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Full text of "Hyperion"

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GEDRUCKT IN TIEMANNSCHEN SCHRIFTEN 
VON POESCHEL UND TREPTE, LEIPZIG FÜR 
DENVERLAG HANS VON WEBERMÜNCHEN 
IN 1050 EXEMPLAREN, WOVON 1000 AUF 
ENGLISCHEM VELIN, 50 AUF PAPIER DER 
KAISERLICH JAPAN. MANUFAKTUR 
IM JAHRE 1908 




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EINE ZWErMÖNXrsSCHRIFT 
HERAUSGEGEBEN VC5N FRANZ 
BLEI CARL 9TEKNHEIM 



ZWEITE 

BAND 




MÜNCHgNiQoS 
HÄHS VÖN WEBER-. A/ERLAG 



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V 



LlDP^ri'’ I 

JUl 18 1946 I 



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HYPERIC3N 

DRITTES HEFT 
iOo8 



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DAS DRITTE HEFT:-^^ 

George Meredith: Liebe im Tal deutsA von Theodor 
Efeel — Carl Schüddekopf: Aus Heinses[Italienistiem 
Tagebuch .Von Rom nach Florenz — Carl Sternhdm: 
Don Juan/ Aus dem For^ang des ersten Teiles der 
Tragödie — Max Mell: Der Spiegel des Sünders — 
Karl Schloß: Gedichte — Franz Blei: Drei Briefe an 
einen Jungen Mann — Franz von Lobkowi&: Die 
Geschichte von dem kleinen Männlein mit dem roten 
Schirm, den großen Stiefeln, der alten Uhr, der langen 
Pfeife und den beiden, braven Tieren Dreizehn 

Blätter mit sechzehn Strichä&ungen nach Zeichnungen 
aus einem Skizzenbuche von H.Kley~ Eine Strich- 
äfeung nach einer unveröfiFentlichten Zeichnung von 
Aubrey Beardsley.“--.....^ 




DB 



Unter jener Budie dort einzein im Grasfeld, 

Hände als Kissen gelegt hinter ihr goldnes Haupt, 

Kniee geschlossen und gleitende Flechten lässig gelockert. 

Schläft meine junge Liebe;, schattig umlaubt 

Hält ich das Herz, den Arm unter sie zu schieben, 

Ihre Lippen pressend sie sacht um die Taille zu fassen — 
Könnte sie wirr erwachend anders denn mich umarmen: 
Hielt sie mich, um nimmer mich gehn zu lassen? 



Scheu wie das Eichhorn, launisch wie die Schwalbe, 

Schnell wie die Schwalbe entlang des Flusses lichter Bucht 
Mit ihren Schwingen kreisend berührt die Spiegelfläche 
Und im Weilen flüchtiger scheint als in Flucht; 

Scheu wie das Eichhorn zwischen Fichtenspifeen, 

Schnell wie die Schwalbe zu Häupten in roten Abendsonnen, 
Ef, die ich liebe, schwer zu fangen und zu besiegen. 

Schwer — doch ein herrlich Gewinnen, war sie gewonnen! 

Wenn die Mutter sie pflegt vor lachendem Spiegel, 

Ihr die Schnüre bindet das Haar in Flechten faijt 
Oft denkt sie: wäre das wilde Dii« verheiratet 
Mehr Liebe hätt ich und weniger Last 
Wenn die Mutter sie pflegt vor belichtetem Spiegel, 

Schnüre lö^ und das Lonenhaar, verwirrt und verschlungen. 
Oft denkt sie; wäre das wilde Ding verhäratet 
Eine verlor ich für viele Mädel und Jungen. 



Herzlos ist sie wie der Schatten in den Wiesen, 

Der zu Höhen fliegt an luftigem blauem Tag/ 

Nein, i^ durstig und trinkt wonnig ein ihr Wunder: 

Erde i^ ihr jung wie Neumond überm Hag. 

Zeigt sie sich unwirsch, üt's nur ihr eilender Rhythmus, 
Ganz wie im Tanz/ versöhnend wird ihr Lächeln en^egnen. 
Wie ein sonniges Maiwölkchen hagelt auf Blumen, 

Et auch sie geschafltn, zu schlagen und zu segnen. 



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Lieblidi sind die welligen Bogen der weiten Hule, 

Die sie im Dämmerlimt um erste Sterne zieht. 

Einsam sAnurrt vom FiAtena^ der Ziegenmelker 
UnunterbroAen sein monotones Lied. 

Dunkler wird das Tal und mehr und mehr vergessend: 

So auA wär's mit mir, könnt iA Vergessen erzwingen. 

Aber gAiete der grasigen Höhlung, den Quell zu vergessen. 
Der sie zum Rande füllt mit perlendem Singen. 



Hügelherab mit schönen SAwestem in strahlenden Abend, 

Alle Ae NaAen umarmt in liebezärtliAem JoA: 

HerrliA üt ihre Gestalt, wie sie schreitet naA fröhlichem Sange/ 
HerrliA — und unbesessen sü^r ncxh. 

Sü^! Denn sie i^, was meiner erwachenden Seele 
Hini! Ae Welt gewesen; MorgenliAt! Und LiAe, 

EXe so wünsAt die möAte sie unverändert erhalten, 

MöAte sie fangen und möAte, da^ frei sie bliebe. 

Frohe, frohe ZeiC wenn über taufrisAe Felder 
Wei5 der Stern vor dem Antlife erwaAenden Morgens sAwAt, 
Das mit farbigem BliA durchbriAt das tiefe DunkeC 
Wie die Taxusbeere den Taxus belAL 
DiAer sammeln siA die SAatten, da der ernste 
vertieft erglüht und sAwillt von roten StrAlen. 

MädAenstill der Dämmrung sonderbare Augen, 

Ihre Wangen kalt wie MusAelsAalen. 



SonnenstrAlen auf unsem südüAen Höhen, beleuAtend 
Wilde Wolkenberge, Ae ziAen Ae Höhen entlang. 

Oft endet der Tag eures sAweifenden, gleitenden LaAens 
Kühl wie ein runzelnd GesiAt bei fröhuAem Sang. 

Ah, doA zeigt der Südwe^ einen federgekräuselten Busen, 
Silbern aufgesAüttelt, so sinkt, da Ae Wolken bAende 
Strömend Ae mittleren Himmel erklimmen, Ae Sonne unter 
ReiA wie LiAe in SAönheit ohne Ende. 

Wenn gegen Morgen sie seufzt und wie ein Kind zum Fenster 
Wendet ernste Augen, traumfrei und gierig naA Licht, 

Schön siAt sie aus: eine weiße Wasserlilie, 

Die in Hafenbucht aus der Knospe briAt. 



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Wenn aus dem Bcfl sie steigt vom Nadkcn bis zu den Fü(ien 
Lang im Naditgewand, vie Maienknospe glühend. 

Schön sieht sie aus: eine hohe Gartenlilie, 

Rein von der Nacht und für den Tag erblühend. 



Mutter des Taues du, dunkel bewimpertes Zwielicht 
Tief bewimpertes Zwielicht über das Tal hinaus 
Kreisend auf deiner Bru^ singt entzückt die Lerche, 

Klar als klängen aus ihr die Tropfen des Taus. 

Hcxh aus dem Rosenerröten des strahlenlosen Planeten 
Springbrunnvoll gie^t sie Springbrunngüsse nieder. 

Dir, ihr Lachen laD mich hören, ich m^te sie immer 
Kühl wie Zwielichttau, die Lerche über dem Flieder. 

ADe die Mädchen sind hinaus nach der Schlüsselblume, 
Hänge und Wälder durchtrc^en sie in fröhlichem Fe^. 
Meine Süße führt/ sie weiß nicht warum sie nun plöfelidi 
Vor Anemonen die Hände hätten läßt 
Solch ein Blick will sagen, daß Veilchen dazwischen lueen. 
Daß die Rose kommt/ sie w^ nicht warum aus der Kehle 
Plö&lich ein Herzensschrci springt nach Düften und Farben 
Und nach Dickicht mit Liedern der Philomele. 



Tuch um Kopf und Kinn fliegt sie zwischen den Tulpen 
Triefend wie eine Weide im schnellen Regenfall, 
Bloßgespülte Zwiebeln neu zu betten, ihr Engel, 

Matte aufzurichten überall. 

Finster zieht die Wetterwolke dem Tor en^egen/ 

Sie i^ fort eines Nachbarn Trauer zu besiegen. 

Einmal sah ich so im rollenden Donnertoben, 

Einziges Licht der Erde, weiß eine Taube fliegen. 

Pufeige kleine Schüler die Blumen ihres Gartens, 

Fragend, ob sie gefaUen, stehn sie wie dn Heer. 

Lieben könnte ich sie, wenn nicht mdne wilden wären/ 
Lieb sind jene, doch diese sagen mir mehr. 

Du, meine wilde, du sa^ von honiglicher Rcjse, 

Veilchen und rötlicher Kose im Leboi/ im frden Gehege 
Gierig sind sie nach deiner Güte, wie du von des Lebens 
Güte gierig träumü auf den Bänken am Wege. 




Lugend ins Zimmer krönt die weiße Rose die rotC/ 

Schwingt der Jasmin sich auf mit Sternen zu zwei n und drei'n. 
Offen ihr Fenster^ sie schläft/ Jasminsterne atmen 
Atem von mir mit Gedanken von mir hinan. 

Sü^cr unbesessen, sagte ich, sei mir die Sü^? 

Nicht da sie schläft; da sie schläft Jasminsteme finden 
Lockend den Weg der Liebe/ sie schläft/ und Sterne tragen 
Mich zu ihr, wo sie ruht unter Rosengewinden. 

Gelb von Kreuzkraut sind die Rasenplä&e, 

Gelb von Kuhblumen, die liebend wiegt der Wind/ 

Gelb von Mauerpfeffer die Wälic/ mit blauen Nacken 
Weht der Weizen, der gelblich zu reifen beginnt. 

Grüngelb lacht der Ginster aus Gebüschen, 

Sichelscharf getrennt iÄ Schatten vom Sonnenscheine. 

Erde lacht in ihrem Herzen himmelblickend. 

Dankend der Ernte/ ich blicke und denke an meine. 



Wissen darf ich dies: ihr Kleiden und Entkleiden 
Macht einen Wechsel von Licht als wenn der Himmel im Spiel 
Wechselt von Wolke zu Mond/ als wenn über Wetterwolke 
Schlüpft ein Strahl von Sonne/ als wenn vor Hafenziel 
Weiße Segel rollen/ als wenn an den Ufern des Meeres 
Weiße Segel vor hüpfendem Grün der Wogen stehen. 

Visionen von ihr mich umregnen, doch vor meinen Blicken 
Wär sie behütet: wie Sonne würde sie gesehen. 

Vorder» und Hintertür vom alten umlaubten Landhaus 
Gehn mit dem Morgoi auf, und frisch wie ein luftiges Band 
Funkelt ejuer übern Bach der Garten zum schattigen Obsth^, 
Grün übern Bach, wo Elri&en blinzeln auf Sand. 

Eifrig schwärmt im Gras die frühe Sommersonne, 

Und die Amsel ruft mit vollen Flötenklängen 
Mein Geliebtes wach mit klarem schelmischem Locken; 
Wunderreichstes Lied von allen Gesängen! 



Kühl war der Wald wie ihre weiße Milchkammer, 

Die den süßen Rahm bewahrt/ es liefen dorthin 

Drunten die spielenden Buben, braun und rot von der Sonne. 

O das kühle, tiefäugige Dämmer darin! 



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^ähend vom Hause holte sie selbil voll MilA eine Kanne, 
Gab der Reihe nach jedem den Schnabel, sie labten sich lange/ 
Dann ein Kerlchen, Mund empor und auf Zehenspi&en: 

»Will dich küssen« / sie lachte und neigte die Wange. 

Mittagstunden hindurch gurren die ruckenden Tauben 
Hoch auf rotem Dach, gurren in trunknen Azur. 

Trunken tropfen die Blätter/ drunten an schläfriger Strafe 
Sinrf zuweilen ein Fink hinüber zur Flur. 

Kühe schlagen den plumpen Schwanz, knietief im Flusse, 
Atemlos vor ScMinenbrand und Mückengewimmel. 

Nirgend i^ sie; wetm ich sie nicht sehe, mag Bli&en kommen, 
Strafier Regensturm und getigerter Himmel. 



O die goldene Garbe, der raschelnde Arm voll Schäfee! 
O die verflochten nickende braune Lockenpracht, 
Nußbraune Locken, die eine über die andere nickend! 

O um die Hüfte der Gürtel, Icxker gemacht! 

Tot sind die Mohnblüten, die mitten im goldenen Weizen 
Schnell ums samtene Auge schlossen die Scharlachhülle. 
Seht diese Bräute der Erde wie ein Erröten der Reife! 

O und die nickende braune Lockenfülle! 

Breit und rot sinkt der Sonne kalte Scheibe, 

Nackte veilchenschattige Höhen saugen sie dn. 

Breit und still entsteigt dem der Mond gemächlich. 
Lichtet auf in glühem schwofendem Schein. 

Nächte starrt m diese Weiße unsre Buche 
Schwarz hinein; so starrt Nächte langmdn Werben. 

Hier sd Leben auf Tod gemalt oder Tod auf Leben/ 
Ihre Sede, ndn, sie kann nicht sterben! 



Nachbarfrauen tuscheln hinterrücks und zählen 
Ihre Fehler auf in engverbundnem Qior. 

»Als sie dn winzig Ding«, so zittert eine Alte, 

Zerrt an meinem Herzen und führt mich bdm Ohr. 

Fehler hatte sie dn^, als sie laufen lernte und stürzte/ 

Kdne vollkommene Schönhdt i^ sie, so hör ich sie schließen. 
Gute Frauen, Schönhdt, die Erde und Himmd hdlig 
Mache mag Fehler haben von Kopf bis zu Füßen! 




Zögernd kommt sie her/ zu mir/ sie senkt ihre Brauen, 
Wä»rend die Wimpern sidi heben, ab kenne sie midi nidit/ 
Zögert neu überrascht wie verwundert vor emem Fremden. 
Dodi bin ich ihrer Augen Leben und Licht. 

Etwas das Freunde ihr sagten, füllt ihr Herz zum Rande, 
Macht sie erröten, verwundet und lä^t ihre Wildheit erlahmen. 
O wie fallende Taube sank sie, sicher des Hafens: 

Unsre Seelen waren in unsem Namen. 



Bald wird sie liegen wie weißes frostiges Sonnenwerden: 
Gelbe Eicheln, brauner Weizen, bleidies Korn, 

Lange seit eure Halme sich dem Drescher ergedien. 

Seit ihr Gürtel gelö^, ihre Locken verworr n. 

Bald wird sie liegen wie blutigrotes Sonnensterben. 
Hurtig soM du, Lenz, das grüne Morgen bringen! 
Singe aus Südwe^ zurück ehe Pfliditvergeßnen: 
Schwalbe und Nachtigall und tauige Schwingen. 

Sanftes neues Buchenlaub, in strahlenden Tagen 
Zweig auf Zweig erfüllend mit primelfrischer Laif, 
Lilienhell im Mond zu Himmelsfeldem erhoben. 

Jüngstes Grünen du, in Silber gefaßt: 

Schöner wohl als Lilie, als wilde weiße Kirsche, 

Schöner bf mein Lieb, als wir die Engel wähnen. 

Schön erscheint sie mir, wenn Träume sie mir bringen. 
Leibhaft schön sic zu mir schwimmt auf Tränen. 



Fänd ich einen Ort, allein zu sein mit Himmet 
^räche mein Herz ich aus: Himmel bf mir not. 
Gleich der Mehlbeerc blifeen alle Bäume, 

Wehn '»de Ried und glühn wie Hundcbecre roL 
Glühend rot wie Hundebecre im Oktober, 

Wehend wie das Ried in sanften Regengüssen, 
Blifeend wie die Mehlbcere beim Stoßen der Winde: 
Alle scheinen, was einzig für Himmel i^, zu wissen. 



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CARLSCHÜDDEKOPF: AUS HEINSES ITALIENISCHEM TAGE- 
BUCH. VON ROM NACH FLORENZ 

Flüchtige Bemerkungen auf einer Reise von Rom nach Florenz über Terni und 
Perugia, wie Hicrog 5 T>hen zur Rückerinnerung. 

Den 7. Julius 1783 Nachts um 3 Uhr, welsch 7 

bey emem starken Nebel, der vier bis fünf Stunden dauerte, von Rom zu Fuße 
mit meiner scdiweren Jagdtasche abgereist. Bis nach Ponte molle über das auf- 
gerißne Pflaster schnell weggestolpcrt. Gro^ Effect des Nebels an derselben und 
dem Tyberstrom, ein Bild der Unendlichkeit/ wo sich jeder Sinn verliert, und maje- 
stätisch und furchtbar rauschen die Wasser unten. 

Von Ponte molle durch eine Reyhe von Lava und Peperin Hügel. Die Wirkungen 
des Feuers sind wunderbar anzusehen/ gewiß i^ dieß Element mehr in unserm 
Planeten verstreut als man glaubt und wahrscheinlich giebts allen Dingen Bewe- 
gung und Leben. 

Schöne Allee von kleinen Eichen bis an das Wirthshaus von Castelnuovo drey 
Miglien/ erfreulicher Blick in das weite bewachsne Thal und die bewachsnen Hügel. 
Große Reste der Via Flaminia. Verirrung/ sehr peinigend bey der ungeheuren 
Juliushi^ um Mittag am ehernen Himmel, in einem Land ohne Quell und Wasser 
und Baum in Vulkanischer Asche von steilen dürren Bergen cingeschloßen. Der- 
gleichen Verirrungen geschehen auch im moralischen Leben bey der Jugend. Wie 
die Welschen dieHifee und den Sonnenbrand vertragen, i^ erstaunlich/ und welche 
Kraft die Bursche zum Marschieren haben, sah ich an meinem Venezianer, wel- 
chem die Benedetto Giuseppen nach der Mcße von Sinigaglia 2 tausend Stück 
voraus er hinter drein. Erzguter Cheuakter, kein Fleckchen FcJsch an ihm. Mit 
welcher erstaunlichen Güte er mir seinen Sonnenschirm lieh! Schöner Kopf, helle 
reine hervor gehende lange Nase gerad von der Stirn herab in scharfen Conturen. 
Der Römische Bube eben so ein guter Kerl, doch schon viel schlauer und falsch/ 
Güte auf den Moment Die W elsmen sind aufs höchste intereßirt wenn sies brauchen 
son^ aber geben sic kein gut Wort/ besonders die Römer. Wenn einer nur halb 
zu leben hat so pflegt er der Gemächlichkeit und sucht nichts mehr zu verdienen. 
Sie sind höcMt intereßirt aber nicht geizig. 

Rignano liegt schön, zwischen Vertiefungen, die vcrmuÖJich zur bösen Luft herum 
beytragen. lä glaube daß die böse Luft in Italien, noch außer den Sümpfen von 
den öcim Aschcnfeldem herkömt wo sie ihre Elasticität und ihr Lebendiges ver- 
liert/ Gerad so mag der Scirexx» aus Lybien entstehen. 

Der Berg S. Greste, oder Sorakte i^ das herrlichste auf der Ganzen Reise. Er 
steht da wie der Tyran der weiten Gegend und beherrscht alles, ewig fe^ auf sich 
selb^ gegründet. Die scharfen Einschnitte, das schroffe des ganzen Conturs der 
Län^e und der Breite nach machen ihn zu emem bezaubernden Bild furchtbarer 
Ma;cstät. Das Kloster, ob es gleich darauf wie auf einem Adler ein Zaunkönig 
siH bekömt dexh gleichfalls davon einen erhabnen Anstrich. Nicht weit von Civita 

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Castedana gewinnt er eine entzückende Farbe, dnen wahren feyerlichen Es»Ton 
durch die grünen Eichen bey hdtem Abenden. Civita Castellana überrascht er- 
göttend, wenn man es in der herrlichen tiefen Allee erblickt und den Fluß von wdtem 
rauschen hört, nachdem man schmachtend, hd|) und lechzend die trexknen öden 
Aschenfeldcr durchgewandert i^. Es giebt einen der allcrpittoreskesten Anblicke, 
völlig wie eine Oper der Natur. 

Den 8. Julius. Geblieben in Civita Castellana. 

Civita Castellana liegt auf einem Lavafcisen und Vulkanischer Asche zu Peperin 
geworden. Die ganze Gegend um Rom herum muß dnmal dn höllischer Feuer» 
ofen gewesen seyn/ denn wo man 20, dreyßig, vierzig Meilen wdt in der Runde 
hinkömt, findet man lauter Hügd, und Gebirge von verloschnen Vulkanen. Der 
Ort i^ von Natur zu einer Festung gemacht, und liegt zauberisch schön mit Grün 
bekleidet, und das vide Wasser gid>t ihm Labsal imd Leben und ewigen Frühling. 
II ponte alto verbindet die Stadt mit der andern Hälfte des Vulkanischen Bergs, 
der dnmal durch dn Erdbeben entzwey^ bar^^ die Brücke i^ Thurmshoch, und 
ruht auf sieben starken Pfeilern mit kleinen Bogen verbunden. Qemens der elfte 
ließ sie im Jahr 1712 erbauen. Das Thal dazwischen ist ganz romantisch, mit den 
Felsen voll grünem Gesträuch und dem klaren Bach, der unten vorbey rauscht, 
und den scharfwinklichten Fdsenrissen, die von der cntsefelichen Gewalt zeugen. 
La Fortezza, i^ hauptsächlich wegen der Aussicht von allen Sdten. Sie macht 
den höchsten Punkt der Stadt aus. Julius II. ließ das schöne Rondell oben mit dem 
Brunnen von Ac]ua pievana noch anlegen. Clemens der elfte hat daran auch 
restauriert. Jefet 8 Staatsgefangne. Einer von Benevent, ohngefehr von 40 Jahren/ 
er machte als Cadet dner Cammerfräulein der Königin von Neapd dn Kind/ 
wurde darauf fort geschickt, und wollte sich mit einer Hökerin gegen seinen Stand 
verheyrathen/ weßwegen ihn sein Vater, dn Mann von 40 tausend Duc:aten 
Einkünften hieher that. Verschiedne Herrn und Grafen von Rom mdit wegen 
Ermordungen/ z.B. einer, der Frau mit allen Kindern umbringen wollte. Sie haben 
ein jeder sein Zimmer, und außen einen Gang mit Säulen, wo sie des Tags herum» 
Mazieren können. Des Nachb werden sie in ihre Zimmer dngeschloßen. 

Das unterirrdische uralte Gefängniß i^ verzwdfdt/ wegen der aria grossa kann 
keiner lang darin leben und muß geschwind umkommen. Man läßt das Essen zu 
dnem Looi hinunter. 

Der Commendant hat 30 Scudi Einkünfte monatlich, außer den incertis. Jett 
liegen 40 Mann darin. 

Die Aussicht i^ schön nach den Sabinergebürgen, dem Berg von Viterbo, Capra» 
rolo liegt reizend auf einer Anhöhe, mit dnem Corps de Logis, und zwey Seiten» 
fliügcln wie's scheint. Den Berg Greste sieht man schräg, und er verliert etwas von 
sdner Größe, dexh ragt er immer mitten aus der Ebne wie ein Sultan hervor. Die 
Girandola kan man von Rom sehen. Des Abends i^s hier lieblich frisch. Die Stadt 
i^ auf allen Sdten abgeschnitten durch den Riß, bis hier an der Festung, wdche 

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ein Stüde Ebne vor sidi hat und in der Weite erü einen Graben/ vermuthlidi i^ 
sie deswegen an diesem Punkt angelegt worden/ oder ganz gewip. Die Funda- 
mente dazu machen StüdCer Lavmelsen und Schlacken. Die Wasserleitung komt 
nur von vier Meilen her, vem der alten, zerstörten Stadt Falerium her. 

Auf dem Sorakte liegen drey Klöster, oder vielmehr romitorj/ denn sie haben nur 
ein paar Leute in sich/ es i^ kein Schloß da, wie Volkmann irgendwo ausge- 
schneben hat 

Die ganze Stadt enthält an die fünftausend Seelen. Der Govematore wird von der 
Kammer hergesdiickt und bleibt nach Befinden. DieViehzucht i^ in gutem Stande. 
Ihren Wein bekommen sie von Sabina. Das Ol i^ nicht zum besten. Früchte giebCs 
weni^gar keine ümonen. Den Kaffee machen die Apotheker. 

Der Tnom iit eine hübsche Kirche von guter Form/ ein wenig zu verziert, die 
Kränze mit zu \del Rosaliten. Son^ ganz natürlich angelegt/ mit einem schmalen 
Kreu^ängelchen. Die Halle von Jonischen Säulen voran giebt ihr ein gut Ansehen. 
Der Fußboden besteht aus Mosaik von Porohyr und Marmor und Verde anticx). 
Der Hauptaltar liegt hoch, über zwölf Stufen erhöht Die Kuppel i^ sehr wohl 
angebracht/ nur sind die Verzierungen auch zu französisch geschnirkelt 
Die Gemählde sind Kopien, z. B. eins nach Domenichino Girolamo/ oder Schüler- 
arbeit 

Einige andere Kirchen von originaler Bauart wies dem Künstler gut gedünkt hat 
ohne Nachahmung/ als S. Clemente, wo der Giebel des Dachs in der Mitte von 
zwey Säulen und zwey Pilastern getragen wird/ und voran stehn zwey Altäre, 
mit Bildern von sehr guten Römischen Künstlern. Vorzüglich hat das große Altar- 
blatt mit der Mutter Gottes und drey Heiligen und einer Nonne sehr viel Wahr- 
heit in Gestalt und Kolorite. Die Mutter Gottes üt ein Porträt von einer sehr 
reizenden liebevollen Frau. Es sind zwey Päbste darunter. Mir dünkts von einem 
Schüler Raphaels. Die Mutter Gottes i^ aber das beste im Ganzen/ der Aus- 
druck bey den andern Personen, außer daß sie weit schlechter gemahlt sind, grenzt 
stark ans fade. 

Das andre i^ eine heilige Familie mit unserm Herrn Gott und dem heiligen Gei^ 
oben. Auch viel Natürliche Gestalt,- man freut sich immer, wenn man so etwas 
findet, weil es auch bey guten Meistern selten üJ. 

S. Gbvanni. 

Das CToßc Altarblatt, vermuthlich vom Cavalier d'Arpin, hat viel schönes, es 
stellt die Enffiauptung Johannis vor/ der Henker und die Soldaten und die Wache 
stehen sehr brav/ und das Mädchen in reizender Stellung, nur i^ der Kopf in 
Profil und Schatten, und macht schlechten Effect. Der todtc Kopf des Täufers i^ 
die Hauptfigur samt dem Henker. 

rechts Eine Madonna mit Heiligen, die das Chri^kindlein im Golde auf einem 
Schemel truen, hat viel Gutes/ besonders i^ in der Madonna etwas erhabnes 
und ein gro^ fi-eudiger Charakter. 



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Die Kirche i^ ein länglicht Viereck, mit einem Dach wie ein Heubcxlen. 

Der Dun^ vom Sonnenbrand auf den G^enden, la c:aligine del Sole benimt im 
Sommer meistens die Aussicht, und der Fummel i^ selten rein. Für die Mahler 
pebt die^ mancherley Lufteffecten/ für die Philosophen aber, der bloß Klarheit 
sucht, i^ er sehr verdrießlich. 

Die Lücke des Bergs von Civita Castellana kann zumTheil auch durch die unend- 
liche Reyhe von jemren vom Flüßchen gerissen worden seyn, das durchschießt. 

Die Häuser sind meistens sehr alt,- und der Peperin überhaupt giebt ihnen ein ver- 
jährt Ansehen. Thurm zu einem Häuschen gemacht, mit einer neuen Fassade. Da- 
neben war noch ander Befes^ungs Werk, das Jefet zur Hälfte nieder gerissen lit, 
und die Mauern von einem Gärtchen macht. Das Grün, und der hohe und kleine 
Birnbaum und die Weinlaube und Olivenbäume machen dadurch ein mahlerisch 
Ansehn/ und das Rauschen des Flüßchens dahinter im Bergriß idt äußerdt an- 
muthic. 

Zu Mittag hat man eine immerwährende Musik von Grillen in diesen Gegenden/ 
Cicale. 

Ein Gärtchen mit einem hohen Ulmbaum rundum von Grcuiatenbäumen mit rother 
schöner Blüthe umgeben hinter einem Hause nicht weit von Ponte altö. 

Wenn man sich ein Weilchen ins Gras legt, sieht man bald allerley fremde Insekten 
um sich her, besondre Arten von Käfern, Mücken und Spinnen und Gewürmen. 
Das Wasser wird durch einen besondem Bogen in die Stadt geleitet, der über den 
hier sehr niedem Riß der Felsen geht 

Die Kapuziener haben zu ihrem Kloster außer der Stadt eine der herrlichsten Lagen 
gewählt/ ihre Kirche prangt aus einem weiten Lu^hayn hervor, wie der Liebes- 
sife eines Fürsten. 

Wenn sie ihr Korn eingeärndet haben, so werfen sie es mitten auf irgend eine Straße 
und jagen ein halb Dutoid Pferde darauf herum. Alsdenn reinigen sies mit einem 

ß oßen Siebe, das an einem Strick in der Mitte hängt. 

as Thal vor Civita Castellana i^ ganz romantisch, und schlängelt sich jung- 
fräulich mit einem Wiesengrund und aJlerley Gesträuch und Eichen zwischen den 
wilden barstigen Felsen herum, und weit in die Feme mit seinem hellen klaren 
Fluße, der unter der Brücke von einem Wehre sanft sich hinab stürzt. Die gegen- 
über stehenden Hügel sind alle mit kurzer Waldung angeflogen. Die Creraer 
selb^ i^ hier und da mit kleinen Haynen meistens von Pappeln eingefaßt, die äußert 
hexh und schlank und stark belaubt sind. Ihr muntres frisches helles Grün, die 
leichte zarte weibliche Beweglichkeit bringt lauter süße Gefühle in die Seele,- die 
Augen sind gänzlich zufrieden vcm der Schönheit und weiden sich mit Lu^ an ihr. 
Aulschrift an der Brücke: Inncx^itis XI. Po. M. An. Pont. II. 

ViatOr siste grassum 

Renovatam in hoc marmore de Vejentanis Conflictis lege memoriam restauran- 
tibvs M— DD. abbate de Mitis. Gubemat. Josepho Sacco et Johanne Fanti- 
basso Cos. Vrbanus VIII. P. M. 

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Ad Crcmcram Vci nostri Fabios olim frucidavere Vejentes ponfon hunc qua 
vetustas exaederat instauravit Anno PonL XII. cet 

Den frappantesten Anblick macfit Civita Castellana wenn man von Rom aus einer 
schönen Allee her körnt. — Es erhebt sich da über dem Fluß senkelrecht ein un- 
geheurer Felsen, der Breite nach etwa dreyhundert Schritt oder vierhundert und 
300 Fuß hexh mit Gesträuch überall angeflogen, gerad wie ein Theater, und 
scheint an beyden Enden wie von einem Erdbeben abgerissen / weil sich andre eben 
so hexh gegenüber erheben, aber nur etwa zehn Schritte links und rechts etliche und 
zwanzig forteehen/ eben so hoch nämlich/ denn sonit gehen sie weit fort, wenig- 
stens linker Hand aber niedrig. 

Die Hügel, wo man herkömt, bestehn aus lauter kalkartigen Kieseln, mit Kalk- 
erde zusammen gehalten. Man sjeht augenscheinlich, daß ein Fluß hier einmal sein 
Bett und seinen Ausfluß hatte. Überhaupt muß das Feuer und Erdbeben gräu- 
liche Veränderungen hier angerichtet haben/ denn alle Ordnung der Natur i^ 
zerstört. Am Ufer des Fluß«, ehe man darüber von Rom geht, sind viele Wall- 
nußbäume gepflanzt Wilde Feigen und Weinreben schlängt und ziehen sich über- 
all herum wie Gesträuch, und machen ein reizend Grün um Buchen und Hollunder. 
EXe Brücke besteht aus drey hohen Bogen, die zwey Drittel von einem halben 
Zirkel haben. Sie sind von dem Stein des Felsens hier gebaut, der von fern wie 
Travertin aussieht Die Cremer iil ein klein Flüßchen, etwa dreyßig Schritte breit 
und drey Fuß tief, und verbreitet sich natürlich hier und da, und engt sich/ hat sehr 
klares Wasser. 

Die beyden Thäler sind entzüdcend, besonders aber das rechter Hand, wo die hohe 
Brücke nicht i^. Man <kann> nichts reizenders sehen, klarer Bach, schnell fort- 
rieselnd, mit Pappeln und Buchen bepflanzt und wilden Reben und Haselstauden, 
und dahinten steigt das Gebürg empor. Die Grillen zirpen, die Frösche quacken, 
die Nachtigallen singen und schlagen noch die le&ten Liebesgefühle. Zarte Pflanzen 
in lieblicher Frische, und oben die kahlen schrecklichen Feuerfelsen. Der Grund hat 
Kiesel von Kalkstein und solche Erde, vermuflilich vom Bache. 

Ich konnte der Lu^ nicht widerstehn, mich zu baden. Aus Furcht vor den welschen 
Straßenräubem scheute ich mich zwar, doch packte ich endlich meine Baarschaft zu- 
sammen und steckte sie in meine Unterhosen und legte diese, nach dem ich mich 
geschwind ausgezogen hatte, auf das zarte lange Gras am Bache. Welch Ent- 
zücken! Wahre eigentliche Begattung mit der schtesten zauberischen Gegend. Wie 
von fernem Gebürg das Grün zu einer Liebesmelodie sich herwälzt, wie alles 
üppig froh vollkommen um mich her lebt! Der herrliche wilde Rebenbusch, der seine 
schlanken Ranken ins Wasser sinken lä^l Die großen Blätter der Wasserpflanzen, 
die blühenden Wicken, Lavendel und Thymian herum duftend, die Ulmen, die 
Pappeln, diu Nußgesträuch, Grasmücken, Nachtigallen, brennender Abendglanz 
an den Felsen,- und wie der Bach herunter rauscht mich kühl zu umpfangen/ wie 
die kexhende Glufli aus meinen Adern lieblich zieht und der heitre lichte Himmel 
über mir! Wie ich herum plätschere, den Kopf hinein stecke, mich auf den Rücken 

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werfe, mit dem Leib herum wälze — adi daß ich keine süße Nymphe bey mir habe! 
wie würde im Wonnetaumel Himmel und £rde um mich herum vergehen und wieder 
neu gebohren werden! 

£5 i^ ein wahres Zauberdial, die Berge g^n immer weiter hinten fort in einem 
Opemtheater der Natur in ungeheurer Gr^e, und alle mit Waldung bewachsen. 
Der süßeTon Abends i^ unbesmreibbch/ die Stille und £insamkeit mit cict R auschen 
des Bachs, und dem Gesang der Vögel. Wer auf einmal dahin verscfet würde, 
könnte denken, er war im Himmel, Für einen Mahler iät eine Menge da zu ver» 
schiednen Landschaften,’ der größte Künstler würde seyn, wer mit der schönsten 
Parthie den Reiz des Ganzen zeigen könnte. Zu Bergen lassen sich selten schöne 
Conturen hier abnehmen/ sie haben alle etwas fürchterlich schönes, wilde Macht 
mit hohem Reiz,- der Contra^ mit dem lieblichen Thal giebt ihnen das Zauberische. 
£ntzückende £insiedeleyen, ixy Madonna di piagne, wie sie piaghe aussprechen, 
sieht man recht das Wilde. Im Thal wird meistensHanf gepflanzt und dazwischen 
Wallnußbäume. Der lefete Berg in der Feme prangt gar herrlich mit hohen Bäu« 
men. Wenn man auf der Höhe zum andern Thore körnt liegt der Sorakte wieder 
wie ein fürchterlicher Tyrann da in seiner ganz eigentümlichen Form. Ich habe nexh 
nie in meinem Leben eine reizendere Wildniß gesehn. La portaAnziana heißt diese, 
die andern porta Romana, porta del Castello, porta del ponte und verschiedne 
Schlupfwege. 

Das größte Kunststück eines Redners, der zu etwas unsicherm bereden wiU, i^ 
allerlcy starke £mpfindungen und Ideen zu erwecken, die auf seinen £ndzwccdl 
Bezug haben. Der Geiit geht leicht über, wegen angestammter Beweglichkeit wenn 
man ihm einmal den Weg sanft und reizend gebahnt hat So muß man es bey Mäd« 
eben machen. 

