
geführt, kann eine dreifache genannt werden: eine natürliche, 
durch geographische Verhältnisse begründete, eine sprach- 
liche und eine politische, welche letztere mit dem Argwohn 
gegen alles Fremde, aus dem sic entsprungen, erst verhältnissmässig 
neuern Datums ist. Unterziehen wir zuerst die geographischen 
Verhältnisse einer nähern Betrachtung. Das heutige China ist un- 
gefähr so gross wie unser Erdtheil Europa und hat, soweit wir iin 
Staude sind, die zum letzten Male im Anfang dieses Jahrhunderts 
gezählte Bevölkerung zu schätzen, ungefähr auch ebenso viel Ein- 
wohner, also etwa 300 Millionen.**) Es ist aber nicht der vielgliederige, 
vielseitig vom Meere begrenzte Kontinent, der Europa ist, sondern 
ein kompaktes Gebiet, welches nur an seiner Ostseite vom Meere 
begrenzt wird. Auf der ganzen Landseite, hauptsächlich aber iin 
Südwesten, Westen und Nordwesten, ist Chiua von hohen Gebirgen 
umgeben. Im Süden und Südwesten bildet die Grenze das Himalaya- 

*) Diese Mittheilnngen eines Freundes unserer Gesellschaft, welcher längere 
Zeit in China lebte, werden sicher mit grossem Interesse gelesen werden. D. Red. 

**) In Belim und Wagner, Bevölkerung der Erde, VI, Gotha 1880, wird 
die Bevölkerung des eigentlichen China auf 404,940,000 angegeben und diejenige 
Europa’s beträgt 315,929,000. 


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Gebirge, das kolossalste Alpengebirge der ganzen Erde, hinsichtlich 
der Erhabenheit seiner Kämme und Gipfel, des Umfangs seiner Firn- 
felder und Gletscher, der Tiefe und Wildheit seiner Thäler von keinem 
andern Gebirge erreicht. Die Fortsetzung im Westen nimmt das 
zweithöchste Gebirge der Erde, das Karakorum-Gebirge, mit Gipfeln 
bis über 8000 m, und der Hindu Kusch auf. Weiter nach Norden 
schliessen sich die Küenlün-Kette und das Thianschan-Gebirge mit 
Gipfeln mit zu 6000 m an. Zu alledem werden die Abhänge 
dieser Gebirgsketten grösstentheils von halbwilden Völkerschaften 
bewohnt, welche dem Verkehr einen weitern Riegel vorschieben. 
Den alten Römern war bereits dieser kolossale Gebirgswall wohl 
bekannt. Ihr S e r i c a ist allerdings nicht unser China, sondern nur 
dessen vorgeschobenste Spitze, das Tarym-Becken in Centralasien; 
aber was Ammianus Marcellinus (um 380 nach Christo), der ja 
wesentlich aus den Schriften des Plinius und Ptolomäus schöpfte, 
von diesem Vorderlande sagt, gilt mit noch grösserm Recht vom 
Hinterlande. Im Ammian lesen wir: „in orbis speciem consertae 
celsorum aggerum summitates“, wörtlich also: ein kreisrunder und 
fortlaufender Gebirgswall umschliesst — die Serer. 

Nicht genug an diesen gewaltigen Hindernissen, lagert sich 
ihnen im Innern noch ein zweiter gewaltigerer Gürtel vor in dem 
ausgedehnten Hochlande von Tibet und der Sandwüste Gobi. Tibet 
hat eine Ausdehnung von etwa 47 000 Quadratmeilen und ist also unge- 
fähr fünfmal so gross wie ganz Deutschland. Die Niederungen dieses 
Hochlandes liegeu noch gegen 3000 m über dem Meere, also ebenso 
hoch, wie der höchste Berg Deutschlands, die Zugspitze in den 
bayrischen Alpen. An dieses gewaltige Hochland schliesst sich im 
Norden und nach Nordosten sich ausdehnend die Gobi, deren Flächen- 
inhalt dem Tibets wenig nachsteht, und deren unwirthlicher Wüsten- 
Charakter dem Verkehr ebenso hindernd entgegeusteht, wie jenes. 
Denken wir uns also einen Gürtel vorP wilden Alpengebirgen und 
Sandwüsten in einer Breite, welche die Entfernung von Kopenhagen 
nach Neapel stellenweise noch übertrifft und grösstentheils von halb 
wilden Völkerschaften bewohnt, so haben wir ein ungefähres Bild der 
grossen Mauern, mit denen die Natur China nach Südwesten, Westen 
und Nordwesten umgeben hat, und die denn auch während einer 
Dauer von mehreren tausend Jahren das Land von anderen Kultur- 
völkern so abgeschlossen hat, dass wir es auf dem Seewege sozu- 
sagen erst haben entdecken müssen. Eine von Menschenhänden 
erbaute Mauer allein, und wäre sie noch viel riesenhafter und aus- 
gedehnter gewesen, als die chinesische Mauer es ist, hätte eine 
Abschliessung auf solche Dauer nicht fertig bringen können. In 


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friedlichen Zeiten sehen wir allerdings einen regen Handel in chine- 
sischen Produkten, hauptsächlich Seidenstoffen, mit den Grenzländern 
sich entwickeln, auch vereinzelte Reisende und Missionäre finden zu 
verschiedenen Zeiten den Weg dorthin, aber kein Eroberer hat den 
Gebirgswall im Westen und Südwesten während einer Dauer von 
3000 Jahren je überschritten. Im Westen sind Weltreiche erstauden 
und vergangen, ohne dass selbst eine Kunde davon nach China 
gedrungen wäre, und kein Cyrus, kein Alexander, keine römischen 
Legionen haben jemals an diesem Thore China’s gerüttelt. Da- 
gegen ist die eigentliche chinesiche Mauer, ein so mächtiges Werk 
sie auch ist, im Laufe ihrer 2000jährigen Existenz oft überschritten, 
oft zerstört und ebenso oft wieder erbaut worden. 

Der Zweck dieser Mauer war derselbe, wie der der römischen 
Grenzwälle (des Trajanswalles, Wallum Romanum und des Hadrians- 
walles), sie sollte China gen Norden (denn nur im Norden zieht sie) 
gegen die Einfälle wilder Völkerschaften sichern; von einer Ab- 
schliessung gegen fremde Kulturvölker kann schon deshalb nicht die 
Rede sein, weil jene Gegenden nie Kulturvölker beherbergt haben. 
Aber ein bei weitem stattlicheres Befestigungswerk ist sie, als jene 
Schutzwälle der Römer. Lang genug ist sie, um ganz Deutschland 
einzuschliessen und darüber. Grossentheils bis 25 Fuss hoch und 
20 Fuss breit, stellenweise, so z. B. am Golf von Liaotung, aber auch 
zwischen 30 und 40 Fuss hoch, unten 30 und oben über 20 Fuss 
breit, massiv gebaut und mit Thürmen und Basteien versehen. Dabei 
ist sie an manchen Stellen doppelt und dreifach; grösstentheils auf 
den Kämmen der Gebirge entlang, an den steilsten Gebirgswänden 
hinauf, über Abgründe hinweglaufend, bietet sie einen imposanten 
Anblick dar. Ihr erster Erbauer errichtete sie um 214 vor Christo gegen 
die Einfälle der wilden Reiterschaaren der Hiungnus, die Vorfahren 
der Hunnen; und diesen Zweck hat sie denn auch in einer für 
unsere Vorfahren verhängrttssvollen Weise erfüllt, indem sie den 
ersten Anstoss zu jener grossartigen Bewegung gegeben hat, die wir 
als die Völkerwanderung bezeichnen. Die Zustände China’s zu jener 
Zeit zeigen eine grosse Aehnlichkeit mit denen Deutschlands im 
Anfänge des zehnten Jahrhunderts; das Reichsoberhaupt war ohne 
Macht und Ansehen, die Reichsfürsteu rieben ihre Kräfte in endlosen 
Fehden unter einander auf, die Hiungnus aber spielten die Rolle der 
Ungarn, bis endlich der Fürst Tsching von Ts’in (der chinesische 
Heinrich I.) seine sieben Rivalen besiegt, sich zum Kaiser krönen 
lässt, die Hiungnus zurückdrängt und unmittelbar hinter ihnen die 
grosse Mauer baut, indem er drei bereits bestehende Theile zu einem 
Ganzen verbindet. China selbst erstarkt im Innern, und geschützt 


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nach Aussen entfaltet es sich im Laufe der nächsten Jahrhunderte zu 
einer, sowohl vorher wie nachher nie erreichten Macht; die Hiungnus 
dagegen werden gewahr, dass sie nicht wie früher mit der Be- 
kämpfung kleinerer, unter einander feindlicher Fürsten zu thun haben, 
sondern ein grosses Reich ihnen geschlossen gegenübersteht, dessen 
nun geschützte Grenze nur an einzelnen Punkten, und auch dort 
nicht ohne Kampf überschritten werden konnte. Die heranwogenden 
Sturmwellen brechen sich. In rückläufiger Bewegung wälzen sie sich 
über die Steppe. Vernichtend fallen sie auf andere Nomadenvölker, 
die der Kriegslust ein neues Ziel bieten. Die Hiungnus besiegen sie, 
verbünden sich mit einzelnen unter ihnen und treiben andere von 
den Grenzen des chinesischen Reiches fort. Die flüchtenden Schaaren 
wandern nach Westen. Es ist die an der chinesischen Mauer ge- 
brochene Welle, welche den Gegenstand des Widerstandes, dem sie 
in ihrem westlichen Lauf begegnet, vor sich her schiebt, und deren 
vernichtende Wirkungen, anstatt in den Fluren Chinas nach Süden, 
sich nun nach Westen äussern; durch weitere Stösse immer in der 
gleichen Richtung fortwirkend, gelangt sie verheerend in die turani- 
schen Niederungen. So sehen wir in dieser Periode, von dem Anfang 
des zweiten Jahrhunderts vor Christo an, das Schauspiel eines steten 
Drängens der Steppen Völker nach Westen hin, das mehr und mehr 
anschwellend, den Sturz manches mächtigen Reiches und mancher 
blühenden Kultur nach sich zieht, und in weiterm Fortschreiteu 
während der nächsten Jahrhunderte sich zu jener gewaltigen Episode 
der Geschichte, der Völkerwanderung, gestaltet. Es ist das grösste 
Moment, in welchem die Geschichte des Ostens und des Westens sich 
gegenseitig berühren. Die Erbauung der grossen Mauer liegt ihm 
als äussere Veranlassung zu Grunde.*) 

Das ist die Bedeutung der grossen Mauer — einen Attila hat 
sie uns gebracht, während sie nicht hat verhindern können, dass 
die Enkel jener Nomaden, gegen die sie einst gebaut wurde, heute 
auf dem Throne China’s sitzen. 

Eine zweite Mauer, die jenem natürlichen Gebirgswall, wenn 
nicht ihre Entstehung, so doch ihre Befestigung verdankt, tritt uns 
entgegen in der Sprache, welche heute, wo unsere Dampfschiffe 
den Gebirgswall umschifft haben, den freien Verkehr mit dem Volke 
beinahe ebenso einschränkt, wie dieser es von jeher gethan. Auf 
heimischem Boden erstanden, in heimischen Verhältnissen entwickelt, 
unbeeinflusst von Aussen in ihrer SOOUjährigen Existenz, steht die 
chinesische Sprache ihrem ganzen innern Wesen nach unserer, wie 


*) Richthofens China. Band I. 

Geogr. Hlättur. Bremen, IMM'J, 4 

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überhaupt jeglicher fremden Kultur altlehnend gegenüber. Die 
chinesische Sprache ist, wie bekannt, monosyllabisch und dabei sehr 
lautarm. So zum Beispiel hat die Hofsprache nur etwa 450 Silben 
oder Grundlaute, und da das grosse Kanghi- Wörterbuch etwa 45000 
verschiedene Wörter enthält, wären im Durchschnitt etwa ltX) Wörter 
gleichlautend, in Wirklichkeit aber oft viel mehr. Also um ein 
deutsches Beispiel zu nehmen: Aehnlich wie das deutsche Wort 
„Reif“ mehrere Bedeutungen hat, so hat ein chinesisches Wort oft 
über hundert Bedeutungen. Unter den 450 Silben oder Grundlauten 
sind aber schon manche, die für ein ungeübtes deutsches Ohr gleich- 
lautend klingen würden; der Unterschied ist oft kleiner, als zum 
Beispiel durch die Silbe „piug“ oder „biug“ oder „tsching“ und 
„dsching ‘ in deutscher Schrift ausgedrückt werden kann. Allerdings 
werden diese Grundsilben durch verschiedene Betonung differenzirt 
und vermehrt; dann ist die Bildung von Doppel Wörtern aus Syno- 
nymen eiu weiteres Hülfsmittel, um Zweideutigkeiten zu vermeiden — 
aber die Schwierigkeit für die Fremden, sich gewandt und korrekt 
auszudrücken, ist damit keineswegs gehoben, und es sind wenige 
Europäer in China, die sich rühmen dürfen, sie ganz überwunden 
zu haben. 

Noch grössere Schwierigkeiten sind bei Erlernung des Wunder- 
baues, wie ihn Richthofen nennt, der chinesischen Schrift zu über- 
winden. Die chinesische Schrift hat kein Alphabet, und sie befasst 
sich nicht mit der Darstellung von einfachen Lauten durch Buch- 
staben in der Weise, wie unsere Sprache es thut, sondern ihre 
Hauptaufgabe ist, dem Auge Begriffe durch konventionelle Zeichen 
zu vermitteln; also das einfache Zeichen giebt allemal mehrere, ein 
Wort bildende einfache Laute wieder, z. B. das Wort schnob 
(sagen) würden wir z. B. mit sechs Buchstaben schreiben und zwei- 
silbig nennen; der Chinese dagegen kennt es in der Sprache nur 
als einen uicht zertheilbaren Laut, und in der Schrift als ein nicht 
zerlegbares Wortzeichen. Theilweise sind diese Schriftzeichen nun 
allerdings hieroglyphischen Ursprungs, aber in ihren heutigen ver- 
änderten Formen bieten sie dem Auge nichts mehr, was direkt auf 
den Sinn schliesseu Hesse. Die Erlernung derselben ist daher eine 
reine Gedächtnissaufgabe von Anfang bis zu Ende, und, wenngleich 
einem gebildeten Chinesen die gründliche Kenntniss von 10000 Schrift- 
zeichen, und den meisten Europäern die Hälfte dieser Zahl voll- 
kommen genügen dürfte, die Aufgabe bleibt immerhin für das beste 
Gedächtniss eine ausserordentlich schwere. 


So schwer es nun ist, die chinesische Sprache und Schrift zu 
erlernen, so ist es keineswegs diese allerdings hindernde Eigenschaft, 



51 


welche mich veranlasst, das Chinesische als Kultur ablehnend zu be- 
zeichnen. Es ist das vielmehr der Fundamentalmangel einer beweg- 
lichen und kombinationsfähigen alphabetischen Laut- und Schrift- 
grundlage. Mit anderen Worten, der Sprache mangeln Grund- oder 
Buchstabenlaute iu genügender Zahl, um durch Kombination fremde 
Wörter annähernd in Lauten wiedergeben zu können. So zum Bei- 
spiel das Wort ,. Deutschland“ in der Hofsprache kann annähernd 
durch die Silben Teyichilan wiedergegeben werden, während die 
Worte „Beispiel“ und „Umschreibung“ nicht kenntlich wiederzugeben 
sind; ebenso mangeln der Schrift die Buchstaben oder Fundamental- 
Schriftzeichen, um durch Aufbau und neue Kombination neue Begriffe 
leicht verständlich dem Auge zu vermitteln. Die 45000 chinesischen 
Schriftzeichen haben eine feste und unveränderliche Form, und ob- 
wohl vollkommen ausreichend für die Bedürfnisse des Volkes, stehen 
sie den tausend und abertausend technischen Ausdrücken, überhaupt 
der Kultur unsers 19. Jahrhunderts, ebenso fremd gegenüber, wie 
diese Sachen den Chinesen selbst fremd sind. Für jeden neuen Begriff 
muss die Wortform erst erfuuden werden, und diese ist den Chinesen 
in der Regel unverständlich ohne eingehende Umschreibung. 

So unzulänglich wie das hier Gesagte ist, um einen Begriff von 
der Sprache zu vermitteln, genügt es aber doch wohl, um die grossen 
Schwierigkeiten derselben verständlich und die Unzulänglichkeit 
begreiflich zu machen. Begreiflich wird es ferner sein, dass unter 
diesen Umständen die Zahl der sprachkundigen Fremden in China 
eine sehr geringe ist. Iu der Regel erlernen die Sprache nur die 
Missionäre und Beamten — das sind unsere Konsularbeamten und 
die Europäer im chinesischen Staatsdienste. Ich glaube nicht, dass 
es tausend Europäer in China giebt, die der Sprache vollkommen 
mächtig sind. Unsere Kaufleute lernen die Sprache selten. Sie 
bedieueu sich eines Kauderwelsch „Pigeon“, d. h. Geschäfts-Englisch 
genannt, das wohl hauptsächlich den Schwierigkeiten der chinesischen 
Sprache einerseits und der Ungeschicktheit der Chinesen, fremde 
Sprachen zu erlernen, andererseits, seinen Ursprung verdankt. Es 
besteht aus Englisch, */* Portugiesisch und l U Chinesisch mit 
chinesischem Satzbau, und wird von fremden Kaufleuten, den Chinesen, 
Malayen u. s. w. in allen Hafenstädten gesprochen. Obgleich es 
für die Geschäfte vollkommen genügt, dürfte die folgende Probe — 
eine Uebertraguug des Longfellow’schen Gedichtes Excelsior — 
zur Genüge darthun, wie wenig dieser Jargon sich eignet, höheren 
Gedanken Ausdruck zu geben. 


4 * 


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„Excelsior!“ 


The shades of night were falling fast, 
As throngh an Alpine Village passed 
A youth who bore, mid snow and ice, 
A banner with the stränge device, 
Excelsior! 

His brow was sad; his eyes bcneath 
Flaslied like a falchion from its slieath, 
And like a silver Clarion rang 
The accents of that unknown longue, 
Excelsior 1 


| That nigthey time begin chop-chop, 
j One yong man walkey-no can stop, 
i Maskee snow! niaskee ice! 

I He carry flag wid shop so nice — 

„Topside-galow !“ 

| He too muchey sorry, one piecey eye 
i Looksee sharp — so — all — all sarne ray. 
Him lalkey largey, talkey strong, 

Too mncliey currio— all same gong— 
„Topside-galow ! “ 


u. s. w. 


Die politische Absehliessuug der Chinesen, wie wir sie zum 
Theil noch heute aufrechterhalten sehen, ist, ebenso wie die Er- 
bauung der grossen Mauer, ein Akt der Nothwehr gegen Willkür 
von aussen. Ln Alterthum hat die chinesische Regierung friedlichen 
fremden Händlern und Missionären nicht nur ohne Grund nichts in 
den Weg gelegt, sondern viele mit grosser Auszeichnung behandelt, 
wie die Mehrheit der auf uns gekommenen Berichte bezeugt. Im 
Plinius, Marinus, Ptolomäus und Anderen finden wir Belege, dass 
bereits in den ersten Jahrhunderten unserer Aera ein reger Handels- 
verkehr auf dem Seewege zwischen den Bewohnern der südasiatischen 
Küstenländer und China existirte, während ehnesische Annalen zu 
verschiedenen Malen im 2. und 3. Jahrhundert von der Ankunft zur 
See und dem ehrenvollen Empfange römischer Kaufleute berichten. 
Aus chinesischen Quellen lernen wir weiter, wie im Jahre 65 nach 
Christo die Buddhistische Religion von Indien eingeführt und öffentlich 
sanktionirt wurde; und mehrere Jahrhunderte später sehen wir die 
Chinesen in regem Verkehr zur See mit Ceylon, wo die Buddhistische 
Religion in voller Blüte stand. Es wurden Reliquien, heilige 
Schriften uud Buddha-Statuen eingetauscht gegen Seide, blaues 
Porzellan und emaillirte Gefässe. Nach dem Zeugniss Hamza’s vou 
Ispahan ankerten im 5. Jahrhundert chinesische Schiffe neben 
indischen jedes Jahr vor der Stadt Hira am Euphrat. Um 700 n. Chr. 
Geburt war bereits Cauton ein vielbesuchter Ort. Den wichtigsten 
Beleg aber für die Uneingeschränktheit und für den kolossalen Um- 
fang, welchen der Seehandel in Folge dessen im 9. Jahrhundert 
gewonnen hatte, liefern uns die Berichte der Araber Wahab und 
Abu-Said. Erstem- wurde mit Ehren vom Kaiser empfangen; und 
Letzterer erzählt, wie die Stadt Canfu, der Hafen des heutigen 
Hangtschaufu, durch Rebellen belagert, erobert und zerstört wird, 
und dabei 120,000 dort ansässiger Mohamedaner, Christen, Juden 



53 


und Perser ums Leben gekommen seien. Er erwähnt ausdrücklich, 
dass diese Zahl nicht geschätzt, sondern dem Register, in welches 
alle Fremden eingetragen würden, entnommen sei. Er bespricht dann 
ferner voll Bewunderung das wohlorganisirte Pass-System der Chinesen, 
vermittelst dessen man mit Sicherheit reisen könne — alles Beweise 
eines ungehinderten Verkehrs. Hochinteressant ist ferner, dass man 
in der Stadt Kaiföngfu, im Herzen China’s, eine uralte Judenkolonie 
entdeckt hat, deren Einwanderung wahrscheinlich in das 2. Jahr- 
hundert fällt, eine Zeit, wo die Chinesen ihr Reich auf kurze Dauer 
bis an das Kaspische Meer ausgedehnt hatten. Weitere Beweise 
finden wir in den Berichten des Venetianers Marco Polo, dessen genaue 
Beobachtung und grosse Verlässlichkeit bekanntlich erst spät, nachdem 
sie mehrere Jahrhundert angezweifelt worden, die verdiente Würdigung 
gefunden hat. Die erste Reise nach China machten der Vater und Oheim 
des Marco im Jahre 1260, sie nahm ein Jahr in Anspruch. Sie 
wurden ehrenvoll vom Kaiser empfangen, und, wahrscheinlich ein- 
genommen von den verfeinerten Sitten der Venetianer, beauftragte 
dieser sie mit der Ueberbringung eines Briefes an den Papst, „in 
welchem er denselben bat, ihm 100 christliche, in Künsten und 
Wissenschaften gebildete Männer zuzuschicken, um die Religion, mit 
der diese Kultur verbunden war, in seinem Lande einzuführen.“ 
„Damit war eine Gelegenheit gegeben, wie nie vorher oder nachher 
den Osten mit dem Westen zu verbinden und dauernde Beziehungen 
herzustellen.“ Aber sie scheiterte an der Indolenz, welche die Polos 
in Rom vorfanden, wo der Papst Urban IV. gestorben, und ein neuer 
noch nicht gewählt worden war. Sie mussten ihre zweite Reise allein 
antreten, und der ältere Polo nahm nur seinen Sohn, unsern Bericht- 
erstatter, mit. Die Reise bot dieses Mal ausserordentliche Schwierig- 
keiten und dauerte 3'/* Jahre. Der junge Marco eignete sich schnell 
die Sprache an und erwarb sich die Gunst des Kaisers, trat in dessen 
Dienst, in dem er 17 Jahre lang von Ehren zu Ehren emporstieg. 
Während dieser Zeit führte er mehrere Reisen von solchem Umfange 
aus, wie sie seitdem kaum in China wiederholt und sicher nicht wieder 
beschrieben worden sind. Reich beladen mit Schätzen kehrte er im 
Jahre 1292 nach Venedig zurück und verfasste dort seine Reise- 
beschreibung, aus der wir ersehen, wie Verkehr und Wandel im 
ganzen Reiche blühten, und wie süd- und ostasiatische Schiffe aus 
allen Ländern in chinesischen Häfen verkehrten. 

Noch merkwürdiger und wichtiger als Beleg für die Duldung 
von Fremden im Allgemeinen und die Toleranz, welche die Anhänger 
der Lehre des Confucius Andersgläubigen gegenüber üben, wofern sie 
nur nicht dem Staatsleben gefährlich zu werden drohten, ist die be- 


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rühmte Nestorianische Tafel. Diese Marmortafel wurde im 17. Jahr- 
hundert in der Nähe der Stadt Hsinganfu ausgegraben. Sie stammt 
aus dem Jahre 781 und berichtet, wie der Kaiser im Jahre 638 
die christliche Lehre gebilligt und die öffentliche Mission erlaubt, und 
wie schon zu Ende des 7. Jahrhunderts Kirchen in allen Provinzen 
des Reiches gewesen seien. Es war dies die erste Kunde, die Europa 
von einer so frühen christlichen Kirche in China erhielt, und sie 
erregte denn auch gerechtes Aufsehen. Weitere Beweise für die 
Ausbreitung des Christenthums und zugleich seines Verfalls nach 
200jähriger Blüte schöpfen wir aus chinesischen Quellen. Im 
Jahre 845 erliess Kaiser Wu-hung ein Edikt gegen das zunehmende 
buddhistische Klosterwesen und zugleich gegen die christlichen 
Priester, deren Zahl 3000 betrug, indem er ihnen befahl, in das 
Laienthum zurückzukehren. Bei dieser Säkularisation wurden, nach 
der noch erhaltenen Urkunde, 4600 grosse Klöster mit 260000 In- 
sassen, ferner 40000 kleine Klöster mit ihren Ländereien eingezogen, 
und wurden 150 000 Sklaven derselben in Freiheit gesetzt. Aus der 
späteren Geschichte erhellt leider nicht, in wieweit dieser wahrschein- 
lich aus politischen Motiven hervorgegangene Akt der Ausbreitung 
des Christenthums Einhalt that. Die nächste uns erhaltene Kunde 
bringt Marco Polo, der die Nestorianischen Christen öfters erwähnt 
und unter andern meldet, dass sie in Kantschaufu drei schöne 
Kirchen hätten; auch der Gesandte Ludwig des Heiligen an den 
grossen Khan, der Franziskanermönch Rubruk erzählt von 15 Städten, 
in welchen es Nestorianische Christen und einen Bischof gäbe, und 
noch andere, welche alle darauf hindeuten, dass das Christenthum 
eine grosse Ausdehnung gefunden. Später scheint die Kirche jedoch 
schnell zerfallen zu sein. Streit mit Rubruk und anderen weströmi- 
schen Missionären; die Ausbreitung des Islam; der Sturz der Yüan- 
oder Mongolen-Dynastie und die Besetzung des Kaiserthrones durch 
einen ehemaligen buddhistischen Priester; Wechsel, welche sich um 
die Zeit vollzogen, mögen alle dazu beigetragen haben; und im 
16. Jahrhundert, als die ersten römisch-katholischen Missionäre auf 
dem Seewege nach China kamen, war alle Spur einer ehemaligen 
christlichen Kirche verwischt. 

Und somit kommen wir zu der Periode, wo wenige Jahrzehnte 
nach Vasco de Gama’s Entdeckung des Seewegs nach Indien die ersten 
europäischen Schiffe nach China den Weg finden, und damit zu dem 
Wendepunkt der handelspolitischen Geschichte der Chinesen. In der 
damaligen europäischen Welt war der Glaube, dass der Papst das 
Recht der Vertheilung neuentdeckter Welten habe, zum Dogma 
geworden, und so sehen wir denn die Nachfolger jener Portugiesen 


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und Spanier, die in einem andern Welttheile unter dem Banner des 
Christenthums die Kultur der Incas und Azteken mit Feuer und 
Schwert vom Erdboden vertilgt haben, bald ihren Weg nasb Ostasien 
und China bilden. Trotz mancher Ausschreitungen erlaubte man 
diesen Abenteurern, deren rohen Charakter wir aus den Erzählungen 
eines derselben, des Fernando Pinto, kennen gelernt, sich niederzu- 
lassen, und so sehen wir an verschiedenen Küstenplätzen, namentlich 
Macao und Ningpo, Kolonien erstehen. Nicht lange jedoch dauert 
es, bis das friedliche Volk von Ningpo, durch den Itaub ihrer Frauen 
und Mädchen und andere lang erduldete Unbill zur Wuth aufge- 
stachelt, in Masse aufsteht, im Jahre 1545 alle Portugiesen tödtet 
und die Niederlassung niederbrennt. Es sollen dabei 800 Portugiesen 
und 12 000 chinesische Christen ums Leben gekommen und 25 Schilfe 
verbrannt worden sein. Aehnliche Scenen wiederholen sich öfters, 
so bei der Stadt Tschinshiu in Fukien im Jahre 1549, wobei 15 Schiffe 
zerstört wurden und 470 Portugiesen ums Leben kamen. Dann 
kommen die Spanier, Holländer und schliesslich die Engländer auch 
noch hinzu ; alle von Haus .aus schon in bitterer Fehde unter ein- 
ander, fallen sie aufeinander, wo sie sich antreffen in den chinesischen 
Gewässern; alle von Habgier beseelt und keiner dem Andern Thcil 
an der Ausbeutung dieses reichen Landes gönnend, versuchen sie 
sich auf alle mögliche Weise bei den chinesischen Behörden zu 
schaden und diese aufzuhetzen. Dieses Letztere fällt hauptsächlich 
den Portugiesen und Holländern zur Last. Die Portugiesen setzen 
sich auf der Halbinsel Macao fest ; die Holländer versuchten sich in 
Amoy und den Pescadores festzusetzen und eroberten schliesslich die 
Insel Formosa, von der sie aber später wieder vertrieben wurden; 
und die Spanier nahmen die Insel Luzon. In China hatte sich in- 
zwischen ein Wechsel der Dynastie vollzogen — die heutige Tsching- 
Dyuastie hatte die frühere Ming-Dynastie verdrängt — und dem ist es 
wohl hauptsächlich zuzuschreiben, dass dieser Zustand so lange geduldet 
wurde. Allmählich sehen wir, wie die neue Regierung die Zügel 
straffer anzieht, den Handel einschränkt, und alle Häfen bis auf 
Canton allein werden schliesslich dem Fremdenverkehr verschlossen. 
Die vielen Gesandschaften, welche die Portugiesen, Spanier und 
Holländer hinschicken, um Handelsvergüustigungen zu erwirken, 
werden entweder gar nicht bei Hofe zugelassen oder sehr gering- 
schätzig, ja schlecht behandelt. 

Das Urtheil, das die chinesischen Historiker der damaligen 
Zeit über uns Europäer gefällt haben, darf nicht unerwähnt bleiben, 
da es noch heute uns im Wege steht bei einem grossen Theile der 
Bevölkerung, der noch keine Gelegenheit gehabt hat, sich persönlich 


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eines Besseren zu belehren. In iler chinesischen Geschichte iles 1 6., 
17., 18. Jahrhunderts stehen wir gebrandmarkt, als rohe, bildungs- 
unfähige Barbaren, nur auf materiellen Vortheil bedacht, wozu uns 
alle Mittel recht sind ; als Gesindel, das kein Vertrauen verdient und 
nicht in derselben Weise wie die chinesischen Bürger oder die ara- 
bischen Händler aus früheren Zeiten behandelt werden darf. 

Während diese unerquicklichen Scenen an der Küste sich ab- 
wickeln, erreichen die Jesuiten-Missionäre im Innern des Landes 
Erfolge, die unter den Umständen nahezu wunderbar genannt werden 
müssen. Matteo Ricci, ein italienischer Jesuit, landete in Cauton 
im Jahre 1581, und trotz der Opposition der, seine Lehre täglich 
lügenstrafenden Landsleute, finden wir ihn bereits im Jahre 1601 in 
hohem Ansehen am kaiserlichen Hofe. Sein Nachfolger, Adam Schaal 
aus Köln, ein ausgezeichneter Mathematiker, stieg zu den höchsten 
Ehrenstellen, wurde Präsident eines der untergeordneten Ministerien 
und Erzieher des jungen Kaisers Kanghsi, eines der grössten Herrschers 
aller Zeiten. Ihm folgte im Amte der nicht minder begabte Belgier 
Verbiest, und später im Ansehen der Franzose Gerbillon, welcher 
des Kaisers unzertrennlicher Reisebegleiter wurde. Es sind noch 
viele andere verdienstvolle Männer unter den 500 Missionären gewesen, 
die die katholische Kirche damals nach China gesandt hat, und in 
demselben Maasse, wie ihr Ansehen bei Hof stieg, mehrte sich auch 
der Erfolg ihrer Missionsthätigkeit unter dem Volke. Die Lehre 
erhielt die kaiserliche Sanktion, gewann Verbreitung im ganzen Lande, 
auch in den höchsten Kreisen, und Kirchen erstanden in allen Städten. 
Da kam der Umschlag. 

Der grossartige Erfolg der Jesuiten erregt den Neid der Do- 
minikaner und Franziskaner, die sich vom Papste einen Theil Chinas 
zusprechen lassen, der den Jesuiten entzogen wird. Die Jesuiten 
w r eigern sich, das mit vieler Mühe geistig eroberte Land abzutreten, 
und aus Rache werden sie in Rom verklagt, ein falsches Christen- 
thum gelehrt zu haben, indem sie die chinesischen Ahnengebete 
hätten fortbestehen lassen. Der Papst Inuocenz X. stellt sich auf 
die Seite der Dominikaner und verurtheilt die Lehre als Götzendienst; 
sein Nachfolger Alexander VIII. dahingegen erlässt ein Dekret, welches 
dem früheren genau entgegen und im Sinne der Jesuiten entscheidet; 
am grössten aber wird die Verwirrung, als Benedikt XIV. eine 
Bulle erlässt, welche anordnet, dass je nach Umständen, beide 
Dekrete gelten sollten! Und nun sehen wir, ähnlich wie an der 
Küste zwischen den Kaufleuten der verschiedenen Nationalitäten, einen 
erbitterten, hasserfüllten und unwürdigen Kampf zwischen den 
Ordensbrüdern entbrennen, in dem gemeine Verläumdung, Aufhetzung 


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von Konvertiten und hohen Würdenträgern, seihst Gefangennahme und 
Exkommunikation als Waffen dienen. Der Kaiser wird in den Streit 
gezogen, und kaiserliche Edikte werden erlassen zu Gunsten der 
Jesuiten; Kardinal Tournon, der päpstliche Legat, verdammt des Kaisers 
Ausspruch und wird gefangen gehalten von den Jesuiten bis zu seinem 
Tode; die Dominikaner erwirken ein Dekret vonClemensXI. inTournon’s 
Sinne; und der Mönch Kostorani, der es in den Kirchen von Peking 
verkündete, wird in Ketten gelegt, weil er sich vermessen, ein 
fremdes Gesetz im Lande zu proklamiren. Die Stellung, welche der 
päpstliche Stuhl einnahm, indem er ein gegen ein kaiserliches Edikt 
gerichtetes Dekret seines Kardinals billigte und zu erzwingen ver- 
suchte, war ein erheblicher Schritt zur Untergrabung der Mission. 
Dazu kommt noch der Streit des Papstes und des Königs von 
Portugal, welche beide die Jurisdiktion über die Christen in Asien 
beanspruchen. Das Verhängnisvollste aber war das hoffärtige Ge- 
baren der Missionäre selber. Aus ihren eigenen Berichten ersehen 
wir, wie sie alle sich die Ehren, die einzelne hervorragende Glieder 
erworben, zu Nutze machen, sich die Titel und Ehrenbezeugungen 
hoher Beamter anmassen und mit diesen rivalisiren — in schwerer 
Seide gekleidet und mit grossem Gefolge in amtlichen Tragsesseln 
reisten, wie die höchsten Würdenträger. Die Übeln Eolgen konnten 
nicht ausbleiben. Eine Lehre, die mit Zwist und Streit auftrat, 
konnte sich bei den friedliebenden Chinesen auf die Dauer nicht 
halten. Die Klagen der Beamten, die gegenseitigen Beschuldigungen 
häufen sich; die Jesuiten begegnen ihnen lange mit bewunderungs- 
würdigem Geschick, aber die Wogen sind zu mächtig erregt, und 
endlich im Jahre 1723 sehen wir dasselbe Schicksal über die 
Missionäre hereinbrechen, das ihre kaufmännischen Landsleute schon 
früher ereilte. Sie wurden als Unruhestifter ausgewiesen und auf 
Canton beschränkt, mit Ausnahme der bei Hofe als Astronomen, 
Geschützgiesser, Maler, Feldmesser u. s. w. Angestellten. 

In dem benachbarten Japan, wo seit Einführung des Christen- 
thums Kampf und Zwietracht nicht aufgehört, und wo es mit Feuer 
und Schwert ausgerottet wurde, hatten die Chinesen ein schlimmes 
Beispiel vor Augen. Um so mehr muss es anerkannt werden, dass 
sie ihrerseits viel milder verfuhren. Das Verbot ging nur gegen 
die Ausbreitung der Lehre — eine Zahl privilegirter fremder Seel- 
sorger wurde geduldet, die anderen nach Canton verwiesen, aber 
Niemandem wurde sein Glaube genommen. Dass in der Ausführung 
dieses Ediktes viele Härten vorgekommen sind, darf bei der Er- 
bitterung der Beamten und dem Glaubenscifer der Ordensbrüder 
nicht Wunder nehmen. Eiu Vernichtungskampf aber, wie ihn Japan 


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fielen das Christenthum, oder umgekehrt, ein grausamer Ausrottungs- 
versuch mit Folter und Henkerbeil, wie ihn das Christenthum gegen 
Andersgläubige in Spanien, Holland und Deutschland geführt hat, 
ist in China nie geführt worden. Ueberhaupt mischt der chinesische 
Staat sich äusserst wenig in die religiösen Verhältnisse seiner An- 
gehörigen. Jeder darf glauben, was er will ; auch wird nicht verlangt, 
dass jeder seine Zugehörigkeit zu irgend einer Religionsgenossenschaft 
erklärt. Dass eine solche keine staatsgefährlichen Ziele verfolgen 
darf, ist selbstverständlich; ebenso betrachtet der Staat es als seinem 
Interesse zuwiderlaufend, wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft 
sich völlig gegen ihre Mitbürger abschliesscn. Dass sich im chine- 
sischen Volke durch die berührten Vorgänge eine gewisse Abneigung 
gegen das Christenthum, die vorher nicht bestand, bildete, ist er- 
klärlich, und diese Abneigung ist in bedeutendem Maasse gesteigert 
durch die Ereignisse dieses Jahrhunderts, durch welche der Chinese 
gelernt hat, das Christenthum allein als Attribut des unbequemen 
fremden Eindringlings, der ihn politisch bevormunden will, zu be- 
trachten. Ein Christenthum ohne Papst und ohne Kriegsschiffe 
würde dieselbe Toleranz wie der Buddhismus und der Islam ge- 
funden haben. 

In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts also beginnt 
jene Periode der politischen Abschliessung der Chinesen, während 
welcher aller Verkehr mit dem Auslande unter scharfe Kontrole 
gestellt und auf den einen Hafen Canton beschränkt — vorüber- 
gehend sogar ganz unterbrochen ist — und die Central - Regierung 
alles vom Auslande Kommende argwöhnisch abwehrt. Diese Periode 
gegenseitiger Entfremdung dauerte ein ganzes Jahrhundert. Anfangs 
verläuft Alles verhältnissmässig ruhig; Handel und Wandel sind 
beschränkt, aber die Beschränkungen sind erträglich. Bald jedoch 
macht sich im Verkehr ein neuer Faktor bemerklich, der 40 Jahre 
lang die Quelle des bittersten Streites ist, und zum Kriege mit 
England und damit zur Wiederaufschliessung des Landes führt. 
Dieser Faktor ist das Opium. Zuerst gegen Ende des vorigen Jahr- 
hunderts von Indien in kleinen Quantitäten eingeführt, belief sich 
die Einfuhr im Jahre 1800 bereits auf mehrere tausend Centner, 
und endlich aufmerksam geworden, verbietet die Central-Regierung 
bei Todesstrafe die Einfuhr, den Anbau und das Rauchen von 
Opium. 40 Jahre lang versucht sie mit allen ihr zu Gebote 
stehenden Mitteln, dem Uebel zu steuern. Aber die Unredlichkeit 
der eigenen Beamten, die alte Abneigung der Regierung, mit den 
unbequemen Fremdlingen in politische Beziehung zu treten und sie 
damit als ebenbürtig auzuerkennen, sowie andererseits des Kaisers 


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Wort, dass er sich nimmer dazu verstehen würde, das Elend und 
das Laster seiner Unterthanen zu einer Einnahmequelle zu machen, 
legen jede Kontrole lahm. Der Schmuggelhandel mit Opium in 
fremden Schiffen an den Küsten und das Opiumrauchen im Lande 
nehmen immer grössere Dimensionen an, so dass im Jahre 1839 die 
Einfuhr bereits 40000 Centner beträgt. Die Rathlosigkeit der 
Regierung, ihre gänzliche Unkenntniss des Völkerrechts, wie aus- 
wärtiger Verhältnisse überhaupt, lassen sie die verkehrtesten Maass- 
regeln ergreifen; und als sie schliesslich im Jahre 1839 unter Nicht- 
achtung jeglicher Form die Uebergabe alles auf englischen Schiffen 
in der Nähe von Canton befindlichen Opiums im Werthe von 50 Millionen 
Mark erzwingt und das so konfiscirte englische Eigenthum vernichtet, 
ist der Anlass zum Kriege und damit zur Wiedereröffnung des Landes 
gegeben. Durch den Friedensschluss von Nangking im Jahre 1842 
wurden zuerst fünf Häfen eröffnet und die Insel Hongkong an Eng- 
land cedirt, — aber erst ein zweiter Krieg, der die Eroberung von 
Peking und die Zerstörung der kaiserlichen Paläste zur Folge hatte, 
war im Stande, die Anerkennung voller Gleichheit auswärtiger Natio- 
nen zu erzwingen, und somit sind wir zu dem noch heute herrschen- 
den Zustande gelangt. . 

Die Hauptzugeständnisse der englisch - französischen Verträge 
von 1858 resp. 1860, die die Grundlage der späteren Verträge mit 
anderen Nationen, so auch mit Deutschland bilden, sind: 

1) Zulassung auswärtiger Gesandten und Konsuln; 

2) Kontrole und Jurisdiktion der Fremden in China bleibt ledig- 
lich den Konsuln der betreffenden Nationalität überlassen; 

3) ungehindertes Reisen mit Pässen im Lande; 

4) ungehinderte Ausübung der christlichen Religion im Lande; 

5) Handelsfreiheit unter festen Tarifbestimmungen an bestimmten 
Orten an der Küste. 

Abgesehen von den Kolonien Hongkong und Macao sind jetzt 
19 grosse See- und Flusshäfen, 7 Nebenhafen und 6 Landungsstellen 
für Flussdampfer dem fremden Verkehr geöffnet. Katholische und 
protestantische Missionäre wohnen weit im Innern des Landes, und 
seit 1861 sind die Gesandschaften der Vertragsmächte in Peking 
ansässig. 

Versuchen wir es nun, uns ein Bild der Beziehungen 
zwischen Chinesen und Europäern zu verschaffen. Das 
Urtheil der Chinesen zur Zeit der Beschränkung des Handels auf 
Canton ist bereits erwähnt worden.*) Für die nun folgende Periode 

*) In dem amtlichen Berichte der preussischen Expedition nach Ostasien 
finden wir die vollste Bestätigung des bereits Gesagten Band III, Seite 6. „Sehr 


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giebt der amtliche Bericht der preussischen Expedition nach China 
im Jahre 1861 eine treffende Schilderung. Band III, Seite 17: 
„Die Fremden verkehrten in diesem Zeiträume mit den Cautonesen 
ohne den Schutz und Zügel einer legalen Autorität. Die Unmög- 
lichkeit, auf gesetzlichem Wege Recht zu erlangen, und die Noth- 
weudigkeit, durch das eigene Auftreten sich Ansehen zu verschaffen, 
machte sie schlau und vorsichtig, aber auch willkürlich und an- 
massend. Die verachtete Stellung, welche ihnen durch Verschliessung 
der Stadt angewiesen wurde, erhöhte die Reizbarkeit der Aus- 
länder, die sich, je niedriger ihre Bildungsstufe und sociale Stellung, 
desto erhabener wähnten über jeden Sohn des Landes. Die Art der 
Berührung, wie sie sich zwischen den Fremden und den Cantonesen 
gestaltete, musste zu gegenseitigem Verkennen, zu Hass und Ver- 
achtung führen. Die Faktorei - Beamten, Superkargos und Schiffs- 
mannschaften kamen fast nur mit habgierigen Ofticianten des Zoll- 
amtes und dem Gesindel der Vorstädte in Berührung. Ihr Auf- 
treten gegen diese — das ihrer Gesittung zufolge gewaltsamer und 
willkürlicher gewesen sein mag, als billig — und die blutigen 
Schlägereien der Schiffsmannschaften unter sich bestimmten vor- 
wiegend den Ruf der Ausländer bei dem bessern Theile der canto- 
nesischen Bevölkerung. Der Hass derselben steigerte sich im Laufe 
der Jahrzehnte zu leidenschaftlicher Wuth und wurde zu einer 
Hauptwurzel der späteren Uebel. Wie aber diese Feindschaft 
wirklich auf der Abschliessung beruhte, zeigt in schlagender Weise 
der Umstand, dass jede Spur davon geschwunden ist, seitdem Canton 
einige Jahre von einer englischen Garnison besetzt war, seit die 


bezeichnend ist die Thatsache, dass — während in früheren Zeitaltern die 
Chinesen durchaus keinen Widerwillen gegen Fremde bewiesen und den 
Bekehrnngsversuchen christlicher Missionäre kaum Iliudernisse bereiteten, wäh- 
rend ihre klassischen Schriften die Wohlthaten des Handels und den Nutzen 
preisen, welcher den Völkern aus dem Austausch ihrer Ideen und Erzeugnisse 
erwachse — seit dem Erscheinen der seefahrenden Nationen eine ausgesprochene 
Abneigung, ja Feindschaft und Verachtung gegen dieselben hervortrat. Sie 
steigerte sich erheblich seit der Invasion der Maudschu, deren Unsicherheit auf 
dem chinesischen Thron ihren Argwohn gegen die Fremden genährt haben mag; 
begründet war sie aber wesentlich im Charakter und Auftreten der Seefahrer 
und der Missionäre. F.rstore gehörten grossentheils zum Auswurf ihrer Heimat; 
selbst die besseren scheinen wilde Abenteurer gewesen zu sein, denen der Ruhm 
tollkühner Anschläge mehr galt als die Unbescholtenheit; die Menge der An- 
kömmlinge aber zeigte sich knechtisch und kriechend gegen überlegene Macht, 
zu jedem Opfer der Ehre bereit, wo es ihr Vortheil erheischte; brutal, gewalt- 
sam, treulos und jedes Verbrechens fähig, wo sie als die Stärkeren dadurch 
Gewinn erzielen konnten. Kein Wunder, wenn die Clünesen sie als feige Ban- 
diten ansahen und behandelten,“ 


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besseren Klassen seiner Bevölkerung und die Fremden sich im täg- 
lichen Umgang kennen lernen mussten.“ 

Was hier im Jahre 1861 von Canton gesagt wird, kann heute 
vom ganzen Reiche gesagt werden. Das Einvernehmen während der 
20 Jahre, die nunmehr seit der gewaltsamen Wiederaufschliessung 
des Landes verflossen sind, darf im Ganzen ein recht gutes 
genannt werden. Allerdings sind Reibungen vorgekommen in diesem 
Zeiträume, aber keine, wo nicht besondere Ursachen Vorlagen, und 
viele, die durch ein etwas umsichtigeres Verhalten seitens der Europäer 
hätten vermieden werden können. Das Verhalten der Europäer 
gegen den physisch ihnen nachstehenden Chinesen lässt im Allge- 
meinen auch noch heute zu wünschen übrig, und frommer 
Missionseifer kennt oft kein Maass. Zieht man die kolossale Aus- 
dehnung des Reiches, die lässige Kontrole der Central -Regierung, 
den Aberglauben und die grosse Unkenntniss des Volkes von 
Allem, was nicht chinesisch ist, in Betracht, so muss man sich 
sagen, dass schwerlich ein anderes Volk in der Welt sich so ruhig 
in die neuen Verhältnisse geschickt und so schnell vergessen hätte. 
Und zu vergessen haben die Chinesen viel. Die Vortheile, die 
ihnen unsere Civilisation bringen wird, sind heute nur Wenige zu 
würdigen im Stande; und sie sagen daher nicht mit Unrecht, dass 
wir ihrem Lande bis jetzt nur Unheil gebracht haben. Es sind 
nicht nur jene Schandthaten, die die ersten Jahrhunderte europäi- 
schen Verkehrs mit China brandmarken, und die Opium- und 
anderen Kriege mit England und Frankreich. Auch Russland hat 
an der Nordgrenze Chinas so lange gerüttelt, bis es sich jene herr- 
liche Provinz, das Amur-Gebiet, angeeignet hat. Aber vor Allem 
wird es den Chinesen schwer, die grossen Rebellionen zu vergessen, 
die ihr schönes Land während einer Zeitdauer von 25 Jahren 
(1850 — 1875) so schrecklich verwüstet haben — die sieben der 
schönsten Provinzen brachgelegt und 60 Millionen Menschen das 
Leben gekostet haben sollen. Nicht mit Unrecht sagen sie, dass 
die Taiping-Rebellion durch protestantische Konvertiten angezettelt, 
durch Zufuhr fremder Waffen unterhalten ist, und während des 
englisch-französischen Krieges mit China ihre grösste Ausdehnung 
erhalten hat, und dass nur durch die Taiping- Rebellion erst die 
anderen im Westen des Landes möglich geworden sind. Und wenn 
sie auch unsere spätere Hülfe bei Unterdrückung derselben dankend 
anerkennen — in ihren Augen wiegt das unsere Mitschuld nicht auf. 

Ausserdem enthalten die heute zu Recht bestehenden Verträge 
mit dem Auslande noch manche, allerdings theilweise nicht zu 
ändernde Härten, die einer friedlichen Entwickelung hindernd im 


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Wege stehen. Nicht genug, dass der Kaiser von China sich durch 
die Verträge mit fremden Fürsten seiner angestammten Souverä- 
netät theilweise entüussert und damit im chinesischen Staatsleben 
eineu Uebergang geschaffen hat von ähnlicher Tragweite, wie vom 
Absolutismus zur Verfassung im Leben europäischer Staaten. Deuu 
in China war das Bewusstsein von der Berechtigung der unum- 
schränkten Macht des Kaisers uicht nur über das eigene Reich, 
sondern über die ganze Welt eng und unzertrennlich verwachsen 
mit der auf zweitausendjähriger Entwickelung fussenden, tief ein- 
gewurzelten Weltanschauung des Volkes: — sondern durch zwei 
Punkte in den Verträgen, insbesondere wird diese Souveränetät im 
eigenen Lande und in den Augen des eigenen Volkes schwer ge- 
schädigt. Es sind das die Religionsfreiheits- und Exterri- 
torialitäts-Klauseln. Unter ersterer ist hauptsächlich von 
Frankreich zur Zeit des Kaiserreichs die Beschützung katholischer 
Konvertiten als ein Frankreich zustehendes Recht beansprucht 
worden. Die Folgen eines solchen Vorgehens liegen auf der Hand — 
alles Gesindel, wenn in Noth, wird versuchen, katholisch zu werden, 
um sich damit dem Arm des Gesetzes zu entziehen; die Missionäre 
werden zu Gemeindefürsten, deren Machtwort die legitime Obrigkeit 
lahm legt und das Anseheu der Regierung in den Augen des Volkes 
schwer schädigt. 

Die Exterritorialitätsklausel wirkt in ähnlicher Weise. Durch 
sie werden alle in China befindlichen Ausländer ausserhalb des 
Bereichs der Landesgesetze erklärt, und der alleinigen Kontrole und 
Jurisdiktion ihrer respektiveu Konsuln unterstellt. Es wird somit, 
wie auch im vorhergehenden Falle, ein Staat im Staate geschaffen. 
Allerdings ist in diesem Falle die Abhülfe schwer. Denn obgleich 
China einen „Criminal-Codex“ hat, von dem die „Edinburgh Review“ 
sagt: „Wir kennen kaum einen europäischen Kodex, der zugleich so 
reich und so konsisteut wie dieser, oder annähernd so frei von Ver- 
worrenheit, Umständlichkeit und Frömmelei ist“; so fehlt es an einem 
Civil-Kodex und Handelsgesetz; und zudem ist die Ausführung der 
Gesetze überhaupt sehr mangelhaft. Aber die Zeit ist hoffent- 
lich nicht mehr fern, da gemeinsame Gerichtshöfe und gemeinsame 
Gesetze vereinbart werden, welche Chinesen und Ausländer mit 
gleichem Maasse messen. 

Unvermeidlich, wie sie war, dürfte der Fortbestand der Exterri- 
torialität, so lange sie nicht unberechtigter Weise, wie unter der 
Religionsfreiheits-Klausel, auf Eingeborene ausgedehnt wird, und so- 
bald ein gemeinsames Gesetz die auf beiden Seiten zu Tage getretenen 
Härten beseitigt, der chinesischen Regierung sowohl wie den Ver- 


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tragsinächten ganz genehm sein. Ihrem ganzen Wesen nach ist sie auf 
Lokalisirung angewiesen, und China hat es ihr zu verdanken, dass die 
Flut der Fremden und mit ihr eine Kultur, für die das Volk noch nicht 
reif ist, anstatt sich über das ganze Land zu ergiessen und damit 
den Keim zu unvermeidlichem Hader, ja Krieg und Rebellion zu 
pflanzen, auf bestimmte Orte an der Küste, auf eigene, gewöhn- 
lich von der chinesischen Stadt getrennte Kolonien unter Aufsicht 
eigener Behörden beschränkt bleibt. Die chinesische Regierung 
ist dadurch grosser Mühe und vieler Sorgen überhoben, allerdings 
auf Kosten ihrer Landeshoheit. 

Wir Ausländer aber verdanken ihr die Möglichkeit, ein Stück 
der alten Heimat in diese fremde Welt hineinzaubern zu dürfen 
und dort ganz wie zu Hause leben zu können. Wer heute die 
europäische Niederlassung bei Shanghai sieht, der kann glauben, in 
einer ganz europäischen Hafenstadt ersten Ranges zu sein. Seine 
palastähnlichen Gebäude, seine zierlichen öffentlichen Gärten am 
Hafen, seine sauberen Strassen, seine Promenaden, Fahr- und Reit- 
wege, die meilenweit in’s Land gehen, die daran liegenden Villen 
inmitten ihrer prachtvollen Gärten, die schönen Quais, Docks und 
grossenWerften, dieWasserwerke, Pferdebahnen und Telephon-Anlagen, 
die kürzlich in Angriff genommen sind; dann die vielen abwechselnden 
und mit grossem Eifer betriebenen Vergnügungen und die Genüsse, welche 
sich bieten im englischen und deutschen Kasino, durch die Renn-, 
Ruder-, Jacht- und Kricket -Klubs, Turn-Vereine, und wie sie alle 
heissen; dazu die häufigen musikalischen Genüsse, italienische und 
französische Oper, Theater, Bälle und so weiter, das Alles macht es den 
Fremden nicht schwer, sich in China heimatlich zu fühlen. Und 
eine Behaglichkeit sehen wir dort durch die Verschmelzung des 
Komforts zweier Hemisphären geschaffen, welche dem Verwöhntesten 
genügen dürfte, und die wohl Mancher, wenn er in die Heimat zurück- 
gekehrt ist, anfänglich sehr vermisst. 

Ferner aber darf die Bedeutung dieser Musteransiedlung, wie 
sie mit Recht von Reisenden getauft worden ist, und ihrer Scbwester- 
kolouien an den Gestaden China’s, als kulturvermittelnde Faktoren 
bei einer Betrachtung der Wirkungen der Exterritorialitätsclausei 
nicht übersehen werden. Was sich sonst zwischen den Millionen 
China’s verloren haben würde wie ein Tropfen im Eimer, ist durch 
sie auf einzelne Punkte zusammengedrängt, im Laufe der Jahre zu 
der Hauptmacht erstarkt, die China in die Bahnen der europäischen 
Kultur lenkt. In ihnen ist China der handgreiflichste Beweis der 
Ueberlegenheit unserer Kultur gegeben. Viele Tausende kommen 
täglich dorthin, sehen und staunen und berichteu den tausend und 


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abertausend Zuhörern in der Heimat, was sie gesehen; Andere 
wieder, und deren Zahl zählt schon nach Hunder ttausenden und mehrt 
sich täglich, sind schon einen Schritt weiter gegangen und haben 
ihren Wohnsitz in dem europäischen Gemeindewesen aufgeschlagen. 

Dem entgegen darf es unsererseits schliesslich nicht unberück- 
sichtigt bleiben, dass es eben diese Exterritorialität ist, die dem 
Untemehnmugsgeiste unserer Kaudeute und Kapitalisten und damit 
der Yerpdauzung unserer Kultur im eigentlichen Lande überall 
hindernd entgegentritt. Kann man es der chinesischen Regierung 
verdenken, wenn sie eifersüchtig darüber wacht, keine exterritoria- 
lisirte Kohlengruben, Bergwerke, Eisenbahnen u. s. w. im Lande er- 
stehen zu lassen, und vorzieht zu warten, bis sie selbst oder doch 
eingeborene Kapitalisten im Stande sind, dergleichen Anlagen zu 
unternehmen ? 

Aber wenn auch diese Klausel ohne Zweifel ein erhebliches 
Hindemiss für die Erschliessung des Landes bildet, so stehen doch 
die Aussichten in dieser Beziehung keineswegs ungünstig. Denn, 
wie wir gesehen haben, ist die Abgeschlossenheit der Chinesen nicht 
in ihrem Charakter begründet, sondern einerseits durch die geo- 
graphische Lage hervorgerufen, andererseits in neuester Zeit durch 
das Gebaren der westlichen Nationen grossgezogen ; und es ist daher 
zu liofteu, dass die Abneigung gegen die Fremden im Allgemeinen, 
welche ein Theil der Bevölkerung noch hegt, unter dem Eindrücke 
günstigerer Erfahrungen im Laufe der Zeit schwinden wird. Lang- 
sam wird es freilich mit der weitern Eröffnung des Landes gehen. 
Es stehen derselben grosse Schwierigkeiten in alten und wohlbewähr- 
ten Einrichtungen des Staates, in alten Volksrechteu und ehrwürdigen 
Gebräuchen entgegen und es darf nicht erwartet werden, dass die 
Regierung hiermit so leicht, wie es in dem benachbarten Japan ge- 
schehen, aufräumen wird. In Japan liegen die Verhältnisse gauz 
anders. Sein Gebiet ist klein, leicht übersichtlich und ringsum vom 
Meere begrenzt. Seine Kultur ist neu und nicht selbst erzeugt. 
Gerade so wie es heute unsere Kultur in Bausch und Bogen auf- 
nimmt, so hat es vor wenigen Jahrhunderten chinesische Kultur und 
Sitten, chinesische Schrift und Staatseinrichtungen en gi'os ange- 
nommen. Selbst seine Kunst, wenn auch eine originelle Ausbildung 
derselben anerkannt werden muss, ruht auf chinesischer Grundlage. 
Japan hat nicht mit tiefeingewurzelten Traditionen und alten be- 
währten Staatseinrichtungen zu brechen und was ihm ein Leichtes 
gewesen ist und wenige Jahre in Anspruch genommen hat, dazu 
wird China vielleicht ein halbes Jahrhundert bedürfen. Auch ist der 
chinesische Staat nicht ein morscher Bau, wie vielfach angenommen 


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wird. Dieses und Jenes ist wohl verrottet, manches verbesserungs- 
bedürftig, aber im Ganzen ist es ein klüftiger, gesunder Baum, der 
tief uud fest wurzelt im Geiste dieses emsigen, pflichttreuen Volkes, 
das von einer seltenen Achtung vor dem Gesetze erfüllt ist, und 
dessen pietätvollen Sinn zu verletzen die Regierung Anstand nehmen 
wird und muss. Dass iudess der Chinese unserer Kultur gegenüber 
auch jetzt bereits nicht eine feindselige Stellung einnimmt, zeigt sich 
schon darin, dass seit einigen Jahren junge Chinesen auf Kosten der 
Regierung eine Ausbildung im Auslande (Amerika und Europa) er- 
halten, während andere bereits seit 1866 auf der Pekinger Hoch- 
schule ausgebildet wurden; sowie darin, dass man jetzt Gesandt- 
schaften bei den fremden Mächten geschaffen hat. Manches von den 
Errungenschaften unserer Kultur hat sich der Chinese bereits zu 
Nutze gemacht. Kohlen- und Eisenmiuen sind eröffnet, die zum 
Theil unter der Leitung von Europäern in chinesischen Diensten 
sind, wie die in Formosa und Cliihli. Ihre Seezollbehörde, ganz nach 
europäischem Muster eingerichtet und von Europäern geleitet, besteht 
bereits seit 1857; aus kleinen Verhältnissen erwachsen, ist sie von 
der Regierung von Jahr zu Jahr befestigt und mit den verschieden- 
artigsten Funktionen betraut worden, so dass sie heute eines Beamten- 
personals vou über 3000 Europäern und Chinesen benüthigt ist. Die 
chinesische Küste finden wir bereits erleuchtet, so gut wie wir es 
bei uns gewohnt sind; Arsenale, Schiffswerften und Pulverfabriken 
werden nach europäischem Muster eingerichtet; Kriegsdampfer wer- 
den in Deutschland und England gebaut, und eine grosse Dampfer- 
flotte für Handelszwecke ist mit Hülfe der Regierung vor wenigen 
Jahren gegründet worden. Soeben ist eiue 200 deutsche Meilen 
lange Land-Telegraphenlinie*) von Shanghai nach Tientsin von einer 
dänischen Kompagnie im Aufträge der Regierung angelegt worden. 

Ja, schon tritt man an diejenige Einrichtung heran, welche tiefer 
umgestaltend, als irgend eine andere, auf das Leben der civilisirten 
Nationen eingewirkt hat, ich meine den Bau der Eisenbahnen. Im 
Princip bereits vou der Centralregierung sanktionirt, wird der Anfang 
nicht mehr lauge auf sich warten lassen und dadurch wird unendlich 
mehr für Europa gewonnen werden, als durch noch so günstige Ver- 
träge und durch Eröffnung neuer Häfen. China wird einerseits durch 
die Lieferung für den Bau, andererseits durch die sich daraus er- 
gebende Erschliessung des weiten Hinterlandes ein Absatzgebiet, ein 
Handelsgebiet von grossartigster Bedeutung werden. Denn die 
300 Millionen Einwohner dieses Reiches werden (man kann rechnen) 

*) Ein Seekabel verbindet Europa mit China bereits seit Anfang der 
70er Jahre. 

Qcogr. Blätter. Bremen, 1882. Ö 

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wahrend der nächsten 50 Jahre auf Europa (resp. Amerika) angewiesen 
sein für ihren Bedarf an tausend und abertausend Erzeugnissen der 
Industrie, von der Nähnadel bis zur Lokomotive. Schon im Jahre 1879 
verbrauchte China trotz der mangelhaften Transportverhältnisse, die 
ja hier, zumal bei dem grossentheils gebirgigen Charakter des Landes 
doppelt schwer wiegen, au europäischen Baumwollen- und Wollwaaren 
für etwa 160 Millionen Mark, an Metallwaareu für etwa 25 Millionen 
Mark. Durch den Eisenbahnverkehr aber, der erst der Hauptmasse 
des Reiches ermöglichen würde, an dem Konsum theilzunehmeu, w erden 
diese Summen eines enormen Anwachsens fähig sein. Dazu kommt, 
dass erst im Gefolge dieser Einrichtung (noch mehr allerdings, wenn den 
Europäern eine Mitwirkung gestattet würde) die überaus reichen 
Hülfsquellen des Landes zur rechten Eutwickeluug gelangen werden 
und so die Konsumfähigkeit des Landes eine weitere erhebliche 
Steigerung erfahren wird. So besitzt China, um nur eius zu 
erwähnen, neben anderen grossen Mineralschätzen einen Reichthum 
an Kohlen und Eisen, der nach dem Urtheil des Freiherrn 
v. Richthofen u. A. den der Vereinigten Staaten von Nordamerika 
weit Übertritt!. Schliesslich ist zu bedenken, dass das Land erst jetzt 
sich allmählich erholt von den vielen schweren Schicksalsschlägen, 
die es in diesem Jahrhundert betroffen ; die durch die Rebellionen 
brachgelegten schönen Provinzen bevölkern sich zusehends, Ackerbau, 
Handel und Wandel blühen auf in Gegenden, wo noch vor 10 Jahren 
eine wüste Einöde war, und der Wohlstand und damit die Konsum- 
fähigkeit ist im steten Steigen begriffen. Keine Anstrengungen 
sollten daher unsererseits gescheut werden, so lange es noch Zeit 
ist, dort Terrain zu erobern. Abgesehen von unseren Nachbarstaaten, 
die ja naturgemäss immer die Hauptfaktoren bleiben müssen, mit 
denen uusere Handelspolitik zu rechnen hat, giebt es kein anderes 
Land der Welt, w elches so sehr die Aufmerksamkeit unseres Handels- 
ministers verdient, wie China. Der deutsche Händel hat dort nicht 
mit ungünstigen Verhältnissen zu kämpfen, wie in manchen 
holländischen, spanischen und englischen Kolonien; auch ist der Absatz 
von deutschen Waaren hier nicht, wie dort etwa, dadurch erschwert, 
dass der Geschmack von einem Muttcrlande beeinflusst wäre. Deutsche 
Waaren sind in China absatzfähiger als die englischen, denn der 
Chinese zieht den billigen und weniger guten Artikel gewöhnlich 
dem theueren und besseren vor; auch die deutschen Kaufleute, 
möchte ich sagen, sind wie s. Z. die deutschen Schiffe (denn seit 
1870 sind unsere Segelschiffe grüsstentheils durch englische und 
chinesische Dampfer verdrängt), bei dem Volke beliebter, als andere. 

In den 19 dem fremden Handel geöffneten Häfen waren im 


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Jahre 1879 im Ganzen 451 Handelshäuser ansässig, von denen 299 
englische, 64 deutsche und 31 amerikanische waren, während der Rest 
von 57 sich auf 10 andere Nationen vertheilte. Der amtlichen 
Statistik zufolge betrug der englische Handel mit China im Jahre 
1879 etwa 70°/o (= 1900 Millionen Mark) und der deutsche nur 
5 l /s °/o (= 150 Millionen Mark) eines Gesaminthandels von etwa 2730 
Millionen Mark. Mithin würde auf jedes englische Haus im Durch- 
schnitt 6 4 /io Millionen, dahingegen auf jedes deutsche Haus nur 
2 s /io Millionen Mark entfallen. Dabei muss jedoch erwähnt werden, 
dass dieser Statistik nicht die Nationalität des die Waaren ein- oder 
ausführenden Kaufmanns, sondern die Flagge des die Waaren trans- 
portirendeu Schiffes zu Grunde liegt. Inwieweit dieser Procentsatz 
sich nun vermehren oder vermindern würde, falls die Nationalität 
des Kaufmanns den statistischen Berechnungen zu Grunde gelegt 
würde, mag dahingestellt bleiben — jedenfalls aber darf er nicht 
als maassgebend für die Ausdehnung des Handels der deutschen 
Kaufleute in China augeuommen werden, weil die bedeutenden 
Lieferungen an Waffen, Munition u. s. w. für die chinesische Re- 
gierung, die vorzugsweise in deutschen Händen sind, darin nicht 
berücksichtigt wurden. In den letzten Jahren sind vorzugsweise 
Krupp’sche Kanonen, Mauser-Gewehre, Torpedos, Berliner Revolver, 
Maschinerien u. s. w. im Werthe von vielen Millionen von China in 
Deutschland augekauft worden, und in den 60 Jahren schon machten 
die deutschen Waffeuhändler anerkannt das beste Geschäft mit China. 
Ich glaube daher nicht fehlzugreifen, wenn ich den Werth des deutschen 
Handels, oder vielmehr den Werth des Handels der deutschen 
Kautieute in China auf viel höher anschlage, als den gegebenen 
Procentsatz. Doppelt anerkennenswerth und kennzeichnend für die 
Lebensfähigkeit des Handels der deutschen Kaufleute ist es, dass er 
ganz auf eigenen Füssen steht und aus eigener Kraft sich zu dem 
entwickelt hat, was er geworden ist. Während unsere Regierung 
im Innern das neue Reich hat ausbauen müssen, haben andere Na- 
tionen grosse Anstrengungen gemacht und keine Opfer gescheut, 
um ihren Kaufleuten dort unter die Arme zu greifen und durch 
direkte und regelmässige Verbindung auch dem Heimatlande Theil 
an der Ausbeute dieses grossen Gebietes zu verschaffen — sich wohl 
bewusst, dass, wenn der Tag der gänzlichen Erschliessung des Landes 
kommen wird, ihre Bemühungen reiche Zinsen tragen werden. 
England, obwohl es keinen Mangel an Dampfverbindung mit China 
hat, unterhält seit frühester Zeit eine subventionirte Postdampfer- 
linie (P. & 0. Co.) von London via Brindisi, die alle 14 Tage 
fähit und die Reise in 40 Tagen machen muss; Frankreich 


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schickt seit 1863 die prachtvollen Dampfer der Messageries 
Maritimes dahin von Marseille via Neapel , gleichfalls alle zwei 
Wochen und subventionirt; Amerika hat eine ähnliche subventionirte 
Verbindung von San Francisco nach China; Oesterreich, Russ- 
land, sowie auch die Nachbarländer Japan, Manila, Java und 
Australien haben oder erstreben alle direkte Verbindung mit China 
durch subventionirte oder anderweitig unterstützte Dampferlinieu. 
Deutschland allein, obgleich sein Interesse am Handel Chinas das 
Amerikas, Frankreichs, Oesterreichs und Russlands weit überwiegt, 
scheint sich der grossen Zukunft dieses Handels nicht bewusst gewesen 
zu sein und ist die Verbindung mit China bis jetzt sich selbst und 
damit dem Wechsel und den Zufällen kaufmännischer Privatunter- 
nehmungen überlassen geblieben*) Deutsche Waaren aus der Rheiu- 
provinz und Westfalen haben daher vielfach durch fremde Hände, 
über Antwerpen, von Bremen und der Ostsee über England, und von 
Süddeutschland über Triest und Marseille — und mit fremden 
Schiffen ihren Weg nach China gefunden und hat das deutsche 
Binnenland in Folge dessen nur in vereinzelten Fällen direkte Be- 
ziehungen mit China anknüpfen können. Mit einer regelmässigen Ver- 
bindung, wie sie Frankreich seit 1863 hat, verstärkt durch den Unter- 
nehmungsgeist unserer Kaufleute und die Leistungsfähigkeit unserer 
Industrie, hätte Deutschland sich dort in diesem Zeitraum ein Land 
friedlich erobert, welches uns die fehlenden Kolonien ersetzt hätte: 
und was Frankreich nicht gelungen ist trotz aller Anstrengungen, 

*) Seit Eröffnung dos Suez-Kanals (1869) ist ein grosser Umschwung in 
den Transportverhältnissen nach Ostasien eingetreten. Vor 1869 gingen jährlich 
viele deutsche Segelschiffe von Hamburg direkt oder via England nach China 
um das Kap der guten Hoffnung, und war diese Verbindung für die damaligen 
Verhältnisse genügend. Bei Eröffnung des Suez-Kanals aber ging England mit 
dem Bau von Dampferflotten derart vor, dass es binnen wenigen Jahren alle 
Fracht nach dorthin an sich gerissen hatte; und von 1869 bis vor wenigen 
Jahren ist Deutschland grösstcntheils auf englische Schiffe für den Transport 
seiner Erzeugnisse angewiesen gewesen. Seit mehreren Jahren haben zwei 
Hamburger Häuser eine Dampferverbindnng angestrebt, aber die gegenseitige 
Konkurrenz liess keine Regelmässigkeit und Rentabilität zu. Die Schiffe luden 
und löschten in allen möglichen Häfen en route und brauchten oft drei Monate, 
nach China zu gelangen, und das Publikum sah sich genöthigt, auch noch 
ferner englische Dampfer mit sichererer Lieferzeit zu benutzen. Kürzlich seit 
dem Fallissement des einen Hauses haben sich die Verhältnisse gebessert; die 
Aktien der Gesellschaft sind von 40 ' i unter pari auf 60°/o über pari gestiegen 
und haben im Vorjahre einen Reingewinn von über 800000 Mark erzielt und 
11 % Dividende bezahlt. Von Anfang dieses Jahres nun sollen die Dampfer 
dieser Kompagnie (die Deutsche Dampfschiffs-Khederei zu Hamburg) alle 6 Wochen 
von Hamburg abfahreu und mit 60 Tagen Reise in China eintreffen, und es ist 
zu wünschen, dass der so gemachte gute Anfang von Dauer sein werde. 


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wäre uns zu erreichen ein Leichtes gewesen. Der Kaufmann in 
der Ferne darf nicht nach der Nationalität seiner Waare fragen; 
er kauft auf dem Markt, mit welchem verlässliche Ver- 
bindungen bestellen, und das Mutterland schallet nur sich selbst, 
wenn es nicht für Transporterleichterungen im Lande und nicht für 
eine regelmässige Verbindung mit seinen Söhnen ausser Landes nach 
Kräften sorgt. Was für andere Maassregeln noch getroffen werden 
können, um unsern Handel mit China zu heben und das Hinterland 
direkter daran zu betheiligen — etwa durch Entrichtung einer 
deutscheu Bank und Aufklärung deutscher Industrieller über 
chinesische Handelsverhältnisse u. s. w. — das entzieht sich meiner 
Beurtheiluug, Sicher ist, dass Waaren-Trausport-Erleichteruugeu 
vom Inlande, Eisenbahn-Fracht-Ermässigungen und Kanalbauten nach 
unseren Häfen — und eine direkte und regelmässige Dampf-Verbindung 
Hamburgs oder Bremens mit China schon binnen wenigen Jahren 
Wunder wirken werden. Die deutsche Regierung aber hat es in 
der Hand, die deutsche Industrie unseren Kaufleuten in China ebenso 
leicht erreichbar zu machen wie andere, und im Interesse des ganzen 
Landes ist es zu wünschen, dass der im vorigen Jahre gemachte 
Versuch nicht der letzte gewesen ist. Was aber gethan werden 
soll, muss bald gethan werden. Schon ist dem deutschen Handel 
und der deutschen Industrie ein grosser Nachtheil erwachsen daraus, 
dass wir so lange hinter anderen Nationen zurückgeblieben sind. 
Aber unendlich grösser und nicht wieder einzubringen würde der 
Schaden sein, wenn wir nicht am Platze wären bei der Erschliessung 
des Landes durch Eisenbahnen und der weiteren noch zu erwartenden 
grossartigen Entfaltung des Handels. Der deutsche Handel hat es 
hier immerhin zu anerkennenswerthen Resultaten gebracht unter 
ungünstigen Verhältnissen. Nun gebe man ihm Gelegenheit, den Wett- 
lauf mit anderen Nationen unter gleichen Bedingungen zu versuchen! 

— 

Kleinere Mittheilungen. 


§ Aus der Geographischen Gesellschaft in Bremen. Diesem Heft liegt der 
Jahresbericht des Vorstandes unserer Gesellschaft bei und verweisen wir auf den 
Inhalt desselben, indem wir zunächst noch besonders des handelsgeo- 
graphischen Lehrkursns, welcher unter Leitung des Schriftführers, Herrn 
I)r. W. Wolkenhauer, seit Januar d. J. im Gesellschaftslokal allwöchentlich zwei 
Mal für Mitglieder des Kaufmännischen Vereins abgehalten wird, sowie der in 
diesem Jahre fortgesetzten Vorträge gedenken. Am 13. December v. J. sprach 
Hofrath Dr. med. Pauli über die Insel Chios und ihre Bewohner. Seinen 
mehrjährigen Aufenthalt als Arzt auf dieser berühmten Insel des Aegäischen 


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Meeres hatte der Vortragende zu ausgiebigen Studien der Natur von Chios nnd 
seiner Bewohner, sowie zu mannichfaltigen Sammlungen benutzt. Von letzteren 
hatte er eine kleine, aber reiche und interessante Ausstellung veranstaltet; diese 
bestand aus einer Kollektion der vorkommenden Gesteine und Pflanzen, Proben 
des bekannten chiotischen Mastixharzes, vielerlei Indnstrieerzenguissen, endlich 
einer grossen Anzahl Photographien, welche Scenerien von Chios, sowie Chioten 
und Chiotinnen in ihren kleidsamen Trachten veranschaulichten. In seinem 
Vortrag demonstrirte der Redner, nach einigen Bemerkungen über Namen, geo- 
graphische Lage und Grösse der Insel, mit Hülfe einer von ihm angefertigten 
grossen Karte die Konfiguration nnd geognostische Beschaffenheit, er ging auf 
die mineralischen Reichthümer und die fast nie ruhende vulkanische Tliätig- 
keit des Bodens ein, sodann wandte er sich zum Klima, Thier- nnd Pflanzenlobeni 
Bewässerung, und besprach die hydrographischen Verhältnisse des umgebenden 
Meeres, endlich verbreitete er sich über die Bodenproduktion, die Industrie und 
die Bevölkerung. — Am 2. Februar hielt Kaufmann P. A. Schmölder aus 
Frankfurt a. M. einen Vortrag über seine Wanderungen in Dalmatien. Der 
Redner begann mit einer allgemeinen geographischen Charakteristik des Landes 
und Volkes von Dalmatien, jenes schmalen Küstenstrichs an der Adria, dessen 
Klima unter den Einwirkungen der Bora ein lokal in schroffen Gegensätzen 
wechselndes, dessen Terrain durch die dinarischen Alpen, durch die schroff zum 
Meere abfallenden öden Kalksteinküsten, durch Hochebenen und kesselartige 
Einsenkungen (Dolinen) ein mannichfaltig gegliedertes ist nnd welcher von einem 
zwar gutgearteten und unverdorbenen, aber rohen Volke bewohnt wird. Besonders 
hob er die Waldlosigkeit im nördlichen Theile und die Bemühungen der öster- 
reichischen Regierung, dieses Uebel allmählich durch umfassende Anpflanzungen zu 
beseitigen, hervor. Mit der Schilderung einer Dampferfahrt längs der langgestreckten 
dalmatinischen Küste ging er sodann näher ein auf die geologischen, die Kultur- 
und Bevölkerungsverhältnisse, skizzirte — aus eigener Anschauung — die 
Küstenscenerien, die Städte und Häfen von Sebcnico bis hinab zu den berühmten 
Bocche di Cattaro, die öden Berghalden des Inneren, die wenig bekannten 
prächtigen Kerka-Wasserfälle, erörterte Sitten nnd Erwerb der Bevölkerung nnd 
besprach endlich Handel und Produktion. Auch bei diesem Vortrag dienten 
Karten, Photographien und Industrieerzeugnisse zur Veranschaulichung. 

Die Herren Dr. Krause kehrten Anfang November v. J. von der 
Tschuktschen-Halbinsel nach San Francisco zurück. Der erste Thcil ihres Reise- 
berichts ist in diesem Heft abgedrnckt, der zweite folgt im nächsten. Fünf 
Kisten mit von ihnen gesammelten naturwissenschaftlichen Gegenständen kamen 
Anfang Februar in Bremen an ; dieselben werden gegenwärtig durch den Direktor 
der städtischen Sammlungen für Naturgeschichte, Herrn Dr. Spängel, durch- 
gesehen, geordnet nnd inventarisirt, um sodann Fachgelehrten zur Bearbeitung 
übergeben zu werden. Eine sechste Kiste, ethnographische Gegenstände ent- 
haltend, wird noch erwartet. Ende November traten beide Herren mit Dampfer 
eine Reise nach Alaska an, wo sie am Chilcoot-River, in einer Station der „Nord- 
westlichen Handelsgesellschaft“, überwintern werden. (Näheres siehe im Jahres- 
bericht.) — Unser Mitglied Kapt. Dali mann bereist in diesem Winter Sibirien 
nnd war den letzten Berichten zufolge in Irkutsk. — Ein anderes Mitglied von 
hier, Herr Paulus Dahse, hat sich Anfang Februar über Liverpool nach der 
Goldküste begeben, um im Auftrag einer Gesellschaft englischer Kapitalisten in 
dem Apollonia-Bezirk geognostische Untersuchungen vorznnehmen. 


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§ Notizen über die Seefischereien und den Perlmnsehelfnng im Persischen 
.Meerbusen. Die nachstehenden Notizen aus dem Jahre 1880 sind der Güte 
des Herrn Oberstleutnant Ross, Königlich Grossbritannischen Generalkonsuls zu 
Buschir, zu verdanken. Sie wurden behufs einer Zusammenstellung über die 
Seefischereien dev Welt gemacht, kamen aber für diese Arbeit zu spät. Die 
Veröffentlichung derselben in dieser Zeitschrift erscheint insofern gerechtfertigt, 
als sich ergiebt, dass das Gewerbe der Seefischerei in dem ausgedehnten persischen 
Meerbusen, sowohl durch die Zahl der beschäftigten Personen als durch die 
Erträge, ein sehr wichtiges ist. 

„Der Persische Meerbusen und seine unmittelbare Nachbarschaft kann als 
ein bedeutendes Gebiet des Fischfangs bezeichnet werden, indem Fische neben 
Datteln und einer geringen Menge Reis die Hauptnahrung des grösseren Tlieils 
der die Seeküste um den ganzen Meerbusen herum bewohnenden Eingeborenen, 
sowohl Araber wie Perser, bilden, und behauptet der Fischfang an Bedeutung 
den nächsten Rang nach der Perlenfischerei, mit welcher sich die Eingeborenen 
ebenfalls in ausgedehntem Maasse beschäftigen und ihren Lebensunterhalt ge- 
winnen; grosse Quantitäten Fische werden nach Muscat, Ostindien und anderen 
Welttheilen exportirt. — Die Haupt-Oertlichkeiten, an denen Fischerei in bedeutender 
Ausdehnung betrieben wird, sind folgende: 1) Ruoos-el-Jibal, welches sich von 
Ras-el-Khaymah bis Ras Daba erstreckt und wo die Hauptplätze Macaca, Fillam, 
Duhat, Thisch, Thabusch, Komgar, Gobbat Ali und Khubba liegen. 2) Der Theil 
der See um die Insel Kischm, Hormuz (Ormus), der sich bis Henjam, Tombs 
und bis zur Insel Kais erstreckt, und wo die Hauptorte Lar-Soar, in der Cla- 
rence-Strasse, Henjam, Lalaph, Tombs und Schinas sind. 3) Der innere Theil 
des Meerbusens auf der Strecke von Failichah bis Daira und Banna. 4) Der 
Strich um Bahrain und vor der arabischen Küste, der sich von Ras-el-Khcymah 
bis Aboothabee erstreckt. Endlich ö) die Gegend von Jask bis Gwadur. Die 
Seefischerei wird mehr oder weniger das ganze Jahr hindurch betrieben, doch 
giebt es zwei Hauptperioden, während welchen das Fischen in bedeutendem 
Maasse stattfindet, und die von der Dattelsaison und dem Winter begrenzt werden. 
Die erste Periode beginnt mit der letzten Woche des Februar und dauert bis 
Anfang Juni, wo, mit dem Beginn der Dattelsaison, die Fischerei bis zum Ende 
derselben ausgesetzt wird; um die Mitte des August beginnt die zweite Periode, 
welche bis Mitte November dauert, zu welcher Zeit, sobald das kalte 
Wetter eintritt und die See Böen und Stürmen ausgesetzt ist, das Fischen auf- 
hört, um im Februar wieder aufgenommen zu werden. Jedoch gehen einige 
Böte — von Bund Mallum, Kong und Kischm — etwa drei Wochen früher zur See 
als andere und kommen später zurück, während in anderen den Stürmen 
nicht so ausgesetzten Meeresgegenden, wie bei Lar-Soar und einigen Theilen von 
Ruoos-el-Jibal, dio Fischerei selbst den ganzen Winter hindurch betrieben wird. 
Im Durchschnitt werden jährlich etwa 1604 grosse und kleine Böte, mit einer 
Mannschaft von etwa 9200 Mann, mit Seefischerei beschäftigt. Während meiner 
Nachforschungen über diesen Gegenstand fand ich, dass die Eingeborenen keine 
Vorstellung der Menge selbst der von einem Boot in einem Jahre oder Monate 
gefangenen Fische hatten und Fragen in Bezug auf Schätzungen von Mengen 
blieben ausnahmslos unbeantwortet. Es blieb mir deshalb, um die durch- 
schnittlich jährlich von den Böten gefangenen Fischmengen und die Durch- 
schnittspreise, zu welchen die Böte die Fische an den verschiedenen oben- 
erwähnten Stellen verkaufen, zu ermitteln, kein anderer Weg, als der der Kom- 
bination. Als Resultat dieser Methode finde ich, dass man die jährlich gefangene 
Fischmenge in runder Zahl auf 26 Ö18 Tons schätzen kann. In diese Schätzung 


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habe ich die durch die „Hidra“ gewonnenen Fischqnantitäfen nicht eingeschlossen. 
Die s Hidra“ ist eine netzartige Zusammenstellung von, in geringer Entfernnng 
vom trockenen Strande in die See gepflanzten Dattelpalmzweigen. Die durch diesen 
Apparat gefangenen Fische sind auf etwa 2009 Tons zu schätzen, und die Anzahl 
der mit dieser Art der Fischerei beschäftigten Leute kann auf 1000 Mann ge- 
schätzt werden. Es muss jedoch bemerkt werden, dass die obigen Zahlen auf 
eine grosse Genauigkeit keinen Anspruch machen können, vielmehr nur als rohe 
Schätzung gelten können, da die erlangten Auskünfte unbestimmt blieben. Der Fang 
der Fische geschieht hauptsächlich durch Netze, theilweise aber auch mit 
Angeln, mit der „ Hidra“ und einem andern „Hargoor“ genannten Fangapparat. 
Die Mittheilung zählt nun 70 Fischsorten in persischen und arabischen Be- 
nennungen auf, welche die Fischereiobjekte im Persischen Meerbusen bilden. 
Die Muscheln, aus denen Perlen gewonnen werden, theilt man in drei Haupt- 
arten: l)Sadaf, 2) Ginnee und 3) Mahar. Sadaf, Perlmutter, ist bei Kais, Jazeera, 
Bu-Mnsa, Tombs, Henjam, Rnoos-el-Jibal, Kheiram, Soway, Ras-el-Hadd, Socotra, 
Rasfoon und Osair an der Somali-Küste zu gewinnen. In Bezug auf Gestalt 
ist sie die grösste Perlmuschel und von bedeutendem Marktwcrthe, da sie 
durchschnittlich zu etwa 8 Krans per Maund von 9 Pfund verkauft wird. Perlen 
liefert sie nicht viel, sie wird vielmehr der Schalen wegen gefischt. Die „Ginnee“- 
nnd „Mahar“-Muscheln sind dagegen reich an Perlen, sie werden von den Perlen- 
bänken, die sich von Debay bis Bahrain erstrecken, gewonnen. An Umfang ist 
die „Ginnee“ grösser als die „Mahar“-Muschel, und gesucht. Sie wird zu 75 bis 
100 Maunds von 9 Pfund verkauft, während die Mahar-Mnscheln einen Handels- 
werth nicht haben“. 


Die Kultur der Kokospalme auf den Fiji-Inseln. In einem kürzlich er- 
schienenen zweibändigen Werke, das „Coral lands“ betitelt ist, macht der Ver- 
fasser, H. Stonehewer Cooper, eine Reihe von beachtenswerthen Angaben über 
Bodenkultur und Produktion einiger wichtiger Inselgruppen Polynesiens. Be- 
züglich der Kultur der Kokospalme auf den Fiji-Inseln, deren Nuss bekanntlich 
das in der europäischen Industrie und besonders der Seifenfabrikation vielfach 
verwendete Kokosöl liefert, finden wir folgende Mittheilungen: 

Längs dem Meeresrande, im Korallensande, entwickelt sich der Kokosbaum 
am besten, auch auf dem von der Seebrise noch bestrichenen höheren Lande 
gedeiht er, wiewohl nicht ganz so üppig. Jeder voll tragende Baum ergiebt 
etwa 100 Nüsse jährlich; je 6000 Nüsse wiegen 1 Ton Kopra, die in Levuka 
einen Werth von 14 £ hat. Diese Nüsse liefern zugleich etwas über eine Ton 
Fasern, die ungefähr 15 £ in Levuka werth sind. Durchschnittlich rechnet, man 
auf einen Acre einen Bestand von 80 Bäumen, die in Entfernungen von 25 bis 
35 Fuss von einander gepflanzt werden müssen. Fünf Jahre nach dem Pflanzen be- 
ginnen die Bäume, weim sie gut gepflegt werden, zu tragen, vom siebenten bis zehnten 
Jahre an tragen sie voll. Wenn man nun als Ertrag eines Acres 6000 Nüsse 
rechnet, so stellt sich, den Werth der Faser mit eingerechnet, ein jährlicher 
Ertrag von 25 — 30 £ heraus. Die Faser geht jetzt grösstentheils verloren. Kopra 
ist in London 21 bis 23 £ die Ton und in Hamburg sogar noch etwas mehr 
werth; die Faser hat ungefähr den gleichen Werth. Die Rückstände, welche 
das Pressender Kopra zur Oelgewinnung lässt, werden als Viehfutter und in Europa 
auch bei der Fabrikation der Kokosnuss-Bisquits benutzt. Die Eingeborenen der Fiji's 
verkaufen Kopra zu 25 Schilling für Tausend Stück. Gegenwärtig sind 9166 
Acres der Kokospalmenkultur auf den Fiji’s gewidmet. Wenn die erforderlichen 


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Maschinen zur Gewinnung der Faser in Anwendung gebracht würden, so würde 
voraussichtlich ein Werth von etwa 60,000 £ mehr erzielt werden. 

Einige Monate, nachdem die Nuss gepflanzt ist, beginnt sie zu wachsen ; 
in fünf oder sechs Jahren ist der Stamm sieben bis acht Fuss hoch und der 
Baum beginnt zu tragen. Er wächst dann stetig weiter und trägt fünfzig 
oder sechzig Jahre, zuweilen noch länger. So lange die Pflanzen jung sind, 
müssen sie eingefriedigt werden, um die Schweine und Ziegen von ihnen abzu- 
halten; hat die Krone aber erst die Höhe von einigen Fuss über dem Erdboden 
erreicht, dann bedürfen die Pflanzen keiner weiteren Sorge mehr. Jedermann 
kennt das Blatt des Kokosnussbanmes, weniger bekannt dürfte es aber in Europa 
sein, auf welche merkwürdige Weise die Natur die Nüsse vor den starken Winden 
schützt. Halb um den Stamm herum befindet sich ein ausserordentlich feines 
und starkes Gewebe, das an der Kinde unter dem Stiele festsitzt, etwa zwei oder 
drei Fuss am Blatt hinaufreicht und auf jeder Seite des Stengels ein verstärken- 
des Netzwerk bildet, welches das Blatt, am Stamme festhält. So lange die Blätter 
jung sind, ist dies Netzwerk ausserordentlich weiss, durchsichtig und von einem 
Gewebe so fein wie Silberpapier, mit dem Wachsthum des Blattes nnd in Folge 
des Einflusses der Luft wird es gröber und fester und nimmt eine gelbliche Farbe 
an. Der Name, welchen die Eingeborenen diesem merkwürdigen Stoffe beilegen, 
ist „aoa*. In der Mitte gerade unter dem Blattstiel läuft eine Art Saum, von 
dem sich auf beiden Seiten lange, zähe Fasern, von der Stärke einer Schweins- 
borste, in schräger Richtung abzweigen. Zuweilen liegen auch zwei Schichten 
des Faserwerkes über einander, das Ganze ist dann mittelst einer fein- 
faserigen zusammenhängenden Substanz verbunden. Die Länge und Gleichmässig- 
keit der Fäden und Fasern, die Regelmässigkeit, mit welcher dieselben sich in 
schräger Richtung kreuzen, die Grösse der Fläche und die Dicke des ganzen 
Stückes, sowie die eigenthümliche Art nnd Weise, wie die Fasern an einander 
befestigt sind, lassen dies merkwürdige Gewebe der Natur einem aus ge- 
sponnenem Garn hergestellten Stoffe ausserordentlich ähnlich erscheinen. Die 
Bewohner der Fiji-Inseln benutzen dies Netzwerk zu mannigfaltigen Zwecken, 
hauptsächlich aber zur Herstellung von Säcken; auf den Gesellschafts - Inseln 
verfertigte man in früheren Jahren Jacken, Röcke und selbst Hemden daraus. 

Die Blüten des Kokosnussbaumes sind klein und weiss, die Frucht ist in 
der Regel erst zwölf Monate, nachdem die Blüte abgefallen, ausgewachsen. Ein 
Zweig trägt zuweilen zwanzig, dreissig und selbst noch mehr Nüsse, während 
ein Baum oft sechs, sieben oder acht Zweige hat. Die zähe, faserige. Schale der 
Frucht ist etwa zwei Zoll dick; erst wenn man diese entfernt und die Augen 
der Nuss durchbohrt hat, gelangt man an die sogenannte Milch, von der in nicht 
ganz reifen Früchten etwa ein oder anderthalb Pinten enthalten sind. Die Milch 
ist vollständig klar und schmeckt wie Limonade, gleichzeitig snuer nnd süss; sie 
ist köstlich kalt, doch bekommt der allzu reichliche Genuss den meisten Euro- 
päern schlecht. Einige Tropfen guten Brandy’s oder Gin’s hinzugefügt, helfen 
diesem Debelstande jedoch ab. Einige Wochen, nachdem die Nuss ausgewachsen 
ist, bildet sich an der Innenseite der Schale ein weiches weisses Mark, das sehr 
zart und süss ist nnd wie das Weisse eines weich gekochten Eies aussieht. 
Bleibt die Frucht noch zwei oder drei Monate am Baume hängen, so wird die 
äussere Schale erst gelb und dann braun; auch verhärtet dieselbe sich, während 
der Kern an Stärke bis zu einein oder fünf Viertel Zoll zunimmt, die Milch aber 
bis auf eine halbe Pinte verschwindet. Am merkw ürdigsten ist, dass der Kokos- 
nnssbaum sich durch sich selbst fortpflanzt : Lässt man die Nuss lange Zeit nach dem 
Reifwerden liegen, so bildet sich im Innern eine weisse, süsse, schwammige Masse. 


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Diese faserige Schwammmassc verzehrt nach nml nach die Flüssigkeit und verwandelt 
dieselbe, so dass die Nuss anstatt des Kernes und der Milch nnr eine weisse zellen- 
förmige Substanz enthält. Während dieser Process im Innern vor sich geht, 
zwängt sich ein einzelner weisser, aber sehr harter Schuss durch eins der Augen 
oder Löcher der Nuss, durchdringt die zähe faserige Schale und beginnt, wenn 
er einige Zoll lang geworden ist, seine hellgrünen Blätter zu entfalten. Gleich- 
zeitig bilden sich an derselben Stelle weitere weisse Ausschüsse, sprengen die 
Bedeckung der anderen beiden Oeffnungen der inneren und wachsen in entgegen- 
gesetzter Richtung durch die äussere Schale, um dann in den Boden einzu- 
dringen. Lässt man dio Nuss liegen, so wird sic bald durch die innere Kvaft 
geborsten, während man sie vorher nicht einmal mit dem Messer schneiden 
konnte. Nach und nach verwittern die äussere und die innere Schale und bilden 
einen leichten Dünger, welcher das Wachsthuin der jungen Pflanzen befördert, 
deren Wurzeln allmählich tiefer greifen, während der Stamm in die Höhe strebt, 
Blätter bekommt und zu einem hohen, anmuthigen Fruchtbaume wird. Die 
durchschnittliche Höhe des Kokosnnssbauntes beträgt etwa siebenzig Fnss. 

Handel und Verkehr an der portugiesischen Siidostkiisle Afrika'«. Vor 

einiger Zeit (Band IV S. 78 u. folg.) brachten wir eine kurze Schilderung des 
Hafens IiOurern;o Marques, seines Handels und Verkehrs. Die nachstehende Mit- 
theilung, welche wir dem Briefe eines an jenen Küsten verweilenden deutschen 
Landsmannes entnehmen, ergänzen jenen Aufsatz in mancher Beziehung: 

„Die ganze ostafrikanisch - portugiesische Küste von der Delagoa-Bai bis 
zum Kap Delgado, in Luftlinie eine Strecke von 225 deutschen geogr. Meilen, 
liegt in Schlummer; in früheren Zeiten nach der Entdeckung des Seeweges nach 
Ostindien und in den folgenden 2 Jahrhunderten ist bekanntlich der Verkehr 
ein relativ viel grösserer gewesen als heut’ zu Tage. Die Küste ist ja freilich 
vielfach ungesund, aber man kann doch von ihr aus ins Innere gelangen. In 
die Delagoa-Bai einfahrend, findet man theils niedrige, theils höhere (etwa 50 — 60 
Fuss hohe) Ufer, und wenn man sich dem anfänglich nicht erkennbaren English 
River (richtiger Bai) nähert, so gewahrt man auf seinem linken Mündungsufer eine 
etwa eine Seemeile lange und etwa 200 Fuss hohe rothe sandste inartige Ab- 
lagerung, hie und da von einzelnen Busch- und Baumgruppen ganz hübsch 
bestanden. Es ist die Ponta Vermelha (Rothcr Punkt), oder der Point Reuben 
der englischen Karten. Auf dieser Höhe ist ein kleines ganz unbedeutendes 
Leuchtgerüst mit Petrol-Lampe errichtet; es ist diesos Leuchtfeuer nur für die 
Leichter- und Boot-Schiffahrt, nach dem Maputaflusse etc. von Werth, für die Gross- 
schiffahrt ist die Sichtweite desselben zu gering; für diese müsste in erster 
Linie auf Inyak (Inliaca der Portugiesen) ein Feuer unterhalten werden. Diese 
Insel ist nicht von so ganz unbedeutender Grösse, sie ist hügelig und hübsch be- 
wachsen, auch soll sie reich an Jagdthieren sein. Dampfer gebrauchen unter 
geminderter Fahrgeschwindigkeit 2 — 3 und selbst 4 Stunden zum Ein- und Aus- 
fahren. Auf der fieberfreien Insel Inyak liesse sich vortrefflich eine Gesundheits- 
Station einrichten, jetzt befindet sich dort eine Kaserne. Die zweite Insel, 
Shefuen (Xcfino der Portugiesen) ist unbewohnt, desgleichen Elephant Island. 
Der English River bildet wie schon oben erwähnt, eine vorzügliche Rhede für 
Schiffe aller Art und es ist ein wahrer Jammer, dass das von der Natur so 
günstig Geschaffene unbenutzt seit Jahrhunderten daliegt. Der Transvaal wird 
schwerlich je zu einer gedeihlichen und grösseren Entwicklung gelangen, wenn 
er es nicht vermag, sich seinen natürlichen Hafen, die Delagoa-Bai durch Her- 
stellung guter Wege oder besser durch Bau der schob 1876 beabsichtigten 


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Eisenbahn za öffnen. Die Natur bereitet dem Verkehre von dort hierher 
wohl Schwierigkeiten, stellt aber durchaus nicht absolute Hindernisse in den 
Weg. Die berüchtigte Tsetse-Fliege existirt allerdings in dem Zwischenlandc, aber 
sic kann" durch den Verkehr mit der Zeit ganz vertrieben werden, sie ist haupt- 
sächlich dort, wo Büffel sich aufhalten Alljährlich kommen einige wenige 
Trader von Lydcnburg mit Ochsonwagen unbehelligt durch den Tsctse-Distrikt 
herunter, freilich nur in der kühlen Zeit, April bis Oktober; sie wählen haupt- 
sächlich die Monate Juli, August und September. Sie lassen ihre Wagen unter 
Bewachung eine Tagereise oder kürzere Strecke von hier am Matollaflusse stehen 
und kommen zu Fuss von dort hierher; die eingekauften Waaren ver- 
schiffen sie nachher von hier auf Leichtern zur Haltestelle. — Ein anderer 
Weg existirt von hier via New-Scotland nach Pretoria, welche ungefähre Route 
auch die Bahn haben würde. Dm die Ausforschung dieses Weges hat sich 
in neuester Zeit namentlich ein Deutscher verdient gemacht. Herr Gustav Sch wab 
aus Augsburg, seit 1869 in Süd-Afrika ansässig, ein intelligenter, energischer 
Mann, hat nämlich im April 1880 grössere Bootexpeditionen auf verschiedenen 
Flüssen unternommen behufs Ermittlung eines Wasserweges, der ihn durch den 
Flicgen-Distrikt hindurch westwärts, womöglich in die Nähe New r -Scotlands brächte. 
Damals ist die monatelange Expedition nur von sehr indirektem Erfolge gewesen. 
Herr Schwab kehrte mit seinem Begleiter über Natal zum Transvaal zurück. 
Unermüdlich in seinem Bestreben hat er aber in diesem Jahre nach Beendigung 
des Transvaal-Krieges von Derby in New-Scotland, von der entgegengesetzten 
Seite aus, Versuche znr Auffindung eines praktikablen Weges unter Umgehung 
des Fliegen -Distrikts hierher, gemacht. Allem Anschein nach ist ihm jetzt, die 
Auffindung geglückt, er kam mit Ochsenwagen bis zu einer bestimmten Stelle 
am Tembefluss herunter, dort liess er diese zurück und kam zu Fuss am 
21. August hierher. Seine eingekauften Waaren verschiffte er mit Boot zur Halte- 
stelle. Hoffentlich fiel die ganze Expedition gut aus, doch fehlen darüber noch 
Nachrichten (Oktober 81). Weisen sich Sehwabs Erwartungen als Thatsache ans, 
so steht schon jetzt ein grösserer Handel mit der Republik Transvaal bevor und 
cs braucht die sicherlich einmal ins Leben tretende Eisenbahn nicht erst, abge- 
wartet zu werden. Eventuell könnte man auch grössere Transporte mittelst 
flachbodiger Räderdampfschiffe den Fluss hinaufsenden und an der gedachten Stelle 
eine Art. Entrepöt errichten, von welchem man jederzeit mit Wagen die Waaren 
zu holen im Stande wäre. Der Transport von Waaren mit Kafferträgern (60 bis 
75 Pfund per Mann), der von hier nach Lydcnburg oft gemacht wurde, ist doch 
gar zu unsicher, theuer und langsam. In den Jahren 1875/76, zur Zeit, wo die 
Lydenburger Goldfelder ertragreicher denn jetzt waren, hat der Handel mit dort 
von hier aus einigermassen geblüht, ist in den letzteren Jahren aber bedeutend 
znrückgegangen. Die Hauptartikel, welche von Natal und ab um! an auch 
von Louremjo - Marques nach dem Transvaal gesandt werden, bestehen in 
Provisionen. Abgesehen von der Schafzucht muss im Transvaal Viehzucht und 
Ackerbau noch sehr zurück sein ; in den grösseren Orten konsumirt man 
sehr viel kondensirte Milch und dänische Butter, auch werden grössere 
Mengen australisches (Adelaide) Mehl von Natal her eingeführt. Im Ganzen 
leben die Bocrs überaus einfach und nach unsern Begriffen schlecht. So sehr 
der politische Eingriff der Engländer in die Rechte der Boers 1877 zu missbilligen 
war und so erfreulich die wenigstens theilwcise Wiederherstellung der Republik 
ist, so lässt, sich doch nicht leugnen, dass England den Boers selbst schon in der 
kurzen Zeit ein gut Stück Kultur ins Land getragen hat. Es bringt ihm dies 
jetzt hinterher freilich auch theuer genug in Rechnung 1 Eine grosse Zukunft 


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wird der Transvaal wohl einstweilen nicht haben, es sei denn, dass ein starker 
Zug Ackerbau treibender Auswanderer z. B. Deutsche sich dorthin wendete ; die 
Natur- Vorbedingungen sind gewiss nicht ungünstig. Die Aussichten von Lourencjo 
Marques sind ganz und gar auf die Zukunft des Transvaals gestützt: gelingt es 
nicht, dem grösseren Verkehre dienliche Wege durch das Tiefland hindurch über 
die Drakensberge zu bahnen, so wird dieser Hafen mehr zurückgehen als er 
schon in den letzten 5 — 6 Jahren zurückgegangen ist. Hier giebt es nämlich so 
gut. wie gar keine Ausfuhrprodukte. Dieser Umstand ist aber mehr der 
Bevölkerung als dem Boden zuzuschreiben. Dieser letztere ist freilich in einigen 
Distrikts-Theilen, so auch in der allernächsten Umgegend sandig und schlecht, in 
anderen Thoilen aber auch wieder sehr gut, und würde sich zur Kultur von Reis, 
Kaffee und namentlich Taback gut eignen, wenn nur Energie und genügende 
Arbeitskraft vorhanden wäre. In früheren Zeiten gab es einige Produkte: Erd- 
nüsse zur Oelpressung, Mais, Elfenbein und Felle mancher Art, die Ergebnisse 
der Jagd. Die Kaffem der nähern und weiteren Umgegend sind im Grande sehr 
träge. Seit. Errichtung der Dampferverbindung. 1875, ist. es bei den Raffern 
üblich geworden, in jüngeren Jahren — (in welchem Alter ist schwer zu 
sagen, denn kein Kaffer weiss, wie alt er ist) — nach Natal, der Kapkolonie und 
namentlich nach den Diamantenfeldern auszuwandern. Sie dienen dort als 
Lohnarbeiter in den verschiedensten Zweigen der Arbeit, lernen dort Manches 
und bringen oft einen ganz guten Schliff wieder mit. Länger als 2 bis 4 Jahre 
bleiben sie nur selten fort, oft nur wenige Monate Sie verdienen dort verhältniss- 
mässig viel Geld und bringen ein erspartes Sümmchen mit zurück in ihr Land, 
wo sie wieder durchaus in alter Weise leben. Sie geben aber das Ersparte 
bald wieder aus. Dieses aus den englischen Kolonien hierhergebrachte, dort 
durch Arbeit erworbene englische Geld bildet die einzige Kaufkraft des hiesigen 
Landes, für die Dauer doch jedenfalls keinem wirklichen Handel günstige Ver- 
hältnisse ! Im Lande wird nur soviel Mais gebaut, als verzehrt wird. Eine 
ganz unbedeutende Quantität Bienenwachs und eine Partie Katzenfelle, welche 
Thiere im Inlande jetzt meistens mit Fallen gefangen werden, bilden noch kleine 
Exportartikel. Ein Kaffer kauft sich für ,£ 10 eine Frau, gleichbedeutend mit 
einer Sklavin; diese muss ihr Lebtag für den Gemahl arbeiten, welcher absolut 
nichts thnt. Oft kauft der Kaffer zwei und mehr Frauen; gehen aus den Ehen 
Töchter hervor, so werden diese oft schon früh verkauft ; die Ablieferung erfolgt 
erst nach Eintritt der Mannbarkeit. Somit stehen die hiesigen Raffern bei ihrer 
Gutinüthigkeit auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe, ihre Anspruchslosigkeit 
ist keine gute Eigenschaft. Zu Zeiten, wo ausgewanderte Raffern schaarenweise 
über Land oder mit, Dampfer hierher zurückkehren, kommt freilich viel Geld 
ins Land, aber das sind Zufälle. In früheren Zeiten, als hier nur zwei grössere 
Häuser etablirt waren, gab es bedeutende Handelsgewinne, jetzt jedoch sind 
letztere durch die Konkurrenz von 6 — 7 Handelshäusern sehr herabgemindert. 
Unter Andern sind hier zwei grosse Marseiller Häuser (Regis aine und Fahre & 
Als) etablirt, welche an den Produktenplätzen dieser Küste, sowie an vielen 
Punkten der Westküste Niederlassungen haben uud die das hiesige Etablisse- 
ment quasi nur benutzen, um das hier reichlich vorhandene englische Gold gegen 
Waaren einzutauschen und damit vortheilhaft an jenen Plätzen Produkte einzu- 
kaufen. Das englische Gold hat überall an der Küste einen höheren Werth als 
das portugiesische Geld in Silber u. Papier. 

Die llanpthandelsartikel, welche hier für die Kaffem importirt werden, 
bestehen in Manufaktur-Fancy-Waaren zur Bekleidung und in Sprit, diesem ver- 
ruchten Handelsartikel, der unausbleiblich die Schwarzen moralisch und 


ogle 



physisch verderben muss. Eine gute Regierung hätte die Einfuhr längst untersagt ! 
Das Geschäft in Waaren für die weisse Bevölkerung ist sehr unbedeutend, in 
Folge der geringen Zahl weisser Einwohner. Das Geschäft in Kaffer-Aitikeln 
wird fast ausschliesslich durch eingewanderte Indier vermittelt, durch jene 
Banyans (Kaufmannskaste), welche schon vor Jahrhunderten an Theilen der ost- 
afrikanischen Küste verkehrten. Diese Leute kommen meist aus der Gegend 
von Goa, sie sprechen ausser ihrer eigenen Sprache die portugiesische und die 
Sprache der Eingeborenen. Sie kommen meist arm als Gehalten älterer An- 
sässiger hierher, verstehen es aber meisterhaft, Geld zu erwerben, es ist das 
Handeln geradezu ihr Naturell. Sie leben als Vegetarianer sehr anspruchslos, 
sind schmächtig von Körperbau. Diese Leute bringen es auch durchschnittlich 
zu etwas, manche sind mit einem Vermögen von 500,000 Mark und mehr 
heimgekehrt. Ihr Geschäft betreiben sie sehr einfach, sie liaben meist Filialen 
im Inlande bis hinauf in das Land der Mattebele und bis in das Reich Dmsila’s. 


§ Die deutschen Kolonien im Brasilischen l'rwald. Die „Kölner Zeitung' 
entsandte im Herbst 1881 ihren bewährten, durch seine trefflichen Berichte aus 
Australien wohl bekannten Reise-Berichterstatter Herrn Hugo Zöller nach 
Brasilien, um Land und Leute zu studiren und ihr darüber regelmässig Mit- 
theilungen zu machen, die in einer Reihe von Nummern dieser weitverbreiteten 
Zeitung publicirt wurden. Herr Zöller besuchte u. A. die zahlreichen deutschen 
Kolonien in den Provinzen Santa Catariua und Rio Grande do Sul. Einige 
Sätze aus diesen Referaten mögen wegen ihrer allgemeinen Bedeutung hier 
wiedergegeben werden. Er hebt, vor Allem hervor, dass nirgend anderswo in 
der nicht-deutschen Welt das deutsche Element sich kräftiger entwickelt und 
deutsche Sprache und Gesittung festere Wurzel geschlagen habe, als in den 
deutschen Kolonien Süd-Brasiliens. Am kompaktesten sei das deutsche Element 
in der Provinz Rio Grande do Sul vertreten. Hier reiht sich Kolonie an Kolonie 
und auf Hunderte von Kilometern schlagen nur deutsche Laute an unser Ohr, 
während die Kolonien von Santa Catalina: Dona Francisca, ßlumenau u. A. 
durch weite Zwischenräume von einander getrennt sind. Die Provinz Rio Grande 
do Sul gliedert sich in dem hier in Betracht kommenden Tlieil in das Campland, 
das von Vieh züchtenden Luzo-Brasiliern und in die Serra, ein waldiges Gebirgs- 
land von der Grösse des Königreichs Sachsen, das von Ackerbau treibenden 
Deutsch-Brasiliern bewohnt wird. Die heutige Gesammtbevölkernng von Rio 
Grande do Sul veranschlagt man auf etwa 600 000, von denen 250 000 Luzo- 
Brasilier, 150000 Mischlinge aus portugiesischem, Indianer- und Negerblut. 
80000 Negersklaven, 12000 Italiener, 8000 Franzosen, Russen u. A. und 100000 
Teuto-Brasilier (d. h. deutschsprechende Brasilier) sein mögen. In derselben 
Weise umfasst die auf 200 000 Seelen bezifferte Bevölkerung von Santa Catarina 
55 — 60000 Deutsche, 15000 sonstige Fremde, 12000 Negersklaven und 118000 
Brasilier und Mischlinge. Jene 100 000 Deutsche von Rio Grande do Sul würden 
nun bei weitem nicht so zäh an ihrer Sprache und ihren Sitten festgehalten 
haben, wenn sie übor das ganze weite Gebiet zerstreut wären, ihrer 60—70000 
aber leben „ganz unter sich“ in jenem bereits ziemlich hoch kultivirten Wnld- 
gebirgsland. Getrennt von diesem zusammenhängenden Koloniegürtel liegen 
nordwestlich davon am Meere die deutschen Ansiedlungen von Torres und Tres 
Forquilhas, in südlicher Richtung auf einem der zahlreichen Einzelgebirge, welche 
das Campland durchziehen, die grosse Privatkolonie S. Lourem;o (mit 6000 
deutschen Bewohnern). Ausserdem schiebt sich der Strom der deutschen 
Kolonisten — die von 30000 aus Europa herübergekommenen Einwanderern zu 





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1 


— 78 — 

ihrer heutigen Ziffer angewachsen sind — über S. Maria da Boca do Monte 
hinaus immer weiter ostwärts. Sodann leben noch über die ganze Provinz 
zerstreut zahlreiche deutsche Handwerker und Kaufleute, namentlich aber in den 
Seestädten viele GrosskauHente, deren Stellung hier, mit dem deutschen Hinter- 
lande als Rückhalt, eine viel festere und gesichertere ist, als beispielsweise im 
Norden Brasiliens. Die deutschen Urwaldkolonien versorgen einen grossen Theil 
von Brasilien mit den durch Ackerbau gewonnenen Lebensmitteln, namentlich 
mit schwarzen Bohnen und Mandiokamehl. Der Ausfuhrhafen ist Porto Alegre, 
von wo vier schiffbare Flüsse weit in das Waldgebirge hinein führen. Die 
Gebirge sind unschwer zu passiren. In der Provinz Rio Grande do Sul sind 
zwei grosse Eisenbahnlinien im Bau, die beide von den Hafenplätzen der Ostküste 
westwärts zum Ufer des Uruguay führen sollen. Die eine geht von Porto Alegre 
aus und soll Uiuguayana über S. Maria do Boca do Monte, Cacequy und 
Alegrete erreichen — eine Strecke von ungefähr (100 km; die andere wird Rio 
Grande mit Pelotas und dieses mit Boge verbinden, um sich des weiteren au 
einem noch nicht näher bestimmten Punkte mit der erstgenannten Linie zu 
vereinigen. Ausserdem giebt cs die 19,8 km lange Privatbahn (sie wird 
blos für den Güterverkehr benutzt) von S. Jeronymo zu der Kohlengrube am 
Arroco dos Ratos, sowie die Linie von Porto Allegro zum „Hamburger Berg“. 
Der „Hamburger Berg“ ist ebenso wie S. Leopoldo und S. Sebastiao do Cahy 
(besser unter seinem früheren Namen Porto Guimnraes bekannt) ein ganz 
deutscher Ort und ebenso wie jene ein Stapelplatz für die Produkte der Kolo- 
nisten. Die Ansiedlung liegt auf einem Hügel, sie gleicht einem wohlhabenden 
deutschen Landstädtchen. zählt etwa 8—400 Seelen und ist hervorragend einer- 
seits durch ihre vielen Palmen (anspruchslose Kokeren), andererseits durch 
zahllose Schweine jedweden Kalibers, die sieli mit nitnmer endendem Gequieke 
auf den Strassen herumtummeln. In Nova Hamburgo — so nennen die 
Brasilier den Ort — nahm Herr Zöller für längere Zeit seinen Wohnsitz im 
Gasthause von Kröff (aus Zell au der Mosel gebürtig) wo er alles vortrefflich 
fand mit Ausnahme der Aufschrift „Hotel“. Man zahlte dort ebenso wie in den 
Gasthäusern des Urwaldes als täglichen Pensionspreis 2 Milreis (ungefähr 1 Mark) 
oder bei längerem Aufenthalt 1 M. 500 R., ausschliesslich der Getränke. Mosel- 
wein wurde mit 2 M., einheimischer Wein (sogenannter Nationalwein) mit 600 R., 
Christiania-Bier mit 1 M. und Nationalbier mit 320 R. die Flasche berechnet 
Sonst geniesst inan noch Cachaca (Zuckerrohr-Branntwein, ausgesprochen 
Kaschass) mit Boonekamp. Die Küche pflegt einfach, aber reichlich, kräftig 
und gut. zubereitet zu sein : au Rindfleisch — es kostet blos 260 Reis oder 
50 Pfennige das Kilogramm — besonders aber an Schweinefleisch, Hühnern, 
Eiern, Butter und Milch ist niemals Mangel. Künstliche Hcerstrnssen sind in 
den deutschen Waldkolonien noch nicht geschaffen. Es ist ein urwüchsiges 
Bauernland, von dem die heutige Generation Deutschlands sich nur schwer ein 
richtiges Bild eutwerfen wird, ein glückliches Land, wo es bis heute weder 
Eisenbahnen (von obiger Ausnahme abgesehen) noch Telegraphen, noch Kunst- 
strassen, noch Postwagen, noch selbst ein einziges Luxusgefährt giebt, das Land 
welches den am wenigsten weltgewandten, dafür aber den fleissigsten und 
ordentlichsten Bruchtheil der Bevölkerung von Brasilien umschliesst. Dabei regieren 
die Kolonien sich selbst, denn nur die Präsidenten der 20 Provinzen Brasiliens 
werden von Kaiser und Ministerium ernannt. In Rio Grande do Sul giebt es 
Staats-, Provinzial- und Privat-Kolonien. Ganz ausgezeichnet sind die Provinzial- 
kolonien gediehen. Es sind das : Neu-Petropolis (gegründet 1858 mit 12 260 
deutschen Kolonisten, Einfuhr im Jahre 1880 156 000, Ausfuhr 200 000 „«), 


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Santa Cruz, unter allen Kolonien diejenige, in welcher der thatkräftigste Geist 
herrscht, (gegründet 1849, emancipirt 1872, ein eigenes Municipium seit 1878, 
13 500 deutsche Kolonisten); Mont' Alverne (gegründet 1859, 963 Kolonisten 
darunter 543 deutsche) ; Santo Angelo (gegründet 1857, 2851 deutsche Kolonisten, 
Einfuhr 1880 173000, Ausfuhr 270 000 JU.) Bom Jardin, auch Bergheiraerschneiz 
genannt und Achtundvierziger Schneiz, endlich die Kaffeeschneiz (gegründet 
1838, 3240 deutsche Kolonisten). Die Privatkolonien verdanken der Spekulation 
ihre Entstehung und es waltet demgemäss die grösste Verschiedenheit; die 
Entwicklung einiger von ihnen hat. einen fast noch günstigeren Verlauf genommen 
als diejenige der Staats- und Provinzialkolonien. Es sind: Bincao d’el Roi 
(gegründet 1850); Mundo Novo mit den zwei Stadtplätzen Taquara und Santa 
Maria (gegründet 1850, gegenwärtig 5000 deutsche Kolonisten); Conventos (ge- 
gründet 1853); Silva (gegründet 1854); Mariante (gegründet 1854); Estrella 
(gegründet 1854); Maratö (von deutschen Kaufleuten gegründet 1856); S. Loureu<;o 
(von Jakob Kheingantz gegründet 1858 mit gegenwärtig 6000 deutschen 
Kolonisten); Teutonia (von deutschen Kaufleuten 1858 gegründet mit 2250 
deutschen Kolonisten); Forqueta, Jacarö ; Santos Pinto ; Neu-Berlin ; Rio Pardense 
mit der Ortschaft Germania; Santa Emilia; S. Luiz (gegründet 1876); Korff; 
Santa Silvana (gegründet 1870); Santa Clara (gegr. 1869); S. Domingos (gegründet 
1872) ; Escadinhas ; Fazenda do Padre Eterno, auch Leonerhof genannt, (gegründet 
1850 mit gegenwärtig 1052 deutschen Colonisten) ; Sao Benedicto ; Bom Principio ; 
Tabaksthal; Sao Jose do Hortensio; Linha Nova oder Neuschneiz; Theewald 
oder Linha do Herval; Lomba Grande; Harmonia; Kaulerbacli; Rosenthal; 
Palmenthal; Sao Paulo, Capivari; Linha do Verao; Kroeff und Pinhal. 


Norwegische Kistneerflscherei 1881. Während der Werth des ameri- 
kanischen Wulüschfanges im arktischen Occan in dem vorigen sehr günstigen 
Sommer sich für die noch immer über ein Dutzend Fahrzeuge zählende Flotte auf 
HK) 000 Dollar uiid darüber belaufen mag, müssen die von Notwegen in das 
Europäische Eismeer ausgehenden kleinen Fangfahrzeuge sich mit weit geringeren 
Ergebnissen begnügen. Im vorigen Jahre stellten letztere sich für Tromsoe wie 
folgt.. Es wurden expedirt: 1) Auf Seehunds-, Walross- uud W r eisswalfang 8 

Fahrzeuge, 294 lleg.-Tons mit 77 Mann Besatzung, von diesen wurde 1 Fahr- 
zeug verloren. Die übrigen 7 Fahrzeuge mit 271 Tons Register brachten 


271 

Stück Weisswale 

a 

100 Kilo 

= Kr. 

27 100.— 

1858 

„ Seehunde 

ii 

15 „ 

== V 

27 870.— 

69 

„ Walrosse 

a 

50 „ 

~ »» 

3450.— 

19 

„ Eisbären 

a 

50 „ 

= 

950.— 

20 

Ton. Walspeck 

a 

20 „ 

= „ 

400. - 


Zusammen . . . Kr. 

2) Auf den Dorschfang 14 Fahrzeuge mit 446 Rcg.-Tons und 97 Mann Besatzung, 
wovon 1 Schiff verloren. Die übrigen 13 brachten 135500 Stück gesalzenen 
Fisch ä 12 Kronen (ä 1 Ji 12»', £,) pr. 100 St. = Kr. 16260.— 


143 Tonnen Fischleber ä 16 Kr. = Kr. 2 288. — 

200 ., „ ä 18 „ -- ,, 3 600.— 

59 Renthiere ä 10 „ — „ 590. — 

249 Kilo Daunen li 2 „ = „ 498. — 

Zusammen... Kr. 23236. — 
Somit 1) 8 Schiffe 294 Tons 77 Mann Kr. 59 770. — 

2) 13 „ 446 „ 97 „ „ 23 236 .— 

Zusammen... 21 Schiffe 740 Tons 174 Malm Kr. 83006. — 


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BO 


Ueographische Literatur. 

A raemoir on the Ecliinodermata of the arctic sea to the west of Green- 
land by P. M. Dum a» and W. Percy Siaden. Mit 6 Tafeln. London, J. v. 
Voorst. 1881. Gross Quart. Es werden beschrieben: 1) Holothuridea 7, 2) Echi- 
noiden 1, 3) Asteroidea 10, 4) Ophiuridea 8. 5) Astrophytidae 1, 6) Crinoidea 
3 Species. Dieselben worden von den Naturforschern der Expedition von Nares, 
11. W. Feilden und Hart, meist in den Breiten zwischen 79' 20' und 82° 27' NB., 
zwischen Franklin Pieree Bai und Floeberg Beach, unter grossen Schwierig- 
keiten aus dem Meere gefischt, einige stammen von der bekannten Tiefsee- 
Forschungsreise des englischen Kriegsschiffes „Valorous“. 

The foreigner in China. By L. N. Wheeler. Chicago 1881. Aehnlicb, wie 
das in der letzten Nummer dieser Zeitschrift besprochene Bach von Seward, 
hat die vorliegende Arbeit den löblichen Zweck, das amerikanische Publikum 
über China und chinesische Verhältnisse aufzuklären. Der Verfasser hat im 
Dienste der Methodistenkirche 8 Jahre in China zugebracht, die Sprache studirt 
und chinesisch gepredigt. Der Inhalt des Buches ist theils historisch, theils 
erörtert er die Hemmnisse, welche sich in China der Verbreitung der evangelischen 
Kirche entgegensetzen. Die verhängnissvollsten Wirkungen, welche noch fort- 
dauern, übten für den europäischen Einfluss der Opiumkrieg und der Kuli- 
handel mit allen ihren Ungerechtigkeiten. Noch immer erscheinen die 
Europäer und Nordamerikaner dem Chinesen als Barbaren. Auch Wheeler 
— wie unser Gewährsmann in dem oben mitgetheilten grösseren Aufsatz 
über die Abgeschlossenheit Chinas und der Chinesen — hat sich überzeugt, 
dass es unter den leitenden Staatsmännern Chinas denkende Köpfe genug giebt, 
welche Sinn für Fortschritte auf den verschiedensten Gebieten haben und bemüht 
sind, sie einzuführen. So weist er auf Li-Hung-Tschang, den in Peking lebenden 
früheren Vicckönig der Provinz Tslii-Li hin, in dessen Diensten ein Amerikaner 
und eiue Anzahl Chinesen stehen, welche letztere längere Zeit, in Amerika und 
Europa zubrachten, ln wichtigen, das Ausland betreffenden Angelegenheiten 
wird er jederzeit befragt, er hält sich in fortwährender Kunde von den China 
betreffenden Aeusserungen der leitenden amerikanischen und europäischen 
Zeitungen und seinem Einflüsse bei dem Kaiser soll die Errichtung einer Tele- 
graphenlinie zuzuselireiben sein, welche vor Kurzem, 1200 miles lang, zwischen 
Shanghai und Tientsin vollendet wurde. Zwei von der Regierung in Shanghai 
und Canton errichtete Schulen, in welchen, unter der Leitung von Amerikanern, 
Unterricht in europäischen Sprachen und Wissenszweigen ertheilt wird, vor 
Allem die Universität in Peking mit einem achtjährigen Lehrkursus, an welcher 
neben vier Irländern sieben Ausländer doeiren, sind weitere Beweise dafür, dass 
die chinesische Regierung die Zeit gekommen glaubt, die bisherige geistige 
Abgeschlossenheit ihrer Unterthanen allmählich zu lösen. Ja sie hat im Aus- 
lande und zwar in den Vereinigten Staaten, in Hartford, Staat Connecticut, eine 
Erziehungsmission errichtet, in welcher unter zwei kaiserlichen Kommissaren 
und zwei Lehrern chinesische Staatsangehörige (gegenwärtig 112) in einem fünf- 
zehnjährigen Lelirkursus gleichzeitig eiue gründliche englische und chinesische 
Bildung erhalten sollen. 


Druck voii Curl SchUueiuttau. Breuiuu. 


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Heft 2. 


Deutsche 


Band V. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 

Ür. M. Lindemail, Bremen, Mendestra&se 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung 
mit der Redaktion gestattet. 

Die Goldküste. 

Von Paulas Dahse. 

Hierzu Tafel II: Karte der Goldküste, nach den Karten von Wyld, Peter- 
mann, Hassenstein, der Baseler Missions-Gesellschaft, Edward Stanford's karto- 
graphischer Anstalt, Bonnat und eigenen Routen - Aufnahmen bearbeitet von 
Paulus Dahse. Bremen im November 1881. Massstab 1 : 750,000*). 

Einleitung und Bemerkung zur Karte. Grenzen und Erstreckung der Goldküste. Die 
Bevölkerung, ihre verschiedenen StUmme und Reiche. Minenstädte. Zur Geschichte 
der GoldkUstenkolonie. Handel und Schiffahrt mit Europa. Die Handelswaareu. Ein- 
und Ausfuhrziffern. Zölle. Verkehrsmittel des Innern. Mineralreichtliuiu. Die 
l'onfiguration des Bodens der Goldküste. Ergebnisse geologischer Untersuchungen. 

Die Kompagnien zur Bearbeitung der Goldbergwerke. 

Während durch H. M. Stanley’s, V. Lovett Cameron’s und 
Anderer Reisen und die von der Deutschen Afrikanischen Gesellschaft 
in Berlin unternommenen, in den letzten Jahren von der, unter dem 
Protektorate Sr. Majestät des Königs der Belgier gegründeten 
„Association internationale africaine“ fortgesetzten Exploitationen im 
südwestlichen Afrika jene Theile des schwarzen Kontinents aucli in 
Deutschland ein hohes Interesse erweckt haben und von Jahr zu 
Jahr mehr aufgeschlossen werden, nicht zum geringen Theile von 
deutscher Seite, linden wir andere Theile des westlichen Afrikas, 
darunter die Goldküste, nachdem dieselbe in den Jahren 1873 und 
1874 durch den Aschanti-Krieg auf kurze Zeit die allgemeine Auf- 
merksamkeit auf sich gelenkt hatte, heute von Deutschland fast 
unbeachtet. 

Da aber neuerdings die, nicht von der englischen Regierung, 
sondern von Privatleuten mit Unterstützung hauptsächlich englischen, 
sodann französischen und eines kleinen Theils deutschen Kapitals 
unternommenen Untersuchungen im Innern der Goldküste, welche 
zur Erwerbung und Bearbeitung von Bergwerken führten, anfangen 
mit Erfolg gekrönt zu werden und in Folge dessen in England und 

*) Die englischen Benennungen in der Karte werden das Verständniss der 
letzteren unseren Lesern nicht erschweren, sie wurden in Rücksicht auf spätere 
anderweite Verwendung der Karte seitens des Herrn Verfassers gewählt. D. Red. 

Geogr. Blätter. Bremeu, 18SS. h 


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— 82 


in Frankreich sich eine ungemein lebhafte Theilnahme au dem Fort- 
schritte der Bergwerke zeigt, welche sich in fortwährenden neuen 
Erwerbungen von Minen-Ländereien zum Betrieb von Bergwerken 
äussert, so ist es wohl angemessen, durch eine kurze Beschreibung 
jener Gegenden auch dem deutschen Publikum Kenntniss zu geben 
von dem Reichthum und der Wichtigkeit der Goldküste, welche, wie 
in England jetzt nicht mehr bezweifelt wird, bestimmt zu sein 
scheint, den in Folge verminderten Ertrags der Minen von West- 
Amerika und Australien sich zeigenden Ausfall an edlen Metallen 
zu ersetzen. 

Zum besseren Verstäudniss ist diesen Mittheilungen eine Karte 
der Goldküste beigefügt, bei deren Bearbeitung die besten der 
bisher erschienenen Karten, sowie Routen-Aufnahinen des Verfassers 
benutzt worden sind. Eine ausführliche und genaue kartographische 
Darstellung dieses Landes zu geben, ist bei der höchst mangelhaften 
Kenntniss des Innern und bei der vollständigen Unmöglichkeit, selbst 
von höheren Bergspitzen, welche fast durchgängig mit dichtem Ur- 
wald bedeckt sind, eine Uebersicht über die Umgebung zu gewinnen, 
heute noch unthunlich. Astronomisch bestimmt ist ausser den haupt- 
sächlichsten Küstenplätzen und den an der Strasse nach Kumasi, 
der Hauptstadt des Königreichs Aschanti, gelegenen Hauptorten, 
nur die Lage weniger Punkte. Alles Andere ist nach mit Kompass 
und Uhr bewerkstelligten Routen-Aufnahmen von Missionaren und 
anderen Europäern, oder nur nach Mittheilungen der Eingeborenen 
aufgezeichnet. 

Die von mir benutzten Karten sind die folgenden: Das süd- 
westliche iace-Sprachgebiet nach Originalzeichnungen der Missionare 
Chr. Hornberger und W. Brutschin. Gotha, Justus Perthes, 1867. 
— Die Goldküste und westliche Sklavenküste, sowie das südliche 
Asante-Iieich, nach den Arbeiten der Missionare A. Ries, Strömberg, 
Locher, Hornberger u. A., herausgegeben von der evangelischen 
Missionsgesellschaft in Basel, Dezember 1873. — „J. Wyld’s map 
of the British Gold Coast and the territories of Ashanti and Fantee“, 
London 1873. — A. Petermanu’s Specialkarte der Länder an der 
Goldküste im Innern bis Kumassi. Gotha 1874. — Die von Edward 
Stanford's geographischem Institut in London publicirte „Sketch 
map of the scene of operations on the Gold Coast“. London 1874. — 
B. Hassenstein’s Bearbeitung von „M. Bonnat’s Karte des Ankobra- 
Flusses und Tacquah-Distrikts“ und meiner Routen-Aufnahme des 
Weges von Dixeove nach dem Tacquah-Distrikt“. Gotha 1880. — 

Die Goldküste erstreckt sich in einer Länge von etwa 250 miles 
den Golf von Guinea entlang, von 3° 10' W. L. in Ostsüdost und 


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südöstlicher Richtung bis zum Kap Three Points, dann ostnord- 
östlich bis zur Mündung des Flusses Volta in 0° 41' 2" 0. L. Der 
südlichste Punkt ist Kap Three Points auf 4° 15' N. B. gelegen. 

Im Süden grenzt die Goldküste an den Golf von Guinea. 

Im Westen ist die Grenze bis jetzt noch nicht definitiv 
bestimmt, doch wird einer Vereinbarung in dieser Beziehung mit 
der französischen Regierung, welche das Protektorat über die 
westlich von der Goldküste wohnhaften Stämme beansprucht' in 
nächster Zeit entgegengesehen. Bis jetzt wird diese Grenze als 
hauptsächlich dem Lauf des Flusses Tando bis auf etwa 6° 10' N. B. 
folgend angenommen. 

Die nördliche Grenze fällt mit den nördlichen Grenzen der zu 
der Goldküste gehörenden Königreiche Denkera, Assin, Akim und 
Akuambu zusammen, und zwar wird dieselbe als auf H° 10' N. B. 
vom Flusse Tando ausgehend bis zu Terraboom, einer Grenzstadt 
von Denkera, auf dem westlichen Ufer des Flusses Gfim gelegen, 
laufend angenommen ; von hier folgt sie diesem Flusse bis zu seiner 
Vereinigung mit dem Prah und diesen hinauf, soweit er die Nord- 
grenze der Königreiche Assin und Akim bildet, sodann fällt sie mit 
dieser letzteren und der Nordwestgrenze von Akuambu bis zum 
Flusse Volta auf etwa 6° 20' N. B. zusammen. 

Im Osten bildet der bedeutende Strom Volta von 6° 20' N. B. 
bis zu seiner Mündung in den Golf von Guinea die eigentliche 
Grenze, doch haben die Engländer seit dem Jahre 1874 auch das 
Fort Quitta auf der westlichen Sklavenküste wieder besetzt, und 
steht dieser westliche Theil der Sklavenküste bis zum Dorfe Danoe 
jetzt ebenfalls unter der Jurisdiktion des Gouverneurs der Goldküste. 

Die Bevölkerung zerfällt in viele verschiedene Stämme, welche 
zum Theil eine republikanische Verfassung haben, wie z. B. die 
Fantis, zum grossen Theil jedoch von Königen unter Beirath der 
Aeltesten der Stämme regiert werden. 

Von der Westgrenze anfangend, finden wir zuerst das König- 
reich Apollonia , in West- und Ost-Apollonia sich theilend, und von 
der Westgrenze bis nahe der Mündung des Flusses Ankobra sich 
erstreckend. Es ist ziemlich dicht bevölkert und soll im Falle eines 
Krieges im Stande sein, gegen 10,000 Männer ins Feld zu stellen. Die 
Bevölkerung ist nach afrikanischen Begriffen fleissig ; die zahlreichen 
Plantagen werden gut bestellt, auch giebt es hier grössere Rinder- 
heerden, welche dem mittleren Theile der Goldküste fast gänzlich fehlen. 

Schafe, Ziegen und Hühner sind zahlreich. 

Ausser mit der Landwirthschaft beschäftigen sich viele Ein- 
wohner mit dem Handel oder arbeiten in den Goldwäschereien, welche 

6 * 

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in verschiedenen Theilen von Apollonia betrieben werden. Wahrend 
der trockenen Jahreszeit ziehen mehrere hundert alljährlich mit einem 
Theile ihrer Familien nach den Goldminen im Königreich Wassaw ; 
theilweise arbeiten sie in den dortigen Minen auf eigene Hand, theils 
werden sie von den daselbst Bergbau betreibenden Europäern bei 
dem Transporte von Maschinenteilen u. A. benutzt. Ein Sohn des 
Königs Quashi Blay, von Eastern Apollonia, Prinz Quashi, der Thron- 
erbe, geht seinen zukünftigen Untertanen mit bestem Beispiele 
voran. Trotzdem er nur wenig englisch versteht, hat er sich durch 
seinen Fleiss, seine Treue und Zuverlässigkeit bei den Betriebs- 
direktoren der Bergwerke in Wassaw allgemein beliebt gemacht. Der 
König Quashi Blay zeichnete sich während des letzten Aschanti-Krieges 
in den Jahren 1873 — 74 so vorteilhaft vor anderen Königen der 
Goldküste aus, dass ihm die Köuigin von England ein kostbares 
Schwert als Anerkennung seiner Treue überreichen liess. 

Im östlichen Theile von Apollonia, nur etwa 6 miles von der 
Küste entfernt, nahe dem Flusse Ebumesu, hat kürzlich eine euglische 
Kompagnie, die „Guinea Coast Gold Mining Company“, ein grösseres 
Stück reichen Minenlandes erworben, und wird dort in nächster Zeit 
den Goldbergwerksbetrieb in Angriff nehmen. 

Von den nördlich von Apollonia liegenden Reichen : Amanahea, 
Aowin und dem mystischen Sawi (dessen eigentliche Lage, ob inner- 
halb oder ausserhalb der Goldküste, vollständig zweifelhaft), ist so 
gut wie gar nichts bekannt. 

Im Laufe dieses Jahres beabsichtigen verschiedene Europäer 
den Versuch zu machen, diese Gegenden näher zu erforschen ; hiervon 
lassen sich wichtige Resultate erwarten. 

Das bedeutende Königreich Aowin soll äusserst reich an Gold 
sein, doch haben die Aowius bisher eifersüchtig die Bearbeitung der 
dortigen Goldlager nur für sich reservirt. Seit Ende letzten Jahres 
jedoch scheinen sie das Nachtheilige ihrer Abschluss-Politik eiugesehen 
zu haben und wird in Zukunft der Eröffnung und Untersuchung ihres 
Landes nichts mehr im Wege stehen. 

Vor beinahe 200 Jahren erhielten die Niederländer einen bedeu- 
tenden Theil ihres erhandelten Goldstaubes von den Aowins. Bosman 
äussert sich in seiuem Bericht über die Landschaften, aus denen 
Goldstaub zur Küste gebracht wird, wie folgt: -Die Aowinese-Land- 
sehaft ist sehr weit nördlich von Axim gelegen, von deren Einwohnern 
wir in früheren Zeiten viel Gold empfangen haben, welches sehr 
gut und unverfälscht war, doch haben die Diukerase (Deukera’s), 
welche über Alle die Herren spielen wollteu, dieses Volk unterdrückt, 


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seit welcher Zeit wir auch nicht viel mehr von ihrem Golde zu 
sehen bekommen haben“ u. s. w. 

Der bisherige Verkehr Aowins mit der Küste zog sich haupt- 
sächlich nach Assini, im französischen Protektorat. 

Oestlich vom Königreich Apollonia und dem Ankobrah -Fluss 
wohnen verschiedene Stämme, welche, mit Ausnahme der unab- 
hängigen kleinen Stämme Apatim, Axim, Ajemmera Princes und 
wahrscheinlich auch Akoda zu dem bedeutenden Staate Ahanta gehören. 

Dieser ganze Distrikt ist sehr hügelig, zum grossen Theil mit 
dichtem Walde bedeckt, und reich an kleinen Flüssen, von denen 
der Princes- und der Boutry-Fluss für surfboats (Brandungsböte) eine 
grössere Strecke hinauf fahrbar sind. Der westlich gelegene be- 
deutendere Strom Ankobrah bildet die Hauptverbindungsstrasse nach 
den Goldminen Wassaws. Derselbe ist für kleinere Dampfbarkassen 
bis Tomento, in gerader Linie etwa 30 miles von der Mündung, für 
surfboats noch weiter bis Buteboi, und den Nebenfluss Bonsa hinauf 
bis zur Bonsa-Station, der Haupt-Transportniederlage der europäischen 
Bergwerke in Wassaw, schiffbar. Es befinden sich auf demselben 
jetzt drei Dampfbarkassen und eine ganze Flottille von surfboats, 
welche sämmtlich Eigenthum der verschiedenen Minen-Kompagnien 
sind, und den bedeutenden Transport von Maschinen, Provisionen u. s. w. 
für dieselben zu besorgen haben. 