Civita Castellana i^ auf den drey abgerißnen Seiten reizend, und einWunder 
der Natur, das das Feuer und £rdbeben gemacht hat, und einzig in seiner 
Art. Die £inwohner leben von Viehzucht und Kombau. Die Jugend hat einen 
frischen vollkomnen Wuchs, und die Weiber sind kräftig, stramm, ohne nieder- 
ländischen Schwul^/ die Römische Göttlichkeit haben sie nicht aber wilde zärtliche 
Natur in der Phisiognomie. Die Männer sind gut und aufgeweckt,- und alles sehr 
gesprächig. 

Androsilli, Marchese, i^ der reichste/ er gewann viel im Spiel zu Rom. 

Sechs große Kirchen sind hier. Der Dom, Franciskanerkirche, S. Giovanni, S. 
Cremata und ein Nonnenkloster und noch eine andre. Die Kapuziener wohnen 
außer der Stadt. 

Die Flüsse sind la Cremera, la Treja, worüber Ponte alto geht, und der dritte 
i^ ein torrente, der zuweilen entsehlich anschwillt und alles fortreißt, Wagen und 
Menschen, auf der Seite nach Florenz zu, nahe dabey i^ Nepi und Castello. 
Der Berg S, Oreste hat wahrscheinbeh seinen Namen von einem frommen £re- 
miten, der in den finstern Zeiten darauf wohnte. £s üf ein elender £infall, daß er 
seinen Namen wegen eines Schreibfehlers verändert haben sollte. 

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Den gten Julius. 

Nach einer völlig schlaTlosen Nacht mit einem matten Eselchen abgerei^/ so klein, 
daß ich mit meinem Rohr auf der Erde mich stüfete/ der Sattel war aber so breit, 
daß ich mich Marcus Aurelius auf dem Kapitol dünken konnte. Alles außer der 
Stadt voll Eulen und allerley Art von Naditvögeln. Herrliches Kornfeld, immer 
mit hohen Eichen bepflanzt. Bey Borchetti fängt das fruchtbare Sabinerland an. 
Ein drey Stunden langes und zwey Stunden breites Thal, das die Tyber durch« 
strömt, von zwey Gebürgen eingefaßt. II Capo della Sabina, Magnana hat einen 
Berg zum Sife von einem der reizenasten Conture, die ich je gesehen habe/ wahr- 
haftig atheniensbeh, so mit Bäumen bepflanzt, und in seinen Linien abwechselnd, 
und die Häuser und Kirche undThürmchen stehen lieblich am Anfang Bey Otri« 
cx>li macht die Tyber ein völlig Hufeisen, so windet sie sich herum. Dann liegen 
Berge jeder immer reizender als der andre/ ein ächtes Mahlermusäum. Die Con- 
ture sind äußert Kcistig, und haben außerordentlich viel Gleichheit mit einer wcihl 
g^ildeten gdstvoflen Natursecle. 

Die Stadt öerea lag schön in einem fruchtbaren Amphitheater und hatte das Spiel 
des Flußes vor sich/ auf der ersten Anhöhe. Jefet i^ alles davon zugeworfen. 
Otricoli liegt ganz hoch darüber auf der Kuppe eines runden Bergs, und enthält 
ohngefehr i zoo Seelen. Was die Leute hier arm und doch voll Feuer und Schön- 
heit und heroischer Phisiognomie sind i^ zum bejammern. Für einen Paul nach 
Nami, und für änen nach Terni, und dieß war wie ein vornehmer Herr bezahlt/ 
man tru| mir den Stuhl dazu her zum Aufsteigen und beyde Oerter liegen neun 
Miglien jeder davon. Herrliches Amphitheater von Gebürgen auf dem W^e, wo- 
von man über den einen hohen Boeen wegfährt. Sonnengluth, da^as Blut in allen 
Adern siedet. Zwey Miglien von Nami das höchste Ideal von W ildniß und rei- 
zender Einsiedeley. Hohe schrofle Gebürge von allen Seiten breit in die entseh- 
liche Tiefe hinab mit lauter Elen auf der Nordscite, und der Mittagsseite mit Öl- 
bäumen bewachsen. Gäbe Ab^ünde hart am Wege um bis auf den lefeten Knochen 
zu zerschmettern. Die Nera fljeßt grün schäumend schnell durch em ganz roman- 
tisch enges Thal auf Viterbo zu, man kan sie sehr weit verfolgen. Die Contur 
der Gebürge i^ scharf aber doch gemäßigt und natürlich, nicht so abgerissen \cäe 
die Feuerfelsen von Civita Castefiana. Die Einsiedeley la S. Annunziata steht 
auf einem herrlichen Fleck, das Ganze zu überschauen, und wie von aller Gesell- 
schaft abgesondert. 

Nami ein fein Städtchen mit einem Fortino/ es ÜMt noch halb in der Wildniß, 
wie ein Schwalbenne^ am Felsen, und macht den AnfaM von dem großoi ent- 
zückenden Thale, das fa^ einen Zirkel ausmacht, dessen Diameter 9 Miglien von 
Nami bis Temi i^. Reizende Gebürge rund herum von allerley fremden und 
höch^ schönen Conturen. Der Boden unten i^ lauter Fruchtfeld und Gartenwerk/ 
lauter zugeschnifete Ulmen dazwischen, wo sich Reben damit begatten/ die Ulme 
muß natürlich sich nach der Rebe richten, die Stärke nach der reizenden nühlichen 
Schwäche/ es i^ eben kein anziehend Bild des Ehestandes für einen Mann. 

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Narni hat ohngcfehr 3000 Einwohner oder Seelen. Abends an zu Terni. 

Den 10 Julius. 

Früh Morgens um 7 Uhr nadi der Kaskade ausgezogen. Weg voll reizender 
Aussichten dahin/ die Berge wölben sich immer einer höher als der andre himmel» 
hoch weiter fort, als ob sie dieß Paradieß ganz von der irrdischen Welt absondem 
wollten. Die Sonne meng eben auf, als im nach der Höhe zu stieg, gerade über 
dem Gebürg den FeTsenrilJ hinein, worin eine herrliche See von Näel und Dunit 
in der Mitte des Gebürgs schwamm. 

Der Wasserfall iit eine entzückende Vollkommenheit in seiner Art, und es man« 
gelt nichts, ihn hödiit reizend zu machen. Ein starker Strom, der feindseelig gegen 
ein unschuldiges Völkchen handelte, mu^ sich gebändigt durch eben tiefen IVanal 
stürmend in wilden Wogen wälzen, mit allerley sü^em lieblichen Gesträuch um« 

E llanzt, als hohen grünen Eichen, Ahorn, Pappeln, Cypressen, Buchen, Eschen, 
Urnen, Seekirschen, und in die gräuliche Tiefe senkelreAt über zwey hundert Fup 
hexh hinab stürzen, daß der Wasserstaub darinn noch höher vcm unten hbauf 
schlägt. Alsdenn tobt er schäumend über Felsen fort, breitet sich aus, rauscht zür« 
nend um grüne Bauminseb und hastig schließt er weiter in den Grund von dannen, 
zwischen zauberischen Gärten von selbstgewachsenen Orangen und Frucht und 
Ölbäumen. Sein Fall dauert acht Secunden oder gewöhnliche Pulsschläge von der 
Höhe zur Tiefe. Das Aufschlagen in den zurückspringenden Wasserstaub macht 
einen heroisch süßen Ton, und ercjulckt mit nie gehörter Musik und Verändenmg 
von Ton und Bewegung die Ohren/ und das Auge kan sich nicht müde sehen. Es 
i^ ein Kunstwerk, so vollkommen in seiner Art, als irgend eins vom Homer oder 
Pmdar oder Sophokles, wozu die Mutter Natur Stoff und Hand lieh. Er läßt sich 
mit keinem andern vergldchen und i^ einzig in seiner Art/ die große Natur der 
herrlichen Gebürge herum, der frische Reiz und die liebliche Zierde der ihn um« 
fassenden Bäume oben vor seinem Fall, das simple Ganze, was das Aug so ent« 
zückt, auf einmal ohne alle Zerstreuung so wollüstig verziert und doch so ganz 
wie kunstlos, überblickt, nährt des Menschen Geiif wie lauter kräftiger Kern. Die 
Mannichfaltigkeit des andern Stroms, des bald langsamen bald schnellem Laufs, 
und gerad immer recht, das reizende Bett überall, so weit man hinkömt, der See b 
seiner Rundung von ebem Amphitheater sich nach einander verlierender höchster 
Gebürge eingefaßt, das fruchtbare Thal, wodurch er rinnt, der Streit der Nachbarn 
um ihn, alles macht ihn immer interessanter. Gemahlt bleibt er immer eb arm« 
seeliges Fragment, weil kein Zuschauer des Gemähldes, der das Original nicht 
sah, sich das hinzudenken kann, da man es nicht andeuten kann. Und überhaupt 
i^ es Frechheit von einem Mahler, das vorstellen zu wollen, dessen Wesentlicha 
b Bewegung besteht. Poussin mahlte sehr klüglich die Wasserfälle meistens b der 
Ferne, wo ihre Bewegung sich verliert und sie stille zu stehn scheben. 

Temi selb^ liegt äußert angenehm zwischen lauter Gärten. An der Nordseite 
erhebt sich cb ^gen von Hügeb mit lustigen Landhäusern und meistens öl« 

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bäumen besefet, die dncn kleinen Wald aus machen. Das beste gehört der Familie 
Canali, die die reichste hier i^. Hinter den Hügeln steigen alsdenn die Cebürge 
empor, auf dieser Seite meistens kahl, so wie sie ostwärts bey der Kaskade schön 
bewachsen sind, wenigstens verschiedne bis an den Gipfel. Die Nera fließt auf der 
Römischen oder südlichen Seite hart an dem Thor noch in der Stadt weg/ und 
gleich darunter aus ihr. Vor ihr werden verschiedene Kanäle abgeleitet, die die 
Stadt selb^ und die Gärten au|Jer ihr herum bewässern. Das Wasser, ob es gleich 
weiplicht aussieht, i^ dcxh rein und trinkbar/ und die gemeinen Leute sagen e fa« 
mosa und zechen, als obs die ewige Jugend verlieh. An den Mauern der Stadt 
beym Dom und Römischen Thor geht ein herrlicher Spazierweg, wo man die schön* 
sten Aussichten hat/ es i^ eine hohe Lu^, da herum zu wandern Abends und der 
Kühle zu genießen. Der Palla^ Spada i^ einer der besten. Simpel in Form und 
Verzierung und von reinem Geschmack. Er hat keine Säulen sondern lauter Pi* 
laster. Die Fenster und Thüren sind von guter Proportion, und einfach verziert 
Son^ sind ncxh Häuser da von guter Bauart 

Temi hat fünf Nonnen und neun Mannsklöster/ worunter zwey Kapuzinerklöster 
sich befinden. 

Der Adel divertiert sich mit Kartenspielen und Akademien von Musik. 

Tivoli hatte einen so großen Reiz für die alten Römer weil es nahe an der Stadt 
lag, und wegen der Aussicht in die Römische Campagna bis zur See hin. Es hat 
etwas feyeruches, was Temi nicht hat Aber dieß hat im Grund^rößere Natur 
um sich her, und mehr Abwechslung, und an Fruchtbarkeit läßt Tivoli gar keine 
Vergleichung zu, es i^ ein dürres und ödes Land/ da Temi lauter Mark i^. Die 
Römer verstunden zu leben, sie genoßen den wahren Reiz von jedem/ und wußten 
zu wählen aus tausenderW Erfahrungen. Scipio der jüngere wählte Temi, der 
ältere Cajeta und Puzzuolo/ welches Irwlich des Meers wegen über alles geht/ 
denn nichts i^ doch lebendiger als das Meer und hat mehr Mannichfaltigkeit in 
Bew^ng. Was üt dagegen auch der vollkommenste Wasserfall, wie der zu Temi? 
Er blwt endlich immer dasselbe. Es i^ also leicht zu begreifen, warum Bajae den 
Römern über alles gieng. Eine sehr gute Idee i^. Unsere Menschen durch eine 
Fabel, einen Roman zu diesem Genuß vorzubereiten, und ihnen zu fühlen zu geben 
im Traum was die Römer wirklich gencjssen. Sie hatten das wahre Leben und 
strichen herum, im \finter am Meer im Sommer auf dem Gebürg/ und Italien 
g^ ihnen bey des In kurzen Tagreisen. 

Den Römischen Architekt, der mit mir von Siena reiste, als Caffeegesellen hier 
angetroffen. 

Zu einer Cyther von einem Bettler ä la Furlana geschwind in einem Hause tan* 
zen sehn. 

Ballon schlagen gesehn hinter dem Markt, mit einer Menge Zuschauern. 

Unser Leben gleicht heutiges Tags einem todten See, all^acjua morta,- denn nichts 
anders üt die Gewohnheit/ wir Kommen gar nicht recht in Gang. 

Nicht weit vom Sturz des Velino i^ ein Ponte Regolatoro, damit nur eine be* 

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sfimte Quantität Wasser hervor kann, um den Torrosinem keinen Sdhaden zuzu« 
füßcn. Am Ufer darüber eine Mauer gezogen, damit Niemand hinüber kann, 
mit folgender Au&<briA: 

Jubente 

Em ac r, Principe 
Frandsoo Card. Barberino S. E. E. Vice C. 

Hujusce supra Velinum Pontis occlusus e^ aditus 
Vt non tarn inundantis Suminis quam 
Invadentium hominum audacia comprimeretur 
Petro ab Otfliobono Veneto V. S. R. 

Interamnae gubematore 
Aere Publ. Interamnatum a. d. MDCXL. 

Plus detur Vrbano qui ponte crimina frenat 
Nam solo Clemens ponte coercet aquas. 

Gleich dahinter geht nehmlich das Neapolitanische an, und die Emwohner von 
Terai hatten also nur vier oder fünf Meilen um inFreyheif zu seyn, wenn sie er* 
mordet cxler son^ ein Verbrechen begangen hatten. Ferner hielten sich eine Menge 
Stra^räuber auf, und raubten und plünderten. Der Berg an dessen obern F^ 
sie stehe i^ sehr hexh, und sein Kopf ragt über den Wasserfall stolz und herrlich 
hervor und ^ebt ihm eine schöne Zierde. Jett müssen sie dieser kleinen Mauer 
wegen einen Weg von 20 Miglien machen, ehe sie in das Neapolitanische kommen. 
Inzwischen hindert dieser Ponte regolatore doch nicht, daß dieTorrosiner und be- 
nachbarten Örter Castel del Lago und Collestato vom Sturz viel Schaden leiden, 
wenn die starken Regen kommen und die Wasser anschwellen. Die Nera unten 
kann nehmlich nicht fort, wegen der Gewalt des Schußes des niederstürzenden 
Velino, und tritt zurück, und wenn sie groß i^,so überschwemt sie alle ihre Felder 
mit Kies und macht sie unfruchtbar. Das &(t beyder Flü^e iit hier eng zwischen 
Felsen, und es würde dem Schaden ehgeholfen werden können, wenn man es weiter 
machte/ allein dann würde der Kies auf die Felder von Terni gewälzt Der Sturz 
war vorher näher nach Temi, und die Torrosiner lie^ die Veränderung seines 
Laufs zu mit der Bedingung da^ ihnen aller Schaden ersefet würde, der dadurch 
entstünde. Die^ haben die von Temi aber nie gethan. Und so i^ nun jefet der 
Prex:^: die Torrosiner verlangen, ihnen entweder den Schaden zu ersefeen, oder 
dem Fluß sdnen alten Lauf zu geben. Weil die Temer aber Hab und Gut dar- 
über verlören, und der Sturz allzuschön und durch die ganze Welt berühmt üt, 
und unansehnlich bey der Veränderung seyn würde, und weil ferner die Torro- 
siner nur dn kleines Oertchen haben, und ihnen die Temer alles abkaufen und aus 
dem Lande lieber haben wollen, so werden die Torrcjsiner ohngeachtet ihrer ge- 
rechten Sache dexh angeführt bleiben. Der Strdt i^ inzwischen schon alC und Cmero 
schreibt schon davon. 



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Den 1 1. Julius. 

Augustiner KirAe, gothisA,festgemaucrf, gute Thür mit Verzierungen von Bir- 
nen und Feigen und Blättern zugIciA/ Ae KirAc selb^ ein längliAt ViereA ge- 
wölbt. Kanzel in der Mitte, Orgel über dem Eingang, Chor am Ende. 

S. Salvatore. Ein alter Re^ von einem Tempä/ rund wie das Grabmal der 
Metella. Unten sind zehn sAmale Bogen mit Pfeilern, wovon mein die Eingänge 
zugemauert hat, sie stehen vom obem Aufsafe ein wenig vor. Sehr fe^ alles ohne 
Kitt mit kleinen Quadern von Tufstdn gemauert. Das Ganze äußere üt noA 
wohl erhalten/ und wirft mit seiner simpeln SAönheit allen angefliAten Quark über 
den Haufen. Es steht da wie eine Jungfrau. Das Übrige i^ verhunzt, so daß man 
Ae EinriAtüng mAt merktT 

Drey Palläste neben einanderCanali,Genuini und Graziani. Der von Genu- 
in i glänzt wegen seiner guten Bauart unter den andern hervor wie ein reiner Perl 
unter PisAsAuppen. Canali i^ eitle französisAe PraAt. Eimge Statuen sind gut, 
als BacAus auf der Treppe und Minerva im Hofe. Graziani i^ auA im eitlen 
französisAen Styl. NiAf weit davon stAt noA einer des Conte Frapezzi auA 
in sehr gutem Styl. Die KirAc S. Lucia iit in sAr ^tem Styl, Ae Fassade sehr 

S t. Das platte DaA in der KirAe fliut sAleAten Effect/ die Form i^ ein simples 
blonj^m. Antomus Rusticus interamnas stAt an der Fassade, de Rusticis son^/ 
dieser heß sie auf seine Kosten bauen 1 550. S. Francesco i^ gothisA. D^)S hohe 
Gewölbe thut sAr ^t, und der freyc Raum. Der Dom i^ modern und fran- 
zösisA verziert, Ae Form ein Kreuz mit der Kuppel. Übrigens i^ noA viel altes 
Gemäuer in Terni, woraus man siA Hütten zugeriAtet hat, so gut es hat gehn 
wollen. £)ie Straßen sind klein und enge. Emige fürtrefliAe Thüren, alle meüf 
naA derselben Form. 

NaAmittag um 19 ühr naA der Kaskade unten. Hier i^ man reAt der Mutter 
Natur im SAooß und geniAt Ae Höhen und TiAen der Erde, und ihr SAaffen 
und Wirken und Ae Fülle ihres LAens. Ein enges Thal von neuen und äußert 
reizenden Kontrasten, WelsAe Milde und SAweizer Rauhheit vereinbart. Him- 
melstrAende GAürge, donnernder Wassersturz, hereinbrausende wilde Fluthen, 
und danAen Ae zarten Pommeranzen und Ölbäumc, Lorbeergänge, süße RAen, 
zarte Pagpeln, Feigen, Melonen. Das Thal durA die Felsen habA augensAein- 
liA Ae rlüße durA Jahrtausende gerissen, wie deutliA die an den Höhen noA 
hangenden Überbleibsel von Tartar zeigen/ vorher maAte es einen kleinen Sec 
aus. Der Velino auf der Höhe des GAürgs linker Hand hat vielmalen seinen Lauf 
verändert, wie ebenfalls Ae Spuren deutliA zeigen. GleiA nAen der jefeigen Kas- 
kade i^ linker Hand desselben noA sein altes Bett. Er stürmte s Aräg herein, hatte 
aber keinen geraden Sturz. Die Temancr beredeten siA mit ihren NaAbam, weil 
er ihnen zu vielen SAaden that seinen Lauf zu ändern, und diese ließen es zu, mit 
der Bedingung, denselben den entstAenden SAaden zu ersefeen. DadurA kam 
der jefeige Sturz, welAer sie zum ersten mal wunderbar muß entzüAt und in Er- 
staunen gesefet haben. Er hat obra ein sehr tiefes Bett, und dessen üfer sind AAt 

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mit hohen grünen Eichen, Ulmen, Erlen, Pappeln und anderm niedem Gesträuch 
durchaus bewachsen, und man kan nicht erlreulichers sehen, als seinen schnellen 
rauschenden und hohe volle Wellen schlagenden tiefabhängigen Schul) dadurch/ 
etwa vier Schritte vor seinem Fall hat er sich selb^ einige TMtarschiefcrn gebildet 
worüber er rauschend im Flug hinabgleitet/ diese vier SAritte bis an die Mündung 
hält er ein wenig ein, als ob er siA doA besänne, und neben ihm sAauen Ae hohen 
Pappeln und EiAcn und Ulmen dem furAtbaren SAauspiel wirkliA zu/ aber Ae 
immer einbreAende Huth treibt ihn von demnen, und er sinkt und zerfällt von der 
immer heftiger anziAenden Kraft der Erde zu Pla&regen und enAiA SAaum aus 
einander gerissen seine gute zweyhundert Fuß in eine unergründliAe Tiefe, wo 
bey dem immer währenden gleiAen sAneidenden Brausen des Falls in dem zurüA» 
springenden SAaum ein siA herum wälzendes Donnern in wiegender Beweine 
heraus brüllt Alsdenn sAießt er in sAäumenden Wogen überTarteirschiefer durch 
ein krummes Bett ohngefAr Ae Hälfte noA so öA in die Nera, Ae re Ater Hand 
dur A das Thal für Atsam herbey schleiAt und siA naA und naA mit dem wüAen- 
den heroisAen Jüngling vereinig, ob er sie gleiA immer zurückstößt, so daß sie 
bey seinem hohen Ungestümm im Winterwetter zurüAtritt, und den Torosinem 
ihre Felder verderbt 

Sein Sturz gAt in ein FelsenloA das gerad wie eine zerbrochne Tasse aussiAt 
wo vom der dritte Tbeil bb an den Grund abgesprungen i^. Auf dem Rand der* 
selben linker Seite hat man jefet eine Hütte wie ein Observatorium angelegt. In 
der Mitte der Tasse am Sturz steigt ein Felsens Aerben herein, woran der feine 
Wasserstaub höher als der Fall selb^ bt, in Ae Höhe fliegtT 
Weiter vom, wo man den runden Bergm'pfel vonTorrosina sieht und den andern 
sAöngewöIbten hintern Berg, sieht der Anfang des Sturzes weit reizender aus, als 
gerad davor,- allein man siAt nur wenig davon. Die Berge bestehn aus harten 
Marmorfelsen, sind aber oben bis an die Gipfel alle mit Bäumen bewachsen. 

Das Thd vom Ausgeing der Nera aus dem GAürg von Papigno an bis naA 
Temi und das andre GAürg i^ ein AnbliA der üppigsten FruAtbarkeit Von 
dem Fluße werden eine Menge Kanäle abgeleitet in Stadt und Gärten herum, und 
diese Kanäle sind alle so diAt mit GesträuA und Bäumen bepflanzt daß man sie 
wenig sieht aber immer wegen ihres schnAen RausAens hört 
Wenn man naA der Kaskade von unten geht muß man durA einen Garten, der 
jefet demGraziani, einem Edelmann von Temi gehört der er^ vor seAs Monaten 
eine der sAönsten Fräulein geheyraAet hat und jung und sAön und reiA selb^ 
bf. In diesem Garten i^ eine der sAönsten Lorbeer alleen, die iA gesAen habe. 
Ein Gang der besten Pommeranzen Bäume, und viel Wein und Feigen. Ein 
wohlgebautes KapAAen in den Felsen mit einer Statue der hAigen Rosalia, und 
einigen Enc^ um sie herum/ sie liegt auf einem Küßen mit Blumen bekränzt 
WdA ein Faradieß für ein paar verliebte Seelen, wenn sie ihr LAen und GlüA 
zu genießen wissen! 

In Terni i^ alles wohlfeil. Der beste Wein kostet 6 Qyatrim, oder einen Bajocc». 

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Das Pfund Rindfleisch 3 Bojocco. Korn in Überfluß da/ und doch muß ein 
Fremder mehr bezahlen als in Rom. Dicß machen die Engländer und eitle alberne 
Mahlerstuher, die zuweilen Herreisen und sich sehen lassen wollen, 
ln der Nera und dem Velino fängt man viel Forellen, sie müssen zuweilen vom • 
Sturz mit herab, und man erkennt dieß an ihren aufgeschlagnen wundenMäulem. 

Den I z Julius. 

Um sechs Uhr welsch mit einem Pferd abgerei^. Olivenwäldchen auf und um und 
hinter dem nördlichen Hügel von Temi. Alsdenn immer durch Waldung und Ge» 
bürg, gerad wie in Thüringen. Die Nachtigallen schlugen äußert stark. Schöne 
Grüne Eichen in herrlichem Wuchs. Verschiedne gute neue Gebirgsconturcn, be» 
sonders dner auf der Mitte des We« in der Ferne, der über alle hervorragt, wild 
und königlich. Wenn mcui aus dem Wald in das engeTheil vonSpoleto tritt, merkt 
man er^ an den Weinreben um Ulmbäume geschlängelt daß man in Jtalien i^. 
Mächtige hohe Strdfgebürge. Spoleto liegt auf dem Abhang eines Hügels, auf 
dessen höchstem Gipfel die Festung, oder der jefeige päbstliche Pallaif sich be» 
findet Dahinter erhebt sich gewaltig der Monte Lupo, von welchem das Wasser 
vermittelt einer gothischen Brücke mit einige hundert Fuß hohen Pfeilern und klei» 
nen Bogen gestüfet über das Thal in die Stad^eldtet wird. Gegen über steht dn 
runder nedriger Hügel, und südlich stdgt das Gebürg empor, nördlich it die Pläne 
nach Fuligno. 

Der Dom it eine schöne Kirche, mit dnem Kreuzgang, und einer Kuppd und 
Pfeilern und hat viel Marmor. Voran it dne Vorhafie. Es it darin ein Ge» 
mählde von Guerdno linker Hand des Kreuzgangs, welches eben nicht viel be» 
deutet Die hdlige Cäcilia it die beste Figur und schdnt ein Porträt zu s^n. Das 
Ganze it sehr schwach und Gestaltlos. Von Anibal Caracd aber it die Hdm» 
suchung Mariä ein herrlich Bild, voll Ausdruck, Charakter und schönen Formen. 
Schade, daß die Farbe hier und da abgesprungen. 

Der Aeskulapstempel vor der Stadt al Santissimo Crcjcifisso it eine Kinderey. 
Man merkt gar keine Form mehr von dnem Tempel, und es sind 1 4 zusammen» 

G eflickte Säulen zu dnem Aitärchen, so gut sich cs hat schicken wollen. Vier große 
korinthischer Ordnung, zwey große Jonischer Ordnung/ sechs kidnere Konnthi» 
scher Ordnung. Zwey Kleinere aus Bruchstücken gestreift und ungestrdft zusammen» 
gescfete, dne dorischer Ordnung, der andern ^t das Kapitäl und man hat ihr 
statt dessen dn Stück Gebälk aufgesefet Zwey Große sind schlecht und elend 
von Backsteinen dazu gemauert und Kalkübersdimiert haben aber Jonische Ka» 
pitäler und Kranz. Das dorische Gebälk existiert noch ganz über den kleinern, 
g^ört aber wahrscheinlich nicht dazu/ die Ochsenköpfe daran sind ganz abgerieben. 
Doch es verlohnt sich nicht der Mühe, vid Reden darüber zu verlieren, weil es dn 
Quark i^, obgldch Bernouilli den löblichen Volkmann darüber falsch corrigiert 
und dieser sdne Corrcctionen wieder abgeschneben hat, so wie der gute ehrliche 
Mann alles abschrdbt. Es i^ ein Elend und Jammer wenn man den deutschen 

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Baronen so Häkerling und Stroh von diesen zwey blind In den Tag Hineinreiscm 
und alles Aufschreibern auftischen siehtT 

Von Rom bis Civita Castellana sind 34 MIglien 

Von Civita Castellana bis Otric»Ii 1 2 — 

Von Otric»Ii bis Nami 9 

Von Narni bis Temi 9 

Von Temi bis Spoleto 18 

82 

Die Schnitter haben immer einen bey sich mit der Zither, der dazu singt/ und sic 
machen oft zusammen Chorus. 



Rechnung. Von Rom bis Civita Castellana 4 Paoli 
In Civita Castellana 8 

. Von Civita Castellana bis Otricoli 4 
Von Otricoli bis Narni 3 

Von Narni bis Temi 1 

In Terni 1 5 für Essen 

für Wäsche und Trinkgeld 5 

Für den Bolhen nach demWasserfall 1 o 
Auf der See 2 

Für Sohlen 2 

Für Pferd nach Spoleto 5 

dem Bothen — 4 

Kleinigkeits Ausgaben zusammen 3 Paoli 



66 Paoli. 

Starkes Gewitter um Mittag. Eine halbe Stunde nach Mittag mich allein zu Fuß 
auf den Weg gemacht. Das Thal von Spoleto bis Fuligno iä vielleicht eins der 
fruchtbarsten in der Welt/ lauter Kornland, und lauter fette lockre bräunliche mit 
ein ganz wenig Marmorkies untermengte verschiedne Ellen tiefe Erde. Die Ge» 
bürge zur Seite machen die ergöfeendste Abwechslung/ allerley herrliche Formen, 
klein und groß, immer eine schöner oder majestätischer als die andre/ verschieden 
Grün von verschiednen Bäumen und Gesträuch darauf/ kahle Felsen dazwischen 
roth und weiß und braun und grau/ oder Flecke mit Heyde bewachsen, manches 
mit Mcxjß macht ein reizend Spiel von Farben. Das Kornfeld i^ überall mit Ul» 
men beseht um die sich fruchtbare Reben winden. Das entzückendste Schauspiel 
aber auf der ganzen Reise macht der Clitumnus, welcher am Fuß des höchsten 
Bergs der Gegend Campello, aus einem Felsen von hundert Schritten in einer 
Menge Quellen, deren ich über ein Dufeend gezählt habe, hervorsprudelt. Der 
Felsen ül mit vielen uralten Feigenbäumen bewachsen, die sich in dessen Risse und 
Spalten fe^ eingewurzelt haben, und alles lieblich beschatten. Der mittelste Quell 
i« der stärkste. Es i^ eine wahre hohe Lu^ zu zu sehen, wie das klare, krystall» 
helle Naß aufcjuillt, in der Stille in Bläschen aufschwillt, alles innerlich sich regt und 



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bcvegf und die Fülle von sidi selb^ auf ebner Flädie fortrinnL Gleich wenige 
Schritte vcMi den Quellen drängt er sich zu einem kleinen lebendigen Teich, der voll 
der frischesten zarten Lxjrbeerstauden üt, und aus diesem strömt er schon wie ein 
ansehnlicher Flu^, und wird binnen wenig Schritten so stark daß ich keine andere 
so volle Quellen kenne, als die derVauedüse, die aber schon als ordentliche Bäche 
aus den untcrirrdischen Felsengrotten hervor strömen. Sein W asser bleibt das ganze 
Thal durch Krystall hell, und deswegen wuschen und badeten die alten Römer 
ihre Opferthiere darin. Und es war ein Lobspruch auf den Clitumnus, wenn sie 
sagten, daß er das Vieh weiß mache. Die Ochsen in dieser Gegend haben auch 
wirklich ein glänzendes Silberweiß, und sind außerordentlich gutartig. Ich habe viele 
Menschen von so gütigen Mienen gesehn, und dieß waren immer die wackersten 
Bedienten und bravsten Unterthanen. 

Wenn das Tem^lchen auch nicht dem Clitumnus erbaut war, so dünkt es einem 
doch schön, es hier zu denken. Die Bauart i^ offenbar aus den spätem Zeiten, 
vielleicht schon der Gothen. Die Säulen selb^ verschieden, die mittlem schuppicht, 
die zwey folgenden schraubenförmig gestreift Die Kapitaler und das Gebälk i^ 
korinäiisch. 

Treve liegt ganz fürtreflich an einem runden Hügel die Hälfte herum gebaut, fünf 
Miglien von Fuligno. Es sieht aus, als ob die Menschen wie die Vögel sich in 
Bäume und an Häuser auch in die Höhe hätten nisten wollen. Es heißt mit Recht 
la Ringhiera o Loggia dell' Umbna, weil es über das ganze Thal von Spoleto herrscht, 
und man von da Perugia, Assissi, Fuligno und Spoleto mit vielen andern Ort- 
schaften sieht. Der ganze übrige Berg i« dn reiner Olivenwald durchaus. 

Der Ort, wo die Quellen des Clitumnus entspringen, heißt deßwegen le Vene. 
Der Clitumnus hat die herrlichsten Forellen. Von Fuligno aus rückwärts macht 
das Gebürg noch die pittoresksten Formen und Farben und Femen. Eine und 
eine halbe Miglie von Fuligno fängt die brdte Chaussee an, fa^ so breit, wie 
die zu Neapel. 

NB. Die Baurcnwirthschaft zu Vene. Und die Prügeley zu Fuligno. 

Abends mit einem Advcx:aten von Macerata gespd^, welcher den Bcrni und la 
Casa und Molze in der berneskischen Art für den Triumph der welschen Poesie 
hält/ besonders einige Satyren des ersten für <die> besten unter allen. Ariosten 
aber doch für den größten unter allen welschen Dichtern, und den Tasso bloß für 
einen gelehrten Mann voll Geschmack. Die Priester wären immer die schlechtsten 
Mensdien sagte er. 

Rafaello al convento delle contezze. 

Den 13 Julius. 

Es i^ der Mühe werth, deßwegen allein nach Fulimo zu reisen. Die Madonna, 
der Heilige Francesex), der Heilige Hieronymus welAe Figuren, welche Charakter! 
wie i^ aUes so rein bis aufs Haar bestirnt, ächte griechisdie klaßische Arbeit. Im 
Kopf der Madcmna üt alles himmlische vereinigt, was bey den schönsten weib- 

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licbfn welsdien Köpfen hier und da aMefrolfen wird. Wie klar die Stirn, wie reizend 
das liditc Kastanien Haar nadi den Ohren weggel^f, der bräunlidie Sdileyer wie 
sanft und lieblidi, in den hold hernieder blickenden Augen welche Güte! wie schön 
die großen Augenlieder, die vollen jugendlichen Wangen mit Sdiaamröthe über» 
zogen, wie jungfräulich, wie sü^ der völlige Mund und das zarte Kinn, und die 
Nase wie unsmuldig herein, welch ein schönes Oval und wie reizend auf der rechten 
Seite herum bis auf den Hals in Schatten gehalten. Wie reizend schwellen die Brüste 
unter dem othen sittsamen Gewend hervor. 

Welch eine welsche feurige eifrige Frömmigkeit und Wahrheit im Kopf des Hei- 
ligen Frandsenjs, und welch ein schöner knieender Abt! Wie kräf^ ist der Kcmf 
des Heiligen Hieronymus gemahlt und in welchem feyerlichen Em« von Betrach- 
tung! Johannes i^ ein achter wilder Eremit, der sich nicht auf bürgerliche Höflich- 
keiten versteht und dreu^ sagt, was er denkt. Der Kardinal blo^ Porträt voll Be- 
wunderung. Der Engel mit dem Täfelchen i^ herrlich gemahlt, nur wei^ man nicht 
was er soll, weil vergessen worden i^, es drauf zu schreiben. 

Durch den linken Sdienkel der Madonna, und den rechten des Kindes geht ein 
starker Riß, doch schadet es wenig, weil es an den minder bedeutenden Thcilen i^. 
Das Kolorit in den Köpfen i^ täuschend abgewechselt, wie die Natur thut, Ma- 
donna ganz weiblich, voll Ei^findung errötiiend, Francxscxi jugendlich männlich 
schön, Hieronymus kräftiger Greis, der Kardinal trockner etwas beinerner Kopf. 
Engel und Kind in gehöriger Zartheit und Fülle. Die Figuren sind alle in Lebens- 
größe, die Madonna nexh etwas darüber, vermuthlich um sie zugleich dadurch zur 
ersten Person zu erheben. 

Sie schwebt hernieder auf natürlichen grauen Wolken mit Engeln umgeben, vcmi 
denen man die fernen Köpfchen in den Reflexen der Wolkenfarbe sieht/ folglich i^ 
die Glorie ganz begreiflich grau in grau. Die Madonna iit in vollem lebendigen 
Kolorit und wirft einen Glanz um sich wie eine Welt. Unten i^ freyes Feld und 
ein Flecken, wo die Heiligen sich beysammen befinden, und sie anrufen und an- 
beten und in ihrer Betrachtung verloren sind. 

Im Dom. 

Am linken Kreuzgang am Altar linker Seite des mittlern großen Ut ein tondo 
cxler eine tazza, oder Halbbogen von Raphael gemahlt, eine der seltensten Mahle- 
reyen. 