Axim, 5 miles östlich von der Mündung des Ankobrah, ist der 
Hafenplatz für alle diese Kompagnien und legen daselbst jetzt regel- 
mässig die von Liverpool kommenden Dampfer an. Da Axim der 
beste Landungsplatz an der ganzen Goldküste ist, weil der Strand 
gegen die so gefährliche Braudung durch ein davor liegendes Riff 
geschützt ist, innerhalb dessen die für den Ankobrah bestimmten 
Dampfbarkassen ohne Gefahr ankern können, so hat dieser Ort ohne 
Zweifel eine bedeutende Zukunft. Hier werden sämmtliche für die 
Minen bestimmte Gegenstände gelandet, dann durch surfboats nach 
dem Orte Sahoman, innerhalb der Mündung des Ankobrah verschifft, 
und geheu von dort weiter den Fluss hinauf bis Tomento oder 
Bonsa-Station, je nach der Jahreszeit, dann über Land bis zu den 
im Tacquah-Distrikt in Wassaw gelegenen Minen. Ich werde später 
bei Besprechung der Minen noch weiter hierauf zurückkommen. 

Die Barre vor der Mündung des Flusses Ankobrah hat bei niedrigem 
Wasser etwa 6 Fuss Wasser und ist mit seltenen Ausnahmen bei 
einiger Vorsicht das ganze Jahr hindurch für surfboats passirbar. 

In früheren Zeiten, zu Ende des siebzehnten und bis Mitte des 
achtzehnten Jahrhunderts, zeichnete sich dieser ganze Küstenstrich, 
wie uns W. Bosman und J. A. de Marröe berichten, durch die zahl- 

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reichen mit grossem Fleisse angelegten Plantagen aus, welche, 
begünstigt durch eine reiche Bewässerung seitens der vielen, hier in 
den Niederungen zwischen den Hügeln dem Meere zueilenden Bäche 
und Flüsse, den Eingeborenen einen guten Ertrag an vegetabilischen 
Nahrungsstoffen gewährten. Zu jenen Zeiten fanden sich hier auch 
bedeutende Reis-Anpflanzungen. Jetzt wird Reis fast gar nicht mehr 
angepflanzt, nur am unteren Laufe des Ankobrah - Flusses und in 
einigen Gegenden Ahanta’s begannen neuerdings die Neger wieder, den- 
selben in grösseren Partien zu säen und treiben sie einen bedeutenden 
Reishandel nach den Minengegenden Wassaws. Im Uebrigen war 
der Landbau in diesen Gegenden bis vor ganz kurzer Zeit sehr ver- 
nachlässigt und beschränkte sich auf die unentbehrlichsten Bedürfnisse. 
Handel und Fischfang in den Küstendörfern und der Betrieb der 
Goldwäschereien gaben den Eingeborenen das zu ihrem Unterhalte 
Nothwendige. In Axim und an einigen anderen Plätzen dieses 
Distrikts werden von reichen Eingeborenen kleine Rinderheerden, auch 
Schafe und Ziegen gehalten, doch ist es nur selten möglich, 
letztere zu kaufen, und dann nur zu hohen Preisen. Europäer in 
Axim suchen deshalb Fleisch von Apollonia aus zu erhalten. Im 
nördlichen Theile Ahantas befinden sich einige ausgedehntere 
Niederungen, hier werden besonders grössere Quantitäten von Mais 
angepflanzt und es wird damit, wie mit Reis, ein ziemlich beträcht- 
licher Handel nach den Minen Wassaws betrieben, welcher von Jahr 
zu Jahr, mit der wachsenden Bedeutung der Bergwerke, eine grössere 
Ausdehnung erreicht. 

Ueber die Stärke der Bevölkerung dieses Gebietes lässt sich 
Genaues nicht angeben; von einigen Häuptlingen (chiefs) wurden 
im letzten Jahre folgende Angaben in Betreff der Anzahl der streit- 
baren Männer im Falle eines Krieges mit Aschanti gemacht: Axim 
3000, Akoda 200, Boutry 3500, Dixcove 1000, Bossua 500, Adjuah 
400, Takorady 800, Secondee 1200, zusammen 10 600 Mann. Es 
fehlen in dieser Aufstellung verschiedene Küstenplätze dieses Distrikts, 
sowie der ganze nördliche Theil Ahantas. 

Interessant für Deutsche ist es, dass in dieser Gegend bei Kap 
Three Points sich vor nun beinahe 200 Jahren auch brandenbur gische 
Ansiedelungen befanden, welche jedoch durch fehlerhafte Verwaltung 
seitens der leitenden Beamten bald wieder aufgegeben werden mussten. 
Ausführliches hierüber findet sich in Petermann’s Mittheilungen, 
Jahrgang 1874, S. 27 u. ff., und verweise ich hier darauf. 

Oestlieh von Ahanta, zwischen Secondee und dem Prall-Flusse, 
befindet sich der kleine Staat, Chama, welcher sich im letzten Aschanti- 
Kriege durch seine Freundschaft für letzteren Staat berüchtigt machte; 


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jetzt ist derselbe der englischen Regierung gegenüber vollständig 
loyal. Im letzten Jahre bot er 2000 Mann als Hülfstruppen gegen 
Aschanti an. 

Das grössere Königreich Wassaw, welches sich im Osten bis 
zum Prall-Flusse, im Westen bis über den oberen Theil des Anko- 
brah- Flusses hinaus ausdehnt, theilt sich wiederum in Ost- und 
West-Wassaw. 

Der König von Ost-Wassaw, lebt seit mehreren Jahren in Lagos, 
wohin er von der englischen Regierung in Folge verschiedener Unbot- 
mässigkeiteu vor mehreren Jahren verbannt wurde. 

Quami Enimill (auch Quami Attabrah genannt) herrscht über 
West-Wassaw, dessen Hauptstadt Acropong ist; doch hält er sich 
jetzt meistens in Tacquah, dem Hauptorte der Minengegend, auf. 
Den westlichsten Theil Wassaws bilden die kleinen Vasallenstaaten 
Ost- und West-Apinto, deren Herrscher auch den Königstitel führen, 
jedoch unter der Botmässigkeit der Könige von Wassaw stehen ; diese 
Distrikte werden überhaupt mit zu Wassaw gerechnet. 

Wassaw ist seit alten Zeiten wegen seiner reichen Goldminen 
berühmt. Die bekanntesten derselben befinden sich in der Gegend 
von Tacquah im Bezirk des Königs Quabina Angoo von Eastern 
Apinto, und wenige miles nördlich davon bei dein Dorfe Abosso, dem 
chief (Aeltesten) Enimill Koomali gehörig. Dieser chief ist einer der 
ersten Würdenträger oder Minister dieses Reiches. Ihm liegt die 
Aufsicht über die Gräber der Könige von Wassaw ob. 

In dieser Gegend haben bereits mehrere Kompagnien aus- 
gedehnte Minenländereien erworben und ist, wie ich weiter unten 
ausführen werde, der regelmässige Bergwerksbetrieb daselbst im 
vollen Gange. Wassaw ist reich an Gebirgszügen und Flüssen, welche 
jedoch bisher nur zum geringen Tlieile bekannt sind. Ueberhaupt 
war der grössere Theil des Reiches bis noch vor wenigen Jahren 
topographisch eine vollständige terra incognita. Der dichte Urwald, 
welcher das ganze Land bedeckt, erschwert eine genaue Erforschung 
und Uebersicht über dasselbe ungemein. Eine eingehendere Kennt- 
niss haben wir bis jetzt nur von den oben erwähnten Gegenden von 
Tacquah und Abosso, dem oberen Laufe des Ankobrah-Flusses bis 
zum Orte Imau mit den benachbarten Gebirgszügen und den auf 
dem Wege von den Minen nach Bonsa-Station und dem Orte Tomento 
am Ankobrah zu passsirenden Höhenzügen, Flüssen und Bächen. 

Es hat sich für die in Tacquah uud Umgegend wohnhaften 
Europäer bisher wenig Gelegenheit geboten, das eigentliche Privat- 
leben der Wassaws zu beobachten, da die Stadt Tacquah und die 
sonstigen in den Minengegenden befindlichen Ortschaften doch immer 


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nur, so zu sagen, provisorische Niederlassungen sind, bewohnt von 
einer äusserst gemischten Bevölkerung, in welcher fast alle Stämme 
der Goldküste, sogar Neger von Lagos und Sierra Leone, ver- 
treten sind. 

Die Einwohnerzahl wechselt sehr; in der trocknen Jahreszeit, 
also in den Monaten Dezember bis etwa Mai, erreicht sie ihren 
höchsten Standpunkt, während in der Regenzeit ein grosser Theil 
der Angehörigen auderer Stämme zu ihren Wohnsitzen zurückkehren. 

In Wirklichkeit findet man unter den Bew'ohnern der Minen- 
Städte verhältnissmässig sehr wenige Wassaws. 

Die Stadt Tacquah wird gegenwärtig etwa 3000 Einwohner im 
Durchschnitt haben. Vor dem Jahre 1879 betrug die Einwohnerzahl 
gegen 6000 Personen. 

In Folge der Erwerbung eines grossen Theiles der dortigen 
Minenländereien durch Europäer haben sich viele der Neger nach 
benachbarten Minengegendeu gezogen und dort neue Ortschaften 
gegründet. Eine solche Ortschaft ist in wenigen Tagen erbaut Zur 
Herstellung der Seiten- und Giebel-Wände dienen gespaltene Bambus 
oder die Blattrippen einer grösseren Palmenart; das Gestell des 
Daches besteht aus demselben Material, und zur Bedeckung dienen 
entweder die Blätter einer Bambu-Art oder des Oelpalm- Baumes, 
oder auch die, den Pisangblättern ähnlichen breiten Blätter einer 
baumartigen Pflanze. Fenster giebt es nicht, Luft und Licht driugeu 
genügend durch die Spalten der dünnen Wände und die oben offenen 
Giebelenden herein. Als Thür dient ein aus Palmrippen zusammen- 
gebundenes und mit eiuer Matte bedecktes Gestell. 

Den Lärm und das Treiben in der Stadt Tacquah zu beob- 
achten, ist an sich äusserst interessant; wenn man aber genöthigt 
ist, inmitten der zusammengewürfelten Bevölkerung zu wohnen, wie 
wir ersten Europäer wohl oder übel mehrere Wochen hindurch und 
so lange thun mussten, bis wir uns auf den benachbarten Höhen- 
zügen Wohnungen errichtet hatten, so wird Einem das Leben daselbst 
zu einer wahren Hölle. Die Strassen in dem nicht weiten Thale 
sind äusserst eng. Tag und Nacht, fast ohne Unterbrechung, herrscht 
ein ungemein reges Leben in ihnen. Man könnte sich in eine der 
primitiven Minenstädte Kaliforniens oder Australiens, wie dieselben 
vor 20 bis 30 Jahren waren, versetzt glauben, nur dass hier eben 
alle Gestalten schwarz sind. Fast vor jeder Hütte sind Waaren 
zum Verkauf ausgelegt, oder hängen an langgestreckten Schnüren. 
Da findet man die verschiedenartigsten Zeuge, Perlen, Messer, Taback, 
Pfeifen und vieles Andere, das aus deu Faktoreien der Küste stammt 
und hier durch die eingeborenen Händler feilgeboten wird. Andere, 


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namentlich Weiber, haben besonders Nahrungsmittel, als getrocknete 
Fische, Schnecken, Mais, aus Maismehl gebackenes Brod, Zwiebeln, 
Früchte u. s. w. zum Verkauf ausliegen. An verschiedenen Strassen- 
ecken haben Goldschmiede ihren Sitz aufgeschlagen und anscheinend 
fortwährend zu thun. Auf drei oder vier etwas freieren Platzen 
befinden sich Schmiedewerkstätten, welche ohne Unterlass mit dem 
Verfertigen und Schärfen von Meissein und Drill-Bohrern aus gewöhn- 
lichem Schmiedeeisen für den Gebrauch der Miuer beschäftigt sind. 
Dicht neben ihnen haben sich oft Blechschmiede niedergelassen, welche 
mit kunstvoller Hand aus einfachen alten Blechbüchsen die in den 
Minen der Eingeborenen gebräuchlichen Minenlampen herstellen. 

Für alle Gegenstände werden freilich ganz enorme Preise 
gefordert; man merkt, dass man sich in einem Goldlande befindet 
und sieht man auch in jedes Händlers Hand die kleine Goldwaage. 

Ziemlich in der Mitte der Stadt hat König Quami Enimill 
seinen Palast, welcher sich jedoch durch nichts weiter, als durch 
seinen etwas grösseren Umfang und einen Hofraum von den anderen 
Hütten unterscheidet. Hier hält er sich hauptsächlich während der 
trocknen Jahreszeit, der eigentlichen Miuenzeit der Eingeborenen, 
auf, um seinen Tribut einzutreibeu und Händel zu schlichten, auch 
über kleine Vergehen der Neger Recht zu sprechen. Alle bedeutenden 
Rechtssachen müssen jedoch der die englische Obrigkeit vertretenden 
Person unterbreitet werden. 

Köuig Quabina Angoo von Eastern Apinto hat ein kleines, 
besser gebautes Dorf, etwa 5 Minuten westlich von der Stadt. Seine 
Hauptstadt ist Aodua, am rechten Ufer des oberen Ankobrah-Flusses 
gelegen, etwa 20 miles von Tacquah entfernt. 

Ausser den oben erwähnten Händlern fehlen aber in Tacquah 
auch leider nicht die Schnapskneipen, Spielhöllen und Schlimmeres. 
Die Neger stehen darin den Weissen durchaus nicht nach, und wie 
in früheren Zeiten in den Minenstädten Amerikas und Australiens 
kommt auch hier der Abschaum vieler Stämme zusammen, um den 
fieissigen Minern ihr sauer erworbenes Gold wieder abzunehmen. 

Zu Anfang des letzten Jahres hat die englische Regierung einen 
Distriktskommissär in Tacquah eingesetzt und haben sich seitdem die 
Zustände bedeutend gebessert, die schlimmste Sorte jener Neger hat 
es für sicherer gehalten, andere Gegenden aufzusuchen. 

Die zweitbedentendste Minenstadt ist jetzt Äbosso, etwa 9 miles 
nördlich von Tacquah belegen. Bisher war es nur ein kleines Dorf ; 
seit Mitte 1881 ist aber die Bevölkerung dieses Ortes auf über 
2000 Personen gestiegen und zwar in Folge der Entdeckung von 
leicht zu bearbeitenden goldhaltigen Erzlagern. 


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Ausser diesen zum grossen Theil von Fremden bearbeiteten 
Minen besitzen die Eingeborenen Wassaws durch ihr ganzes Land 
dergleichen und ist es bekannt, dass sie die besten derselben sorgfältig 
geheim halten und nur zu ihrem eigenen Nutzen ausbeuten. 

Die afrikanischen Miner müssen ein Drittel des Ertrages ihrer 
Minen an den Eigenthümcr des betreffenden Landes auszahlen. 
Gewöhnlich ist dies irgend ein chief der Gegend. Die Könige von 
Wassaw und Apinto beanspruchen aber das Eigenthumsrecht über 
grössere Distrikte, aus denen ihnen allein der Tribut zufällt. So 
gehört das ganze Land zwischen dem Bonsa- und Ankobrah-Fluss 
dem Könige Quabina Angoo von Eastern Apinto und liegen die 
Minen um Tacquah in diesem Distrikt, während die bei Abosso sich 
befindenden Minenländereien Eigenthum des chiefs Enimill Koomah 
sind. Die europäischen Bergwerksgesellschaften haben von diesen 
ihre Ländereien auf 50 bis 100 Jahre gepachtet, tlieils gegen eine 
erstmalige Zahlung von 100 bis 200 £ und 3°o des Nettoertrages 
der Minen, theils gegen eine jährliche Rente, welche gewöhnlich 
100 £ für das Jahr beträgt. Sämmtliche Pachtkontrakte müssen den 
eingeborenen chiefs oder Königen, mit denen dieselben abgeschlossen 
werden, durch einen geschworenen Dolmetscher in Gegenwart eines 
Distrikts-Kommissärs (gewöhnlich ein englischer Officier) übersetzt, 
und sodann von Letzterem gegengezeichnet werden. Sicherheitshalber 
lässt man dieselben dann auch in das öffentliche Register in Cape 
Coast eintragen. 

Die Wassaws treiben sehr wenig Landbau, kaum genug für 
ihren eigenen Bedarf, obwohl ihr Land sehr fruchtbar ist und sogar 
Reis an den niederen Abhängen der Höhenzüge ausserordentlich gut 
gedeiht, was ich durch eigene Erfahrung bezeugen, kann, da ich an 
den Abhängen Effuentas eine Strecke Landes mit Kru-Rcis (von der 
Liberia-Küste) bepflanzen liess und einen ganz ausserordentlich 
reichen Ertrag erzielte. Diese Thatsache ist von bedeutender Wichtig- 
keit für die dort errichteten Bergwerke, da deren Arbeiter meistens 
Kru-Neger sind, deren Hauptnahrung in Reis besteht, sie erhalten 
täglich für den Mann 1 l /a Pfund; dadurch, dass der Reis von Europa 
eingeführt und so weit nach dem Innern transportirt werden muss, 
wird der Preis der Arbeit erheblich vertheuert. 

Die Könige von Wassaw und Apinto schätzen ihre waffenfähige 
Mannschaft auf 8- bis 10000 Mann. 

Den nordwestlichsten Theil der Goldküste nimmt das Königreich 
Denkera ein. Früher eines der bedeutendsten Reiche dieser Gegenden, 
und als solches schon von Bosman geschildert, hat es in den letzten 
hundert Jahren durch die häufigen Kriege mit Aschanti sehr bedeutend 

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gelitten. Wie Wassaw ist auch dieses Land durch seine Goldininen 
bekannt. Dieselben sind jedoch noch nicht von Europäern besucht 
worden und ist dieses ganze Gebiet noch unerforscht. Es ist im 
Stande, 6000 Mann Hülfstruppen den Engländern zur Verfügung 
zu stellen. 

Aeusserst wenig wissen wir auch von dem Staate Tu fei, welcher 
im Westen von Wassaw und Denkera begrenzt wird, und sich theil- 
weise bis zum Prall- und Olim-Fluss erstreckt. Dieses Land soll 
äusserst gebirgig sein. 

Sämmtliehe bisher beschriebenen Länder liegen westlich des 
Prali-Elusses, welcher die Goldküste in zwei fast gleiche Theile, eine 
Ost- und eine Westküste, theilt. 

Oestlich vom Prah-FIuss, besonders bei den nahe der Küste 
gelegenen Stämmen, finden wir die Civilisation bedeutend weiter vor- 
geschritten, als in den vorher geschilderten Ländern. Auch die Ein- 
wohnerzahl ist grösser. Einige kleine unbedeutende Stämme, nächst 
dem Prah-Flusse wohnhaft, übergehen wir und kommen nach Elmina, 
einem der Hauptplätze der ganzen Küste. Dieser Ort zeichnet sich 
vortheilhaft vor vielen anderen Plätzen durch seine besseren Hauten 
aus. Früher war hier das Hauptquartier der Niederländer und lässt 
sich ihr Einfluss auf den ganzen Charakter dieses Theils der Fanti- 
Nation, oft zum Vortheil, im Vergleich zu den stets unter englischer 
Herrschaft gewesenen Fantis sehr gut wahruehmen. 

Die Elminaer sind ausgezeichnete Kaufleute. Ausserdem be- 
treiben sie, wie alle Küstenstämme, Fischfang, und der Landbau wird 
bei ihnen nicht vernachlässigt. 

Die Elminaer Bootsleute sind sehr gesucht wegen ihrer Kenntniss 
der Brandung au den verschiedenen Küstenplätzen und ihrer Uebung, 
das Fahrzeug unverletzt hindurchzubringen. Die Anzahl der waffen- 
fähigen Personen wird auf 4500 geschätzt. 

Wir kommen nun zu dem früher sehr bedeutenden Königreiche 
Fanti, welches jetzt jedoch in viele Theile zerfallen ist. Im Jahre 
1871 versuchten die zahlreichen der Fanti-Nation angehörigen Stämme, 
wohl hauptsächlich auf Veranlassung ehrgeiziger Kaufleute und 
Advokaten, sich zu einer Konföderation zu vereinigen unter dem 
Vorsitz zweier Präsidenten, des Königs Quasi Edos von Mankessam 
und des Königs Anfoo Otoo von Abrah. Der damalige englische 
Gouverneur trat diesen Bestrebungen jedoch feindlich gegenüber 
und nachdem sich die Fantis während des Aschanti - Krieges von 
1873 — 1874 äusserst erbärmlich und feige benommen hatten, ganz 
im Gegensatz zu ihren vorhergehenden hochtrabenden Worten, ist 
von dieser Konföderation nichts mehr zu hören. Zu derselben hatten 


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sich 31 Könige und chiefs verpflichtet. Die hauptsächlichsten unter 
diesen Stämmen sind Cape Coast, Anamaboc, Abrah, Dunquah, 
Dotninassie, Mankessam und Agjimako. 

Die Anzahl der Erwachsenen männlichen Geschlechts der sämmt- 
lichen Fanti- Stämme wird auf etwa 70000 Personen angegeben. 
Cape Coast war früher der Hauptsitz der englischen Regierung, bis 
dieselbe etwa im Jahre 1875 nach dem gesunderen Accra verlegt 
wurde. 

Wenn es auch unter den Vornehmeren der Fantis sehr 
geachtete Kaufleute, Advokaten, Prediger u. A. giebt, so wird von 
dem Charakter der Fantis im Allgemeinen doch nicht viel Gutes 
gesagt. Sie sind äusserst anstellig, aber verschmitzt, eingebildet, 
hochtrabend, dabei auch wieder äusserst feige und faul. Ihr Land, 
obgleich nicht von regelmässigen Höhenketten durchzogen, ist hügelig; 
Hügel und Thäler wechseln fortwährend mit einander ab. Erstere 
jedoch sind kaum höher als 2 — 300 Fuss, letztere auch nur von 
geringer Ausdehnung. Das Land ist aber überall bewachsen (freilich 
nicht mit solchem Urwald, als die vorhergenannteu Länder) und 
macht im Allgemeinen durch den steten Wechsel von Berg und Thal 
einen freundlichen, angenehmen Eindruck. 

Leider gehören diese Gegenden zu den ungesundesten der Küste. 
In den Thälern herrscht eine drückende Hitze, da der Seewind durch 
vorliegende Hügel meistens abgesperrt ist, besonders in der Regen- 
zeit und gleich nach derselben entwickeln die durch die ange- 
schwollenen Bäche überschwemmten Flächen solche Miasmen, dass 
dadurch viele Krankheiten hervorgerufen werden. 

Ihr Charakter macht die Fantis zu geborenen Handelsleuten. 
Die von der Küste entfernter gelegenen Stämme betreiben jedoch 
auch einen ziemlich bedeutenden Ackerbau. Gold kommt in ihrem 
ganzen Gebiet vor, wird aber bis jetzt noch weuig beachtet. 

Mehr oder weniger als zu Fanti gehörig kann man noch die 
östlich von den beschriebenen gelegenen Landschaften Essecumah, 
Gomoa und Agoona betrachten. Der Charakter des Volkes ist so 
ziemlich derselbe, das Land jedoch gewinnt eine andere Gestalt. Es 
wird weiter nach Osten ebener, nur hin und wieder ragen vereinzelt 
Ilügel aus dem wellenförmigen, savannenartigen Terrain. Der dichtere 
Pflanzen- und Baumwuchs macht den vorwaltenden Gräsern Platz. 
Nur hinter Winnebah findet sich eine mit höherem Wald theilweise 
bestandene Hügelreihe, der Mamquady-Höhenzug. In dieser Gegend 
wurden vor vielen Jahrzehnten Goldwäschereien betrieben, welche 
jedoch schon vor langer Zeit, da sie fast ausgearbeitet, von den 
Negern aufgegeben worden sind. 


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König Henry Aquali IV. von Winnebah ist ein Christ, und ob- 
gleich er sich mit grosser Vorliebe „Majestät“ tituliren lässt, so 
muss man ihm doch zu seinem Ruhme nachsagen, dass er durch 
seine christlichen Grundsätze einen guten Einfluss auf seine Unter- 
thanen ausübt. 

An den oberen vvaldbedeckten Ufern des MyAwsoo-Flusses, welcher 
bei Winnebah mündet, wird ein grosser Theil der an der Küste ge- 
brauchten Kanoes hergestellt. 

Landwirtschaft wird tteissig in dieser Gegend betrieben. Die 
Einwohnerzahl finden wir äusserst verschieden angegeben, und wechseln 
z. B. die Angaben, Gomoah betreffend, zwischen 4000 und 20000 
(wahrscheinlich bezieht sich erstere Ziffer nur auf den östlichen 
Theil, letztere aber auf das ganze Gomoah). 

Das Fanti-Land hinter uns lassend, betreten wir in Accra oder 
Ga ein sprachlich gesondertes Gebiet; die Sprache der Bewohner 
berührt durch ihren Wohllaut das Ohr des Fremden angenehm, wie 
denn auch der verstorbene tüchtige Missionar Jobs. Zimmennann, 
welcher die ganze Bibel in die Ga-Sprache übersetzt hat, öfter 
äusserte, „er wüsste keine Sprache, in welcher die Psalmen Davids 
übersetzt, einen der Ursprache der Bibel so ähnlichen Klang und 
Ausdruck hätten, als diese.“ 

Unter den an der Küste wohnhaften Stämmen zeichnen sich 
die Accraer durch ihren Charakter vortheilhaft aus. Sie haben 
nicht den Schliff der Fantier und deren Verschmitztheit, sind 
aber offener und zuverlässiger. Die Hauptplätze sind die dicht bei 
einander liegenden drei Orte: James Town oder English Accra, 
Ushers Town, früher Crevecoeur oder Dutch Accra, und Christians- 
borg, früher Danish Accra. Aus diesen Benennungen kann mau 
schon ersehen, dass früher drei europäische Nationen sich in die 
Oberherrschaft über diesen Distrikt theilten. Darnach scheiden sich 
auch heute noch die Accraer in drei Abtheilungen, in die english, 
dutch und danish Accras und hat eine jede ihren besonderen König. 

Der grössere Theil des Ga-Landes ist eine fast ganz mit Gras 
bewachsene, wellenförmige Ebene, hin und wieder finden sich kleinere 
Gebüsche. Nur ein kleiner Strich der südlichen und südwestlichen 
Ausläufer der Aquapim-Berge gehört noch dazu und befinden sich 
hier zahlreiche Plantagendörfer, welche ziemlich stark bevölkert sind, 
und in deren Umgebung fleissig Ackerbau getrieben wird. 

Im Ganzen ist freilich das Land im Vergleich zu anderen 
Theilen der Küste dürr und unfruchtbar und seine Bewohner sind 
darum auch zum grossen Theil auf den Handel angewiesen. Die 
Accra-Handwerker, als Tischler, Maurer, Bötticher, Schmiede u. A. 


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sind an der ganzen Küste sehr gesucht, da sie durchgängig ihre 
Arbeit gut verstehen. Die meisten dieser Handwerker haben ihre 
Fertigkeit dem Unterricht der Baseler Missions-Handwerker zu ver- 
danken. wie überhaupt der vortheilhafte Einfluss der Baseler Mission 
auf die Bevölkerung dieses ganzen Theiles der Goldküste nicht zu | 
verkennen ist. 

Von Accra aus findet jetzt ein regelmässiger Verkehr mit der 
grossen, am oberen Volta gelegenen, muhamedanischen Stadt Selga 
(oder Selaga) statt, und bewohnen die die Küste besuchenden Muha- 
medaner einen besonderen Stadttheil in Ushers Town. 

Die erwachsene männliche Bevölkerung des Accra-Landes kann 
auf mindestens 5 bis 6000 Personen veranschlagt werden, so hoch 
wird die kriegspflichtige Mannschaft von den Königen angegeben. 

Die Landschaft Adaugmc bildet den südöstlichsten Theil der 
Goldküste, sie wird im Westeu von Accra und Aquapim, im Norden 
von Kroboe und dem Volta-Fluss begrenzt. Im Osten erstreckt sie 
sich stellenweise über den Letzteren hinaus. Das Land ist grössten* 
theils eben wie Accra, nur die Schai-Bcrge erheben sich ziemlich 
steil mitten aus der F.bene. Von Land und Leuten in Adangme 
ist wenig zu berichten : in der Geschichte der Goldküste haben 
dieselben keine hervorragende Rolle gespielt. Es soll ein fleissiges, 
Handel und Ackerbau treibendes Yolk sein. Seit 1874 hat sich auf 
dein bedeutenden Strom Volta ein grösserer Verkehr entwickelt und 
fahren jetzt sogar mehrere Dampfbarkassen auf demselben. I 

Nördlich vom Ga -Lande liegt das Gebirgsland Aquapim, ein j 
schön bewaldetes, fruchtbares Gebiet. Seine Bergzüge, in nordöst- j 
und südwestlicher Richtung streichend, erreichen eine Höhe von 
12 bis 1600 Fuss über dem Meere. Die Baseler Mission hat in 
vielen Ortschaften Stationen errichtet. Die wichtigsten derselben 
sind in Akropong, der Hauptstadt des Landes, und in Aburi. Das 
Klima ist hier bedeutend gesunder als das der Seeküste und an der 
Küste erkrankte Europäer finden hier bei den Baseler Missionaren 
freundliche Aufnahme, um sich in der reineren frischeren Luft der 
Berge von dem entnervenden Einfluss des Küstenklimas zu erholen. 

Die Missionare haben Musterplantagen von Kaffee und Taback 
angelegt und die Eingeborenen sind diesem Beispiele vielfach gefolgt. 

Der Kaffee dieser Gegeuden ist sehr wohlschmeckend, die Bohne ist 
dem Liberia Kaffee ähnlich. Die Taback-Anpflanzungen haben keinen 
so' guten Erfolg gehabt, woran aber wohl weniger der Boden, als 
vielmehr mangelhafte lvenntniss der Bedingungen der Tabackskultur 
Schuld trug. An den Abhängen der Berge und in den Thäleru 
findet man viele Plantagen und wird der Fleiss der Einwohner durch 


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reichen Ertrag gelohnt. Was sie von ihren Erzeugnissen nicht zum 
eigenen Unterhalt gebrauchen, bringen sie nach Accra zum Markte 
und herrscht deshalb ein reger Verkehr mit der Küste. Obwohl 
das ganze Land goldhaltig ist. wird bis jetzt nur wenig davon ge- 
fördert, Ackerbau, Bereitung von Palmöl und die Verfertigung von 
Balken und Brettern machen die Hauptbeschäftigung der Bewohner 
aus. ' Das rührige Volk der Aquapimer hat oft Gelegenheit gehabt, 
seine Tapferkeit im Kriege mit Aschanti zu messen. 500Ü Mann 
sollen dieselben ins Feld stellen können. 

Krohoe, nordöstlich von Aquapim, ist wohl das jedenfalls am 
Besten bebaute Land der ganzen Goldküste. Die Einwohner sind 
äusserst Heissig. Hauptsächlich wird Palmöl producirt, welches in 
früheren Zeiten in Töpfen auf den Köpfen der Neger nach Accra 
und anderen Küstenplätzen transportirt werden musste, jetzt aber 
in grossen Quantitäten den Volta-Fluss hinunter hauptsächlich nach 
Adda geht. 

In der Ebene ist Odumasse die Hauptstadt, woselbst wiederum 
die Baseler Mission eine Station hat. Im Fall des Angriffs einer 
feindlichen Macht ziehen sich jedoch die lvroboer auf den sehr steil aus 
der Ebene aufsteigenden Krobo-Berg zurück, auf dessen natürlich 
abgeflachter Höhe sich zwei Städte befinden. In Friedenszeiten sind 
diese Städte fast unbewohnt, doch sorgt ein jeder Kroboer dafür, 
dass sein daselbst befindliches Haus in gutem Zustande bleibe. 
Auffallender Weise finden sich viele zweistöckige Häuser darunter. 
Der Aufgang zu dieser eigenthümlichen natürlichen Festung ist so 
steil, dass eine geringe Anzahl Menschen im Stande ist, einem 
ganzen Heere hier Widerstand zu leisten. Daher rührt auch wohl 
der freie, stolze Sinn der Kroboer, deren etwa 5000 Mann starke 
waffenfähige Mannschaft ein nicht zu verachtendes Kontingent in 
einem Kriege mit Aschanti bildet. 

Das wilde Gcbirgsland Akuamu, nördlich von Kroboe auf beiden 
Seiten des Volta-Flusses, hauptsächlich jedoch auf dem östlichen 
Ufer sich ausdehnend, wurde bisher kaum als zum Protektorate der 
Goldküste gehörig angesehen. 

Es wird von einem rohen, an Grausamkeit den Asehantis und 
Dahomeys nichts nachgebenden Volksstamm bewohnt. Das Volk der 
Akuamuer war stets, offen oder geheim, der Verbündete Asehantis 
und durch Akuamu und dann Angla oder wie die Engländer sagen: 
Awoonah, hält Aschanti seine Verbindung mit Dahomey aufrecht. 

Der durch Akuamu strömende Theil des Volta-Flusses hat 
äusserst pittoreske Ufer, besonders etwas oberhalb der auf dem 
östlichen Ufer liegenden Hauptstadt Akuamu. Hier durchbrach der 


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Volta das Gebirge und wie die Seiten einer Mauer erheben sich auf 
beiden Ufern, mehrere hundert Kuss hoch, die stehen gebliebenen 
Flügel des Höhenzuges. 

Nordöstlich von Akuamu mag noch der unbedeutende Staat 
Anum genannt werden, welcher nur aus wenigen Dörfern besteht. 

In der Hauptstadt Anum hatten die Baseler früher eine Missions- 
Station, woselbst im Jahre 1860 die Missionare Kühne und ltamseyer 
mit Frau und Kind von den Aschantis gefaugen genommen wurden. 

Es bleiben nun noch die Reiche Ost- und Wcst-Akim und Assi« 
zu betrachten. — Assin liegt zwischen Fanti und dem Prall - Fluss. 
Durch dieses Gebiet zieht sich die Hauptstrasse zwischen Aschanti 
und Cape Coast hindurch. Yanhnnassie und Munsti sind die beiden 
Hauptorte. Trotz der grossen Fruchtbarkeit des Landes ist die i 
Einwohnerzahl doch nur gering, da es stets den ersten Angriffen der 
Aschantis ausgesetzt war und wohl am meisten unter den Stammen 
der Küste durch diese Kriege zu leiden hatte. 

Oestlich dehnen sich die grösseren Reiche West- und Ost-Akim 
aus. Unsere Kenntniss der Topographie dieser beiden Länder ist 
noch höchst mangelhaft. Gebirgszüge und Thäler wechseln mit 
einander ab; der grössere Theil dieses Gebiets ist mit prächtigem 
Urwald bedeckt. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner ist die ! 
Gewinnung von Gold aus den Sediment-Ablagerungen an den Ab- 
hängen und in den Thälern und Flussbetten, ln Ost-Akim bei der 
Hauptstadt Kjebi war es, wo ich zum ersten Male im Jahre 1868 
Gelegenheit hatte, die Art und Weise der Gewinnung des Goldes 
durch eine grössere Anzahl Neger zu beobachten. 

Es ist kein Zweifel, dass beide Reiche Akim in Folge ihres 
enonnenMineralreichthums einmal eine bedeutende Rolle spielen werden. 

Die Hauptstadt von West-Akim ist Gadem. 

Die Akimer sind von kleinerer Statur als der grössere Theil 
der Küstenbevölkerung, aber lebhaft, kräftig und durch die vielen ) 
Kriege mit Aschanti kampfgewöhnt. Beide Akims sollen etwa 
10000 Mann ins Feld stellen können, welche Zahl mir jedoch zu 
hoch gegriffen zu sein scheint. 

Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Goldküste zu 
gebeu, w'ürde hier zu weit führen. Es ist wohl allgemein bekannt, 
dass der Sklavenhandel und das Gold die hauptsächlichste An- 
ziehungskraft auf die verschiedenen europäischen Nationen, welche 
abwechselnd und miteinander diese Küste besetzten, ausübten. Die 
beste und ausführlichste Beschreibung der Goldküste ist wohl noch 
heute die von W. Bosman am Anfang des letzten Jahrhunderts 
herausgegebene „Beschryving van de Guinese Goud-Kust.“ 


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Nachdem die Franzosen, Portugiesen und Brandenburger sich 
von diesem Theil der westafrikanischen Küste zurückgezogen hatten, 
blieben nur die Niederländer, Engländer und Dänen als Besitzer der 
vielen Küstenforts zurück. 

Die dänischen Forts fingen in Christiansborg an und erstreckten 
sich östlich bis Ketta auf der Sklavenküste. Die zahlreichen Forts 
im mittleren und westlichen Theil der Goldküste gehörten theils 
England, theils den Niederlanden; dabei waren die Besitzungen dieser 
beiden Nationen nicht arrondirt, sondern lagen durcheinander, bald 
eine Strecke englisches, bald niederländisches Land. 

Im Jahre 1850 verkauften die Dänen ihre Forts und ihre An- 
sprüche an gewisse Theile der Küste für 10000 £ an die englische 
Ilegierung. 

Zwischen England und den Niederlanden kam im Jahre 1867 
ein Vertrag zu Stande, wonach letztere alle ihre östlich vom Sweet 
river gelegenen Besitzungen an England abtraten, England aber 
dafür seine sämmtlichen westlich vom Sweet river gelegenen Forts 
und damit verbundenen Rechte an die Niederlande überliess. 

Bei diesem Vertrag aber waren die verschiedenen Stämme, in 
deren Gebieten sich die betreffenden Forts befanden, nicht zu Ratlie 
gezogen worden und sie zeigten sich zum grösseren Theil mit den 
gegenseitigen Landübertragungen Englands au die Niederlande und 
umgekehrt äusserst unzufrieden. Es kam in Folge dessen zu ernsten 
Streitigkeiten und Kämpfen, so dass sich endlich die Niederlande 
veranlasst sahen, durch den Vertrag vom 25. Februar 1871 ihr ganzes 
westafrikanisches Besitzthum an England , gegen Ueberlassung Atschins 
auf Sumatra, abzutreten. An diesem Vertrag aber nahm wiederum 
Aschanti Anstoss, welches schon lange auf eine Gelegenheit gewartet 
hatte, die Goldküste wieder mit Krieg zu überziehen, und im Jahre 
1873 kam der letzte grosse Krieg zwischen Aschanti und dem Protektorat 
der Goldküste zum Ausbruch, welcher mit der Einnahme Kumasis, 
der Hauptstadt Aschantis, Anfang Februar 1874 endete. 

Durch diesen schnellen, glücklichen Feldzug, in welchem zum 
ersten Male eine grössere Anzahl europäischer Truppen das Innere 
der Goldküste betraten, erhielt der Name Englands, welcher in den 
vorhergehenden Jahren wenig Respekt daselbst eingeflösst hatte, 
wieder einen guten Klang. Auch schien es, als ob England endlich 
erkannt hätte, dass die Goldküste zu einem werthvollen Besitzthum 
gemacht werden könne. Die Goldküste, welche bisher nur ein 
Protektorat gewesen war, wurde zu einer Kolonie der britischen 
Krone erhoben ; das Halten von Haussklaven, welches bis dahin unter 
den Eingeborenen noch immer als ein berechtigtes Institut angesehen 

Geogr. Blätter. Bremen, 1882. 7 

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und von der Regierung geduldet worden war, wurde urplötzlich ver- 
boten und es wurden verschiedene Aenderungen in der Verwaltung 
eingeführt. Leider dauerte dieses frischere Leben nicht lange und 
bald ging wieder Alles seinen gewöhnlichen Schlendrian. Ja den 
Privatleuten, welche mit eigenen Mitteln die Hülfsquellen des Innern 
zu erschliessen suchten, legten die betreffenden Beamten alle mög- 
lichen Schwierigkeiten in den Weg. 

Da, zu Anfang des letzten Jahres, drohte ein neuer Krieg mit 
Aschanti. Diese Negermacht hatte mit wachsamen Augen die Vor- 
gänge an der Küste verfolgt und glaubte nach dem gegen Ende des 
Jahres 1880 erfolgten plötzlichen Tode des Gouverneurs Usher den 
rechten Zeitpunkt gekommen, durch eine schnelle aggressive Aktion 
den Administrator, Lieutenant -Governor W. B. Griffith, zu über- 
raschen und einzuschüchtern und dadurch von jedem Eingreifen 
abzuhalten, während sie die seit dem Jahre 1874 sich für unabhängig 
erklärt habendeu, früher ihr zinsbaren Stämme wieder unter ihre 
Botiuässigkeit zu bekommen suchte, um dadurch ihr verloren 
gegangenes Ansehen wieder zu erhalten. Der Administrator wurde 
dadurch in eine äusserst schwierige Position gedrängt. Er zeigte 
sich aber seiner Stellung gewachsen, und ohne mit Aschanti zu brechen, 
liess er, soweit es die disponiblen geringen Streitkräfte ihm gestatteten, 
das ganze Gebiet der Kolonie in Vertheidigungszustand setzen. 

Ein solches Auftreten hatten die Aschantis nicht erwartet. Als 
nun noch der neuernannte thatkräftige Gouverneur Sir Samuel llowe 
mit einem zahlreichen Stab von Officieren eiutraf und mit kundiger 
Hand die Leitung der Regierungsgeschäfte übernahm, suchten die 
Aschantis ihre Handlungsweise auf jede Art und Weise zu beschönigen 
und zu entschuldigen, und als geborene Diplomaten die Sachlage so 
darzustellen, als ob ein Missverstäudniss seitens des Administrators 
an Allem Schuld wäre. Da sie jedoch bemerkten, dass Sir Samuel Rowe 
sie durchschaute und in den angefangenen Vertheidigungsmassregeln 
fortfahren liess, wurden sie besorgt und bequemten sich nicht nur 
dazu, um Entschuldigung zu bitten, sondern demüthigten sich so 
weit, freiwillig die alte „goldene Axt“ an die Königin von England aus- 
zuliefern, und 2000 Unzen Gold, als Sühne, an England zu bezahlen. 

So tief hatte sich noch nie ein König von Aschanti gebeugt ! 
Mit dieser Ueberlieferung der goldeneu Axt an England ist das 
Ansehen von Aschanti bei allen Negerreichen jener Gegenden für 
lange Zeiten zerstört, jedenfalls zum Besten der Länder der Gold- 
küste und der benachbarten Reiche. Der unsichere Zustand früherer 
Zeiten wird nun ein Ende haben und in Sir S. Rowe hat die Gold- 
küsten-Kolonie einen Gouverneur erhalten, von dem mit Sicherheit 


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zu erwarten ist, dass er scharfen Auges die enormen Hülfsquellen 
des Landes erkennen und zu eröffnen wissen wird. 

Der Handel ist hauptsächlich Tauschhandel. Bis gegen Ende 
der sechziger Jahre war derselbe fast ganz in den Händen weniger 
europäischer Firmen, welche in den Küstenplätzen, unter Verwaltung 
von Agenten, ihre Faktoreien hatten; nur eine geringe Anzahl ein- 
geborener Händler verkehrte direkt mit Europa. Ausserdem wurden 
auch von Kaufleuteu in Europa und Amerika mit den nüthigen 
Waaren versehene Schiffe nach der Küste expedirt, welche so lange 
sich an derselben aufhielten, bis ihre Waaren verkauft und mit den 
dafür erhandelten Landesprodukten beladen waren. Eine solche 
Reise nahm oft ein Jahr in Anspruch, da die Waaren zum grossen 
Theil an verschiedenen Plätzen eingeborenen Händlern auf Kredit 
überlassen werden mussten, und es oft Schwierigkeiten machte, jeden- 
falls eine längere Zeit dauerte, das Aequivalent dafür in Landes- 
produkten von diesen Händlern einzutreiben. 

Dieser Küstenhandel hat sich fast ganz von der Goldküste 
zurückgezogen, und mau findet diese meistens nach Bristol und 
Boston gehörigen Schiffe jetzt grösstentheils in der Gegend von Kap 
Palmas bis westlich von Assini, woselbst Faktoreien am Lande fast 
gar nicht existiren. 

Von den Jahren 1868 — 1869 an trat eine grosse Veränderung 
in den Haudelsverhältnissen der Küste ein. Während bis dahin die 
Verbindung mit Europa (Liverpool) nur zwei wöchentlich durch die 
Dampfer der „Afriean Steamship Company“ stattgefunden hatte, kam 
zu dieser Zeit eine neue Dampferlinie hinzu, die „British and Afriean 
Navigation Company“. Beide Linien arbeiten freundschaftlich neben 
einander, und expediren abwechselnd jeden Sonnabend einen Dampfer 
von Liverpool nach der Küste. Da diese Dampfer viele Plätze an 
der ganzen Westküste Afrikas anlaufen, so nimmt die Reise von 
Liverpool nach der Goldküste etwa 24 Tage in Anspruch. In den 
letzten Jahren haben diese beiden Kompagnien auch eine Nebenlinie 
eingerichtet, welche jetzt vierwöchentlich zwischen Hamburg, einem 
französischen Hafen und der Küste fährt. 

Von Deutscher Seite werden hauptsächlich von Bremen aus 
Schiffe (durch F. M. Vietor Söhne und G. Bagelmann, als Agent 
der Baseler Missionsgesellschaft) nach der Gold- und Sklaven-Küste 
(Accra, Adda und Ketta) expedirt. 

Da die meisten mit der Küste Handel treibenden europäischen 
Häuser ihre eigenen Schiffe besitzen, also die an der Küste er- 
handelten Produkte auch damit verladen mussten, und verhältniss- 
mässig nur wenig mit Dampfer verschifften, so begünstigten die 

7 * 

* 

Diaitlzed b 


100 


obengenannten Dampferlinien auf jede Art und Weise den direkten 
Verkehr eingeborener Händler mit Europa, um genügende Fracht 
für ihre Dampfer zu erhalten. Dieses beschränkte sich nicht nur 
auf die Eingeborenen der Goldküste, unter welchen sich mehrere 
bedeutende Firmen befinden, deren Namen unter Kaufleuten einen 
guten Klang haben, sondern eine grosse Anzahl auderen Gegenden, 
vorzüglich Sierra Leone angehörender Neger, sogenannte ,,petty 
traders“ kamen zum Zweck des Handels nach der Goldküste und 
Sklavenküste. Zum grossen Theil waren dieselben ohne alle Mittel, 
verstanden es aber mit der den Negern angeborenen Schlauheit, von 
den Faktoreien Anfangs kleine Quantitäten Waaren auf Kredit zu 
erhalten. Nachdem sie durch pünktliche Bezahlung nach Umsatz der 
Waaren das Vertrauen der betreffenden Faktoreien erworben hatten, 
< und ihneu in Folge dessen grössere Quantitäten anvertraut wurden, 
fingen sie gewöhnlich an, sich in direkten Verkehr mit irgend 
einem Kommissionshaus in England zu setzen, und ihre, durch Ver- 
kauf der auf Kredit erhaltenen Waaren erhandelten Produkte, 
anstatt dieselben an die Faktoreien abzuliefern, nach England zu 
senden und direkt von England Waaren kommen zu lassen. Dasselbe 
Spiel, wie mit den Faktoristeu an der Küste wiederholten sie, nur 
im grösseren Maassstabe, mit den Kommissionshäusern in England. 
Es existiren viele Sierra-Leoue-Kaufleute an der Küste, welche sich 
auf diese Art und Weise ein für dortige Verhältnisse grosses Ver- 
mögen erworben haben, und sind europäische Häuser nicht genug 
zu mahnen, bei Eingehung vou Handelsverbindungen mit eingeborenen 
Häudlern die grösste Vorsicht zu beobachten. Dieses hat natürlich 
keinen Bezug auf alt etablirte wohlbekannte, solide Firmen in Sierra 
Leone und an der Goldküste. 

Die Dampfer -Kompagnien ziehen aus dem, so entstandenen 
regeren, direkten Verkehr mit England grossen Nutzen, da alle diese 
petty traders mit den Dampfern ihre Produkte verschiffen, und ihre 
Waaren von England kommen lassen müssen, und die Kompagnien, 
bezüglich der zu erhaltenden Fracht, gar kein Risiko laufen, denn 
letztere muss für die verschifften Produkte vor Ablieferung, und für 
die hiuausgesaudten Waaren bei Verschiffung derselben in Liverpool 
entrichtet werden. 

Einfuhr der Goldküste. Eingeführt werden besonders Manu- 
fakturwaaren verschiedenster Art, zum grossen Theil Manchester 
Fabrikate, einige Sorten auch von der Schweiz; Eisenwaaren, wie 
Messer, Scheeren, Hirschfänger, Töpfe, Nägel, Handwerkszeuge, lange 
Eisenstangen, uuter denen die schwedischen bevorzugt werden, u. A.: 
Blätter -Tabacke in Original - Fässern (bei diesem Artikel ist zu 


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bemerken, dass die Neger darin äusserst schwer zufrieden zu stellen 
sind, sie verlangen ein langes, kräftiges, wohlriechendes Blatt; 
schlechte Waare ist so gut wie unverkäuflich); dicker Messingdraht, 
welchen sie zu Armringen u. A. verarbeiten; dünnerer Kupferdraht, 
welcher hauptsächlich von den Goldschmieden verarbeitet wird ; Becken 
von Messingblech; die verschiedensten Sorten Venediger Perlen; 
Steinschlossgewehre (die sogenannten danisli guns) ; Töpfer- und Por- 
cellan-Waaren ; Salz (meistens von den Kap Verdischen Inseln ange- 
bracht); fertige Anzüge (neuerdings in grössereu Quantitäten); Hüte, 
Mützen und die verschiedensten Kurzwaaren ; Rum (von der gewöhn- 
lichsten Qualität; seitdem der Dampferverkehr mit Hamburg etablirt 
ist, werden von diesem Platze grosse Quantitäten dieses Artikels 
nach der Küste exportirt); Konserven in Blechbüchsen; Biere; Weine; 
Liqueure (die letzten vier Artikel finden bei den wohlhabenderen, 
civilisirten Eingeborenen regen Absatz); und anderes mehr. 

Die zur Ausfuhr gelangenden Produkte der Goldküste be- 
schränken sich bis jetzt auf wenige Artikel, unter denen Palmöl und 
Palmkerne, nebst Goldstaub wohl den ersten Rang einnehmen. 

Palmöl und Palmkerne könnten in viel bedeutenderen Quanti- 
täten producirt werden, wenn die Anpflanzung des Oelpalmbaumes 
systematisch betrieben würde. Auf Goldstaub werde ich weiter unten 
zurückkommen. 

Ausser den genannten Produkten werden in geringeren Quantitäten 
ausgeführt: Erdnüsse (aus denen, namentlich in Frankreich, ein Oel 
gepresst wird, welches vielfach unter dem Namen Olivenöl als Speiseöl 
verkauft wird); etwas Baumwolle; Felle, besonders schwarze Affen- 
felle ; wenig Elfenbein und Guinea Grains (ein kleiner, sehr ölhaltiger 
Samen). Vollständig vernachlässigt sind eine grosse Anzahl Artikel, 
welche mit leichter Mühe daselbst producirt werden könnten, und 
wie ich überzeugt bin, auch in wenigen Jahren ihre gebührende 
Berücksichtigung finden werden. Dergleichen sind unter anderen: 

Kautschuk (india rubber, gummi elasticum). Die Schlingpflanzen 
und eine Baumart, von welchen derselbe gewonnen werden könnte, 
existiren in grossen Mengen in den Urwäldern des Innern der Gold- 
küste. Ich selbst habe mich von deren Vorhandensein in den Wäl- 
dern Wassaws überzeugt. 

Indigo wird von den Eingeborenen an verschiedenen Theilen der 
Küste für eigenen Bedarf gezogen. 

Ingwer, in Sierra Leone und Liberia bereits ein Ausfuhrartikel. 

Der Baumwollenstrauch könnte in den Ebenen und in den 
Thälern des Innern mit Erfolg gezogen werden. Der Faden der 
eiaheimischen Baumwolle steht dem der Sea Island an Qualität sehr nahe. 


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102 


Kaffee gedeiht, wie in Aquapim und in Wassaw angestellte 
Versuche gezeigt haben, sehr gut und die Qualität ist ausgezeichnet. 

Die Wälder des Innern bieten verschiedene Arten ausgezeich- 
neter Hölzer, welche in Europa von hohem Werth sein würden. 
Gum Copal kommt ebenfalls viel vor. 

Taback lässt sich mit Vortheil anpäanzen und würde bei 
genügender Kenntniss der Behandlung des Blattes eine sehr gute 
Qualität geben. 

The „Statistical Abstract“*) for the United Kingdom, gedruckt 
bei George E. Eyre and William Spottiswoode, London 1881, giebt 
über den Handel der Goldküste folgende Notizen: 

Deklarirter Werth von englischen Produkten, exportirt von 
England nach der Goldküste: 

1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878 1879 1880 

£ 417 882 386 310 480228 483045 515 713 528 316 511618 430 280 461014 

Werth der gesammten Ausfuhr von Produkten und Manufak- 
turen von andern Ländern nach der Goldküste: 

£ 28 730 34 263 31 772 41559 38 370 41440 46089 45050 41209. 

Total-Werth der genannten Einfuhr von Produkten und Manu- 
fakturen in die Goldküsten-Kolonie : 

£ 446 612 420573 612000 524 604 654 083 569 756 557 707 475 330 502 223. 

Dagegen betrug der Werth der von der Goldküste ausgeführten 
Waaren in derselben Periode: 

£ 386 746 386 854 468605 469 955 548 639 591958 492682 462 026 621284. 

Gold und Silber wurden nach England importirt von der West- 
küste von Afrika: 

Gold: 

£ 108869 77523 136263 117321 145 511 120642 122497 115167 125980 

Silber : 

£ 7074 6 841 40 964 23587 21 667 10905 41254 61 755 63 337 

Total : 

£ 115 943 84 364 177 227 140908 167178 131447 163 751 176 922 189 317. 

Da sämmtliche andere Kolonien der Westküste Afrikas im 
Verhältniss zur Goldküste nur höchst unbedeutende Beträge an Gold- 
staub ausführen, so kann man mit Recht annehmen, dass die oben 
unter der letzten Rubrik angeführten Summen, soweit Gold in Betracht 
kommt, hauptsächlich von der Goldküste stammen. Ein weiterer 
Beweis dafür ist der im Jahre 1873 konstatirte bedeutende Ausfall 


*) Die in diesem Artikel angegebenen Bevölkernngsziffern sind theils dem 
Werk von John Dalrymple Hay über die Aschanti- und Goldküste, theils dem 
Blanbnch 1881, Januar bis Juli, über die Goldküste entnommen. 


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103 


an der Goldausfuhr West-Afrikas, also in derselben Zeit, in welcher 
während des letzten Krieges mit Aschanti der Beitrag dieses Landes 
ausblieb. 

Das Gouvernement der Goldküste erhebt von sämmtlichen ein- 
geführten Waaren Einfuhrzölle; dieselben betragen auf Spirituosen 
2 Shilling 6 pence die Gallone, Wein uud Bier 6 penee die Gallone, 
Taback und Cigarren 6 pence das Pfund und auf alle übrigen 
Waaren 4°/o vom Werth. 

Die dadurch erzielten öffentlichen Einnahmen übersteigen be- 
deutend die Ausgaben; so giebt „Whitakers Almanack für 1880“ 
folgende Summen an: 

Betrag der öffentlichen Einnahmen für 1878 <£ 105.091 
* „ „ Ausgaben „ 68.410. 

Es läge jedenfalls im Interesse der Kolonie, wenn dieser Ueber- 
schuss zur Aufschliessung des Innern angewandt würde. Dies könnte 
geschehen durch die Anlegung von Strassen , deren bis jetzt nur zwei 
in dem ganzen ausgedehnten Gebiete existiren; ihr Zustand lässt 
überdem noch vieles zu wünschen. Es sind dies die, in den Jahren 
1873 und 1874 angelegte Heerstrasse von Cape Coast nach Prahsue 
und ein, vor längeren Jahren von den Baseler Missionaren gebauter 
Weg von Christiansborg an der Küste nach Akropong in Aquapim, 
welcher letztere eine Ausgabe von etwa 500 £ erforderte. Diese 
Summe wurde, wenn ich nicht irre, zum grössten Theil von dem 
englischen Gouvernement bezahlt. 

In Folge der Erschliessung der Minen des Innern wird die 
englische Regierung sich wohl endlich dazu gedrängt sehen, einen 
entsprechenden Theil der Revenuen des Landes auf die Anlegung 
von fahrbaren Strassen zu verwenden. 

Ausserdem wäre es sehr wünschenswerth und könnte mit ver- 
hältnissmässig wenigen Mitteln erreicht werden, dass die zahlreichen 
Hindernisse, welche auf den Flüssen der Kolonie dem Verkehr von 
Böten oder Dampfbarkassen entgegentreten und denselben theilweise 
ganz verhindern, beseitigt werden. In der trockenen Jahres- 
zeit küunten mit geringer Mühe eine bedeutende Anzahl der grossen 
Bäume, welche mit ihren Aesten auf dem Grunde festgerathen und 
passirenden Böten sehr gefährlich sind, durch Sprengung entfernt werden. 

Viele Stromschnellen könnten auf dieselbe Weise, wenn auch 
nicht ganz beseitigt, doch passirbarer gemacht werden. 

Der Mineralreichthum des Landes ist bisher von der englischen 
Regierung vollständig unbeachtet gelassen worden, sie that nichts, 
um eine genauere Kenntniss des geologischen Baues der Kolonie zu 

erhalten. Von den Eingeborenen wurden alljährlich gewisse Quanti- 

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104 


täten Goldstaubs an die Küste gebracht, wie schon seit Jahrhunderten ; 
woher dieser unaufhörliche Zufluss von Gold kam, und wie cs ge- 
wonnen wurde, darum bekümmerte man sich nicht. 

Als endlich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts durch 
Privatleute Anstalten gemacht wurden, die Minengegenden des 
Innern zu untersuchen, und das Gold in nach europäischer Art und 
Weise betriebenen Bergwerken zu gewinnen, schüttelte man über 
ein solches Beginnen den Kopf, ja man legte diesen Unter- 
nehmungen alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg. Seit Anfang 
des Jahres 1880 erst machte sich ein Umschwung darin bemerkbar, 
da durch fortgesetzte Untersuchungen sich ein ganz unerwarteter 
Reichthum an Gold offenbarte. Man war der Ansicht gewesen, dass 
durch den Jahrhunderte langen unausgesetzten Export, des edlen 
Metalles die Quellen, aus denen dasselbe herrührte, d. i. die Sediment- 
Ablagerungen, der Erschöpfung nahe sein müssten, jedenfalls es nicht 
der Mühe lohnen würde, den verbliebenen Rest auf europäische Art 
und Weise und mit europäischem Kapital zu Tage zu fördern. 

Statt dessen hat sich herausgestellt, dass die Eingeborenen durch 
ihre Jahrhunderte lang betriebenen Goldwäschereien kaum im Stande 
gewesen sind, das Gold aus den, der Oberfläche zunächst liegenden 
Schichten zu entfernen, und noch heute die tieferen Sediment- 
Ablagerungen, sowie die härteren Gesteinsschichten und Erzadern 
ihren ursprünglichen Goldgehalt unberührt enthalten. 

Wie wir sehen werden, beschränkt sich das Vorkommen von 
werthvollen Mineralien nicht auf Gold allein, auch andere Metalle sind 
auf der Goldküste in reicher, den Betrieb lohnender Menge vorhanden. 

Nach der äusseren Gestaltung lässt sich die Kolonie der Gold- 
küste in drei Haupttlieile zerlegen, und zwar: 

1) In die savannenartige Ebene, welche sich von der Mündung 
des Flusses Volta bis wenige miles westlich von Accra, und von dort 
am südöstlichen und östlichen Abhang des Aquapim-Gebirges entlang 
bis nördlich nach Kpong, einer Stadt am Volta-Flusse, im Königreich 
Kroboe, erstreckt uud ein grosses Dreieck bildet, aus welchem nur 
die Schai- und die Kroboe-Berge als fast isolirte grössere Erhebungen 
emporragen. 

Gold findet sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Accra, 
jedoch ist das Vorkommen daselbst zu unbedeutend, um die Ge- 
winnung lohnend zu machen; während im nordöstlichen Theile der 
Ebene, im Kroboe-Gebiete, das Vorhandensein von reicheren Gold- 
feldern bekannt ist, welche jedoch nicht von den Eingeborenen 
bearbeitet werden, da, wie oben bemerkt, die Kroboer vorzugsweise 
ein Ackerbau treibender Volksstamm sind. 


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105 


Unmittelbar an der Küste in Accra tritt Sandstein einer jüngeren 
Formation hervor, während sich nordöstlich von Accra feinkörniger 
in Quarzit übergehender Schiefer befindet. 

2) In dem hügeligen Küstendistrikt, welcher in einer wechseln- 
den Breite von 10 bis 20, auch 30 iniles von der Gegend westlich 
von Accra bis nahe der Westgrenze der Kolonie sich ausdehnt. 

Dieser Distrikt hat ebenfalls verschiedene Prairien aufzuweisen, 
welche jedoch von einem geringen Umfange sind. Die durchschnittlich 
etwa 200 Fuss hohen Hügel treten meistens einzeln aus der Ebene 
hervor, nur an weuigen Stellen vereinigen sie sich in Gruppen oder 
bilden kürzere Höheuzüge, welche fast ohne Ausnahme in der Riclituug 
von NO nach SW streichen, mit geringen Ausnahmen nach Nord und 
Süd. Je weiter nach Westen, desto dichter bewaldet, in Folge dessen 
auch besser bewässert ist dieser Distrikt. Ganz im Westen der 
Kolonie, unmittelbar an der Küste, im Königreich Apollonia, fängt 
das Land wiederum an mehr eben zu 'werden. 

3) In das von Gebirgs- und Höhenzügen durchzogene Innere 
der Kolonie. Diese Erhebungen erreichen eine Durchschnittshöhe 
über dem Meere von etwa 1200 Fuss und laufen fast stets parallel 
miteinander, von NO. nach SW. streichend. An manchen Stellen 
scheinen sie sich zu Knotenpunkten zu vereinigen und erreichen 
dann eine Höhe von etwa 2000 Fuss. 

Dieses ganze Gebiet ist fast vollständig mit dichtem Urwalde 
bewachsen, in welchem nur die Dörfer mit ihren Plantagen gleichsam 
Oasen bilden. 

Es sind die unter 2) und 3) erwähnten Distrikte, welche wegen 
ihres Mineral-Reichthums die grösste Beachtung verdienen. Beide, 
besonders aber der Gebirgsdistrikt, liefern den von den Eingeborenen 
nach den Küstenplätzen gebrachten, sich in der Menge alljährlich 
ziemlich gleich bleibenden Betrag an Goldstaub. 

Auf meinen Reisen an der Goldküste während der letzten Jahre 
habe ich der geologischen Formation besondere Aufmerksamkeit ge- 
widmet und verschiedene Gesteinsproben mitgebracht, welche einer 
genauen Untersuchung zu unterziehen der Königliche Oberbergdirektor 
Herr Professor Dr. C. W. Gümbel in München in höchst uneigennütziger 
Weise die Freundlichkeit hatte. Die bisherigen Ergebnisse dieser 
Untersuchung, welche noch nicht beendet ist, sind überraschend. Im 
Verein mit meinen, an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen 
führten sie zu folgenden Thatsachen: 

Wie ich schon seit zwei Jahren vermuthete, und mich bei 
verschiedenen Gelegenheiten in England auch dahin äusserte, ist 
nun durch Dr. Gümbel’s Untersuchungen der von mir gesammelten 


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106 


Gesteinsproben jetzt zweifellos festgestellt, dass wir in dem west- 
lichen Gebiet der Goldküste dieselbe Formation entdeckt haben, 
welche sich in der berühmten brasilianischen Provinz Minas Geraes 
findet. Dr. Gümbel ftussert sich darüber in einem Schreiben an mich 
wie folgt: 

„Die sämmtlichen Gesteine dieses Distrikts bilden eine zusammen- 
gehörige Formation des Urthonschiefers und Glimmerschiefers, in 
welchem die quarzitischen Einlagerungen regelmässig schichtenweise 
eingebettet liegen. Dieses bestimmt den hohen Werth der gold- 
haltigen Lager. 

Das goldführende Quarzitgestein, mit etwas titanhaltigen Eisen- 
glanzkörnchen und Streifchen vermengt, ist genau von derselben 
Beschaffenheit wie der brasilianische Itabirit. Es ist von grösster 
Wichtigkeit, das Streichen der Schichten zu bestimmen, welches, 
Ihrer Angabe gemäss, parallel der Streichrichtung des Ge- 
birgsrückens von Tacquah verläuft, und demnach bis tief ins 
Innere des Landes sich fortsetzt. Daraus erklärt sich der ungeheure 
Reichthum der Aschanti-Länder (Goldküsten- und Aschanti-Länder. I’. D.) 
an eingewachsenem Golde, nicht blos Seifengold oder Goldsand. Nach 
allen Nachrichteu herrscht bis tief in Central-Afrika Urgebirge, und 
darin bildet eben der Itabirit oder Quarzit mit seinen eingesprengten 
Goldkörnchen das Material, aus deuen durch Verwitterung und natür- 
liche Separation an Flussufern und Thalungen der Goldsand sich 
gebildet hat. 

Gerade dieses Vorkommen des Goldes in Schichten des ältesten 
kristallinischen Gesteins, welche sehr weit im Lande fortstreichen 
und in unbegrenzte Tiefen hinabreichen, macht dieses Gestein zu 
einem so hoffnungsreichen, welches die nachhaltigste Gewinnung ver- 
bürgt. Es dürfte kaum ein Land geben, welches eine so nachhaltige 
Gewinnung in Aussicht stellt, wie diese Binnenländer der Goldküste. 

Es ist zu erwarten, dass sich in dieser Formation auch Edel- 
steine, wie in der brasilianischen Provinz Minas Geraes finden werden.“ 
Aus einer anderen von mir untersuchten Gegend der Goldküste 
übersandte ich Herrn Dr. Gümbel Gesteinsproben, worüber derselbe 
unter Anderem wie folgt berichtet: 

„ — ein wahres Ganggestein von Pegmatit mit grossem weissen 
Glimmer, etwas Oligoklas-Feldspath und reichlichen Einsprengungen 
des einzigen Zinnerzes — Zinnstein! 

Ich habe eine Probe untersucht mit 10°/o Gewicht des ganzen 
Gesteins an Zinnstein, das ist in einem Centner Gestein 10 Pfund 
Zinnstein. Der Zinnstein enthält 78 °/o Zinn und 22 °/o Sauerstoff. 
Nehmen wir nun 75°/o und den Gehalt durchschnittlich nur zu 


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8 Pfund im Centner, so ist das 6 Pfund Zinn. — Es ist höchst 
wahrscheinlich, dass der Zinnerzgang mächtig und sehr weit im 
Gebirge fortstreicht und dass zahlreiche Gänge noch sich auffinden 
lassen, welche ähnliche Verhältnisse bieten. Wenn man bedenkt, 
dass andere Zinnerzlagerstätten mit nur Vs °/o Erz noch als bau- 
würdig gelten, so gewinnt man eine Vorstellung von der Bedeutung 
dieses Vorkommens. In Bolivia verbringt man ein minder reiches 
Erz in Säcken auf Lamas in Monate langem Transport an die Küste.“ 

Diese Untersuchungen beschränken sich nur auf einen geringen 
Theil der Goldküste und bei fortgesetzten Forschungen lassen sich 
mit Sicherheit weitere günstige Resultate erwarten. 

Ich möchte nun noch einige Mittheilungen über die bereits zur 
Bearbeitung von Goldbergwerken gegründeten Kompagnien und den 
bisherigen Fortschritt derselben machen. 

Die grössere Anzahl derselben haben ihre Besitzungen im König- 
reich Wassaw, in der Gegend von Tacquah. Denen, die unbekannt 
mit den dortigen Verhältnissen sind, wird vielleicht das bisher 
erlangte Resultat als ungenügend erscheinen. Bei den ungeheuren 
Schwierigkeiten jedoch, welche die Pioniere dieser Gesellschaften zu 
überwinden hatten, muss das bereits gewonnene Ergebniss ein 
glänzendes genannt werden. Nicht nur mit dem ungünstigen Klima 
war zu kämpfen, sondern für den Transport mussten durch einen 
etwa 20 miles weiten Urwald über Berg und Thal, durch Sümpfe, 
über Bäche und Flüsse, welche in der Regenzeit zu reissenden 
Strömen wuchsen, Wege gebahnt werden. Alle diese Schwierigkeiten 
können als ziemlich überwunden angesehen werden. Bessere Wege 
sind aufgefunden, und durch den Urwald ein durchschnittlich 6 Fuss 
breiter Pfad gehauen worden. Viele der Bäche sind jetzt überbrückt 
und alle diese Arbeiten sind durch die Angestellten dieser Kompagnien 
bewerkstelligt worden, so dass jetzt dorthin Kommende sich kaum 
noch eine Vorstellung von den früheren Zuständen machen können. 

Die erste Gesellschaft, eine englisch-französische, war die auf 
Veranlassung des leider im letzten Jahre verstorbenen, durch seine 
vierjährige Gefangenschaft in Aschanti bekannt gewordenen Franzosen 
M. T. Bonnat ins Leben gerufene „African Gold Coast Company“, 
welche ihren Sitz in Paris hat. Diese Gesellschaft besitzt drei Kon- 
cessionen auf der Goldküste, nämlich : 1) Die sogenannte Ankobrah- 
river Concession, welche ihr das alleinige Recht giebt, von der 
Mündung des Flusses Bonsa in den Ankobrah bis hinauf nach dem 
Dorfe Insagwisoo, auf einer Strecke von 26 miles, nicht nur im 
Flussbett, sondern auf 500 yards Breite an jedem Ufer nach Gold 
zu suchen und dasselbe zu gewinnen. 2) Die Mankuma concession, 



108 


am rechten Ufer des Ankohrah-Flusses in der Nähe von Aodua, der 
Hauptstadt von Eastern Apinto, gelegen. 3) Die Tacquah concession, 
gegenüber der Stadt Tacquah, ein Stück des Tacquah-Höhenzuges 
von 6000 Fuss Länge und 1200 Fass Breite umfassend. 

Trotzdem diese Gesellschaft die erste im Felde war, ist sie 
verhältnissmässig noch am weitesten zurück. Sie hatte, wie zu 
erwarten war, im Anfang mit den grössten Schwierigkeiten zu 
kämpfen, beging aber auch in der Verwaltung verschiedene Fehler, 
welche wenigstens zum Tlieil hätten vermieden werden können. So 
wurden ohne Weiteres Maschinen zum Stampfen des Erzes angeschafft, 
ins Innere transportirt und aufgestellt, welche sich als völlig unpassend 
und ungenügend für das dortige Erz herausstellten. Ferner engagirte 
man zum grossen Theil Franzosen, von denen die meisten kein Wort 
Englisch verstanden und welche sich in Folge dessen mit den ein- 
geborenen Arbeitern gar nicht verständlich machen konnten, was zu 
fortwährenden Streitigkeiten Anlass gab. 

Diese Kompagnie hat jetzt ihre Thätigkeit auf ihre Besitzung 
in Tacquah koncentrirt; da ihr dortiges Erzlager durch Schächte 
und Stölln vollständig explorirt, und wie nicht anders zu erwarten 
war, als sehr goldreich erfunden wurde, auch bessere Pochwerke 
jetzt in der Errichtung begriffen sind, so ist zu erwarten, dass die- 
selbe den Vorsprung, den ihre Nachbarn gewonnen haben, bald 
wieder einholen wird. 

Die Herren F. A. Swanzy & Co. von London, welche eine grosse 
Anzahl Faktoreien an der Küste besitzen, waren die nächsten, welche 
dort eine Besitzung erwarben. Dieselbe befindet sich in der Nähe 
des Ortes Abosso und umfasst eine Fläche von 12 000 Quadratfuss. 

Unter der umsichtigen Leitung eines Theilhabers dieser Firma, 
des Herrn F. F. Crocker, welcher im Jahre 1879 den Betrieb des 
dortigen Bergwerks in Angriff nahm, hat dasselbe die besten Fort- 
schritte gemacht. Hierbei gereichte es ihm freilich zu wesentlichem 
Nutzen, dass dieser Firma eine grosse Anzahl eingeborener, durch 
lange Dienstzeit erprobter Arbeiter zur Disposition standen. Herr 
Crocker hat das ganze Besitzthum gründlich explorirt und an ver- 
schiedenen Stellen äusserst reiches Golderz blosgelegt. Eine grosse 
mit Dampf getriebene Sägemühle ist in vollem Betrieb, ein Dampf- 
pochwerk ist errichtet und hat im Oktober letzten Jahres angefangen, 
regelmässig zu arbeiten. — Im November wurde von Herrn Crocker 
die erste Goldrimesse gemacht und hat das gepochte Erz 11 £ 10 sh. 
Gold per Ton ergeben. 

Darauf folgte Anfangs des Jahres 1880 die „Effuenta Gold 
Mines Company“, welche südlich an die Tacquah - Besitzung der 


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„ African Gold Coast Compagny“ anschliessend, ein werthvolles 
Eigenthum von 6000 Fuss Lange und 1200 Fuss Breite erwarb. 
Auch liier sind durch verschiedene Stölln und Schächte die werth- 
vollen Erzlager erreicht; eine Daropfsägemühle und ein Dampfpoch- 
werk ist errichtet, und mit dem regelmässigen Aufbereiten des ge- 
wonnenen Erzes ist im Dezember 1881 begonnen worden, so dass 
die erste Goldrimesse gegenwärtig in London erwartet wird. 

Wenige Monate nach der Letzgenannten fing die „Gold Coast 
Gold Mining Company* an, ihr, eine mile nördlich von Tacquah 
gelegenes Besitzthum, welches einen Flächeninhalt von 6000 Fuss 
Länge und 3000 Fuss Breite hat, aufzuschliessen. Im Laufe des 
letzten Jahres wurden auf dieser Besitzung Golderzlager erschlossen, 
deren ßeichthum und Umfang alle Erwartungen überstieg. Diese 
Gesellschaft hat jetzt die nöthigen Maschinen hinausgesandt, und 
sind dieselben in der Errichtung begriffen, so dass Mitte dieses Jahres 
auch von dieser Kompagnie ßimessen zu erwarten sind. 

Es sind jetzt noch zu erwähnen die „Abosso Gold Mining 
Company“, welche äusserst reiche Minen ebenfalls in der Nachbar- 
schaft von Abosso erworben, jedoch erst ganz kürzlich den Betrieb 
derselben in Angriff genommen hat, und 

die „Tacquah Gold Mining Company“, in deren Eigenthum die 
südwärts von Effuenta gelegenen „Tamsoo“ und „Mewoossu“ Minen 
übergegangen sind. Diese Gesellschaft ist erst im Dezember letzten 
Jahres gegründet und jetzt im Begriff, ihre Beamten hinauszusenden 
und die Arbeiten zu beginnen. 

Ausserdem besitzt nördlich von Abosso eine englisch -deutsche 
Privatgesellschaft ein 6000 Fuss im Quadrat haltendes, äusserst 
werthvolles, unter dem Namen „concessiou Dahse“ bekanntes Stück 
Minenland, dessen Bearbeitung jedoch erst im Laufe dieses Jahres 
beabsichtigt ist. 

Die Minen dieser bisher genannten Gesellschaften befinden sich 
im Königreich Wassaw und zwar, ausgenommen die bei Abosso liegen- 
den, im Apinto Distrikt. 

Im Anfang des letzten Jahres erwarb die „Akankoo (Gold Coast) 
Mining Company“ einen grossen Theil der bei dem Akankoo Hill, 
etwa 20 miles von der Mündung des Ankobrah und auf beiden Seiten 
dieses Flusses gelegenen, wegen ihres ßeichthums bekannten, Minen 
gleichen Namens. Ob diese Gesellschaft bereits den Bergbau daselbst 
angefangen hat, ist mir nicht bekannt. 

Die „Guinea Coast Gold Mining Company“ endlich, im November 
letzten Jahres gegründet, erwarb die äusserst reichen Izrah Minen, 
welche, nur etwa 6 miles von der Küste entfernt, im Apollonia 


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Distrikt liegen, und wird die Bearbeitung derselben in nächster Zeit 
beginnen. 

Sämmtliche von den oben erwähnten Gesellschaften erworbene 
Besitzungen umfassen werthvolle Minen, und würde es nur an der 
Art und Weise der Bearbeitung liegen, sollten dieselben nicht ohne 
Ausnahme glänzende Resultate erlangen. 

Es ist zu hoffen, dass auch in Zukunft nur auf wirklich solider 
Basis gegründete Gesellschaften ins Leben gerufen werden. Die 
ausgedehnten minenreichen Länder jener Gegenden haben jeden- 
falls eine grosse Zukunft. Die bekannten Afrikaforscher Cameron 
und Burton haben eine grössere Expedition zur Untersuchung dieser 
Länder kürzlich begonnen. Verschiedene andere Expeditionen sind 
in der Vorbereitung begriffen. 

Ein Syndikat ist in London gebildet zu dem Zweck, um durch 
eine Landvermessung den Bau einer Eisenbahn von der Küste nach 
den Wassaw Minen vorzubereiten.*) Mit dem Bau einer solchen 
würden die bisherigen Verkehrsschranken fallen und das Innere des 
so lange verschlossenen dunklen Kontinents auch von dieser Seite 
der Civilisation und dem Handel geöffnet werden. 


*) Nach einer Nachricht der „Nature“ vom 26. Januar d. J. hat sich um 
diese Zeit ein erfahrener englischer Eisenbahntechniker, um Vermessungsarbeiten 
für eine solche Eisenbahn vorzunehmen, nach der Goldküste begeben. D. Red. 


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Die Expedition der Bremer geographischen Gesellschaft 
nach der Tschuktschen-Halbinsel und Alaska. 

1881 - 83 .*) 

(Reisebriefe der Gebrüder Dr. Krause.) 


II. 

Bootreisen längs der Käste: Abfahrt von Uedle. Tunkan. Hidlako. Thier- 
lebnn am Ostkap. Kiistensccnerie. Nüokan. Pooten. Stürmisches Wetter. Die Bucht 
von Pooten. Fauna. Die Bewohner. Gräber. Hidlako’s Mittheilungen. Fahrt zur 
Metschygmenbai. Moostundra. Die Ufer der Metscliygmenbai. Treibholz. Die Insel 
Arakamtschetschenc. Katmanoffshafcn. IMinenbildung. Glasenapphafen. Point Tschapliu 
(Indian Point). Die Bewohner. Die Markusbai. Iteuthiertschuktschen. Kap 

Tschuehotzkoi. Awan. Die Plover-Bai. Kmmahafen. Das Fischervolk von RirAk. 
Sprachproben. Flora. Thierleben. Witterungsverhältnisse. Ankunft des Schuners 
„Golden Fleece“. Die Niederlassungen in der Plover-Bai. Fahrt nach der Lorenz- 
Insel. Das Dorf Schiwukak. Die Bewohner. Tauschverkehr. Die Walfischbark 
„Down“. Rückkehr nach San Francisco. Von San Francisco nach Chilkoot: 
Fahrt nach Portland. Mildes Wetter. Astoria. Die Indianer-Reservation bei Kap 
Flattery. Port Townsend. Victoria. Wrangel. Sitka. Harrisburg. Kanoe-Fahrt 
nach Chilkoot. Goldsucher. Ankunft in Chilkoot. Missionsstation und Handelsfaktorei. 
Indianer. Weihnachtsfeier. 

Wir verliessen Uedle bei Ostkap am 24. August. 

Als wir nach längerer Fahrt in der- Lagune, bei welcher wir 
gegen den widrigen Wind wiederholt ankreuzen mussten, die Durch- 
fahrt erreichten, fanden wir daselbst eine starke uns entgegen- 
kommende Strömung, zu deren Ueberwinduug unsere Kräfte offenbar 
nicht ausreichend waren. Es blieb uns also nichts übrig, als hier 
vorläufig zu landen und die Abnahme der Flut abzuwarten. Mittler- 
weile war auch von dem jenseitigen Ufer der Lagune ein Boot za 
uns herüberkommen, dessen Insassen für einige Stücke Taback bereit 
waren, uns durch die schon bedeutend schwächere Strömung hindurch- 
zurudern. Mit ihrer Hülfe gelaugten wir denn auch bald ins offene 
Meer, woselbst wir, dem Laufe der Küste folgend, in östlicher Richtung 
bei schönem, klaren Wetter unsere Fahrt fortsetzten. Die Temperatur 
der Luft betrug hier um 4 Uhr Nachmittags 15° C., die der Meeres- 
oberfläche 4,5 °. Nur langsam kamen wir bei dem schwachen westlichen 
Winde vorwärts. Sowie wir aber Uedle glücklich wieder passirt 
und nun zu unserer Rechten die steile Felsenküste des Ostkaps 
hatten, Hess uns der Wind gänzlich im Stich, so dass wir durch Rudern 
nur geringe Fortschritte machen konnten. Die Sonne war bereits 

*) Die Fahrt von San Francisco nach der Lorenz-Bai siche Band IV., S. 245 
und folgende. Die ersten Reisebriefe von der Tschuktschen-Halbinsel siehe 
Heft I., Band V., S. 1 und folgende. 


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112 


untergegangen, als wir ein Boot von der Küste her auf uns zu- 
konnnen sahen; es waren Leute von Ntiokan, die auf die Walross- 
jagd hiuausgefahren waren. Ohne Schwierigkeit Hessen sie sich 
bewegen, uns nach ihrem Dorfe hinüberzurudern; nach kurzer Zeit 
jedoch verliessen sie uns plötzlich, wie wir zu verstehen glaubten, 
mit dem Versprechen, bald mit einem grösseren Boote und mehr 
Mannschaft wiederzukommen. Wir hielten es denn auch bei unserer 
Unbekanutschaft mit der Küste, von der uns die gäuzHch un- 
brauchbaren Karten keine Vorstellung zu geben vermocht hatten, 
für rathsam, die Fahrt in der Dunkelheit nicht weiter fortzusetzen. 
Wir Hessen deshalb nahe dem Ufer den Anker fallen, und suchten, 
so gut es ging, unter dem heruntergelassenen Segel ein wenig der 
Ruhe zu pflegen. Die empfindliche Kälte der sternenklaren Nacht 
hielt uns jedoch munter, und noch vor Tagesanbruch, durch eine 
Tasse warmen Kaffees erwärmt, lichteten wir wieder den Anker, um 
die Fahrt fortzusetzen. Inzwischen hatte sich ein frischer SO. auf- 
gemacht, gegen den wir Anfangs mit Vortheil aufkreuzten ; doch als 
der Wind stärker wurde und auch noch die durch die Beringsstrasse 
nach Norden strömenden Flut wellen uns kein Terrain gewinnen Hessen, 
ferner das Boot ln . der unruhigen See mehrmals Wasser übernahm, 
mussten wir uns leider zur Umkehr entschliessen. In der Nähe 
war ein sicherer Landungsplatz jedoch nirgends vorhanden, weder 
au der steilen Felsenküste noch an der flachen sich an dieselbe an- 
schliessenden Nehrung; bis in die Lagune hinein hatten wir unseren 
erzwungenen Rückzug fortzusetzen. Freilich legten wir jetzt bei 
dem starken Winde die 10 — 12 Seemeilen bis zur Einfahrt schnell 
genug zurück, desto längere Zeit jedoch erforderte die Passirung 
derselben. Die Strömung war nun nach dem Meere zu gerichtet 
und so stark, dass wir kaum hoffen durften, dieselbe zu überwinden. 
Doch ein Versuch wurde gemacht und unter Aufbietung aller unserer 
Kräfte gelang es auch, das Boot durch die reissende Flut hindurch 
in die sichere Lagune zu bringen. Es war 2 Uhr Nachmittags 
geworden, als wir endlich auf dem kiesigen Strande unser Zelt auf- 
schlugen, in welchem wir uns bald wieder häuslich einrichteten. 
Diesen und den folgenden Tag rasteten wir hier, theils in der Er- 
wartung eines günstigen Windes, theils um unsere durchnässten 
Kleider und Sammlungen zu trocknen und unser Boot durch einige 
Veränderungen an den Segeln seetüchtiger zu machen. 

Während dieser Zeit erhielten wir häufige Besuche aus der 
nächstgelegenen Ortschaft, Tunkan: es waren meist gutartige Leute, 
die uns für ein wenig Taback, Nadeln oder Zucker allerhand kleine 
Dienste leisteten, Wasser holten und Holz herbeischleppten ; nur ein 


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Gro^mpK . Aw*t v Wagner k T3«b«*, Leipzig. 


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junger Mensch wurde uns durch seine zudringliche Bettelei und 
sein unzuverlässiges Benehmen lästig. Am folgenden Tage besuchten 
wir das 2 — 3 miles entfernte Tunkan. Der Ort is.t bei weitem 
unbedeutender als Uedle; er zählt im Ganzen 40 — 50 Einwohner 
in 10 Hütten, von denen 8 hart am flachen Strande liegen, 
während 2 auf dem hier steil zum Meer abfallenden aus Talk- und 
Glimmerschiefer bestehenden Ufer erbaut sind. Deutliche Ueberreste 
ehemaliger Wohnungen wurden an verschiedenen Stellen der flachen 
Nehrung bemerkt. Auffällig ist hier die grosse Menge von Treibholz, 
das in kleineren und grösseren Stücken bis zu mächtigen entrindeten 
Daumstämmen überall umherliegt, trotzdem der Verbrauch Seitens 
uer Eingeborenen (wir sahen Weiber und Kinder den ganzen Tag 
über mit dem Einsammelu des Holzes beschäftigt) kein unbedeutender 
*. Vergebens sahen wir uns aber nach charakteristischen Merk- 
malen um, die uns über die Herkunft des Holzes hätten Auskunft 
geben können. — Eine grosse Menge von Walrossschädeln und 
Gerippen zeugten auch hier von der früheren Häufigkeit dieses 
Thieres. Von den Leuten, die uns in unserem Zelte besuchten, 
konnten wir nur wenig einhandeln, einige Fische und etwas Renthier- 
fleiscli für unsere Küche und einige Entenschleudern und rohe 
Elfenbeinschnitzereien für unsere ethnologische Sammlung. Von 
Uedle kam ein junger Mann herüber, der uns seine Dienste und 
seine Begleitung anbot. Hidlako, so lautet sein Name, war unter 
denen gewesen, die am Tage unserer Ankunft in Uedle das Boot in 
die Lagune gerudert hatten; da er zuverlässig zu sein schien und 
leidlich englisch sprach, nahmen wir sein Anerbieten gern an. 

Am Morgen des 27. August machten wir uns wieder bei 
schwachem südlichen Winde auf die Reise. Diesmal gelang die 
Ausfahrt aus der Lagune ins offene Meer ohne grosse Schwierigkeit. 

Die Strömung, deren Richtung und Stärke die ganze Zeit über 
gewechselt hatte, und welche mehr durch die herrschenden W r inde 
als durch Ebbe uud Flut beeinflusst zu seiu schien, war nun kaum 
bemerkbar. Als wir Uedle passirten, ging Hidlako auf einen Augen- 
blick ans Laud, um sich noch einige Sachen für die Reise rait- 
zunehinen. Wir hatten ihm den Auftrag gegeben, noch einen seiner 
Landsleute zur Mitreise zu bewegen, doch kehrte er allein zurück; 
wie es schien, hatte er keine rechte Lust gehabt, die zu erwartende 
Belohnung mit einem Andern zu theilen. 

Unsere Weiterfahrt entlang der steilen Felsenküste des Ost- 
kaps gab uns die beste Gelegenheit, ein richtiges Bild von demselben 
zu erhalten. Wieder war es ein schöner, warmer Tag. Bei völliger 

8 

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Geogr. Blätter. Bremen, 1882, 



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Windstille ruderten wir hart am Ufer, dicht neben der schäumenden 
Brandung. Ein reiches Thierleben belebte diese Küste; jeder Felsen- 
grat war mit zahlreichen Möven, Alken und Kormoranen besetzt 
und aus den Wogen tauchte hier und da das mächtige Haupt eines 
Walrosses oder der breite Rücken eines Walfisches empor. Mit 
dieser Küste war Hidlako wohl vertraut, denn hierher pflegen sich 
die Bewohner von Uüdle und Nüokan zum Walrossfang zu begeben. 
Für jede Bergspitze, jeden tiefen Thaleinschnitt, jeden einzelnen 
Felsen hatte er einen besonderen Namen. 

Zackige Felsengrate, kahle Schuttflächen des zerbröckelten Syenit- 
gesteins, steile Wände von vielfach gefalteten und gebänderten 
Kieselschiefern, dazwischen hier ein grünes von einem wasserreichen 
Bach durcliflossenes weites Thal, dort ein tiefer Felsenriss mit einem 
rauschenden Wasserfall, das waren die einzelnen Bilder in dem 
vielgestaltigen Panorama, welches sich unseren Blicken darbot. Mit 
breiter, nahezu von Nord nach Süd verlaufender Stirn ist das Kap 
nach Osten zu gerichtet. Drei mächtige durch grüne Thäler ge- 
schiedene Bergraassen bilden den Stirnraud, auf welchem, in dem 
südlichsten der Thaleinschnitte das Dorf Nüokan gelegen ist, die 
bedeutendste aller uns bekannten Niederlassungen der Tschuktscheu- 
halbinsel. Gegen 50 Hütten zählten wir, die in ihrer Bauart denen 
von Uüdle durchaus glichen; doch liegen sie nicht wie dort hart 
am Strande, sondern höher am Ufer hinauf, etwa 20 — 30 m über 
dem Meeresniveau. Eine grosse Zahl von Lederböten lag, den Kiel 
nach oben gerichtet, auf den am flachen Strande dazu hergerichteten 
Gerüsten. Die Bevölkerung sahen wir mit dem Zerlegen eines Wal- 
fisches beschäftigt, und diese Beschäftigung, der sie eitrigst oblagen, 
mochte wohl die Ursache sein, dass sie unserem Boote keine weitere 
Aufmerksamkeit schenkten. Wir wären hier gern auf kurze Zeit 
gelandet, um durch eigene Anschauung die Angaben über die Ver- 
schiedenheit der Bewohner dieses Platzes von denen der übrigen 
Küste zu prüfen, doch bot auch dieser Ort uicht den geringsten 
Schutz für das Boot, und ein leichter Wind, der sich jetzt gerade 
aufmachte, liess es uns räthlich erscheinen, die Fahrt bis zu einem 
sicheren Hafen fortzusetzen. Bald war denn auch die südöstlichste 
Spitze des Ostkaps erreicht, von wo aus wir dann unseren Kurs 
nach einer auf den Karten verzeichneten Bucht in der Nähe von 
Kap Lütke richteten. 

Auch bei der diesmaligen Passirung des Ostkaps hatten wir 
eine ziemlich starke von Süd nach Nord gehende Strömung angetrofl'en. 
Die Theorie der Strömungen in der Beringstrasse und im Berings- 


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meer ist noch sehr unvollkommen entwickelt*), da trotz der grossen 
Zahl von Schiffen, die alljährlich diese Gewässer befahren, eine 
genügende Reihe exakter Beobachtungen fehlt. Unter den Seeleuten 
ist die Meinung vorherrschend, dass zur Sommerszeit eine ununter- 
brochene Strömung, eine Fortsetzung des japanischen Kuro-Siwo- 
Stroms, entlang der asiatischen Küste nach Norden bis ins Eismeer 
geht, während im Herbst bis in den Winter hinein eine entgegen- 
gesetzte Strömung stattfindet. 

Es war bereits spät am Nachmittage, als wir das Ostkap passirt 
hatten und nun die ganze Küste nach West und Süd überblicken 
konnten. Nach Westen zu gehen die hohen Felsenberge sehr bald 
wieder in niedriges Land über, welches, wie schon erwähnt, das ganze 
Ostkap fast als Insel erscheinen lässt. Ueber diese Einsenkung trans- 
portiren die Bewohner von U6dle im Frühsommer, wenn das Eis im 
Norden und in der Strasse noch festliegt, ihre Böte, um im Berings- 
meer Handel, Jagd und Fischerei betreiben zu können. 

Nur kurze Zeit konnten wir von den Segeln Gebrauch machen. 
Bald hörte der Wind wieder auf, und es musste zu den Rudern ge- 
griffen werden. Noch eine weite Strecke hatten wir zurückzulegen, 
als bereits die Sonne untergegangen war und nur noch undeutliche 
Umrisse der Küste sichtbar waren. Ein grosser Schneefleck gab uns 
jedoch ungefähr die Richtung an, in der wir zu steuern hatten. Aber 
erst gegen Mitternacht langten wir in der ersehnten Bucht an, bei 
völliger Dunkelheit kaum noch im Stande, einen geeigneten Landungs- 
platz aufzufinden. Doch Hidlako wusste hier Bescheid ; bald war dann 
auch das Zelt aufgeschlagen und das Lager zurecht gemacht, auf 
dem wir nach anstrengender Tagesarbeit (ungefähr 40 Seemeilen oder 
10 deutsche Meilen hatten wir grösstentheils rudernd zurückgelegt) 
uns bald eines wohlthuenden Schlafes erfreuten. 

Am folgenden Morgen wurden wir durch Eingeborene geweckt, 
die mit erstaunten Mienen in unser Zelt hineinsahen. Es waren 
Bewohner von Pöoten, dem kleinen aus vier Hütten bestehenden 
Fischerdorfe am Eingänge der Bucht; dann aber auch einige Leute 
aus Tschingin, einem weiter südlich an der Küste gelegenen Orte. 
Der Führer dieser letzteren war ein bösartiger Mensch, der ohne im 
Geringsten gereizt zu sein, mehrfach mit dem Messer drohte. Wir 
hörten später, dass ein Walfischfänger einen Mann aus Tschingin an 
Bord genommen und nicht wieder zurückgebracht hätte, und dass 
in Folge dessen die Ortsbevölkerung jeden Weisseu, der in ihre 

*) Inzwischen hat W. H. Dali in Petermann’s Mitthoilungcn, Jahrgang 1881, 
eine längere Abhandlung über die Hydrologie dieser Meerestheile veröffentlicht, 
auf welche wir hier verweisen. D. Red. 


8 * 


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Hände fiele, zu tödten beabsichtigte. Möglicherweise war auch dies 
der Grund des feindlichen Benehmens, das der Tschinginer uns gegen- 
über an jenem Morgen bezeigte und welches uns damals völlig un- 
erklärlich war. Mit dem alten Tange jedoch, dem Haupt der Fischer- 
leute aus Pöoten, verständigten wir uns sehr bald. Kr und seine 
Söhne haben uns die vier Tage hindurch, die wir in Pöoten zubrachten, 
reichlich mit wohlschmeckenden Lachsforellen versorgt, sicher sehr 
erfreut über die Gelegenheit, dafür Taback, Messer und Kaliko erhalten 
zu könneu. 

Einen Ruhetag hatten wir uns in Pöoten gönnen wollen; die 
Ungunst des Wetters zwang uns jedoch, volle vier Tage hier zu 
verweilen. Es waren wieder Tage ähnlich denen von Uedle, nur 
dass der Sturm diesmal von Nord und nicht von Süd wehte. Wieder 
war die Lage unseres Zeltes gegen diesen Wind ungeschützt; auch 
war der lose Sandboden ein schlechter Untergrund, da er den Zelt- 
pflöcken nicht genügend Halt bot. Bei unserer Aukuuft in der 
Dunkelheit der Nacht hatten wir natürlich nicht lauge nach einem 
geeigneten Platze suchen können, und jetzt war eine Veränderung 
schlecht thunlich. An den beiden ersten Tagen, dem 28. und 29. August, 
war die Luft trocken und der kalte Nord (die Temperatur stieg 
nicht über 6° C.) wirbelte überall den feinen Ufersand auf und 
trieb ihn durch alle Ritzen unseres Zeltes in das Innere desselben 
hinein. In der Nacht zum 30. fiel dann starker Regen, der durch 
die ausgetrockneten Zeltwände hindurchdrang, so dass wir nur mit 
Mühe unsere Herbarien, Papiere und Bücher vor gänzlicher Zer- 
störung schützen konnten. Regnerisch und neblig blieb die Witterung 
auch diesen und den folgenden Tag, an welchem letzteren schwache 
südliche Winde bei fallendem Barometer eintraten. Sonach konnte 
unsere Thätigkeit in diesen Tagen nur eine sehr beschränkte sein. 
Zunächst suchten wir uns über die Lage unseres Zeltplatzes zu 
orientireu. Wir fanden dasselbe den Hütten von Pöoten gegenüber 
am äussersten Ende einer schmalen Landzunge gelegen, welche eine 
ziemlich tief nach SW. sich erstreckende Bai von einer offenen 
Meeresbucht abgreuzt. Da, wo diese Landzunge ihren Ursprung 
nimmt, strömt aus einer tiefen, weiter oberhalb durch eine gewaltige 
Schneemasse ausgefüllten Thalschlucht ein wasserreicher Bach hervor, 
der sich mit einem Arme in die äussere Bucht, mit einem auderen 
in die innere Bai ergiesst. Der Charakter der umliegenden Berge 
war von dem beschriebenen der Uferberge der Lorenz-Bai nicht 
verschieden. 

Der oben erwähnten Schlucht lenkten wir am ersten Tage 
unsere Schritte zu, da wir hier, einigermassen im Schutze vor den 


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heftigen Winden, einen Ueberblick der Flora zu erhalten hofften. In 
der That lieferten die grünen Thalgehänge eine reiche Ausbeute, 
auch einige von uns bisher noch nicht beobachtete Arten, unter denen 
uns Cornus suecica und zwei Farnkräuter von besonderem Interesse 
waren. 

In der Schneemasse im Grunde der Schlucht war durch den 
hindurchfliessenden Bach ein geräumiges Gewölbe von 200 Schritt 
Länge, 160 Schritt Breite und 12—15 m Höhe ausgewaschen, dessen 
Wände mit einer Eiskruste bekleidet waren. Durch ein weites Thor 
konnte man in diese Schneegrotte eintreten, die sich durch niedrige 
Gänge noch weiter nach innen zu fortsetzte. 

Behufs näherer Erforschung der Bucht wurde eine Bootfahrt 
unternommen, doch musste dieselbe des stürmischen Wetters wegen 
bald unterbrochen werden. Die Tiefe der inneren Bai betrug 1 — 2 m; 
der schmale Eingang zu derselben war bis Via Faden tief, und in 
der Aussenbucht wurde gleichfalls nur eine geringe Tiefe, bis zu 
4 Faden beobachtet. Die Fauna der inneren Bucht war sehr arm 
und enthielt nur Brackwasserformen; doch mussten die Lachsforellen, 
nach den Erfolgen der Fischer von Booten zu urtheilen, hier reich- 
licher als in der Lorenz-Bai vorhanden sein und wiederholt kamen 
auch Bewohner der benachbarten Dörfer zum Fischen hierher. 



Bai von Puoten. 

(Nach Aufnahmen der (»ebr. Krause vom 30. und 31. August 1881.) 

Die innere Bai hat Brackwasser mit entsprechender Fauna; bei der Einfahrt 
mehr oder weniger starke Strömung mit unregelmässigem Wechsel. 

Den vier Hütten am jenseitigen Ufer statteten wir auch einen 
Besuch ab; die Einrichtung derselben fanden wir übereinstimmend 
mit der der Jarange von Uödle, nur war hier Alles klein und 
ärmlicher, der Eingang z. B. so niedrig, dass man nur in tief gebückter 
Haltung hindurchpassiren konnte. Wir hätten gern noch einige Gerät- 
schaften eingehandelt, doch war wenig zu erlangen; selbst eine aus 


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einem Stein gemeisselte Thranlampe (als Brennmaterial dient Seehunds- 
thran, als Docht trockenes Torfmoos, Sphagnum) mochte man uns 
nicht überlassen. Noch weniger waren die Leute dazu zu bewegen, 
uns einen Seehundsschädel zu verhandeln, da hier wie an anderen 
Orten der Küste der Glaube herrscht, dass derjenige, der den Schädel 
eines von ihm getödteten Thieres weggiebt, sterben müsse. 

Nachdem wir unter den Bewohnern dieser vier hart am Meeres- 
strande gelegenen Hütten, die kaum mehr als 25 Seelen beherbergen 
mochten, etwas Taback und Zucker vertheilt hatten, stiegen wir noch 
begleitet von einigen Kindern die grünen Abhänge hinan, woselbst 
wir Reste verlassener Jarangen, sowie auch das Gräberfeld antrafen. 
Mehrfach fanden wir wieder die Schädel von Eisbären, Renthieren 
und Seehunden unter Steinhaufen neben den Grabstätten; unter einem 
besonders grossen Steinhaufen sogar einen Walrossschädel mit seinen 
Hauern. Neben einem der Gräber hingen an einer aufrecht gestellten 
Walfischrippe mehrere Waffen und zwei kleine niedrige, zur Fort- 
schaffung von getödteten Seehunden dienende Lastschlitten, deren Kufen 
aus einem Paar grosser Walrosshauer bestanden. Nach den Aussagen 
der Eingeborenen und den zahlreichen zum Theil noch ganz frischen 
Schädeln von Eisbären scheinen diese Thiere hier im Winter nicht 
selten zu sein. 

Hidlako behielten wir die ganze Zeit über bei uns. Zwar konnten 
wir seine Dienste sehr gut entbehren (wie bei allen seinen Lands- 
leuten bedurfte es auch bei ihm der Anspornung zur Thätigkeit), 
aber einerseits mochten wir ihn nicht bei dem schlechten Wetter den 
weiten Weg in seine Heimat gehen lassen ; andererseits konnten wir 
auch von ihm eine ganze Reihe werthvoller Erkundigungen einziehen. 
Besonders intelligent >var er freilich nicht; soweit wir jedoch seine 
Angaben zu prüfen Gelegenheit hatten, erwiesen sich dieselben als 
zuverlässig. 

In Uedle wussten uns die Leute von dem Winteraufenthalt der 
„Vega“ nichts mitzutheilen ; auch Hidlako hatte nichts davon 
vernommen, dagegen kannte er Menka, den durch Nordenskjöld’s 
Schilderung bekannten Tschuktschen-Häuptling, von dessen Macht 
und Reichthum er eine sehr grosse Vorstellung hatte. Als Knabe 
war Hidlako selber zu Menka gekommen; er beschrieb uns die Art 
und Weise des Grüssens, die derselbe von den Russen angenommen 
hatte, und gab als bemerkenswert}! an, dass er auch viele „Piper“ 
(wie er das englische Wort „paper“ korrumpirte) hätte. Der Besitz 
von Papieren, d. h. Empfehlungsschreiben irgend welcher Art wird 
nämlich von den Eingeborenen sehr erstrebt und unter den Ge- 
schenken, die wir Hidlako für treue Dienstleistung zugesagt hatten, 


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war ein „paper“ nicht das geringste. Oefters ist freilich der Inhalt 
solcher Empfehlungsschreiben für den Ueberbringer nicht besonders 
günstig; in einem uns in der Lorenz-Bai vorgelegten lasen wir, dass 
der Besitzer des Schreibens ein zudringlicher Bettler wäre, eiue 
Angabe, von deren Wahrheit wir uns auch sogleich überzeugen konnten. 

Bis zum Wohnort Menka’s gab uns Hidlako auch die 
Namen der von Utklle aus zu passirenden Küstenorte. Er nannte 
folgende: Uödle, Tunkän, Emittän, Utan, Tschupen, Itschen, Tschaitün, 
Tschetschän, Ikadluru, Kangitschwun, Enurmin, Nettan, Natänmittän, 
Mäamin, Depkan. Die Namen stimmen im Allgemeinen mit denen 
von Nordquist gegebenen überein, nur ist die Zahl der Orte eine 
geringere; Nordquist giebt für diese Strecke 25 Ortschaften an. 
Uebrigens zählte Hidlako diese Namen mit grosser Geläufigkeit her, 
auch schien er über die Reihenfolge derselben ganz sicher zu sein; 
nach seiner Angabe werden im Winter von UMle aus häufig Reisen 
mit Hunde- und Renthierschlitten nach Menka’s Wohnsitz unter- 
nommen. Nach Südeu kannte er die Küste bis Indian Point; auch 
er sagte aus, dass er die Einwohner der Niederlassung am Ostkap 
(Nüokan) und der Diomedes-Inseln, sowie die von Indian Point und 
der Lorenz-Insel nicht verstände, dass dagegen die Sprache der 
Renthiertschuktschen von der seinigen nicht verschieden sei. Von 
Nationalität schien Hidlako nur sehr unvollkommene Begriffe zu 
haben, den Russen und Amerikanern stellte er die Bewohner von 
Uedle parallel ; doch gab er später an, dass die Renthiertschuktschen 
sich Tschautsehuats nennen, während sie die Küstenbewohner mit 
dem Namen Ankädliän oder Aigwan (Aigwanagywygt, du bist ein 
Aigwan) bezeichnen. 

Häufig hörten wir Hidlako eine einförmige Melodie vor sich 
hersummen, deren Text ein nicht minder einförmiger war. Er 
begann folgendermassen : „uadlutlöingen tipaünerkiu, kra, kra, krä“, 
d. h. „der Rabe singt kra, kra, kra“. Weiter hiess es: „jajagän 
tipaiinerkin“, d. h. „die Möve singt“ und so fort, also eine blosse 
Nachahmung der Thierstimmen. Hidlako fügte dabei noch hinzu, 
dass sein Ort Alles singen lasse: Enten, Füchse, Lemminge u. A. 
Ueber die religiösen Ideen oder wenn man will, abergläubischen 
Vorstellungen Hidlakos konnten wir nicht viel erfahren, da er hierauf 
bezügliche Fragen nur unvollkommen zu verstehen im Stande war. 
Wie aller Orten, so ist auch in Uedle ein Zauberer, der gutes 
oder schlechtes Wetter machen kann. Hidlako nannte ihn Engangintlen 
und erzählte von ihm, dass er halb Mann, halb Weib sei, dass er 
mitunter sein Auge ausrisse und aufässe, nach einiger Zeit heile es 
wieder. Ein andermal steche er sich das Messer in die Brust oder 


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lasse sich eine Kugel durch den Kopf schiessen, doch auch das thue 
ihm keinen Schaden. 

Als wir Hidlako gelegentlich nach seiner Bezeichnung für 
Donner und Blitz fragten (das Wort „ilkäit“ bezeichnet beides), gab 
er an, dass während eines Gewitters Renthier- und Walrossfleisch 
dem Donner als Opfergabe hingeworfen würde, „sonst tödtet er 
einen Mann“. Für den Sturm in Pöoten hatte er eine genügende 
Erklärung. Ein Knabe aus dem Dorfe war in diesen Tagen gestorben 
und „wenn ein Mensch stirbt, giebt es viel Wind.“ 

Unsere Frage, ob altersschwache Leute von ihren Angehörigen 
getödtet würden, wurde verneint; doch haben wir später vernommen, 
dass dieser Gebrauch noch immer geübt wird, wenn auch vielleicht 
nicht in demselben Maasse, wie in früherer Zeit. Für den Glauben 
an eine Art Fortleben nach dem Tode scheint der Umstand zu sprechen, 
dass den Männern Waffen, den Weibern Kochgeräthschafteu im Tode 
mitgegeben werden ; auch wird ein zeitweiliges Wiedererscheinen der 
Verstorbenen in ihren alten Wohnstätten behauptet. Als in der 
Nacht zum 1. September die Witterung eine günstige Wendung 
genommen hatte, rüsteten wir uns schon um 4 Uhr Morgens zum 
Aufbruch, um möglichst noch bis zur Metschigmeu-Bai gelangen zu 
können. Regen und Nebel am Morgen hielten uns jedoch wieder 
einige Stunden zurück, bis schliesslich gegen 9 Uhr sich der Himmel 
aufklärte und unserer Abfahrt nun nichts weiter im Wege lag. Wir 
verabschiedeten jetzt Hidlako, den wir reichlicher beschenkten, als 
er wohl erwartet hatte. Seine Landsleute hatten ihm gesagt, er 
würde von uns nicht viel erhalten, da wir nur ein kleines Boot 
hätten. Jetzt, meinte er, sollten sie sich von ihrem Irrthume über- 
zeugen. Nichts desto weniger bat er noch um diese oder jene 
Kleinigkeit, so auch um ein kleines Beil, das er gerade in unseren 
Händen sah, mit der Motivirung, dass er mit demselben grössere 
Stücke Walttschfleisch als mit dem Messer abhauen könne. (Wird 
nämlich ein Walfisch gefangen, so hat jeder Ortsbewohner das Recht, 
so viel Fleisch zu nehmen, als er abzuschneiden vermag. Man kann 
sich vorstellen, mit welchem Wetteifer alle an diese Arbeit gehen 
mögen!). 

Anfänglich war der Wind so schwach , dass wir wieder die 
Ruder in die Hand nehmen mussten; doch bald erhob sich ein 
stärkerer Nordwind, der das Boot schnell an der grösstentheils .durch 
Nebel verdeckten Küstenstrecke entlang eilen Hess. In einer Thal- 
schlucht bemerkten wir einige Hütten, die wohl zu dem erwähnten 
Orte Tschingin, vor dessen Besuch man uns gewarnt hatte, gehören 
mochten. Nahe dem Eingänge zur Lorenz -Bai wurde der Wind so 


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heftig, dass wir die Weiterfahrt bis zur Metschigmen-Bai aufgaben und 
unseren alten Ankerplatz in Lütkes Hafen aufsuchten. Bald war 
dieser auch erreicht und das Zelt wieder an dem gleichen Platze 
aufgerichtet, an dem es vor kaum 2 Wochen gestanden hatte. Doch 
einen ganz anderen Anblick bot jetzt die Gegend dar. Nur noch 
wenige Schneedecken und auch diese in verminderter Mächtigkeit 
lagen in den Schluchten; um Wasser brauchten wir jetzt nicht in 
Verlegenheit zu sein, zahlreiche Bäche Hossen in nächster Nähe aus 
dem Wiesenterrain dein Meere zu, und grössere Flächen stehenden 
Wassers waren aller Orten zu erblickeu. Selbst der Meeresstrand 
hatte sich verändert; die heftigen Südwinde der letzten Woche hatten 
auch hier merkliche Wirkungen ausgeübt. Von dem Reichthum der 
Flora war nicht mehr viel wahrzunehmen ; die Blütezeit der meisten 
Bilanzen war nun vorüber, doch fanden wir von der schönen Sieversia 
Rossii, die wir bisher fast nur verblüht angetroffen hatten, zahlreiche 
in voller Blüte stehende Exemplare neben zwei mit Kreuzen be- 
zeichneten Grabstätten zweier amerikanischen Seeleute. Verschiedene 
Entenarten Hessen sich wieder häufig am Gestade blicken; bei dem 
trüben und regnerischen Wetter war es leichter als früher möglich, 
ihnen auf Schussweite nahe zu kommen, so dass wir öfters durch 
frisches Fleisch eine Abwechslung in unsere Kost bringen konnten. 

Nur einen Tag noch, den 2. September, hielten wir uns in der 
Lorenz-Bai auf. Von Eingeborenen wurden wir diesmal nicht besucht, 
trotzdem uns die Bewohner von Nunämo in die Bai hatten einfahren 
sehen; das schlechte Wetter mochte jedoch die Leute znrückgehalten 
haben. 

Am Morgen des 3. September setzten wir bei trübem Wetter 
und leichtem Winde unsere Fahrt fort. Längere Zeit war uns das 
Land durch den Nebel völlig verdeckt, doch Hessen Kompass und 
Lothungen den Kurs nicht verfehlen. Erst als wir die Südspitze 
der Lorenz-Bai bereits passirt batten, kam die Küste wieder in Sicht, 
längs welcher wir nach Westen zu weiter fuhren. 

Von Hidlako hatten wir uus die auf dieser Strecke sich 
findenden Niederlassungen nennen lassen. Wir bemerkten zunächst, 
nachdem wir die felsige Küste des „Southhead“ passirt hatten, ein 
aus etwa 8 Hütten bestehendes Dorf, das wir als Jandanga, den 
Wohnsitz von Jonnyboy, dem Manne, welcher uns in der Lorenz- Bai 
den erwähnten Empfehlungsbrief vorgezeigt hatte, erkannten. Da 
der Wind am Nachmittage schwächer wurde und schliesslich ganz 
nachliess, konnten wir die Metschigmen-Bai vor einbrechender 
Dunkelheit nicht erreichen. Nirgends bot jedoch die Küste einen 
Landungsplatz dar; wir waren also wiederum gezwungen, eine Nacht 



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im Boote auf offenem Meere zuzubringen, da wir nicht genügend 
orientirt waren, um den schmalen Zugang zur Bai in der Finsterniss 
auffinden zu können. Auch diesmal waren wir froh, als das erste 
Morgengrauen uns gestattete , die Fahrt fortzusetzen ; bei der 
empfindlichen Kälte der Nacht hatten wir doch nicht die Erquickung 
eines ruhigen Schlafes geniessen können. Wir erkannten nun, dass 
wir uns bereits vor der schmalen Landzunge befanden, welche die 
Metschigmeu-Bai vom Meere abtrennt. An dieser fuhren wir entlang, 
bei starkem widrigem Winde zum steten Kreuzen genöthigt. Zu 
unserer Rechten bemerkten wir zahlreiche Jarange, 4 waren noch 
auf dem steilen Ufer gelegen, 2 nautische Meilen weiter nach Westen 
zu befand sich ein grosses Dorf von etwa 20 Hütten gerade da, wo. 
das höhere Land in eine ganz flache Sandspitze übergeht, auf dieser 
selber lagen noch je zwei Jarange, die letzten nahe dem schmalen 
Eingänge zur Bai, „Akaniu“, „Kuküu“, „Ydleän“, „Floren“ lauteten 
die uns von Hidlako gegebenen Namen für diese Ortschaften, doch 
hatten wir weiter keine Gelegenheit, die Richtigkeit dieser Angaben 
festzustellen. Möglicherweise sind uns auch, da die Küste zwischen 
Jandanga und den nächsten 4 Hütten mehr oder weniger durch den 
Nebel verhüllt war, einige Jarange entgangen. 

Die Einfahrt in die Metschigmen-Bai erblickten wir erst, als wir 
uns dicht vor derselben befanden, bis dahin hatte sie die zweite von 
Süden vorspriugeude Spitze, auf welcher das Dorf Metschüemen liegt, 
unseren Blicken entzogen. Eine stärkere Strömung war zu dieser 
Zeit wenigstens nicht zu bemerken; wir gelangten ohne weitere 
Schwierigkeit in die Bai, woselbst wir zunächst, durch die Richtung 
des Windes veranlasst, in die östliche Ausbuchtung heineinsegelteu, 
um dort unser Zelt aufzuschlagen. Die wenigen Stunden, die uns 
dann noch vom Tage übrig blieben, genügten, uns davon zu über- 
zeugen, dass die Metschigmen-Bai ein interessantes Feld für unsere 
Beobachtungen abgeben würde. Nirgends fanden wir die Moostundra 
so typisch entwickelt, wie hier; die Bergformen wie die Gesteine 
zeigten eine grössere Mannigfaltigkeit, als in der Lorenz-Bai und am 
Ostkap; jüngere eruptive Bildungen, denen wir bisher noch nicht 
begegnet waren, herrschten hier vor. Am Strande lag ein Seegras, 
Zostera, in Masse ausgeworfen, in den Schluchten am Ufer fand 
sich eine kleine strauchige Spiraea; beide für uns neue Bürger der 
Tschuktschen-Flora haben wir ausserhalb der Metscbigmen-Bai nicht 
wieder angetrofl'en. Das Wasser der Bai in der Nähe unseres Zelt- 
platzes war brackisch und die Fauna dementsprechend ärmlich. Am 
folgenden Tage fuhren wir weiter in das Innere der Bai hinein. 
Von den jenseits gelegenen Hütten kam ein mit 10—12 Leuten 


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123 


bemanntes Boot auf uns zu, an das wir heransegelten, um von den 
Leuten einige Erkundigungen einzuziehen. Wir erfuhren von ihnen, 
dass im Inneren der Bai nur Tschautschuats wohnen; ein hübsches 
kleines Bootgestell wurde noch für etwas Taback eingehandelt, dann 
trennten wir uns von den Leuten, die wieder nach ihrem Dorfe 
zurückfuhren. Vom Boote aus sahen wir nun auf der Tuudra nicht 
allzuweit von unserem eben verlassenem Lagerplatze entfernt eine 
Kenthierheerde weiden, und bald erblickten wir auch im Innern 
einer Bucht einige Zelte der Tschautschuats. 

Nachdem während der Weiterreise noch gegenüber der Einfahrt 
in einer Tiefe von 8 Faden mit Erfolg gekreuzt worden war, landeten 
wir auf dem rechten Ufer an einem sehr hübsch und günstig ge- 
legenen Platze. An die hohen, die Bai begrenzenden Trachytberge 
setzte sich eine nach derselben zu allmählich abfallende Tundra an, 
auf deren mit Krähenbeeren dicht bewachsenem Saume, hart neben 
einem munter fliessendem Bache, das Zelt aufgeschlagen wurde. Eine 
prächtige Aussicht genossen wir von dem grünen Uferrande auf die 
gegenüberliegenden Bergpartien, unter denen namentlich ein spitzer 
Kegel durch seine grosse Regelmässigkeit unsere Aufmerksamkeit 
anzog. Als wir noch am späten Abend nach erfolgreicher Jagd auf 



Graugänse bei milder und ruhiger Luft unserem Zelte zuwanderten 
und die vom Lichte des Vollmonds erleuchtete Landschaft betrachteten, 
mussten wir uns gestehen, dass auch dieses unwirthbare Land seine 
Schönheiten habe. 


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124 


Am Vormittage des folgenden Tages, des 6. Septembers, machten 
wir zunächst einen Ausflug entlang der Küste nach den steilen Fels- 
abstürzen eines nahen Trachytdomes; Nachmittags setzten wir unsere 
Fahrt in das Innere der Bai fort. Wiederholte Lothnngen ergaben 
nur die geringe Tiefe von 2 Faden ; und eine Ausbuchtung des rechten 
Ufers, in der wir zu landen beabsichtigt batten, war so flach, dass 
das Boot bereits weit vom Strande ab auf den Grund gerieth. Wir 
mussten unser Zelt etwas östlich von derselben am Fasse der hier 
dicht an die Bai herantretenden südlichen Berge aufschlagen. Der 
Platz bot ein ähnliches anziehendes Bild dar, wie der, an welchem 
wir gestern verweilt hatten. Ein dichter Teppich von Krähenbeeren 
bedeckte den Boden, hohes Weidengebüsch fand sich in den Schluchten, 
untermischt mit der strauchigen Spiraea und einer ungewöhnlich 
grossen Umbellifere; auf der nahen mit der niedrigen Zwergbirke 
dicht bewachsenen Tundra wucherten zahlreiche Moltebeeren, deren 
Früchte uns eine willkommene Erquickung darboten. Die Moltebeere 
(Rubus chamaemorus), dieselbe, die in Norwegen so zahlreich und 
als Seltenheit auch in einzelnen Mooren Deutschlands vorkommt, 
liefert bei weitem die schmackhaftesten Beeren des Landes, doch 
haben wir sie, so häufig auch ihr Laub anzutreffen war, nur in der Met- 
schigmen-Bai mit Früchten gefunden. Eine ganz andere Physiognomie 
bot die weiter nach Westen zu gelegene niedrige Tundra, der Auf- 
enthaltsort der Graugänse und verschiedener Entenarten und der 
Standort einer charakteristischen Sumpfflora (Senecio cf. paluster, 
Hippuris vulgaris und hohe schilfartige Gräser). 

Trotz des engen kaum 500 Schritt breiten Eingangs zur 
Metschigmen-Bai fanden wir im Innern derselben zahlreiches Treib- 
holz. Auch an unserem Lagerplatz war soviel vorhanden, dass wir 
ohne Mühe längere Zeit ein grosses Feuer unterhalten konnten. 
Neben grösseren Holzstämmen, die offenbar von aussen herstammten, 
war auch zahlreiches Weidengesträuch selbst bis Armdicke aus- 
geworfen, dessen Ursprung wohl weiter im Innern der Bai gesucht 
werden muss. Eine Anzahl von Feuerstätten, sowie ausgerupfte 
Entenfedern und gespaltene Renthierknochen Hessen erkennen, dass 
auch die Landesbewohner sich an dieser Stelle wenigstens vorüber- 
gehend aufgehalten hatten. Jarange konnten wir in unserer Nähe 
nirgends erblicken; doch sahen wir am folgenden Tage, als wir 
gerade auf einer Fusstour nach dem Inneren begriffen waren, drei 
vollbemannte Böte von Westen her in nicht allzugrosser Entfernung 
vorüberfahren. Da sie jedoch nicht, wie wir vennuthet hatten, bei 
unserem Zelte landeten, so müssen wir es leider unentschieden lassen, 
ob sie von einem weiter nach Westen zu gelegenen Dorfe der 


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— 125 


Tschautschuats stammten, oder ob es nur Bewohner der östlichen 
Niederlassungen waren, die vielleicht zur Jagd und zum Fischfang 
das Innere der Bai aufgesucht hatten. 

Am Nachmittage desselben Tages (7. Sept.) segelten wir nach 
dem jenseitigen Ufer hinüber; wiederholte Lothungen auf dieser 
Strecke ergaben als grösste Tiefe 2 — 2 1 s Faden, das Wasser zeigte 
einen geringen Salzgehalt und die Fauna war eine entschieden Brack- 
wasserfauna. Wir landeten in einer Bucht, die durch eineu niedrigen 
Basaltrücken, der nur durch eine schmale Landzunge mit dem Fest- 
laude verbunden ist, abgegrenzt wird. Au den Basaltfelsen schloss 
sich ein mächtiges Lager eines hellgrauen Thunes mit vielen Faser- 
kalkstücken an; sonst bot die einförmige Tundra der Umgegend nichts 
Bemerkenswerthes dar. Unsere Absicht war, von hier aus einen 
grösseren Ausflug nach den am ersten Tage bemerkten Hütten der 
Tschautschuats zu machen, zumal da wir das Boot in einem sichern 
Hafen geborgen wussten, doch der über Nacht eingetretene günstige 
Nordwind bewog uns, gleich am nächsten Morgen die Weiterreise 
nach dem Süden anzutreten. 

Die Metschigmen-Bai dringt nach den Angaben der Karte am 
weitesten unter allen westlichen Meereseinschnitten in das Innere 
der Tschuktschenhalbinsel ein ; die Entfernung von ihrem äussersten 
Ende zu der von Norden her tief eindringenden Koljutschin-Bai beträgt 
nur wenige Tagereisen. Gerne hätten wir daher unsere Fahrt weiter 
in das Innere hinein fortgesetzt, wenn uns nicht durch die späte 
Jahreszeit ein längerer Aufenthalt versagt worden wäre. 

Der Eingang zur Bai ist durchschnittlich 5 Faden tief; der 
vordere Theil derselben erreicht eine Tiefe von 8 Faden und beherbergt 
eine interessante Meeresfauna, während in dem flacheren, schwach 
salzigen Wasser des nordöstlichen und westlichen Theils nur Brack- 
wasserformeu angetroften wurden. Am Lande fanden wir auch hier 
nur ein geringes Thierleben, von Vögeln waren allein Enten und Gänse 
häufig. 

Die Ausfahrt aus der Bai am frühen Morgen des 8. September 
gewährte uns noch einen guten Ueberbliek über die eigenthümliche 
Berglandschaft der östlichen Metschigmen-Bai. Am linken Ufer, nicht 
fern von der Bucht, in welcher wir bereits am ersten Tage Zelte 
der Tschautschuats gesehen hatten, bemerkten wir 1 bis 2 kleine 
Hütten auf einer niedrigen Landzunge. Danu passirten wir in 
rascher Fahrt die Enge, bei der uns Einwohner aus dem nahen 
Dorfe Metsclmemen (7 Hütten wurden vom Boote aus gezählt) ver- 
geblich zum Landen einluden, und fuhren dann an der südlichen 
Küste entlang auf Nytschigane Point zu. Der fortdauernd günstige 


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126 


Wind, noch inehr aber der Anblick einer starken Brandung an der 
schmalen Einfahrt zu der hier befindlichen Lagune, liess uns unsere 
Fahrt weiter fortsetzen, ebensowenig konnte ein Boot der Ein- 
geborenen, dessen Insassen unsere Aufmerksamkeit durch einen 
Flintenschuss auf sich zu lenken versuchten, unsere schnelle Fahrt auf- 
halten, die wir erst in dem im Nordwesten der Insel Arakamtschetschene 
oder Kaiyne gelegenen Ratmanoffshafen unterbrachen. Auf der 
ganzen Strecke von Metschüemen an haben wir nur 4 oder 5 aus 
wenigen Hütten bestehende Niederlassungen bemerkt. Bis Nytschigane 
Point ist die Küste massig hoch, bald grün, bald felsig; kurz vor 
demselben wird das Land sehr flach; eine weite Lagune wird auch 
hier durch eine lange schmale Nehrung vom Meere geschieden. Von 
Nytschigane Point südwärts grenzt die Tundra mit steilen gegen 
15 m hohen Thon- und Erdabstürzen, an deren Fusse grosse Schnee- 
massen liegen, unmittelbar ans Meer, erst mit dem „Black Summit“ 
erreicht die den Hintergrund bildende formenreiche Berglandschaft 
wieder die Küste. 

Der für die ganze Halbinsel charakteristischen Dünenbildung 
begegnen wir auch beim Ratmanoffshafen; eine schmale, aus Geröll 
und Kies bestehende Landzunge, auf der einiges Treibholz und zahl- 
reiche Knochen von Seesäugethieren umherliegen, schützt ihn gegen 
Norden und Nordwesten. Die Gesteine der Insel scheinen nach den 
Geröllstücken zu urtheilen sehr verschiedenartiger Natur zu sein; 
so bemerkten wir dunkle Schiefer, mit weissem, silberglänzenden 
Erze (Arsenikkies?), typische Syenite, Trachyte und krystallinische 
Kalke. Die Flora hatte schon einen ausgesprochen herbstlichen 
Charakter; für uns lag in dieser Wahrnehmung eine Mahnung mehr, 
mit der Weiterreise nicht zu zögern, so sehr auch die augenblick- 
liche schöne Witterung und die herrliche Landschaft zum längeren 
Verweilen einluden. 

An dem folgenden Tage, dem 9. September, setzten wir unsere 
Fahrt südwärts fort, wieder vom schönsten Wetter begünstigt. Eine 
prachtvolle Scenerie bot sich unseren Blicken dar, pittoreske Berg- 
formen in verschiedenen gelblich grauen bis schwärzlichen Farben- 
tönen, grüne Thalschluchten und tiefeinschneidende Buchten. Die 
, auf den Karten an der Westküste von Arakamtschetschene verzeiclmeten 
Hütten existiren ebensowenig, wie die an der Nordküste angegebenen. 
Nur einzelne aus Walfischknochen aufgebaute Gerüste deuten ihre 
ehemalige Existenz an. Dagegen scheint sich das Dorf am Glasenapp- 
liafen seit der Aufnahme desselben durch Leutnant ltodgers 
vergrössert zu haben. Wir zählten auf der westlicheu Landzunge 
3 und auf der östlichen 5 Hütten. 


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127 


In der Nahe dieses Hafens kam ein Boot auf uns zu gerudert. 
Als wir an dasselbe heransegelten, bemerkten wir unter den Insassen 
nur zwei Männer, die übrigen waren Kinder und Weiber, von denen 
einige jüngere ein leidlich hübsches Gesicht unter dicker Schmutz- 
kruste verborgen zeigten. Die Leute kamen von der kleinen, 
zwischen Arakaintschetschene und Yttigrane gelegenen Insel, woselbst sie 
(d. h. nur die Frauen, die Männer faulenzen bei solchen Gelegen- 
heiten) Krahenbeeren für den Winter gesammelt hatten. Natürlich 
vertheilten wir wieder etwas Taback, den die Weiber nicht minder 
lieben als die Männer, erfragten einige Namen und gaben ihnen auf 
ihre Erkundigungen nach den Walern, so gut wir es vermochten, 
Bescheid; dann setzten wir unsere Fahrt fort. Ziemlich an der 
engsten Stelle der Seniavinstrasse, auf der Insel Yttigrane, gegenüber 
dem auf dem Festlande mächtig emporragenden Berge Eipinguine, 
landeten wir nach einer Fahrt von nur weuigen Stunden. Eine 
Bergbesteigung, die wir noch am späten Nachmittage unternahmen, 
gewährte uns einen interessanten Ueberblick über die wunderbar 
zerrissene Gebirgslandschaft. Durch eine weite flache Thalsenkung, 
südlich von dem Berge Eipinguine, sahen wir in geringer Entfernung 
eine grössere Wasserfläche, die nur eine der nördlichen Aus- 
buchtungen der von Süden her in die Halbinsel eindringenden 
Markus-Bai sein konnte. 

Am nächsten Tage galt es, die südöstliche Spitze der Tschukt- 
schen-Halbinsel, Point Tschaplin, oder, wie sie allgemein genannt 
wird, „Indian Point“, zu umfahren. Da wir wieder eine weite 
hafenlose Strecke vor uns hatten, musste früh aufgebrochen werden. 
Doch der Wind war uns auch heute günstig. In kurzer Zeit hatten 
wir die Seniavinstrasse passirt uud das offene Meer erreicht. In 
südlicher Richtung fuhren wir nun weiter, dem Laufe der Küste 
folgend, deren anfänglich hohes und abschüssiges Ufer sich allmählich 
verflacht und schliesslich in eine ganz niedrige Sandspitze übergeht, 
deren äusserstes Ende unter dem Namen „Indian Point“ bekannt 
ist. Mit dem gleichen Namen wird auch das hier gelegene Dorf 
bezeichnet, dessen Einwohner nicht minder unternehmend wie die 
von Niiokan sind und zur Sommerszeit weite Fahrten längs der 
Küste nach Nord bis zum Ostkap und nach Westen bis zum Auadyr 
ausführen. Von hier nehmen die Walfischfänger jeden Sommer eine 
Anzahl Leute in das Eismeer mit; Frauen und Kinder setzten auch 
zumeist die neugierigen Sehaaren zusammen, die sich, als wir die 
Sandspitze umfuhren, alsbald am Strande versammelten und lebhaft 
gestikulirend uus zu einer Landung aufzufordern schienen. Unser 
Kurs war jetzt nach Nordwesten gerichtet. Wie auf der westlichen, 


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128 


so geht auch auf der südlichen Seite die flache Sandspitze alsbald 
in hohes Land über, in welches zwei grössere Buchten, die Markus-Bai 
und die Plover-Bai tief eingeschnitten sind. Da der Wind an der 
Seeküste . nachliess und eine Erreichung der Plover-Bai vor herein- 
brechender Dunkelheit nicht mehr zu erwarten war, so beschlossen 
wir, der ersten von diesen Buchten, der Markus-Bai, zuzusteuern. 
Bei der Einfahrt sahen wir alsbald vom linken Ufer her ein Boot 
auf uns zukonnnen, in dem wieder je ein Mann am Steuer und au 
der Spitze sass, während acht bis zehn Weiber die kurzen, schaufel- 
förmigen Ruder eifrigst handhabten. Auch sie waren auf der Beereu- 
suclie gewesen, auf dem rechten Ufer lagen ihre Hütten, denen 
sie nach Befriedigung ihrer Neugier und Empfang einiger kleinen 
Gaben zuruderten. 



Erläuterung. Die Zeichnung der Markus-Hai in der amerikanischen Karte: 
* Bering» Sea and Arctic Ocean 1855“ (vergl. Peterm. Mitth. 1879, pag. 226, Anni. 2) 
ist unrichtig. Auf der russischen Karte: „Mereator Karte des Eis- und Beringsmecres. 
1852. Oestl. Ocean Nr. 6. 1455“ ist sie ganz ausgelassen. Von den Eingeborenen wird 
die Markus-Bai wie alle Übrigen Baien „Taschek“, d. h. „Wasser“, genannt. 

Auf den Karten fanden wir die Markus-Bai sehr ungenau ver- 
zeichnet ; nagh einer nahe dem Eingänge angegebenen Bucht, die wir 
als Landungsplatz ausersehen hatten, suchten wir vergebens. Als 
wir zwei auf dem rechten Ufer gelegene Hütten passirten, schoben 
auch deren Bewohner alsbald ein Boot ins Wasser, um von uns 
gleichfalls etwas Taback zu erbetteln. Es waren Renthiertsehuktschen, 
die sich durch eine eigenthiimlichc Mode, einen mit Perlen durch- 
flochteneu kleinen Zopf mitten vor der Stirn, auszeichueteu. — Erst 
spät am Abend fanden wir eine geeignete Landungsstelle im äussersten 
Nordostende der Bai, nicht allzufern von dem Berge Eipinguine und 
in gerader Linie von unserem Tags zuvor innegehabten Lagerplatz 


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129 


auf Yttigrane, vielleicht nur vier englische Meilen entfernt, trotzdem 
wir etwa 40 derselben zurückgelegt hatten. Offenbar lag vor uns 
dasselbe niedrige Laud, über das hinweg wir von Yttigrane aus die 
Markus-Bai gesehen hatten. 

Durch die Mannigfaltigkeit der Bergformen und, soweit wir bei 
unserem flüchtigen Besuche wahrnehmen konnten, auch des Gesteins, 
ist die Markus-Bai interessanter als die benachbarte I’lover Bai ; hier 
trafen wir ausser jüngeren Eruptivgesteinen auch zum ersten Male 
Versteinerungen führende paläozoische Sedimente. 

Als wir bei schon hereinbrechender Dämmerung auf einen der 
nächsten Berge stiegen, um eine auffallende kraterähnliche Vertiefung 
desselben zu untersuchen, wurden wir durch die Annäherung eines 
Bootes, welches auf unser Zelt lossteuerte, eiligst zur Rückkehr 
bewogen. Auch diesmal waren es Renthiertschuktschen, Bewohner 
von vier am jenseitigen Ufer gelegenen und etwa 2 englische Meilen 
entfernten Hütten, die nur beabsichtigten, uns zu dieser allerdings 
etwas ungewöhnlichen Zeit (es war gegen 9 Uhr Abends und bereits 
völlig dunkel) eine Visite abzustatten. Als wir ihnen nach klügerer 
Unterhaltung und obligater Tabacksspende zu verstehen gaben, dass 
wir ermüdet wären und uns zur Ruhe legen möchten, verabschiedeten 
sie sich auch, ohne dass sie durch ihr Verhalten irgend einen Grund 
zur Unzufriedenheit gegeben hätten. 

Es war ein prächtiger, sternenklarer Abend; am nächsten 
Morgen fanden wir, als wir den nahen Wasserlöchern zueilten, um uns 
Gesicht und Hände zu waschen, eine dünne Eisdecke auf denselben, 
eine Mahnung au das Herannahen des Winters. — Eine verhältniss- 
mässig kurze Strecke trennte uns noch von der Plover-Bai, und als 
wir am Morgen des 11. September unsere Fahrt dahin begannen, 
waren wir der Meinung, dass wir noch bei guter Tageszeit das End- 
ziel unserer Reise erreichen würden. Windstille und ganz leichte 
Winde Hessen uns jedoch nur sehr langsam vorwärts kommen. Bei 
einer Lothung noch nahe dem hinteren Ende der Bai erhielten wir 
in 30 Faden keinen Grund. Wiederum bekamen wir vom Laude her, 
von den am linken Ufer gelegeneu zwei Hütten, Besuch. Da die Leute 
Tags zuvor erfahren hatten, dass wir Walrosszähne und Fischbein 
nicht begehrten, brachten sie uns jetzt Renthierfleisch und kleine 
Elfenbeinschnitzereien, wie solche als Kinderspielzeug bei ihnen im 
Gebrauch sind. Auf unsere Aufforderung waren sie auch bereit, uns 
aus der Bai hinauszurudern; einige junge, kräftige Burschen stiegen 
in unser Boot, und nachdem sie sich bis auf die Hüften völlig nackt 
ausgezogen hatten, haudhabten sie unter munteren Scherzen und 
lautem „pull, pull ahead“ mit grösstem Eifer die Ruder. Aber sei 

Geogr. Blätter. Bremeu 18&1. . 9 


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130 


es, dass sie schnell ermüdeten, oder dass sie überhaupt nicht Willens 
waren, uns noch weiter zu begleiten, sie pausirten immer häufiger 
und häufiger, so dass wir es zuletzt vorzogen, sie zu entlassen und 
allein bei leichtem Winde aus der Bai herauszukreuzen. Bei der 
Weiterfahrt begegneten wir noch zwei vollbemannteu Kanoes, die 
auf der Rückfahrt von Plover-Bai nach Indian Point begriffen waren. 
Wiederum dieselben Fragen der erstaunten Eingeborenen, ob wir 
schiffbrüchig wären, ob die Walfischfahrer bald zurückkommen würden, 
ob keiner von ihren Landsleuten auf den Schiffen gestorben sei, ob 
viele Walfische gefangen worden seien, die wir ihnen, so gut wir 
konnten, beantworten mussten. Hier wie anderwärts an der Küste 
erhielten wir den Eindruck, dass die Ankunft und das Verweilen 
eines Schiffes als höchst erfreuliches Ereigniss von der Bevölkerung 
angesehen wird. 

Erst spät am Abend erreichten wir, abwechselnd Ruder und 
Segel gebrauchend, Kap Tschuchotzkoi , das südlichste Vorgebirge 
der Tschuktschen-Halbinsel, eine steile, breite Felsenwand, welche 
halbwegs zwischen Markus- und Plover-Bai gelegen ist. Am Tage 
war die Fahrt trotz ihrer langen Dauer nicht unangenehm gewesen ; 
bei milder Luft und klarem Himmel erfreuten wir uns eines hübschen 
Ueberblicks über die nicht reizlose Küstenlandschaft. Nun wurde es 
aber empfindlich kalt, so dass wir die Anstrengung des Ruderns dem 
Stillsitzen am Feuer vorzogen. Gegen Mitternacht passirten wir das 
am Lake Moore gelegene Dorf Awän (Easthead der Amerikaner), 
ruderten dann um den mächtigen östlichen Eckpfeiler der Plover-Bai, 
der auf den Karten als Baldhead verzeichnet ist, herum und langten 
gegen 2 Uhr in dem durch eine schmale, vorspringende Landzunge 
gebildeten Hafen nicht fern von dem Dorfe Riräk (Plover-Bai der 
Amerikaner) an. In dem schnell aufgerichteten Zelte versanken wir 
bald in tiefen Schlaf, aus dem uns erst, als die Sonne längst auf- 
gegangen war, Tritte und Stimmen von herbeigeeilten Eingeborenen 
erweckten. Da wir von ihnen vernahmen, dass sich ein weisser 
Mann in Plover-Bai aufhalte, suchten wir diesen natürlich alsbald auf 
und fanden ihn in einem geräumigen hölzernen Hause, das vor 
einigen Jahren von einer Handelsgesellschaft errichtet worden ist. 
Mr. Mcdonald, so lautete der Name des Mannes, hatte die Seitens 
der amerikanischen Regierung nach Point Barrow ausgesandte 
Expedition als Eispilot begleitet, war aber von dem Kapitän hier 
zurückgelassen worden, um bis zur Rückkehr des Schiffes von den 
Eingeborenen Walrosszähnc, Fischbein und Felle einzuhaudeln. Wir 
erfuhren von ihm, dass die Expedition San Francisco erst am 18. Juli 
verlassen hätte und am 16. August in der Plover-Bai angelangt sei. 


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131 


Nun erwartete er jeden Tag die Rückkehr des Schuners; in der 
Zwischenzeit hatte er einen ganz vortheilhaften Handel mit den 
Eingeborenen gemacht. 

Für einen längeren Aufenthalt hatten wir den weiter nördlich 
gelegenen Emmahafen als Zeltplatz ausersehen, und die trostlose 
Oede, die das Dorf Plover-Bai umgiebt, bestimmte uns auch an dieser 
Absicht festzuhalten. So brachen wir denn ohne Säumen auf, und 
nachdem wir die kurze Strecke in wenigen Stunden zurückgelegt 
hatten, landeten wir am nordwestlichen Ufer des Emmahafens, diesmal 
mit grösserer Sorgfalt als sonst bei der Wahl des Platzes und der 
Einrichtung des Zeltes vorgeheud. 