Eine Madonna mit dem kleinen Christus zur linken und dem kleinen Johatmes zur 
rechten, zwey holde nackte Bübchen in schöner Bewegung. Hinter ihr zur rechten 
der heilige Joseph und zur linken der heilige Antonius, und auf beyden Seiten zu 
Ende zwey Jungfrauen vermuthlich Marien. Alle haben knieende Stellungen außer 
den Bübchen. Die drev Weiber haben fürtrefliche Drapperien besonders das Mäd- 
chen zur linken, von der man den linken Fuß sieht, i« ganz woUusterregend und 
göttlich, so zeigt sich das Nackende und die schönen Formen des Unterlabs, der 
vollen Hüften und Schenkel/ das Gewand macht eine ganz natürliche Falte zwi- 

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sdien den Schenkeln und zieht sich im Knieen an. Die jungen Brüstchen schwellen 
reizend unter dem Gürtel hervor. Alle drey Weiber haben rothe Gewänder wie 
leichte Hemder, Die Gesichter sind voll Reiz und Grazie und die Madonna hat 
wirklich etwas sü^es in Blick und Mund, wie vom Correggio und blickt in stiller 
Entzückung nieder. Alle sind vertieft in die Kinder, die auf einander zeigen und 
sich freuen. Der Kopf des heiligen Josephs i^ zugleich meisterhaft gemahlt wie vom 
Tizian neb^ dem herrlichen Ausdruck. Der heilige Antonius allein weicht sehr von 
den andern ab, und i^ mittelmäßig durchaus, als ob er ihn nur weggej2igt hätte, 
um fertig zu werden. Alles andere i^ mit viel Liebe entworfen, und es herrscht 
durchaus die süße stille tiefe Raphaehsche EmpfinduM. Madonna und das naive 
Mädchen zur linken sind äußert reizend drappiert. Das untere i^ nicht von ihm, 
aber dexh von einem seiner Zeitverwandten. Ein Crucifix erscheint einem Heiligen, 
den man vor dem Sarg des heiligen Antonius aus Ungarn nicht sehen kan, wel« 
eher davor steht 

Das Haar der Frauenzimmer i^ blond, schön abwechselnd geflochten und gelegt. 
Madonna allein hat einen Schleyer. 

Beym Cavaliere Gregor). 

Eine kleine Gemähldesammlui» worunter einige sehr gute Stücke sind und ver« 
schiedne Kopien, die man für Originale aus giebt Das wichtigste i^ eine unvolL 
endete Heilige Familie von Raphael/ die zwey Bübchen Christus und Johannes 
sind völlig lütig, und die Hände der Madonna, das übrige i^ zum Theil schon 
angelegt mit Farben, und zum Theil nur gezeichnet Es iit also äußert interessant, 
um die Art zu arbeiten von Raphael zu sehn. Die Bübchen sind fürtrcflich ge- 
zeichnet und gemahlt 

Atalanta und Meleager im Laufen/ von Giulio Romano/ meisterhafte Com- 
position und Ausführung. Vorzüglich sind die zwey laufenden Figuren voll Kraft 
und wahrer Lauferbewegung. 

Hiob blind mit Weib und Kindern vor ihm in einer Landschaft von Castiglione. 
Voll Natur In Gestalt und Kolorit/ ein reizend Bild. 

Ein Eexe Homo von Correggio in seiner ersten Manier, Verschiedne kleine 
Gemählde von Carlo Veneziano. 

Zu S.Niccolo. 

Ein fürtreflich und wohl erhalten uraltes Altarblatt von Alunno. Dieß besteht aus 
einer Menge Gemählden. Das mittlere Hauptgemählde stellt die Geburt Christi 
vor, oben darüber i^ seine Erstehung, unten wie er zum Kreuz geführt wird, und 
darum her die andern Leidensgeschichten. Auf den Seiten S. Sebastian, und andre 
Heiligen. Alles Uf äußert bestirnt, und deßwegm hart/ hat aber viel Natur und 
Wahrheit in Gestalt und Ausdrudc. Für die Gesdiichte der Mahlerey i^ es ein 
wahres Kleinod. 

Bey Claudio Gigli schönes Haus von Nudi. Fürtreflichc Thür und Fenster. 

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Vcrsdiiedne gute Gemählde zu verkaufen. Madonna mit dem Kinde vermuthliA 
von Andrea del Sarto, Christus mit der Samaritanerin von Tizian, Parmeggianino, 
einige fürtreflidie kräftige Porträte wahrscheinlich von Tizism. 

Ihre Gothlschen Kirchen bauen sie mei^ inwendig modern/ so machen sie's jefet 
mit dem Dom, wo sie lächerlich oben ans Gewölbe vor dem mit Stuck und Holz 
nachgemachten Altar von S. Peter geschrieben haben: Magna eit Gloria domus 
Istius novissimae. Agg. II. 7. 

Die Statue des Heiligen Felidanus iit von Holz, das die Würmer schon deutlich 
genug zerfressen haben, und wovon schon deutlich genug verschiedne Stücker ab» 
gesprungen sind, um sie nicht für Thon oder sonit etwas zu halten. 

S. Francesco, S. Dominico, Fraporta gothisch. S. Dominic» sind nur zwey lange 
Wände mit einem Bogen vornen und ein Dach darüber. Zu S. Agostino sind noch 
ein paar gute Gemählde. 

Um 19 Uhr abgereüt. 

Fuligno herrlich von einem Fluß durchfloßen, umgiebt einen großen Theil der Stadt» 
mauern/ heißt Topino. 

Auf der 1 04 Miglie Reste von einem Amphitheater. Am Wege steht eine Auf- 
schrift deßwegen, beym Ort Spello; 

Rudera Amphitheatri Spl. C. Juliae Hispelli Vrbis Fl. Consteintis Municipes M. 
hanc P. Curarunt 1783 V. K. Jun. 

Rerum tempus edax nihil hic durabile gaudet 
Quae cärcum spectas sat monumenta probant 
Man kan die Lage und den Umpfang desselben deutlich sehen. Es stehen einige 
Maulbeerbäume in der Arena, das übrige mit Gras bewachsen. 

Gleich daran eine reiche Villa mit viel Cypressen, und darauf ein ganzer Wald 
von Oelbäumen über eine Miglie. Der Weg geht immer rechter Hand am Gebürg 
fort/ oben i^ der Gipfel kahl, darauf wild Holz und dann Oelbäume, dann Korn» 
land mit Ulmen woran immer der Weinstock seine Ranken hinauf und herum zieht, 
und die Straße eine herrliche gerade Chauss& i^ mit Maulbeerbäumen und hohen 
Eichen eingefaßt. Auf der linken Seite dehnt sich das Thal breit aus, und da üt 
lauter Fruchtland. 

Entsefeliches Gewitter, wo es rund um mich einschlug, sodaß ich in Flammen stand, 
aber ohne Regen, wie meistens die welsche Poesie ohne Empfindung. Ich flüchtete 
mich endlich in das erste Kloster, welches der Heilige Franciscus anlegte, wie die 
Jnschriften am Altäre sagen. Die ersten Mönche waren fa^ edle von Assisi, an 
der Zahl zwölf Viele Mädchen und Weiber und ein Paar Männer vom Felde, 
wo sie Korn gesammelt hatten. In Italien arbeitet m^m über all Sonntags/ es üt 
genug, wenn man seine Messe hört. Das Kloster liegt 2 Miglien von Angeli. 
Abends angelangt zu Angeli. Gut gegessen und getrunken. Padre Penitenziario 
ein Ungar, Organik, gute Haut. Der Padre Marcellino un Porco di S. Francesco/ 
wie Ich ihm alle die Reize von dem Thal di Spoleto erzählt hatte, blieb er ganz 



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still dabcy/ aber wie idi nur das Wort trotte vom Clitumnus nannte, sdimazte er 
in der That wie ein Sdiwein und wurde lebendig, cattera! rief er aus. Wie idi dem 
Layenbruder sagte ho studiato Ic scienze verstund er stuccatore, und sagte; ah 
damit verdient man viel Geld in Italien, das i^ ein gut Handwerk, das geht. 

Den 14 Julius. 

Kirdie la Portiuncula. 

Von herrlicher majestätischer Proportion durchaus. Das Ganze macht einen reinen 
Klang in der Seele wieCdur, oder der Ionische Rythmus / Alles weit und frey und 
voll Raum/ simpel und ungeziert.’ Ein Paar Gemählde von Raphael an Ort und 
Stelle wo sie hingehören, würden ihr gut lassen/ es wäre zu wünschen, dajj die 
schlechten Mahlereyen in den Kapellen weg wären. 

Die ganze Form i« ein Oblongum, wo am Ende die Kuppel in der Mitte sich 
erhebt und das Licht davon herein bricht Hinten i^ der Chor mit rundem Ende 
und drey großen und drey kleinen viereckten Fenstern angefügt und erhebt sich von 
dem Boden mit vier Marmorstufen die mit einem weijjen marmornen Geländer ein- 
gefaßt sind. Er hat gerad nur die Breite des mittlem Schiffs/ und der Baumeister 
hat sich glücklich aus der albernen Form des Kreuzes damit weggestohlen, es scheint 
eins wegen der Kuppel und den nicht zugemauerten Seltenkappdien, i^ aber keins. 
Rechter Seite des Chors i^ ein Privatchor/ und linker die Sakristey. Die Rundung 
am Ende geht aus dem Oblon^m heraus. Die Ordnung durchaus dorisch, und 
die Dreysodifee allein in den Friesen. Die Kuppclpfeiler unterscheiden sich nicht 
von den andern, wie man zur Schande des Baumeisters aus Bemouillis Reisebe- 
schreibung im Steigbügel gemacht glauben sollte. 

Der Tisch des Altars i^ von Marmor, die Einfassung von vergoldetem Holze. 
Das Gemählde desBarexxi i^ in der fünften Kapelle zur rechten vom Eingang an 
gerechnet, das in der ersten Kapelle zur linken i^ so elend wie die andern, Herr 
Bemouilli hat sich versehen. Das Häuschen des Heiligen Franciscus, worin er seinen 
Orden erdacht, steht gerad unter der Kuppel und macht einen herrlichen Effect mit 
seiner Aermlichkeit und seinen bäurischen Mauern/ er soll sichs mit eignen Händen 
gebaut haben, vermuthlich also auf der Stelle selb^z denn man begreift son^ nicht 
wie es hergekommen. Die Fassade und Außers entspricht dem Jnnwendigen. Ich 
weiß nicht, was Bemoulli sich für ein Ideal von Breite und Höhe gemacht hat, ich 
finde sie sehr zusammen passend. Vorn gehn drey Thüren herein, die mittlere iil 
größer, alle viercckt. Das Schiff i^ oben sair und simpel eingefaßt nicht mit dem 
schweren albernen Pomp der Römischen Kirchenfassaclen. E)ü G anze Tempel 
stimmt zur Reinheit und Demuth/ und i^ gewiß einer der schönsten. Es fehlt frey- 
lich noch viel zur Größe der Peters Kirche. Seine Län^e beträgt mit samt dem 
Chor meiner Schritte kaum 150 und Sankt Peter macht mit der Vorhalle ihrer 300. 
Selb^ S. Giustina in Padua i^ grö^. 

Hex: tcmplum fundatum fuit die Martii A. D. M. D. LXDC. 

Er i^ hundert Schritte Ifing, und achtzig breit ohne den Chor. Der Kuppelgang 

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etwas breiter ab die andern Kapellen. Das SdiilF i^ 26 Sdiritte breit die Neben» 

f ange 1 3. Der Chor hat 50 von der Ki^pel. 

)as Häuschen des Heiligen Franciscus dient statt des Hauptaltars, und darin wird 
immer Messe gelesen. Den Hauptaltar kann man auch davor nicht sehen. Dazu 
kemn aber der Baumeister nicht. An jedem Pfeiler iit ein Beichtstul, alle von ver» 
schiednen Sprachen, ausgenommen linker Hand vom Eingang steht am mittlem die 
Kanzel. Lieber der mittlem wo^en Thür i^ eine Vinghiera, um dem Volk den 
Seegen zu geben. Jede KappcTle i^ mit einem viereckten Fenster und zwey kleinen 
runden erleuchtet. Das grope Schiff rechter Hand mit einem eisernen Geländer ein» 
gefaDt. Der Hauptaltar vor dem Chor macht gleichs2im eine besondre Kirche. 

Die kleinem Pfeiler in der Kuppel oben sind korinthbeh. Hs sind ihrer sechszehn, 
zwbchen jedem Fenster zwey gekuppelt. 

Das Stück von Barexrio i^ manieriert wie seine andern, affectierte Grazie ohne 
Natur/ so steht Maria da mit einem südlichen Köpfchen und kniet der Engel mit 
einem Bein. Doch bt diel) das beste. In der Sakristey stehen noch einige Gemählde, 
wovon ein paar gut sind, von denen sie eins nehmlich einen Chrbtus so gar für 
einen Raphael ausgeben. Das Kloster i^ herrlich angelegt. Zwey Refectoria un» 
geheuer groj), und eine schöne Küche dazwbchen. 

Assbi. Liegt äußert angenehm auf einem runden Hügel, und übersieht das ganze 
fruchtbare L^d. Man geht dahin durch eine schöne Maulbeerbaumallee. Die Stadt 
ist sehr still und voll Brunnen schier wie Rom, worunter einige von sehr guter Ar- 
chitektur sind. Die Kirche al sagro Convento i^ das wichtigste was man hier zu 
sehen hat/ ein herrliches gothisches Gebäude neb^ dem Kloster. Die Kirche macht 
ein Kreuz aus/ vier Bo^ bb zur Mitte, und der Kreuzgang hat 3 Bogen, und 
einen der runde Chor. Es sind zwey Kirchen über einander und nicht drw wie 
Volkmann irgendwo abgeschrieben hat. Die Suterranien, wo der Heilige Fran» 
ctsco begraben liegen soll, machen keine Kirche aus, und liegen unter dem Haupt- 
altar/ Nemand komt und darf dahin. Das Gebäude i^ erstaunlich feit, mit zwölf 
torrioni umgeben, die es mit ihren dicken Mauren halten. Die Gewölbe sind mebter» 
lieh gemacht. Der Chor ^eht hinten rund aus. Es i^ eins der schönsten gothischen 
Gebäude. Die untere Kirche bt dunkel, und schickt sich treflich für severe Gottes- 
dienste/ die obere bt licht und hell. Das Kloster i^ sehr weidäuftig und hat Sub» 
structionen, die mebtens von Sixt dem vierten mit erstaunlichen Kc»ten aufgeführt 
s’md. In der Kirche sind viel Gemählde von den ersten Wiedcrherstellem der MeWerey, 
sie sind aber stark verloschen und verdorben. Von der Terrasse des Klosters be- 
sonders vor dem Refeciorio hat man eine herrliche Aussicht, und übersieht das 
ganze fruchtbare Land. S. Francisco hat sich nicht übel mit seinen ersten Mönchen 
quartiert/ hier i^ alles voll Klöster imd die andern armen Schelme gehen wbklich 
wie geprellte Coglioni herum und müssen arbeiten, in de^ die Pfaffen sich ihre Kutte 
kü^en la^n, und Wohlleben und schmaul)en. 

La Minerva i^ in der That ein schöner cxinservierter Ueberbleibscl von dem alten 
Römbchen Leben. Es sind sechs gestreifte Colonnen, mit dem ganzen Gebälk, alles 

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wohl erhalten. Die Säulen sind von hiesigem Travertin oder wenn man so will, 
Tufstein. Nicht weit davon sind auf dem Markt einige antike Jnschrilten, die aber 
wenig bedeuten. 

Der Baumeister der Portiuncula heißt Galeazzo di Perugia, Viraola aber hat seinen 
Plan ausgebessert. Der Brunnen sind 26 von außen. Die Kirche macht ein Ob« 
longum, man kan von außen den Plan am besten sehen. Der Chor geht heraus von 
dem Oblon^m so weit er rund i^. Neben der Kuppel steht rechts ein Thurm, der 
linke i^ nicht au^eführt An der Passade sind alle Gänge von innen zu sehen. 
Das mittlere große Schiff, die zwey Gänge neben, und der kleinere Abschnitt zu 
den Kapellen/ jeder Raum hat seine Pil^ter. Und das Schiff oben i^ mit vier 
andern bezeichnet. Die Kuppel i^ mit Bley gedeckt. 

Die Porci di S. Francesco merkten endlich, cTaß ich nicht ihres Gelichters war, und 
suchten mich geschwind los zu werden, aber es half ihnen nichts/ es kam ein Ge- 
witter mit lauter Wolkenbrüchen von Regen, und ich blieb solange bis dieser vor- 
bey war/ doch spei^ ich nicht bey ihnen sondern in einer osteria zu Assisi für 
6 Bajcxxhi. Der Pater Penitenziario Haiti führte eine herrliche blecherne Schachtel mit 
dem feinsten Zucker und Mexxabohnen bey sich,- die Tasse Kaffee die ich davon 
trank bekam mir herrlich. S. Francesco hat schlechte Heiligkeit bey mir erregt,- 
denn mir träumte bey seinem Heiligthum von einem verführerischen Mädchen und 
ich hatte eine Herkulische Pollution. Um 19 Uhr abgereiit, ohne Abschied zu 
nehmen, weil der Pater Marcellino und der Penitenziario Hakl im Chor weiren. 
Entsefeliche Ueberschwemmun^ beyBastiawo ich mich durch drey reißende Wetter- 
bäche tragen lassen mußte. Hm sdion alter Kerl nahm mich samt meinem schweren 
Felleisen auf sich, und trug mich mit änem starken Stab versehen, wie ein großer 
Christophol leicht durch. Man kan von diesem Pröbchen auf die alten Römischen 
Legionen schließen. 

Das Thal dauert immer fort, bis an die Tyber, die reißend in rauschenden Fluthen 
vor und unter der Brücke S. Giovanni vorbey schoß. Auf den Anhöhen von Pe- 
rugia übersieht man noch einmal das reizende Thal von Spoleto, und Valdichiana, 
und die kleinen schönen Thäler daran selb^. Wenn man in die Stadt tritt, merkt 
man gleich die Ueberbleibsel von einem freyen Volke, das in herrlichem Wohlleben 
stand/ aber man sieht nichts neues großes und schönes, alles aus vergangnen Zeiten. 
Dexh sieht das Volk sehr munter und mufflig aus, und hat etwas heroisches. 

Ausgaben. 

Zu Spoleto Paoli noch ein Mückenstich 
Zu Fuli^o 9' , Paoli mit den Trinkgeldern 
Zu Assisi I ' , Paoli m it Trinkgeld 
28 Migüen. 14 Paoli. 

1 20 Miglien von Rom in allem. 



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Den 15 Julius. 

S. Francesco. Johannes mit vier Heiligen um ihn. Die zwey Figuren neben dem 
Johannes sind die besten. Der Held zur linken i^ ganz wie Äldbiades in der 
Schule von Athen, nur hat sein Ausdruck im Gesicht weit mehr Süßigkeit und 
Zärtlichkeit der Hmpfindung, und die ganze Gestalt i^ reiner und edler/ Hin gött» 
lieber Kopf i^ es, mit den begeistert gen Himmel blickenden Au^en. 
Auferstehung. Die besten Köpfe und Figuren sind unten die vier Schaarwächter. 
Raphael sifet unten in der linken Ecke als ein Schweizer gekleidet und hat den Kopf 
auf dem rechten Arm liegen und schläft/ noch die zwey andern schlafen und Peter 
Perugino hält oben rechts den Degen in der Hand, und zieht aus. Zwey Engelchen 
beten an,- in dem zur linken sieht mem schon die Raphaelische Grazie. Am besten 
gemahlt i^ der Wächter in der rechten Ecke. Christus hat einen einfältigen Cha- 
rakter. 

Nella Capella degli Oddi. Eins von den ersten Gemählden Raphaels, aber von 
unendlichem Werft», und ein göttlicher Inbegriff einer Menge jugendlicher Gestalten 
die in seiner Seele aufblühten. 

Das Ganze stellt vor die Himmelfahrt Mariä,- oben empfängt sie der Heiland mit 
Engeln die Musik machen und krönt sie/ und unten stdin die zwölf Apostel an 
ihrem offnen Grabe. Und in drey Gemähldchen unten i^ er^ der englisdie Grup, 
alsdenn die Anbetung der Heiligen drey Könige und dann die Beschneidung. 
Alles i^ ein wahrerSdiafe von Gestalten und Schönheiten, die entzückend^enBlüthen 
eines himmlischen Geistes. Welche Heiligkeit im Kopfe der Madonna und zugleich 
Gefühl von Seeligkeit, welch ein Reiz in einigen Engelsgestalten, besonders der mit 
dem Tvmpanon! Aber das interessanteste sind dexh die zwölf Apostel. Welche 
Charakter Paulus, Petrus und Johannes! Paulus hat viel von seinem Aristoteles, 
Johannes von dem aufblickenden Jüngling beymBramante in der Schule von Athen. 
Wie wahr und lebendig sind die Gestalten aus seiner Seele hervorgegangen. 

Die drey kleinen Gemähldchen unten sind äufer^ interessant. Der Engel erscheint 
der Madonna in einem prächtigen Korinthischen Tempel, sie betet, und blickt mit 
Majestät vor sich hin, ohne ihn anzusehn/ in einem Landschäftchen in der Mitte 
zeigt sich Gott ckr Vater, und der Heilige Gei^ als Taube. 

In der Anbetung der Heilig drey Könige sind eine Menge Figuren, worunter 
einige voll Ausdruck mit Erstaunen. Die Hütte in zerfallenen Ruinen und das 
Landschäftchen üt voll Naivetät. 

Die Beschneidung i^ das beste unter den kleinen. Eün Jonischer Tempel. Diezwey 
Priester, fürtreflich, herrliche Köpfe voll Charakter und Ausdruck/ und die Seiten 
Figuren treflich gefühlt und gedacht. Die Arabesken, wenn man sie so nennen kan, 
denn sie bestehen aus blo^n Linienzügen, theilen sie reizend ab. 

Der Kopf neben dem Petrus, die neben Paulus ganz göttlich. Das Ganze i^ auf 
Holz, und wohl erhalten bis auf einige Sprüt^e, wo der Gips auf dem Grunde 
besonders in der Figur rechts am Ende zum Vorschein körnt. 



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Abnehmung vom Kreuz im Dom von Barocci. 

Man ktm nicnts weiter davon s^en, als da(i es viel Grazie in der Farbe und eine 
äußert leichte und angenehme Manier hat. An Gestalt und Charakter iit gar 
nicnt zu denken. Welch ein Johannes, welch ein Christus, welche Madonna, welche 
Marien! Doch sind die le&tem ncxh die besten. Man kann wirklich weiter nichts 
davon sagen, als er mahlt eine schöne, so wie man von einem sagt, er schreibt eine 
schöne HancL Viel Fertigkeit übrigens in Kolorit und Zeichnung, wo immer noch 
Wahrheit steckt statt d^ bey den Neapolitanern wenig oder nichts iü. 

S. Pietro. In der Sakristey eine heiligeFlavia über einer Thür mit z andern, ganz 
himmlisch schöner Kopf in der Jdee, woraus hernach die heilige Katharina zu Bor- 



ghese kam. 

Noch sind drey kleine Con^sitionen von Pietro Perugino da von fleißiger Aus- 
führung mit viel schönen Figuren und Köpfen, die Anbetung der drey Könige, 
Taufe und Auferstehung. Und daneben zwey schöne Figürchen. 

In der Himmelfahrt Chnsti von Peter Perugino ül gewiß verschiedenes vom Ra- 
phael/ wenigstens hab ich nie etwas von Pietro Perugino gesehen, wie seine Ma- 
donna hier i^, zwischen Petrus und Paulus/ ein ganz göttliches Köpfchen voll 
himmlischer Schönheit Schöne gen Himmel gewandte Augen, süße röthliche Wan- 
gen und süßer Mund, reizendes Haar, herrlich gezeichneter Hals, und gute Drap- 
perie. Es i« eine königliche Figur und sie hält sich gewiß neben jeder Mahlerey. 
Schöne Füßchen, und das Gewand golden gesäumt Unter den Aposteln sind noch 
herrliche Köpfe, als Petrus und Paulus, und Johannes und andre, doch haben die 
des Raphael zu S. Francesc» schcjn mehr Naturleben und innigere Einheit reiner 
himmlischer Empfindung, weit mehr Seelenschönheit. Auch je mehr man die Ma- 
donna ansieht merkt man endlich doch daß sie nicht von Raphael i^, es fehlt ihr 
die unaussprechliche geistige edle Schönheitsform, die dieser hohe Sterbliche allein 
besessen zu haben scheint Die ganze obere Glorie i^ steif und geradlinicht Auch 
haben die jugendlichen Gesichter unter den Aposteln mei^ einerley Physiognomie/ 
und sind also bloße Manier. Die Madonna allein i^ das schönste und bleibt sein 
Triumph/ die Hände sind auch nicht gut zusammen gelegt 
In den drey Stücken von Vasari üt wirklich ein wadcrer Styl und viel Wahr- 
heit der Ausführung/ aber es fehlt der Gei^, er hatte keine schöpferische Phantasie 
von Gestalten, uncl alles iit nur ein leeres Großthuen, ohne claß etwas dahinter 
steckt Eine Menge schöner alter Larven, die platterdings nichts sagen und be- 
deuten. 

Peter Perugino war auf der Spur, aber er hat nicht durch gekonnt/ er hat das 
Land der Schönheit voll lebendiger Gestalten nur geahndet Raphael herrschte 
darin wie König/ jener hat ihm den Weg geräumt und Fertigkeit beygebracht 



Raphael bey den Nonnen zu Monte Luce. 

Himmelfahrt und Krönung der Maria. Die Jünger, zwölf Apostel finden den Sarg 
voll Blumen, Nelken und Jasminen, während sie oben ihr Sohn mit Engeln cm- 



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pfängt und krönt. Es wunderbar, da Raphael die Ajxjstel so oft gemacht hat, 
daß er ihnen immer andre Gesichter gab, und doch so treffende, daß sic immer 
passen. Es i^ wahr, die Krönung der Maria zu S. Francesc», diese, bleibenVor» 
Übungen zu seiner Verklärung, wo alles großer göttlicher Charakter, Handlung und 
Leben i^: allein welche reine himmlische Gestalten immer schon auch hier! 
Madonna i^ eine der frischesten weiblichen Gestalten voll Matronenreiz und edlem 
Em^ und heißer wunderbarer Empfindungen der Seeligkeit, nexh im Taumel neuer 
Gefühle wie vom Erwachen. Nicht Mädoien, eibcr Weib so frisch und blühend 
wie eine Jungfrau, alles groß und herrlich schön. Sie faltet die Hände kreuzweis an 
die Brüste, und blickt durchaus gerührt mit entzücktem Aug auf ihren Sohn. Ihr 
Gesicht i^ im Profil gehalten, man sieht ganz die rechte Seite und vom linken Aug 
nur den heißen Blick, Große schwarze Augen, weit aufgeblickt mit vielem Weiß, 
und ein zarter schwarzer Bogen Augenbrane, und Kasteinienhaar unter dem lan» 
gen grünen Schleyer, der sich hinter dem rechten Ohr hinab zieht. Die Wange und 
das Kinn sind rundlich und völliglich. Der Kopf macht ein länglicht Oval und i^ 
fürtreflich gemahlt. 

Christus sieht recht wie ein Sonnenverbrannter Enthusia^ aus Kalabrien aus, in 
seinem starken Bart um die Kinnbacken, und derbem rechten aufgehobnen Arm. 
Der E^el mit aufgehobner Rechten voll Blumen an ihm hat einen Kopf voll himm« 
lischer Schönheit recht sonniglich wollüstig, es scheint ihm überall Glanz aus sei- 
nem Gesicht hervorzubrechen. 

Unter den Aposteln sind fürtrefliche Köpfe und Figuren, besonders Petrus und ein 
linderer im Vordergründe/ welch meisterhaft gezeichnete und gemahlte Hände hat 
besonders der lefetre! Welche reizende schöne Jungen sind ehe zwey unbärtigen 
rechts, und welche edle feurige durcherfahme Mtonergötalten die zwey obersten 
hintersten ebenfalls rechts, und wie kernhaft gemahlt! Das nackte Engelchen im der 
Madonna i^ ein Meisterstück von treflich gemahltem Nackenden und ein reizender 
Bube. Die Wolke erhebt sich dicht und stark wie ein Wunder, schwarz unten, weiß 
oben,- darunter herein Landschäftchen mit Hügel und Burg zur Rechten, und zur 
Linken mit einem Wasserfall. 

Er muß dieß Stück schon zu seiner besten Zeit gemahlt haben/ denn von der zu- 
sammengeregten Manier des Peter Perugino i^ nichts mehr zu sehen sondern alles 
lebt groß und frey. 

Oben i^ ein dichter Duft von gelbem Himmelsglanz wie ein gelblichtes Feuer, und 
der Heilige Gei^ schwebt zu ober^ als Taube darinnen. Die vordem Figuren sind 

S t in Lebensgröße. Alles i^ voll natürlicher Bewegung der Bewunderung mit 
änden und Gesichtem, doch nicht zu stark für Apostel, denen so etwas nicht 
allzuaußerordentlich Vorkommen mußte. Das Ganze i^ sehr wohl erhalten. Der 
Auffahrt könnte man etwas mehr Schwebung und Leichtigkeit wünschen/ allein 
auch das Gemache trägt zur Majestät der Handlung bey. Raphael hatte eine sehr 
reine klare Empfindung die ihn minder fehlen ließ als cler stärkste Verstand. 

Die Kirche i^ ein hell« niedliches Oblongum mit sechs Seitenaltären und einer 

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Orgel und einem Qior/ und wohl beleuchtet, ob sie gleich nur Licht von zwey 
Fenstern hat einem vorn in der Mitte oben und einem rechts vom Hauptaltar, wo 
der Raphael in einem prächtigen goidnen Rahmen hängt. Je länger man den Chri> 
stus betrachtet, je mehr findet man etwas übernatürlich göttliches, das sich nur gütig 
herablä^t. Das Demüthige der Madonna stimmt einen nach und nach dazu vor 
ihm. Es i^ etwas erstaunlich mächtiges und gebietrisches in seinem Wesen, das 
mehr im Ausdruck liegt als der Physiomomie. Es i^ eine wunderbare Severität 
und Güte mit einander vereinbart, jch habe noch nichts gesehn, was den Eindruck 
auf die Dauer immer tiefer und tiefer auf mich gemacht hätte. Je mehr man nach« 
denkt und fühlt und Gestalt nach geht, desto wahrer findet man diesen Christus- 
kopf. So i^ es mir noch bey keinem ergangen. Der Kopf i^ der nähmliche der 
Physiognomie nach, wie in der Verklärung, hat aber unendlich mehr Feuer und 
Wahrheit im Kolorit. Je mehr ich diel) Gemählde ansehc, desto mehr entzückts 
mich und ich kan nicht davon wegkommen/ ich möchte Tage lang mit Wonne dar- 
an hangen. Hoher göttlicher Jüngling der du war^ Raphael! Empfange Unsterb- 
licher hier meine heißeste aufrichtigste Bewunderung und nim gütig meinen zärt- 
lichen Dank auf! Es iü das höchste, was die Mahlerey aufzuzeigen hat, diese 
Mutter und dieser Sohn, ich kan mich nicht von der Herz- und Sinn ergreifenden 
Wahrheit und Hoheit wegwenden, das untere i^ alles schwach dagegen und wie 
sterblich Fleisch. Die Anordnung iit reizend. Madonna in der Mtte zur rechten, 
Christus zu ihrer Lmken, an beyden ein Jüngling von Engel bekleidet, unter diesen 
bey jedem ein nackend Bübchen und oboi der heilige Geüt. Alles im kräftigsten 
Tizianischen Kolorit gehalten. Christus i^ so im Profil zur Linken, wie sie zur 
Rechten/ die zwey großen Engel ganz/ die kleinern wie die Madonna und Chri- 
stus. Diese zwey Figuren sind ganz wunderbar groß gedacht, in der Thaf pinda- 
rlsche Grazie und sein Schwung der Phantasie bis auf die Drapperie. Wie mächtige 
Falten wirft Christus Unter und Obergewand I welch ein Arm sein aufgehobner 
rechter mit dem Aermel! wie meisterlich gezeichnet und gemahlt, und welchen Effect 
macht er in der ganzen Gruppierung! Und wie zeigt sich mode^ das Nackende 
rtn der Mutter und fällt besonders leicht und reizencT das blaue Obergewand! 
Bey Conte degli Oddi war alles in Unordnung/ doch hab ich noch gesehen, 
zwey von den drey kleinen Raphaelen unter der Krönung der Maria zu S. Fran- 
cesc». Raphael machte sie zur Probe vorher alle drey, um die Arbeit zu be- 
kommen/ denn die Kapelle gehört der Familie/ die Ankündigung i^ verloren ge- 
gangen. Sie sind geraci ehesten/ nur däucht mich iil in denen der Kirche noch 
mehr Kraft. 

Ein fürtreflicher Kopf von Correggio, ohne Zweifel OrigineJ. Und eine Kopie 
von eben demselben, sehr alt, und so gut, daß man leicht damit könnte angeführt 
werden. 

Ein tcxlter Christus am Kreuze/ eine herrliche 2Leichnung von M. Angelo. 

Eine heilige Familie und eine Heilige, furtreflich und wohl erhalten von Andrea 
del Sarto. 



■J« 



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Ein sAönes Bild mit vcrsdiiedncn Figuren von Parmeggianino. 

Eine RömisAe Charitas von Guido, 

Verschiedne Stücke von Guereäno, worunter ein büßender David fürtrcfliA. Eine 
Menge Mahlereyen war noch niAt ausgepaAt, weil sic vor kurzem vom Kastell 
waren henmtergebraAt worden. 

Ballonspiel auf öffentlicher Str^ vor dem Kastell. Abends gespeißt mit zweyen 
von Orvieto. Aus Orvieto wird jährliA für 40 tausend ScuA wein ausgeführt 
und eben so viel nehmliA für ^ tausend ScuA verkaufen sie Hanf. Sie maAen 
noA außer dem gewöhnliAen weine Vino Grccx> von uva passa. 

VerzArt und ausgegeben zu Perugia etwa 16 Paul. 

Abgerci^ den 16. Julius. Früh um 8 Uhr welsch. 

UnangoiAmer Abstieg von Peregia hinter der Fortezza, Alsdenn ein Thal bis 
naA Toiricella zehn Miglien lang fruAtbar, aber niAt so reizend und sAön wie 
Ae vorhergehenden. Verschiedne Hügel unterwegs mit allen Schlößcm. Der See 
von Perugia hat 60 Miglien im Umpi^g. Bis an das Dorf Passimano gAt man 
immer an niedren Hügem hin, die von der See hundert und zuweilm zweyhundert 
Schritt abstehen, und der Raum i^ mit herrliAen alten Oelbäumen, Ulmen mit 
RAen, hohen EiAen und Cypreßen bepflanzt, und unten wäA^ meistens Hanf. 
Die See giAt gegen Toricella oder naA Perugia zu einen mAlerisAen AnbliA/ 
und in der Länge verliert sie siA in den Horizont. Bey Passignano rüAt der Berg 
immer näher an die See, und es bleibt kurz davor nur gerad so viel Plafe, daß ein 
Wagen passieren kann. Hierher triA Hannibal naA der Niederlage einige Meilen 
in einer weiten Ebne, etwa ein paar Miglien, die Römer wiemanFisAc in ein 
Nefe treibt. Diese große GesAichte, Ae so erstaunliAe Folgen hätte haben kön» 
nen, maAt die Gegend äußert interessant/ und naA Passignano wird sie überaus 
fruAtbar und lebendig: die vielen tausende ErsAlagene düngen vermuAliA noA 
das Feld, und iA habe mit meiner foglietta Wein nella casa del piano wAr» 
sAeinli A miA noA mit altem Römergrimm, der ins Graß biß, gestärkt. Die Wörter 
Ossaja und Ae BrüAcSanguinetto Klingen ganz homerisA bty einem frisAenZug 
in heißer Hifee. Hier trank lA wieder vino crudo/ denn von Spoleto an bis hiAer 
trinkt man lauter gAoAten, weil dieser siA besser hält/ wenn man siA keinen 
fremden gAen läßt, der Aer natürliA theurer i^. 

SiA größCT mäAtiger zu maAen, das iü der TriA des MensAen und Acr Ge» 
sAöpfe, bey denen Ae angebohme Kraft niAt durA das SAicksal zurüAgepreßt 
und verdumpft i^. So handeln einzelne MensAen, so Völker. Der Philosoph sucht 
seinen Verstand zu erweitern, weil der MensA hauptsächliA und eigenÜiA Aein 
viel durA Verstand über andre MensAen und Aes herrsAtT 
Apoll unter den SAäfem giebt ein herrliA Drama/ man muß es Aer zweckmäßig 
für die PrinzAcn und BarönAen einriAtcn. 

Hannibal zog ohnfehlbar durA das Valdichiana. Die Römer wollten ihn niAt 
weiter laßen, es kam zur SchlaAt und er s Alug sie. Der Ort iü ohne Zweifel an 



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der Sec gewesen bey Ossaja, weil da die PIfine am bequemsten für zwey große 
Armeen i^. E)ie Römer flüditeten alsdenn über den Berg beySpelonca, und Han* 
nibals Reuterey seMc ihnen nach, und da gabs ein zweytes Blutbad, bis er eine 
große Menge unten beyPassignano im Saci hatte. Daß kurz vorPassignano bey 
Sanguinetto die Hauptschlacht gewesen i^ nicht wahrscheinlich, denn die Felder 
waren gewiß auf ähnliche Weise wie jefet bestelltT 

Cortona liegt herrlich, und hat die Uebcrsicht von dem ganzen herrlichen Valdi* 
chiana, bis an den See und darauf. So ists leicht zu begreifen, daß es der Haupt* 
ort bey den Hetruskern war. Jett noch üt der Adel sehr stark, und bey vier* 
tausend Seelen sind allein 39 Maltheser Rittär 

Den 17 Julius. 

Schöner öffendicher Palla^ des Gre^herzogs mit vielen W^pen zum Andenken 
berühmter Kortemer behängt. Drcy Stock h^ aus Lava mit drey Thören in Ru* 
stik, so wie auch die Fenster- 

Palla^ Alticx)zzi schöne Rustik unten und durchaus von schöner Bauart!* 

Lieber dem Thor zum Markte steht das Brusd>ild Peters von Cortona aus weißem 
Marmor mit Lava eingefaßt und darunter die Au&chrift Ec^uiti Petro Berretino 
Domo Cortona pictOn et architecto praestantissimo Academiej Etrusci Nerio 
Cardinali CortinoLucnimone curante Monumentum Pubblice posuerunt ann. salutis 
175 z. Mittelmäßig gearbeitet, doch zeigts immer die Gestalt deutlich von unten. 
Maria nuova vor der Stadt Man sieht hier die Gegend um Kortona von der 
andern Seite. Eine schöne Kirche, die drey gute und wohlerhaltene Gemählde hat 
Die Geburt der Maria von Allessandro Bronzino hat schöne weibliche Figuren/ 
besonders welche das Kind in Armen trägt im Profil iü treflich gemahlt wie auch 
die heilige Anna, welche die Hände wäscht Ein schönes Bild. 

Palazzo Tomasi. Rustik nicht besonders. Die Gallerie besteht aus vier kleinen 
Zimmern Gemählden, die etwa in allem hundert Stück aus machen m^en. 
Es i^ kein einzig Kapitalstück darunter, fail alles mittelm^g Zeue und Ko* 
pien. Einen Johannes den man für Raphael ausgiebt mit einer Glorie oben, könnte 
es doch vielleicht aus seiner ersten seyn/ es bleibt aber nichts desto weniger 
mittelmäßig. Von Peter von Ccjrtona sind einige ßute Stücke da, besonders eine 
Skifee der Sturz des Zaubrers, Und noch ein paar Köpfe auf Papier gemahlt das auf 
Holz gezogen i^, wovon der eine vom Corre^o scheint und vdaleicht i^ es auch der 
andre. Es üt leicht we»epinselt ganz in semer Art Von Guido und Giorgione 
sind noch etliche Stücke da/ aber kein einzig vorzügliches i^ in der ganzen Samlung. 

Zu S. Francesco. Die Verkündigimg von Peter von Kortona hat viel Feuer 
in Gedanken und der Auslührun^ nur verderbt das papierne Gewand des Eißels. 
Der heilige Antonius, der ein Maulthier keinen Haber fressen macht von Civosi 
i^ ein braves Bild die zwey Hauptpersonen sind treflich gemahlt* 

Zu S. Croce. Eine schöne Heilige Magdalena aus der florentinischen Schule/ tref* 
lieh gemahlt und wohl erhalten / nw^ nom ein paar andern guten aus dieser Schule. 



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S. Margarefha liegt faiJ am hödisten Thcil der Stadt und man geni^t hier der 
ganzen nerrlidien Aussicht, sieht den trasimenischen See, das ganze Valdichiana. 
Die Kirche i^ von Peperinsteinen aufgeführt, so wie die meisten Gebäude/ in tos» 
kanischer Ordnung, der Porticus mit vier Säulen. 

Das Hauptgemählde der Kirche yt an der zweyten Kapelle rechter Hand vcMn 
Haupteingang/ in der That ein fürtreflich Stück und das schönste von Kortona, 
Das Ganze stellt eine Madonna vor die allcrley Thiere und Gestalten der Hölle 
unter ihren Fü^n hat in der Luft schwebend von Wolken getragen, in göttlichem 
Glanz neigt sich zu ihr Gott der Vater mit einem absurden s^lichen Gesichte, das 
viel verderbt. Unten stehen vier Heiligen und beten sie an S. DominKUS, S. Fran» 
crescus, S. Ludovicus, und die heilige Margaretha, und neben dieser ein reizender 
Engel mit blondem Köpfchen, welmcr eine Tafel in der Hand hält, worauf ge* 
schrieben steht Ab cM-igmali praeservata. Neben diesem ein paar gebundene naoCte 
Figuren im Schatten, nur vom Oberleib zu sehen. Die Madonna hat ein reizend 
göttlich Köpfchen voll Naturgestalt, und Süßigkeit und Heiligkeit Der Heilige 
Dominicus hält den Heiligen Francesex) umfaßt, und der Heilige Ludovicus 
kniet und i^ fürtreflich samt seinem Gewand gemahlt/ die Heilige MargareÖia 
macht mit ihrem Alter und ihrem Charakter und Nonnenhabit einen schönen Kon* 
traü. Kurz, es Üt ein Meisterstück, alle Köpfe sind vortreflich von Gestalt und 
Ausdruck, bis auf Gott den Vater, wenn dieser weggemahlt wäre, so wär es in 
seiner Art ein klaßisch Werk. Ich habe es m'cht genug ansehen können. Unser Herr 
Gott i^ gerad mit einem Gesicht gemacht, als ob er die Madonna gnädig vögeln 
wollte/ und sie schaut ihn an, wie eine Cirkaßerin einen alten Sultan mit Demuth 
und göttlich lieblichen Augen. Madonna, S. Ludovico und der Engel sind die drey 
besten Figuren/ wem derEngel gehört ob demBarcxxäo cjdcrVanni muß die Ge* 
schichte zeigen. 

Die Heilige Katharina gegenüber von Barcxx:io hat viel gelitten. Die Heilige hat 
einen reizenden Kopf, in einem schönen sinnreichen Akt. Die Menge Eneels* 
köpfchen oben sind meistens übrig und wollen nicht viel sagen. DerKcmfderHei* 
ligen iü von seinem gewöhnlichen Schlag, aber äußert reizend hier. Sie hält ihn 
ein wenig auf die linke Seite und blickt gen Himmel, und hat in der linken einen 
Palmzweig. 

Am ersten Altar rechter HancL 

Madonna in einer Glorie, mit Johannes dem Täufer, S. Francesco, und der Hei* 
ligen Margrethe. Von Vanni. Schöne Köpfe, und das Nackende am Johannes 
treflich gemahlt. Verrauthlich dem Bruder des Francescx>. 

Jm Chor über der Thür sieht man eine Abnehmung vom Kreuz von Signorelli/ 
eins seiner besten Stöcke. Sehr brav gemahlt für die Zeit hat aber keinen Aus* 
druck. Ein großes wohlerhaltnes Bild von viel Figuren, mit guten Köpfen. 

Wenn die Heilige wirklich so ausgesehen hat, wie sie am Altäre todt abgemahlt 
i^, so war sic eine abscheulige häßliche Heilige. Welch eine Oberlippe! und Nase! 
Eine lieblichere FreundlichKcit kann man nicht sehen, als das Bübchen hat/ und 

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reizend es durdiaus gemahlt besonders noch die blonden Löchchen. Und eben 
so treflich i^ der Kopf der Madonna, und der Heilige Ludovicus, der sie ganz 
froh und from betrachtet Und eben so schön i^ der Kopf der Heiligen Marga» 
retha, und ihr Gewand thut treflich. Das Ganze hat eine ganz wollüstige Harmonie. 
Gleich an der Kirche liegt che FestuM auf dem höchsten Theil des Bergs. Sie i^ 
klein und wenig größer ^ ein Palla^ 

Im Dom, einer soiönen Kirche mit vielen Säulen, i^ ein schönes Stück von Pietro 
da Cortona, die Geburt Christi/ noch nicht völlig fertig. Ueber der Thür unter den 
zwey Fenstern und hinten im Chor hängen zusammen vier Stücke, die Kopien von 
ganz furtreflichen Gemählden sind/ sie sind voll der herrlichsten Köpfe, besonders 
wo Thomas Chrbtus die Finger in die Seite legt 

Al Giesü Gegenüber sind sehr ausgeführte Stücke von Signorelli, im Abendmal 
viel gutes. Die Andrea Sartb haben viel gelitten. 

Den 17. Julius. Basrelief antikes im Dom. Stellt deutlich genug Amazonen und 
Centauren und andere KricKr zu Fu^ vor. Unten liegen einige erschlagene. Zwey 
Amazonen zu Pferd sind smier unversehrt und von sehr gutem Styl, und so der 
Centaur, und die Krieger zu Fuß. Das Stück i^ aus der guten griechischen Zeit 
Nachmißags um 2 Uhr französbeh abgerei^. Castiglione liegt sehr schön auf einem 
Berg, man muß sehr hexh hinan steigen. Herrlicher Wein, die Frau erinnerte sich 
aller Antiken von Rom sehr deutlich, besonders des Fechters und des Hermaphro* 
diten in der Villa Borghese. 

Abencb angelangt zu Arezzo. Arezzo liegt in einer runden Ebne, etwa drey 
Miglien im Diameter, auf einem Hügel, und gleich daran gegen Morgen und als« 
denn herum in der Runde erheben sich Hügel und ferne Berge. Am Pflaster allein 
erkennt man noch dessen alte Herrlichkeit, und sieht, daß es einmal mächt^ und 
blühend herrschte. Die Loggia della Confratemita bt schön, samt dem Markt mit 
den Brunnen. Die Kirche A la Pieve hat eine wunderliche Fassade, die einen 
schlechten gothbehen Effect macht Son^ sind einige Häuser von guter Architekt 
tur/ innwendig gewölbt Die Straßen haben ordentliche Feken zu Pflastersteinen, 
besonders bey der Kirche la Pieve. 

Den i8 Julius. 

Früh abgerei^ mit einem Veturin. So bald man über die Chiana gekommen i^, 
fängt das schlechte Land an, und dauert über einen Berg fort 7 bis acht h^lien. 
Man hat hier recht augenscheinlich vor sich das Sprichwort daß Rom das Fl^ch 
und Toskana die Knexhen hat Lauter häßliche Sandberge und Sandfelder. Bey 
Levane fänrf sich ein reizend mit Wein und Maulbeerbäumen und Hanf mebtens 
bebautes Thal an, wodurch die kleine Ambra fließt Der Wein i^ mebtens an zu» 
gmehtete Ahombäume gezogen tl'oppio). Die Maulbeerbäume sind äußert hoch. 
Der Arno zagt sich in der Feme sdhön mit Pappeln umpflanzt Das Feld besteht 
nexh immer aus Sand, doch mit andrer Erde vermengt Monte Varchii^ ein hübsch 
fruchtbar Städtchen mit emsigen Einwohnern. Der Großherzog hat von Arezzo 

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oder von der Chiana an eine sdiöne Stra^ mit verschiedenen kostbaren Brücken 
ganz neu anicgen lassen, nachdem die alte an ein paar Orten äu^er^ beschwerlich 
zu befahren wair 

Levane, Monte Vardü, S. Giovanni und Figline machen vier herrliche Flecken im 
Val d'Amo di sopra, und gehören zum b^ten Lande, was Tc^scana hat Die 
kleinen Hügel linker Hand des Arno sind äu^er^ mahlerisch/ besonders bey Ri« 
palta und der Villa Salviati vor Fidine, und machen einen rdzenzen Kcmtra^ 
mit dem hohen Vallombrosanischen Gebürg. Alle vier Flecken sind gut gebaut/ 
viele Häuser mit Säulen/ einige haben Steinerne Sparren oder Qjjeersteine, um unten 
eine Vorhalle zu haben, gerad wie andre daneben mit Holz so gebaut sind. Zu 
Figline i^ ein schönes Gerichtshaus mit 26 toskanischen Säulen. Das Volk üt 
sehr fleißig und munter/ die ganze Gegend fruchtbar und freudig. 

Den 1 9 Julius, auf Heu geschlafen und nach Mitternacht gjdch abgerei^. Schöne 
heitre Nacht vom Monel erhellfT Ercjuickender frischer Ton des Gebüi^ von 
Vallombrosa im Morgenduft Maulesdtreiber, die auf ihre Esel sich die Queere 
legen und schlafen, indeß der Zug fortgeht. Leute auf den Tritten vor denThüren 
im Fr^en schlafen gesdm/ wie schon zu Rom vor der Porta del popolo. Es giebt 
dexh eme Menge Menschen, die platterdings wenig mehr als thiensch leben und 
äußert wenig Genuß haben/ der größte Theil i^ elend, und plagt sich und arbeitet 
sich ab, um nur armseelig zu essen und zu trinken zu haben/ f^t nicht der er^e 
beste freye Vogel unter der Sonne glücklicher sein Daseyn weg? Je mehr man sich 
Florenz nähert ;e mehr merkt man die Industrie. Das Gebürg i^ überall bear- 
beitet und bepflanzt mit Wein und Oelbäumen/ es i^ auch ganz natürlich, wo die 
Erde nicht freywillig giebt, muß sie von denen bearbeitet werden, die da wohnen 
und von ihr leben wollen. Verschiedene Villen von angenehmer Lage, als Alto» 
viti, und besonders die Villa Rinucc'mi, welche auch sehr gut in Rustik von unten 
bis oben gebaut i^. Bey Incisa macht der Arno einen pittoresken Lauf durchs Ge- 
bürg in der Tiefe in mancherley Krümmungen/ er hat sich mit Gewtdt nach und 
nach durchgerissen. 

Die Kupp« und der Thurm neben dem Dom zeigt sich fürtreflich von Florenz in 
der Feme, und beyde machen schöne Formen. Lieber die Gegend selb^ von lauter 
Hügeln und Gebürgen kan man nichts bessers sagen, als was Ario^ gesagt hat: 
die Lusthäuser scheinen hier wie eine besondre Art Gewächse hervorzusproßen 
so viel sind ihreir 

Florenz macht einen starken Kontra^ mit Rom, alles regt und bewegt sich, und 
läuft und rennt und arbeitet/ und das Volk körnt einem tro&ig und übermüthig und 
ungefällig vor gegen das stlUe große und Schöne der Römer. Der Römer überhaupt 
hat gewiß einen edlem und höhem Charakter. E)ie Politiker mögen die mensch- 
lichen Ameisenhaufen rühmen und prdsen so sehr sie wollen, und diese selb^ auf 
ihre Arbeitsamkeit sich noch so viel einbilden: Maul und Magen, denn dieserwegen 
geschiehts dexh, iit warlich nicht was die Menschen über das Vieh sefetT 
Schluß der Reise von Rom nach Florenz. 



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CARL STERNHEIM: DON JUAN, AUS DEM FORTGANG DES 
ERSTEN TEILES DER TRAGÖDIE. 

<Vor einem Friedhof. Es i^ Abend). 

JUAN: 

Sie müssen kommen. 

RIPIO: 

Bliebe nur die Frage, 
ob heute noch. Es ÜJ schon bitter kaitT 
JUAN: 

Sie kommen heute noch, 

RIPIO: 

Gott gebe bald, 

wir stäen nun zwei Stünden. Unbehaglich 
i^s unter toten Menschen und am Al^d. 

Und wäre man nicht völlig aufgeklärt, 
gebildet könnte man Gespenst sehen. 

JUAN: 

La^ das Geschwafel 

RIPIO: 

In jener Richtung Herr! 

Ich täuschte mich. Man hat die Ammenmärchen 
nexh nicht vergessen. Findet Ihr s nicht schwül? 

JUAN: 

Und das Begräbnis, sag^ du, war bedeutend? 

RIPIO: 

Bedeutender als der B^abene. 

Was sich Behörde und Beamter nennt 
war da, samt unsrer Stadt Paradestücken, 
die nur noch, wenn em Edler stirbt sich lüften, 
und einige alte Tanten. Alle kamen 
verklärt und würdig, würdig und verklärt 
mit einem Schnupfen ^een sie nach Haus, 
und Einer überbot den Ändern immer 
an wilden Flüchen für den feigen Mörder* 

JUAN: 

Schweig! 

RIPIO: 

Ja. 

JUAN: 

Man kommtr 



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RIPIO: 

Es scheint, sic sind es wirklidi. 

Was nun? Was wollt Ihr jefet? 

JUAN: 

Idi spreche sie an. 

RIPIO: 

Um Gotteswillen Herr, Ihr seid verhaftet, 
wenn sie Euch sehen. 

JUAN: 

So? Psychologie 

scheint deine starke Seite kaum zu sein. 

RIPIO: 

Laßt Euch beschwören Herr und geht zurück. 

(Laurentia und Maria in tiefer Trauer kommen mit Dienern. Juan tritt in 
ihren Weg. Laurentia stufet. Maria geht mit großen Augen an ihm vor- 
bei. Juan gibt den Weg frei) : 

JUAN: Sei Gott mir gnädig, daß ich hier nicht rase! 

RIPIO: 

Ge\^. Doch bitte ich auch zu bedenken, 
daß ich nicht schuld bin, und der eine Arm 
mir beinah ausgerenkt i^ Euer Gnaden. 

Ich sagte ;a — wenn Ihr auch freilich meintet, 

Psychologie sei nichts für mich, ich wußte 
die Frauen sind in schrecklicher Bewegung 
und sintemalen, da in Anbetracht, 
wenn man bedenkt, daß dies ein Kirchhof üt, 
und daß er feucht und widrig, während doch 
zu Haus dn warmes Feuer im Kamin. 

JUAN: 

Und warum sprach sie nicht? Warum denn nicht 
dn dnziger Laut, ein Schrei? War der Erregung, 

Empönmg dies nicht wert? Bin keiner Antwort 
ich würdig? Drdmal schon vergeblich deine Stimme 
erwarte ioi. So spricht man nimt mit mir? 

Ich werde dir die Worte aus dem Munde 
alsbald mitsamt der stolzen Seele reißen. 

RIPIO: 

Sie hing an ihrem Vateir 
JUAN: 

Ganz vortrefflich. 



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RIPIO: 

Ein sdiönes BiW, der stolze hohe Greis, 
das feine, schlanke Fräulein Arm in Arm. 

JUAN: 

Du mein^, ich hätte tödlich sie verwundet? 

RIPIO: 

Ich glaube sozusagen ja, obwc^hl 
sie nichts verrät und heute beim Verhör 
wie ihre Mutter auch nur immer schwieg 
und rätselhaft und gro^ zu Boden sah. 

Ich wollte Euch den ganzen Tag schon Herr 
um etwas fragen: Nämlich, die Beamten 
benahmen sich recht seltsam in dem Pall, 
es handelt schließlich sich um einen Mord. 

JUAN: 

Ein Zweikampf war 's. 

RIPIO: 

Ja, sagen wir getro^ 

ein Zweikampf/ aber doch auf solche Weise, 
d^ sonif die Häscher der Inquisition 
mit vielem Eifer nach den Duellanten, 
der übrig blieb, sich umgesehen hätten. 

Dexh heute — was gesdiah, war wie zum Spott. 
Sie fragten obenhin, und als die Antwort 
nicht augenblicklich kam, da nahmen sie 
die Mappen wieder und verschwanden schnell. 
Warum? Was macht Euch zur Respektsperson/ 
yi Don Quixada denn so einflußreich, 
wer sonit, der seine Hände auf Euch hält? 
JUAN: 

Du frag^ zu viel. Ich weiß nicht. Aber das 
bemerke ich, die Nachricht i^ geeignet 
den Mut mir zu erhöhen. 

RIPIO: 

Um Heilands willen! 

JUAN: 

Die Kraft zu wollen, was nun von Minute 
zur andern meine Seele mehr besifet 
und schnürt. Mich überläulfs! Verstecke dich 
mein Guter, decke dich. Mir i^, alsbald 




gudlicht an dieser Stelle etwas j^ausig 
Hntsefelidies, das keiner au|)er mir 
mitzuertragen fähig üt. Und was 
in meinem Willen fertig, unaufhaltbar, 
unwiderstehlich sich ans Tageslicht 
zu stürzen lauert. Geh' ich warne dich. 

tRipio verschwindet hinter den Bäumen. Die Frauen mit den beiden Dienern 
kommen zurück. Juan tritt in ihren Weg und brutal auf Laurentia zu) 
Hailoh, wer bin ich? Guten Abend du 
mein Liebchen. 

(Laurentia steht fassungslos. Marie umschlingt sie und gibt den Dienern 
einen Wink, die zwischen sie und luan treten. Die Frauen gehen schnell 
vorbei. Die Diener folgen. Juan sc^it auf:) 

Wieder nicht! Schon wieder nicht! 

(und macht eine Bewegung, ihnen nachzueilen. Ripio naht vorsichtig). 

JUAN: 

E)u sah^, du hörtet? 

RIPIO: 

Nichts. Ich war zu weit/ 

an zwanzig Schritte in die nassen Wiesen. 

JUAN: 

Du hättet sterben müssen für das Bild 
in deinen Augen. Steht ihr Himmlischen 
zu mir. Ich fühle mein Besinnen mich 
empört verlassen. Alles Leben stürmt 
in roten Fluten über das Bew^tsein. 

Was tu ich? Rette dich vor mir! Du soll^, 
soll^ von mir flammen Mädchen, überwältigt 
bis in die Wurzeln, Grenzen deines Seins, 
soll^ du von mir dein Schicksal haben Weib, 

Der Mund, der nie sich öffnen konnte, muß 
bis in das tiefste Herz mir offenliegen/ 
die ganze Welt dient fortan diesem Ziel. 

Ich sefe' mein Leben, set' dies Feuer ein, 
das aus mir schlägt, die Schranken überwältigt, 

Gesefe und Achtung tobend niederreißt 
Und hör' mir zu, dein Innerstes tu auf, 
sieh mir ins Auge: Weißt du Knecht auch noch, 
daß mir dein bißchen Leben, Knecht, gehört? 

Ich ließ es dir/ dexh nur zu diesem Zweck. 

Für diesen Namen schwör' ihn miir 



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RIPIO (gebannt): 

Maria. 

JUAN: 

Es dein Treueid. Hundertfadier Tod 
in Grausamkeit belohnt dir das Vergessen, 

Maria mo^ens, mittags und zur Nacht, 

Maria im Gebet und noch im Traum! 

Und du Geschöpf — die Nacht, der Augenblick 
vor einer Friedhofsmauer, wircl fürs Lc^ 
dir ewig unvergeßlich sein. Nach Haus! 

(Vor des Grafen de Mendoza Haus). 

RIPIO: 

Der Auftrag i^ klar/ an ihm üt nicht zu deuten und zu drehen. Eine 
Fauit, ein Äuge hat dieser Mensch! Immer wenn man den blauen Fleck, 
den er gekniffen oder gestoßen hat, strdcheln will, muß man vorher das 
Loch Ricken, das er durch einen sah. Stets dreißig Grad Hübe im Schatten. 
Und trobdem, und justament! Ich werde mich zusammennehmen und etwas 
ausrichten, denn sonit dürfte ich Himmelfahrt nicht mehr erleben, insofern 
ich selb^ eher zum Himmel führe. E)em Sinne nach i^ der Befehl klar. 
Ganz etwas anderes i^ die Ausführung. Es bleibt die Frage: Wie mach^ 
du es? Denn daß es unmöglich i^, sieht ein Narr. Er will die Damen 
sprechen, nach solchen Vorg&ngen, die höflich gesagt, nicht eben höflich 
gegen sie erscheinen. Und wenn ich auch der Meinung bin, man töte gut, 
durch Nadwiebigkeit diesen Feuerkopf zu besänfhgen, was gilt das? Mit 
Sicherheit in vorauszusehen ich tanze dort zum Hause hinaus, bevor ich 
noch den Mund geöffnet und eine, auch durch die von mir vorgetragenen 
Vemunftsgründe vorläufig mühsam gebändigte Racheempfindung wird 
zügellos in ihm und j^t mich mit andern dorthin, von wo das Wieder« 
kommen schwierig i^. Einige Taler springen lassen? Zu wem? Die Diener? 
Pah! Wieviel Taler habe ich genommen und versprexhen, und wußte doch, 
ich konnte nichts haltoi als das Maul. Nein, Inez müßte helfen und die iit 
nicht zu bestechen! so nicht und anders noch viel weniger. Oder? Mir i^ 
seltsam bewegt zu Mute. Todesgedanken umschweben mich auf matmig« 
faltige Weise. Ich habe wieder diese eherne Stimme in meinen Ohren. 
Sapperment sapperment was soll das geben? 

<Incz kommt vom Hause her.) 

RIPIO: 

Inez? Bei Gott wie gerufen. EinengutenTagzu wünschen Jungfer Fromm. 

INEZ: 

Bleibe er mir eim'ge Meter vom Leibe. 



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RIPIO: 

Das versteht siA. Wie dürfte meine Wenigkeit es wagen . . . 

INEZ: 

Wenigkeit? NiAtigkeiL NiAtsnufeigkdt! 

RIPIO; 

So wollte iA sagen. Sagen wir geradezu UngAeuerliAkeit Aber cs han« 
dcit siA niAt um miA, sondern um seine HerrliAkeitr 

INEZ: 

Seine saubere neue HerrsAaft 

RIPIO: 

Sauber i^ sie. Das will iA meinen. Kennt sie ihn, Jungfer Fromm? 

INEZ: 

Gott lob niAt. Aber leisse er gefällig^ Aesen Spitmamen. 

RIPIO: 

Einen Ehrennamen! 

INEZ: 

Kurz und gut; iA habe weder mit ihm noA mit seinem Herren das Ge« 
ringste zu sAaffen. 

RIPIO; 

Und doA . . . 

INEZ: 

Und nein! 

RIPIO: 

Jungfer. 

INEZ: 

Lasse er miA vorüberr 

RIPIO: 

Es iit )a niAts sonderliAes, was iA verlange, und meine Dankbarkeit 
kennt keine Grenzen. 

INEZ: 

Seine Undankbarkeit will er sagen. 

RIPIO: 

Es wäre eine Dummheit, hätte iA das sagen wollen. Don Juan de Quixada 
mein Herr raöAte durA ihre wiAtige Vermittlung ihren Damen allerunter« 
tänig^ Aufwartung maAen. 

INEZ: 

Und durA seine Vermittlung bestelle iA seinem Herrn, da$ ein anständiges 
MädAen nie mit ihm zu tun haben wird. In Ewigkeit Amen. 

(sie gAt schnell). 

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RIPIO: 

Hallelujah! Hoplah! 

<ruft ihr nach): 

Es wirci sich finden, Jungfer! Es wird sich für so widerwärtige Verschlossen- 
heit ein Mittel finden. Gott, du ha^ es gehört, da^ ich alles aufgeboten 
habe. Allen Liebreiz, der mir zur Verfügung steht Aber was kann man 
gegen ein so unkultiviertes Frauenzimmer ausrichten, ein so unkultiviertes, 
dem für hervorragende Männervorzüge der Sinn fehlt? 

<Juan kommt). 

Nun? 

RIPIO: 

Teils, teils. 

JUAN: 

Wie verstehe ich das? 

RIPIO: 

Wie es gemeint ül. Eben: teils ül es ausgeschlossen. 

JUAN: 

So? 

RIPIO: 

Das hei^t: nur eines kleinen Teils. Bliebe Inez. 

JUAN! 

Wer? 

RIPIO: 

Donna Marias Gesellschafterin, vertraute Freundin. Sie mü^te man zur 
Fürsprache bewegen. 

JUAN: 

Also bewege sie. Warum das noch nicht geschehen? 

RIPIO: 

Das Ut keine Frage: warum? Weil ganz besondere Schwierigkeiten vor- 
liegen. Es fehlt sozusagen am Anknüpfungspunkte. 

JUAN: 

Bei einem Weibe. 

RIPIO: 

Wenn sie doch gewisserma^ kein Weib üt und sozusagen der Punkt 
fehlt? 

JUAN: 

Was yt das wieder? 

RIPIO: 

Sie y{ von einer blöden Tugend, che son^ in Bilderbüchern nur sich findet* 

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JUAN: 

Läcfaerlidi. 

RIPIO: 

Durchaus nichtT 
JUAN; 

Schäme er sich in seiner Mannesvürcie. 

RIPIO: 

Herr Herr, ich leiste was zu leisten üt. Dies aber i^ ein ganz verzwickter 
FaU. 

JUAN: 

Sie üi häßbch, Schurke! 

RIPIO: 

Sie i^ hinreichend niedlich. 

JUAN: 

Nun — und? 

RIPIO: 

Klug. Sie wuchert mit ihrer Keuschheit. 

JUAN: 

Teufel! 

RIPIO: 

Ich würde keine höhere Lu^ kennen, als gerade ihr die Röcke aufzubeben/ 
aber... 

JUAN: 

Und sie hat Hinfluß? 

RIPIO: 

Donna Maria schwört auf sie. Inez iü ihr in allem Beraterin. Haben wir 
sie, haben wir alles. 

JUAN: 

So soll's geschehen! 

RIPIO: 

Was Herr? 

JUAN: 

Dir aber rate ich noch einmal im Guten. 

RIPIO: 

Ich tat mein Möglichstes. 

JUAN: 

Unmögliches tu. 

RIPIO: 

Saj^ermentr 



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JUAN: 

Sfilt wer geht da? 

RIPIO: 

Sie selb^. 

JUAN: 

Komm. 

^er lä^t im Gehen ein Bild fallen und verbirgt si(fa mitRipio. Inez kommt 
stuM vor dem Bild, beugt sich hin und hebt es auf. Besieht es, sieht sich 
vorsichtig um und läßt es in ihrem Busen verschwinden. Als sie wäta 

S ehen will, tritt Juan vor) : 
fir saht hier nicht mein schönes Kind, ein Bild 
— ich wage nicht cs Eurer scheuen Tugend 
noch näher zu beschreiben/ sage nur, 
es üt nicht sittlich, nein, es iit sogar 
das schlimmste Gegenteil, es würde wahrlich 
ncxh einen Korporal erröten machen — 
ich bin beauftragt so gewissermaßen 
incjuisitorisch, Ihr versteht mich, Kind, 
incpjisitOrisch, polizeilich, es zu finden. 

Und hier i^ es verloren. Saht Ihr's nicht? 

INEZ ^bekreuzigt sich): 

Ich? Nein Herr! Und ich will von solchen Dingen 
nichts wissen. Heilige Jungfrau, schütte mich. 

JUAN: 

Nicht wahr, bei solcher Sittsamkeit noch Händel 
mit Polizei und mit dem Allerschlimmsten 
wer weiß! Und doch, es iit verwunderlich, 
es wurde hier im Augenblick verloren, 
der Mensch ward grade abgeführt er üt 
des Mords verdächtig. Alles hängt zusammen. 

Und ging kein emdrer doch vorüba* noch? 

Sehr peinlich schönes Kind, es wird nichts nütten, 

Ihr folgt mir hier in diesen Busch hinein, 
pro forma nur natürlich, doch die Pflicht 
muß ich erfüllen. Zwar ich glaube Euch 
auB Wort Ihr habt es nicht Es wäre auch! 

Ein junges, reines Kind und solch ein Bild, 
das eine Hure scheute anzusehen. 

Jedoch was hilft es? Euch zu reinigen 

von solchem scheußlichen Verdacht bleibt nichts, 

als mich in Euren Kleidern umzusehn. 



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INEZ: 

Idi habe nichts! Die heilige Jungfrau weiß. 

JUAN: 

Schreit nicht und laßt die Jungfrau aus dem Spiel. 

Kein Aufsehn. Das Geschäft liegt zwischen uns, 
und braucht kein andrer drum zu wissen. Nicht? 

Nur voran! 

<er treibt sie in die Büsche). 

RIPIO <kommt aus seinem Versteck vor): 

Hahahaha! Ich berste! Ich sterbe vor Lachen! Hahahaha. Ruhig, still doch. 
Hahahaha, ich möchte die Himmelsleiter hinansteigen, hahahaha, so etwas! 
»Ihr saht hier nicht mein schönes Kind?« Man beachte diese Finte. Er legt 
ihr die Antwort in den Mund. Doch nicht. Doch ja nicht. Im Tone liegt: 
Doch um Gottes und des Heilands willen nicht Da mußte sie ja nein 
sagen. Aber war es cr^ heraus, war auch die Unterschlagung fertig, konnte 
sie nicht zurück. Und das stolze, das superstolze: Ein anständiges Mäd« 
chen wird nie etwas mit ihm zu tun hab«i. Wie steht cs nun damit? Ha* 
hahaha! Ich muß anfemgen, diese Streiche aufzuschreiben. Sie sind ganz 
hervorragend geeignet anderen Menschen Spaß zu machen. Es wird erÄ 
hapern/ aber Übung macht den Meister. Auf dieseWeise; hinterher, lohnt 
es sich mit ihm zu l3)cn. 

(Juan kommt mit Inez aus den Büschen. Juan schärft ihr noch einmal mit 
einem Blick ein. Inez geht ins Haus). 

JUAN: 

Ripio! 

RIPIO: 

Gnädiger Herr? 

JUAN: 

Das Fräulein, das dort geht richtet einen Auftrag von mir an seine Herr- 
schaft aus. Erwarte hier die Antwort und bringe sie mir schleunig^. 

RIPIO: 

Eure Herrlichkeit befehlen. 

(Juan wendet sich und geht). 

RIPIO: 

Dieser Mann hat etwas Eigentümliches. Ohne Federlesen üt er, möchte 
man sagen. Daß er je bitte sa^ wer könnte das behaupten? Sondern etwa: 
Hinaus zum Fenster, oder: Bereite dich zu sterben. Kurz, schlicht und 
wirkungsvoll und es schaudert einem die Haut Aber die Sache üt nicht 
ohne Reiz. Dadurch, daß man eigendich immer sein lehtes Stündchen schlagen 
hört gevnnnt man das Leben ganz absonderlich lieb. Ich pßffauf das ganze 



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Dasein, weil Idi's ziemlidi sidicr besaß/ heute aber überwältigt midi der 
Gedanke vollständig: Idi bin ein Gait nur auf Erden und der^irt kann 
jeden Augenblick die Stube sdiließen. Das madit Einem das Bleiben außer« 
ordendidi wertvoll. Gestehe dir auch, daß du bisher wie ein fremder Hund 
durch die Welt licfifl, nirgends hingehörtei! und daß dir darum elend zu 
Mute war. Und du wußtet nicht einmal, was du suchtest. Heute, da du 
fühl^, bei ihm wir^ du sterben, weißt du auch, was dir fehlte: Der Herr/ 
und daß du nicht aus Zwang ein Diener büt, sondern von Religion. Und 
dies heiOge Gefühl Herr, hat mich bis heute vermexht, mit meinen lefeten, 
aufricfati«ten Ratschlägen hinter den Berg zu halten. Sonit hätte ich Euch 
gesagt: Herr, der Handel, den Ihr mit diesemWeibe habt stinkt. Hierver» 
sagt Regel i^. Laßt ab, laßt noch ab. Aber wie gesagt, der Dien^ 
üt blind wie der Glaube. 

^Incz kommt). 

RIPIO: 

Bete Herz, öfl&ie dich Ohr und vernimm. 

INEZ: 

Ich habe auszurichten — ich kann Euch nichts anderes sagen, als daß, da 
ich den Mund öffne und die Worte Don Juan de Quixada spreche, Donna 
Maria laut seufzte und sagte: Ich verbiete dieses Mannes Namen je wieder 
in meiner Gegenwart zu nennen. Er üt halb böse, halb ein Narr* 

RIPIO: 

Nein! 

INEZ: 

Das sind ihre Worte. 