Unsere Bootfahrt war somit beendigt; fast volle 3 Wochen, 
vom 24. August bis zum 12. September hatte dieselbe in Anspruch 
genommen, und an 12 verschiedenen Orten hatten wir während der- 
selben unser Zelt aufgeschlagen. Durch die Ungunst des Wetters 
waren wir wiederholt zu einem längeren Aufenthalte, als wir in 
Aussicht genommen hatten, genüthigt worden ; andrerseits mussten 
wir aber auch eine gründlichere Erforschung einzelner besonders 
interessanter Gegenden, wie der Metschigmen-Bai, des Seniavin- 
Archipels und der Markus-Bai uns versagen, da die Zeit bereits 
drängte. Im Monat September pflegen die anhaltenden nördlichen 
Winde, die den Herbst hindurch die Berings-See heimsuchen, zu 
beginnen, und wir hatten auch bald nach unserer Landung im Emma- 
hafen Gelegenheit, uns von der Heftigkeit dieser Stürme zu überzeugen. 
Jedoch noch mehr als die Rücksicht auf das Wetter erheischte der 
Zustand unserer Sammlungen eine baldige Beendigung der Bootfahrt. 
Es war nicht möglich gewesen, alle Sachen trocken zu halten, und 
wenn auch in den arktischen Gegenden Fäulniss- und Schimmelbildung 
nicht so schnell eintritt, so war uns doch Einiges, namentlich mehrere 
Vogelbälge zu Grunde gegangen. 

Unsere erste Sorge war es denn auch, alle unsere Sammlungen 
gründlich zu trocknen und nach Möglichkeit zu bergen. Es war 
freilich eine Danaidenarbeit, denn schon der nächste Tag brachte 
wieder Regen und mehrmals noch mussten wir die Erfahrung 
machen, dass der eine Tag verdarb, was der andere gut gemacht hatte. 

Unser Zeltplatz war recht hübsch gelegen. Eine flache, sandige 
Uferstrecke unterbrach hier auf eine kurze Strecke den felsigen 
Meeresstrand, urttl ein reicher Pflanzenwuchs bekleidete die dahinter 
sanft ansteigenden Gehänge. Nach Süden zu wurde der Blick durch 
die isolirte Felsmasse des Baldhead gefesselt, westlich von ihm sah 
man die Hütten von Plover-Bai und darüber hinaus das offene Meer, 
östlich lag das weite Thal des Lake Moore, dessen ausgedehnte 

9 * 


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132 


Wasserfläche von einem etwas höher gelegenen Standpunkte zu über- 
sehen war. Nach allen anderen Himmelsrichtungen bildeten die hohen 
den Hafen rings umgebenden Bergformen, deren Gipfel am Tage 
unserer Ankunft mit frischgefallenem Schnee bedeckt waren, den 
Hintergrund. 

Der Emmahafen war in diesem Jahre nicht bewohnt: Spuren 
verlassener Niederlassungen waren in der Nähe unseres Zeltes, wie 
auch am gegenüberliegenden Ufer nach dem Lake Moore zu vor- 
handen. Auch gab uns Endru aus Plover-Bai an, dass er früher im 
Emmahafen gewohnt habe und wieder dahin zurückkehren wolle. — 
Die nächsten Hütten sind so weit entfernt, dass uns nur sehr selten 
Besuche abgestattet wurden, und auch wir weniger leicht, als wir 
es erwartet hatten, zu ihnen gelangen konnten. 

Eine Fahrt nach Plover-Bai, sowie eine zweite zu den Hütten 
der Tschautschuats in Snugharbour überzeugten uns von der Richtigkeit 
der Annahme, dass hier ein von der übrigen Tschuktschenbevölkerung 
in Abstammung und Sprache verschiedenes Fischervolk wohne. In 
der Lebenweise, Kleidung, Bauart der Jarangen waren bemerkens- 
werthe Unterschiede nicht zu finden, aber die Sprache war eine ganz 
abweichende. Mit den Tschautschuats steht diese Bevölkerung in 
regem Verkehr, einzelne derselben leben mitten unter ihnen, und 
nicht nur Handelsverbindungen, sondern auch verwandtschaftliche 
Beziehungen scheinen den Unterschied der Völker verwischt zu haben. 
Dem entsprechend tragen die Physiognomien der Einwohner von Plover- 
Bai und Indian Point einen weniger einheitlichen , mehr gemischten 
Charakter; höchstens fiel es uns auf, dass an diesen Orten kleinere 
Gestalten und breitere Gesichtszüge häufiger waren, wie wir es in 
ausgesprochenerem Maasse auch bereits bei den Bewohnern von 
Nüokan bemerkt hatten und später noch bei denen der Lorenz-Insel 
beobachteten. 

Ob die Bewohner von Riräk, Awän, Indian Point u. s. w. ihre 
Nationalität unter einem besonderen Namen zusammenfassen und 
derjenigen der Tsclmktschen gegeuüberstellen, konnten wir nicht 
erfahren, nur dass sie von den Renthierleuten „Aigwan“ genannt 
würden. Mit demselben Namen wird jedoch, wie wir bereits erwähnt 
haben, von den Tschautschuats die gänzlich verschiedene Fischer- 
bevölkerung der Nord- und Ostküste bezeichnet, so dass man wohl 
zu der Vermuthung berechtigt ist,, dass der Name mehr den Unter- 
schied in der Lebensweise und im Wohnorte (vergl. Ankadli), als in 
der Nationalität ausdrücke. Wie es mit dem Namen „Nainollo (aut?) 
oder Tschukluk (Dau)“ steht, konnten wir nicht in Erfahrung bringen ; 
den Bewohnern von Plover-Bai schieueu diese Bezeichnungen fremd 


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Plover-Bai (Rirak) 

den S. Oktober IHM 

narb der Natur aufjrenommen von Dr. A. K raune. 


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133 


zu sein. Die Sprachproben, die wir uns notirten, weisen auf eine 
Verwandtschaft dieser Bevölkerung mit den amerikanischen Eskimo- 
stämmen hin. Wie grundverschieden ihre Sprache von der der 
Tschuktschen ist, möge aus folgender Gegenüberstellung einiger 
Worte ersehen werden: 

Bezeichnungen 

der Tschautschuats der Küstenbevölkerung des Südens 



' 1 

= ennen 

ataschek 


2 

= nirak 

mudlguk 

o 

3 

= nrök 

pingajit 

vH 

| 

4 

= nräk 

stömat 

vH 

C3 

5 

— metlingan 

tadlimat 

O 

> 

6 

= ennänmetlingan 

arwindlak 

ca 

7 

= nirakmetlingan 

marawindlak 

75 

N 

8 

= amrötkan 

pingajnindlak 


9 

= konätschink 

stomanindlak 


.10 

= metlikk 

küdla 

Kopf 

= l’6ut 

ntlskok 

Hals 

= eytten 

ujäkok 

Wind 

= jöjo 

anüka 

wir 


= muri 

edlpuk 

ihr 


= turi 

eldpischi 

ich 


= gym 

eimkut 

schwarz 

= nüokin 

tagnilre 

weiss 

= niljükin 

katilre 

Stiefel 

= plakidl 

kämuk 

Beinkleid = konauyte 

kädliguk 

Stein 

= ukudlingen 

udeak 

Regen 

= idlidl 

niptschak 

Eisbär 

= ümku 

nänuk 

Robbe 

= mehemetl 

nychtak 

br. Bär 

= gdingen 

kaingä 

Hase 

= m61ota 

ukaschok. 


Die nachfolgende Kartenskizze giebt die Lage der einzelnen 
Ortschaften in der Plover-Bai, sowie die einheimischen Benennungen 
für dieselben an. Auch hier lebte in früheren Jahren nach den 
zahlreichen Hüttenresten und älteren Berichten zu urtheilen, eine 
grössere Bevölkerung, aber die Hungersnoth im Jahre 1879 — 1880 
hat einen grossen Theil derselben hingerafft. Damals sind auch 


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134 


fast alle Hunde verzehrt worden, so dass dieselben jetzt sehr hoch 
im Preise stehen. 



(Nach Pctcrmanns geogr. Mittheiluugen, 25. Bd. 1879, 8. 139.) 

Bezeichnung der Oertlichkeiten mit den einheimischen Namen durch Amulen und 
Endru aus Rirak und durch Kingak aus Awdn. Die bewohnten Orte sind Awan (East- 
head), Rirak (Plover-Bai, 8 Hütten) und Akdtlak oder Adkddlhak (Westhead); dann 
noch zwei Hütten der Tschautschuats im Snugharbour, der Platz NasskiUulok oder 
Kadl&rak genannt. Der einheimische Name für den Lake Moore ist Naiwak. Im 
Emma-Hafen finden sich Spuren verlassener Niederlassungen auf beiden Seiten der Ein- 
fahrt. Die Namen für diese Oertlichkeiten sind: Rekökadlin (Rikokcrok) im Norden 
und Uredlak (Urelenetkin) im Süden. Diese Namen gelten wahrscheinlich auch für die 
die Einfahrt begrenzenden Berge. Das Thal im Nordwestende der Bucht heisst Tassirak. 
Auch in der Cache-Bai fuhren die Plätze nördlich und südlich von der Einfahrt und 
im Urunde einheimische Namen: Aingautkungen, NunAlruk und Nangiltuko. Die Insel 
vor dem Snugharbour wird Kirkok genannt, der Ort am Nordende der Bai Kangichpinga. 

Die zwei Hütten der Tschautschuats auf der kleinen Halbinsel 
im Snugharbour zeigten in ihrer Einrichtung nichts Eigentümliches. In 
ihrer Nähe standen die Fundamente der beiden steinernen, von der Ueber- 
land-Telegraphenexpedition im Jahre 1866 erbauten Ueberwinterungs- 
häuser. Die Dächer waren bereits völlig zerstört und viel zurück- 
gebliebenes Geräth war in die Jarange der Tschautschuats gewandert, 
von denen sich die Aelteren der Anwesenheit der weissen Männer 
noch wohl erinnerten. Ruinen eines steinernen Hauses waren übrigens 
auch nicht fern von unserem Lagerplatz am Emmahafen ; hier 


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hatte jedenfalls Moore im Jahre 1848 — 1849 überwintert, ein Er- 
eigniss, das in der Tradition der Landesbewohner noch lebendig ist. 

Die Flora der Plover-Bai bot uns der vorgerückten Jahreszeit 
wegen wenig Gelegenheit, unsere botanischen Sammlungen zu be- 
reichern. Nur wenige Spätsommerpflanzen standen noch in Blüte, 
die meisten hatten bereits mit der Bildung der Winterknospen ihr 
diesjähriges Wachsthum abgeschlossen. Doch fanden wir einzelne 
von uns bisher noch nicht wahrgenommene Arten (Lycopodium cf. 
alpinum), Selaginella und Polydrusa cf. coerulea). Vorzüglich interessirte 
uns jedoch die Beobachtung einer zweiten Blütenperiode bei einigen 
Frühlingsptianzen. Von Diapensia lapponica hatten wir sowohl in 
Norwegen wie auf unserer Reise vom Ostkap bis zur Plover-Bai 
noch nie so schön blühende Rasen gesehen, als hier am 10. September ; 
auch eine weisse Anemone fand sich öfters in zweiter Blüte. Die 
starken Winterknospen daneben machten uns die Annahme wahr- 
scheinlich, dass es sich wie bei der Diapensia um eine durch den 
milden Herbst veranlasste vorzeitige Entwicklung der für das nächste 
Frühjahr bestimmten Blütenknospe handle. 

Die Vegetation trug jetzt herbstliche Kleidung, gelbliche und 
braune Farbentöne zeigten sich da, wo nicht, wie auf den Plateaus 
und steileren Gehängen, das einförmige Grau des mit Flechten 
bekleideten Gesteins vorherrschte. Ein fahles Gelb boten die Gräser, 
Seggen und niedrigen Weiden dar, dunkelkirschroth waren die 
Diapensiarasen gefärbt, das schöne Laub der Sieversia zeigte die 
herbstliche Färbung der Blätter des wilden Weins. Die dunkel- 
grünen Rasen der Krähenbeere (Einpetrum nigrum) trugen eine Fülle 
schwarzer Beeren, deren Geschmack durch den ersten Frost entschieden 
gewonnen batte. Sie sind von allen Beeren des Landes (ausser der 
Moltebeere haben wir noch die Rauschebeere (Vaccinium uligiuosum), 
die Preisselbeere (Vaccinium vitis Idaea) und die Alpenbärentraube 
angetroffen) wegen ihres massenhaften Vorkommens für die Ein- 
geborenen bei weitem die wichtigsten. Grosse Vorräthe derselben 
werden im Herbst eingesammelt, und nach besonders günstigen Stand- 
orten oft grössere Bootfahrten unternommen. Weibern und Kindern 
wird, wie wir bereits oben erwähnt haben, die Arbeit des Einsammelus 
überlassen. Auch von der Plover-Bai war am 22. September ein 
Boot nach den unserem Zeltplätze gegenüberliegenden Höhen aus- 
gefahren; während aber die Frauen den ganzen Tag hindurch Beeren 
pflückten, kamen die zwei Männer, die sie hingeführt hatten, zu uns 
herüber, um sich mit uns zu unterhalten und kleine Geschenke in 
Empfang zu nehmen. — Fast in jeder Hütte sahen wir später einen 
mit Krähenbeeren gefüllten Seehundssack. Wie die früher erwähnten 


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Blätter und Wurzeln werden auch diese Beeren mit Thran an- 
gerichtet und für den Winter aufbewahrt. — Mit Ausnahme zahlreicher 
Entenarten war auch hier das Thierleben gering. Einige Strand- 
läufer, Schwimmschnepfen und Regenpfeifer am Strande, sowie wenige 
Schneeammern an den Bergabhängen und eine Gesellschaft von Raben, 
die sich ungenirt in der Nähe unseres Zeltes aufhielt, waren fast 
die einzigen Vögel, die uns zu Gesicht gekommen sind. Von 
grösseren Säugethieren waren nur einige Robben zahlreicher ; einige 
Weisswale (Beluga), die wir zuerst im äussersten Norden der Markus- 
Bai angetroffen hatten, besuchten auch mehrmals den Emmahafen; 
einen eigenthümlichen Anblick bieten diese bis 6 m grossen Thiere 
dar, wenn sie in langer Reihe, einer hinter dem anderen, den weissen 
Rücken aus dem Wasser emporheben. — Bergschafe, wilde Renthiere 
und Bären, die sich nach den Angaben der Eingeborenen mitunter 
auf den benachbarten Höhen einfinden sollen, haben wir trotz wieder- 
holter weiterer Ausflüge niemals angetroffen. 

Wiederholt haben wir in der Bai gedredgt und ein reiches 
Thierleben, zumal in Tiefen von 8—10 Faden angetroffen. Essbare 
Fische sollen in der Bai nur in geringer Zahl vorhanden sein, eine 
grössere Menge von Lachsarten beherbergt der Lake Moore. 

Während unseres Aufenthalts im Emmahafen vom 12. September 
bis zum 1. Oktober stieg die Tagestemperatur nicht über 10° C. ; 
von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abend schwankte die Temperatur 
gewöhnlich zwischen 4° und 6° C. Erst vom 25. September ab 
begannen die Tage kühler zu werden, am 27. fiel Schnee auch auf 
den nächstgelegenen Höhen, der den ganzen Tag über liegen blieb, 
in der Nacht zum 28. bedeckten sich die Wasserrinnen mit einer 
dünnen Eiskruste, und am Morgen des folgenden Tages, nach einer 
sternenklaren Nacht, während .welcher auch ein Nordlicht sichtbar 
war, sahen wir zu unserer nicht geringen Verwunderung fast den 
ganzen Emmahafen mit einer so starken Eisdecke bedeckt, dass es 
kaum möglich war, dieselbe mit dem Boote zu durchschneiden. Noch 
um 8 Uhr Morgens zeigte das Thermometer — 5° C. 

Von den 22 Tagen, die wir in der Plover-Bai zubrachten, 
waren 13 mehr oder minder regnerisch ; an 10 Tagen wehten starke 
nordöstliche Winde und zwar vom 15. bis 19. September, vom 25. bis 
27. und am 30 September, jedoch ohne dass der Barometerstand 
sich wesentlich veränderte. Die Gewalt dieser Winde bewog uns 
dazu, auf der nördlichen Seite des Zeltes eine steinerne Schutzmauer 
aufzuführen, wozu das scharfkantige Felsgeröll der nahen Abhänge 
vortreffliche Bausteine abgab. 


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Da sich an unserem Lagerplatz nur sehr wenig Gelegenheit 
zum Verkehr mit den Eingeborenen darbot, so hatten wir bereits die 
Zweckmässigkeit einer Trennung und eine theilweise Uebersiedelung 
nach Plover-Bai erwogen, als wir am 28. September einen Sckuner 
in den Hafen einlaufen sahen. Natürlich wurde die Ealirt dorthin 
sofort unternommen ; das Schiff erwies sich als der längst erwartete 
Schuner „Golden Fleece“, und von dem Kapitän desselben, einem 
Dänen, Namens Jacobson, erfuhren wir die neuesten Nachrichten aus 
dem Eismeere. Die Expedition hatte Point Barrow glücklich er- 
reicht und nirgends Eis angetroffen; Leutnant Hooper mit dem 
„Corwin“ hatte Wrangelland bereits vor dem „Rodgers“ erreicht und 
war auf der Rückreise in Plover-Bai mit dem „Golden Fleece“, und 
der an Bord desselben befindlichen meteorologischen Expedition 
zusammengetroffen, von dort war er zum zweiten Male nach Wrangel- 
land aufgebrochen. 

Kapitän Jacobson beabsichtigte, einige Tage in Plover-Bai zu 
verweilen, dann aber auch verschiedene Punkte der Küste auf- 
zusuchen, um Walrosszähne und Fischbein von den Eingeborenen 
einzuhandeln. Indian Point und die Lorenz-Insel, vielleicht auch 
noch das Ostkap und die gegenüberliegende amerikanische Küste 
sollten dabei besucht werden. Die Aussicht, auf diese Weise doch 
noch einige uns bisher unbekannt gebliebene Punkte der Halbinsel 
kennen zu lernen, bestimmte uns, am Morgen des 1. Oktobers an 
Bord des „Golden Fleece“ zu gehen. Vorher hatten wir noch, am 
30. September, einen stürmischen und regnerischen Tag im Zelte 
zugebracht, während dessen wir fast zur völligen Unthätigkeit ver- 
dammt waren. Auch der starke Frost vom 29. September, der uns 
die Gefahr des Einfrierens nahe gelegt hatte, war für uns eine 
Mahnung gewesen, dass die für ein Zeltleben geeignete Zeit ihr Ende 
erreicht habe. 

Da des ungünstigen Wetters wegen Kapitän Jacobson erst am 
3. Oktober die Plover-Bai verlassen konnte, hatten wir noch Gelegen- 
heit, den Ort und dessen nächste Umgebung näher keimen zu lernen. 
Die Jarange von Plover-Bai sind nur für den Sommer gebaut. Von 
den Winterhütten, die mit Renthierfellen bekleidet werden, sind jetzt 
nur die Stützen, gewöhnlich Walfischrippen, vorhanden. Mit der 
Einrichtung dieser Winterjarange wird gewartet, bis das Erdreich 
hart gefroren ist, wahrscheinlich, um ein Eindringen des Schnee- 
wassers in dasselbe zu verhindern. In früheren Jahren wurden in 
Plover-Bai auch mehrfach unterirdische Steinhäuser zu Winter- 
wohnungen hergerichtet und noch vor zwei Jahren soll eines der- 
derselben benutzt worden sein, doch dienen sie jetzt meist nur noch 


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als Speckkeller. Ganz gleiche Kellerräume, „ueru“ genannt, hatten 
wir in Uädle angetroffen, woselbst, wie schon erwähnt, innerhalb der 
geräumigen Sommerjarange ein kleinei'es Zelt aus Reuthierfellen für 
den Winter hergerichtet wird. Einige der Sommerhütten in Plover- 
Bai waren übrigens von Leuten aus Indian Point bewohnt, die vor 
Beginn des Winters wieder dorthin zurückzukehren gedachten. Ein 
Wechsel des Wohnorts, ein vollständiger Umzug mit Hab und Gut, 
findet, wie es scheint, öfters statt, wir selber begegneten in der 
Markus-Bai einer Familie, die mit Zelt und allem Zubehör in einem 
Boote einen solchen Umzug bewerkstelligte; und in der Plover-Bai 
trafen wir gegenüber dem Cachehafen eine kleine Hütte von Leuten 
aus Riräk, die dorthin zur Beerensuche und zur Jagd auf Renthiere 
sich zeitweilig begeben hatten. Dieser leichte Wechsel des Wohn- 
orts lässt alle Angaben über die Vertheilung der Bevölkerung immer 
nur für kurze Zeit als richtig erscheinen ; von ganzen Ortschaften, 
die auf den Karten verzeichnet sind, haben wir mitunter kaum Spuren 
gefunden, während an anderen Stellen offenbar neue Niederlassungen 
gegründet worden sind. 

Nirgends sind die Küstenbewohner in so innigen Verkehr mit 
den Amerikanern gekommen, als in der Plover-Bai. Die wieder- 
holten Ueberwinterungen von Schiffen, wie ein längerer Aufenthalt 
von Händlern haben die englische Sprache fast zu einem Gemeingute 
gemacht; hier, wie in Indian Point, können sich bereits Knaben in 
derselben verständlich machen. Die bekanntesten Leute des Ortes 
sind „Ilemlo“, der Besitzer des hölzernen Hauses, und „Cornelys“, 
welcher als Knabe von dem Kapitän eines Walfischfängers nach 
Newyork gebracht worden war und dort ein Jahr verlebt hatte. 
Mehr Einfluss als diese Männer besitzt aber der reiche Ruli aus 
Awan (East head). Cornelys trafen wir nicht au; er war an Bord 
des Dampfers „Belvedere“ auf den Walfischfang ins Eismeer gegangen. 

Am 3. Oktober verliessen wir Plover-Bai, noch in der letzten 
Stunde diesen und jenen kleinen Handel mit den Eingeborenen ab- 
schliessend. Einen grösseren Vorrath von Stiefeln, sowie von Pelz- 
kleidung, nach einheimischem Muster selber gefertigt, hatten wir in 
einzelnen Jarangen bemerkt, doch waren die Besitzer nicht zu 
bewegen, uns etwas davon abzulassen. Sie warteten auf die Walfisch- 
fänger, von denen sie für den vollständigen Pelzanzug nebst Stiefeln 
eine Büchse zu erhalten hofften. 

Unsere Fahrt ging zunächst auf die Lorenz-Insel zu. Am Morgen 
des 4. Oktober waren wir in Sicht derselben und bald kamen auch 
vier Böte aus dem auf der Nordwestecke der Lorenz-Insel gelegenen 
Dorfe „Schiwukak“ an das Schiff’ heran. Die 20—30 Hütten, aus 


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denen die Niederlassung besteht, liegen auf dem flachen Geröllstrande, 
am Fusse der mehrere hundert Fuss hohen Bergmasse, welche, wie 
das Ostkap der alten Welt, durch niedriges Land inselartig von der 
Hauptmasse der Insel ahgegrenzt wird. Die an Bord kommenden 
Leute, Männer und Weiber, zeigten sich als rührige, aber auch 
schlaue und vorsichtige Handelsleute, die den Werth ihres Fisch- 
beius und Elfenbeins, sowie ihrer sauber gearbeiteten Pelz- und 
Ledersachen recht wohl zu schätzen wussten. Zum ersten Male 
sahen wir hier die aus Bälgen verschiedener Seevögel (Enten und 
Taucher) gefertigten Vogelpelze im allgemeinen Gebrauch, auch fiel 
uns eine grössere Verwendung von Schmucksachen (es war der einzige 
Ort, an welchem Perlen begehrt wurden) auf; im übrigen glichen 
die Leute den Bewohnern von Riräk, Awdn und Indian Point, deren 
Sprache auch die ihrige war. 

Während des ganzen Sommers unterhalten die Einwohner der 
Lorenz -Insel einen regen Verkehr mit der nur 34 miles entfernten 
südöstlichen Küste der Tschuktschen-Halbinsel. 

Von den Bewohnern derselben erhalten sie Renthierfelle im 
Austausch gegen Ilolzgeräthe, wie Schlitten und Bootgerippe, welche 
sie aus dem Treibholz fertigen, das von dem amerikanischen Fest- 
lande in grosser Menge an ihre Küsten angetrieben wird, während 
die des nahen Festlandes fast gänzlich desselben entbehren. — Von 
den Folgen der grossen Hungersnoth, welche im Winter von 1879 — 1880 
die St. Lorenz-Insel heimgesucht und die Bevölkerung eines ganzen 
Dorfes auf der Nordseite derselben dahiugerafft hat, war in Schiwu- 
kak nichts mehr zu spüren ; wenigstens sahen die, Leute, die an Bord 
gekommen waren, durchaus nicht verhungert oder ärmlich aus. Ans 
Land zu gehen und die Hütten zu besuchen, war uns nicht möglich, 
weil das ungünstige Wetter den Kapitän bewog, schon nach kurzer 
Zeit die Anker zu lichten und nach Indian Point hinüberzusteuern. 
Am folgenden Morgen, 6. Oktober, sahen wir wieder die wohl- 
bekannten Berge der Plover-Bai und St. Markus-Bai vor uns liegen, 
diesmal jedoch mit einem weissen Schneemantel bedeckt; nur das 
niedrige Land und die flache Saudspitze von Indian Point war noch 
schneefrei. Trotz des fortdauernd ungünstigen Wetters, das den 
Schuner mehrfach zum Verlassen seines Ankerplatzes und Hin- und 
Herkreuzen zwang, fanden wir doch noch Gelegenheit zu einem 
näheren Verkehr mit den Eingeborenen. Ein längerer Besuch am 
Lande, sowie eine Ausfahrt in einem ihrer Lederböte zur Jagd auf 
die hier ausserordentlich zahlreichen Enten liessen uns manche neuen 
Beobachtungen und Erwerbungen machen. 

Mehr wie anderwärts fanden wir bei den Bewohnern von Indian 


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Point das Bestreben, durch langes Feilschen für jede Waare eiuen 
höheren Preis zu erzielen. Werden ihnen die begehrten Tausch- 
gegenstände zugestanden, so glauben sie sogleich, zu wenig verlangt 
zu haben, und, beständig eine Uebervortheilung argwöhnend, fordern 
sie mehr und mehr. Gewährt man ihnen das verlangte Beil oder 
Messer, so wollen sie noch ein Stückchen Taback haben, nach dessen 
Bewilligung vielleicht etwas Blei oder einige Zündhütchen, dann ein 
paar Nadeln, Zwirn u. s. w. Bleibt man bei den ersten Abmachungen 
stehen, so wird öfters der ganze Handel wieder rückgängig gemacht 
oder durch ein gleichmüthiges „by and by“ ad calendas graecas 
verschoben. 

Ungern entschlossen sie sich auch, einen grösseren Waaren- 
vorrath auf einmal zu verhandeln; fast immer pflegen sie etwas 
zurückzubehalten, in der Hoffnung, noch eine bessere Gelegenheit 
zum Handel zu finden. — Sonderbarer Weise glauben sie mit einem 
grösseren Schiffe vortheilhafterc Tauschgeschäfte machen zu können, 
als mit einem kleineren. An Bord des „Golden Fleece“ erhielten 
wir schon mehr Angebote, als in unserem kleiuen Boote; aber auch 
Kapitän Jacobson musste zu seinem Aerger noch erfahren, dass sein 
Schuner den Eingeborenen nicht genügend imponire und dass sie 
von den dreimastigen Walfischfängern mehr zu erhalten hofften. 

Taback war auch hier der gangbarste Tauschartikel. Die Be- 
wohner von Indian Point und anderen von amerikanischen Schiffen 
häufiger besuchten Küstenorten handeln grosse Quantitäten desselben 
ein, um dagegen im Winter auf Schlittenreisen nach abgelegeneren 
Orten Fischbein, Walrosszähne, Felle oder Lederstiefel, Pelzstrümpfe 
und Pelzkleider eintauschen zu können. Welche Bedeutung dieser 
Handel erreicht, mag man daraus ersehen, dass der in der grossen 
Jarange Quorrys, des reichsten Mannes von Indian Point, aufgestapelte 
Waarenvorrath, unter dem sich auch Felle einiger amerikanischer 
Pelzthiere befanden, nach massiger Schätzung den Werth von zwanzig- 
tausend Mark überstieg. Wegen theilweiser Ueberlassung desselben 
hatte Quorry bereits mit Kapitän Jacobson bestimmte Abmachungen 
getroffen; doch als gegen Abend das Fischbein an Bord geschafft 
wurde, erklärte er, die See wäre zu hoch, und am folgenden Tage 
liess er durch seinen Unterhändler sagen, dass er wegen Erkrankung 
seines Sohnes überhaupt nicht zu handeln wünsche. 

Einige kleine Diebstähle, deren Opfer wir auf der Loreuz-Insel 
und in Indian Point wurden, Hessen uns kein allzugrosses Vertrauen 
auf die Zuverlässigkeit der Bewohner dieser Orte gewinnen. Auch 
Kapitän Jacobson fand in einem dort eingehandelten Bündel Fischbein 
mehrere eiserne Tonnenreifen, die das Gewicht vermehren sollten. 


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Freilich sind die Eingeborenen auch oft genug von amerikanischen 
Händlern betrogen worden, wenn auch die Mehrzahl der letzteren 
ihren Vortheil in einem ehrlichen Geschäfte sieht. 

Ein zweiter Besuch der Lorenz-Insel w urde durch das schlechte 
Wetter vereitelt. Am 7. Oktober begegneten wir zwischen Lorenz- 
Insel und Indian Point der vom Walfischfang im Eismeer heim- 
kehrenden Bark „Down“. Von dem Kapitän derselben erfuhren wir, 
dass der „Rodgers“ Wrangel-Land umsegelt hätte und dass das Meer 
ungewöhnlich eisfrei gewesen wäre. Die höchste von der „Down“ 
erreichte Breite war angeblich 73V* 0 bei 174° W. Lg. Gr. Für die 
Walfischfänger war die Saison ausserordentlich günstig gewesen, von 
18 Walern waren im Ganzen 194 Walfische gefangen worden, von 
dem Dampfer allein 17. Der Werth dieses Fanges wurde auf etwa 
1 Million Dollars geschätzt. 

Das fortdauernd ungünstige Wetter Hess Kapitän Jacobson die 
von ihm anfänglich ausgesprochene Absicht, noch andere Küsten- 
punkte zu besuchen, nicht ausführen. Am 8. Oktober segelten wir 
an der iu dichten Nebel gehüllten Lorenz-Insel vorbei nach Süden 
zu, passirten am 21. Oktober die Aleuten und langten am 5. November 
nach günstiger Fahrt in San Francisco an. 

Erläuterung zu Tafel III: Karte vom Ost-Kap. Zur Festlegung der wichtigsten 
Punkte wurden Peilungen mit dem Diopter-Kompass vom Lande (Pidlgin und 
Uedlc) aus gemacht. Die Richtung der Küste von Tsclienlükoh bis Nunäguin 
wurde während der vom klarsten Wetter begünstigten Bootfahrt durch Peilungen 
vom Boot aus bestimmt und diese Bestimmungen durch die Profile I — V ergänzt. 
Die Angabe der Entfernung der einzelnen Punkte beruht auf Schätzung der 
Bootsgeschwindigkeit in gemessenen Zeiträumen. 


Die Reise von San Francisco nach Chilkoot. 

Ueber die Reise von San Francisco nach Chilkoot machen wir auf 
Grund der Briefe der Herren Dr. Krause an die Gesellschaft die 
nachstehenden Mittheilungen. 

Nach etwa 14tägigem Aufenthalt in San Francisco schifften sich 
die Herren Dr. Krause in Begleitung unseres bekannten Landsmanns 
Theodor Kirchhoff aus San Francisco auf dem Dampfer nach Port- 
land ein, wo sie am 29. November eintrafen und von dem Präsidenten 
der North West Trading Company, Herrn P. Schultze, eiuem ge- 
borenen Neumärker, auf das Liebenswürdigste empfangen wurden. 
Wie bereits im Jahresberichte mitgetheilt, hatte dieser Herr unseren 
Reisenden das Anerbieten gemacht, sie nach einem der Handelsposten 
der Kompagnie, und zwar nach Chilkoot, am nördlichen Ende des 


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Lynn-Kanals (Alaska) frei zu befördern und ihnen dort eine Station für 
den Winter kostenlos einrichten zu wollen, und war dieses Anerbieten mit 
lebhaftem Dank angenommen worden. Die Kompagnie ist noch eine sehr 
junge Gründung. Sie datirt erst vom Frühjahr 1880 und bezweckt 
die Aufschliessung der natürlichen Hülfsquellen des südwestlichen 
Alaska bis zum Cooks Inlet und Beförderung von Handelsunter- 
nehmungen in Californien, Oregon, Washington Territorium und 
Alaska. Sie hat bis jetzt fünf Handelsposten an verschiedenen 
Punkten der Küste errichtet. Einer derselben ist in Sitka, und der 
nördlichste am Chilkat-Flusse. Auf einem anderen Dampfer schifften 
sich die Reisenden von Portlaud zur Fahrt nach Norden, zunächst 
nach Sitka, ein. 

lieber diese theileu wir folgende Briefauszüge mit: 

Astoria, den 3. Dezember 1881. Man muss wirklich im Kalender 
nachsehen, um zu glauben, dass heute schon der 3. Dezember ist. 
Wir haben während unseres ganzen Aufenthalts in San Francisco, 
sowie auf der Reise nach Portland fortwährend ausgezeichnet mildes 
Wetter gehabt. Diese Zeilen schreibe ich auf freiem Deck, einige 
Meilen von Astoria entfernt. Die steile Spitze des Mount Hood ist 
schon längst nicht mehr sichtbar, dagegen ragt der schneebedeckte 
Dom des Mount St. Helens um so schöner über den dunklen Tannen- 
wald empor. Von Portlaud aus gesehen erscheinen beide Schnee- 
berge wie Riesen gegenüber den nicht unbeträchtlichen Bergen der 
Umgegeud und ist namentlich beim Lichte der Nachmittagssonne der 
Anblick überraschend schön. Die niedrigen Uferberge des Columbia 
und Villamette sind ganz mit Wald bedeckt, nur sehr vereinzelt sieht 
mau eine Lichtung mit einer oder mehreren Farmen, häufig dagegen 
an den Ufern die „canneries“ (die Anstalten zum Lachsfang) nebst 
dazu gehörigen Gebäuden. Einige derselben werden nur während 
der Fangzeit im Sommer bewohnt, andere sind zu festen Ansiedlungen 
geworden; Gewinnung von Holz sowie Jagd auf das zahlreiche Wasser- 
geflügel und Waldhühner giebt den Bewohnern hinreichend lohnende 
Beschäftigung auch während des Winters. 

Portland scheint jetzt nach längerem Stillstand mächtig im 
Aufblühen begriffen zu sein; jetzt macht allerdings noch Manches in 
der Stadt einen sehr ursprünglichen Eindruck. Ein Spaziergang von 
wenigen Minuten führte uns auf die nahen südlichen Höhen in den 
Tannenwald; war es die Erinnerung an die kahlen Höhen des 
Tschuktschcnlandes oder war es der Eindruck des herrlichen klaren 
Wetters, wir mussten uns gestehen, dass wir selten mit so innigem 
Behagen den würzigen Tannenduft cingeathmet hatten, als gerade hier. 
Wild genug sieht es im Walde aus; kreuz und quer liegen die alten 


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Stämme (die oft an der Basis 2 m und darüber messen), während 
das überall dicht emporschiessende Jungholz den Platz der gefallenen 
Riesen einzunehmen bestrebt ist. Wie bei uns ist es auch hier 
hauptsächlich eine Taunenart, welche in geschlossenen Beständen 
auftritt, seltener sind andere Nadelhölzer (darunter eine wohlriechende 
Thuja) oder Laubhölzer. Nur auf den ganz niedrigen Inseln im 
Flusse treten Eichen und Weiden in grösseren Mengen auf. 

Der Verkehr nach Sitka scheint in dieser Jahreszeit sehr gering 
zu sein; die wenigen Passagiere, die ausser uus an Bord sind, wollen 
grösstentheils in Port Townsend oder Victoria aussteigeu und neue 
Passagiere werden wir an diesen Punkten wohl schwerlich auf- 
nehmen. 

An Bord des Dampfers „Eureka“, den 12. Dezember 1881. 
Soeben ist unser Dampfer, nachdem wir während der Nacht eine 
Strecke von etwa 60 Meilen in offener See zurückgelegt haben, in das 
Labyrinth grosser und kleiner Inseln südlich von Sitka (Südwest der 
Baranoff-Insel) eingetreten; in wenigen Stunden können wir im Hafen 
sein. Wir verliessen Astoria, wo wir die Nacht über das Eintreten 
günstiger Flutverhältnisse hatten abwarten müssen, am frühen 
Morgen des 4. Dezember, passirten glücklich die der Mündung des 
Columbia vorgelagerte Sandbarre, von deren Gefährlichkeit nicht blos 
die rings herum sichtbar starke Brandung, sondern auch die Ueber- 
bleibsel von nicht weniger als vier gestrandeten Schiffen hinlänglich 
Zeugniss ablegen. Bei ruhiger See und günstigem Wind fuhren wir 
an der bald niedrigen, bald mässig hohen dicht bewaldeten Küste 
entlang; gegen 10 Uhr Abends passirten wir ebenfalls glücklich das 
übelberüchtigte Kap Flattery. In der Nähe dieses Kaps ist eine 
Indianer-Reservation ; ein junger Kaufmann an Bord unseres Schiffes, 
der schon seit einer Reihe von Jahren mit Genehmigung der Re- 
gierung die einzige Handelsstation in dieser Reservation hat, erzählte 
uns Manches von den dortigen Indianern. Danach sind diese wie 
vielleicht auch alle weiter nördlich an der Küste wohnenden Stämme 
nicht bestimmt, ein Opfer der Civilisation zu werden. Sie wohnen 
in Holzhäusern und tragen die Kleidung des weissen Mannes. Während 
des Frühjahres bis gegen Ende Juni finden die Männer beim Fange 
der Pelzrobbe (Für seal, Calliorhynchus ursinus) eine lohnende Be- 
schäftigung, sie werden mit ihren hölzernen Kanoes (dieselben sind 
aus einem Stamm gehauen) von kleinen Schunern an die geeigneten 
Jagdplätze hingebracht; im Sommer ist die Zeit für den Fang der 
Ilalibuts (Heilbutten) und anderer Seefische hauptsächlich für den 
eigenen Bedarf. Zur Zeit der Ernte gehen sie auf die Farmen, wo ihre 
Dienste, da sie fleissige und kräftige Arbeiter sind, gut bezahlt werden, 


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und zwar meistens schon mit Geld, nicht wie früher mit Waaren. Sie 
sind rege und lernbegierig; ein junger Indianer, der von dem oben- 
erwähnten jungen Kaufmann nach Francisco gebracht worden war, 
hatte mit dem grössten Interesse die Wunder der Civilisation, wie 
Eisenbahnen, verschiedene Fabriken, Druckereien u. s. w. in Augen- 
schein genommen. — Die Kinder lernen in einer Schule die englische 
Sprache, und machen im Lesen und Schreiben gute Fortschritte. 
Von den alten Sitten und Gebräuchen tritt nur an gewissen, wohl 
mit der Jagd und dem Fischfang zusammenhängenden grossen Festen 
etwas hervor; Tänze, Maskeraden (bei denen der Bär eine grosse 
Rolle spielt) sind wahrscheinlich ähnlich denen, die weiter im Norden 
üblich sind. Auch herrscht hier ebenfalls der eigenthümliche Ge- 
brauch des Potlasch: ein reicher Mann versammelt alle Männer 
seines Dorfes oder auch der benachbarten Dörfer an einem bestimm- 
ten Tage um sich und vertheilt die Hälfte oder fast sein ganzes 
Hab und Gut unter sie, wodurch er an Ansehen und Ehre unter 
seinen Landsleuten nicht wenig gewinnt. Er bemüht sich darauf 
durch Fleiss und Sparsamkeit neue Reichthümer zu erwerben, um 
wo möglich noch einmal ein Potlasch abhalten zu können. 

Am frühen Morgen des 5. Dezember erreichten wir PortTownsend. 
Der Ort liegt theilweise auf dem etwa 30 m hohen Uferplateau, tlieil- 
weise auf einer niedrigen, vorgelegten Sandlmrre; jetzt noch sehr 
klein, kaum 5000 Einwohner zählend, hat er, da er einen ausgezeich- 
neten Hafen besitzt, wahrscheinlich eine bedeutende Zukunft. 

Chatham Street, den 14. Dezember 1881. Port Townsend ist mit 
Portland durch zwei Dainpferlinieu und eine Eisenbahn verbunden. 
Der Holzreichthum der Wälder, die Steinkohlen in Seattle und immer 
mehr und mehr die Erzeugnisse der Farmen führen zahlreiche Schiffe 
in seinen Hafen. 

Am Abend des 5. Dezember fuhren wir in den Hafen von 
Victoria ein. Die kleinen mit Tannen bewachsenen Felseninseln, die 
tief einschneidenden Buchten der Bai, die sauberen Holzhäuser geben 
dem Orte beinahe das Ansehen einer schwedischen Hafenstadt. Gegen- 
über unserem Ankerplätze lagen die Iudianerhäuser; die Indianer, 
kleine aber untersetzte Gestalten, sah man in ihren Nussschalen von 
Kanoes ab und zu herüberkommen, um Fische zum Verkauf anzu- 
bieten. Auch hier sind die Indianer verhältnissmässig wohlhabend 
und meistens gut gekleidet; die Kreolen namentlich lieben es unge- 
mein sich herauszuputzeu. 

Die Umgegend von Victoria ist grösstentheils eben, erst weiter 
im Hintergründe sind einige bedeutendere Erhebungen. Selbst inner- 
halb der Stadt treten einige flache Granitkuppen zu Tage, deren 


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Oberflächen deutliche Spuren von Gletscherstreifung (Richtung N.-S.) 
zeigen. Gegen Mittag des 6. Dezember verliessen wir den Hafen 
von Victoria und legten am Abend in Nanaimo an. Während der 
Dampfer am nächsten Morgen von hier nach Departure-Bai, zwei 
bis drei Meilen weiter nördlich, fuhr, um dort Kohlen einzunehmen, 
machten wir einen Spaziergang nach den Kohlenminen und von dort 
zurück zur Bai. Eine gute, nach dem leichten Froste der ver- 
gangenen Nacht auch völlig trockene Strasse führte durch den 
dichten Tannenwald, der uns an einen unserer schönen deutschen 
Gebirgswälder erinnert hätte, wenn nicht die immergrünen Sträucher 
und hin und wieder der californische Madronenbaum (Arbutus Menziesii) 
uus gezeigt hätten, dass das milde Wetter, das wir angetroffen, keine 
Ausnahme während des Winters auf der Vaucouver-Insel bildete. 

Am 7. und 9. Dezember fuhren wir durch oft sehr enge Kanäle 
zwischen den unzähligen Inseln östlich und nördlich von Vancouver- 
Insel hindurch; die Fahrt erinnert ungemein an die durch die 
schwedischen Skären, nur sind die Inseln hier dichter bewaldet als dort. 
Je weiter nördlich wir kamen, desto höher wurden die Berge, desto 
häufiger ragten einzelne nackte Schueekuppen über dem dunklen 
Tannenwald empor. Doch erst kurz vor Wrangel, das wir am Vor- 
mittag des 11. erreichten, hatten wir eine wirklich alpine Landschaft 
vor Augen; auch sahen wir hier zum ersten Male eiue leichte Schnee- 
decke auf dem Grunde. Wrangel selbst ist ein armseliger Flecken; 
nur wenige stattlichere Häuser zeichnen sich vortheilhaft unter den 
unregelmässig hier und dort aufgebauteu Blockhäusern der Miner 
und Trader aus, namentlich das Missionsgebäude, in welchem einige 
30 Iudianermädchen Wohnung, Kost und Unterricht erhalten. Weiter 
südlich scliliesst sich das Indianerdorf an, zu dessen Besichtigung 
wir leider nur wenige Minuten Zeit hatten. Die aus starken Balken 
hergerichteten Blockhäuser mit Thüren und Glasfenstern, die Kleidung 
der Bewohner bezeugen auch hier die beginnende Civilisation ; 
andererseits erinnern mehrere der so ausserordentlich seltsamen 
geschnitzten Holzsäuleu, auf denen verschiedene Thiergestalten in 
höchst barocker Ausführung dargestellt sind (Bär, Adler oder Rabe und 
eine Art Zahnwal der hiesigen Gewässer scheinen als Muster gedient 
zu haben), noch au die vergangenen Zeiten. 

Wrangel hat einige Wichtigkeit als Ausgangspunkt für den 
Verkehr den Stikkinfluss hinauf nach den Goldminen des Cassiare 
in Britisch-Columbia ; sehr schwunghaft wird der Schmuggelhandel 
mit Branntwein, der durch die natürlichen Verhältnisse des Landes 
und die Nähe der britischen Grenze sehr begünstigt wird, betrieben, 

Qeogr. Blätter. Bremen, 188.'. 10 


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)gle 



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und ist die Verhinderung desselben eine der Hauptaufgaben des 
hiesigen Steuerbeamten. 

Am frühen Morgen des 12. Dezember langten wir in Sitka an ; 
der Tag brachte etwas schlechtes Wetter, ein wenig Schnee und 
starken Wind, doch berührte es uns eigenthümlich, wenn alte Be- 
wohner des Ortes uns sagten, dass sie „ein so schlechtes Wetter“ 
in Sitka noch nie erlebt hatten. Die beiden folgenden Tage waren 
günstiger, so dass wir die wunderschöne Lage Sitkas recht würdigen 
konnten. Namentlich von dem alten russischen Fort, der jetzigen 
meteorologischen Station, hat mau einen herrlichen Rundblick; nach 
der einen Seite auf die steil bis 3000' hoch aufragenden Berge, nach 
der andern auf die unzähligen kleineren und grösseren bewaldeten 
Inseln im Hafen, in grösserer Ferne die abgestumpfte Pyramide des 
Mount Fidgecombe. eines erloschenen Vulkans, der auf seiner Spitze 
in dem ehemaligen Krater einen See haben soll. 

Das heutige Sitka ist nicht mehr das, was es unter den Russen 
gewesen ; überall begegnet man Spuren des Verfalls. Des Gouverneurs 
Haus, die hübsche griechische Kirche bedürfen einiger nothwendiger 
Reparaturen. Von den Paltisaden mit den starken, hölzernen Wacht- 
thürmen, welche die eigentliche Stadt von dem Indianerdorf trennten, 
ist nur wenig übrig geblieben. Auch die Bevölkerung hat sich ge- 
ändert; eigentliche Russen sind nur noch sehr wenige in der Stadt, 
dagegen mehr Kreolen und Indianer, die der griechischen Kirche 
angehören. Bekanntlich zahlt die russische Regierung für den Unter- 
halt der griechischen Kirche in Alaska jährlich eine bestimmte Summe 
(ich glaube 50 000 Dollar). Auch wohnt in Sitka ein russischer Priester, 
der erst vor 6 Jahren herübergekommen ist; er erzählte uns, dass 
er im letzten Jahre gegen 70 Indianer getauft hätte, und dass sie 
regelmassig seinen Gottesdieust besuchten; jedenfalls machen die 
Ceremonien der griechischen Kirche einen grösseren Eindruck auf 
ihr Gemüth, als die nüchterne evangelische Predigt. Dagegen suchen 
die evangelischen Missionäre und wie es scheint mit grossem Erfolge 
die Erziehung der Indianerkinder in ihre Hand zu nehmen. Das 
frühere russische Hospital ist jetzt der Sitz der Sitka-Mission ; einige 
dreissig Knaben finden hier Wohnung, Unterhalt und Unterricht. 
Geführt von dem freundlichen Superintendenten, nahmen wir die 
Räumlichkeiten in Augenschein, konnten aber leider dem Unterricht 
nicht beiwohnen ; so lange der Dampfer im Hafen ist, hat Jedermann 
mit Lesen und Schreiben von Briefen und Bergen der empfangenen 
Güter so viel zu thun, dass alles Andere in den Hintergrund treten 
muss. 

ln Sitka ist ein Officier mit einem Detachement Marinesoldaten 


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stationirt. lediglich zur Aufrechthaltung der Polizei unter den Indianern ; 
eigentliche Gefahren von Seiten dieser sind durchaus nicht zu fürchten. 
Der jetzige Kommandant des in den hiesigen Gewässern stationirten 
Kriegsschiffes, der Kapitän Glass, hat die Indianer gezwungen, 
ihre Häuser reinlicher und trockener zu halten ; jedes Haus hat eine 
Nummer, so dass Ordnung leichter aufrecht gehalten werden kann. — 
Die Indianer versorgen die Stadt reichlich mit Holz, Fischen 
und Wildpret (eine kleine Hirschart von der Grösse unseres Dam- 
wildes ist auf der Insel noch sehr häufig) ; durch ihre sehr sauberen 
Schnitz- und Flechtarbeiten, sowie durch Dienstleistungen am Anlege- 
platz und in den Waareuhäusern verdienen sie leicht mehr, als sie 
für sich brauchen. 

Am 14. Dezember verliessen wir Sitka; die Fahrt durch die 
engen Strassen Olga-Strait, Newski-Strait, und Peril-Strait, bot bei 
dem schönen klaren Frostwetter herrliche Blicke auf die immer 
wechselnde Uferlaudschaft. Am Morgen des 15. landeten wir in 
Harrisburgh, einer erst im vergangenen Jahre gegründeten Minerstadt 
(Gold) von grosser Zukunft, die nach Beschluss einer vorgestern 
abgehaltenen Versammlung fortan den stolzen Namen Junocity heissen 
soll. (Sie liegt N.-W. von Admiralty-Insel auf dem Festlande.) 

Gestern haben wir unser Gepäck ans Land geschafft und uns 
nach der weiteren Reisegelegenheit erkundigt. Auch haben wir 
Kommandant Glass gesprochen; unser Dampfer liegt lüngsseit 
des Kriegsschiffes, für das er Kohlen und Proviant mitgebracht hat ; 
mit dem 10 Uhr Boot gehen wir an Land; er will uns einen Brief 
an den Missionar in Chilkoot und einen anderen an die Häupter der 
Chilkat-Indianer mitgeben; leider kann er uns nicht, wie Herr 
Schnitze hoffte, mit der Dampfbarkasse hinaufsenden und werden 
wir deshalb bei dem ersten günstigen Wetter (gestern hatten wir 
starken Schneefall) in einem Kanoe die Reise nach Chilkoot antreten, 
das wir in 4 — 5 Tagen zu erreichen hoffen ; das rückkehrende Boot 
soll Ihnen Nachricht von unserer Ankunft am Orte unserer Be- 
stimmung bringen. 

Chilkoot, den 24. Dezember 1881. Gestern sind wir nach sechs- 
tägiger Bootfahrt hier angelangt. In Harrisburgh blieben wir zwei 
Tage, während deren wir Gelegenheit hatten, das Treiben der Gold- 
sucher, „Miners“, kennen zu lernen. Erst in diesem Jahre sind die 
Minen bearbeitet worden, weun auch Gold hierselbst schon vor 
mehreren Jahren gefunden wurde. Die Minen liegen etwa sechs 
englische Meilen von der Küste entfernt hoch auf den Bergen, die 
hier steil vom Meere aus ansteigen; in diesem Jahre waren die Ein- 
richtungen noch zu unvollkommen uud kostspielig, so dass der Ertrag 

10 * 


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verhältnissraässig unbedeutend war, dagegen erwartet mau von der 
nächsten Campagne reiche Erfolge. Das Gold ist in Quarzbändern 
enthalten, doch sind auch Goldwäschereieu versucht worden. Erst 
vor wenigen Tagen hatte man des starken Schneefalls wegen die 
Arbeit unterbrochen; der Durchuittsertrag soll etwa 5—6 * im Tag 
betragen habeu. — Auch in Alaska sind die Goldsucher die Pioniere 
der Civilisation ; sie durchstreifen das Land nach allen Richtungen 
und es ist nicht blos „auri sacra fames“, was sie antreibt, sondern 
öfters auch wahre Lust au dem unstäten Wanderleben. Da die Ein- 
geborenen im Allgemeinen friedlich sind, so gehen die Goldsucher 
meist uur in kleinen Gesellschaften oder selbst einzeln aus „zu pro- 
specten“, wie sie es nennen. So sind im vergangenen Jahre vier der- 
selben von hier aus zu den Quellen des Jukon gewandert, indem sie 
ihr Gepäck von den Chilkoot-Indianern über das Gebirge haben tragen 
lassen. Eine dreitägige Wanderung führte sie hinüber. Am Jukon 
angelangt bauten sie ein Boot, auf dem sie den Fluss abwärts bis 
nahe Fort Selkirk fuhren. Auf demselben Wege kehrten sie alsdann 
zurück. — Andere sind wieder von Fort Wrangel aus zum Mackenzie- 
huss gewandert, von diesem zum Porcupine und denselben abwärts 
bis zum Jukon, woselbst sie reiche Goldminen gefunden haben sollen. 
Der Jukon und der Copper-River scheinen für die nächste Zeit von 
den Goldsuchern am meisten ins Auge gefasst zu werden. Am 
Copper-River und an der ganzen Küste in der Nähe des Mount Elias 
bis zur Berings-Bai sind nur die Eingeborenen zu unzuverlässig; 
zwei Miner wurden im vergangenen Jahre daselbst ermordet, wie es 
scheint, aus blosser Raubsucht. Das an der Küste von Alaska 
stationirte amerikanische Kriegsschiff besuchte darauf diese Küste, 
der Mörder wurde ausgeliefert und in Portland verurtheilt und hin- 
gerichtet. — Bis jetzt hat Alaska bekanntlich noch keine Verfassung; 
eine solche wird jedoch jetzt beim Kongress für das Land beantragt 
werden. Augenblicklich siud die Zoll- und Militärbehörden die ein- 
zigen Vertreter der Regierung. 

Der Jukon wird im nächsten Frühjahr wahrscheinlich wieder 
vou Goldsuchern befahren werden; mehrfach hörten wir die Absicht 
aussprechen, wieder von hier, Chilkoot, auszugelien, dann aber nicht 
wieder auf demselben Wege zurückzukehren, sondern stromabwärts 
wo möglich bis zur Mündung zu gelangen. Das Land hat auf die 
ersten Besucher einen recht günstigen Eindruck gemacht, doch fauden 
sie nur eine äusserst spärliche Bevölkerung. 

In Harrisburgh sind jetzt gegen 40 kleine Bretter- oder Block- 
häuser vorhanden, doch w ird im nächsten Jahre deren Zahl sicherlich 
zunelunen. In Folge der Ansiedlung der Weissen ist auch ein 



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Indianerdorf in nächster Nähe, nur durch einen kleinen Hügel vom 
Orte getrennt, entstanden. Von verschiedenen Gegenden sind diese 
Indianer zusammengeströmt, von Sitka, Wrangel, Auk, Chilkat, 
Chilkoot und anderen Niederlassungen des Thlingit-Stammes. Diese 
Indianer weichen nicht vor den Weissen, sie suchen sie vielmehr auf 
und treten in lebhaften Verkehr mit denselben. Jedoch hat bis jetzt 
die englische Sprache unter ihnen noch sehr wenig Eingang gefunden, 
Händler und Miner dagegen sprechen mehr oder minder geläufig die 
Sprache der Eingeborenen, die sie sich um so leichter angeeignet 
haben, als viele von ihnen mit indianischen Frauen leben, welche sie 
nach Landessitte durch Kauf erworben haben (50 $ soll der gewöhn- 
liche Preis sein). Auch ^Chenook“, die Handelssprache der alten 
Hudson Bai Company, welche weiter im Süden noch im allgemeinen 
Gebrauch ist, wird hier nur von Wenigen verstanden. 

Wir hatten beabsichtigt, von Harrisburgh in einem Kanoe mit 
Indianern die Fahrt hierher zu machen; doch stellten die Leute 
zu hohe Preise, so dass wir lieber das Anerbieten eines Miners, uns 
mit Hülfe von zwei Indianern in einem Boote zu befördern, an- 
nahmen. Damit gingen wir auch der Gefahr ans dem Wege, dass 
die Indianer durch Streikversuche einen höheren Lohn erzwangen 
und die Fahrt verzögerten. — Am 18. Dezember brachen wir denn 
auf, im Ganzen sechs Personen, da der Miner noch seine Indianer- 
frau mitgenommen hatte. Die Säumigkeit der beiden Indianer ver- 
ursachte eine kleine Verzögerung, die uns insofern theuer zu stehen 
kam, als wir nun auf einer sechs englische Meilen von Harrisburgh 
entfernten Sandbarre, die nur zur Flutzeit passirbar ist, stecken 
blieben. Auf einer kleinen Insel kampirten wir die erste Nacht und, 
da der folgende Tag zu stürmisch war, auch die zweite. Da wir 
eine Bootfahrt Anfangs nicht in Aussicht genommen hatten, so hatten 
wir uns mit Zelt u. A. nicht vorgeseheu, und ein ausgebreitetes Segel 
schützte uns nur ungenügend gegen die Nässe und Feuchtigkeit von 
oben und unten; dagegen konnten wir uus eines guten Lagerfeuers, 
das wir im Tscbuktschenlande hatten entbehren müssen, erfreuen; 
Holz gab es überall in Fülle. — Auch die Miner pflegen sich bei 
ihren Wanderungen keines Zeltes zu bedienen, sondern einer gegen 
den Wind schräg ausgespannten Leinwand, vor der ein mächtiges 
Feuer unterhalten wird. 

Am dritten Tage kamen wir mit einsetzender Flut von der 
Barre los und fuhren dann an zwei schönen, jetzt mit Schnee be- 
deckten Gletschern vorbei mit grösstentheils günstigem Winde bis in 
den Lynnkanal hinein, woselbst nns die bald einbrechende Dunkel- 
heit, sowie der Bruch des zu schwachen Segelbaumes zur baldigen 


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Landung zwang. Am folgenden Tage legten wir des starken, widrigen 
Windes wegen nur eine ganz kurze Strecke, bis Berners Bai zurück, 
von dort aus hatten wir mit günstigem Winde noch zwei weitere 
Tagereisen zu machen, bis wir am 23. Abends, nach sechstägiger 
Bootfahrt, Chilkoot erreichten. Der letzte Tag bot uns den schönsten 
Anblick der prachtvollen Gebirgslandschaft, die der Lynnkanal durch- 
schneidet; in den tiefen Thalschluchten sieht man Gletscher bis hart 
an den Meeresstrand herunterfliessen ; steil auf ragen die schnee- 
bedeckten Berge mit bald schroffen, bald regelmässig kegelförmigen 
oder abgerundeten Gipfeln. Dichter Nadelholzwald bedeckt die Ab- 
hänge, nur hin und wieder hat eine Schneelawine eine Lichtung 
verursacht. 

In Chilkoot trafen wir ganz unerwartet ein, doch wurde uns 
bald in dem Waarenhause der Company von dem Händler Dickinson 
ein ausreichender Raum zur Verfügung gestellt. Den gestrigen sowie 
den heutigen Tag hatten wir mit dem Auspacken und Trocknen 
unseres Gepäcks zu thun. Gestern Abend wohnten wir der Weih- 
nachtsfeier im Hause des Missionärs bei. Etwa 60 Kinder, Knaben 
und Mädchen, waren daselbst versammelt; eine Anzahl Erwachsener, 
unter ihnen der Häuptling, Dau-a-wauk, waren gleichfalls anwesend. 
Die Frau des Händlers, Mrs. Dickinson, eine in einer Missionsschule 
unterrichtete Indianerin, ist Dolmetscherin und Lehrerin der Kinder. 
Die letzteren lernen englisch lesen, dann den kleinen Katechismus 
in englischer und in ihrer Muttersprache, ferner einige geistliche 
Lieder, die sie mit etwas rauher Stimme, doch in leidlichem Ein- 
klang sangen. Mit mehr Lust sangen sie freilich ihren nationalen 
Rndergesang, in den auch die Alten kräftig einstimmten. Unter den 
Kindern sieht man einige ganz intelligent aussehende Gesichter und 
das Fassungsvermögen derselben soll auch in der That mitunter 
ganz bedeutend sein. Da ist es denn wirklich zu bedauern, dass die 
Erziehung der Kinder in so verkehrter Weise begonnen wird; dass 
sie mit Dingen, die sie nicht verstehen können, geplagt werden, 
statt dass ihnen gelehrt wird, wie sie sich durch Benutzung der 
Hülfsquellen des Landes eines menschenwürdigeren Daseins erfreuen 
könnten. Viehzucht und in beschränkterem Maasse auch Ackerbau 
könnte hier ganz gut betrieben werden; in Harrisburgh sahen wir 
bereits ein Kartoffelfeld, das die Indianer bestellt hatten. Der Fisch- 
reichthum der Meeresstrassen könnte in ähnlicher Weise wie in Nor- 
wegen ausgenutzt werden und sicher sind auch noch viele Mineral- 
schätze zu heben. 

Auch hier hat die Errichtung der Handelsfaktorei die Bildung 
einer Indianemiederlassuug veranlasst, in neun Häusern leben gegen 


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200 Personen; theils von Chilkat, theils von Chilkoot sind sie hierher 
übergesiedelt. In früheren Jahren waren diese Indianer wenig freund- 
lich gesinnt, jetzt haben sie von der Macht des weissen Mannes eine 
bessere Vorstellung bekommen. Besonderen Eindruck hat auf sie das 
Erscheinen des amerikanischen Kriegsschiffes gemacht, besonders die 
Wirkung der schweren Marinegeschütze, welche Kapitän Glass erproben 
Hess, da die Eingeborenen die Brauchbarkeit derselben bezweifeln wollten. 
Kapitän Glass gilt denn auch hier zu Laude mehr als die Regierung 
zu Washington und ein Schreiben an die Häuptlinge der Chilkats 
und Chilkoots, das er uns übergab, und in dem sie mit dem Zweck 
unserer Reise bekannt gemacht und aufgefordert werden, unseren 
Bestrebungen keine Hindernisse in den Weg zu legen, ist uns sonach 
von nicht geringem Werthe. Unsere Wirthin hat es bereits Dau-a-wauk 
verdolmetscht und genügend erläutert. 

Während unserer Fahrt hierher hatten wir meist gelinde 
Witteruug, die Temperatur war wenig über oder unter dem Gefrier- 
punkt. Sehr viel Schnee ist in diesem Jahre gefallen; er liegt 
4 — 5 Fuss hoch. Wenn wir grössere Exkursionen und Jagdausflüge 
unternehmen wollen, müssen wir uns der Schneeschuhe bedienen; 
nur am Strande ist während der Ebbezeit ein schneefreier Weg zu 
finden. — Zahlreiche Entenschaaren beleben jetzt die Gewässer; die 
Fauna und auch die Flora wird uns selbst in der Winterzeit genug 
Beschäftigung gewähren. 

Chilkoot, den 2. Januar 1882. Das ungünstige Wetter, zuerst 
beständige Südwinde, später allzustarke Nordwinde, haben den Mann, 
der uns hierher befördert hat, bis jetzt noch immer von der Rück- 
kehr abgehalten. Ich kann Ihnen also noch unsere weiteren Erleb- 
nisse bis zu dem obigen Datum berichten. Viel ist freilich nicht zu 
erzählen; täglich machen wir bei gutem oder schlechtem Wetter 
Ausflüge, die meisten nach Nord und Süd den Strand entlang, da 
dort während der Ebbezeit (die Differenz zwischen Flut und Ebbe 
beträgt einige zwanzig Fuss, doch haben wir genaue Messungen noch 
nicht angestellt) ein mehr oder minder breiter schneefreier Raum zu 
finden ist. Freilich machen die stark zerklüfteten Felsen eines horn- 
blendereichen vulkanischen Gesteins, welche mitunter steil in das 
Meer abfallen, auch hier das Gehen beschwerlich genug. Wenige 
Tage hindurch war auch der Fusspfad, der von hier aus nach der 
Chilkatseite hinüberführt, gangbar, da der Schnee durch den Frost 
hart geworden war. Zahlreiche Eisblöcke sahen wir dort am Ufer 
gestrandet, welche wohl grösstentheils von dem bis in das Meer 
reichenden Davidsongletscher herrühren mochten. Den Gletscher 
selbst, den wir bereits während der Fahrt hierher lange Zeit vor 


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Augen gehabt hatten, konnte man wenigstens in seinem unteren 
Ende schön übersehen. 

Gestern waren endlich die längst begehrten Schneeschuhe und 
Mokassins fertiggestellt worden, so dass sich auch ein Gang abseits 
von diesen beiden Wegen, über den mannshohen Schnee quer durch 
den Wald machen Hess. Ich fand das Gehen mit den hier und auch 
weiterhin im Norden üblichen Schneeschuhen durchaus nicht be- 
schwerlich; in der That hat man auch keine andere Gangart als die 
gewöhnliche anzuwenden und nur bei Wendungen und beim Passiren 
stark geneigter Schneedecken ist einige Vorsicht oder Uebung er- 
forderlich. Für unsere Zwecke genügen auch kleinere Schneeschuhe, 
von 17* m Länge und 3 dm Breite; auf weiteren Touren, namentlich 
über das Gebirge nach dem Innern zu werden dieselben in weit 
grösseren Dimensionen gebraucht. 

Mit Schneeschuhen bewegt man sich jetzt in dem dichten Nadel- 
holzwalde, der das ganze Land bedeckt, sicher leichter, als zur 
Sommerzeit. Denn dann muss durch die zahlreichen kreuz und quer 
liegenden Baumstämme, die alle Augenblicke mühsam überklettert 
werden müssen, sowie durch das dichte, zum Theil dornige Unter- 
holz ein Durchdringen ausserordentlich erschwert werden; jetzt 
schreitet man über all diese Hindernisse hinweg, nur das grössere 
Gesträuch ragt uoch mit seinen Spitzen aus der dicken Schnee- 
decke hervor. 

Bei unseren Wanderungen am Strande und durch den Wald 
richten wir jetzt unser Hauptaugenmerk auf die Ornis, die aller- 
dings nicht grade reich, namentlich nicht an Individuen genannt 
werden kann, die uns aber doch fast jeden Tag noch neue Species 
geliefert hat. 

Zu einem Verkehr mit den Indianern haben wir hier im Hause 
die beste Gelegenheit; die Wirthin, eine Indianerin, die in der 
Missionsanstalt in Fort Simpson erzogen worden ist, spricht die 
Thlingit- oder Klingit-Sprache geläufig und ist auch des Englischen 
soweit mächtig, dass sie unsere Lehrmeisterin für das Studium der 
Indianersprache abgeben kann. Sie hat auch bis jetzt die Kinder 
des Ortes unterrichtet und mit mehr Geschick und Verständniss, als 
wir es von dem Missionär, der jetzt den Unterricht wieder über- 
nommen hat, nach einigen vernommenen Proben erwarten dürfen. — 
Die englische Sprache hat bisher hier noch ausserordentlich wenig 
Eingang gefunden; wir würden hier grössere Schwierigkeiten finden, 
als in der Beringsstrasse, wenn wir einen Dolmetscher unter der 
einheimischen Bevölkerung suchen sollten. 


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Sylvester wurde hier durch eine Aufführung indianischer Tänze 
im Schulhause gefeiert. Die Tänze, an denen auch Frauen und 
Kinder Tlieil nehmen, bestehen in rythmischen Bewegungen des 
ganzen Körpers, wozu mit der Pauke der Takt angegeben und eine 
eigenthümliche und nicht unschöne Weise angestimmt wird, in welche 
die gesammte indianische Zuhörerschaft mit. Lebhaftigkeit einstimmt. 
Die Gesichter der Tänzer sind mit rothen und blauen Farben bemalt 
oder auch durch bemalte Ilolzmasken verhüllt. Man führte zunächst 
zwei Heida-(Hydah-)tänze auf, dann einen Tanz der Stickin-Indianer, 
wie die jenseits der Berge im Innern wohnenden Nomadenstämme 
genannt werden, mit denen die Thlingits im freundschaftlichsten Ver- 
kehre stehen, nur dass sie ihnen nicht erlauben, unmittelbar mit den 
Weissen zu unterhandeln, sondern den Zwischenhandel als ein Monopol 
für sich reserviren. Zuletzt ergötzte man die Zuhörerschaft durch 
Nachahmung der Bundtänze der Weissen, welche letztere, vielleicht 
aus Rücksicht auf die Gegenwart weisser Leute, durch Schwarze 
repräseutirt waren. Man musste gestehen, dass die indianischen 
Zuhörer wohl berechtigt waren, unsere Rundtänze, selbst wenn sie 
nicht so parodirt worden wären, lächerlich zu finden, einen besonders 
ausgebildeten ästhetischen Geschmack wird man in ihnen schwerlich 
erkennen können. 

Einige Stickin-Indianer halten sich hier noch augenblicklich auf, 
andere, die vor wenigen Tagen hier anwesend waren, sind mit 
Benutzung des neu eingetretenen Frostes, der den Schnee wieder 
fest gemacht hat, zurückgekehrt. Diese Indianer gehören einem 
durchaus fremden- Volksstamme an, ihre Sprache ist von der der 
Thlingits ganz abweichend und wird nur von wenigen hierselbst, 
welche längere Zeit unter ihnen gelebt haben, verstanden. Sie 
schmücken sich durch Federn, die sie in die Haare und durch die 
durchbohrte Nasenscheidewand stecken. Ihre Physiognomien machen 
einen recht günstigen Eindruck. Unter den Chilkats und Chilkoots 
sieht man hohe, kräftige Gestalten nicht grade selten. Die Leute 
sind gegen die Unbillen der Witterung sehr abgehärtet, die meisten 
gehen auch in dieser Jahreszeit barfuss. Eine eigenthümliche Methode 
der Abhärtung ist bei ihnen üblich : am frühen Morgen gehen sie 
an den Meeresstrand und peitschen gegenseitig ihren entblössten 
Oberkörper mit Erlenruthen. 


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Ein Besuch auf Timor. 

Von Th. Stader.*) 

Am 27, Mai 1875 verlies» die „Gazelle“ die Rhede von Kupang, 
um ,der Nordwestküste Timors längssegelnd vor dem Verlassen 
Timors noch die Niederlassung Atapupu an der Nordküste anzulaufen. 
Während der Fahrt wurde in 8° 48' S. B. eine Tieflothung vor- 
genommen, welche hier, nicht weit von der Nordwest-Küste Timors, 
die grosse Tiefe von 2055 Faden (3758 m) ergab. Der Grund bestand 
aus fein zertheiltem Gesteinsmaterial von schwarzgrüner Farbe mit 
Diatomeen gemengt. Die Strassen zwischen Timor und den anderen 
kleinen Suudainseln Oinbai, Pulo lambing besitzen Tiefen von 500 
bis 1000 Faden, während nördlich davon sogleich wieder Wasser- 
tiefen von 2320 Faden (4243 m) auftreten. Es ergaben diese 
Lothungen, dass Timor nur durch eine schmale Brücke seichteren 
Wassers mit der Gruppe der übrigen Sundainseln zusammenhängt. 

Schon am nächsten Tage ankerte die „Gazelle“ auf der Rhede 
von Atapupu, nahe dem Aussenrande eines Korallenriffes, welches 
hier die Küste umsäumt. Nur ein schmaler Kanal führt durch das 
Riff, an dem sich die Wellen brechen, hindurch dem Lande zu. 
Atapupu, welches zum Reiche Jnnilo gehört, liegt im Gebiete des 
östlichen grossen Ilauptstammes der Timoresischeu Bevölkerung, 
der Belonesen, welche das portugiesische Timor und den östlichen 
Theil des niederländischen Gebietes bewohnen. Dieser Stamm scheint 
sich frühe von dem westlichen der Toll Timor abgesondert zu haben, 
denn seine Angehörigen sprechen einen von dem der westlichen 
Stämme verschiedenen Sprachdialekt. Doch stimmen sie in Lebens- 
gewohnheiten und äusserem Aussehen mit den Westtimoresen überein. 
Das Dorf Atapupu selbst ist ein niederländischer Regierungsposten, 
an welchem ein Beamter, der sogenannte Postenhalter, stationirt 
ist, welcher eine Anzahl malayischer Polizeisoldaten zur Verfügung 
hat. Daneben wohnen hier fast lauter chinesische Handelsleute. 
An dieser Küste erheben sich die Berge als steil abfallende Höhen- 
rücken gleich vom Strande an, der höchsteus ein schmales, mit 
Gebüsch und einigen Kokospalmen bewachsenes Vorland bildet. 
Diese Höhenzüge besteheu aus Serpentin- und Serpentiukonglomerat, 
auf dem nur eine spärliche Vegetation wächst. Gelbgebrannte 
Wiesen von Alang-Alang-Gras überziehen die Hügelflächen und 
vereinzelte Eucalypten und Akazien sind nicht im Staude, 

*) Den ersten Artikel s. Jahrgang II. dieser Zeitschrift S. 230 u. ff., den 
zweiten s. Band V., Heft 1 derselben S. 35 u. ff. 


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den Eindruck einer unfruchtbaren Trockenheit zu mildern. Aber 
mitunter ist diese Hügelreihe von einem bewässerten Querthale 
durchbrochen oder von einer Schlucht zerrissen, durch welche ein 
klares Bergwasser zur Tiefe eilt und hier ruft nun die belebende 
Feuchtigkeit den ganzen Reichthum einer Tropenvegetation hervor. 
So fliesst einige Meilen westlich von Atapupu das Flüsschen Sume 
oder Bernuli durch ein breites Querthal dem Meere zu und zaubert in 
seinem Bereiche üppiges Grün hervor, zwischen dem sich die Hütten 
des gleichnamigen Dorfes bergen. Ein Bach, der sich durch eine 
breite Schlucht nach dem Meere ergiesst, hat die Umgebung von 
Atapupu zu einem üppig grünen Thal mitten zwischen öden, gras- 
bewachsenen Berghalden umgestaltet. 

Die Schlucht von Atapupu, welche die Serpeutinlüigelkette 
der Küste durchbricht, wird durch eine eigenthiimliche Felsbildung 
nach Süden abgeschlossen. Dieselbe stellt zwei hohe Pfeiler dar, 
welche eine schmale thorartige Lücke zwischen sich lassen. Sie 
heissen Batu Gadoah, die Thorfelseu, und bilden eine weit von See 
aus sichtbare Landmarke für die Atapupu ansegelnden Schiffe. Diese 
Felsen bestehen nicht mehr aus Serpentin, sondern aus einem neueren 
vulkanischen Konglomerat von Trachyt, das sich südlich an die 
Serpentinhügel der Küste anlehnt und die dahinter liegenden Schichten 
von Kalk und Sandstein durchbrochen hat. 

Die Schlucht durchströmt mit raschem Gefälle ein klarer Berg- 
bach, mannigfaltige kleine Kaskaden und wieder ruhige Weiher bildend, 
bis er, tiefer gelangt, zwischen den in Gärten versteckten Hütten 
von Atapupu ruhiger dahinfliesst, um sich endlich in eine kleine von 
Mangrovenvegetation umsäumte Bai zu ergiessen. Der steilere Theil 
der Schlucht ist bewaldet. Hier wachsen Bambus, Sandelholzbäume, 
Ficus und Arecapalmen, Cycadeen und Farrcn breiten ihre Wedel 
im Schatten der Baumkronen aus, deren Stämme von Fai ren, Orchideen 
und Rotaug überwuchert und umschlungen werden, während sich am 
Boden ein schwellender Teppich von zierlichen Selaginellen ansbreitet. 
Tiefer ziehen sich dem thalartigen Ende der Schlucht entlang die 
freundlichen Häuser des Dorfes, meist saubere, geräumige Hütten, 
von Obstbäumen und Bananenpflanzungen umgeben. 

Der grösste Theil der Bewohner des Dorfes besteht aus Chinesen, 
welche den Sandelholzhandel nach aussen und den Binnenhandel nach 
innen vermitteln. Erst am Strande, an dem sich ein weisser Obelisk 
aus Kalkstein, zum Andenken an einen, einst im Kampfe mit den 
Eingeborenen gefallenen niederländischen Seeoffizier erhebt, steht das 
geräumige Haus des niederländischen Postenhalters mit seiner 
Flaggenstange und die Kaserne für die kleine Garnison malayischer 


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Polizeisoldaten, welche die niederländische Macht aufrecht erhalten 
sollen gegen die wilden Stämme des Landes. 

Schweift man über das bewässerte Thal hinaus und steigt aus 
der Schlucht nach Westen auf den in das Innere führenden Pass 
des Busainuti, so tritt man sogleich wieder auf den trockenen, aus- 
gedörrten Serpentinboden, der nur spärliches Gesträuch und steifes 
Alanggras hervorbringt. 

Atapupu besitzt einen Hafen, dessen Schutz das etwa eine halbe 
Seemeile vor der Küste liegende Korallenriff bildet. Dieses Riff 
steigt als senkrechte Mauer aus 40 Faden auf, um sich bis nahe in 
das Meeresniveau zu erheben, so dass die Wellen sich an seinem 
Scheitel brechen. Nach dem Lande zu fällt es auf 10 Faden ab. 
Innerhalb des Riffes, das von einem tiefen Kanal, gegenüber der 
Einmündung des Atapupubaches durchbrochen wird, können Schiffe 
sicher auf schlammigem Grunde ankern, doch nur wenige, denn eine 
bankartige Fortsetzung des Riffes füllt einen Theil des Hafens aus. 
Die „Gazelle“ ankerte ausserhalb des Hafens auf 40 Faden, was nur 
bei der ruhigen See, die jetzt zur Zeit des Ostmonsuns herrschte, 
möglich war. 

Bei Saum- und Lagunenriffen ist das Vorhandensein eines 
Kanals gegenüber der Ausmündung eines Flusses oder Baches fast 
Regel zu nennen. Wir haben eine solche Unterbrechung in der 
Kontinuität des Riffes weniger der gegen das Riff gerichteten Strömung 
des Wasserlaufes selbst oder angetriebenem süssen Wasser zuzu- 
schreiben. als vielmehr den Unreinigkeiten von Schlamm und Moder, 
welche die Strömung gegen das Riff treibt. Solche Unreinigkeiten 
hindern das Korallenwachsthum; dass aber der Atapupubach korallen- 
feindliche Stoffe mit sich führt, beweist der Grund des Hafens, welcher 
aus schwarzem modrigen Schlamm, Blättern und Steingeröllen besteht. 

Die Gegend von Atapupu, wie das ganze Reich Junilo wurden 
vielfach nach Kupfererzen durchsucht. Kupfer findet sich ja in ver- 
schiedenen Theilen von Timor und da gewöhnlich Kupfererze, wo 
sie an die Oberfläche kommen, sich leicht mit grünem Anfluge über- 
ziehen, so kommt bald jeder grüne Stein in Verdacht, kupferhaltig 
zu sein. Der grüne Serpentin von Atapupu mochte diesen Verdacht 
besonders rege machen und so wurde denn bald an verschiedenen 
Orten, meist im Serpentin, nach Kupfer geschürft, freilich mit geringem 
Erfolg. Im Jahre 1872 wurde nun die Gegend von dem nieder- 
ländischen Mineningenieur Jonker geologisch untersucht und nament- 
lich die angeblichen Kupferminen einer genaueren Prüfung unter- 
worfen. Sein Bericht ist niedergelegt in dem „Jaarboek van het 
Mijnwezen in Nederlandsch Ost Indie“, 2. Jahrgang. 1. Theil 1873. 


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17 Kupferfundorte wurden Jonker im Reiche Junilo angegeben, 
von diesen waren 5 nicht aufzufinden. An den übrigen Plätzen fanden 
sich höchstens Spuren von Kupfer in Aufiügen von Malachit oder 
Kupferlasur auf Eisenerzen, welche als Nester sich im Serpentin vor- 
fanden. An einer Stelle am Rai Arra, westlich von Atapupu, zeigte 
sich in Sandstein eine Quarzader, welche Anfiüge von Kupfer ent- 
hielt. Weitere Nachgrabungen förderten Nichts zu Tage. An anderen 
Stellen bestanden die sogenannten Kupfererze einfach aus Serpentin. 
Aus allem diesem geht hervor, dass das Reich Junilo keine Aussicht 
auf Kupfergewinnung bietet. Selbst für den Fall, dass sich noch in 
Zukunft grössere Kupferlager zeigen sollten, stellt Jonker für die 
Möglichkeit eines regelrechten Abbaues nur eine schlechte Prognose, 
da Holz zur Schachtzimmerung vielfach fehlt, das Wusser selten ist 
und die Wege für Erztransporte nicht praktikabel sind. 

Etwas mehr Aussichten bietet, das Reich Ilarueno, das sich 
westlich von Junilo längs der Küste erstreckt. Hier findet man bei 
Niti einen lehmigen Kalk, in welchem Knollen von Rothkupfererz 
und gediegen Kupfer Vorkommen, ganz ähnlich wie wir es bei Oisu 
kennen gelernt haben. Endlich finden wir noch reiche Lager von 
kupferführendem Thon südlich von Junilo im Reiche Fialarang, wo 
in der Ebene von Weyluli das Erz in Knollen im Thon wirklich 
abbauwürdig ist und auf dem Wege des Ausschiemmens gewonnen 
werden kann. Grossartige Erfolge sind aber hier so wenig zu er- 
warten, wie im portugiesischen Gebiete Timors, das von Mr. Geach 
zwei Jahre lang erfolglos auf Kupfererze untersucht wurde. Für 
die bescheidenen Ansprüche der Eingeborenen werden freilich die 
vereinzelten Fundorte von gediegenem Kupfer lauge genügen. 

Kehren wir nach dieser bergmännischen Exkursion, zu welcher 
uns der Bericht von Jonker verführt hat, zum Besuch der „Gazelle“ 
in jener Gegend zurück. Der einzige volle Tag, den die „Gazelle“ 
hier ankerte, sollte möglichst zur Kenntniss eines Theils des Innern 
ausgenützt werden. Kapitän von Schleinitz organisirte daher eine 
kleine Expedition nach einem, eine halbe Tagereise im Innern ent- 
fernten Hügel, dem Sukabularan, welchen zu erreichen man die 
Küstenhügelreihe, die alle Aussicht auf das Innere abschloss, über- 
schreiten musste. Am Morgen des Tages nach unserer Ankunft 
brachen der Kapitän, einige Officiere und der Verfasser zu Pferde 
von Atapupu auf, um an diesem Tage möglichst Viel und Lehrreiches 
noch aus diesem Lande mitzunehmen. Als Führer wurde uns ein 
malayischer Polizeisoldat mitgegeben, der, mit einer Perkussionsflinte 
bewaffnet, an der Spitze des Zuges ritt. Den Schluss bildete ein 
wackerer Chinese, welcher unsere Pferde geliefert hatte und es vor- 


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zog dieselben zu begleiten, anstatt in Angst vor den bösen tiraore- 
sischen Pferdedieben unsere Heimkehr zu Hause zu erwarten. Er 
ritt einen etwas kapriciösen Maulesel, welcher sich nichts daraus 
machte, seinen Reiter zuweilen abzuwerfen, um den Pferden leichter 
folgen zu können. 

Der Weg führte zunächst die bewaldete Schlucht hinauf, erst 
auf sanft ansteigendem Pfade durch das Dorf, dann durch den Wald 
auf steilen Zickzackwindungen des Weges, welche zu Fass zurück- 
gelegt werden mussten, um den Pferden das Steigen zu erleichtern. 
Trotz der schönen Vegetation und des klaren Baches zur Seite, 
erpresste dieser Anstieg schon manchen Schweisstropfen. Nach etwa 
einer Stunde wandte sich der Weg nach rechts und führte aus der 
üppigen Waldvegetation der Schlucht direkt auf eine Depression der 
Küstenhügelkette, den Pass von Waihcda. Hier wirkte die belebende 
Feuchtigkeit nicht mehr, nur Gras sprosste auf der dünnen Humus- 
schicht, aus welcher überall Gerolle und Klippen von Serpentin her- 
vorragten. Hin und wieder erhob sich auf dem breiten Hügelrücken 
ein schattenloser Euealyptusstamm oder eine feiublütterige Akacie. 
Während unten im Walde zahlreiche Vögel, blauschimmernde Eis- 
vögel, Papageien und zierliche Fliegenschnäpper die Natur belebten, 
störte hier höchstens der Fuss eine kleine Wachtel auf. die mit 
schwirrendem Laut nach einigen Flügelschlägen wieder in das dürre 
Gras einfiel, wohl wissend, dass ihr unscheinbar erdfarbenes Gewand 
sie den Blicken der Verfolger entzog. 

Die Aussicht von der Passhöhe nach Süden zeigte wellige Hügel- 
ketten, die, im Allgemeinen von Nordost nach Südwest verlaufend, 
breite Thäler zwischen sich Hessen; zunächst vor uns lag die von 
einem breiten Querthal durchzogene Ivette des Rai Arra, dahinter 
der breite Rücken des etwas über 800 Fuss hohen Sukabularan. Nur 
aus den Thälern schimmerte das Grün der Gawangpalmen herauf, 
welche seichte Wasserläufe säumten; die höheren Rücken zeigten nur 
die trockenen Alangwiesen. Der Beruuli oder Sume, welcher, durch 
ein breites Thal, das die Küstenhügelkette durchbricht, einige Meilen 
westlich von Atapupu in das Meer sich ergiesst, bildet sich aus zwei 
Flüsschen, welche sich am Rai Arra vereinigen. Das eine entspringt 
am Wai Nita, unter der Passhöhe, auf der wir uns befanden, und 
fliesst nach Westen in einem breiten Thale parallel der Küstenhügel- 
kette, das andere kommt von Süden, aus der Gegend des Sukabularan, 
und bildet ein breites Querthal, welches die Hügelreihe des Rai 
Arra durchbricht, beide vereint strömen dann unter mannigfachen 
Windungen dem Meere zu. Um unser Ziel zu erreichen, brauchten 
wir nur dem ersten Flussthal entlang nach Westen und dann dem 


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zweiten entgegen nach Süden zu reiten, um schliesslich auf dem 
Rückwege das Thal wieder in nördlicher Richtung zurück zu ver- 
folgen und eudlich mit dem Sume ans Meer zu gelangen. 

Auf steilem Pfade abwärts steigend war bald das Thal erreicht 
und im Schatten von Bambus und Gawaugpalmen ging es auf Kies- 
boden rascheren Trabes in westlicher Richtung vorwärts. Freilich 
musste man während des Dahintrabens häufig der unsanften Be- 
rührung der tiefhängenden Bambuswedel ausweichen, deren scharfe 
Dornen Gesicht und Kleider bedrohten und unser Chinese war ge- 
nöthigt, seinen langen Zopf, der sonst stolz im Nacken hing, um den 
Kopf zu winden, um nicht das Schicksal Absalons zu riskiren. Die 
Gerolle, welche der Bach mit sich führte, bestanden theils aus Ser- 
pentin, theils aus Sandstein, und letzteres Gestein brachten auch die 
aus den nächsten südöstlichen Hügelreihen herkommenden Zuflüsse. 

Nach einer Stunde Weges wurde die Gawangniederuug ver- 
lassen und die südliche Richtung eingeschlagen. Ueber hügeliges, 
mit Alanggras bewachsenes Terrain führte jetzt der Weg; rechts 
von uns im Westen erhoben sich die welligen Bergformen des Rai 
Arra, vor uns der breite Rücken des Sukabularan. Die Grasfluren 
waren zum Theil durch Feuer verbrannt, an einigen Stellen erhoben 
sich zwischen der Asche schon wieder die jungen Gräschen. Das 
Abbrennen der Alangwiesen wird von den Eingeborenen häufig aus- 
geübt, um frisches Weideland für ihre Pferde und Büffel zu gewinnen. 

Gegen Mittag langten wir am Fusse des grasigen, sanft an- 
steigenden Rückens des Sukabularan an. Ein grosser, schattiger 
Baum lud zur Rast ein. Es wurde abgesattelt, die Pferde wurden 
festgemacht und unter dem Schutz unserer Begleiter gelassen, 
während wir über holperiges, steiniges Terrain, durch das scharfe 
Gras schreitend, den Gipfel des Berges zu erreichen suchten. Trotz 
der geringen Höhe war doch diese Besteigung unter der jetzt senk- 
recht stehenden Sonne eine mühsame Sache und wir waren froh, 
nach etwa einer Stunde den Kamm zu erreichen, wo wenigstens 
der hier frei strömende Passat etwas die heisse Stirn kühlte. Der 
Gipfel stellt eigentlich einen breiten Rücken dar, der sich in west- 
östlicher Richtung hinzieht, eine etwas höhere Erhebung desselben 
ist von mächtigen Steinblöckeu gekrönt , welche wie künstlich 
geordnet umherliegen und aus einem feinkörnigen, grauen, glimmer- 
haltigen Sandstein bestehen, welcher die Masse des Berges ausmacht; 
aber schon etwas nördlich davon zeigt sich eine Stelle, wo zwischen 
diesem Sandstein Porphyr und grünsteinartige Gesteine zu Tage 
treten, welche wohl das Ausgehende von Gängen im Sandsteine 
darstellen. 


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160 


Die Aussicht von der Höhe bot nach Süden wenig Abwechselung, 
hügeliges, grasbewachsenes Land von trockenem Aussehen, nur mit 
wenig vereinzelten Eucalypten bestanden. Abgeschlossen wurde die 
Aussicht durch eine Bergreihe, die von Ost nach West streichend, 
sich durch höchst bizarre zahn- und kegelförmige Gipfel auszeichnete. 

Zu unseren Pferden zurückgekehrt, brachen wir nach kurzer 
Bast wieder auf, um längs des Laufes des Sume bei Bernuli die 
Seeküste zu erreichen. Wir kamen auf diesem Wege dicht am Kusse 
des Itai Arra-Hügels vorbei, welcher regelmässig geschichtete Kalk- 
und Sandsteinlager zeigte, die mit 20 Grad nach Nord einfielen. 
Auch hier wie im Westen scheint demnach die Grundlage der Berg- 
massen aus Kalk und Sandstein zu bestehen, die wohl wie dort der 
Kohlenformation angehören, hier aber durch vulkanische Gesteine 
mannigfach durchbrocheu sind. Bald gelangten wir jetzt in das 
breite Flussthal, welches die Serpentinhügelkette der Küste durcli- 
schueidend bei dem Orte Bernuli zum Meere führt. Hier, unter 
dem Eiufluss der Meerluft, entfaltete sich die Vegetation üppiger, 
neben den Gawangpalmeu war dichtes Gebüsch entwickelt, durch 
welches sich der Pfad schlang, der dann wieder, die zahlreichen 
Marandrinen des Flüsscheus abschneidend, direkt durch das seichte 
Wasser führte. Unser Führer zeigte jetzt eine auffallende Eile, wo 
es irgend anging, wurden die Pferde zu raschem Galopp augetriebeu, 
auch suchte er ängstlich zu verhindern, dass wir auf die weissen 
und grauen Reiher oder die schillernden Porphyrhühner schossen, 
welche oft bei einer raschen Krümmung des Weges von uns auf- 
gescheucht wurden. Als Grund dieses Verhaltens stellte sich heraus, 
dass wir jeden Augenblick auf einen Zug vou Eingeborenen stossen 
konnten, welche unseren Weg kreuzen mussten, dieselben wollten an 
demselben Tage über Atapupu nach Bernuli und von da in das Innere 
wandern. Den wilden Gesellen wünschte nun unser Führer entweder 
gar nicht, oder wenigstens möglichst nahe dem sicheren Atapupu in 
den Wurf zu kommen. Sehr weit reicht hier die europäische Macht 
nicht. Bei Bernuli, einem von Malayen bewohnten Orte von wenigen, 
in üppigen Gärten versteckten Hütten, wurde die Seeküste erreicht, 
und nun wandte sich der Weg der Küste entlang nach Osten. Es 
war ein schmaler Pfad, der nur gestattete, dass einer hinter dem 
andern ritt. Zur Linken dehnte sich das Meer, oder, wo sich ein 
kleines Vorland gebildet hatte, dichtes Gebüsch, aus welchem ein- 
zelne Kokospalmen hervorragten, rechts erhoben sich schroffe Felsen 
von Serpentinkonglomerat, von dem grosse herabgestürzte Blöcke 
am Wege oder am Strande lagen. Dieses Konglomerat besteht aus 
rundlichen Brocken von Serpentin, welche durch Serpentinbindemittel 


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zu einer Art Nagelfluh vereinigt sind. Es ist dies offenbar eine 
Strandbildung, welche während einer Senkungszeit Timors entstanden 
ist und wahrscheinlich mit dem Korallenkalke an der Westküste 
wieder über das Meeresniveau gehoben worden ist. 

An einer besonders schmalen Stelle des Weges kamen uns zwei 
Timoresen zu Pferde entgegen, einer, ein alter Mann, führte an einer 
Leine vier ledige Pferde hinter sich. Pa nebeneinander vorbeizu- 
kommen nicht möglich war, befahl unser Führer denselben seitwärts 
aus dem Wege zu treten und ihre Pferde in das Gebüsch, das den 
Weg säumte, zu drängen. Kaum war die Passage frei, so wurde 
sie wieder durch mehrere Reiter gesperrt, die theils auf dem Wege 
hielten, theils durch das Gebüsch vordrängten. Jeder trug ein 
Gewehr quer über den Nacken des Pferdes gelegt. Wilde Stimmen 
und Jauchzer, welche sich noch weiter vernehmen Hessen, verriethen, 
dass noch ein grösseres Gefolge nachkam. Diese verlangten nun 
ihrerseits freien Weg und wohl oder übel mussten wir uns so dicht 
wie möglich an die Felswand drängen, um die Entgegenkommenden 
passiren zu lassen. Wir hatten nun das Vergnügen, einen ganzen 
Zug von wilden Kriegern an uns vorbeidefiliren zu sehen. Die Leute, 
deren Zahl sich auf 40 — 50 belief, waren alle beritten. Jeder war 
bekleidet mit einem langen, braunen Hüfttuche, dem Sarong, und 
einem shawlartigen Ueberwurf, der über eine Schulter geworfen wird. 
Die meisten führten eine alte Feuerschlossmuskete. Nur unter den 
Letzten des Zuges waren einige noch mit Lanzen bewaffnet, langen 
Rohrschäften mit eiserner myrthenblattförmiger Spitze. Von der 
Seite hing das breite säbelartige Messer, der Klewang, in hölzerner 
Scheide, mit harthölzernem oder elfenbeinernem Griffe. Den Gürtel 
zieren die hübsch verzierten Siribüchsen aus Rambus und zwei 
Patrontaschen, die eine für das Pulver, die andere für die Stein- 
kugeln aus Stengelgliedern von fossilen Crinoiden. Die Patron- 
taschen sind nach europäischem Muster gefertigt, die Deckelklappe 
besteht aus rothem Leder und ist mit Zinnstreifen und Nägeln auf 
mannigfache Weise verziert. Die buschigen, krausen Haare standen 
bei den einen vom Kopfe ab. bei anderen waren sie in einem Schopf 
zusammengebunden und mit einer Feder geziert. Als Schmuck sah 
man Armringe und Halsketten, bei einzelnen breite Halskragen, aus 
aufgereihten Muscheln gefertigt, ähnlich wie die Halskragen, welche 
man bei den Bewohnern von Fidji oder im Neu-Britannischen Archipel 
sieht. Die braunen Körper erschienen kräftig und sehnig, nur waren 
diese Belonesen etwas kleiner und dunkler, als die im Westen beob- 
achteten Eingeborenen. Der Zug ritt friedlich an uns vorbei, nur 
hin und wieder streifte uns neben den verwunderten Blicken ein 


Ut*o£i\ liiättfr. Bremen. 1H82. 


11 

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162 


trotzig blickendes Auge, oder fiel ein Scherz- oder Trotzwort, welche 
freilich unverstanden verhallten. 

Gegen Abend war endlich Atapupn wieder erreicht und kurz 
darauf entführte uns das Boot für immer diesem Lande, das so 
mannigfache Eindrücke hinterliess. 

Noch denselben Abend verliess die „Gazelle“ Timor, um die 
Ombay Passage durchsegelnd, Amboina zuzustcuern. 

Bevor ich Timor verlasse, sei es mir erlaubt, noch einige 
berichtigende und ergänzende Bemerkungen zu dem im ersten Abschnitt 
meiner Mittheilungen gebrachten allgemeinen Theile hinzuzufügen. 

Bei Erwähnung der ursprünglichen Bevölkerung des malayisehen 
Archipels, Jahrgang II, pag. 241, hatte ich einer schwarzen Rage 
erwähnt, welche als Negritos und Papuas einem Stamme angehört. 
Die Verschmelzung dieser beiden Typen, welche Dr. Mundt-Lauff 
befürwortet, scheint anthropologisch nicht haltbar zu sein. Die lla<;e 
der Negritos, welche sich noch rein in Hiuterindien, den Andamanen, 
Philippinen, in Ceram und Neu-Guiuea am oberen Fly-River vorfiudet, 
zeichnet sich aus durch kleine Statur, den kurzen, hohen, subbrachy- 
cephalen Schädel und die sehr platte Nase, den geringen Prognathis- 
mus und das krause Haar. Die Negritos sind überall, wo sie Vor- 
kommen, Bewohner des inneren Landes, ihre weite Verbreitung in 
Völkerinseln an weP von einander entfernten Punkten deutet darauf 
hin, dass wir es hier mit einer einst über weite Flächen verbreiteten 
Bevölkerung zu thun haben, welche durch nachdrängende höhere 
Menschenragen von ihren Wohnsitzen nach dem weniger zugäng- 
lichen Inneren von Kontinenten und Inseln verdrängt wurde. Hamy 
wies ihre Spuren in Ceram und Timor nach. (S. Nouvelles Archives 
du Museum d’hist. nat. Tome X.) Die Papuas sind dagegen ent- 
schiedene Langköpfe mit fliehender Stirn, welche im Gegensatz zu 
den Negritos oft vorgewölbt erscheint, häufig dachförmigem Scheitel, 
vorstehender, oft gebogener Nase und mittelgrosser Statur. Alle 
leben mit Vorliebe an den Meeresküsten, treiben Ackerbau und 
Fischfang und sind geschickte Seefahrer. Nach der Auffiudung von 
Negritotypen an Schädeln von Timor dürfen wir vielleicht die 
Timoresen als hervorgegangen aus drei Ragen betrachten , den 
Negritos, Papuas und Malayen, wobei das papuaniscli malayische 
Element das vorwiegend charakteristische geblieben ist, während nach 
den Schädeluntersuchuugen von Hamy Negritos in ziemlich reiner 
Form sich daneben erhalten haben. Von diesen sollen nach Earl, 
Rolff u. A. noch reine Stämme im Innern, namentlich im Südosten 
leben. Riedel hat dagegen auf seiner in neuerer Zeit ausgeführten 
25tägigen Reise durch bis dahin unbekannte Theile des Innern keine 
Spur von Negritos getroffen. 


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163 


Auf die Geologie Timors werfen die neueren Untersuchungen 
der Sunda-Iiiseln durch Verbeek in Batavia neues Licht. Wie in 
Timor bilden die Grundlage der grösseren Inseln des inalayischeu 
Archipels palaeozoische Ablagerungen, über welchen die ganze Reihe 
der mesozoischen Bildungen fehlt, die Tertiärbildungen lagern direkt 
auf den palaeozoischen Formationen. Sie bestehen theils aus Süss- 
wasserablagerungen mit mächtigen Kohlenflözen, theils aus Meeres- 
bildungen, ihre Schichtenfolge wird mannigfach gestört und gebrochen 
durch Gänge und Stöcke vulkanischer Gesteine, wie Andesit und 
Basalt. Demnach lag das Gebiet des malayäschen Archipels trocken 
während der ganzen Sekundärzeit und hing auch wahrscheinlicher- 
weise zusammen, erst mit der Tertiärzeit traten Senkungen unter 
vulkanischer Thätigkeit ein, welche, wie jetzt trocken gelegte Meeres- 
ablagerungen beweisen, einen grossen Theil der Oberfläche des Landes 
unter Wasser setzte, bis sich ein Theil desselben wieder zu der 
jetzigen Gestaltung erhob. Nach dem Vorangegangenen sehen wir 
Timor gleichzeitig mit dem übrigen malayischen Gebiet seine Hebungs- 
uud Senkungsphasen mitmachen, was für die Erklärung seines 
faunistischen und Pflanzencharakters von grosser Wichtigkeit ist. 


Kleinere Mittheilungen. 

§ Ans der Geographischen Gesellschaft in Bremen. Am 6. März hielt 
die Gesellschaft unter dem Präsidium des Herrn G. Al brecht in ihrem Lokal, 

Rutenhof, ihre Jahresversammlung. Im Anschluss an den vorgelegten Jahres- 
bericht des Vorstandes (welcher mit Heft 1 d. Zcitsc.hr. veröffentlicht wurde) 
thcilte der Vorsitzer mit, dass auf Ansuchen der Magistrat von Berlin den 
Gebrüdern Dr. Krause den Urlaub von ihrem Lehreramt noch bis zum Herbst 
verlängert habe, dass also die Reise dieser Herren, welche Ende Dezember 1881 
in Chilkoot, einer Station der North West Trading Company, ankamen und dort 
zu überwintern gedachten, sich noch so lange ausdehnen werde. Die Nachricht, 
dass der Urlaub für beide Herren verlängert, wurde von Bremen an den Prä- 
sidenten der North West Trading Company, Herrn P. Schul tze in Portland, 

Oregon, telegraphirt und wird die Herren noch rechtzeitig erreicht haben. Ein 
Theil der auf der Tscliuktschen-Halbinsel gemachten Sammlungen: fünf Kisten 
zoologischen, botanischen und ethnographischen Inhalts, sind in Bremen ange- 
kommen. Die vorläufige Sorge für die Behandlung, Conscrvirung und Ordnung 
dieser Gegenstände hat der Direktor der städtischen Sammlungen für Natur- 
geschichte in Bremen, Herr Dr. Spängel, gütigst übernommen. Die ethno- 
graphische Kollektion zählt !)4 Nummern ; eine von der Lorenzbai mit Schauer 
„Fowler“ nach San Francisco versandte Kiste mit weiteren ethnographischen 
Gegenständen ist leider in Bremen bis jetzt nicht eingetroffen. In Betreff des 
Verlaufs der Reise bis zum 4. Januar d. J. wird auf den in dieser Nummer mit- 
getheilten Bericht verwiesen. — Ein zweiter Punkt des Jahresberichts betraf die 
Reise, welche das Mitglied Herr Graf Karl Wald burg-Z eil auf Einladung 
des Herrn Baron L. v. Knoop mit dem Dampfer „Louise“ im vergangenen 

U* 

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164 


Sommer nach dem Jenissej und zurück unternahm. Ein kürzerer Bericht über 
diese Keise wurde in der „Weser-Zeitung“ veröffentlicht, ausführlichere Mit- 
theilungen machte Graf Waldbur g-Ze il in einem am 2. Februar d. J. im 
naturwissenschaftlichen Verein zu Aulendorf (Württemberg) gehaltenen Vortrage. 
Beide Referate wurden in Separatabdrücken den Frenndeu der Polarforschnng 
zugänglich gemacht. Die mitgebrachten naturwissenschaftlichen Sammlungen 
wurden verschiedenen Fachgelehrten zur Bearbeitung übergeben. — Wenig erfreulich 
war der von dem Jahresbericht eröffnete Einblick in die Finanzverhältnisse der 
Gesellschaft, denn im vorigen Jahre stand eine Ausgabe von 3545 M einer Ein- 
nahme von nur 2113 M. gegenüber. Die Gesellschaft besteht, nunmehr, wenn 
man die Zeit der Wirksamkeit des „Vereins für die deutsche Nordpolarfahrt“ ein- 
rechnet, 12 Jahre, hat sich aber in dieser Zeit, ausgenommen die reiche Gabe 
des Herrn Sibiriakoff für die westsibirische Expedition, noch nie eines Legates 
oder Geschenkes zu erfreuen gehabt, obwohl ihre gemeinnützige Wirksamkeit 
in Bremen eine offenkundige ist. In dieser Jahresversammlung konnten wenigstens, 
ungleich zu früher, eine grössere Anzahl neuer Mitglieder, nämlich 54 hiesige 
(meist Kaufleute) und 13 auswärtige aufgenommeu werden und beträgt mit dieser 
Zunahme jetzt die Zahl der ordentlichen Mitglieder 1711. Vergleicht man hiermit 
die Mitgliederbestände der geographischen Vereine in anderen deutschen Städten 
mit ähnlicher Einwohnerzahl wie Bremen, so ergiebt sich, dass wir dagegen um 
mehrere Hunderte von Mitgliedern zurückstehen, während doch gerade in einer 
Seehandelsstadt eine hervorragende Bethätigung des geographischen Interesses 
erwartet werden muss. Die Gesellschaft wird also, darin waren die Theilnehmer 
der Jahresversammlung einig, mit allen Kräften darnach zu streben haben, sich 
auch in Bremen diejenige thätige Theilnahme und Sympathie mehr und mehr 
zu sichern, w r elche sie nach aussen hin schon besitzt. Sodann wurdo das Pro- 
gramm des am 12. bis 14. April stattfindenden Deutschen Geographentages 
verlesen und ersuchte die Versammlung Dr. M. Lindeman, sie als ihr llelegirter 
dort zu vertreten. Zu korrespondirenden Mitgliedern der Gesellschaft wurden 
ernannt: die HH. H. H. Hay te r , Chef des statistischen Bureaus in Melbourne, und 
Dr. F. Hirth, Kaiserlich Chinesischer Zollbeamter in Shanghai. Ein Mitglied 
der Gesellschaft, Herr Bergingenieur Paulus Dahse, hat sich kürzlich für 
einige Zeit nach der Goldküste begeben, um im Aufträge englischer Kapitalisten 
im Bezirk Apollonia mineralogische Untersuchungen vorzunehmen. Die Gesell- 
schaft ist diesem Herrn für seinen in dieser Nummer veröffentlichten Beitrag 
zur Kenntniss der Goldküstc zu lebhaftem Dank verpflichtet. 

Die geographischen Vorträge wurden fortgesetzt und zwar sprach 
am 13. März Dr. Max Büchner aus München über seine Reise nach dem 
Lunda-Reich, 1878 — 1881, am 17. Professor Möbius aus Kiel über den Ein- 
fluss der Nahrung auf die Verbreitung und die Wanderungen der Thiere und 
am 30. März Professor Kirchhoff aus Halle über den Darwinismus in der 
Völkerentwickelung. Ueber den Vortrag des Dr. Büchner berichten wir hier 
ausführlich. 

Seit etw'a 100 Jahren, so begann der Redner, ist es bekannt, dass im 
Innern Afrikas, ungefähr zwischen dem 10. und 15. 0 S. Br. das Reich der Lunda, 
beherrscht von einem mächtigen König, dem Muat’ Yamvo, sich erstreckt. Vor 
40 Jahren gelang es einem portugiesischen Reisenden, den Grossvater des jetzigen 
Königs zu besuchen und vor 5 Jahren wurde dieses Reich von unserm deutschen 
Landsmann Pogge gleichsam wieder entdeckt. Die Berichte Pogge’s über die 
freundschaftliche Aufnahme, welche ihm der Muat' Yamvo bereitete, und über 
die günstigen Aussichten des Fortkommens, welche die in Mussumba, der Hanpt- 


,gle 



stadt des Lnndareiches, zusammenlaufenden jlandelswege holen, veranlassten die 
Deutsche Afrikanische Gesellschaft zu dem Entschlüsse, auf Grund der Rcise- 
ergebnis.se Pogge’s von Lnnda aus die Erforschung der südlichen Zuflüsse des 
Congo in Angriff zu nehmen Dr. B. übernahm einen Theil dieser Aufgabe und 
er bestimmte als Basis der Erforschung eine von San Pani de Loanda aus- 
gehende, in einem Bogen nach Süden ausweichende Linie bis Mussumba. Zwei 
andere Reisende, Schütt und Major Mechow, übernahmen das Vordringen im 
westlichen Theile des Forschungsgebietes nach Norden, während Dr. B. den öst- 
lichen Theil des letzteren wählte. Ende 1878 traf Dr. Büchner in Loanda ein 
und erreichte das 500 km vom Meere gelegene Malange, den am weitesten nach 
dem Innern vorgeschobenen Posten der portugiesischen Händler, der uns in 
Bremen in trauriger Weise durch den daselbst erfolgten Tod Eduard Mohr’s 
erinnerlich ist. Dass der Ausgangspunkt für das sogenannte wilde Reisen so weit 
nach dem Innern zu gewählt werden kann, ist ein grosser Vortheil. Leider wird 
der weisse Kaufmann immer mehr nach der Küste zu gedrängt, schlechte 
Handelsvcrhältnisse, besonders die Entwcrthung eines w'ichtigcn Handelsartikels, 
des Wachses, und die Aufhebung der Sklaverei sind die Ursache. Während Pogge 
so glücklich war, in Malange den portugiesischen Händler Saturnino anzutreffen 
und mit ihm nach dem Inneren zu ziehen, war Saturnino bei Dr. B.’s Ankunft in 
Malange für längere Zeit im Innern abwesend, es währte daher 5 Monate, ehe 
Dr. B. seinen Zug organisiren konnte. Er war genöthigt, die ersten besten 
Leute zu nehmen, die sich denn auch im Verlaufe der Reise als diebische, ver- 
rätherisebe Schufte erwiesen. Ohne Schwierigkeit gelangte der Reisende bis 
Kimbundu. Auf der Reise von hier nach Mussumba trat ihm in der Person des 
Königs Mona Kissenge das erste ernste Hinderniss entgegen. Ein jeder Weisse, 
der ins Innere zieht, muss cs sich gefallen lassen, als Händler angesehen zu 
werden. Mona Kissenge erklärte nun Dr. B., er habe auch Sklaven und Elfen- 
bein, Dr. B. solle deshalb nicht in das Innere ziehen, sondern mit ihm handeln. 
Es kam zu den üblichen Herausforderungen seitens der 200 Bewaffneten des 
Königs, die in ihrem kriegerischen Schmucke an das Lager Dr. B.’s herankamen 
und einen Höllenlärm machten. Allein Dr. B. und seine Leute waren mit gnten 
Waffen und Munition wohl versehen, die letzteren verlangten überdem nach 
Mussumba, um dort für billigen Preis Sklaven einzutauscheu, und es bedurfte 
nur einer von Dr. B. abgelegten Probe seines Mausergewehrs, um den König, 
einen prächtigen Wilden, so friedlich zu stimmen, dass er Dr. B. sofort, für 
seinen Freund erklärte, mit ihm Freundschaftsgesänge tauschte und Honigbier 
trank. Am 10. Dezember 1879 kam Dr. B. mit seinem Gefolge von 120 Leuten, 
unter denen sich kein einziger Wcisser befand, in Mussumba an, als Handels- 
artikel führte er schlechte Kattune und Steinschlossgewehre, Perlen von ver- 
schiedener Farbe und Grösse, Messingdraht u. s. w. mit sich Die Reise von 
Malange bis hierher hatte 4'/a Monat gedauert, an 70 Marschtagen wurden durch- 
schnittlich täglich 16 km zurückgelegt. Besondere Schwierigkeiten bereiteten 
auf dem Wege die zahlreichen Passagen von Flüssen, unter welchen der Kuango, 
der Kuilu, der Kassai (dieser hat ungefähr die Breite der Weser bei Bremen) 
und der Lnlua als die bedeutendsten zu nennen sind. Am 11. Dezember 1879 
hielt Dr. B. auf seinem Reitochsen den Einzug in die Hauptstadt, deren Häuser 
und Gehöfte sich auf dem Vorsprung eines hübschen grünen Thals um die 
Kipanga, die Residenz des Königs, grnppirten. Dem Reisenden wurde als Auf- 
enthalt eine kleine Hütte aus Palmzweigen und Stroh angewiesen und sandte 
ihm der König als Begrüssnngsgeschenk zwei Kinder und einen Elefantenzahn. 
Neugierig strömte die Bevölkerung um die Hütte des Reisenden zusammen und 



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schon am zweiten Morgen wiederholte der König das Geschenk zweier Kinder. 
Endlich kam der Tag der Audienz. Dr. B. ritt auf seinom Ochsen, das Mauser- 
gewehr in der Hand, mit zahlreichem Gefolge zur Kipanga. Es ist dies ein 
grosser, etwa 400 Schritt langer und 300 Schritt breiter Platz, in dessen Hinter- 
grund sich die Audienzhalle des Königs, ein mächtiges Strohkogeldach, erhebt. 
Vor dieser war auf einer Plattform aus Lehm und Palmzweigen, welche ein 
Leopardenfell überdeckte, der Thron errichtet. Die Minister des Königs zeigten 
sich als nackte, nur mit einem Stück Zeug um die Hüften bekleidete Gestalten; 
die Zeichen ihrer Würde waren auf der Brust und am Unterleibe, in weiss ge- 
malten Kugeln und Ringen sichtbar. Unter den Klängen einer sonderbaren 
Musik erschien nun der Beherrscher des Reichs von 2 Millionen Menschen, eine 
phantastisch aufgeputzte Gestalt und nach .formeller Begriissung durch Händc- 
rcichcn, wobei Dr. B. indess nicht, wie begehrt, den Hut abnahm, begann 
eine Unterhaltung, deren Gang freilich ein etwas schwerfälliger war, da jedes 
Wort erst durch den Mund des Dolmetsch und sodann des königlichen Sprach- 
meisters zum Ohr des Königs drang. Um den König, der die europäischen 
Geschenke: Perlstickereien, rothe Taschentücher und eine preussische Pickel- 
haube, gnädig empfing, waren fortwährend mehrere Hofschrauzen beschäftigt, 
welche mit dem Fliegenwedel fächelten, sobald der König ausspuckte, die be- 
treffende Stelle mit Erde bedeckten u. s. w. Auch die Lukokessa, eine Art Königin, 
welche im Lundareich, wie in manchen anderen Negerstaaten, gleichsam als Er- 
satz für ein Parlament, gewisse die Hoheit des Fürsten einschränkende Rechte 
ausübt, zeigte sich und reichte dem Reisenden die Hand. Bei einer späteren 
Audienz war sie betrunken. Die Audienz beim König währte etwa eine halbe 
Stunde, während welcher sowohl das Mausergewehr, wie besonders die schwedischen 
Zündhölzer vielfach bewundert wurden. Sonderbar war die Erscheinung eines 
Sohnes des Königs, welcher, mit seinem zahlreichen Gefolge über und über mit 
Lehm beschmiert, sich auf der Erde zum Thron heranwälzte und Geschenke 
darbrachte. Als Gegengeschenke erhielt Dr. B. vom König etwa 40 kg Elefauten- 
zähne, eine Ziege, ein Schaf, ein Schwein, das an einen Stock gebunden herzu- 
getragen wurde, geröstetes Fleisch von Büffeln und Nilpferden. Der Reisende 
verweilte in Mussumba ungefähr ein halbes Jahr und wohnte in der Regenzeit in 
einem für ihn aus Baumstämmen und Lehm errichteten Hause. Den Ruf der 
Grausamkeit und Habsucht, in welchem der König durch die Berichte Living- 
stone’s und Cameron's steht, fand Dr. B. nur theilweise gerechtfertigt. Während 
der ganzen Zeit seines Aufenthalts fanden nur drei Hinrichtungen und zwar 
wegen wirklicher Verbrechen statt. Der Habsucht des Königs trat Dr. B., 
gewitzigt durch die Erfahrungen Pogge's, gleich von Anfang an energisch 
entgegen. Er verweigerte es, sich dem bisherigen Haudelsgebrauche zu fügen, 
wonach der weisse Händler dem Könige die mitgebrachten Waaren ohne weiteres 
übergiebt und dafür nach und nach Sklaven und Elfenbein in Zahlung erhält 
und er setzte dies auch glücklich durch. Allein die Fortsetzung der Reise 
Dr. Buchner's in der Richtung nach Norden oder Nordwesten wollte der Muat’ 
Yainvo durchaus nicht gestatten, indem er ihm vorspiegelte, dass dort böse 
Zauberer wohnten, welche ihn unfehlbar vergiften würden. In Wirklichkeit 
glaubte der König, Dr. B. wolle nur deshalb weiter nach Norden Vordringen, 
um dort seine Waaren (Sklaven und Elfenbein) billiger als bei ihm einkaufen 
zu können. Nur zwanzig Tagemärsche trennten Dr. B. von dem Gebiete der 
von Zanzibar ins Innere vordringenden arabischen Händler, und dennoch musste 
- er gegenüber dem Widerstande des Königs und der Unlust seiner Leute zur 
Weiterreise auf den ursprünglichen Plan verzichten. Die trockene Zeit war 




167 


herangekommen und der König cntliess den Reisenden zu der Rückkehr nach 
dem Kassai. Statt dessen wandte er sich nach kurzem Marsche in der Richtung 
auf diesen Strom nach Norden, um mit einer ausgesuchten Schaar von 70 Leuten 
am rechten Ufer des Kassai in fünf Tagen die Grenze des Lnndagebiets zu 
erreichen. Nach mühsamer Reise über schwieriges sumpfreiches Terrain war 
er seinem Ziele nahe, da traf er auf Abgesandte des Königs, welche in der 
Gegend Weiber und Kinder einfangen sollten; diese bedrohten das Gefolge des 
Reisenden und zwangen letzteren, auf das linke Ufer des Kassai zurückzuweichen. 
Ein zweiter und ein dritter Versuch zum Vorstoss nach Norden hatte keinen 
günstigeren Erfolg, der Negerfürst Kahungula, mit dem Dr. B. wegen Führung 
nach Norden einen Vertrag abgeschlossen hatte, liess ihn irre leiten; schliesslich 
desertirten ihm sämmtliche Träger bis auf acht und so blieb ihm nur die 
Rückkehr zur Küste übrig. Der Redner schloss seinen anziehenden, in knapper, 
doch lebhafter und anschaulicher Darstellung gehaltenen Vortrag mit einigen 
allgemeinen Bemerkungen über die von ihm durchreisten Gebiete. Diese bilden 
cm reines Erosionsland, das sich als Küstensavanne mit einem Steilrande von 
15 — 20 ra über Meer erhebt und als Hochsavanne im Inneren bis zu 1000 m 
ansteigt. Eine grosse Anzahl von Funkten wurden in Breite und zum Thcil 
auch Länge astronomisch genau bestimmt, namentlich ist die Lage von Mussumba, 
das Schütt zu weit nach Norden und von den Gebieten der arabischen Händler 
des Ostens zu abgelegen angenommen hat, festgcstellt. Im Ganzen zeigt sich 
das Land monoton, hohes Gras bedeckt die Flächen, der Baumwuchs ist klein- 
stämmig, eigentliche Waldesdickichte, belebt von Affen, finden sich nur in den 
Thiilern. Die trockene Zeit währt 4 Wochen, in der auf 8 Monate sich ans- 
dehnenden Regenzeit ist aber auf dem Hochplateau die Regenmenge nicht, 
grösser, als in einem mittleren deutschen Sommer. Die Fauna ist im Gegen- 
sätze zu den wildreichen Gebieten südlich vom Zambesi sehr arm, Antilopen- 
heerden sah der Reisende nie, auch Affenhccrdcn nur selten, weder Löwen noch 
Elefanten kamen ihm zu Gesicht. Nilpferde fanden sich in Menge in jedem 
grösseren Flusse. Die wenigen Antilopen, welche man antraf, waren sehr scheu. 
Die Stämme, mit. denen der Reisende in Verkehr trat, gehörten sämmtlich den 
Bantuvölkern an. Der Unterschied ihrer Sprache ist so gering, dass in diesem 
Theilc Afrikas sich der Bewohner der Westküste dem der Ostküste verständlich 
machen kann. Bei einem der Fürsten, Tambu a Kabong, fand Dr. B. Waffen 
und gewebte Stoffe von ausgezeichneter Beschaffenheit, sie stammten aus dem 
Norden und darf man also annohmen, dass dem Reisenden, welchem es gelingt, 
dahin vorzudringen, sich eine vom Weltverkehr noch völlig unberührte jung- 
fräuliche Kultur ersehliessen wird. 


§ Eine Touristenfalirt nach Spitzbergen, Sommer 1881. Es scheint, dass 
jetzt auch die hochnordischen Gegenden in den immer weiter sich ausdehnenden 
Kreis unserer touristischen Sommerexkursionen gezogen werden sollen. Der 
Pionier des arktischen Sports war bekanntlich Barto von Löwcnigh, Bürgermeister 
von Burtscheid, der im Sommer 1827 auf der norwegischen Jacht „die Hoffnung“ 
eine Fahrt nach der Bären-Insel und Spitzbergen unternahm. Diese nur 6 Wochen 
wfihrende Reise lieferte werthvolle wissenschaftliche Ergebnisse, denn der 
Begleiter Löwenigh’s war der berühmte norwegische Naturforscher Keilhau. 
Erst lange Zeit später folgten die Fahrten von Lord Dnfferin, Lamont, Palliser, 
Leigh Smith, Berna, Graf Waldburg-Zcil u. A. Diese zum arktischen Sport 
unternommenen Reisen trugen wesentlich zur Bereicherung unserer Kenntniss der 
besuchten Inseln und Meeresgebiete bei, da meist Naturforscher vom Fach, wie 


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168 


z. B. Carl Vogt und Baron von Heuglin, daran Theil nahmen. Im vorigen 
Sommer hat nun ein deutscher Landsmann, Herr Fabrikant H. Mertens in 
Neuwied, mit einer Gesellschaft englischer Touristen und Jäger eine Fahrt nach 
Spitzbergen gemacht, über deren Verlauf wir hier, auf Grund eines uns von 
Herrn Mertens gütigst zur Verfügung gestellten Berichtes, eine Mittheilung 
machen. Der zu dem Zweck gecharterte Dampfer „Pallas“ ging von Bergen 
aus. Herr Mertens zog es aber, um die Naturschönheiten Norwegens zu gemessen, 
vor, über Land bis nach Drontheim zu reisen und sich erst dort anzuschliessen. 
lieber Frederikshavn’ (Jütland) erreichte er Gothenburg, und fuhr von da nach 
Christiania. Von hier ging die Reise auf der Bahn längs des Mjösensees und 
Glommenflusses nach dem höchsten Punkte der mit Schneefängen und Schnee- 
pflügen ausgestatteten Gebirgsbahn, der Kupferminen -Stadt Röraas. Von hier 
senkt sich die Bahn und führt, zum Theil den Gula-Strom entlang, durch 
romantische Thäler und an zahllosen die Felsen hinabrauschenden Wasserfällen 
vorüber über Stören nach Drontheim. Den kurzen Aufenthalt in der Hauptstadt 
Norwegens benutzte Herr Mertens zu einer Exkursion nach Leerfosscn, den 
berühmten Fällen des Nid-Flusses. Die „Pallas“ lief auf der Fahrt von Dront- 
heim naehTromsoe auf Wunsch der Passagiere im West-Fjord den Lofoten nahe 
vorüber. Nach einigem Aufenthalt in Tromsoe, wo leider die Kunde ungünstiger 
Eisverhältnisse im Norden von den bekannten zur Theilnahme an der Fahrt 
engagirten Kapitänen Carlsen, Kjelsen und E. H. Johannosen entgegengenommen 
werden musste, ging die „Pallas“ am 23. Juli Nachmittags in See. Schon am 
24. Abends wurde das erste Treibeis angetroffen und mit vollem Dampf während 
einer Stunde hindurch gefahren. Am 25. Juli Nachmittags kamen die kahlen 
Felsen der Bären-Insel und, nach einem heftigen Sturm, am Vormittag des 26. 
das Südkap Spitzbergens in Sicht. Nahe der von zahlreichen Schaaren der 
bekannten Möven- und Alkenarten, namentlich der Raubmöve, belebten Felsen- 
küste ankerte die „Pallas“, und ihre Passagiere gaben sich hier zuerst mit 
grossem Vergnügen dem arktischen Sport, der Vogeljagd und der Fischerei 
auf Dorsch mit der Grundangel, hin. Eine zweite Landung wurde in der 
nächsten Nacht, bei Mitternachtsonnenschein, in dem prachtvollen, geschützten 
Eisfjord bewerkstelligt, der sich aber nur zum Theil zugänglich zeigte. Hier 
lagen acht norwegische Fangjachten; es wurden einige Renthiere geschossen 
und sodann die Magdalenen-Bai angelaufcn, wo man Zeuge eines ausserordent- 
lich reichen Fanges von Weisswalen, durch norwegische Fischer, war. Nun 
sollte der Kurs nordenum Spitzbergen nach dem No'rdostlande genommen 
werden, allein auf 79° 55' bei Grcy Hock, erreichte die Nordfahrt, wegen 
schweren Eises ihr Ende. Auf der Rückkehr wurde noch einmal der Eisfjord 
und sodann Bel Sund, wo die Robbenjagd sehr ergiebig war, besucht, und am 
4. August die Fahrt nach Hammerfest angetreten. 


§ Die Schiffbarkeit des Angara nnd der Baikalsee. Bekanntlich wird 
die Herstellung einer Schiffahrtsverbindung zwischen dem Ob und Jenissej unter 
Benutzung von Nebenflüssen beider grosser Ströme Sibiriens projektirt, und 
haben wir schon mehrere Male auf die betreffenden Vorarbeiten hingewiesen. 
Die Bedeutung einer solchen freilich nur im Sommer zu benutzenden Ver- 
bindung steigt, wenn man erwägt, dass die in den Jenissej mündende Angara 
eine Wasserstrasse bis nach dem Baikalsee bietet. Bisher war es nicht bekannt, 
dass schon jetzt, und obwohl einige Klippen in der Angara Hindernisse bilden 
sollen, die vorhandenen Wasserwege, unter Einschaltung eines kurzen Land- 
transports, für die Beförderung von Waaren von Irkutsk bis Tomsk benutzt 


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werden. Wir entnehmen nun aus einem uns gütigst zur Verfügung gestellten 
Briefe unseres Mitgliedes, Herrn Kapi. Dalimann, ans Irkutsk vom 26. Januar d. J. 
folgende Stellen: Ich sprach u. A. einen gewissen Paschkowski, welcher dem 
Baron Aminow bei seiner Untersuchung der Schiffbarkeit der Angara als Gehiilfe 
beistund. Paschkowski fahrt seit 13 Jahren jeden Sommer mit einer Thcebarschc 
ein oder zwei Mal die Angara hinunter zum Jenissej, dann auf diesem eine 
Strecke abwärts bis zu einem unterhalb Jenisseisk mündenden Nebenflüsse, den 
er mit Bjelaja bezeichnet und ein Stück stromaufwärts befährt. Nun wird der 
Thce 90 Weist weit zu Lande auf Wagen bis zum Ket, einem Nebenfluss des Ob 
befördert.. Hier nimmt er wiederum seinen Weg den Ob aufwärts bis Tomsk. Dieser 
Mann hat in den 13 Jahren mit seinen Barschen, die oft einen Tiefgang von 
über 4 Fuss haben, nie einen besonderen Unfall gehabt; er meinte, dass es 
nicht besonders schwierig sein dürfte, die Angara für 6 Fuss tiefgehende Dampfer 
und Barschen schiffbar zu machen. 

Bei Ankunft Kapitän Dallmann’S in Irkutsk, am 23. Dezember, war in der 
Angara auf einer Strecke von etwa 700 Werst unterhalb des Baikalsces noch kein Eis 
und soll dieses in vielen Jahren noch bis Mitte Januar a. St. der Fall sein. Der 
Dampfer, welcher die Fahrt auf der Angara zwischen Irkutsk und der Mündung 
des Flusses Ilim unterhält, legt erst Ende Dezember auf. 

Der Baikalsee war am 1. Januar a. St. 1882 noch fast ganz frei von Eis, 
nur ein Stück Eis trieb, von den nordöstlichen Sandbänken losgerissen, im See. 
Zwei Dampfer der Baikalsee-Dampfergesellschaft vermitteln gegenwärtig in mangel- 
hafter Weise den Theetransport von Kjäehta über den See. Im Ausfluss der 
Angara ans letzterem liegt quer über und durch ein Steinriff, über welches ein 
scharfer Strom geht und oberhalb dessen das Wasser sehr aufgehalten wird. 
Die Angara hat von diesem Riff bis Irkutsk, 60 Werst unterhalb des Riffs, 
60 Faden Fall; trotzdem scheint kein übermässig starker Strom zu gehen Das 
Riff hat offnere tiefere Stellen, durch welche die Thee- und Fisch-Barschen hindurch- 
fahren. Man besorgt nun freilich in Irkutsk, dass, wenn das Riff gesprengt würde, 
eine Ueberschwemmung eintreten werde, allein das dann zu erwartende schnellere 
Abfliessen dürfte grade eine entgegengesetzte Wirkung haben. — Der Baikalsce 
ist bekanntlich sehr fischreich, allein die Fischereien werden z. Z. noch wenig 
ausgebeutet, denn es fehlt den Leuten an guten Fischerfahrzeugen und Dampfern. 
Dennoch macht einer der Fischer des Baikalsees, — und es giebt deren viele, — 
aus seinen Fischereien einen Reingewinn von etwa 40,000 Rubeln jährlich und 
dieser Fischer erklärt, dass er mit besseren Fahrzeugen und Netzen wohl einen 
Werth von Oj Million Rubel jährlich aus dem Baikalsee werde herausfischen 
können. 


Yam, Taro und Baumwolle auf den Eidji- Inseln. Die Yamfrucht ist das 
Hauptnahrungsmittel im ganzen Süd -Pacific. Dieselbe hat eine länglich runde 
Form, ist faserig, aber sehr mehlhaltig und süss; ihre Farbe ist gewöhnlich 
dunkelbraun, die Schale rauh. Sie gedeiht am besten an den Abhängen der 
niedrigeren Hügel und auf den sonnigen Stellen, welche man in einigen Thälern 
findet, und zwar wird sie auf terrassenförmigem Boden gebaut, der mit reichem 
Humus und verwitterndem Laub bedeckt ist. Die zum Pflanzen dienenden Yams 
werden in Körben aufbewahrt, bis sie anfangen zu keimen, alsdann wird jedes 
Auge oder jeder Ausschuss nebst einem einen Zoll langen und einem Yiertclzoll 
dicken Stücke von der Frucht abgeschnitten und zum Trocknen hingclegt, 
während der Rest der letzteren zum Verzehren gekocht wird. Sind die ab- 
goschnittenen Stücke trocken genug, so werden sie sorgfältig in den Boden 



170 


gesteckt, die Keime nach oben, mit einer leichten Schicht. Laub und Humus 
und letztere wieder mit leichter aber fetter Gartenerde bedeckt, sobald die 
Schüsse zu wachsen beginnen. Keine andere Wurzel in Polynesien hält sich so 
lange, nachdem sie aus der Erde genommen ist, wie die Yam, die sich deshalb 
vorzüglich bei Schiffsausrüstungen verwerthen lässt. Der Durchschnittspreis für 
Yams beträgt in Levnka 3 — 1 £ per Tons. 

Sehr viel Aufmerksamkeit verwenden die Eingeborenen auch auf die Kultur 
der Taropflanze, die eine grosse, feste, knollenartige Wurzel von länglicher Form 
und oft neun bis zwölf Zoll Länge und fünf bis sechs Zoll Durchmesser hat. Die 
Pflanze besitzt keine Stiele, sondern die breiten herzförmigen Blätter sitzen direkt 
auf dem oberen Theile der Wurzel, während die Blüte sich in einer Art Scheide 
befindet. Die Taropflanze gedeiht am besten in sumpfigen Gegenden. Die Wurzel 
wird gewöhnlich gebacken, nachdem die Rinde mit einem Messer sorgfältig ent- 
fernt ist; sie ist fest und sieht aus wie bunte Seife, ist aber sehr mehlhaltig 
und nahrhaft. 

Die Insel Mango oder Mongo, 14 miles südwestlich von der Insel Vauna 
Balavn, gehörte früher dem grossen Bremer Handelshause Hennings & Co. und 
wurde an die Herren Ryder verkauft. Sie ist beinahe rund und fast ganz von 
einem Korallenriffe umgeben, innerhalb dessen sich eine ausgezeichnete Rhede 
befindet, die vor den vorherrschenden Süd-Passatwinden geschützt und gut betonnt 
ist. Dieselbe ist schon mehrfach von Kriegsschiffen besucht worden ; sie ist wie 
alle von Korallenriffen umgebenen Inseln vulkanischen Ursprunges Die Küste 
wird von hohen Hügeln gebildet, während sich im Innern eine Vertiefung, ähn- 
lich dem abgeplatteten Krater eines erloschenen Vulkans, befindet. Auf der Insel 
sind siebenhundert Acres mit der besten Sea Island»- Baumwolle bepflanzt ; das 
von den Herren Ryder zu diesem Zwecke ausgewählte Land ist die früher mit 
hohen Bäumen bestandene Ebene im Innern der Insel, von der genügend zu 
haben war, da Mango einen Flächcnranm von mehr als 8000 Acres hat. Für 
die Pflanzer auf den Fidji- Inseln ist nichts entmuthigender gewesen, als der 
ungeheure Preisrückgang der Sea Island -Baumwolle. Im Jahre 1800 bezahlte 
man auf dem englischen Markte 4 sh. 4 d. per Pfd., 1870 wich der Preis in Folge 
des Schlicssens zahlreicher französischer Fabriken, welche diese Baumwolle bei 
Anfertigung gewisser Seidenstoffe viel verarbeiteten, bis auf 1 sh. 4 <1. per Pfd. 
und augenblicklich bezahlt man 2 sh. 6 d. per Pfd. Der von den Herren Ryder 
verwendete Samen wurde von den Südstaaten Nordamerikas importirt, deren 
Baumwolle sowohl in Philadelphia wie in Paris von dem Mango - Produkte in 
den Schatten gestellt worden ist. Die perennirenden Standen werden in geraden 
Reihen, etwa sieben Fuss von einander entfernt, gepflanzt und bieten einen sehr 
regelmässigen Anblick. Das Pflücken beginnt, etwa fünf Monate nach dem 
Pflanzen, gewöhnlich im Juli, nud dauert bis September; die zweite Ernte wird 
meistens bis Ende Februar gepflückt. Da im März die Orkauzeit eintritt, so 
werden die Standen beschnitten, um bei eintretendem Wirbelsturm grossen 
Schaden möglichst zu verhüten. Die Herren Ryder beschäftigen auf ihrer Pflanzung 
etwa dreihundert Arbeiter, die in eigenen Schiffen mit Erlaubnis der Regierung 
von den sechshundert Seemeilen westlich von Fidji liegenden Neu - Hebriden 
eingeführt sind. (Aus dem Werke: Coral Lands, von St. Cooper, London 1880.) 


Notizen »her die Seychellen und Almiranten. Durch die Güte eines 
Freundes liegt uns ein Exemplar des Berichts des Verwaltungsbcamten an den 
Gouverneur von Mauritius vor, von wo diese im Indischen Ocean, nördlich von 

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Madagaskar, belogenen Inseln, welche zu den sogenannten „Dependenzen von 
Mauritius 4 gehören, von Zeit zn Zeit besucht werden, um kraft eines 
patriarchalischen Regiments die Staatseinnahmen zu erheben, Händel zu 
schlichten, über Verbrechen zu richten, überhaupt nach dem Hechten zu sehen. 
Der Bericht datirt von Port Louis, den 22. März 1880 und ist von „J. H. Ackroyd, 
Police and Stipcndiary Magistrate for the Smaller dependencies“ unterzeichnet. 
Es heisst darin : 

„Die Hauptinsel der Seychellen-Gruppe ist Mähe. Sie besteht ans einer 
Kette von Bergen von 2000—3000 Fuss Höhe, zwischen deren Fusse und der 
See sich hier und da ein flacher Strand erstreckt. Die Bergabhänge gestatten 
an gewissen Stellen eine Bebauung, viele sind aber so steil, dass mit Aussicht 
auf Erfolg eigentliche Kulturen nicht ansgeführt werden können ; indessen sind die 
Bergseiten fast ganz mit Bäumen bedeckt, von denen einige Arten, wie „Bois de 
Natte“*) (Imbricaria petiolaris Com.), „Capucin“ (?) und „Tatamaka“ (Calophyllum 
spectabilo Willd), gutes Bauholz geben; eine grosse Zahl der an zugänglichen 
Orten gewachsenen Bäume ist leider niedergehauen. Der Boden besteht haupt- 
sächlich aus verwittertem Granit und würde sich für den Anbau von Gemüsen 
und fruchttragenden Bäumen sehr eignen; allein solche Kulturen findet man 
noch nicht viel. Unter den vorkommenden Vögeln befinden sich Tauben und 
eine schöne „Pigeon Hollandais“ genannte Vogelart; das bemerkenswertheste 
Insekt ist das berühmte Blattinsekt oder „monche-feuillc“ (Phyllium siccifolium, 
das wandelnde Blatt). Die hauptsächlich vorkommende Fclsart ist Granit; auf 
einer der kleinen Inseln im Hafen von Mahö bemerkte ich Felsen, die, 
wie ich meine, vulkanischen Ursprungs sind. Herr Anderson, der neuerdings 
die Seychellen besuchte, hat Spuren vulkanischer Thätigkeit auch auf einigen 
anderen Inseln der Gruppe gefunden. Ich weiss nicht, ob die Höhen der Berge 
gehörig ermittelt sind, möchte aber annehmeu, dass der „Morne Blanc“, wie er 
genannt wird, über 3000 Fuss hoch ist; einige der kleineren Gipfel sind über 
2000 Fuss hoch. Grössere Flüsse giebt es nicht, wohl aber eine grosse Menge 
kleinerer; somit ist die Insel mit Wasser von guter Beschaffenheit wohl versorgt. 
Die einzige Stadt ist Port Victoria, zugleich die Hauptstadt von Mähe, welche 
ungefähr ''3000 Einwohner zählt. Die Bevölkerung besteht aus Kreolen 
afrikanischer oder gemischter Ra«;e, nebst einigen Indiern, sow'ie einigen 
Europäern und ihren Nachkommen. Die Stadt ist leidlich gut gebaut; einige 
Strassen sind ziemlich regelmässig angelegt. Es finden sich einige gut gebaute 
Häuser, doch giebt es kein Gebäude, welches irgend einen Anspruch auf 
architektonische Schönheit machen könnte. Der Hafen von Port Victoria ist 
gut und sicher, da er gegen Osten durch die Inseln St. Anne, Ronde, Moyenne, 
Anonyme, Ile aux Cerfs, Sud-Est und die sie umgebenden Riffe geschützt ist. 
Das Hanptprodnkt Mahes ist Kokosöl. Man nimmt an, dass ein Viertel der 
Insel sich unter Kultur befindet, die Produktion ist aber in stetigem Wachsen. 
Kokos, Kaffee, Vanille, Gewürze und Taback könnten in Menge gewonnen werden, 
aber bis jetzt werden von diesen Produkten keine erhebliche Mengen ausgeführt. 
Der Unterricht scheint ziemlich allgemein verbreitet, denn etwa 1000 Knaben 
und Mädchen empfangen solchen in den vorhandenen Elementarschulen. Die 
Inseln Praslin, La Digue, Curieuse, Silhouette, Felicitä, Ile Cousin, Ile Cousine, 
Ile du Nord sind einander in ihrem allgemeinen Aussehon ähnlich, das heisst, 
eine jede besteht aus einem steilen Hügel oder einer Hügelreihe, die den mittleren 


* Hie wissenschaftlichen Namen, so weit sie ermittelt werden konnten, stammen 
aus dem Almanach von Mauritius. 