RIPIO: 

Das sind ihreWortel Und ich soll dieVerantwortung für sie übernehmen? 
Höre sie. Von mir aus soll die Dame sagen, was ihr beliebt, zu anderen 
im Gebet und im Schlafe/ aber nicht, wenn cs eine Bestellung i^, die ich 
auszurichten habe. Das i^ ja empörend! >HaIb böse, halb ein Narr.« Die 
Hälfte der halben Botschaft reicht aus, mich aus dem Weltall auszulöschen 
wie einen Kreidestrich, ganz abgesehen von dem erwähnten Seufzer. Und 
sie glaubt, die überbringe ich? Das wäre Selb^mord. He? In die Flucht 
jagt sie mich. Herrenlos wieder in die weite Welt hinaus. O dicscsWeilw» 
gezücht! Hätten es nicht andere, berühmtere schon getan, ich würde jefet 
eine Sentenz hervorbringen, die ihr das Blut in die Wangen triebe, einer 
solchen Menschenklasse anzugehören. Aber wie gesagt i^ bin fassungs« 
los... 

<und er sinkt hilflos auf eine Bank). 



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<Das Zimmer der Alten). 

DIE ALTE: 

Das arme Kind starb ;u^ eine Wodie, nadi dem Ihr es zum Weibe gemacht 
JUAN: 

So? 

DIE ALTE: 

Ein Erbarmen war's. b£er im Bette lag sie, die Blicke unverwandt zur 
Türe, als erwarte sie jemand, der bestimmt kommen sollte, unverwandtT 
JUAN: 

So. 

DEALTE: 

Aber das muß ich mir nachsagen, wie ich sie gepflegt habe. 

JUAN: 

So. 

DE ALTE: 

Keine Nacht ins Bett. Ich bedeutete mir: Der Herr hat dir dies Kleinod 
anvertraut da mußt du ein übriges tun/ er wird es dir sicherlich lohnen. 
JUAN: 

Hm. 

DE ALTE: 

Ja. Was eigentlich war, wer will's sagen? Halt ein Hinsterben, eine Schwäche, 
von früherher. Ich habe sie mit Hühnersuppen und Pastetefaen gefuttertT 
JUAN: 

So. 

DE ALTE: 

Und als das Geld, das Eure Herrlichkeit mir gegeben, hin war, da legte 
ich vor. Sagte ich mir doch: Gotteslohn. 

JUAN: 

Hält sie endlich ihr Schandmaul! Was gehen mich diese Dinge an? 
DEALTE: 

Ich dachte, der Herr käme darum. 

JUAN: 

So! 

DE ALTE : 

In meiner Einfalt 
JUAN: 

Bi^ du einfältig? 

DEALTE: 

Sozusagen. 



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JUAN; 

Was will idi alsdann bei dir? Bi^ du wirklidi von Grund auf einfältig? 
DIE ALTE: 

Id) wa^ nidit, wie Ihr es meint. Ich kann freilich auch, hebe — ein wenig 
anders sein, so wie der Herr befehlen, gewisserma^ . . . 

JUAN: 

Wie? 

DIE ALTE: 

Hebe, wir verstehen uns schon. 

JUAN: 

So? 

DIE ALTE; 

Ich könnte Dinge erzählen! Der Herr würde alsbald auch in der Beziehung 
rechtes Vertrauen zu mir fassen. 

JUAN: 

Was kannü du erzählen? 

DIE ALTE: 

Dinge, die ans Li<ht gebracht schaden könnten. 

JUAN: 

Wem? 

DEALTE: 

Hebe, mir vor allem. 

JUAN: . 

Es sieht hier so aus. Id) habe auch die volle Überzeugung, da^ man dir 
jede Schurkerei Zutrauen kann. 

DE ALTE: 

Das i^ erfreulich. 

JUAN; 

Andererseits aber scheint du mir ohne Phantasie. Nur aufs Gröbste ge« 
stellt Da^ du einen Mord hingänglich ausführ^, in der Engelmacherei 
zuverlässig bi^, will ich glauben. 

DEALTE: 

Es kommen wohl auch schwierigere Dinge vor. 

JUAN: 

Wie hat sie eigentlich das Mädchen unter die Erde gebracht? 
DEALTE: 

Aber nein, nein Herr, das will ich beschwören! 

JUAN: 

Gut Es hat auch augenblicklich keinen Sinn. 



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DIE ALTE; 

Darf idi fragen, vrie der gnädige Herr gekränkt wurde? 

JUAN; 

Von einem Manne nicht. 

DIE ALTE; 

Das versteht sich. Einmal führt der Herr Graf den Degen, und dann wäre 
es nicht wichtig genug, um sich mit mir zu besprechen. 

JUAN; 

Richtig. 

DIE ALTE: 

Weiter i^ das Fräulein sehr jung. 

JUAN: 

Fräulein? Warum jung? 

DIE ALTE; 

Weil Ihr herausgefunden habt, da^ es für das Weib über achtzehn Jahre 
nur eine Strafe gibt: es zu verlassen. 

JUAN: 

Richtig. 

DIE ALTE; 

Da Euch auch an ihrem Tode nichts liegt. 

JUAN: 

An ihrem Tode , . . 

DIE ALTE; 

Der Gedanke kam Euch ncxh nicht? 

JUAN: 

Nein. In der Tat 
DIE ALTE: 

Es mup auch wohl nicht sogleich das Schlimmste sein. 

JUAN: 

Der Tod das Schlimmste? Alte, schon scheint sich deine Unfähigkeit im 
hellsten Licht zu offenbaren. Nimm dich zusammen. Den Tod für jemand, 
an dem ich mich rächen will? I^ das alles, was du wei^t? 

DIE ALTE: 

Nun... 

JUAN: 

Da sifee^ du seit fünfzig Jahren. Verbrechen üt dir Beruf. Vierundzwanzig 
Stunden von vielen tausend Tagen ha^ du Zeit gehabt nachzusinnen, und 
jefet wird sich heraussteilen, daß mir, der ich cm seit drei Stunden über 
solche Möglichkeiten denke, alles viel grausiger vorschwebt. 



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DIE ALTE: 

Wozu braudit Ihr also mich? 

JUAN: 

Weil ich die Bilder/ die mir erschienen, und vor denen du dich bekreuzigen 
würdet, verwarf ab unebenbürtig meinem Haß. Weil ich mich als einen 
Stümper empfand und auf dich hoßte, wie der Schüler auf den Meister. 
Weil ich nicht annehmen kann, daß mein Schrecken das Ende aller Schrecken 
bedeutet. Weil irgendwo in einem Menschenhim noch ein furchtbarerer 
Gedanke lauem muß, der mich Jauchzen läßt und weil ich dir, dir diesen 
Gedanken zutraute. 

DEALTE: 

Der hinterlistige, langsam wirkende braune Saft hier . . . 

JUAN <nimmt das Fläschchen): 

Gift! Hühnersüppchen, wie du es nenn^. O du heilige Einfalt! la du bi^ 
es wirklich. Schandbar der Mensch, der in seinem Beruf von jeciem Dilet- 
tanten übertroffen wird. Herunter mit der Maske der Scheußlichkeit, auf 
die du dir einbilde^ und mit der du auf dieWelt und früher auf mich wirk- 
tet. Eine Komödiantin bi^ du! Ein Marionettenscheusal. Und als Ab- 
schluß deiner Laufbahn rate ich dir, die auf hübsche Art aus der Welt 
herauszuschaften, denen du Lehrgeld bezahltet. Denn ich, der ich kein 
Bösewicht bin, nur ein armer, armer Gepikter und unselig Verfolgter, wie 
muß ich mir glorios erscheinen vor dir, die clu die Schandtat gepachtet hebt, 
und wie mußt du dich schämen, wenn dir zu Ohren kommt, was ich ge- 
wollt ich mit Wollu^ getan! 

(er läuft davon). 

DIE ALTE: 

Ein grauenhafter Mensch, wahrhaftig. 



(Morgen und Wiese). 

EIN JÜNGLING (kommt singend): 

Im Frührot marschierend 
hinaus in die Weite 
hinaus in die Welt, 
du spür^ Jubilierend, 
es gdit dir zur Seite 
au Ol Gott über Feld. 

JUAN (auf dem Rasen liegend, erwacht): 

Wo bin ich? Hier fiel ich gestern nieder. Schlief ich nach alledem Übermaß 
so mt und sanft auf bloßer Erde? Wer sang? Lf das noch mein schöner 
milder Traum, der singt? 



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DER JÜNGLDSIG: 

Grüß Gott! 

JUAN: 

Grüß Gott. 

DER JÜNGLING: 

Kannil du mir sagen, wo idi bin? 

JUAN: 

Eine Stunde von Valadolid. 

DER JÜNGLING: 

Geh^ du mit mir weiter? 

JUAN: 

Nein. Wohin? 

DER JÜNGLING: 

In die Welt 
JUAN: 

Wo i^ das? 

DER JÜNGLING: 

Überall. 

JUAN: 

Was such^ du? 

DER JÜNGLING; 

Nichts. Vielleicht ein Ende. 

JUAN; 

Und hail Tränen? 

DER JÜNGLING: 

Vor Glüdk. Du ha^ am Boden geschlafen? Hait du nichts gespürt, da du 
dich niedcrlegteit? 

JUAN: 

Nach langer grausamer Qual war Müdigkeit stärker als jeder böse Wunsch, 
und ich schliu endlich einmal wieder. 

DER JÜNGLING: 

Und biü nun des Elends ledig. 

JUAN: 

Halb träume ich ncxh. 

DER JÜNGLING: 

Gut? 

JUAN: 

Sanft. 



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DER JÜNGLING: 

lA weiR wie es dir gesAah. O mein Bett! Wie oft sank iA mit eingebil« 
detem Gram hinein und wie oft stand iA auf in himmeflioAjauAzendem 
GIüÄ. 

JUAN: 

Wenn iA er^ erwaAe! 

DER JÜNGLING: 

Bald i^ wieder Abend. 

JUAN: 

Die Welt Ae Welt! 

DER JÜNGLING: 

Wandre, sei müde und lege AA. 

JUAN: 

Diese gute gesegnete NaAt! 

DER JÜNGLING: 

Diese sAöne gesegnete Sonne. 

JUAN: 

Eine klare verwandelte Welt 

DER JÜNGLING: 

Komm mit 
JUAN: 

IA bleibe noA wo iA glückliA war und dankbar sein mup. 

DER JÜNGLING <gAt>: 

Lebe wohl. 

JUAN: 

Leb wohl. 

<und wirft siA nieder): 

Erde, du biÄ es! Von Ar kommt es! In dir besifeen wir es alle! Über- 
wältige, überwältige und erwürge miA mit dem Begriffe der Gemeinsam- 
keit, der aus dir strömt MaAe miA wieder stark mit diesem und ziehe 
meinen Gei^ herab zu Ar von den Sternen und den Himmeln. Du kann^ 
es immer wieder. Mutter, dein Kind Aängt siA an AA in Todesang^. 
Beruhige den vom fremden Dinge Aufgestörten und gib ihm die Einheit 
mit dir und mit siA selb^ zurüA. We wohl du mir tu^. Wie streiAeln 
deine Blumen miA und wie singen mir deine Vögel. Lauter Einklang i^ 
auf Erden/ Einklang, Einklang und die Himmel sind ganz gesAieden. Die 
Jugend hak! du Knabe! Mit der Mutter spür^ du den ^sammenhang, 
Ae Nähe der Erde. O Morgen, goldener Morgen sAmiede miA! Km 
deiner Sommerglut sAmiede miA 1^ an die Brüste meiner Mutter, da^ 

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i(ii nicht los kann von ihr, auf Wege, die in den Himmel und zur Hölle 
führen. 

RIPIO <kommt>: 

Da seid Ihr, Herr! Eine Botschaft, o solche Bcstschaft! 

JUAN: 

Schweig! 

RIPIO: 

Was Ihr wissen müßt! 

JUAN: 

Schwdg! 

RIPIO: 

Und wenn ich Euch beschwöre , , . 

JUAN: 

Nichts, nichts! E)ie Stunde i^ geschlossen. 

RIPIO: 

O mein Gott, Ihr sprächt anders . . . 

JUAN: 

Irgendwo und überall! 

RIPIO: 

Wie? 

JUAN <läuft davon): 

Narr! 

RIPIO: 

Herr! — Er muß mich anhören! 

<und läuft Juan nach). 



< Ahrenfeld. Vom ein Baum. 

JUAN (kommt in Hait gelaufen): 

Er i^ dicht hinter mir. Jett nicht Jett nicht wieder! Wohin? Gib mir den 
Ausweg Himmel, gib ihn mir! 

(er steigt auf den Baum). 

RIPIO (atemlos): 

Eben bog er um die Ecke. Eben. Heiland, mit mir geht es zu Ende. Ich 
habe keinen Atem, ich zerschelle, faüe tot zu Boden. 

(er fällt unter den Baum): 

Da li^e ich. Herr, Herr! Ich habe lauteres Gold für Euch im Munde. Ich 
kann Euch sagen . . . Soll man's glauben, daß so ein Mensch läuft, davon 
läuft, als sei ihm sein schrecklichster Feind auf den Fersen. Ich bin ein 



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treuer Diener. Viele Meilen bin id» gelaufen. Aber jefet yi's aus, zu viel 
war s, Müdigkeit überwältigt midi, 

^er schläft ein). 

JUAN (oben im Baum): 

Dank dir Vater im Himmel! 

(Ein reichgesdunückter Raum in Don Juans Wohnung/ hinten durch einen 
Vorhang ein Alkoven abgetrennt. Ein klemer Altar rechts. Ottavio, der 
Bildhauer mei^t an einem hauptlosen Frauentorso). 

RIPIO (behaglich in einem hohen Lehnstuhl sifeend, sieht zu): 

Es i^ der schönste Leib, den ich gesehen/ 
zu wpig nicht und doch . . . Mein junger Freund, 
die Frau macht Euch noch überall berühmt 

OTTAVIO: 

Er hat mehr Anteil an dem Werk als ich. 

Stets bd mir, hat er meine Hand geführt 
Wie konnte ich, der kaum ein Weib gesehen, 
nie eins berührt an dnem Frauenleibe 
die Wunder finden, die er sah und wies. 

Sein Wert war Offenbarung, schon sdn Auge 
das um die Flächen glitt, die Teile maj) 
und plöfelich fe^ing/ sdne Lider schlossen 
sich halb, und wo cbe scharfen Strahlen trafen, 
ward helles Licht und dem bewegten Blick 
verriet der Leib die innerste Natur. 

Was wupte ich vorher von der Künste Zweck! 

Schien mir das le&te Ziel nicht schon errdcht 
wenn ich des Auges ganzen Eindruck gab? 

Er aber lehrte mdne Sede sehen, 

und wie in ihr ein Diiu sich schlieplich fand, 

das mupten die entzückten Hände bilden. 

Versteht Ihr mich? 

RIPIO: 

Vollkommen. 

OTTAVIO: 

Wirklich ganz? 

Denn dann liegt das ewige Geheimnis, 
die Wahrhdt für den Künstler, die er braucht 

RIPIO: 

Ganz einverstanden. Überhaupt Ihr wißt 
damit Beschdd, das gebe ich gerne zu. 



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OTTAVIO; 

Wenn Ihr mich mi^erständet! Es h&lt schwer, 
mit wenig Worten sich zu offenbaren. 

RIPIO: 

Mein Herr, ich mu^ mich oft mit einem Wink, 
mit einem Blicke, einem Husch begnügen/ 
ja, schweigend will er schon verstanden sein. 

Und delikate, heikle Dinge sind s 

um die sich s bei ihm handelt. Stets Affairen, 

die auch das kleinste Ungeschick verdirbt 

OTTAVIO: 

Jedoch . . . 

RIPIO: 

Durchaus nicht Ihr verwechselt ihn 
mit einem Juan, den vor Wochen Ihr, 
vor einer Wexhe kanntet Herr, gefehlt 
Der lebt nicht mehr. Es war bei jenem auch 
kein Dien^, in dem man Mücken fangen konnte, 
jedexh beejuem dem heutigen verglichen. 

Denn damals galts bei aller Schererei 

nur einer Einzigen/ da gab es wohl 

nexh sozusagen eine Übersicht 

Doch wie ein Bli& schlug die Erkenntnis ein; 

trofe dieser gibts noch andere. Auf der Erde 

Ut jeder zweite Mensch als Weib gebildet. 

Po&tausend Herr, ich sage wdter nichts. 

Herr, wij)t Ihr, was ein Dämon iü7 Nun gut 
kurz, eines Morgens finde ich ihn wieder 
in seiner Eltern Garten. Auf dem Boden 
mit seltenen Gebärden. Und ich komme 
mit Botschaft, die, wenn ich ihn richtig schäfete 
für seine Ohren ein Entzücken i^. 

Man hatte nämlich mibcteilt clie Dame 
vcm der ich eben sprach, und die bisher 
sich spröde, albern, ungebildet hielt 
sie sciteine, langstun freilich, ihren Sinn 
zu wandeln, was im übrigen natürlich. 

So will ich reden, ihm den Honig schon 
einträufeln, und ich freue mich im voraus 
des Lohns — da hebt er sich und sieht mich an, 
bricht mir die Rede ab, und da ich wieder 



versuche, ihn zu seinem Glück zu zwingen, 
entflieht er, wie von Furien verfolgt 
So ungern meines Lohnes ich entriet, 
erkannte ich doch bald, was hier geschehn 
und wo fortan mein Vorteil lag. Vergessen 
die Erste. Mehr. Er schämte sich der Zeit, 
die er mit einem Weib verloren hatte. 

Nun galt es Zar^efühl für mich. Der Name 
war j^t verpönt/ ich nahm mich sehr in acht 
und schonte ängstlich seine Eitelkeit 
Er aber — Herr, ich wiU mich nicht verbreiten 
und Ihr versteht mich schon, wenn ich Euch sage, 
ich habe nun in einundzwanzig Tagen 
an ebenso viel Pfund bei ihm verloren, 

OTTAVIO: 

Es fällt nicht auf. 

RIPIO: 

Ich spür's. Ihr dürft mir 's glauben 

und manchmal bin ich bis zum Sterben matt. 

Dann heißt es >Rip«, er nennt mich Ri^ heut' Abend 
um elf am Burgtor. Strick und Larve/ Degen 
verstehen sich von selb^, wer weiß, wie's Kommt 
Rip wieder, halt für heut' die Pferde fertig 
und füttere gut sie müssen tüchtig laufen. 

^ denke ich morgens, heute schuef ich gerne/ 
ja hollahl Immer weiß er wieder Neues, 
sein Auge dringt auch durch die klein^e Ri&e, 
die Blicke durch den schmälsten Spalt zu ihm, 
und jeden schönen Busen stört er auf 
für sein Vergnügen, einen WoUu^rausch. 

OTTAVIO: 

Und dennoch i^s ein Glück mit ihm zu sein. 

RIPIO: 

Nur freilich reichlich unbecpiem, gefährlich. 

OTTAVIO: 

Die Zeit verfl^. In sieben schönen Tagen 
entstand das Werk/ nun i^ das Glück vorbei. 

RIPIO: 

So sagt das Weib mit Euch: in sieben Tagen 
verlolmte sich das Leben. Nun üt's hin. 

Tut nichts mehr. Es i^ dunkel. 

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OTTAVIO; 

Idi bin fertig. 

RIPIO: 

Und glaubt mir, drinnen i^ ers audi mit ihr. 
Es dauert schon viel länger als er will/ 
ich sah 's ihm an, als er sie heute empfing. 
JUANS (Stimme); 

Schuft! Rip! 

RIPIO (geht): 

Ich sage Ja; sehr schlechte Laune. 

Ich mu^ die Donna bis zur Tür geleiten, 
die sich zum Icfetenmal für sie bewegt. 

JUAN (kommt und tritt vor die Statue); 

LajJ sehn. Bei Gott, vollendet. Und der Stein 
hat vor der Wirklichkeit nexh eins voraus: 
man kann den Inhalt sich so grc}$ man will 
und edel träumen. Dexh/ ein schönes Werk. 
OTTAVIO (auf den I^ieen); 

O Herr la^t endlich mich Euch danken! Nein, 
verwehrt es mir nicht wieder, bitte nicht 
Ich sterbe son^ an meinem Dank. O seht 
ich war ein Nichts, ein Knabe von der Strafe, 
als Ihr mich malend fandet in den Sälen 
der Galerie. Ihr fragtet mich nach allem 
was midi beschwerte, hörtet meine Armut 
Und da Herr, Ja, da warfet Ihr mir nicht 
Almosen zu, weil Eure Seele fühlte, 
ich bin ein Künstler/ Künstler aber smd 
nicht Bettler/ nein, Ihr sichertet mein Leben 
für alle Zukunft Aber dann Herr, dann 
habt Ihr mir mehr getan, Ihr hobt mir Ja 
mein biljehen Kun» herauf und immer höher, 
so daß ich nun in allen Himmeb bin, 
ein König von Euch in das Leben gehe. 
JUAN: 

Ottavio mein Lieber, Ja du büt 
und weißt es lange nicht wie sehr, ein König. 
Und wüßtet du, wie oft ich dich beneide, 
weil dir die Kraft die dir ein Schöpf gab 
umsonst nicht wurde, sich in deine werke 
hineingibt und sich ewig dort erhält 



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OTTAVIO: 

Do<fa sdd Ihr viel mehr Künstler noch als ich. 

JUAN: 

Ich sehe künstlerisch vic du. Die Welt 
entschleiert meinen Blicken ihre Schönheit 
in gleicher Weise, manchmal, sei es, mehr. 

Dcjdi nicht vermag ich, was das Auge so 
entzückend fand, der Seele später wieder 
entzückender und reifer zu entreiß. 

Es wird aus dem, was mir Ereignis wurde, 
kein schöneres Ereignis für die Menschen. 

Was mich erschüttert und mich jdücklich mach^ 
unse% ach, ich kann es ja der Welt 
nicht hinterlassen, und kein einzig Werk, 
wird Menschen, die in Andacht vor ihm stehen 
erzählen, was einit Don Juan bewegt 
Nun aber weiter lieber junger FreuM. 

E)u mu^t mir eine Prömlichkeit erfüllen. 

Du kennet die Frau nichC deren schönem Leib 
dein Meipel Ewigkeit verlieh, jedexh du wei^t 
dci$ sie sich mir ergab. Es wäre möglich, 
du träfet sie m Gesellschaft. — 

OTTAVIO; 

Herr! 

JUAN: 

Nicht so. 

Bleib ruhig. Schwöre mir, da^ bewußt: 
des Weibes Ehre iil ein Sakrament 
in alle Ewigkeit Hier am Altäre. 
OTTAVIO: 

Ich schwöre! 

JUAN; 

Gut 

OTTAVIp; 

O lieber, lieber Herr. 

<Ripio kommt zurück). 

JUAN: 

Herz, Mund und Hände müssen zärtlich sein, 
um dieses zarteste Gefä^ zu hüten. 

Leb wohl. 



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< 2 U Ripio): 

Und du vcrcegcnwärtige dir, 

■was idi für heute Abend didi gelehrt. 

Es i^ bald fünf/ um adit sind wir bereif/ 

Schicki! du dich gut, wird es dir wohl gedankt 
<er geht). 

OTTAVIO: 

Erstaunlich rührend iü, wie so ein Mann 
vor Frauen immer ncxh voll Andacht ül. 

RIPIO :Es mag so scheinen/ doch vergebt auch nicht, 
dergleimen Leute sind brillant erzogen. 

(Reichgedecktes Speisezimmer in Juans Hause). 

RIPIO (in der Kleidung eines vornehmen Mannes): 

Ahnungsloser Jüngling. Wüpteü du, was sich hier vorbereitet. Du hätt^ 
mit deinem Lob über seinen Respekt vor dem Weibe vielleicht zurückge« 
halten. Aber wie sollte es auch möglich sein? Unsereiner, jede stattliche 
Erscheinung, i^ damit bald bankrutt. Rückschauend kommt es einem so 
vor, als habe man außer der Mutter nie ein jungfräuliches Weib gesehen. 
Hebe, das Leben i^ kurios. Würde es mir einer glauben, wenn ich ihm 
sagte, mit heutigem Tage trete ich in dieWel^eschichte ein? Und zwar wie? 
Auf die einfachste Art. Mein Herr zieht mir einen anständigen Rock an 
und ernennt mich zum Herzog von Torgola, für diesen Aböid. Er lädt 
zwei Dcunen, Fürstinnen zum Souper und bestimmt mich der vornehmsten 
zum Tischnachbar. Ein verfluchter, zwar geistreicher, doch auch peinlicher 
Gedanke, wenn's geschähe, sie spräche französich. Italienisch da mag's gehen : 
e l'amore che mi la parlare. Worauf kommt's ihm dabei an? Meine Ver» 
luenhcit i^ solchen Vorbereitungen gegenüber nicht wichtig genug und kann 
ich ihn ganz erraten, müssen die Damen doch die Zeche l^ahTen/ er hat 
mit ihnen einen Hauptspaß, und zum Schluß kommt mit Lachen und Jubel 
alles an den Tag. In diesem Sinne will ich mich auch halten. Was sonü? 
Verstünde ich ihn falsch, müßte ich notwendig schlechten Dien^ tUn. Als« 
dann aber wäre die Schuld bei ihm, indem es Pflicht des Herrn i^, dem 
ebener, sei er noch so einsichtig, in gewissen Fällen einen Wink zu geben, 
wie Hase läuft. 

JUAN (mit zwei Damen): 

Hier iü der Freund. 

(Diener treten auf und servieren), 

DIE ERSTE DAME: 

Wohl schon recht hungrig, Herzog/ 
es tut uns leid/ jedexh die Domestiken . . . 



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RIPIO; 

Ah pah! 

JUAN: 

Wir sehen gleich zu Tisch. 

<zu Jen Dienern): 

Fangt an, 

DIE ZWEITE DAME <zu Ripio): 

Wie geht es unserer teuren Angela? 

RIPIO: 

Ganz ausgezeichnet/ au^, daß vielleicht, 
man munkelt... 

DIE ZWEITE DAME: 

Wie, die greise Herzogin? 

Läßt auch das Alter von der Sünde nicht? 

RIPIO: 

Durchaus nicht. Was ich eben sagen wollte, 
geht ihren Stuhlgang an. 

JUAN: 

Ein lapsus linguae 

der tollsten Art. Jedcxh ich möchte bitten, 
dalj die Verwandtschaft aus dem Spiele bleibt 

DIE ERSTE, DAME: 

Sehr einverstanden. Alles was Familie heißt 
iil mir horrible. 

RIPIO: 

Was Familie heißt 
i^ mir ganz schnurz. 

DIE ZWEITE DAME <lacht>: 

Original das Wort 
JUAN: 

Der Herzog kommt jefet von Amerika 
und weiß davon sehr amüsant zu plaudern. 

Dort sind, wie er erzählt, die Menschen nackt 

RIPIO: 

Sind splitternackt und schwarz. 

DIE ERSTE DAME: 

Wahrhaftig nackt? 

Das iil beciuem. 

RIPIO: 

In mancherlei Beziehung/ 

man braucht die Kldder nicht er^ loszuschnüren. 




DIE ZWEITE DAME; 

Und si&en sie audi so bei Tisdi? 

RIPIO: 

Geviß. 

DIE ZWEITE DAME: 

Und wir ersticken fa^ in unseren Miedern. 

JUAN: 

So madit Euch frei! 

DIE ERSTE DAME: 

Die Diener. 

JUAN: 

Vieh! 

DIE ZWEITE DAME <zu Ripio>: 

Wasi^? 

DIE ERSTE DAME <zu Ripio): 

Was haben Sie? 

RIPIO: 

Nichts. Ich verschluckte mich. 

JUAN: 

Erzähle dcxh von deinen Abenteuern. 

Er schlief einmal mit einer Häuptlingsfrau/ 
wie ging das Spiel? 

RIPIO: 

Bei Gott sehr amüsant 
Ich schbef mit ihr, das heißt, wir schliefen nicht 
das darf man glauben. Und der Häuptling stand 
ärschlings bei mir, ihr Mann, und wehrte mir 
die Fliegen ab mit einem Palmenwedel. 

DIE ZWEITE DAME; 

Freiwillig? 

JUAN: 

Gänzlich. In Amerika 

i^s ^ter Ton, der Gatte gibt dem Ga^ 

sein Weib zum Weibe. 

DIE ERSTE DAME: 

Eine schöne Sitte! 

RIPIO: 

Ich hatte jeden Tag cm zwanzig Frauen. 



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DIE ERSTE DAME: 

Und alle Gatten varen einverstanden? 

RIPIO: 

Und wer nicht angemessen sich benahm, 
ward ausgepeitscht Ha, das war eine Lu^! 

DIE ZWEITE DAME: 

Und zwanzig täglich ward Euch nicht zu viel? 

RIPIO: 

Im Gegenteil/ Mir wuchs der Appeüt 
mit jeder Mahlzeit. 

DIE ZWEITE DAME <zur anderen): 

Ganz absonderlich 
in diesen Zeiten. 

JUAN: 

O, er war berühmt 

für dieses auf der Schule schon. Wir nannten 
ihn drum Prinz Nimmersatt. 

DIE ZWEITE DAME <zärtlich>: 

Prinz Nimmersatt. 

RIPIO: 

Ich habe Ungeheures ausgeübt 
und wei^ nom ein Geschicfatchen . . . 

DIE ERSTE DAME: 

Schnell erzähltl 

RIPIO: 

Der Oberhäuptling, Mumfo sagt man dort, 
war jung vermählt. Ein süßes, kleines Weib, 
doch ganz unnahbar/ und sie wollte auch 
sich dem Gesefe durchaus nicht unterwerfen, 
das sie dem Gaste in die Arme gibt. 

Ich aber wollte sie! Ich hatte es 

mir in den Kopf gese&t, und wenn ich er^ 

ein Weib begmre, muß ich es bcsifecn. 

Kurz, eines Tages treffe ich sie im Garten. 

Sie sieht mich nicht. Und ich, was fällt mir ein, 
ich lasse ein wüstes Bild zu Boden gleiten 
und berge mich im Busch. Sie hebt es auf, 
besieht's und läßt's in ihrem Kleid verschwinden. 

DIE ZWEITE DAME: 

Ich meinte, alle Damen sind dort nackt? 



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RIPIO: 

Das sind sie/ nur Marambo trug als Sinnbild 
der Würde einen Schurz um ihre Hüften 
Darin verschwand das Bild. Ich trete vor 
und frage sie. Sie leugnet/ doch ich hebe 
die Schürze, und ich habe sie gefangen. 

DIE ERSTE DAME: 

Sie mu^7 

RIPIO: 

Mu|)te! 

DIE ZWEITE DAME: 

Wie genial. 

JUAN: 

Das hat er 

sich ganz allein erdacht, der gute Herzog. 

DIE ERSTE DAME: 

Sie sprechen also auch amerikanisch? 

RIPIO: 

Durchaus. 

JUAN: 

Doch mit Akzent. 

DIE ZWEITE DAME: 

Wie hcxherfreulich 

mit weitgereisten Menschen sich zu freuen. 

DIE ERSTE DAME: 

Sie wirken sehr apart und werden sicher 
in Spanien auch bei Hofe reüssieren. 

JUAN: 

Wenn er nur heute Abend Euch gefällt 

DIE ZWEITE DAME: 

Wie sollte er wohl nicht. 

DIE ERSTE DAME: 

Er i^ charmant 
JUAN: 

Ich muß die alten Komplimente sagen, 
die Damen haben äußert scharfe Augen 
für alles Ungewöhnliche. 

DIE ERSTE DAME: 

Gewöhnliches 



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mir horrible und routurc bleibt 
entzüdend. 

JUAN: 

Riditig. Und du stürbet lieber 

eh' du mit deinem Diener schlafen ginget, 

Erbfürstin von Toledo, süße Clara. 

DIE ERSTE DA^: 

En toller Einwurf. 

JUAN: 

Deine Glieder bäumten 
sich gegen die Besudelung. Natur, 
die Ahnenreihe stünde flammend auf, 
die Alba, Paez, Fürsten von Castilien. 

Wie eine rassereine Stute tief erbebt, 

naht ihr ein schlech^ezogener Heng^. E schüttern 

die Flanken und die Hufe fliegen rückwärts. 

So wäre^ du. 

DIE ERSTE DAME: 

Geschmacklos. 

JUAN: 

Hahaha. 

höch^ seltsam dies! 

DIE ERSTE DAME: 

Höchit albern dies mein Teurer. 

DIE ZWEITE DAME: 

Wir stehen auf. E erstickend heiß. 

DIE ERSTE DA.ME: 

Im Garten üt es sicher angenehmer/ 
kommt Herzog. 

JUAN <zur ersten Dame: 

Sagtet du nicht cin^ zu mir, 
du liebtest mich? 

DIE ERSTE DAME: 

Laß diesen ernsten Ton 
mem guter Freund. Was fällt dir plö&lich ein? 
JUAN: 

Was fällt mir ein? Was fällt mir plöhlidi ein? 

O närrisch! 

<er lacht). 



DIE ERSTE DAl^; 

Gehen wir hinunter, Herzog. 

<gcht mit Ripio). 

DIE ZWEITE DAME <zu Iuan>: 

Gehn Nrir nicht auch? Komm. 

JUAN <starrt sie an. Plöhlich): 

In die Kniee nieder! 

Tief in die Kniee! Bete! Betc^ du? 

Denn eins i^ not, und niemand wahrlich soll 
den Namen unnüh führen. Wer bi^ du 
und wer bin ich? Vermag dein blödes Hirn 
dies noch zu fassen? Bete! Soll ich dich 
mit einem Schlag zerschellen, soll idi lieber 
durch Blihe dieses Scheusal vielfach teilen 
und oftmals mich entzücken? Wie zerstöre 
am besten ich, was jeht mich überwältig 
zusammen? Lachit du, heul^ du Wdb? Was i^ 
das für ein Laut? Welch grausige Grimasse/ 
du mu^t sie steigern, soll sie midi erfreuen. 

Sie steigert sich. Der Abschaum deiner Seele 
fließt über, und der Strom besudelt dich 
nadi außen vollends. In der Hölle kann 
kein Teufel dich noch niedlich heißen. Holde. 

Mir biit du . . . 

<Die zweite Dame hat sich von ihm losgerissen und entflieht). 
JUAN: 

Fort? Ein redlicher Entschluß — 
welch schimpfliches Gesicht! 

(Laurentia iit eingetreten). 

JUAN: 

Schon weder hier? 

So geht der Tanz von neuem? Nicht mehr lange! 

LAURENTIA: 

Verachte mich/ doch schilt mich nicht so sehr. 

JUAN ^erschüttert): 

Ich träume. Wer? Ich träume doch. Zurück! 

Versuch mich nicht, mein Wille iü erschöpft 
mir grau^. Ich halte länger nichts. 

LAURENTIA: 

Ich bin's. 



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JUAN: 

Du bi^s. Dodi ging nicht eine Andere fort? 

Sie war verrückt. C>OTn cfir vertraue idi's, 
sie hielt mich wirklich für den Herrgott selbiJ, 
sank in die Kniee, betete. Es war 
zum Lachen! 

LAURENTIA: 

Wer? 

JUAN: 

Doch nimmer käme dir 
ein ähnlicher Gedanke? Dir? Vielleicht 
ein anderer. Sag' mir, i^ das Eine wahr, 
das sage mir zuer^z doch lüge nicht: 

Erschlug ich dir denn deinen Gatten nicht? 

Kurz, idi erschlug ihn. Ferner: eines Abends 

an einer Kirchhoistür, da tat ich dir 

doch Ungeheures? Ja, ich tat es dir/ 

und je&t erscheint du mir aus einem Grunde, 

damit der Abend, der burlesk begann, 

auch also endet und damit ich nicht 

mehr aus dem Lachen komme. Ganz brillant! 

LAURENTIA: 

Ich liebe dich. 

JUAN: 

Mein Stichwort nenne es mir, 

blihschnell mein Stichwort. Dieses i^ Komödie, 

ich werde ganz verwirrt . . . 

LAURENTIA: 

Ich liebe dkh. 

JUAN: 

Ich liebe dich, ich liebe. Immerfort 

das gleiche. Welche Rolle sniel^ du denn? 

Wie lächerlich! Und wer i« nur der Dichter, 
der das erdacht? Fällt ihm nichts anderes ein 
als Liebe, gar nicht anderes auf der Welt 
Da üi doch Haj), Verbrechen, Mord und süße 
langausgedachte Greuel, Blut in Strömen 
das über deine heißen Glieder läuft. 

Da i^ noch manches andre,- wüßf ich nur 
was noch i^! Kurz und gut was soll der Scherz? 




LAURENTIA: 

Ich gehe schon. 

JUAN: 

Und warum kam^ du her? 