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Thcil einnimmt. und einem Streifen mehr oder weniger ebenem Land zwischen 
dem Fnsse dieser Hügel und der See. Der höchste dieser Hügel, anssei' den 
Bergen von Silhouette, mag etwa 12011 Fuss hoch sein; hie und da giebt. es 
Schluchten und Thäler. Alle Inseln werden durch von den Bergen herab- 
kommende Wasserläufe ziemlich gut mit Wasser versorgt. Auf einigen, wenn 
nicht allen, wachsen die Citrone (Citrus medica I). C.), der Lindenbaum (?), die 
Orange und die „fruit de Cvthere (Spondias Borbonira Baker). Unter den 
Waldbäumen befinden sich folgende Arten : Filaos (Kasuarinen), Tntamaka (s. o.), 
Badamier (Terminalia Catappa L.), bois chauve-souris (Ochrosia borbonica Gmel.), 
ein Baum, der sehr gutes Bauholz liefert, Gayac (Afzelia bijuga A. Gray"), bois 
de natte, und auf Praslin und Curieuse wächst der gepriesene Palmenbanm 
(Lodoicea Seychellarura, See - Kokospalme), der „Coco de Mer 1 ' genannt wird. 
Die Bewohner bestehen aus Afrikanern und afrikanischen Kreolen, sowie 
einigen Familien europäischer Herkunft. Auf Curieuse sind zehn Aussätzige 
im Regierungsgebäude. Auf Ile Cousine befindet sich eine grosse Höhle von 
etwa achtzig Fuss Länge. Silhouette ist als eine der höchsten Insebi der Gruppe 
bemerkenswerth; denn obgleich ihr Durchmesser nicht viel mehr als drei miles 
beträgt, hat sie einen nahezu 3000 Fuss hohen Pik, so dass sie als ein mächtiger 
Berggipfel erscheint. Sie ist übrigens eine der fruchtbarsten Inseln, denn sic 
liefert nächst Mähe das meiste Oel. Die östlichste Insel der Gruppe, Ile Fregate, 
enthält, wie gesagt wird, die Reste der Wohnungen der Seeräuber, welche 
sie vordem besuchten. Gegenwärtig wird dort Zuckerrohr gepflanzt und 
etwas Rum erzeugt, der nach Mähe verschifft wird. Denis oder Orixa 
und Bird Island, die nördlichsten der Gruppe, sind, glaube ich. Korallen- 
inseln und beide sind mit Kokosbäumen bepflanzt. Dasselbe gilt von Ile Plate, 
dem südlichsten Eiland. Die übrigen Inseln des Scychellen-Archipels zu 
beschreiben, ist für die Zwecke dieses Berichts unnöthig, da einige wenig 
mehr als nackte Felsen sind und keine von nennenswerther Grösse und 
Bedeutung ist. — Es mag erwähnt werden, dass im Jahre 1878 die Staatseinnahmc 
ans den Seychellen Rupee’s 155,597.(4 c. und die Ausgabe Rnpee's 148,733.99 e. 
betrug. In geschichtlicher Beziehung werden tolgende Bemerkungen gemacht. 
Wenn man von Vermuthungen absieht und nur die Thatsachen berück- 
sichtigt, so scheint es, als ob die Seychellen am 1. September 1756 
durch Monsieur de Morphy, den Befehlshaber des „Cerf". zu Gunsten des 
Königs von Frankreich in Besitz genommen wurden; eine diese Thatsachc nach- 
weisende Notiz ist in den Protokollen des obersten Gerichtshofes zu finden Zu 
Anfang beschäftigten sich die wenigen Bewohner mit dem Fauge von Fischen 
und Schildkröten, später wurden Gewürzpflanzen angebaut, die indessen un- 
glücklicherweise bei der Annäherung eines für einen englischen Kreuzer 
gehaltenen Schiffes, welches sich aber später als ein französisches Fahrzeug 
erwies, vernichtet wurden. Durch Vögel war jedoch über verschiedene Theile 
der Inseln Zimmtsamen verbreitet worden, aus dem Bäume emporwuchsen, die 
noch jetzt vorhanden sind ; sie werden jedoch, soviel ich weiss, nicht verwerthet. 
Ein ferneres Ereigniss in der Geschichte dieser Insel war. dass im September 
1801 eine französische Korvette, während sie im Hafen vor Anker lag. durch 
S. M. S. Victor in den Grund gebohrt wurde, welches letztere Schiff unter dem 
feindlichen Feuer nach der Durchfahrt lotlien und warpen musste. Im Mai 1794 
wurden diese Inseln Grossbritannien übergeben, doch erst 1810 mit Mauritius 
thatsüchlich in Besitz genommen. Es ist mir gesagt worden, dass die Haupterzeng- 


nisse der Seychellen viele Jahre hindurch Baumwolle und Taback gewesen seien ; 
vor etwa 25 Jahren begann man aber den Kokosbaum in ausgedehntem Maasse 
zu pflanzen und jetzt bildet Kokosnnssöl den Hauptexportartikcl.“ Google 


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Der deutsche Naturforscher Professor Karl Möbius aus Kiel besuchte Anfang 
1875 die Seychellen. Kr schildert in dem Kapitel „Beschreibung der Reise“ des von 
ihm herausgegebenen grossen Werkes „Beiträge zur Meeresfauna der Insel Mauritius 
und der Seychellen“, Mähe, von wo aus er seine meerzoologischen Exkursionen 
machte. „Der vorherrschende Baum“, sagt er, „ist die Kokospalme. In den Gärten 
der Stadt ragt sie über die Häuser und die meisten anderen Bäume empor. 
Sie wächst am Meeresstrande und geht, hoch ins Gebirge hinauf. An vielen 
Stellen bildet sie ausgedehnte Wälder. Hier ist sie weit schöner als in Mauritius.“ 
Amlere herrliche laubreiche Bäume sind der Brotfruchtbaum und der Flamboyant 
(Poinciaua regia Boj.). Die oben erwähnte Seekokospalme bildet, auf der Insel 
Praslin Wälder. Die Blätter dieser Palme sind fächerförmig und von ungeheurer 
Grösse. — Im Jahre 1874 wurden nach Möbius Mittheilung auf den Seychellen 
720,000 1 Kokosöl ausgepresst, davon wurden 200,000 1 auf den Seychellen selbst 
zum Brennen und zu Speisen verbraucht, der Rest wurde nach Mauritius ans- 
geführt und lieferte 20,000 Pfund Sterling. Das die Seychellen umgebende Meer 
ist reich an Fischen und beherbergt die werthvolle Rieseuschildkröte, welche, 
nachdem sie gefangen, am Lande in Bassins lebend erhalten wird, um frisch zu 
Markt gebracht zu werden. Es liefert aber auch in grossen weissen Korallen- 
blöcken den Insulanern das Material zum Bau ihrer Häuser. 

Uebcr die südwestlich von den Seychellen gelegene Dependenz der 
Almirant.engruppe entnehmen wir dem oben benutzten Bericht folgende Be- 
merkungen: „Die Almiranten sind eine Gruppe kleiner Korallen-Inseln in der 
Richtung West gegen Süd von den Seychellen und etwa 140 miles von Mähe 
entfernt. Sie sind von Riffen umgeben, und. soweit ich in Erfahrung bringen 
konnte, werden nur die „Afrikanischen Inseln“, Daros, St. Joseph, Poivre, Sud 
und Desroches bewohnt. Zwei, Poivre und Daros, produciren Kokosnussöl ; 
St. Joseph und Desroches liefern etwa 50 Tons Mais jährlich. Die übrigen 
Inseln werden gelegentlich als Fischereistationen benutzt, ausser Boudeuse, 
welche, wie ich höre, nie besucht wird. 

Findlay warnt in seiner „Anweisung für die Schiffahrt im Indischen Ocean“ 
grosse Schiffe, sich den Almiranten zu nähern und zwar wegen der Windstillen 
und der starken und veränderlichen Strömungen, die in ihrer Nähe vorherrschen. 

In den Jahren 1770 und 1771 wurden die Almiranten durch Durosland, 
Befehlshaber der Brigg „L’heure du Berger“, und de La Bioliero, Befehlshaber 
der Brigg „L'Etoile du Matin“, besucht und am 7. September und 5. Oktober 1802 
zu Gunsten der französischen Regierung durch Kapitän Blin vom Schuner 
„Rosalie“, der zu dem Zwecke von den Seychellen abgesaudt war, in Besitz 
genommen. Poivre, Sud, Daros, die St. Joseph Gruppe und Desroches sind jetzt. 
Kigenthuin des Herrn Lienard auf Mauritius, und das Oel von Poivre und Daros 
kommt nach Mauritius. Remire, African Banks, Marie Louise und Des Neuf 
sind gegenwärtig an einige Bewohner der Seychellen für 320 Rupien jährlich 
verpachtet. 

Was die Handhabung der Rechtspflege auf den Seychellen und Almiranten 
(welche letzteren Inseln gleichsam Untcr-Depcndenzen der Seychellen sind) 
anbetrifft, so kann ich hinzufügen, dass in Mähe ein Distriktsrichter mit sehr 
ausgedehnter Gerichtsbarkeit, und auf Praslin ein mit gewissen Machtvollkommen- 
heiten ausgestatteter Regierungsarzt ist. Auf den anderen Inselu wohnen keine 
richterlichen Beamten.“ 

Der TschagOS-Arcliipel. lieber diese Dependenz von Mauritius entnehmen 
wir dem vorstehend erwähnten Bericht des Herrn Ackroyd das Folgende: „Der 


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Tschagos - Archipel besteht aus einem grossen Riff mit einer Anzahl Inseln an 
seiner Anssenkanle oder in geringer Entfernung von derselben. Er liegt im 
Süden von Vorder-Indien auf ö” 21' — 7" 13' S. B. nnd 71° 12' — 72" 22' 0. L., 
ist 1(132 milcs von Mauritius, von wo er verwaltet wird, entfernt und zerfallt in 
a) die Sechs-Inseln oder Egmont-Iuseln, wie der Name sagt, (! an der Zahl. 
Dieselben bilden mit den sie verbindenden Riffen ein unregelmässiges Oval von 
etwa ft miles in der Länge und 10 in der Breite. Sie sind fast ganz mit Kokos- 
bäumen besetzt. Der Eingang in die durch die Inseln und ihre Riffe gebildete 
Bai ist eng und sehr seicht; cs können deshalb nur kleine Fahrzeuge von 
weniger als 12 Fuss Tiefgang hineinkommen, doch einmal auf der Innenseite, 
finden sie einen guten Ankergrund. Es sind indessen zahlreiche Korallenbänke 
über die sehr malerische Bai zerstreut. Die Gcsammtproduktion der Sechs-Inseln 
beträgt jährlich 13, (XX) Gallonen Oel im Werthe von 1G.OOO R. S., der Werth der 
Einfuhr 7000 R. S. b) Die Dreibrüder- oder Adler-Inscl-Gruppe, allgemein unter 
dem Namen „Trois Freres“ bekannt, obwohl nur die Adler-Insel bewohnt ist. 
Die Gruppe besteht aus Trois Freres, drei kleinen Inseln mit Namen North. 
Moyenne, La Terre Islands, aus der Adler-Insel selbst, Ile aux Vaches marines und 
Danger Island. Der Berichterstatter hat die grösste, die Adler-Insel, besucht, welche 
ganz mit Kokosbäumen bestanden ist. Die andern Inseln der Gruppe sind auch 
mehr oder weniger mit diesen Bäumen besetzt ; ihr Ertrag ist aber gegenwärtig 
unbedeutend. Die Gcsammtproduktion dieser Inselgruppe beträgt 15,000 Gallonen 
Oel im Werth von 18 000 R. S., der Werth der Einfuhr ist 6000 I! S. c) Die 
Solomon-Inseln, früher die Zwölf-Inseln genannt, jedoch nur 11 an der Zahl 
Alle diese Inseln, ausser Ile au Diable, sind mit Kokosbäumen bestanden, 
bilden mit ihren aussenliegendcn Riffs eine Bai von ungefähr 5 miles Länge, bei 
3 miles Weite und haben die Gestalt eines unregelmässigen Ovals. Die Wassertiefe 
in der Durchfahrt beträgt 3 Faden , aber innen ist guter Ankergrund in 
6—10 Faden Tiefe. Neben der Kokospalme giebt cs noch auf einigen dieser 
Inseln eine Anzahl Bäume, deren Holz dem des Tcakbaums ähnlich ist. Die 
Gesammtproduktiou der Solomon-Inseln befragt 25,000 Gallonen im Werthe von 
30,000 R. S., die Einfuhren repräsentiren einen Werth von 12,000 R. S. d) die 
Peros Banhos-Grnppe, welche aus 26 Inseln besteht, die mit den anliegenden 
Riffen ein unregelmässiges Viereck bilden, dessen Länge von Norden nach Süden 
15 miles ist. bei einer Breite von 13 miles. — Auf Ile du Coin ist eine Oelfabrik. 
Zwischen den Inseln sind mehrere Passagen; die beste für die ankominenden 
Schiffe ist der südliche Kanal, zwischen den Inseln Ile Fouquet. und Ile aux 
Vaches Marines, und für die abgehenden derjenige zwischen den Inseln Pctite 
Soenr und Ponle. Sie sind fast alle mit Kokosbäumen bestanden. Der 
Berichterstatter besuchte nur Ile du Coin, auf der neben Kokospalmen 
einige Bäume mit Namen „Bois Malgache“ stehen, die, ausgewachsen, 
vortreffliches Bauholz liefern; die Bäume auf Peros Banhos sind alle klein 
Eigcnthiimcr dieser Inseln sind mehrere Eingesessene von Mauritius. Die 
jährliche Gcsammtproduktion ist 30 000 Gallonen Oel, im Werthe von 36000 R. S., 
der Werth der Einfuhren 6000 R. S. c) Nelson Island, eine kleine unbewohnte 
Korallen-Insel mit einigen Kokosbäumen, f) Diego Garcia, die bedeutendste der 
Oel-Inseln (von denen die Tscliagos-Inseln einen Theil bilden), ist wie die übrigen 
eine Korallenbildung. Ihre Gestalt ist ein unregelmässiges Viereck, dessen Länge 
etwas über 12 miles, und dessen grösste Breite etwa 6 miles beträgt. Der Um- 
fang dieser Insel, mit Einschluss der drei kleinen Inseln an der Mündung der 
Bai, beträgt etwa 31 miles. Die Breite des die Insel bildenden Streifen Landes 
variirt sehr, und zwar zwischen l 1 /* miles und etwa 100 Yards. Es wird so 


)gk 



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eine prächtige Bai gebildet, in der fast überall guter Ankergrund ist. Es ist 
bemerkenswert!!, dass, sowie man die Diego Garcia umgebenden Riffs passirt hat, 
man sich in 5— fiOO Fnss Wasser befindet, so dass es scheint, als ob die Insel der 
Gipfel eines alten Kraters wäre. Diego Gracia ist fast ganz mit Kokosbäumen 
bedeckt, doch giebt. es auch einige filaos (Kasuarinen) und zweierlei Bäume mit 
Namen Bois Janne und Bois Malgache, die beide ausgezeichnetes Bauholz geben. 
Es sind ferner eine Anzahl Bäume der Gattungen Bois Blanc (Sliakua pubescens 
Boj., auch Spondias pubescens Boj.) und Bois Bonnet, Caere vorhanden. Diego 
Garcia zerfällt in drei Besitnngen: die erste, Mini-Mini, erstreckt sich vom 
nordöstlichen Ende angerechnet etwa 8 miles weit, East. Point schliesst. sich in 
einer Ausdehnung von etwa 13 miles an, den übrigen Theil der Insel bildet 
Pointe Marianne. Mini-Mini liefert einen jährlichen Ertrag von 16 — 20000 Gallonen 
Ocl, East Point 50 — 60000, Pointe Marianne 30—35000 Gallonen. Die Bevölkerung 
von East Point betrug im Jahre 1880 207 Einwohner, worunter 147 männliche 
und 60 weiblichen Geschlechts, die von Mini-Mini 68, worunter 43 Männer und 
2 5 Frauen, die von Pointe Marianne 120, worunter 83 Männer und 37 Frauen. 
Auf East Point besteht die Mehrzahl der Bevölkerung aus Malegassen, Kreolen 
und Eingeborenen von Mozambique; auf Pointe Marianne sind auch ziemlich 
viele Malcgassen. 

Der Gesammtwerth der Produktion von Diego Garcia beträgt 140 000 R. S. 
der der Einfuhren 45 000 R. S. Der Grund und Boden von Diego Garcia gnliört 
einer Anzahl Einwohner von Mauritius. 

(Im Märzheft der Procecdings der Londoner geographischen Gesellschaft 
wird bezüglich Diego Gracias eine Mittheilung aus den Hydrographie notices der 
Admiralität von 1881 gemacht. Darnach wäre dieser südlichste Atoll des 
Archipels 13 miles N. zu S. lang und die grösste Breite 8 miles, das Riff 
erhebt sich durchschnittlich 3—4 Fuss über Meer. Die Lagune des Atolls bietet, 
in der Eclipse-Bai einen trefflich geschützten Hafen mit 8 — 12 Faden Tiefe. 
Selten vergeht eine längere Zeit ohne Regen, die eigentlichen Regenmonate sind 
aber Januar bis März, zu welcher Zeit scharfe NAV.-Winde wehen. Die Einwohner- 
zahl wird, etwas abweichend von obigen Ziffern, auf 431 im Ganzen, und die 
gesummte Ausfuhr von Kokosnussoel auf 147 510 Gallonen in einem Jahre an- 
gegeben. Den Kokospalmenpflanzungen tliun zahlreiche Ratten viel Schaden.) 

Auf allen Oel-Inseln, zu welchen noch vier Inselgruppen im Norden von 
Mauritius und im Westen vom Tschagos-Archipel gehören, sind die Wasscrvögel zahl- 
reich, Schildkröten selten, Hornvieh gedeiht nicht. Auf Diego Gracia sind 
einige Ziegen, die gut fortkommen. Ausser den Verwaltern und Aufsehern und 
ihren Familien, die Europäer sind, besteht die Bevölkerung aus Afrikanern, 
Kreolen und Malcgassen. Auf Agalega (nicht zur Tschagos-Gruppe gehörig) sind 
indessen 50 Indier, und vielleicht 10 auf allen andern Inseln. Die Arbeiten 
werden im Allgemeinen akkordweise ansgeführt. 50t) oder 550 Kokosnüsse 
müssen täglich gesammelt, und aus der Schale gelöst werden, eine leichte 
Arbeit. Das Brechen und Schälen wird nachher von Weibern vorgenommen, 
die jede täglich 1500 Stück zu verarbeiten haben. Die Kokosnüsse werden darauf 
in der Sonne getrocknet und in einer Mühle von primitiver Konstruktion, 
bestehend aus einer schweren hölzernen Walze, die in einem ausgehöhlten llolz- 
block arbeitet, gepresst ; die Walzen werden von Eseln oder Maulthiereu gedreht. 
Im Allgemeinen erfreuen sich die Arbeiter einer guten Gesundheit, scheinen zu- 
frieden und glücklich zu sein. Sie sparen oft ein Viertel bis die Hälfte 
ihres Lohnes. Sie leben in guten, aus Kokosnnssblättern über einem 
hölzernen Stiinderwerk errichteten Hütten. Die Arbeiter bekommen Rationen 


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von 11 — 14 Pfund Reis die Woche. Fische sind fast auf allen Inseln im 
Ueberfluss, und auf den meisten auch Kürbisse, Bananen und eine „papayer“ 
genannte Frucht (Papaya edulis Boj.) wachsen ohne alle Kultur. F.s ist freilich 
für die Erziehung oder den religiösen Unterricht der Arbeiter oder ihrer Kinder 
ungenügende Vorsorge getroffen, und es besteht ein grosses Missverhältniss zwischen 
der Zahl der Weiber und der Männer. Dieser Uebelstand existirte seit der Zeit 
der Sklaverei. Der Charakter des Klimas ist durchaus tropisch, doch soll die 
Hitze jederzeit erträglich sein. In der Regenzeit gicbt es heftige tropische Regengüsse. 
Auf East Point (Diego Garcia) gehörten im Jahre 1880 von 121 Hütten 30 den Arbeitern 
zu eigen der Staat, hatte das Material dazu geliefert, so dass die Eigenthümer nur 
die Arbeit des Aufbauens selbst leisten mussten ; die Hütten sind dort, meist von 
grösserem Rauminhalt als das englische Gesetz vorschreibt. Auf East Point sind 
drei Hospitäler, auch wird dort ein Medicinlager unterhalten. Die Sterblichkeit 
betrug etwa 2°,'o im Jahre. 


§ Ras deutsche Haus in seinen volkstbiinilichen Formen. Von August 
Mcitzen. Die Verhandlungen des in der Pfingstwochc zu Berlin stattgehabten 
Deutschen Geographentags sind erst kürzlich erschienen. Einem kurzen Ein- 
leitungswort, das uns die verspätete Ausgabe nicht genügend erklärt, folgt, der 
Abdruck der gehaltenen Vorträge, nämlich die Eröffnungsansprache des Dr. Nacht igal 
und Vorträge von Prof. Zöppritz: „Mittel und Wege zur besseren Kenntniss 

vom Inneren der Erde“, von Prof. Kein über: „Die Bermudas-Inseln und ihre 

Korallenriffe“, von Prof. Bastian über: .Die Ethnologie, und ihre Aufgabe“ und 

von Geh. Rath Meitzen über: „Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen 

Formen“. Diese letztere Mittheilung, welche mit einer Karte und sechs Ab- 
bildungen ausgestattet ist, erschien schon früher gesondert und wir wollen hier 
wenigstens mit einigen Worten auf den reichen Inhalt himveisen. Ausgehend 
von dem Satze: dass des Mannes Haus der Ausdruck seines öffentlichen wie 
seines Familiendaseins ist, stellt uns der Verfasser die volkstümlichen Formen 
des deutschen Hauses in ihrem geographischen und geschichtlichen Auftreten 
dar. Die gegenwärtige Lage der Dinge zeigt im Nordwesten Deutschlands 
längs der Küstengegenden der Nordsee das friesische und sächsische Hans, in 
den Alpen die verschiedenen Gestalten des Schweizerhauses und in Skandinavien, 
sowie hier und da in Wcstprenssen, Posen und Polen den eigentümlichen 
Typus des nordischen Hauses. In dem weiten Zwischenräume aber ist von 
den westlichen Wasserscheiden des Rheines her das fränkische Haus verbreitet, 
schränkt alle die anderen herkömmlichen Hausformen offenbar ein und ver- 
drängt und unterdrückt sie. Der Verfasser bezeichnet Belbst seine Skizze in Rücksicht 
auf das ihm zur Verfügung stehende mangelhafte Material als zu allgemein und 
vielfach hypothetisch. Er stellt zum Schluss eine Reihe von Fragen, deren 
Beantwortung er von ortskundigen Zeugen sich erbittet. Allen Freunden der 
vaterländischen Kulturgeschichte sei es an’s Herz gelegt, den allmählichen Ausbau 
seiner Ermittelungen durch solche Beobachtungen zu fördern. 


Ilriick vnu Carl Sc-hfineuittiiii. 

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Heft 3. 


Deutsche 


Band V. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


Beiträge und sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. M. Lindeman, Bremen } Mende$traB$e 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung 
mit der Redaktion gestattet. 


Die Expedition der Bremer geographischen Gesellschaft 
nach der Tschuktschen-Halbinsel und Alaska. 
1881 - 1882 . 

(Reisebriefe der Gebrüder Dr. Krause.*) 


m. 

1. Wintersausfliige von Chilkoot ans. 

Von Dr. Arthur Krause. 

Ausflug nach Kluckquan. Kutkwutlu. Der Häuptling Tscliartritsch. Die Chilkat- 
Indianer. Trachten, Beschäftigung, Familienleben. Der Schamane. Tänze. Handels- 
wege. Hausgeräth. Thierlehen. Witterungsverliältnisse. Jagdausflüge. Trauerfeier- 
lichkeit der Chilkat- Indianer. Blutrache. 

Chilkoot, den 24. Januar 1882.**) Wieder bietet sich eine 
unerwartete Gelegenheit, von hier aus Nachricht an die Gesell- 
schaft zu senden. Sitka-Dick, ein bekannter Sitka - Indianer, 
kam in einem kleinen Kanoe am 19. dieses Monats hier an 
und gedenkt bereits in den nächsten Tagen die Rückreise an- 
zutreten. Er hatte im vergangenen Herbst diesen Ort besucht, 
verlor aber bei der Rückkehr sein grosses Kanoe, das, während 
er in einer Bucht des Lynnkanals kampirte, von den Flutwellen 
zerschellt wurde. So sah er sich denn gezwungen, mit Weib und 
Kind, wie er erzählt, unter vielen Beschwerden, den Winter in 
dieser menschenleeren Gegend zuzubringen, bis er durch das erwähnte 
kleine Kanoe, das von Harrisburgh sich hierher begab, um Lachse 
zu holen, erlöst wurde. Diese kleine Geschichte veranschaulicht 
die hiesigen Verkehrsverhältnisse. So steil steigen die Felsen vom 

*) Die früheren Briefe s. Bd. IV d. Zeitschr. S. 245 u. ff. u. Bd. V S. 1 
n. ff. n. S. 111 u. ff. Herr Dr. Arthur Krause setzt seine Forschungen in 
Alaska noch bis zum Herbst d. J. fort; Herr Dr. Aurel Krause kehrte vor 
Kurzem nach der Heimat zurück; seine Rückreise von Chilkoot bis Portlaud 
schildert der weiter unten folgende Brief. Die Red. 

**) Angekommen in Bremen am 21. April 1882. 

Geogr. Blätter. Bremen, 1882. 12 


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Meere aus an, dass der Mann es für unmöglich hielt, die kurze 
Strecke, die unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum ein Tagesmarsch 
sein würde, zu Fuss zurückzulegen. Das Kanoe von Harrisburgh 
war 11 Tage lang unterwegs gewesen; sonach konnten wir mit 
unserer sechstägigen Reise noch zufrieden sein. Der Januar-Dampfer 
war in Harrisburgh noch nicht angelangt, so dass wir neuere Nach- 
richten nicht erhalten haben. Die letzten aus der Heimat datiren 
vom September. Auch dieses Schreiben kann im günstigsten Falle 
erst Ende Mürz seinen Bestimmungsort erreichen, wenn nämlich 
das Boot vor dem 12. nächsten Monats noch Sitka erreicht; andern- 
falls würde es einen vollen Monat später ankommen, da zwischen 
Sitka und San Francisco nur einmalige Verbindung im Monat 
existirt. Uebrigens geht man jetzt mit dem Plane um, den Post- 
dampfer zweimal im Monat gehen zu lassen und vielleicht wird es 
bereits in diesem Jahre dazu kommen. 

In der Zwischenzeit haben wir neben unseren gewöhnlichen 
Arbeiten einen längeren Ausflug nach dem oberen Chilkatdorfe, 
Ivlukquan, unternommen, der uns zu zahlreichen interessanten Wahr- 
nehmungen Gelegenheit gegeben hat. Am Morgen des 11. Januar 
brachen wir von hier aus in Begleitung des Missionärs und zweier 
Indianer auf. Noch in der Morgendämmerung legten wir den Weg 
durch den Wald nach dem jenseitigen Ufer der Halbinsel zurück ; 
bald gelangten wir, auf gut betretenem Pfade den Strand entlang 
weiter gehend, nach dem unteren Chilkatdorf, Tondustek, das in 
dieser Jahreszeit völlig verlassen ist, da sich die Bewohner zur 
Winterszeit hierher begeben haben, woselbst ihnen ein grösserer 
Holzreichthum als drüben zur Verfügung steht. Zur Sommerszeit, 
zur Zeit des Lachsfanges, begiebt sich dann Alles wieder nach dem 
alten Platze und die bisherigen kleinen Winterhütten sind dann 
verödet. Im unteren Chilkatdorfe sind vor zwei Jahren 16 Häuser 
und 171 Einwohner gezählt worden. Die Häuser sind alle nach 
demselben Stil, aus Brettern aufgeführt, die aus dem Stamm mit 
der Axt ausgehauen sind, mit fast quadratischem Grundriss und 
flachem Giebeldache. — Von hier aus setzten wir die Wanderung auf 
dem Eise des Chilkat-Flusses fort. Der Schnee war hier durch 
wiederholte Ueberflutungen grösstentheils weggeschmolzen, so dass 
wir uns an einigen Stellen, zum Erstaunen unserer indianischen 
Begleitung, der Schlittschuhe bedienen konnten. Das etwa V«— Vs 
deutsche Meile breite Flussthal wird durch zahllose grössere und 
kleinere dicht bewaldete Inselchen unterbrochen, zwischen denen sich 
die wenig wasserreichen Flussarme hindurch winden. Pappelgehölz 
herrscht hier auf dem augeschwemmten Boden vor, während die das 


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Flussthal begrenzenden Gebirgsabhänge mit Nadelholzwald bedeckt 
sind. Da iin Laufe des Tages sich auch das Wetter günstiger 
gestaltete, denn der kalte Wind, der uns Anfangs unangenehm 
entgegen wehte, liess nach, so konnten wir uns der schönen Scenerie, 
die uns umgab, ungestört erfreuen. Erst gegen Abend erreichten 
wir Kutkwutlu, ein aus 11 Häusern mit gegen 125 Einwohnern 
bestehendes Dorf, von dem aus noch ein zweistündiger mühseliger 
Weg entlang dem Flussufer zurückzulegen war. Der Fluss friert 
auf dieser Strecke niemals völlig zu; der schmale Fnsspfad. der 
durch den Pappelwald am Ufer führte, war an und für sich schon 
nichts weniger als bequem, mehrmals musste unser Führer von dem 
Beile Gebrauch machen, um für sich und unser Gepäck, das er auf 
dem Rücken trug, Raum zu schaffen. Jetzt bei der nun vollständig 
eingetretenen Dunkelheit war aber dieser Weg doppelt beschwerlich, 
so dass wir froh waren, als wir endlich die Häuser von Klukquan 
vor uns sahen. 

Wir traten in das Haus des alten Tschartritsch, Charridge nach 
englischer Schreibung, ein, des Häuptlings (chief) der Chilkat-Indianer, 
der von unserem beabsichtigten Besuche bereits unterrichtet war, 
und wurden aufs Beste aufgenommen. Der Thür gegenüber hatte 
man den Ehrenplatz für uns hergerichtet, einige Koffer, die man 
mit Leinwand bedeckt hatte; auch wurden bald, nachdem wir an 
dem mächtigen Feuer im Centrum des Wohnraumes unser Abend- 
essen bereitet hatten, wollene Decken herbeigeholt, um das Nacht- 
lager für uns zu bereiten. 

Acht Tage lang währte unser Aufenthalt in diesem Hause, 
während dieser Zeit lernten wir das häusliche Leben der Chilkat- 
indianer kennen, und gewannen auch durch einige grössere Ausflüge 
flussaufwärts Informationen über dieses von Weissen bisher kaum 
betretene Gebiet. 

Tschartritsch wohnt in seinem Hause mit seiner Familie, zu 
der auch zwei Sklaven gehören, allein, während die meisten anderen 
Häuser von mehreren Familien bewohnt werden. Ausserdem besitzt 
er noch zwei grosse Waarcnhäuser, deren eipes auf einer Insel im 
Flusse liegt. Die Sklaven sind durch Krieg oder Kauf von anderen 
Stämmen erworben w'orden; ihre Zahl ist jetzt sehr gering, ihre 
Behandlung soll, mit einigen Ausnahmen, eine recht milde sein. 

Die Chilkat-Indianer sind meist kräftige, wohlgebaute Leute, 
ein Sohn des alten Tschartritsch, der bereits sein eigenes Heim hatte, 
maass 181 cm. Die Gesichtszüge sind häufig, zumal bei Kindern, 
recht gefällig und ohne das glänzendschwarze Haar und die dunklen 
Augen würde man manches Gesicht der germanischen Ra<;e zuzählen 

12 * 


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können, zumal auch die Hautfarbe kaum dunkler genannt werden 
kann. Im Allgemeinen sind vorstehende Backenknochen und 
schmale Augen als charakteristische Merkmale zu bezeichnen. Mit- 
unter findet man auch ausgesprochene Adlernasen, die nach Petroffs 
Angabe bei den Indianern von Cooks Inlet häufig anzutreffen sein 
sollen. 

Eine nationale Kleidung ist nicht mehr wahrzunehmen; einige 
europäische Kleidungsstücke, vor Allem aber wollene Decken in 
verschiedenen Farben und verschiedenen Mustern dienen zur Bedeckung 
des Körpers. Die Kinder sieht man häufig, nur mit einem dünnen 
baumwollenen Hemd bekleidet, der Kälte eines Winters, der etwa 
dem von Berlin gleichzustellen wäre, trotzen. In letzterer Beziehung 
zeigen sich auch die Erwachsenen sehr widerstandsfähig; ein voll- 
ständiges Bad, das wir einen Indianer in einer eisfreien Stelle des 
Chilkat-Flusses nehmen sahen, nach welchem er sich noch mehrmals, 
wie es schien, mit grösstem Wohlbehagen, im Schnee herum wälzte, 
wurde als durchaus nichts aussergewöhnliches angesehen. In der 
That haben wir auch noch mehrfach Leute im adamitischen Kostüme 
ausserhalb ihrer Häuser umherspazieren sehen. 

Eine Tätowirung des Gesichtes ist nicht üblich, dagegen eine 
Bemalung desselben bei allerhand feierlichen Anlässen sehr gewöhnlich. 
Die zu dieser benutzten Farben sind schwarz (Russ oder Kohle), 
und roth (Zinnober) ; letzterer Farbstoff würde wohl in civilisirten 
Ländern als nicht ganz unbedenklich angesehen werden. Sehr häufig 
haben die Frauen, mehr vereinzelt die Männer, das ganze Gesicht 
oder den grössten Theil desselben pechschwarz gefärbt, ohne dass 
sie für diesen seltsamen Gebrauch eine besondere Erklärung häjtten. 
Die verschiedensten Gründe für denselben werden angegeben, bald 
soll es Trauer über den Verlust eines Verwandten bedeuten, bald 
gegen die Mückenplage im Sommer oder gegen die Gefahr der 
Schneeblindheit im Winter gerichtet sein, oder gar zur Konservirung 
des Teints dienen. Vielleicht dürfte letztere Behauptung nicht blos 
als Scherz aufzufassen sein, indem möglicherweise die Haut durch 
die Russschicht gegen die Wirkung der Wärmestrahlen des mächtigen 
Holzfeuers, an welchem namentlich die Frauen den ganzen Tag über 
sitzen, geschützt wird. 

Ausser Ohr- und Nasenringen, die Männer und Frauen, doch 
nicht allgemein, tragen, haben die letzteren gewöhnlich noch einen 
kleinen etwa 2 cm langen, silbernen oder knöchernen Stift über 
dem Kinn in der Haut befestigt, so dass derselbe frei nach aussen 
hervorragt, Ringe an den Fingern, Arm- und Halsbänder aus dem 
verschiedenartigsten Material und in verschiedenen Mustern sind 


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181 


gleichfalls beliebt, besonders schwere silberne Armbänder, die von 
einheimischen Künstlern aus dem amerikanischen Dollar angefertigt 
und nicht ohne Geschmack mit Gravirungen versehen werden. 

Das häusliche Leben in Tschartritsch’s Hause bot nicht gerade 
viel Abwechslung dar. Mit Tagesanbruch, d. li. zwischen 8 und 
9 Uhr, erhob man sich vom Lager und die beiden Sklaven sorgten 
zunächst dafür, dass der in der Mitte des Wohnraumes befindliche 
Ilolzstoss, welcher aus paarweise über Kreuz aufgeschichteten mit- 
unter fussstarkeu Ilolzblöcken bestand, in Brand gesetzt wurde. Die 
Toilette nahm nicht viel Zeit in Anspruch, da kaum ein Kleidungs- 
stück für die Zeit der Nachtruhe abgelegt war; doch wusch man 
sich Gesicht und Hände, auch wurde der gedielte Fussboden rein 
gefegt. Für die Mahlzeiten schien man keine regelmässigen Stunden 
bestimmt zu haben; getrocknete oder geröstete Lachse, Entenbraten, 
ein Mehlbrei und Beeren in Fischöl bildeten die Hauptbestandtheile 
der Nahrung, seltener gestattete man sich den Luxus einer Tasse 
Thee. Die Tagesarbeit war nicht anstrengend, doch war man auch 
nicht müssig; die Beschaffung des Feuerungsmaterials, welche jedoch 
den Sklaven und Geringeren überlassen blieb, Jagd und Fischfang 
bildeten die Beschäftigung der Männer ausser dem Hause, innerhalb 
desselben nahm Herstellung und Reparatur verschiedener Aus- 
rüstungsgegenstände ihre Zeit in Anspruch. Während unseres Auf- 
enthalts in Klukquan war man namentlich mit den Vorbereitungen 
zu einer Handelsexpedition ins Land der Konanä, deren Dauer auf 
3 — 6 Wochen veranschlagt wurde, beschäftigt. Da wurden von den 
Männern Schueeschuhe, von den Weibern Mokassins angefertigt, die 
Waffen wurden in Stand gesetzt und Schäden reparirt. Ein Kasten 
mit Handwerkzeugen ist in dem Besitz jedes Mannes, wie Näh- und 
Putzzeug in dem der Weiber. Eigenthümlich gebogene kurze 
Messerchen werden zu Schnitzarbeiten, in denen die Leute grosses 
Geschick zeigen, benutzt. Als einen Beweis der Geduld, welcher sie 
fähig sind, möge erwähnt werden, dass ein Mann ein ihm zu schweres 
Axtblatt der Quere nach zu durchsägen sich bemüht hatte und auch 
glücklich bis zu der gestählten Schneide gelangt war, weiter reichten 
aber seine Hülfsmittel nicht aus und rathlos ging er uns nun um 
Auskunft darüber an. 

Leber das Familienleben können wir, soweit unsere Beobach- 
tungen reichen, uns nur günstig aussprechen ; die Stellung der Frau 
scheint eine selbständige und geachtete zu sein, gegen die Kinder 
zeigen die Eltern grosse Zuneigung, die sich vielleicht auch darin 
ausspricht, dass erstere hier kaum minder leicht als in civilisirten 
Ländern zum Weinen angeregt werden können. Niemals hörten wir 


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dagegen ein Tschuktschenkind, welches jedenfalls viel rauher behandelt 
wird, schreien. Nach munterer und durch Scherze häufig gewürzter 
Abendunterhaltung, der wir leider in Folge unserer Sprachunkenntniss 
nicht zu folgen vermochten, begab man sich zur Ruhe; mit Decken 
verhangene Bretterverschläge an der Hinter wand des Wohnraums 
dienten als Schlafräume. Das Feuer wurde ausgelöscht und bald 
herrschte in Folge der durch die zahlreichen Spalten und die gegen 
2 qm grosse Rauchötfnung sehr erleichterten Kommunikation mit der 
Aussenluft eine von der der letzteren wenig unterschiedene Tem- 
peratur in dem ganzen Raume. 

Mit unserem Ausfluge nach Chilkat hatten wir es in sofern 
günstig getroffen, als gerade der alte Schamane oder Indianerdoktor, 
Ich-td in der Chlingitsprache, gestorben war, und nun die Einfüh- 
rung; eines neuen gefeiert wurde. Alle erwachsenen Angehörigen 
des Rabenstammes, zu dem der alte Schamane gehört hatte, waren 
zu viertägigem Fasten verpflichtet, die Kinder zu zweitägigem, der 
neue Ich-ta dagegen zu achttägigem mit der Erlaubnis eines Früh- 
stücks nach viertägiger Enthaltung der Nahrung. In dem Schamanen- 
hause war der ganze Stamm versammelt und an den Abenden wurden 
feierliche durch Gesang begleitete Tänze aufgeführt, denen wir 
zweimal beiwohnten. Ein mächtiges llolzfeuer war angezündet, rings 
herum waren die Theilnehmer am Tanze, alle Männer und Knaben 
in festlicher Kleidung und mit Taunenzsveigen geschmückt, gelagert. 
Im Hintergründe sassen die Frauen, der übrige Raum war von Zu- 
schauern eingenommen. Von einem erhöhten Platze aus leitete ein 
Indianer die Feier, die hauptsächlich in einem lauten Chorgesang 
bestand, der durch Paukenschläge und durch Aneinanderschlagen 
zweier Holzstäbe begleitet wurde. Als Pauke diente ein bunt bemalter 
Ilolzkasten, dessen eine Seite mit einem Fell überzogen war. Von 
Zeit zu Zeit wurden uns unverständliche Formeln, Fragen und Ant- 
worten gesprochen, dann xückten wieder einmal alle Theilnehmer 
mit wilden Geberden, Aufstossen der Füsse und geballten Fäusten 
gegen den Holzstoss in der Mitte vor, weiter wurden die Ilolzkasten 
des verstorbenen Schamanen von oben her durch die Rauchöffnung 
in den Raum hineingelassen, die Tanzmasken aus denselben hervor- 
geholt und eine nach der andern während des Gesanges gegen das 
Feuer gehalten. Plötzlich stürzte ein Indianer im Zustande der 
Ekstase auf die llolzpauke los, woselbst er nach einigen konvulsivischen 
Zuckungen scheinbar bewustlos liegen blieb, es war der neue Scha- 
mane. Mit dem Zurückschalfen der Koffer auf demselben Wege, auf 
welchem sie hereingelassen worden waren und dem Wegblasen von 
Federn war daun die Feier beendigt; die Zuschauer verliessen den Raum, 


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wahrend der Rabenstamm, Männer, Frauen und Kinder, zur gemein- 
samen Hungertortur dort versammelt blieb. Als wir am letzten Abend 
der viertägigen Fastenzeit einer im Wesentlichen getreuen Wieder- 
holung dieser Feier beiwohnten, bemerkten wir doch eine grosse Ab- 
spannung und Ermüdung der Theilnelnnenden und einige der jüngeren 
Knaben schienen bereits aus der Reihe derselben ausgetreten zu sein. 

Leider hatten wir einen Abend durch eine weitere Exkursion, 
von der wir erst spät zurückkehrten, versäumt, an welchem, wie 
wir nachträglich erfuhren, der neue Schamane, nur mit einer aus 
der Wolle des Bergschafes gefertigten Decke bekleidet, einen Tanz 
um das Feuer aufgeführt hatte. 

Unser Wirth sprach nachträglich weniger zu unserer als zu des 
Missionärs Befriedigung die Behauptung aus, dass die oben beschriebene 
Feier die letzte dieser Art sein würde; seiu Volk wolle von nun an 
den neuen Weg wandeln. In der That darf man aus der Bereit- 
willigkeit, mit welcher die Chilkat-Indianer, die unter allen Chlingit- 
stänunen bisher noch am wenigsten mit den Weissen in Berührung 
gekommen waren und ihre alten Sitten und Gebräuche noch am 
ursprünglichsten bewahrt hatten, sich jetzt die Vorzüge und Mängel 
der Civilisation zu eigen zu machen suchen, den Schluss ziehen, dass 
in wenigen Jahren auch dieses Volk seine charakteristischen Eigen- 
thümlichkeiten verloren haben wird. Noch in diesem Sommer soll 
auch in dem Hauptorte Klukquan ein Missionär stationirt werden, 
dessen reformatorische Bestrebungen sicher auf baldige Beseitigung 
der alten Zustände gerichtet sein werden. 

Nach Beendigung der Fastenzeit wurde in demselben Hause, 
in welchem die oben beschriebene Feier stattgefunden hatte, auch 
eine Tanzauftuhrung veranstaltet. Unter den Theilnehmern war 
auch der alte Tschartritsch, der vorher mit grosser Sorgfalt unter 
Benutzung eines alten Spiegels sein Gesicht mit Kohle und Zinnober 
bemalt hatte. Man führte den Tanz der Konanä in ähnlicher Weise 
auf, wie ich es im letzten Briefe*) beschrieben habe, nur nahmen 
diesmal Frauen und Kinder nicht daran Theil. Uebrigens haben wir 
nach unserer Rückkehr aus Klukquan auch noch der Darstellung 
eines Tanzes der südlicheren Chlingitstämme beigewohnt, der nach 
einem Gastmahl, das ein Indianer zur Feier der Vollendung seines 
neuen Hauses gegeben hatte, von den Gästen als Zeichen der Dank- 
barkeit aufgeführt wurde. 

Zu den Vorbereitungen, die man in Klukquan für die Reise zu 
den Konami’s machte, gehörte auch die Bereitung von Chütsinu, 
eines aus Melasse gebrauten berauschenden Getränkes, das nach dem 

*) Siehe S. 153, Heft 2, 1882 dieser Zeitschrift. 


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stärksten und kriegerischsten Stamm der Chlingits, den Chütsinü’s 
von der Chatham Street, benannt worden ist. Das Geheimniss der 
Zubereitung wurde von einem weissen Händler, der längere Zeit die 
Destillation heimlich betrieben hatte, an die Indianer verkauft. Der 
Destillationsapparat, den wir in Klukquan sahen, war aus Petroleum- 
kannen und selbstgefertigten Blechröhren zusammengesetzt. Wie 
man uns gleichsam entschuldigend mittheilte, wollte man das Getränk 
nicht zu eigenem Gebrauche, sondern nur für den Handel mit den 
Konand, die nach demselben sehr grosses Verlangen trügen, herstellen. 
In der That haben wir auch während unseres Aufenthaltes in Klukquan 
keine Spur von Trunkenheit wahrgenommen, doch hörten wir, dass 
sich öfter das ganze Dorf im Zustande des Rausches befinden soll. 

Von Tschartritsch erhielten wir auch eine ziemlich eingehende 
Auskunft über die Handelswege ins Land der Konand, auch erläuterte 
er seine Angaben durch eine mit Kreide auf dem Fussboden gezeichnete 
Kartenskizze. Danach sind zwei Hauptwege vorhanden, der eine 
am meisten begangene den Chilkat-Fluss aufwärts führt nach achttägigem 
Marsche zu einer Seenkette, die mit dem Yukon in Verbindung steht, 
der andere geht auf der "Chilkootseite durch einen schmalen Meer- 
arm, De-jäh genannt, dessen Mündung wir von hier aus vor Augen 
haben, und von Wasser zu Wasser (gleichfalls zu einer Seenkette, 
die nach dem Yukon zu abfliesst) ist hier ein nur dreitägiger Marsch 
zurückzulegen. Doch sollen einige Stromschnellen diesen Weg weniger 
vortheilhaft machen. Oefter haben die Chilkat-Indianer längere Zeit 
hindurch das Land zu durchstreifen, ehe sie von den nomadisirenden 
Konanä’s die nöthige Anzahl Felle erhalten; durch Abbrechen von 
Zweigen nach einer Richtung hin geben sie dann sowohl ihre An- 
wesenheit als auch deu Weg, den sie einschlagen, an. Als Proviant 
für die weite Reise wird ein grösserer Vorrath von getrockneten 
Lachsen mitgenommen. Dieser sowohl wie die Tauschwaareu werden 
in fest zugeschnürten Bündeln auf dem Rücken getragen und durch 
breite lederne Tragriemen über Stirn und Brust festgehalten. Ganz 
erstaunliche Lasten vermögen die Leute auf diese Weise fortzu- 
schaflfen; Schlitten sind merkwürdigerweise sehr wenig in Gebrauch, 
trotzdem deren Anwendung häufig sehr vortheilhaft sein dürfte, 
namentlich wenn die fuchs- oder wolfähnlichen Hunde, die sich in 
jedem Dorfe in grosser Anzahl befinden, und nur bei der Jagd in geringem 
Maasse verwandt werden, durch ohrenzerreissendes Geheul aber die 
Nachtruhe beeinträchtigen, als Zugthiere abgerichtet werden könnten. 

Bei wiederholten Besuchen der einzelnen Häuser in Klukquan 
musterten wir vor Allem das Hausgeräth. Eigenthümlich ist den 
Chlingit-Indianern der Gebrauch geschnitzter und bemalter Geräth- 


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schuften, die meist aus Holz oder aus den Hörnern des Bergschafes 
gefertigt sind. l)och sind auch einige Steimnörser in Gebrauch, die 
mitunter gleichfalls mit Thierfiguren geschmückt sind. Die meisten 
dieser Sachen werden von den südlichen Stämmen angefertigt; so 
namentlich auch die hübschen Flechtarbeiten aus Wurzelfasern, in 
welchen die Sitka-Indianer besonders geschickt sind. Grosse Holz- 
figuren, Thiergestalten nachahmend, welche gewissermassen den 
Stammbaum der Familie darstellen, sind meist in den Ecken oder 
an den Thüren des Wohnrauiues, seltener vor dem Hause aufgestellt, 
doch sahen wir nicht dergleichen hoehaufgerichtete Holztiguren, Totems 
genannt, wie wir sie in dem Indianerdorf bei Fort Wrangel in 
grösserer Zahl bemerkt hatten. 

Die Ausflüge, die wir von Chilkat aus machten, waren grössten- 
theils flussaufwärts gerichtet ; der ziemlich begangene Pfad auf dem 
Eise nach den Gebirgspässen zu war wenigstens in deu Frosttagen 
auch ohne Schneeschuhe gut zu benutzen. Wir kameu bis an deu 
Fuss des vorliegenden Gebirges, woselbst sich das Flussthal in zwei 
weitere Thäler spaltet, beide, wie auch ein drittes, schon vorher 
abgetrenntes, Wege in das Innere darbietend, die je nach den Jahres- 
zeiten und Witteruugsverhältnissen benutzt werden. Das Thierleben 
war hier, wo nur wenige offene Stellen die Eisbedeckung des Flusses 
unterbrachen, sehr gering, kaum, dass hin und wieder eine kleine 
Meise sich hören liess. In der Nähe von Klukquan jedoch und etwas 
weiter stromabwärts blieb der Flusslauf grösstentheils eisfrei. Hier 
hielten sich denn auch Schaareu von Enten auf, unter denen unsere 
europäische Wildente, die Stammmutter unserer Hausente, Anas 
boschas, am häufigsten vertreten war. Mit ihnen theilten sich Möven, 
Haben, Elstern und Fischadler in die durch den Fluss reichlichst 
gebotene Nahrung. Eine Lachsart, die durch übergebogene Ober- 
kiefer und rothbraune Färbung ausgezeichnet war, zog nämlich gerade 
stromaufwärts, dass Flussbett war an einzelnen Stellen mit todten 
Fischen bedeckt und der Geruch von den am Strande verwesenden 
war weithin zu spüren. Ausser den Lachsen beherbergte der Fluss 
aber auch noch Forellen und deren Fang lag ein Theil der Indianer 
ob, während die Lachse im Allgemeinen verschmäht wurden. Man betrieb 
den Forellenfaug in der Weise, dass man an eisbedeckteu Stellen, unter 
denen gegen I m tiefes Wasser vorhanden war, Löcher einschlug, einen 
Köder auf den Boden versenkte und dann unter einer Decke mit dem 
in’s Wasser gesenkten Fischspeer auf die herankommenden Forellen 
lauerte. Der Fischspeer hat eine mittlere Eisenspitze und zwei seit- 
liche, senkrecht zur ersten gestellte, die bei dem Stosse elastisch 
auseiuanderweichen und sich dann dem Fische in die Seiten drücken. 


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Nach dem gelinden Frostwetter der ersten Tage (nur einmal 
fiel das Thermometer bis auf — 13° C.) kam Thauwetter mit Regen 
und später starker Schneefall, der uns langer im Dorfe zurückhielt, 
als wir ursprünglich in Aussicht genommen hatten. Da wir durch 
die Ungunst der Witterung nun auch mehr als früher an das Haus 
gebunden waren, so wurden unsere Augen durch den Rauch des 
beständig brennenden Feuers nicht wenig angegriffen, ein Umstand, 
der mit dazu beitrug, dass wir, nachdem der Schnee nur einiger- 
maasseu fest geworden war, uns auf den Heimweg begaben. Die 
erste Strecke legten wir in einem Kanoe zurück ; es war ein kleines, 
aus rappelholz gebautes Fahrzeug,*) mit kaum 3 cm dicken Wänden, 
in welchem wir, im Ganzen 6 Personen, 3 Weisse und 3 Indianer, 
Platz nahmen, d. h., uns auf den Boden mit vorgestreckten Füssen 
niedersetzten. Dann ging es schnell stromabwärts; mehrmals 
geriethen wir dabei auf seichten, kaum Vs Fuss tiefen Stellen, auf 
den Grund, woselbst das Kanoe von der heftigen Strömung im Kreise 
herumgedreht und längere Strecken über den kiesigen Boden geschleift 
wurde; doch wusste die Geschicklichkeit der Indianer und die 
Vertrautheit derselben mit dem wechselnden Fahrwasser es stets vor 
den drohenden Unfällen zu bewahren ; wieder zog das reiche Thier- 
leben an den Ufern unsere Aufmerksamkeit auf sich, eine grosse 
Anzahl von Fischadlern, wohl Haliaetos leucocephalus, (wir zählten 
von einem Punkte aus über 20) sassen auf den Bäumen; einer 
derselben, wie mehrere Enten wurden vom Kanoe aus geschossen; 
hin und wieder erfreute uns auch ein zutraulicher Wasserstaar durch 
seine munteren Bewegungen und seinen hübschen Gesang, der uns 
an den der Haubenlerche erinnerte. 

Die Weiterwanderung auf dem Eise wurde nur durch häufiges 
I hirchbreclien durch die oberste dünne Eisschicht beschwerlich ; bald nach 
Einbruch der Dunkelheit langten wir wieder in der Handelsstation an. 

Für einen demnächstigcn Ausflug nach Chilkat warten wir nur 
eine günstige Wendung der Witterung ab. Bald nach unserer 
Rückkehr trat zunächst starker Frost ein, am 23. dieses Monats fiel 
das Thermometer bis auf — 23° C., bis jetzt die niedrigste 
Temperatur dieses Winters, gestern sind nun mit Eintritt milden 
Wetters mehr als 2 Fuss Schnee gefallen, vor dessen Befestigung 
an eine grössere Exkursion nicht zu denken ist. 

Ich schliesse diesen vorläufigen Bericht, da die Indianer sich 
jeden Augenblick zur Rückkehr entscldiessen können, vielleicht 
können wir noch einen zweiten mit derselben Gelegenheit senden. 

*) Die besseren werden hier aus dem Holz der white spruce, Abics alba, 
hergestellt. 


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Den 4. Februar. Das ungünstige Wetter der letzten Tage hat 
bis heute angehalten. Fortdauernder Sehneefall bei heftigen süd- 
lichen Winden herrschte fast ununterbrochen eine ganze Woche lang 
und erst heute haben wir wieder etwas Frost und klaren Himmel. 
Sitka Jack hat seine Rückreise noch immer nicht angetreten, da er 
zuvor einen Umschwung der Witterung abwartete; somit wird es 
immer zweifelhafter, ob dieses Schreiben noch den diesmonatlicheu 
Dampfer in Sitka oder Ilarrisburgh erreicht. Auch die langst vor- 
bereitete Handelsexpedition in das Innere ist in Folge des frischen 
Schneefalls aufgeschoben worden; doch sollen sich die Indianer, die 
daran theilzunehmen beabsichtigen, nach alter Sitte bereits einer 
völligen Körperreinigung unterzogen haben. Vor erfolgter Rückkehr 
werden nun keinerlei Waschungen mehr vorgenommeu. 

Unsere Erlebnisse hier beschranken sich grösstentheils auf die 
täglichen JagdausHüge, die uns noch immer einige, freilich nicht sehr 
zahlreiche Beiträge zur Winterfauna liefern. Doch hatten wir in 
der Zwischenzeit auch Gelegenheit, einer Trauerfeierlichkeit für eine 
verstorbene Frau beizuwohnen. Sofort nach dem Tode derselben 
erhob man lauten Klagegesang in dem Trauerhause. Vier Tage 
lang wurde dann der Leichnam in sitzender Stellung inmitten des 
geschmückten Raumes ausgestellt, während täglich dieselben Klage- 
gesänge wiederholt wurden. Dem Akt der Verbrennung wohnten 
wir leider nicht bei, da wir über den Zeitpunkt derselben falsch 
unterrichtet wordeu waren. Man bemüht sich hier, wie überall an 
den Missionsstationen, an Stelle der Verbrennung die Beerdigung 
einzuführen, doch hatten dieses Mal die Indianer durch den tiefen 
Schnee und den gefrorenen Boden Grund genug, die alte Bestattungs- 
weise, von der sie sicher nur ungern abgehen, beizubehalten. Was 
übrigens die Erfolge des hiesigen Missionswerkes anbetriift, so ist 
die Stimmung der Bevölkerung unleugbar nicht ungünstig gegenüber 
den Bekehrungsversuchen. Die Schule, die hier, freilich sehr dürftig, 
abgchalten wird, besuchen gegen dreissig Indianerkinder, die von 
ihren Eltern zu regelmässigem Besuche angehalten werden. Am 
meisten Eingang hat jedoch die puritanische Sonntagsfeier gefunden, 
die hier gepredigt wird, soweit sie eben vollständige Enthaltung von 
jeder Arbeit verlangt. Offenbar sind die Chilkat - Indianer, in An- 
erkennung der Ueberlegeuheit der Weissen, jetzt bemüht, diesen 
nachzustreben. Dass sie, seit langer Zeit als schlaue Händler 
bekannt, dabei zunächst nur materielle Vortheile zu erlangen hoffen 
und jeden anderen Glauben, wenn er ihnen unter gleichen Umständen 
gepredigt wird, ebenso bereitwillig annehmen würden, wird jedem 
unbefangenen Beobachter klar sein. (cf. Jackson. Alaska)! 


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Bei der vorhin erwähnten Trauerfeierlichkeit wurden eigen- 
tümliche Gebräuche beobachtet. Die verstorbene Frau gehörte dem 
Bärenstamin an; ihre Verwandten bezeugten nun ihre Trauer dadurch, 
dass sie eine grosse Zahl von Zeugstoffen, wollenen Decken und 
dergleichen au die anderen Stämme, vornämlich den Rabenstamm, 
vertheilten; der Wittwer gab sein ganzes bewegliches Vermögen fort. 
Es geschah dieses an vier aufeinanderfolgenden Abenden. Das Haus 
war dicht gefüllt, um das Feuer herum hockten die Männer, an den 
Wänden die Frauen, wahrend dicht au der Thür ein Raum für 
10 bis 12 Personen des Bärenstammes freigelassen worden war, 
welche während des allgemeinen Trauergesanges lange Stäbe, die sie 
mit beiden Händen hielten, im Takt auf den Boden stiessen. Ein 
alter Mann leitete daun die Gaben, die von verschiedenen Seiten 
kamen und in voller Ausdehnung der ganzen Versammlung präsentirt 
wurden, durch einige Worte ein. Die Zeugstoffe, Stücke von 
10 bis 20 m, wurden aufgerollt und durch eine Reihe von Händen 
nahe dem Feuer vorbeigezogen, indem man immer dafür Sorge trug, 
dass verschiedene Gaben derselben Persönlichkeit möglichst ohne 
Unterbrechung folgten. Die Vertheilung ging ausserordentlich schnell 
von statten. Sofort, nachdem die Zeuge in der beschriebenen Weise 
vorgeführt worden waren, immer unter derselben einförmigen Gesang- 
begleitung, wurden dieselben zerschnitten und an die Gäste, unter 
lautem Aufruf ihrer Namen, weggegeben. Auch mit Beeren, Zucker 
und Taback wurden dieselben besvirthet, erstere gab man löffelweise 
den Leuten meist direkt in den Mund, Taback wurde in bereits 
gestopften Pfeifen präsentirt. An den vier Abenden sind sicher 
Güter im Werthe von mehreren hundert Dollars in der beschriebenen 
Weise vertheilt worden. Noch darf ich nicht unerwähnt lassen, dass 
einige weibliche Verwandten der Verstorbenen, die durch Kurz- 
scheeren des Haares und Schwarzfärben des Gesichtes die Trauer 
äusserlich zur Schau trugen, den Gesang durch eigentümliche, aber 
nicht weniger als schöne Körperbewegungen begleiteten, die in einem 
Wiegen in den Kniegelenken und fast schraubenförmigen Windungen 
des Oberkörpers bestanden. Auch diese Personen hielten kurze 
Stäbe in den Händen. Von dem Ich-tä des Rabenstammes wurde 
dann zum Schluss jedem einzelnen der Geber in längerer Rede der 
Dank seines Stammes ausgesprochen. 

Streit anfangen und sich versöhnen, gehört zu den nicht un- 
wesentlichen Beschäftigungen, mit welchen die Chilkat-Indianer die 
Müsse des Winters verbringen. Feindschaft zwischen zwei Personen 
kann durch die geringfügigste Ursache erzeugt werden. Wie bei 
Kindern verbleibt es gewöhnlich bei Drohungen, doch läuft die 


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Sache nicht immer so harmlos ab. Das auch hier gültige Princip: 
„Blut um Blut“ lässt, sobald der erste Schuss gefallen ist, den 
Streit sofort zu einem Kampfe der Familien oder Stämme anwachsen. 
In einem solchen sind in Klukquan im vergangenen Jahre acht Personen 
getödtet worden; erst nach längerer Dauer wurde der Kampf, der 
eben nur in einer fortlaufenden Reihe von Morden bestand, durch 
Vermittlung eines von dem amerikanischen Kriegsschiff „Jamestown“ 
abgesandten Officiers beigelegt. — Eine Versöhnung wird selbst- 
verständlich durch einen Tanz gefeiert: bei einem solchen Ver- 
söhnungsfest, das wir kürzlich mit ansahen, wurden auch wieder 
Zeugstoffe und Taback von einer der Parteien als Sühne vertheilt. 

Den 17. Februar. Erst heute wird nun das Kanoe wirklich 
abgehen. Meinen früheren Berichten habe ich nichts weiter zu- 
zufügen, als dass wir uns des besten Wohlseins erfreuen, und dass 
der Februar fortfährt, ein strenges Gesicht zu zeigen. Nach den 
milden Dezember- und Januartagen hatten wir die andauernde Kälte 
dieses Monats, durchschnittlich — 15° C., nicht erwartet. 


2. Frülijahrsausfltige von Chilkoot ans. 

Von Dr. Arthur Krause. 

Mangelhafte Verkehrsverbindung. Ausflug in das Takheenthal. Vogelleben. 
Das Baunistachelschwei». Am Fuss des Berthagletschers. Indianische Delikatesse. 
Ausflug nach Dejs'ih. Kanoe -Fahrt. Kasko, der Indianer. Der Dejfih- Fjord. Thier- 
leben. Fischfang. Weiterer Ausflug. 

Chilkoot, 4. Mai 1882. Seit meines Bruders Abreise von hier 
am 5. April bot sich nur einmal eine Gelegenheit, eine kurze Post- 
karte zu senden ; der kleine Dampfer der hiesigen Handelsgesellschaft 
wird leider in diesem Sommer nicht, w ie in den früheren, allmonatlich, 
sondern wahrscheinlich nur noch einmal im Herbste hier vorsprechen, 
mithin ist unser Verkehr mit der Aussenwelt sehr beschränkt und wird 
nur durch einzelne Kanoes der Indianer vermittelt, die von hier oder 
von Chilkat nach Harrisburgh gehen; auch diese Zeilen nimmt ein 
Indianer aus Kläquau (Klukquan der Karte)*) mit, der mit Uebergehung 
der hiesigen Faktorei seine im Lande der Stickin-Indianer erhandelten 
Felle in Harrisburgh zu höheren Preisen loszuwerden denkt, als er 
hier erhalten konnte; bei den eigenthümlichen Begriffen, die er wie 
alle seine Stammesgenossen von dem Werthe der Zeit hat, ist er 

*) Herr Dr. Krause bezieht sich hier auf die uns vorliegende Karte des 
Lyon-Kanals, des Cliilkat-Flusses und Chilkoot-Inlets nach den Aufnahmen des 
V. St. Kriegsschiffes „Jamestown 11 1880; Herr Dr. Krause bezeichnet diese Karte 
später mehrfach als ungenau und ist desshalb von einer Reproduktion vorläufig 
und bis zur Berichtigung der Ungenauigkeiten Abstand genommen worden. D. Red. 


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ganz zufrieden, wenn er nach 10 bis 14 Tagen mühseliger Fahrt 
mit einigen wenigen Dollars Waaren mehr in sein Heimatdorf zurück- 
kehren kann. Vielleicht bestimmt ihn auch der Gedanke, dort ein 
grösseres Quantum Melasse zur Fabrikation des „Ilootzinoe“ ein- 
tauschen zu können, zu der weiten Reise; denn nicht nur, dass er 
selbst ein grosser Freund dieses landesüblichen Schnapssurrogates 
ist, er weiss auch, dass er mit wenigen Flaschen desselben von den 
„Gunamihs“ jenseits der Berge alle die kostbaren Pelze erhalten 
kann, für die er sonst eine ganze Trägerlast an Pulver, Blei, 
Decken und Zeug zu geben hatte. 

Der Frühling kommt dieses Jahr recht spät ins Land; wir 
haben zwar seit beinahe 14 Tagen ein prächtiges klares Wetter, 
aber die Sonne allein übte wenig Wirkung auf die kolossalen Schnee- 
massen aus, die erst durch den gestrigen und heutigen Regen 
einigermassen zum Schwinden gebracht worden sind ; bis dahin sank 
die Temperatur jede Nacht unter den Gefrierpunkt, während das 
Tages-Maximum in den letzten Tagen des April -j- 6 bis 10° betrug. 

Am 10. April machte ich einen grösseren Ausflug in das un- 
bewohnte Takheenthal, der namentlich dem Bertha-Gletscher galt. 
Um !) Uhr Morgens hei ziemlich klarem und kalten Wetter brach 
ich in Begleitung eines Indianerburschen, der meine Decke und ein 
zweites Gewehr trug, von der Faktorei auf; ein vielbegangener Pfad 
führt in einer kleinen halben Stunde durch den Wald auf die westliche 
Seite der Halbinsel und dann an dem nordöstlichen Ufer des Chilkat- 
Flusses nach ferneren */* Stunden bis zu dem dicht unter den steilen 
Wänden des Berges „Geissenn“ liegenden Dorfe „Jendästakiä“ 
(Tondustek der Karte). 

Die fast unter dem Schnee vergrabenen Häuser standen den 
ganzen Winter über leer; die Einwohner haben sich in der Nähe 
der Faktorei (Däsclni) angesiedelt und kommen nur ab und zu hierher, 
um den hier aufbewahrten trocknen Lachs zu holen. 

Ein wenig unterhalb Jendästakiä erstreckt sich eine Sandbarre 
quer über den Fluss, die bei tiefer Ebbe einen Weg von einem 
Ufer zum andern bietet, oberhalb derselben ist durch die Wirkung 
der Flut und der Strömung eine Eisbarriere gebildet, jenseits welcher 
dann eine gleichuiässige Eis- und Schneedecke deu hier eine halbe 
deutsche Meile breiten Fluss bedeckt. Bei hellem Sonnenschein 
werden die Augen von dem Glanze dieser weiten Schneefläche ungemein 
angegriffen und die uns entgegenkommenden Indianer beneiden den 
weissen Mann, der in seiner Schneebrille ein so viel wirksameres 
Schutzmittel gefunden hat, als sie in der vollkommenen Schwärzung 
ihres Gesichts. — Von Jendästakiä aus verliessen wir den F’usspfad, 


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der von hier aus, allerdings weniger betreten, nach Kläquan führt, 
um, in nahezu westlicher Richtung weitergehend, das jenseitige 
Ufer zu erreichen. Bei den für ein Gehen auf Schneeschuhen (wir 
legten dieselben bis zur Rückkehr nur wahrend der Nachtruhe ab) 
günstigeu Schneeverhältnissen erreichten wir schon in einer Stunde 
das niedrige vor der Mündung des Katzekahin und des Takhin vor- 
gelagerte Land; nachdem wir einen schmalen Gürtel eines Erlcn- 
und Weidengehölzes, den Aufenthaltsort zahlreicher Schneehühner, 
passirt hatten, gingen wir in westlicher Richtung durch den stellen- 
weise recht dichten, von verschiedenen Nadelhölzern und Laub- 
bäumen gebilde ten Wald, um erst am andern Ufer des rasch messenden 
Katzekahin, den wir auf einer Schneebrücke überschritten hatten, 
eine kurze Rast zur Vornahme einiger Messungen zu machen. Von 
hier an führte der Weg durch einen lichten Pappelwald, in dem 
wir wegen des von der Sonne recht aufgeweichten Schnees und des 
vielen Buschwerks nur mühsam vorwärts kamen, so dass, als wir 
endlich den den Eingang zum Takheenthal im Süden bezeichnenden 
Bergabhang erreichten, für diesen Tag Halt gemacht wurde. Während 
mein Bursche unter einer grossen Fichte aus den Zweigen der 
llemlocktanne ein weiches Lager bereitete, Feuer anzündete und das 
vorher in einem Kiefernbestande erlegte Waldhuhn zubereitete, lockte 
mich der heute zum ersten Male gehörte Paarungsruf des „Nukt“, 
des von den Eingeborenen nach seinem Rufe so genannten grösseren 
Huhnes höher hinauf in die Berge. Zahlreiche Thierfährteu von 
Schneehasen und Stachelschweinen, und vereinzelte von Wolf, Marder 
und Bergziege zeigten au, dass in diesem unbewohnten Thale ein 
reicheres Thierleben herrschte, als an irgend einem anderen von 
uns früher besuchten Punkte. Jetzt gegen Abend herrschte voll- 
kommene Stille im Walde; prächtig aber war der Anblick von einer 
freieren Stelle auf das unten liegende Thal und den steil aufragenden 
Felsgrat auf der anderen Seite, hinter welchem eben die Sonne ver- 
schwunden war. Nachdem ich mir noch die Ueberzeugung verschafft, 
dass der Gletscher in der That weiter entfernt war, als ich anfangs 
verinuthet, stieg ich langsam zum Takheen-Flusse hinab, der hier 
dicht an dem Fass der Berggehänge dahiuströmt, und erreichte dann, 
diesem folgend, bei eintretender Dunkelheit den Lagerplatz, wo ich 
Jim mit der Ausbesserung seiner Schneeschuhe und dem Trocknen 
der Fussbekleidung beschäftigt fand. 

Beim Gebrauch der Schneeschuhe ist das Tragen von Stiefeln 
unmöglich und die aus Renthicr- oder Hirschhaut gefertigten Mokassins 
sind so wasserdurchlässig, dass man bei cinigermassen mildem Wetter, 
d. h. wenige Grade unter dem Gefrierpunkte, in kurzer Zeit voll- 


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ständig nasse Füsse bekommt; die im Lande der Tschuktschen 
getragenen Seehundsstiefel würden recht am Platze sein. 

Nach der Abendmahlzeit und nach beendetem Trockengeschäft 
hüllten wir uns in unsere Decken und schliefen, während das Feuer 
in dem 5' tiefen Loche, das es sich in den Schnee hineingeschmolzen, 
verglimmte, so ausgezeichnet, dass wir erst um 5 Uhr am andern 
Morgen bei einer Temperatur von — 5,5° C. aufwachten. Wir 
brachen sogleich auf, um zuerst eine kleine Blockhütte, die ich am 
vorigen Abend am Ufer des Takheen entdeckt hatte, zu erreichen; 
hier liesseu wir die Decken zurück und gingen dann in westlicher 
Richtung thalaufwärts durch den die zweite Thalstufe einnehmenden 
hochstämmigen und sehr lichten Fichtenwald; mächtig hohe Stämme 
von lm Durchmesser sind hier sehr gewöhnlich, ich fand den Umfang 
zweier riesiger Fichten zu 5 ,m m und 4, »2 111, den einer ausnahms- 
weise grossen Ilemloektanne zu 4, 34 m etwa 7 ' über dem Erdboden. 
Der Marsch wäre bei dem herrlichen klaren Wetter und dem durch 
kein Unterholz versperrten Wege mehr einem Spaziergange durch 
einen alten Park ähnlich gewesen, wenn er nicht durch den mit der 
höher steigenden Sonne weicher und weicher werdenden Schnee zu 
einem äusserst ermüdenden geworden wäre. Zahlreiche Vogelstimmen 
wurden laut, der Meistersinger von allen ist der grosse Hakengimpel 
(Pinicola enucleatojr), ihn sekundiren getreulich die beiden Kreuzschnäbel 
(Loxia curvirostra und leucoptera), vom Ufer des reissend schnell über 
sein steiniges Bett tiiessenden Takheen erschallt der Gesang des 
munteren Wasserstaars ; zahlreiche Schaaren von Bluthänflingen, 
Zeisigen (? Chlorospingus sp.) und der kleinen äusserst zutraulichen 
braunen Meisen, die in Gesellschaft von Baumläufern und Gold- 
hähnchen vorüberstreichen, das Gekrächze des Blue Jai (Cyanocitta), 
des würdigen Vertreters unseres Hehers, der misstönige Schrei des 
Raben, der klangvolle Ruf des Fischadlers hoch in der Luft, das 
Klopfen zahlreicher Spechte (im Ganzen erhielten wir während des 
Winters 5 Arten Spechte) erinnern durchaus an den heimischen 
Wald; auch die zahlreich unzutreffenden Eichkätzchen sind von dem 
unsrigen sowohl in Gestalt als in ihrem Benehmen wenig verschieden, 
erst die abenteuerliche Gestalt eines Baumstachelschweins, das sich 
bei unserer Annäherung in dem Gipfel einer hohen Fichte zu ver- 
bergen sucht, zeigt mir, dass ich mich in Nord-Amerikas Waldgebiet 
befinde. Ein Schrotschuss treibt das Thier aus seinem Versteck 
hervor, ein zweiter lässt es todt zu unseren Füssen fallen; es ist 
ein riesiges Exemplar seiner Art, auch Jim erklärt, dass er noch 
nie zuvor ein so grosses gesehen. Zahlreiche Losung und grosse 
Fetzen frisch losgelöster Fichtenrinde, von denen das Thier den 


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inneren Barttheil (der auch von den Indianern als Nahrungsmittel 
geschätzt wird) abgenagt hatte, zeugten, dass das Thier dort oben 
seine regelmässige Mahlzeit eingenommen; mehrere tief in den 
Schnee getretenen Gänge führten zu verschiedenen anderen Bäumen 
derselben Art und zu der unter den Wurzeln einer Fichte befindlichen 
unterirdischen Behausung, die es erst seit wenigen Wochen nach 
Beendigung seines Winterschlafes (das erste Stachelschwein war am 
13. März von uns erlegt worden) verlassen hatte. Fichtenbast 
und Fichtennadeln scheinen seine hauptsächlichste Nahrung auszu- 
machen, doch fand ich auch anderwärts, dass es die Rinde der 
Weidenbäume abgefressen und im Sommer bieten die zahlreichen 
Beeren eine angenehme Abwechselung. Das Fleisch des Stachel- 
schweins ist wohl jederzeit geniessbar, doch erst im Herbst recht 
wohlschmeckend ; die Stacheln werden von den Indianern des Inneren 
zu den hübschen Verzierungen ihrer Lederarbeiten verwandt; von 
einem Leckerbissen ersten Ranges, den es in seinem Inneren birgt, 
erfuhr ich erst am Abend. — Nachdem wir unsere Beute an einem 
niedrigen Baumast aufgehängt, folgten wir langsam dem Fusse der 
rechtsseitigen Gehänge; die warmen Sonnenstrahlen hatten zahl- 
reiche Insekten hervorgelockt (Dipteren, Hymenopteren und Micro- 
lepidopteren), zugleich aber auch den Schnee so weich gemacht, dass 
er in grossen Ballen an den Schneeschuhen haftete, wodurch das 
Marschiren ausserordentlich erschwert wurde. Gegen 10 Uhr wurde 
an einer Stelle, wo der hier ungefähr 6 m breite und 0,6 m tiefe 
reissend schnell fliessende Takheen die bewaldete Höhe berührte, 
eine s /4stündige Rast zur Ausführung einiger Messungen und zum 
Frühstück gemacht ; gegen Mittag erreichten wir den in den 
Takheen-Fluss sich ergiessenden Abfluss des Gletschers, und standen, 
nachdem wir diesen nur mässig ansteigend, eine V* Stunde aufwärts 
gegangen , endlich vor dem mächtigen Eiswalle , dem Ende des 
Berthagletschers, der sich hier bis tief in den Fichtenwald hinab- 
senkt. Unser Standpunkt dicht unter der steil aufgethürmten und 
stellenweise tief zerklüfteten Eiswand bot keinen guten Ueberblick, 
auch verhüllte die ungeheure Schneedecke alle Einzelheiten ; es schien 
beinahe, als ob sich aus verschiedenen Gletscherthoren Abflüsse nach 
dem Hauptthale ergössen; sie waren jetzt alle zugefroren und 
gefahrlos zu passiren. An einzelnen Stellen konnte ich dicht bis 
an das Eis, das in seinen Spalten eine dunkelgrüne unreine Farbe 
zeigte, herantreten und bemerkte hin und wieder grosse Gesteins- 
blöcke in demselben. Im Osten wird das Gletscherthal von einem 
ausserordentlich steil nach Ost und West abfallenden Berggrat, der 
auf der Spitze einen flachen Sattel zeigt, begrenzt; weiter nach 

Ueogr. Blätter. Bremen. 1882. 13 

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Westen folgen dem sich mehr nach Norden wendenden Thal entlang 
ebenfalls hohe Bergzüge, während auf dem linken Ufer die letzten 
Vorsprünge des Takheenberges die Aussicht nach Westen begrenzen. 

Als wir bei unserer Rückkehr die Stelle erreichten, wo ich 
das Stachelschwein erlegt hatte, wollte ich dasselbe auf einen Fichten- 
zweig binden, um es so mit grösserer Leichtigkeit wie auf einem 
Schlitten zu unserem Lagerplatze zu schaffen; Jim aber weigerte 
sich: das wäre „Ch’lakäss“ (von übler Vorbedeutung) und mache grossen 
Wind; lieber trug er das schwere Thier auf seinem Rücken nach 
der zum Glück nicht mein - weit entfernten Hütte, wo wir die folgende 
Nacht zuzubringen gedachten. Kaum hatte er, hier angelangt, die 
üblichen Vorbereitungen zur Nachtruhe beendigt, als er sich neben 
mich setzte, um mir aufmerksam beim Abbalgen des Thieres zuzu- 
sehen, nicht aber, wie ich erst glaubte, in der löblichen Absicht, mir 
diese bei einem Stachelschwein überhaupt nicht leichte und bei einer 
Temperatur unter dem Gefrierpunkte und bei vollständig durch- 
nässten Füssen erst recht nicht angenehme Arbeit ein andermal 
abzunehmen, sondern nur um sich einen Leckerbissen, auf den er 
schon vorher hingedeutet, nicht entgehen zu lassen ; als ich ihm den 
Kadaver überliess, schnitt er den Darmkanal aus, fischte in dem 
halbverdauten Brei von Fichtenbast nach einer in ungeheurer Anzahl 
sich findenden Art kurzer, breiter Bandwürmer (Phyllobothrium ?) 
und verschlang dieselben unter allen Zeichen des Wohlbehagens mit 
so grosser Schnelligkeit, dass ich kaum noch eine Handvoll für die 
Sammlung retten konnte (conf. Schnepfendreck!). — Ein Uhu- 
Quartett, das sich zum Abend hören liess, verlockte mich zu einem 
neuen Ausfluge, doch zwangen mich die bald eintretende völlige 
Dunkelheit und die ungünstigen Schneeverhältnisse auf weitere Jagd 
zu verzichten. 

Die Nacht war klar und kalt, doch schlief ich, von den 
anstrengenden Märschen ermüdet, so gut, dass ich erst aufwachte, 
als die Sonne schon hoch am Himmel stand; die Temperatur um 
6 V 2 Uhr Morgens betrug — 9,1 0 C., während das Minimum dieser 
Nacht in der Station (Portage-Bai) — 5,6 war; am Nachmittage des 
ersten Tages hatte es hierselbst geschneit, wir hatten am Takheen 
fortwährend klares Wetter. 

Auf dem Rückwege nach Portage-Bai bemerkte ich mehrere 
Zeichen des kommenden Frühlings; Schaaren von Schneeammern 
(nur wenige hatten bei uns überwintert) suchten unter dem Erlen- 
gesträuch nach dem ausgefallenen Samen ; am Strande zeigte sich der 
im Winter nur selten beobachtete Strandläufer in grosser Anzahl; 
auch sah ich zum ersten Male im Gebüsch einen kleinen sperling- 


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artigen Vogel (Passerculus?), der aber erst Ende April in grösserer 
Menge eintraf und dann hauptsächlich dazu beitrug, den sonst so 
stillen Wald zu beleben. Die Kätzchen der Weiden und Pappeln 
(von den Indianern „Kütleki, junge Hunde“ genannt) hatten ihre 
Winterhülle abgeworfen und an einzelnen von Schnee freien Stellen 
am Ufer sah ich Weiber nach den eben vorkommenden essbaren 
Wurzelsprösslingen einer Pflanze „Klechun“ suchen. 

Die folgende Woche brachte wieder Schnee und starke Winde; 
erst am 19. April erlaubte das Wetter einen grösseren Ausflug im 
Kanoe nach Dejäh. Es ist ein kleines Ding von Kanoe, in welchem 
„Kasko“, unser schon mehrfach erprobter Führer, mich hinüber- 
bringen will, ein Einbaum oder sogenannter Seelenverkäufer; 
er hat es selbst während des Winters aus dem Stamme einer der 
grösseren gerade gewachsenen Fichten gezimmert. Mit Hülfe von 
Axt und Feuer hat er den riesigen Baum gefällt und dann mit einer 
Art Hacke das Kanoe herausgearbeitet ; ungefähr */s vom Durch- 
messer des Stammes hat er hierzu verwandt, die nach innen über- 
greifenden Ränder hat er später dadurch nach aussen gebogen, dass 
er dns Kanoe mit Wasser füllte, dasselbe durch Einbringen heisser 
Steine erwärmte und dann durch Anbringen geeigneter Streben die 
Wände nach und nach nach aussen zwängte. Beim Betreten des 
schwanken Fahrzeuges habe ja Acht, die „goldene Mitte“ zu bewahren 
und beeile dich, deinen Schwerpunkt so tief wie möglich zu placiren, 
das heisst, setze dich mit wagrecht vorgestreckten Beinen geradezu 
auf den Boden des Fahrzeuges, dorthin, wo dein sorgsamer Boots- 
führer durch ein paar Tanneuzweige wenigstens die Stelle eines 
Sitzes markirt hat; andererseits aber suche auch dich so bequem, 
wie unter solchen Umständen eben nur möglich, einzurichten, denn 
während einiger Stunden darfst du als Ungeübter nicht daran denken, 
deinen Sitz zu verlassen. Das Gewehr und Munition zur Rechten, 
das kurze Schaufelruder, „Paddel,“ zur Linken, Kompass und Uhr, 
Notizbuch und Bleifeder händig, so können wir getrost das fragende 
„All light?“ unseres Bootsmannes (als richtiger Chlingit vertauscht 
er r und 1) bejahend beantworten, und fort geht es in rascher Fahrt 
nach Tanany, wo jetzt Kasko’s Heim ist; jubelnd kommt ihm sein 
kleiner dickköpfiger Junge entgegengesprungen, er weiss, dass ihm 
sein lieber Vater etwas Hartbrod mitgebracht, nach dem er ebenso 
verlangt wie des weissen Mannes Kind nach Zuckerbrod. 

Es ist noch ein richtiger Heide, unser Kasko, der Besitzer 
zweier Weiber, eines guten und eines schlechten, und Inhaber des 
dicksten Schädels im ganzen Chilkatgebiet, riesenstark, phlegmatisch 
bis zur Faulheit, doch bei Jagd und Fischfang unter den ersten, von 

13 * 


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unerschütterlicher Gemüthsruhe; in seinen jüngeren Jahren muss er 
wohl heisseres Blut besessen haben, denn man erzählt von ihm, dass 
er einst in Kläquan, durch bösen Spott gereizt, sieben seiner Feinde 
theils tödtete, theils verwundete. Zwar hat sein Onkel, der alte 
Häuptling Tschartritsch, mit so und so viel „Blanquets“ seines Neffen 
Blutschuld abgelöst, aber dennoch hielt dieser es für gerathener, den 
Heimatsort zu verlassen; er weiss, dass, wenn das Feuer wasser die 
alten Narben brennen macht, die Natur des Wilden durchbricht, die 
keine Bezahlung, sondern Aug um Aug und Zahn um Zahn fordert. 

Nach kurzem Aufenthalte in Tanany ruderten wir quer über 
den nach Chilkoot führenden Arm des Chilkoot Inlets zu der Nord- 
spitze des Dejähfjordes, wo wir, da der Wind in günstiger Richtung 
von Süden wehte, in eine kleine Felsenbucht einliefen, um ein aller- 
dings sehr primitives Segel zu setzen. Von nun an ging es vor 
dem allmählich immer stärker werdenden Winde (wir gingen den 
grössten Theil der Fahrt 5—6 Knoten) in schräger Richtung über 
den Dejähfjord an dessen östlichem Ufer entlang, bis wir, zwei 
kleinere Baien zur Rechten lassend, in den nördlichsten und engsten 
Theil desselben kamen. Das Wasser war schliesslich so bewegt, 
dass unser Kanoe einige Male mit seiner Spitze ganz unter Wasser 
tauchte, doch hielt sich das kleine Fahrzeug im Ganzen besser, als 
ich es vermuthet hatte, und wollte gar im Hinblick auf einige weis- 
gekrönten Wogen vor uns einige Besorguiss in mir aufsteigen, so 
genügte ein Blick auf das gleiclnnüthig lächelnde Gesicht meines 
Führers, um dieselbe vollständig zu zerstreuen. — Die Küsten zu 
beiden Seiteu des Dejähfjordes sind steil aufsteigende und ebenso 
schroff ins Wasser abstürzende Syeuitfelsen von heller Farbe, oft eine 
gueissartige oder grobschiefrige Textur aunehmend; ungefähr vier 
Meilen (nautisch) vom Eingänge finden sich auf beiden Seiten fast 
senkrecht stehende Kieselschiefer, von vielen wagerechten oder wenig 
geneigten Bändern eines dichten (Felsit?) Gesteins durchsetzt. Selbst 
ein kleines Kanoe würde manchmal Mühe haben, an diesen Küsten 
einen Zufluchtsort zu finden, und mein Fährmann erzählt mir, gerade 
als wir beim stärksten Wellengänge an den jähen Schieferklippen 
vorüberkommen, dass hier vor einigen Jahren -ein grosses Kanoe 
aufgefahren und mit Mann und Maus untergegaugen sei. Die Ab- 
hänge sind nur kümmerlich mit Fichten, Kiefern, stellenweise Hemlock- 
tanuen und Birken bew'achsen, grösstentheils ist nacktes Felsgestein 
sichtbar, das oft deutliche Spuren von Gletscherfurchungeu zeigt. — 
Das Thierleben im Fjorde ist nicht anders als in der Nähe der 
Faktorei; die eigentlichen Frühlingsschaaren von Wasservögeln sind 
noch nicht angekommen, doch siud die grosse schwarze Oidemia, 


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zwei Arten Clangula, die graziöse Eisente und die bunte Anas histri- 
onica überall häufig, seltener einige Säger, Lummen und der kleine 
Lappentaucher. Seltsam kontrastirt mit dem eleganten Fluge der 
Möve das ängstlich ungeschickte Flattern des hiesigen Cormoran (Phala- 
crocorax pclagicus), der vor den meisten seiner Gattungsgenossen 
das prächtige Federkleid voraus hat, während er in Gestalt und 
Bewegung das „turpe habitu, indole ignavum et stolidmn etc. 
I’halacroeoracis genus“ (Pallas) würdig repräsentirt ; er hat früher, 
so berichten die Indianer, eine Zunge gehabt und konnte sprechen, 
wie die anderen Vögel, aber der Rabe, der einst fürchtete, dass sein 
schwatzhafter Freund eine seiner vielen Unthaten ausplaudevn würde, 
hat sie ihm ausgerissen und seit der Zeit vermag er nur unver- 
ständlich zu murmeln. Eine Anzahl Tümmler, deren Rücken in 
regelmässigen Intervallen sich über die Wellen erhebt, der runde 
Kopf eines Seehundes, der in sicherer Entfernung auftaucht, zeigen 
uns, dass der „Smallfish“ (Juriken, eine Art Stinte) angekommen ist, 
um im Dejäh-Flusse hinaufzusteigen. 

Die Bucht wird im äussersten Nordende ausserordentlich seicht, 
da wir aber bei Hochwasser ankamen, konnten wir mit unserem 
flachgehenden Fahrzeuge eine gute Strecke in dem östlichen Flach- 
arme hinauffahren, bis wir dasselbe an einer Stelle, wo schon mehrere 
andere Ivanoes der zum Fischfang hergekommenen Indiauer lagen, 
aufs Land zogen. Nach einer kleinen Viertelstunde Wegs, für mich 
eine wahre Erquickung nach den 4 und Vs Stunden unbequemen 
Sitzens, erreichten wir das sogenannte Haus, eine kleine beinahe 
au den Felsen angeklebte Hütte von etwa 5 Schritt im Geviert, jetzt 
ganz voll von Leuten, so dass wir es vorzogen, wie die meisten 
andereu, im Freien zu kampiren. Auf einer kleinen mit niedrigen 
Erlen und Weiden bewachsenen Insel in dem jetzt grösstentheils 
trockenen Flussbettc wurde aus einigen Stangen und einem Segel 
ein Windschutzdach, ein sogenanntes „Fly“, aufgebaut, ein Feuer 
davor angezündet und ich war nun, nachdem meine Decke und die 
wenigen Sachen an bevorzugter Stelle placirt worden, so komfortabel 
eingerichtet, wie man es bei nicht allzu schlechtem Wetter für einige 
Tage nur wünschen konnte; Kasko logirte sich mit Weib und Kind 
(er hatte hier sein Lieblingsweib und deren 3j übriges, noch eifrig 
nach der Mutterbrust verlangendes Töchterlein vorgefunden) mir zur 
Seite und war bald mit den Vorbereitungen zum Fischfang beschäftigt, 
während ich zu einer kurzen Rekognoscirung der Gegend flussauf- 
wärts aufbrach. — Schon während der Fahrt war mir aufgefallen, 
dass die Gehänge des Dejähfjords mitunter ganz schneefrei waren 
und hier war nur noch an geschützten Stellen, im Walde und in 


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Schluchten, wo die Sonne nicht so hindringen konnte, knietiefer 
Schnee zu finden, das eigentliche Flussbett und ein grosses, an das 
Nordende der Bai sich anschliessendes offenes Sumpf- und Wiesen- 
terraiu waren völlig schneefrei ; in Däschu (Portage-Bai), das wir erst 
vor wenigen Stunden verlassen, lag der Schuee, selbst an offenen 
Stellen, noch 5 Fuss hoch. — Ich ging an diesem Abend noch eine 
Strecke flussaufwärts, dann in ermüdender und langsamer Wanderung 
quer durch den durch Schnee und Gestrüpp recht unwegsamen Wald 
auf die westliche Seite des Thaies, weil ich dort irrthümlicherweise 
den Hauptstrom vermuthete und kam erst mit Einbruch der Dunkel- 
heit zum Lagerplatz zurück. 

Schon um 4 Uhr des folgenden Morgens (20. April), wurden wir 
durch das Geräusch vorübereilender Leute aufgestört, auch Kasko 
griff rasch nach seinem Netz und eilte ihnen nach; der „Ssägh“, 
der kleine Fisch, war angekommen. Eine Viertelstunde weiter auf- 
wärts traf ich etwa 15 Leute, Männer, Weiber und Knaben, eifrig 
mit dem Fange der kleinen nicht viel über spannenlangen Fischcheu 
beschäftigt, die jetzt leider in nicht sehr grosser Anzahl den Fluss 
hiuaufsteigen ; ihre Geräthe waren Handnetze (von den Weibern zur 
Winterszeit aus Thiersehnen gefertigt) und lange dünne an der Spitze 
mit einfachen Haken versehene Stangen, dereu Gebrauch nicht geringe 
Geschicklichkeit verlangte. Auch die über Nacht ausgelegten Fisch- 
reusen ergaben nur einen geringen Fang, so dass allgemeine Miss- 
stimmung herrschte, mehrfach wurde das Wort „Chlakass“ gehört; 
jedenfalls war die Anwesenheit des „Gützkäkön“, des fern Herge- 
kommenen, Schuld an der wenig ergiebigen Fischerei, wie er ja 
ohne Zweifel durch sein Schiessen auf Raben, Eiseuten und andere 
heilige Thiere den strengen Winter und den starken Schneefall ver- 
ursacht hatte. (In Betreff des letzteren existirt allerdings noch eine 
andere Version, nach welcher das Anemometer des Herrn Dickinson 
der eigentliche Süudenbock ist; denn „Kanägü, das steiuere Weib, 
welches an der ersten der oben erwähnten Baien wohnt, und das 
nur ungern alle die weissen Männer mit ihren Neuerungen und ihrem 
anderen Glauben sieht, hat gesagt, sie wolle doch versuchen, ob sie 
das Ding nicht umwerfen könne und schickte nun einen Schueesturm 
nach dem anderen; glücklicherweise befindet sich aber das Anemo- 
meter an einer so windgeschützten Stelle, dass es sich auch jetzt 
noch immer, wenigstens bei einigermassen starkem Luftzuge, munter 
herumdreht.) 

Nach rasch eingenommenem Frühstück (die frischgefangenen, 
auf ein eigenartig geschnitztes Holz aufgespiessten und dann am Feuer 
gerösteten Fische erwiesen sich als eine Art Delikatesse) brach ich 


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zu einem grösseren Gange nordwärts, das Flussthal hinauf, auf. 
Vor mir war schon der zweite Häuptling unseres Ortes „Chlonat“ 
mit einem Träger aufgebrochen, er will über die Berge ins Land 
der Stiek-Indianer, um dort für allerhand Tauschwaaren : Decken, Zeug, 
Taback, Pulver, Blei u. A. die kostbaren Felle einzutauschen, die er 
dann mit grossem Gewinn dem weissen Händler verkauft. Schwer 
bepackt, (sie tragen wohl 100 Pfuud an Waaren, dazu ihren Proviant, 
bestehend in geräuchertem Lachs, Fischthran und Mehl, ihre Schnee- 
schuhe, Gewehr und Axt) ziehen sie langsam ihre Strasse dahin, und doch 
sollen sie schon in 2 — 3 Tagemärscheu an das Ufer des grossen Sees 
kommen, aus welchem der Yukon fliesst. Als sie gestern bei 
Kduägus Steinhaus vorbeikamen, haben sie als echte Altgläubige 
um gut Wetter und glückliche Heise gebeten, und ihr allerhand 
Kleinigkeiten als Opfergabe hingeworfen; auch haben sie beim letzten 
Lagerfeuer gewissenhaft ihrer todten Freunde gedacht und für jeden 
derselben ein Stückchen trocknes Lachsfieisch ins Feuer geworfen, 
damit sie drüben in ihrem traurigen Aufenthaltsorte nicht Hunger 
zu leiden brauchten. 

Auf einer der bewaldeten Inseln im Strombette traf ich eine 
Blockhütte und nicht weit davon mitten im Walde ein Holzgerüst 
mit einem halb zu Bohlen zersägten Stamme, die Spuren der An- 
wesenheit jener vier Goldsucher, die im vorigen Jahre hier hinüber 
und den Yukon hinunter bis in die Nähe des alten Forts Selkirk 
„prospecteu“ gegangen waren. Der Weg in dem schneefreien Fluss- 
bette oder auf dem gefrorenen und mit nur wenigem Schnee bedeckten 
Flusse selbst war sehr bequem, bot jedoch so wenig, dass ich, nach- 
dem ich mir einen genügenden Einblick in den Thalschluss verschafft, 
schon nach einigen Stunden umkehrte. Das Thal verengte sich hier 
bis auf etwa 800 Schritt ; steil steigen die nicht sehr dicht bewaldeten 
Gehänge bis zu einer Höhe von 3000 bis 4000 ' an. Dem Thal quer 
vorgelagert ist ein nach Nordost ziehender Bergzug, der in zwei 
Senkungen bedeutende Gletscher trägt; ein anderer, grösserer und 
mächtigerer Gletscher liegt auf der westlichen Bergkette, kleinere 
sind wohl noch in anderen Schluchten zu vermuthen, doch bei der 
gleichmässig die Höhen bedeckenden Schneedecke nicht mit Sicher- 
heit zu erkenuen. — Im Hochsommer, zur Zeit der Schneeschmelze 
auf den Höhen, soll der Weg bei dem hochangeschwolleuen Flusse 
schwieriger sein ; er führt dann grösstentheils auf den im Strombett 
liegenden mit Pappeln (diese oft mit kolossalen Löcherschwämmen; 
einer derselben mass 63 cm in der Breite), Weiden, Erlen und 
Tannen dicht bewaldeten Inseln über quer durch und übereinander- 
liegende Baumstämme, durch ein dichtes Gestrüpp beerentrageuder 


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Sträucher, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Brombeeren, Hartriegel u. A., 
und der stellenweise üppig wuchernde „Devils walking stick“, eine 
äusserst stachlige Aralia von auffälligem Habitus, dient eben auch 
nicht dazu, ihn angenehmer zu machen. Ueberreste einer mannig- 
faltigen phanerogamen Vegetation bedecken hier den Boden, während 
die Syenitfelsen des Thaies von üppigen Moos- und Flechtenpolstern 
bekleidet sind. — Von Säugethieren kamen mir hier allein Schnee- 
hasen und Eichkätzchen zu Gesicht; mehrfach fand ich im Walde 
grössere aus starken Baumstämmeu aufgebaute Wolfs- und Fuchsfallen, 
und am nächsten Morgen wurde eine Wolfsspur ganz in der Nähe 
unseres Lagerplatzes bemerkt. Zwei Nörze, von den Eingeborenen 
„Otternsklaven“ genannt, wurden während meiner Anwesenheit im 
Eisen gefangen. Baren sollen zur Zeit der Beerenreife häufig sein. 
Die Vogelwelt war hier nur schwach vertreten; anders war es auf 
dem Wiesenterrain im Süden, das ich nach meiner Rückkehr am 
Spätnachmittag besuchte, wo zahlreiche eben vom Süden angekommene 
Schaaren von Schnee- und Spornammern und Lerchen in mehreren 
Habichten, einem Sperber und einer mittelgrossen Eule eifrige Ver- 
folger fanden, während ein schmucker, hurtiger, blauweisser Sänger 
(Vireo silvia?) sich nicht scheute, seinerseits die Räuber zu atta- 
quiren. Die Flora dieser Wiese muss im Sommer äusserst mannig- 
faltig sein, wie ich nach den Ueberresten urtheilen konnte ; an einer 
sumpfigen Stelle begrüsste ich einen alten Bekannten, den aromatischen 
Gagelstrauch (Myrica Gale); auch hier wurde eifrig nach den 
Wurzeln einer Umbellifere gesucht, welche gekocht eine sehr wohl- 
schmeckende und nahrhafte Speise liefern. 

Der folgende Tag (21. April) wurde zur Jagd und zu einigen 
Messungeu verwandt, welche letztere leider durch ungünstiges Wetter 
sehr beeinträchtigt wurden. Gegen Abend hatten wir leichten 
Schneefall; in der folgenden Nacht sprang der Wind nach Nord um 
und beschüttete uns mit einer leichten Schneedecke, doch störte das 
mich so wenig, dass ich gar nicht bemerkte, dass Kasko aufstand 
und das „Fly“ auf der anderen Seite festmachte. Am 22. April 
kehrten wir grösstentheils rudernd oder mit massigem Winde segelnd 
bei klarem, ruhigem Wetter nach der Faktorei zurück, die wir bald 
nach Mittag glücklich erreichten. 

Am 29. April unternahm ich mit der Familie des Missionärs und 
Frau Dickinson einen Ausflug per Kanoe nach NdchkYu), der auf der 
Ostseite der Halbinsel, etwa 8 Meilen weiter südlich tief einschneiden- 
den Bai, in welche der Häring zum Laichen gekommen war; das 
Wasser am südlichen Ufer war ganz milchig von dem ausgeschiedenen 
Samen, und bei zurücktretender Flut sah man den Tang strecken- 


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weise ganz mit den Fischeiern bedeckt, die von Alt und Jung eifrig 
eingesammelt wurden. Zum Fange der Fische selbst dienten ungefähr 
3 m lange Stangen, die am unteren Ende mit einer Iteihe scharf 
zugespitzter Nägel versehen sind; sie werden nach Art eines Schaufel- 
ruders ins Wasser getaucht und die aufgespiessten Fische, manchmal 
auf jedem Nagel einer, durch einen kurzen Schlag auf den Bord ins 
Kanoe fallen gelassen. 

Mehrere Adler (der prächtige A. Leucocepluila u. A. albicilla ?), 
Schaaren von Möven und Seeschwalben, sowie Raben, Krähen und 
der auffällige Kingfischer (Cervle Alcion) betheiligten sich am Fisch- 
fänge. Zahlreiche kleine Sänger, Schwalben, Piper, die hübschen 
rothbrüstigen Drosseln belebten die fast schneefreien Ufer und die 
bewaldeten Abhänge, an denen hier und da frisches Grün hervor- 
spross; welch ein Unterschied gegen das noch fast ganz im Schnee 
vergrabene Däschu! Frohsinn und Heiterkeit herrschte unten im 
Indianerlager; die Tage des Mangels waren nun vorüber, Häring 
und Heilbutten wurden zahlreich gefangen, auch einige Stachel- 
schweine, Murmeltliiere, Seehunde und Tümmler wurden erlegt. 

In der ersten Woche des Mai hatten wir noch einige recht 
unfreundliche Tage, Schnee und Regen; erst seit dem 3. des Monats 
ist das Thermometer nicht unter den Gefrierpunkt gefallen, aber 
noch heute, 11. Mai, macht eine Schneedecke von 2—3 Fnss Wald und 
Feld unpassirbar. Die Zahl der täglich neu eintreffenden Vögel 
ist ausserordentlich gross und habe ich alle Mühe, mir von jeder 
Art einen Balg zu sichern, oder wenigstens die Art zu identificiren, 
was beim Mangel der nöthigen Literatur nicht leicht ist. Am 4. Mai 
kam eine Partie von fünf weissen Männern in einem grossen Kanoe 
herauf; am 8. folgten ihnen drei andere; alle wollen das Dejähthal 
hinauf zum Yukon, um Gold zu suchen. Sie brauchen 20 — 30 Indianer, 
um ihre Effekten über die Berge zu schaffen, doch diese sind zu 
sehr mit dem Fischfang beschäftigt (der Smallfish ist gegenwärtig 
im Chilkootfiusse und im Dejähflusse in grosser Menge zu finden), 
als dass sie sich so leicht zu Trägerdiensten bereit finden liessen. 

Leider haben mir die weissen Leute keine Nachrichten aus der 
Heimat mitgebracht; für die amerikanischen Zeitungen scheint 
Europa kaum, Deutschland gar nicht vorhanden zu sein, und das 
Wenige, was sie bringen, ist nicht einmal erfreulich. 

13. Mai. Auch der Dampfer hat mir keinerlei Nachrichten 
gebracht, da er Sitka, wohin unsere Briefe adressirt werden, nicht 
berührt hat; ich gebe jetzt Ordre sie von Sitka nach Ilarrisburgh 
zu senden, von wo eher einmal ein Kanoe oder Boot anlangt. 



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3. Von (’liilkoot nach Portland, Frühjahr 1882. 

Reisebriefe von Dr. Aurel Krause. 

Abreise von Chilkoot. Langer Winter. Die Handelsstation Chilkoot. Die 
Indianer des südlichen Alaska. Tauschhandel. Die Chilkat- Mission. Huna. Jagd- 
reviere. Heilbutten- und Seeotternfang. K&uoefahrt südwärts. Die Station Killisnu. 
Härings- und Walthran-Gewinnung. Der Hutschinu - Schnaps. Sitka. Geschichtliches. 
Aufstände der Sitka- Indianer. Die Schwefelquellen von Baranoff- Island. Goldsucher. 
Wrangel. Die Mission unter den Stickin -Indianern. Sprachliches. Die Kasan -Bai. 
Missionserfolgo in Matlakatla. Die Queen-Charlottes-Inseln. Heida-Indianer. Kohlen- 
ausbeute auf Vancouver. Victoria. Chinesische Arbeiten. Der Puget-Sund. Seattle 
und Tacoma. Die nördliche l'acific-Eisenbahn. Alaskas nächste Zukunft. 

Am 6. April verliess icli Chilkoot, den nördlichsten Handels- 
posten der North-West-Trading-Kompagnie, unter 59° nördlicher Breite 
und 135° westlicher Länge gelegen. Ein Aufenthalt von 3 1 /* Monaten 
hatte mich mit der Gegend und der Bevölkerung wohl vertraut 
gemacht, und nicht ohue einiges Bedauern nahm ich Abschied von 
dieser Stätte, die neue Reize in dem bald zu erwartenden Frühjahr 
zu bieten versprach. Noch war der Boden überall mit Schnee be- 
deckt; erst in den letzten Tagen war derselbe etwas geschwunden, 
doch mochte die durchschnittliche Stärke immer noch 6 bis 8 Fuss 
betragen. Der Winter hatte diesmal ausserordentlich lange gedauert; 
auch war er nach den Aussagen der Indianer ungewöhnlich streng. 
Noch in der letzten Hälfte des März sank die Temperatur bis auf 
— 20° C. herab, während im vergangenen Jahre bereits am 1. April 
der Boden fast schneefrei gewesen sein soll. 

Ueber die Lage der Handelsstation Chilkoot möge die folgende 
Auseinandersetzung orientiren. In dem Inselgewirr des südöstlichen 
Alaska ist die Chatham Strait die ausgedehnteste uud wichtigste 
Fahrstrasse, sie erstreckt sich in gerader von Süd nach Nord gehender 
Richtung über drei Breitengrade bei einer durchschnittlichen Breite 
von 6 bis 7 Miles (hier wie im Folgenden sind englische Meilen, 
60 auf einen Breitengrad, gemeint) und einer bedeutenden Tiefe von 
über 100 Faden. Ihr südliches Ende mündet durch den Christians- 
sund in das offene Meer, ihr nördlicher Theil, der, soweit er vom 
Festlande begrenzt wird, ohne besonderen Grund einen eigenen 
Namen, Lynnkanal, führt, läuft in zwei durch eine schmale zwölf 
miles lange Halbiusel von einander getrennte Arme aus, das Chilkat 
Inlet im Westen uud das Chilkoot Inlet im Osten. An dem Chilkat- 
(spr. Tschill-kät) Flusse, der sich in den westlichen Arm ergiesst, 
liegen drei grössere Dörfer der Chilkat-Iudianer, auf der Chilkootseite 
(spr. Tschill-küt), an einem durch einen kurzen Ausfluss mit dem 
Meere verbundenen See, das weniger bedeutende Chilkootdorf. Der 
Verkehr zwischen Chilkoot- und Chilkatseite wird grösstentheils auf 
einem Fusspfade bewerkstelligt, der die schmale Halbinsel da, wo 


Sie 



203 


sie in das Festland tibergeht, kreuzt. Hier liegt auch, und zwar 
auf der Chilkootseite , an einer Bucht, welche einen guten und 
geschützten Ankerplatz darbietet, der vor zwei Jahren eröffnete 
Handelsposten und eine im vergangenen Jahre gegründete Missions- 
station. 

Noch vor wenigen Jahren waren die Chilkat-Indianer an der 
ganzen Küste gefürchtet und von der Zahl ihrer waffenfähigen 
Mannschaft hatte man übertriebene Vorstellungen. Weisse waren 
mit ihnen nur wenig in Berührung gekommen und grössteutheils 
unfreundlich behandelt worden. In neuerer Zeit zeigt sich jedoch 
auch dieser Stamm der Chlingit bemüht, die Vorzüge und Laster 
der Civilisatiou sich zu eigen zu machen, doch ist er noch immer 
der am wenigsten entartete, und, wenn er auch nur gegen 2000 Köpfe 
zählt, noch der mächtigste unter den Indianerstämmeu des süd- 
lichen Alaska. 

Das südliche Alaska oder der Sitkadistrikt besteht ausser einem 
schmalen Streifen Festlandes, aus einem Archipel von über zehn- 
tausend grösseren und kleineren Inseln und wird fast in seiner 
ganzen Ausdehnung von einem Indianervolke von etwa 8000 Seelen 
bewohnt, das durch fünf Breitengrade eine Sprache mit nur un- 
bedeutend von einander abweichenden Dialekten spricht und welches 
sich selbst „Chlingit“, d. h. „Leute* nennt, unter dem Namen 
„Koloschen“ jedoch, den es von den Russen erhalten hat, wenigstens 
in der älteren Literatur bekannter ist. Die „Chilkat“ und die 
„Yakutat“, letztere au der Yakutat- oder Berings-Bai unter dem 
60. Breitengrade, sind die nördlichsten Stämme der Chlingit, die 
„Hännega“ und die „Tonga“, crstere den Norden von Prince of 
Wales Island, letztere Tongas Island und das benachbarte Festland 
bewohnend, die südlichsten. 

Die Chilkat-Indianer haben das Monopol des Handels mit den 
nomadischen Indiauerstämmen des Innern und auf Aufrechthaltung 
desselben sind sie ausserordentlich eifersüchtig. Mehrmals kamen 
im Laufe des Winters „Gunana“, wie diese Jägervölker von den 
Chilkat genannt werden, über die Pässe herüber, beladen mit den 
Erträgen ihrer Jagd, Fellen aller Art, unter denen die schönen 
Pelze der Schwarz- und Silberfüchse den höchsten Preis haben ; aber 
nur einem von ihnen, der durch Blutsverwandtschaft mit einem der 
Häuptlinge der Chilkat-Indianer verbunden war, wurde der direkte 
Handel mit den Weissen erlaubt. 

Die Gunana, von denen mehrere noch niemals weisse Leute 
gesehen hatten, besitzen grösstentheils angenehme, Zutrauen er- 
weckende Gesichtszüge und scheinen ein harmloses, friedliebendes 




204 


Völkchen zu sein, dessen Unwissenheit von den schlauen Chilkat- 
Indianern bei dem Handel gröblich gcmissbraucht wird. 

Der von ihnen am meisten begehrte Tauschartikel ist Taback, 
doch auch Zucker, Mehl und ferner das aus Melasse hergestellte 
berauschende Getränk, Hutschinu genannt, dessen verderblichen 
Wirkungen ein guter Theil des Niederganges der Indianerbevölkerung 
an dieser Küste zuzuschreiben ist, wird ihnen von den Chlingit zu 
hohem Preise importirt. — In diesem Winter hatten die Chilkat- 
Indiancr nur einmal eine Expedition in das Innere unternommen. 
Die Waaren werden in wohlgeschnürten Ilündeln, mit Hülfe breiter 
Tragriemen, die über Brust und Stirn gehen, auf dem Rücken 
getragen. Schneeschuhe mit Ahorngestell von grosser Widerstands» 
fähigkeit und gefälligem Schwünge, zwischen dem ein engmaschiges 
aus Sehnen gefertigtes Geflecht ausgespannt ist, verhindern ein 
tieferes Einsinkeu auch in dem lockersten Schnee. Eine Expedition 
bis zu den Quellgebieten des Yukon ist gewöhnlich nur von 
3 — 4wöchentlicher Dauer, doch werden im Sommer mitunter auch 
ausgedehntere Handelszüge unternommen, bis zur Yakutat-Bai und 
bis Fort Selkirk, dem aufgegebenen Posten der IIudson-Bai-Kompagnie 
am oberen Yukon, welches vor einigen Jahren von den Chilkat- 
Indianern geplündert und zerstört wurde. 

Der Zwischenhandel der Chilkat-Indianer macht den Pelzhaudel 
der Kompagnie weniger gewinnbringend, als er bei einem direkten 
Handel mit den Jägervölkern des Inueru sein würde. Die den 
Indianern gezahlten Preise sind nominell zum Theil höher, als der 
Marktwerth in San Francisco; der Preis der Waaren darf jedoch 
nicht übermassig erhöht werden, da die Chilkat eine lange und be- 
schwerliche Kanoereise selbst bis nach Britisch Columbien zu den 
Posten der Hudson-Bai-Kompagnie nicht scheuen, w enn sie auch nur 
einen geringen Vortheil erlangen zu können glauben. Zeit ist nicht 
Geld bei ihnen. Die Kompagnie bezahlt die Indianer mit nur durch 
Waaren einlösbare Anweisungen im Werthe von 1 , V», V* und V« $, 
welche durch verschiedene Farben kenntlich gemacht sind und als 
Münzen im Lande kursiren. Die gangbarsten Handelsartikel sind 
wollene Decken und bunte Zeuge, die bei den häufigen Festen und 
Feierlichkeiten öfters im Werthe von mehreren Hunderten von Dollars 
vertheilt werden; dann Taback, Mehl, dessen Verbrauch beständig 
zunimmt, sowie auch Zucker. Melasse wird von der Kompagnie, 
um der Ilutschinufabrikation vorzubeugen, nicht verkauft, doch benutzt 
man trotz des hohen Preises nicht selten Zucker mit allerhand Zu- 
thaten zur Herstellung des Lieblingsgetränkes. 

Die Erfolge der Bekehrungs- und Erziehungsthätigkeit unter 


Sk 



205 


den Chilkat sind noch nicht bedeutend. Noch in der letzten Zeit 
erfuhr der Missionär, dass die Indianer sich einbildeten, als Belohnung 
für ihre Frömmigkeit Bretter zum Bau von neuen Häusern zu er- 
halten, und dass sie bereits genug gebetet zu haben glaubten, um 
dieser Belohnung würdig zu sein. 

Während des anhaltend schlechten Wetters im Monat Februar 
und März litt die Bevölkerung einigermaassen Noth, da kalte und 
heftige Winde und Schneegestöber Jagd und Fischfang erschwerten. 
Selbst der Vorrath von getrockneten Lachsen und Beeren, das Haupt- 
nahrungsmittel während des Winters, war ausgegangen, und frischer 
Lachs konnte der Ungunst des Wetters wegen aus den Vorrathshäusern 
in den Dörfern nicht nach den Winterwohnungen geschafft werden. 
Da fing die Bevölkerung an, unruhig zu werden; die beiden Scha- 
manen versuchten alles Mögliche, sangen, tanzten und hungerten 
Tag und Nacht, um eiue Aenderung der Witterung herbeizuführen. 
Da Alles nichts half, musste eiue Ursache gefunden werden, und 
schliesslich einigte man sich dahin, dass die durch den Missionär im 
vergangenen Herbste veraulasste Beerdigung eines unehelichen Kindes 
das schlechte Wetter verschuldet habe. Nun wurden mächtige Feuer 
am Strande angezündet und Puppen verbrannt, um dadurch sym- 
bolisch die Beerdigung zu sühnen; da jedoch auch dies nichts half, 
bestürmte man den Missionär mit dem Verlangen, die Grabstelle zu 
zeigen. Diesem Verlangen gab er allerdings nicht nach, doch über- 
liess er es ihnen, mit Hülfe der anderen Zeugen den Ort zu finden. 
Nun sah man mehrere Tage hintereinander eine Anzahl Weiber und 
auch einige Männer mit allerhand Grabwerkzeugen bewaffnet aus- 
ziehen, um den Leichnam auszugraben. Mit unermüdlichem Eifer 
schaufelte man kolossale Schneemassen weg; aber alle Anstrengung 
war vergebens, das Grab wurde nicht gefunden. — Es dauerte 
geraume Zeit, ehe man sich wieder beruhigte, dann fand man andere 
Gründe, die nicht weniger widersinnig waren. 

Den Unterricht ertheilte die Frau des Händlers, eine in einer 
Missionsschule erzogene Schymsian- Indianerin, die jedoch auch der 
englischen und der Chlingitsprache mächtig war. Trotzdem, dass 
diese Frau nicht gewöhnliche Gaben besass, die sie unter Anderm 
auch dadurch bestätigte, dass sie ihren Mann, einen Vollblut- 
ainerikaner, vollständig unter dem Pantoffel hielt, und trotzdem sie 
sich auch die Sache sehr am Herzen liegen Hess, waren die Erfolge 
hei der Schwerfälligkeit der von ihr angewandten Methode doch nur 
sehr gering. Ueberdies nahm das Auswendiglernen von Abschnitten 
aus Katechismen und Glaubenslehren, die dem Inhalt und der Sprache 


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206 


nach den Kindern gänzlich unverständlich waren, den grössten Theil 
der Unterrichtszeit in Anspruch. 

Der kleine Dampfer der Kompagnie, die „Favorite“, welcher 
den Sommer hindurch die verschiedenen Stationen besucht, brachte 
mich am 6. April nach Huna, einem auf der Nordseite von Chieha- 
goff Island am Crosssound gelegenen Indianerdorfe, woselbst neben 
einem zweiten, jetzt jedoch aufgegebenen Posten der Kompagnie, 
gleichfalls im vergangenen Herbste eine Missionsstation eingerichtet 
worden war. Die Fahrt durch den Lynnkanal, begünstigt vom 
schönsten Wetter, liess wieder die grossartige Natur dieser Gegenden 
im besten Lichte erscheinen; am südlichen Ende fesselt namentlich 
der mächtige Adlergletscher den Blick; dann aber, sowie man den 
Crosssound passirt, die majestätische Gruppe des Eliasgebirges mit 
ihren erhabenen bis 17000' hohen Gipfeln, Mount Fairweather, Mount 
Chillon und Mount Pörouze. 

Das Dorf der Huna-Indianer besteht aus etwa 15 Häusern, die 
grösstentheils noch nach dem alten Stil gebaut sind, mit quadra- 
tischem Grundriss, tiachgeneigtem Giebeldache, ovaler Thür- und 
grosser, quadratischer Rauchöffnung ; doch sind einige Häuser bereits 
etwas modernisirt, mit steilerem Dach, Fensteröffnungen und in einem 
Falle sogar mit einer Art von Rauchfang versehen. In den Winter- 
monaten sammelt sich in dem Dorfe eine Bevölkerung von 600 bis 
800 Seelen an, 50 und mehr in einem Hause ; während der Sommer- 
monate jedoch zerstreuen sich die Bewohner in die verschiedenen 
Jagdgründe, und das Dorf steht völlig leer. — Die Huna sind 
grösstentheils Fischer; sie besitzen grössere und besser gebaute 
Kanoes, als die Chilkat, welche letztere vielmehr auf den Handel 
mit dem Innern, als auf Fischfang und Schiffahrt eingerichtet sind. 
Auch findet sich auf Chichagoff Island bereits die gelbe Ceder, „Cha= 
maecyparis Nootkaensis“, die das beste Schiffsbaumaterial liefert und 
aus deren Holz auch die stattlichen Kanoes der Heida gefertigt werden. 

Das Dorf bietet den gewöhnlichen Anblick dar; die Häuser 
liegen alle nahe dem Strande, mit der Front nach dem Meere zu; 
nur wenige der seltsamen Wappenbäume, darunter jedoch ein neuer 
im frischen Farbenschmucke, werden hier angetroffen. Hinter den 
Häusern sieht man kleine Zweig- und Schneehütten für Wöchnerinnen, 
weiter abseits Gräberhäuser, theils einzelnen Personen, theils Familien 
gehörig. Nur reiche Leute gestatten sich den Luxus eines eigenen 
Grabhauses, das sie bereits bei Lebzeiten erbauen und mit Flaggen, 
Malereien und Holzstatuen, welche letztere die Embleme der Familie 
darstellen, ausschmücken lassen. Aermere Leute begnügen sich mit 
Familiengräbern; die Knochen werden nach der Verbrennung ge- 


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207 


sammelt, in eine Decke eingewickelt und in hölzernen Gefässen in 
dem gemeinschaftlichen Grabhause deponirt. Nur der Schamane 
wird nicht verbrannt; sein Leichnam wird in einem gewöhnlich auf 
vier Pfählen stehenden, kleinen Häuschen, gleichfalls in Decken ein- 
gehüllt, niedergelegt. 

In der weiten Hunabucht mit ihren schmalen, seichten Aus- 
läufern bietet sich ein vorzüglicher Jagd- und Fischgrund. Schaaren 
von Enten und Gänsen bewohnen diese Gewässer und der Reichthum 
an Lachsen, Häringen und anderen Fischen soll zu Zeiten ein ganz 
ausserordentlicher sein. Während meines Aufenthalts daselbst wurde 
der Heilbuttenfang eifrig betrieben. Ein grosser Ilolzkasten, mit 
eisernem schräg eingesetztem Nagel und stets mit mehr oder weniger 
kunstvoll geschnitzten Figuren versehen, dient als Angelhaken; die 
Leinen werden aus den Wurzelfasern der gelben Ceder geflochten 
und sind von bedeutender Widerstandsfähigkeit. Eine gleichfalls 
mit Schnitzereien versehene Holzkeule wird zur Tödtung der ge- 
fangenen Heilbutten benutzt. Die Gewohnheit, alle Jagd- und 
Fischereigeräthe zu bemalen, hängt mit dem Glauben zusammen, 
dass ein reicher Erfolg dadurch gesichert werde. In dem gleichen 
Glauben bemalt auch der zur Jagd oder zum Kampf ausziehende 
Mann sein Gesicht und legt nach vorheriger Körperreinigung neue 
Kleider und den besten Schmuck an. 

Von den Huna wird auch der Seeotterfang betrieben, doch 
besitzt nur ein Geschlecht, der „tak-tän-tän“, die Berechtigung zu 
demselben. Die Seeottern zeigen sich im Monat Juli bei Kap 
Spencer und werden hier von den Huna grösstentheils geschossen, 
eine Jagdweise, die bei den aleutischen Inseln verboten ist und auch 
sicher hier bald zur Vertreibung der Thiere. führen wird. 

Der Missionär in Huna ist ein noch sehr junger Mann, der 
aus Newyork nach Alaska ausgewandert war, um in der kauf- 
männischen Laufbahn sein Glück zu versuchen, später jedoch Gold- 
sucher und dann schliesslich Heidenbekehrer wurde. Ich erwähne 
dieses nicht, um damit zu sagen, dass der Manu weniger als die 
Mehrzahl seiner Berufsgenossen für sein Amt geeignet war, sondern 
nur als ein charakteristisches Beispiel für die Leichtigkeit, mit 
welcher in Amerika und zumal hier im Westen die verschiedensten 
Berufe ergriffen und gewechselt werden. Allem Anscheine nach 
stand er sich mit den Indianern auf ganz gutem Fusse, und einige 
Knaben hatten auch bereits ganz hübsche Fortschritte im Gebrauche 
der englischen Sprache gemacht. Auch er hatte sich bemüht, statt 
der üblichen Verbrennung, die Beerdigung einzuführen, doch bisher 
noch ohne Erfolg. 


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208 


Am 13. April setzte ich in Begleitung des Missionärs, der, da 
die Indianer sich nun in ihre Jagdgründe zerstreuten, für die 
Sommermonate nach Sitka zu gehen beabsichtigte, in einem mit drei 
Indianern bemannten Kanoe die Reise fort. Nachdem wir die Huna- 
bucht, die in Folge ihrer geschützten Lage fast stets ruhiges Wasser 
darbietet, verlassen hatten, fanden wir beim Eintritt in den Cross- 
sound eine stark bewegte See, die uns bald nöthigte, auf einer 
kleinen Insel einen Lagerplatz aufzusuchen. In allen solchen Dingen 
kann man sich getrost auf die Eingeborenen verlassen. Der Indianer 
kennt die Küsten, die gefährlichsten Stellen, die Anzeichen von 
schlechter und guter Witterung, und vorzüglich weiss er sein Kanoe 
zu handhaben! Das kiellose, aus einem Baumstämme ausgearbeitete 
Fahrzeug, das öfters vielfach geflickt und mitunter der Länge nach 
mit den Wurzelfasern der Sitkafichte oder der gelben Ceder zu- 
sammengenäht ist, ist nur zu leicht zum Umschlagen geneigt. Um 
den Schwerpunkt möglichst tief zu erhalten, hat man bei den kleineren 
Böten dieser Art direkt auf den Boden mit vorgestreckten Beinen 
zu sitzen, aber auch in den grösseren dürfen Bewegungen nur mit 
Vorsicht ausgeführt werden. Diese Kanoes werden gewöhnlich in 
der Winterszeit ausgearbeitet, die besseren und grösseren aus dem 
Stamm der gelben Ceder, weniger gute aus dem der Sitkafichte oder 
auch aus Pappelholz. Erst wird der Aussenseite durch Bearbeitung 
mit einer, nach Art eiuer Ilacke geformten Axt die gewünschte 
Form gegeben, dann höhlt man den Stamm aus, wobei Holzstifte von 
gleicher Länge, die man in geringen Entfernungen von einander 
vou der Ausseuseite hineingetrieben hat, zur Erreichung einer gleich- 
mässigen Wandstärke benutzt werden. Das ausgehöhlte Kanoe wird 
mit Wasser gefüllt, dieses durch heisse Steine erwärmt, dann werden 
Querstäbe eingefügt und mit allmählicher Ersetzung derselben durch 
längere schliesslich eine regelmässige und geschmackvolle Aus- 
bauchung erzielt. Gewöhnlich werden auch noch einige Verzierungen 
am Schnabel und Malereien an den Wänden angebracht, ehe man 
das Boot vom Stapel laufen lässt. Diese Kanoes, deren Werth je 
nach der Grösse und der mehr oder weniger guten Ausführung 
zwischen 10 und 150 $ variirt, werden sehr sorgfältig behandelt. 
Beim Anlanden wird das Auflaufen auf Steine oder Felsen 
möglichst vermieden, aus dem Bereiche der Flut werden sie 
getragen und nicht geschleift, bei der Fahrt im Sonnenschein hält 
man die Wände durch Bespritzen mit Wasser feucht, bei der Rast 
am Strande sucht man sie durch wollene Decken oder durch aus 
Cederrinde gefertigte Matten vor der Einwirkung der Sonnenstrahlen 
zu schützen. 


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209 


Die Erfordernisse für einer* geeigneten Lagerplatz sind ausser 
einem sandigen Strande und einer geschützten Lage vor Allem 
frisches Wasser und gutes Brennholz. Ein Feuer wird in wenigen 
Minuten auch bei regnerischem Wetter angezündet, doch pflegen 
sich hierbei Indianer und Weisse verschieden zu verhalten. Der 
Weisse macht, wie einer unserer Führer treffend bemerkte, ein 
grosses Feuer und lagert sich in einiger Entfernung von demselben, 
der Indianer unterhält nur ein kleines Feuer, rüekj aber ganz nahe 
an dasselbe heran. 

Die Strecke von Huna nach Killisnu, eine Entfernung von 
60 miles, bei der auch die Chathamstrasse zu durchkreuzen war, 
wurde in drei Tagen zurückgelegt; widriger und zeitweise auch 
zu starker Wind hatte unsere Fahrt aufgehalten. Die Station 
Killisnu, woselbst wir uns eine Woche lang aufhielten, liegt auf einer 
gleichnamigen kleinen Insel und nahe dem auf Admirality Island 
gelegenen Indianerdorfe der Chutsinu. Der Platz bot zur Zeit 
unserer Ankunft ein Bild regen Treibens dar, wie, vielleicht abge- 
sehen vou der Goldgräberstadt Harrisburgh, kaum ein andrer in 
Alaska es zeigen mochte. An diesem Orte nämlich wird von der 
North-West-Trading-Kompaguie eine Anstalt für die Gewinnung von 
Fischthran errichtet nach dem Muster ähnlicher im Osteu bereits in 
grösserer Zahl florirender Unternehmungen. Auf den Fischreichthum 
in diesen Gewässern war man bereits seit einigen Jahren aufmerksam 
geworden, doch ausser durch den gelegentlichen Besuch eines Stock- 
fisch- und Heilbuttenfängers von San Francisco und durch einige 
Lachsfischereien wurde derselbe nicht ausgebeutet. Namentlich hatte 
man die zahllosen Schwärme von Häringen unberücksichtigt gelassen, 
die zeitweise so gedrängt erscheinen, dass die Indianer, indem sie 
Stäbe mit senkrecht eingefügten eiserneu Nägeln durch das Wasser 
führen, in kurzer Zeit Bootladungen von aufgespiessten Fischen 
erhalten. Zu Anfang April gehen diese Häringe zum Laichen in 
die Buchten. Die Indianer streuen dann Fichtengezweig und anderes 
Iteisig während der Ebbe auf den Strand; nachdem es mit Eiern dicht 
besetzt worden, sammeln sie es wieder ein, trocknen es an Schnüren 
oder auch auf ausgebreiteten Tüchern und bewahren es dann zum 
gelegentlichen Gebrauch auf. Die Eier werden, nachdem sie von 
den Zweigen durch Abbrühen losgelöst sind, mit Fett gemischt 
genossen. 

Wie bei der Menhadeu- Fischerei im Osten gedenkt mau diese 
Häringe in grossen, engmaschigen Netzen, die einen Werth von 
1000 Dollar repräsentiren, zu fangen, in Pressen zu zerquetschen 
und mit Benutzung von Dampf den Thran auszusieden und zu raffiniren. 

14 


üeogr. Blätter. Bretueu 1882. 


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Nebenbei soll auch der Walfischfang zum Behufe der Thrangewinnung 
betrieben werden und zwar vermittelst einer kleinen „Steam launch“, 
welche ein mit explosivem Geschoss, das jedoch gleichzeitig mit als 
Harpune wirkt, geladenes Geschütz trägt. Während meiner Anwesen- 
heit wurde der erste Walfisch getödtet, ein 63 ' langer „Einback“, den 
man an den Strand schleppte und dort mit Hilfe der Indianer zerlegte. 

Ein Besuch des etwa 2 miles entfernten Indianerdorfes Hess 
hier bereits einen grösseren Einfluss der Weissen erkennen, als in 
Chilkat oder selbst in Huna. Der Kartoffelbau, die einzige Garten- 
kultur der Indianer, wird von den Bewohnern in ziemlich bedeutendem 
Maasse betrieben, doch wendet man überall demselben keine be- 
sondere Sorgfalt zu. Nachdem die Kartoffeln in die nur wenig auf- 
, gelockerte Erde gesetzt sind, bekümmert man sich erst zur Zeit 
der Ernte wieder um die Anlage. 

In Hutschinü oder eigentlich „Chuts-i-nü“ (von Chuts = Bär 
und nu = Insel) wurde zuerst das aus Melasse gewonnene 
berauschende Getränk bereitet, welches nach dem Orte benannt ist. 
Ein Weisser, verabschiedeter Soldat, hatte diese Kunst den Indianern 
gelernt; der Destillationsapparat wird aus Petroleumkaunen zusammen- 
gesetzt; als Wurm dient entweder der hohle Stamm eines in diesen 
Gewässern häufigen Riesentanges oder auch eine aus Blechgefässen 
zusammengesetzte winklige Röhre. Vielfach sollen bereits Kartoffeln 
und andere stärkehaltige Substanzen zur Bereitung der Gährungs- 
masse benutzt werden. 

Ueber der Thür des stattlichsten der Indianerhäuser war in 
englischer Sprache folgende Inschrift angebracht: „Kanatuk, erster 
Häuptling der Hutschin. Jeder Weisse und zumal jeder gute Christ 
wird eingeladen, in dieses Haus einzutreten.“ Die Thür war ver- 
schlossen, aber Geräusch im Innern verrieth die Anwesenheit von 
Personen; nichtsdestoweniger erfolgte auf unser Klopfen keine Ant- 
wort. Ein Blick durch eine kleine Fensteröffnung belehrte uns 
jedoch über die Ursache dieses befremdlichen Benehmens; der gute 
Christ war mit der Bereitung von Hutschinu beschäftigt ! Am nächsten 
Tage herrschte allgemeine Trunkenheit im Orte. 

Auch die Hutschinu hatten ihr Dorf grösstentheils bereits ver- 
lassen und ihre Sommerhütten bezogen. Eine bedeutende Zahl der- 
selben wurde ferner bei den Arbeiten in Killisnu und Harrisburgh 
beschäftigt, woselbst sie, vorzüglich durch Holzhauen, 1 — 2 $ den 
Tag über verdienten. Ein Dollar ist der gewöhnliche Tageslohn für 
Iudianerarbeit im Lande; durch die grössere Nachfrage ist derselbe 
jedoch au Orten wie Sitka, Harrisburgh und Wrangel schon be- 
deutend gesteigert worden. 


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Die Sonimerhütten der Indianer bestehen aus einem Stangen- 
gerüst, das mit Matten aus Cederborke und mit Fichtenzweigen 
bekleidet ist. Vielfach sind aber auch Leinwandzelte, die sie selbst 
verfertigen, im Gebrauch. Regelmässig sieht man an den Lager- 
plätzen Vorrichtungen zu einem Schwitzbade. Ein kleiner zeltartiger 
Raum, in welchem eine Person hockend Platz nimmt, wird durch 
ein Stangengerüst und darübergelegte Decken abgegrenzt, dann be- 
giesst man eine Anzahl vorher erhitzter Steine innerhalb desselben 
mit Wasser und erfüllt so den ganzen Raum mit Dampf. Zur Ab- 
kühlung pflegt man sich direkt in das Meer zu begeben. 

Eine nur zweitägige Kanoefahrt brachte mich von Killisnu nach 
dem 65 miles vou hier entfernten Sitka. Wieder war die Chatham- 
strasse zu durchkreuzen, welche an dieser Stelle 10 miles breit 
ist. Zumal während der Winterszeit verursachen die vorherrschenden 
nördlichen Winde bei der eigenthümlichen Längsausdehnung der 
Strasse einen bedeutenden Wellenschlag, der nicht nur die Kanoes 
der Indianer, sondern auch grössere Fahrzeuge Tagelang von der 
Durchkreuzung abhält. Wir kamen bei frischem, jedoch nicht zu 
heftigem Winde glücklich hinüber und gelangten dann in die enge 
Perilstrasse, eine der lieblichsten Passagen im Archipel. An den 
engsten Stellen derselben werden durch Ebbe und Flut starke 
Strömungen hervorgerufen ; selbst Dampfer, die gleichfalls diese 
Strassen passiren, vermögen nicht gegen den Strom anzukämpfen, 
und müssen den Wechsel der Gezeiten abwarten. 

Am 26. April langte ich in Sitka an ; auch hier lag noch fuss- 
tiefer Schnee in den Waldungen, wenn auch das Städtchen selbst 
und die nächste Umgebuug J frei davon war. Sitka ist jetzt ein 
gänzlich unbedeutender Ort, er zählt kaum noch 300 weisse Be- 
wohner. Eine Zählung im Jahre 1879 ergab 267 Russen und Kreolen 
und 50 Amerikaner, in Summa 317. Das gänzliche Aufgeben des 
Ortes Seitens der weissen Bevölkerung ist nur eine Frage der Zeit, 
wenn nicht etwa die nahen Bergwerke oder die Fischereien sich er- 
giebiger zeigen sollten, oder der Sitz der für Alaska begehrten 
Regierung hierher verlegt werden würde. Doch die Lage des Ortes 
ist herrlich, würdig eines zweiten Christiania. Ein Blick von dem 
nun auch dem Verfall übergebenen alten russischen Kastell auf die 
Landschaft bei Sonnenauf- oder Untergang, auf die zahlreichen dicht 
bewaldeten Inselchen der Bai, auf die sich scharf von dem blauen 
Himmel abhebende, abgestutzte Pyramide des Mount Edgecombe, 
dessen Gestalt an die des Fusijama erinnert, auf die steil sich er- 
hebenden Berge des Innern, unter denen der spitze Kegel des Mount 
Popoff vor Allem die Aufmerksamkeit auf sich zieht, rufen einen 

14 * 



212 


jener malerischen Effekte hervor, die man nicht analysiren und be- 
schreiben, sondern nur gemessen mag. 

Sitka wurde im Jahre 1804 unter dem Namen Neu Archangel 
von Baranoff gegründet, nachdem das bereits 1799 gegründete Fort 
„Archangel Gabriel“, das die Stelle des heutigen „Alt Sitka“ einnahm, 
von den Eingeborenen zerstört worden war. Auf dem Hügel, auf 
welchem später das neue Kastell errichtet wurde, hatten sich die 
Indianer verschanzt. Erst nach zweitägiger Belagerung wurde die 
Position von den Russen genommen, doch gelang es den Vertheidigern, 
noch in der Nacht zu entweichen. Durch die Verlegung des 
Regierungssitzes, sowie der Verwaltung der 1799 gegründeten und 
mit ausgedehnten Privilegien ausgestatteten russisch-amerikanischen 
Kompagnie von Kodiak nach Sitka, erhob sich der Ort bald zu 
ziemlicher Bedeutung, und bis zum Jahre 1810 wurden allein siebzehn 
Schiffe daselbst gebaut und vom Stapel gelassen. Die Eingeborenen 
zwang man, sich in der Nähe am Strande anzusiedeln; durch einen 
starken Pallisadenzaun mit mehreren Wachtthürmen wurde ihr Dorf 
von der russischen Stadt geschieden und durch eine stehende Garnison 
ihre Aufstandsgelüste im Zaume gehalten. Nichtsdestoweniger brach 
im Jahre 1832 eine Revolte aus und eine zweite 1855, nach deren 
Ueberwältigung sechzig der Rädelsführer hingerichtet wurden. Mit 
der Uebergabe an die Vereinigten Staaten im Jahre 1867 verlor der 
Ort schnell seine Bedeutung; die zahlreichen russischen Militär- 
beamten, sowie die Beamten der Kompagnie verliessen denselben, 
und mit ihnen der grösste Theil der weissen Bevölkerung. Die 
„Alaska Commercial Company“, die Nachfolgerin der russisch- 
amerikanischen Kompagnie, gab den Sitkadistrikt völlig auf und be- 
schränkte ihre Thätigkeit wesentlich auf die Aleuten- und Prybiloff- 
Inseln, indem sie in der Ausbeutung des Robbenfangmonopols auf 
letzteren eine Einnahmequelle von kaum geahnter Ergiebigkeit fand. 
Die schwache amerikanische Garnison, die die russische ersetzte, 
wurde im Jahre 1877 zurückgezogen und seit dieser Zeit kreuzt 
nur noch ein Kriegsschiff zur Aufrechthaltung der nothdürftigsten 
Ordnung in diesen Gewässern. An Stelle der Russen, die das Land 
verliessen, sind nur wenige Amerikaner eingewandert und wohl nicht 
einer von diesen in der Absicht, seinen ständigen Wohnsitz daselbst 
zu nehmen. 

Wahrend der amerikanischen Herrschaft ist kaum ein neues 
Haus in Sitka errichtet worden, alle ansehnlicheren Gebäude, vor 
Allem das Kastell, in welchem jetzt eine meteorologische Station 
eingerichtet worden ist, dann das Waehthaus und das Zollamt 
stammen aus der russischen Zeit her. Der von den Russen zum 


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Schutz gegen die Indianer errichtete Pallisadenzauu ist nur zum 
kleinsten Theil erhalten; weniger böswillige Absicht der Indianer, 
als Trägheit der verkommenen russischen Bevölkerung, die hier 
leicht erreichbares Brennholz fand, soll die Zerstörung verursacht 
haben. — In verhältnissmässig gutem Zustande befinden sich noch 
die gleichfalls von den Russen angelegten breiten Promenaden, welche 
dem Seeufer entlang und durch schönen Fichtenwald zu einem 
lieblichen Gebirgsbache, dem „Indianriver“, führen, und auf die Sitka 
mit Recht stolz sein kann. 

Die Indianerstadt, welche 50 Häuser mit einer Bevölkerung 
von etwa 1200 Seelen zählt, weicht nur durch einige moderne 
Hausbauten von dem Gepräge anderer Chlingitdörfer ab. Der 
Sitkastamm, Sitka-kän oder auch Schitkakän, hat durch den längeren 
Verkehr mit den Weissen nicht gewannen; zwar gehören äusserlich 
eine Anzahl Indianer zur christlichen Kirche, die meisten von diesen 
zur russischen, wenige zur presbyterianischen; seitdem jedoch der 
Gebrauch abgeschafit worden ist, dass jeder Konvertit ein neues 
weisses Gewand mit darauf befestigtem rothen Kreuze bei seiner 
Taufe erhielt, was mehrfach zu wiederholten Taufen desselben 
Individuums führte, sind Bekehrungen selten geworden. 

Die Sitka-Indianer gelten auch heute noch als höchst unzu- 
verlässig, wenn auch die Furcht der weissen Bevölkerung vor all- 
gemeinen Ausbrüchen im Hinblick auf die beständige Eifersucht der 
Stämme untereinander, die grosse Selbstsucht und den geringen 
persönlichen Muth der einzelnen übertrieben erscheint. Nur das 
schwankende Verhalten der die Regierung vertretenden Persönlich- 
keiten, indem jeder neue Sehiffskommandaut, fast die einzige 
Autorität im Lande, eine andere Politik den Indianern gegenüber 
verfolgt, sowie die Leichtigkeit, mit der sich ein grosser Theil der 
weissen Bevölkerung durch leere Drohungen einschüchtern lässt, 
hat Unruhen erzeugt, die durch ein festeres Auftreten zu vermeiden 
gewesen wären. Nachgiebigkeit, Milde und Unsicherkeit macht diese 
Indianer nur zu leicht unverschämt. „Es ist keinem Zweifel unter- 
worfen“, sagt Dali in einem Briefe an den „Newyork-Herald“, „dass die 
Mehrzahl der Eingeborenen von Mount Elias bis zu Queen Charlottes 
Island einer verwegenen, unverschämten und rücksichtslosen Ra<;e 
angehört, welche nur den starken Arm der Regierung respektirt 
und die im trunkenen Zustande jedes Verbrechens fähig ist, wenn 
sie glaubt, unentdeckt bleiben zu können.“ Eine eingehendere 
Darlegung der letzten Unruhen, die unter anderen zur Stationirung 
eines Kriegsschiffes in dem Sitkaarchipel führten, wird nicht nur 
zur Illustration obiger Bemerkungen dienen, sondern auch einige 

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214 


Streiflichter auf charakteristische Anschauungen und Gewohnheiten 
der Indianer werfen. 

Im Juli 1878 schlug ein Boot von dem Schooner „San Diego“, 
der Fischfang an den Küsten Alaska’s betrieb, mit dem Kapitän 
und 5 aus Sitka stammenden Indianern um, und alle ertranken. 
Ein junger Indianerhäuptling in Sitka, Katlian, forderte nun für 
diesen Verlust, sowie für den Tod eines anderen Indianers, der sich 
in Gesellschaft eines Weissen zu Tode getrunken hatte, 1000 $ als 
Entschädigung und man war schwach genug, ihm 250 $ als Ver- 
gleich anzubieten. Es ist bemerkenswerth, dass in allen solchen 
Fragen die Weissen den Indianern als eine Familie gelten und jeder 
Weisse gewärtig sein muss, für die wirklichen oder vermeintlichen 
Vergehen eines anderen gegen Eingeborene von den Stammes- 
angehörigen der letzteren verantwortlich gemacht zu werden. 
Trotzdem nun Katlian damals die ihm angebotene Summe annahm, 
kam er später auf seine alte Forderung zurück, auch soll er ver- 
sucht haben, zwei wegen Ermordung eines Weissen angeklagte 
Indianer, die auf dem Postdampfer zur Aburtheilung nach dem 
Süden transportirt werden sollten, mit Gewalt zu befreien, und 
seinen Stamm zur Plünderung der Stadt und zur Massakrirung der 
Eingeborenen aufzureizen. Da er jedoch in Sitka wenig Gehör fand, 
begab er sich zu den Nachbarstämmen und auch zu den Chilkats, 
um deren Unterstützung bei dem beabsichtigten Kampfe zu erwirken. 
Zu gleicher Zeit jedoch wandten sich die geängstigten Weissen nicht 
nur an die amerikanische Regierung in Washington, sondern erbaten 
auch der dringenden Gefahr wegen die Entsendung eines britischen 
Kriegsschiffes von Victoria in Britisch Columbien. Von hier 
aus segelte dann auch sofort nach Ankunft des Gesuches 
und nach vorheriger telegraphischer Anfrage in Washington, 
ob englische Hülfe genehm sei, das Kriegsschiff „Osprey“ nach Sitka 
ab, woselbst es an demselben Tage wie die gefürchteten Chilkat- 
Indianer ankam. Ernstere Unruhen unterblieben nun, nur unter 
den Indianern selbst kam es zu Streitigkeiten zwischen der weissen- 
freundlichen und der weissen - feindlichen Partei, bei welchen der 
Führer der ersten verwundet und ein anderer Indianer getödtet 
wurde. Die „Osprey“ wurde dann bald durch ein amerikanisches 
Kriegsschiff abgelöst. Seit dieser Zeit hat die amerikanische 
Regierung, mit nur kurzen Unterbrechungen, ein Schiff, jetzt bereits 
das dritte, an diesen Küsten unterhalten zum Schutze der weissen 
Bevölkerung und zur Herstellung von Ruhe und Frieden unter den 
Indianerstämmen. Zur Erreichung dieses Zweckes wurden von den 
Kommandanten zumal in Sitka mehrfach Gewaltmaassregeln an- 


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geordnet. Eine Durchsuchung der Indianerhäuser ergab, dass fast 
in jedem Ilause Hutschinu fabricirt wurde; desgleichen fand man 
einige Destillationsapparate im Betriebe von Weissen; sie wurden 
sämmtlich zerstört, und das Getränk, soweit man seiner habhaft 
werden konnte, weggegossen. Die alte Vorschrift, dass zur Nacht- 
zeit sich kein Indianer innerhalb der Stadt der Weissen aufhalten 
durfte, wurde wieder in Kraft gesetzt und zur Aufrechthaltung der 
Ordnung nahm man einige zuverlässige Indianer als Polizisten in 
Dienst. Die Häuser wurden numerirt; ihre Bewohner zur Reinigung 
derselben und der Umgebung gezwungen, die Kinder unter An- 
drohung von Strafe zum Besuche der Missionsschule verpflichtet. 
Bei einer Revision fand man 13 Personen im Zustande der Sklaverei 
vor, sie wurden in Gegenwart ihrer Herren für frei erklärt. Auch 
gegen die üblichen Hexenverfolgungen schritt man ein. Als in 
diesem Winter die beiden Schamanen wieder das Volk zu einer 
Hexenverfolgung aufreizten, wurden dieselben mehrere Tage lang 
im Wachthause gefangen gehalten, und schliesslich vor ihrer Frei- 
gebung ihres langen Kopfhaares beraubt, das sie wie Simson vor 
jeder Entweihung durch Scheere und Kamm ihr ganzes Leben hin- 
durch eifersüchtig bewahrt hatten, und in dem sie einen Theil ihrer 
Kraft vernuithen. Dieser Hauptschmuck wurde daun als Trophäe 
am Wachthause aufgehängt, doch in einer Nacht gestohlen, ohne 
dass man den Dieb ausfindig machen konnte. — Weder der 
Schamanen noch Katlians Trotz soll jedoch durch diese Maassregeln, 
die mehr Willkür als System verrathen, und wie in der Sklavenfrage 
und dem Schulzwange, auch nicht zur strikten Durchführung 
gebracht werden konnten, gebrochen worden sein. 

Sitka ist als einer der regenreichsten Orte der Erde bekannt, 
indem die jährliche Regenmenge noch die Bergens übertriffl. Doch 
sind schöne klare Tage nicht gerade selten ; während meines beinahe 
dreiwöchentlichen Aufenthalts erfreute ich mich, abgesehen von drei 
Regentagen, während denen es weder besonders stark noch anhaltend 
regnete, des schönsten Frühlingswetters. In den Nächten sank die 
Temperatur öfters unter den Gefrierpunkt, am 8. Mai fiel 
auch noch Schnee, doch galt dieser Frühling als ein ausserordent- 
lich verspäteter, und die Vegetation sollte nahezu einen Monat 
zurück sein. 

Gartenkultur wird in Sitka nur in beschränktem Maasse, 
Getreidebau und Obstzucht gar nicht betrieben. Das Klima würde 
ohne Zweifel ausgedehntere Kulturen erlauben, doch der unternehmende 
und intelligentere Theil der weissen Bevölkerung denkt nicht daran, 
hier seinen bleibenden Aufenthalt zu haben, und scheut deshalb die 


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Mühen und Kosten der Urbarmachung, und der Rest, sowie die 
Indianer sind zu träge dazu. Auch wird trotz der hohen Preise von 
Milch, Butter, Eiern, Fleischwaaren mit Ausnahme von Wildpret, 
fast gar keine Viehzucht betrieben, nur zwei Kühe, wenige Schweine 
und einiges Geflügel befanden sich am Orte. Die Schwierigkeit, die 
Thiere den Winter über zu unterhalten, kann hier kaum grösser 
sein, als an vielen Orten des nördlichen Europas. 

Von Sitka aus machte ich einen Bootausflug nach den heissen 
Schwefelquellen, welche 15 miles südlich an der Küste von Baranoff 
Island gelegen sind. Hier hatten die Russen ein Hospital erbaut, 
das im Jahre 1852 von den Indianern zerstört wurde. Doch baute 
man es wieder auf, und auch während der amerikanischen Herrschaft 
sorgte man für Instandhaltung desselben bis zur Zurückziehung der 
Truppen. Dann nahm ein Weisser, Namens Brown, Besitz von den 
Bädern, betrieb jedoch nebenbei auch die Fabrikation von Hutschinu, 
welches er an die Indianer verkaufte. Im Winter 1878/79 wurde 
er von zwei Indianern beraubt und getödtet, der Führer der 
weissenfreundlichen Partei lieferte aber die Mörder, als sie mit ihrer 
Beute nach Sitka kamen, aus ; es waren dieselben, deren Verschiffung 
nach Portland Katlian mit Gewalt verhindern wollte. Seit dieser 
Zeit sind die Quellen verwahrlost worden und nur noch Indianer 
pflegen dieselben zu benutzen. 

Die Quellen selbst entspringen zwischen granitischem Gestein. 
Ihre Temperatur soll in den letzten Jahren abgenommen haben, 
doch war das mitgebrachte Thermometer bei der etwas rauhen 
Bootsfahrt zerbrochen, so dass keine Bestimmung gemacht werden 
konnte. Die drei Quellen sind nur wenige Schritt von einander 
entfernt, in die heisseste konnte man die Hand eben noch auf einen 
Augenblick hineinstecken, die beiden anderen waren lauwarm. Zwei 
Quellen waren gefasst; in den hölzernen Leitungsröhren, welche das 
Wasser zum Baderaum führten, hatte sich eine starke Schwefelkruste 
abgesetzt. Das Wasser roch ein wenig nach Schwefelwasserstoff, 
doch war der Geschmack nicht widerwärtig. 

Auf dem Wege nach den heissen Quellen besuchte ich auch 
die Redoute, eine alte russische durch Pallisaden befestigte Kolonie, 
die im Innern einer Bucht am Ausflusse eines zehn miles langen 
Sees liegt. Noch stehen daselbst fünf Blockhäuser und eine Kapelle, 
doch nur ein einziger bejahrter Russe mit mehreren Indianern bewohnen 
einen Theil der Räumlichkeiten. Die Russen hatten hier auch eine 
Getreidemühle, welche aber längt verfallen ist; jetzt wird nur noch 
der Lachsfang im Sommer betrieben. 

Am 10. Mai kam der Postdampfer, mit welchem ich die 


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Reise nach dem Süden fortzusetzen beabsichtigte, auf dem 
Wege über Harrisburgh an. Er brachte die Nachricht, dass dort 
bereits zahlreiche Miner eingetroffen seien, dass man voll der 
höchsten Erwartungen sei, dass drei Quarzmühlen diesen Sommer 
über in Betrieb gesetzt werden sollen, dass man aber des Schnee’s 
wegen mit den Arbeiten noch immer nicht habe beginnen können. — 
Der Enthusiasmus und die Leichtgläubigkeit der Miner sind hier 
nicht minder gross, als sie in anderen Golddistrikten gewesen sind: 
mit grösster Zuversicht werden nach den sehr zweifelhaften Analysen 
einzelner Stücke die Erträge ganzer Minen berechnet; man ver- 
steigt sich zu Erwartungen von 800, ja 1000 s und mehr auf die 
Tonne, während sich später vielleicht nur 10 bis 15 ergeben; man 
urtheilt über den Goldreichthum einzelner Gegenden nach völlig 
unklaren Vorstellungen über die geologische Beschaffenheit oder auch 
nur nach einem Blick auf die Bergkonturen. Theorien werden mit 
Leichtigkeit gebildet und mit Sicherheit vorgetragen. Selbst alte 
Miner zeigen trotz der zahlreichen Enttäuschungen ihres wechsel- 
vollen Lebens noch den Enthusiasmus ihrer Jünglingsjahre, und 
selbst unterrichtete Leute lassen sich durch das Goldfieber blendeu. 
So finde ich in einem durch die Zeitungen veröffentlichten Bericht 
über die Erforschung von Wrangel Island die Behauptung aus- 
gesprochen, dass die geologische Formation daselbst das Vorkommen 
von Gold wahrscheinlich mache, und in dieser Annahme wird dann 
sofort der Zukunft dieser jüngsten amerikanischen Erwerbung ein 
günstiges Prognostikon gestellt. — Uebrigens soll nicht geleugnet 
werden, dass sich die erfahrenen Miner eine Summe von empirischen 
Kenntnissen ungeeignet haben, die sie leichter eine Goldader auf- 
finden lassen, als es vielleicht einem studirten Geologen möglich sein 
würde, auch schrecken sie in der Erforschung neuer Gebiete vor 
keinen Hindernissen zurück, weder vor unwegsamen Gebirgen noch 
vor einer feindseligen Indianerbevölkerung. 

Am 13. Mai brachte mich der Postdampfer nach Klowak auf 
der Westseite von Prince of Wales Island, woselbst im Innern einer 
Bucht eine Lachsfanganstalt eingerichtet ist. Seit mehreren Jahren 
hat man hier auch mit der Versendung von Herzmuscheln „cardium 
nutallii“ in Zinnbüchseu begonnen, doch war man über den Erfolg 
dieses Unternehmens noch unsicher. Die Klowak-Indianer gehören 
zum Hännegastamm, der den Norden von Prince of Wales Insel 
bewohnt, und sind noch Chlingit. Sie sind nicht zahlreich und durch 
den Verkehr mit den Weissen nicht gebessert. 

Von Klowak aus fuhren wir durch die Duke of Clarence Strasse 
zwischen Kou- und Kuprianoff Island im Norden und Prince of 


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Wales Island im Süden nach Wrangel auf Wrangel Island*), dem 
dritten Hauptorte des südlichen Alaska, woselbst wir am 14. Mai 
anlangten. Wrangel ist gegenüber den anderen Orten insofern 
begünstigt, als ausser dem Postdampfer zwei Mal im Monat Schiffe 
von Britisch Columbien kommen, mit Ladung für die innerhalb des 
englischen Gebietes gelegenen Goldminendistrikte am Cassiare. Die 
Waaren werden von hier aus durch Flussdampfer den Stikeen auf- 
wärts etwa 200 miles weit, von dort vermittelst Lastthieren bis 
zu den Minen geschafft. 

Wrangel besitzt drei ansehnliche Gebäude; eine presbyterianische 
und eine katholische Kirche und eine Erziehungsanstalt für Indianer- 
mädchen. An keinem Orte in Alaska ist die Mission so energisch 
betrieben worden als hier unter den Stickin; den Berichten nach sind 
auch die Bestrebungen im Ganzen erfolgreich gewesen, trotz 
mancherlei Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten im Anfang. Die 
Aufgabe der Missionäre wurde besonders dadurch erschwert, dass 
Wrangel das Winterquartier einer grossen Anzahl von Minern bildet, 
sowie auch durch die Errichtung einer katholischen Konkurrenz- 
mission. Doch sollen die Schamanen ihr Handwerk bereits auf- 
gegeben haben, Beerdigungen an Stelle von Verbrennungen getreten, 
und Schul- und Kirchenbesuch allgemein geworden sein. Noch im 
Jahre 1878 wurden zwei Indianerfrauen als Hexen verdächtigt und 
den grausamsten Martern unterworfen, und nur eine von diesen 
konnte vor einem qualvollen Tode gerettet werden. 

Das Medium der Verständigung zwischen Missionär und Ein- 
geborenen ist hier wie an den meisten anderen Orten der Chenook- 
jargon, der mehr oder weniger gut von einer grösseren Anzahl von 
Indianern verstanden wird, während nur wenige etwas englisch 
sprechen. Doch ist der Missionär bemüht, sich auch die Chlingit- 
sprache anzueignen; bei der Dürftigkeit des Chenook ist es in der 
That fast unmöglich, einen über die gewöhnlichen Verhältnisse des 
alltäglichen Lebens hinausgehenden Gedanken zum Verständniss zu 
bringen. Der Chenookjargon ist eine für den Handelsverkehr mit 
den Eingeborenen von der Hudson-Bai-Kompagnie geschaffene und 
in dem weiten Territorium derselben mehr oder weniger gebräuch- 
liche Handelssprache, welche indianische, englische und französische 
Wörter im bunten Durcheinander und öfters unter völliger Aufgabe 
der ursprünglichen Bedeutung enthält. So dient beispielsweise das 
Wort „cultus“ zur Bezeichnung eines völlig werthlosen Gegenstandes 


*) Die Existenz dieses Wrangel Islands ist auch als Grund für die vor- 
geschlagene Nenbenennung von Wrangelland angeführt worden. 


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oder eines sinnlosen Begriffes, ein „cultus-man“ ist ein Mensch, der 
absolut zu Nichts zu gebrauchen ist, ein Taugenichts. Bei dein 
Mangel jeglicher Art vou Flexion sind Zweideutigkeiten natürlich 
unvermeidlich, für den Handelsverkehr ist dieser Jargon jedoch völlig 
ausreichend, und Händler und Eingeborene lernen und sprechen ihn 
mit überraschender Leichtigkeit. 

Der nächste Ankerplatz war die Kasan-Bai an der Ostküste 
auf Prince of Wales Island, woselbst von einem gewissen Baronowitsch 
eine Lachsfischerei eingerichtet worden war, die nach seinem Tode 
von der Wittwe, einer Hcida-Indianerin, an eine Gesellschaft in San 
Francisco verkauft wurde. Der Ort selber war einer der wenigen 
in Alaska, der ein freundliches Bild menschlicher Thätigkeit inmitten 
einer schönen Naturumgebung darbot. Das Wohnhaus, sowie die 
anderen Baulichkeiten waren im guten Zustande und sauber gehalten, 
ein eingezäunter Garten, der jetzt allerdings nicht bestellt worden 
war, zeigte die Spuren früherer Pflege. Es ist bemerkenswert!], 
wie wenig die Amerikaner, die sich in Alaska angesiedelt haben, 
daran denken, ihren zeitweiligen Aufenthaltsort zu verschönern, und 
nur die geringe Anhänglichkeit an den Boden und der beständige 
Gedanke an eine baldige Rückkehr in die Staaten kann diese 
Nachlässigkeit erklären. 

Bei dem fortdauernd schönen und ruhigen Wetter wurde die 
Weiterfahrt nicht durch die engen Strassen nahe dem Festlande, 
sondern nach Passirung von Dixon Entrance, welche Alaska von 
Britisch Columbia scheidet, durch den weiten Hekate-Sund fortgesetzt. 
So bekamen wir dieses Mal Fort Simpson und Matlacatla, das wir 
im Winter passirt hatten, nicht zu Gesicht. Nach übereinstimmendem 
Urtheil ist in letzterem Ort durch aufopfernde Hingebung und 
Thätigkeit eines einzelnen Mannes ein Erfolg erzielt worden, wie er 
nur selten in der Missionsgeschichte der Gegenwart verzeichnet 
werden kann. Mr. Duncan begann unter grossen Schwierigkeiten 
im Jahre 1857 seine Thätigkeit in Fort Simpson unter den Tschymsian- 
Indiancrn. Um seine Gemeinde vor dem schädlichen Einfluss gewissen- 
loser Schnapsverkäufer zu bewahren, und um einen vollständigen 
Bruch mit der Vergangenheit herbeizuführen, siedelte er mit seinen 
Anhängern nach Matlakatla, südlich von Fort Simpson über. Hier 
entstand unter seiner Leitung bald ein freundliches Städtchen, in 
welchem verschiedene Industrien und ein ausgedehnter Handel von 
den Indianern betrieben wurde. Vor einigen Jahren ist selbst eine 
Gasanstalt, zu der wohlhabende Engländer die Mittel gegeben haben, 
in Matlakatla eingerichtet worden. In jüngster Zeit wurde jedoch 
Mr. Duncan, der kein ordinirter Geistlicher ist, durch den Erzbischof 


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seiner Stellung enthoben, die Indianer weigerten sich aber die 
Kirche einem Andern zu übergeben, und man scheint denn auch, 
durch ihren Widerstand bewogen, die Maassregel zurückgenommen 
zu habeu. 

Die Queen -Charlottes- Inseln, die wir nun zu unserer Rechten 
hatten, sind die isolirteste Inselgruppe in dem ganzen Archipel; im 
Norden trennt sie die breite Dixon Entrance von Prince of Wales 
Island, im Westen der nicht minder breite Hecatesund von den 
Inseln an der Küste. Die Queen - Charlottes - Inseln bestehen aus 
einer durch einen schmalen Meeresarm in zwei Theile geschiedenen 
Hauptmasse und einigen benachbarten kleineren Inselchen und werden 
ausschliesslich von Ileida-Indianern bewohnt, die früher auch auf die- 
selben beschränkt waren und erst in neuerer Zeit die Dixon Entrance 
als Eroberer überschritten und die Chlingit aus dem südlichen Theil 
von Prince of Wales Island verdrängten. Die Heida wie die 
Tschymsian stimmen mit ihren nördlichsten Nachbarn, dem Chlingit- 
volke, in Sitten und Gebräuchen völlig überein, doch durch die 
gänzliche Verschiedenheit der Sprache, sowie durch charakteristische 
Eigentümlichkeiten des physischen Baus, sind sie als selbständige 
Völker gekennzeichnet. Wiewohl die Heida dieser gesummten Küsten- 
bevölkerung ihre eigentümlichen religiösen Anschauungen, ihre 
Gebräuche, ihre Tänze und Gesänge, ihre merkwürdige Vorliebe für 
den Gebrauch geschnitzter und bemalter Geräthe angenommen zu 
haben scheinen, so sind doch gerade unter ihnen viel weniger Au- 
klänge an den ursprünglichen Zustand zu finden, als unter den 
nördlichen Chlingitstämmen. Der Schamanismus ist hier fast völlig 
erloschen, die Todten werden jetzt beerdigt, europäische Trachten 
und Gebrauch europäischer Waaren und Geräthe sind allgemeiner 
geworden. Es ist ein schöner, stattlicher Menschenschlag. Der 

schmähliche Gebrauch früherer Zeiten, dass die Weiber und Töchter 
nach Victoria und in die Minen verhandelt wurden, und die Männer 
dadurch die Mittel erlangten, ihr Leben im Nichtstun zu ver- 
bringen, soll in neuerer Zeit, wenn auch nicht aufgehört haben, so 
doch weniger allgemein sein. 

Am 18. Mai wurde in Departure-Bai, nahe Nanaimo, an der 
Ostküste von Vancouver Island gelandet, um Kohlen für den eigenen 
Gebrauch, sowie als Fracht für San Francisco einzunehmen. Da an 
der ganzen Westküste von Amerika bauwürdige Kohlenlager nur 
spärlich vorhanden sind und vielfach noch englische Kohle eingeführt 
wird, so sind diese Minen von hoher Bedeutung. Seit den zehn 
Jahren ihres Bestehens sind 33,000 Tonnen verschifft worden ; täglich 
werden jetzt in zwei Gruben gegen 800 Tonnen gebrochen, und bei 


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unserer Ankunft warteten acht Schiffe, darunter vier Dampfer, auf 
Ladung. Einer dieser Dampfer hatte 1200 Chinesen nach Victoria 
gebracht uud nahm nun Kohle als Rückfracht nach China ein. Die 
Kohle, die der Kreideperiode angehört, soll stark bituminös, doch 
für den Gebrauch auf Dampfschiffen und im Haushalte wohl geeignet 
sein. In den Gruben sind fast nur Chinesen beschäftigt. 

Von Departure-Bai begab ich mich auf einem Lokaldampfer 
nach Victoria. Die Küsten von Vancouver, sowie der benachbarten 
Eilande, boten wieder die lieblichsten Landschaftsbilder dar; die 
bewaldeten Ufer prangten in frischem Grün, während die Berge des 
Innern noch theilweise mit Schnee bedeckt waren. Das Klima von 
Vancouver ist ein ausserordentlich begünstigtes, dem des südlichen 
England am meisten verwandt. Nur selten hält sich in den Wintern 
eine dünne Schneedecke mehrere Tage hindurch, im warmen Sommer 
regnet es noch gerade hinreichend, um die Vegetation frisch zu er- 
halten. Hier wächst noch der schöne Madronenbaum (Arbutus 
Menziesii) und zahlreiche immergrüne Sträucher schmücken die 
herrlichen Waldungen. Victoria selbst ist ein kleiner, nur acht- 
tausend Einwohner zählender Ort, dessen Stille zu der lärmenden 
Geschäftigkeit amerikanischer Städte in wohlthuendem Kontrast steht. 
Die Stadt hat eine hübsche Lage in einer weiten fruchtbaren Ebene, 
nur ist der llafen für einen grösseren Verkehr zu klein. Ohne 
Zweifel wird die Vollendung der kanadischen Pacific - Eisenbahn 
sowohl für Victoria, wie für ganz Britisch Columbien den Beginn 
einer neuen Epoche bilden. Wie alle grösseren amerikanischen 
Eisenbahnen, wird auch die kanadische hauptsächlich mit Hülfe 
chinesischer Arbeiter gebaut, die mit einem Dollar Tagelohn befriedigt 
werden können, während der geringste Tagelohn eines Weissen zw r ei 
Dollar beträgt. Nach den Zeitungsnachrichten wurden 24,000 Chinesen 
erwartet. Auch in Victoria sieht man, wie in San Francisco und 
Portland, die Chinesen in den verschiedensten Stellungen, als Bediente 
in den Privathäusern, svie in den Hotels, als Arbeiter in allen 
Branchen oder auch als selbständige Geschäftsleute. Noch denkt 
man in Britisch Columbien nicht daran, ihnen die Einwanderung zu 
versagen. Die Arbeitskräfte sind so knapp, dass mau froh sein 
muss, in den Chinesen einen Ersatz gefunden zu haben. 

Von Victoria aus fährt zweimal wöchentlich ein Dampfer nach 
Tacoma im Innern des Pugetsound. Auch diese Fahrt zeigt be- 
deutende landschaftliche Reize. Längere Zeit bildet die isolirte 
Bergmasse des 11,100 Fuss hohen Mount Baker, sowie die schöne 
Gruppe der schneebedeckten Washington-Berge den Hauptanziehungs- 
punkt, bald sieht man jedoch auch die weisse Pyramide des nahezu 


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14,000 Fuss hohen Mount Reynier über den Horizont sich erheben. 
Die Fahrt führt an den San- Juan-Inseln vorbei, die im Jahre 1859 
nahezu die Veranlassung zu einem Kriege zwischen England und 
den Vereinigten Staaten gaben. Durch einen Schiedsspruch des 
deutschen Kaisers wurden sie im Jahre 1872 den Vereinigten Staaten 
zuerkannt und damit diese zu Herren der Fuca Strait gemacht. 

In Port Townsend, einer aufstrebenden Stadt an der Mündung 
des Pugetsunds wird der amerikanische Boden berührt, dann wird 
die Fahrt durch das ruhige Wasser des Sundes, dessen dicht- 
bewaldete Ufer hin und wieder durch freundliche Kolonien belebt 
werden, fortgesetzt. Der bedeutendste Ort am Sunde ist Seattle, 
namentlich wichtig auch durch seine Kohlenminen, die einen grossen 
Theil des Bedarfs von San Francisco decken. Die kommereielle 
Wichtigkeit des Pugetsunds lasst die Entstehung einer grossen Stadt 
an demselben zweifellos erscheinen, und Seattle oder auch das 
jüngere Tacoma scheinen die Keime zu einer solchen zu enthalten. 
Tacoma ist bereits mit dem Columbia-Flusse durch eine Eisenbahn 
verbunden, die weiter bis nach Portland geführt wird. Portland ist 
aber der Endpunkt der nördlichen Pacific-Eisenbahn, deren Eröffnung 
für das nächste Jahr in Aussicht genommen ist, und welche zweifel- 
los einen grossen Theil des Einwandererstromes nach Oregon und 
Washington-Territorium lenken wird. 

In Portland werden alle Kriminalvergehen, die in Alaska ver- 
übt werden, abgeurtheilt ; in diesem Winter wurde hierseihst ein 
Jakutat-Indiancr, der zwei Goldsucher aus Raubsucht ermordet hatte, 
verurtheilt und hingerichtet, nachdem er noch als eine besondere 
Gnade sich eine Verkürzung der Galgenfrist ausgebeteu hatte. Da 
Zeugen und Dolmetscher bis aus Sitka und weiter hergeholt werden 
müssen, so sind die Kosten eines solchen Verfahrens sehr bedeutend. 
Der jetzige gesetzlose Zustand Alaskas ist in der That eine 
Abnormität und nur der Widerstreit persönlicher Interessen kann 
die bisherige Erfolglosigkeit aller auf Einrichtung einer Regierung 
gerichteten Bestrebungen erklären. Der augenblicklich dem Kongress 
vorliegende Gesetzentwurf verlangt nur die Kreirung von drei neuen 
Aemtern, eines „attorney general“, eines „judge“ und eines „clerk“, 
zusammen mit einem jährlichen Aufwand von 20,000 Dollars. Wenn 
man aber auch mit den Freunden des Gesetzes annehmen 
kann, dass die Schaffung geordneter Zustände zu ausgedehnteren 
industriellen und kommercielleu Unternehmungen ermuntern wird, 
so dürfte Alaska doch für die nächste Zukunft wenigstens schwerlich 
das Ziel einer bedeutenden Einwanderung werden. Noch tragen die 
viel verlockenderen Gebiete von Californien, Oregon, Washington 


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und Britisch Columbien nicht den hundertsten Theil der Bevölkerung 
ähnlich begünstigter Länder Europas, und das Goldfieber allein 
vermag in dem rauheren und weniger leicht zugänglichen Alaska nur 
einen vorübergehenden Menschenzufluss zu erzeugen, der der stetigen 
Entwickelung des Laudes kaum förderlich ist. 

Nur durch Hebung uud Civilisation der einheimischen Be- 
völkerung, die die Anhänglichkeit an den Boden besitzt, welche dem 
eingewanderten Amerikaner abgeht, könnte das Land jetzt der 
Kultur erschlossen und eine stetige Ausbeutung seiner Hülfsquellen 
angebahnt werden. Doch ein solcher Civilisationsversuch kann 
erfolgreich nur durch den starken Arm einer konsequenten Regierung 
geleitet werden ; die Bestrebungen der Missionsgesellschaften werden 
trotz der augenblicklichen Erfolge einzelner Persönlichkeiten an der 
allgemeinen Systemlosigkeit, an dem einseitigen religiösen Gesichts- 
punkte und an den geringen Machtmitteln scheitern. 


Ueber den Einfluss der Nahrung auf die Verbreitung 
und die Wanderungen der Thiere. 

Von Professor Karl Möbius.*) 


Ueberall, wo auf dem Lande uud im Wasser Pflanzen und 
Thiere leben, vom Aequator bis zu den undurchdringlichen Eismassen 
der Polarzonen, wohnen verschiedene Arten von Organismen bei- 
einander. Nirgends giebt es Stellen, welche ausschliesslich von einer 
einzigen Art von Pflanzen oder Thieren bewohnt würden, sondern 
jede Art tritt auf als Glied einer Gemeinschaft lebender Wesen, 
welche unter gleichen äussern Verhältnissen ihr Gedeihen finden und 
sich so zu einander verhalten, dass jede der Gemeinschaft angehörende 
Art durch die grösste Zahl von Individuen vertreten ist, die sich 
den vorhandenen Umständen gemäss ausbilden konnten. 

Dass wirklich die höchste Zahl von lebenden Wesen in jedem 
bewohnbaren Gebiete vorhanden ist, schliesse ich aus der tausend- 
fältig gemachten Erfahrung, dass bei allen Arten einer solchen 


*) Dieso Mittheilungen bildeten den Inhalt eines in der geographischen 
Gesellschaft in Bremen vor einem Publikum von Damen und Herren gehaltenen 
Vortrags, uud sind wir Herrn Professor Möbius für die gütige Ueberlassung 
des Manuskripts zum Abdruck zu besonderem Dank verpflichtet. D. Hed. 

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Gemeinschaft die Zahl der ausgewachsenen Individuen kleiner ist, 
als die Summe der Keime, welche die reifen Individuen in jeder 
Fortpflanzungsperiode erzeugten. Ich will einige Beispiele solcher 
Lebensgemeinden oder Biocönosen anführen. 

Im August 1881 besuchte ich in Begleitung von Forstmännern 
eine der grossen Haidestrecken im mittleren Theile Holsteins, wo 
man sich jetzt bemüht, die dort vorherrschende Pflanze, das gemeine 
Ilaidekraut (Calluna vulgaris) durch Anpflanzung von Waldbäumen 
wieder zu verdrängen. 

Stundenlang fuhren wir über eine baumlose Ebene. Fast wie 
auf dem Meere reichte das Auge ungehemmt bis an den Horizont. 
Wir wollten einen Dampfpflug arbeiten sehen. Fast eiuen halben 
Meter tief brach dieser den mit Haidekraut dicht bewachsenen Boden 
auf und kehrte ihn um, damit er zur Aufnahme von jungen Nadel- 
bäumen geeignet werde. 

In der Nähe des Haidekrautbodens, welchen der Dampfpflug 
umbrach, war das Land mit niedrigem, knorrigem Eichengebüsch 
bedeckt, dem letzten Reste der Eichenwälder, welche in früheren 
Zeiten hier standen. Neben dem Eicheugebüsch wuchsen andere 
Gräser und Kräuter, als zwischen dem Haidekraut. Die Erde war 
locker und dunkel und mit Spuren von Regenwürmern bedeckt, 
welche im Haideboden fehlen. Unter dem Gebüsch krochen Insekten 
und Spinnen umher, und Vögel flogen von Busch zu Busch, während 
die Haide nur wenig Thierleben zeigte. Das Haideland ist also eine 
viel einfachere Lebeusgemeinde, als der Eichenbusch neben demselben. 
Unter dem Eichengebüsch bleibt der Boden feuchter als unter der 
Haide. Insekten, Spinnen und Würmer sind darunter mehr geschützt 
als unter dem niedrigeu, kleinblättrigen Haidekraut; sie können sich 
in den feuchten Boden leichter eingraben, als in den festen Ilaide- 
grund und finden in den vielfältigeren Pflanzentheilen mehr zusagende 
Nahrung als auf der Haide. Und die Eiche fährt fort, an diesen 
Stellen zu wachsen, obschon daselbst kein anderer Untergrund liegt 
als unter der Haidedecke, weil Insekten und Würmer den Boden 
durchlockern und die Bestandteile desselben in der Art umsetzen, 
dass die Eichenwurzeln dauernd genügende Nahrung darin finden. 

An vielen Stellen des jetzigen schleswigholsteinischen Haide- 
landes haben früher Eichenwälder gestanden. Nach der Abholzung 
der Eichen wurden Buchen angepflanzt. Unter alten hohen Buchen 
wachsen keine Sträucher, wie unter den weniger schattigen Eichen; 
daher wird auf windreichen Ebenen unter dem Buchenhochwald der 
Boden nach und nach so trocken und fest, dass viele Insekten und 
besonders auch die Regenwürmer verschwinden. Dann wird der 


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Boden von den kleinen natürlichen Pflügern nicht mehr locker 
gehalten ; die Bachenwurzeln finden nicht mehr genug Nahrung darin 
für die Ernährung der alten Kronen, deren Zweigspitzen daher dürr 
werden. Endlich stirbt der ganze Baum ab und die Haide tritt an 
die Stelle des Buchenwaldes, weil sie auf dem ausgetrockneten, 
windigen, schattenlosen Boden besser gedeihet, als irgend ein anderes 
Gewächs.*) 

Ein Eichenwald, ein Buchenwald, eine Haidekrautebene sind 
drei sehr verschiedene Lebensgemeinden. In ihrer vollkommenen 
Ausbildung besteht eine jede aus einer Maximalzahl organischer 
Individuen, welche unter gleichen äussern Verhältnissen gedeihen und 
sich gegenseitig bedingen. Die Lebensgemeinde des Eichenwaldes 
besteht aus einer viel grösseren Zahl von Pflanzen- und Thierformen, 
als die Lebensgemeinde des Buchenwaldes. Das Haideland ist die 
ärmste dieser drei Biocönosen, da das Haidekraut durch zahllose 
Individuen den meisten Raum des Gemeindegebietes einnimmt. 

Ein Beispiel einer Süswasser-Biocönose ist ein Karpfenteich. 
Ausser Karpfen bewohnen den Teich noch Hechte, Frösche, Käfer, 
Insektenlarven, Wasserspinnen, Wassermilben, kleine Krustenthiere, 
Würmer, Räderthiere, Infusorien und viele Arten grösserer und 
mikroskopischer Pflanzen. Die meisten dieser Mitbewohner sind 
unentbehrlich, wenn die jung eingesetzten Karpfen in einer gewissen 
Zeit Marktgrösse erreichen sollen, und alle stehen in einem solchen 
Schutz- und Nahrungsverhältniss zu einander, dass jede Art in dem 
zur Verfügung stehendem Raume in der höchsten Zahl von 
Individuen auftritt. 

Als Beispiel einer Lebensgemeinde im Meere will ich ein 
Korallenriff des Indischen Oceans kurz zu schildern suchen, welches 
sich an der Nordost-Küste der Insel Mauritius entlang zieht. Hohe 
Wogen, welche der Südost-Passatwind erzeugt, laufen ununterbrochen 
heran gegen die Küste der Insel, aber 5 km vor derselben hemmt 
ihren Lauf der äussere Rand eines steil aus der Tiefe ansteigenden 
Riffes. Die mächtigen Wogen überstürzen sich, bilden eine furchtbar 
tosende Brandung von 9 km Länge und ergiessen sich schäumend 
über das Riff hin, der Küste zu. Bei Ebbe zieht sich die Brandung 
gegen das offene Meer hinaus zurück; so dass bei dem niedrigsten 
Wasserstande der höchste Theil des Riffes, der bei der Flut unter 
der Brandung liegt, so weit von Wasser entblösst wird, dass man auf 
demselben gehen kann. Das Riff ist sehr uneben und rauh wie eine 


*) Siehe P. E. Möller, in : Tidsskrift for Skovbrng, III, 1878. Abgekürzt 
übersetzt von A. Metzger: „Einige Züge der Naturgeschichte des Waldes.“ 

Geogr. Blätter. Bremen, 1882, 15 


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mit eckigen Steinen und unregelmassigen Steinplatten iibersäete 
Flache; denn es ist bedeckt von kleineren und grösseren Kalkblöcken, 
welche sich aus abgestorbenen Korallen und den Schalentrümmern 
anderer Riffbewohner gebildet haben. In den Furchen und Ver- 
tiefungen zwischen diesen läuft das Brandungswasser krvstallklar 
binnenwärts. Di'e Oberfläche der Blöcke ist von braunen Tangen 
überzogen. Das klare Wasser ist belebt von bunten Fischen, welche 
um lebende Korallen herumschwimmen. Am Grunde kriechen bunte 
Taschenkrebse, rothe Seesterne und schwarze Seeigel. Hebt man 
einen Block in die Höhe, so fahren Fische, Krebse, Würmer und 
dünnarmige Schlangensterne, die sich darunter verborgen hatten, 
auseinander und suchen sich wieder zu verkriechen. Und zerschlägt 
mau den Block mit Meissei und Hammer, so kommen auch noch 
aus Höhlungen Würmer, kleine Krebse und Schnecken hervor. Das 
Thierleben des Riffes steigert sich immer mehr, je weiter man nach 
aussen hin fortschreitet, bis endlich die Gewalt der Brandung zur 
Umkehr zwingt. 

Viel weniger belebt als das Aussenriff ist das an die Küste 
sich anschliessende ruhigere Binnenriff, weil es nur einen kleinen 
Rest der reichen Nahrung erhält, welche die Wogen dem Riffe aus 
dem offenen Ocean zuführen. Die Organismen der Korallenriffe 
bilden die artenreichsten Lebensgemeinden des Meeres und der 
Erde überhaupt. 

Die wichtigste Bedingung für das Bestehen der verschiedenen 
Lebeusgemeinden des Landes, des süssen Wassers und des Meeres 
ist andauernd genügende Nahrung für alle heranwachsenden Glieder 
derselben. Denn nur bei ausreichender Nahrung können Pflanzen und 
Thiere, welche denselben Boden und dieselbe Temperat ur, und im Meere 
denselben Salzgehalt lieben, sich gedeihlich bei einander entwickeln. 

Nur Pflanzen, welche Blattgrün enthalten, können unorganische 
Bestandteile des Erdbodens, des Wassers und der Luft in organische 
Verbindungen verwandeln. Da sämmtlichen Tbieren diese Fähigkeit 
abgeht, so stammen alle Nahrungsmittel der Thierwelt unmittelbar 
oder mittelbar aus der Pflanzenwelt der Erde. 

Für die Verbreitung der Thiere ist daher die Vegetation des 
Landes und des Meeres von der grössten Wichtigkeit. 

Thiere, welche sich von frischen Pflanzeutlieilen nähren, können 
sich nicht weiter verbreiten als ihre Nährpflanzen. 

In den wald- und weidereichen Gebieten des mittleren und 
südlichen Afrika finden viele grosse pflanzenfressende Säugetiere 
reichliche Nahrung : Heerden des grossohrigen Elephanteu, Nashörner, 
das Flusspferd, viele Arten von Antilopen und Zebras. 


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227 


Der Auerhahn bewohnt in Europa und Asien nur grössere 
Nadelwaldungen, weil er sich vorzugsweise von Tannen-, Fichten- 
und Kiefernadeln ernährt. Der Haussperling ist mit dem Getreide- 
bau in Sibirien nach und nach immer weiter nach Osten vorgedrungen. 

Im Thal des unteren Ob erschienen die ersten Sperlinge 1735; 
weiter östlich in Narvm am oberen Ob traten sie 1739 auf. 

Der Coloradokäfer (Doryphora decemlineata Say) wurde 1824 
von dem amerikanischen Entomologen Say in dem Colorado-Territorium 
entdeckt und als neue Species in die Wissenschaft eingeführt. Seine 
Larven nilhrten sich von den Blattern einer dort wildwachsenden 
Nachtschattenart, Solanum rostratum. Als bei der Anlage der 
Pacificbahn der Kartoffelbau bis in das Heimatsgebiet des Colorado- 
käfers vorgeschoben worden war, ging er auf das Kraut der Kartoffel 
über, weil dieses ihm als eine andere Solanmnart ebenfalls zusagende 
Nahrung darbot und verbreitete sich dann seit 1859 schnell über 
einen grossen Theil der Vereinigten Staaten. 1861 überflog der Käfer 
in grossen Schaaren den Missouri, 1864 und 1865 den Mississippi; 
er erreichte 1871 Canada und 1874 die Küstenstaaten New- Jersey 
und Maryland, und hat jetzt dort eine Ländermasse von mehr als 
70,000 Quadratmeilen im Besitz.*) 

Wenn der Coloradokäfer bei seinem ersten Auftreten in Deutsch- 
land im Juni 1877 bei Mühlheim am Rhein und im August 1877 bei 
Schildau in der Provinz Sachsen nicht vollständig vertilgt worden 
wäre, so würde er sich sicherlich schon über einen grossen Theil 
Deutschlands verbreitet haben. 

Mit den Pflanzen, welche wir in unsem Wäldern, auf den 
Aeckern und in Gärten in grossen Massen nebeneinander ziehen, 
züchten und verbreiten wir die Insekten, welche von unsern Kultur- 
pflanzen leben. Wir machen sie uns zu Ungeziefer. In der un- 
kultivirten Natur, wo Thiere keine Menschenarbeit zerstören und 
keine Menschen belästigen, giebt es kein Ungeziefer. 

Wie der Coloradokäfer gehört auch die Reblaus (Phylloxera 
vastatrix Planch.) zu denjenigen schädlichen Insekten, welche auf ver- 
schiedenen Arten einer und derselben Pflanzengattung leben können. 
In ihrer Heimat, in Nordamerika, wurde dieses schädliche, blattlaus- 
ähnliche Insekt 1856 auf dort einheimischen Reben bemerkt. 
Unbemerkt kam es nach Europa, wahrscheinlich an den Wurzeln von 
nordamerikanischen Rebenpflanzen, welche als Ziergewächse von 
Amerika bezogen wurden. 1865 wurde in einem Weinberge von 
Roquemaure im Departement Vaucluse im Südosten von Frankreich 

*) A. Gei-stärker. Der Coloradokäfer. Cassel 1877. S. 10. 

lö* 


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228 


eine neue Krankheit der Reben beobachtet und 1868 ein fremdes 
Insekt als Ursache derselben erkannt, welches Planchon in Mont- 
pellier Phylloxera vastatrix nannte. Dieses Thier hat sich seitdem 
Uber einen grossen Theil von Frankreich verbreitet und dessen Grenzen 
nach Süden und Osten hin, wo Weinbau getrieben wird, überschritten. 
— In Wäldern, welche nur aus einer Baumart bestehen, richten 
schädliche Käfer und Raupen oft schreckliche Zerstörungen an. So 
wurden im Jahre 1786 in dem Forstreviere Zellerfeld bei Clausthal 
auf dem Oberharz 64,280 Fichtenbäume trocken in Folge einer starken 
Vermehrung des Fichtenborkenkäfers (Bostrichus typographus L.) 

In den Jahren 1854 bis 1858 wurden in Ostpreussen durch 
die Nonnenraupen (Bombyx monacha L.) und Fichtenborkenkäfer 
54 Quadratmeilen Fichtenwaldungen so sehr beschädigt, dass die Masse 
des abgestorbenen Holzes gegen drei Millionen Klafter betrug.*) 
Solche Verwüstungen werden ermöglicht durch den Anbau grosser 
ungemischter Waldungen. In Waldbeständen, wo verschiedene Holz- 
arten untermischt wachsen, wird den schädlichen Insekten die 
Ernährung und Verbreitung erschwert. 

Nicht blos lebende, sondern auch todte Pflanzen dienen zur 
Ernährung vieler Thiere. Abgestorbene Pflanzentheile bilden die 
Hauptnahrung vieler Süsswasser- und vieler Seethiere und bedingen 
daher die Anzahl ihrer Individuen und deren Verbreitung. 

In Seen, Teichen und Flüssen mit kahlen sandigen Ufern leben 
weniger Insekten, Krustenthiere und Fische, als in Gewässern, deren 
Ufer und flache Strecken dicht mit Pflanzen bedeckt sind. Die ab- 
gestorbenen Blätter, Stengel und Wurzeln sinken an den Grund und 
bilden eine dunkle Masse, die zahlreichen Insektenlarven, Würmern 
und Krustentbieren Nahrung liefert. An solchen Pflanzenreichen 
Gewässern schwärmen in den Sommermonaten Schaaren von Mücken, 
Libellen, Köcher- und Eintagsfliegen, welche vorher als Larven und 
Puppeu das Wasser bewohnten und ihre Eier darin absetzen, ehe sie 
sterben. Dergleichen insektenreiche Gewässer sind auch reich an 
Fischen. Auch am Meeresgründe leben viele kleine Thiere an solchen 
Stellen, wo sich todte Pflanzenmassen ansammeln, weil diese vielen 
Thieren zur Nahrung dienen. 

In der Kieler Föhrde ziehen sich in der Nähe der beiden Ufer 
Wiesen von grünem Seegras unter flachem, klarem Wasser hin. Am 
unteren Rande dieser Seegraswiesen fällt der Meeresboden ziemlich 
steil ab bis zu einer Tiefe von 12 bis 16 m. In dieser Tiefe bildet 
der Meeresgrund eine Ebene, welche von dem Hafen bei der Stadt 


*) Ratzeburg, Waldverderber. 5. Aufl. 1860. p. 95. 


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mit ganz allmählicher Senkung bis ins offene Meer hinausreicht. Der 
Abhang zwischen den Seegraswiesen und der ebenen Thalsohle der 
Föhrde ist mit todten, braunen Seegrasblättern bedeckt, die immer 
mehr zerfallen und immer dunkler werden, je tiefer sie hinunter- 
gleiten. Unten auf der Thalsohle angelangt, verwandeln sie sich in 
eine schwarze Mudmasse, welche zahllosen Individuen kleiner Muscheln 
und Würmer als Wohnung und Nahrung dient. Wer zum ersten 
Male solchen weichen Mud in dichten Schleppnetzbeuteln heraufzieht, 
in -Drahtsiebe schöpft und dann im Seewasser neben dem Boote aus- 
spült, der ist erstaunt über den Reichthum an Thieren, welche in 
der Mudmasse verborgen waren. Diese Mudbewohner leben in allen 
Buchten an der Ostküste von Schleswig-Holstein und Jütland und 
auch in allen Fjorden an der Küste Norwegens, wo der Boden aus 
ähnlichem Pfianzemnud besteht, wie in der Kieler Föhrde. 

In der Nordsee vor der Westküste Schleswig-Holsteins und der 
Nordküste Hannovers, wo der Meeresboden hauptsächlich aus Sand 
besteht, auf welchem die Flut- und Ebbeströmungen keine Pflanzen- 
massen liegen lassen, fehlen die Mudbewohner. 

Die neueren Tiefseeuntersuchungen haben gezeigt, dass Thiere 
in allen oceanischen Tiefen lebeu können. Eine gleichmässig niedrige 
Temperatur von 0 bis 2 0 C., ein gleichmässiger Salzgehalt von un- 
gefähr 3,5 Procent, ähnliche Mengen von Sauerstoff und Stickstoff 
im Wasser gelöst, vollkommene Ruhe und tiefe Finsterniss auf den 
ungeheuren Thalsohlen aller Oceane gestatten es den Tiefseethieren, 
sich soweit zu verbreiten, soweit die grossen Tiefen reichen, wenn 
sie daselbst nur genügende Nahruug fiuden. Da nun Seegräser und 
die meisten Seetange nur in flachen Meerestheilen in der Nähe der 
Festlandsküsten und der Inseln wachsen, so gleiten in der Nähe der 
Küsten viel grössere Massen abgestorbener Pflanzen auf die tiefen 
Meeresgründe hinab als in der Mitte der Oceane, wohin wohl nur 
senkrecht von der Oberfläche niedersinkende Nährstoffe gelangen 
werden. Daher sind auch die Tiefseegründe an den Rändern der 
Oceane bis 3700 m tief viel mannichfaltiger und individuenreicher 
belebt als die noch tieferen, ausgedehnten Thalsohlen derselben. 

In den Lebensgemeinden von Pflanzen und pflanzenfressenden 
Thieren fehlen niemals Thiere, welche sich von Stoffen anderer 
Thiere nähren. 

In allen antilopenreichen Gebieten Afrikas gedeihen Löwen, 
Leoparden und Hyänen. 

In den europäischen Lebensgemeinden des Hasen und Rebhuhns 
ist der Fuchs ein gutgenährtes Mitglied. Seehunde sind durch alle 
fischreichen Küstenmeere der gemässigten und kalten Zonen ver- 

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breitet. Adler, Falken und Euleu treten in allen Zonen, besonders 
in solchen Gegenden auf, welche von verschiedenen kleineren Säuge- 
thieren und Vögeln gut bevölkert sind. 

Insekteufresseude Vögel verbreiten sich über die Gegenden, 
wo viele Individuen ihrer Niihrthiere wohnen. Spechte leben in 
Wäldern, wo sie viele Käfer und Ameisen finden. Der Kukuk ist an 
Gegenden gebundeu, die besonders reich an Käfern und Raupen sind. 

Der Fischreiher ist als Fischfresser genüthigt, sich in der Nähe 
fischreicher Seen, Flüsse und Küstenmeere auzusiedeln. In frosch- 
reichen Gegenden gedeihen die Störche. In Schleswig -Holstein sah 
man vor einigen Jahrzehnten nicht nur auf Bauernhäusern, sondern 
auch auf den Häusern vieler Städte zahlreiche Storchnester. Seitdem 
viele kleine froschreiche Wasserlachen auf den Feldern und Wiesen 
durch Dräniren trocken gelegt sind, haben sich die Störche dort 
auffallend vermindert. 

Auf der kleinen unbewohnten Insel Norderoog vor der West- 
küste Schleswig -Holsteins besuchte ich am 24. Mai 1872 einen 
grossen Brutplatz der Brand - Seeschwalbe (Sterna cantiaca Gm.). 
Die Nester, flache Vertiefungen im Sande, waren so dicht neben- 
einauder, dass man, ohne Eier zu zertreten, nicht weiter schreiten 
konnte. Vor mir flogen die brütenden Vögel in die Höhe; über mir 
schwebte eine dichte Schar unter dem blauen Himmel; hinter mir 
liessen die aufgescheuchteu sich wieder nieder auf ihre Nester. Ich 
wanderte durch ein grosses Vogelfeld, dessen Insassen der Besitzer 
der Insel auf 20,000 Individuen schätzte, die ihm Tausende von 
Eiern lieferten. 

Auf der Pommeraniafahrt durch die Nordsee warfen wir im 
August 1872 die Schleppnetze in der Nähe des Bass Rock vor der 
schottischen Küste aus. Da flogen so viele Bass-Gänse (Sula bassana L.j 
um uns herum, dass ihr Schreien unsere Unterhaltungen auf dem 
Schiffe erschwerte. Auf den uns zugekehrten Abhängen der kleinen 
Insel sassen so viele der weisseu Vögel, dass grosse Flachen wie mit 
Schnee bedeckt aussahen. 

Vor der Westküste von Schleswig-Holstein sieht man nach der 
Brutzeit wolkenähnliche Züge von Märzenten und Strandläufern über 
das Meer hinziehen. 

Noch grössere Schaaren von Seevögeln leben an den Küsten der 
kalten Zonen. In der Nähe des Nordkaps brütet die dreizehige 
Möve (Larus tridactylus L.) in ungeheuren Mengen. Dort sind die 
aus dem Meere aufsteigenden Felsenwände mit Millionen dieser Vögel 
bedeckt. Aufgeschreckt durch Schüsse, erheben sie sich weissen 
Wolken ähnlich und bedecken daun die Meereswogen bis in unab- 


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sehbare Fernen. Die Ausbreitung vieler Seevögel bis an die Grenzen 
iles Polareises und die Ausbildung ungeheurer Sehaaren derselben 
würde unmöglich sein, wenn sie nicht grosse Massen Nahrung in der 
Nähe ihrer Brutplätze fänden. Den Vögeln an den Küsten unserer 
Nordsee bieten Muscheln, Schnecken und Krusteuthiere, welche bei 
Ebbe auf dem entblössten Meeresboden Zurückbleiben, einen uner- 
schöpflichen Nahrungsvorrath dar. Die Bassgänse leben hauptsächlich 
von Häringen, die dreizehigen Möven von andern schareuweis auf- 
tretenden Fischen. 

Die gemässigten und kalten Meere sind nicht so reich an ver- 
schiedenen Thierformen, als die tropischen Meere; aber diejenigen 
Arten, welche in ihren Temperaturen gedeihen, treten dafür in grossen 
Mengen von Individuen auf, und diese Schaareu ermöglichen es grösseren 
Thieren, sich bequemer zu sättigen, als wenn sie viel Zeit auf das 
Suchen und Ueberlisten verschiedener Arten verwenden müssten. 
In den Lebensgemeinden der kälteren Meere sind daher alle Lebens- 
formen, welche ihnen angehören, bis zu den höchsten hinauf, durch 
grössere Mengen von Individuen vertreten. 

Von dem Grunde der Nordsee zwischen Jütland, Deutschland, 
den Niederlanden, England und Schottland heben Tausende von Fischer- 
fahrzeugen der umwohnenden Nationen Millionen von Schollen, Zungen, 
Steinbutten und Schellfischen empor. Diese Fische könnten sich 
nicht über den weiten Grund der Nordsee ausbreiten, wenn sie daselbst 
nicht reichliche Nahrung fänden. In der Nähe der Küsten ist die 
Nordsee meistentheils fiach und der Grund ist sandig oder schlickig 
und weniger reich an verschiedenen Arten von Thieren als mehrere 
Meilen vom Lande, wo sie eine zieudich gleiclnnässige Tiefe von 
40 — 50 m hat. Auf diesem von den Ebbe- und Flutströmungen 
und den Sturmwogen nicht mehr aufgewühlten Grunde setzen sich 
Massen abgestorbener Küstenpflanzen und eine Menge organischer 
Stoffe ab, welche Ströme und Flüsse ins Meer tragen, und nähren 
da unten unzählige Mengen von Krustenthieren, Muscheln, Schnecken, 
Seesternen, Seeigeln und Polypen, welche jenen Millionen essbarer 
Fische zur Nahrung dienen. 

Sehr leicht verständlich ist es, dass die Verbreitung aller Thier- 
parasiten von der Verbreitung der Thiere, welche sie bewohnen, 
ablutugt. 

Die Bandwürmer des Hundes sind, wie der Hund, über alle 
Erdtheile verbreitet. Trichinen leben in europäischen und amerika- 
nischen Schweinera^en. 

Säugethiere und Vögel, welche aus andern Erdtlieilen in unsere 
zoologischen Gärten versetzt werden, bringen ihre Haarlinge und 

/• 


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Fedcrlinge mit und übertragen sie auf ihre Jungen, wenn sie sieh 
in der Gefangenschaft fortptianzen. 

Festliegende oder festsitzende Seetlnere, wie z. B. Austern und 
Korallenpolypen, können sich nur durch solche, ihren Temperatur- 
und Salzbedürfnissen entsprechende Meeresgebiete verbreiten, wo 
ihnen durch das bewegte Wasser fortwährend- Nahrung zugeführt 
wird. Austern gedeihen daher in inselreichen Küstenmeeren und 
Flussmündungen, wo Ebbe und Flut und Winde das Wasser fast 
ununterbrochen in Bewegung erhalten. Die riffbildenden Korallen 
gedeihen am besten au denjenigen Küsten der tropischen Meere, 
gegen welche die herrschenden Winde wehen, weil die dort anlau- 
fenden Wogen eine Menge vegetabilische und animalische Nährstoffe 
aus dem offenen Meere absetzen. 

Alle Thiere, welche sich fortbewegen können, wechseln ihren 
Ort vorzugsweise in der Absicht, um Nahrung zu suchen. Infusorien 
liegen in dem Wassertropfen, in welchem sie sich unter dem Mikroskop 
befinden, selten ruhig, sondern kriechen oder schwimmen fast un- 
unterbrochen umher, tasten nach Nahrung und ziehen diese in ihren 
weichen Körper hinein. Raupen kriechen fressend auf den Blättern 
ihrer Nähr pflanze vorwärts, ruhen, um sich zu häuten, und kriechen 
dann wieder fressend weiter, bis sie Puppen werden ; und der aus der 
Puppe entstehende Schmetterling flattert von Blume zu Blume, um 
Honig zu saugen, bis er Eier legt, um dann sein Leben abzu- 
schliessen. 

Die Fische wenden sich in ihrem Wassergebiet ruhelos nach 
allen Seiten, und schnappen nach jeder zusagenden Nahrung. Eidechsen 
schleichen nach sonnigen Stellen und überfallen, schnell laufend, jedes 
Insekt, das sich in ihrer Nähe niedersetzt. Hirsche und Rehe ver- 
lassen zu regelmässigen Zeiten ihr verstecktes Lager und suchen 
ihre Weideplätze auf. Die meisten Vögel fliegen vom Morgen bis 
zum Abend umher, um Nahrung zu suchen. 

Die Hauptthätigkeit aller Thiere ist also Suchen und Ergreifen 
von Nahrung. Zu dieser gleichförmigen Thätigkeit treten bei den 
meisten nur nach Ablauf eines längeren Lebensabschnittes die Fort- 
pflanzungsthätigkeiteu hinzu. Das Seelenleben der Thiere besteht 
daher vorzugsweise aus solchen Empfindungen und Willensakten, 
welche aus dem Bedürfnis nach Nahrung entspringen und mit der 
Befriedigung dieses Bedürfnisses verbunden sind. Für das Erspähen 
der passenden Nahrung schärfen sich die Sinne, soweit sie der Aus- 
bildung fähig sind ; an die Stillung des Hungers knüpfen sich Genuss- 
erinnerungen, aus denen neue für die Erhaltung sorgende Willeusakte 
und Thätigkeiteu entspringen. So erkläre ich mir das zweckmässige 


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Nahrungsuchen der Thiere, vom Infusoriuni an bis zu den wandernden 
Vögeln und Siiugethieren hinauf. 

Zu Wanderungen werden manche Thiere veranlasst, wenn sie 
sich aussergewöhnlich stark vermehrt haben. In der Nähe von 
Hamburg sah ich einmal eine grosse Anzahl Ringelspinuer-Ilaupeu 
(Gastropacha neustria L.) vou einer Eiche, die sie ganz kahl gefressen 
hatten, herunterkommen und am Erdboden entlang, 10 m weit, nach 
einer andern noch belaubten Eiche kriechen. Heuschreckenschwarme 
verbreiten sich im südöstlichen Europa in manchen Jahren über 
weite fruchtbare Gebiete, verwüstete Aecker und Gärten hinter sich 
lassend. 

Auf dem Hochlande von St. Catharina in Süd-Brasilien vermehrten 
sich im März 1877 die Ratten ungewöhnlich stark, weil iu diesem 
Jahre die dort wachsenden baumartigen Gräser sehr vielen Samen 
getragen hatten. Nachdem dieses nahrhafte Futter aufgezehrt war, 
wanderten die Ratteuschaaren aus den Wäldern in die Pflanzungen 
und drangen mit unglaublicher Dreistigkeit selbst in die Wohnungen 
ein, bis endlich die meisten vor Hunger starben.*) 

Viele werden durch den Wechsel der Jahreszeiteu zu 
Wanderungen veranlasst. Treten Witterungsverhältnisse ein, welche 
an ihrem Aufenthaltsorte die Pflanzen und Thiere, von denen sie 
sich nähren, unzugänglich machen oder zerstören, so sind sie genöthigt, 
ihre Streifereien nach Nahrung weiter auszudehnen. Sobald auf den 
freien Hörnern der Alpen im Herbste Schnee fällt und immer weiter 
nach unten hin liegen bleibt, kommen die Gemsen tiefer herab und 
suchen in den Thälern und Wäldern Futter.**) 

Im äussersten Norden von Amerika weiden die Moschusochsen 
in kleinen Heerden an den Ufern der Flüsse. Sobald das Eis fest 
steht, wandern sie von einer Insel zur andern, und wenn dort alle 
erreichbaren Pflanzen abgefressen sind, ziehen sie, zu grösseren 
Heerden vereinigt, südwärts iu die Wälder. Die wilden Renthiere 
Sibiriens und Nordamerikas wandern ebenfalls, der Nahrung nach- 
gehend, im Frühling nach Norden und im Herbst nach Süden. 

Wenn in den weiten Ebenen Südafrikas im Norden des Kap- 
landes anhaltende Dürre eintritt, so wandern die Springböcke 
(Antilope Euchore Forst.) zu Hunderttausenden südwärts und ver- 
zehren alles Grüne (Cuming). Ihnen folgen Löwen, Leoparden, 
Hyänen, Schakale und Geier nach und nähren sich ohne Mühe. 
Fällt im Norden wieder Regen und bedeckt sich die Ebene wieder 


*) Fr. Müller. In: Bot. Jahrbücher v. Engler. II, 390, 1881. 

**) Tschudi, Thierleben der Alpen 315. 


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mit grünen Kräutern, so ziehen sich die überlebenden Springböcke 
wieder dorthin zurück und breiten sich aus. 

Zu den Thieren des Meeres, welche durch periodisches Auf- 
treten reichlicher Nahrung in verschiedenen Gebieten ihrer Lebcns- 
gemeinde zu Wanderungen veranlasst werden, gehört der Iläring. 
Die früher fast allgemein angenommene Ansicht, dass alle Häringe, 
welche in der Nord- und Ostsee zu gewissen Zeiten in grösseren 
Mengen erscheinen, ihre Heimat im nordatlantischen Ocean hätten, 
ist vollständig widerlegt. Den östlichen, schwachsalzigen Theil der 
Ostsee bewohnt eine kleinere Häringsrage, als den westlichen; noch 
grösser als die Ostseeragen wird der Nordseehäring. Ausser der 
Grösse siud es noch andere Eigentümlichkeiten, welche die Ragen 
verschiedener Meeresgebiete kennzeichnen. So steht z. B. bei dem 
Nordseehäring die Rückenflosse weiter nach dem Schwänze zu, als 
bei dem Ostseehäring.*) Jede Häringsrage bleibt innerhalb ihres 
biocönotischen Gebietes, wandert aber im Laufe des Jahres aus 
tieferen Stellen in die flacheren Küstenstrecken und von diesen wieder 
in tieferes Wasser. Der Häring der westlichen Ostsee erscheint im 
Herbst in den Buchten von Schleswig-Holstein in um so grösseren 
Mengen, je mehr Copepoden oder Ituderfusskrebse in diesen auf- 
treten. Seit langen Zeiten wurden im Kieler Hafen nicht so viele 
Häringe gefangen, wie im Februar 1872, wo das Wasser dicht mit 
Copepoden augefüllt war. Indem die Häringe in der Richtung 
vorwärts schwimmen, in welcher sie aui meisten Nährthiere finden, 
geratheu sie ins Wandern; je weiter sie die Nahrung in die engeren 
Theile der Buchten hereinlockt, je dichter scharen sich die vorher 
draussen zerstreuten Thiere zusammen und erwecken dann in den 
Fischern die Vorstellung, als wären sie von ferne her in solchen 
geschlossenen Schaaren herangezogeu. Die gute Nahrung macht die 
Fische fett und bringt ihre Eierstöcke zu rascher Entwicklung. Nun 
entsteht neben dem Bedürfniss nach Nahrung ein neuer Trieb, der 
sie im flachen Wasser zurückhält: der Fortpflanzungstrieb. Früher 
hat man angenommen, dass dieser Trieb die Häringe an die Küsten 
führe. Wie soll aber ein Trieb, ein gewisser psychischer Zustand, 
ein Thier nöthigen, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, ehe er 
erwacht ist? Kein Thier tliut etwas für die Einhaltung seines 
eigenen Lebens und die Erhaltung seiner Art, ohne dazu durch eine 
gegenwärtige Empfindung oder einen gegenwärtigen psychischen 
Zustand genöthigt zu sein. Durch den erst im Frühjahr erwachten 


*) F. Heincke, die Varietäten des Härings. In : Jahresbericht der Kommiss, 
zur wissensch. Untersuch, d. deutsch. Meere f. d. J. 1874 — 76. Berlin 1878. S. 41. 


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Fortpflanzungstrieb werden die durch die Nahrung in die Buchten 
gelockten Häringe in die flachen, zuerst durchwärmten Küstenstrecken 
geführt und legen dort vom März bis Juni ihre Eier ab. Die nach 
8 — 14 Tagen auskriechenden Jungen finden an den mit ihnen gleich- 
zeitig aus den Eiern schlüpfenden Embryonen von Muscheln, 
Schnecken, Würmern und Krustenthieren eine reichliche und passende 
Nahrung. Wenn diese Nahrung nun von den heran wachsenden 
Häringen immer mehr in Anspruch genommen, aber nicht mehr von 
neuem gebildet wird, so werden die Fischeben bei ihrem Umher- 
schwimmen nach Futter in der Richtung nach der offenen See mehr 
finden, als da, wo sie geboren wurden. Denn in den tieferen kälteren 
Wasserschichten tritt die Entstehung ihrer Nährthiere später ein, 
als im flachen Wasser. So werden die jungen Häringe durch das 
Nahrungsbedürfuiss und die Vertheilung der Nahrung innerhalb des 
Gebietes ihrer Lebensgemeinde im Sommer in das offene Meer 
hinausgeführt, in welchem sie sich zerstreuen, bis sie sich im Herbst 
wieder in die Buchten hineinfressen. 

An der norwegischen Küste werden im Februar die meisten 
Häringe gefangen, an den schottischen und englischen Küsten vom 
Juni bis August. Da auch au diesen Küsten gleichzeitig mit den 
Häringsschaaren grosse Mengen Copepoden das Wasser beleben, so 
sind wahrscheinlich auch dort diese kleinen Krustenthiere die Lock- 
speise, welche diese Fische heerdenweise an die Küsten führt und 
dadurch ihren Fang erleichtert. — Im Eismeer zwischen Spitzbergen, 
Island und Grönland lebt ein dem Stint nahe verwandter Fisch, der 
Lodde (Osmerus arcticus), welcher der Nahrung nachgehend vom 
April bis Juni nach den Küsten Norwegens zieht und daselbst laicht. 
Ehe noch die Loddenzüge die Küste erreichen, erkennt man an 
Dampfsäulen, welche in der Ferne aus dem Meere aufsteigen, dass 
sie sich nahen. Diese Dampfsäulen steigen aus den Nasenlöchern 
zahlreicher Walfische auf, die ihrer Nahrung, den Lodden, folgen. 
Auch ungeheure Schaareu von dreizehigeu Möven ziehen mit den 
Lodden heran. Wenn diese die Küsten erreicht haben, dann erscheint 
auch der Sommerdorsch in grosser Menge und wird nun von den 
Fischern so lange gefangen, bis die Lodden wieder in die Tiefen ziehen. 
Denn dann verschwindet auch der Lodden fressende Dorsch wieder. 

Noch weitere Wanderungen als Säugethiere und Fische machen 
viele Vögel. Ihnen wird es leicht, in wenigen Stunden meilenweit 
nach Futter auszufliegen. 

Von dem Brutplatze auf Norderoog flogen fortwährend Schaareu 
von Brandseeschwalben nach der Küste des Festlandes und andere 
Schaaren kehrten zurück. 


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Seeadler und Fischreiher besuchen oft Gewässer, welche mehrere 
Meilen weit von ihren Nistplätzen entfernt liegen. Die Wander- 
tauben in Nord-Amerika fliegen viele Meilen weit nach Weizen, Mais, 
Reis und anderem Körnerfutter aus. 

Der Vogel als leicht beweguugsfähiges Thier hat ein grösseres 
tägliches Nahrungsrevier als andere, nicht flugfähige Thiere. Nach 
der Fortpflanzungszeit, wenn sich die Zahl seiner Artgenossen ver- 
mehrt hat, muss er sein Nahrungsrevier noch weiter ausdehuen. Und 
wenn an den Brutstätten die ihnen zusagende Nahrung immer sel- 
tener wird, und wenn daselbst keine Insekten und Samen mehr ent- 
stehen, so werden die Vögelschaaren genöthigt, immer weitere 
Nahrungsflüge zu machen und endlich dahin zu wandern, wo noch 
Nahrungsvorräthe vorhanden sind und wo unter günstigeren Witte- 
rungsverhältnissen, als in ihren Brutgebieten, das Wachsthum vieler 
Pflanzen und die Entwickelung niederer Thiere noch fortdauert. So 
erklärt es sich, warum viele Vögel, welche im Norden von Europa 
und Asien im Sommer genistet haben oder daselbst ausgebrütet 
worden sind, in südwestlicher Richtung nach Südeuropa, Südasien 
oder Nordafrika ziehen. 

Auf ihrer Wanderung halten die Zugvögel an solchen Stellen 
Rast, wo sie Nahrung zu finden gewohnt sind : die Körnerfresser auf 
Aeckern und an Waldrändern, die Wasservögel an Seen und Flüssen. 
Ueber Gebiete, welche ihnen nach früher gemachten Erfahrungen 
keine zusagende Nahrung versprechen, fliegen sie ohne Aufenthalt 
hinweg: die Körner- und Beerenfresser über Gewässer, die Fisch- 
fresser über wasserlose Landtlächen. In ihren Winterquartieren 
halten sich die nordischen Zugvögel au solchen Stellen auf, wo sie 
Nahrung finden. An den Ufern des kaspischen und schwarzen 
Meeres und an den Seen Unteregypiens überwintern Scharen von 
Sumpf- und Schwimmvögeln. Insektenfressende Singvögel stellen 
sich ein auf südeuropäischen und afrikanischen Viehweiden ; Körner- 
und Beerenfresser wählen Gehölze zu ihrem Aufenthalt. 

Auch in ihren Winterquartieren veranlasst das Nahrungs- 
bedürfniss unsere Zugvögel, ihre Aufenthaltsörter zu wechseln. Im 
Januar 1858 kamen nach einem Schneefalle bei Smyrna so viele 
Kibitze, Staare, Schnepfen, Lerchen und Enten von den Bergen herab 
in die Gärten und Strassen der Stadt, dass vom 19. — 27. Januar 
gegen 10000 Stück Vögel erlegt wurden. 

In den Küstenländern des Mittelmeeres, in Süd -Europa und 
Nord-Afrika, beginnen nach der Dürre des Sommers im Oktober die 
Winterregen. Die ausgefallenen Samen der einjährigen Gräser und 
Stauden keimen, der Boden wird wieder grün, die Insekten erwachen 


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237 


aus ihrer Sommerruhe und vermehren sich.*) Daher finden dort 
gerade in den Wintermonaten unsere Zugvögel genügende Nahrung. 
Wenn aber im April die Regengüsse seltener werden und die heissen 
Sonnenstrahlen den Boden austrocknen, so sterben viele Pflanzen 
ab und viele der kleinen Thiere verbergen sich und vermehren sich 
nicht mehr. Die Nahrungsvorräthe der Wintergaste nehmen daher 
dann schnell ab: der Ilunger treibt sie, weitere Ausflüge zu machen, 
und indem sie in der Richtung weiterfliegen, in welcher das frische 
Frühlingsgrün fortschreitet und die Sonnenstrahlen die Insekten aus 
ihren Winterlagern hervorlocken, gerathen sie ins Wandern nordost- 
wiirts. Auf ihrem Frühlingszuge rasten unsere Zugvögel oft an 
andern Platzen als auf dem Herbstzuge; so suchen z. B. die Blau- 
kehlchen dann Futter an Teichen und die Schwalben fliegen über 
Gewässer nach den ersten Mücken, wahrend sie auf der Herbstreise 
mehr über den noch belebten Feldern ihre Nahrung suchen.*) 

Dass das Nahrungsbedürfniss die Bewegungen der Zugvögel 
veranlasst, geht auch daraus hervor, dass sie wieder nach Süden 
zurückweichen, wenn nach ihrem Rinzuge Kalte und Schneefall ein- 
tritt, und dass sie frühzeitiger bei uns eintreft'en, wenn das I’flanzen- 
und Insektenleben früher als gewöhnlich erwacht, wie in diesem Jahre. 
Es ist keine Ahnung im Norden liegender guter Nahrungs- und 
Nistplatze, keine Vorstellung des künftigeu Fortpflanzungsgeschäftes, 
was die Vögel dahin zurückführt, wo sie ausgebrütet wurden, son- 
dern die Vertheilung ihrer Nahrung in dem weiten Gebiete ihrer 
Lebensgemeinde leitet sie dahin zurück; denu kein Thier handelt 
anders als nach gegenwärtigen Empfindungen. Hauche Autoren 
haben den Aenderungen in der Temperatur, in der Luftfeuchtigkeit, 
in der Bewölkung und ii^ den Tageslängen einen wichtigen Einfluss 
auf die Wanderungen der Vögel zugeschrieben ; doch sind alle diese 
Erscheinungen nur Begleiter der Ilauptursache : der periodischen 
Verschiebung der Nahrungsheerde von Norden nach Süden und vou 
Süden nach Norden durch das ganze Wohngebiet der Zugvögel ; denn 
ohne Nahrung hört der lebhafte Vogelorganismus sehr schnell auf 
zu arbeiten. 

Man hat sich oft darüber gewundert, dass die Zugvögel an 
ihren früheren Nistplatz zurückkehren. Warum sollten sie lieber 
ein anderes Gebiet wählen? Auf ihrem Fluge überblicken sie so 
weite Flachen und schweifen sie, um Nahrung zu suchen, so oft von 
der Hauptrichtung ab, dass sie wahrscheinlich häufig dieselben 


*) E. F. von Homeyer. Die Wanderungen der Vögel, Leipzig 1881. 
diesem reichhaltigen Buche habe ich Hehreres entnommen. 


Aus 


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2B8 


Gegenden wieder berühren und wieder erkennen werden, durch welche 
sie auf dem Herbstzuge wunderten. Je naher sie ihrem Sommer- 
gebiete kommen, je mehr Erinnerungen werden die früher oft 
gesehenen Gehölze, Wasserflächen und Häusergruppen wieder in 
ihnen erwecken. Hier haben sie an vielen Stellen Nahrung gefunden; 
hier fühlen sie sich nicht fremd: hier lassen sie sich nicht so leicht 
durch Mitbewerber verscheuchen, wie an vorübergehend besuchten 
Plätzen. Ein psychischer Zustand, der jetzt aus der erwachenden 
Erinnerung hervorkeimt: das Heimatsgefühl, der Heimatsniuth hält 
sie an und lässt sie nicht weiterziehen. Nachher erst, wenn sie 
schon reichliche Nahrung gefunden haben und die Reifung der Eier 
nahe bevorsteht, erwacht der Trieb zum Nisten. Sie legen Eier und 
brüten, und wenn ihre Jungen auskriechen, steht die Entwicklung 
passender Nahrung in dem Brutgebiete auf der Höhe. 

Die wandernden Thiere, welche ihre Wohnplätze nach der Ver- 
schiebung ihrer Nahruugsheerde wechseln, verhalten sich umgekehrt 
wie die handeltreibenden Kulturvölker, welche die Erträgnisse frucht- 
barer Gegenden in ihre festen Wohnsitze holen. 

Das Umherstreifeu und Wandern der Fische, Säugethiere und 
Vögel ist ein Mittel der Natur, in diesen höheren Thierklassen die 
Zahl der Individuen und den Lebensgenuss derselben zu steigern. 

Ungeheure Massen von Pflanzenstoffen und niederen Thieren, 
welche unbenutzt bleiben würden, werden durch die wandernden 
Wirbelthiere erst für den Menschen nutzbar gemacht. Daher sind 
die Zugthiere auch wichtige Glieder in der grossen Lebensgemeinde, 
welcher der Mensch angehört. 


* 

Reise des Dampfers „Louise“ von der Weser nach 
dem Jenissej 1881. 

Bericht an die geographische Gesellschaft iu Bremen 
von Graf Waldburg-Zeil. 


Am 22. Juni 1881, Nachmittags 4 Uhr, verliess der Dampfer 
„Louise“ die Rhede von Bremerhaven. Zum vierten Male hatte 
dieses Schiff die Bestimmung, Waaren aus Europa direkt nach 
Sibirien (Jenissej-Mündung), von dort aber Rückfracht ebenso direkt 
wieder nach Bremerhaven zu bringen. Der Dampfer war der 
Führung des Kapitäns Burmeister übergeben, der schon einmal, im 
Jahre 1879, mit demselben die Reise nach dem genannten Flusse gemacht 
hatte. Die Mannschaft bestand, abwärts vom Kapitän, aus 16 Manu, 




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239 


von denen die Mehrzahl schon frühere Fahrten der „Louise“ im 
Eismeere mitgemacht hatten ; es waren theils Deutsche, theils Russen 
aus den Ostseeprovinzen, nämlich Esthen und Finnen, als Matrosen 
und Heizer. Der freundlichen, wiederholten Einladung des Präsiden- 
ten der Bremer geographischen Gesellschaft, Herrn George Albrecht, 
Namens seines Schwiegervaters, Herrn Baron von Knoop, als des 
Rheders und Unternehmers der Handelsfahrt nach dem Jenissej, 
hatte ich es zu danken, dass ich als Passagier und Gast des 
Barons nebst meinem Diener mich an Bord des Dampfers befand. 
Der Herr Baron, von ihm geladene Verwandte und Bekannte und 
Vorstandsmitglieder der geographischen Gesellschaft gaben die Weser 
hinab noch eine kurze Strecke das Geleite. Bei perlendem Weine 
gedachte man der grossen Verdienste, sowohl überhaupt für den 
Bremer Handel, als in specie ob der praktischen Eröffnung des neuen 
Seehaudelsweges nach Sibirien, die Baron von Knoop sich erworben 
hat. Gegen 6 Uhr schieden der Baron und die von ihm Geladenen 
und dampften nach Bremerhaven zurück, eine glückliche und erfolg- 
reiche Reise der „Louise“ und frohes Wiedersehen im Herbste 
dessen Passagier wünschend. Die „Louise“ setzte ihren Weg 
stromab fort, mit den Flaggen salutirend, passirte bald den Leucht- 
thurm und Abends 10 Uhr verliess der Lootse bei dem äusseren 
Leuchtschiffe vor der Wesermündung den Dampfer, der nun nord- 
wärts strebte. Im Jahre 1881 war die „Louise“ das einzige Schiff, 
das von Europa ausgerüstet wurde zur Unterhaltung direkter Handels- 
verbindnng mit Sibirien. Die scheinbaren Misserfolge des Jahres 1880 
mochten wohl Ursache sein, dass die in England und Dänemark für 
1881 nach dem Ob projektirten Fahrten eingestellt wurden. Nur 
Baron von Knoop liess sich nicht entmuthigen, abermals den Seeweg 
nach Sibirien zu versuchen, obwohl seine eigenen Schiffe, die „Louise“ 
und der „Dalimann“, ohne Erreichung des ihnen gesteckten Zieles, 
des Jenissej, 1880 zurückgekehrt waren und zwar, wie hernach zu 
sehen, mit vollem Erfolg. Die „Louise“ sollte auf dem Wege nach 
Norden zunächst Hammerfest anlaufen. Aus der Wesermündung her- 
aus, hatte sie mit etwas heftigem Wind und unangenehmen Seegang 
zu kämpfen, doch schon am 29. liess Beides nach und kamen von 
der Küste Norwegens zunächst die schneebedeckten hohen Berge in 
Sicht. Die Küste blieb auch auf der Weiterfahrt nach Norden längs 
derselben fast immer in abwechselnder Entfernung von 15 bei Ut-sire, 
bis 40 und mehr Seemeilen. In Höhe der Lofoten, die in 30 See- 
meilen Entfernung bis zum Wasserspiegel an der West- und Nord- 
seite noch mit Schnee bedeckt schienen, glättete sich die See und 
liess auch die starke Dünung aus Südwest nach. Diese war im 


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240 


Uebrigen unserem Fortkonmien mit dem bekanntlich nordwärts gehen- 
den Strome nur förderlich gewesen. Je weiter wir längs Norwegen 
nach Norden kamen, desto grösser wurde die Zahl der die See 
belebenden Vögel. Namentlich waren es Möven und Sturmvögel, 
die das Schiff umflogen. Taucher und Knten, die sich im Wasser 
tummelten, besonders als wir in die Nähe der grossen nordischen 
Vogelkolonien, Loppen und Fuglö, gelangten, welche letztere ich schon 
1870 besucht hatte. Selten begegneten wir Dampfern und Segel- 
schiffen, auch Fischerböten nur ausnahmsweise, vermuthlich weil 
letzteren die See bisher zu bewegt gewesen, um mit Erfolg der 
Fischerei obzuliegen. Schon am 29. Juni, Morgens 9 Uhr, ankerten 
wir im Hafen von Hammerfest. Daselbst begann sofort das Löschen 
der Ladung für Hammerfest und der für die demnftchstige Rückfahrt 
nach Bremen bestimmten Kohlen. Dann wurden die seit vorigem 
Jahre daselbst lagernden, für den Jenissej bestimmten Waaren ein- 
genommen. Darüber verstrich eine geraume Zeit, welche Gelegenheit 
vollauf zu wiederholten botanischen und jagdlichen Exkursionen auf 
der Insel bot. Leider waren diese nicht von dem gehofften Erfolge 
gekrönt. Als wir nämlich nach Hammerfest kamen, war es noch 
ftusserst winterlich. Nicht nur, dass noch die ganze Insel, mit Aus- 
nahme weniger sonniger Hügel, mit mehrere Fuss hohem Schnee 
bedeckt war, sondern auch sämmtliche Seen blieben unter ihrer 
Eisdecke bis zu unserer Abfahrt, ja selbst in den Strassen Hammer- 
fests lag noch Schnee, der erst nach acht Tagen, theils warmem 
Regen, theils dem 24stündigem Sonnenschein, mehr als der Nach- 
hülfe durch Menschenhand wich. Hammerfest fand ich gleichwohl 
seit 1870 sehr zu seinem Vortheil verändert, besonders was die 
Reinlichkeit der Strassen anbelangt. Der warme Sonnenschein des 
laugen Tages schuf zahlreiche Wasserfälle, überall von den steilen 
Hängen über die Felswände zum Meere abstürzend und lockte nach 
und nach das erste Grün der wenigen Bäume hervor, während auch 
die Wiesen in dem Maasse, als sie schneefrei wurden, grüneren 
Schimmer annahmen. Durch die Empfehlung der Firma Lange 
Sohns Wwe. fand ich beim deutschen Konsul in Hammerfest, Herrn 
Feddersen, die freundlichste Aufnahme während der ganzen Zeit 
meines Aufenthaltes, sowohl in seinem Hause, wie bei seiner liebens- 
würdigen Familie. In Hammerfest trafen wir auch mit dem Dampfer 
„Dalimann“ und dessen freundlichen Kapitän gleichen Namens zu- 
sammen, in dem ich bald einen angenehmen Gesellschafter fand, ob- 
wohl er ein ergrauter Seebär (sit venia verbo), der nicht nur erfahren 
in den nordischen Eis- und Schifffahrtsverhältnissen des neuen See- 
weges zum Jenissej ist, sondern auch in der Beringsstrasse und 


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nördlich davon, bis Wrangels-Insel, wie im antarktischen Meere, schon 
viele Jahre mit den Eisschollen auf der Thranthierjagd gekämpft hat. 
Seinen Dampfer sollten wir nach dem Jenissej geleiten, auf dem er 
als Schlepper fahren soll, statt der seither zu gleichem Zwecke dort 
stationirten „Moskau“. Dazu ist er besonders gebaut und vermöge 
seiner sehr kräftigen Maschine auch geeignet. Als Raddampfer be- 
durfte er jedoch zur Unterstützung eines Schraubendampfers für alle 
innerhalb des Eises möglicherweise eintretenden Verhältnisse. Schon 
1880 hätte der Dampfer mit der „Louise“ nach dem Jenissej gehen 
sollen, nachdem aber der Versuch missglückte, überwinterte er in 
Hammerfest und ward nun frisch hergerichtet, hatte auch die kleinen 
Havarien, welche von der allzuunsanften Berührung mit den Eis- 
schollen herrührten, wieder ausgebessert. 

Warum 1880 der Versuch, den Jenissej resp. Obstrom zu 
erreichen, sowohl der „Louise“ wie anderen Schiften misslang, das 
möchte ich hier in Kürze auseinandersetzen, umsomehr, als diese 
Misserfolge von anderer Seite zur Sistirung der Fahrten nach Sibirien 
geführt zu haben scheinen. Von sämmtlichen Schiffen, die 1880 von 
Europa nach Sibirien gingen, gelangte nur der „Neptun“, Kapitän 
Rasmussen, an seinen Bestimmungsort, die Obmündung und glücklich 
wieder zurück. Er hatte am 11. August die Karische Pforte auf dem 
Hinwege passirt und ging durch die Jugorstrasse auf dem Rückwege 
den 19. September. Ohne grosse Eishindernisse im Karischen Meere 
und in den Strassen zu finden, war ihm die Fahrt 1880 wie früher 
1878 gelungen. 1879 jedoch war der „Neptun“ nicht an seine 
Bestimmung gelangt; damals stellten sich ihm Eishindernisse ent- 
gegen: in der Karischen Pforte, am 4. und 22. August, in der 
Jugorstrasse vom 5.— 21. August und in der Matotschkinstrasse vom 
24. August bis 3. September, worauf von weiteren Versuchen, durch- 
zudriugen, Abstand genommen wurde. In dem gleichen Jahre aber 
drang die „Louise“ durch die Jugorstrasse am 8. September und 
wurde im Karischen Meer auf dem Wege zum Jenissej nicht vom 
Eis belästigt. Erst auf dem Rückwege am 29. September vor der 
Jugorstrasse hatte sie harte Kämpfe mit dem Eise, gelangte aber 
doch, nach S. in die Karabucht ausweichend und dann längs der 
Samojeden-Küste fahrend, glücklich am 11. Oktober durch die Jugor- 
strasse. Zur gleichen Zeit vermochten aber die nicht über Dampf ver- 
fügenden, mit vorzüglichen Seeleuten bemannten vier Schiffe, die von 
Obdorsk aus nach Europa fahren wollten, nicht durchzudringen, blieben 
vom Eise eingeschlossen und mussten schliesslich verlassen werden. 

Der 1880 nach dem Jenissej bestimmte Dampfer „Diekson“, 
mit Herrn Sibiriakoff an Bord, hatte am 25. August die Jugorstrasse 

Geogr. Blätter. Bremen, 1882. 16 


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durchfahren und gelangte bis zur Jalmalküste, als das Antreffen von 
Eis Herrn Sibiriakoff, als obersten Befehlshaber, bewog, den Kapitän 
Nilson zur Rückkehr zu bestimmen. Nach Passirung der Karischen 
Pforte auf dem befohlenen Rückwege und einem vergeblichen Vorstosse 
durch die Matotschkinstrasse am 9. September ging dann der 
„Dickson“ erst am 19. September in Begleitung der Jacht „Norrland“, 
bei schon sehr vorgerückter Jahreszeit durch die Jugorstrasse. Er 
erreichte, ohne viel Eis in der Karasee zu begegnen, glücklich den 
Jenissej, wurde aber zweimal vom Eis aus dem Flusse herausgetrieben 
und überwinterte schliesslich in der Gyda- Bucht. Bei Eisaufgang 
im Frühjahr 1881 soll das Schiff zerdrückt worden sein. (?) Kapitän 
Nilson kam zu Boot 1881 mit 4 Mann an den Jenissej, verfehlte die 
eben rückkehrende „Louise“ durch einen später zu berührenden 
Umstand bei Sapotschnaja Korga und kehrte über Jenisseisk nach 
Europa zürück. Die übrige Mannschaft unter dem Kapitän des 
„Norrland“ ging über Obdorsk mit Renthieren von Samojeden geführt, 
den gleichen Weg, den Herr Sibiriakoff selbst schon 1880 in Be- 
gleitung von zwei Herren in 40 Tagen zurückgelegt hatte. Wenn 
diese Fahrt misslang, so lag es nur an der allzuspäten Jahreszeit, 
in der sie schon von Hammerfest aus unternommen wurde, da 
noch im gleichen Jahre die Rückkehr vorgesehen war; die mit den 
Eisverhältnissen der Karasee wohl vertrauten Ilammerfester Schiffs- 
eigenthümer, die seit zehn Jahren Schiffe zum Walrossfang dahin 
senden, riethen auch Herrn Sibiriakoff von einem so späten Unter- 
nehmen ab, namentlich, was den „Norrland“ anbelangt. Aber auch 
bei vorgesehener Ueberwinterung im Jenissej war die Zeit, bei 
Passirung der Jugorstrasse am 19. September auf dem Hin- 
wege, sicherlich eine zu späte. (Vergl. die Fahrt des „Dickson“ 
nach Mittheilung von Herrn Sibiriakoff in diesen Blättern IV. B., 
Heft 1, S. 67 u. ff., wo die resp. Daten S. 67 nach russischem 
Styl gegeben sind.) 

Was endlich die Fahrt von 1880 der Dampfer „Louise“ und 
„Dalimann“ anbelangt, so fanden sie bei dem Versuch, durch die 
Matotschkinstrasse nach dem Jenissej zu gehen, vor demselben im 
Karameer einen Eisgürtel, in der Zeit vom 10. — 16. August. Die 
Kapitäne Burmeister und Dallmann beschlossen, nicht in der 
Matotschkinstrasse günstigere Eisverhältnisse abzu warten, sondern 
entsprechend einer Weisung des Unternehmers der Fahrt, Herrn 
Baron v. Knoop, den Weg norden um Nowaja Semlja zu versuchen. 
Schon am 19. doublirten sie das Eiskap und waren am 20. vor 
Hoofd Hoek an der Ostküste der Insel. Hier trafen sie loses zer- 
theiltes Eis, durch welches sie wegen eintretenden Nebels nur 


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langsam nach 0. vorwärts kamen und zwar bis zum 28. August; 
Strömung, wie auch wechselnde Winde hatten in dieser Zeit die 
Eisverhältnisse gänzlich verändert, namentlich war der Weg rückwärts, 
nach W., durch Eis nunmehr verlegt. Am 4. September befanden 
sich die Schiffe aber in einem etwa 4 Seemeilen breiten Bassin freien 
Wassers, rings von Eis eingeschlossen. So Hessen sie treiben, sich 
in diesem Bassin haltend, das sich nach and nach mehr verengte; 
sie trieben nach N. bis zum 79° (V). In dieser Zeit herrschte fast 
immer höchst unangenehmes Wetter mit Schneeböen und zeigte das 
Thermometer — 5° R. Nachfolgende mehrtägige 'Nordstürme 
brachten am 10. September wieder die NO.-Küste von Nowaja Semlja 
in Sicht, der Weg norden um Nowaja Semlja aber blieb verlegt und 
trieben nunmehr die Schiffe mit dem Strom unter der Küste längs 
derselben nach S. Am 17. September befanden sie sich 0. vor der 
Matotschkinstrasse und benutzten das freier werdende Wasser, in 
dieselbe einzufahren. Da die Vertreter der Firma nur bis zum 
13. September die Schiffe am Jenissej erwarteten, so wurde angesichts 
der späten Jahreszeit und da die „Louise“ im Eise die Schraube 
verletzt, nämlich drei Flügel eingebüsst hatte, der Rückweg nach 
Ilammerfest angetreten. Wenn nun auch die Schiffe auf dem Wege 
norden um Nowaja Semlja ihr Ziel, den Jenissej, nicht erreichten, 
so ist doch bemerkenswert!), dass der Umfahrung selbst kein Eis- 
hinderniss entgegenstand; was aber das im Norden der Karasee 
selbst angetroffene Eis anlangt, so haben mir Kapitän Dallmann und 
sümmtliche Theilnehmer der Fahrt wiederholt erklärt, dass es nicht 
derart war, dass ein für die Eisschifffahrt gebautes gutes Ilolzschiff, 
wie die amerikanischen Waler, besonders ein Schraubendampfer, sich 
nicht nach 0. resp. S.-O. zur Jenissej- und Obmihidung hätte durch- 
drängen können. Hiebei wären keine grösseren Eishindernisse und 
Schwierigkeiten zu überwinden gewesen, als w r ie sie sich jährlich 
den Walern in den nordischen Walfischgründen des Grönlandsmeeres, 
der Beringssee und Davisstrasse entgegenstellen und stets erfolg- 
reich überwunden werden. 

Aus dem Gesagten üher die Fahrten von 1880 erhellt aber 
zur Genüge, dass auch 1880 die Schiffahrt im Karischen Meer 
weder im N. noch S. desselben unmöglich war, bei der Wahl der 
richtigen Jahreszeit ; — dass aber die Schwierigkeiten einer Handels- 
verbindung mit Sibirien, nicht in dem „Baer’ sehen Eiskeller“, der 
wie alle Eiskeller im Hochsommer eisfrei ist, sondern in den Zu- 
fahrten zu demselben zu suchen sind. — Die Schwierigkeiten waren 
aber 1880 nicht bedeutender, als in anderen Jahren und zwar wie 
aus den oben besprochenen Fahrten des „Dickson“, „Neptun“ und 

16 * 


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der „Louise“ zu ersehen, konnten sie in sümmtlichen vier Zufahrten 
überwunden werden. Desshalb hat das Jahr 1880 auch nur einen 
schein baren Misserfolg für die Möglichkeit der direkten Handels- 
verbindung mit Sibirien aufzuweisen, trotz des Verlustes des „Dickson“ 
und obwohl die „Louise“ und „Dallmann“ den Jenissej nicht er- 
reichten. Die Schwierigkeiten, die das Eis in den vier Zuggängen 
bereitet, können aber jedes Jahr überwunden werden, — dafür 
sprechen: die regelmässigen Fahrten der norwegischen Fangmänner 
in der Karasee seit 12 Jahren; die Fahrten des liahnbrechers für 
den neuen See-Handelsweg, Freiherrn v. Nordenskjöld 1875, 1876. 
1878 mit dem „Pröven“, „Ymer“ und der „Vega“; die vier Fahrten 
des Kapitäns Wiggins von 1874 — 1878 zum Ob; die Fahrten des 
„Fraser“ und der „Zaritza“ zum Jenissej wie des „Neptun“ zum 
Ob: die Fahrten der Kapitäne Dahl und Kussein vom Ob, Schwane- 
berg vom Jenissej nach Europa, endlich der „Louise“ selbst 1879 
zum Jenissej und auch vergangenes Jahr 1881, wie wir im Folgenden 
sehen werden. 

Die „Louise“ war zeitig genug nach Hammerfest gekommen, 
um in Müsse die günstigste Zeit zur Weiterfahrt nach dem Jenissej 
abwarten zu können. Da ein reichlicher Kohlenvorrath für die 
Dampfschiffe zum sicheren Gelingen eiuer Fahrt, auf welcher unter- 
wegs nicht neues Brennmaterial eingenommen werden kann, un- 
bedingte Nothwendigkeit ist, selbst bei grösster Sparsamkeit, so 
beschlossen die Kapitäne noch eine Jacht mit Kohlen mitzuuehmen. 
Zu diesem Zwecke wurde eine Jacht von C. Feddersen, die eben 
von Vardö zurückkam, gechartert und mit den von uns mitgebrachten 
deutschen Kohlen beladen. Die „Louise“ sollte dieselbe bis zum 
Eise oder eine der Zufahrtsstrassen in’s Schlepptau nehmen und 
dann der bis dahin auf den Schiffen verbrauchte Kohlenvorrath von 
der Jacht ergänzt werden. 

Am 17. wurde die Maschine des „Dallmann“ gelegentlich eines 
kleinen in den Komagfjord unternommenen Ausfluges probirt und 
fiel die Probe zu voller Zufriedenheit aus. So gering die Entfernung 
dieses Fjordes von Hammerfest, um so grösser war der Temperatur- 
unterschied. Während es an diesem Tage Morgens in Hammerfest 
geschneit und die hohen Berge von Sorö, Seiland und Ringwadsö mit 
frischem Schnee bedeckt erschienen, waren es grüner Birkenwald 
und schimmernde Wiesen, die das Auge im Komagfjord erfreuten. 
Während dichter Nebel uns in Hammerfest umgab, der erst Abends 
wich, glänzte der Varegsund auf unserem Wege gegen den Altenfjord 
im hellsten Sonnenschein. Besonders ausgebildet sind in diesem 
Sund die Strandlinien längs des Felsenufers zu sehen. 


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245 


Vau N. kommende Schiffe, namentlich einige von Spitzbergen 
zurückkehrende, für den Dorsch- und Haifischfang auf der Bank im 
S. von Spitzbergen bestimmte Jachten, die erfolglos bisher auf 
Aenderung der Eisverhältnisse gewartet hatten, brachten höchst un- 
günstige Berichte über die Ausdehnung des Eises. Dasselbe sollte 
bis unter den 74° nördl. Br. herab sich erstrecken und selbst die 
Hüren-Insel nicht erreichbar sein. 

Trotzdem, oder weil gerade deshalb im 0. günstigere Eisver- 
hilltuisse von uns vermuthet wurden, wurde unsere endliche Abfahrt 
zum Jenissej beschlossen. 

Den 20. Juli, Vormittags 11 Uhr, verliessen wir Hammerfest; 
der Dampfer „Dalimann“ voran, die „Louise“ mit der Jacht „Lydia“ 
im Schlepptau, folgend. Ganz Hammerfest war am Strande und be- 
kundete so das lebhafte Interesse, welches die gesammte Bevölkerung 
an den Sibirienfahrten nimmt. Jedermann daselbst, reich wie arm, 
hofft daraus direkten oder indirekten Vortheil zu ziehen. Inwiefern 
dieses berechtigt ist, dafür genügt die Erwähnung des Umstandes, 
dass sämmtliche uacli Sibirien fahrende Dampfer genöthigt sein 
werden, einen der zunächst gelegenen Häfen, Vardö, Vadsö oder 
Ilanuncrfest auf dem Hin- wie auf dem Rückwege anzulaufen, um 
ihre Kohlcnvorräthe zur Weiterfahrt zu ergänzen. Bei herrlichem 
Wetter dampften wir durch Bredsund und Magerösund in den Por- 
sangerfjord, in welchem der Lootse uns verlicss. In der Nacht zum 

21. kamen wir Nord von Nordkyn und behielten noch die Küste 
Norwegens in Sicht, bis Mittags in 71° 17' nördl. Br. und 30° 56' 
östl. v. Gr. Zu unserer grossen Verwunderung begegneten wir den 

22. in 71° 26' nördl. Br. und 37° östl. L. einem grossen Eisberge. 
Auch die Temperatur des Wassers fiel von + 5‘/a 0 R. auf -j- 2 */s °. 
Dieser Eisblock blieb aber zunächst vereinzelt. Es war wohl einer 
der im vergangenen Winter 1880/81 an die Nordküste Norwegens 
von Nonien herabgetriebenen Berge, die sich während des ganzen 
Sommers 1881 hin- und hertreibend zeigten und wiederholt, sowohl 
von den ersten nach Archangelsk gehenden Schiffen, wie auch von 
den norwegischen Postdampfern auf ihrer Fahrt nach Vadsö beob- 
achtet wurden. Unsere Fahrt ging bei ziemlich ruhiger See, doch 
nebligem Wetter ungestört weiter nach 0. bis zum 24. An diesem 
Tage trafen wir jedoch in 70° 50' nördl. Br. und 50° östl. L. v. Gr. 
zuerst auf Treibeis. Da es in 0. und namentlich N.-O. fester zu liegen 
schien, beschlossen wir, nach stattgehabter Berathung der Kapitäne, 
in Anbetracht der bekannten Strömungsverhältnisse unter Nowaja 
Semljas S.-W.-Küste, nach S. gegen die Insel Kolgujew auszuweichen, 
und nicht Matotschkinscharr aufzusucheu, sondern zu suchen, die Jugor- 


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— . 246 


strasse zu erreichen. Das Wasser, welches früher eine schöne blaue 
Farbe zeigte, wurde jetzt grün und schmutzig grün und hatte 
0° ß. Immer dem Eis entlang, das, je mehr wir nach S. kamen, 
eine schmutzigere Farbe annahm und vielfach mit Sand, Geröll und 
Muschelschaalen bedeckt war, setzten wir unsere Fahrt südwärts fort. 
Die Temperatur des Wassers stieg hierbei wieder allmählich bis — |— 4° R., 
als wir am 25., nach Ueberquerung einer sehr lose liegenden Treib- 
eisschicht, den Kurs iu freiem Wasser S.-O. wieder aufnehmen 
konnten. Das Wasser nahm jetzt auch wieder eine schöne blaue 
Färbung an und hatte Abends 6° R. Aber schon den 26. in 
69° 40' nördl. Br. und 55° 15' östl. L. zeigte sich in S. wie in N. 
Eis, welches streifenweise von 0. nach W. lag und nur in den da- 
zwischenliegenden eisfreien Wasserstreifen eine Fortsetzung der Fahrt 
gestattete. Das anfänglich in Höhe, Tiefe und Ausdehnung nur 
geringe Eis von schmutziger Farbe wurde beim Vordringen weiter 
nach 0. immer stärker und weisser, die einzelnen Blöcke höher und 
grösser und konnte somit nicht mehr als Flusseis der Petsehora, 
sondern als sogenanntes Buchten- und Meereseis angesehen werden. 
Da unter solchen Umständen eine Fortsetzung der Fahrt mit der 
Jacht im Schlepptau durch das Eis unthunlich erschien, wurde noch 
im Laufe des 26. zur Ueberladung der Kohlen auf die „Louise“ und 
zum kleineren Theil auf „Dalimann“ geschritten. Zum ersten Male 
wurde auch an diesem Tage ein Sonnenuntergang 3 /4l2 Uhr beob- 
achtet. Am 27. verliess uns die bisher geschleppte Jacht „Lydia“, 
die herrlichen Segelwind hatte, mit dem sie, wie wir später erfuhren, 
schon nach fünf Tagen in Vardö anlangte. Sie brachte zunächst die 
letzten Nachrichten von dem seitherigen Verlauf der Expedition nach 
Europa. Nachdem die „Lydia“ uns verlassen, setzten die beiden 
Dampfer ihren Kurs fort, immer längs dem Eise haltend, das jetzt 
dichter und in solcher Breite lag, dass die jenseitige Grenze der ein- 
zelnen Streifen nicht mehr gesehen werden konnte. Bei dem Versuche 
der Umgehung derselben nach S., S.-W. und selbst W. ausweichend 
gelangten wir aber wieder rückwärts bis 54° 56' östl. L. und auf 
69° 30' nördl. Br. Die Vergeblichkeit einer Umgehung in S. zur 
Jugorstrasse einsehend, wurde nun ein Versuch, unter Nowaja Semlja 
in die Karastrasse vorzudringen, gemacht. Obwohl das Eis an Höhe 
und Ausdehnung stets zunahm, fanden wir hierbei doch ziemlich 
eisfreie Rinnen bei fortgesetzter Fahrt N. und N.-W. Nebel zwingt 
den 28. Morgens an einem Eisstücke uns zu verankern, bei 100 Faden 
Tiefe, wie die Lothnng ergab. Als es gegen Mittag aufklart, kommt 
in 70° 23' nördl. Br. die S.-Küste Nowaja Semljas in Sicht. Am 
Strande liegen Schneeschemel, die Höhen aber, soweit sichtbar, sind 


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schneefrei, in bräunlich grüner Tundrafärbung. Bis unter Land, 
etwas W. von Sachanicha-Bai ist eisfreies Wasser zu sehen, aber von 
dieser Bai zu den Sachanieha-Inseln und weiter gegen Waigatsch zu 
lag das Eis noch fest, eine undurchdringliche Scheidewand gegen 
die Ivarastrasse bildend. Nach kurzem Versuch, Kostinscharr zu er- 
reichen, der jedoch an den ungünstigen Eisverhältnissen scheiterte, 
wurde der Kurs abermals S., gegen die Jugorstrasse, genommen. 
Die Fahrt dahin ging ununterbrochen, ohne Hindernisse zu treffen, 
bis den 29. Nachts 1 Uhr (28. 13 Uhr). Da zeigte sich überall Eis, 
theils in der Nähe wirkliches, theils entfernter, als Luftspiegelung. 
Solche Luftspiegelungen des Eises zeigten sich an diesem und den 
folgenden Tagen bei heisser Temperatur von -j- 8 0 R. im Schatten 
besonders stark. Dieselben lassen das Eis drei bis vierfach und 
selbst zehnfach höher erscheinen als es ist, und häufig erweist sich 
beim Näherkommen die vermeintliche Eiswand nur aus lose neben 
und hinter einander zerthcilt liegenden niedrigen Eisschollen bestehend. 
Da des Eises in S. kein Ende, blieben wir vom 29. Abends 6 Uhr 
bis 31. Abends 7 Uhr liegen in 69° 50' nördl. Br. und 55° 30' östl. L. 
Der 30. brachte uns die in hohen Breiten so seltene Naturerscheinung 
zweier Gewitter. In den folgenden Tagen wurde der Versuch, gegen die 
Jugorstrasse vorzudringen, immer wiederholt und mehrmals zu diesem 
Zwecke kleinere Streifen losen Eises durchbrochen. Den 1. August 
waren die Schiffe 69° 25' n. Br., 56° ö. L., den 2. in 69° 38' n. Br., 
57° ö L. An diesem Tage wurde zuerst der Versuch gemacht, auch 
einen grösseren, etwa 20 Seemeilen breiten Eisstreifen zu durch- 
brechen. Die „Louise“ ging hierbei voran und hatte nur am Achter 
Mannschaft aufgestellt, um die Schraube frei zu halten. Schwieriger 
gestaltete sich die Fahrt im Eise für den „Dallmann“. Alle Mann 
w aren zu beiden Seiten des Vorderdeckes, mit Eishacken und Stangen 
bewaffnet, vollauf beschäftigt, die Eisschollen von den Radkasten und 
deu Schaufeln abzuhalten. Nur langsam, Schritt vor Schritt ging 
die Fahrt vorwärts. Nach 10 Seemeilen Kampf mit dem Eise, das 
immer dichter und grösser wurde, musste der Versuch des Durch- 
drängens als gescheitert angesehen und aufgegeben werden. Die 
Schiffe stoppten mitten im Eise und wurden mit Tauen verbunden. 
Heftige Strömung innerhalb des Eises war bemerkbar. Die Schiffe 
und das kleinere Eis trieben W.-S.-W., die grösseren Eisblöcke aber 
N.-N.-O., in 9 l h Faden Tiefe. Doch war die Strömung nicht gleich- 
mässig, sondern meist mit Ebbe und Flut wechselnd und zeitweise 
selbst wirbelnd. — Da wir durch die Strömung in immer dichteres 
Eis vei’setzt wurden, entschlossen w r ir uns, von einem weiteren Ver- 
such in das jenseits des Eises, durch die Luftspiegelung blau er- 


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scheinende, eisfreie Wasser vorzudringen, abzustellen und den Rückweg 
aus dem Eise anzutreten. Den „Dallmann“ im Schlepptau begann 
der Kampf mit dem Eise wie am vorhergehenden Tage und gelangten 
wir, von Abends 5 Uhr bis Nachts 11 Uhr fahrend, wieder in das 
freie Wasser, in etwa 69° 27' n. Br., 54° 40' ö. L. — Am 4. August 
kam die norwegische Jacht „Freya“ in unsere Nähe und besuchte 
uns der Kapitän derselben, Nilsen, nachdem wir durch Zeichen 
unseren Wunsch, sie zu sprechen, angezeigt. Kapitän Nilsen ist ein 
schon öfter in geographischen Zeitschriften genannter, bewährter 
Eismeerfahrer. Diese Jacht hatten wir schon mehrmals, so den 26. 
und 29. Juli gesehen, ohne sie zu sprechen. Jetzt aber machte 
uns die Hoffnung, über Eisverhältnisse Näheres zu erfahren, den 
Besuch wünscheuswerth. „Freva“ hatte schon fast vollen Fang 
gemacht, dabei 70 Walrosse hauptsächlich auf einer den Walross- 
fängern wohlbekannten Bank, in Nord von Kolgujew, gefangen. So 
viel Eis diesseits, d. h. W. von der Insel Waigatsch, gesehen zu 
haben, erinnerte sich der Kapitän in den langen Jahren, dass er 
schon Jagd auf Thranthiere in diesen Gegenden macht, nicht. So- 
eben kreuzte er auf aus Süd von Kolgujew und der Gegend vor der 
Petschora- Mündung. Im Süden hatte er kein Eis getroffen und 
glaubte, wir würden, möglichst nach Süden fahrend, unter Land die 
Jugorstrasse en-eichen können. Als wir uns trennten, segelte er N.-O. 
gegen Waigatsch, eben das Eis, das wir vermeiden wollten, suchend. 
Wir aber dampften gegen S. Einige Streifen zerstreuten Eises 
zunächst durchfahrend, konnten wir schon nach geraumer Zeit den 
Kurs 0. aufnehmen, nur noch zeitweise auf einzelne Eisstreifen 
stossend, die stets S.-O. und S. umfahren werden konnten. Die 
Temperatur des Wassers stieg allmählich auf -f- 67* Grad. Dieses 
und der fühlbar werdende Seegang liess offenes Wasser vor uns ver- 
muthen und einen günstigen Fortgang hoffen, als wir den 5. Abends 
wieder plötzlich vor Eis anlangten, das sich südwärts, so weit man 
sehen konnte, zu erstrecken schien. Wir waren nunmehr in nur 
7 Faden Tiefe und gestrandete Eisblöcke schon allenthalben sichtbar. 
Ein weiteres Ausweichen nach S., bei dem sich rasch verflachenden 
Strande, war unthunlich. So mussten wir den Versuch, auf dem 
Wege S. die Jugorstrasse zu erreichen, aufgeben, obwohl schon in 
der Höhe der Insel Dolgoi angelangt, die zu sehen nur der Nebel 
uns hinderte. Da auch sich steigernde Brise aus 0. einstellte, so 
fuhren wir zurück, Schutz hinter dem nächsten Eisrande suchend. 
Zunächst blieben wir liier liegen, mit Wind und Strom stetig nach 
W. treibend, bis den 7./8. Morgens. Bei aufklarendem Wetter an 
diesem Tage wurde wieder nach N. gesteuert, wobei einige wenige 


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schmale Eisstreifen durchfahren wurden. Strom und Wind wechseln 
stftndig die Eisverhftltnisse; so fanden wir eisfreie Stellen, wo wir 
wenige Tage vorher Eis getroffen hatten und umgekehrt. Abends 
6 Uhr gleichen Tags ist die N.-W.-Spitze von Waigatsch mit den 
davorliegenden Inseln in Sicht, doch sind zwischen uns und dem 
Lande Treibeismassen. Einfallender dichter Nebel zwingt uns stille 
zu halten. Den 8. kam abermals die Jacht „Freya* in die Nähe 
und sprachen wir dessen Kapitän. Derselbe war der Ansicht, wenn 
wir schon diesseits der Karapforte solche Eismassen hätten, wir jen- 
seits derart mit Eis zu kämpfen haben würden, dass wir wohl schwer- 
lich den Jenissej dieses Jahr erreichen könnten ! Als es wieder auf- 
hellte, hatten wir ringsum Eis und Hessen deshalb treiben. Den 9. 
hatten wir in Nordwesten Nowaja Semlja, in Osten Waigatsch in 
Sicht. Das Eis trieb mit dem Strome hier von Nord nach Süd, bei 
leichtem N.-O.-Winde. Das Wasser zeigte -j- 2,5 0 R., die Luft aber 
nur -j- 2 0 R. Wir wechselten während des Tages nur zeitenweise 
unsere Stellung, jeweils eisfreies Wasser aufsuchend. Abends nahm 
der Wind zu und zeigte die Luft nunmehr -f- 0 Grad. Auch den 
folgenden Tag, am 10. August, hatten wir noch Nowaja Semlja und 
Waigatsch in Sicht, ringsum aber grössere Eistlarden und Eisfelder. 
Einfallender Nebel verhinderte jede Fahrt und verankerten wir uns 
deshalb an einer grösseren Eisflarde, mit der wir diesen und die 
folgenden Tage uns treiben Hessen. Den 11. hatten wir Morgens 
bei -]- V* Grad Eis am Tauwerk, das Wasser zeigte nun — 0,a 0 R. 
Als es am Abend des 12. endlich aufklarte, war kein Land mehr 
sichtbar. Ein prachtvoller Sonnenuntergang beendigte den Tag, dem 
heftiger Regen in der Nacht zum 13. folgte. An diesem Tage 
nöthigte uns ein aus Norden antreibendes, aus flachem, weissen Eise 
bestehendes, wohl an fünf Seemeilen langes Feld, die andere (Ost-) 
Seite der Eisflarde aufzusuchen, an der wir bisher verankert waren. 
Die Lothungen dieser Tage ergaben steigende Tiefen von 75-100 Faden, 
je mehr wir nach S.-W. trieben. Unsere etwas grössere Eisflarde 
trieb S.-W., die kleineren Eisschollen aber 0., während das grosse 
Eisfeld in der Richtung S. etwas zu 0. an uns vorbeitrieb. Wegen 
Nebels mussten wir Hegen bleiben, immer an derselben Eisscholle 
verankert, die sich auch langsam um sich selbst drehte. In der 
Nacht zum 14. August wurde Dünung fühlbar. Morgens des gleichen 
Tages hellte es auf und wir fuhren wieder 0. Mehrmals ein- 
fallender Nebel im Laufe des Vormittags nöthigte zu ebenso 
oftmaligem Stillliegen. Zwischen grossen Eisfeldern fuhren wir, 
so oft es aufhellte, stets nach 0., und waren endlich um 3 Uhr Nach- 
mittags in gänzlich eisfreiem Wasser. Erst Abends 8 Uhr, nunmehr 


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mit vollem Dampf fahrend, hatten wir wieder die Insel Waigatsch in 
Sicht, der entlang wir S.-O. gegen Jugorscharr fuhren. In Höhe von 
Ljamtschina-Bai jedoch schloss bis unter Land reichendes Eis aber- 
mals den Weg und dampften wir deshalb zurück bis vor Inkoffnoss, 
woselbst dichter Nebel uns wieder zum Stillliegen zwang. Starker 
Strom aus S. und die Nähe des Landes veranlasste uns noch etwas 
nach Westen landab zu halten und dann still zu liegen. Abends erst, 
als es aufklarte, wurde in die Karische Pforte eingefahren und sollte 
ein energischer Versuch gemacht werden durchzudringen. Das Eis 
lag in langen, schmalen Streifen in der Richtung der Strasse, da- 
zwischen jeweils Streifen offenen Wassers. Heftige Strömung in der 
Strasse hielt das Eis dicht zusammen. Es mussten deshalb einige 
der schmalen, oft nur ein paar hundert Schritt breiten Streifen mit 
Gewalt durchbrochen werden. Dazu wurde zunächst „Dalimann“ 
längsseit vertäut. Dann wurde mit voller Dampfkraft beider Schiffe, 
nachdem einer der grösseren Eisblöcke vor den Bug gebracht, gegen 
das in den Streifen liegende, zusammengepackte Eis angefahren, in- 
dem dieser als Breschebrecher gegen die kleineren Eisblöcke diente : 
dann stoppten die Schifte plötzlich und fuhren rückwärts. Die 
Strömung brachte nun alsbald die verschiedenen grösseren und 
kleineren Eisschollen in Bewegung und öffnete sich eine freie Passage 
für die Schiffe. Morgens 2 Uhr den 16. August war das entgegen- 
stehende Eis der Strasse passirt und solches nur noch gegen Nowaja 
Semlja sichtbar, unter Waigatsch aber gänzlich verschwunden. Um 
3 Uhr hatten wir die ganze Karastrasse durchfahren und befanden 
uns in dem eisverschrieenen Karameer — ohne weit und breit 
auch nur eine Scholle Eis zu sehen. Der Beweis war ge- 
liefert, dass man mit Energie und Ausdauer auch die Schwierigkeiten, 
die das Eis in der Karischen Pforte bereitet, überwinden kann ; über- 
winden selbst mit nicht für das Eis gebauten Schiffen, wie die aus 
Eisen gebaute „Louise“ und der Raddampfer „Dallmann“. Die Fahrt 
durch das ganze Karische Meer bis zur Jenissejinündung bei Dicksons- 
Insel ging nun ohne jegliche weitere Eishindernisse anzutreffen vor 
sich. Schon den 16. Mittags waren wir in 70° 52' n. Br. und 
62° 5' ö. L., den 17. in 72° 40' n. Br. und 68° 10' ö. L. Diesen 
Tag sprachen wir Kapitän Boska von der Jacht „Fremmat“. Er 
war nebst den Jachten „Lydiana“ und „gode Hensigt“, alle drei von 
Konsul Feddersen in Hammerfest ausgerüstet, fünf Wochen im Eise 
vor der Jugorstrasse eingeschlossen gewesen. Natürlich hatten sie in 
Folge dessen sehr geringen Fang gemacht. Doch endlich frei geworden, 
durchfuhren sie am 13. August die Jugorstrasse und hatten auf Jalmal 
zugehalten, ohne in ihrer Fahrt auf das geringste Eis zu stossen. Jetzt 


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aber suchten sje nach N. und unter die Küste Nowaja Semljas fahrend, 
nach Eis und den, nur in dessen Nähe zu findenden und zu erbeuten, 
den Walrossen. Abends den 17. August gingen wir in Höhe der 
Weissen Insel bei 6 Fallen Tiefe vor Anker, da uns Nebel an der 
Weiterfahrt hinderte und das flache Wasser die Landnähe verrieth. 
Das Wasser zeigte -f- 6 l la 0 ß. Die Strömung war hier mit Ebbe 
und Flut wechselnd, N.-O. und S.-W., wohl wegen der Nähe des 
Landes, das zu sehen uns nur dichter Nebel verhinderte. Theilweise 
wurden auch hier zwei verschiedene Strömungen zu gleicher Zeit 
in geringer Entfernung beobachtet, kenntlich durch verschiedene 
Färbung des Wassers und am vorbeitriftenden Treibholz. Die 
Strömung brachte auch aus S.-W. einige Eisschollen, [ohne Zweifel 
schon einmal gestrandetes und bei Flut wieder frei gewordenes,] 
schmutziges, morsches (faules) Eis, und zwar trieb es mit einer 
Geschwindigkeit von 200 Fuss in 80 Sekunden zur höchsten Ebbezeit 
am Schiffe vorbei, oder zerschellte am Bug. Als es Abends den 18. 
aufhellte, hatten wir in nur einer Meile Entfernung die Weisse Insel, 
doch fuhren wir sofort weiter nach Norden um dieselbe herum und 
setzten dann den Kurs Ost zu Süd gegen Kap Matte Sale fort. 

Sturm aus Nordost und hoher Seegang bei flachem Wasser vor 
Matte Sale verhinderte die ursprünglich geplante Aufsuchung des seit 
September resp. Oktober 1880 in der Gydabuckt liegenden Dampfers 
„Dickson“, durch den Dampfer „Dallmann“. Schon den 20. war 
Sibiriakotf-Insel in Sicht. Da aber nach früherer Erfahrung des 
Kapitän Dalimann in N.-O. der Insel sich gegen das Festland hin eine 
etwa 12 Seemeilen reichende flache Sandbank in dieser Richtung erstreckt, 
wurde der Kurs, von seither S.-O. in N.-O. geändert, gegen Dicksons- 
Insel zu genommen. Diese und das Festland wurde an diesem Tage 
Abends 5 Uhr sichtbar. Es zeigte sich noch alter Schnee in den 
Schluchten und an den Nordhängen der Berge des Festlandes, den 
Stanowoi Kameni, liegend. Als wir uns der Küste bis auf wenige 
Meilen genähert, wurde der Kurs flussaufwärts aufgenommen. Der 
Dampfer „Dallmann“ übernahm die Führung und fuhr voraus, gefolgt 
von der „Louise“. Bei dem geringen Tiefgang des ersteren, nur 4', 
war dadurch die Möglichkeit gewonnen, schneller vorwärts zu kommen 
und fast durchweg mit halber Kraft zu fahren. Nach Verabredung 
sollte jedes Schilf für sich lotheu, „Dallmann“ aber sofort mit der 
Pfeife ein Signal geben, sobald er 5 Faden lothete; bei plötzlich 
abnehmendem Wasser und 3 Faden Tiefe sich aber quer legen, so 
dass die folgende „Louise“ mit ihren 15' Tiefgang vollauf Zeit 
gewann zu stoppen, unter Umständen auch gleich rückwärts zu 
dampfen. Es sei gleich erwähnt, dass beim Hin- wie Herwege auf 


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dem Jenisscj von der „Louise“ fast beständig gelothet wurde und 
zwar bei niedrigem Wasser, während das Schilf so langsam wie 
möglich fuhr, indem das Loth von 2 Mann fortwährend ausgeworfen 
und eingezogen wurde. Dadurch war aber auch die Gefahr des 
Auflaufens auf Sand, oder des Strandens fast ausgeschlossen. Hatten 
wir nordwärts trübe Witterung und Nebel gehabt, so klarte es immer 
mehr auf, je weiter wir den Fluss hinauf kamen. Nachts wurde 
schon die Dämmerung stark fühlbar, doch konnte die Fahrt fortgesetzt 
werden, so dass wir am 21. Morgens 4 Uhr schon zwischen den 
Korsakotf-Inseln uns befanden. Das von Kapitän Dallmann mit der 
„Moskau“ für tiefgehende Schilfe gefundene beste Fahrwasser befindet 
sich mitten zwischen den Inseln, so dass drei Inseln rechts, drei 
links liegen bleiben bei Kurs fast 0. Unweit der Inseln an der 
Westseite derselben ist Flachwasser und die Stelle, wo 1878 die 
„Zaritza“ strandete, später jedoch wieder frei gemacht wurde. Noch 
weiter W. von den Inseln passirten „Fraser“ und „Ymer“ 1878, resp. 
77 und 76 ungefährdet. Gegen 11 Uhr wurde das Land auch auf 
der Westseite des Flusses sichtbar. Mittags passirten die Schiffe 
die unterste Fischerstation am Jenissej, Sapotschnaja Korga. Von 
der Station kam von zwei Samojeden gerudert ein lioot heran, um 
uns zu fragen, ob wir der „Dickson“ wären; somit wurde derselbe 
damals noch erwartet. Nachmittags passirten wir die zwei Fischer- 
stationen bei Swerewo, uns mehr längs des Westufers haltend, das 
gegenüberliegende Goltschicha, dessen Häuser und grünes Dach des 
Kirchleins sichtbar waren, in ganzer Flussbreite Entfernung lassend. 
Das Fahrwasser ist hier überall, bis nahe an beide Ufer 10 — 17 Faden 
tief, Dank dem Umstande, dass sich der Fluss hier, bevor er in 
sein eigentliches Mündungsgebiet eintritt, nochmals zu einer Masse 
vereinigt, ohne durch Inseln unterbrochen zu sein. Das Ufer war 
überall mit den Stämmen grosser, gestrandeter Bäume dicht besäet, 
die von den jährlichen Frühjahrsüberschwemmuugen und dem Eisgang, 
aus den oberhalb am Flusse selbst und dessen Nebenflüssen gelegenen 
Urwaldgegenden herabgebracht werden. An der Lage derselben 
konnte man auch erkennen, dass der Fluss schon stark im Fallen 
begriffen war. Abends gelangten wir noch bis Dorotejewsky Kap. 
Hier hatten wir ganz plötzlich, uns näher dem Westufer des Flusses 
haltend, seichtes Wasser, nur 3*/* Faden. Dadurch wurde uns auch 
einiger Aufenthalt verursacht und wir wurden gezwungen in 6 Faden, 
mitten im Flusse, vor Anker zu gehen. Das Land blieb beiderseits 
3—4 Seemeilen entfernt. Den folgenden Tag, den 22. August, Morgens 
4 Uhr, wurde die Fahrt wieder aufgenommen in gutem Fahrwasser 
bis Kap Jacoblew am rechten Ufer. Die linke Flussseite entschwindet 


agle 


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hier dem Auge, doch kommen in Höhe des genannten Kaps flache 
Sandbanke, die den Briochowskischen Inseln vorliegen, nur eben 
über den Wasserspiegel reichend, zum Vorschein. Ein Versuch 
längs der östlichsten der genannten Inseln vorzudringen, scheiterte 
an sich verflachendem Wasser. Die Schiffe waren genöthigt in der 
tiefen Rille, in welcher sie entlang der Insel flussaufwärts gefahren, 
wieder zurückzudampfen und näher dem Festlande im Podkameni 
Jenissej eine bessere Fahrstrasse zu suchen. Dieses gelang bald 
und konnte bis Abends 4 Uhr zwischen den Taruschi- und Lopatni- 
Inseln die Fahrt ziemlich rasch und ungestört vor sich gehen. Hier 
gab es aber einen längeren Aufenthalt, bis gutes Fahrwasser gefunden 
wurde. Ganz nahe ersterer Insel gelang es endlich, in nur vier 
Faden Tiefe für die „Louise“ einen Durchgang flussaufwärts zu 
finden, bei ununterbrochenem Lothen beider Schiffe und vorsichtigem 
langsamen Fahren. Kurz darauf kam Mocksunski - Kap in Sicht, 
doch war durch das Aufsuchen des besten Fahrwassers die Zeit so 
spät geworden, dass wir Abends 8 Uhr bei einbrechender Dunkelheit 
in 7 Faden unweit einer Fischereiniederlassung der Sapotschnaja- 
Insel Anker warfen. Diesen Abend brannte erstmals die Lampe in 
der trauten Kajüte, traut und heimlich um so mehr, als wir uns 
geborgen im Flusse unweit unseres Reisezieles wussten, unterdessen 
starker Südwind wehte und der Himmel bedeckt war. Den 23. 
Morgens 4 Uhr wurde die Fahrt flussaufwärts fortgesetzt. Der 
Nebel wich gegen 7 Uhr. Um 8 Uhr wurde Mocksunski-Kap passirt 
und bald darauf wurde auch Karaulny, die von Knoop’sche Waareu- 
niederlage am untern Jenissej, sichtbar; auch Tolstonowskoje, mit 
seinen Holzhäusern, Menschen und weidenden Kühen am herrlich 
grünen Ufer, trat jetzt deutlicher hervor. Flaggen grössten von der 
Station und auch wir hissten zur Begrüssung unsere russische Schiffs- 
flagge neben der Bremer und von Kuoop’scheu. 

Um 10 Uhr ankerten die Schiffe vor der Station, freudigst und 
freundlichst begrüsst von den aus Jenisseisk mit Leichtern herab- 
gekommeuen Vertretern der Firma, Herrn Kröger und dem Kapitän 
der „Moskau“, Herrn Wieting. Sofort wurden die zwei von uns 
mitgeführten Dampfbarkassen über Bord gebracht und in Stand 
gesetzt, um die Leichter längsseite zu holen. Die aus Jenisseisk gleich- 
falls mit den Leichtern herabgekommenen 20 Arbeiter wurden sodann 
in Thätigkeit gesetzt, um ungesäumt an die Entladung der „Louise“ 
zu gehen. Möbel-, Spiegel-, Lampenkisten, Tabacksballen, Zucker- 
fässer u. s. w. schwebten alsbald aus der Tiefe der „Louise“ durch 
die Luken herauf und wurden auf die links und rechts liegenden 
Leichter verstaut. Die Arbeit dauerte ununterbrochen bis zum 


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Dunkelwerden. Wie am ersten Tage, so wurde auch die folgenden, 
nur mit Mittagspause, ununterbrochen gearbeitet, denn hier heisst 
es mehr denn irgendwo: „Zeit ist Geld“ und: „Zeit gewonnen, 
sicherere Rückkehr nach dem Heiinatshafen möglich.“ 

Schon den folgenden Tag, den 23. August, ging Kapitän Dallmann 
den Jenissej hinauf, um den Bevollmächtigten des Herrn Sibiriakoff 
von dessen neuer Haudelsniederlage-Stalion etwas unterhalb Dudiusk 
abzuholen, zu einer Berathung und gemeinsamen Besprechung betreffs 
der Aufsuchung und Bergung des Dampfers „Dickson“. Am 24. traf 
der Kapitän wieder in Karaul in Begleitung desselben ein. Nach 
reiflicher Ueberlegung und Besprechung aller Möglichkeiten wurde 
von einer Aufsuchung durch Dampfer „Dalimann“, im vollen Ein- 
verständniss mit Herrn SibiriakofFs Bevollmächtigten, Abstand 
genommen. Hiebei war besonders massgebend, dass dieser erklärte : 
dass für die Mannschaft keine Gefahr bestehe und für deren Ab- 
holung in jedem Falle gesorgt würde; im Frühjahre vor Eisaufbruch 
sei er selbst an der Ueberwinterungsstclle des „Dickson“ gewesen 
und hätte damals au Bord Alles wohl verlassen. Ueberdies habe 
er seinerzeit nicht nur genügende Lebensmittel, sondern auch so 
viele Kohlen dahin gebracht, dass der Dampfer bis nach Goltsehicha 
fahren könne, woselbst dann wiederum genügend Kohlen gelagert 
seien, um den Jenissej hinauf bis zur SibiriakofTschcn Niederlage 
zu fahren. Unverständlich schien es ihm, dass der Dampfer noch 
immer nicht gekommen. — Nach dieser Besprechung brachte eine 
Dampfbarkasse den Bevollmächtigten schon am 25. in 8 Stunden 
wieder nach seiner Station zurück. Bis zum 26. Abends ward die 
ganze für den Jenissej bestimmte Fracht der „Louise“ ausgeladen. 
Dieselbe wurde theils in einem grossen, in Jenisseisk selbst erbauten 
hölzernen Leichter, von 210' Länge, unter wie über Deck verladen, 
theils auf zwei eisernen Leichtern, die die „Louise“ 1879 von 
Bremerhaven nach dem Jenissej geschleppt hatte, verstaut. Auch 
konnte mit der Ausladung von 50 Tons Kohlen vorgegangen werden, 
die in Karaul unter Dach und Fach gebracht wurden. Hiedurch 
war ein grosser Vorschub den in künftigen Jahren nach der Nieder- 
lassung bestimmten Dampfern geschaffen, falls dieselben aus irgend 
welchen Gründen auf der Hinreise ihren Ivohleuvorrath aufzubrauchen 
genöthigt sein würden. 

Zur Entwicklung der Dampfschiffahrt nach dem Jenissej 
gehören eben auch Kohlenniederlagen. Die am Jenissej vorkommeudeii 
Kohlen sind jetzt noch unbrauchbar, jedenfalls stark minderwerthig 
so lange, als nur die zu Tage tretenden, zum öftern erfrox - enen, 
stark verwitterten oberen Schichten genutzt werden. Bergmännischer 


ogl 


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Abbau der vorhandenen Kohlenflötze am Jenissej und dessen Umgebung 
würde jedoch sicher die uöthigen Kohlen für die Dampfschiffe des 
Flusses in genügender Menge und von guter Beschaffenheit liefern. 
Nachdem die „Louise“ am 27. mit Einladung der Rückfracht, haupt- 
sächlich aus sibirischem Roggen (der sich als von vorzüglicher 
Beschaffenheit erwies) bestehend, begonnen, wurde dieselbe am 29. 
beendet. Schon am 30. August verliess die „Louise“ wieder die 
von Knoop'sche Niederlassung Knraul, um den Jenissej abwärts nach 
Europa zurückzukehren. Der Dampfer „Dali mann“ gab das Geleite, 
um vorausfahrend in Aufsuchung des Fahrwassers der „Louise“ 
behülflich zu sein. Ohne dem wäre das Aussetzeu der Dampfbarkusse 
nöthig geworden und in Anbetracht der gerade herrschenden 
stürmischen Witterung die Rückfahrt über die schwierigen Stellen 
nur äusserst langsam möglich gewesen. Alle Schiffe, die den Jenissej 
besuchen, werden aber auf fieissiges, z. Th. ununterbrochenes Lothen 
nach wie vor angewiesen bleiben, mögen auch hydrographische 
Arbeiten ausgeführt werden, wie sicher zu hoffen ist, — oder nicht. 
Mit jeder Fahrt nach dem Jenissej und auf dem Flusse selbst, wird 
selbstverständlich das Fahrwasser desselben bekannter werden. Schon 
jetzt aber glauben die Kapitäne, die den Jenissej wiederholt befahren 
haben, da zur Zeit Lootsen, die mit Verhältnissen von Seeschiffen 
bekannt wären, auf dem Flusse nicht zu finden sind, sich selbst 
anheischig machen zu können, Seeschiffe mit 15' Tiefgang bis 
Dmlino, mit 12' Tiefgang sogar bis Turuchansk hinauf bringen zu 
können. Von hydrographischen Arbeiten wären aber zunächst höchst 
wünschenswerth : eine möglichst genaue Aufnahme der Strom* 
Verhältnisse von Turuchansk abwärts bis zu der Sibiriakofl- Insel, 
um der überseeischen Dampferfahrt Vorschub zu leisten. Namentlich 
sind die Verhältnisse zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes im 
August und September hiebei von höchster Wichtigkeit. Möglichst 
oft ausgeführte Lothungeu von einem Ufer zum andern quer über 
den Fluss, insbesondere überall da, wo hervorstehende Punkte sich 
an beiden Flussufern befinden, als Kaps, Flussmündungen, Nieder- 
lassungen, Fischerplätze, scheinen mir zunächst der. Schifffahrt 
grössere Dieuste zu leisten, als auszulegende Schiffahrtszeichen. 
Letztere dürften sich überhaupt nur auf dem Lande, höher als der 
Frühjahrshochwasserstand reicht gelegen, praktisch erweisen. Bei 
der schwachen Bevölkerung am Flusse dünkt mich das jeweilige 
Auslegen von Tonnen im Frühjahr, je nach dem Eisgänge, und das 
Bergen derselben in jedem Herbste, viel zu umständlich und mit 
unverhältnissmässig grossen Kosten verbunden, auch jedenfalls, so 
lange nur einige wenige Schiffe vom Juli bis September den Jenissej 


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besuchen, nicht lohnend. Feuerzeichen, wie für die nordischen 
Fahrten an einigen Stellen geplant waren, sind gänzlich unnöthig, 
da die Fahrten in jeuen Gegenden nur in den drei Sommermonaten 
möglich sind, wo es ja während 24 Stunden immer genügend hell ist. 

Abeuds, den 30., ankerten wir im Podkameni Jenissej oberhalb 
Kap Jakowletf. da wir bei Dunkelwerden die flachsten Stellen im 
Flusse nicht mehr passiren wollten. Morgens, den 31. August, 
nachdem wir über diese flachen Stellen bei Nassonowsky-Insel, mit 
nur 3 Faden glücklich gefahren, verliess uns der Dampfer „Dallmann“, 
um zurück zur Station und dann den Fluss hinauf nach Jenisseisk 
zu fahren. Derselbe erreichte, wie wir bei unserer Rückkehr nach 
Bremen erfuhren, mit seinen drei Schleppschiffen und deren gauzer 
Ladung glücklich am 22. September Jenisseisk. Dampfer „Dalimann“ 
ist als Schlepper für den Jenissej bestimmt und hat natürlich auf 
dem Jenissej allgemeine Bewunderung hervorgerufen. Ein so starkes 
Schiff hatte man noch nicht gesehen. Was überhaupt dem Handel 
auf dem Jenissej Noth thut, das sind kräftige Dampfschiffe. Leider 
sind die für die Angara bestimmten, an Bord des „Dickson“ geladenen 
Dampfböte zugleich mit diesem zu Grunde gegangen. Eine Ent- 
wicklung des Handels auf dem unteren Jenissej ist aber nicht wohl 
denkbar, ohne dass auf dem oberen Jenissej und der Angara selb- 
ständige Dampferlinien entstehen. Für Dampfer mit kräftigen 
Maschinen wäre der Jenissej recht gut bis Minusinsk fahrbar, ebenso 
wäre auf der Angara Dampferverbindung bis Irkutsk möglich.*) Diese 
Dampfer würden die nach Europa bestimmten Waaren nach Jenisseisk 
bringen und die aus Europa kommenden Waaren nach dem Innern, 
nicht nur gauz Ostsibiriens, sondern selbst der Mongolei (China) 
befördern. Für Westsibirien, wie für Centralasien bleibt aber die 
Hauptverkehrsader, um europäische Waaren auf dem Seewege dahin 
ein- und Massengüter auszuführen, stets der Ob und dessen Zuflüsse 
Irtisch, Tobol u. a. — Abends, den 31., ankerte die „Louise“, ohne bei 
ziemlich geradem Kurs vom Kap Jakowlelf auf Sweruwskojekap, auf 
Schwierigkeiten, d. h. niedrig Wasser gestossen zu sein, hei 
letzterem Kap. 

Am 1. September fuhren wir Morgens früh an den Fischereien 
von Swerowskoje vorbei. Wir fuhren den ganzen Tag und gelangten 
Abends, nachdem wir glücklich über die 4 — 5 Fadenbank gefahren, 
bis unweit der Korsakoff-Iuseln, woselbst Anker ausgeworfen wurde. 
In der Höhe von Sopotschnaja Korga verfolgte uns mit grosser Ilart- 


*) Vergl. hierbei die Mittheilung des Herrn Kapitän Dalimann in Heft 2 
Band V. dieser Zeitschrift S. 168 und 169. 


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257 


näckigkeit ein Samojedenboot. Da wir nur Samojeden als Ruderer 
unterschieden, vermuthete der Kapitän, dass diese um „Schnaps“ 
betteln wollten, und liess deshalb nicht stoppen. Erst im Dezember 
des Jahres 1881 erfuhren wir. dass es der Kapitän Nilson vom 
„Dickson“ gewesen, der uns vergeblich verfolgt hatte, da er mit uns 
nach Norwegen zurückzukehren hoffte. Unfreundliches, stürmisches 
Wetter mit Schneegestöber, das eintrat, hielt uns an diesem Anker- 
plätze bis zum 4. September fest. Unweit von hier ergiesst sich 
die Glubokaja in den Jenissej. Diese Mündung scheint für Seeschiffe, 
die aus irgend welchen Gründen genöthigt wären, an der Jenissej- 
mündung zu überwintern, der geeignetste Platz zu sein. Geschützt 
nämlich gegen das antreibende Meereseis einerseits, andererseits so 
weit unten am Jenissej liegend, dass das Frühjahrshochwasser und 
der Eisgang des Flusses ohne Einfluss ist, dürften hier die günstig- 
sten Bedingungen gegeben sein, um ohne besondere Fährlichkeiten 
glücklich überwintern zu können. Wann das Eis der Glubokaja auf- 
geht, ist natürlich zur Zeit noch unbekannt, aber ohne Zweifel 
geschieht dies mindestens 14 Tage später, als das des Jenissej in 
gleicher Breite. Da hier Ebbe und Flut im Jenissej sich schon 
ziemlich bemerklich machen, so ist sicher anzunehmen, dass der 
Jenissej schon eisfrei sein wird, bevor die Glubokaja aufgeht. Die 
näheren Verhältnisse, namentlich über Ankergrund in der Glubokaja 
selbst und deren Mündung, werden von Kapitän Dallmann vielleicht 1882 
erkundet werden, wenn derselbe zu gleicher Zeit mit seinem Dampfer 
in dem Obmeerbusen, wie mit der Dampfbarkasse in der Obmiindung 
Untersuchungen anstellen sollte. Diese würden für die Entwicklung 
des europäischen Handels durch den Ob nach Westsibirien und 
Centralasien von grösster Wichtigkeit sein und eine Ergänzung 
der Dahlschen Aufnahmen von 1876 und der von Hage 1880 
ebendaselbst bilden, Aufschluss gebend, ob über die Sandbarre der 
Obmündung im Obmeerbusen eine Durchfahrt für Seeschiffe vor- 
handen ist. Dann würde Obdorsk zum Stapelplatz der Güter für 
Westsibirien etc. sich erheben und könnte von der Anlage einer 
besonderen neuen Station an der Jalmalkiiste Umgang genommen 
werden. 