LAURENTIA: 

Ich bin verrucht. 

JUAN: 

Das wäre wahrlich etwas 

das stark mich reizen könnte. Bi^t du's auch? 

LAURENTIA: 

Als meine Sehnsucht über meine Seele 
hinauswuchs, wurde ich verrucht, verflucht. 

JUAN: 

Wie köstlich! lil das alles? 

LAURENTIA; 

Das i^ viel. 

JUAN: 

Weib, das i^ nichts! Schau, meiner Seele liegen 
schon Menschenleben auf, und meiner Ehre 
die Tugend und das Glück Betrogener, 
Verführter. Ich bin jung und kann es noch 
weit bringen. Meine Straße i^ vor mir 
tief dunkel, und ich sdie Schatten fliehn, 
die meinem Ungestüm enteehen wollen 
und die ich doch ereile. Hör', Gewitter smd 
um mich und wilde Stürme toben — 
doch darum geh' ich meinem Ziele zu 
und fühle midi noch lange nicht verflucht. 

Und du, weil dir cm Feuer noch von mir 
im Leibe wäch^, und weil in deinem Schlunde 
dir alles ausgedorrt und trexken i^, 
und weil du darum mein sein wiM, gebrauchil 
du große Worte? Nein, das soll^ du nicht! 
Komm her zu mir! Ich schelte nicht. Warum? 
Du ha^ und ich ein Abenteuer. Und 
das soll genossen sein. Die Brüste her! 

Das lit das Ende immer! Deine Pracht, 
die Wunder deines Leibes mögoi wieder 
den Re^, die Grenzen dieser Welt bedeuten. 



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(er schreit auf, da seine Hände ein Medaillon auf Laurentias Bru^ frei« 




LAURENTIA: 

Ach, Marias Bild, 

JUAN (lacht); 

O Himmel 

ich seh' Gespenster, eine Angewohnheit, 
von Kindesbeinen, die in allen Stunden 
mich albern nedct. Wir wollen trinken, tüchtig 
er^ trinken und darauf von Herzen schlafen. 

LAURENTIA; 

Gott was gesdiieht mit mir? 

JUAN (dämonisch): 

Dexh was du willit. 

(er führt sie in den Alkoven). 

LAURENTIA; 

Ich bin gerichtet 
JUAN: 

So, ich lege dich 

und hole uns den Nachttrunk. Stoßen wir 
auf diese Liebe an. Auf diese Liebe! 

(er kommt nadi vorn und bereitet den Trank/ dabei hält er ein Fläschchen 

S 'en das Licht): 
komme, komme. 

(leise): 

Dieser Schuft von Diener, 

ich habe ihn in Verdacht, er hat's verdünnt/ 

der Saft i^ gelb statt braun. Dann gnade ihm Gott. 

(er gießt aus dem Fläschchen ins Glas). 

LAURENTIA: 

O Juan, Juan. .. 

JUAN (zu ihr): 

Dexh. Ich kehre schon wieder. 

Das schmeckte. Dies für dich. Nun wird auch bald 
ein Himmel dich umfangen, süße Frau. 

Ich lösche nexh das Licht 

(Stille. Dann kommt er mit dem Bildnis in Händen nach vom und sieht 
gespannt durch den Vorhang): 

Das Mittel wirkt 

sie schläft, schläft langsam ein und schläft hinüber. 



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<Vor dem Altäre reißt er Marias Bild hervor und bedeckt es mit Küssen): 

Herr wende 

den Kelch von mir! 

Idi bin ohn' Willen, 
ohn' allen Willen, 
ertrinke grenzenlos in ihr. 

Ich will sie schlagen 
und muß ertragen 

daß sie mich krank und wunder schlägt, 
auf alles was im All lebendig 
ihr Zeichen prägt. 

Das muß nun enden! 

Ich will vollenden. 

Der Himmel höre 
den Schwur: Ich schwöre 
bei Gottes Ehre 
und meinem Leben: 

Nun schweige alles andere still/ 
mag untergehen 
die Welt, bestehen — 

Maria jefet — du sollet ! Ich will! 

<er stürzt davon). 



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MAX MELL: DER SPIEGEL DES SÜNDERS 

Am 30. September 1536 starb der Prior der Kölner Karthause Peter Blomevenna 
aus Lwden, mit seinem kanonischen Namen Petrus a Leydis, im siebzigsten Jahre 
seines Lebens, im siebenundvierzigsten seiner religiösen Profess, im neunundzwan- 
zigsten seines Priorats. Sein Leben iit eigentlich durch diese Daten markiert/ aber 
gewisse Vorgänge darin sind, glaube ich, wert, nicht vergessen zu werden, und da 
ich in »Wefeer und Weltes Kirchenlexikon oder Enzyklopädie der katholischen 
Theologie und ihrer Hilfswissenschaften« Bd. 2, S. 922 eine ungenaue Darstellung 
finde, so bin ich, in meinem Interesse für den gelehrten Prior, genötigt, das Fehlende 
hier nachzutragen, wobei ich, für allfälligc Baiüfeung kirchlioier Schriftsteller, be- 
merke, daß meine Angaben durchaus wohlg^ründet sind, obschem ich mich selb^ 
über man^e Wendung in diesem Lebenslauf höchlicher Verwunderung nicht ent- 
halten kann. 

An einem Frühlinsptag, bald nach Ablegung der Profess, war der junge Mönch 
im Küchengarten des Klosters damit beschäftigt, für den Koch Radieschen auszu- 
suchen/ denn die jungen Brüder mußten jede kleine Tätigkeit des Alltags in Demut 
auf sich nehmen. Der Morgen strahlte und die Schatten hatten etwas lichtes und zit- 
terndes, das dem Frühjahrswasser verwandt war/ und auf dem Antlife des Bru- 
ders mit dem zarten Flaum ums Kinn lag aller Glanz der Unberührtheit und aller 
Schatten der Askese in den tiefliegenden Augen. Er hatte bereits ein Büschel 
Radieschen in der Hand, und da er jefet eine neue kräftige Wurzel herauszog, sah 
er, daß sie wurmig sein mochte/ er schnitt sie an und l^d sie wirklich von dem 
kleinen braunen Gang durchzogen, weshalb er sie einfach über die Hecke warf, 
die den Küchengarten vcmi der Landstraße abtrennte/ an jener Stelle gab es keine 
Mauer. Indem er sich wieder bückte und das nächste Büschel der rauen Blätter 
packte, bekam er auf einmal einen Schlag auf den Kopf, und das eben wegge- 
worfene Radieschen fiel davon herunter. Er sah erschrocken auf und bemerkte, 
daß ein Weib hinter der Hecke stand und ihn anlachte/ sie hatte die Wurzel auf 
ihn zurüd^esendet. »Wirft man sich in Eurem Kloster statt des Grußes Gelobt 
sei Jesus Christus Küchenabfälle an den Kopf?« spottete sie. »Mich wenigstens 
hast du so artig begrüßt, wie ich vorbei ging, und ich hab so gedankt, wie das 
»Ewigkeit Amen« dann lauten muß.« Der Mönch war blutrot und starrte sie an. 
Sie war eine große Gestalt, wohlgebaut und mit glänzenden dunklen Augen wie 
Tollkirschen. Ihre vollen nackten Arme griffen in die Zweige der Hecke, bogen sie 
auseinander und ließen sie sachte an ihre hohen Brüste zurückschnellen, die unter 
dem leichten Gewand breit dastanden. Der junge Mönch flüsterte endlich mit 
heißen Wangen: »Gelobt sei Jesus Christus.« Darauf lachte sic und ihre weißen 
Zähne blifeten so sehr wie ihre schwarzen Augen/ sie zteckte ihr Zünglein ganz 
klein heraus und zog es rasch wieder zurück, und blieb stehen mit zwinkernden 
Augen/ und die vollen Arme hob sie und verschränkte die Hände hinter dem 
Kopf, so daß in ihren Achselhöhlen zwei Büschel schwarzen Haars zu sehen waren. 
»In Ewigkeit Amen« erwiderte sie endlich langsam und sagte gedehnt: »Du bisft 

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nodi Jung, gelt? Du biü noch nicht lange im Kloster?« Er nickte und hielt sdne 
Radieschen fe^. »Ich bin hungrig, ich komm von weit her. Mag^ du mir was zum 
Schmausen geben? Nichts wurmiges aber, und nicht so auf mich werfen wie das. 
Ich bin eine fromme Seele.« Er zuckte die Achseln. Sie senkte die Anne und sagte 
mit einem listigen vertraulichen Ausdruck: »Du da seh ich Stachelbeersträucher . . . 
i^ da was reif?« Er schüttelte den Kopf. »Aber die Johannisbeeren — ich sehs 
schon rot — wart« Und ehe er sich bedenken konnte, wie er sie los würde, w;u 
sie schon zwischen den untern Zweigen der Hecke und arbeitete sich durch wie ein 
wildes Tier, und funkelte ihn auch so an mit den Augen während des Kriechens, 
lefet stellte sie sich vor ihn und sah ihn von oben bis unten an, die Hände an die 
Hüften legend. »Mein Haar i^ zerzau^«, sagte sie, »rieht es mir, Ja?« Sie drehte 
sich um und er sah ihre volle und runde Gestalt Mit zitternden Fingern schob 
er ihr einen schwarzen Haarsträhn unter den Kamm. Sie lachte dabd ein unzüch« 
tiges Lachen. Dann wandte sie sich zu den Johannisbeersträuchern, pflückte in die 
Hand einige kleine Träubchen, sefete sich auf den Boden und ajj, wobei sie die Stengel 
zwischen den gepreljten lachenden Lippen hervorzog und ihm ins Gesicht warf, 
der ratlos dastand vor ihrem frechen und grojjen Sifeen in dem zarten Schatten. 
Das lefete Stenglein traf ihn ins Auge. »O, das tut mir leid«, sagte sie spöttisch, 
»aber sieh her, wie du mir weh getan ha^.« Er war so gewöhnt zu gehorchen, 
dajj er zu ihr trat Sie schob das lockere Kleid über die rechte Bru^ herab uncl 
sagte wehleidig: »Hierher ha^ du mich getroffen«, und da sie sah, daß er sich 
kaum auf den Knien halten konnte, schlang sie ihre Arme brünstig um seine Hüften 
und zog ihn zu sich herab. 

»Was macht die Zeche?« lachte sie dann über die Hecke zurück, »such deine Ra» 
cheschen zusammen. Junge, und laß uns bald wieder solche Mahlzeit halten.« 
Diesen Tag und die nächste Nacht verbrachte Peter schlecht und am andern Mor» 
gen trat er mit verstörter Miene vor den Prior, den einsichtigen Josef von Bcmn, 
und beichtete ihm unter häufen Tränen, was ihm begegnet war. Der Prior schwieg 
zuer^ und die angstvollen Blicke Peters erspähten in den alten Augen desPriors 
ein Nachdenken, ein Sich »erinnern wollen, das er zunächst auf die Überleg» 
ung, wie er zu strafen wäre, beze^. Er nahm die geistliche Buße in Demut ent» 
ßegen und wollte gehn, doch der Prior hieß ihn bleiben und sprach: »Mein Sohn, 
ich werde dir einige Lebensumstände von dir mitteilen, die man dir bisher verhehlt 
hat. Es i^ ein der Zeit dir zu erzählen — erschrick nicht, denn es i^ nichts Un» 
erhörtes, und dem iit nichts zum erschrecken oder zur Angstigung, der sich Gott 
anvertraut hat.« 

Peter war zu Leyden in einer Zeit geboren, da die Pe^ in der Stadt ausgebrochen 
war, und wenige Tage nach seiner Geburt hatte sie seinen Vater, einen reichen 
Tuchhändler, dahingerafft. Nun lebte in derselben Straße ein Bruder des Ver» 
storbenen, ein Goldschmied, der von Je aufdas Erbe des Tuchhändlers gepaßt hatte/ 
mit der Geburt des Knaben, die nach sieben Jahren der Kinderlcjsigkeit erfolgt 
war, hatte sich diese Hoffnung freilich bescheiden müssen, aber in dieser Zeit der 

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SeuAe wußte keiner, ob er am andern Tag noA mit gesunden Fingern die Sand» 
uhr umdrehen würde. Der GoIdsAmied fürAtete für siA niAts, denn er hatte ein 
Amulet, auf dem in einer fremden SpraAe ein gAeimer Segen eingegraben war. 
Der TuAhändler war kaum beerdigt, als die Krankheit auA Ae Mutter Peters 
befiel. Jett wartete der GoIdsAmied gierig, bis beide abgestorben wären, und in 
der Ungeduld wiA er niAt von dem Hause seiner SAwägerih/ da er aber ein 
unreines Gewissen hatte, wagte er siA niAt ans Krankenlager, sondern bliA hinter 
dem einen gesAlossenen Flügel des Hoftores auf einem Mistkorb im Dunkel sifeen. 
Er blieb unbemerkt, als ein barmherziger MönA die Kranke aufsuAte, und hielt 
immer Ae Glieder einer feinen Kette, Ae er im Gürtel trug, zwisAen den Fingern, 
so daß sie ihm brannten. Er blieb auA unbemerkt, als der MönA Gebete mur- 
melnd und Ae Hände in den Ärmeln vergrAen herunterkam/ Aer nun poAte 
sein Herz vor Freude, denn die Mutter mußte wohl gestorben sein. Das Kind 
freiliA lebte noA, denn er hörte es durA die jefet offengelassene Türe oben am 
Ende der Holztreppe sAreien. Der GoIdsAmied stieg, unwillkürliA mit leisen 
DiAessAritten, hinauf, bekreuzte siA und überzeugte siA mit einem sAnellen 
sAleAtenBIiA vom Tod der Mutter/ das Kind sah er munter, gesund und sArelend 
mit den diAen von Falten eingesAnittenen BeinAen strampeln. Offenbar hatte es 
Hunger, und da dies dem Goldschmied emfiel, bekam Satan MaAt über seinen 
Willen; Er nAm das Kind, öffnete der Toten das Hemd und legte ihr den Kleinen 
an die Bruif. Das Kind sog, trank, ward ruhig. Der GoIdsAmied nahm es dann 
und braAte es seiner Frau naA Hause. Er sA ihre ungeduldigen Augen und 
antwortete darauf; «Wir müssen zeigen, daß wir für das Kind aUes taten, damit 
uns niemand einen Vorwurf maAen kaim. Übrigens lAt es gewiß niAt mAr 
lange« — und erzAlte Acs seiner Frau. Die paAte ein Grausen und wie sie 
das Kind s A, vermoAte ihr mütterliAes Herz die Tränen niAt zurüAzuhAen. 
Unter tausend Leiden barg sie das GAeimnis bei siA, bis sie sIA damit tröstete, 
daß die böse AbsiAt ;a niAt zur Sünde geworden; Denn deks Kind gedieh, die 
SeuAe starb A und Peter wuAs auf wie Ae drei andern Jungen des Gold- 
schmieds. 

Er sollte für dasGesAäff herangezogen werden/ und der Goldschmied hatte, des 
Erbes wegen, Ae Neigung, ihm vor seinen eigenen Kindern den Vorzug zu ^ben. 
DoA Peter weir von versonnener Natur und ungeschiAt, und JosA von Bonn, 
der damAs sein Lehrer war, erweAte in ihm Ae Lu^ zum geistliAen Beruf, und 
vielleiAt reizte ihn auA das Erbe. Jedenfalls entstand ein hartnäckiger Kampf des 
Golcischmieds gegen seine Frau, gegen Peter und dessen Lehrer/ und die Frau 
die zur VollkommeAeit ihrer Seelenruhe Peter ins Kloster wünsAte, vertraute 
siA zule&t in der BeiAte Josef von Bonn an. Dies war entsAeidend, und As Josef 
von Bonn siA In das Kölner Kloster zurückzog, folgte ihm sein SAüler bAd da- 
hin naA. 

Der Prior meinte nun, daß das an der Mutterbru^ eingescjgene Pestgift Aen er^ 
naA der Profess zu wirken beginne/ er sollte siA ja hüten und Gott danken, daß 

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er bereits im Kloster wäre, wo jeder Sdiaden gleich ausgebessert werden könnte. 
Er sehe eine Lebensaufgabe vor sich; Die Pe^ in seinem Innern auszuheilen/ die 
Seele sei zwar offenbar nur an jener kleinen Stelle, wo sie für die Sünde des 
Fleisches empfänglich i^, versehrt, aber ausbreiten dürfte sich diese Krankheit 
nicht. Er unterriditete Peter in den nötigen Bu^übungen und entließ ihn "m unge» 
minderter väterlicher Huld. 

Peter kam in seine Zelle zurück. Er empfand seine Sünde als weniger gewichtig, 
denn wenn er das Pestgift in sich hatte, konnte er nicht mehr so viel dafür, man 
hätte ihn früher aufklären und zur Vorsicht mahnen müssen. Während er nexh 
betete, Gott möge ihm lange Jahre bis zu seinem Tod geben, damit er in allen 
Altersstufen mit den härtesten Bi^graden der sündigen Veranlagung zusefeen 
könnte, hörte er etwas durch de« offene Fenster, das ihn aufspringen und hinaus« 
sehen machte: Der Koch zerrte die schwarzäugige Frau gefesselt den Gartenweg 
entlang und gab der hie und da wild und trobig Aufschreienden manchen Schlag 
mit der Peitsoie, mit der er son^ den Hund traktierte. Das Schrein und noch mehr 
das Klatschen der Peitsche auf dem Fleisch bewirkte, daß Petem alles Blut ins 
Gesicht schoß und ein ungheeuercr Schmerz und eine brünstige Sehnsucht nach dem 
gequälten Weibe in ihm aufbrannten. Aber während die beiden in ein Seitenge- 
bäude verschwanden, warf Peter sich wieder hin und betete halbtot um Vergebung 
und um Kraft, zu überwinden. 

Leicht wurde es ihm nicht. Denn sein jugendliches Blut war empört und wenn er 
sich auch zu den härtesten Bußübungen zwang, so war in der Llbermüdung und 
Kraftlosigkeit danach etwas, was ihm während der Anstrengung als holdes Ziel 
vorschwebte, die Erwartung e’mer süßen Hingegebenheit. Dann stellte er sich das 
schwarzäugige Weib vor mit seinen Licbesgäerden, er aber redete mild zu ihr 
und zeigte ihr den Weg des Heils, und unter solchen Gedanken pflegte er einzu- 
schlafen. Allmählich wurde das Erinnerungsbild der Frau unsicher und veränderte 
sich leise, aber das hinderte seine Jugend nicht, sich viel mit ihr zu beschäftigen/ 
nur die Frage, was mit ihr damals geschehen wäre, versagte er sich/ und da ihn 
das zu manchen Stemden, namentlidi des Morgens, arg bedrängte, und er dexh 
niemals sprach, hielt er sich für standhaft. Wenn ihn einmal wieder rasende Sehn- 
sucht anfiel, schrie er zum Himmel, warum er denn so viel leiden müßte, und fluchte 
dem Oheim, der ihm den Samen der Fleischeslu^ ins Herz gesät hatte, und betete 
dann wieder, ihm das Fluchen zu verzeihen. Doch schon während dieses Gebets 
fühlte er wieder seine Andacht zu Rachegedanken verwildern, bis ihm die Er- 
kenntnis kam, daß sein verruchter Oheim niemand anderer als der böse Feind 
selber war, der uns allen den Stachel der Sünde ins Fleisch gedrückt hat Und nun 
beruhigte es ihn, diesen Teufel hassen zu dürfen wie jeden. 

Der Prior und seine Ordensbrüder verfolgten seine unermüdliche Büßfertigkeit mit 
Genugtuung und mit Bewunderung. Eines Tages beauftragte ihn der Prior sogar, 
vielleicht mit dem Gedanken ihn zu prüfen und zu stärken, mit einer Sendung an 
ein Kloster nach Leyden. Peter erreichte die Stadt seiner Kindheit, ließ die Er- 

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innerungen klaglos und unbeteiligt in sidi aufwadien und entledigte sidi seines 
Auftrages. Nun mußten dabei dieKirdienbüdier nadigesdhlagen werden, auch die, 
die in der Zeit der re^ geschrieben waren: und da zeigte sich, daß in früheren 
Zeiten, als sich die Todesfälle nicht so häuften, alle Eintragungen von einer Kunst« 
fertigen und liebevollen Hand gemacht waren, mit roten Anfangsbuchstaben bei 
Geburten und Hochzeiten, und wie diese Hand verwahrloste in der furchtbaren 
Zeit und die Kolumnen schleuderhaft und mit verwischter und verronnener Tinte 
ohne Unterbrechung und schwer leserlich herunterstanden. Und auf vielen Blättern 
dieser Verwirrung hob sich nur ein einziger roter Buchstabe ab, und das war das 
B des Namens Blomevenna. Sich so angezeigt zu sehen inmitten der Zeit des 
Schreckens diese Liebe zu finden, das rührte den Mönch bis zu Tränen: So hatte 
man ihn drunals nicht blos an die vergiftete Bru^ gelegnes lebte damals auch einer, 
der ihm Liebe erwiesen, und soverli^ er am Abend mit guten Gefühlen dasPfarr« 
haus. 

Es war schon ganz dunkel, alle Gassen schwammen in Nebel, aus manchen Pen« 
stem stach ein Licht in den Schleier des feuchten Dunkels. Er ging in der Richtung 
des Klosters, wo er nächtigte, da trat hinter einem vorspringenden Eck an einem 
Haus eine Frauen^erson hervor, ging eine zeitlang in seiner Nähe mit und rief 
zulefet halblaut: »Kenn^ mich noch Liebchen?« Da er nicht antwortete, ging sie 
dichter an ihn heran, und er mußte ihr ins Gesicht sehen: sie war schön, und sein 
Blut begann sich von ihrem Blick zu erhi&en. Er stellte sich jedoch vor, wie er im 
Kloster dann mit Zufiiedenheit auf seine Selbstüberwindung zurückblicken würde. 
»Hier sind wir«, sagte sie auf einmal und machte einen Schritt auf ihn zu, so daß 
er stehen bleiben mußte und sich an der schmalen dunklen Türöffnung sah. Da 
lenkte irgend etwas seinen Fuß auf die Schwelle. »Gib acht, da kommen Stufen«, 
so0[e sie mit merkwürdig sanfter Stimme, »laß dich führen.« Die wohltätige Sorg- 
falt eines Weibes nahm ihn für sie ein, und Leib an Leib gepreßt wanden sie steh 
die Holztreppe hinauf. Am ersten Treppenabsaft blieben sie einen Augenblick 
stehen, und der Mönch fühlte, daß sich im Finstern lautlos eine Tür bewegte, die 
aber auch nur in Finsteres führte, und es rexh nach Fischen. Das Weib murmelte 
etwas und leitete ihn die nächsteTreppe hinauf/ nls sie oben waren, fand sie gleich 
die Türe und sM sie auf. »Was war das?« fragte der Mönch erschrexken, denn 
es war bliftschnell etwas an seinen Füßen vorbeigestrichen. »Meine Kafte war's 
wohl«, lachte sie leise, schob ihn hinein und zog die Türe zu. »Mach Licht«, sagte 
er mit klopfenden Herzen, und die Erinnerung an jenen Frühlingstag war in diesem 
fremden, dumpfen und schwarzen Raum groß und schwer zugegen. Da glomm die 
kleine rote Flamme auf, und wie er da st^d, tauchte ihm aus der Dunkelheit ein 
übermäßig bleiches Antlift mit tiefliegenden brennenden Augen und verwirrt hän- 
gendem Bm-t entgegen, aus der Scheibe eines schlechten unreinen Spi^els, und da- 
hinter die gewölbte Mauer eines kahlen Lexhes. Er begriff nicht gleidi, daß er das 
war/ aber wie er sich in seine Augen gestarrt hatte, uncTsich seine Existenz gleich- 
sam mahnend vor sich gestellt sah, dieses Gesicht, das er nicht kannte, aber er war 

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es, und war so den geistlichen Vorgesefefen und den Brüdern bekannt, da wandte 
er sich mit unsäglichem Schrecken um und stürzte hinaus und planlos mit unsichem 
Fü^eti die Treppe polternd hinab, und etwas schien hinter ihm zu lachen/ und zu» 
lefet fiel er nieder und glitt die Stufen hinunter, wobei sein Kopf an einen Pfosten 
schilp so daß er liegen blieb. Es war aber nicht sehr lange, cicnn die kühle Luft 
des Freien brachte ihn zu sich/ er erhob sich und schritt ohne Ziel die Häuser ent» 
lang, die sich aus dem Nebel lösten und wieder darin versanken. 

Er bedachte wohl, daß er sich gerettet hatte, und mit seiner ebenen Erschdnung. 
Aber weh war es ihm, daß er der Versuchung so weit nachgegeben hatte, und er 
fluchte dieser Stadt, die ihm einmal die Pe^.nidit ersparen wollte, und dem Oheim, 
der ihr Anwalt gewesen. Wie er aufsah, erkannte er die Gegend wo er war, der 
Goldschmiedladen mußte ganz in der Nähe sein. Und da ergriff ihn dieLu^, sei» 
nem Widersacher in die Augen zu blicken. 

Er sah Licht im Laden, pochte und trat gleich ein. Es starrten ihn, um den kleinen 
Schein einer Lampe geschart, die drei Köpfe seiner Vettern an: alle hatten vom 
Licht einen gläsernen und zugleich blutigen Glanz im Weißen der Augen, und 
schwarze Schattenflecke in der einen Hälfte des finnigen Gesichts. Hinter ihrem 
strähnigen, weißblonden Haar war alles andre in Schatten gehüllt. Schwächlich und 
kindisch sahen sie aus und hatten in den überfeinen Fingern die Werkzeuge, die 
sie an kostbare Gesteine legten. Sie grüßten still, der Mönch fragte nach seinem 
Oheim. Er wäre eben den Augenblick fortgegangen, sie wüßten nicht wohin. Er 
erwiderte, er käme morgen wieder, machte einen Schritt zurüoC und fühlte sich be» 
reits im Dunkel, und empfand noch das Nicken der drei Köpfe in dem geisterhaften 
Lichtkreis ungewiß und unwirklich. 

Indem er hinging, suchte er sich zu erinnern, ob er denn auch so ungesund aus^e» 
sehen habe, wie die drei Vettern. Er ging nahe an denHäusem, um etwa in emer 
Fensterscheibe sein Spiegelbild zu erblicken. Aber es war unmö^ch und nun kam 
er an die weitläufige Mauer eines Gartens, die er, auf feuchten Erdreich, entlang 
schritt. Endlich fiel ihm ein, daß sein Herumgehen in der nebligen Nacht kein Ziel 
hätte, daß er auf diesem Weg aus der Stadt käme, und so kJirte er unlustig unv 
es war ihm eeber, als hätte er nach diesen Erlebnissen nexh nicht alles abgetan. 
Nach einigen Schritten bemerkte er, daß jemand ihm en^egenkam; zuer^ als er 
die Gestalt nur als dunkle Fläche im Nebel sah, schien es ihm nach dem Gang 
ein Weib zu sein/ beim Näherkommen erkannte er einen älteren Mann, der lang» 
sam und wie blind vor sich hin stapfend an ihm vorbei kam. Auf einmal merkte 
der Mönch, daß es sein Oheim gewesen/ des Satans Botschaft an sein Leben, die 
hier noch im Dunkel um ihn herumschlich. Mit der er fertig werden mußte . . . 

Er kehrte sofort um, trat unwillkürlich mit demselben Schritt wie fmher die Dime 
vor den Mann und fragte lauf: Wo aus, guter Freund? Der Mann blickte ihn zu» 
sammenfahrend an, dann legte sich um den verfurchten Mund und in die magern 
Wangen ein verlegenes Lächeln, und er lispelte: Gelobt sei Jesus Christus. — Dies 
war dem Mönch ein leiser Vorwurf er sagte barsch: In Ewngkeif Amen — wo 

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fuhrt der Weg hin? Der Mensch sah neugierig vor sich auf che Erde, dann weiter 
auf den Weg/ und dann hob er die Finger, bläulich und vercjuollen, an den Mund, 
blies darauf und lächelte ihn schüchtern an: Hs I^ kalt, eigentlich, und Ist doch er^ 
Oktober. — Kenn^ du mich nicht? herrschte ihn der Mönch an, ich bin dein Neffe 
Peter. — Im Gesicht des Alten legten sich die Falten anders, voll Unterwür^keit, 
ohne ihn anzusehen sprach er; O welche Ehre, und ncihm den Saum von Peters 
Ärmel und kü^te ihn. — Ich geh nämlich ... ich geh nämlich, lächelte er fa^ flehend, 
da auf die Wiese am Ende der Mauer, Dortoien mein Enkelkind, Ihr mü^t es 
kennen, das liebe Wesen — so denkt doch, Dortchen, das reizendste Kind unserer 
Stra^ mit dem Lachen wie Goldklang und dem Lächeln wie Silberschimmer, 
Dortchen kennt Ihr doch. Das arme Ding hat den Kopf von ihrem hölzernen Pupp» 
chen verloren und hat immer so gedrängelt und so geschmeichelt, Ich soll Ihn sudien 
gehn . . . und ich such's auch, heimlich, die andern greinen son^ . . . habt Ihr die höl- 
zerne Kugel nicht gesehen? — der Mönch wu()te nicht, ob er das Geschwäfe für 
Wahnsinn oder für Verstellung nehmen sollte: nach einem Schweigen fragte er lebe 
und drohend: Kanntest du me ein andres Kind? Ha^ du nie an einem kleinen 
Kind einen Frevel begangen? — Dortchen bl so lieb . . . murmelte der Alte, und 
ab ob er eibt jefet die Frage verstcinden hätte, hob er die Handflächen zitternd in 
die Höhe seines Gesichts und stieß hervor: Ich nicht, da sei Gottes Schüfe vor... 
Ich nicht. — Auch an mir nicht, du feiger Hund? — Ich nicht, da sei Gottes und 
aller Heiligen Schüfe vor. Den Mönch machte es irre, daß der Mensch so hilflos 
und so verstockt zugleich war/ er wandte sich mit verachtender Geste zum Gehn, 
der Alte drehte sich halb nach ihm um und murmelte ihm nach; la. Ja . . . Uber 
diese Laute cjuoll die ganze Bosheit in Peter auf, er sprang zurück, faßte mit der 
Linken den Mann an der Bruit, mit der Rechten zog er den Dolch aus dem Gürtel 
des Alten, streifte die Scheide ab und stieß ihm das^bcn in das Herz. Jener griff 
mit beiden Händen hin und faßte röchelnd nach dem Griff der Waffe/ indem Peter 
aber dem Stürzenden Ins Gesicht sah, erkannte er mit Grausen dieselben Züge, 
die er bei der Dime im Spiegel gesehen hatte. Der Körper lag auch schon dunkel 
und noch sich lebe rührend cla. Mit Entsefeen floh der Mönch, mehr vor dem Blend- 
werk, ab vor der Tat. Es fröstelte ihn, dann schüttelte es ihn ebig am ganzen 
Körper. Er lief und erreichte das Kloster und suchte sich am Portal zu fassen, bis 
ihm auf sein Anläuten aufgetan wurde. 

Vor dem Einschlafen bekannte er Gott seine Schuld, vertraute ihm aber auch an, 
daß es eine Tat gewesen, mit der er dem Satan zusefete, und die opferte er dem 
Herrn auf, ebenso wie sein ganzes Leben, das Ja nun wohl befreit und ruhiger 
verlaufen müßte. Noch vor Tag machte er sich auf die Heimrebe und wanderte 
betend und die Deutung all der wimderbaren Gesichte Gott überlassend dahin, 
und es wurde ihm wohl, wie der Tag sich erwärmte und die Bauern, untersefet 
und knoperig, breit grüßend an ihm vorbei zur Stadt wanderten, dann auf dem 
flachen sumpfigen Land die gefleckten Kühe weideten und eine derbe Hbtenraelodie 
aus Gehegen zu ihm drang. Seine Straße war dann von hohen Bäumen begleitet, 

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die alle durdi den Wind einen ungeraden Wudis bekommen hatten/ und einsdinur» 

f 'erader Badi lief längs der Felder mit. An einer busAigen Stelle, das Herb^Iaub 
ag teils auf dem Boden, teils hing es vereinzelt und wie vergessen an den sAwarzen 
Ruten, dort also wollte er siA erfrisAen und den SAwdl) von GesiAt und Bru^ 
was Aen. Aber da er das Unterkleid öl&ien wollte, spürte er, da^ es auf der Bru^ 
klebte und jefet sAmerzte. Verwundert gewahrte er, daß er über dem Herzen eine 
Wunde hatte. Wie tief sie war, konnte er wegen des gestauten Blutes niAt ab» 
s Aäben, und wie viel Blut er verloren hatte, wußte er niAt/ er fühlte siA durAaus 
bei Kräften und jefet um so frisAer, als er mit voller ZuversiAt, ein Wunder sei 
an Am gesAehn, fortw änderte. Er ließ die Kleider über der Wunde und besAIoß, 
sie niAt anzurühren noA jemand um Heilung anzugehn/ denn Gott hatte ihn offen» 
bar naA der Stadt gesendet, damit ihm dort Wunderbares begegne, Ae leise wm» 
kende Aufzeichnung im KirAcnbuch, die ihn an seine Kindheit meAnen sollte, Ae 
Dirne, die Vettern, die ihn an siA selbÄ erinnern sollten, und der Angriff auf den 
Satan, damit das ungesunde Blut aus ihm ausfließen könnte. Er war nun siAer, 
daß die Begegnung mit dem Oheim nur ein Spuk gewesen und daß jener noA lebte. 
So kam er mit dem Bewußtsein, er wäre keiner VersuAung mehr ausgesefet, naA 
Köln zurüA. Der Prior freute siA seiner heiteren Stimmung, fragte aber niAt. 

Es vergingen nur wenige Jahre, da starb der Prior Josef von Bonn, und Petrus 
a Leyefis wurde emstimmig zu seinem NaAfoIger gewählt, und ein Jahr später 
sAon wählte man ihn auA zum Visitator der rheinlsAen Provinz. Dieses Amt 
übte er mit besonderem Genuß aus. Denn wenn das Frühjahr erwaAte, fühlte er 
die Notwendigkeit In siA, hinauszugehn und naA dem ReAten zu sAn/ manA» 
mal merkte er es aber siA selber an, daß es ihm außer der Lu^, die geistliAe 
PfliAt zu tun, auA eine Lu^ war mit MensAen m Berührung zu kommen/ doA 
immer war es nur ein Drang ihre Züge sAarf zu betraAtcn und danaA ihre 
Wesensart zu beurteilen. Er kam zunäA^ viel in die Pfarreien der Dörfer und 
kannte den Frieden auf den GesiAtern der alten Priester, und der war überall der 
^leiAe und ermnerte an die Wintersonne über Schneefeldem/ und Ae Lüsternheit 
m den Zügen der jungen Pfarrer, die hatte siA In jedem GesiAt anders herum» 
getriAen wie ein Windwirbel die abgefallencn Blätter zu immer neuem Tanze 
peitsAt. Aber er sA sie nur rm und ermAnte sie mit Worten der HeAgen SArift/ 
er meinte zwar bei siA, daß die niAts vermöAte über dies FleisA und Aese ver» 
langenden Augen, aber eigene Worte in diese GesiAter zu spreAen, geziemte Am 
als KarAäuser niAt. 

Aber auA viele andere MensAen sAaute er an, und besonders oft ging er in Ae 
Hospitäler. Denn da trat in den Zügen der Sterbenden die Sünde heraus, de^ der 
Priester sie wegfinge wie die Fliegen, die Ae EinsAlafendcn unaufhörliA belästigten: 
Die blutigen LandskneAte, die Krüppel und Bettler und Ae Hurer In allen LA» 
dem gAen aus verdrehten Augen und aus zuAenden blauen Lippen ihre SAuld 
her und die armen verkümmerten Jungfrauen steuben mit äAzender SehnsuAt naA 
Erlösung/ und Ae Genesenden hockten wie eine SAafherde um das geöffnete 

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Fenster gedrängt, weil von unten der Geruch aus der Klosterküche au&tieg, wo 
man die festlichen Gerichte für den verehrten Visitator bereitete. 