Ausser der Mündung der Glubokaja ist es noch eine tiefe Bucht 
bei Kap Jefremoff, mit Inseln in derselben, die für eine etwaige Ueber- 
winterung am unteren Jenissej sich nach meiner Ansicht geeignet er- 
weisen würde. Schweres Meereis wäre auch hier nicht zu fürchten, 
wegen der vorliegenden Inseln, noch weniger als in der Glubokaja das 
Frühjahrshochwasser des Jenissej, da die Bucht schon ganz im Meeres- 
gebiete mit dem sich geltend machenden Einfluss von Ebbe und 

Oeogr. Blätter. Bremen, 1882. 


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258 


Flut gelegen ist. Der Strand dürfte hier ein Ankern unmittelbar am 
Ufer selbst erlauben, da er felsig, zum Tlieil in bis 200 Fuss hohen 
Kaps aus dem Wasser ansteigt. Auch über die Anker- und andere 
Verhältnisse dieser Stelle haben wir genauere Kunde von Kapitän 
Dalimann mit Sicherheit zu erwarten! 

Endlich, den 4. September, gestattete die Witterung der „Louise“ 
ihren Ankerplatz bei den Korsakoff-Inseln zu verlassen und dampfte 
sie nordwärts. Zu unserer grössten Ueberraschung aber zeigte sich 
in der Mündung des Jeuissej zwischen Kap Jefremoff und der 
Sibiriakoff-Insel Treibeis. Gleichwohl konnte die „Louise“, näher 
dem Lande haltend, ihre Fahrt bis gegen Dickson-Insel fortsetzen. 
Zwischen dieser Insel und dem Festlande lag jedoch viel Eis und 
zwar gewaltige, mit frischem Schnee bedeckte Eisfelder. Allem 
Anschein nach bestanden dieselben aus in ihren Zwischenräumen 
frisch zusammengefrorenen Treibeisstückeu, die meist nur wenige 
Zoll, nur in einzelnen Stücken einige Fuss hoch, über das Wasser 
emporragten. Um so mächtiger aber war ihre Ausdehnung. 
So fuhren wir längs zusammenhängenden Eisfeldern von 5, 8 und 
selbst von 10 Seemeilen Länge bei einer hin und wieder vom 
Schiffe aus nicht übersehbaren Breite derselben. In der Höhe von 
Dicksous-IIafen angelangt, w'andte die „Louise“, da dieser durch Eis 
gesperrt nicht zu erreichen war, nach W., Matte Sale zusteuernd. 
Während des ganzen Tages, bis wir Abends 10 Uhr im Eise stoppten, 
hatten wir nordwärts von unserem Kurs diese zusammenhängenden 
Eisfelder, längs welcher wir immer nach W. fuhren. Anfangs unserer 
Fahrt vor der Jenissejmündung befürchteten wir durch die von N. 
antreibenden Eismassen in die Mündung selbst wieder hineingedrängt 
zu werden, ja unter Umständen auf flaches Wasser bei der Sibiriakoff- 
Insel zu kommen; doch konnten wir diesen wie den folgenden Tag, 
deu 5. September, die Fahrt immer westlich fortsetzen. Zunehmender, 
fühlbar werdender Seegang im Eise beruhigte uns und liess uns ver- 
muthen, dass wir bald eisfreies Wasser erreichen würden. Iu der 
That hatten wir schon Morgens 9 Uhr, den 5. September, die letzten 
Eisschollen im Rücken, in 73° 40' n. Br. und etwa 77° ö. L., so 
dass wir nunmehr Kurs direkt auf Nowaja Semlja halten konnten. 
Am 7. sichteten wir diese Insel; die Berge derselben zeigten sich 
bis auf etwa 1000 Fuss Höhe mit frischem Schnee bedeckt. Unter 
der frischen Schneedecke lagen alter Schnee und Gletscher begraben, 
so dass die eigentliche Sommerschneegrenze nicht mehr zu bestimmen 
war. Unter Land jedoch fand sich ein 15 — 20 Seemeilen breiter 
Eisgürtel, der uns zunächst vom Lande trennte. Auf der Fahrt 
hatten wir von 77° ö. L. bis ungefähr 67 oder 06 u ö. L. kein Eis 


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259 


angetroffen. Dort zeigten sich in N. zuerst einzelne Eisschollen, die 
bei unserem Kurs W. und S.-W. längs des Eises an Zahl und Grösse 
Zunahmen. Hierunter fanden sich auch einzelne grüne Gletscher- 
eisblöcke, jedoch von unbedeutender Grösse. Dieser Umstand ist 
deshalb auffallend, weil in der ganzen Karasee solches Gletschereis 
selten ist. Auch Professor Freiherr v. Nordenskjöld macht in seinen 
Berichten wiederholt auf diesen Umstand aufmerksam. Erklärlich 
ist die Seltenheit des Gletschereises in der Karasee zunächst da- 
durch, dass von Kap Tscheljuskin südwärts, längs des asiatischen 
Festlandes, keine Gletscher in das Karameer fallen, nur an der 
Ostküste Nowaja Semljas zwischen Barents-Bai und Matotschkinscharr 
fallen einige Gletscher direkt in dieses Meer. Aber auch von Norden 
her, besonders von Franz Josefsland, das doch von in das Meer 
fallenden Gletschern bedeckt ist, kommt kein Eis in die Karasee 
herabgetriftet. Der Grund dieser Erscheinung liegt unzweifelhaft in 
den Strömungsverhältnissen der Karasee selbst und im Norden der- 
selben. Im Norden von Nowaja Semlja geht der Strom N. und 
N.-W., wie die unfreiwillige Trift des „Tegetthoff“, der österreichischen 
Expedition 1872/74, die zur Entdeckung von Franz Josefsland führte, 
wie auch die Erfahrungen der Dampfer „Louise“ und „Dalimann“ 
1880 beweisen. — Sollten die hier herrschenden Strömungsverhältnisse 
nicht ein Fingerzeig sein, wie jährlich, wenn auch erst spät, aber 
sicher Franz Josefsland zu erreichen ist und dadurch eine sichere 
Basis gewonnen werden, um polwärts, ä la Schwatka, zu reisen? 

Aus dem gleichen Grunde der Strömungsverhältnisse sind auch 
keine eigentlichen Eisberge im Karameer zu finden, wie sie unter 
Franz Josefsland, im Norden von Spitzbergen und an der grön- 
ländischen Küste Vorkommen. 

In der Hoffnung eine eisfreie Rinne unter Land zu finden, 
wurde von uns gegen das Land gehalten und in den uns vom Lande 
trennenden Eisgürtel hinein und durchgedampft. Abends den 7. 
waren wir dem Lande in der Höhe vom Fünffingerkap nahe ge- 
kommen. Auffallend auf unserer Fahrt, selbst bis nahe dem Lande, 
war das mangelnde Thierleben. Einige frische Eisbärspuren waren 
die einzigen Anzeichen, dass es nicht ganz fehlte. Bis Mittags den 8. 
suchten wir unter Land eine Fahrrinne, um gegen die Matotschkin- 
strasse zu fahren, aber vergeblich. So nahmen wir unseren Weg 
wieder aus dem Eise heraus, welchen wir Tags vorher gekommen 
waren. Schon waren bei einer Wassertemperatur von — 0,5 Grad 
grosse Strecken frischen Eises gebildet, dessen Durchbrechung jedoch 
bei einer breiartigen Dicke bis zu 3 cm keine Schwierigkeiten machte. 
Diesen Tag zeigte sich etwas mehr Leben im Eise: wir sahen einen 

17 * 


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260 


Walfisch, einen Eisbär und ziemlich viele Seehunde. Auch Eider- 
enten und Seeschwalben und einige kleine Alkenkönige, zwischen 
den Eisfeldern munter umherschwimmend, wurden beobachtet. Die 
folgende Nacht vom 8. zum 9. hielten wir ausserhalb des Eises, um 
mit frühestem Morgen am 9. einen Vorstoss direkt gegen die 
Matotschkinstrasse zu machen. Derselbe misslang; denn nach 
10 — 12 Seemeilen Fahrt gegen die Strasse trennte uns noch immer 
ein weiterer, 12 — 15 Seemeilen breiter, eiserfüllter Streifen vom 
angestrebten Ziele. Dabei lagen die Eisschollen immer dichter und 
wurden höher und stärker, so dass an ein gewaltsames Durchbrechen 
mit der schwachen eisernen „Louise“ nicht zu denken war, ohne 
Gefahr für das Schiff zu laufen. Deshalb blieb, um nicht besetzt zu 
werden, nichts Anderes übrig, als abermals aus dem Eise heraus zu 
dampfen. Nicht ungefährlich für das Schiff war diesmal die Durch- 
brechung des äussersten, vom freien Wasser trennenden Eisgürtels. 
Dicht geschlossen lagen die Eisschollen, in heftiger Dünung auf- und 
abschaukelnd. Alle Mann, auch die drei Passagiere, die wir vom 
Jenissej zurück nach der Heimat brachten, wurden auf Deck ge- 
rufen, mit Stangen und Eishacken bewaffnet, zu beiden Seiten und bei 
der Schraube vertheilt. Dann nahm die „Louise“ einen grösseren 
Eisblock vor den Bug und ging mit Volldampf in die tanzende Eis- 
masse; der Kapitän stand befehlend in den Wanten beim Vorder- 
mast, der Steuermann auf Kapitänsbord, der Bootsmann auf Hinter- 
deck hei der Schraube. Man hörte nur die sich rasch folgenden Rufe 
und Kommandos: vorwärts; full speed; stopp; — Schraube klar? 
all klar; — langsam vorwärts und wieder full speed, stopp; rück- 
wärts u. s. w., fünf Minuten erwartungsvoll und wir waren durch- 
gedrungen. Kein ungeschlachter Eisklotz hatte tänzelnd die dünne 
Eisenwand der „Louise“ durchschlagen. Doch vermeinten die Leute 
unten bei den Maschinen, es möchte ihnen ein solcher einen unge- 
betenen Besuch abstatten. Für die Nacht blieb die „Louise“ aber- 
mals in freiem Wasser treibend und genossen wir den Anblick eines 
schwachen Nordlichtes. Am 10. wurde nochmals ein erfolgloser Ver- 
such gemacht, durch das Eis die Matotschkinstrasse zu erreichen. 
Auffallend war hierbei, dass, während das Thermometer im Wasser 
in diesen Tagen überall, im Eise und ausserhalb desselben, unter 
Null Grad gezeigt hatte, es vor der Matotschkinstrasse im Wasser, 
mitten im Eise, geraume Zeit -(- 1,5 Grad aufwies. Trotz dieser 
warmen Strömung aus der Strasse heraus blieb uns der Weg dahin 
doch vom Eise verlegt. So entschloss sich denn der Kapitän nach 
Süden zu dampfen, um eine der südlichen, aus dem Karameer 
führenden Strassen zu versuchen. Auf dem Wege dahin hatten wir 


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261 


diesen und deu folgenden Tag unter Land ständig einen 15 — 25 See- 
meilen breiten Eisstreifen, längs welchem wir fuhren. Eine eigen- 
thümliche Erscheinung bot die Meeresoberfläche, auf der in den 
feinsten Eiskristallen der gefrierende Nebelduft, wie auch der Schnee, 
eine breiartige Masse bildend, liegen blieben. Abends deu 11. hielten 
wir bei trüber Luft still bis Morgens den 12. Schneegestöber gegen 
Mitta'g zwang uns nach kurzer Fahrt, um die Strasse nicht zu ver- 
leiden, abermals still zu liegen. Als es aber Mittags 12 Uhr den 12. 
aufhellte, war die N.-O.-Spitze der Waigatschinsel in Sicht und wir 
befanden uns gerade vor der gesuchten Strasse. Sofort wurde der 
Kurs in die Karastrasse genommen. Unter der Küste Nowaja Semljas 
lag viel Eis, gegen Waigatsch war aber die Strasse eisfrei. An der 
Reuthier-Insel, Waigatsch N.-O. vorliegend, wurde in geringer Ent- 
fernung vorbeigedampft, dann bei Kap Woronoff eiue schmale, quer 
über die ganze Strasse liegende Eisbarriere glücklich durchbrochen. 
Die Fahrt ging dann ununterbrochen in der Strasse weiter, zuerst 
in ziemlich eisfreiem Wasser; zwar hinderte Nebel weitere Aussicht, 
doch konnte, ohne auf bedeutende Eishindernisse zu stossen, die Fahrt 
allerdings in nach und nach dichter liegendem Eise fortgesetzt 
werden. Für die Nacht musste jedoch mitten im Eise gestoppt werden, 
etwa 20 Seemeilen westlich der eigentlichen Strasse, näher Nowaja 
Semlja als Waigatsch. Heftige, oft wirbelnde Strömung, wie in der 
Strasse, war auch in der Nacht im Eise bemerkbar. Wie schon 
gelegentlich der Hinfahrt bemerkt wurde, lag auch jetzt das Eis in 
der Strasse meist in langen Streifen, dicht geschlossen, mit freien 
Wasserrinnen dazwischen. In der Nacht wechselten Nebel, Schnee- 
böen, heftiger Wind wieder mit Sternenhimmel. Ein herrliches Nord- 
licht wurde gegen 2 Uhr sichtbar, auch der Mond kam abwechselnd 
zwischen jagenden Wolken zum Vorschein. Gegen Morgen zeigte 
aber die Temperatur — 2 0 R. Ungemüthlich war diese Nacht aber 
besonders durch den Umstand, dass die heftige Strömung im Wasser 
Eisscholle um Eisscholle gegen das langsamer treibende Schiff her- 
beiführte, deren Schrammen an den nur zollesdicken Eisenwänden 
der „Louise“ ein höchst widerwärtiges Geräusch verursachte. Am 13. 
wurde der Kampf, um durch das Eis zu kommen, zeitig aufgenommen, 
der Kurs aber mehr S. bis S.-W. gehalten. 

Grosse Eisschollen von 20 Fuss Höhe über Wasser (bis zum 
Kapitänsbord reichend), wie wir bisher noch keine gesehen, zeigten 
sich hierbei mehrfach. Wenn auch langsam, kamen wir doch vor- 
wärts. Mit grösster Umsicht leitete der Kapitän vom Vordermast 
aus die Fahrt zwischen den Eisschollen, stets die freien Wasserrinnen 
aufsuchend, hin und wieder einen Eisblock als Bahnbrecher benützend. 


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262 


Gegen Mittag befanden wir uns in loser liegendem Eise und dem 
entsprechend gewannen wir auch mehr Terrain gegen S. In dieser 
Richtung entdeckten wir eine Jacht, die wir in einer eisfreien Rinne 
segelnd vermutheten. Zahlreiche Zugvögel von Norden kommend, 
Schwäne, Gänse, Regenpfeifer, Alpenlerchen und Schneeammern, 
letztere beide nicht nur auf dem Eise, sondern auch auf dem Schiffe 
sich niederlassend, bewiesen, dass im Norden schon der Winter ein- 
gekehrt war. Abends befanden wir uns in einer eisfreien Rinne, 
unweit der oben genannten Jacht, und stoppten. Alsbald kam der 
Kapitän zu uns an Bord. Es war Kapitän Boska, der Jacht 
„Freinmat“, den wir schon einmal, am 10. August, bei der Weissen 
Insel gesprochen hatten. Das Wichtigste, w T as er uns mittheilte, 
war, dass er und die drei anderen Schiffe, die mit ihm in der 
Karasee gewesen, einen schlechten Fang gemacht, weil zu wenig 
Eis in der Karasee gewesen sei. Sie wären auf Suche vou 
Eis und Walrossen im Norden von Nowaja Semlja bis zu 78° n. Br. 
gewesen, ehe sie auf Beides trafen. Heftiger N.-O.-Stunn hätte sie 
dann getrennt. Später, längs Nowaja Semlja fahrend, hätte er eben- 
falls einen Eisstreifeu der ganzen Ostküste entlang gefunden, der 
ihn verhinderte, die Matotschkinstrasse zu benützen. S.-W. steuernd 
habe er die Karastrasse am 9. September erreicht. Sie zur Hälfte 
eisfrei findend, sei er durchgesegelt. Daun hätte er sich südwärts 
gewandt, längs Waigatsch, daselbst jedoch auf Eis stossend, sei er 
wieder N.-W. aufgekreuzt. Die grosse Menge des Treibeises dies- 
seits der Karastrasse erklärte er sich durch den Mangel daran 
jenseits, in der Karasee selbst. Für die Nacht blieb die Jacht 
„Fremmat“ in unserer Nähe, den 14. aber kam sie frühe heran, da 
Kapitän Burmeister sich anbot, dieselbe aus dem Eise heraus zu 
schleppen. Mit der Jacht im Schlepptau gingen wir nunmehr mit 
S.-W.-Kurs abwechselnd durch freies Wasser und Streifeu zerstreut 
liegenden Eises. Doch blieb die grosse Masse des Eises mehr in N. 
zu unserem Kurs gelegen. Abends w r aren wir aber noch nicht aus 
dem Eise heraus. Zunehmender Seegang, stürmisches Wetter, Schnee- 
böen, machten am 15. die Fahrt mit der Jacht im Schlepptau un- 
angenehmer. Wir lösten deshalb dieselbe und setzten die Fahrt 
allein fort. Kurze Zeit darauf überholten wir zwei andere, im 
Karameer gewesene Jachten. In ungefähr 54° östl. L. entschwand 
das letzte Eis und konnten wir nunmehr auch Nachts fahren. Am 16. 
kreuzten wir zwei russische Schuner, die vou Nowaja Semlja kamen. 
Schon am 18. Morgens hatten wir die Küste Norwegeus in Sicht 
und fuhren Abeuds des gleichen Tages am Nordkap vorbei gegen 
Frueholm. Am 19. Morgens 8 Uhr ankerte die „Louise“ wieder 


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263 


im Hafen von Ilanimerfest. von (len Hammerfester Bekanntschaften 
freundliehst beglückwünscht zu den Erfolgen der diesjährigen Fahrt. 
Schon am 22. verliess die „Louise“ wieder Hannnerfest und erreichte, 
nachdem stürmisches Wetter am 24. — 26. die Fahrt etwas ver- 
zögert hatte, bei herrlichem Sonnenschein und ruhiger See am 29. 
Abends den Leuchtthurm in der Wesermündung. Am 30. September 
früh 9 Uhr ankerte die „Louise“ in Bremerhaven. Wie sie 1879 
das einzige Schiff gewesen war, das den Bestimmungsort in Sibirien 
erreichte, so auch wieder in diesem Jahre 1881. Möge es nicht die 
letzte Fahrt derselben sein, die sie nach Sibirien unternimmt, oder 
ihre Fahrten anderen Schiffen, die besonders für die Sibirien- 
fahrten gebaut werden, als Vorbild dafür dienen, was ein tüchtiger 
Kapitän leisten kann, wenn er mit Energie und Aufopferung ein 
gesetztes Ziel zu erreichen bestrebt ist! 

Noch sei es mir gestattet, Abschied von der „Louise“ nehmend, 
die mich gastfreundlich aufgenommen, meinen Dank dem Rheder, 
Herrn Baron von Knoop, hiermit auszusprechen. Dank aber auch 
den Kapitänen Burmeister und Dallmann für die zuvorkommende 
Aufmerksamkeit gegen den „blinden Passagier“, Schreiber dieser 
Zeileu! Die Fahrt nach dem Jenissej wird ihm Zeitlebens eine 
freudige Erinnerung bleiben. Ich kann aber nicht unerwähnt lassen, 
wie besonders angenehm die Fahrt sich gestaltete durch die muster- 
hafte Ordnung, die an Bord der Schiffe herrschte, ebenso muss ich 
des Umstandes gedenken, dass die gesammte Mannschaft durch ihr 
Verhalten das Gelingen der ganzen Unternehmung wesentlich förderte. 


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264 


Aus China. 

Mitteilungen von Dr. Friedrich liirth. 


I. 

Die Mauern der Städte von Knang-tung. 

Nach dem Knang-tung-t'u-shuo. 

Die Mauer ist, wie es scheint, das einzige wirklich substantielle 
Bauwerk der Chinesen. Ihre Tempel, Pagoden, Paläste, Ehrenpforten 
und Drücken sind zwar in grosser Zahl vorhanden, aber sie sind 
kurzlebig im Vergleich zu ähnlichen Bauwerken anderer Nationen, 
da sie augenscheinlich zunächst nur zum Gebrauche der lebenden 
Generation erbaut sind. Auch die solidere Bauart der Stadtmauern 
dürfte weniger dem Wunsche, der Nachwelt durch grosse Bauwerke 
zu imponiren, entsprungen sein, als dem Bedürfnis, wichtigere Wohn- 
sitze, besonders aber die Sitze der Mandarinen, gegen Ueberfälle 
von Landesfeinden, See- und Landräubern, Rebellenhorden u. s. w. 
zu schützen. Bei aller Aehnlichkeit mit den Aegyptern sind die 
Chinesen in diesem Punkte doch mit den Erbauern der Pyramiden 
und der Tempel von Karnak nicht zu vergleichen. 

Unter den Mauerbauwerken steht voran die grosse Landes- 
mauer an der ehemaligen Nordgrenze. Aber auch die Mauern der 
Städte sind oft Bauwerke von grosser Dauerhaftigkeit. Jede Haupt- 
stadt eines Distrikts ist von einer Mauer umgeben und nur um- 
mauerte Städte heissen C h’e n g ; nicht-officielle, d. h. nicht den Sitz 
einer administrativen Behörde bildende, Städte sind selten, und 
hauptsächlich auf befestigte Küstenstädte und die festen Städte, 
„so“ genannt, wie Chin-nang-so in Lei-chou, beschränkt. Die 
letzteren halten gewöhnlich eine kleine Garnison uud mögen zum 
Schutze für die Landbevölkerung gebaut worden sein, die sich dort- 
hin vor den Angriffen landender Seeräuberhorden retten konnten. 
Chinesische topographische Werke enthalten meist Angaben über die 
Dimensionen der Mauern aller officiellen Städte. 

Kuang-tung enthält über hundert Mauerstädte von verschiedener 
Grösse. Die Höhe der Stadtmauer schwankt zwischen 10 und 30 
Kuss (oder etwa 3 bis 10 Meter), ihre Breite ist genügend, um 
mehreren Berittenen zu gestatten, auf ihrem Rücken nebeneinander 
zu reiten. Einige Städte sind jetzt noch von Gräben umgeben, 
andere waren es früher. 

Der von der Mauer eingeschlossene Raum (Ch’eng-nei) ist 
oft kleiner als der der umgebenden Vorstädte (Ch’eng- wai). 


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265 


Dennoch steht die Grösse der Mauern meist in einem gewissen 
Verhältnis zur allgemeinen Bedeutung der Stadt, wie sich aus der 
nachfolgenden, nach dem Kuang-tung-t’u-shuo bearbeiteten 
Tabelle ergiebt: 



Stadtmauern 

Stadtgräben 

Städte 

L&uge in 
Chang & 
1P/4 engl. 
Fass 

Höhe in 
Chang a 
ll 3 /4 engl. 
Kuss 

Breite in ! 
Chang a 
11*14 engl. 
Futw 

! Tiefe in 
Chang k 
ll 3 /4 engl. 
Fuss 

Canton, Altstadt 

2 275 

2,'iO 



, Neustadt 

1004,50 

2 

2 

0,35 

Ch"ao-chou-fu 

1 762 

2,60 

1 

l 

Lien-chon-fu 

! 1670 

3, so 

2 

1,M 

Shao-chou-fn 

1635 

2,jo 

2,öo 

2.20 

Ch'ieh-yang-hsien 

1600 

2,3o 

2 

1 

Ling-shan-hsien 

1543 

2,,o 

1 , 0 o 

0,10 

Hsin-’hui-hsien 

1370 

1,80 

3 

0,7 0 

Lei-chon-fu j 

1349 

2,90 

3 

O.oo 

‘Hni-chou-fou 

1326 

2,30 

— 

— 

Tnng-kuan-hsien 

1299 

2, jo 

3 

3,50 

Ch’iung-chon-fu 

1253 

2,70 

; 4^o 

3,20 

Tien-pai-hsien 

1 164,,o 

2 

3 

1 

Te-ch’ing-ehou 

1150 

3 

- 

— 

Nan-hsinng-chou 

1131 

1 


— 

Ai-ehou 

1080 

2 


— 

Chia-ying-chou 

985 

2,oo 

2 

1 

Hsü-wen-hsien 

978 

1,50 


1 ~ 

Ch’ing-ynan-hsien 

908 

1,80 

4 

0,60 

Kuei-shan-hsien 

904,5« 

1,1*0 

- 

__ 

Hsin-an-hsien 

900 

2,» 

2,30 

1,»0 

Chao-ch’ing-fu 

864 

2,50 

i - 

— 

Lo-ting-chou 

744,« 

1,00 


— 

Shun-te-hsien 

655 

1,55 

1,05 

0,65 

Kao-chon-fu 

640 

1.40 

3 

1,00 

Ch'in-chou 

594,5« 

2,40 

20 

0 ,HO 

Ting-an-hsien 

593,40 

1,40 

1,50 

1 

Lien-chou 

548 

2,30 

l - 

0,50 

Tseng-ch’eng-lisien 

540 

3,30 

2 

1,60 

Sui-ch’i-hsien 

470 

1,50 

0,«o 

0 ,»o 

Lien-shan-t’ing 

180 

3 

— 

— 

Es lässt sich annehmeu, dass zur Zeit der Gründung 

der Um- 


fang des durch die Stadtmauer bezeichneten Weichbildes der Grösse 
und allgemeinen Wichtigkeit des Ortes entsprach. Soweit sich 
letztere nach dem lokalen Renommee beurtheilen lassen, mag dies 
noch für den heutigen Tag der Fall sein. Wie sich erwarten Hess, 
nimmt die Provinzial-Hauptstadt Ca n ton den ersten Platz ein in 
Bezug auf den Umfang seiner Mauern. Im Uebrigeu geht aus 


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dieser vergleichenden Tabelle indirekt hervor, dass man die Wichtig- 
keit der chinesischen Städte nicht nach ihrem officiellen Range 
bcurtheilen darf. In den Berichten unserer Reisenden ist häufig 
die Rede von Städten ersten, zweiten, dritten Ranges u. s. w. ; es 
ist dies lediglich eine Andeutung der Verwaltungsform und des 
Ressortverhältuisses des dort residirenden Civil-Mandarinen. So er- 
scheint die Stadt Chieh-yang-hsieu als Stadt dritter Ordnung 
in der Tabelle mit einem Mauerumfang von 1600 Chang, während 
eine Stadt erster Ordnung, Kao-chou-fu, mit nur 640 Chang 
tigurirt. In der That ist der erstgenannte Ort ein starkbevölkerter, 
für den Handel wichtiger Platz in der Nähe von Swatow, während 
der letztere seine Bedeutung nur als Sitz gewisser Behörden erhält. 
Die Städte dritten Ranges (li s i e n), die sich durch aussergewöhnlichen 
(1000 Chang überschreitenden) Mauerumfang auszeichnen, sind 
meist als Mittelpunkte bedeutender Industriedistrikte bekannt, wie 
Hsin-’hui-hsien, in einem reichen Produktionsgebiet für Taback, 
Grasstuch, Orangen u. s. w., in der Nähe von Macao gelegen ; ferner 
Tung- kuan-li sien, die grosse Arbeiterstadt für die Manufaktur 
von Feuerwerkskörpern und Matten am Osttiuss ; Tien-pai-hsieu, 
der durch seine Salzindustrie und seinen Küstenhandel bekannte 
Hafen westlich von Macao; Nau-hsiung-chou, die Grenzstadt 
am Fusse des verkehrreichen Mei-ling-Passes, u. s. w. 

Nicht so vielsagend als die Länge ist die Höhe der Stadt- 
mauern, sowie die Dimensionen der Gräben. Tseng-ch’eng-hsieu 
in der Nähe der dorttosen Lo-fou-Berge besitzt die höchste Mauer, 
Ch’in-chou an der Grenze von Annam die breitesten, Tung- 
kuan-hsien den tiefsten Stadtgraben. Merkwürdig ist, dass die 
Mauern der kleinsten Städte kaum viel grösser sind als der Umfang 
des Colosseums zu Rom, der mit 1641 Fuss (= etwa 139 Chang) an- 
gegeben wird. Die ehemalige Stadtmauer von Paris besass eine 
Ausdehnung von 14 800 Fuss (= etwa 1260 Chang), die jetzt nieder- 
gerissene Berliner Mauer 46 800 Fuss (= etwa 3983 Chang oder 
beinahe den doppelten Umfang der alten oder nördlichen Stadtmauer 
von Cauton). Die Friedrichsstrasse in Berlin misst etwa 723 Chang; 
ein Spaziergang um die alte und neue Stadtmauer Cantons würde 
daher hinsichtlich der Entfernung einem Gange auf der Friedrichs- 
strasse zweimal auf und ab zu vergleichen sein. Wenn man bedenkt, 
dass die Vorstädte von Canton sicher nicht den Flächeninhalt der 
inneren Stadt erreichen, so ergiebt sich für Canton ein Weichbild, 
das dem der Stadt Berlin an Umfang nicht entfernt gleichzustellen 
ist. Wer beide Städte kennt, möge sich die Vogelschau vergegen- 
wärtigen, die man hier von der Siegessäule, dort von der sogenannten 


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„fünfstöckigen Pagode“ (Wu-tseng-lou), einem hochgelegenen 
Aussichtspunkt, geniesst. Ich ziehe diesen Vergleich hauptsächlich 
mit Bezug auf die beiderseitige Bevölkerung. Berlin ist vor noch 
nicht so langer Zeit zur Millionenstadt geworden; die Bevölkerung 
Cantons wird noch heute als 1,600,000 Seelen zahlend angegeben. 
Eine solche Bevölkerung kann auf dem kleinen Terrain unmöglich 
leben, besonders wenn man bedenkt, dass der grössere Tlieil der 
nördlichen, sogenannten Tatarenstadt theils von grossen Exercir- 
plätzen (ohne die bei uns von solchen Instituten untrennbaren stark 
bevölkerten Kasernen), theils von elenden, zerfallenen, meist ver- 
lassenen Soldatenhütten und wenigen, dünn bewohnten Strassenreiheu 
eingenommen wird, so dass die Masse der Bevölkerung sich in der 
weit kleineren südlichen oder Chinesen -Stadt und in den Vor- 
städten zusammeudrängt. Man wird einwenden, dass die Chinesen 
überhaupt dichter beisammen leben als wir Europäer und zum 
Beweise auführen, dass die Hauptverkehrsstrassen zu jeder Tages- 
zeit das Bild eines schwärmenden Ameisenhaufens bieten. Diesem 
Vorurtheil, dem sich wenige Reisende entziehen, möge Folgendes 
entgegengesetzt sein: erstens sind die Häuser der Chinesen selbst 
in den grössten Städten einstöckig, höchstens zweistöckig ; sie werden 
in der Regel nur von einer, allerdings oft zahlreichen Familie 
bewohnt, aber es ist nicht gebräuchlich, obere Stockwerke an andere 
Familien zu vermietheii, während in unseren Städten sich Stockwerk 
auf Stockwerk thürmt; mau vergegenwärtige sich den Flächenraum 
eines der üblichen Miethshäuser in Berlin, versetze dessen Insassen 
sämmtlich ins Parterre und frage sich, ob das so entstehende 
Menschengewiinmel nicht der Anzahl der auf gleich grossen Flächen, 
aber in niedrigen Hütten wohnenden chinesischen Stadtbewohner 
mindestens gleichkommt; was, zweitens, die Menschenschwärme 
auf den Strassen betrifft, so vergisst man nur zu leicht, dass die 
wichtigsten Verkehrsadern einer Stadt wie Canton oft nur zwei bis 
drei Meter breit sind, und dass, wenn man die Passanten selbst 
einer wenig verkehrsstarken Strasse Berlins auf einen so kleinen 
Streifen zusammendrücken wollte, des Gedränges kein Ende sein 
würde. Dazu kommt, dass die niederen Klassen der chinesischen 
Bevölkerung sich auf der Strasse mehr zu thun machen als dies 
bei uns der Fall ist, dass die offenen Läden an beiden Seiten der 
Strasse fast sämmtliche Insassen des Hauses zeigen, während in 
den das obere Stockwerk bildenden Schlafräumen, sowie in den 
Hintergebäuden als Magazinen sich am Tage nur ausnahms- 
weise Menschen aufhalten. Alle diese Umstände tragen dazu bei, 
den bei der individuellen Schätzung so wichtigen persönlichen 



268 


Eindruck, den sieh der Reisende von der Bevölkerung chinesischer 
Städte macht, wesentlich zu modificiren. Chinesen selbst sind geneigt, 
zu übertreiben. Diejenigen, die von den Reisenden nach der Ein- 
wohnerzahl gefragt werden, haben oft über diesen Punkt nie nach- 
gedacht und können sich auch nur auf die Autorität ihrer persön- 
lichen Schätzung berufen. Canton mag immerhin eine grosse Stadt 
sein, aber die l'/a Millionen unserer landläufigen Schätzungen scheinen 
nur bei einem oberflächlichen Vergleich seines Weichbildes mit dem 
von Berlin ganz bedeutend zu hoch gegriffen zu sein.*) 


II. 

Beschreibung der chinesischen Küste des Kontinents von der 
Grenze von Annam bis Tien-pai. 

Nach chinesischen Quellen. 


Die folgenden hydrographischen Notizen beschreiben einen bis- 
her noch wenig bekannten Theil der chinesischen Küste. Sie sind 
hauptsächlich dem Texte des Kuang-tung-t’u entnommen**) ; die Orts- 
bestimmungen sind nach der grossen chinesischen Karte selbst ein- 
getragen. Diese sind selbstverständlich fälsch und deuten nur die 
ungefähre Lage der betreffenden Punkte an ; sie sind jedoch immer- 
hin annähernd genug, um gelegentlich einer Küstenvermessung die 
Nachfrage zu erleichtern. 

Nach dieser neuesten chinesischen grossen Karte von Kuang- 
tung ist die westliche Grenze der chinesischen Küste etwa 
15 Seemeilen westlich vom Kap Paklung zu suchen, dessen 
laige auf den meisten Seekarten angegeben ist; oder 8 Meilen 
westlich von Chu-shan (Chouk-shan), einem kleinen Grenzhafen. Auf 
der chinesischen Karte erscheint Kap Paklung in der Gestalt einer 
kleinen Insel, 21° 43' n. Br. und 8° 33' westl. von Peking; es heisst 
dort Pai-lung-wei (cant. Pak-lung-mi), d. h. Weisser Drachen-Schwanz. 


*) Schon Pauthier drückt seine Zweifel gegenüber den ihm vorliegenden 
Schätzungen aus, indem er (Chine Moderne, S. 121) cs verschmäht, die ihm 
vorliegenden hohen Schätzungen zu wiederholen. .Ln ville de Canton“, sagt er, 
„se trouvant düerite plus on moins exactement dans beaucoup d’ouvrages 
europeens, nous y renvoyons nos lectenrs, en nous bomant ii dire ici que la 
Population donnee ä Canton par plusieurs ecrivains est purement hypothetique, 
ancun document ofticiel chinois n'ayant servi de base ä cette estimation.“ 

**) Vgl- darüber „Ueber chinesische Quellen zur Geographie von Kuang-tung etc.“ 
in den Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig, 1881. (NB. Im 
Druck und demnächst erscheinend.) 


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Das Wort wei, cantonesisch mi = Schwanz, wird überhaupt häufig 
auf gestreckte Vorsprünge der Küste angewendet und heisst hier 
wohl soviel wie „Kap“. Etwa 5 Meilen O.-S.-O. von diesem Punkte 
befindet sich eine Sandbank Hsi-hsien-sha (cant. Sai-hin-sha, 
„westliche Muschelbank“). Als westlich vom Kap befindlich wird 
eine gefährliche Passage erwähnt, welche die Seegrenze gegen Annam 
bilde. Die Stadt Ch’in-chou (cant. Yam-chau) wird dargestellt 
als an der Spitze einer Bucht gelegen, deren Eingang eine Insel 
Namens L u n g - in e n (cant. L u n g - m u n , „Drachenthor“) vorgelagert 
ist. Eine andere Insel in dieser Gegend heisst Chiang-sha-wan 
(cant. Kong-sha- wan), 21° 43' n. Br. und 8° 9' w. Peking; sie 
wird beschrieben als „schwer zugänglich wegen Felsen“. 

Die an das Gebiet von Ch’in-chou grenzende Küste des Kreises 
IIo-pu ist vor allem durch den Hafen Pakhoi (dies ist die cau- 
tonesische Aussprache, im Peking Dial. : P e i h a i) , den seit wenigen 
Jahren eröffneten Vertragshafen, bemerkenswert!!. Frühere Seekarten 
zeigen von dieser Gegend ein noch fehlerhafteres Bild als selbst die 
chinesischen Landkarten, erst seit Kurzem ist durch die Arbeiten 
englischer und deutscher Officiere etwas mehr Licht in dieser 
Richtung verbreitet worden. Der Ankerplatz von Pakhoi bildet den 
südlichen Theil einer von Westen her in’s Land schneidenden Bucht, 
an deren Spitze (nach jesuitischen Angaben 21° 38' 54" n. Br.) die 
Stadt Lien-ehou-fu gelegen ist. Im Süden ist diese Bucht durch 
eine von Nordosten her hervorspringende Landzunge geschützt, die 
sich zu einem Vorgebirge Kuan-t’ou-shan (nach dem Kuang-tuug-t’u 
21° 35' n. Br. und 74° 6' w. Peking, womit man die ca. 5 Meilen 
südlichere wirkliche Lage vergleiche) erhebt. Die chinesische Be- 
schreibung erwähnt Sandbänke von verschiedenen L i in Ausdehnung 
als in der Bucht gelegen. 

In der nordöstlichen Ecke des Meerbusens von Tungking liegt 
der J unkenhafen An-p’u (cant. Om-p’o, der „versteckte Ort“), der 
die Grenze zwischen Kao-chou-fu und dem Gebiet der Halbinsel 
Lei-chou-fu bildet. 

Etwa 21° n. Br. und 109° 0' 45" östl. Gr. (nach früheren See- 
karten weiter westlich, doch nach neueren Beobachtungen fast genau 
südlich vom Hochland von Pakhoi gelegen) befindet sich die Insel 
Wei-chou (Guie-chow Isd. der früheren Seekarten), beschrieben als 
senkrechter Felsen von etwa 400 Fuss Höhe mit zugänglichem Hafen. 
Im Kuang-tung-t’u-shuo wird diese Insel, sowie das benach- 
barte Shö-yang unter den Bergen des Kreises Sui-ch’i, zu dessen 
Jurisdiction es gehört, aufgeführt, und zwar als 70 Li im Umkreis 
haltend. Ein älterer Name der Insel ist Ta-peng-lai (Martini: 



270 


Ta-fung-lai). Nach (1er chinesischen Beschreibung enthalt die 

Insel acht Dörfer, deren Einwohner vom Gemüsebau und der Er- 
zeugung einiger medicinischer Droguen leben. Die Nachbarschaft 
soll Perlenfischereien aufweisen; doch scheint diese Industrie heut 
zu Tage keine besonders ergiebige Ausbeute zu liefern *) Die nahe 
gelegene kleinere Insel She-yang-shan („Sehlangensee-Insel“, auf 
Seekarten Cha-yung Isd.) soll 10 Li Umfang haben. „Zwei 
Fclsenkliffe [500 Fass], die sich gleich Schlangen, denen sie an 
Gestalt ähnlich sind, drohend ansehen, haben der Insel ihren Namen 
gegeben.“ Ein älterer Name ist Ilsiao-peng-lai, „kleine Fecti- 
insel“. 

Die Westküste der Halbinsel nimmt ihren Anfang, wie bemerkt, 
beim Ilafen An-p’u. Etwa 6 Meilen südlich von diesem Punkt, in 
der Nähe des Ankerplatzes Hsia-lu-chiang, cant. Ha-lok-kong, 
werden versteckte Felsen als der Einfahrt im Wege stehend erwähnt. 
In Lo-min, cant. Lok- man (21° 13' n. Br. und 7° 3' w. Peking) 
„können Seeschiffe zu Anker liegen“. Etwa 15 Meilen weiter süd- 
lich wird die Küste wieder felsig und gefährlich; ähnlich wird die 
Einfahrt zu den Ankerplätzen ’Hung-pai (20° 53' n. Br.) und 
’Hai-k’ang, cant. Hoikong, 12 Meilen südlich vom letzteren, 
beschrieben. DieGegend des Ankerplatzes Wu-shih, cant. Wu-shek, 
die auf Karten unter 20° 33' n. Br. den Namen „Mt. Woshek“ ent- 

*) Mr. T. Piry, d. Z. vertr. Zolldirector in Pakhoi, bemerkt in einem 
oftieiellen Bericht über den Handel von Pakhoi (China : Reports on Trade, 1878): 
„Weichow, der einzige Ort, nach welchem der fremde Bewohner [von Pakhoi] 
gern einen gelegentlichen Abstecher macht, ist eine kleine Insel 27 Meilen süd- 
lich von Kwant’ow. Im Jahre 1869 liess sich daselbst ein französischer Priester 
mit 200 Hakka-Flüchtlingen nieder, die als Opfer des unter der Bevölkerung von 
Kuang-tung bestehenden Ra<;enhasses hierher ihre Zuflucht genommen hatten. 
Die Bevölkerung beträgt jetzt bis zu 5000 Seelen, die nicht einen Zoll von dem 
Boden der Insel unbenutzt lassen. — Weichow ist ein vulkanisches Gebilde, eine 
Eigcnthümlichkeit, die ohne Zweifel die Beachtung der Geologen verdient, da 
die Insel einigermassen ausserhalb der gewöhnlichen Vulkan-Linie liegt. Eine 
Anzahl Grotten sind einen Besuch werth. Im Norden der Insel finden sich fossile 
Fusseindrücke. Während der Monate Oktober bis Februar ist Weichow von etwa 
12(X) Fischerböten umgeben, die dem Fange des Tintenfisches nachgehen, einer 
Industrie, die jährlich über 120000 Taels einbringen soll. Zwei Arten Mollusken 
sind hier häufig anzutreffen: eine Art Loligo und die Sepia Officinalis“, Uebcr 
die Perlenfischern sagt. Piry: „Vor drei Jahren sollen die Fischer Perlen im 
Wertlio von 90 000 Taels gewonnen haben. Von Seiten der Regierung wird über 
diesen Erwerbszweig, der wegen der dabei zu bestehenden Gefahren, besonders 
der dort zahlreich vorhandenen Haifische, nicht allzugrüudlich betrieben wird, 
keine Kontrole geübt. Es wird nur alle 10 bis 15 Jahre gefischt. Wie es heisst, 
werden die Perlen von den Fischern in Lienchow verkauft und von da nach 
Canton verschickt.“ 


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271 


hält, wird als „flach und sehr sandig“ beschriehen. Ankerplätze (für 
.Tunken) finden sich ferner hei Liu-sha, cant. Lau-sha (20° 30' 
n. Br.), und Pa -t eng, cant. Pat-tang, 4 Meilen südlich vom 
erstcren. Lau-sha findet sich auf einigen früheren Seekarten. 

Die Südwestspitze der Halbinsel, auf Seekarten „Cape Cami“ 
genannt, besitzt einen Ankerplatz ’Hai-chu-chiang, cant. Iloi- 
ehü-kong, d. h. „Seeperlenhafen“. Die Nachbarschaft dieses 
Punktes soll sich durch einen gewissen Reichtlnun an Conchvlien 
aller Art auszeichnen. Der Name Cami ist, wie es scheint, von 
dem eines an der Landspitze liegenden Dorfes Chio-wei-ts’uu, 
cant. Kok-mi-ts’ttn, d. li. „Horn-Schwanz-Üorf“, „Dorf an der 
vorspringenden Landzunge“, herzuleiten. 

An der Nordküste der Strasse von Ilainan finden sich viele 
kleine Ankerplätze, aber der Hauptverkehr zwischen dem Continent 
und der Insel koncentrirt sich im Hafen Hai -an, cant. Hoi-ngon, 
beinahe gegenüber Hai-k’ou, cant. Hoi -hau, dem Schiffahrts- 
hafen des seit einigen Jahren dem fremden Handel geöffneten 
Kiungchow. Zehn Meilen östlich liegt Pai-sha, cant. Pak-sha, 
d. h. „weisser Sand“, ein Ankerplatz mit Fort. Die Südwestecke 
der Halbinsel wird wieder als felsig und der Schiffahrt gefährlich 
beschrieben. Klippen sollen existiren in der kleinen Bucht von 
Ch’ing-wan-tun (20° 17' n. Br. und 6° 30' w. Peking, — ein 
Punkt, der auf unseren Seekarten in die offene See fällt). Klippen 
stehen der Schiffahrt im Wege von hier bis Nan-shao-wan, cant. 
Nam-shiu-wan (20° 22' n. Br.). Nördlich von dieser Bucht liegt 
ein Fischerdorf Ch’ih-k’an, cant. Ch’ik-hoin (Chuekhum), nicht 
zu verwechseln mit dem von Junken stark frequentirten grösseren 
Hafen gleichen Namens (etwa 21° 19' n. Br. und 110° 30' 30" 0. Gr.) 

Das Landstädtchen Cbin-nang-so, cant. Kom-nong-s h o, 
ist durch einen Ankerplatz 20° 28' n. Br. vertreten, und fünf Meilen 
weiter nördlich findet sich die Bucht Pan-chiu-wan, cant. Pan- 
kau-wan; beide werden als Ankerplätze für See-Junken erwähnt. 
15 bis 20 Meilen weiter nördlich sind in geringer Entfernung von 
der Küste zwei kleine Inseln verzeichnet: Pei-li-fou, cant. Pak- 
1 i - f a u nördlich, und Hsin-ya-fou, cant. San-a-fau südlich. Die 
Einfahrt zum Hafen der Hauptstadt Lei-chou-fu kann nur wenige 
Meilen N.-W. der Insel Pak-li sein. 

Nordöstlich von diesen beiden Inseln, auf allen Seekarten ver- 
zeichnet, findet sich die Insel Nao-chou (Nowchow), bei welcher 
die zwischen Hongkong und Hainau verkehrenden Dampfer öfter an- 
legen, so dass das Land europäischen Seefahrern nicht ganz unbe- 
kannt ist. Der nördliche Theil der Insel wird vom 21. Breitengrad 


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272 


durchschnitten. Im Kuang-tung-t’u-shuo findet sich folgende 
Beschreibung dieser Insel : „Zwei Gipfel von der Gestalt eines Pferde- 
sattels bilden den Ma -an -sh an, d. h. „Sattelberg“ (ein in China 
sehr gebräuchlicher Bergname) im südwestlichen Theil der Insel; 
die Süd-, Ost- und Nord-Küste bietet den Anblick von dunklen Felsen, 
hoch und schlank wie das Pistill der Lotosblume; nur an der West- 
küste findet sich eine Stelle, wo Seeschiffe ankern können. Juuken- 
verkehr findet statt zwischen hier und Pu-ch’ien, cant. P’o-ts’in 
(einer Marktstadt östlich von Ilai-k’ou auf Hainau); die Reise 
nimmt bei günstigem Wind einen Tag und eine Nacht in Anspruch. 
Die Südwestküste ist durch Sandbänke versperrt.“ Als Polizeiamt 
gehört Nao-chou zur Jurisdiktion des Kreises Wu-ch’üan, cant. 
Ng-ch’ün, dem Küstendistrikt von Kao-ch ou fu. Die Bevölkerung 
wurde vor einigen Jahren auf 20,000 Seelen geschätzt, sie geht meist 
dem Fischergewerbe nach, da der Boden au Fruchtbarkeit sich mit 
der gegenüberliegenden Halbinsel nicht vergleichen lässt. Ausfuhr- 
artikel sind, ausser Fischereiprodukten, kleine Quantitäten Zucker. 
Die Umgegend wird stark von Seeräubern heimgesucht. Die fünf 
Forts, die nach dem Kuang-tung-t’u-shuo die Insel beschützen, 
sollen in halbverfallenem Zustand sein. 

Eine andere, weit grössere und fruchtbarere Insel, die erst 
auf den neuesten Seekarten zu finden ist, ist die Insel Tung-shan 
(„Ost-Insel“) oder Tung-’hai, cant. Tung-’hoi („Ost-Meer“, wie 
cs im Kuang-tung-t’ung-chih genannt wird). Sie gehört zum 
Distrikt Sui-ch’i, cant. Sui-k’ai, und ist von diesem durch eine 
enge, vermuthlich für flache Fahrzeuge schiffbare Passage getrennt. 
Ihr Flächeninhalt mag 11 Quadratmeilen betragen. Das nordöstliche 
Kap der Insel wird von einem Hügel Yü-tsui-ling, cant. Wai- 
tsui-ling (Jacquelin Hill) gebildet, „eine steile Felsenmasse, voll 
gefährlicher Schluchten, von beträchtlicher Höhe“. Den im Gesichts- 
kreise des Yii-tsui fahrenden Seeleuten dient der Hügel als Land- 
marke. Die Einwohner von Tung-shan beschäftigen sich theils mit 
Fischerei, theils mit der Erzeugung von Marine-Salz, einem Artikel, 
der einen wichtigen Handelszweig zwischen diesem Theil der Küste 
einerseits und den Provinzen Kuang-tuug und Kuang-hsi, so- 
wie den südlichen Präfekturen von ’Hu-nan und Chiang-hsi anderer- 
seits bildet. Von zwei Ankerplätzen der westlichen, dem Kontinent 
zugekehrten Küste der Insel wird gesagt, dass sie See-Junken zu- 
gänglich sind, Ma-tan und Kou-wei-tsao, cant. Kau-mi-tso, 
zwei bis drei Meilen von einander entfernt liegend. Eine kleinere 
Insel im N.-W. von Tung-shan heisst Tung-t’ou-shan und 
besitzt ebenfalls einen Junkenhafen. Die Gegend von Tung-shan 


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273 


wird als der Schiffahrt gefährlich geschildert: wegen der vielen 

Sandbänke, von denen die A n - s h a, d. h. versteckte Bauk, die Mo- 
tao-sha, d. h. Wetzmesser-Bank, und die Lu-ken-sha-Bank besonders 
erwähnt werden. Der Berg Yü-tsui zeigt die Einfahrt in eine grössere 
Bucht an, bekannt unter dem Namen Kuang- chou-wan. Die Ein- 
fahrt (nach dem Kuang-tung-t'u : 21° 12' n. Br. und 6° 14' w. Peking) 
soll gefährlich sein. Der erwähnte Hafen Ch’ih-k’an liegt inner- 
halb der Bucht. 

Etwa 21° 17' n. Br. und 6° 13' w. Peking mündet der Fluss 
von Wu-ch’üau-hsieu, dem Küstendistrikt von Kao-ehou-fu, an 
dessen Ufern weiter nördlich die Städte ’Hua-chou und Kao-chou 
gelegen sind. Die Einfahrt, Hsien-men-chiang, cant. Han-mun- 
kong, genannt, soll durch Sandbänke erschwert sein, „gleich Bergen, 
die der Wirbelwind aufweht“. Wu-ch’üan soll einen kleinen, aber 
guten Hafen besitzen. (Chinese Repository, Vol. V. S. 334.) Ebbe 
und Flut sind nach du Halde bis Kao-chou-fu bemerkbar. Von 
H a n-mun-kong nach Osten zu bis N a - 1 u - c h i a n g , cant. N a- 
luk-kong (21° 25' n. Br. und 6° 1' w. Peking) ist die Küste auf 
der Strecke von etwa achtzehn Meilen von einer ununterbrochenen 
Sandbank versperrt, dem Yi-tai-an-sha, der „Gürtel-Bank“, wie sich 
der chinesische Name übersetzen lässt. Der Ankerplatz N a 1 u k-k o n g 
bildet die Grenze der Küsten von Wu-eh’üan und Tien-pai. 
Sechs Meilen weiter östlich zeigt die chinesische Karte wieder „ver- 
steckte Riffe“ nahe der Küste. Die annähernde Lage des Hafens 
Shui-tung ist 21° 32' 30" n. Br. und 111° östl. v. Greenwich (nach 
Kapt. Vasallo); das Kuang-tung-t’u setzt diesen Punkt fünf Meilen 
südlicher. Der innere Hafen von Tien-pai, cant. Tin-pak, liegt 
etwa 21° 28' 30" n. Br. und 111° 11' östl. v. Greenwich. 

Shui-tung und Tien-pai sind bekannt als die bedeutendsten 
Handelsplätze an der Küste zwischen Macao und Hainan. In Shui- 
tung sollen monatlich nahe an hundert «funken einlaufen, die in 
Canton und den Häfen von Fu-kien zu Hause sind. Hauptausfuhr- 
artikel ist Salz, das an dieser flussarmen Küste einen ergiebigen 
Produktionszweig der Bewohner bildet. Vgl. Karte der Provinz 
Kuang-tung in Petermann’s Mittheilungen, Jahrg. 1873. 


Ueogr. Blätter. Bremen, 1882. 


18 ^ 

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274 


A. G. Mosle. f 

Am 21. August d. J. traf in Bremen aus Itio die unerwartete 
Nachricht von dem Ableben des Herrn A. G. Mosle ein. Herr Mosle, 
früher Chef eines hiesigen Handlungshauses, Reichstagsabgeordueter, 
Mitglied der Bürgerschaft und der Handelskammer, war lange 
Jahre Präsident unserer Gesellschaft, hat sich grosse Verdienste 
um dieselbe erworben und wurde deshalb auch, als er, bei seinem 
Weggange von Bremen, von diesem Amte zurücktrat, zu ihrem 
Ehrenmitgliede ernannt. Seine Bemühungen sicherten vor 13 Jahren 
die Bildung des Bremischen Komitö’s für die Deutsche Nordpolar- 
fahrt und damit zugleich das Zustandekommen des nationalen Unter- 
nehmens im Jahre 1869. Auch fernerhin, bei der Bildung des 
Polarvereins und der Umwandlung desselben in die jetzige geo- 
graphische Gesellschaft, betlüitigte er lebhaftes Interesse für ein 
fruchtbringendes Wirken unserer Gesellschaft und suchte ihr neue 
Freunde und Gönner zu gewinnen. Ehre seinem Andenken! 


Kleine Mittheilungen. 

§ Die letzten Nachrichten aus dem Eismeer. Während die Schauerberichte 
über den Ausgang der amerikanischen Jeannette-Expedition und den Hungertod 
ihres Führers, des Kapitäns De Long, durch die Zeitungen liefen, rüsteten die 
verschiedenen Expeditionen, welche zur Errichtung der Polarstationen ausgesandt, 
werden. Sie sind nun sämmtlich abgegangen, und wir wissen bereits, dass die 
schwedische Spitzbergen-Station nicht, wie ursprünglich bestimmt, im Norden 
an der Mossel-Bai, die wegen Eis Ende Juli nicht zugänglich war, sondern an 
der Westküste des südlichen Theils von Spitzbergen, bei Kap Thordsen im 
Eisfjord errichtet worden ist. Der erste Versuch der Oesterreicher, ihre Station 
auf Jan Mayen zu erreichen, misslang, da selbst jene vulkanische Felseninsel 
noch im Eis eingeschlossen, daher unnahbar war; nach einigen Wochen ging 
der die Expedition führende Dampfer „Pola“ von Neuem von Norwegen aus, 
und darf man wohl annehmen, dass das Ziel jetzt erreicht worden ist. Unsicher 
ist es im Augenblick noch, ob die niederländische Station, welche der schwedische 
Dampfer „Varna“ nach ihrem Ziele bei Dicksons Hafen an der Mündung des 
Jenissej bringen soll, an ihrem Bestimmungsort angekommen ist. Ende Juli 
waren die ins Karische Meer führenden Strassen der Schiffahrt noch nicht zu- 
gänglich. Verschiedene andere Expeditionen werden zu Lande oder nach kurzer 
Seefahrt ihre Bestimmungsorte erreicht und die Stationen errichtet haben, so 
die norwegische in Bossekop, Lappland, die russischen an der Karmakuli - Bai, 
Nowaja Semlja und an der Lenamündung, die finnische in Sodankylä, die 
dänische in Godthaab, Westgrönland. Die amerikanischen Stationen au der 
Lady Franklin-Bai und auf Point Barrow r wurden schon im vorigen Jahre besetzt 
und sollten in diesem Jahre besucht, neu verproviantirt und ihr Personal er- 
gänzt werden. Die englische Station in Fort Rae, am grossen Sklavensee, wird 


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275 


ohne Schwierigkeit besetzt worden sein. Ob die deutsche Station am Cnmbcrland- 
Snnd hat errichtet werden können, darüber ist bis jetzt, da die „Germania“, 
das führende Schiff, noch nicht zurückgekehrt, keine Gewissheit. Auf 
Labrador sollten deutscher Seits sechs meteorologische Stationen ein- 
gerichtet werden und ist zu dem Zweck Dr. Koch am 13. Juli mit dem 
Missionsschiff „Harmony“ von London nach Nain abgereist. Was die Süd- 
polarstationen anlangt, so hatte das Personal der deutschen Station auf 
Süd-Georgien wohlbehalten Montevideo erreicht, und war nach mehrwöchent- 
lichem Aufenthalt daselbst am 23. Juli mit dem deutschen Kriegsschiff 
.Moltke“ nach jener Insel abgegangen. Von der nach Kap Hoorn zur 
Besetzung der französischen Station am 10. Juli abgegangenen Expedition ist zur 
Zeit ebenfalls noch keine Nachricht eingelaufen. Das Interesse Derer, welche 
an der Polarforschung Antheil nehmen, koncentrirte sich im Uebrigen 
auf zwei Richtungen: einmal auf die glückliche Rettung und Heimkehr der 
Expedition, welche, geführt von dem Engländer Leigh Smith, auf dessen Dampf- 
jacht „Eira“ im Sommer 1881 ausging, um die 1880 gemachten Entdeckungen 
fortznsetzen, und sodann auf die um Mitte Juli d. J. von Kopenhagen ausgegangene 
Expedition Leutnant Hovgaard’s. Es war nicht die Absicht des Herrn Smith, 
auf Franz-Joseph-Land, das er, am 14. Juni 1881 von Peterhead ausgehend, am 
23. Juli desselben Jahres erreichte, zu wintern, doch hatte er sich mit Proviant 
und sonstigen Einrichtungen genügend vorgesehen. Das Schiff kreuzte einige Wochen 
in den Strassen und an den kleineren Inseln und ging am 21. August plötzlich da- 
durch verloren, dass es, an einem Eisfeld ankernd, durch schweres Treibeis ein Leck 
erhielt. Glücklicherweise konnten noch Provisionen, Sehicssvorräthe, Matratzen 
u. A. geborgen werden. Die Besatzung der „Eira“ brachte den Winter in einer 
aus Eis, Schnee und Erde bei Kap Flora auf 79° 66' N. B. und 49° 0. L. 
erbauten Hütte zu; Pelze waren nicht geborgen, wohl aber wollene Kleidung. 
Die Jagd lieferte frisches Fleisch von Bären, Walrosscn und Seehunden in Menge. 
Dem täglichen Genuss frischen Fleisches zu konservirten Gemüsen, sowie der 
fortwährenden Bewegung im Freien schreibt der Arzt Dr. Neale die bemerkens- 
werthe Thatsachc zu, dass keine Spur von Skorbut sich zeigte. Es stimmt dies 
ganz mit den Erfahrungen Leutnant Schwatka’s überein, welche derselbe in einem 
eigenen Artikel unserer Zeitschrift (Band IV, S. 162 u. ff.) auseinandersetzte. Die 
Fahrt im Sommer 1882 in Böten durch und über das mit Eis erfüllte Barentsmecr 
wurde später angetreten und in kürzerer Zeit bewerkstelligt, als der Rückzug der 
Oesterreicher vor 8 Jahren. Diese verliessen das von ihnen entdeckte Land am 
20. Mai 1874 und kamen am 18. August nach Nowaja Semlja, während die 
Engländer erst am 21. Juni aufbrachen und die Küste bei der Matotschkinstrasse 
schon am 2. August betraten, von wo sie bald darauf durch den ausgesandten 
Rettungsdampfer .Hope“ wohlbehalten nach Aberdeen gebracht wurden. Wenn 
auch die von der „Eira“-Expedition gemachten Sammlungen verloren gegangen 
sind und Herr Smith selbst in übertriebener Bescheidenheit die wissenschaftlichen 
Ergebnisse seiner Reise als Null bezeichnet, so stehen doch ohne Zweifel 
werthvolle Aufschlüsse über Winde, Strömungen und Temperaturen zu ver- 
schiedenen Jahreszeiten im Barentsmeere und bis nach Franz-Joseph-Land 
hin in Aussicht Ferner sind die Beobachtungen über das Vogelleben auf jenem 
hochnordischen Felsen-Archipel von hohem Interesse. Erinnert man sich nun, 
dass der Segelschuner „Willem Barents“ im Sommer 1879 Franz-Joseph-Land 
der Schiffahrt zugänglich fand, so ergiebt sich, dass dieses in vier auf einander 
folgenden Jahren, nämlich 1879, 1880, 1881 und 1882 der Fall war. Der Wild- 


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reichthum des Landes nnd die durch die „Eira“ konstatirten Aussichten eines 
leichten Vorwärtsdringens zu Schlitten auf dem Küsteneis nach Norden, das 
Vorhandensein geschützter Baien für die Ueberwinterung eines Schiffes, diese 
Thatsaehen lassen allerdings Franz-Joseph-Land als ein vielversprechendes 
Gebiet, um in bis dahin unerreichte Polarbreiten vorzudringen, erscheinen. 
Dabei scheint der Rückzug nach Nowaja Semlja selbst im Fall des Ver- 
lustes des Schiffs, wenn auch schwierig, doch ausführbar. Leutnant Hovgaard 
will mit dem Dampfer „Dymphna“ vom Kap Tscheljuskin aus nördlich 
die von ihm vermuthete östliche Fortsetzung des Franz-Joseph-Landes 
wenn möglich noch in diesem Herbst erreichen. In einer in dänischer Sprache 
verfassten und jetzt auch ins Englische übersetzten Broschüre hat er seine 
Ideen über Vertheilung von Land und Wasser in dem unbekannten Polargebiete 
auseinandergesetzt und tritt nun, unterstützt durch die Regierung und durch 
bemittelte patriotische Landsleute, für seine Theorie mit der That ein. Der 
Dampfer „Dymphna“ ist ein Schiff von 107 Fuss Länge, 22'/s Fuss Breite und 
150 Tons Tragfähigkeit; die Besatzung besteht aus 18 Personen. Die Kosten 
der Expedition, welche im Herbst 1883 zurückkehren soll, sind wie folgt beschafft : 

50.000 Kronen gab die Regierung, 97,000 Kronen Herr Augustin Gamel, 

18.000 Kronen Herr Arnold Gamel, 25,000 Kronen Frau Augustin Gamel und 
Kinder, zusammen 210,000 Kronen. Die .Dymphna' lag nach den letzten Nach- 
richten Anfang August noch vor der Matotschkinstrasse, deren Oeffnung durch 
die Bewegung des Eises erwartend ; in gleicher Lage befanden sich Dampfer 
„Louise“, von Bremen nach dem Jenissej bestimmt, Dampfer „Varna“ für die 
niederländische Station bei Dickson’s Hafen und Dampfer „Nordenskiöld“. Der 
letztere, Eigenthum des Herrn Sibiriakoff, hat zwei Dampfbarkassen, eine Dampf- 
maschine für die sibirischen Goldwäschereien und englische Waaren an Bord, und 
soll am Jenissej eine Ladung chinesischen Thees, sowie etwa von dem in der 
Gyda-Bai gestrandeten Dampfer „Oskar Dickson“ geborgene Güter anfnehmen. 

Aus dem europäischen Eismeer ist vor Kurzem Dampfer „Eclipse“, Kapt. 
Gray, mit gutem Fang, 250 Tons Walthran, nach Peterhead zurückgekehrt. 
Auch im vorigen Sommer brachte Kapt. Gray einen reichen .Fischsegen“ mit 
und somit könnte man fast vermuthen, dass das früher für den Walfischfang 
bo wichtige, neuerer Zeit aber wegen Unergiebigkeit des Fangs fast vollständig 
von den Walern verlassene Grönlandsmeer sieh wieder mit den werthvollen 
Cctacecn belebt hätte. Island war an seiner Nordseite noch Anfang August von 
Eis umgeben, die kalte Witterung hat das Gedeihen der ausgedehnten Schaf- 
weiden der Insel verhindert und die letzten Berichte melden uns ein massen- 
haftes Viehsterben. In vier Aemtern fielen über 25,000 Schaafe. 

Ob die Verhältnisse zum Vordringen im europäischen Eismeer günstig 
oder (wie anderweit berichtet worden) ungünstig sind, darüber wagen wir noch 
kein endgültiges Urtheil. Eine späte Saison ist es jedenfalls, im August können 
sich aber die Verhältnisse sehr günstig gestaltet haben. Bemerkenswert h 
sind die Berichte ans Amerika über die Eisfelder und Eisberg-Trift aus der 
Davisstrasse in den atlantischen Ocean, welche bekanntlich jedes Frühjahr und 
jeden Sommer stattfindet und dem oceanisc.hen Dampferverkehr mehr oder 
weniger lästig, wenn nicht gefährlich ist. Diese Trift währte in diesem Sommer 
bis in den August hinein. Der in Ncwyork am fi. August angekommene Dampfer 
„Vandalia“ passirte acht Eisberge von 100 bis 120 Fuss Höhe. Am 30. Januar 
traf der Dampfer „Glamorgan“ auf 47° N. B. und 48° W. L. ein auf mehr als 
40 miles sich erstreckendes Eisfeld. Von dieser Zeit an häufte sich das Eis bei 


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277 


der Küste von Neu-Fundland. Anfang März lag es von dieser Insel südöstlich 
etwa 200 miles. ln der ersten Hälfte des Monats Mai waren alle Häfen von 
Labrador durch Eis blockirt und noch am 10. Jnni hatte ein englisches Schiff, 
das nach Newyork fuhr, sich seinen Weg durch ein auf 250 miles Breite von 
Eisbergen erfülltes Meer zu bahnen. Das Areal des atlantischen Oceans, welches 
mit Eis-Bergen und -Feldern durchsetzt, war, erstreckt sich nahe an den 
40. Breitengrad zwischen dem 44. und 53. Längengrad, über 200,000 Quadratmilcs. 

Nachschrift. Nachdem, wie diese Zeilen geschrieben, lief aus Schottland 
die Nachricht ein, dass die österreichische Station auf Jan Mayen errichtet worden 
und am 1. August in Wirksamkeit getreten ist. Um Mitte Juni lief der Expe- 
ditionsdampfer .Pola“ von Bergen zum zweiten Male aus. Auf fünf geographische 
Meilen Entfernung von der Insel wurde die Fahrt durch Treibeis aufgehalten. 
Die .Pola“ ankerte au der Nordseite der Insel in der Marie Muss Bucht; am 
14. Juli begann die Ausschiffung des Personals, der Instrumente, Häuser, Pro- 
viant n. A., eine Arbeit, welche über eine Woche, Tag und Nacht, währte. l)cr 
Beobachtungspunkt liegt nach den vorläufigen Beobachtungen auf 71 0 0' N. B. 
und 8 0 26' W T . L. Gr., und wurden fünf Gebäude auf dem schmalen, flachen 
Landstreifen, welcher den gebirgigen nordöstlichen und südwestlichen Theil der 
Insel verbindet, und zwar in einer, von einem Gletscherbach durchzogenen Thal- 
senknng, dem jetzt so getauften Wilezek-Thal, errichtet. Uebcr einige Einzel- 
heiten berichtet die .Wiener Neue Presse" wie folgt: . Das Klima wird als sehr 
rauh geschildert; Nebel und Regen herrschten während der Zeit von Anfang 
Juli bis Mitte August vor, und das Thermometer erhob sich selten über -f-3° C., 
sank aber auch unter Null Grad. Die von der Ueberwinterung der in 1633—34 
zu Grunde gegangenen Niederländer herstammenden Hütten wurden aufgefunden. 
Dieselben sind aus Ziegclwcrk erbaut und haben eine Holzverkleidung an den 
Innenwänden. Noch während der Anwesenheit des kaiserlichen Dampfers „Pola“ 
unternahm eine Gesellschaft eine Besteigung des 6000 Fuss hohen Bcerenberges, 
allein cs gelang unter grossen Schwierigkeiten über unwegsame Gletscher, nach 
neunstündiger Wanderung nur eine Höhe von 5000 Fuss (bis an den Rand des 
Kraters) zu erreichen, wonach der Weiteraufstieg wegen mangelhafter Ausrüstung 
aufgegeben werden musste. Man vermuthet, dass der Beerenberg durchaus kein 
erloschener Vulkan sei, da sich an seinen Abhängen verschiedene Spaltungen 
vorfinden, welchen heisse Schwefeldämpfe entströmen. Diese Fumarolen sowohl, 
wie bedeutende Lager von Lava, endlich ein dumpfes Rollen, welches die Expe- 
dition bereits zu beobachten Gelegenheit hatte, lassen diese Vermuthung gerecht- 
fertigt erscheinen. Die wenig aufgesuchte und deshalb nur oberflächlich bekannte 
Insel Jan Mayen würde somit dem vulkanischen System Islands, als dessen etwa 
80 geographische Meilen entfernter Ausläufer, zugezählt werden müssen. Be- 
kanntlich ist die wissenschaftliche Erforschung der Insel und deren Neuaufnahme 
auf das Expeditionsprograinm gesetzt worden.“ Mit der .Pola“ kehrte Graf 
Wilczek, aus dessen Freigebigkeit die Gesammtkosten der Expedition — abge- 
sehen von denen des Transports durch den zur österreichischen Kriegsmarine 
gehörenden Dampfer „Pola“ — bestritten wurden, nach Edinburgh zurück. 

Auch in der Davisstrasse war, den aus Dundee vom 2. September uns zu- 
gehenden Berichten zufolge, der Wal fisch fang der schottischen Dampfer ein 
sehr ergiebiger. Der zuerst in Dundee angekommenc Steamer „Polynia“ tödtete 
11 Wale innerhalb 8 Tagen, welche etwa 125 tuns (ä9 — 10 Tonnen) Th ran liefern 
werden. Andere Dampfer hatten ähnliche Erfolge, so die „Aurora,“ deren Fang- 
ertrag sich auf 120 tuns belief und „Mazentliieu“ mit !K) tuns. 


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§ Reisen des Dr. Finsch. Herr Dr. Otto Finsch, welcher seit 2'/a Jahren 
im Aufträge der Humboldt-Stiftung der Königlichen Akademie der Wissenschaften 
in Berlin Polynesien und Australien bereist, wird nunmehr bald nach Deutschland 
zurückkehren. Ein grosser Theil seiner sehr bedeutenden und reichhaltigen 
Sammlungen ans allen Gebieten der Naturwissenschaften und Ethnographie ist 
in Berlin angekommen, ein anderer Theil ist unterwegs. Herr Dr. Finsch verliess 
Europa im Frühjahr 1879, um sich zunächst nach den Sandwich-Inseln zn begeben. 
Von da segelte er nach den Marschalls-Inseln, wo er sich längere Zeit aufhielt. 
Darauf wurden die Carolinen und Neu-Britaunien, ferner Neu-Seeland, das 
australische Festland und Tasmanien besucht. Längs der Ost-Küste Australiens 
fuhr der Reisende sodann nach der in der Torres-Strassc belegenen Thursday- 
Insel, wo er für längere Zeit Station nahm. Er besuchte eine Reihe von Inseln 
der Torresstrasse, sowie die nahe Nordküste Australiens und fuhr dann in einem 
kleinen Schuner nach der Südküste von Neu-Guinea (Port Moresby), wo er sich 
wiederum eine längere Zeit aufhielt und Sfreifzüge längs der Küste sowie ins 
Innere machte, lieber Batavia kehrt Herr Dr. Finsch jetzt nach Deutschland 
zurück. Ahgesehen von einigen wenigen kurzen Mittheilungen in einzelnen 
Fachzeitschriften, sowie einer Reihe durch die .Hamburger Nachrichten“ publicirter 
sehr interessanter Feuilletons hat Herr Dr. Finsch über seine Reisen und 
Forschungen noch nichts veröffentlicht und darf man daher nach seiner Rückkehr 
einer für die Kunde von Polynesien und Australien werthvollen und wichtigen 
Publikation entgegenseheu. 

§ Die Kryolithbriiclie bei Ivigtut in Siidwestgrönland. Herr Ingenieur 
S. Fritz macht in dem neuesten Hefte der Zeitschrift der dänischen geographischen 
Gesellschaft über die Kryolithbrüche in Westgrönland eine Reihe von Mitthcilnngen, 
denen wir das Nachfolgende entnehmen. Ivigtut liegt am Arsukfjord auf 48° 
10' 37" W. L. und 61° 12' 12" N. Br., etwa vier Meilen von der Davisstrasse; 
die Schiffe ankern in der Nähe auf offener Rhede in 20 bis 30 Faden Wasser. 
An der Südseite des Fjords öffnet sich Ivigtuts Dal und hier, in einem Gneiss- 
und Granitgebirge, befinden sich die Kryolithlager, deren Ausbeutung, behufs der 
Fabrikation von Soda, im Jahre 1856 begann. Eine in Kopenhagen ctablirtc 
Gesellschaft erhielt die Concession. Seitdem werden jährlich 20 —30 Schiffs- 
ladungen ä 400 Tons Kryolith an verschiedene Fabriken in Europa und Amerika 
(Philadelphia) verführt, und hat die Gesellschaft dem Staat eine jährliche Abgabe 
von etwa 100,000 Kronen zu zahlen. In Folge des Klimas können die Brüche 
nur etwa sechs Monate im Jahre (April bis Oktober) bearbeitet werden. Die 
Zahl der Arbeiter beträgt 100 bis 150, sämmtlich Dänen. Besondere Aufmerk- 
samkeit und Sorgfalt erfordert die Vcrproviantirung dieses so isolirten und eine 
kürzere oder längere Zeit, je nach den Eisverhältnissen, unzugänglichen Industrie- 
etablissements ; in grossen Packhäusern müssen stets bedeutende Vorräthe aller 
Art gehalten werden, eine Dampfküche, Biauerei, Bäckerei, Viehzucht (haupt- 
sächlich Schweine) und Gemüsebau (die Erde dazu muss zu Schiffe hcrangeführt 
werden) sind in Betrieb. Die Grönländer liefern Wild, Geflügel und Fisehe; 
ein Gebirgsbach, Abkömmling des Gletschereises, bietet klares Wasser. Auch 
an einer Badeanstalt fehlt es nicht. Im Ganzen zählt das Etablissement an 
50 Wohn- und sonstige Gebäude, welche zusammen einen Flächenraum von 
30,000 Quadratfuss einnehmen. In den Brüchen arbeiten ein paar Dampfmaschinen 
zum Auspumpen des angesammelten Wassers, während zwei andere die los- 
gelösten Blöcke heben. Letztere werden auf Schienen zum Ladeplatz geschafft. 


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279 


an welchem drei Schiffe gleichzeitig ihre Ladung einnehmen können. Im Winter 
wird das Arbeitspersonal durch Vorarbeiten für die Sommersaison, Reparaturen 
an den Gebäuden, Jagd und Fischerei beschäftigt. Für Unterhaltung und 
Belehrung ist durch eine Bibliothek, Kegelbahn, Billards u. A. gesorgt. Trotz der 
grossen Regenmenge wird das Klima von Ivigtut, wegen der reinen Borglnft als 
sehr gesund geschildert. 


§ Reisebemerkungen aus dem nordöstlichen Sibirien. Im Winter 1882 reiste 
Herr Gildcr, Korrespondent des „Hcrald“, von der Nordküste der Tscliuktschen- 
Halbinsel, wo der Dampfer „Rodgers“ eine Station als Zuflucht für etwa das Land 
erreichende Leute der „Jeannette“ errichtet hatte, nach Jakutsk, um die Nach- 
richt von der Zerstörung jenes Schiffes durch Brand baldmöglichst, nach Europa 
gelangen zu lassen. Der Schilderung dieser Reise, welche durch selten besuchte 
Gegenden ging, sind die nachstehenden Notizen entnommen. Gilder verliess 
die Station zu Schlitten mit einem Führer in den ersten Tagen des Januar 
Die Reise ging zu Anfang immer längs der Küste, die Nächte wurden in 
Niederlassungen der Tschuktschen zngebracht, wo man die Reisenden gast- 
freundlich empfing und sie mit Walross-, Seehunds- und Renthierfleisch be- 
wirthete. Zuweilen übernachtete man in zur Zeit verlassenen Sommerdörfern 
der Fischer, in deren Hütten sich indessen immer Vorräthc von Lebensmitteln 
(Bärenfleisch und gefrorne Fische) fanden, die man benutzte, zuweilen wurde 
auch im Freien bei einem Feuer aus Treibholz genächtigt. Mehr als einmal 
überfiel die Reisenden eine Purga, ein Schneesturm und die Kälte war bisweilen 
unerträglich. Ueber Nischni Kolymsk, wo Herr Gilder die gastlichste Aufnahme 
und bereitwillige Hülfe fand, erreichte derselbe das weiter an der Kolyma 
gelegene Sredni Kolymsk am 5. März. Die Einwohnerzahl dieses Orts giebt er 
auf 600 (Russen, Jakuten und einige Tschuktschen) an. Die Behausungen sind 
sämmtlich Blockhäuser. Die Kirche ist ein stattlicher Bau. Die Anlage des 
Ortes ist eine sehr weitläufige und unregelmässige; etwa eine englische Meile vom 
Mittelpunkt liegen die Regierungsgebäude, d. h. die Lagerhäuser für Korn, 
Brod und für die als Steuern abgclieferten Felle. Die Häuser sind in der 
Regel in drei Abtheilungen getheilt; in der Mitte brennt ein mächtiges Feuer. 
Die Hauptspeisen bilden Renthierfleisch, Fisch, Roggenbrod und Thee. Die 
Fische werden sowohl roh (in gefrornem Zustande mit etwas Salz) als gesotten 
und gebraten verzehrt. Der Preis eines fetten Rcnthierbocks war in Sredui 
Kolymsk 5 Rubel. Thee ist neben Schnaps auch hier, wie in ganz Russland, 
das allgemeine Getränk bei allen Mahlzeiten ; man geniesst vier bis fünfzehn 
Tassen mit oder ohne Milch; da in dieser abgelegenen Gegend der Zucker sehr 
theuer ist, so erhält jeder an der Mahlzeit Theilnehmende nur ein Stück, an 
dem er von Zeit zu Zeit saugt. Schnaps trinkt man ein Glas vor der Mahl- 
zeit, ein Glas vor, ein Glas zu und ein Glas nach jedem Gericht, endlich 
ein Glas zum Schluss! Die Sitte der Bekreuzigung beim Eintritt in das Haus, 
sowie vor und nach dem Essen besteht auch in diesem abgelegensten Theil des 
ausgedehnten russischen Reichs. 


§ Die Zahl der Deutschen in den Vereinigten Staaten. Herr Th. Poeseho, 
Beamter des Schatzamts in Washington, hat auf Grund der letzten und der 
früheren Censuserlicbungcn, der Publikationen des statistischen Büreaus des 
Schatzamts und der Veröffentlichungen des statistischen Amts des Deutschen 
Reichs eine neue Berechnung der Zahl der in den Vereinigten Staaten lebenden 


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Deutschen versucht und uns darüber eine Zusammenstellung freundlichst ein- 
gesandt, der wir das Folgende entnehmen. Die Zahl der Deutschen und ihrer 
Nachkommen in den Vereinigten Staateu setzt sich aus vier Theilen zusammen. 
Die Zahl der am 1. Juni 1880 gezählten in Deutschland geborenen Deutschen 
betrug 1,966,742. Das ausgearbeitete Werk über den Census von 1880 ist noch 
nicht erschienen und daher die erste im Lande geborene deutsche Generation noch 
nicht zu ersehen. Der Census des Jahres 1870 ergab aber, dass sie nahezu “i’a der 
Zahl der Eingewanderten betrug. Angenommen, dass das Verliältniss 1880 
dasselbe geblieben, so berechnet sich die Zahl der ersten deutschen Generation 
für 1880 auf 1,751,107. Als drittes Element erscheinen die Nachkommen der 
alten deutschen Einwanderung vor 1780. Da die früheren Volkszählungen die 
Nationalität der Eingeu änderten nicht berücksichtigten, so musste Herr P. eine 
Schätzung vornehmen und gelangte dabei, unter sorgfältiger Berücksichtigung 
aller Verliäitnisse, zu dem Resultat, dass im Jahre 1780 die Zahl der Deutschen 
und ihrer Nachkommen in den Vereinigten Staaten 158,600 Personen (‘/ia der 
weissen Bevölkerung) betrug und sich diese Zahl in 100 Jahren auf 2 */s Millionen 
Individuen gesteigert haben wird. Die Zahl der Nachkommen der nach 178J 
eingewanderten Deutschen, mit Ausnahme der ersten Generation, nimmt Hen 
P. auf 500,000 an. Somit ergiebt sich als Gesammtzahl der Deutschen in den 
Vereinigten Staaten im Jahre 1880 : 6,717,849. Von 1830 an betrug die deutsche 
Einwanderung, in zehnjährigen Perioden berechnet, mit einer einzigen Ausnahme 
zwischen V« und '/a der Gesamrateinwanderung der Vereinigten Staaten. Herr P. 
hat auch eine Berechnung darüber angestellt, wie sich die cingewanderten 
Deutschen der Zahl nach auf die verschiedenen Staaten und Territorien in den 
Censusjahren 1870 und 1880 vertheilten. Diese Tabelle ergiebt, dass zum ersten 
Mal sich 1880 in einigen Staaten eine Abnahme zeigt. Es sind dies die früheren 
Sklavcnstaaten Maryland, Missouri, Virginien, Louisiana, Tennessee und Mississippi, 
Die grösste Zunahme ist jenseits des Mississippi und zwar steht das junge Acker- 
bau-Territorium Dakotah an der Spitze : hier verzehnfachte sich die Zahl der 
deutschen Einwanderer im Jahre 1880 gegen diejenige in 1870. Im Staate Newyork 
war eine Zunahme von 12,3 °/o, im Staate Illinois von 15,8 °/u, im Staate Penn- 
sylvauien betrug sie nur 5,2 °/o und im Staate Missouri nur 6 “/<>. Der Zug der 
deutschen Einwanderung geht also jetzt vorzugsweise nach Norden und Nordwesten. 


* Arktis nennt Karl Pettersen eine grosse Landmasse, welche sich einst 
zwischen Norwegen, Novaja-Semlja und Spitzbergen ansdehnte, und welche nach 
der Meinung des rührigen Geologens von Tromsöe bis in die Quartärperiode, 
sei es als ununterbrochene Laudinasse, sei es als Inselncomplex, bestand. Dies 
sucht Pettersen in einer kleinen Schrift nachzuweisen, welche jüngst im „Archiv 
for Mathematik og Naturvidenskab in Christiania“ als Fortsetzung einer früher 
schon in den Schriften der „Geologischen Gesellschaft in Stockholm“ (Bd. II. 1874) 
mitgctheilten Abhandlung erschienen ist. Der Nachweis stützt sich im wesent- 
lichen auf das Vorhandensein eines submarinen Plateaus in der Gegend der 
„Arktis“, welches Plateau besonders durch die neuen norwegischen Expeditionen 
constatirt ist. Im geologischen Bau Norwegens und Spitzbergens wird ein 
weiterer Beweis für die frühere Existenz einer Arktis gesucht. Norwegen 
erscheint nach dieser Darstellung als der Rand eines früheren Kontinentes, 
welcher aus grössentheils mesozoischen Schichten bestehend, sich nach Westen 
bis an die grossen Tiefen des atlantischen Oceans und nördlichen Eismeeres 
erstreckte. Dass diese Landmasse sich bis zum Schlüsse der Quartärperiode 


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erstreckte, wird durch einen Vergleich der Glacialphänomene und jungen marinen 
Schichten Norwegens mit den entsprechenden Bildungen Spitzbergens, durch 
das Auftreten der Renthiere auf letzterer Inselgruppe, durch die Wege, 
welche die Zugvögel von Norwegen nach Spitzbergen einschlagen, und durch 
das Vorkommen von Bimsteinfragmenten in alten Strandbildungen Norwegens 
wahrscheinlich zu machen gesucht. Die Arktis soll den Golfstrom von Nor- 
wegen abgehalten haben; derselbe bespülte die Küsten Spitzbergens, und dieses 
genoss damals ein mildes Klima, während gleichzeitig Norwegen ein kaltes 
Kontinentalklima besass und sich daher vergletscherte. So war nach Pcttersen’s 
Ansicht die Arktis die Ursache des nordischen Glacialphänomens. Zerstört 
wurde die Arktis durch die Wirkungen der Brandung. Penck. 


§ Die italienische antarktische Expedition. Aus den Südpolarregionen 
kam kürzlich die Kunde, dass Leutnant Bovc auf der Höhe von Kap Hoorn 
Schiffbruch gelitten, sich jedoch auf einem englischen Schiff gerettet habe. 
Spätere Nachrichten bestätigten diese Kunde. Herr Bove, in Begleitung zweier 
italienischer Naturforscher, kreuzte mit der kleinen, die englische Flagge 
führenden Brig .San Jose“ im Mai in den schmalen und vielfach gewundenen 
Wasserstrassen zwischen Sandy Point und Kap Hoorn und landete zu natur- 
wissenschaftlichen Forschungen an verschiedenen Punkten. Ende Mai war das 
Schiff bei einem dreitägigen Sturme in der Sloogeb-Bai so gefährdet, dass cs auf 
den Strand gesetzt wurde. Die gesammte Besatzung rettete sich, das Schiff ging 
aber verloren. Nach zehntägiger mühevoller Wanderung wurden die Leute durch 
das englische Missionsschiff „Allen Gardiner“ aufgenommen und nach der 
Missionsstation Yeshoovia geführt, wo sie freundlich aufgenommen wurden. Die 
beiden Naturforscher gingen von hier nach Punta Arenas und von diesem 
chilenischen Hafen Patagoniens zu einer neuen Kreuze nach der Magalhaens- 
strasse aus, um schliesslich in Santa Cruz das Expeditionsschiff „Cabo de Homos“ 
zu erreichen. Leutnant Bove besuchte in dem Missionsschiff „Gardiner“ mehrere 
Baien des westlichen Feuerlandes und wollte später mit seinen Gefährten wieder 
Zusammentreffen. 

Deutsche Kelunisationsgesellschalt fiir Argentinien. In Berlin ist eine 
Aktiengesellschaft in der Bildung begriffen, welche sich die Aufgabe stellen wird, 
Ländereien zunächst in Argentinien, sodann in Paraguay und Chile zu erwerben 
und dieselben durch deutsche Auswanderer zu besiedeln. 




Druck von Carl Schiineuami. Bremen. 


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Heft 4. 


Deutsche 


Band V. 


Geographische Blätter. 

Herausgegeben von der 

Geographischen Gesellschaft in Bremen. 


BcitrÄge lind .sonstige Sendungen an die Redaktion werden unter der Adresse : 
Dr. M. Lindeninn, Itremen , Mendestraaie 8, erbeten. 

Der Abdruck der Original- Aufsätze dieser Zeitschrift ist nur nach Verständigung 
mit der Redaktion gestattet. 


Die internationalen Polarexpeditionen 

von Professor Dr. C. Borgen. 


Wissenschaftlicher Standpunkt bezüglich der Meteorologie und des Erdmagnetismus. — 
Vorgeschichte der internationalen Polarforschung. — Diu deutschen Expeditionen, 
ihre Ausrüstung und Abreise. — Programm der internationalen Beobachtungen. — 
Beobachtungen in mittleren Breiten zur Ergänzung der Polarbeobachtuugen. — 
Neueste Nachrichten über die Expeditionen. — Zusammenstellung der ausgesendeten 

Expeditionen. 

Von jeher hat man hei arktischen Reisen neben den rein geo- 
graphischen Entdeckungen grossen Werth auf die Erlangung allgemein 
wissenschaftlicher, namentlich geophysikalischer Beobachtungen gelegt, 
und mit Recht, Denn der Mangel oder die geringe Zahl einer 
Bevölkerung im hohen Norden, welche in keiner Weise im Stande 
und auch nicht geneigt ist, den Reisenden irgend welche Schwierig- 
keiten in den Weg zu legen, die gewaltige Stütze, welche das Vor- 
handensein eines Schiffes mit seiner zahlreichen Besatzung und seinen 
Materialien gewährte, der vielmonatliche gezwungene Aufenthalt an 
einer und derselben Stelle, das Bedürfniss nach Beschäftigung während 
des Stillliegcns des Schiffes, alles dies sind Umstände, welche die 
Erlangung speciell meteorologischer und magnetischer Beobachtungen 
in hohem Maasse begünstigten und herausforderten. So sahen •wir 
denn auch kaum eine einzige Expedition nach dem Norden ziehen, 
ohne dass sie eine mehr oder weniger ausgedehnte Reihe von Beob- 
achtungen auf diesen Gebieten mit nach Hause brachte und einzelne 
unter denselben werden als auf dem einen oder anderen Gebiete 
besonders hervorragend, in der Geschichte der Wissenschaft stets mit 
hoher Achtung genannt werden. 

Alle bisherigen Expeditionen aber arbeiteten jede für sich, es 
traf nur selten, dass mehrere Expeditionen zu gleicher Zeit im Norden 
weilten und diesen fehlte der gemeinsame Arbeitsplan, so dass ihre 
Beobachtungen nur im Allgemeinen vergleichbar waren. So werthvoll 
nun auch die Nachrichten über die meteorologischen und erdmagne- 


lieogr. Blätter. Bremen, 1882. 


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284 


tischen Verhältnisse sind, welche die zahlreichen Expeditionen zurück- 
brachten, so war doch längst schon erkannt, dass ein wirklicher 
Fortschritt in der Erkenutniss der Ursachen und des Zusammen- 
hanges der Erscheinungen erst durch das Zusammenwirken Vieler 
an verschiedenen Orten erzielt werden konnte. Aus diesem Gesichts- 
punkte wurde durch die Bemühungen Humboldt’s und Gauss’ im 
Jahre 1835 der magnetische Verein ins Leben gerufen, dessen Arbeiten 
in erdmagnetischer Beziehung epochemachend geworden sind; der- 
selbe Gesichtspunkt bestimmte die englische Regierung im Jahre 1839 
zur Aussendung der berühmten Expedition unter Sir James Clarke 
Ross, deren eine Hauptaufgabe die Errichtung magnetischer Obser- 
vatorien in St. Helena, Kapstadt und Hobarttown war, sowie zur 
Errichtung eines magnetischen Observatoriums in Toronto, welche 
alle in engem Anschluss an den magnetischen Verein beobachteten. 
Auf demselben Standpunkte standen Dove und andere, die ebenfalls 
auf die Anregung Humboldt’s und der Mannheimer meteorologischen 
Gesellschaft handelten beim Inslebenrufen der zahlreichen Netze 
meteorologischer Beobachtungsstationen. 

Es ist Jedem, der sich nur einigermaassen mit den hier in 
Frage stehenden Wissenschaften beschäftigt hat, bekannt, welche 
Fortschritte dieselben diesen Bemühungen und der Bearbeitung der 
Beobachtungen durch Gauss, Weber, Sabine, Dove u. A. verdanken. 
Aber gerade der Fortschritt der Erkenutniss zeigte die Lücken, 
zeigte vor Allem, dass man zu einer Erkenntniss der Ursachen und 
damit zu einer vollen Erklärung des Wesens der so überaus wechsel- 
vollen Erscheinungen nur dann gelangen könne, wenn man die Einzel- 
zustände, welche an verschiedenen Orten zu möglichst nahe gleicher 
Zeit stattfinden, studirte. Dies hatten für die magnetischen Er- 
scheinungen schon Humboldt und Gauss erkannt und es wurden daher 
gleichzeitige Termine an einer grosseu Reihe von Stationen der ge- 
mässigten Zone abgehalten, an denen nach gemeinschaftlichem Plane 
und nach gemeinschaftlicher (Göttinger) Zeit beobachtet wurde. Auf 
dieser Erkenntniss beruht auch die neuere Meteorologie und der 
erst in neuerer Zeit ins Leben getretene telegraphische Witterungs- 
dienst. Nur durch das Studium des gleichzeitigen Witterungs- 
zustaudes über einem ausgedehnten Gebiete ist es möglich geworden, 
gewisse Gesetze, wie den so überaus wichtigen Zusammenhang 
zwischen Luftdruck und Richtung und Stärke des Windes zu erkennen, 
und dadurch, dass an einer Centralstelle telegraphisch die Beob- 
achtungen der zu bestimmten Tagesstunden stattfindenden Witterung 
Zusammenkommen, einigermassen zutreffende Prognosen der kommen- 
den Witterung zu erlassen. 


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Es würde zu weit führen, wenn wir die Entwickelung der Wissen- 
schaften weiter ins Einzelne verfolgen wollten, es möge genügen zu 
sagen, dass der heutige Standpunkt der Wissenschaft der ist, dass 
man das grösste Gewicht auf das Studium gleichzeitiger meteorolo- 
gischer und magnetischer Zustände legt und daraus den entscheidend- 
sten Fortschritt für diese beiden Zweige der Wissenschaft erhofft. 
Wurde einmal das Hauptgewicht auf das Studium der Einzelzustände, 
und damit besonders auf das Studium derjenigen Zustände, welche 
einen bestimmt ausgeprägten Charakter tragen, d. h. auf die Ab- 
weichungen von der Regel, auf die Störungen gelegt, — halien doch 
Buys-Ballot und Mohn ihre glänzenden Entdeckungen über den 
Zusammenhang zwischen Luftdruck und Wind durch das Studium 
der Stürme gemacht, — so wurde es natürlich nothwendig die Störungen 
dort aufzusuchen, wo sie am intensivsten Auftreten, nämlich in den 
Polarregionen. 

In der That wird man, um nur eins herauszuheben, zu einer 
klaren Vorstellung über die Ursachen, warum ein so grosser Theil 
der Depressionen, welche den nördlichen atlantischen Ocean entlang 
ziehen, ganz bestimmte Wege geht und von ihnen namentlich die 
Route über Island ins Eismeer bevorzugt wird, was aus ihnen wird, 
wenn sie sich im Eismeer verlieren, erst dann gelangen, wenn man 
gleichzeitige nach demselben Plane angestellte meteorologische Beob- 
obachtungen von beiden Seiten ihrer Bahnen haben wird. Die 
europäischen Netze meteorologischer Beobachtungsstationen können 
naturgemäss nur die eine Seite der Bahnen der Depressionen berück- 
sichtigen, es sind daher Beobachtungen aus den Polargegenden noth- 
wendig, um dieselben von beiden Seiten begrenzen zu können und 
dadurch diejenige Aufklärung zu erzielen, welche für die Beurtheilung 
unseres Wetters, welches ja in so hohem Grade von den Bahnen der 
Depressionen abhängig ist, unbedingt erforderlich ist. 

In noch viel höherem Maasse als von den zu erwartenden 
meteorologischen Resultaten gilt die Nothwendigkeit gleichzeitiger 
Beobachtungen von den magnetischen. Schon die Beobachtungen 
des magneti-chen Vereins hatten gezeigt, dass die Veränderungen, 
welche in dem magnetischen Zustande der Erde vor sich gehen, 
sich über einer grossen Strecke fühlbar machten, dass gleichzeitig 
in Upsala und in Mailand (freilich in sehr verschiedenem Grade) 
die Nadel nach derselben Seite abwich, und dass die Bewegungen 
der Nadel genau korrespondirteu. Spätere Beobachtungen, nament- 
lich das Studium der durch photographische Registrirung erhaltenen, 
haben dies Resultat in vollstem Maasse bestätigt, sie zeigten aber 
auch zugleich, wenn man sie mit den Beobachtungen arktischer 


20 * 



286 


Expeditionen verglich, dass zwar die Gleichzeitigkeit, der plötz- 
lichen Störungen blieb, dass aber die Richtung, in welcher die 
Störung erfolgt«, die entgegengesetzte wurde, sobald man eine 
gewisse Breite überschritt, und es zeigte sich, dass man einen Gürtel 
um die ganze Polarzone ziehen könne, jenseits welchem die Ab- 
weichung der Magnetnadel von ihrem Normalstande in der entgegen- 
gesetzten Richtung erfolgte wie diesseits. Da sich zugleich heraus- 
stellte. dass auf diesem Gürtel die Nordlichter am häufigsten 
vorzukommen pflegten, so hat man denselben den Nordlichtgürtel 
genannt. Derselbe fällt nicht mit einem Parallelkreise der Erde 
zusammen , sondern erstreckt sich zwischen Spitzbergen einerseits 
und Nowaja - Semlja und Norwegen andererseits über das südliche 
Grönland, Labrador, die Hudsons-Bai-Länder und nördlich von Asien 
herum, und es liegt sein Mittelpunkt nach Nordenskjöld etwa in 
81° Nordbreite und 80° Westlänge von Greenwich.*) Südlich von 
diesem Gürtel werden die Nordlichter im Norden, nördlich derselben 
im Süden beobachtet, und es sind auf demselben und in seiner Nähe 
die Störungen der Magnetnadel am grössten. Es leuchtet also von 
selbst die grosse Wichtigkeit ein, welche man gleichzeitigen Beob- 
achtungen an einer Reihe von Punkten beilegen muss, die, wenn 
möglich, auf beiden Seiten des Nordlichtgürtels gelegen sind. — Die 
Theorie verlangt und die Erfahrung bestätigt es, dass sich die 
magnetische Energie der Erde in einigen Punkten, den Sammel- 
punkten, anhäufe, und unterscheidet man auf jeder Hemisphäre deren 
zwei, von denen einer in Amerika in der Nähe des Winnipeg-Sees, 
der zweite in Asien unter dem Polarkreise südwestlich von der Lena- 
mündung liegt, während die Sammelpunkte der Süd-Hemisphäre nicht 
sehr fern von einander im Süden von Australien liegen. Es bedarf 
nur des Hinweises auf die Bedeutung, welche solche charakte- 
ristische Punkte für jede mathematische Darstellung von Erschei- 
nungen haben, um die Wichtigkeit, welche ausgedehnte, nach vorher 
vereinbartem Plane in deren Nähe angestellte Beobachtungen haben 
müssen, einzusehen. 

Die Vergleichung von Beobachtungen über die Variationen des 
Erdmagnetismus, namentlich der photographischen Registrirnngen, 
welche auf der Nord- und Süd-Hemisphäre erhalten wurden, zeigten 
ebenfalls, dass sehr häufig, wenn nicht regelmässig, Störungen, die 

*) Neben diesem Hauptgürtel glaubt Nordenskjöld auf Grund der bei 
der Uebcrwinterung der „Vega - angestellten Polarlicht-Beobachtungen noch zwei 
andere, dem Pole näher gelegene Gürtel unterscheiden zu können. Hierübei 
werden die in Ausführung begriffenen Expeditionen voraussichtlich Anfschluss 
verschaffen. 


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287 


auf der Nordhälfte der Erde aufgetreten waren, sich auf der Süd- 
Hemisphäre ebenfalls geltend gemacht hatten. Diese Thatsache lehrt, 
dass man in magnetischer Beziehung die Erde als ein Ganzes 
betrachten muss, dass Beobachtungen der magnetischen Variationen 
in hohen südlichen Breiten eine uothwendige Ergänzung der in hohen 
nördlichen erhaltenen bilden und dass beide durch solche in mittleren 
Breiten erhaltenen mit einander verbunden werden müssen. Wenn 
dies ausgeführt werden wird, — und eine sehr gute Annäherung 
an die Verwirklichung dieses umfangreichen Programms befindet sich 
gegenwärtig in Ausführung, — so wird man einen grossen, ja ent- 
scheidenden Fortschritt für die Erkenntuiss der Ursachen des Erd- 
magnetismus und seiner Aenderuugen, die uns gegenwärtig noch ein 
dunkles Rüthsei sind, erwarten dürfen. 

Dies möge genügen, um den Standpunkt zu kennzeichnen, den 
die Wissenschaften des Erdmagnetismus und der Meteorologie den 
Polar -Expeditionen gegenüber einuahmen und einnchmeu mussten, 
als der hochverdiente österreichische Polarfahrer Linienschiffs- 
Leutnant Weyprecht auf der Naturforscher- Versammlung zu Graz im 
September 1875 sein Programm entwickelte, wouach das Hauptgewicht 
bei Polar -Expeditionen nicht mehr wie bisher auf die rein geogra- 
phischen Ergebnisse, also auf Entdeckungen, sondern auf die wissen- 
schaftlichen Resultate gelegt werden sollte , welche von den Expedi- 
tionen heimgebracht würden. Sein Vorschlag ging deswegen dahin, 
Entdeckungsreisen ganz zu unterlassen , lediglich die wissen- 
schaftliche Seite zu pflegen, und zu dem Ende für längere Zeit eine 
Reihe von Stationen innerhalb der Polarzone zu errichten, welche 
nach gemeinsamem Plane hauptsächlich magnetische Beobachtungen 
anstellen sollten; er schlug als Zeit der Ausführung das Jahr 1881/82 
vor. Dieser Plan musste naturgemäss, wie wir oben ausführten, bei 
den Männern der Wissenschaft vielen Beifall und Unterstützung finden; 
die Schroffheit aber, mit welcher Weyprecht die Entdeckungen 
in Polargegeudeu als gänzlich nutzlos und dem Hauptzweck solcher 
Reisen ( wie er ihn sich dachte) schädlich darstellte, fand andererseits 
vielfach scharfen Widerspruch, auch bei solchen Männern, die sonst 
mit der Tendenz der Weyprecht’scheu Vorschläge durchaus einver- 
standen waren und er sah sich daher denn auch veranlasst, in der 
Folge den schroffen Standpunkt, welchen er den rein geographischen 
Aufgaben und den Leistungen früherer und seiner eigenen Expedi- 
tionen gegenüber einnahm, wesentlich zu modificiren. 

Es ist indess für die Geschichte des Unternehmens von Wichtig- 
keit, und nur gerecht, daran zu erinnern, dass bereits IV* Jahre 
vorher, als Weyprecht und Payer noch innerhalb der arktischen Zone 


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288 


weilten, der Vorschlag der internationalen gemeinsamen Arbeit auf 
festen für die Dauer eines Jahres errichteten Stationen von dem 
jetzigen Direktor der Deutschen Seewarte Prof. Dr. Neumayer 
gemacht wurde. Dies geschah in einem zum Besten der Afrika- 
erforschung am 25. Februar 1874 in Berlin gehaltenen Vortrage, 
welcher unter dem Titel: „Die geographischen Probleme innerhalb 
der Polarzonen in ihrem inneren Zusammenhänge beleuchtet“ in 
den „Hydrographischen Mittheilungen“ (jetzigen Annalen der Hydro- 
graphie“) Jahrgang 1874 S. 51 ff. veröffentlicht wurde. Nachdem 
der Vortragende die Probleme des Erdmagnetismus und der 
Meteorologie, welche durch Beobachtungen in den Polarzonen gefördert 
werden sollen, durchgeuommen und die Wege erörtert hat, auf 
welchen ein Eindringen in die Polarzoue möglich erscheine, sagt er 
wörtlich : 

„So hätte ich Ihnen denn im Norden, wie im Süden, auch die 
Wege bezeichnet, welche die grösste Wahrscheinlichkeit für eine 
erfolgreiche Bearbeitung der Probleme, die ich in ihrem inneren 
Zusammenhänge zu beleuchten hatte, darbieten. Ich habe bei 
einigen behandelten Punkten ein besonderes Gewicht auf die Gleich- 
zeitigkeit der Forschungen gelegt und bin, von solchen Gesichts- 
punkten geleitet, auch der Ansicht, dass auf den bezeichneten Wegen 
gleichzeitig und im Einklänge, d. h. in gemeinsamer wissen- 
schaftlicher Organisation vorgegangen werden müsste, 
um im Herzen der Polarregioneu in Observatorien, die 
während einer längeren Periode in Thätigkeit zu sein 
hätten, die verschiedenen Aufgaben der Physik unserer Erde zu 
bearbeiten. Da es sich hierbei vorzugsweise um die Förderung der 
Probleme des Erdmagnetismus und der Polarlichter handelt, ist es 
wichtig, dass der richtige, der ergiebigste Moment gewählt werde, 
und als solcher stellt sich die nächste Maximal-Periode magnetischer 
Thätigkeit und der Polar lichter-Erscheinung 1881/82 sofort dar, 
welche zugleich auch sehr nahe heranrückt an die Zeit der zweiten 
Wiederkehr des Vorüberganges der Venus vor der Sounenscheibc 
in unserem Jahrhundert, welcher in hohen südlichen Breiten mit 
Vortheil beobachtet werden kann. Wollen wir hoffen, dass alle 
gebildeten Nationen alsdann ebenso, wie sie sich jetzt rüsten, um 
in gegenwärtigem Jahre einer grossen wissenschaftlichen Pflicht zu 
genügen, zur Förderung unserer Probleme sich rüsten werden.“ 

Indem wir die vorstehenden Worte Neumayer’s, in denen das 
ganze Programm Weyprecht’s enthalten ist, hier reproduciren, wollen 
wir ausdrücklich konstatiren, dass Weyprecht durchaus unabhängig 
zu seinen Ansichten gekommen ist, indem er bei Bearbeitung seiner 


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eigenen Beobachtungen überall den Mangel an korrespondirenden 
Beobachtungen in der Polarzone fühlte. Wir wollen aber anderer- 
seits auch hervorheben, dass die in obigen Worten entwickelten 
Ansichten Neumayer’s weiter gehen als der ursprüngliche Vorschlag 
von Weyprecht, indem ersterer von vornherein auch die südliche 
Hemisphäre in die Aufgabe hineingezogen haben wollte. 

Im Dezember 1874 hatte die Bremer geographische Gesellschaft, 
deren Thätigkeit und Energie die Aussendung der II. deutschen 
Nordpolarfahrt nach Ostgrönland hauptsächlich zu verdanken war und 
die es als ihre Hauptaufgabe ansah, die Polarforschung weiter zu 
führen, eine Denkschrift au den Bundesrath eingereicht, in welcher 
die Fortsetzung der Arbeiten in Ostgrönland mit Unterstützung des 
Reiches in Vorschlag gebracht wurde. Die Denkschrift, welche im 
Wesentlichen die geographischen Entdeckungen in den Vordergrund 
stellte, andererseits aber darauf drang, die Expedition im Jahre 
1875 abgehen zu lassen, weil durch Kooperation mit der englischen 
Expedition unter Kares gleichzeitige meteorologische und magnetische 
Beobachtungen zu erlangen möglich war, wurde im Oktober 1875 
einer Kommission von Gelehrten zur Begutachtung übergeben, 
welche ihre Ansichten in einer Schrift niederlegte, in der sie sich 
ganz auf den Standpunkt von Weyprecht stellte und nur die gemein- 
schaftliche Arbeit an einer Reihe von Stationen von wissenschaftlichem 
Standpunkte aus als gewinnbringend und empfehleuswerth bezeichnete. 
Dieser Beschluss ist in geographischen Kreisen vielfach bedauert 
und als das Zugrabetragen fernerer deutscher Polarforschung 
bezeichnet worden, es wird aber wohl aus dem Vorhergehenden zur 
Genüge hervorgehen, dass die strenge Wissenschaft gar keinen 
anderen Standpunkt einnehmen konnte, so sehr man auch bedauern 
kann, dass der doch gleichfalls berechtigte Standpunkt geographischer 
Entdeckungen, welcher gerade in dem in Vorschlag gebrachten 
Gebiete eine sehr ergiebige Ausbeute erhalten hätte, gar nicht 
berücksichtigt wurde. 

Durch die rastlosen Bemühungen Weyprecht’s kam die Sache 
in Fluss. Von allen Seiten wurde anerkannt, dass dies der richtige 
Weg sei, einen wesentlichen Fortschritt in den genannten geophysi- 
kalischen Disciplinen zu erlangen und es wurde eine Besprechung 
des Vorschlages auf das Programm des zweiten internationalen 
Meteorologen-Kongresses, welcher im Frühjahr (19- — 22. April) 1879 
in Rom abgehalten wurde, gesetzt, nachdem auf die dringende 
Befürwortung Neumayer’s der Plan dahin erweitert worden war, 
dass Stationen auch in der antarktischen Zone errichtet werden 
sollten, ein Plan, den dieser Gelehrte schon seit mehr als 25 Jahren 


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verfolgt und durch Schrift und Wort sich bemüht hat zur Aus- 
führung zu bringen. 

Der Meteorologen-Kougress sprach sich dahin aus, dass der 
Plan jede Unterstützung verdiene und dessen Ausführung dringend 
wünschenBwerth sei. Ein Beschluss über die Ausführung konnte 
aber nicht gefasst werden, da die Delegirten sich ohne Instruktion 
von ihren Regierungen befanden und es wurde das Weitere an einen 
speciellen Kongress verwiesen, welcher am 1. Oktober desselben Jahres 
unter dem Vorsitze von Professor Neumayer auf der Seewarte in 
Hamburg zusammentrat. Vertreten waren die folgenden Nationen: 
Deutschland, Dänemark, Frankreich, Niederlande, Norwegen, Oester- 
reich, Russland und Schweden. Die Konferenz bezweckte und 
beschloss ein Programm für die Beobachtungen, welche in obli- 
gatorische und fakultative getrennt wurden, von denen erstere die 
magnetischen und meteorologischen Beobachtungen umfassten, welche 
zur Erreichung des erstrebten Zieles unbedingt erforderlich sind, 
während unter den letzteren theils Ergänzungsbeobachtungeu zu den 
ersteren, theils Beobachtungen und Arbeiten, die anderen Wissens- 
zweigen gerecht werden sollten, begriffen waren. Ferner wurde fest- 
gesetzt, dass das Unternehmen als gesichert angesehen werden sollte, 
wenn wenigstens acht Stationen besetzt würden. Um bei den Einzel- 
regierungen besser für die Ausführung wirken zu können, konstituirte 
sich die Versammlung als internationale Polarkommission und wählte 
den Geheimen Rath Neumayer zum Vorsitzenden. Als Zeitpunkt der 
Ausführung wurde das Jahr 1881/82 in Aussicht genommen. 

Eine zweite Konferenz wurde am 7. — 9. August 1880 in Bern 
abgehalten, bei welcher dieselben Staaten vertreten waren wie in 
Hamburg. Der wichtigste Beschluss dieser Konferenz war der, die 
Ausführung auf die Zeit von August 1882 bis September 1888 zu 
verschieben, weil die Vorbereitungen nicht so früh vollendet werden 
konnten, um den ursprünglichen Termin inuehalten zu können; auch 
war die Besetzung von acht Stationen, an welcher man als Minimum 
festhielt, noch nicht gesichert und hoffte man durch Hinausschieben 
des Termins leichter die Regierungen zur Betheiligung veranlassen 
zu können. Zugleich trat Neumayer vom Präsidium zurück und 
Professor Wild aus St. Petersburg, der Vorsitzende des internationalen 
meteorologischen Koinitäs, wurde zum Präsidenten der internationalen 
Polarkommission gewählt. 

Auf der Konferenz wurde die Besetzung von Stationen definitiv 
zugesagt von Dänemark, Norwegen, Oesterreich (durch die Munificenz 
des Grafen Wilczek) und Russland. Am 1. Mai 1881 konute mit- 
getheilt werden, dass die Forderung von acht Stationen im arktischen 


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291 


Gebiete erfüllt und dass damit das Unternehmen als gesichert 
anzuseheu sei. Zugleich wurde eine dritte Konferenz nach St. Peters- 
burg berufen, welche am 1. August 1881 zusammentrat. 

Auf dieser wurde das Programm für die Beobachtungen end- 
gültig festgesetzt und konstatirt, dass im arktischen Gebiete acht 
Stationen definitiv besetzt werden würden und dass die Besetzung 
einer Station in den Hudsousbai-Ländern durch Canada und England, 
einer Station in Ost-Grönland durch Deutschland, sowie zweier ant- 
arktischer Stationen durch Deutschland und Frankreich als wahr- 
scheinlich bezeichnet werden könne. 

Die fremden Nationen waren inzwischen mit ihren Vorbereitungen 
zur Ausführung der Expeditionen theilweise schon weit vorgeschritten : 
die Instrumente waren bestellt und grossentheils schon abgeliefert, 
als die Petersburger Konferenz zusammentrat. Es ist erwähnens- 
werth, dass die magnetischen Instrumente zum grossen Theil von 
dem Mechaniker Dr. Edelmann in München geliefert worden sind. 
Der Chef der dänischen Expedition . Adjunkt Paulsen , wurde im 
Sommer 1880 zu seiner Information nach Deutschland (wo er sich 
n. a. einige Wochen auf dem Observatorium in Wilhelmshaven mit 
magnetischen Beobachtungen beschäftigte), Niederlande, Belgien und 
Frankreich geschickt, in anderen Bändern wurden die Theilnehmer 
bestimmt und im Beobachten geübt und auf diese Weise Alles vor- 
bereitet, um sofort mit dem bestimmten Termin in die Arbeit ein- 
treten zu können. Die andern Nationen waren daher mit ihren 
Vorbereitungen fast fertig, ehe Deutschland damit anting. 

Im März 1880 reichten die beiden deutschen Delegirten der 
internationalen Polar- Kommission , Geheimrath Prof. Dr. Neuniayer 
und Kapitän zur See Freiherr von Schleinitz, eine Denkschrift an 
den Reichskanzler ein, in welcher sie die Gründe darlegten, aus 
denen eine Betheiliguug Deutschlands wünschenswert!) sei und stellten 
als Voranschlag der Kosten eine Summe von 300 000 Mark für zwei 
Stationen fest. Der Reichskanzler verhielt sich Anfangs dem Plane 
einer Betheiligung Deutschlands gegenüber durchaus ablehnend, was. 
wie aus der Antwort des Regierungs -Kommissars auf den Antrag 
des Reichstags- Abgeordneten Thilenius hervorgeht, dadurch hervor- 
gebracht wurde, dass die früher für diesen Zweck mit 600 000 Mark 
veranschlagten Kosten für zwei Expeditionen in den Kreisen der 
Regierung als ungebührlich hoch angesehen wurden. Im Früh- 
jahr 1881 wurde die Sache im Reichstage zur Sprache gebracht, 
und beschloss dieser auf den Antrag der Abgeordneten Thilenius, 
Virchow u. A. am 27. April, dem Reichskanzler zum Zwecke der 


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292 


Betheiligung Deutschlands an der internationalen Polarforschung die 
Summe von 800,000 Mark zur Verfügung zu stellen. 

Am 9. Mai reichten Neumayer und v. Schleinitz eine neue Denk- 
schrift ein, in welcher sie den Stand der Angelegenheit und die 
Gründe, welche für eine Betheiliguug Deutschlands sprächen, noch- 
mals hervorhohen und den Kostenanschlag der ersten Denkschrift, 
in einigen Details etwas verändert, wiederholten. 

Auf Grund dieses Reichstagsbeschlusses und der Denkschrift 
wurde nun in den Etat für das Jahr 1882 83 die Summe von 
300,000 Mark eingestellt und vom Reichstage Anfang Dezember in 
zweiter Lesung genehmigt. Jetzt zögerte die Reicbsregierung nicht 
länger, eine Kommission einzuberufen, welche die Aussenduug von 
deutschen Expeditionen in die Wege leiten sollte. Diese Kommission, 
welche am 12. Dezember im Sitzungssaale des Hydrographischen 
Amtes zusammentrat, besteht aus folgenden Mitgliedern: Professor 
v. Bezold (München), Professor Dr. Borgen (Wilhelmshaven), Professor 
Dr. Förster (Berlin), Professor Dr. Helmholtz (Berlin), Dr. Nach- 
tigal (Berlin, jetzt stellvertretender Generalkonsul in Tunis), Professor 
Dr. Neumaver (Hamburg), Kapitän zur See Freiherr von Schleinitz 
(Berlin), Dr. Schreiber (Chemnitz), Dr. Werner Siemens (Berlin). 

In den Sitzungen vom 12. bis 16. Dezember wurde beschlossen, 
dass von Deutschland zwei Stationen errichtet werden sollten, welche 
im Gebiete des atlantischen Oceans und zwar eine im nördlichen 
und eine im südlichen Polargebiet liegen sollten. Als Nordstation 
wurde Ostgrönland, der Schauplatz der zweiten Deutschen Nordpolar- 
fahrt 1869/70, und für den Süden die Insel Süd-Georgien ins Auge 
gefasst. Ferner wurde die Ausrüstung mit Instrumenten beratheu, 
im Allgemeinen festgestellt und eine Reihe von Beschlüssen gefasst, 
welche sich auf Annahme des obligatorischen Theils des internationalen 
Programms, auf die Vertretung in dem internationalen Komitä (durch 
Geheimen Rath Neumayer und Freiherrn von Schleinitz) und andere 
geschäftliche Angelegenheiten bezogen. Es wurden die wissenschaft- 
lichen Fragen erörtert, welche bei den Expeditionen das Arbeits- 
objekt bilden sollten, und von einigen Herren höchst interessante 
und wuchtige Mittheilungen gemacht, welche hei der Ausarbeitung 
der Spezialinstruktionen verwerthet wurden. 

Die Ausführung der Beschlüsse sowie alles Detail, Beschaffung 
von Instrumenten, definitive Wahl von Stationen, welche von den 
zu beschaffenden Transportmitteln abhing, Ausarbeitung der In- 
struktionen u. s. w. wurde einem Exekutivausschusse überlassen, 
welcher aus den beiden Vorsitzenden der Polarkonimission, Geheimen 
Rath Neumayer und Freiherrn von Scbieiuitz, sowie Dr. Nachtigal 


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293 


und Professor Dr. Börgen bestand, und dem in der Person des Herrn 
Dr. Hermann ein wissenschaftlicher Sekretär beigeorduet wurde. 

Bezüglich der Stationen konnte definitiv nur Süd -Georgien 
gewählt werden, nachdem die Kaiserliche Admiralität mit dankens- 
werter Bereitwilligkeit in Aussicht gestellt hatte, dass die au der 
Westküste von Südamerika statiouirte gedeckte Korvette „Moltke“ 
die Expedition, welche auf einem Schiffe der Hamburg-Südamerikani- 
schen Dampferlinie nach Montevideo reisen sollte, von dort nach 
Süd-Georgien bringen und dass im folgenden Jahre ein anderes Schiff 
die Expedition wieder nach Montevideo zurückführen solle. 

Für den Norden wurde zunächst an Ost-Grönland festgehalten, 
wenn man sich auch nicht verhehlte, dass es sehr grosse Schwierig- 
keiten haben werde, einesteils ein Schiff für diese Reise zu chartern, 
anderntheils es auch nicht unbedenklich'schien, die Expedition dort 
auszusetzen und das nächste Jahr wieder abzuholen. Man hoffte 
aber, dass die Opferwilligkeit namentlich der Hamburger grossen 
Kaufleute, zu den vom Reich bewilligten Mitteln so viel hinzufügen 
werde, dass es ermöglicht werden könne, mit einem eigenen Dampfer 
die Fahrt zu unternehmen, eine Hoffnung, welche leider getäuscht 
wurde. In zweiter Linie wurde der Cumberland-Sund, die grosse 
Bucht, welche sich au der Westküste der Davisstrasse nach Südosten 
hin öffnet, und wenn auch dies fehlschlagen sollte, als dritter Ort 
die nördlichste dänische Kolonie in Westgrönland, Upernivik, iu 
Aussicht genommen. 

Auf Grund dieser Beschlüsse wurde nun eine grosse Thätig- 
keit eutfaltet. Die Instrumente wurden bestellt und sämmtlich, trotz 
der kurzen Zeit, durch die hingebende Energie der Mechaniker, zur 
rechten Zeit abgeliefert. Die magnetischen Variations-Instrumente, 
für jede Station zwei vollständige Sätze, ausserdem eine Lloyd’sche 
Wage und für jede Station ein Erdinduktor mit Galvanometer wurden 
von Dr. Edelmann in München, die magnetischen Theodoliten und 
andere Instrumente von C. Bamberg in Berlin, die meteorologischen 
Instrumente, darunter ein vollkommeu neues, von Dr. Schreiber ent- 
worfenes Registrirbarometer und Luftthermometer (welches übrigens, 
weil es zu viel Platz einnahm, nicht mitgenommen werden konnte) 
von Fuess in Berlin geliefert. Astronomische Uhren wurden von 
Bröcking in Hamburg gefertigt und Chronometer von verschiedenen 
Chronometermachern (Eppner in Berliu, Ehrlich in Bremerhaveu, 
Knoblich in Hamburg) leihweise hergegeben. Ausserdem wurden 
andere Instrumente von Hartmann in Würzburg und anderen 
Mechanikern, Gewehre und Munition von renommirten Büchsen- 
fabrikanten angefertigt. Für jede Expedition wurde ein Walboot bei 


»gle 



294 


eiuer der bedeutendsten Bootsbautinnen in Blankenese gebaut. Wohn- 
häuser und Observatorien w urden auf dem Zimmerplatz von Martens 
in Hamburg hergestellt. Die Lieferung des Proviants wurde der 
bekannten Firma Wilhelm Richers in Hamburg übertragen, welche 
bereits eine Reihe von Polarexpeditiouen (die „Hansa“, die beiden 
Weyprecht’schen Expeditionen und die jetzt auf Jan Mayen befind- 
liche österreichische Expedition) in ausgezeichneter Weise mit 
Proviant ausgerüstet hat. Kurz, es entfaltete sich überall eine rege 
’l'hätigkeit und wurde es Dank der allseitigeu Hingabe an die Sache 
ermöglicht, in der sehr kurzen Zeit von fünf Monaten alles zur 
Ausrüstung Gehörende in bester Weise zu beschaffen, die Instrumente 
zu untersuchen und ihre Konstanten zu bestimmen, so dass man, als 
die Expeditionen in See gingen, wohl befriedigt sagen konnte, dass 
nichts irgend Wesentliches fehlte. 

Daneben gingen die unausgesetzten Bemühungen Nenmayer’s, 
für den Trausport theils die möglichst günstigen Bedingungen zu 
erlangen, theils die Hamburger Rheder zur Beisteuer zu bewegen, 
um die Fahrt nach Ostgrönland zu ermöglichen. In ersterer Be- 
ziehung gelang es bald, durch das Entgegenkommen der Hamburg- 
Südanierikanischen Dampfschiffahrtsgesellschaft, sehr günstige Be- 
dingungen für die Uebcrführung der Südexpedition nach Montevideo 
und von dort wieder zurück, zu erlangen. Dagegen scheiterten leider 
die Bemühungen, mit Hülfe der Hamburger Rheder ein Schiff für 
die Fahrt nach Ostgrönland zu erhalten, und musste also auf Charterung 
eines Dampfers Bedacht genommen werden. Die Jahreszeit war 
inzwischen schon ziemlich vorgerückt uud es wurden Dampfer gar 
nicht oder zu so hohen Preisen angeboten, dass eine Charterung 
völlig ausgeschlossen war. Es blieb endlich nichts anderes übrig, 
als die „Germania“, das Expeditionsschiff der zweiten deutschen 
Polarexpedition von 1869/70, welches mittlerweile in ein Segelschiff 
umgewandelt worden war, uud als solches schon zwei Fahrten nach 
dem Cumberlaud-Suud gemacht hatte, zu kaufen. Die Besetzung 
von Ostgrönland musste aufgegeben und die Anlage der Station in 
Cumberland-Sund definitiv ins Auge gefasst werden, wobei in zweiter 
Linie, falls Cumberland-Sund wegen Eises nicht zugänglich sein sollte, 
Upernivik aufgestellt wurde, zu dessen eventueller Besetzung man 
die Erlaulmiss der dänischen Regierung auf diplomatischem Wege 
einholte. Indessen hatte das Programm eine nicht unwesentliche 
Erweiterung dadurch erfahren, dass auf die Anregung von Dr. Koppen, 
welcher darauf aufmerksam machte, dass zwischen den arktischen 
Stationen und den nächsten meteorologischen Stationen auf dem 
nordamerikanischen Festlande eine grosse Lücke vorhanden sei, 


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295 


deren Ausfüllung dringend wünschenswert wäre, um die meteoro- 
logischen Beobachtungen der Stationen und der den nördlichen 
atlantischen Ocean kreuzenden Schiffe mit einander zu verbinden, 
beschlossen wurde, wenn möglich die Missionsstationen in Labrador 
in das Netz der Beobachtungen hineinzuziehen. Zu dem Ende sollten 
die Missionare mit meteorologischen Instrumenten versehen und ein 
Gelehrter hinübergeschickt werden, welcher die sämmtlichen Missions- 
stationen besuchen, die Beobachtungen organisiren und selbst auf 
einer der Stationen bleiben sollte. In gleicher Weise wurde von 
Seiten der Deutschen Seewarte, welche durch Herleihung von In- 
strumenten und in anderer Weise sehr wesentlich für die zweck- 
entsprechende Ausrüstung der Expeditionen beitrug, eine ähnliche 
Ergänzungs-Station in Port Stanley auf den Falklands-Inseln errichtet, 
welche die Beobachtungen auf Süd-Georgien mit denjenigen auf den 
Patagonischen Stationen und den den siid - atlantischen Ocean 
passirenden Schiffen verbinden soll. 

Das Personal betreffend wurde festgesetzt, dass dasselbe für 
jede Station aus zwei Astronomen oder Physikern als Chef und 
stellvertretendem Leiter, einem Arzt, drei Assistenten und einem 
Mechaniker, sowie vier Leuten zur Bedienung bestehen solle. Dabei 
wurde in Aussicht genommen, dass der Arzt und einzelne der Assistenten 
Vertreter der beschreibenden Naturwissenschaften sein sollten. 

Von den ziemlich zahlreich sich meldenden jungen Gelehrten 
wurden die folgenden ausgewählt: 

a. für die Nord-Station: 

1) Dr. Wilhelm Giese aus Colberg, Assistent am physikalischen 
Institut der Universität Berlin, Leiter der Expedition. 

2) Leopold Ambronn aus Meiningen, Astronom, Assistent beim 
Chronometer-Institut der Seewarte, stellvertretender Leiter. 

3) Heinrich Abbes aus Bremen, Assistent. 

4) Dr. med. Schliephake aus Wiesbaden, Arzt und Naturforscher. 

5) Carl Boecklen aus Esslingen, Assistent. 

f>) Al brecht Mühleisen aus Stuttgart, Assistent und Navigateur. 

7) Carl Seemann aus Hamburg, Mechaniker. 

b. für die Süd-Station : 

1) Dr. Carl Schräder aus Braunschweig, Astronom, Leiter der 
Expedition. 

2) Dr. Peter Vogel aus Uelfeldt, Physiker, stellvertretender 
Leiter. 

3) Dr. Carl von den Steinen aus Mühlheim a. d. Ruhr, Arzt 
und Naturforscher. 

4) Dr. Hermann Will aus Erlangen, Assistent. 


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296i — 

4 


5) Dr. Otto Claus aus Mannheim, Assistent. 

ß) Eugen Mosthaff aus München, Assistent. 

7) Adolf Zschau aus Dresden, Mechaniker. 

c. für Labrador: 

Dr. R. Koch ans Stettin, Privatdocent in Freiburg i. Br. 

Von diesen vertreten die Herren Dr. Schliephake und Dr. von 
den Steinen die Zoologie, Dr. Will die Botanik und Herr Ambronn 
die Geologie als Nebenfächer, während Herr Mühleisen, welcher für 
den leider durch einen Fall verunglückten Dr. Roesch eintrat, See- 
mann ist und speciell die Aufgabe hat, hydrographische Unter- 
suchungen anzustellen, soweit es die Arbeiten der Expedition zulassen. 

Endlich mögen noch die Namen der die Expeditionen begleitenden 
Bedienungsmannschaften genannt werden: 

a. für die Nord-Station: 

A. Hellmich aus Polkwitz. Koch. 

R. Weise aus Gamstedt, Zimmermanu. 

P. Hevike aus Schwerin, Segelmacher 

A. Jantzen aus Wismar, Matrose. 

b. für die Süd-Station: 

R. Fürth aus Hamburg, Koch. 

H. Beckmann aus Hamburg, Zimmermann. 

W. Wienschlager aus Wolgast, Segelmacher. 

H. Maass aus Warnemünde, Matrose. 

Nachdem die Leiter der Expeditionen, von denen Dr. Schräder 
in Potsdam und später in Hamburg und Dr. Giese in Wilhelms- 
haven arbeitete, bereits am 1. April ihre Stellungen übernommen 
hatten, wurden die übrigen Mitglieder am 1. Mai einberufen, und 
traten diejenigen der Nord-Expedition in Hamburg, die der Süd- 
Expedition in Wilhelmshaveu zusammen. Mittlerweile waren die 
Instrumente von Edelmann und Bamberg abgeliefert worden und 
wurde rüstig daran gearbeitet, die Konstanten derselben zu bestimmen 
und ihre Einzelheiten kennen zu lernen, damit auf den Stationen 
keinerlei Schwierigkeiten entstehen könnten und dergleichen mehr. 
Mitte Mai vereinigten sich beide Expeditionen in Hamburg auf der 
Seewarte, wo inzwischen alles zu den Expeditionen Gehörende 
zusammengebracht wurde. Die schönen Räume der Seewarte gewährten 
hierzu ausreichenden Platz ; es wäre in der That auch sehr schwierig 
gewesen, einen anderen Ort zu finden, wo es möglich gewesen wäre, 
nicht nur die grosse Menge von Kisten mit Instrumenten und 
anderen Sachen unterzubringen, sondern auch sie auszupackeu, 
behufs ihrer Prüfung aufzustellen und dabei die Apparate beider 
Expeditionen vollkommen getrennt zu halten. 


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297 


Von allen Seiten liefen Sachen ein, theils bestellte Apparate 
und Ansriistungsgegenstände, theils leihweise hergegebene Instrumente 
und endlich werthvolle Geschenke au Büchern, Weiu u. A. Die 
Hamburger Sternwarte gab für die Süd - Expedition ein Heliometer 
und einen Refraktor her, mit welchem der am 6. Dezember eintretende 
Venus-Durchgang, dessen ganzer Verlauf auf Süd-Georgien sichtbar 
ist, beobachtet werden soll, das Hydrographische Amt in Berlin gab 
ausser werthvollen Werken zwei Reversionspendel, zwei registrirende 
Elutmesser und Apparate zum Dredgen und anderen hydrographisch- 
zoologischen Untersuchungen her, das geodätische Institut in Berlin 
unterstützte die Expeditionen durch Herleihung zweier Universal- 
Instriunente, die Seewarte lieferte Barometer, Thermometer und 
andere meteorologische Instrumente u. s. f. Der Senat der freien Stadt 
Bremen zeigte sein Interesse für die Sache durch ein Geschenk 
herrlichen Rheinweins aus dem Rathskeller, dem Herr Segnitz 
daselbst ein solches von vortrefflichem alten Jamaica-Rum hinzufügte. 
In Hamburg wurde von Freunden des Unternehmens eine sehr schöne 
Bibliothek belletristischer Werke beschafft und den Expeditionen zur 
Verfügung gestellt, während die wissenschaftlichen Werke von Seiten 
der Kommission angeschafft wurden, soweit sie nicht leihweise be- 
schafft werden konnten. 

Zur persönlichen Ausrüstung wurden die Mitglieder der Nord- 
Expedition mit Pelzanzügen versehen und ebenfalls der Süd- 
Expedition, für welche eine solche Ausrüstung nicht so nothweudig 
war, zwei Anzüge mitgegeben. 

So war Alles wohl vorbereitet und konnte die Süd-Expedition, 
welche am 2. Juni abgehen sollte, rechtzeitig mit Allem fertig 
werden. 

Am 1. Juni Abends vereinigte ein von der geographischen 
Gesellschaft veranstaltetes Abschiedsfest viele Mitglieder dieser Ge- 
sellschaft und die Theilnehmer beider Expeditionen, sowie die in 
Hamburg anwesenden Mitglieder der Polar -Kommission zu einem 
Abendessen in Wiezcl’s Hotel, bei welchem den scheidenden Gelehrten 
in beredten Toasten ernsten und humoristischen Inhalts für ihre 
grosse mit vielen Strapazen und Entbehrungen verknüpfte Aufgabe 
der beste Erfolg gewünscht wurde. Ein kleiner Dampfer brachte 
die Expeditionsmitglieder und eine Anzahl Herren, welche denselben 
noch das Geleit geben wollten, an Bord des Dampfers „Rio 4 von 
der Hamburg-Südamerikanischen Dampferlinie, der sich um 2 V* Uhr 
früh in Bewegung setzte. Der Morgen war herrlich, obwohl ein 
wenig neblig, und es wurde allerseits gern dies gute Omen acceptirt. 
An der Zollgrenze unterhalb Altona verliessen die Begleiter die 


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298 


Expedition, ihr in dreimaligem Hoch noch einmal gute Reise und 
guten Erfolg wünschend. Um 7 Uhr Abends am 2. Juni passirte 
die „Rio“ Cuxhaven und war also damit die eine Expedition in 
freier See auf dem Wege nach ihrer Bestimmung. 

Jetzt wandte sich die ganze Thätigkeit dem Abgänge der 
Expeditionen nach Cumberland-Sund und nach Labrador zu. Die 
„Germania“, welche, wie schon erwähnt, in ein Segelschiff um- 
gewandelt ist, wurde von den Erbauern Tecklenborg in Bremer- 
haven umgeändert, um die sehr grosse Menge Sachen auf- 
nehmen zu können, welche die Ausrüstung der Expedition be- 
dingte. Trotz der ausserordentlichen Beschränktheit des Raumes 
wurde doch Dank der vorzüglichen Stauung und dadurch, dass eine 
ziemlich hohe Deckladung geuommen wurde, Alles hineingebracht, 
ohne dass etwas Wesentliches hätte zurückgelassen werden müssen. 

Am 28. Juni früh 4 Uhr verliess die „Germania“ mit der Nord- 
Expedition au Bord die Elbe. Ein tiefer Schatten fiel auf diese 
Expedition leider durch den zwei Tage vorher erfolgten Tod des 
Dr. Roesch, der durch einen Fall verunglückte; in ihm verlor dieselbe 
eine sehr tüchtige Kraft, von der man namentlich wichtige Unter- 
suchungen in specielleu meteorologischen Fragen erwarten durfte. 
An seine Stelle trat, wie erwähnt, der Steuermann Albrecht Mühl- 
eisen, welcher auch schon auf der Ueberfahrt durch Uebernahme 
einer Wache in dem ihm speciell überwiesenen Wirkungskreise, der 
Hydrographie, soviel wie möglich thätig war. 

Somit blieb nur noch übrig, die dritte Expedition nach Labrador 
abzusenden. Herr Dr. Koch sollte die Reise mit dem jährlich von 
London nach Labrador gehenden, der Herrnhuter Missionsgesellschaft 
gehöiigen Schiffe, der Bark „Harmony“, antreten. Dr. Koch, welcher 
sich des grössten Entgegenkommens seitens der Missionsgesellschaft 
und der englischen Eisenbahnen zu erfreuen hatte, — die letzteren 
beförderten sein sehr umfangreiches Gepäck unentgeltlich, — verliess 
Hamburg am 7. Juli und erreichte die „Harmony“ am 14. Juli in 
Stromness (Orkney’s Inseln). 

Ehe wir die weiteren Nachrichten, die über die Expeditionen 
eingetroffen sind, mittheilen, dürfte es angezeigt sein, kurz die Haupt- 
punkte des Programms hier anzuführen. 

1) Die obligatorischen Beobachtungen, welche als das Minimum 
Dessen angesehen werden müssen, was zur Erreichung der Zwecke 
unumgänglich nothwendig ist. 

§ 1. Die Beobachtungen beginnen möglichst früh nach dem 
1. August 1882 und enden möglichst spät nach dem 
1. September 1883. 


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299 


§ 2. Die stündlichen magnetischen und meteorologischen Beob- 
achtungen können nach beliebiger Zeit angestellt werden, 
nur sollen die magnetischen Beobachtungen an den Termins- 
tagen (1. und 15. jeden Monats) durchaus nach Göttinger 
mittlerer bürgerlicher Zeit gemacht werden. 

4—15. Die meteorologischen Beobachtungen haben sich zu 
erstrecken auf: 

Temperatur der Luft; 

Temperatur des Meerwassers an der Oberfläche und 
in Tiefen von 10 zu 10 in, wo dies möglich ist; 

Luftdruck durch Quecksilber-Barometer ; 

Luftfeuchtigkeit durch Psychrometer und Hygrometer; 

Wind mittelst Robinson’scher Anemometer zu messen; 

Wolken nach Form. Menge und Zugrichtung; 

Niederschläge nach Art, Dauer und wenn möglich nach 
Höhe ; 

Wetter, Gewitter. Hagel, Nebel, Reif und optische Er- 
scheinungen. 

(Die Instrumente, welche die deutschen sowohl als auch die 
anderen Expeditionen mitbekommen haben, gestatten eine fortlaufende, 
oder wenigstens viertelstündliche Registrirung, welche durch stünd- 
liche Ablesungen an den Normalinstrumenten knntrolirt und ergänzt 
werden.) 

§§ 16 — 26. Erdmagnetische Beobachtungen. 

a. Absolute Messungen. Die Genauigkeit ist bei Deklination 
und Inklination auf 1', bei der Horizontalintensität auf 
0,001 ihres Werthes festgesetzt. 

Es sollen in der Umgebung des Observatoriums Unter- 
suchungen bezüglich Lokaleinflusses statttinden. 

Die Beobachtungen sollen so häufig gemacht werden, 
dass eine vollkommene Kontrole der Nullwerthe der 
Skalen der Variationsinstrumente stattfindet. 

(Den deutschen Expeditionen ist vorgeschrieben, mindestens 
einmal im Monat eine absolute Bestimmung zu machen.) 

1*. Die Variationsbeobachtungen sind an einem System 
Lamont’scher Instrumente stündlich anzustellen und ein 
zweites System, dessen Konstruktion den einzelnen Kom- 
missionen überlassen blieb, öfter zur Vergleichung mit 
zu beobachten. 

Die stündlichen Beobachtungen sind doppelt zu machen, 
einige Minuten vor und einige Minuten nach der vollen 
Stunde. 

Geogr. BlSlter. Bremen, 1882. 21 

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300 


Den 1. und 15. jedes Monats (nur im Januar den 2.) 
werden von Mitternacht zu Mitternacht mittlerer Göttinger 
Zeit die Variationsinstrumente von fünf zu fünf Minuten 
abgelesen und ist während einer Stunde, wenn auch nur 
die Deklination, von 20 zu 20 Sekunden zu notiren. Diese 
Stuude verstärkter Beobachtung verrückt sich von Termin 
zu Termin derart, dass sie am 1. August auf 12 — l Uhr 
Nachmittags, am 15. August auf 1 — 2 Uhr fallt u. s. w. 

(Die deutschen Expeditionen sind mit zwei Systemen Lamont- 
scher Variatiousinstrumentc versehen, zu denen noch eine Lloyd’sehe 
Wage zur Beobachtung der Vertikalintensität hinzukommt. Das eine, 
das Ilauptsystem, hat drei getrennte Ablesefernrohre, das zweite, 
welches bei jedesmaligem Wechsel der Beobachtung zur Vergleichung 
mit abgeleseu wird, hat nach Neumayer’s Vorschlag nur ein Ablese- 
fernrohr, in welchem die drei Skalen über einander erscheinen.) 