Und was sah er nicht alles auf den Lanebtrapen, in den frechen Gesichtern der 
wandernden Studenten, in den listigen Blicken der Scherenschleifer, in der Kopf- 
haltung der blinden Bettler, die aneinander hingen und deren Augen dem Ausge- 
ronnenen eines Eies glichen/ und in dem mutigen bärtigen Mund der geworbenen 
Söldner, die nach Frankreich zogen unter Trommelwirbel mit männlichem Schritt. 
Und jeder Handwerker, der ihn in Städten aus Fenster oder Halbtür grüßte, hatte 
sich seinen Ausdruck aus dem Eifer der Arbeit angewöhnt und behielt einen Teil 
davon zurück, wenn ihm die Pfeife vom Mund baumelte, wenn er einen auf dem 
Pranger oder ein aufgeführtes Nashorn angafite, oder wenn er vom dicken Bier 
besoffen war. Mit den Gelehrten aber und Schreibern in ihren Roben hatte er nicht 
so gern zu tun/ sie waren überaus hexhmütig und trugen im Antlife ein unentwirr- 
bares Gemenge ihrer Süchte, Askese und Lüste zur Schau. Eine weise Freude 
hatte er an den ehrbaren Blicken der ältlichen Bürgersfrauen, und entschuldigte das 
Kupplerische an ihnen wie das Neugierige an den schämigen Gänschen. 

Dies war seine Tätigkeit in der schönen Jahreszeit. Im Winter aber blieb er in der 
Karthause und verfaßte Schriften, in denen er zur Enthaltsamkeit anleitete, er über- 
wachte den Druck der Bücher und sorgte dafür, daß sic mit schönen Holzschnitten 
geziert würden. Und an stillen Abenden betrachtete er sein Leben. Wenn er jefet 
auf seinen Visitationen nach Leyden käme, würde sich dort bestimmt etwas zu- 
tragen, und es schien ihm ausgemacht daß er mit dem Oheim und mit sich selb^ 
zu tun haben müßte. Denn sicher lebte er noch/ die Wunde, die über der Bru^ 
des Priors eine dunkle Narbe hinterlassen, hatte nie in das Herz des Alten «führt, 
und Gott würde ihn sicher nicht abberufen, che er den Prior noch gesehen. Einmal 
müßte er wieder nach Leyden reisen, aber indem er es möglichst lange hinaus schob, 
meinte er dadurch dem Leben des Oheims Dauer zuzulegen und ihm so Gutes zu 
erweisen. Dennexh fand er, müßte er sich auf den Besuch vorbereiten, und sich selb^ 
sehr genau kennen, sein Gehaben, sein Gesicht und seinen Ausdruck, damit er sich 
nicht mit dem Oheim verwechseln könnte. Und so gab er zule&t einem kölnischen 
Meister, der lange in Venedig und Frankreich gelernt den Auftrag, eine ganz kleine 
geheime Zelle an den zwei Wänden, die nicht von Türe und Fenster unterbrexhen 
waren, mit großen Spiegeln zu versehen. 

Der Meister war fort und nun kam ein ängstlicher Augenblick, da der Prior die 
Türe langsam und herzklopfcnd öffnete, und rasch noch eme Miene annahm, wie 
er sie den Beichtenden zu zeigen pflegte. Schwer atmend stellte er sich vor den 
Spiegel auf. Er sah einen Menschen, der ihm ganz fremd war. Er blickte ihn 
prüfend an/ Einzelheiten von tausend Gesichtem schwebten ihm vor/ und hier 
stand vor ihm einer, der das Aussehen eines vollkommen Verworfenen hatte. Die 
unstäten Augen des Irrgläubigen, die L^pen des Wollüstigen, die Mundwinkel 
des Lügners, der Bart des Mörders, die Stirne des Unbußfertigen und Verstexkten. 
Der Hang der vom Alter scharfen Nase aber trug den Ausdruck eines, der die 

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andern Menschen zum bösen bringt und ihre Seelen verdirbt, so da^ das gei^* 
liehe Gewand zu tragen Verrat war. Er öffnete es und entblößte die Bruit. Das 
Spi^elbild war unverwundet. 

Aulschreiend vor Grauen sank der Prior in die Knie und stammelte Gebete, der 
Sünder im Spiegel mit ihm. Aber dieser Mensch tat es so, daß es kein Erbarmen 
rege machen konnte. Er erweckte allen geistlichen Aufschwung, er ließ sein Gebet 
anschwellen von Inbrun^, daß es ihm sdb^ anstieg wie Orgelklang/ und wenn er 
dann geduckt wie ein Knecht das Spiegelbild ansduelte, fand er, daß aus einem, 
der so kniete und so die Hände rang. Kein Gebet austreten könnte, das zur Er» 
lösung führte. Wenn Gott in diese Zelle blickte, wendete er gewiß sein Auge mit 
Abscheu wieder fort von diesen Anblick, und mit ihm der Sohn, und mit ihm der 
heilige Gei^, und die Seligen und die Märtyrer schüttelten die Häupter, daß ihre 
besonnten Scharen wogten, wenn er ihre Namen in fliegenden Litaneien aufrief, für 
ihn fürzubitten. Die kühle Abendluft, untermengt mit Geruch von verfaulenden 
Laub und Herbstdun^ weckte ihn zulefet aus seiner Apathie, und im Spiegel nur 
mehr eine dunkle Gestalt unterscheidend, machte sich der Prior fort 
Doch das Gebet war das einzige, was er hatte, und täglich zwang er sich mehrere 
Stunden hindurch andachtsvoll in jener Zelle zu verweilen. Er schloß Bekanntschaft 
mit dem Spiegelbild, er gewöhnte sich daran, aber ohne su einem andern Urteil 
über den Menschen zu gelangen. Und bald fühlte er sich auch außerhalb der Zelle 
so aussehen, spürte er sich so bewegen wie dieses Spiegelbild und wußte nun nicht 
mehr, ob er früher der gleiche war oder ob er dazu gekommen war, die Art der 
Gestdt im Spiegel anzunehmen. 

Endlich aber, da er dem sieb^sten Lebensjahr nahe war, erkannte er, daß es an 
der Zeit war für einen guten Wirt des Lebens, nun die Zeche zu machen/ und er 
vermeinte, wenn er sich nun wieder begegnen würde, müßte er sich unverweilt er» 
kennen, auch wenn er sich im Nebel sähe. Und gegen den Herb^ zu war es, daß 
er sich zur Reise nach Leyden entschloß und dort alles Wissen um die sonderbaren 
Zufälle versrunraeln und auf ein neues Zeichen weirten wollte. Er entsendete vor» 
läuflg einen jüngeren Bruder in die Stadt, um Nachrichten über den Oheim ein» 
zuziehen. In der Zeit des bänglichen Wartens wurde der Prior ganz schwach. Endlich 
an einem klaren Abend kam der Bote zurück und brachte die Nachricht, daß der 
Oheim sich vor langen Jahren in einer nebligen Nacht an einer Gartenmauer sclb^ 
entleibt hatte. 

Der Greis erkannte, daß sein alter Gei^ dies nicht mehr verstehen konnte, und 
daß die Kraft aller Gebete abgewefet war, hier hinein Klärung zu bringen. Er 
tappte im Dunkel des Ganges der geheimen Zelle zu und schien sich voll Schrecken 
auf einmal erblindet. Aber nein, das war ja nur die innere Wirrnis und das nahe 
Sterben. Und wie der Schlüssel im Schloß erbittert aufkreischte, spürte sich der 
Prior an der Schwelle stehen und wußte nicht, wohin er ginge/ und daß dieses sein 
Hinscheiden ins Ungewisse dasselbe war, wie vor langen Jahren die schwarzäugige 
Frau in etwas Unbekanntes abgeführt worden, wie auch vor vielen Jahren der tote 

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Körper bd Nacht, tief im Nebel, an dner feuchten Mauer gelegen und ins Rätsel- 
hafte vergangen weu'. Da trat er vor den Spiegel und erkannte sdnen Ohdm. Ge- 
rade und unbeweglich stand er Aug in Auge mit seinem Widersacher, der aber 
war der mächtigere, denn hinter ihm sah er, nur wenig beschnitten durch den Fen- 
sterrand, den Nachthimmel, violenblau und besät mit den ewigen Figuren der Sterne, 
die aus dem klaren Glas gli^rten mit dner Bedeutung, als wollten sie gar nicht 
anders gestellt sdn als um diesen Mann. Blindhdt konnte es nicht sdn, dies so 
scharf zu sehen. Und der Ohdm schob das Kldd vom Herzen weg und zeigte 
dne frische Wunde, aus der dn Blutstrom schop. Der Prior fiel lauticss hin, und 
die Mönche fanden ihn zule&t in sdnem Blute schwimmend. 



Sie brachten ihn auf sein Lager. Er kam wieder zu sich, aber die Augen öffnete 
er nicht mehr. Das brauchte er auch nicht, denn er sah sdn ganzes Leben vor sich 
geordnet wie durch die kleinen Wege dn lieblicher Garten geordnet i^. Aber neben 
sich auf demselben Ruhebett fühlte er den andern liegen, den er haßte, und es war 
auch gar nicht Plafe für zwd. Es war der Wunsch in ihm: Nur der soll weg, nur 
der soll nicht neben mir liegen. Er hatte aber kdne Kraft, mit ihm zu ringen und 
ihn vom Belt zu stoßen, sondern fühlte, daß seine Hände auf der Decke lagen und 
kalt wurden, bis sie nicht mehr ihm gehörten, daß aber dafür dne andere Kraft, 

E egen die es keinen Widerstand gab, ^ andern angef^t hatte und ihn nicht mehr 
»sließ, so sehr er auch keuchte und röchdte. Und wie freute es den Prior, daß 
diese Kraft den andern hob und schein sah er ihn über sich liegend schweben, und 
indem er Dank empfand, daß er von ihm befrdt war, streckte er sich aus und war 
tot. Die Mönche aber standen, wie Kerzen um den Altar, an seinem Bette, eni^ 
tonsuriert und unbeweglich. 

Dieses üt der Lebenslauf Peter Blomevennas, genannt Petrus a Leydis. Ich selb^ 
habe ihn aufgeschrieben, diesen Schluß schrieb ich am 6. Dezember 1 907, und wieder- 
hole heute am 10. Jänner 1908: Wenn mich einer fre^, wo liegt in diesem Leben 
Sünde und wo Entsühnung, wo Frevel und wo Heiligkeit, so wüßte ich nicht mit 
dem Finger darauf zu zeigen. Denn diese Namen gelten nicht für den, der einge- 
fangen in seinen Gott hinschreitet wie innerhalb der Linie eines Kreises. Und ich 
selb^ bin in mein Schicksal verstrickt, und noch andere haben daran Teil, und wo 



ich mich über dieses Geschick zu erheben glaube, dort werden gewiß andere Fallen 
gestellt sein, und der selb^ greift in sie hinein, der die gefalteten Hände an die Lippen 
hält. Die Worte der Erlösung aber sind beim Herrn, Amen.^ — 



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KARL SCHLOSS: GEDICHTE 



NOTTURNO 

Nun weht der Abend um das Haus, 

Ich horche ernst bewegt hinaus 
Wie auf ein FreundeswortT 
Ihr alten Bäume, rauscht nur fort, 

Ihr Lichtlein blinkt nur hier und dort. 

Es zieht so wimderbar mich fort. 

Als stünde ich an Schiffes Bord 
Und bin doch ganz zu Haus. 

Was du am Tag gesammelt haü. 

Am Abend wird es dir zur Laif, 

Da kommt der Schlaf, der stille Ga^, 

Zu jedem Menschenkind. 

Er spricht; Nur, dem sein Tun zerrinnt. 
Nur der sich sclb^ verliert, gewinnt 
Die Freuden, welche ewig smd 
Und wird der Götter Ga^. 

Dein Herz, wie wird cs umgekehrt! 

Es wird so grausam-süß verschrt. 

Und dennoch tausendfach vermehrt 
Durchströmt es dein Gebein. 

Es haucht die Nacht: Lieb Knabe mein! 
Es zieht die Erde dich hinein 
In ihr geheimstes Kämmerlein 
Und le&et dich mit Brot und Wein, 

In ihrem Schote schläft du ein. 

Wie s Feuer auf dem Herd. 

Auch Liebchen, was dein Herz erfreut. 
Das liegt nun sinnlos hingestreutT 
Zur leeren Hülle wird das Heut, 

Sobald dein Äuglein ruht. 

Dein allerschönster Fedemhut 
Der schwimmt nun fern auf dunkler Flut, 
Es nistet wunderliche Brut 
In deinem seidnen Kleid. 




Oh Nacht, nimm alles was ich hab' 

Nimm hin mein Schwert, zerbrich den Stab, 
Arm will ich gehn zu ihr hinab. 

Der ich mich ganz ergab. 

Arm will ich in die Tiefe gehn. 

Da wird ein schneeweiß Beftlein stehn, 
E>urchgrauset ist^s und deimoch schön 
Bei einer Kerze emzusehn. 

Halb Wiege und halb Grab. 

Bald isfs, bald wird die Tiefe rufen. 

Dann öffnen tausend goldne Stufen 
Wie in ein wunderbares Grab 
Zu dir, Geliebte, sich hinab. 

Oh goldne Stufen, voll Verderben! 

Oh tausendfaches heiliges Sterben! 

Oh Luft voller Dolche und Schlingen I 
Oh Grab voll Weinen und Singen! 

Engel der Tiefe schaue mich an. 

Lächle nur, so i^ es getan, 

Schließe mich nur, mein schweigsamer Schwan, 
In deine weißen, weichen heiligen Schwingen! 



LIEBESLIED 

Ich weiß einen Rosengarten 
Voll wonniglichem Duft, 
Gefärbt iit von den zarten 
Rosen Licht und Luft. 

Darin spaziert, 

Gepufet, frisiert. 

Die Frau, die alle Wege ziertT 

Ihre Äuglein liebkosen 
Mein Herz so lind und weich. 
Um ihrer Wange Rcjsen 
Sind meine Wangen bleich. 
Küßt sie mich. 

So taucht sie sich 
In man Blut, hazinniglich. 




Es ^eht ein holdes Sdivreigcn 
Ihr immerdar zur Hand. 

Voll Engeln, -welche geigen. 

Wölkt sich ihr zart Gewand/ 

Scham i^ ihr schönstes Kleid, 

Ihr Mund ül Herzeleid, 

Ich kü^' ihn wohl in EwigkeitT 

DAHEIM 

Windschiefer Pappeln Strahl 
„Harhüh!" Peitschenknall! 

Ewig knarrende Wagen! 

Feldarbeit überall! 

Aus tiefem Grün ragt die Station. 
Bingbang! geläutet hat es schon. 

Gras wäch^ auf den Schienen, 

Roter Mohn zwischen ihnen. 

Alle hundert Jahre kommt ein Zug 
lind bringt fail jedesmal Besuch. 

Ein Bauer und ein Schneider — 

Der Zug kann kaum weiter — 

Wird ein alter Geisbexk vorgespannt. 
So geht es herrlich durch das Land. 

Bimbim bim! 

Gebt acht, son^ geht es schlimm! 

Verschwunden hui! i^ schon der Zug. 
War's etwa gar nur Sinnentrug? 

Und grüne Stille wie vorher — 

Jefet schwankt ein rascher Taubenflug 
Hin übers Feldermeer . . . 




FRANZ BLEI: DREI BRIEFE AN EINEN JUNGEN MANN 

Sie erweisen mir die Ehre, midi zu Beginn Ihrer sdiriftstellerisdien Laufbahn um 
Rat zu fragen, wie Sie solche am besten und aussichts vollsten ins Werk se^n 
könnten. Und fügen gleich hinzu, da^ Sie nicht auf das Erträgnis Ihrer literarischen 
Arbeit a^ewiesen seien und sich in ausgezeichneten Vermögensumständen be- 
fänden. Das habe ich voraus^ese&t. Denn ich halte Sie für einen vemönfitigen 
Menschen, der weiß, was er wul. Mittellos wären Sie nie auf den Gedanken ge- 
kommen, Sdiriflstcller zu werden und mich um Rat zu fragen, den ich Ihnen unter 
diesen Umständen um so weniger vorenthalten will, als idi mir für einen reichen 
und aufgeweckten jungen Mann heute keine bessere Verwendun|[ seiner freien Zeit 
denken Kann, als in Literatur. Ich weif) alles: Sie haben ein kleines Amt im 
Ministerium mit sicheren Aussichten auf rasche Beförderung, verkehren in mten 
Häusern, lassen beim besten Schneider arbeiten, beziehen Ihre Wäsche aus Paris, 
essen abends im Club, machen die Unsitte des Cafehausbesuches nie mit lesen 
alle neuen Bücher in den Luxusausgaben — ich sehe also nicht ein, warum Sie 
nicht auch schreiben sollen. Zudem, da Ihnen die Berühmtheit sicher üt, Talent- 
losigkeit vorausgese&t Denn Talent und wäre es auch nur ein ganz kldnes, würde 
Ihnen Schwierigkeiten machen. Mit Talent kann es Ihnen passieren, da^ Ihnen die 
reifen Früchte ihres Ruhmes aufs Grab fallen, und Sie wollen doch vernünftiger 
Weise diese Früchte noch bei jungen Jahren selber pflücken. Talent führt zur Ver- 
einsamung, und Sie sind eine gesellige Natur. Halten Sie sich also nicht mit Talent 
auf Solange andere eines haboi, brauchen Sie selb^ keines. Was Sie brauchen, 
sind Talente, und da^ Sie die haben, davon bin ich überzeugt, und mein Rat be- 
steht nur darin, Sie zu erinnern und Ihnen den rechten Gebrauch zu weisen. Vor 
allem: nennen Sie sich nie Schriftsteller oder gar Literat/ einmal weil das später 
Ihre Gegner — man lebt also hat man Feinde (welche Gegner übrigens alle reiche 
junge Leute wie Sie sein werden) — ohnedies und mit verächtlichem Acxxnt tun 
werden, und dann weil es heute nicht düci^, dem was man als reicher junger Mann 
treibt jene Wichtigkeit eines Berufes zu geben, da$ daraus eine Bezeichnung sich 
ableitet Schriftsteller — das Wort i^ so gemein wie Zeitungsschreiber, so ri- 
dikül wie Dichter, üt der Inbegriff ganz schlechter Manieren, lächerlicher Schulden, 
übelster weiblicher Beziehungen. Darüber gibt es an Gemeinheit nur noch die 
Bezeichnung Literat öne strafrechtlich zugelassene Umschreibung für Zuchthäus- 
ler. Merken Sie sich das für Ihre spätere kritische Tätigkeit — Sie haben einen 
netten Vornamen, nicht zu banal, nicht zu gespreizt Sie haben einen passablen, 
nicht jüdisch klingenden Familiennamen, sind Dr. jur. und im Ministerium. Das 
genü^ vollkommen. Lassen Sie sich nach wie vor tadellcis anziehen, tragen Sie 
das Gesicht rasiert, erhalten und erweitern Sie sich die Beziehungen zu guten, 
möglich^ adeligen Häusern, und vermeiden Sie die Bekanntschaft von, verzeihen 
Sie, Kollegen wie die Pe^. Ich meine natürlich die unberühmten Kollegen und 
alles, was man Literat nennt Detm die Berühmten kennen zu lernen, das muß Ihre 
heimliche Sorge sein bei Tag und Nacht Da schreiben Sie mir, Sie hätten Ihr Jahr 

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bei demselben Kavaflerieregiment gedient wie Herr von Hofmannsthal. Schon 
daraus, da^ Sie mir das schreiben, war mir klar, da^ Sie es weit bringen müssen. 
Sie fühlen bereits, daß dieser Zufall ein Stück Ruhmkapital i^, ein erstes Eisen 
im Feuer. Nehmen wir beispielsweise an, Herr von Hofmannsthal muß einmal 
weil er zufällig in der Stadt i» und aus irgendeinem Grunde bei Dehmel denTKee 
ndimen. An diesem Tage und zu dieser halben Stunde müssen Sie auch bei 
Dehmel sein und Herrn von Hofmannsthal begrüßen, als Regimentskameraden 
natürlich nur und nur mit Hutziehen. Des abends sagen Sie dann so nebenbei 
einmal in der Gesellschaft — und Sie müssen an dem Abend in Gesellschaft — : 
»Ich habe heute mit Herrn von Hofmannsthal beim Dehmel . . .« Lü^en Sie nie! 
Halten Sie sich strenge an die Tatsachen. Geben Sie ihnen nur das LichC clas Sie 
wünschen. Auf solche Weise werden Sie die m Ihrer Stadt lebenden berühmten 
Männer bald alle persönlich kennen und sie Sie. Aber son^; Haben Sie 
einen guten Freund, der auch Schriftsteller werden will, so treffen Sie sich mit ihm 
nur ganz im Geheimen, cxler geben Sie, sicher iil sicher, diese c»mpromittierende 
Freundschaft sofort auf, rücksichtslos. Man darf Sie nicht in einem Rudel sehen. 
Und gymnasiale Rüdcfälle in Gemeinschaften der Ideale sind für einen Reserve» 
leutnant lächerlich, für einen angehenden Schriftsteller schädlich. Denn Sie müssen 
diese erste Etappe Ihrer schriftstellerischen Existenz mit äußerster Diskretion leben/ 
nur wie ein ganz blasses, scheues Gerücht darf es eine Dame einer andern sagen, 
daß man glaube. Sie dichteten. Niemand wird bei Ihren tadellosen Manieren und 
Ihrem ganz korrektem Anzug so taktlos sein. Sie direkt daraulKin zu fragen. Aber 
daß etwas los i^ müssen Sie schon merken lassen, etwa mit plö^cher schwer ge» 
meisterter Zerstreutheit in Gesellschaft oder damit, daß Sie sioi allein an entlegenen 
Orten sehen lassen, wovon man durch dritte erfahren muß und wohin Sie sich selb^ 
unter den größten Qualen der Langeweile begeben. Nuancen, Verehrtester! Sie 
müssen einfacii Ihrem Leben, das Sie führen wie jeder andere Ihres Kreises auch, 
die Nuance geben, kaum merkbar aber dexh anders bestimmend. Der Aufenftialt 
in einem Sanatorium üt ein zu grobes Mittel und heute, wo das Müde nicht mehr 
die Mode Ihrer Kreise i^, veraltet und blöde. Sie markieren besser englisch»sport» 
hafte Gesundheit, auch wenn Sie einen chronischen Magenkatarrh haben sollten. In 
Gesellschaft weichen Sie allen Gesprächen über Kunit csstentativ aus. Müssen Sie 
sich aber äußern, so sprechen Sie bei der Skulptur begeistert nur von den Agyptan, 
bei der Malerei begeistert nur von den Malern des Settec^tO ^welchen Blc^inn 
man originell finden wird), bei der Musik begeistert nur von Orlando < merken 
Sie sich ein paar Opustitel), bei der Dichtkunst begeistert nur von den späten 
Lateinern, bei der Architektur saßen Sie meinetwegen Messel. Sie können aber 
auch eine oder mehrere Künste prinzipiell ablehnen. Die Begeisterung versteht sich 
bestimmt aber gemessen, unter Vermddung enthusiastischer Vokabeln. Die mo» 
demen Dichter billigen Sie mit Zurückhaltung, geben an allen aller Richtun|;en 
etwas Gutes zu, lassen aber durchblicken, daß sie Ihnen scunt und sonders gar nicht 
in eigentlichen Betracht kommen. Politisch seien Sie indifferent. In Hinsicht auf die 

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Wissenschaften empfehle ich Ihnen den Grundsafe: Was man nicht weil), ist sicher 
noch dümmer als das, was man weiß. Schließlich müssen Sie etwas drucken lassen. 
In zweihundert Exemplaren auf Ihre Kosten. Davon im nächsten Brief. 

Was ich Ihnen, verehrter Herr, im andern Briefe schrieb, betraf einiges Ihres äußeren 
Lebens, Ihre Aufmachung sozusagen <um Ihre Existenz in einem Worte zu nen- 
nen), war die Lehre von der auffälligen Unauffälligkeit, von der anmaßenden Be- 
scheidenheit, von der Zurüd^ezogenheit, die überall ihre Fühler hat, von der 
Harmlosigkeit, die immer auf dem Sprung I^. Ich gab Ihnen einige Vokabeln in 
Ihr Kaleidoskop, nun drehen Sie es bitte und lassen die Leute durchschauen, aber 
nicht sich durch^auen. Sie sind manchmal etwas absonderlich, aber immer exmune 
il faut, nehmen öfter mit H. v. H. den Thee und grüßen im Theater etwa vage nach 
der Richtung hin, wo Herr Arthur Schnifeler sifet, den Sie natürlich dazu gar nicht 
zu kennen brauchen und er Sie nicht, und sagen zu Ihrer Nachbarin in der Loge: 
»Der pite Schnifeler wird immer dicker.c Aber sagen nicht etwa. Sie wären gut b^ 
freunclet mit ihm, denn die Dame könnte Lu^ bekommen, durch Sie Herrn Schnifeler 
kennen zu fernen. Ich sagte Ihnen schon: nie lügen! Immer nur so tun. Ihre Rede 
muß immer so sein, daß der Zuhörer das für Sie Angenehmste mit Ihrer lachtnicken- 
den Nachhülfe heraushören kann, aber auf seine Kosten und Gefahr. Sie müssen 
leichten Herzens in der schwierigsten Situation fragen können: ,Habe ich je gesagt 
daß,..^ Von der Freiheit die Sie sich damit Ihrem späteren kritischen Tun Vor- 
behalten, gar nicht zu reden. Wie die Dinge jefet liegen und auch später liegen 
werden, dürften weder Herr von Hofmaimsmal noch Herr Schnifeler je den Wunsch 
haben. Sie persönlich kennen zu lernen. Es genürf, daß Sie die Herren auf Ihre 
Weise persönlich kennen. Außerdem kennen Sie Peter Altenberg auf jede Weise 
persönlich, denn P. A. kennt jecler, da er in Ihrer Stadt eine öffendiche Eiiuichtung 
1^. Lassen Sie es sich mit ihm genügen. — Wenn ich kurz noch nachhofe, daß Sie 
das Bekanntwerden Ihrer wirklioien Liebesaftmren durchaus vermeiden müssen — 
Frauen und Kammerdienern i^ nichts heilig—, dafür aber Ihre fingierten Verhält- 
nisse, so weit sie ganz außer der Kontrollierbarkeit durch Ihre Gesellschaftsklasse, 
also in h^eren Kreisen, sfch^ unter der Hand verbreiten — seien Sie sehr mäßig — , 
glaube ich nur so Geringes im Bereich Ihres äußeren Lebens vergessen zu haben, 
wie daß Sie z. B. nicht rauchen, nie von Wilde oder was gerade der Tagesenthu- 
siasmus i^ reden und im allgemeinen, so schwer es auch einem jungen Mann wird, 
lieber zuhören sollen. Mit einem gut dreinschauenden Kopf schweigen, wenn über 
große Dinge gesprochen wirct bringt den guten Kopf oft in den Ruf größer als die 
großen Dinge zu sdn. Schweigen hat immer etwas Bedeutungsvolles und blamiert 
nie. Französisch sprechen Sie/ im Englischen lernen Sie noch hundert Vokabeln über 
das hinaus, was man beim deutschen Tennis braucht/ italienisch behaupten Sie lesen, 
aber nicht gleich gut sprechen zu können/ birmanisch treiben Sie als Liebhaberei. 

Ihr Bücherl in zweihundert Exemplaren ziehen Sie, kaum daß es erschienen i^, 
sofort aus dem Handel, schreiben in jedes Exemplar eine beziehungsvolle Widmung 

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an die genanntesten Autoren Europas und sducken es Ihnen eingeschrieben mit der 
Adresse des Absenders und dem handschriftlichen Vermerk »nicht mehr im Handel.« 
Den Sendungen an die berühmteren deutschen Autoren geben Sie auch noch einen 
Brief bei, der den Empfänger zu irgend einer Antwort mit jedem Sähe reizt Nach 
diesem ersten Schlag verlassen Sie sofort die Stadt wie in Scham darüber, daj) Sie 
durch das Buch Ihren bisherigen Ruf als europäischer Gentleman schädigten. Deuten 
an, daß drängende Freunde die Schuld an der Veröffentlichung trügen, an die zu 
denken Ihnen bei dem heutigen Tiefstände unserer Dichtung nie auch nur im Schlafe 
eingefallen wäre. Und Sie hätten ja auch sofort die ganze Auflage einstampfen 
lassen. Dies und ähnliches schreiben Sie auf dem wappengezierten Briefpapier eines 
Bekannten, zu dem Sie sich für die vierzehn Tage zur Jagd einhiden, an ein paar 
Leute, von denen Sie genau wissen, daß sie übö'all hinkommen und aus Mangel 
an eigenem fremde Bagatellen mit großer Wichtigkeit erzählen. Vergessen Sie nicht: 
Immer noch sind Sie der keusche Amateur, wenn auch bereits mit einem wordcjs 
zugegebenen Stich in den Berufenen/ irgend was an Ihnen, im Gang, In der Hal- 
tung, in der Kravatte, muß dieses Geständnis unbefragt machen. Sie müssen dis« 
kret merken lassen, wie heftig Sie sich ncxh gegen das Dichterische, das In Ihnen 
i^, sträuben. Wie es aber doch stärker i^ als all Ihr gegensäfelicher Wiüe, wie es 
eben eine Elementarkraft i^, gegen die sich nidits machen läßt wie es sich eben als 
das eingebome Genialische durchsefet, wobei Ihnen nur dies zu tun bliebe, die 
Korrekuielt der guten Manieren, die Haltung zu wahren. Jefet müssen Sie Kampf 
markieren, um später Sieg markieren zu können, jeht müssen Sie tun als ob eine 
Gleichgewichtsstörung wäre, um später eine prachtvolle AuMleichung zu finden, 
lefet muß der Grundton sein: »Was soll ein Dichter in dieser 2Leit! Wir wollen das 
Leben!«, wozu sich später die Tonica ergeben muß: »Ich habe dieFüUe des Lebens, 
Ich bin der Dichter.« Ohne es ncxh bestimmt auszusprechen (das kommt später) 
sind Sie sich Ihres einzigen Wertes jefet schon ganz bewußt, aber Sie wollöi nur 
nicht in_dieser elenden Zeit der Scribenten u. s. w. sich auf den Markt stellen. Hai« 
tung! Üben Sie Haltung ein wie vorher die Nuance! — Ich mache Sie darauf auf« 
merksam, daß Sie mit sich allein während all dieser Zeit sehr viel zu tun haben 
und sich keinesw»s ausschließlich dem kindlichen Genüsse hingeben dürfen, das 
ledergebundene H^dexemplar Ihres Bücherls von vorne und von hinten Immer 
aufs neue zu lesen und zu liebkosen. Sie haben es verschickt und viele Briefe an 
Berühmte geschrieben. Es sind gute Leute darunter, besonders unter den älteren, 
die Ihnen antworten werden, danken/ andere werden nicht antworten/ einige wer« 
den vielleicht das Buch zurückschicken. Führen Sie eine genaue Liste darüber. 
Danken Sie den einen für das Danken in längeren Briefen leicht Intimen, aber Immer 
respektvollen (Charakters. Fragen Sie die andern, ob sie Ihr Buch bekommen haben. 
Neben die dritten machen Sie ein Kreuz: die nennen Sie in Ihren späteren Kritiken 
unbedingt Literaten. Schreiben Sie den einen, es würde Sie glücklich machen, ein 
Urteil des verehrten Meisters über Ihr Buch öffentlich wo zu lesen, und sagen Sie 
ihm gleichzeitig. Sie bereiteten einen längeren Aufsafe über ihn vor, der dort und 

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dort <nenncnSic eine große Zeitsdirift) erscheinen würde. Unter den guten älteren 
schon ganz vertrottelten Herren gibt es immer ein paar, die nach Ihrem fünften, 
sechsten Brief nachgeben und ein paar Zeilen über Sie in Druck gehen lassen. Dies 
gibt Ihnen das Remt zu einem intensiven Briefverkehr mit den Betreffenden, deren 
Antworten auch ruhig ausbleiben können. Von Zeit zu Zeit schreiben Sie auch 
jenen, die Ihnen nie geantwortet haben/ man kann nicht wissen, ob sie es nicht dexh 
einmal tun. Herrn von Hofmannsthal, der Ihnen natürlich auch nicht geantwortet 
hab sprechen Sie nun ruhig auf der Straße an. Er muß Sie fünf Minuten zu ihm 
sprechen lassen, was genügt. Dann: >Hofmannsthal sagte mir neulich...« 

Und schon bereiten Sie ein neues Buch vor. 

Ich weiß. Sie werden mir nicht die einfältige Frage stellen, was in diesen Büchern 
drinstehen soll. Ober diese Nebensache i^ sich heute jeder klar, der wie Sie auf 
den literarischen Ruhm ausgeht. Ganz allgemein würde ich Ihnen zu Versen raten, 
weil die leichter herzustellen sind als Prosa. Ob Sie Ihre Verse den neuen Dichtern 
ablemen oder den alten hängt davon ab, was Sie leichter treffen. Machen Sie es 
sich um Gotteswillen nicht schwierig. Dichter, die wie Heine ganz den Feuille» 
tönisten gehören, sind natürlich ausgeschlossen, aber Klopstcxk, die Oden, dürfte 
manches für sich haben. Vielleicht liegt eine Mischung Klopstcxk-Schnifeler in der 
Luft. Die Witterung müssen Sie zur Virtuosität ausbilden. Denn Sie dürfen nicht 
vergessen, daß Sie ;a doch immer dn bis zwei Jahre hinter den Dichtern Ihrer Zdt 
zurück sind, aber so nah auf den Fersen müssen Sie ihnen bldbcn, wenn Sie Ihr 
Ziel erreichen wollen. Ihre Aufgabe i^ cs, das unverstandene Wort der Dichter 
zum verstandenen Jargon zu machen, Ihre Aufeabe iÄ cs, die abgelegten Kldder 
der Herren aufzutragen, ihre unangenehm auflallende und befremdende Gangart 
den Zuschauern angenehm zu mamen, indem Sie sie auf das Augenniveau des 
Publikums bringe. Die tolle Cavalcuide der Herren i^ den dngestaubten Augen 
der geärgerten Zuschauer schon entschwunden, da kommen Sie, ganz gidch so 
staffiert daher und erfreuen die Herzen. Sie müssen sonach hinter den Herren kom« 
men und die Herren so gut mimen, daß man diese für tolle Vorrciter und Pla6» 
machcr. Sie aber für den eigentlichen Grandseigneur der Dichtung nimmt. Geben 
Sie nur acht, daß Ihnen kein anderer Ihrer viden engeren Kollegen nachkommt. 
Da kann es dann hergehen wie bei einer Meute hungriger Wölfe, die einander tot» 
beißen. Sic müssen auf Tot und Leben reiten, denn die Herren vor Ihnen sind wie 
der Sturm und hinter Ihnen ül der Tot. Ich rekapituliere: Nuance, Haltung, Wit- 
terung, Geschicklichkeit. Daß Sie fremde Kleider tragen merkt heutzutage kein 
Mensch, da cfic wenigen tüchtigen Menschen sich nicht um Sic kümmern und die 
vielen andern, Ihr Publikum, sich nie um die Dichter kümmern, von denen Sic 
leben. Vergessen Sie nicht: »Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über 
der Welt.« Genug für heute. 