§§ 24 — 26. Polarlichtbeobachtungen. 

Für diese wird auf die ausführliche Instruktion von Wey- 
precht verwiesen. 

§ 27. Astronomische Beobachtungen. 

Da die Gleichzeitigkeit, namentlich der Terminbeobach- 
tungen, auf allen Stationen augestrebt werden muss, so sind 
fortlaufende genaue Zeitbestimmungen zu machen und für 
die genaue Ortsbestimmung alle dazu verwendbaren Methoden 
zu benutzen, namentlich aber soll möglichst rasch nach dem 
Eintreffen auf der Station eine vorläufige Längenbestimmung 
zu erhalten gesucht werden. 

2) Die fakultativen Beobachtungen, welche wünschenswerth, aber 
nicht unumgänglich liotlnvendig sind. 

Dieselben beziehen sich auf Ergänzung der obligatorischen 
Beobachtungen durch specielle Untersuchungen, namentlich 
über Luftelektricität, Erdströme, Dämmerung, terrestrische 
und astronomische Refraktion und dergleichen. Ferner sind aber 
darin zoologische, botanische, geologische und hydrographische 
Untersuchungen, Beobachtungen zur Bestimmung der Länge 
des Sekundenpendels, Ebbe und Flut u. s. w. einbegriffen. 

(Bezüglich des weiten Feldes, welches die fakultativen Beob- 
achtungen umfassen, sind die deutschen Expeditionen mit einer 
grossen Anzahl besonderer Apparate ausgerüstet, welche hoffen lassen, 
dass recht viele werthvolle Arbeiten von denselben werden geleistet 
werden. Unter Anderen wird auf Süd -Georgien, wie schon oben 
erwähnt, der Venus-Durchgang mit den genannten Hülfsmitteln der 
Neuzeit. (Heliometer und Refraktor) beobachtet werden und es wird 

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301 


auf beiden Stationen die Länge des Sekundenpendels bestimmt werden. 
Es sind Zoologen und Botaniker von Fach als Assistenten beigegebeu, 
welche nach der Instruktion so viel, wie ohne Schädigung des Haupt- 
zweckes der Expeditionen angängig ist, für ihre Wissenschaften 
thätig sein sollen.) 

3) Reduktion der Beobachtungen. 

Die Beobachtungen sollten möglichst gleich am Beob- 
achtnngsorte reducirt und berechnet werden. 

4) Publikation der Beobachtungen. 

Gleich nach Rückkehr der Expeditionen ist der inter- 
nationalen Polar-Kommission ein Resume zu übergeben, wel- 
ches von dieser veröffentlicht wird. 

Die weitere gemeinschaftliche Bearbeitung bleibt besonderer 
Vereinbarung Vorbehalten. 

Es war bereits bei der ersten Polar-Konferenz in Hamburg im 
Jahre 1879 als dringend wünschenswert!! bezeichnet worden, dass 
ausser an den Polarstationen auch an einer möglichst grossen Zahl 
von Observatorien in mittleren und niederen Breiten im Anschluss 
an das internationale Programm eine erhöhte Thätigkeit entfaltet 
werden möchte, und wurde demgemäss am 20. Dezember 1881 von 
den Vorständen des internationalen meteorologischen Ivomite’s und 
der internationalen Polar -Kommission, unterzeichnet von Wild in 
Petersburg, Scott in London und Hoffmeyer in Kopenhagen ein 
Cirkular erlassen, worin die Leiter der Observatorien aufgefordert, 
wurden, zur Unterstützung der Polarforschung und unter Beobachtung 
desselben Programms, meteorologische und magnetische Beobachtungen 
anstellen zu lassen. Diese Aufforderung fand bereitwilliges Entgegen- 
kommen und lässt sich die folgende Liste von Observatorien mitt- 
lerer Breite aufstelleu, deren Leiter sich entweder bereit erklärt 
haben die Sache in der erwähnten Weise zu unterstützen, oder von 
denen man dies wenigstens erwarten kann. 

1) Observatorien, wo die magnetischen Variationen photo- 
graphisch registrirt werden : 

England: Kew, Greenwich, Stonyhurst; Frankreich: 
Paris; Portugal: Lissabon; Niederlande: Utrecht; 
Deutschland: Wilhelmshaven (wo die von dem astro- 
physikalischen Observatorium in Potsdam bereitwilligst leih- 
weise hergegebenen Instrumente aufgestellt worden sind); 
Oesterreich: Wien; Russland: Paulowsk (bei Peters- 
burg); China: Zi-ka-w'ei (bei Shanghai); Australien: 
Melbourne; Vereinigte Staaten von Amerika: San 
Diego (Californien). 


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2) Observatorien, an welchen die magnetischen Terminbeob- 
achtungen und regelmässige meteorologische Beobachtungen gemacht 
werden, ausser den unter 1) genannten ( wobei indess die Vollständig- 
keit der Liste nicht verbürgt werden kann): 

Deutschland: Breslau, Göttingen, München; Oester- 
reich: Pola; Italien: Moncalieri, Neapel; Dänemark: 
Kopenhagen und Stationen auf Island ; Schweden: Gothen- 
burg, Stockholm und Upsala; Norwegen: Ghristiania; 
Russland: Tiflis und die Hauptstationen des meteoro- 
logischen Netzes; Vereinigte Staaten von Amerika: 
die llauptstationen des meteorologischen Netzes; Argen- 
tinien: Cordoba; Capland: Capstadt; Havana: Belenu. A. 

3) Zeitweilig, zur Ergänzung der Beobachtungen, in mittleren 
Breiten errichtete meteorologische Stationen: 

in Sibirien: Preobrascheusk, Wercliojansk, Orlensk, 
Olekminsk, Witimsk, Kirensk und Nochtuisk von Seiten 
Russlands ; 

in Finnland: Wasa, Kuopio, Wartsilä; 

in Uruguay, Argentinien und Patagonien: Monte- 
video, Paysandu, Buenos Aires, San Nicolas und Carmen 
von Seiten Italiens; 

auf den Falklands-Inseln: Port Stanley von Seiten 
der Deutschen Seewarte. 

Ausserdem ist von dem Londoner „meteorological council“ 
und der Deutschen See warte das eingehende Studium der Witterungs- 
verhältnisse auf dem nordatlantischen Ocean in Aussicht genommen 
und zu dem Ende den Schiffsführern, welche diesen Theil des Oceans 
kreuzen, besonders sorgfältige und ausführliche Eintragung in das 
meteorologische Journal empfohlen worden. 

Endlich werden in einigen Staaten, so in Russland und Oester- 
reich-Ungarn, an den magnetischen Termintagen, theilweise allerdings 
nur während einer oder mehrerer Stunden. Beobachtungen über 
galvanische Erdströme in den Telegraphcnleitungen gemacht werden. 
In welcher Weise Deutschland sich an dieser Arbeit betheiligen wird, 
scheint noch nicht festzustehen. 

Wir lassen nun im Anschluss an die vorstehende Liste der 
Beobachtungsorte in mittleren Breiten ein Verzeichniss der arktischen 
Stationen folgen unter Beifügung der Namen der Chefs der Expedi- 
tionen und der geographischen Positionen, soweit dieselben bekannt sind. 


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30B 


1 

.1* Ort 

Geographische 

Lage 

„ . Läng«; 

Breite v> Qreenw 

Besetzt 

durch 

Auf 

Kosten 

Unter Leitung 

Chef der 
Expedition 

1 

Kinguwa-Fjord 


67°18 / W 

Deutschland 

des Staats 

der Polar-Komin. 

Dr. W. Gioae 

9 

Nain, Labrador 

56° 30%, 

6S» 0-,, 

„ 

„ 

n 

Dr. R. Koch 

3 

Lady Frank liu- 
Bal 

81° 20' „ 

(H« 58%, 

Vereinigte 
Staaten von 
Amerika 

n 

des Signal office 

Leut» Greely 

4 

Gudthnah 

64« 12' „ 


Dänemark 

»» 

des meteorologischen Adjunkt Paulsen 
Instituts 

5 

Jan Mayen 

71« 0%, 

8« 36' „ 

Oesterreich 

von Graf 
Wilczek 

von Graf Wilczek 

SchifTsleut. von 
Wohlgemuth 

6 

Kap Thordseu, 
Spitzbergen 

7»! SO',, 

15« 30' 0 

Schweden 

des Kaiifm. 
0. Smith 

der Akademie der 
Wissenschaften 

Kand. Eckholiu 

7 

Bossekop 

IW’ 54' „ 

23« 0%, 

Norwegen 

des Staats 

des meteorologischen 
Instituts 

Assistent Steen 

8 

Sodankylä, Finn- 
land 

67« 24' „ 

26° 36' „ 

Finnland 

t» 

der finnisch. Socictät 
der Wissenschaften 

Assistent Biese 

9 

Möller-Bai, 

Novraja-Semlja 

7 a» 80' “ 

53« 0*,, 

Russland 

n 

der geographischen 
Gesellschaft 

Leut. Andrejew 

10 

» 

*> 

? 

Niederlande 

" 

des meteorologischen 
Instituts 

Prof. Snellen 

11 

Lcua-MUndiiug 

73« 0 / w 

124« 42%, 

Kusslund 


der geographlrtcheu 
Gesellschaft 

Leut. Jürgens 

12 

Point Barre w 

71« 18' „ 

156« 24' W 

Vereinigte 

Staaten 


des Signal office 

Leut. Ray 

13 

Fort Rae 

62° 30' „ 

115° 42' „ 

England 

und Canada 

» 

des meteorological 
office in Londou 

Kapt. Dawson 

14 

Kap Horn 

55« 48' S 

67« 30' „ 

Frankreich 

- 

der Polar-Komm. 

[<eut. de valssoau 
Courcelle-Seneull 

15 

Süd-Georgien 

54« 0',, 

37» 0' „ 

DcMitschland 

„ 


Dr. C-. Schräder 


lieber die einzelnen Expeditionen sind nach deu vorliegenden 
Nachrichten noch folgende Mittheiluugen zu machen: 

1) Die Expedition nach lvingawa-Fjord, Cumberland-Sund, verliess 
Hamburg an Bord der „Germania“, Kapitän Mahlstede, am 27. Juni, er- 
reichte das Eis vor Cumberland-Sund am 3. August und kam am 12. August 
in Kingawa an, wo ein passender Platz für die Errichtung der Station 
gefunden wurde. Die Karten des Sundes sind sehr ungenau und 
auf denselben die Breite des Kingawa-Fjords um einen vollen Grad 
zu nördlich angegeben. Die magnetischen Elemente siud: Dekli- 
nation 72° 12' 7", Inklination 83° 52' 5", Horizontal-Intensität 0,667. 
Die Station war am 7. September fertig eingerichtet ; am 8. September 
verliess die „Germania“ Kingawa und erreichte Hamburg am 
23. Oktober. Der Gesundheitszustand war vortrefflich und der Ort 
der Niederlassung hygienisch vollkommen gesund. Derselbe liegt 
auf einer Niederung in geringer Höhe über dem Meere, während in 
einer Entfernung von etwa 400 w ziemlich hohe Granitberge empor- 
steigen. Die Flut und Ebbe ist sehr erheblich und mit starken 
Strömungen verbunden. 


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B04 


2) Dr. Koch verlies« Hamburg am 7. Juli und erreichte an 
Bord des Missionsschiffes „Harmonv“ am 10. August den Ilafen von 
Hoffeuthal. Er besuchte mit der „Harmony“ die andern Missions- 
stationen und richtete überall die meteorologischen Beobachtungen 
ein. Dr. Koch bleibt selbst den Winter über in Nain und wird im 
nächsten Jahre die sftmmtlichen Stationen wieder besuchen. Es 
beobachten : 

in Hoffenthal Missionar Ritter, 


n 

Zoar 

n 

Rinderknecht, 

n 

Nain 

n 

Waiz, 

» 

Rama 

r> 

Schneider, 

n 

Hebron 

» 

Schulze, 

n 

Okak 

n 

Drechsler. 


Es ist mit besonderer Genugtuung zu konstatiren, dass Dr. Koch 
bei den Missionaren das grösste Entgegenkommen gefunden hat. 

3) Die amerikanische Expedition an Lady Franklin-Bai ist schon 
seit dem Sommer 1881 an Ort und Stelle und wird ebenso wie die- 
jenige auf Point Barrow (s. w. u.) drei Jahre dort bleiben, von denen 
das mittlere dem gemeinsamen Beobachtungsjahre aller Stationen 
entsprechen wird. Die Mannschaft sollte inzwischen abgelöst werden. 
Leutnant Greely langte am 11. August 1881 in Lady Franklin-Bai 
an. Die Ablösung hat dieses Jahr nicht stattfinden können, da das 
Schiff im Smith-Sund nur bis 79 0 20' N. gelangen konnte (vergl. den 
Bericht unter „Kleinere Mittheilungen“); neuere Nachrichten von der 
Expedition fehlen daher. 

4) Die dänische Expedition unter Adjunkt Paulsen verlies« Kopen- 
hagen am 17. Mai und es wurde erwartet, dass dieselbe am 1. August 
ankommen werde. Die Expedition besteht aus den Herren: Paulsen, 
Chef, Petersen, Ryder, Petersen, Hastrup, Arzt und Neergaard, 
Mechaniker. 

5) Die österreichische Expedition unter Liuieuschilfsleutnant 
v. Wohlgemuth verliess Bergen am 26. Mai an Bord des Trausport- 
dampfers „Pola“, musste des Eises wegeu nach Tromsüe umkehren, ver- 
liess diesen Hafen wieder am 20. Juni und konnte am 13. Juli auf Jan 
Muyen landen. Die Station wurde hier so früh etablirt, dass bereits 
der Tennin vom 1. August beobachtet werden konnte. Eine Be- 
steigung des Beerenberges wurde unternommen, konnte aber nicht 
bis zum höchsten Gipfel durchgeführt werden. Auch wurden die von 
den 1633 — 34 überwinternden Niederländern benutzten Hütten auf- 
gefundeu. Das Personal besteht aus den Herren: v. Wohlgemuth, 
Chef, Basso, Bobrik von Boldva, Sobieczky, Gratzl, Fischer, Arzt, 
acht Unterofficieren und Matrosen. 

* 


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305 


6) Diu schwedische Expedition war ursprünglich nach Mossel-Bai 
an der Heulopen-Strasse bestimmt, musste aber Eises halber sich 
südlicher, im Eisfjord beim Ivap Thordsen etabliren. Dieselbe wurde 
von den beiden Kanonenböten „Urd“ und „Verdaude“ hingebracht. 
Die Expedition besteht aus folgenden Mitgliedern: Herren Eckholm, 
Chef, Andree, Solander, Gyllenskjöld, Gyllenkreutz, Arzt, Stjeruspets, 
sowie sechs Mann. 

7) Der Chef der norwegischen Expedition Herr Steen reiste 
Mitte Juni in Begleitung des zweiten Leiters und des Mechanikers, 
den Herren C. Kraft und Iiageu, nach Bossekop ab, welche Station 
am 23. Juni erreicht wurde, während das übrige Personal, die 
Herren Schröter und Hesselberg, Anfang Juli nachfolgten. Es wurde 
der Hof Breverud gemiethet, welcher ungefähr 10 Minuten von dein 
eigentlichen Hof Bossekop entfernt liegt, wo die französische Expe- 
dition unter Lottin und Bravais im Winter 1838 — 39 sich aufhielt. 
Die Station wurde so früh eingerichtet, dass der Termin vom 
1. August, welcher sich mit einer grossen magnetischen und atmos- 
phärischen Störung, begleitet von starken Gewittern, — in dortiger 
Gegend eine Seltenheit, — einleitete, innegehalten werden konnte. Iu 
einiger Entfernung von Bossekop etwa 100 km südlich auf 69 0 1 ' N. 
und 23° 20' 0. in Kautokeiuo wird Herr Sophus Trumholt aus 
Bergen den Winter zubringen, hauptsächlich zu dem Zweck, die 
Höhe des Nordlichts durch korrespondirende Beobachtungen mit 
Bossekop zu ermitteln und andere auf das Studium des Nordlichtes 
bezügliche Beobachtungen vorzunehmen. 

8) Das Personal der finnlündischen Expedition besteht aus den 
Herren: Biese, Sundmau, Granit, Dahlström und Petrelius. Herr 
Sundmau sollte am 23. Mai abgehen, während der Best der Gesell- 
schaft Mitte Juli aufbrechen wollte und hoffte man am 15. August 
mit den Beobachtungen zu beginnen. Herr Selim Lunström begleitet 
die Expedition und bleibt bis zur vollständigen Etablirung bei 
derselben. 

10) Die niederländische Expedition hatte nach den letzten bis 
22. September reichenden Nachrichten ihren Bestimmungsort Dickson- 
Hafen an der Lenamündung nicht erreichen können und befand sich 
80 miles östlich von der Waigatscli-Insel im Eise des Karischen 
Meeres besetzt. Hoffentlich ist es noch gelungen, einen Punkt an 
der Jalmal-Küste oder sonst an der Ostküste von Nowaja Semlja 
zu erreichen. 

11) Die Expedition nach der Lenamündung verliess Petersburg 
am 16. (28.) Dezember 1881, um ihre Ausrüstung in Irkutsk und 
Jakutsk zu beendigen und verliess Jakutsk am 31. Juli d. J. auf 


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306 


einem Dampfboot, welches drei Barken, mit den Ausrüstungsgegen- 
ständen an Bord, in Schlepptau hatte. 

12) Am 17. September 1881 war die amerikanische Expedition 
in Uglaamie, Alaska, etablirt, wobei sie von den dort wohnenden 
Eskimo’s eifrig unterstützt wurde. Am 24. Juli d. J. verliess die 
Ablösungsexpedition San Francisco, worüber nähere Nachrichten 
noch fehlen. 

13) Kapitän Dawson verliess in Begleitung der Beobachter: 
James English, Francis Cookesley und dem Mechaniker Wedenby am 
11. Mai London, um sich über Quebeck nach Fort Rae am grossen 
Sklaven-See zu begeben. 

14) Die französische Expedition ging an Bord des Transport- 
dampfers „La Romanche“, Fregattenkapitän Martial, nach Kap Horn, 
um in der Orange-Bai oder auf der Hermite-Iusel Station zu nehmen. 
Das Personal der Landpartie besteht aus den Herren Courcelle- 
Seneuil als Chef, Paven, Lephay, Cannellier, Hyades, Arzt, und Sauvinet, 
Präparator für naturwissenschaftliche Sammlungen. Das Schiff bleibt 
in den dortigen Gewässern, um Vermessungen vorzunehmen und die 
Verbindung mit Punta Arenas aufrecht zu erhalten. 

15) Die deutsche Südexpedition verliess, wie erwähnt, am 2. Juni 
au Bord des Dampfers „Rio“ Hamburg uud erreichte Montevideo am 
4. Juli. In Montevideo wurde die Expedition von S. M. S. „Moltke“, 
Kapitän zur See Pirner, aufgenommeu und verliess dies Schiff am 
23. Juli den Hafen von Montevideo, um sich nach Süd-Georgien zu 
begeben, welche Insel nach einer sehr stürmischen und durch Eis- 
berge gefährdeten Reise am 12. August in Sicht kam. Doch konnte 
erst am 21. ein Ankerplatz gewählt und mit dem Löschen der Ladung 
begonnen werden. Am 1. September waren alle Häuser unter Dach 
und die Pfeiler aufgestellt, so dass die Aufstellung der Instrumente 
beginnen konnte. Am 3. September war Alles eingerichtet und ver- 
liess die Korvette an diesem Tage den Hafeu, um am 30. in Punta 
Arenas einzutreffen. Die Expedition hat lebendes Vieh von Monte- 
video mitgenommen und auf der Insel die bekannten antarktischen 
Thiere augetroffen, welche auch hie und da einige Abwechslung in 
das Menu bringen werden. Der Stationsort liegt etwa 10 m hoch 
über dem Meere und war das Land tief mit Schnee bedeckt, welcher 
erst weggeräumt werden musste. Der Gesundheitszustand der 
Expedition war ein sehr guter. 

Wenn wir an der Hand der vorhergehenden Darstellung be- 
trachten, welche Anstrengungen gemacht werden, welche ungeheure 
Masse von Material die dreijährigen Polarexpeditionen und die mit 
diesen kooperirenden Observatorien der gemässigten Zone zusammeu- 


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307 


bringen werden, um ein bestimmtes wissenschaftliches Ziel zu 
erreichen, wenn wir bedenken, dass die ganze Arbeit überall uach 
demselben Plane systematisch durchgeführt wird, so wird man mit 
Zuversicht erwarten können, dass die Erkenntuiss der dunklen 
Probleme des Erdmagnetismus und der Meteorologie einen sehr 
erheblichen Schritt vorwärts thun wird. Abschliessende Ergebnisse 
dürfen wir von der jetzigen Arbeit nicht erwarten, dieselbe wird 
aber ergeben, wo in Zukunft die Forschung eiuzusetzeu hat, sie wird 
die Wege zeigen, auf welchen endlich das Ziel erreicht werden kann 
und es wird dann sicher nicht an einer Fortsetzung der jetzt so 
glücklich begonnenen gemeinsamen Forschung aller Nationen fehlen. 
Es liegt nahe, die diesjährige Polarforschung mit der gleichzeitig 
zur Ausführung gelangenden Beobachtung des Vorüberganges der 
Venus vor der Sonne in Verbindung zu bringen und wenn wir sehen, 
dass in beiden Fällen sich die verschiedenen Nationen vereinigt 
haben, um nach gemeinsamer Verabredung und, soweit es die Polar- 
forschung betrifft, im engsten Anschluss an einander zu beobachten, 
so wird man mit Geuugthuuug konstatireu, dass auf wissenschaft- 
lichem Gebiete die nationale Eifersucht überwunden ist, und darin 
eine glückliche Vorbedeutung für die Zukunft erblicken. 

Wir können diesen Aufsatz nicht schliessen, ohne nochmals des 
grossen Verlustes zu gedenken, den das Unternehmen durch den 
leider so früh erfolgten Tod Weyprecht’s erfuhr, welcher sich mit so 
selbstloser Hingabe und rastloser Thätigkeit bis zu seinem Ende dem- 
selben gewidmet hatte. Er starb am 29. März 1881 zwar mit der 
Gewissheit, dass die von ihm so wann vertretene Sache zur Aus- 
führung kommen werde, es war ihm aber nicht vergönnt, die Ver- 
wirklichung zu sehen und selbst thätig an der Volleudung seines 
Werkes mitzuwirkeu. 


> 


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308 


Die Expedition der Bremer geographischen Gesellschaft 
nach der Tschuktschen-Halbinsel und Alaska. 
1881 — 1888 . 

(Reisebriefe des Dr. Arthur Krause.) 

Hierzu Tafel 4: Skizze des Wegs von Deschü bis zum westlichen Kussoöa und 
Tafel 5: Skizze des Weges von Oesclui nach den Seen des Yukon und zum 

östlichen Kussoöa 
von Dr. Arthur Krause. 


IV. 

Tour iu das Dejiih - Thal und zum östlichen Yukon. Kunocfalu t. Vegetation. 
Ssäghfang und Thr&iibereitung. Gletscher des Dejäh - Thaies. Der Ssidrajik -Fluss. 
Jagdausflug. Krummholz und Balsamtamie. Preisselbeeren. Schneehühner. Mühsame 
Wanderung. Das Yukon-Thal. Insekten. Alpenrauiinkel. Seen. Flora. Thierlcben. 
Waldhuhnjagd. Der Schütlüchroä. Waldbäume. Miner. KUckkehr. Wanderung zum 
westlichen Yukon. Besuch bei Tschartritscli. Am Tlchini. Wald. Hochtundra. 
Am Katschadelcli. Das Krotahiuithal. Erkrankung des Begleiters. Kussoöa und 
Ssergoit. Vegetation und Thierlehen. Goldsucher. KUckkehr. Nachschrift der Redaktion 
über dio KUckkehr des Dr. Arthur Krause nach Bremen. 

Chilkoot, den 9. Juni 1882.*) Nach mehreren kleineren Aus- 
flügen wahrend der ersten Hälfte des Mai brach ich am 25. Mai zu 
einer grösseren Tour auf, das Dejäh-Thal hinauf über den Kotaska- 
Pass zum Yukon, dessen Lauf ich bis zum ersten seiner grössere» 
Seen, dem Schütlüchroä (ah = See) verfolgte. Am 5. Juni kehrte icli 
wohlbehalten zurück. Leider sind wir in diesem Jahre den Winter 
erst sein- spät losgeworden, auch traf ich beide Mal beim Ueber- 
gange über den Pass besonders ungünstiges Wetter, so dass die 
Resultate nicht ganz den nicht unbedeutenden Strapazen entsprechen. 

Nach der in erster Linie vorzuuehmenden Bergung der natur- 
historischen Ausbeute noch mit der Berechnung der astronomischen 
Beobachtungen und der Skizzirung meines Weges beschäftigt, erfahre 
ich, dass ein Kanoe in wenigen Minuten nach Ilarrisburgh geht, da- 
her die kurze vorläufige Mittlieilung. 

Der Schütlüchroä liegt etwa 700 m, sage siebenhundert Meter 
über dem Meeresspiegel (Hypsometer), die Quelle des Yukon (V), 
gleich nördlich vom Pass ungefähr 200 — 300 m, der Pass selbst 
vielleicht noch 200 m höher. 

Mit der ersten Gelegenheit erhalten Sie ausführliche Nachricht. 

Vor mir waren zwei Partien von Prospekteru denselben Weg 
gegangen; ich traf sie in ihrem Lager am Schütlttchrofth mit dem 
Bau ihrer Böte beschäftigt. Bei einer weiteren Exkursion von diesem 
Lager aus sah ich auch den zweiten grösseren See, den Kussoöa, 
der ungefähr eine Länge von 4 deutschen Meilen haben mag. 

*) Eingegangen in Bremen den 19. Augnst. 


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Die Richtung des Dejäh-Thales ist fast genau S.-N. (NB. astrou.), 
uiclit wie auf der Ihnen vorliegenden hierin ganz unzuverlässigen Karte 
des amerikanischen llydrogr. office so weit nach Ost; auch der 
weitere Weg führt vorwiegend N.-O.-N. Die geographische Breite 
des Schütltichroä mag ungefähr 60° seiu. 

Ich gedenke nächstens den Chilkat-Fluss hinauf über die dortigen 
Pässe zu gehen. 

Indianer des Innern habe ich leider nicht angetroffen ; ich hätte 
mich sonst von diesen über den Takü-Pass nach Harrisburgh bringen 
lassen. 

Chilkoot, den 10.115. Juni 1882.*) Am 4. und 8. Mai kamen 
von Harrisburgh zwei Partien Goldsucher (Prospekter) in Kanoes 
hier herauf; sie wollten, wie es zuerst von einigen unter ihnen in 
den Jahren 1880 und 1881 versucht worden war, auch diesmal, nur 
etw r as früher im Jahre, über Dejäh zum Yukon gehen. Der Umstand, 
dass gerade der Häring in Nächk’u und der Ssdgh (Smallfish) in 
verschiedenen Flüssen (Chilkoot -Fluss, Dejäh -Fluss, Ch’kazehfn, 
Chilkat-Fluss oberhalb Jendestäkä) in Menge gefangen wurde, 
bereitete ihnen einige Schwierigkeit, die nöthige Anzahl von Trägern 
(sie hatten ungefähr 40 Mannslasteu ä 100 Pfund) zu erhalten; erst 
nachdem die Indiauer mehrere Kanoes Fische pro Mann gefangen 
und dieselben zum Zwecke der späteren Thranbereitung in Gruben 
aufbewahrt hatten, zeigten sich einige bereit, für einen guten Preis 
(8 — 10 Dollars die Last; hinüber 3, zurück 2 Tage) das Gepäck 
hinüberzuschaffen, doch verging darüber so viel Zeit, dass ich einen 
der Miner noch am 24. Mai in Dejäh antraf, gerade beschäftigt, 
den liest der Sachen abzuschicken. 

Für mich war die Jahreszeit noch zu früh, ihnen zu folgen; 
obgleich draussen eine wirkliche Frühlingstemperatur herrschte, 
deckte doch noch tiefer Schnee den Grund überall und zwar in so 
durchweichtem Zustande, dass auch die Schneeschuhe ihre guten 
Dienste versagten. Dagegen war das ruhige, milde Wetter für 
Kauoefahrten recht passend und lieferten mir mehrere derselben, die 
ich in der Zwischenzeit in der Dauer von 1-4 Tagen in Chilkoot 
und Chilkat-Inlet unternahm, manche werthvolle Aufschlüsse über 
Land und Leute, sowie auch eine reiche Ausbeute an Vögeln, von 
denen jetzt täglich zahlreiche neue Ankömmlinge beobachtet wurden. 
Die I’lora war dagegen noch weit zurück; am 6. Mai sah ich zum 
ersten Male eine Weide und die Weiss-Erle (Ainus incana) in Blüte, 
am 20. blühten die Grüu-Erle (vereinzelt), eine andere Weidenart 
und ein strauchiges Vaccinium; der Acker-Schachtelhalm hatte ent- 


*) Eingegangen in Bremen den 9. Oktober, also bedeutend verspätet. 



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wickelte Frnchtkolben. Am 21. öffnete Caltlm palustris an besonders 
günstigen Stellen ihre gelben Kelche; Birken. Johannisbeeren, Veil- 
chen wurden am folgeuden Tage in Blüte gesehen: aber erst jetzt, 
Anfang Juni, kommen die Arabis, Draba, Cardamine, Viola, Stellaria, 
l’rimula, Corrallorhiza, Eriophorum, Carex u. A. hervor, die oder 
deren nächste Verwandte wir in der Heimat im März oder Anfang 
April blühend finden. 

Am Nachmittage des 23. Mai brach ich von Portage-Bai in einem 
Kauoe auf, um über den Dejäh-Pass zu den Yukon-Seen zu gehen. 
Meine Begleiter waren zwei 15jährige Indianerburschen, die ich von 
früheren Exkursionen her als brauchbar kannte, und die sich auch 
diesmal recht gut bewährten. In rascher, günstiger Fahrt erreichten 
wir gegen 8 Uhr die Mündung des Dejäh-Flusses, mussten aber hier, 
da inzwischen Ebbe eingetreten war, aussteigen und das Kanne in 
dem seichten Strombette eine grosse Strecke hinaufziehen, bis wir 
die ersten Grasplätze erreichten, auf denen wir unser Zelt auf- 
schlagen konnten; erst gegen 12 Uhr konnten wir uns zur Ruhe 
begeben. (Punkt I der Kartenskizze.) 

Am folgenden Tage zogen meine Burschen das Kauoe etwa 
fünf Meilen (engl.) gegen die starke Strömung aufwärts, während 
ich jagend und sammelnd durch das Gewirr kleinerer und grösserer 
Inseln streifte, nur manchmal auf das Kauoe wartend, um über 
besonders tiefe Flussarme überzusetzen. Die unteren Gehänge waren 
jetzt vollständig, die Thalsohle fast schneefrei, und die bei meinem 
ersten Hiersein (19.— 20. April) grau und kahl erscheinenden Felsen 
wurden durch das junge Laub der Birken und Grün-Erlen verdeckt. — 
Auf der früher erwähnten kleinen Insel, auf der ich das erste Mal 
kampirt hatte, traf ich mehrere Indianer-Familien an, die damit be- 
schäftigt waren, Thran aus dem „Ssagh“ zu gewinnen; mehrere 
Kanoes lagen halb im Sande vergraben, hierdurch und durch an 
beideu Längsseiten eingeschlagene und durch Stricke straff ungezogene 
Pfosten für den folgenden Kochprozess besonders verstärkt. In einem 
starken Holzfeuer werden Steine von Faust- bis Kopfgrösse erhitzt 
und dann mittelst einer Holzzange in die mit Wasser und Fisch 
gefüllten Kauoes gebracht; das Wasser geräth bald ins Sieden und 
wird einige Stunden hindurch durch Einführen anderer erhitzter 
Steine kochend erhalten. Danach werden die Steine mit einer Holz- 
schaufel herausgenommen, auf einer Art Holzrost, der über das 
Kauoe gelegt wird, mit warmem Wasser abgespült und aufs Neue 
erhitzt. Der Thran, der sich auf der Oberfläche ausgesondert hat, 
wird durch ein halbkreisförmig gebogenes Stück Cedernrinde in den 
vorderen Theil des Kanoes übergeführt und hier mit Holzlöffeln in 


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grosse vierkantige Holzkisten übergeschöpft; durch längeres Stehen- 
lassen und durch Abschöpfen in kleinere Kisten wird er gereinigt. 
Nach dem Erkalten hat der Thran ein Aussehen und eine Konsistenz 
gleich der des Gänseschmalzes; er soll, wenn aus frischem Fisch 
bereitet, nahezu weiss aussehen und recht wohlschmeckend sein; 
wenn er aber, wie hier gewöhnlich, aus Fischen bereitet wird, die 
10 — 14 Tage in den Gruben gelegen haben, wird er für einen 
einigermassen civilisirten Gaumen nngeniessbar. Der im Kanoe 
zurückgebliebene noch viel Thran enthaltende Brei von halbzerkochtem 
Fisch wird in weitmaschige, aus Wnrzelfasern geflochtene Körbe 
gefüllt, und Wasser und Thran durch die Poren derselben hindurch- 
gepresst; auch durch Austreten mit den blossen und keineswegs vor- 
her besonders gereinigten Füssen im Kanoe selbst und durch noch- 
maliges Kochen mit heissen Steinen wird eine möglichst vollständige 
Absonderung des Thrans bewirkt. 

Ein mittelgrosses Kanoe. das etwa drei Mann trägt, voll Fisch, 
liefert in dieser Weise 5 — 6 Gallonen Fischthran; in diesem Jahre 
kommen auf den einzelnen Mann etwa 8 — 12 Kanoes, was als 
günstiges Ergebniss gilt; der Thran dient fast ausschliesslich zur 
Nahrung und wird namentlich mit getrocknetem Fisch genossen; 
im Herbste werden darin die Beeren, vorzüglich „Kachwüech“ 
(Viburnuin sp.) für den Winter und folgenden Sommer einge- 
macht und halten sie sich darin vortrefflich. 

Bei meiner Wanderung stromaufwärts traf ich auf einer der 
kleinen Inseln ganz unverhofft einen der Goldsucher ; er wartete nur 
auf die Rückkehr einiger Träger, um mit diesen die letzten Gepäck- 
stücke hinüberzusenden und dann selbst herüberzukommen ; er tbeilte 
mir mit, dass seine Gefährten glücklich hinübergekommen seien, 
dass aber drüben noch sehr viel Schnee liege, der jetzt in seinem 
erweichten Zustande die Passage sehr schwierig mache. — Etwa 
l'/ü Meilen (engl.) weiter aufwärts setzte ich zum letzten Male über 
den Fluss, das Kanoe wurde auf seiner linken Seite hinaufgezogen 
und nach längerer Rast wurde dann die Fusswanderung angetreten; 
der Weg führte abwechselnd bald in dem steinigen Flussbette, bald 
auf dem linken Thalgehänge und war hier rfament.lich durch das 
dichte Gestrüpp und die vielen kreuz und quer liegenden Baum- 
stämme so beschwerlich, dass wir nur mühsam Schritt vor 
Schritt vordrangen und erst spät am Abend an der Stelle, wo die 
Gewässer des Katlakiichra- und des Ssidrajik -Thaies Zusammen- 
kommen, das Lager (II der Kartenskizze) aufschlagen konnten. — 
Der Umstand, dass der Schnee jetzt mehr geschwunden war, liess die 
zahlreichen Gletscher des Dejüh-Thales mehr hervortreten, als es 


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früher der Fall war. Den grössten erblickte ich ungefähr l 1 /* Meilen 
nördlich von unserem gestrigen Nachtlager auf den rechten Höhen ; 
nach Aussagen von Eingeborenen scheint er mit dem Ferebee- 
Gletscher durch riesige Firnfelder zusammenzuhängen. Gerade 
unserm Mittagsrastplatze gegenüber zeigte sich eine andere mächtige, 
wild zerklüftete Eismasse oben in einer engen Thalspalte und in 
der folgenden ein schmaler fast schneefreier Gletscher, der wie eine 
lange spitze Zunge sich tief bis auf etwa 100 — 200 m über der 
Thalsohle hinabsenkte und in seinen tiefen Klüften am unteren Ende 
ein prächtiges Blau zeigte; der letztere, sowie die beiden ersten 
Gletscher auf der rechten Seite des Ssidrajik-Thales haben auf ihrer 
linken (convexen) Seite deutliche Seitenmoränen; eine riesige Front- 
moräne besitzt der Gletscher, der ungefähr in der Mitte des I)ejäh- 
Fjordes auf dessen rechten Höhen sichtbar wird. 

Nach weiterem wiederum sehr beschwerlichem und wenig 
förderndem Marsche am Vormittage des 25. erreichten wir gegen 
Mittag die Abhänge des das eigentliche Dejäh-Thal nach Norden 
zu abschliessenden Querriegels, wo ich zur Vornahme einiger 
Messungen und um mir einen Einblick in das links abzweigende 
Katlaküchra-Thal zu verschaffen, einige Stunden halten Hess; das 
Thal ist hier erweitert und zeigt kahle Geröll- und Sandffäehen, nur 
kümmerlich von grauen Moosen und Flechten bedeckt. — Nach Ueber- 
schreitung oder vielmehr Durchwatung des reissend dahin strömenden 
Ssidrajik-Flusses führte der Pfad auf dessen linker Uferseite, oft 
ziemlich hoch über seinem Bette; das Nachtlager (III der Karten- 
skizze) wurde ungefähr 100 — 150 m über der Thalsohle des hier in 
mehreren Katarakten durch enge Felsenspalten durchbrechenden 
Flusses aufgeschlagen; mit uns lagerte hier eine kleine Partie 
Träger, die uns kurz vorher eingeholt hatten. Jagend und sammelnd 
kletterte ich noch längere Zeit über moosige Steine und umgefallene 
Baumstämme an den Abhängen umher und fand denn doch, dass der 
bis dahin verfolgte Pfad, so schlecht er auch war, immerhin besser 
sei als gar keiner. 

Freitag, 26. Mai. Wir brachen erst ziemlich spät auf und 
stiegen endlich nach einem durch bald grössere, bald kleinere 
Strecken aufgeweichten Schnees recht mühsamen Marsche in das 
Flussthal hinab; hier holte mich der vorhin erwähnte Miner ein; 
ich ging in seiner Gesellschaft noch eine Meile thalaufwärts, wo 
noch früh am Tage für heute Halt (IV) gemacht wurde. Er und 
die bald darauf cintreffenden Träger wollten noch in der Nacht, so 
lange der Schnee hart war, von hier aus den Uebergang über den 
Pass bis zu ihrem Lagerplatz bewerkstelligen. In der Tliat brachen 


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sie ge, een 2 Uhr am folgenden Morgen anf, während ich an den 
linken Abhängen über die Baumgrenze hinaufstieg und hier zahl- 
reiche bekannte Bürger der heimischen Alpenflora, darunter Azalea 
procumbens in vollstem Blütenschmucke antraf. Mit zahlreichen 
Pflanzen, mehreren kleineren interessanten Vögeln und einem grossen 
Waldhuhn, dem „Nükt“, dessen Ruf man hier häufig hörte, 
beladen, kehrte ich erst gegen 7 Uhr zum Lager zurück, wo ich 
meine Burschen noch in tiefem Schlafe fand. Ein kurzer Marsch 
führte uns darauf über das steinige Flussthal durch ein dichtes 
Gebüsch von Grün-Erlen in nun stärkerem Anstiege bis zur Grenze 
des Baumwuchses; im letzten Krummholzgebüsch wurde das Lager 
(V) aufgeschlagen. Das Krummholz wird hier namentlich von der 
Berg-Hemlocktanne gebildet; noch höher hinauf als sie geht aber 
eine Balsamtanne, die ich zuerst in einigen Exemplaren unterhalb 
Tahft gesehen, die aber jenseits des Passes zuerst als Krumm- 
holz uud dann bei den Seen als schöner Baum in grösseren Be- 
ständen angetroffen wird. — Von unserem Lager sahen wir zur 
Rechten auf den Höhen zwei mächtige Gletscher, von denen nament- 
lich der nördlich gelegene sich steil und tief hinabsenkt, und durch 
sein wiederholtes Krachen unsere Aufmerksamkeit erregte. Ein 
längerer Ausflug von hier aus am Spätnachmittag hoch auf die 
linken Berggehänge lieferte mir ebenfalls recht interessante Aus- 
beute an allerdings noch nicht blühenden Alpenpflanzen*). — Schnee- 
hühner waren ziemlich häufig; ein Männchen, das ich erlegte, zeigte 
nur im Schwanz, am Grunde des Schnabels und im Nacken einige 
schwarze und braune Federn, während ein zweiter in seiner Gesell- 
schaft befindlicher Vogel, wohl ein Weibchen, auf der ganzen Ober- 
seite braun gefärbt war. Die Männchen führen jetzt zur Paarungs- 
zeit erbitterte Kämpfe auf, beim Abstiege wurde ich durch ein 
lautes Knarren, wie es die Schneehühner beim Au- und Auffliegen 
hören lassen, auf zwei weissgefärbte Hühner, die sich in meiner 

*) An eine Eigenthümlielikeit der nordischen Flora wurde ich in angenehmer 
Weise durch meine Träger erinnert; als ich von einem kurzen Jagdausfluge 
auf die Anhöhen zu ihnen zurückkehrte, überreichten sie mir ein jeder in einer 
sauberen Papierdüte eine Anzahl Preisselbeeren, die sie in der Zwischenzeit 
auf dem schneefreien Felshoden gesammelt. Die rothen Beeren des vorigen 
Herbstes sind durch den plötzlich eintretenden Frost und die dichte Schnee- 
decke konservirt worden und haben auch in den wenigen wärmeren aber 
trockenen Tagen nach dem Schmelzen des Schnees keine Finlniss, sondern nnr 
eine Art Gährung erlitten, die sie äusserst wohlschmeckend macht; noch oft 
bückten wir uns heute und in den folgenden Tagen nieder, um eine der voll- 
besetzten Trauben zum Munde zu führen. — Auch die mehligen Beeren der 
Alpen-Bärentrnube und die Krähenbeeren waren fast wie im frischen Zustande. 


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Nähe niederliessen, aufmerksam gemacht; als das eine durch einen 
Schuss verwundet zuckend den Abhang herunterrollte, flog das 
andere herzu, und hieb unbarmherzig auf den nun wehrlosen Gegner 
ein, mit dem es mehrere 10() Fuss den Abhang herunterrollte; erst 
10 Minuten später, als ich hinzukam, flog es davon, seinen Gegner 
in nahezu gerupftem Zustande zusücklassend. 

Seit 4 Uhr Nachmittags hatten wir anhaltenden Regen, die 
Temperatur am Lagerplatz war um 8 Uhr Abends nur 4 1 /* 0 C., 
doch machte ein grosses Feuer vor unserem Zelte unsere Lage 
ganz erträglich. Schon um V*3 Uhr des folgenden Tages (Sonn- 
tag, 28. Mai) wurde zum Aufbruch gerüstet, doch nahm das 
Frühstücken und ein sorgfältigeres Packen der Sachen soviel 
Zeit in Anspruch, dass wir erst um V*5 Uhr abmarschiren konnten. 
Erst, von hier an lag zusammenhängender Schnee auf unserem 
Wege, der auch mich zwang, Mokassins und Schneeschuhe anzulegen; 
bei dem aufgeweichten Schnee konnten die weniger steilen Gehäuge 
noch dadurch mit Schneeschuhen passirt werden, dass man im Zick- 
zack anstieg, bei steilerem Anstieg aber mussten sie abgenommen 
werden, und mühsam Schritt vor Schritt vordringend, oft bis an 
die Hüften im Schnee versinkend, kletterten wir langsam zur Pass- 
höhe empor, die wir erst gegen 8 Uhr erreichten. — In der ersten 
Zeit war das Wetter nicht ungünstig gewesen, wenn auch ein dichter 
Nebel jede Aussicht verdeckte; als wir uns aber dem Gipfel näherten, 
fing Regen und w T eiter oben Schnee an, zu dem sich auf der voll- 
ständig ungeschützten Höhe uocli ein starker Wind gesellte; die 
Temperatur betrug hier 0,6° C. Eine Beobachtung des Kochthermo- 
meters zur Höhenbestimmung musste ich unter solchen Umständen 
leider unterlassen. — Sogleich nach Ueberschreitung der Passhöhe 
steigt man etwa 30 — 50 m in ein nach SW. sich öffnendes Thal 
hinab, um bald darauf wieder etwas ansteigend eineu flacheren 
Rücken zu erreichen, von dem mau NW. den ersten Einblick in 
das Yukonthal gewinnt. Trostlos genug war heute dieser Blick auf 
eine Schneewüste, deren blendende Weisse nur durch den dichter 
fallenden Schnee und Regen einigermassen gedämpft und nur hier 
und da durch einige schroffe schwarze Felsklippen unterbrochen 
wurde. — Kurz vor und auf der Passhöhe selbst hatte ich zahl- 
reiche Spinnen und Insekten vom Schnee aufgelesen; einige in fast 
erstarrtem Zustande waren offenbar von den umliegenden schnee- 
freien Höhen durch den Wind herabgeweht worden, andere, wie 
namentlich Gletscherflöhe und Käfer zeigten sich so munter, dass 
man wohl annehmen konnte, dass diese Schneeflächen ihre eigentliche 
Heimat bilden, auf denen sie in den wenigen herabgewehten Thier- 


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und Ptianzenresten hinlänglich Nahrung finden. — An einer schnee- 
freien Felsenwand, etwa 200 ni unterhalb des Gipfels, beobachtete 
ich die einzige blühende Pflanze, eine hübsche Alpenranunkel mit 
zahlreichen gelben Blütenblättern. 

Ein steiler Abstieg brachte uns bald an die Ufer des ersten 
kleinen Sees, der Quelle des Yukon ; von hier an gingen wir unge- 
fähr 1 Meile (engl.) über ein fast ebenes Schneefeld und dann durch 
eine Kette von Canons und kleineren Seen, die alle ohne Bedenken 
auf dem Eise passirt werden konnten; erst vor dem Eintritt in den 
ersten grösseren See und beim Austritt aus demselben zeigten sich 
einige Stellen offenen Wassers oder ein mit Wasser durchtränkter 
Schnee und Eisbrei, durch den wir über knietief hindurch wateten. 
Am Nordende des eben erwähnten Sees fanden wir das erste be- 
deutendere Gehölz, in welchem für einige Stunden Halt gemacht 
wurde, um bei einem schnell angezündeten Feuer unsere Sachen 
einigermassen zu trocknen und durch ein opulentes Mahl uns zur 
Weiterwanderung zu stärken. Ein Anstieg von hier auf die nörd- 
lichen Höhen lieferte nichts Bemerkenswerthes ; es scheint ein Pass 
von hier nach dem Thal des Schtttlüchroa in nördlicher Richtung 
hinüberzuführen. — Ungefähr um 6 Uhr brachen wir auf und gingen 
in östlicher Richtung zuerst quer über den nächstfolgenden grösseren 
See, dann steil auf seinem südlichen Ufer in die Höhe, um nach 
etwa 2 Meilen an einer Stelle, wo von rechts her ein nicht unbe- 
deutender Bach ins Hauptthal mündet, in dasselbe hinabzusteigen. — 
Dieser Theil der Wanderung erinnerte mich nngeine'n an eine ähn- 
liche über die norwegischen Fielde im Sommer 1880. Hier wie dort 
geht es abwechselnd über Schneefelder, kahles Felsgestein, Moos- und 
Flechtentundra;' Zwergbirken, kriechende Weiden, Wachholder und 
Grün-Erlen sind die spärlichen Vertreter der Baumwelt; den grössten 
Antheil an der Bedeckung des Bodens nehmen die Krähenbeere 
(Empetrum nigrum), dann zahlreiche Mitglieder aus der Familie der 
Ericaceen, eine stattliche Polydrusa, Andromeda polifolia, tetra- 
gona, hvpnoides, Azalea procumbens, Vacciniuin Vitis idaea, Arcto- 
staphvlos alpina, Ledum latifolium und eine zweite schmalblättrige 
Art; zwischen ihnen rankt Linnaea borealis, breitet sich Drvas 
octopetala aus, und sprosst hier und dort Eycopodium Selago und 
Lycopodiuin alpinum hervor. Von den Moosen überzieht das greis- 
graue Rhacomitriuin lanuginosum die Felsblöcke auf weite Strecken, 
verschiedene Polytrielmm- und Pogonatum- Arten bilden Rasen an den 
trockneren Stellen, während in Sümpfen Sphagnum-Arten wuchern; 
ein auf Reuthierkoth wachsendes Splachnum, welches eben seine 
dichtgedrängten rothen Fruchtstiele emportreibt, scheint dieselbe Art 


loogl 


Geogr. Blätter. Breiucu, 18 b . 


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zu sein, die wir in Norwegen und auch im Tsckuktschenlande genau 
unter denselben Verhältnissen angetroffen halten. Auch unter den 
Flechten scheinen die massenhaft auftretenden Arten von Cladonien, 
Cetrarien und Peltigeren identisch zu sein mit denen jener Länder. — 

Iu wie weit eine weitere Entwickelung der Flora im Sommer das 
Bild der charakteristischen Züge derselben, das ich soeben nach dem, 
was ich von den überwinterten Resten gesehen, zu entwerfen ver- 
suchte, beeinträchtigen oder bestätigen wird, muss ich natürlich 
dahingestellt sein lassen. — Das Thierleben trat hier sehr 
zurück; ein sogenanntes „Ground-Squirrel“, Spennophilus sp., sah 
und erlegte ich, als es eben in grossen Sätzen seiner unterirdischen 
Behausung zueilte; von Vögeln erblickte ich nur Schneeammern, 
Berglerchen und die zuerst am 9. Mai iu Portage-Bai auf ihrem 
Durchzuge beobachtete Zonotrichia coronäta, die von den Eingeborenen 
nach ihrem Rufe Dgscluitähi, d. h. „Häuptling von Desclm (Portage- 
Bai)“ genannt wird und jedem Besucher des Landes der Guuanäh 
(Stick-Indians) wohl bekannt ist. 

Nach Ueberschreitung des vorhin erwähnten Nebenflusses führte 
der Weg in massiger Höhe auf der östlichen Thalseite in nördlicher 
Richtung durch einen lichten Wald, bald über Schnee, bald über 
kahlen Fels, oder durch ausgedehnte Sümpfe; erfolgreiche Jagd auf 
das kleine, hier häutige W'aldhuhn, sowie auf eine kleinere, mir noch 
unbekannte Eule brachte Abwechselung in das Einerlei des Marsches, 
verursachte aber auch einigen Aufenthalt, so dass wir erst um 
10 Uhr im Lager der Miner an den Ufern des Schütlfichroä ein- 
trafen. Dieselben hatten sich schon zum Schlafen niedergelegt, aber 
durch meinen letzten Schuss von meiner Ankunft unterrichtet, waren 
einige aufgestanden, um mich zu begrüssen und mir bei einem hellen 
Feuer eine gute Abendmahlzeit vorzusetzen, der ich auch, durch- 
nässt, ermüdet und hungrig, wie ich war, die gebührende Ehre an- 
gedeihen liess. Ein guter langer Schlaf auf balsamisch duftender 
Taunenstreu liess mich die nicht unbedeutenden Strapazen dieses 
Tages bald vergessen. 

Der See war noch vollständig mit Eis bedeckt ; ich konnte also 
nicht, wie ich es vorher wenigstens in Erwägung gezogen, in einem 
<ler am Strande liegenden Kanoes der Chilkoot-Indianer meine Reise 
bis zu den nächsten Wohnplätzen der Gimanah fortsetzen; am Ufer 
entlang zu gehen hätte unverhältnissmässig viel Zeit in Anspruch 
genommen, für die Proviant und Munition nicht ausgereicht hätten. 

Ich beschloss daher, einige Tage zur Anstellung der nöthigen Beob- 
achtungen im Lager zu verweilen und dann zurückzukehren. Leider 
wurde ich in meinen Bemühungen, die geog — '"sehe Breite und 

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Lauge des Sees zu bestimmen, durch die Ungunst der Witterung 
sehr beeinträchtigt ; zuverlässiger ist die aus mehreren Beobachtungen 
mittelst des Kochthermometers abgeleitete Höhe des Seespiegels von 
nur 702 m über dem Meere. 

Der Wald au den Ufern des SchUtlüchroa wird hauptsächlich 
von der Black -Pine (Pinus contorta) und der Balsam -Fir (Abies 
balsamea) gebildet, welche letztere in grossen Blasen unter der 
glatten Rinde so viel Cauadabalsam enthält, dass man in kurzer Zeit 
durch Anstechen und Ausdrücken derselben eine ganze Flasche voll 
sammeln kann. Seltener als diese ist die white spruce (Picea 
Sitchensis), die auch nicht entfernt dieselbe Grösse wie an der 
Seeküste erreicht. Die Berg - Hemlocktanne (Tsuga [Pattonniünä] > 
habe ich nur als Krummholz auf den Abhängen des Kotaska-Passes 
gesehen, die gewöhnliche Hemlock (Tsuga [Mertensiana]) habe ich 
gar nicht bemerkt; niedriger Wachholdcr ist hier und da zu finden; 
ein anderes Nadelholz, von dem das von den Salzwasser-Indianern 
gern gekaute Harz (Chewing-Gum) stammt, kommt erst weiter strom- 
abwärts vor. Von Laubhölzern sinidie Grün-Erle, Zwerg-Birke und 
einige strauchartige Weiden zu erwähnen. 

Das ganze wellige mehr oder weniger bewaldete Hochplateau 
im Osten und Süden des Sees soll voll von kleinen Seen sein ; drei der- 
selben, die ich auf einem weiteren Ausfluge besuchte, und die ihr 
Wasser in den Schütlüehroä ergiessen, hatten eine sehr hübsche 
Lage mitten im Walde und zeigten an ihren Ufern sowie auf und in ihren 
Gewässern eine reichere Flora und Fauna. Zum ersten Male sah ich 
hier die überwinterten Blätter und Fruchtstiele von Nuphar (luteum) 
und hörte ich das Gequak von Fröschen; im und auf dem Wasser 
fing ich Notonecta, Hydrophilus, Gyrinus und Gammarus; ein grosser 
Colymbus, eine Clangula, V* Dutzend Hühner und einige kleinere 
Vögel waren die fernere bei dieser Exkursion erlangte Beute. Von 
Säugethieren bemerkte ich nur das gewöhnliche Eichhörnchen, 
das Ground-Squirrel (Spermophilus) und einen kleinen Nager, von 
den Eingeborenen Kutzln genannt, der sich von den Wurzeln einer 
Lupine nährt.*) 

* Der südliche Theil des Dejübsälke-Thals ist. ähnlich wie im Dejäh-Thal 
eine Grasebene, und an trocknercn Stellen ein wahres Lupinenfeld, massenhaft, 
sieht, man liier die von den Mäusen aufgebauten Haufen der zu 4 — 5 cm langen 
Stücken zerbissenen fingerdicken Wurzeln. Diese bitter schmeckenden Wurzeln 
(Kantäk) werden übrigens auch von den Kingeborenen gegessen, sollen aber, in 
grösserer Menge genossen, eine Art Rausch hervorbringen. Das Gestein an den 
Ufern des ScnütTüehroa ist. ein helles aus Quarz und Feldspat.h und wenig 
Hornblende gemischtes Urgestein, dasselbe, welches nur durch das Zurüc.ktreteu 
und Vorwiegen des einen oder des anderen Bestandtheiles und durch das Hinzu- 
treten eines dunklen Glimmers mannigfach modificirt im ganzen oberen Gebiete 
des Lynn-Knnals angetroffen wird. 


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Die Miner waren unterdessen mit dem Bau von zwei Flach- 
böten rüstig fortgeschritten ; sie hofften in wenigen Tagen, wenn das 
Eis geschwunden, aufbrechen zu können. Wie bei der geringen 
Meereshöhe des Sees zu erwarten, bietet der Yukon wenig Hinder- 
nisse für die Bootfahrt; nur zwischen dem Schütlüchroa und dem 
Kussoöa ist eine „Portage“ von etwa 1 Meile (engl.) zu machen und 
weiter nördlich eiue zweite. Nach Berichten der Eingeborenen ist 
der andere auf der Chilkat- Seite zu erreichende und aus einem 
grossen See (ebenfalls Kussoöa genannt) strömende Quellftuss des 
Yukon ganz frei von irgend welchen die Bootfahrt hemmenden 
Stromschnellen. 

Obgleich die Chilkoot-Indianer die Ankunft der Miner als eine 
gute Gelegenheit, viel Geld zu verdienen, im Ganzen gerne sahen, 
waren sie doch wiederum in Sorge, dass sie ihnen in ihrem Handel 
mit den Gunauah Konkurrenz machen möchten; der Häuptling 
Donäwäk sandte ihnen deshalb einen Brief nach, in welchem er diesen 
Handel für sich und sein Volk in Anspruch nahm; sollten sie etwa, 
so schrieb er den Minern, zur Ausbesserung der Kleidung etwas Leder 
nöthig haben, so möchten sie für eine gegerbte Renthierhaut nicht mehr 
als 10 cts. an Taback geben. Auch ich wurde bei meiner Rückkehr in 
erster Linie gefragt, ob ich die Stick-Indianer getroffen hatte und Jeder- 
mann fühlte sich beruhigt, wenn er hörte, dass ich von meiner 
Exkursion um - Unkraut und allerhand Vogelbälge, aber keinen 
schwarzen Fuchs oder Biber zurückgebracht hätte. Mit wachsender 
Sorge hören auch die hiesigen Indianer von weissen Händlern, die 
immer höher und höher den Yukon hinaufkommen. — Jedenfalls 
ist die im Jahre 1851 von den Chilkats ausgeführte Zerstörung des 
Fort Selkirk an der Vereinigung des Pelly river und des Yukon 
der gleichen Handels-Eifersucht zuzuschreiben. 

Am 1. Juni wurde der Rückweg angetreten; bald beginnender 
und den ganzen Tag anhaltender starker Regen, sowie die noch 
ungünstigere Beschaffenheit des Terrains machten den Passübergang 
noch beschwerlicher, als das erste Mal. Im Ivotäskathal hatten wir 
hoch auf den südlichen Abhängen emporzusteigen, da das Passiren 
der Seen auf dem Eise nicht mehr räthlich war. Im Uebrigeu 
trafen wir im oberen Kotäskathale noch genau dieselbe Schneewüste 
wie zuvor und dennoch erfreuten gerade hier an einer kahlen Fels- 
wand die schön rotlien Blüten der Saxifraga oppositifolia das er- 
müdete Auge; gerade während des Ueberganges hatten wir das 
schlimmste Wetter, eine Anstellung von Beobachtungen war wiederum 
nicht möglich; ohne Aufenthalt stiegen wir abwärts bis zu unserem 
Lagerplatz (IV der Kartenskizze) vom 20. bis 27. Mai, den wir 


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um 8 Uhr erreichten. Hei noch immer anhaltendem Regen mussten 
wir uns noch halb durchnässt in unsere Decken wickeln, schliefen 
aber trotzdem bis spät in den folgenden Morgen hinein, an welchem 
Wind und Sonne bald unsere Sachen trockneten. 

Am Nachmittag des 3. Juni kamen wir zu unserem Kauoe und 
noch denselben Abend in rascher Thalfahrt zu dem Lagerplatz der 
Indianer; am Vormittag des ö. Juni kamen wir wohlbehalten in 
Desclm an, glücklich genug, in der vorhergehenden Nacht eine kurze 
Pause in dem wochenlang anhaltenden starken Südwinde zu der 
Rückkehr benutzen zu können. 

Vortagebai , den 2. Juli 1882.*) Noch im Marschkostüm muss 
ich mich hinsetzen, um, da gerade ein Kanoe abgeht, Ihnen mitzu- 
theileu, dass ich von meiner zweiten grösseren Tour nach dem 
Kussoöa Nr. II. soeben glücklich zurückgekehrt bin. Mit den Er- 
gebnissen kann ich, da ich vom Wetter grösstentheils begünstigt 
wurde, zufrieden sein ; die Ufer des Kussoöa habe ich nicht betreten, 
war aber etwa 3 englische Meilen aufwärts von der Mündung des 
in denselben strömenden Flusses. 

Chilkoot, den 6. Juli 1882.*) Sie werden wohl mit der flüchtigen 
Schilderung meiner ersten grösseren Tour nach dem östlichen Yukon, 
resp. Schütliichroa auch die kurze Nachricht erhalten haben, dass ich 
von der zweiten vierzehntägigen Expedition nach dem westlichen 
Yukon glücklich und im Ganzen befriedigt zurückgekehrt bin; der 
anhaltende starke Südwind nimmt mir aber die Hoffnung, dass diese 
Zeilen noch vor Eintreffen des Julidampfers nach Harrisburgh gelangen 
könueu, um zugleich mit dieser ersten kurzen Mittheilung weiter 
befördert zu werden. 

Ich verliess die Faktorei Portage-Bai am 17. Juni kurz vor 
Mittag und stieg auf der anderen Seite der Halbinsel in das meiner 
harrende Kanoe. Ein starker Südwind brachte uns rasch auf dem 
breiten aber seichten Strome aufwärts ; zwischen den Inseln unterhalb 
Katkwaltü war jedoch die Strömung so stark, dass wir nur langsam 
vorwärts kamen und bei einbrechender Dunkelheit zum Kampiren 
gezwungen wurden. Erst gegen Mittag des 18. erreichten wir 
Kläkquan (Chilkat), wo ich im Hause des alten Tschartrilsch freund- 
liche Aufnahme fand. Seit einigen Wochen weilt eine Missious- 
lehrerin, eine in der Mission von Wraugel erzogeue Halbblut-Indianerin 
im Dorfe, die mit anscheinend grossem Erfolge die Kinder im Eng- 
lischen und in den Missionswissenschaften unterrichtet. Auch sie hat 
mit ihrem Mann vorläufig in Tschartritsch’s Hause Unterkommen 
gefunden; ihre Gegenwart war nicht nur für meine Verpflegung sehr 

*) Eingegangen in Bremen den 19. August. 


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angenehm, sondern auch bei den folgenden Verhandlungen über die 
Weiterreise von grösstem Nutzen. Ich hatte in der That recht 
gethan, nicht auf den alten Tschartritsch zu warten; er wollte erst 
noch einmal nach Portage-Bai-Faktorei, um einige Einkäufe zu machen, 
in zwei Tagen wollte er wieder zurück sein, um mit mir in das 
Innere zu gehen ; jetzt läge doch noch zu viel Schnee auf den 
Bergen u. s. w. u. s. w. Ich liess mich jedoch auf kein Warten ein und 
war in der That so glücklich, am nächsten Morgen mit dein schon 
vorher gedungenen Manne Jelchtälch und einem Sohne Tschartritsch’» 
von Kläkquau aufbrechen zu können. Leider musste ich an Stelle 
des erkrankten älteren Sohnes den jüngeren nehmen, der sich denn 
doch den späteren Strapazen nicht gewachsen zeigte. Ein Kanoe 
brachte unser Gepäck den Chilkatfiuss und den Tlehlui stromauf- 
wärts, während ich mit dem älteren Indianer bald auf dem Steiu- 
geröll des Flussbettes, bald durch den Buschwald des linken Ufers 
zu Fuss aufstieg, häufig genug gezwungen auf das Kanoe zu warten, 
um über tiefere Arme des reissenden Flusses überzusetzen; es war 
spät Abends, als wir gleich oberhalb der Mündung des Jockeach 
den Platz erreichten, wo die Indianer gewöhnlich die Kanoes ver- 
lassen, um die Weiter wauderung zu Fuss anzutreten. Am nächsten 
Morgen (20. Juni) gingen wir nur eine kurze Strecke im Flussthal 
aufwärts, stiegen dann steil auf die 3—4000 Fuss Indien Uferberge' 
bis oberhalb der Baumgrenze und folgten von liier an, uns immer 
auf der Höhe haltend, der Richtung des Flusses, nach W.-N.-W. 
Der Wald, durch den wir anstiegen, war grösstentheils von Laub- 
hölzeru (Pappeln, Weideu, Ahorn, Birken) und wenigen Nadel- 
hölzern (Hemlocktanne und white spruce) gebildet; in einer Höhe 
von 2000 Fuss ungefähr folgte ein Gürtel von üppigem Grüuerlen- 
gebiisch, oberhall) dessen nur noch niedrige Weiden und Ebereschen 
und vereinzelte Gehölze von verkrüppelten Berg-Hemlocktannen, die 
ich sonderbarer Weise weiter unten gar nicht beobachtet, vorgefuuden 
wurden. Je höher wir anstiegen, desto weiter vorgeschritten zeigte 
sich die Flora; was unten erst in Knospen gesehen worden war, 
prangte hier in voller Blüte, ein Umstand, welcher der mit der Höhe 
und dem Lichterwerden des Waldes gesteigerten Lichteinwirkung 
zugeschrieben werden muss. Auf der Hoehtuudra selbst treffen wir 
nur noch die nordischen Allerweltsbürger an ; specifisclie Amerikaner 
sind mehr und mehr weiter unten zurückgeblieben und nur die 
hübschen nickenden Blüten des Dodekatheon nehmen sich fremd- 
artig aus in einer Umgebung von Alpen-Anemonen, Ranunkeln, 
Steinbrech- und Andromeda-Arten, Dryas octopetala, Azalea pro- 
cumbens, Primula minima, IJoydia serotina u. A. — Der Weg 


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auf der Höhe war. obgleich wir den eigentlichen Pfad verlassen, 
keineswegs beschwerlich, nur. hin und wieder war ein Schneefeld zu 
passiren oder ein reisseudes Bächlein zu durchwaten. Bei dem herr- 
lichen, klaren Wetter hatte ich fortwährend einen prächtigen Ausblick 
auf das grüne Tlehini-Tlial (Hin-Fluss) und die zahlreichen Gletscher der 
jenseitigen Gehänge (ein Blick auf die beiliegende Skizze zeigt, dass 
bei weitem die grösste Anzahl von Gletschern auf der N.-W.-Seite 
der Gebirgszüge gefunden wird); von mehreren Punkten aus (z. B. 
noch von II.) sahen wir die wohlbekannten Berggipfel des Lynn- 
Kanals und an einem Punkt über die niedrige Stelle der Chilkat- 
Halbinsel bei Näcbk(u) hinweg das Wasser des Chilkoot-Inlets. — 
Eifriges Botanisiren und gelegentliche Jagd auf Murmelthiere, Erd- 
Eichhöruchen (Ground-Squirrels), Schneehühner waren die Ursache, 
dass wir in den ersten beiden Tagen nur langsam vorwärts kamen, 
erst am Nachmittag des 22. erreichten wir den Seltatlifn und am 
Abend desselben Tages lagerten wir unweit seines Ursprungs aus 
einem kleinen See, der nur durch niedriges Hügelland von dem 
Katschadelch getrennt ist. Der Fusspfad führte jedoch nicht hier hin- 
über, sondern steigt auf dem rechten Ufer des Katschadelch zu einer 
beträchtlichen Höhe an, um dann etwa 5 Meilen (naut.) oberhalb 
wieder zu dem Flusse hinabzuführen, der hier hüfttief durchwatet 
wurde (das erste grössere, fortan durch tägliche Uebung bald zur 
Gewohnheit werdende Fussbad in dem eiskalten Wasser); jenseits 
des Flusses, dessen Spiegel hier 1012 in Seehöhe hat, steigt man 
nur wenige Meter in einer welligen Tundra an und trifft bald 
darauf zwei kleine, schmale Seen, aus denen der Natagehin 
nach Norden Giesst. Noch weniger bemerklich macht sich die 
am nächsten Tage passirte Wasserscheide zwischen dem Natageh n 
und dem Krotahiui (oder zwischen Chilkattluss und Alzech); selbst 
ein Anstieg vom Lager VI. aus auf den südöstlich davon 
liegenden und einige 20 m über die Sumpfebene (937 m Seehöhe) 
emporragenden Hügel vermochte mir nicht darüber Sicherheit 
zu verschaffen, ob das Wasser des Sees Giinäkadetäje zum Krotahini 
oder zum Natagehin fliesst; wiederholte Erkundigungen bei Indianern 
lassen aber keinen Zweifel, dass letzteres der Fall ist. Gegen Mittag 
des 25. Juni erreichten wir den Krotahini an der Stelle, wo er eiligen 
Laufes und ziemlich wasserreich durch ein tief in die weicheren Kalk- 
und Thonschiefer der nordöstlichen Gehänge eingeschnittenes Canon 
in die breite Ebene mündet, durch welche er dann langsam und 
mehrfach Sümpfe und Seen bildend dem Alzech zuströmt. Die Tliäler 
des unteren Krotahini, des Jelcldrni (so wird der Natagehin nach 
seiner Krümmung nach Südwest genannt) und des Chilkatflusses 


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bildeu fast eine gerade Linie; nachdem wir die ersten Höhen am 
linken Ufer des Krotahini erstiegen, zeigte mir mein Führer freudig 
erregt im fernsten Stidosteu die Felsschroffen seines geliebten Heimat- 
dorfes Kläkquan, auf die er doch noch soeben im Gegeusatz zu der 
gerade durchwanderten flachen Tundra als gar zu unwegsam so arg 
gescholten (von dem über Dejäh ins Innere führenden Wege sprach 
er nur mit den aufrichtigsten Zeichen des Abscheus). Das obere 
Krotahinithal ist öde, die Passhöhe (1614 m Seehöhe) selbst, die 
nach beiden Seiten ziemlich rasch abfallt, ein wilder Trümmerhaufen 
des auf der Höhe überall anstehenden syenitischen Gesteins. Von 
hier aus oder noch besser von einer Kuppe weiter unterhalb hat 
man einen guten Ueberblick über das Thal des Tatschanzhini ; ein 
kleiner, jetzt noch zugefrorener See im Osten scheint sein Wasser 
ebenfalls in den Tatschauzhini zu ergiessen; erst als wir zu ihm 
hinansteigen, finden wir, dass er durch einen nur wenige Schritt 
breiten und nur wenige Meter hohen Damm von dem Tatschanzhini- 
thale getrennt ist, und dass er vielmehr mit dem weiter nördlich 
liegenden Danaaku (Silbersee, 1244 m Seehöhe) zusammenhängt, der 
dann sein Wasser in einer Reihe von Katarakten in den Ssergoit 

— den westlichen Yukon — und durch diesen in den Kussoöa er- 
giesst, dessen südliches Ende ich bald darauf von dem Gipfel eines 
kleinen Hügels am Danaäku-See erblickte. Die Erkrankung meines 
jungen Begleiters — wie es schien, war es dieselbe Krankheit 
( Scharlach V), welche zu gleicher Zeit in Kläkquan bei vielen Kindern 
zum Ausbruch kam — zwang mich, hier Halt zu machen, wenigstens 
war sie für Jelchtälch ein Vorwand, die ihm langweilig gewordenen 
Vormärsche aufzugeben; ich hätte ja den Kussoöa gesehen, den 
noch nie eines Gutzgakons Auge erblickt, und damit sollte ich mich 
zufrieden geben. Vergebens suchte ich ihn zu überzeugen, dass ein 
zwei- oder dreitägiger Aufenthalt an den geschützten Ufern des nicht 
mehr fernen Kussoöa für den Kranken gedeihlicher sei, als ein eiliger 
Rückmarsch gerade durch den schwierigsten Theil des ganzen Weges; 
nur mit Mühe konnte ich es durchsetzen, dass er versprach, den 
folgenden Tag entweder zu warten oder nur bis zum Sttdende des 
Danaäka zurückzugehen, während ich allein vorwärts gehen wollte, 
ln der That machte ich mich am folgenden Morgen allein auf den 
Weg, ging am linken Seeufer entlang und stieg daun steil, aber nur 
langsam durch das dichte Gestrüpp von Zwergbirken, Weiden und 
Grünerlen vorwärts kommend, zum Ssergoit hinab, dessen Lauf ich 
ungefähr 2 Meilen (naut.) abwärts verfolgte, (Flussspiegel hier 

— 880 m Seehöhe), um dann steil über Felsgeröll auf die westlichen 
Uferhöhen bis zum Niveau des Danaüka-Sees anzusteigen, zu dem 


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ich über bald steinige, bald moosige, wellige Tundra rascher fort- 
schreitend, gegen Abend zurückkehrte. — Der Ssergoit strömt von 
SUdwest aus einem breiten öden Hochthale, wahrscheinlich ist er 
der Abfluss eines mächtigen Gletschers, doch gestattete das trübe 
Wetter keinen guten Ueberblick; er ist iu seinem unteren Laufe 
ungefähr 30 — 40 m weit und 1 — 2 m tief, besitzt aber weiterhin 
noch einige Stromschnellen, so dass man die Seehöhe des Kussoöa 
wohl um 60 m niedriger, d. h. zu 820 m annehmen kann, also ein 
wenig höher als die des Schütlüchroä des wrestlicheu Yukon (702 m 
Seehöhe). 

An der Vereinigungsstelle des Dauaäka- Abflusses und des Ssergoit 
traf ich wieder die ersten Nadelholzbäume und zwar die Balsamtanne 
und eine der white spruce nahestehende, von ihr aber durch die 
weichen Nadeln und die Zapfen bestimmt verschiedene Art; eigent- 
liches Krummholz, welches die Balsamtanne im Dejähkotass in so 
ausgezeichneter Weise bildet, wurde hier nicht beobachtet. An den 
Ufern des Ssergoit fand ich eine reiche, weit vorgeschrittene Flora; 
eine schon verblühte Pulsatilla fiel mir namentlich als neu auf; die 
strauchige Potentilla war in voller Blüte, während sie doch selbst 
einige Tage später bei der Rückkehr zur Küste erst im ersten 
Knospeustadium gefunden wurde. — Seit dem Aufbruch vom unteren 
Seltathin hatte ich nur noch einmal ein kleines Gehölz der oben er- 
wähnten Fichte beobachtet, nämlich am unteren Natagelnn; sonst 
war die ganze durchwanderte Strecke eine mehr oder weniger öde 
Tundra, die an geschützteren oder niederen Stellen einige Grünerleu, 
weiter hinauf nur Gebüsche von Weiden und Zwergbirken (deren 
Höhe von 2 m bis auf wenige Decimeter wechselt) aufzuweisen hat. — 
Das höhere Thierleben ist ziemlich reich entfaltet, mehrfach 
wurden Füchse, Wölfe und Renthiere beobachtet, frische Bftrenspuren 
waren sehr häufig; überall hörte man das Gezwitscher der Ground- 
Squirrels oder den lauggezogeueu durchdringenden Pfifl' des Murmel- 
thieres. Auf den höheren Bergkuppen sollen Bergziegen und Berg- 
schafe nicht selten sein, während sich in den mit Weiden besetzten 
Flussläufen und Bächen der Biber authält. Schneehühner waren 
ausserordentlich häufig, sowohl die grössere, mehr im Gebüsch lebende 
Art, als auch das kleinere, das die öden Felspartien bevorzugt und 
sich durch sein eigentümliches Knarren und das schrille Krähen 
von dem ersteren leicht unterscheiden lässt. Nur zweimal traf ich 
Weibchen, sie sitzen gerade jetzt auf ihren Eiern und fliegen erst 
auf, wenn man beiuahe auf sie tritt. 

Bei meiner Rückkehr zum Lagerplatz fand ich denselben ver- 
lassen; ein „Brief“ Jelchtälch’s aber, — zwei kleine, aufrecht in die 


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Erde gesteckte Stöckchen und zwei mit ihrer Spitze nach Süden 
zeigende Weidenzweige daneben, — sollten mir andeuten, dass er mit 
dem Knaben nach dem oberen Seeende zurückgegangen sei, wo ich 
sie dann auch nach einer weiteren halben Stunde auffand. Der 
Zustand des kranken Knaben machte den sofortigen Rückmarsch 
möglich; die Sehnsucht meines Führers nach Weib und Kindern und 
nicht zum wenigsten nach den frischen Lachsen Kläkquan’s be- 
schleunigte denselben so, dass wir schon am 2. Juli Kläkquan und 
am Nachmittage desselben Tages Portage-Bai erreichten. Hier traf 
ich Herrn Spuhn von der North-West-Trading-Company gerade im 
Begriff, in das Kanoe zu steigen, das ihn nach Harrisburgh zurück 
bringen sollte; er war so freundlich, trotz der durch die hiesigen 
Witterungsverhaltnisse gebotenen Eile, auf die wenigen Zeilen zu 
warten, in denen ich Ihnen meine glückliche Rückkehr meldete. — 
Zugleich mit ihm war auch eine grössere Schaar von Goldsuchern, 
10 Mann, von Harrisburgh gekommen; sie haben uns vorgestern, 
5. Juli, verlassen, um auf dem bekannten Wege über den Dejäh- 
Pass ins Innere zu gehen, wo sie zu überwiutern gedenken. Das 
Boot, das sie heraufgebracht, soll sogleich nach Harrisburgh zurück - 
geheu, doch wird es von dem starken Südwind jedenfalls längere 
Zeit im Dejäh-Fjord zurückgehalten. 

11. Juli. Erst heute ist das Boot zurück gekommen, also keine 
Hoffnung mehr, dass es den zum 11. oder 12. fälligen Julidampfer 
erreichen wird. Ich gedenke morgeu zu einer Tour mit dem Kanoe 
zur Ausmessung des noch fehlenden südlichen Tlieils der Chilkat- 
Ilalbinsel aufzubrecheu, um dann entweder zum Alzech-Thal hin- 
überzugehen, oder aber durch das Ch'kazelun-Thal in das des Taku- 
ffusses zu kommen suchen. Erstere Tour würde namentlich in 
geologischer Hinsicht interessante Resultate versprechen. 

Hoffentlich erhalten Sie noch mit diesen Zeilen auch schon 
Bericht über meine Rückkehr. 

Am 2. November kehrte Herr Dr. Arthur Krause nach Bremen 
zurück. Er hatte sein Standquartier in Chilkoot (Alaska) am 6. September 
verlassen, erreichte nach dreitägiger Kanoereise Juneau city (-Harris- 
burgh) | Alaska J, von wo aus er am 16. desselben Monats mit dem 
Dampfer nach dem Süden fuhr. Am 26. September kam er in Port- 
land (Oregon) an ; von hier aus setzte er seine Reise nach dem Osten 
auf dem neuen Wege durch Amerika fort, entlaug der jetzt noch 
unvollendeten Northern Pacific Eisenbahn, die durch die nördlichen 
Staaten und Territorien führt. Von seinen Unternehmungen im Laufe 
der zweiten Hälfte des Juli und während des Monats August haben 


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wir noch ausführlichere Berichte zu erwarten. Obgleich im Ganzen 
von den in dieser Zeit erzielten Ergebnissen nicht unbefriedigt, 
bedauert er sehr, dass er seinen Plan, den östlichen Yukon bis 
zu seiner Vereinigung mit dem westlichen hinunterzugehen, uicht 
zur Ausführung bringen konute, da die indianischen Begleiter sich 
unterwegs weigerten, weiter zu geheu. Der achttägige Aufenthalt 
in Juneau city bot eine gute Gelegenheit, das interessante Leben 
einer Minerstadt näher kennen zu lernen. Ein nicht minder inter- 
essantes und grossartiges Stück amerikanischen Kulturlebens zeigte 
sich dem Reisenden bei seiner Tom 1 quer durch den Kontinent in 
dem Bau der Northern' Tacific, des dritten Schienenweges durch 
Nordamerika, der den Atlantischen Ocean mit dem stillen Meere 
verbinden soll und dessen Fertigstellung für den nächsten Herbst 
in sichere Aussicht gestellt wird. Die Redaktion. 

Erläuterungen zur Kartenskizze. 

a = jüngeres Eruptivgestein, stromartig ausgebildet; unregelmässige senk- 
rechte Säulen ans dichtem, dunklen Gestein, nach oben zu von einer 3 m 
mächtigen Lage zerklüfteten Gesteins von poröser Beschaffenheit (Lavastruktur) 
bedeckt. 

b = Fundort der fossilen Hölzer unter Geröll des Berges a. 

Danaäka-, Silbersee, ergiesst sein Wasser in einer Reihe von Katarakten 
(Towochräss) in den von S.-W. kommenden Ssergoit, der die Abflüsse vieler 
grosser Gletscher aufnimmt und sich in den Kussoöa (schmaler See) ergiesst. 
Der Ssergoit wurde an dem letzterreichten Punkte zu 880 m Seehöhe gefunden. 
Etwas weiter abwärts befindet sich ein Rastplatz der Indianer, die von hier aus 
mit Flössen oder in Lederböten den Strom und See hinabfahren. Der See wird 
von den Gunanah’s, die an seinem nördlichen Ende einen festen Wohnsitz: 
Jandschekäch?, haben, Mändschu genannt (Mann == See, dschü = gross, lang). 
Der aus dem Kussoöa strömende Yukon wird hier Kussoöachrawathini (Mund des 
Kussoöa) genannt. Dcscbn ist das Ende eines Fusspfads. Jendestäkä, Katkwaltü 
und Kläquan (Chilkat) sind Indianerdörfer am Chilkat-Fluss. — Chraälch wird 
jeder reissende Bergstrom mit vielen Katarakten genannt. — Kotass bedeutet: 
freies, beim Marschiren keine Hindernisse bietendes Terrain. — Kratschage oder 
Kidlrhak sind feste Ansiedlungen der Tlingots und Gunauah’s. — Dschenutecha 
heisst so viel als: Rückgrat der Bergziege. — Günäkadctäjc bedeutet: Wohnung 
des Gunakadet, einer Art Seeungcthüm in menschlicher Gestalt, zu dem die 
Indianer beten. 

Die Lage der Nachtlager I, VI, VII, VIII ist durch Sonnen- oder Mond- 
höhen bestimmt. 

Zur Bestimmung der Seeböhe diente das Kochthermometer, dessen An- 
gaben vor und nach der Reise mit dem Aneroid der Handelsstation verglichen 
wurden; hierbei zeigte sich eine Differenz von 2 mm, so dass die Höhenangaben 
bis auf etwa 20 m unsicher sind. 


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Ueber die von den Doctoren Aurel und Arthur Krause 
von der Tschuktschen-Halbinsel mitgebrachte 
Pflanzensammlung. 

Das von den Gebrüdern Krause in der Region des Ostkaps und 
der Lorenz-Bai zusammengebrachte Tierbar zeichnet sich sowohl 
durch seine Reichhaltigkeit (besonders wenn man bedenkt, dass 
die Reisenden erst in sehr vorgerückter Jahreszeit das Tschuktschen- 
Land erreichten), als auch durch die vorzügliche Erhaltung der 
gesammelten Specimina aus, welche die den hochnordischen Blüten- 
pflanzen eigentümliche Farbenfrische noch in vollkommener Weise 
zeigen. 

Von Gefässpflanzeu enthält die Sammlung nach einer vor- 
läufigen — die Arten eher zu weit als zu eng begrenzenden — 
Schätzung des Unterzeichneten 11)3 Species, die sich auf 37 Familien 
vertheilen. Am artenreichsten sind in dem Herbar die Compositae 
(21 Species); Caryophyllaceae (18); Gramina (15, ?); Ranunculaceae, 
Cruciferae, Saxifragaceae (14); Rosaceae (13); Cyperaccae (12); 
Salicaceae (10) ; Ericaceae (9); Primulaceae (7); Lcguminosae, Scrophu- 
lariaceae , Polyyonaceae (6). (Aehnlich sind die entsprechenden 
Zahlen in F. R. Kjellman’s Asiatiska Beriugssunds-kustens fauerogam- 
flora, im ersten Bande der wissenschaftlichen Ergebnisse der Vega- 
Expedition). 

Unter den Gattungen zeichnen sich durch Artenreichthum 
besonders aus Saxifraga, Salix, Carex, Alsine, Ranunculus, Draba, 
Artemisia u. s. w. Dem hocharktischen Charakter der Flora ent- 
sprechend überwiegeu pereunirende Pflanzen ; Holzgewächse sind indess 
nur spärlich vertreten und erreichen höchstens einige (1—3) Fuss 
Höhe; zu erwähnen wären von ihnen Spiraea betulaefolia Pall., 
Betula ( glandulosa Michx. '?), Rhododendron kamtschuticum Pall, 
(mit schönen lila Blüten), Enpetrum, Ledum, Loiseleuria und Arten 
von Salix, Astragalus, Oxytropis, Poientilla, Vaccinium, u. s. w. 

Durch besonders schöngefärbte, grosse Blüten fallen auf 
Aconitum, Delphinium, Ranunculus, Papaver alpinum L., Astrayalus, 
Oxytropis, Draba, Parrya, Alsine, Potentilla, Dryas, Sieversia, 
Epilobium latifolium L., Claytonia acutifolia Willd., Saxifraga, Senecio 
resedifolius Less., Leucanthemum, Rhododendron, Cassiope , Primula 
nivalis Pall., Gentiana frigida llaenke (mit zollgrossen Blüten), 
Polemonium, Diapensia, Pedicularis, Attium sibiricum Willd. und das 
zierliche Narthecium coccineum Richards. 

Eine besondere Erwähnung verdient die seltene kleine apetale, im 
Habitus an gewisse Moose ( Leucobryum , und noch mehr an Octoble- 


Jigiiizea oy 


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327 


pharis) erinnernde Saxifraga Eschscholtzii Sternbg., die bisher nur 
aus der Region der Beringsstrasse bekannt war, neuerdings indess 
von Daw.sou auch in Britisch Nordamerika, am Ostabhang der Rocky 
Mountains gefunden wurde. 

Jedenfalls bildet die Krause’sche Sammlung einen werthvollen 
Beitrag zur Kenntniss der Vegetation des nordöstlichsten Theiles 
der alten Welt und ist eine höchst schätzbare Bereicherung unserer 
Herbarien, in denen die Flora der erwähnten Region verhältniss- 
miissig spärlich vertreten ist. 

Ueber die Alaska-Pflanzen, von denen dem Unterzeichneten 
erst wenige Vorlagen (darunter der schöne endemische Cladothamnus 
pyrolaefolius Bong.), soll ein Bericht gegeben werden, sobald die 
Sammlungen in Berlin eingetroffen sein werden. 

Berlin. 15. Nov. 1882. Dr. F. Kurtz. 


Das südliche Neu-Guinea. 

Nach D’Albertis, Moresby, Macfarlane u. A. 

Von Oscar Baumann. 

Es muss gewiss auffallend genannt werden, dass ein Land wie 
Neu-Guinea, die grösste Insel der Welt, welche scheinbar so viele 
natürliche Vortheile bietet, bis heute fast völlig unerforscht blieb. 
Im westlichen Theile verdanken wir es den Bemühungen der nieder- 
ländischen Regierung so wie anderen Nationalitäten, dass die Küsten- 
linien wenigstens so ziemlich sichergestellt sind. Die Südküste da- 
gegen lag bis zum Jahre 1845 in ein tiefes Dunkel gehüllt, welches 
erst durch die Reisen der englischen Kriegsschiffe „Fly“ und „Rattles- 
nake“ etwas gelichtet wurde. Ausführlichere Mittheilungen erhielten 
wir jedoch in neuester Zeit, wo gerade in diesem Theile der Insel 
von Missionaren und Forschungsreisenden das Möglichste gethan 
wurde, um das Land zu erschliessen und der Civilisation zugäng- 
lich zu machen.*) 

Neu-Guinea ist durch die Torres-Strasse von dem australischen 
Kontinente getrennt. Dieselbe ist von einem wahren Labyrinthe 
kleinerer Inseln und Korallenriffen durchsetzt, welche die Schiffahrt 
bedeutend erschweren, ein Uebelstand, der durch die Herstellung 
guter Karten leicht behoben werden könnte. 

Die dem Kap York gegenüberliegende Küste, so wie die ganze 
nördliche und westliche Umgebung des Golfes von Papua ist meist 

*) Herr Dr. 0. Finsch, der eben aus Polynesien zurückgekehrt ist, verweilte 
sechs Monate an der Süd-Küste von Neu-Guinea (Port Moresby) und haben wo- 
von ihm jedenfalls eine werthvolle Bereicherung unserer Kenntniss von Neu- 
Guinea zu erwarten. Die Redaktion. 


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flach uud sumpfig. An guten Aukerplätzen ist hier grosser Mangel, 
überhaupt ist dieses Gebiet nur deshalb von Wichtigkeit, weil hier 
die bedeutendsten Flüsse Neu-Guinea’s einmünden. Einen viel ein- 
ladenderen Charakter hat dagegen die Küste der Südosthalbinsel. 
Hier bieten zahlreiche Häfen, unter welchen der Hall-Sund, Port 
Moresby, die Redscar- und Orangerie-Bai die wichtigsten sind, den 
Schiffen sicheren Schutz. Die beiden äussersteu südöstlichen Kaps 
der Insel schliessen die herrliche tiefeinschneidende Milne-Bai ein 
uud werden durch eine schiffbare Strasse von den Basilisk-Inseln 
getrennt, mit welchen das Inselgewirre Melanesiens beginnt. Diese 
Strasse wurde von ihrem Entdecker, Moresby, China-Strasse genannt, 
denn durch sie führt der nächste Weg von Australien nach dem 
Reiche der Mitte. Die Südosthalbinsel wird von einer mächtigen 
Bergkette, dem Owen-Stanley-Gebirge, durchzogen, dessen höchste 
Kuppen sich bis zu 13000 Fuss erheben sollen. Diese imposanten 
Gipfel sind von der Küste aus wohl sichtbar, ja die durchsichtige Luft 
rückt sie sogar scheinbar nahe, aber noch keinem Europäer war es 
gegönnt, auch nur die Thäler dieses Hochgebirges zu betreten. Wir 
können daher nicht sagen, ob dasselbe mit der Hauptkette der Insel, 
welche unerforscht tief im Innern liegt, zusammenhängt oder nicht. 
Dem einzigen weissen Manne, der bis in das Herz Neu Guinea’s ein- 
dringen konnte, dem Zoologen D’Albertis, gelang dies nur dadurch, 
dass er den Fly-river, den grössten Fluss der Insel, aufwärts befuhr. 
Derselbe entspringt in dem erwähnten Hauptgebirge in zwei Quell- 
ttüssen. Ihre Beschiffung ist nur eine kurze Strecke aufwärts mög- 
lich, dann verhindern Stromschnellen das weitere Vordringen. Nach 
ihrer Vereinigung jedoch hat der Fluss überall die Tiefe von 9 bis 
Iß Faden. Bei seiner Mündung bildet er ein grosses Delta, von 
welchem erst ein Arm untersucht wurde. Westlich vom Fly mündet 
der Maikassa, der von dem unermüdlichen Missionär Macfarlane 
zuerst befahren wurde. Die Ufer sind leider in einem solchen Grade 
versumpft, dass er wohl nie eiue hervorragende Wichtigkeit erlangen 
wird. Der Lauf des in den Golf von Papua einmündenden Aird-river 
ist noch nicht erforscht worden. Ausser den genannten durch- 
ziehen diese Gebiete noch mehrere kleinere Flüsse. Auch die Süd- 
osthalbinsel ist keineswegs wasserarm, vielmehr entströmen zahlreiche 
Flüsse, unter welchen der Manümanü wohl der bedeutendste sein 
dürfte, dein Gebirge. Ob dieser Fluss in seinem Oberlaufe mit dem 
von Stone erforschten Laroki-river identisch ist, werden spätere 
Forschungen lehren. 

Meteorologische Beobachtungen liegen noch wenige vor. Die 
eingehendsten dürften wohl jene sein, welche von Stone und den 


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329 


Missionaren in Port Moresby sowie von D’Albertis angestellt wurden. 
Wir ersehen aus diesen, dass die Hitze wohl ziemlich gross ist, da 
die mittlere Jahrestemperatur an der Küste etwa 26 Grad Celsius 
betrügt; jedoch ist es nicht zu bezweifeln, dass in den höher ge- 
legenen Theilen des Innereu das Klima auch für Europäer erträglich 
sein dürfte. Die schönste und zum Reisen vortheilhafteste Zeit ist 
von Mai bis Ende November, während von Dezember bis April der 
meiste Regen fällt. Auch während letzterer Monate jedoch bleibt 
der Himmel täglich einige Zeit klar. In der Regenzeit herrschen 
Nordwestwinde vor, während sonst Südostwinde die gewöhnlichen 
sind. An den meisten Stellen der Küste muss das Klima ein dem 
Europäer nicht zuträgliches genannt werden, da man häufig Mangrove- 
Gürtel antrifft, welche ja immer das Fieber bedingen. In den Hoch- 
ländern hat sich noch kein Europäer längere Zeit aufgehalten, 
die frische Gehirgsluft dürfte aber wohl kaum der Gesundheit 
schädlich sein. 

Ein Fachgeologe hat noch nie die südlichen Theile der Insel 
besucht, daher auch in geologischer Beziehung unsere Kenntniss eine 
sehr geringe ist. Die flache Gegend, welche sich von der Torres- 
Strasse bis an den Fuss der centralen Kette erstreckt, besteht aus 
Sedimentärgestein, in welchem häufig Seemuscheln eingeschlossen 
sind. Daraus, sowie aus der Verschiedenheit der Vegetation, welche 
die niedrigen Hügelketten von dem umgebenden Flachlande unter- 
scheidet, schliesst D’Albertis, dass dieses Gebiet einst vom Meere 
bedeckt war und durch die Thätigkeit der Korallenthierclien dem- 
selben entstieg D’Albcrtis nimmt an, dass auch die Torres-Strasse 
einst sich in die Fortsetzung dieses Tieflandes verwandeln wird, aus 
welchem die kleinen Inseln dann als Hügel hervorragen würden. 

Die Hügelreihen an der Küste der Südosthalbinsel sind koral- 
linisch, die Vorberge bestehen aus Kalk, Sandstein und Konglomerat, 
der Hauptbestandtheil des Owen-Stauley-Gebirges scheint Quarz zu 
sein. Von nützlichen Mineralien ist noch kein grösseres Lager ent- 
deckt worden. Bei Port Moresby fand man vor wenigen Jahren 
Goldspuren und sogleich begab sich eine Schaar von Abenteurern 
aus Australien dahin. Nachdem diese Leute ihr Möglichstes gethan. 
um den Eingeborenen die gute Meinung, welche die Missionare ihnen 
von den Europäern beigebracht hatten, wieder zu nehmen, verliessen 
sie das Land, da die Arbeit nicht der Mühe lohnte. 

Die Vegetation ist von ausserordentlicher Ueppigkeit, obwohl 
nicht bis zu einem solchen Grade, wie in den nördlichen und west- 
lichen Theilen der Insel. Die meisten Pflanzen gehören zwar dem 
malayischen Typus au, dennoch bekommen mauche Landschaften 


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330 


einen australischen Charakter durch das häufige Auftreten einzelner 
Formen, wie des Eucalyptus-Baumes. Auf der Südosthalbinsel bildet 
derselbe grosse Waldungen, welche meist hinter dem Mangrove- 
tiürtel das Land bedecken. An anderen Punkten, wie im Delta des 
Fly und der Milne-Bai, werden sie jedoch durch echt tropische 
Bäume, wie die Nipa- und Sago-Palme, den Mango-Baum, die Banane, 
einige Myristica-Arten und andere vertreten. Obwohl bei weitem 
der grössere Theil von Neu-Guinea mit dichten Waldungen bedeckt 
ist, so mangeln doch auch ausgedehnte Grasflächen nicht. Dieselben 
verleihen besonders den zwischen den Küstenwaldungen und den 
Vorbergen gelegenen Landstrichen ein ziemlich eintöniges Aussehen, 
welches nur durch einzelne Baumgruppen unterbrochen wird. So- 
bald das Land jedoch au zu steigen beginnt und von Hügelketten 
durchzogen wird, welche immer höher und höher werden, bis sie 
endlich in das mächtige Centralgebirge übergehen, bedeckt es sich 
wieder mit dichtem Urwalde. Baumfarrn, Palmen und Schling- 
pflanzen entzücken hier das Auge des Reisenden. 

Die Thierwelt neigt sich ebenfalls dem australischen Charakter 
zu. An Säugethierarten ist das Land ungemein arm. Kängurus 
treten ziemlich häufig auf und liefern dem Eingeborenen ein ge- 
schätztes Jagdthier, welchem sie jedoch die in den Wäldern hausen- 
den Wildschweine noch vorziehen. Fliegende Hunde wurden am 
Ufer des Fly von D’Albertis in solcher Massenhaftigkeit beobachtet, 
dass sie bei Tage, an Bäumen aufgehängt, denselben das Aussehen 
gaben, als seien sie mit grossen Früchten beladen. 

Im Gegensätze zu den Säugethieren treten die Vögel in einer 
Pracht und Mannigfaltigkeit auf, welche von den Faunen nur weniger 
# tropischer Länder erreicht wird. Ist ja doch Neu-Guinea die Heimat 
des Paradiesvogels ! Da ist Paradisea apoda, welche schon längst auf 
den Arn-Inseln bekannt, nun auch am Fly entdeckt wurde, da ist in 
den dichtesten Stellen des Waldes die herrliche, von purpurrothem 
Federbusch umwallte Paradisea Raggiana und noch zahlreiche andere, 
in schönster Farbenpracht strahlende Arten. Neben solchen Er- 
scheinungen. welche Neu-Guinea besonders für den Ornithologen so 
anziehend machen, müssen die zahlreichen reizenden Kakadu- und 
Taubenarten zurücktreten. Ausserdem sind die Vögel noch durch 
viele Species vertreten. Das grösste bis jetzt bekannte Thier der 
Insel ist der Kasuar, welchem von den Eingeborenen eifrig nach- 
gestellt wird. 

In den Flüssen kommen häufig Krokodile vor, die in ihren 
jüngeren Jahren nach D’Albertis gar keinen so üblen Braten liefern 
sollen. Schildkröten finden sich an den Kttst*»< ziemlich zahlreich, 


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331 


obwohl nicht in solchen Massen, wie auf den Inseln der Torres 
Strasse. Schlangen scheinen keineswegs selten und erreichen oft 
eine Länge von 17 Fuss. Zum Glücke sind sie meist harmlos und 
Giftschlangen, unter diesen auch die schreckliche Todtenotter, ge- 
hören zu den Seltenheiten. Fische beleben alle Gewässer der Insel 
in grosser Zahl. Die Insekten sind noch sehr unvollständig bekannt. 

Prächtige Erscheinungen liefern besonders die Käfer und einige von 
D’Albertis gesammelte könueu den schönsten brasilianischen zur Seite 
gestellt werden. Moskitos und Sandfliegen werden dem Reisenden 
oft lästig. Leuchtende Insekten wurden von Stone am Mai-kassa 
beobachtet, welche ein so intensives Licht ausstralileu, dass er sie 
zuerst für Feuer der Eingeborenen hielt. Ein höchst merkwürdiges 
Insekt (Palingenia papuana) wurde von D’Albertis im Oberlaufe des 
Fly entdeckt, wo es meilenweit die Wasserfläche überzieht. Termiten 
und Ameisen sind zahlreich, ohne jedoch den Menschen schädlich zu 
werden. Die niedere Fauna der Meeresküsten und des Innern harrt 
noch einer näheren Erforschung. 

Wie wir sehen bietet die Geographie und Naturgeschichte Neu- 
Guinea’s manches Interessante und noch viele Räthsel sind ungelöst. 

Unsere höchste Aufmerksamkeit ziehen jedoch die Eingeborenen auf 
sich. Mit der grössten Mühe sammeln wir in den Höhlen und Seen 
Ueberreste unserer Vorfahren in Europa, um uns ein Bild ihrer 
Lebensweise zu machen. Wenn nun plötzlich ein Volk bekannt wird, 
welches heute noch auf demselben Kulturzustande steht wie sie, 
heute noch ausschliesslich Steinwerkzeuge gebraucht, so ist es doch 
gewiss unsere Pflicht, die Sitten, die Lebensweise dieses Stammes 
zu studiren, bevor sie von der hereiubrechenden Civilisation umge- 
wandelt werden. Manches ist in diesem Sinne schon gethan worden, 
aber noch mehr bleibt zu thun übrig. 

Dem Reisenden, der vom Nordwesten der Insel kommt, fällt es 
vor Allem auf, dass die Hautfarbe dieser Menschen durchschnittlich 
heller ist, als die der sogenannten Papuas. Dieselbe ist jedoch bei 
verschiedenen Individuen ungleich und schwankt zwischen dem lichten 
Braun des Südeuropäers bis zu einer dunklen Chokoladefarbe. 

D’Albertis erklärt diese Erscheinung dadurch, dass er zwei ver- 
schiedene Ra^en annimmt, die sich mit einander vermischeu. Am 
Fly scheinen die lichten Stämme gegen das Innere zuzunehmen, 
während die Bergvölker der Südosthalbinsel sich durch auffallend 
dunkle Farbe auszeichnen. Die entweder krausen oder gelockten 
Haare sind meist schwarz, manchmal jedoch ganz oder nur an den 
Spitzen röthlich. Bärte sowie alle Haare am Körper werden öfters 
sorgfältig entfernt. Die Schädelform variirt ungemein, der Gesichts- 

Oeogr. Blfttter. Bremen, 1882. 23 

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332 


typus erhält durch die stark gekrümmte Nase manchmal ein auf- 
fallend semitisches Gepräge. Die meisten Individuen sind mittlerer 
Statur, jedoch kräftig und leicht gebaut, wie denn überhaupt die 
Bevölkerung keineswegs hässlich genannt werden kann. 

Von Krankheiten sind die der Haut, sowie das Anschwellen ein- 
zelner Glieder und Geschwüre am verbreitetsten. Blattern und 
Masern wtttheteu nur in Port Moresby, wohin sie durch Schifte ein- 
geschleppt worden waren. 

In den Sprachen herrscht scheinbar eine unglaubliche Verwirrung, 
so dass Einwohner benachbarter Dörfer oft nicht im Stande sind 
einander zu verstehen. Ob diese Sprachen nur Dialekte oder wirk- 
lich gänzlich von einander verschieden sind, ist noch nicht auf- 
geklärt worden. 

Die bis jetzt bekannten Zahlensysteme sind dekadisch, die Zeit- 
rechnung geschieht nach Mondmonaten. 

Da das Metall, wie schon erwähnt, vollständig unbekannt ist, 
müssen sich die Eingeborenen anderer Materialien zur Verfertigung 
ihrer Waffen bedienen. Speerspitzen, Keulen, Schwerter werden 
meist aus einem grünen, den Gebirgen entstammenden Stein, sowie 
aus Kalk und Feuerstein gearbeitet, und zwar mit einer Geschick- 
lichkeit, die unsere Bewunderung erregen muss. Messer, Bögen, 
Pfeile u. A. werden gewöhnlich aus Bambu oder hartem Holze ver- 
fertigt. Vergiftete Pfeile fand nur D’Albertis am Fly. 

Die Häuser sind durchweg auf Pfählen am Lande errichtet und 
mit Palmblättcrn gedeckt. In den Dörfern der Südosthalbinsel sind 
sie an einer oder beiden Seiten offen und mit einer Veranda ver- 
sehen, während sie am Fly Thüren und Fenster besitzen. In Moatta 
sind die Häuser sehr gross und werden von mehreren Familien be- 
wohnt. Am Meere stehen sie meist längs der Küste, während sie 
weiter im Innern regelmässig in zwei Reihen aufgebaut werden. In 
vielen Dörfern ragt ein Gebäude hervor, das die Gestalt eines um- 
gekehrten Schiffes besitzt, mit Festons und Jagdtrophäen verziert ist 
und zu Versammlungen sowie zum Empfange der Gäste dient. An 
manchen Orten darf es von keinem Weibe betreten werden. 

In den Wohnhäusern befinden sich häufig Hängematten, unter 
welcheu bei Nacht Feuer angeztindet wird, um die Moskitos zu 
vertreiben. 

Die Kleidung — falls mau überhaupt von einer solchen sprechen 
kann — ist ungemein primitiv. Sie besteht ausschliesslich aus einem 
um die Hüften gebundeuen, oft buutfarbigem Grasbüschel, der bei 
Weibern seitwärts offen ist. Manchmal wird er durch einen 1—7 Zoll 
breiten Gürtel ersetzt, der gewöhnlich aus Borke am Leibe gewoben 


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333 


wird und nie abgenommen werden kann. Die Männer von Moatta 
und den Fly-Ufern, sowie die Kinder aller Stämme gehen nackt. 
Trotzdem müssen die Süd-Neu-Guineer eitel genannt werden, da 
sie auf Schmucksachen und Verzierung ihres Körpers ganz besondere 
Aufmerksamkeit richten. Hals und Armbänder werden von Männern 
und Weibern getragen und aus Muscheln, Thierzähnen und Gras 
recht nett hergestellt. In der durchbohrten Nasescheidewand steckt 
meist eine Muschel. Das Ausreissen oder Abschaben aller Haare des 
Körpers, mit Ausnahme jener am Kopfe, ist schon erwähnt; manche 
Männer lieben es auch, ihren Gürtel auf unglaubliche Art zusammen- 
zuschnüren. Das Tättowiren ist ebenfalls Sitte, jedoch wird es 
keineswegs auf so geschmackvolle Art ausgeführt, wie z. B. auf den 
M&rquesas-Inseln. Als Kopfschmuck dienen die prächtigen Federn 
der Paradiesvögel. 

Die einzigen Ilausthiere sind Schweine und Hunde, welche 
letztere nicht bellen und eine ziemlich unsanfte Behandlung erleiden. 
Ausserdem werden noch zahlreiche andere Thiere zahm gehalten, ja 
D’Albertis sah sogar einen gefaugenen Kasuar. 

Der Bandbau steht auf keiner so niedrigen Stufe, als man er- 
warten könnte. Yams, Bananen, Taro, Zuckerrohr, Kokos und andere 
Pflauzen gedeihen auf den Aeckern, die der Eber wegen sorgfältig 
mit Einzäunungen umgeben werden. Der fruchtbare Boden lohnt 
besonders in den Vorbergen die geringe Mühe des Anbaues reichlich, 
und nur wenige Striche am Meere, wie die Umgebung des Port 
Moresby, müssen geradezu steril genannt werden. 

In Bezug auf Fleischnahrung sind die Eingeborenen auf das 
Erträgniss der Jagd und Fischelei angewiesen, welche daher eine 
Hauptbeschäftigung der Männer ausmachen. Das Känguru und Wild- 
schwein wird mit Netzen und Waffen gejagt und auch der Kasuar 
eifrig verfolgt. Nicht nur die Küstenbewohner aller Stämme fischen 
mit grossem Eifer. Am Fly-river fand D'Albertis zahlreiche ver- 
lassene Hütten, die, wie er glaubt, nur temporär von Fischern be- 
wohnt werden. Diese Thatsache liesse auf ein theilweises Nomaden- 
leben der Stämme am Fly schliessen, während sonst durchweg nur 
feste Niederlassungen Vorkommen. 

Die Industrie beschränkt sich auf die Anfertigung der zum 
Beben nothwendigen und angenehmen Gegenstände. An den Küsten- 
landschaften erreicht der Bootsbau eine verhältnissmässig hohe Stufe. 
Die Kanoes sind oft sehr gross und besitzen mehrere viereckige, oder 
ein ungeheueres eliptisches Segel. In diesen Schiffen werden des 
Handels wegen bis 200 englische Meilen weite Seereisen ausgeführt. 
Als die unternehmendsten Kaufleute gelten die Motu bei Port 


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Moresby, welche Thontöpfe, die nur von ihnen verfertigt werden, 
gegen Nahrungsmittel Umtauschen. In dem Dorfe Naiabui existirt 
ein Marktplatz, wo sich zu bestimmter Zeit Einwohner aller um- 
liegenden Ortschaften zum Tauschhandel zusammenfinden. Auch nach 
dem Innern zu scheint ein Verkehr vorhanden zu sein, da D’Albertis 
überall Schmuck aus Seemuscheln fand. 

Einen ganz besonderen Vorzug vor den meisten Völkern des 
Erdballes gewährt den Süd-Neu-Guineern der Umstand, dass be- 
rauschende Getränke noch unbekannt sind. Das Tabackrauchen da- 
gegen ist sehr verbreitet und den Kttstenstftmmen ein unentbehrliches 
Bedürfniss geworden. Besonders bei den Motu werden Manu, Weib 
und Kind nie ohne die grosse flötenförmige Pfeife gesehen. Obwohl 
im Lande sehr guter Taback gebaut wird, ziehen die Eingeborenen 
doch den von Europa kommenden vor und dieser wird deshalb von 
Reisenden als vorzüglichster Tauschartikel verwendet. Die bis jetzt 
bekannten Bergvölker der Südosthalbinsel rauchen nicht, pflegen 
jedoch Betel zu kauen. 

Die Kinder werden von den Müttern in Netzen herumgetragen 
und wird ihnen im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. 
Wie überall, so suchen sie auch hier in ihren Spielen die Er- 
wachsenen nachzuahmen. Bei den Küstenstämmen sind z. B. kleine 
Kanoes als Spielzeug beliebt. In manchen Dörfern wohnen die 
Knaben in eigenen Häusern zusammen. Wenn ein Jüngling heran- 
gewachsen, wählt er sich eine Lebensgefährtin, welche er dem Vater 
um ein entsprechendes Brautgeschenk abkauft. Polygamie ist zwar 
gestattet, jedoch selten. Die Weiber werden keineswegs übel be- 
handelt, ja das gute Verhältniss zwischen Mann und Weib ist eine 
der schönsten Eigenschaften dieser Stämme. An manchen Orten 
üben sogar die Weiber einen solchen Einfluss über die Männer aus, 
dass diese ihnen unbedingt gehorchen. In vielen Dörfern füllt den 
Weibern wohl die schwerste Arbeit auf dem Felde und im Hause 
zu, während die Männer vorzüglich mit Jagd und Nichtsthun ihre 
Zeit verbringen, in anderen dagegen müssen die Männer Alles ver- 
richten und werden von den Weibern nur wenig unterstützt. Fast 
überall werden jedoch die Weiber mit grösserer Schonung behandelt, 
als es bei wilden Völkern gewöhnlich. Man vermeidet sorgfältig sie 
zu erschrecken, ja selbst der Feind schont ihrer. 

Bei Krankheiten kennt man keinerlei ärztliche Behandlung, 
sondern es bleibt einzig der Natur des Patienten überlassen, ob er 
genest oder seinen Leiden erliegt. Greise Personen üben zwar keine 
besondere Autorität, werden jedoch von allen näher bekannten 
Stämmen gut behandelt. Ob am Fly die schreckliche Sitte herrscht, 



335 


alte Leute zu tödten, ist noch nicht gewiss, jedoch hält es D'Albertis 
nachfolgenden Erlebnisses wegen für wahrscheinlich. Aus einem 
Dorfe, welches er passirte, flüchteten die Einwohner nämlich wie 
gewöhnlich beim Herannahen seines Dampfers. Als nun D’Albertis 
eine der Hütten betrat, fand er darin ein sterbendes altes Weib mit 
zerschmetterter Hirnschale. 

Die Beerdigungs- und Trauer gebrauche sind verschieden. In 
den Dörfern am Hall-Sund werden die Leichen durch einige Zeit in 
kleinen pfahllosen Häuschen aufbewahrt. In ganz Süd-Neu-Guinea 
gilt das Bemalen mit schwarzer Farbe als Zeichen der Trauer und 
diese ist um so grösser, je mehr Körpertheile bestrichen werden. 
Das Tragen buntfarbiger Schmucksachen wird in der Trauerzeit ver- 
mieden. An manchen Orten werden die Todten unter den Häusern 
der Lebenden beerdigt, während an anderen nur die Häuptlinge 
dieses Vorrecht gemessen. Der Todte bekommt häufig Esswaaren 
und Geräthe ins Grab und auf letzterem wird ein kleines Denkmal 
errichtet. Bei manchen Begräbnissen ist der Jammer gross ; rührend 
ist besonders der Schmerz der Eltern, die oft bis zum nächsten 
Morgen am Grabe des verlorenen Kindes verweilen. Am Fly-river 
werden die Todten in Rinde gehüllt und auf ein Gerüst unter ein 
Dach gelegt, das mitten in den Feldern erbaut wird. 

In jedem Dorfe befindet sich ein Häuptling, welcher Rang einem 
Manne verliehen wird, der sich irgendwie ausgezeichnet hat. Seine 
Autorität ist übrigens gering, da fast alle öffentlichen Angelegen- 
beite in Versammlungen entschieden werden, bei welchen lange 
Reden nicht selten sind. Zuweilen werden Tänze gehalten, an 

welchen sich sännntliche Bewohner des Ortes sowie Gäste betheiligen. 
Die phantastischen Tänze, die in mondhellen Nächten beim Klange 
der Trommel oder melodischer Gesänge stattfinden, bieten ein zwar 
wildes, aber nicht unschönes Bild. Von Musik sind die Eingeborenen 
besondere Freunde; D’Albertis und Stone konnten sie durch Singen 
oder Geigenspiel in wahre Extase versetzen. Eine schöne Eigen- 
schaft dieser Stämme ist ihre Gastfreundlichkeit. Während an 
manchen Küstenorten diese edle Tugend bereits zu schwinden beginnt, 
wird in den Bergen dem Fremden überall seine Hütte angewiesen 
und man versorgt ihn reichlich mit Proviant. 

Die Bewohner eines und desselben Dorfes verkehren friedlich 
unter einander, der gewöhnliche Gruss ist das Nasenreiben, manch- 
mal auch das Küssen. 

Wie überall, so finden auch hier Kämpfe statt. Man schliesst 
dies aus den Kriegstrophäen, als welche Schädel, Schmuck, Menschen- 
knochen u. A. manchmal angetroffen werden. Besonders in Moatta 


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336 


sieht man sie häufig, wie denn auch dieses Dorf eine Art Souveränetät 
über einige Stämme im Inneren ausübt. Am kriegerischsten dürften 
die Bewohner der Fly-Ufer sein, welche D’Albertis bei seiner zweiten 
Reise mehrmals wüthend angriffen. 

Sklaverei ist im Allgemeinen nicht gebräuchlich. Nur bei den 
wenig bekannten Eingeborenen der Orangerie-Bai scheint sie zu 
existiren, da den Officieren des italienischen Kriegsschiffes „Vittore 
Pisani“ mehrmals Knaben und Mädchen zum Verkaufe angeboten 
wurden. In Epa fand D’Albertis einen Menschen, der weit aus dem 
Inneren stammen sollte. Er war Kriegsgefangener, wurde als Sklave 
behandelt und zeichnete sich vorzüglich dadurch aus, dass sein Körper 
dicht mit wolligem Haare bedeckt war. 

Ueber die Religion wissen wir noch wenig, jedoch scheint sie 
sich auf den Glauben an Geister zu beschränken. Ueberall werden 
Ainulete getragen, durch welche der Besitzer sich vor Angriffen 
feindlicher Mächte geschützt glaubt. Fast in jedem Dorfe findet sich 
wenigstens ein Haus, welches auf einem hohen Baume erbaut und 
nur mit Leitern zugänglich ist. Man hielt diese luftigen Wohnungen 
früher für Warten, jedoch erfuhr Stone von den Koiari, dass sie nur 
deshalb errichtet werden, um den Geistern den Zugang zu erschweren, 
wenn sie bei Nacht ihre Wohnsitze, die hohen Berge verlassen, um 
den Menschen zu schaden. Auf der Kiwai-Iusel, im Fly-Delta, fand 
D’Albertis ein ungeheuer grosses, leerstehendes Haus, welches er 
religiösen Zwecken gewidmet glaubt. Der Missionar Lawes berichtet, 
dass junge Leute sich in ähnlichen Gebäuden am Hall-Sund oft 
zwei Monate einschliessen, ohne mit der Ausseuwelt zu verkeimen. 

Der Umstand, dass den Todten Esswaaren und Geräthe mit ins Grab 
jjegeben werden, lässt auf den Glauben an ein Fortbestehen nach 
dem Tode schliessen. 

Zuletzt bleibt uns noch der Einfluss zu besprechen, den die 
Europäer bisher auf dieses Volk ausübten. Handelsschiffe besuchen 
fast nie Süd-Neu-Guinea, nur die Perlfischer legen häufig in Moatta 
an. Es hat sich auch wirklich ein ziemlich reger Verkehr zwischen 
ihnen und den dortigen Eingeborenen gebildet, ja viele der letzteren 
sind sogar der englischen Sprache mächtig. Weit geringere Erfolge 
haben die Missionare aufzuweisen. Obwohl zahlreiche, theils farbige 
(polynesische), theils weisse Lehrer an verschiedenen Punkten 
stationirt sind, will es doch mit der Bekehrung nicht recht vorwärts 
gehen. Die Bewohner dieses Theiles der Erde sind überhaupt noch 
so reine, unverfälschte Naturmenschen wie nur an wenigen Punkten. 

Dennoch werden sie sich dem allumfassenden Einflüsse der Civilisation 
auf die Dauer nicht entziehen können. Wir wollen jedoch hoffen, 

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dass ihre natürliche Intelligenz sie befähigen werde, sich dem rast- 
losen Vorwärtsschreiten der Kultur anzuschliessen, statt wie andere 
Naturvölker im Kampfe ums Dasein von ihr aufgerieben zu werden. 


Kleinere Mittheilungen. 


§ Ans der geographischen Gesellschaft in Bremen. Nachdem auch Herr 
Dr. Arthur Krause am 2. November wohlbehalten in die Heimat znrüekkehrte, 
ist die von der Gesellschaft veranstaltete Reise ihrer Mitglieder Herren Dr. Dr. Aurel 
und Arthur Krause äusserlich zum Abschlüsse gekommen. Wie man sich 
erinnern wird, traten die beiden Herren ihre Reise im Frühjahr 1881 über New- 
york nach Ban Francisco an. ln einem kleinen Schmier durchsegelten sie den 
nördlichen Stillen Occan und landeten zunächst in der Lorenz-Bai der Tschuktschen- 
Halbinsel. Auf und an letzterer, theils zu Land, theils in einem zu dem Zweck 
mitgeführten Walboot setzten sie ihre Forschungen und Beobachtungen acht 
Wochen hindurch fort; auf der Rückreise nach San Francisco im Herbst wurde 
noch der Lorenz-Insel ein Besuch abgestattet. Den Winter verbrachten die 
Reisenden einer Einladung des Direktors der North-West-Trading Company, Herrn 
l’aul Schulze in Portland, folgend in Chilkoot, einem Handelsposten dieser 
Kompagnie, welcher etwa unter dem ö9. Grad N. B. und 135. Grad W. L. Gr. 
am nördlichen Ende des Lynnkanals gelegen ist (Lynnkanal heisst die nördliche 
Fortsetzung der Chatham-Strasse). Die naturwissenschaftlich wie ethnographisch 
— durch die Thlingit-Indianer — hochinteressanten Gebiete des südöstlichen 
Alaska wurden auf einer Reihe von Fahrten und Wanderungen zu verschiedenen 
Jahreszeiten durchforscht. Im Sommer kehrte Dr. Aurel Krause über Panama 
nach Deutschland zurück, während Dr. Arthur Krause sich noch bis zum Herbst 
in Alaska aufhielt und Anfang Oktober von Portland aus auf der neuen Route 
der nördlichen Pacificeisenbahn nach dem Osten, nach Newyork reiste. Diese 
Eisenbahn ist von Portland bis nach einem Punkte in Montana bereits fertig und 
im Betriebe. Von diesem Punkte, dem „end of the track“, führt eine von der 
Bahngescllschaft eingerichtete Fahrpost die Reisenden in 24stündiger Fahrt nach 
Thomson City. Hier schliesscn die Stagekutschen an, welche die Passagiere 
nach der westlichen Station des Eisenbahnnetzes des Ostens, nach Stillwater. 
bringen. Von hier laufen die Züge nach St. Pauls, der in rascher Entwickelung 
begriffenen Hauptstadt des Staates Minnesota und weiter nach dem Osten. Im 
Ganzen wird der amerikanische Kontinent auf der neuen nördlichen Route, die 
in ungefähr einem Jahre ganz dem Betriebe übergeben werden soll, schon jetzt 
in 15 Tagen durchreist; davon sind 9 Tage Stagcfahrt, 6 Tage Eisenbahnreise. 
Mit dem Dampfer „Oder“ traf Herr Dr. Arthur Krause am 2. November in 
Bremerhaven ein und wurde in Bremen von einigen Mitgliedern unseres Vor- 
standes herzlich willkommen geheissen. Die werthvollen ethnologischen Samm- 
lungen waren bis auf einige noch zu erwartende Nachträge schon in Bremen 
eingetroffen. Auf Ersuchen des Vorstandes übernahm es Herr A. Poppe, hierselbst, 
dieselben zu einer kleinen Ausstellung zu ordnen, welche in diesen Tagen im 
Lokale der Gesellschaft, Rutenhof No. 20, eröffnet werden wird und hat sich 
Herr Poppe dieser nicht geringen Mühwaltung in einer höchst dankenswerthen 
und erfolgreichen Weise unterzogen. Rei dem Interesse, welches diese Samrn- 


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338 


lungen bei allen Freunden der Ethnologie erregen dürften, erschien es angemessen, 
den von Herrn Dr. Aurel Krause gütigst ausgearbeiteten Katalog zugleich 
mit diesem Heft der Zeitschrift zu veröffentlichen. Von den naturwissenschaft- 
lichen Sammlungen ist bis jetzt nur ein Theil eingetroffen. Dieselben wurden 
nach einer vorläufigen Behandlung und Ordnung, welche der Direktor der 
hiesigen städtischen Sammlungen für Naturgeschichte, Herr Dr. Spange], 
gütigst übernahm, an folgende Fachgelehrte zur Bearbeitung übergeben : 
die Schädel Professor Welcker in Halle ; die Echinodermen Professor H. Ludwig 
in Giessen; die Fische Dr. F. Heincke in Oldenburg; die Dekapoden und 
Crustaceen Dr. F. Richters in Frankfurt a. M. ; die Hydroiden und Bryocoen 
Bürgermeister Kirchenpauer in Hamburg; die Reptilien Dr. J. G. Fischer in 
Hamburg; die Amphipoden und Isopoden Professor Metzger in Münden; die 
Copepoden A. Poppe in Bremen ; die Cirripedien und Pycnogoniden Dr. P. C. Hoek 
in Leiden ; die Anneliden Dr. E. v. Marenzeller in Wien ; die Tunicaten Professor 
C. Heller in Innspruck; die Spinnen und Myriapoden Dr. F. Karsch in Berlin; 
die Säugethiere Professor W. Peters in Berlin; die Amphibien und Gephyraen 
Direktor Dr. Spängel in Bremen; die Phanerogamen und Gefässkryptogamen 
Dr. F. Knrtz in Berlin; die Laubmoose Dr. C. Müller in Halle; die Lebermoose 
Dr. Gottsche in Altona; die Pilze Professor Hagena in Oldenburg; die Mollusken 
Professor v. Martens und Dr. Krause in Berlin ; die Vögel Dr. G. Hartlaub in 
Bremen; die Petrefacten Dr. Aurel Krause in Berlin. — Am 4. November hielt 
Herr Dr. Aurel Krause in der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin einen Vortrag 
über die Thlingit-Indianer. In Folge einer Einladung des Vorstandes dieser 
Gesellschaft wohnten Herr Schaffert und Dr. Lindeman der Versammlung bei, 
über welche der Sitzungsbericht weiter mittheilt: „Die Verhandlungen des Abends 
waren zunächst der Expedition bestimmt, welche durch die verdienstvolle Thätig- 
keit der Geographischen Gesellschaft in Bremen ins Leben gerufen war, und 
besonders durch hochsinnige Förderung ihres Vorsitzenden, Herrn G. Albrecht, 
den die Gesellschaft unter ihre Ehrenmitglieder aufgenommen hat.“ 

Am 11. November kehrte das Vorstandsmitglied unserer Gesellschaft, Herr 
Dr. 0. F i n s c h, von einer über 3'/a Jahr ausgedehnten wissenschaftlichen Reise 
nach Bremen zurück, die er im Auftrag der Berliner Humboldtstiftung unter- 
nahm. Das Forschungsgebiet des Reisenden war Polynesien, Melanesien und 
Australien, ln der Begleitung des Dr. Finsch befindet sich ein sechzehnjähriger 
Eingeborner ans Neu-Britannien. Wie wir schon früher meldeten, hat Dr. Finsch 
sehr umfassende ethnologische und naturwissenschaftliche Sammlungen nach 
Berlin gebracht. — Endlich ist unser Mitglied Herr P. Dahse vor einiger Zeit 
von der Goldküste nach Bremen zurückgekehrt. — Die Vorträge, welche unsere 
Gesellschaft auch in diesem Winter veranstaltet, werden am 27. November durch 
Herrn Dr. Aurel Krause mit einem allgemeinen Bericht über die von ihm und 
seinem Bruder ansgeführtc Reise nach Tschuktschen-Land und Alaska eröffnet 
werden. Es folgt am 9. Dezember Herr Dr. Arthur Krause mit einem Vortrag 
über „einen neuen Weg durch den amerikanischen Kontinent“. Nach verschiedenen 
Richtungen sind Verhandlungen angeknüpft, um im Lauf des Winters eine Reihe 
von mündlichen Mittheilungen und Berichten von wissenschaftlichen Reisenden 
in den Versammlungen der Gesellschaft entgegennehmen zu können. 

Der im vorigen Winter unter zahlreicher Betheiligung und gutem Erfolg 
von dem Schriftführer der Gesellschaft, Herrn Dr. W. W 7 olkenhauer, dnrehgeführte 
Lehrknrsns in der Handelsgeographie für Mitglieder des Kaufmännischen 
Vereins wird hoffentlich im Laufe dieses Winters fortgesetzt. 


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Zur Handelsgeographie,*) In unserer Zeit, in der die verschiedenen Länder 
und Erdthcile im Handel sich lebhafte Konkurrenz machen, die Auswanderung 
den Umfang von Völkerwanderungen angenommen, die Eisenbahnen an die Stelle 
von Landstrassen treten, Telcgraphendrähte fast den ganzen Erdball umspannen, 
in der Weltwirtschaft und Weltverkehr in einem Weltpostverein eine kräftige 
Stütze gefunden haben, kurz in einer Zeit., in welcher in allen Theilcn der Welt 
die Absatzgebiete wachsen, die Erzeugnisse der Länder und Völker sich ver- 
mehren, in der die merkantile Bedeutung eines jeden Landes durch alle anderen 
Länder der Erde beeinflusst wird, genügt für den Kaufmann keineswegs mehr 
die Kenntniss nur derjenigen Länder, zu denen er Beziehungen unterhält ; immer 
mehr und mehr stellt sich heraus, dass für die gewerb- und handelstreibende 
Bevölkerung neben der Kenntniss fremder Sprachen ein umfassender geographischer 
Unterricht vielleicht die förderlichste Vorbildung ist. Denn ohne Kenntniss 
der Leistungsfähigkeit von Land und Leuten, ohne Kenntniss der Verkehrswege 
und Mittel, durch welche, und der Form und Bedingungen, unter welchen jener 
Austausch vor sich geht, sind weitreichende Handels- und Industrie - Unter- 
nehmungen, welche wieder die kleineren auf engere Kreise beschränkten Handels- 
und Industriegeschäfte bedingen, unausführbar, ihre Beurtheilnng, von der nicht 
selten viel abhängt, unthnnlich. Treffend bemerkt denn auch Karl Andrec in 
seiner Geographie des Welthandels: „Die Gemeinsamkeit der Verkehrsanlagen 
reicht über alle Erdtheile ; wer sein Geschäft tüchtig, mit Ueberblick und Umsicht 
treiben will, muss die verschiedenen Länder kennen, ihre Weltlage, ihre Erzeug- 
nisse und Produktionskraft, die Völker, ihren Charakter und ihr Staatswesen. 
Nur dann vermag er die Vcrkehrsverhältnissc mit Klarheit zu übersehen, einen 
weiten Gesichtskreis zu gewinnen und mit Sicherheit zu kombiniren, wenn er 
sie im Zusammenhang versteht und ihr Wachsthum auf geschichtlicher Unter- 
lage verfolgt.“ 

Allerdings wird, wo der Unterricht einen solchen Zweck im Auge hat, die 
Geographie weder als eine rein wissenschaftliche Disciplin, noch als ein Gemengsel 
von historischen, topographischen und statistischen Daten in der Weise der 
älteren Schulgeographie angesehen und betrieben werden dürfen. So hat sich 
denn allmählich zwischen die Geographie im wissenschaftlichen Sinne und die 
Nationalökonomie eine neue Disciplin eingeschoben, für welche die Bezeichnung 
„Verkehrsgeographie“, „Handelsgeographie“ oder „wirthschaftliche Geographie“ 
sich mehr und mehr festgesetzt hat. Für diese wirthschaftliche Geographie 
beginnt in unseren Tagen das Interesse ein recht lebhaftes zu werden, denn die 
Anforderungen an die Geographie steigern sich in unserer Zeit in demselben 
Maasse, als sich die wechselseitige Berührung der einzelnen Völker auf allen 
Gebieton des wirthschaftlichen Lebens steigert. Es ist, wie Fr. Ratzel treffend 
sagt, kein Luxus des Wissens oder der Empfindung in unserem Interesse für 
Ausländisches, sondern baare Nothwcndigkeit, zurückführend auf den untrüglichen 
Schluss : Je inniger der Völkerverkehr sich gestaltet, desto tiefer muss das Welt- 
und Völkerveretändniss sein, und das Volk, welches am meisten von diesem 
besitzt, wird jenen am friedlichsten und gewinnreichsten pflegen. — Von Bedeutung 
ist in dieser Beziehung die Gründung eigener handelsgeographischer Vereine, die 

*) Unsere Geographische Gesellschaft hat in Gemeinschaft mit dom Kaufmänni- 
schen Vereine im letzten Winter, wie bereits im vorigen Ucftc erwähnt ist, einen 
handelsgeographischen Kursus veranstaltet ; es mag deshalb gestattet sein, auch hier 
kurz auf die Wichtigkeit der Handelsgeographio hinzuweisen. 


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340 


während der letzten Jahre in verschiedenen Ländern in weiten Kreisen eine 
lebhafte Theilnahine gefunden haben. 

Die Handelsgcographie ist ihrem Inhalte nach keine neue Disciplin. 
Das praktische Bcdürfniss erforderte schon früh für Kaufleute, Rheder, See- 
leute u. A. eine Kenntniss der dem Handel und dem Verkehrswesen fördernden 
Einrichtungen und Anstalten, der Maass- und Münzverhältnisse, des Börsen-, 
Bank- und Versicherungswesens, des Zollwesens, der Finanzen u. A. der einzelnen 
Länder. Dieses Konglomerat der verschiedenartigsten Elemente mit Theilen ans 
der physikalischen Geographie, besonders über die Produktionsverhältnisse, und 
der politischen Geographie wurde zunächst unter dem Namon Handelsgcographie 
zusammengefasst. Mit dem Fortschritt und dem inneren wissenschaftlichen 
Ausban der geographischen Wissenschaft hat aber die Handelsgcographie in der 
neuesten besseren Literatur einen anderen Charakter gewonnen, ohne jedoch 
bezüglich der Bezeichnung oder des Inhalts bislang eine einheitliche und 
definitive Gestalt erhalten zu haben. Kurz und treffend nach unserer Meinung 
definirt Professor Egli die Aufgabe der Handelsgeographie, wenn derselbe schreibt: 
.Die Handelsgcographie zeigt die Erde als den Schauplatz der Waarcucrzcugnng 
und des Waarenumsatzes.* Als höchste Leistung der Handelsgcographie kann 
man die Forderung stellen, dass sie eine pragmatische Entwicklungsgeschichte 
der kommerciellcn Weltlage liefert. 

Erörtern wir kurz, wie sich nach Inhalt und Methode die Handcls- 
geographic hiernach im Verhältniss zur Erdkunde im allgemeinen Sinne zu 
gestalten hat. Natürlich kann sich die Handelsgeographie nur auf Grundlage 
einer allgemeinen Geographie aufbauen; in ihrer weiteren Entwicklung zu 
einer Specialwisscnschatt. hat sie aber die sogenannte mathematische Geographie, 
viele Gebiete der sogenannten physikalischen Geographie aus ihrem Rahmen 
auszuschliessen ; auch die Entdeckungs- und Erforschungsgeschichte bildet 
keinen integrirenden Theil derselben. Auch nicht alle Länder der Erd- 
oberfläche gehören gleichmässig in das Bereich der Handelsgcographie, sondern 
nur insofern ein Länderraum als ein Wirthschaftsgebiet, d. i. als ein Produktions- 
oder Konsumtionsgehict anzusehen ist, ist derselbe zu betrachten. Die Völker- 
kunde gehört nur so weit in die Handelsgeographie, als die Völker Producenten 
oder Konsumenten sind. Von den Ortschaften sind nur diejenigen anfzunehmen, 
welche Produktions- und Konsnmtionsherde oder Waarenzusammenfluss- resp. 
Waarenvertricbsplätzc bilden. Als ilire wichtigste Sonderaufgabc hat die Handels- 
geographie daneben die Produktion der Länder und Staaten darzulegen. Die 
Produktionslehre hat sich mit dem zu beschäftigen, was die Natur an sich und 
mit dem, was sic in Folge dor menschlichen Arbeit bildet. Aber nur das, was 
massenhaft und das, was dauernd in einem Lande oder Staate producirt wird, 
legt sie dar. Untrennbar mit der Produktion hängt die Waarcnbcwcgung und 
der Waarenaustausch zusammen; und so ist auch der Verkehr ein specieller 
Gegenstand der Handelsgeographic. Bezüglich der Methode behandelt die 
llandelsgeographic nicht die Gliederung der Gebirge, die meteorologischen Ver- 
hältnisse um ihrer selbst willen, sondern sic behandelt das Klima mit Rücksicht 
auf den Ackerbau, die Berge mit Rücksicht auf den Bergbau und Verkehr, die 
Flüsse mit Rücksicht auf die Schiffahrt, die Bevölkerung mit Rücksicht auf 
ihre Arbeitsfähigkeit u. s. f. So sehen wir also die Handelsgeographie mit ihren 
besonderen Aufgaben und ihrer besonderen Methode sich als ein wichtiges Glied 
in die allgemeine Erdkunde einfügen. 

Die Literatur der jungen handelsgeographischen Disciplin ist, wenn auch 


oogl 



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noch nicht reich, doch in erfreulicher Entwicklung begriffen. Ohne Anspruch 
auf Vollständigkeit zu machen, wird folgende Zusammenstellung der bekannteren 
Lehrbücher der Handels-Geographie doch von einigem Interesse sein. 

Wohl das älteste Handbuch ist die .allgemein vergleichende Handels- und 
Gewerbs-Geographie und Statistik“ von Dr. Froiherrn Friedr. Willi, von Reden, 
Berlin 1844 (1059 Seiten). Der Verfasser bezeichnet sein Werk als .den ersten 
Versuch einer durchaus neuen Art der Bearbeitung industrieller und handels- 
statistischer Materialien'*. Das Buch gliedert sich in Erdkunde, Länderkunde, 
Völkerkunde und Staatenkunde. Ein sehr reiches Material ist in demselben zur 
Darstellung gekommen und das Werk nimmt in der Entwicklung der handcls- 
geographischen Literatur einen wichtigen, und heute noch historisch interessanten 
l’latz ein. ln der Vorrede weist der Verfasser auch auf seine Vorgänger in 
der Bearbeitung der Handelsgeographie hin. 

Als älteste Schrift ist genannt : Franz, Erster Versuch einer tabellarischen 
Einleitung in die Handlungsordbeschreibung, Stuttgart 1784. Einer der älteren 
Leitfäden für den Schnlgebrauch bilden die „Grundlinien der Handelsgeographie.' 1 
Ein Leitfaden für Realschulen von Dr. Georg Wilh. Hopf (Rektor der Handels- 
schule in Nürnberg). Fürth, 1852. (312 Seiten). Dem Buche ist eine über- 
sichtliche Zusammenstellung der vorzüglichsten Handelsprodukte und ihrer 
Hauptfundorte beigefügt. 

Weiter nennen wir die bereits in achter Auflage erschienene „Geographie 
für Handels- und Realschulen“ von Professor Dr. S. Rüge. Dresden, 1881. 
(357 Seiten). Wenn dieses Lehrbuch auch nicht, eine Handelsgeographie im 
engeren Sinne ist, so werden doch die handelsgeographischen Momente (Berg- 
bau, Ackerbau, Industrie, Handel), hier in einer Weise berücksichtigt, dass 
dieses treffliche Buch bis jetzt mit Recht in vielen Handelsschulen dem geogra- 
phischen Unterrichte zu Grunde gelegt wird. 

Von den specifisch handelsgeographischcn Leitfäden nennen wir zuerst die 
„Neue Handelsgeographie“ von Professor Dr. J. J. Egli. Leipzig, 1872. (315 
Seiten). Der Verfasser nennt, das Buch auch .Erdkunde der Waarcnerzeugung 
und des Waarenumsatzcs.“ Wie dieser Titel andeutet, schliesst das Buch alle 
allgemein geographischen Lehren aus und beschränkt sich nur auf die specifisch 
handelsgeographischen Momente ; bei jedem Erdraume wird die Gewinnung der 
Rohprodukte durch Landwirtschaft, Viehzucht und Bergbau und dann die 
Verarbeitung derselben durch die Industrie und die Bewegung der Roh- und 
Kunstproduktc durch den Handel dargelegt. Dabei ist fast überall der Ab- 
hängigkeit aller dieser Kulturzweige von den Bodenverhältnissen gedacht. Der 
Zweck des Buches ist, „dem angehenden Kaufmanne ein gedrängtes, aber lebens- 
frisches Bild des wirtschaftlichen Ringkampfes zu geben, nicht nach Vollständig- 
keit bis in geringfügige Details, aber nach Treue in den Hanptzügen strebend, 
nicht das Gedächtniss mit zusammenhanglosen Notizen füllend, aber die Be- 
obachtungsgabe des jungen Mannes anregend und schärfend.“ Dem Buche ist 
Seite 287-— 315 als Anhang eine „Kleine Waarenkundc“ angehängt. 

Wir führen ferner an: „Handels - Geographie , Kultur- und Industrie- 
Geschichte.“ Unter Berücksichtigung von volkswirtschaftlichen Principien 
bearbeitet mul mit genauem Register versehen von F. H. Sch lös sing (Direktor 
der Handels-Akademie in Berlin). Berlin, 1873. (852 Seiten). 

Hieran schliesscn wir die .Haudels-Geographic“ von Dr. KarlZehdcn 
(Professor der Handels-Akademie in Wien). Wien, 4. Auflage 1878. (520 Seiten). 
Ebenfalls iu mehreren Auflagen ist bereits erschienen die 


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„Allgemeine Geographie' 1 von Professor Dr. V. F. Klun, Wien, 4. Auflage 
1875. (566 Seiten). Der allgemein geographischen Behandlung jedes Landes ist 
ein Kulturbild desselben beigefügt, in dem die handelsgeographischen Erscheinungen 
desselben in einer Weise dargestellt werden, dass das Buch auch als einer der 
besten Leitfaden der Handelsgeographie genannt werden muss. 

Weiter ist zu erwähnen der .Abriss der Handelsgeographic* von Professor 
Dr. M. Haushofer, Stuttgart, 1879 und: die „Eisenbahngeographie, “ eine 
Darstellung des modernen Weltverkehrs mit besonderer Berücksichtigung der 
Eisenbahnen, ebenfalls von Prof. Dr. Max Haushofer, Stuttgart, 1875. Einen 
vorzüglichen Beitrag über den zuletzt genannten Gegenstand hat vor allem 
Max Maria von Weber in den beiden Abhandlungen „Die Geographie des 
Eisenbahnwesens -1 und „Die Physiognomien der Eisenbahnsysteme“ geliefert. 

Das neueste handclsgeogmphischc Lehrbuch ist die „Handels- und Ver- 
kehrsgeographie* von Emil lleckert (zugleich zweite Auflage von B. Andree's 
Handels- und Verkehrsgeographie. .Stuttgart, Verlag von J. Maier, 1882). 
Dasselbe, ein massiger Band von 410 Beiten Text (mit Register 450 Seiten), ist 
unserer Ueberzeugung nach am meisten geeignet,, den jungen Kaufmann, der 
sich über das Niveau der blossen Routine zu erheben strebt, in das Wesen der 
Handelsgcographie einzuführen. Im allgemeinen Theile des Buchs worden zuerst 
dio Oceane nach ihrer Natur und ihren Produktions- und Verkehrsverhältnissen 
geschildert. Diese Abschnitte sind zum Tlieil ganz vorzüglich. Es folgt dann 
ein Abschnitt über die Kontinente, in dem zunächst im Allgemeinen die Natur 
der Kontinente, die Völker der Erde, die Produktionsverhältnisse, das Handels- 
und Verkehrsleben auf dem Festlande in knappen Zügen dargestellt wird. Im 
speciellen Theile werden die Erdtheile insbesondere und die einzelnen Wirth- 
schafts- und Staatsgebiete nebst ihren Handelsplätzen behandelt. Bei der Be- 
handlung der einzelnen Wirtschaftsgebiete wird stets erst die geographische 
Lage derselben in den Vordergrund gestellt und die besonderen Abschnitte über 
die Produktions- und Handels- und Verkchrsverhältnissc dienen dann gewisser- 
massen zur Illustration und zur genaueren Befestigung des eigentlichen handels- 
geographischen Materials. Die Darstellung ist klar und einfach ; auch die äussere 
Ausstattung ist lobenswert. Wir empfehlen das Buch zur Einführung in die 
Handelsgeographie bestens. 

Das umfangreichste Werk bildet noch immer die „Geographie des Welt- 
handels“ von Dr. Karl A ud ree, fortgesetzt von Glogau, Minoprio, Haushofer etc. 
Drei Bände. Dieses Werk erscheint zur Zeit in einer Volks-Ausgabe in 40 Lieferungen 
ä 50 Pfg. 

Zum Schluss führen wir noch an den „Leitfaden der geographischen 
Verkehrslehre“ von Professor Dr. Ph. Paulitschke (Berlin 1881) und das 
„Lexikon der Handelsgeographie“ von Dr. K. E. Jung (Leipzig 1882). 

Neben diesen literarischen Hilfsmitteln kommt auch die kommcrcicllc 
Kartographie bei dem Studium der Handelsgeographie noch in Betracht; wir 
erinnern an die zahlreichen Eisenbahn- und andere Verkehrskarten, in erster 
Linie an H. Berghaus bekannte „Chart of the World“, die auf allen grösseren 
Kontoren sich längst einen Platz erobert hat. Mit der weiteren Ausbildung 
unserer Verkehrskarten werden gewiss auch die von Francis Galton vorgeschlagenen 
isochronischen Karten, d. h. Karten, in denen die Zeitlängen, in welchen die 
einzelnen Erdräume von einem bestimmten Orte aus erreicht werden können, 
durch übereinstimmendes Kolorit derjenigen Länder, für welche eine gleiche 
Zahl von Reisetagen erforderlich ist, anschaulich gemacht sind, grössere Be- 



343 


deutung gewinnen. Von grossem Werthe für die wirthschaftliche Geographie 
sind insbesondere auch die kartographischen Darstellungen der Produktions- 
gebiete mineralischer, vegetabilischer, animalischer oder industrieller Produkte. 
Wie die Produktionsgebiete sind auch die Absatzgebiete einer kartographischen 
Darstellung fähig. Mit dem weiteren Fortschritt und Ausbau der Handels- 
geographie wird gewiss sehr bald ein specifischer handeis- und verkehrs- 
geographischer Atlas ein Bedürfniss sein. Dr. W. W. 


§ Berichte ans dem Eismeer. Im Anschluss an die in Heft 3 unter dieser 
Bezeichnung gemachten Mittheilungen drucken wir in Nachstehendem einige 
Angaben über die Fahrten von aus dem Eismeere zurückgekehrten Schiffen. 
Sie bestätigen, dass der vergangene Sommer ein entschieden ungünstiger für die 
freie Bewegung von Schiffen im Polarmeer, dass er eine von den Walfängern 
sogenannte closed season (geschlossene Saison) war, die sich dem Walfang wie 
gewöhnlich so auch dieses Mal günstig gezeigt hat. Das Karische Meer erwies 
sich wegen Eises als unpassirbar. Dampfer „Louise“ kehrto unverrichteter Sache 
zurück, ebenso Dampfer „Nordenskiöld“; ernstlich besorgt muss man jetzt wegen 
des Schicksals der von der „Louise“ am 22. September im Eise des Karischen Meeres 
zuriickgclassencu Dampfer „Varna“ (mit. der niederländischen Station für Dickson’s 
Hafen, Jenissej) und „Dymphna“ sein, die unter Kommando des Leutnants 
Hovgaard auf Entdeckung ins Sibirische Eismeer zu gehen bestimmt war. 
Kapitän Burmoister vom Dampfer „Louise“ macht über seine lteise folgende 
Mittheilungen : 

„Hammerfest, den 8. Octbr. 1882. Sie werden erfahren haben, dass die 
„Louise“ wegen der ungünstigen Eis- uud Witterungsverhältnisse den Jenissej 
nicht erreichte und hierher zurückkehren musste. Dass das in einer Reihe von 
Sommern mehr oder weniger leicht zugängliche Karische Meer voll Eis sein 
kann, habe ich in diesem Jahre erfahren. Wie ich aus Bremen erfahre, ist 
Kapt. Dalimann Anfang Oktober nach Jenisseisk znrückgekehrt, hat jedoch die 
beabsichtigte Fahrt von der Mündung des Jenissej nach dem Ob nicht ausführen 
können, da die erstere noch am 13. August durch Eis geschlossen war; am 
18. September vcrliess Kapt. Dallmann die Station in Karaulny. Der Dampfer 
„Nordenskiöld“, ein für die Eisfahrt besonders gebautes Schiff, ist schon Mitte 
September nach Yardö zurückgekchrt, nachdem dasselbe Anfang September die 
Passage durch dio Matotschkin-Strasse vergeblich versucht hatte. Zwar gelangte 
es durch die Karapforte, retournirte aber sofort und wurde nur durch seine 
starke Maschiuenkraft dem Einfrieren entzogen. Die „Louise“ und „Varna“ 
vermuthet der Kapitän südwestlich von Jugor-Strasse eingefroren. Hier ein kurzer 
Bericht über die Reise der „Louise“. Am 19. Juli von Bremerhaven in See 
gegangen, kamen wir am 25. Juli Abends nach schöner Reise in Hammerfest 
an, fanden dort den norwegischen Dampfer „Varna“ mit der niederländischen 
Polar-Beobachtungs-Expedition an Bord vor und gingen am 28. Juli in Begleitung 
desselben von Hammerfest. Die „Varna“ ist ein für Spitzbergen- und Island- 
fahrten gebauter starker hölzerner Dampfer, welcher in Folge der Kürze des 
Schiffes (etwa 50 Fuss kürzer als die „Louise“) sehr gut zwischen dem Eise 
manövrirt. Schon am 1. August erreichten wir den festen Eisrand südlich der 
Kostin-Insel und da wir von den Fangsjachten erfuhren, dass seit Ende Mai nur 
westliche Winde geherrscht hatten, beschlossen wir die Passage durch die 
Matotschkin-Strasse zu versuchen. Am 3. August Abends erreichten wir diese, 
trafen dort dcu Waler „Hope“, welcher zur Aufsuchung L. Smith ausgeschiekt. 


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sowie den „W. Barents“ und die Lustjacht r Kara\ Sir L. Smith war am Abend 
vorher in der Matotschkin-Strassc eine Meile von dem nach ihm suchenden 
Schiffe, von Franz Joseph-Land zurückkehrend, gelandet. Auf selbem Wege 
durch die Strasse fanden wir in der Strasse gefrorenes Eis noch feststehend 
und so stark, dass es in den ersten 8 Tagen nicht aufbrechen würde, somit 
beschlossen wir wieder südwärts zu dampfen und dort eine Veränderung des 
F.ises abzuwarten. In der Matotschkin-Strasse hatten wir ein sehr starkes Ge- 
witter. Am 8. August kamen wir wieder vor dem Eise an und versuchten 
dasselbe südwärts zu umgehen; nachdem wir mehrere Tage int Eise fest waren, 
gelangten wir südwärts, das Eis nahe der Pctsrhora-Miindnng umgehend, am 

15. August in die Nähe der Waigatsch-Insel, trafen dort jedoch, sowohl nach 
Norden, wie Ost und Südost überall Eis an. Nach vergeblichen Versuchen die 
Karapforte und Jugor-Strassc zu erreichen und durch fest zusammenliegendes 
Eis oder ungünstige .Strömung und Winde znrückgetrioben, erreichten wir am 
27. August nach einem nördlichen Sturm, welcher das Eis von der Waigatsch- 
Küste abgetrieben hatte, in einem ziemlich offenen Land-Wasser, den Eingang 
zur Jugor-Strasse, fanden dieselbe aber noch mit feststehendem Eise belegt, 
welches sich selbst bei starkem nach Westen gehenden Strom nicht rührte. In 
der Strasse, so weit bei klarem Wetter vom Mast zu sehen, nur eine feste Eis- 
decke. Nach der Karapforte zurückkehrend, gelangten wir am 30. August bei 
frischem Südost-Winde bfs in die Mitte der Strasse durch sehr lose liegendes 
Eis und beschlossen die sich jetzt bietende Gelegenheit zu benutzen, mit dem vor 
uns fest zusammenliegenden Eise bei dem starken nach Osten treibendeu Strom 
ins karische Meer hineinzutreihen, ein gefährliches Manöver wegen des wilden 
Stromes. Erst durch die Strasse, hofften wir loser liegendes Eis und auch 
offenes Wasser zu bekommen. Am nächsten Morgen befanden wir uns im 
Karischeu Meer. In der Mitte der Strasse entdeckten wir noch eine Untiefe, auf 
welcher Eis an Grund stand, wir triebeu nahe daran vorbei, die Tiefe nahm schnell 
von 15 bis 8 Fadon ab und ebenso schnell wieder zu, von 9, 15, 30 bis 00 Faden 
Tiefe. Nach dreitägigem dichten Nebel waren wir südostwärts der Ostküste 
von Waigatsch und ostwärts längs dem Festlandc mit dem Strom getrieben, 
in theilweise lose liegendem Eis. Bei aufklarendem Wetter konnten wir einige 
Meilen ostwärts dampfen. Durch einen Nord-Schneesturm am 4. September 
wurden wir dermassen vom Eise eingeschlossen, dass wir bis zum 13. September 
vollständig festsassen, auch bildete sich bei 1 — 3 0 Kälte junges Eis zwischen den 
alten Eisschollen. Am 14. September kamen wir bei Südwest-Sturm und Regen 
näher der Küste in ziemlich eisfreies Wasser, mussten jedoch wegen Sturm und 
Nebel an einer Eisscholle t'estmachen, am nächsten Tage waren wir vollständig 
eingeschlossen, und trieben mit dem Strom sehr schnell nach Osten. Vom 

16. September an beständig Kälte, — 2 — ö"ll. Ueberall junges t — 2 Zoll starkes 
Eis zwischen dem alten Eise. Am 17. September kam der dänische Dampfer 
„Dymphna“, Kapt. Lt. z. S. Hovgaard, von Westen her, durch lose liegendes 
Eis dampfend, in unsere Nähe. 

Am nächsten Morgon versuchten wir, die „Varna“ vorauf, nach der 
„Dymphna“ hinzuarbeiten, wobei die „Louise“ zwischen zwei grossen Eisschollen 
eingeklemmt wurde, die Maschine nicht zu gebrauchen und trotz vergeblicher 
Versuche mit Tauen und Eisankern nicht zu befreien war, also ein Vertheilen 
des Eises abgewartet werden musste. Die „Varna“ gelangte durch loses Eis 
in die Nähe des dänischen Dampfers etwa 6 sin von uns entfernt. Nach- 
mittags dampften beide Dampfer etwas weiter südwärts. Am 19. September 


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noch immer zwischen den beiden Eisschollen fest, wurde die „Louise“ mehrere 
Male von den unter den Schiffsboden reichenden Eisschollen einige Zoll gehoben, 
ohne jedoch Schaden zu bekommen. Die beiden Dampfer lagen nebeneinander 
still. In der Nacht zum 20. September gelang es uns bei schwachem Ostwind 
die Schraube vom Eise zu klaren und dampften wir mit Tagesanbruch bei auf- 
frischendem Ostwind durch sich vor uns vertheilendes Eis südwärts der Küste 
zu in etwa 4 sm Entfernung an den noch fest im Eise liegenden beiden 
Schiffen vorbei. Gegen Mittag erreichten wir ziemlich eisfreies Wasser und 
stand zu erwarten, dass die beiden Dampfer bei dem sehr stürmisch werdenden 
Ostwind ohne Zweifel sehr bald loskomraen mussten. Nachmittags erreichten 
wir ein grosses, von Ost nach West streckendes offenes Wasser und hielten die 
Nacht in demselben unter Dampf. Während der Nacht schwerer Selineesturm 
aus Ost, 4 “Kälte, die lose umhertreibenden Eisschollen kaum von dem auf dem 
Wasser liegen bleibenden Schneeschlamm zu unterscheiden. Am 20. September 
bis Mittags anhaltender Oststurm mit Schneetreiben, um uns herum schwere 
Eisschollen, Nachmittags bei aufklarendem Wetter von den beiden Schiffen nichts 
zu sehen, überall schweres Eis mit Schneeschlamm dazwischen. Am 22. September 
westwärts und südwärts fest zusammenliegendes Eis und beschlossen wir, wenn 
möglich ostwärts zu dampfen, um nahe der Jalmal-Küste nach dem Oststurm 
offenes Wasser zu tiuden. Nachdem wir zwei Stunden durch sehr loses und 
junges Eis ostwärts gedampft, sahen wir die beiden Dampfer im Osten vor uns 
und bemerkten näher kommend zu uuserm Schrecken, dass die Schifte noch in 
derselben Lage waren wie vor dem Oststurm. Die Schiffe waren zwischen 
alten Eisschollen, welche durch junges Eis miteinander verbunden, eingefroren 
und befanden sich l'/i englische Meilen von dem offenen Wasser entfernt. Ich 
versuchte vergeblich auf Wunsch des Kapitäns der „Varna 1 , das 6-8 Zoll starke 
junge Eis zwischen den alten Schollen zu zerbrechen und die Schifte zu befreien. 
Bei jedem Anlauf kam die „Louise“ nur eiuige Kuss weiter, auch war es nicht 
möglich, mit dem 200 Fuss langen Schiff die kurzen Biegungen zwischen den 
grossen Eisschollen, welche sich in Folge des jungen Eises nicht rühren konnten, 
zu machen. 

Da ich den Schiffen keine Hülfe leisten konnte und ein Verbleiben an 
dem Kami der Eisfelder der eigenen Sicherheit wegen nicht rathsam war wegen 
der immer näher an das Eisfeld herantreibenden grossen Eisschollen, welche 
auch uns einzusohliessen drohten, musste, ich, nachdem ich Briefe von der 
Expedition erhalten, die Schiffe verlassen und meinen Weg allein weiter suchen, 
um bei dem anhaltenden Frost (4 — 5“ R.) entweder die Küste oder eine der 
Strassen zu erreichen. Die Schiffe befanden sich, als ich dieselben verliess, in 
70“ 15' n. Br. und 64“ ö. L., mit dem Strom langsam nach Nordwest treibend. Durch 
lose liegendes Eis und grosse Flächen junges 2—3 Zoll starkes Eis. in welchem 
die „Louise“ beinahe mit voller Kraft stecken blieb, gelangte ich Nachmittags 
bis etwa 10 sm zur Küste und dann in breitem, eisfreien Wasser etwa 
40 sm nach West und Westsüdwest. Am 23. September kamen wir vor nach 
Westen fest zusammenliegendem Eise an und arbeiteten durch lose, liegendes 
und junges Eis der Küste zu. Während der langen Nacht trieben wir mit dein 
nach Nordwest setzenden Strom ebensoviel zurück, als wir am Tage vorher mit 
Mühe aufgearbeitot hatten. Am 24. September kamen wir der Küste bis auf 
8 sm nahe, trieben jedoch die Nacht bei Ostwind und Schneetreiben (5° Kälte) 
wieder weit vom Lande ab. Ucbcrall junges starkes Eis und 1 Fuss dicker 
Schneeschlamm. Den 25. September wieder südwärts der Küste zu arbeitend. 


»gle 



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wo doch endlich offenes Wasser kommen musste, gelang es uns, der Küste näher 
in sehr lose liegendes Eis zu kommen. Gegen Mittag sahen wir die feste Küste 
am Eingang der Jngor-Strasse, sowie auch die Waigatsch-Küste und dampften 
mehrere Stunden durch junges, 1 — 2 Zoll starkes Eis in die Strasse hinein, 
kamen jedoch einige Mal in der Strasse vor festzusammenliegendera Eise an, 
welches unsem Weg sperrte und ankerten nahe dem Grundeisc an der Waigatsch- 
Küste, Nachmittags Südwest-Sturm mit Schneetreiben, bei nach Osten setzendem 
Strom die Strasse an der Ostseitc gedrängt voll Treibeis. Am 26. September 
gegen Tagesanbruch mussten wir bei westwärts gehendem Strom Eises wegen 
Anker lichten und unter Dampf halten. Mit Tagesanbruch steuerten in die 
Strasse hinein. 

Zu beiden Seiten der Strasse und auf den Sandbänken schweres Grund- 
eis mit Schlammeis dazwischen, nur in der Mitte der Strasse eine, durch den 
Strom offengehaltene Rinne mit lose liegendem Eis, durch welches wir mit Mühe 
hindurchkamen. Um 2 Uhr Nachmittags waren wir beim Westende der Strasse. 
Ueberall südwest und westwärts, so weit vom Mast zu sehen, grosse Flächen 2 — 3 
Zoll starkes Eis, durch welches wir mit voller Kraft dampfend, bis Dunkelwerden 
etwa 40 sm zurücklegtcn. Am 27. September erreichten wir, durch lose 
liegendes altes Eis und Flächen jungen Eises dampfend, Nachmittags das offene 
Wasser in 70° nördl. Br. und 55° östl. Länge uud kamen am 1. Oktober wohl- 
behalten hier an. Westlich von Waigatsch wurde das Wetter von Tag zu Tag 
wärmer und kam ich bei schönstem Wetter in 10° Wärme hier an. Der 
Sommer ist in Hammerfest ausnahmsweise schön gewesen. — Die „Varna* hat. 
einen der erfahrensten Eislootsen au Bord, derselbe hat die Fahrt der „Vega“ 
uud die verunglückte Reise des „Oskar Dickson“ als Eislootsc mitgemacht.“ 

Herr Augustin Gamdl, der Veranstalter der „Dy mph na* -Expedition und 
Eigenthümer des Schiffs, hat die Güte gehabt, uns die beiden ihm bis jetzt von 
dem Befehlshaber Leutnant A. Hovgaard zugogangeuen Berichte zu übersenden. 
Der erste datirt von Vardö, den 2. August. Die „Dymphna“ hatte am 19. Juli 
Kopenhagen verlassen. Das Schiff zeigte sich als guter Segler und machte unter 
Dampf 7 Knoten. Der Polarkreis wurde am 27. Juli Abends passirt uud warf 
die „Dymphna“ am 29. Juli Nachmittags in Troinsö Anker; am Morgen des 
1. August erfolgte die Ankunft in Vardö. Der zweite Bericht vom 8. August, 
dessen im dritten, vom 22. September aus dem Kara-Mecr, Erwähnung gethan 
wird, ist nicht nach Kopenhagen gekommen. An diesem Tage lief die „Dymphna“ 
in die Jugorstrasse, konnte aber erst am 17. die Insel Mestni passiven. Am 
17. kamen die „Varna“ und „Louise“ in Sicht; diese lösten drei Kanonenschüsse, 
die „Dymphna“ glaubte daher, sich ihnen nähern zu müssen, für den Fall, dass 
sie Hülfe bedürften. In der Nacht trieb Eis von der Küste und versperrte den 
Zugang zu derselben. Am Morgen des 18. kam die „Varna“ näher zu dem 
offenen Wasser, in dem die „Dymphna“ sich befunden hatte, und es konnte ein Verkehr 
stattfinden. Am 19. wurde die „Louise“ frei. Die „Dymphna“ befand sich zu 
diesem Zeitpunkt etwa 70 m entfernt von der „Varna“ im Eise. Leutnant 
Hovgaard schreibt dann: „Längs der Küste ist das Meer offen und wenn ich 
nicht in der Nacht vom 17. zum 18. besetzt worden wäre, so würde ich wahr- 
scheinlich schon am Jenissej sein. Indessen bin ich fest überzeugt, dass die 
Aequinoktialstürme uns befreien werden, wir haben dann ungefähr einen Monat 
Schiffahrt.“ Leutnant Hovgaard erklärt, dass zur Zeit keine Gefahr für die 
„Dymphna“ sei. — So weit die direkten Berichte. Um Mitte November brachten 
Telegramme aus Petersburg die Kunde, dass in der Tundra umherstreifende 


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Samojeden der Waigatsoh-Insel in «ler Nähe ein grosses zerschelltes Schiff gesehen 
hätten. Es ist bis jetzt nur eine Vermuthung, dass es eines der beiden am 
22. September im Kara-Meer besetzten Schiffe war. 

Den letzten Nachrichten zufolge haben sich die dänische und die nieder- 
ländische Regierung mit der rassischen wegen Aassendung einer Hülfsexpedition 
zur Aufsuchung der beiden Schiffe in Verbindung gesetzt, deren Leitung einem 
in Nord-Russland wohnenden dänischen Ingenieur zu übertragen wäre und deren 
Kosten zu bestreiten Herr A. Gamel sich erboten hat Man wird sich dabei 
besonders der Samojeden bedienen. — Telegramm aus Archangelsk, 23. Novbr. : 
.Aus der Petsehoragegend ist nunmehr die officielle Bestätigung eingetroffen, 
dass ein Dampfer der dänischen Polarexpedition, welcher bei der Insel Waigatsch 
kreuzte, von Eis eingeschlossen überwintert. Die Mannschaft ist gesund, 
der Proviant hinreichend, der Dampfer unbeschädigt." 

Ueber die Kreuze des „Willem Barcnts“ brachte das Amsterdamer 
„Handelsblad“ fortlaufende Berichte. Auch diese bestätigen die ungünstigen 
Verhältnisse im europäischen Eismeer. Nebel, Schnee, Regen wechselten mit 
einander ab, dabei war es ausserordentlich stürmisch. In der Barentssee reichte 
die Eisgrenze ungewöhnlich tief herab, „Barents“ traf hier in 76" 10' N. B. auf 
30° 0. L. Gr. festes Eis; die beabsichtigte Umschiffung der Nordspitzc Nowaja 
Semlja's konnte auch in diesem Sommer nicht ausgeführt werden, bei der 
Rückkehr von Norwegen nach Ymuiden wurde das Schiff nahe dem Hafen von 
einem schweren Sturm überfallen, so dass seine wohlbehaltene Ankunft in 
Ymuiden am 30. Oktober mit einem wahren Jubel begrüsst wurde. Der „Barents" 
traf auf seiner Kreuze zwei Mal mit der norwegischen Jacht „Kura* zusammen, 
auf welcher der Engländer Sir Henry Gore-Booth eine Vergnügungsfahrt ins 
Polarmeer unternommen hatte. Diese war, im Landwasser längs der Westküste 
Nowaja Semlja’s segelnd, zwischen dieser und der Berg-Insel der Art im Eise 
besetzt, dass man sich schon darauf gefasst gemacht hatte, am Lande den Winter 
zuzubringen und Vorräthe, Munition u. A. dahin gebracht hatte, als ein Südost- 
sturm das Schiff aus seiner gefährlichen Lage befreite und die Rückkehr 
ermöglichte. — Der französische Geologe Rabot besuchte in diesem Sommer 
Spitzbergen, konnte aber, wie er, Anfang Oktober nach Tromsö zurückgekehrt , 
berichtet, seine Studien nicht in dem Umfange, wie er beabsichtigte, betreiben 
und zwar der ungünstigen Witterungsverhältnisse wegen. — Island wurde erst 
Anfang September vom Polareis befreit; der Herbst, war jedoch dort milde. 

Ueber die Gestaltung der Eisgrenzen im Meer zwischen Grönland und 
Spitzbergen hat uns Kapt. Gray eine graphische Darstellung geliefert. Darnach 
lag die Grenze des ostgrönländisclien Eises im Mai und Juni bedeutend weiter 
westlich als im Vorjahr noch in späterer Jahreszeit, wo sie sich sogar südlich 
von Spitzbergen nach Osten erstreckte. Zwischen 75“ und 79 l, a“ N. B. war ein 
breiter Streifen offenen Wassers, der an den Amsterdam-Inseln sein Ende fand. 
Hier reichte die Kante des ostgrönländisclien Eises in nordöstlicher Bichtuug 
verlaufend bis zu den genannten Inseln. Gegen Ende Juni lag auf 70" die 
Grenze des ostgrßnländischen Eises 200 miles weiter westlich als im März. 

Nicht viel günstiger waren die Verhältnisse im Eismeer zwischen Nord- 
amerika und Grönland. Zwar hat die „Germania“ den Cutnberlaud-Sund erreicht 
und es wurde am nördlichen Ende desselben die deutsche Beobaehtungsstatiou 
errichtet (s. o.). dagegen konnte die Ablösung für die freilich bei Weitem nördlicher 
(81 0 20') an der Lady Franklin-Bai errichtete amerikanische Station ihr 
Ziel nicht erreichen. Ueber die Reise des zu dem Zweck von der ame- 


Geogr. Blätter. Breineu, 1882. 


24 



348 — 


rikanischen Regierung gecharterten Dampfers „Neptune“ liegt folgender 
Bericht vor: 

Der Dampfer „Neptune“, welcher der in der Lady l'ranklin-Bucht unter 
Leutnant Greely stationirten Polarstation Ablösung, Nahrungsmittel u. A. zuführen 
sollte, ist nach St. Johns (Neufundland) zurückgekehrt,, da es ihm unmöglich 
war, weiter als 79 " 20 ' Nord vorzudringen. Leutnant. Beebe, der Kommandant 
des „Neptune“, berichtet, dass sie am 17. Juli Godhavn erreicht hatten und 
bis zum 24. Juli ungehindert nordwärts vorgedrungen waren, bis sic bei Kap 
York vom Eise eingesc.hlosseu und 4 Tage lang hülflos mit demselben fortge- 
trieben wurden. Am 28. öffnete sich das Eis, so dass das Schiff wieder langsam 
nach Norden dampfen konnte, jedoch schon am folgenden Tage wurde das Vor- 
dringen durch eine Eisbarriere verhindert, welche sich von Kap Inglefield (juer 
über Smith-Sund ausdehnte. Man ankerte desshalb im Pandora-Hafen und 
wurde daselbst durch schwere Südwest-Stürmo aufgehalten. Während des 
dortigen Verweilens wurden von Sir Allen Young zurückgelassene Berichte vor- 
gefundcu. Am 9. August war der „Neptune“ etwa 12 sm von Victoria-Head 
entfernt, von schweren Eismassen umgeben und wurde nur dadurch, dass kleineres 
Eis eine Schutzwand vor seinem Buge bildete, vor dem Untergänge bewahrt. 
Am 12. desselben Monats kam das Schiff wieder frei und erreichte am 18. d. 
Brevoort-Island, woselbst man Nachrichten von Sir George Nares vorfand. Am 
25. August machten sich Zeichen des heraimahenden Winters bemerkbar. Die 
Pflanzen welkten, die Blumen verschwanden, die Enten zogen fort und die Gipfel 
vom Kap Henrick und der Crystal-Palace-Klippen bedeckten sich mit. Schnee. 
So verschwand nach und nach alle Hoffnung auf das Erreichen der Lady Franklin- 
Bucht. Leutnant. Beebe beschloss, die Waareti und Röte so weit nördlich wie 
möglich zu landen, und liess auf Kap Sabine und Littleton-Eiland Löcher zur 
Aufbewahrung des Proviants in die Erde graben, da die Anwesenheit eines 
Jägertrupps von Eskimo’s alle mögliche Vorsicht gebot. Ferner wurde ein Wal- 
boot auf Kap Isabella zurück gelassen. Leutnant Beebe glaubt, dass Leutnant 
Greely’s Expedition, falls sie im nächsten Jahre vor der Ankunft eines anderen 
Hülfsschiffes Kap Sabine erreicht, die dort aufbewahrten Vorrüthe auffinden w ird. 
Am 4 . September entdeckte der Maschinist ein Loch im Kessel, und die Officiere 
erklärten, dass ein weiteres Verbleiben nicht nur nutzlos, sondern im höchsten 
Grade gefährlich sei, so dass Leutnant Beebe den Befehl zur Rückreise gab. Der 
nördlichste Punkt, welchen der „Neptune- erreicht hatte, lag 12 sm vom Kap 
Hawkes und 17 sm vom Kap Prescott, entfernt. 

Aus Dundee liegt uns endlich der Bericht zweier in diesem schottischen Hafen 
am 30. Oktober angekommenen Waler vor, der Dampfer „Aurora“ und „Resolute“. 
Die „Aurora* war im Frühjahr im Seehundsfang bei Neu-Fundlaud beschäftigt 
und tödtete 8500 Seehunde; arg vom Eis beschädigt, musste das Schiff nach 
der Rückkehr nach Dundee zuerst reparireu und konnte daher erst Ende Mai 
der vorausgegangenen Dundeer Walerflotte folgen. Die Waler gehen bekanntlich 
zunächst längs der Küste von Grönland hinauf bis zu der wegen ihres Eises 
gefürchteten Melville - Bai, kreuzen dann bei Kap York hinüber nach der 
amerikanischen Küste und in das sogenannte Nordwasser. Längs der Küste 
südwärts fahrend, suchen Bie die zahlreichen Baien, Buchten und Strassen nach 
Walen ab und kommen im Oktober oder November wieder nach Hans; so 
auch die „Aurora*. Bei der Passage nach dem amerikanischen Ufer wurde 
die „Aurora“ im sogenannten middle pack, im Packeise, besetzt ; mehrere Wochen 
Zeit erforderte es, bis das Schiff, zum Theil selbst mit Durchsägen des Eises, sich 


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349 


hinduroharbeitete, Die „Aurora“ bringt einen reichen Fang mit: 16 Wale, die 
145 Tons Thran und 7 Tons Fischbein liefern werden. Die „Resolute“ fing nur 
5 Wale. Der Fang der gesammten Dundeer Walerflotte (8 Dampfer) wird auf 
79 Wale angegeben, welche 700 Tons Thran liefern. Im vorigen Jahre betrug 
der Fang nur 47 Wale. 

Die neuesten Untersuchungen des Wolfstromes durch den Ver. Staaten 
Dampfer „Blake“, Commander J. K. Bartlett, im Sommer 1881.*) Von dem 
Jahre 1874 an sind die seit 1855 mit kurzen Unterbrechungen von den Vereinigten 
Staaten Amerika’s systematisch ausgeführten Untersuchungen des Golfstromes mit. 
wesentlich verbesserten und zuverlässigen Apparaten und nach zweckentsprechen- 
den Instruktionen auf dem Ver. St. Dampfer „Blake“ fortgesetzt worden, zunächst 
bis 1878 unter der Leitung von Leutnant Commander Ch. D. Sigsbee, und seit- 
dem unter derjenigen von Commander J. R. Bartlett. auf demselben Schiffe. 
Diese Untersuchungen erstreckten sich auf die genaue Erforschung aller physisch- 
oceanischen Erscheinungen des Golfstromes im Golf von Mexico selbst und in 
der Strasse von Florida, ferner derjenigen im Karaibisclien Meere und bei den 
atlantischen Küsten der Antillen. In den beiden Winterkampagnen 1878 79 und 
1879 80 durchforschte Bartlett die östlichen und westlichen Theile des Karai- 
bischen Meeres und die verschiedenen Verbindungsstrassen mit dem Atlantischen 
Oceau einerseits und dem Golf von Mexico andererseits. Die Tiefen und Boden- 
gestaltungen des letzteren hat Professor Hilgard in Washington auf Grund der 
Sigsbee'schen Lothungen einer eingehenden Diskussion unterzogen. 

Die den Golfstrom betreffenden Ergebnisse dieser Forschungen bis zum 
Jahre 1880 lassen sich nach den unten angegebenen Quellen**) folgendermassen 
zusammenfassen. 

1. Die Strasse von Florida zwischen dieser Halbinsel und den Bahama- 
Bänken ist sehr flach und schmal; in dem flachsten Theile hat sie nur einen 
Querschnitt von 29 qkm mit einer grössten Tiefe von 345 Faden (630 m). Nach 
den früheren Beobachtungen der „Coast Survey“ ist die durchschnittliche Ge- 
schwindigkeit des nördlich setzenden warmen Stromes nicht grösser als zwei See- 
meilen die Stunde, sicherlich aber nicht mehr als 2 */* Seemeilen. Das warme 
Wasser, welches in so hohem Grade das Klima von Westeuropa beeinflusst, kann 
daher nicht allein von dem Zuflusse ans diesem so engen und seichten Kanal 
herrühren; die nach dem Verlassen desselben im Nordatlantischen Ocean nord- 
östlich setzende Oberflächenströmung, welche man bekanntlich, aber wohl nicht 
mit Recht, bis in seine fernsten Ausläufer nach Nordost „Golfstrom“ genannt 
hat, wird durch einen von der Anssenseite der Westindischen Inseln her nord- 
wärts setzenden warmen Strom in seiner, die Temperatur erhöhenden Wirkung 
bis weit nach Nordost hin bedeutend verstärkt. 

2. Eine sehr bedeutende Wassermasse von einer Mächtigkeit bis 1300 m 
(700 Faden) wird von dem Passat durch die Windward-Passage zwischen Cuba 
und Haiti in das Karaibische Meer hineingetrieben, fliesst südlich von Cuba 


*) The (jnlf Stream. Additional Data front the lnvestigations of the Coast and 
Geodetic Steamer „Blake“. By Commander J. K. Bartlett, U. 8. N., Assistent C. 
and G. Survey. Separat-Abzug aus Bulletin Xo. 2 of tlic American Geogr. Society, 

69—84. 

**) „Nature“, vol. 22 (1880), 242 — 243; Amer. Journ. of Soc. (3) vol. XXI 
(1881), 288 — 292: Bullet, of tlie Amer. Geogr. Soc., 1881, 29 — 46 und daraus in 
Anna), d. Hydr. M., 1880, 97; 1881, 296—299, 395—400. 

24* ^ 

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350 


weiter nach Westen und gelangt durch die Yucatan-Passage in den Golf von 
Mexico, wo sie sich aufstaut und eine Art von Reservoir für den Golfstrom bildet, 
welcher, im Süden der Mississippi-Mündungen beginnend, direkt nach der Florida- 
Strasse fliegst. 

3. Die im Golf von Mexico vorhandenen, an sich schwachen Strömungen 
hängen nicht mit dem Golfstrom zusammen. Dagegen ist es nach den Beob- 
achtungen von 1879/80 wahrscheinlich, dass eine warme Strömung das Karaibische 
Meer in ähnlicher Weise umkreist, wie man es bisher bei dem Golf von Mexico 
angenommen hat, und dass das Wasser des Golfstromes seine hauptsächlichste 
Wärmequelle in dem Karaibischen Meere hat. 

ln den Monaten Juni und Juli 1881 bat Commander ßartlct.t mit dem Dampfer 
„Blake“ nach den ihm vom Superintendenten der ,U. St. Coast. and Geod. Survey-, 
Mr. Patterson, ortheilten Instruktionen die Tiefen- und Temperaturvertheilung des 
Golfstromes zwischen den Breiten von Jupiter Inlet und der Florida-Strasse in 
27“ n. Br. und Curritnck (N.-Carolina) in 36" 12' n. Br. näher untersucht. Es 
wurden zu diesem Zwecke 13 Lothuugslinien von der Küste aus quer über den 
Golfstrom, welcher stets am Tage pnssirt wurde, genommen, bis zu Entfernungen 
von 40 bis 200 Seemeilen von der Küste. Auf diesen Linien wurde in Abständen 
von je 6 Seemeilen gelothet. und dabei die Temperaturen an der Oberfläche und 
am Boden mit Tiefsee-Thermometern nach Miller-Casella gemessen und die 
ßodenbeschaffenheit untersucht. 

Es war laut der Instruktion beabsichtigt, das neuerdings verbesserte 
elektrische Tiefsee-Thermometer von C. William Siemens in London, welches 
die „Blake“ an Bord hatte, zu den Temperaturmessungen zu benutzen. Da aber 
die hierzu nöthige Eismaschine bei dem Beginn der Arbeiten der .Blake“ im 
Juni noch nicht eingetroffen war, konnte dieses Thermometer nicht in Anwendung 
kommen. Erst im August 1881 wurden auf der „Blake“ Probeversuc.be mit 
diesem elektrischen Tiefsee-Thermometer gemacht, deren Ergebnisse in bekann- 
ten Tiefen iu und neben dem Golfstrom nach Vergleichung mit den Messnngeu 
an Miller-Casella’schen Tiefsee-Thermometern sehr befriedigend waren (s. Proc. 
of the R. Soc. vol. XXXIV. No. 221, Juni 15. 1882, pg. 89- -96). Sie ergaben bis 
auf 'U ° F. genaue Ablesungen bis zu Tiefen von 1500 Metern. 

ln dem „Bulletin No. 2 of the American Geographical Society - hat Bartlett 
den Verlauf und die Forschungsergebnisse der Expedition der .Blake - im Som- 
mer 1881 dargelegt, welche diejenigen der letzten Winterkampagne von 1880/81 
wesentlich vervollständigten. 

Zwischen Kap Hatteras bis östlich von den Bahama-ßänken erstreckt sich 
nach diesen neuesten Untersuchungen ein ausgedehntes und nahezu ebenes 
Plateau; in der Höhe von Kap Canaveral ist es nahezu 200 Seemeilen breit und 
verengt sich nordwärts bis Hatteras, wo die Tiefe 1000 Faden (1830 in) in einem 
Abstande von 30 Seemeilen von der Küste erreicht. Dieses Plateau hat eine 
durchschnittliche Tiefe von 400 Faden (ca. 730 m); seine Ostkante fällt, in steilem 
Absturz bis über 2000 Faden (3660 m) Tiefe in das Meer ab. Zu beiden Seiten 
des Golfstromes besteht der Meeresboden aus Schlamm; der Boden des Golf- 
stromes selbst ist hart und ohne alle organischen Reste; die Urenze zwischen ihm 
und dem benachbarten Meeresboden ist hierdurch so scharf gekennzeichnet, dass 
mau an der Beschaffenheit der Bodenproben die Ausbreitung des Bettes des 
Golfstromes erkennen kann. Noch bis Jupiter Inlet (27" n. Br.) findet man mit 
Korallensand vermischt den Pteropoden-Schlamm, welcher den fast alleinigen 
Bestandtheil des Bodeus des Kanubischen Meeres und des Golfs von Mexico 


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351 


bildet. Bei Charleston, wo das unterseeische Plateau eine geringere Tiefe hat 
als weiter nach Süden, erstreckt sich der harte Boden ohne alle organischen Reste 
über die ganze Breite des Golfstrom-Bettes Nördlich von Charleston besteht 
der Boden aus Globigerinen-Schlamm ; seine allmähliche Abnahme nach Süden 
bezeichnet zugleich die südliche Grenze des arktischen Stromes. 

I)ic Temperatur an der Oberfläche des Golfstroines fand Bartlett- niedriger, 
als die bisherigen Angaben zeigten ; die durchschnittliche Temperatur in der 
Axe des Stromes überstieg im Monat Juni und Juli selten 28,:, 0 ; nur in zwei 
Fällen erreichte die Temperatur 30° und in einem Falle — zur Mittagszeit und 
bei Windstille — 81,: *. In einer Tiefe von 6 Faden (!) m) war die Temperatur 
nie höher als 27, i °. — An der Innenseite des Stromes zeigte sich an der Ober- 
fläche kein Anzeichen des sogenannten „Kalten Walles“. Zwischen der 100 Faden- 
Linie, welche die Westkante des Golfstromes bildet, nnd der Küste scheint viel- 
mehr ein Peberfliessen des Golfstromes stattzufinden, indem bis zu lft Faden 
Tiefe die Temperatur fast dieselbe war als die in dem Strom selbst. Am Boden 
dicht bei der 100 Faden-Linie erstreckt sich eine schmale Zone kalten Wassers 
längs des ganzen Laufes des Golfstroines; bald nach dem Austreten desselben 
aus der Florida-Strasse scheint eine Theilnng des Stromes stattzufinden, indem 
ein Strom der Küste folgt und ein anderer sich nach Osten hin abzweigt. In 
dem Strom selbst betrug die durchschnittliche Wassertemperatur in 400 Faden 
(730 m) Tiete 7,;°, bei Charleston in 300 Faden (ca. 550 m) 11,:°, bei der Georges 
Bank in derselben Tiefe 4,i “, ebenso gerade nördlich vom Kap Hatteras nnd dein 
Golfstrom. Die durchschnittliche Geschwindigkeit des Stromes zwischen den 
Bahama-Inscln und Florida war 3 Seemeilen die Stunde, an einigen Stellen 
in der Mitte des Stromes erreicht sie 5,i Seemeilen. Nördlich von den Bahama- 
Bänken setzt ein schwacher Strom nach Südost. Die Strömungsrichtung erwies 
sich überhaupt als abhängig von der Windrichtung. 

Gegenübcrder klaren nnd nüchternen Darlegung dieser Thatsachen, welche 
für die genauere Kenntniss des Golfstromes von grosser Wichtigkeit sind, 
erscheint die kühne und gewagte Hypothese Bartlett’s, dass der kalte südwärts 
fliessende Strom im Berings-Meer. welchen Dali bei seinen interessanten Unter- 
suchungen über die Strömungen in diesem Meere nachgewiesen hat, eine Fort- 
setzung des Golfstroines sei, nachdem dieser seinen Lauf um Europa und 
Asien vollendet hat, in etwas eigentümlichem Lichte. 

Die dieser Abhandlung beigefngte umfangreiche Tabelle enthält alle 
Einzelheiten der auf den erwähnten 13 Lothungslinien gemachten Messungen 
und Untersuchungen (vgl. Heft XI der Ann. d. Hydrogr.). G. v. B. 

Von der (ioldküste. Der Güte des Herrn Dahsc, Verfassers des Aufsatzes 
und der Karte der Goldküste m Heft 2 unserer Zeitschrift, von diesem Jahre, ver- 
danken wir die nachstehende Mittheilung über den jetzigen Stand der berg- 
männischen Unternehmungen zur Gewinnung von Gold an der Goldküste. 

Die Goldmiuen der Goldküste Westafrika’s fahren fort, ein bedeutendes 
Interesse zu erregen. Es sind bereits mehr wie 20 Gesellschaften zur Be- 
arbeitung von Bergwerken und zur Erwerbung weiterer Minen - Koncessionen 
gegründet worden und wäre der ägyptische Feldzug und die dadurch hervor- 
gerufene Lähmung des Unternehmungsgeistes nicht dazwischen gekommen, so 
würde die Zahl dreisBig schon überschritten worden sein, da bereits gegen 
fünfzig Koncessionen von Minenländereien durch Europäer erworben sind. Die 
bereits gegründeten Gesellschaften sind die folgenden: 


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352 


Name. Capital. Umfang der 

Besitzung. 

Compagnie des Mines d’or d'Äbosso*) ? Eignet ver- 

schiedene grosse 
Koncessionen. 

The Effuenta Gold Mines Company, lim., £ Ö0,0U0 6000 bei 1200' 

The Gold Coast Gold Mining Company, lim., , 65000 6000 bei 3000' 

The Akankoo Mining Company, lim., , 150,000 1100 Acres. 

The Guinea Coast Gold Mining Company, lim., „ 125,000 6000 bei 3000* 
The Appoloaia Gold Mining Syndicate, „ 18,000 zur Erwerbung 

von Ländereien 
gegründet. 

The South Gold Coast Gold Mining Company, lim., „ 75,000 3000 bei 1500' 
The Tacqnah Gold Mines Company, lim., , 85,000 3600 bei 3600* 

The Cankim Bamoo Gold Mines Company, lim., , 100,000 6000 bei 4800' 

The Wasgau Mining Company, lim., „ 100,00t) 1800 Acres. 

The Wassau and Ahauta Gold Mines Syndicate, lim. „ 10,000 ? 

The Afrikan Gold coast Syndicate, lim., , 45,000 18, OOObei 18,000' 

The West African Gold fields, Um.. „ 100,000 12,000 bei 12,000' 

The African Consolidated Mines, Um., , 20,000 ? 

The Edgwina Mines, lim., . 120,000 6000 bei 6000' 

The Ankobra (Gold coast) Mining Company, lim., „ 2,000 ? 

The Axim (Gold coast) Mining Company, lim., „ 2,000 ? 

The North Akankoo Mining Company, Um , „ 2,000 ? 

The South Akankoo Mining Company, lim., „ 2,000 ? 

Ausserdem giebt es noch einige andere, deren Namen augenblicklich nicht 
zur Verfügung stehen. 

Von den angeführten 19 Gesellschaften haben etwa 8 die bergmännische 
Bearbeitung ihrer Besitzungen in Angriff genommen, die übrigen erst im Laufe 
dieses Sommers ins Leben getretenen sind noch mit den Vorbereitungen dazu 
beschäftigt. 

Die Compagnie des Mines d’or d’Äbosso, deren Sitz in Paris 
ist, eignet verschiedene Minen, von denen bisher nur die bei Abosso der Wassau 
Company benachbarten und die in Tacquah zwischen der Effuenta und der 
Gold Coast Company gelegenen, in Betrieb genommen sind. Diese Gesellschaft 
hat in Abosso und in Tacqnah Pochwerke errichtet und erhielt Ende Oktober 
d. J. als erste grössere Rimesse eine Barre Gold von 83 Unzen Gewicht. Das 
Erz dieser Gesellschaft ergab soweit einen Durchschnittsertrag von 1 */* Unzen 
Gold per ton. 

Die Effuenta Gold Mines Company hat im Laufe dieses Jahres 
bereits verschiedene Goldrimessen erhalten, doch mussten diese Bendungen 
mehrere Monate eingestellt werden, da das Pumpwerk bei dem Pochwerk sich als 
unzureichend erwies und zum Betrieb desselben eine besondere Dampfmaschine 
hinausgesandt werden musste. Nach den letzten Berichten ist dieselbe jetzt 
aufgestellt, arbeitet gut und werden die Rimessen noch im Laufe dieses Monats 
wieder beginnen. Diese Mine ist in einer ausgezeichneten Weise eröffnet worden, 

*) Diese Kompagnie hat säunutliche verschiedene Minen, welche der AlVican 
Hold Coast Company und der Abosso Gold Mining Company gehörten, erworben ; 
der .Sita derselben ist in Paris. 


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353 


das Erzlager überall erreicht und können jetzt täglich mit Leichtigkeit hundert 
Tonnen Golderz zu Tage geführt werden: nur ist zu bedauern, dass anstatt 
eines kleinen Pochwerks von nur 12 Stempeln nicht ein solches von 30 errichtet 
worden ist. 

Die Gold Coast Gold Mining Company, Nachbarin der Effuenta, 
hatte am 12. September d. J. den grössten Theil ihrer Aufbereitungswerke 
errichtet, der Rest wird jetzt ebenfalls aufgestellt sein. Am 10. Oktober sollten 
dieselben anfangen regelmässig zu arbeiten. Auch diese Mine ist in aus- 
gezeichneter systematischer Weise eröffnet worden und waren 12,000 bis 
15,000 Tonnen bereits zu Tage gebracht, sie liefern theilweise ganz ausser- 
ordentlich reiches Erz zur Aufbereitung. Einem glänzenden Resultat kann mit 
Zuversicht entgegen gesehen werflen. 

Die Was sau Mining Company erwarb im Juni dieses Jahres die von 
F. Ä A. Swanzv & Co. unter Leitung eines Theilhabers dieser Firma, F. C. 
Crocker, bei Abosso in Wassau eröffneten Minen. Diese nehmen unter allen 
bis soweit auf der Goldküste in Detrieb gesetzten Bergwerken unstreitig die 
erste Stelle ein und ist der Betrieb ein in jeder Hinsicht musterhafter. Ein 
zwölfstempeliges Pochwerk ist in regelmässigem Betrieb und sind bereits ver- 
schiedene Goldrimessen in London eingetroffen. Das gestampfte Erz hat soweit 
einen Durchschnittsertrag von 3 Unzen Gold per Tonne ergeben, ein Ertrag, 
welcher sich den Resultaten der besten existirenden Bergwerke an die Seite 
stellen kann. 

Die Akankoo Mining Company, welche eine grosse Besitzung etwa 
20 Miles von der Mündung des Flusses Ankobrali und auf beiden Seiten des 
Flusses gelegen, eignet, geht in einem grossartigen Maassstabe vor. Nachdem 
im Laufe des letzten Jahres eine Expedition hinaus gesandt worden war, nm die 
Akankoo Minen gründlich zu untersuchen und darüber zu berichten, und das 
Resultat dieser Untersuchung sich als ein zufriedenstellendes gezeigt hatte, 
sandte diese Gesellschaft Anfang dieses Jahres einen Holsteiner, Kapt. Amondsen, 
welcher grosse Erfahrung in Bezug auf die Verhältnisse an der Küste besitzt, 
hinaus, nm Alles auf ihrer Besitzung für die Ankunft der europäischen An- 
gestellten, der Maschinen u. A. vorzubereiton. Im Juni wurden sodann in der 
Brig „Jessie“ die Häuser, Provisionen, Maschinen n. A. in London verladen und 
segelten damit auch die unteren Beamten, nachdem schon vorher der Betriebs- 
führer mit Dampfer von Liverpool eine grössere Dampfbarkasse, sowie einen etwa 
18 Tonnen haltenden Leichter von Stahl hinausgenommcu hatte. 

Nach Ankunft des Schiffes in Axim im August, wurden mit Vermeidung 
der Landung der Güter in Axim, solche mit Hülfe der Dampfbarkasse, Leichter 
und Böte direkt vom Schiffe über die Barre an der Mündung des Ankobrah 
und diesen Fluss hinauf nach Akankoo transportirt ; ein Fortschritt im Trans- 
port, der von hoher Bedeutung ist. In London untersuchte Proben des Erzes 
von Akankoo ergaben von 1 Unze 19 Pennyweight zu 45 Unzen 8 Pennyweight 
Gold per Tonne. 

Für das Apollonia Gold Mining Syndicatc gingen Anfang dieses 
Jahres Verfasser und John Wnlfken von Bremen nach der Goldküste, um 
gewisse Ländereien, für welche dieses Syndicnte das alleinige Untersuchungs- 
recht erworben hatte, zu untersuchen. Ersterer war leider genöthigt, nach nur 
kurzem Aufenthalt an der Küste wieder zurückzukehren, da er sich durch 
Ueberanstrengung äusserst heftige Lungenblutungen zugezogen hatte. Herr 
Wulfken setzte die Untersuchungen mit guten Resultaten fort und gelang es 


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354 


ihm, für das Appolonia Syndicate drei änsserst reiche Besitzungen zu erwerben 
und zwar die Cankim Bamoo Minen, fitXX) bei 4800' gross, die Minen von 
Nogwhorre und die Awvabim Minen, welche beiden letzteren einen Flächen- 
ranm von je 4 Quadratmiles umfassen. Nach sechsmonatlicher äusserst an- 
strengender Arbeit, die in eine sehr heftige Regenzeit fiel, kehrte Herr Wulfkeil 
im August d. J. zurück, um sich von den bestandenen Strapazen zu erholen ; 
er wird jedoch im Laufe des November wieder hinausgehen, um die kommende 
trockene Jahreszeit zu weiteren Untersuchungen zu benutzen. 

Die werthvollen Cankim Bamoo Minen sind von der Cankim Bamoo 
Gold Mines Company erworben worden. Die Assays, welche von dem durch 
Herrn Wulfken nach England gesandten Erz in London gemacht wurden, ergaben 
ein Durchschnittsresultat von zwei Unzen fünf Penuyweight Gold per Tonne. 
Der Verkanfsvertrag bestimmt, dass von dem Appolonia Svndicate 20 bis 25 Tonnen 
Erz aus diesen Minen nach England gebracht werden müssen und solches Erz 
mindestens eine Unze Gold per Tonne ergeben muss, ehe der Ankaufspreis au 
das Syndicate ansbezahlt werden darf. Ein englischer Bergmann, Mr. Smith, ist 
jetzt draussen, um diese 20 bis 25 Tonnen Erz nach London zu senden, und 
nach seinen letzten äusserst günstigen Berichten werden dieselben Ende Dezember 
in London eintreffen können. Sobald solches geschehen und somit der Werth 
des Erzes bewiesen ist, wird die Cankim Bamoo Company ohne Zaudern den 
Betrieb in Angriff nehmen. In der Zwischenzeit, wird der Miner Smith anfangen, 
die die Oberfläche der Besitzung bedeckenden, durch Verwitterung der gold- 
haltigen Formation entstandenen Seifeulager, welche sich als theilweise sehr reich 
erwiesen haben, zu bearbeiten, und ist derselbe dazu mit den nötbigen Materialien 
versehen worden. Die Cankim Bamoo Minen liegen äusserst günstig, fast 
unmittelbar südlich von den Akankoo Minen und in grader Richtung nur vierMilcs 
von dem Ankobrah-Flnsse entfernt. 

Von den übrigen im obigen Vei zeichniss anfgeführten Gesellschaften haben 
die Guinea Coast Gold Mining Company, die Tacquah Gold Mines Company, 
die West African Gold Fields und ein paar Andere auch bereits ihren Stab von 
Europäern hinausgesandt und sind dieselben mit den vorbereitenden Arbeiten 
beschäftigt. Die übrigen Gesellschaften werden wohl während der kommenden 
trockenen Jahreszeit ihre Arbeiten beginnen. 

So herrscht jetzt ein reges Leben auf jenem Theil der Goldküste, und 
wenn man bedenkt, dass der mittlere und der östliche ebenso reiche Theil in 
Bezug auf ihren Minenreichthum noch ganz unberücksichtigt sind, so bekommt 
man eine Vorstellung von dem bedeutenden Rang, welchen die Goldküste unter 
den goldproducirenden Ländern der Erde einzunehmen berufen ist. Dabei sind 
die auf der Goldküste befindlichen Lager von Zinn und anderen werthvollen 
Mineralien noch ganz unberücksichtigt, gelassen. 

Zu bedauern ist, dass während von englischer und französischer Beite 
fortwährend Expeditionen hinaus gesandt werden, um Mineu-Ländereien zu unter- 
suchen und zu erwerben, von deutscher Seite dafür gar nichts gethan wird, und 
wie gewöhnlich die Deutschen durch ihre eigene Schuld das Nachsehen haben 
werden. 

Bremen, im November 1882. P. Dahse. 

Bekanntlich ist zur besseren Verbindung des Innern mit der Küste eine 
Eisenbahn projektirt; den letzten Nachrichten zufolge schritten die Vermessungen 
rasch vorwärts und zeigen sich nur sehr unbedeutende Terrain-Hindernisse. 


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§ Frank Oate’s Reisen in Siidostal'rika 1873—1875. Die Herausgabe des 
Werks: „Matabele Land and the Victoria falls, a natnralist’s wanderings in the 
inferior of South Africa; from the letters and Journals of the late Frank Gates. 
London 1881 war nicht blos die Erfüllung der Pflicht der Pietät seitens trauernder 
Verwandter, sondern sie bietet auch eine wesentliche Bereicherung unserer natur- 
wissenschaftlichen Kenntnisse von den Gebieten Südostafrika’s, welche Oates, 
zum Theil auf den Wegen Eduard Mohr’s, durchwanderte. Aus dem von einem 
Bruder des Verstorbenen in einem Gedächtnisswort zu Eingang des Werks ge- 
zeichneten Lebensgang entnehmen wir, dass Gesundheitsrücksichten den in Oxford 
tüchtig vorgebildeten, für die Naturwissenschaften, besonders die Ornithologie, 
begeisterten jungen Mann zunächst zu einer einjährigen Reise nach Centralamerika 
und Californien führten, von der er neben guten Sammlungen die mannichfaltigsten 
Eindrücke und Beobachtungen initbrachte. Im März 1873 trat er seine Reise 
nach Südostafrika an, die er nur als Vorübung für spätere grössere Unternehmungen 
betrachtete. Von Durban ging er — mit seinem Bruder, der die Reise bis Tati 
mitmachte — zunächst nach Pietermaritzburg, von wo er, nach Beschaffung 
des nöthigcn Ochsenfuhrwerks, Ponies und einer Anzahl Kaffern seine Reise über 
Pretoria nach Shoshong fortsetzte. Zunächst ging Frank Oates nach der Gold- 
minen-Niederlassuug am Tati, und von hier aus beginnt die Reiseschilderung auf 
Grund der Tagebuchauszüge und Briefe. In dem Kraal Gubuleweyo, der Haupt- 
stadt des Matabele-Landes, besuchte er den König Lobengula, den Sohn Mosili- 
katze's , und versuchte nun über Inigali die Victoria-Fälle des Zambesi zu 
erreichen, gab indessen dieses Vorhaben vorerst wieder auf, da die Jahreszeit 
ungünstig war, und zog noch eine Strecke nordwestlich nach dem Ungwany- 
Fluss, bis ihn die Regenzeit zwang, nach Gubuleweyo zurückzukehren. Hier 
brachte, er die Monate Dezember 1873 und Januar 1874 zu, beschäftigt mit der 
Ordnung seiner Sammlungen, der Kouservirung der Jagdbeute und Ausführung 
seiner Zeichenskizzen. Nach verschiedenen Kreuz- und Querzügen, die ihn bis 
Shoshong zurückführten, und mehrmaligen Anläufen in der Richtung zum 
Zambesi, die immer durch Missgeschick verschiedener Art vereitelt wurden, 
erreichte er die Fälle am ilL Dezember 1874, zur günstigsten Zeit, der Höhe der 
Regensaison, während Mohr, Baines u. A. sie in der trockenen Jahreszeit sahen ; 
leider enthalten weder das Tagebuch, noch die Briefe eine Schilderung, doch 
ist ein Farbenbild von der Hand Frank Gates vom westlichen Ende der beiühmten 
Fälle, die in einer prachtvollen Waldumgebung aus der Höhe von 3611 F. herab- 
rauschen, nach England gelangt und in dem Werk als Chromolitographie wiedor- 
gegeben Auf der Rückkehr nach Tati, am i. Februar 1875, verschied Frank 
Oates am Fieber, das ihn am 2ä Januar ergriffen hatte. Der Hauptwerth des Buchs 
liegt, wie schon gesagt, in des Reisenden naturwissenschaftlichen Beobachtungen, 
da die von ihm durchzogenen Gebiete durch frühere Reisen geographisch bekannt sind. 
Die Sammlungen wurden verschiedenen Fachgelehrten zur Bearbeitung über- 
geben und so linden wir, mit zehn Farbentafeln ausgestattet, Abhandlungen von 
Professor IL Rolleston über vier Schädel, vermuthlich von der Buschmann-Ra <;e, 
von R. Sharpe über die ornithologische Kollection, von Professor Günther über 
zwei neue Species von Schlangen, von Professor Westwood über die Insekten u. A. 
Die Vögel- und lnsektensammlung wird als besonders werthvoll und die bezüglichen 
Faunen des Transvaal- und Matabele-Landes ziemlich vollständig repräsentirend 
bezeichnet. Ein kurzes Vokabular der Makalaka-Sprache, sowie ein Index bilden 
den Schluss. Der erzählende Theil wird durch sechs vorzüglich ausgeführte 
Chromolithographien, sowie eine grosse Anzahl Holzschnittdrucke geschmückt 


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356 


und wiederholen wir zuin Schluss, dass da* Werk Alles in Allem einen werth- 
vollen Beitrag zur naturwissenschaftlichen Knude von Afrika bildet. 

§ Bas weslafrikanisehe Königreich Fnla-Rjallon. Das nns durch die 
(inte des Verfassers vorliegende Keisewerk: .de l’Atlantique au Niger par le 
Kouta-Djallon* von Aiine Olivier, Vicomte de Sanderval, giebt Kunde von dem 
Unternehmungsgeist eines Marseiller Kaufmanns. Herr Olivier hatte, wie er uns 
in der Vorrede zu seinem in ursprünglicher Form als Reisetagebuch veröffent- 
lichten Werke erzählt, schon seit länger als zehn Jahren die Absicht, an der 1 
Erschliessung Inner-Afrika’s für die Civilisation selbstthätig Theil zu nehmen. 
Erst im Jahre 1880 konnte er seinen Plan, von den französischen Kolonien am 
Rio Nunez (Westküste) zu dem Königreich Futa-Djallon zu dringen, zur Aus- 
führung bringen. Er erreichte am 7. April 1880 die Hauptstadt Tirabo und es 
gelang ihm auch, mit dem priesterlichen Beherrscher des Reichs, dem Almami 
Ibrahim Sanry. einen Vertrag abzuschliessen, welcher ihm den Bau von Eisen- 
bahnen innerhalb des Reichs und seiner etwa künftig noch auszudehnenden. 
Grenzen gestattet.. Das Königreich, gelegen etwa zwischen dem 10. und 12. 0 
N. B. und dem 10'/» und 14’, j “ W. L. Gr., bietet nach der Meinung des Vicomte 
ganz besondere Vorzüge für den Aufenthalt von Europäern und als Mittelglied 
für den Handel zwischen der Küste und dem Sudan. Von der See her ist es 
durch mehrere Aestnarien zugänglich, die bis an den Fuss seines Hügellandes 
reichen; seine hohen Plateaus sind fruchtbar, bewässert, haben ein dem 
französischen ähnliches Klima (?), ohne die Winterkälte Frankreichs, und sind 
darum für Weisse bewohnbar. Diese finden hier den Schlüssel zum Sudan, 
während sowohl weiter nördlich, als weiter südlich Fieberregionen den Aufenthalt 
des Europäers auf die Dauer unmöglich machen. Selbst die erwähnten Aestuarien 
seien, da sie sehr wenig Süsswasser empfangen und keine Sümpfe bildeten, nicht 
ungesund. Der Reisende ging von der Faktorei Boubah aus und mit seinen 
25 Trägern zuerst den Rio Grande hinauf, dann in ziemlich gerader Richtung ost- 
wärts, bis er am Grossen Tomine, dem Hauptzuflnss des Rio Grande, die fruchtbare 
und gut bevölkerte Hochgebirgsgegend erreichte. Er wandte sich dann in süd- 
östlicher Richtung nnch der Hauptstadt Timbo, welche, aus einer Gruppe ein- 
gezäunter Dorfschaften bestehend, am Nordabhang eines 500 m langen heiligen 
Hügels liegt. Unter den Heiligthümern von Timbo ist ein mitten im Ort auf- 
ragender Felsen bemerkenswerth, von welchem der Gründer des Königreichs und 
des Ortes Timbo, der Fellatah-Häuptling Karamakou, erobernd ausgegangen ist. 
Futa-Djallon ist ein Wahl-Königreich und zwar wird der König, Almami, immer 
auf 12 Monate von den Edlen gewählt; gewohnheitsrechtlich werden nur An- 
gehörige zweier Familien zu dieser höchsten Würde berufen. Das Königreich 
besteht ans zehn Provinzen, deren jeder ein vom Almami ernannter Regent 
i, Alpha) vorsteht; weitere zehn Staaten sind ihm tributär. Die Produkte jener 
Hochgebirgsregion, deren Boden von Sklaven bearbeitet wird, — die Arbeit von 
fünf genügt für den Unterhalt einer zahlreichen Familie — bestehen aus Reis, 
Hirse, Mais. Baumwolle, Erdnüssen, Bananen, Orangen, Tomaten und melonen- 
artigen Früchten, Kautschuk; an Gewerbserzeugnissen werden besonders Eisen- 
und Töpferwaaren gefertigt und sie bilden einen Gegenstand des Handels. Erst 
nach langem Zögern und Hinbalten und nachdem er dem Almami fast Alles, 
was er besass, hatte schenken müssen, erlangte Herr Olivier den Abschluss des 
Vertrags, doch versagte jener ihm die Erlanbniss, weiter nach Osten zum Niger 
vorzudringen, wo er eine ähnliche Vereinbarung mit dem König des Reiches 



357 


Dingirrai treffen wollte. So musste er denn Anfang Juni zur Küste zurück- 
kehren. Im folgenden Jahr, 1881, sandte Herr Olivier auf seine Kosten Herrn 
V. Gaboriand nach Timbo, um sich — denn inzwischen hatte ihm der englische 
Gouverneur Konkurrenz gemacht, — den abgeschlossenen Vertrag von dem 
nunmehr an das Regiment gelangten Almami bestätigen zu lassen. Auch dies 
gelang und die Pläne des unternehmenden Kaufmanns erfuhren ferner auch 
dadurch eine erfolgreiche Unterstützung seitens der französischen Regierung, 
dass diese den Dr. Bayol und zwei Begleiter zum Abschluss weiterer Verträge 
im selben Jahr nach Timbo entsandte. Ihm glückte es, von dem früheren und 
dem neuen Herrscher des Königreichs die Zusicherung völliger Handelsfreiheit 
innerhalb des Gebiets des letzteren und zwar ausschliesslich für die Franzosen 
zu erlangen. Wie sich der Verfasser die Aufschliessung Nordwest-Afrika’s für 
den französischen Verkehr denkt, geht ans einer Stelle auf Seite 231 des Textes 
und ans dem kleinen Kärtchen, welches der Routenkarte des Reisenden am 
Schluss des Buchs einverleibt ist, hervor: eine Eisenbahn von der Westküste 
(in der Gegend von Boke, am Rio Nunez) bis Tankisso, von da Dampfschiffahrt 
auf dem Niger bis Timbuktu und sogar bis Sakatu, von Timbuktu eine Eisen- 
bahn nordwärts durch die westliche Sahara nach Algerien — Den neuesten 
Zeitungsberichten zufolge rüsten Dr. Bayol und Herr Olivier neue Reisen nach 
West-Afrika. Der Erstere hat die heikle Aufgabe übernommen, durch Ver- 
handlungen mit den kriegerischen Stämmen der Touc.onleurs und Bambaras 
den Durchzug einer französischen Militärkolonne zu erleichtern, welche Bam- 
mako, den Endpunkt der projektirtcn Eisenbahn vom Senegal zum Niger, 
besetzen und dort ein Fort erbauen soll. — Nach der Exploration vom 26. Oktober 
plant ein Herr Caquercau die Errichtung einer französischen Kolonie im König- 
reich Futa-Djallon Zu Vorstudien in dieser Richtung begiebt sich der Herr mit 
einem ganzen Stabe von Personen : einem Arzt, einem Ingenieur, einem Astro- 
nomen, der zugleich Geologe sein soll, einem Botaniker, einem Journalisten (!) n. A., 
zunächst nach Dakar in französisch Senegambien. 


§ .Madagaskar. Der Verfasser der .Souvenirs de Madagascur“ (Paris, Herger- 
Levruult et Cie, 1881), Dr. H. I,acaze, ist Arzt anf Reunion, er unternahm von 
da im Herbst 1868 eine Reise nach Madagaskar, die sich jedoch nur auf Tamatave, 
auf einen Besuch der Hauptstadt, des Hova-Reichs, Antananarivo und eine durch 
Erkrankung am Sumpfiieber abgekürzte Reise längs der Ostküste nordwärts 
beschränkte und im Ganzen nur etwas über 2 Monate währte. Durch den Ver- 
kehr. welcher zwischen Tamatave und Räunion besteht, hat Dr. Lacaze seine 
Studien über Madagaskar noch mannichfach ergänzen können, und so ist der 
Inhalt reicher, wie man es nach einem so kurzen Aufenthalt auf der Insel 
denken sollte. Dr. Lacaze giebt seinen Landsleuten, den Franzosen, den Rath, 
niemals an eine wirkliche Kolonisirung in Madagaskar zu denken, er beweist 
die Richtigkeit dieser seiner Meinung an der Hand der Kolonisationsgeschichte. 
Insbesondere die französischen Kolonisationsversuche, begonnen vor 200 Jahren, 
seien bis auf die neueste Zeit herab eine ununterbrochene Kette von Misserfolgen 
gewesen. Zn einer Abtretung von Grund und Boden würden sich die Hova’s 
niemals eutschliessen, wenn andererseits auch zttzugeben sei, dass der europäische 
Einfluss auf Madagaskar durch Handel und Mission niemals grösser gewesen sei 
als jetzt Irgend ein Zwang lasse sich gegen das Hova-Reich nicht ausüben, da 
letzteres keinen auswärtigen Handel besitze und die Geschosse feindlicher Fahr- 


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zeuge, die sich der Küste nahen, dort als Zielpunkte nnr .Sand und Stroh- 
hütten träfen. 

Eiei dieser Gelegenheit machen wir noch auf einige andere, Madagaskar 
betreffende geographische Publikationen aufmerksam. In der Septem hernnmmcr 
der Proceedings der Londoner geographischen Gesellschaft giebt der in Fianärantsöa 
wohnende englische Missionar Deans Kowan, dessen Schrift über die Tanala wir 
schon früher (S. 35, Bd. IV) kurz besprachen, einen von einer Karte begleiteten aus- 
führlichen Bericht über seine Reisen in den südöstlichen Provinzen Madagaskars; 
eine vorzugsweise ethnologische Schrift desselben Verfassers: The Barn Land: 
a description of the conntry and people, gedruckt 1881 in Antananarivo, kommt 
in der Abstammungsfrage zu dem Ergebniss, dass die Ibara-, Betsileo- und 
Tanalastämme mit den Völkern des südöstlichen Afrika's verwandt, die Bewohner 
der Ostküste der Insel dagegen ein Mischvolk mit starker arabischer Färbung 
seien. Ferner enthält das ..Antananarivo Annual* (Nr. 5 1881) interessante Mit- 
theilungen über die Sakalawa’s, die wilden unabhängigen Stämme der Westküste, 
insbesondere die Bewohner der Küstengegenden zwischen der St, Augustin-Bai 
und Morondava. von dem Missionar A. Walen, welcher zwei Jahre unter diesen 
Todfeinden der Hova’s lebte nnd sie in der That. als so gefährlich für Europäer 
schildert, wie sie sich leider unserem unglücklichen Landsmanne Dr. Rotenberg 
gegenüber gezeigt haben. — Ueber die Hova’s hielt am 4. November Herr 
Audebert aus Metz, welcher zu zoologischen Forschungen sich 7 Jahre auf 
Madagaskar aufhielt, in der Berliner Gesellschaft für Erdkunde einen Vortrag. — 
ln der .Revue Maritime et Coloniale“ (Oktoberheft 1882 i veröffentlicht Herr Laurent 
Crem&zy, Rath am Appellgerichtshofe zu Reunion: Notes sur Madagascar, eine 
Reihe von ethnologischen Beobachtungen, welche vorzugsweise die Stämme der 
Ostküste betreffen. — Auch in der deutschen Tagespresse erregt, wohl in Anlass 
der kürzlich in Paris oingetroffeuen madagassischen Gesandtschaft, Madagaskar 
jetzt erhöhte Aufmerksamkeit : die .Augsburger Allg. Ztg.“ veröffentlichte am 28. 
und 24. September d. J. Aufsätze über die Insel, und der „ Export“, das bekannte 
wöchentlich erscheinende rührige Organ des Centralvereins für Handelsgeographie 
in Berlin, brachte am 17. Oktober einen Artikel über „die Franzosen in 
Madagaskar.“ Die jetzt in Paris verweilende madagassische Gesandtschaft besteht 
aus zwei hohen Staatsbeamten, nämlich Ravöuinähitriniarivo, im 15. Range, einem 
Neffen des ersten Ministers der Königin, nnd Ramaniraka, im 14. Range, Palast- 
beamten und Staatssekretär; ihre Begleitung als Adjutanten bilden zwei Beamte 
niedereren Grudes. Leber diese Gesandtschaft schreibt uns ein kundiger Freund: 
, Dieselbe kam zur Beilegung gewisser Streitigkeiten zwischen Frankreich und 
der Hova-Regierung, indessen tritt ihr jetzt der Anspruch Frankreichs auf das 
Protektorat der ganzen Westhälfte der Insel entgegen!' Von Frankreich reist 
die Gesandtschaft nach England, sodann, um Handelsverträge abzuschliessen, 
nach Berlin und sogar nach Washington (die Ausfuhr der Vereinigten Staaten 
nach Tamatavc in Baumwollstoffen, Mehl, Möbeln, Konserven u. A. ist gar nicht 
unbedeutend;. In England traten den neuesten Zeitungsnachrichten zufolge, eine 
Anzahl Männer zusammen, um den französichen Ansprüchen entgegenzu^irken. 

Nähere Berichte über die Ermordung des Dr. Orevaux. Im Sommer 
dieses Jahres traf in Paris die Trauernachricht von der Ermordung des französischen 
Naturforschers und Reisenden Dr. Crevaux ein. Derselbe unternahm seit 1877 
mehrere ausgedehnte Reisen zu den Quellgebietcn der grossen südamerikanischen 
Ströme; die letzte führte ihn den Pilcomayo, welcher eine Strecke die Grenze 


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zwischen Paraguay und der Argentinischen Republik bildet, hinauf zu den dort 
hausenden wilden Indianerstämmen, deren Weissenhass und Baubsucht er, wie 
nun leider bestätigt ist, zum Opfer fiel. Zur Feststellung des Thatbestandes, zur 
Bestrafung der Mörder und so weit möglich Rettung der hinterlassenen Papiere 
des Dr. Crevaux ist der Gouvernementssekretär des Territoriums Chaco, Oberst- 
leutnant Fontana entsendet worden, ihn begleitet eine wissenschaftliche 
Kommission. Die letzten Nachrichten melden, dass Fontana am 5. August er- 
reichte. Inzwischen trafen die Details der tragischen Katastrophe durch das 
argentinische geographische Institut in Buenos Avres bei der Pariser geographischen 
Gesellschaft kürzlich ein und der Sitzungsbericht der letzteren vom 20. Oktober 
enthält bereits mehrere Aktenstücke, sowie eine Kartenskizze des mittleren 
Laufs des Pilcomayo, an dessen Ufer Crevaux und seine Leute ermordet wurden. 
F.in Brief von einem der Padres der an diesem Fluss gelegenen Mission San 
Francisco Solano, datirt den 5. Juni 1882, enthält don folgenden Bericht: 

Am 19. April verliessen Dr. Crevaux und seine Leute die Mission, um 
den geheiinnissvollen Pilcomayo stromabwärts in vier Kanoe's zu befahren und 
zu erforschen. Nach den Erkundigungen, welche unsere Erfahrung ihm an die 
Hand gab, hatte Dr. Crevaux uns versprochen, beständig gegen die Tücken der 
Indianer auf der Hut zu sein, deren Hinterlist und Verschlagenheit wir oft er- 
fuhren. Unglücklicherweise liessen ihn sein Selbstvertrauen und sein Muth 
unsere Rathschläge nicht gemiu befolgen. An demselben Tage gelaugten die 
Reisenden nach dem vier Stunden von der Mission entfernten Irua, wo sie die 
Indianerstämme der Missioneros Nacheile fanden, eine feige Rasse, die lange im 
Wohlstand lebte, sich aber schliesslich von den kriegerischen Stämmen unter- 
jochen Hess. Die Forschungsreisenden wurden von diesem Stamme frenndlich 
aufgenommen und eingeladen, die Nacht in ihrer Mitte zuzubringen. Dr. Crevaux 
machte ihnen einige kleine Geschenke, und vertraute ihnen sogar einen Brief, 
in welchem er mittheilte : „Wir sind zu Irua angekommen und schliessen mit den 
Tobas Frieden!" Er wusste nicht, dass diese Indianer nicht die Tobas waren, 
sondern feige, that.kraftlose Wilde, die nichts mit den Kriegern gemein haben, 
welche ihr ganzes Dasein in Kampf und Streit verbringen. Das glaubte der 
muthige Forscher nicht entfernt, sondern er war fest überzeugt, jetzt diese 
gefürchteten Feinde der Civilisation und des Fortschritts zu seinen Füssen zu 
sehen. Am 20. machte er sich wieder auf den Weg, bevor er jedoch das Lager 
verliess, engagirte er einen Indianer Namens Caliuis, ihn bis Teyo zu führen. 
Die Reisenden kamen hier an. Sie wurden von dem Kaziken Caserai und einer 
grossen Anzahl Toba’s und Chiriguano’s erwartet. Sobald die Indianer der 
Expedition ansichtig wurden, kamen sie heran und riefen: „Kommt Ihr zu uns 
als Freunde oder als Feinde?“ „Als Freunde“, antworteten die Reisenden. „Gut", 
erwiderten sie, „wir werden Freunde sein und Euch bis nach Caballo-Repoli 
geleiten; Ihr werdet um Eurer Sicherheit wegen in unserer Mitte gehen." Die 
Reisenden, durch diese freundliche Aufnahme verlockt, glaubten den Worten 
der Toba's und schenkten ihnen dasselbe Vertrauen wie vorher den Naclienen. 
Während Crevaux und seine Begleiter sich in Teyo ausruhten, hielten die Indianer 
Berathung (Parlamente), um über das Schicksal der Reisenden zu entscheidet). 
Das Parlamente ergab keine Einstimmigkeit; vielmehr stellte sich Meinungs- 
verschiedenheit unter den Häuptern des Stammes heraus. Hie einen verlangten 
die Ermordung der Reisenden, um ihren Durchzug zu verhindern, die andern 
sagten : .Last sie durchziehen, da sie keine Tarijeiios oder Caizenos (von den 
Städten Tarija und Caiza) sind, sie kommen nicht, um uns unsere Prärien und 


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Wilder zu nehmen, es sind geringos, *) wir wollen sie ihr Land wiedeT aufsuchen 
lassen.“ Der Indianer, welrher Crevaux als Führer von Irua aus gedient hatte, 
war herbeigerut'eu worden und die Toba’s hatten ihm gesagt: .Schweig über 
unsere Pläne, denn, wenn Du je den Christen irgend welche Nachricht giebst» 
werden wir Dich tödten.* Trotz dieses Verbots sagte der Indianer den Reisenden: 
.Die Toba's sind wilde und grausame Menschen, sie können Euch tödten.* — 
.Das ist nicht möglich“, sagten die Reisenden, .wenn sie solche Absichten hätten, 
so würden sie uns nicht so freimüthig Gastfreundschaft gewährt haben.* — 
Fünf Tage darauf, am 25. April, verschwand der Führer von lrua; die Toba’s 
hatten ihm angeboten, ihn bis nach Caballo-Uepoli, dem Punkte, welchen sie für 
die Vernichtung der Reisenden gewählt, hatten, zu begleiten. Letztere, noch 
immer voll Vertrauen, ahnten die ihnen drohende Gefahr nicht entfernt. Als sie 
in Caballo-Rcpoli ankamen, hatten sich zahlreiche Stämme an den Ufern des 
Stromes versammelt. Sobald sie die Kanoe's der Expedition sahen, begannen 
sie zu rufen: ^Bringt Eure Waffen nicht mit ans Land, es ist unnöthig, denn 
wir haben keine ; kommt zu uns mit Vertrauen, wie wir Vertrauen zu Euch 
haben.“ Crevaux, an der Spitze seiner Gefährten, schwang sich ans Land, ohne 
daran gedacht zu haben, unter seinen Kleidern anch nur einen Revolver zu 
verbergen; dies beweist, welch’ grosses Vertrauen er zu diesen Wilden hatte und 
zugleich, wie wenig Werth er unseren nur zu begründeten Rathschlägen heimass. 
Sein Zutrauen wurde noch grösser, als er am Ufer von den Anführern brüderlich 
empfangen wurde, die ihm nach vielen anscheinend herzlichen Begrüssuugeu 
Lämmer anboten. Crevaux konnte diesem Zeichen der Sympathie gegenüber nicht 
umhin, seine Begleiter darauf aufmerksam zu machen, wie wenig schrecklich 
dieser Stamm von Wilden wäre, da sie mit Worten des Friedens entgegen kämeu. 
Kanin hatte er ausgesprochen, als die Indianer, mit ihrer gewohnten Gewandt- 
heit, ihre Waffen hervorzogen und ungestüm auf die unglücklichen Reisenden 
losstürzten, welche sie in einem Augenblick tödteten. Die bei den Kanoe's zur 
Bewachung zurückgelassenen Leute wurden dann zu Gefangenen gemacht; nur 
vierzehn wurden an dem Orte des Blutbades wiedergefundeu. Alle waren ihrer 
Kleidungen beraubt worden.* 

Dieser Bericht wird in allen Einzelheiten von einem Indianerknaben, 
welcher, im Gefolge Dr. Crevaux's, bei der Katastrophe verwundet und gefangen 
genommen, später aber freigelassen wurde, bestätigt. 


Fine neue Karte von Alaska. Map of Alaska and adjoining regions, com 
pilod by Ivan Petroff, special agent, tenth censns 1882. Iwan Petroff, der im 
Jahre 1880 die Censns -Aufnahme in Alaska leitete und zu diesem Zwecke aus- 
gedehnte Reisen entlang der Kette der Aleuten and im kontinentalen Alaska 
unternahm, hat eine neue Karte von Alaska und den angrenzenden Gebieten 
herausgegeben, welche einige nicht unwesentliche Veränderungen gegenüber älteren 
Darstellungen dieser Gebiete aufweist. In der Zeichnung des südöstlichen Alaska’s 
folgt der Herausgeber der britischen Admiralitätskarte vom Jahre 1866 mit 
Berücksichtigung einiger neuerer Special- Aufnahmen Seitens der Coast-Survey 
unter Leitung von Dali und Seitens der Ofticiere der Vereinigten Staaten Marine 
unter dem Kommando von Kapitän Beardslee und Glass. Besonders iu die 
Augen fallend ist die veränderte Darstellung des Cross-Sounds, iu dessen nörd- 
liches Ufer jetzt eine umfangreiche Bucht, die „Glacier-Bay“ tief einschneidet. 


*) So werden in den Pampas die Ruropüer genannt. 


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Die Darstellung der Halbinsel Alaska sowie der Kette der Aleuten weist gegen- 
über den älteren russischen Karten nur geringe Aenderungen auf. welche auf 
den Arbeiten der Coast - »Survey sowie den eigenen Beobachtungen des Heraus- 
gebers beruhen. — Au der asiatischen Küste der Bering-See ist die auffallendste 
Verschiedenheit in der Lage des Kaps Vancouver zu finden, welches nach den 
interessanten Entdeckungen des U. S. signal Officer Nelson, nicht auf einem 
Festlande, sondern auf einer durch zwei schmale, sich zu einer Bucht ver- 
einigenden Meeresarme geschiedenen Insel liegt. Die Insel führt, den Namen des 
Entdeckers, während die Bucht „Baird-Inlet“ genannt worden ist. An der Nord- 
küste Alaska's sind nur unbedeutende Aenderungen auf Grund der Aufnahme 
von Kapitän Hooper vorgenommen worden; Wrangel- Island sehen wir in der 
ihm von Kapitän Berry gegebenen Gestalt. Die sibirische Küste ist nach 
Nordenskjöld’s Karte gezeichnet, nur zwischen Serdze -Kamen und Kap North 
sind die Aufnahmen Hooper’s zur Ergänzung benutzt worden. Die Gestalt des 
Ostkaps ist entsprechend der von der Expedition der „Bremer geographischen 
Gesellschaft' gegebenen Darstellung verändert worden, ln dem wenig bekannten 
Innern Alaskas ist nur die Zeichnung einiger Flussläufe verändert, ausserdem 
aber eine grosse Anzahl von Namen indianischer Ortschaften, zumal am Kus- 
koquim-Biver, hinzugefügt worden. — Der Verfasser stellt noch die Publikation 
einer vollständigen Karte mit Gebirgszeichnung in Aussicht. Bei der noch immer 
recht ungenügenden Kenntniss , welche wir von einem grossen Theile dieses 
Gebietes besitzen, darf jeder neue Beitrag willkommen geheissen werden. 

Schneeschuhe in Alaska. Einem Privatbriefe des Herrn Dr. Arthur Krause 
über die in Alaska zur Winterszeit benutzten Schneeschuhe entnehmen wir 
folgendes: Die Indianer erzählen, dass Bie die Anfertigung ihrer Schneeschuhe 
von den Thieren gelernt haben. Nach einem starken Schneefall war einst das 
Waldhuhn in grosser Verlegenheit weiter zu kommen und versuchte sich Schnee ; 
schuhe zu machen, konnte aber nicht damit zu Stande kommen und fing 
nun jämmerlich zu weinen und zu klagen an. Da kam das Schneehuhn auf 
seinen ausgezeichneten Schneeschuhen über den losen Schnee daher gelaufen, 
fragte nach der Ursache seines Kummers und zeigte ihm dann, wie der Anfang 
zu machen sei. So bekam das Waldhuhn wenigstens angefangene oder halbe 
Schneeschuhe, deren Anblick dann die bidianer auf den Gedanken brachte, sich 
ähnliche zu verfertigen. Ein solcher Schneeschuh ist in der That ein wahres 
Kunstwerk, in welchem gefällige Form und Leichtigkeit mit einer ganz ausser- 
ordentlichen Festigkeit verbunden sind. Ein durch Feuer und Rauch in gehörige 
Form gebrachter Rahmen aus Ahoru- oder Birkenholz trägt vorn und hinten 
ein Netzw erk aus feinen Lederstreifen, in der Mitte ein stärkeres als Fussgestell. 
Dass es einige Zeit dauert, ehe man sich mit solchen 4 — ö Fuss langen Anhängseln 
richtig zu benehmen versteht, ist kein Wunder; schon beim Anziehen beginnt 
die Schwierigkeit; eine eigenthümliche schraubenförmige Drehung des Fusses, 
bei der ganz wunderbare Gelenke und Muskeln in Thiitigkeit gesetzt werden, 
bringt den mit dem Lederstrumpf bekleideten Fuss in die Lederschlingen. 
Endlich damit zu Stande gekommen, versuchst Du zu gehen und es geht zu 
Deinem Erstauuen auf ebenem Schnee ganz prächtig, etwa so wie mit riesigen 
Filzparisern; aber schon beim Umwenden trittst Du Dir sicher auf Deine eigenen 
Hacken und fällst natürlich auf die Nase. Jetzt ist die Noth gross; das eine 
Bein liegt hier, das andere dort, die Schneeschuhe sitzen noch an den Füssen, 
sind aber so verdreht in den Schnee hineingefahren, dass Du sie nicht an Dich 


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heranziehen kannst; Du versuchst Dich auf Deine Anne zu stützen, doch sie 
finden keinen Widerhalt und arbeiten sich nnr tiefer in den Schnee hinein. 
Ein Baumast, den Du ergreifst, bricht bei dem Frost wie Glas und die Er- 
schütterung bringt Dir nur noch eine neue Schneemasse auf den Hals; den 
einzigen festen Punkt bieten doch nur Deine Schneeschuhe ; die musst Du zu 
erfassen suchen, sie oder wenigstens einen in die richtige Lage bringen, um 
dann an ihm die allmähliche Aufrichtung Deines ganzen Seins zu versuchen. So 
lernt man anf Schneeschuhen gehen; ehe man aber dann laufen, springen, 
Abhänge erklettern und hinabrutschen gelernt hat, hat man noch mehr als 
einmal Gelegenheit gehabt, das Aufstehon zu üben. Besondere Schwierigkeit 
macht auch das Passiren von dichtem Gestrüpp, andererseits golit man aber 
über ganze Bäume und Büsche, die im Schnee vergraben sind, mit Leichtigkeit 
hinweg, so dass im Ganzen das Herumstreifen im Walde im Winter leichter 
möglich ist als im Sommer. 

§ Graf Lütke f, Am 20 August verschied in St. Petersburg nach langem 
Leiden Graf Fedor Pctrowitseh Lütke, Gcneraladjutaut und Admiral der russischen 
Flotte, ein mn die arktische Forschung, wie überhaupt um die Geographie und 
die ihr verwandten Wissenschaften hochverdienter Mann. Der Verstorbene 
erreichte nahezu das fünfundachtzigste Lebensjahr, da er am 29. September 1797 
zu St. Petersburg geboren wurde. Dem feierlichen Trauergottesdienste in der 
evangelisch-lutherischen St. Anueukirehe wohnten mehrere Mitglieder der Kaiser- 
lichen Familie, viele Würdenträger des Reichs, der deutsche Botschafter u. A. bei. 
In der Kirche hielt der lutherische Pastor Hesse die Trauerpredigt. Am Grabe 
sprach der Direktor der Kaiserlichen Sternwarte in Pulkowa, der Akademiker 
Struwe. würdige Worte des Gedächtnisses , er sagte n. A : „Noch nicht 16 Jahre 

alt ins praktische Leben des Seemanns getreten, erkannte der junge Lütke 
bald, wie sehr wissenschaftliches Studium und ernste wissenschaftliche Arbeit 
erforderlich sei, um auf diesem Gebiete mit Erfolg zu wirken und den Seefahrer 
in den Stand zu setzen, seiner Aufgabe, der Leitung des Schiffes, zu genügen, 
nnd zugleich aus den Reisen den vollen Nutzen zu ziehen, den sie bringen 
können. In welchem Grade diese Erkenntniss seine spätere Wirksamkeit bestimmt 
hat, davon zeugen alle seine Reisen von der ersten Weltumseglung an, die er 
unter Golowuiu’s Leitung vor 6ö Jahren unternahm. Die reichen Resultate, 
welche seine wiederholten, jetzt mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegenden 
Expeditionen nach Nowaja Semlja und noch mehr seine Reisen an die unwirth- 
lichen Gestade des Ochotskischen nnd Berings-Meeres gebracht haben, sind selbst- 
redende Belege für seine Bestrebungen. Lütke’s Name wird für immer als einer 
der ersten und hervorragendsten unter den Männern genannt werden, die sich 
die Erforschung der arktischen Gewässer, dieses Lieblingsgegenstandes der gegen- 
wärtigen Zeit, zur Aufgabe gestellt haben.*) War aber auch der Nutzen für 
Geographie, Hydrographie und Nautik, diese dem Seemanne unentbehrlichen 
Fächer, die unmittelbare Veranlassung, welche. Lütke anf den Weg der Wissen- 
schaft führten, so blieb er dabei doch nicht stehen. Es erwachte und entwickelte 
sich in ihm immer mehr und mehr die Einsicht, dass die Wissenschaft erst, 
dann die reichsten Früchte trage, wenn sie um ihrer selbst willen, um Erweiterung 

*) l>ie von ihrer Reise nach dem Heringsmeere zuriiekkehrendeu Herren 
Dr, Krause schreiben im Anschluss an eine Bemerkung des Herrn Inan Betreff über 
die Vorzüglichkeit der rassischen Seekarten von jenen Gegenden : ,,t. litt e’* Special- 
aulnahmen iin Senjawin-Archipel sind bewunderungswürdig genau.” 


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363 


der menschlichen Erkenntniss ohne Rücksicht auf den unmittelbaren Nutzen 
gepflegt wird. Diesem Gedanken entsprechen seine eigenen, in den entlegensten 
Welttheilen angestellten Pendelversuche, die, für das praktische Leben scheinbar 
von keiner Bedeutung, für die Wissenschaft von höchstem Werthe sind. In 
gleicher Weise entsprechen demselben seine zahlreichen physiko-geographischen 
Beobachtungen während der Fahrten in den arktischen Gewässern, welche, vereint 
mit den Arbeiten der ihn begleitenden Specialisten, das Werk, das seine Reise 
auf der Korvette „Senjawin“ schildert, zu einer Fundgrube des reichsten wissen- 
schaftlichen Materials gemacht haben.“ — Indem der Redner sodann den weiteren 
Lebensgang des Verstorbenen kennzeichnete, wies er auf die Verdienste hin, 
welche sich Graf Lütke um die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in 
St. Petersburg, als deren Ehrenmitglied und späterer Präsident, sowie als Vor- 
sitzender des Komitä’s für die Nikolai-Hauptsternwarte in Pulkowa, und überhaupt 
durch seine vielseitige Förderung wissenschaftlicher Bestrebungen erworben hat. 
Der Redner fuhr darauf fort: r Ich würde zu weit gehen müssen, wollte ich alle 
die wissenschaftlichen Institutionen, alle die Arbeiteu oder gar die einzelnen 
Männer der Wissenschaft aufführen, die dem Dahingeschiedenen zu Dank ver- 
pflichtet sind. Aber es dürfte mir wohl ein Vorwurf daraus gemacht werden 
wenn ich hier nicht wenigstens seine Betheiligung an der Gründung der Kaiserlich 
Russischen Geographischen Gesellschaft, dieses Instituts, das dem Vaterlande 
schon so reichen Nutzen gebracht hat, kurz erwähnen wollte. Ja es ist zu wenig 
gesagt, wenn ich hier das Wort Betheiligung gebrauche, ich hätte sagen sollen- 
Lütke war es, der die Gesellschaft ins Leben rief. Wer seine Wirksamkeit zur 
Zeit der Gründung und als langjähriger Viceprasident gekannt hat, wird mir 
gewiss beistimmen, dass er die Seele der ganzen Gesellschalt war, dass, was sie 
Grosses geleistet, sie dem Geiste verdankt, den er ihr eiugehaucht hat.“ — Eine 
dreimalige Ehrensalve und Senken der Admiralsflaggen über dem Grabe schlossen 
die würdige Feier auf dem Friedhofe. 

§ Leopold v. Sehrenck’s „Völker des Amur-Landes.“ Von dem gelehrten 
Werke Dr. Leopold v. Schrenck’s: „Reisen und Forschungen im Amur -Lande 
in den Jahren 1854—56, im Aufträge der Kaiserlichen Akademie der Wissen- 
schaften zu St. Petersburg ausgeführt und in Verbindung mit mehreren Gelehrten 
herausgegeben von Dr. Leopold v. Schrenck“ liegt uns durch die Güte des Herru 
Verfassers die erste Lieferung des Bandes III. vor, welche den geographisch 
historischen und anthropologisch - ethnologischen Theil der „Völker des Amur- 
Landes“ enthält. In der Einleitung weist Verfasser zunächst darauf hin, dass 
das hier gezeichnete Bild zum grossen Theil bereits der Vergangenheit angehöre, 
da die ethnographischen Verhältnisse des Landes seit der definitiven Besitznahme 
desselben durch Russland sich in raschen Zügen geändert haben. Als der Ver- 
fasser vor 30 Jahren das Amur -Land besuchte, war es eine ununterbrochene 
Wald- und Prairiewildniss, in der, ein paar kleine russische MilitärpoBten abge- 
rechnet, nur halbwilde Fischer- und Jägervölker ungestört ihr Wesen trieben 
Jetzt breiten sich längs dem ganzen Amur und Ussuri in Zwischenräumen von 
je 20 — 30 Werst Poststationen und Ansiedelungen russischer Kosaken, wie frei- 
williger Kolonisten aus. Städte sind am Hauptstrom erwachsen oder im Ent- 
stehen begriffen, Hafenanlagen wurden an der Küste ins Dasein gerufen, Dampfer 
verkehren auf dem Amur und sogar der Telegraphendraht durchschneidet die 
Wildniss, aus welcher der eingeborne Jäger und Fischer von der herandringenden 
Kultur vertrieben wird, um einem Zersetzungsprozess entgegenzugehen, der 


Geogr. Blätter. Bremeu 1862. 


25 



364 


gegenüber der sehr energisch fortgesetzten Kolonisation einen raschen Verlauf 
nimmt. Dm so werthvollcr ist das in dem Werk gezeichnete ethnographische 
Bild, welche^ aus einer Zeit stammt, wo die Völker des Amur-Landes noch ihre 
volle durch die Berührung mit Chinesen und Japanern wenig geschädigte Eigen- 
art besassen. Die Akademie hatte also in der That für die dem Verfasser anvertraute 
Sendung den günstigsten Zeitpunkt gewählt. Die zweijährigen Forschungsreisen 
v. Schrenck’s bewegten sich in dem Stufen- und Tiefland des Amurs, im an- 
grenzenden Küstengebiete am Ochotzkischen und Japanischen Meere, sowie auf 
der Insel Sachalin. Zur Entwertung der Skizzen für die physiognomischen 
Völkertypen und Schädel, welche den uns vorliegenden Band auf acht Tafeln 
zieren, war dem Verfasser ein geschickter Zeichner beigegeben, und wesentliche 
Unterstützung erfuhr er auch durch den bekannten russischen Forschungs- 
reisenden Maximowicz, mit dem er manche Fahrten im Amur-Lande gemein- 
schaftlich ausführte. So wird uns denn im ersten Abschnitt (geographisch- 
historischer Theil) zunächst eine allgemeine Uebersicht der indigenen Völker 
des Amur-Landes, ihrer Grenzen und Verbreitungsgebiete, wie sie vor 30 Jahren 
bestanden, gegeben, und es werden die vom Verfasser sehr eingehend dargelegten 
Verhältnisse durch eine in Farben ausgeführte ethnographische Karte des Amur- 
Landes, der ersten dieser Art, veranschaulicht. Es sind drei der Sprache nach 
gänzlich von einander verschiedene Völkerschaften: die Tungusen, deren eigent- 
liche Heimat das Amur-Land zu sein scheint und die in zahlreichen Stämmen 
den bei weitem grössten Theil desselben inne haben, die Ghiljaken, ein Fischer- 
volk, die den äussersten Nordosten des hier in Betracht kommenden Gebiets, 
hauptsächlich die Küste am Ochotzkischen und Japanischen Meere und an dem 
Amur-Liman, sowie die Flnssufer des unteren Amur und des Tymy auf Sachalin 
bewohnen und endlich im äussersten Südosten, auf der kleineren Südhälfte von 
Sachalin, die Aino’s, welche bekanntlich auch das indigene Volk auf Josso und 
den Kurilen sind. Weiter wird die räumliche Stellung der Kulturvölker Ost- 
asiens im Amur-Lande, der Chinesen und Japaner, sehr ausführlich erörtert. 
Die Chinesen nehmen theils zusammenhängende grössere und kleinere Gebiete, 
theils einzeln unter die Amur-Völker vorgeschobene Posten ein, das weitaus grösste 
jener Gebiete, in dem sie faktisch Herren sind, ist das weite und fruchtbare 
Ssungari-Land ; sie bewohnen als Ackerbauer und Gewerbtreibende weite Strecken 
der Ufer des Ssungari, sowie seines grössten rechten Zuflusses, des Churcha, und 
diese schon vor Jahrhunderten begonnenen chinesischen Ansiedelungen verdichten 
sich, durch fortwährenden starken Zuzug aus den chinesischen Nachbar-Pro- 
vinzen Schantung, Schansi und Tschili noch heute. Die Japaner Hessen sich 
hauptsächlich auf Sachalin und besonders im südlichen Theil dieser Insel 
nieder, für ihre Handels- und Fischereiniederlassungen wurden ihnen die Ein- 
geborenen, die Aino’s, dienstbar. Endlich wird die räumliche Stellung der 
Russen im Gebiete des unteren Amur zu jener Zeitperiode charakterisirt. Ihr 
Einfluss auf die Amur-Völker war damals noch ein geringer. Erst nach Been- 
digung des Krim-Krieges, als das Amur-Land den Russen von der Seeseite 
wieder zugänglich wurde und der grösste Theil desselben auch de jure in russischen 
Besitz überging, begann die noch jetzt fortgesetzte energische Kolonisirung Der 
zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den Veränderungen und Verschiebungen 
in den Verbreitungsgebieten der Amur-Völker in historischer Zeit nach russischen, 
chinesischen und japanischen Nachrichten, sowie mit der Sichtung der im 
Amur-Lande gebräuchlichen oder auf dasselbe bezüglichen Völkernamen. Der 
anthropologisch-ethnologische Theil behandelt die Abstammung und weitere 


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365 


Gliederung der Amur-Völker nach Sprache und physischer Beschaffenheit, ins- 
besondere Schädelbau und Gesichtsbildung ; zu diesem (3.) Abschnitt gehören 
die 8 Tafeln : Völkertypen und Schädel. Ohne auf die gelehrten Untersuchungen 
des Herrn Verfassers hier näher eingehen zu können, wollen wir nur zunächst 
hervorheben, dass der Verfasser zu dem Resultate gekommen ist, in erster 
Linie und über physische Differenzen der Sprache eine massgebende Bedeutung 
für die Unterscheidung und systematische Anordnung der Völker beizu- 
messen. Beispielsweise zeigen Gesichtszüge und Schädelbildung der Ghiljaken 
den mongolischen Typus, dennoch sind sie nicht zu den mongolisch-tungusischen 
Völkern zu rechnen, denn ihre Sprache ist derjenigen dieser Völker fern- 
Aehnliche Erscheinungen zeigen sich bei einer ganzen Reihe von Völkern Nord- 
ost-Asiens. v. Schrenck schlägt in Berücksichtigung sprachlicher, geographischer 
und historischer Gesichtspunkte vor, diese am Rande des Kontinentes von 
Ostasien wohnenden vermuthlichcn Reste ehemals weit verbreiteter und ver- 
zweigter Völker geographisch als die nordost-asiatischen Randvölker und 
historisch als die nordöstlichen Paläasiaten zu bezeichnen. Die viel erörterte 
Frage der Abstammung der Ainö’s wird von dem Verfasser unter Berücksichtigung 
sowohl der physischen Beschaffenheit als der Sprache sehr ausführlich an der 
Hand der darüber vorhandenen Literatur diskutirt und gelangt v. Schrenck zu 
dem Resultat, sie für ein durch mongolische Völkerschaften frühzeitig vom Fest- 
lande Asiens nach seinem insularen Ostrande verdrängtes, also paläasiatisches 
Volk zu erklären. 

Ethnologische Ausstellung in Elsfleth. In der rührigen Weser-Hafenstadt. 
Elsfleth, bekannt durch ihre bedeutenden Rhedereien und Schiffswerften, fand 
in der Zeit vom 24. September bis 4. Oktober eine Ausstellung ethnologischer 
und naturwissenschaftlicher Gegenstände statt. Den Haupttheil lieferte das 
dort vor einer Reihe von Jahren von der Schiffergesellschaft. Concordia errichtete 
Museum, das seine Schätze wesentlich den Oldenburger Schiffskapitänen und 
Rhedem verdankt. Ferner waren eine Anzahl von Gegenständen für die Aus- 
stellung geliehen. Ein Berichterstatter der „Oldenburger Zeitung“ äussert sich 
über die Ausstellung u. A. wie folgt : „Dass die Ausstellung nicht so sehr klein 
ist, wie wohl mancher glauben könnte, geht schon daraus hervor, dass allein 
die „Concordia“ mit 504 Nummern vertreten ist. Das Museum (ich spreche hier 
von allen ausgestellten Gegenständen) enthält eine ethnologische, zoologische, 
botanische, mineralogische Sammlung und viele Kuustgegenstände. Aus der 
ethnologischen Sammlung heben wir besonders die verschiedenartigsten Waffen 
hervor, von den durch Eingeborene Australiens und den Südseeinseln angefer- 
tigten kunstlosen Wurfgeschossen (Bumerangs, Speeren u. A.), bis zum kunst- 
voll gefertigten japanischen Schwert. Sehenswerth ist ferner eine Kollektion 
von Fussbekleidungsgegonständen der verschiedensten Völker : von den primitivsten 
Sandalen bis zu den feinen Schuhen der Chinesen und den golddurchwirkten 
Pantoffeln der Perserinnen. Auch Musikinstrumente von der afrikanischen 
Westküste und den Fidschiinseln erblicken wir. Sehr interessant ist ferner der 
Schädel eines Australnegers, zu dem man, um die Gegensätze rocht deutlich 
hervortreten zu sehen, den Schädel eines Kaukasiers gestellt hat.. In der ziem- 
lich reichhaltigen zoologischen Sammlung, die viele Schlangen, Fische, Thier- 
skelette etc. enthält, wollen wir besonders auf ein Schildkrötenci und auf zw r ci 
indische (essbare) Vogelnester einer Schwalbenart aufmerksam machen. Be- 
sonders werthvoll wird diese Sammlung durch eine Kollektion Muscheln, 


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Korallen n. A.. um die manches grössere Museum die „Concordia“ beneiden 
könnte. Aeusserst reichhaltig ist die botanische Sammlung, die zugleich die 
mannigfachsten Handelsprodukte umschliesst. Man findet da 67 Arten Karne 
von den Fidschi- und Tonga-Inseln; eine Schotenfrucht aus Sumatra; 137 m- 
und ausländische Holzarten u. A. Von den Handelsartikeln heben wir nur die 
bekanntesten hervor: die Baumwollstaude, Zweige eines Kaffeebaumes, Kakao- 
früchtc, Granatapfelbaum und Frucht, der Strauch des spanischen Pfeffers mit 
der Frucht, der Fruchtstand eines Palmbaumes mit den darin befindlichen Kernen, 
der Pfefferstrauch, Zuckerrohr, Muskatnüsse, Reis u. A. ; ferner 29 Sorten Taback ; 
die verschiedenartigsten Sorten Tau werkproben und alle nur erdenklichen 
Gespinstfasern. Die mineralogische Sammlung erregt besonderes Interesse durch 
eine prachtvolle Achatsammlung des Navigationslehrers Herrn Jülfs. — Die 
Abtheilung der Kunstgegenstände bietet die grösste Mannigfaltigkeit. Ein grosser 
langer Tisch repräsentirt Persien, Indien, China und Japan. Ein vergoldetes Ei, 
in dem sich ein prachtvoll gearbeiteter persischer Fingerhut befindet, persische 
Münzen, Götzenbilder, Teppiche und Seidenstoffe, herrlich geschnitzte Elfenbein- 
kästchen und Armbänder, Schildpattkästchen, ein werthvolles chinesisches Schach- 
brett mit kunstvoll geschnitzten Elfenbeinfiguren, chinesische und japanische 
Kästchen, Shawls u. A. bieten sich dem Auge des erstaunten Besuchers dar. 
Beider ist hier nicht der Raum alle Einzelheiten der ganzen Sammlung aufzu- 
zählen. Dieselbe ist überhaupt so reichhaltig und mannichfaltig, sie bietet so 
viele Seltenheiten, dass eine Wanderung durch diese Räume ebenso belehrend 
wie genussreich ist, und dürfte der Besuch auch für Fremde sehrzu empfehlen sein. 
Der grösste Dank gebührt unstreitig dem Herrn Navigationslehrer Jülfs, der es 
an Zeit und Mühe nicht hat fehlen lassen, die Ausstellung zu einer glänzenden 
zu machen.“ Und weiter; „Noch täglich werden im Saale seltene und sehens- 
würdige, in Privatbesitz befindliche Gegenstände aufgestellt, u. A. gestern 
ein prachtvoller reich mit Seide und Gold gestickter chinesischer Mantel, der 
besonders bei den Damen gerechte Bewunderung erregt. Mit noch grösserem 
Rechte verdient eine kleine Dampfmaschine und ein kleines betriebsfähiges Dampf" 
schiff erwähnt zu werden. Beide Gegenstände sind in allen ihren Theilen mit 
grosser Knnst und Geschicklichkeit ohne grössere Apparate von dem Schlächter 
Herrn Ernst Meyer von hier selbst gefertigt. Das kleine, etwa 2 Fass lange 
Dampfschiff hat schon vor einiger Zeit seine Probefahrt im hiesigen Hafen ge- 
macht, zur grossen Bewunderung und vollen Befriedigung aller Zuschauer. 
Schliesslich sei noch eines kunstvollen Arbeitskästchens erwähnt. Dasselbe hat 
3 Etagen, ist von einem Schiffszimmermann an Bord eines Elsflether Schiffes 
aus Cigarrenkislenholz mit einem Federmesser geschnitzt und sind die einzelnen 
Theile weder durch Nägel oder Leim, noch durch ein sonstiges Bindemittel mit 
einander verbunden.“ — Der Patriotismus der Elsflether Schiffskapitäne, die mit 
ihren kleinen Fahrzeugen die Oceane nach allen Richtungen durchfnrchen und 
die entlegentsten Häfen aufsuchen, wird dem Elsflether Museum im Laufe der 
Zeit gewiss noch manche Schätze zuführeu. 

Die brasilianische Ausstellung in Berlin. Mit grossem Interesse haben 
wir neulich in Berlin diese von dem so äusserst rührigen und thätigen Central- 
verein für Uandclsgeographic veranstaltete Ausstellung besichtigt. Sie giebt ein 
deutliches, wenn auch noch nicht einmal vollständiges Bild der vielseitigen, für 
den Handel wie für die Industrie liockbedeutenden Produktion jenes ausgedehnten 
und reichen Tropenlandes. In seiner Eröffnungsrede wies der Präsident des 



367 


Vereins, Dr. Jannasch, auf die Wichtigkeit hin, welche Südamerika mit, einer 
Einfuhr im Werth von einer Milliarde und einer Ausfuhr im Werth von 
1300 Millionen Mark für den Handel überhaupt habe. An der gesammten süd- 
amerikanischen Handelsbewegung ist Brasilien allein mit 827 Millionen Mark 
betheiligt. Im Jahre 1881 bezog Deutschland aus Südamerika für 5 Millionen 
Mark Kaffee, für 16 Millionen Mark Wolle, für 13 Millionen Mark Chili-Salpeter 
und Dungstoffe, für 3 Millionen Mark Chinarinde, für 2 Millionen Mark Häute. 
Hamburg führt aus Brasilien für 75 Millionen Mark Waaren ein. es führte 1881 
gegen 114 Millionen Mark Waaren dahin aus. Die wichtigste Abtheilung der 
Ausstellung ist die der brasilianischen Handelsprodukte und hier haben sich 
namentlich die deutschen Kolonien in den Provinzen Rio Grande und Santa Catharina 
lebhaft betheiligt. Inder Specialausstellung des Kaffees wird in einer Würfelpyramide 
die Kaffeeproduktion der ganzen Erde veranschaulicht und wir lernen hier, dass von 
der gesammten Kaffeeproduktion der Erde, im Betrage von 615,711,200 kg, Brasilien 
allein 300, (XX), 000 kg liefert : in Säcken und Gläsern liegen an 200 Sorten Kaffee 
zur Schau. Dann folgen die Tabacks- und Cigarrensorten, Zuckerrohr und Rohr- 
zucker, der Mattä (Paraguay-Thee), Nutz- und Farbehölzer, Baumwolle, Weine, 
Seiden, Früchte und Gemüsec.onserven. Eine zweite Abtheilung führt Gewebe, 
Droguen. Leder, Steinkohlen, Erze u. A. vor, eine dritte sehr reichhaltige bietet 
ein buntes Bild von Geräthen und Werkzeug, wie sie in Haus, Landwirthschaf), 
Fischerei, Jagd und Handwerk Brasiliens in Gebrauch. Geschmackvoll ist 
besonders auch die Dekoration der Ausstellung durch Thierfelle, Vogelbälge und 
prächtige tropische Pflanzen, endlich durch ein farbenglnhendes Bild der stolzen 
Hauptstadt des Kaiserreichs, gemalt von Jacobs. Schliesslich möchten wir der 
Abtheilung Literatur gedenken, welche eine sehr mannigfaltige Sammlung älterer 
und nenerer Schriften und Karten von Brasilien enthält, unter ihnen auch das 
Werk von Dr. Henry Lange über Süd-Brasilien. — Eine solche Ausstellung 
würde sicher auch in den deutschen Seestädten grosses Interesse erregen Bei 
dem lebhaften Interesse, welches sich gegenwärtig in Deutschland den Fragen 
der Kolonisation, der Hebung der Ausfuhr u. d. m. zuwendet, dürfte es vielleicht 
an der Zeit sein, zu erwägen, ob man nicht in ähnlicher W'eise Einblicke in die 
wirthschaftlichen Verhältnisse auch anderer wichtiger überseeischer Länder durch 
Special-Ausstellungen eröffnen könnte. 

Errichtung einer W'ettersäule in Bremen. Nachdem vor einigen Jahren 
im Kreise unserer geographischen Gesellschaft die Errichtung einer meteorolo- 
gischen oder Wetter-Säule in Bremen erwogen und vorbereitet war, ohne dass 
die Sache zur Ausführung kam. fassste der hiesige Naturwissenschaftliche Verein 
selbständig den Gedanken auf und hat ihn, von mehreren Seiten unterstützt, in 
einer durchaus anerkennenswerthen Weise ins Werk gesetzt: seit dem 31. Oktober 
ist die meteorologische Säule auf einem freien, viel frequentirt.en Platze vor dem 
Bischofsthore errichtet und in Funktion. Die nachstehenden Angaben sind einem 
Berichte der „Weser-Zeitung' 1 vom 6. Oktober d. .1. entnommen. Die dreiseitige 
Säule zeigt au der Nordseite hinter starken Glasscheiben gut ausgeführte 
Instrumente, um den Druck, die Temperatur und die Feuchtigkeit der Luft zu 
messen. Es wird dadurch die Gelegenheit geboten, einmal jederzeit die durch 
die Luftbeschaffenheit gegebenen Zahlen abzulesen, und ausserdem können andere 
Instrumente mit denen der Säule, für die eine möglichst grosse Genauigkeit 
angestrebt ist, verglichen und so regulirt werden. Unter den Barometern ist 
das Quecksilberbarometer unzweifelhaft das zuverlässigste und deshalb soll mit 


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368 


einem solchen ausschliesslich der Luftdruck gemessen werden. Dasselbe ist von 
Herrn Ludolph in Bremerhaven geschenkt und in dessen mechanischer Werk- 
stätte angefertigt. Auf diesem Barometer sind drei Marken angebracht, eine für 
den nach den vorliegenden Beobachtungen ermittelten und auf den Standpunkt 
der Säule berechneten mittleren Druck von 75!}, 1 Millimeter, eine für das am 
16. Januar 1882 beobachtete Maximum von 784,7 Millimeter und eine für das 
Minimum von 720,9 Millimeter vom 2. Dezember 1806. Es erschien wüuschens- 
werth, die Temperatur nach allen drei Thermometerskalen von Reaumur, Celsius 
und Fahrenheit auszudrücken und namentlich auch die letzte zu berücksichtigen, 
weil gerade hier häufig Angaben nach derselben aus englischen und amerika- 
nischen Zeitungen Vorkommen. Stellt man aber die drei Theilungen neben 
einander, so kann immer nur bei den beiden, die unmittelbar an je einer Seite 
der Thermometerröhre stehen, der Stand des Quecksilbers genau abgelesen 
werden, während für die dritte nur eine ungefähre Schätzung möglich ist. 
Diesen Uebelstand zu vermeiden, dienen zwei möglichst gleiche Thermometer, 
von denen das erste auf beiden Seiten der Thermometerröhre die Skalen von 
Reaumur und Celsius, das zweite die von Celsius und Fahrenheit hat, so dass 
dadurch alle Hebertragungen ermöglicht sind. Drei Marken auf dem Thermometer 
bezeichnen die aus einer Reihe von Beobachtungen abgeleitete mittlere Temperatur 
für Bremen von 6,9 0 R., eine die höchste 28,9 0 R. vom 26. Juli 1872 und eine 
die niedrigste 21,8° R. unter Null vom 23. Januar 1823. Zur Angabe der höchsten 
und niedrigsten Temperatur während eines Tages ist ein Metallthermometer ge- 
wählt, welches durch den graden mittleren Zeiger die zur Beobachtungszeit 
herrschende Wärme anzeigt, während zwei ausgeschweifte seitliche Zeiger durch 
den mittleren auf den höchsten und niedrigsten Wärmegrad geschoben werden 
und dort stehen bleiben. Die letzteren werden an jedem Tage des Vormittags 
auf den mittleren Zeiger zurückgestellt, so dass man das Maximum des vorher- 
gehenden Tages und das Minimum der Nacht und des Morgens bis dahin ablesen 
kann Als Feuchtigkeitsmesser wird auf Empfehlung der Hamburger Seewarte 
ein Haarhygrometer nach Saussure in verbesserter Form benutzt. Dieser Apparat 
ist von Wolf auf der Sternwarte in Zürich mit dem Psychrometer verglichen 
und als genau und wenig veränderlich bezeichnet worden. Das in Bern ange- 
fertigte Instrument hat sich diesen Empfehlungen gemäss bei wiederholten Ver- 
suchen mit dem Condensationshygrometer und dem Psychrometer bewährt, es 
giebt den Gang der Feuchtigkeitsveränderungen recht genau an und muss nur 
zeitweise, etwa binnen Jahresfrist, kontrolirt und neu eingestellt werden. An 
einer zweiten Seite der Säule werden die täglich erscheinenden Wetterberichte 
der Hamburger Seewarte ausgestellt, damit dem Publikum durch die Zahlen und 
Karten der Berichte Gelegenheit gegeben wird, die Witterungsverhältnisse und 
ihre täglichen Veränderungen im grössten Theil von Europa kennen zu lernen. 

Auf der dritten und der unteren Hälfte der zweiten Seite der Säule finden 
sich einige hauptsächlich die physischen Verhältnisse Bremens betreffende An- 
gaben. Die Lage des Ansgariithurms unter 53° 4' 48" n. Br. und 26° 28' 6" 
östlich von Ferro ist nach einer bekannten älteren Messung, die magnetische 
Deklination 14“ nach Westen und die magnetische Inklination von 67,6° sind 
für das Jahr 1882 aus hier und in Bremerhaven ausgeführten Bestimmungen 
angegeben. Eine Hiuzufügnng der Länge nach dem für die Seefahrer allein 
massgebenden Anfangsmeridian von Greenwich wäre wünschenswert)]. Die mittlere 
Höhe der Niederschläge ist nach der Berechnung vom hiesigen statistischen 
Bureau aus Beobachtungen von 1830 bis 1881 zu 684 Millimeter ermittelt, bei 


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369 


einer grössten Höhe von 974 Millimeter im Jahre 1836 und einer kleinsten von 
fast nur einem Drittel der grössten, nämlich von 368 Millimeter im Jahre 1873. 
Die Notizen über die Wasserverhältnisse der Weser sind in sehr gefälliger und 
dankenswerther Weise von Herrn Oberbaudirektor Franzins zusammcngestellt. 
Nach denselben wird neben einer an der Säule angebrachten Marke die Höhe 
über dem Nullpunkte des Pegels in Amsterdam, Bremerhaven und an der 
hiesigen Grossen Weserbrücke angegeben. Aus den dabei angeführten Zahlen 
ergiebt sich die merkwürdige Thatsaehe, dass der mittlere Wasserstand in 
Bremerhaven, wenigstens nach den genaueren Messungen vom Jahre 1880, um 
0,36 m tiefer liegt, als der von Amsterdam. Solche Abweichungen, die man 
auf regelmässige Strömungen und auf Temperaturdifferenzen zurückführt, sind 
auch anderswo beobachtet, z. B. für den Meerbusen von Biscayä und das Mittel- 
ländische Meer bei Marseille ebenso wie für den Grossen und Atlantischen Ocean 
bei Panama und Chagres je ein Höhenunterschied von ungefähr 1 m, aber trotz- 
dem bleibt die Erscheinung in jedem einzelnen Falle sehr beachtenswerth. Nach 
den vorliegenden Messungen liegt nämlich der Nullpunkt des Bremerhavener 
Pegels 1,91 m unter der mittleren Wasserhöhe, d. h. unter Mittelhöhe des ge- 
wöhnlichen Hochwassers und Niedrigwassers, der Nullpunkt in Amsterdam 0,2 m 
unter dem auf dieselbe Weise bestimmten Meeresniveau, der Höhenunterschied 
beider Pegel müsste also bei gleicher Wasserhöhe 1,71 ausmachen, während 
man thatsächlich 2,07 m gefunden hat, so dass hiernach die Wasserhöhe um 
0,36 m differiren muss. Der Nullpunkt des Brcmor Pegels au der Grossen 
Weserbrücke liegt 4,nw (4,4) m über dem Nullpunkte in Bremerhaven und 2,s!o m 
über dem Nullpunkte in Amsterdam. Der tiefste Wasserstand an der Grossen 
Weserbrücke ist am 24. Juli 1881 bei 1,14 m unter Null beobachtet, der höchste 
in demselben Jahre am 13. März bei 5,54 m über Null, der mittlere liegt nach 
20jähriger Beobachtung von 1860 bis 1880 bei 0,73 m über Null. Der grösste 
Unterschied zwischen Hochwasser und Niedrigwasser an der Grossen Weserbrücke 
ist am 15. Oktober 1881 mit 1,44 m festgcstellt bei einer Höhe des Niedrig- 
wassers von 0,10 m über Null. Durch eine graphische Darstellung sind neben 
diesen Zahlen die Wasserverhältnisse der Weser näher dargestellt. Auf horizon- 
talen Feldern unter den Seitenplatten finden sich die Namen und Entfernungen 
einiger Städte (Hamburg, Berlin, Leipzig, München, Zürich. Paris, Newyork, 
London, Aberdeen, Bremerhaven, Haparanda u. A.), deren Lage gegen Bremen 
durch Pfeile angedeutet ist. Die Entfernungen sind meist nur nach geogra- 
phischen Meilen angegeben, weil es zu näheren Bestimmungen an festen 
Punkten fehlte. Speciell für den Leuchtthurm in Bremerhaven und den 
Mir.haelisthurm in Hamburg konnten die Entfernungen vom hiesigen Ansgarii- 
thurm zu 54.34 und 94,17 km ermittelt werden. Nach der Lage und geringen 
Höhe der meteorologischen Säule ist an derselben eine genaue Messung der 
vollen Windstärke unausführbar, doch ist die Art solcher Messungen durch ein 
aufgesetztes Anemometer veranschaulicht. 

Durch dieses gemeinnützige Werk hat sich der hiesige Naturwissenschaft- 
liche Verein entschieden ein Verdienst um Bremen und überhaupt um die Pflege 
der Meteorologie erworben. Das Interesse und Verständniss für diese Wissen- 
schaft wird dadurch in weite Kreise getragen und die allgemeine Aufmerksamkeit 
auf meteorologische Erscheinungen mehr wie bisher gelenkt. Besonders bei der 
Beobachtung ausserordentlicher Witterungsvorgänge, wie z. B. Gewitterstürme, 
kann der Kreis aufmerksamer Beobachter nicht gross nnd zahlreich genug sein. 


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An der Koste Labrador’s von A. von Dewitz. Niesky 1881. Im Selbst- 
verläge des Verfassers, in Kommission der Unitäts-Buchhandlung in Gfn&dau. 
Die kleine Schrift, welche auf dem Titelblatt eine Ansicht der Herrnhuter Kolonie 
Hoffenthal in Labrador zeigt, bietet wohl jetzt zur Zeit des auch in Labrador 
mit Hülfe der Brüdergemeinde etablirten Polarbeobachtungswerks, ein besonderes 
Interesse. Sie hat zunächst den Zweck, Kunde von der Missionsarbeit der Herrn- 
huter Gemeinde .an der öden und kalten Nordostecke Amerika’s“ zu geben und 
erfüllt diesen Zweck vollständig; sie gewährt aber auch sonst manches 
Interesse, denu sie schildert die kleine Herrnhuter Kolonie Hoffenthal, in deren 
Nähe alljährlich 5 600 amerikanische Fahrzeuge dem Kabliaufang obliegen, 
sowie überhaupt die Fischer- und Jägeransiedlungen längs der Labradorküste 
nnd sie erzählt die langen beschwerlichen und gefährlichen Winterreisen der 
Missionare durch Einöden und über das Meereis zu ihren Schützlingen, den 
Settler’s und ihren Familien, giebt Kunde von den unter tausend Schwierigkeiten 
gegründeten Missionsschulen und dergleichen mehr. 

§ Oolquhonn's Reise im südwestlichen China. Ein sehr zahlreiches Audi- 
torium der Londoner geographischen Gesellschaft nahm am 13. November mit 
lebhaftem Interesse den Bericht A. R. Colquhouu’s über seine im vorigen Winter 
ausgeführte abenteuerreiche Reise von Canton durch das südwestliche Yüunan 
nach Bhamo entgegen. Der Hauptzweck der Reise, welche Herr Colquhoun 
zusammen mit Wahab unternahm und die am 5. Februar d. J. von Canton zu- 
nächst auf dem südlichen Arm des Cantonflusscs, dem Hsi-kiang, bis zum End- 
punkt der Schiffbarkeit, sodann zu Land ausgeführt wurde, war die Erkundung 
eines Handelswegs von Britisch Barma nach Yünnan; da die Reise aber zum 
Theil durch von Europäern noch nicht besuchte Gegenden ging, so sind ihre 
Ergebnisse auch geographisch von Wichtigkeit.. Den vorläufigen Mittheilungeu 
des Reisenden entnehmen wir, einem Bericht, der , Nature- vom 16. November 
folgend, einiges Nähere. Herr Colquhoun beschreibt Yünnan, die westlichste 
der 18 Provinzen China's, als ein ausgedehntes, unebenes Plateau, dessen Haupt- 
Bergketten von Nord nach Süd verlaufen; im Norden erreicht, das Gebirge eine 
Höhe von 12—17 000 Fuss, im Süden senkt es sich auf 7 — 801» Fuss. Im Süden 
und besonders im Südwesten giebt es ausgedehnte fruchtbare Ebenen und Thäler, 
wo sich hie und da grosse Seen bilden. Die sehr ergiebigen Ebenen sind dicht 
bevölkert., die grosse Zahl der Städte und Dörfer und ihr behäbiges Aussehen 
ist auffallend. Früchte aller Art: Birnen, Pfirsiche, Kastanien und selbst Wein- 
trauben gedeihen hier in Fülle, und die Bergseiten sind mit Rosen, Rhododendron 
uud verschiedenen Camellien-Arten bewachsen. Mineralien werden in Menge 
gewonnen. Die Reisenden begegneten fortwährend Karawanen, welche Ladungen 
von Silber-, Blei-, Kupfer- und Zinn -Barren führten. Gold wird in Tali zu 
Blättern geschlagen und in grossen Mengen nach Barma verführt. Auch trafen 
die Reisenden häufig Kohlen-, Eisen-, Silber-, Zinn- und Kupferminen. Der 
berühmte Puerh-Thee, die beliebteste Theesorte in China, wächst nach den Er- 
mittelungen Colquhoun’s nicht in China, sondern in I-baug, einem Distrikte der 
Shan-Staaten, der fünf Tagereisen von Puerh, der nächsten Präfektural-Stadl, 
entfernt liegt. Im südlichen Yünnan ist die Temperatur milde und die Regen- 
menge keineswegs übermässig; je weiter nach Norden, desto spärlicher wird die 
Bevölkerung, das Land wird unfruchtbarer, bis zuletzt hohe Gebirge mit fast 
fortwährenden Nebeln uud Regen die Bewohnung überhaupt unmöglich machen. 

Die Bevölkerung auf dem Lande besteht meist aus den ursprünglichen ein- 


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geborenen Stämmen iler Lolo, Pai und Majo, Chinesen befinden sich nur in den 
Städten. Die Physiognomie dieser Ureinwohner weicht wesentlich von der der 
Chinesen ab, dabei sind sie offen und gastfrei. Die Kranen zwängen ihre Füsse 
nicht, ihre Tracht ist malerisch und ähnlich der der Tyroler und Schweizer Frauen. 
F.ine eigentümliche Sitte des Heirathschliessens ist die, dass die jungen Leute. 
Männer und Mädchen, sich am Neujahrstag in Reihen einander gegenüber stellen. 
Die Mädchen werfen einen Ball dem von ihnen Erkornen zu. ihr Geschick bürgt, 
ihnen dafür, dass immer der Rechte den Ball auffängt. Wie bei so manchen 
anderen Völkern herrscht auch in Yünnan die sonderbare Sitte, dass, wenn 
einem Ehepaar ein Kind geboren ist, der Mann 30 Tage im Bett bleibt, während 
die Frau die Arbeit thut. — Trotz des Verbots der Regierung wird in Yünnan 
der das Opium liefernde Molin in bedeutendem Umfange angebaut. — Die I .and- 
re ise von Pe-se, dem Endpunkt der Schiffbarkeit des Hsi-kiang, bis Tali, durch 
unerforschtes Terrain, währte 40 Tage. In Bhamo nahm sich der Reisenden 
ein Missionar der China-Inland-Mission auf das Liebenswürdigste an und von 
hier fuhren sie mit Dampfer auf dem Jrawaddy nach Rangun. Herr Colquhonn 
wird der Regierung Vorschläge wegen Erbauung einer Eisenbahn von einem 
Punkte von Britisch Burma in der Richtung nach Yünnan machen. Zu bemerken 
ist noch , dass die gesammten Kosten dieser Reise, welche vielleicht für 
den englischen Handel von grosser Bedeutung sein wird, theils von den Handels- 
kammern von Liverpool, Manchester und Glasgow, theils von einigen Kaufleuten 
bestritten wurden. Herr Colquhonn ist ein Beamter des Departements der 
öffentlichen Arbeiten in Britisch Barma ; er wurde für die Reise beurlaubt. 

§ Französische Rampferlinie nach Australien. Die Compagnie des 
Messageries Maritimes hat am 23. November d. J. eino neue Dampferlinie 
eröffnet, deren Endpunkt Noumfia (Neu-Caledonien) ist. Die Dampfer der neuen 
Linie verlassen einmal im Monat Marseille und laufen folgende Häfen an: Port 
Said, Suez, Aden, Mahä (Seychellen), Reunion, Mauritius, Adelaide, Melbourne, 
Sydney, Noumea. Der am 23. November von Marseille abgehende Dampfer soll 
nach dem Fahrplan am 13. Januar 1883 in Noumea eintreffen, der am 21. December 
abgehende am 10. Februar u. s. f. Von jetzt an bis Ende 1883 sollen 15 Reisen 
stattfinden, nämlich einmal im Monat und im August zwei; die Rückfahrten 
berühren dieselben Häfen. Die französische Regierung hat dieser neuen Linie 
die Beförderung der Post übertragen und zahlt der Gesellschaft dafür 32 Franks 
für jede zurückgelegte lieue, was bei 13 Reisen im Jahr die erhebliche Summe 
von 3,297,216 Franks ergiebt. Bei einer in Aussicht genommenen Verdoppelung 
der Fahrten, findet eine Ermässigung der Subsidien um 2 Franks für die lieue 
statt. Der Kontrakt mit der Regierung ist vorläufig für 16 Jahre abgeschlossen. 
Man verspricht sich in Frankreich grosse Vortheile davon, dass die australischen 
Rohprodukte, welche die französische Industrie bedarf und die bisher über 
England bezogen wurden, nunmehr direkt importirt werden. Die bisher von 
der Gesellschaft unterhaltene Dampferlinie von Aden nach Röunion und Mauritius 
wirdjeingestellt. 


Von den NeH- Hebriden. Australischen Nachrichten zufolge sind im 
August d. J. auf Espiritu Santo der Eigenthümer des Schiffs „Port-Vita“, ein 
Herr Zöpfel und zwei seiner weissen Begleiter von Eingebomen überfallen und 
erschossen worden. 


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Beobachtung der Vogelzüge. Report on the Migration of Birds in tho 
Spring and Autumn of 1881. By Mr. Jolin A. Harvie Brown, Mr. John Cordoaux, 
Mr. Philip M. L. Kermode, Mr. K. M. Barrington and Mr. A. 0. More. London 1882. 
Das Wandern der Vögel ist ein Thema, welches nicht aufhört die Ornithologen 
zu beschäftigen und welches noch immer weit davon entfernt ist, als erschöpft 
oder je als ondgiltig abgeschlossen betrachtet werden zu können. Die einschlägige 
Literatur bringt, uns immer neue auf diesen (legenstand bezügliche Schriften 
und eine animirt genug geführte Polemik beweist, dass an Uebercinstimmung 
in den Ansichten, selbst was die Hauptpunkte betrifft, noch gar nicht zu denken 
ist. Dies macht es erklärlich, dass das Verlangen, ein noch weit, grösseres 
Material an mit dem Wandern der Vögel in Verbindung stehenden Thatsachen 
und Beobachtungen zu erhalten, bei den praktischen Ornithologen ein sehr 
lebhaftes ist, sowie dass zu diesem Zweck die Britische , Association for the ad- 
vancement of Science' 1881 in York ein Komittee aus 7 geübten und mit der- 
gleichen Arbeiten vertrauten Männern ernannte, deren Aufgabe es sein sollte, 
die Erscheinungen des Vogelzuges an den Leuchtthürmen und Leuchtschiffen 
längs der Küsten Englands, Schottlands und Irlands zu beobachten und nach 
einem gemeinschaftlich vereinbarten Plan zu registriren. Wir dürfen die Tliat- 
sache als bekannt voraussetzeu, dass der bei nächtlicher Weile wandernde Vogel 
sich unwiderstehlich getrieben fühlt, „to commit suicide against the. lighthouses." 
In dem vorliegenden 100 Seiten starkeu Scliriftchen losen wir nun, wie weit 
sich diu oben genannten Männer ihres Auftrags entledigt haben. Auf zahlreichen 
Beobachtnngsstationen konnte ein in der That überraschend reiches Detail an 
beobachteten Thatsachen zu Stande gebracht werden und die Abschnitte „General 
remarks“, die sich vorzugsweise zur näheren Kenntnissnahme eignen und die 
zum Theil sehr interessant sind, haben den Zweck schon jetzt ans der grossen 
Masse vereinzelter Angaben gewisse allgemeine Folgerungen zu entwickeln. Es 
kann gar nicht fehlen, dass diese Beobachtungen, wonn Jahre hindurch fortgeführt 
und geschickt verwerthet, mit der Zeit zu gesicherten und ohne Zweifel höchst 
werthvollen Ergebnissen führen werden. G. H. 


§ Geographische Literatur. Ueber nachstehende Werke behalten wir uns 
nähere Besprechung in einem der folgenden Hefte vor: 

Das System des Ural. Von Max. Carl Hiekisch. Dorpat 1882. 

Mittheilungen des kaiserlich königlichen militär-geographischen Instituts, heraus- 
gegeben auf Befehl des k. k. Reichs-Kriegs-Ministeriums. II. Band. 1882. 
Mit 8 Beilagen. 

Der Panama-Kanal. Von Hugo Zöllcr. Stuttgart 1882. 

Anthropo - Geographie oder Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die 
Geschichte. Von Professor Dr. F. Ratzel. Stuttgart 1882. 

The search for Franklin, a narrative of the American Expedition under Lieutnant 
Schwatka. 1878 — 80. Londou 1882. 

The West from the Censns of 1880. By Robert Porter, II. Gannett & W. P. Jones, 
Chicago & London 1882. 

Die Adria. Von A. v. Schweizer-Lerc.henfeld. Wien 1882. 1. Lieferung. 

Die freie Hansestadt Bremen. Von Professor Dr. F. Buchenau. 2. völlig um- 
gearbeitete Auflage. Bremen 1882. 

Unter den Kannibalen auf Borneo. Eine Reise auf dieser Insel und auf Sumatra. 
Von Carl Bock. Jena 1882. 


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Travels awl resenrches in Western China. By F., Colborne Räber (supplementär)’ 
papcrs of tho R. G. Society). London 1882. 

Bas Wissen der Gegenwart. VI. Band. Der Weltthcil Australien, von I)r. F.inil 
Jung. 1. und 2. Abtlieilung. — VII. Band. Die Verwandlung der Tbiere. 
Von Dr. 0. Taschenberg. Leipzig 1882. 

11. Guthe’s Lehrbuch der Geographie. Neu bearbeitet von Hermann Wagner. 
5. Auflage. I. Allgemeine F.rdknndc. Länderkunde der nnssereuropäischen 
Erdtheilc. Hannover 1882. 

Through Siberia. By Henry Landsdell. vol. I. & II. London 1882. 
f'ameos of the Silver-Land (experiences of a naturalist in the Argentine Rcpnblic). 
By E. W. White. London 1&82. 

Süd-Brasilien. Die Provinzen San Pedro del Rio Grande do Sul und Santa 
Catharina mit Rücksicht anf die deutsche Colonisation. Von Dr. Henry 
Lange. Berlin 1882. 


Deutscher (ieograpkentag. In guter Ausstattung (Verlag von Dietrich 
Reimer in Berlin) liegen schon seit, einiger Zeit die Verhandlungen des 2. Deutschen 
Gcographeutages, welche in den Tagen des 12. — 14. April d. J. zu Halle statt- 
gefunden haben, vor. Sie zerfallen in Vorträge und Verhandlungen. Die Vorträge 
waren : 1) Ansprache des Vorsitzenden Professor Kirchhoff. 2) Professor Studer, 
Bern : die wissenschaftlichen Ergebnisse der Gazellen - Expedition. 3) Professor 
Kan-Amsterdam : Sumatra. 4) Professor Zöppritz-Königsberg: Einfluss der Erd- 
rotation auf die Gestaltung von Flussbetten. 5) Professor Gerland-Strassbnrg : 
über das Vcrhältniss der Ethnologie zur Anthropologie. 6) Professor Meitzen- 
Berlin : das Nomadenthum der Germanen. 7) Professor Credner-Greifswald : die 
geographische Verbreitung de.r Alpenseen. 8) Professor Oberbeck-Halle : über 
die Gnldberg-Molnrsche Theorie horizontaler Luftströmungen. 9) Dr. R. Lehmann- 
Halle: über systematische Förderung wissenschaftlicher Landeskunde von 

Deutschland. (Dieser letzte Vortrag führte zur Niedersetzung einer Kommission, 
welche inzwischen die vorbereitenden Arbeiten für die systematische Förderung 
wissenschaftlicher Landeskunde in die Hand genommen und sich durch einen 
Aufruf allseitig Material erbeten hat, um ein Verzcichniss der bereits vorhandenen 
Literatur aufstellen zu können.) In der zweiten Abtheilung finden wir die auf 
Grund ausführlicher Referate stattgehabten Verhandlungen über eine Reihe 
wichtiger schulgeograpisclier Fragen. Ein Anhang enthält die Beschlussfassungen 
über Geschäftliches, Verzeichniss der Mitglieder des zweiten Deutschen 
Geographentags und die Inhalts-Angabe der Verhandlungen des ersten Deutschen 
Geographentags zu Berlin. 

In diesen Tagen ist bereits die Einladung zu dem im nächsten Jahre in 
Frankfurt a. M. (am 29—31. März) stattfindenden dritten Geographentage ergangen. 
Anmeldungen zu Vorträgen sind bis Ende Januar 1883 an Professor Rein, Marburg, 
zu richten. Mit dem Geographentag soll eine systematisch geordnete Ausstellung 
geographischer Lehrmittel verbunden werden, deren sehr umfassend angelegtes 
Programm wir hier mittheilen. I. Yeranschaulichungsmittel für den mathem.-geogr. 
Unterricht, wie Annillarsphären, Tellurien u. A. II. Globen. III. Reliefdarstellungcn 
der Erdoberfläche. IV. Karten: a) Historische Entwickelung der Kartographie 
mit Bezug auf Projektion und Teiraindarstellung : 1. in Europa, 2. in den 
Ländern des chinesischen Kulturkreises, 3. Darstellung der Entwickelung Frank- 
furts nach den vorhandenen Plänen und Reliefs; b) Wandkarten, geordnet nach 


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Erdtheilen und [.ändern, sowie nach ihren besonderen Zwecken, also in physische, 
politische u. A. ; c) Handatlanten ; d) Schulatlanten ; e) Elementaratlanten ; 
f) Pläne; g) Seekarten; h) sonstige kartographische Yeranschanlichungsmittel. 
V. Karten zur Alpenknnde. VI. Geographische Reiseliteratnr der letzten 5 Jahre. 
VII. Geographische Werke der letzten 5 Jahre. 


Nach den letzten Nachrichten, welche die Afrikanische 
Gesellschaft in Berlin empfing, erreichte Leutnant Wissmann, 
welcher mit Dr. Pogge zusammen von Loanda ausging, quer durch 
Afrika Zanzibar. 


Diese Zeitschrift wird auch im Jahre 1883 in der bisherigen 
Weise vierteljährlich erscheinen. 


Druck von Curl ächttneruunn. Bremen 


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IsBiittenl ' 

Hutten yt 


V» r &M l T.» jvä e 


SfD -ÖSTLICHE* THRILES 

TSCWUKTSCHtH HALBINSEL, 

mit 

Angabe der Niederlassungen und Zeltplätze 1 

»owu> Att 

BOOTFAHRTEN OER BREMER EXPED"(GEBR.KRAUSt| 

Sommer 1881. 

Die B.ü.ste- lei. juuh. der i i»SBisc}ien.Raxtr-'mniÄ5Z * 
östl Ocea-nJI 6 6 1455 mit ■ einigen Änderungen -ereidtnei 

Maafistab l l SOO 000. 

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— BootfjJirtnn dar Gebr. Krause ji- 

» Ortr (Urrmlwt*, $ Orte de ren, Nh /tum tn^trtWiaJj _J 


v. Cree_n.wi.cX. 


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3. Kt/henta (kt/d Mines 




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