Sie korrespondieren mit den Berühmten Ihrer Zeit soweit es Sie betrifft. Diese ein- 
seitige Betätigung lumn Sie auf die Dauer nicht in Atem halten. Geben Sie daher 

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einfacli Ihren Briefen die Form von Rezensionen, die Sic an die Tageszeitungen 
schicken. Die Leute, die da in den Redaktionen si&en, haben ein zerrüttetes Nerven- 
system und sind auf die Dauer widerstandsunfähig. Dann verlangen Sie ja auch 
kein Honorar. Sie rezensieren m allen Graden Lobes und Tadels. Am besten 
i^, Sie loben dort, wo niemand son^ davon etwas hat als der Verleger, den Sie 
sich günstig stimmen, wenn Sie seine neue Schiller- oder Hdneausgabe rühmen. 
Den Lebenden gelte aber Ihr Lob nur dann, wenn die Sie wiederloben, nach dem 
Grundsafee eine Hand lobt die andere. Aber seien Sic im Ganzen noch recht 
sparsam mit solchem Händedrücken auf Gegenseitigkeit, denn einmal iit die Ge- 
sellschaft da nicht die beste und dann i^ diese Praxis auch in Laienkreisen zu be- 
kannt. Bauen Sie auf dem ernsten Tadel als dem allein guten Gnmd. Wagen Sie 
sich damit an die Besten Ihrer Zeit, man wird Sie schlie|)lim mit diesen Besten nennen, 
auch wenn Sie noch so hef^ gegen sie sind, ja dann er^ recht. Einige der ein- 
sichtigen Menschen unserer Zeit wissen es und sagen es, da^ die heutige deutsche 
Literatur der europäischen zwei Dichter gegeben hat: George und Hoimannsfhal, 
und ihr noch Dauthendey, Borchardt und Schröder geben wird Dagegen müssen 
Sie sofort Stellung nehmen/ den einen ignorieren Sic vollkommen uncTdeutiicIv dem 
andern weisen Sie Unkenntnis der deutschen Grammatik nach, dem dritten sagen 
Sie, er mache Sie nach, den vierten nennen Sie wesentlich einen Literaten, den 
fünften belächeln Sie/ einige Begabung koncedicren Sie vornehm allen/ irgend eine 
Belanglosigkeit müssen Sie überhaupt immer lobend zugeben, das macht dem Publi- 
kum den Eindruck überlegener Unparteilichkeit In der Hauptsache aber durchaus 
verwerfen, von den höchsten nicht weiter bestimmten Standpunkten aus und indem 
Sie den Dichtern alles das sagen, was Sic sind. Sagen Sie z. B. Borchardt schnell, er 
sei ein Literat, so i^ cs Ihrem Publikum erwiesen, daß Sie keiner sind Das i^ 
sehr wichtig, weshalb ich es wiederhole; alles was Sic sind, s^en Sic, seien die 
kritisierten Dichter, alles was die Dichter sind, sagen Sie, seien Sie. Sagen Sie nicht 
das sei zu kühn und das Publikum könnte was merken. Nein, Ihr Publikum merkt 
nie etwas und glaubt Ihnen, weil Sie seinen, des Publikums Jargon nicht nur reden, 
sondern auch d^en Gehirn haben. Und was die [)ichter betrifft, die wehren »ch 
nicht. Sie m^ten es denn schon sehr dumm anfangen oder Ihre kritische Tätig- 
keit in eine Zeit hinein weitertreiben, wo Sie sic nicht mehr brauchen, wo Dir 
Ansehn läng^ gefestigt i^, wo Sic für die breitesten Kreise einer der führenden 
Geister der Nation sind, wo Ihr Bild in der Woche üt und alle Zeitungen Notiz 
davon nehmen, daß Sie die leMe Hand an Ihren neuen Roman legen. Je&t er- 
n Sie öffentlich in den Gazetten nur mehr das Wort, wenn es sich um die 
ten kulturellen Werte handelt, bei Encpieten, Rundfragen und derlei. Schreiben 
magistral, durchaus gefestigt, ein für allemal. Machen eme Kleinigkeit zu einer 
Sadie von größter Bedeutung, wenn Sic sich darüber äußern. Als Schriftsteller 
dachten Sie anzufangen und enden als Pracceptor Germaniae. Dazu gehört es noch, 
daß Sie irgend etwas entdecken, z. B. Goethe, oder irgend einen verschollenen, aber 
immer noch lebenden alten Herrn heftig proklamieren und den Deutschen die 

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Sdunadi vorwerfen, daß sie ihre Besten vergessen. Und sAreiben immer weiter die 
BüAerder andern noA einmal. Mit Aeißig Jahren sind Sie von siA überzeugt, mit 
vierzig haben Sie den naivsten Glauben an siA, mit fünfzig können Sie es siA 
leisten, einen WerdanA»Bund zu gründen und mit seAzig danken Sie als be- 
rühmter Mann und Hofrat den strAsamen jungen reiAen lauten, Ae Ihnen Ihr 
BuA mit der Bitte um einige Zeilen sAiAcn, in ausführliAen Briefen. Lassen Sie 
miA von Ihrem NaAruhm m den LiteraturgpAiAten sAweigen und Ae Perspektive 
Aeser Briefe bei dem PatriarAendeutsAerCeisteskultur enden, als welAen Sie ein 
ganzes Volk verAren wirA in dem dann wegen Todesfalles leider siA niAt mAr 
befinden wird Dir aufriAtiger Ra^eber. — 



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FRANZVON LOBKOWITZ.DIEGESCHICHTEVON DEMKLEU 
NEN MÄNNLEIN MIT DEM ROTEN SCHIRM DEN GROSSEN 
STIEFELN, DER ALTEN UHR, DER LANGEN PFEIFE UND DEN 
BEIDEN, BRAVEN TIEREN. 

Ins Mondschcinland der Feen will ich reiten 
Ins Märchenland der frohen Kindheitstaee 
Wo Wunderblumen blüh'n am steilen Hage 
Und meine Freunde sollen mich begleiten. 

Gar mancher will dies Zauberland bestreiten 
Ihm ist dies alles eine dumme Sage 
Von gütigen Feen, böser Riesen PImc 
Wert zu verschwinden au^eklärten Zeiten. 

Mich aber hat der holde Klang befangen. 

Der aus verschwundener Kindheit mich umklingt 
Wie fernster Sang, wie sehnendes Verlangen. 

Ich seh den Mond am dunklen Himmel hangen 

In dessen Licht sich Elfenreigen schlingt 

Ein Traum! Mir stets geträumt und — nicht vergangen. 

Es war einmal ein Männlein, das war nicht viel größer als ein Bube von 1 4 Jahren, 
aber immer war es lustig und guter Dinge. Einmal sagte das Männlein zu sich; »Ich 
will wieder auf dieWandcrschaft gehen und was neues sehen.« Gedacht — getan, und 
es packte zusammen, und damit war 's bald fertig. Es holte zuer^ ein altes, angeschim« 
meltes Lederränzlein von der Wand, das einmal von irgendwo in seinen Besife gekom> 
men / dann nahm es eine alte Hängeuhr von einer bestaubten Ecke seines Zimmerchens 
und verwahrte sie sehr sorgsam, nachdem Gewichte und Perpendikel hera^enommen 
waren, in seinem Ränzlein. Die alte Uhr! Sie hatte nur mehr einen Zeiger und 
die Ziffern auf dem zersprungmen Ziffemblatt waren kaum mehr zu lesen. Was 
kümmerts das Männchen? Es liebte das gemütliche Tacken, das rasselnde Ce- 
räusch des Schlaggewichtes und den grellen Ton ihres Läutwerkes. Ob sie richtig, 
ob sie falsch schlug, war ihm gleich. Dann zog das Männchen unter der Ofenbank 
zwei große, hohe Stiefel hervor, die glänzend gepu&t waren. Es hielt sie zufrieden 
gegen das volle Sonnenlicht, das strahlend durch die Fenster seines kleinen Stüb« 
chens hereinbrach, und erfreute sich an dem schimmernden Glanze. 

Sechs große Päckchen Rauchtabak, die cs mit Schmunzeln dem dunklen Verließ 
der hohen Stiefebchäfte entnahm, legte es sorgsam in sein Ränzel zu der alten 
Ticktackuhr und obendrauf kamen noch 10 rote Apfel, die bis dahin eme alte, 
wurmstichige Kommode geziert hatten. Nun wurde das Ränzel geschlossen und 
obendrauf schnallte das Männchen noch die mächtigen Stiefel und die Bürste, welche 
die wenigen Borsten, die ihr die ncidvolle Zeit nexh gelassen, wie drohend nach 
außen kdrrte. le&t nahm es im kühnen Schwünge das Ränzlein auf den Rücken, 
und holte aus der Ecke einen mächtig großen, roten Regenschirm mit einem Griff 

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aus schwarzem Hom unci einer langen, blanken Messingspifee. Eine vielfach ver- 
knüpfte Schnur diente als Tra^and und bald hing der Schirm wie ein Gewehr 
über seiner rechten Schulter. Ein großes Stück Schwarzbrot, das es von dem 
einzigen Teller, der im Zimmerchen zu sehen war, herabnahm, wurde nunmehr 
kuns^erecht in den verschiedenen Taschen des vielfach geflickten Rcxkes verteilt 
und nachdem das Männlein sich mit einem Hute von unbestimmter Farbe bedeckt, 
an dem, gar lustig anzusehen, eine weiße Gockcifeder in mächtigem Bogen sich von 
hinten nach vorne wölbte, schritt es gewichtig zu einem großen, zweitürigen Kleider- 
kasten, der mit seinen aufdringlich massigen Formen fa^ die ganze eine Wand des 
Zimmerchens ausfüllte. Es önnete die beiden großen Türen und entnahm dem son^ 
leeren Innenraume mitBehagen eine lange, cjuastengeschmücktePfeife, die dortsorgfältig 
an einem Kleiderhaken au^ehängt war. >So, jefet wird 's bald was werden«, sagte 
das Männlein, und mit Feuerzeug und Zunder entlockte es der bereits gestellten 
Pfeife mächtige Dampfwolken. Es schritt aus der Türe, die unmittelbar ins Freie 
führte, wo sich eine graue Henne behaglich im heißen Sande in den Strahlen der 
Juni-Sonne wärmte. Glucksend erhob sich die Henne aus dem behe^lichen Sand- 
bett, das sie sich gegraben, und folgte ihrem Herrn, der sie freundlich lockte. Der 
aber schwenkte das Hütlein mit der schwankenden Feder, schrie »juhe« und ging, 
von seiner glucksenden Henne gefolgt, auf kleinen Feldpfaden der sinkenden Sonne 
en^egen. 

So schritt es lustig dahin, barfuß — seine guten Stiefel waren ja wohl verwahrt 
auf seinem Ränzel und spiegelten sich gar hell bei Jeder Wendung des Weges im 
Strahle der Sonne — und seiner langen Pfeife entströmten gewaltige Dampfwolken, 
zum Schrecken des summenden und brummenden Insektenvolkes, das in schweben- 
dem Behagen über den blumigen Fluren in zitternder und flimmernder Bewegung 
hing. Bald aber kam der Abend mit langen Schatten über die tauschweren Felder 
gekrexhen und da ein dunkler Wald als mächtige Vorposten zwei ragende Eichen 
bis an den Rand dnes ruhig laufenden Bächleins vorgeschoben hatte, so beschloß 
unser Männlein, allhier sein Nachtcpiartier zu nehmen. O wie schön schläft sich s 
im Frden, vom Himmel mit sdnem großen weiten Stemenmantel zugedeckt und 
von dem träumenden Zwitschern eines sangesmüden Vögeleins in Schlaf gesungen! 
Da es noch nicht ganz dunkel war, richtete das Männidn sich häuslich dn. Es 
spannte seinen großen, roten Regenschirm, der ihm zum Zelte dienen sollte, unter 
den gastlichen rauschenden Eichen auf, entnahm seine alte Uhr dem Ränzidn und 
nachdem es dne passende Stelle an dner der alten Eichen gefunden, hing es sie 
dort sorgsam auf und sefete sie in Gang. Das war gemütlich! Tick — tack — tick 
— tack — machte die gute Alte, und schnarrend holte der Hammer des verrosteten 
Schlagwerkes aus uncTverkündete dem lauschenden Wald und den fait erschreckten 
Vögldn dne Stunde, die gewiß nicht die richtige W2U‘. Das Männidn hatte aber 
so seine rechte Freude, wie der Perpendikel hin und her flog und der dne Zdger, 
den die Uhr noch hatte, in fa^ sichtbaren Rucken vorwärts eilte/ dann klopfte das 
Männlein sorgfältig seine Pfeife aus, und nachdem es sich Brot und Äpfd genommen, 

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teilfe es mit der zahmen Henne seine beschddene Abendmahlzeit. Das Ränzlein 
sollte als Kissen dienen und das Männlein dachte jett daran, unter seinem Schirm 
sich zum Schlafen zu legen, da machte es auf einmal brum, brum, brum und eine 
gro^ Hummel, schwer vom Abendtau, kam geflogen. Sie schwirrte mit müdem 
Flügelschlage um des Männleins Kopf und ließ sich dann erschöpft auf seiner 
Schulter nieder. »Erlaubt du, daß ich hier Plah nehme und bei dir unter deinem 
Schirme schlafe?« sagte die Hummel in bittendem Tone und tiefem Baß. »O ge- 
wiß, sehr gerne«, sagte das Männlein freundlich und gar nicht verwundert darüber, 
daß die Hummel es angesprcxhen hatte. Warum sollte eine Hummel auch nicht 
reden können? Das Männlein konnte nicht schreiben und nicht lesen aber draußen 
in Wald und Feld war es ganz zu Hause, Blumen und Tiere waren ihm wohl 
vertraut und es wußte mehr, als mancher, der die Welt aus Büchern kennen lernen 
will und durch die gläsernen Scheiben seiner Brille in sie hineinguckC wie m seinen 
Guckkasten. Also, das Männlein wunderte sich gar nicht über die Ansprache 
der Hummel, lud sie ein, zu ihm unter seinen Regenschirm hereinzukommen, wo 
es schön warm und trcxken war. »Da sefee dich nur unter den Flügel meiner 
Henne,« sagte das Männlein, »da wird es dirbald schönwarm werdcn/jefet aberwollen 
wir schlafen.« Das Männlein dehnte und streckte sich auf seinem Felleisen, an 
seiner Seite nahm die graue Henne Plah, nachdem sie der Hummel erlaubt hatte, 
sich unter ihren Flügel zu sehen. Und bald schliefen die drei, von den alten, guten 
Eichen behütet und umrauscht, so gut und sicher, wie Königskinder in goldenen 
Betten und auf schwellenden Polstern. Murmelnd plätschert ström- und meer- 
wärts das nimmermüde Bächlein und die gute Uhr begleitet vom knorrigen Stamme 
der Eiche herab mit ungewohntem Ticktackschlagen das ruhige Atemholen der 
schlummernden Naturr 

Als die Sonne am frühen Morgen über den blauen Saum ferner Berge hervor- 
lugte, schlug die Uhr in langen, durch das Rasseln der alten Kette unterbrochenen Inter- 
vallen, 1 2 Uhr und weckte die Bewohner des roten Regenschirmes zu neuem Leben. 
Mit dankbarem Blicke nach oben trank die Henne aus dem klaren Bächlein, wäh- 
rend die Hummel geschäftig von Blume zu Blume flog und süsse Honigtrcmfen 
naschte. Das Männlein aber legte sein rotes Zelt zusammen, verpackte sorgfältig 
wieder seine alte Uhr und nachdem es die Pfeife in Brand gescfet hatte, schrie cs laut 
»Juhe« in den taufrischen Morgen hinein, schwenkte sein altesHütlein mit der schwan- 
kenden, weißen Gcxkelfeder und weiter ging's. DieHenne lief neben dem Männlein her 
und pickte geschäftig die Brosamen auf, die von dem Frühstücksbrot das ihr Herr im 
Gehen verzehrte, für sic zur Erde niedcrfielen. Die Hummel flog neben her, bald 
dcdiin, bald dorthin. 

Wie aber die Sonne höher stieg, wurde es sehr warm und das Männlein öffnete 
seinen großen, roten Regenschirm, die graue Henne flog ihm auf den Rücken und 
sefete sich auf das Ränzel, die Hummel aber nahm ihren Plafe auf der schwanken- 
den Gcxkelfeder ein. Und wie da alle drei lustig und guter Dinge dahinmarschierten, 
da kam plö&lich ein frischer Wind, der flng sich in dem großen roten Schirm und 

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hob die drei recht sachte hinauf in die Luft und trug sie ganz gemächlich über den 
Boden dahin. >Das üt einmal lus^«, rief das Männlein und liep vergnügt wei^ 
Wolken aus seiner nimmerkalten Pfeife steigen. So flogen sie dahin in m^iger 
Höhe über Wiesen und schwankende, wogende Ährenfelder und die Landleute, 
die sie sahen, schlugen vor Verwunderung die Hände über den Kopf zusammen 
über den seltsamen roten Vogel, der mit großen Dampfwolken langsam über ihren 
Häuptern dahinzog. Das Männchen aber grüi^te freundlich herunter und nef herab: 
»Heut wirds warm werden S^pl« oder zu einer rod>äckigen Dime: »Guten 
Morgen Resei, an schönen Grup vom Hansei« — und weg war es. Die unten 
aber schlugen das Kreuz und sahen mit oflimem Munde dem rotleuchtenden 
Wunder nach. 

Da aber der Wind allmählich sich legte, se&te er die Reisenden behutsam am Ufer 
eines großen und breiten Stromes nieder. Auf dieser Seite war der Fluß mit nie- 
derem Gesträuch bewachsen, unter dem sich die süß duftende Frucht reifer Erd- 
beeren verbarg, woran die drei Wanderer, jeder nach seiner Art sich ercjuickten/ 
drüben drängte sich ein düsterer, fait unheimlicher Wald mit Bäumen, die dicht 
mit Flechten behängen waren, bis hart an das Ufer. Der Fluß^strömte in breiter 
Wcjgenmasse ruhig und kraftvoll dahin und über die glifeemde Wasserflut herüber 
schwamm das Brausen und Sausen des Hochwaldes. Nirgends zeigte sich ein 
Nachen emd keine Brücke Rannte ihren Bogen über das Gewässer, das ruhig und 
stetig über unbekannte Tiefm dahinfloß. Der Wind hatte sich gänzlich gelegt und 
da cias Männlein gerade in jenen unbekannten Wald eindringen wollte, so beschloß 
es, seinen Schirm, der sich als herrlicher Luftballon erwiesen, nun auch als Schiff- 
lein zu erproben um sich davon zum anderen Ufer tragen zu lassen. Es spannte 
den Schirm auf und nachdem es sein rotes Sacktüchlein hoch oben am StooCe des 
Sdürmes, der je&t zum Mastbaum wurde, angebunden hatte, sti^ es mit seiner 
Henne ein, während die Hummel auf dem Griffe, als wachsamer Mot Posto ge- 
faßt hatte. Mit einem Stock, der am Ufer gelegen, stieß das Männlein das Fahr- 
zeug vom Ufer ab und bald schwamm das Schifflein gar stolz auf der breiten 
Fläche. Lustig flatterte das rote Sacktüchlein in der Lul^ während das Männlein 
mit seinem Steife dem Fahrzeuge die Richtung zum anderen Ufer zu geben suchte. 
Es gelang. Zwar wurden die Reisenden eine ziemliche Strecke stromabwärts ge- 
treten, aber schließlich trieb der Schirm in das seichtere Wasser des jenseitigen 
Uf^, wo er sich mit seiner großen Messingspifee im weißen Ufersand verankerte 
und nun wie eine große rote Mohnblume auf dem Wasser hin- und herschwankte. 
Die Hummel und die Henne, keine Liebhaber des nassen Elemente, flogen zum 
nahen Ufer hinüber, während das Männlein behaglich in den sacht fließenden Strom 
hinausstieg, sein Schifflein zusammenlegte, und durch das seichte Wasser zu seinen 
Gefährten hinauswatete. 

Es war nun ein kleiner Uferstreifen mit dürftigem Grase bewachsen, dann stieg 
der dunkle Tannenwald ganz unvermittelt in die Höhe. Das Sonnenlicht verlor 
sich in seinem viel verschlungenen Geäste und em trauriges Halbdunkel vermischte 

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Zweige, Äste unci Stamme und löste Jede Form In unbestimmte Linien auf. »Da 
gehen wir hinein«, sagte lustig das furchtlose Männlein und stopfte von neuem 
seine liebe Pfeife. Da aber der Boden des Waldes dicht mit abgefallenen spi&en 
Nadeln, dürrer Asten und rauhen Wurzeln bedeckt war, so schnallte das Männ- 
lein seine großen Stiefel von dem Ränzlein weg und betrachtete die blank GepuMen 
mit Stolz und Liebe so, wie ein Kenner ein edles Reitpferd betrachten würcle. Da 
aber die Stiefel viel zu groß waren, so steckte es in den einen seine Joppe, in den 
anderen seine Weste mit drei Päckchen Rauchtabak, indem es diese Gegenstände 
so weit als möglich nach vorne schob. Dann stieg es selb^ hinein und die Schäfte 
gingen über seine Knie herauf und rückwärts scdiauten gar artig die rot, gelb und 
grün gestreiften Strupfen hervor, auf die das Männlein sehr stolz war. Konnte 
das Männlein in diesen Stiefeln gehen? lind ob! Es ging dahin stramm und stolz 
wie ein Soldat, die Strupfen wackelten bei Jedem Schritt und die dürren Zweige 
knisterten unter den Stiefeln. Die Hummel hatte wieder ihren Lieblingsplafe auf 
der weiten, schwankenden Gcxkelfeder eingenommen/ hinten auf dem Ränzel sa^ 
die Henne und versuchte trofe dem ungünstigen Standpunkt für das Mittagsmahl 
ihres Herrn ein Ei zu legen/ da dies zu ihren t^lichen Verpflichtungen gehörte. 
Eben betrat das Männlem aus dem Dickicht des Waldes eine breite Lichtung, die 
mit dunklem Mose bewachsen war, auf dem das warme Mittagssonnenlioit in 
breiten, glänzenden Streifen lag und eben begrüßte die Henne mit lautem Gegacker 
ein großes, weites El, das sie gelwt hatte, als plöfelich aus dem Walde ein großer 
Riese hervortrat und mit lautem Gebrüll auf das Männlein zuschritt. Der Riese 
hatte feuerrote Haare, die sein Haupt wie eine Lohe umwallten und einen Stock, 
so groß wie ein Heubaum, mit dem er wie wild in der Luft herumschlug. Auf 
der Nase aber hatte er eine große Brille mit einem eisernen Gestell und Brillen- 

f läser so groß wie zwei Hafendeckel. 

Lrschreckt flog das Huhn mit ängstlichem Gegacker nach dem dunklen Waldes» 
dickicht, während das Ei vom Ränzlein auf das schwellende Moos hemiederfiel, 
das es aber mit weichen, grünen Armen aufling, sodaß es mit unversehrter Schale 
warm und weich gebettet dalag. Das Männlein fürchtete sich gar nicht vor dem 
großen und groben Kerl, sondern es nahm seinen Regenschirm von der Schulter 
und stellte sich, die Spike des Regenschirmes nach vorn gekehrt kühn dem Riesen 
en^egen und schrie; »Geh weg, wenn dir dein Leben heb üt.« Da mußte nun 
der Riese freilich furchtbar lachen, d^ es ihn schüttelte und ihm die Tränen über 
die großen Riesenwangen, wie zwei Bächlein herniederflossen. Die Hummel aber, 
che bis dahin auf ihrem schwankenden Ausguck gesessen war, spannte ihre Flügel 
aus, flog dem Riesen entgegen und surrte mit bösem Gebrumm um seine Ohren 
und seine chdce, rote Riescmictse. Der Riese suchte mit der Hand den kleinen Feind 
zu vertreiben, aber da kam er schlecht an. Schlug er sich nach dem rechten Ohr, 
summte die Hummel an seinem linken Ohr/ schlug er sich nach seinem linken Ohr, 
so bedrohte che Hummel seine Nase/ schlug er nach der Nase, so setß sie vergnügt 
auf seiner breiten Lippe. Er warf den Stexk zu Boden und mbeitete mit baden 

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Händen, aber es half nicbü und er sdileuderte nun im blinden Bifer die 
Riesenbrille herab, daß sie mit Wucht zu Boden fiel, wo sie sich eingrub, namdem 
sie im Fallen ein junges Bäumchen geknickt hatte. Wie er sich aber bückte, um 
seine Brille wder zu holen, da staoi ihm die Hummel einen schmerzhaften, gut 
gezielten Stich mitten auf die garstig Riesennase und das Huhrv das auch wieder 
Mut bekommen hatte, kratete ihm Erdreich und Tannennadeln in die Augen, so- 
daß er seine Brille nun gar nicht mehr finden konnte. Die Hummel machte einen 
großen Purzelbaum in der Luß, während das Männlein sich vor Lachen das Bäuch- 
Im hielt und fait aus seinen hohen Stiefeln herausgefallen wäre Der Riese aber 
machte em gar dummtrauriges Gesicht und wischte sich mit den noßen Händen 
die tränenden Augen aus, während seine Nase aufschwoU so groß wie ein Kar- 
töffelsack. »Sieh» du wohl«, sagte das Männlein, »daß es mit dem dicken Kopf 
und mit den großen Händen allein nicht getan ist Schau, wie du deine Brille 
findet und lege dir einen Schubkarren voll feuchter Walderde über deine Nase. 
Das üt gut bei Insektenstich.« Das Männlein wollte gehen, nachdem es das Ei 
vom Boden aufgehoben und zu sich gesteckt hatte. Da wurde der Riese höflich 
und bat, man solle ihm doch seine Brille zeigen, da er ohne Brille sich gar nicht 
helfen könne. Er wolle gewiß recht artig sein, und er habe es überhaupt von An- 
fang an gar nicht so böse gemdnt »Wmn du mir meine Bitte erfüllt«, sagte der 
Riese, indem er sich niedersetete und sich über die verschwollene Nase ein kleines 
Tannenbäumchen, das er ausgerissen hatte, mit dem daranhaltenden Erdreich als 
kühles Pflaster legte. »Wenn du mir meine Bitte erfüllet, so will ich dir das Ge- 
heimnis dieses ^^Ides anvertrauen und es wird wahrscheinlich dein Glück sein.« 
»Ich habe das Glück schon, das ich brauche«, sagte das Männlein, »aber da gleich 
rechts neben dir, wenn du vorsichtig mit der Haai tastet, wir^ du deine Brille 
finden.« Der Riese suchte in der angegebenen Richtung und als er die Brille ge- 
funden und wieder auf seine Nase sie zurecht gerückt hatte, sagte er: »Ich da^e 
£)ir! Wenn du dein Glück schon ha^, so wird es dir vielleicht entsprechen, 
auch anderen das Glück zu bringen.« »Warum denn nicht? Sofern sie es ver- 
dienen.« »Höre! Du büt in einem Walde, der an der Stelle steht, die ein^ eine 
blühende große Stadt eingenommen hatte. Ein gar mächtiger König gebot in der- 
selben übo- ein freies und glückliches Volk. Das einzige Kind des Königs war 
eine Tochter, schön wie ein blütenreicher Frühlingsmorgen und wie der Vollmond, 
der über stillen Seen stehL« Hier wurde des Riesen harte Stimme weich und zitternci 
er buann zu schluchzen und mit einer inneren Rührung, die ihn überkam, zu kämpfen, 
sexlaß das Bäumchen, das auf seiner Nase klebte, wie im Sturm hin- und her- 
schwankte und schließlich ganz zu Boden fiel, ^a, sie war wie der Vollmond, der 
über stillen Seen steht«, rief der Riese, vom Eindruck dieser Worte überwältigt 
aus und suchte mit einem Taschentuch von ungdieuerer Größe der ausbrechenden 
Tränen Herr zu werden/ — »und sie war so gut, so gut so gut.« »Heule nicht 
so«, sagte das Männlein und spannte seinen Regenschirm auf, »so ein Riese, wie 
du! Lass' Dir doch ein Tränzerlein umbinden!« 

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»Der Königssohn des angrenzenden Reiches liebte che schone Königstochter«, fuhr 
der Riese fort, der sich wieder gefaxt hatte, »und er war so glückhch, Gegenliebe 
zu finden. Sie schwuren sich gegenseitig ewige Treue — Aber die schönsten Zu» 
kunftsträume wurden bald zerstört. Am Hofe des Königs lebte, von diesem hoch 
geehrt, von den anderen aber gefürchtet und gemieden, der Hofstemgudcer Sirius 
Astrologus. Er hatte einen langen, schwarzen Bart, rot geränderte, stechende 
Augen und eine spihe Nase. Gekleidet war er in einen schwarzen Talcu", der mit 
abenteuerlichen Figuren durchwirkt war und auf dem Kopfe trug er eine hohe, 
schwarze Müfee. Alles ging ihm aus dem Wege, wenn er schleichenden Ganges 
durch die langen Korridore des Köni^chlosses einher schlürfte und man was 
überzeugt, daß er mit dem Bösen im Bunde stand. Der Hofstemgucker hatte ein 

begehrliches Auge auf die schöne Königstexhter geworfen und« hier wurde 

die Stille des Waldes von einem schallenden Trompetenstoß unterbrexhen und er 
nahte von der entgegengesefeten Seite der Lichtung ein eigentümlicher Aufzug. Es 
kamen sechs kohlrabenschwarze Mohren mit riesigen Turbanen, goldenen Kngen 
in den Nasen und blihenden Krummsäbeln in d^ Händen. Dann kamen drd 
Mohrentrompeter, die auf silbernen Trompeten schmetternde Fanfaren bließen, 
hinter diesen in wallendem rotseidenen Talare ein Herold mit goldenem Herold» 
stab, der rief so oft die Trompeten schwiegen; »Heil imd Verwun^ dem mßen 
Zauberer, dem Beherrscher derGdster und Verwahrer des Gehdmnisses.« Hinter 
ihm ritt auf dnem schwarzen Berberheng^ der Zauberer Sirius Astrologus 
wer konnte es anders sdn — und dahinter marschierte dne rdch bewaffiiete Ldb» 
wache mit glänzenden Spießen und funkelnden Hämischen. 

Als das Männlein den Aufzug kommen sah, verschwand es mit sdnen Tieren so 
schnell als möglich in das tiefste Dickicht. Der Riese aber blieb feü gebannt am 
Boden sifeen und schaute ä^stiieh nach dem Zuge, der auf ihn zukam und ihn in 
wdtem Krdse umstdlte. Der Zauberer ritt bis hebt an den Riesen heran und 
sprach: »Die schöne Königstochter hat sich noch nicht entschlossen, die Mdne zu 
werden. Ich habe es nun satt, sie mit süßen Liebesreden nexh länger zu bestürmen. 
Entweder sie willigt dn, oder du stirbt. Mdn Zauberwort hat dich als unförm» 
liehen Riesen zum Hüter dieses Waldes wider ddnen Willen bestimmt Ich gebe 
dir wieder deine frühere Gestalt Morgen wird die Königstochter zwischen mir 
und dir zu wählen haben und fällt die Wahl zu mdnen Ungunsten aus, so soM 
du vor ihren Augen eines tausendfachen Todes stCrben, unter Qualen, die nur 
dn findiges Zaubererhim erfinden kann.« 

Ein Mohrenknabe brachte ein goldenes Rauchfaß in wdches der Zauberer dn 
fdnes Pulver schüttete und entzündete. Der Knabe schwang das Rauchfaß bli&» 
schnell im Kreise und während dichter Dampf dem Gefäße entströmte und bald 
die umstehenden in dne cpialmende Wolke hüllte, hörte man die Stimme des Zau* 
berers, der in unbekannter Sprache sdne Beschwörungsformd sang. Als der Rauch 
sich verzogen, war der Riese verschwunden und an sdner Stelle stand ein schöner, 
bleicher Jüngling mit blonden Lexken da. »Legt ihn in Fesseln«, rief der Zauberer, 

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und die SAwarzen stürzten sidi auf den Wehrlosen und legten ihm schwere Ketten 
an die Hände, darui warfen sie ihm um den Hals einen Riemen und befestigten 
diesen am Pferde des Zauberers. Der aber gab sdnem Hengste die Sporen, da^ 
er sich hoch aufbäumte und verließ mit seinem Gefolge in derselben Ordnung, in 
der er gekommen, wieder die Waldlichtung. Die Mohrentrompeter bließen ihre 
Fanfaren und lange noch konnte man den Heroldruf vernehmen: »Heil und Ver- 
ehrung dem großöi Zauberer, dem Beherrscher der Geister und dem Verwahrer 
des Geheimnisses, c 

Das Männlein aber trat aus seinem Versteck hervor und schwenkte mit drohender 
Gebärde seinen roten Regenschirm. Dann machte es sich auf den Weg und ver- 
folgte mit großen Schritten die breiten ^uren, die der abziehende Zug im Waldes- 
boden zurückgelassen hatte. Die weißen Dampfwolken, die in rascher Aufein- 
anderfolge seiner Pfeife entströmten, zeigten seine innere Erregung. Das Männchen 
war nicht lange gegangen, so lichtete sich der Wald immer mehr und die Spur 
mündete in einen breiten, wohlgepflegten Weg. Der finstere Tannenwald machte 
hohen, schwankenden Palmen Plät, der Boden war mit den schönsten Blumen in 
allen Farben bedeckt, die von bunten Schmetterlingen und flimmernden Kolibris 
umgaukelt waren. 

Ein breiter, tiefer Kanal hemmte den Schritt der Wanderer. Die Zugbrücke, welche 
die beiden Ufer verband, wurde soeben aufgezogen. Mit goldenen Zinnen gekrönt 
erhob sich ein Schloß von weißem Marmor m einiger Entfernung am anderen Ufer. 
»Hier wollen wir uns in Hinterhalt legen«, sagte das Männchen und ging vor- 
sichtig zurück bis zu der Stelle, wo der dunkle Tannenhochwald sich mit der Vege- 
tation des Südens vermählte. Unter einer mächtigen Tanne schlug das Männchen 
sein Hauptcpiartier auf und schickte die Hummel auf Kundschaft aus. Hoch schwang 
sich diese in die blaue laue Luft flog mit glihemden Flügeln über die schleichenden 
Gewässer des Kanals, surrte über das Blüten- und Duftmeer des jenseitigen Zauber- 

f 'artens und kam gerade dazu, wie der Zauberer in einer reich vergoldeten Garten- 
aube auf schwellenden Polstern mit untergeschlagenen Beinen saß und mit Behagen 
eine türkische Wasserpfeife rauchte. Weiße SlUavionen mit wehenden Fächern 
von Straußfedem fächdten ihm frische Luft zu. Ein schwarzer Sklave, dem eine 
große Peitsche verheißungsvoll an der Seite hing, harrte schweigend der Befehle 
seines Gebieters. Dieser erhob sich plöfelich und verließ eilenden Schrittes das 
Gartenhaus. Die Hummel aber se&te sich hexh oben auf die hohe Zaubermütie 
und der Besiher derselben mußte so ahnungslos dem kleinen Spion selb^ als Führer 
dienen. Der Zauberer schritt auf das Schloß zu und gelangte zunäch^ durch ein 
reich vergoldetes Gittertor in einen mit kleinen Steinen gepflasterten Vorhof, der 
von schattigen Arkaden umgeben war und in dessen Mitte ein plätschernder Brunnen 
in eine weiße Marmorschale sprudelnd sich ergoß. Der Zauberer eilte rechts eine 
Freitreppe hinan, und ein langer, säulengeschmückter Gang führte ihn sodarm an 
eine kleine eiserne Türe, die rechts und linKs von zwei bis an die Zähne bewaffneten 
Mohren bewacht war. Die warfen sich beim Herannahen des Gebieters der ganzen 

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Länge nacf) auf den Boden und nachdem sie einen gnädige Fußtritt erhalten hatten, 
sprach der Zauberer eine Zauberformel, worauf die Türe sich öSiete und sich 
wieder dröhnend schloß, nachdem die Schwelle überschritten war. Der Zauberer 
befand sich in einem kleinen Vorzimmer, und als er einen schweren, seidenen Vor« 
hang bei Seite geschoben, in einem mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten 
Gemache. Hoch oben brach durch eine Kuppel das Tageslicht, das durch farbige 
Scheiben gedämpit alle Gegenstände mit magischem Lichte übergo^. Schwellende 
Perserteppiche erstickten den Schall der Tntte und fremde Vögel in goldenen 
Käfigen ließen ihren lieblichen Gesang ertönen. Ein häßliches, altes, blatternarbiges 
Negerweib warf sich beim Eintritt des Zauberers auf den Boden und aus der 
hintersten Ecke des duftenden Gemaches erscholl ein unterdrücktes Schluchzen. 
>Bring die Gefangene her«, befahl der Zauberer dem Negerweibe, das sich rasch 
erhob und mit rauhen Worten aus der Ecke des Gemaches ein schönes Mädchen 
vor sich herstieß. Lang wallten die blondgelcxkten Haare um die königliche schlanke 
Gestalt, die unter den rohen Püffen der schwarzen Hexe zusammenfuhr. Bleich 
und gramverzehrt war das wunderliebliche Gesichtchen, und die großen schwarzen 
Augen schauten tränenfeucht und hilfesuchend. O wie gerne hätte dodi die Hummel 
sich von ihrem Sifee herabgeschwungen und hätte der bösen Negerin die Spifee 
ihres Stachels fühlen lassen. Aber cue Art des Amtes mahnte zur Vorsicht und 
sie zügelte ihr stechendes Verlangen. 

Bleich und zitternd stand die Jungfrau nun vor dem Zauberer, schön wie der blasse 
Vollmcwid, der über stillen Seen steht. Der Zauberer aber verschlang die zarte 
Gestalt mit boshaft lüsternen Blicken und ^rach mit girrender Stimme: «Mein 
süßes Täubchen! Immer noch ein Trofeköpfchen? Immer ncxh böse — wie?« Und 
er versuchte mit zudringlicher Zärtlichkeit mit seinen Fingern, die an die Krallen 
eines Raubv^els erinnerten, die blassen Wangen des Mägdeleins zu streicheln. 
>Zurück — Verfluchter!« rief das Mädchen und stieß den Zauberer von sich. 
Der aber wurde feuerrot und schrie, seiner nicht mehr mächtig: »Das soUit du 
mir büßen! Mo^en soll^ du mein sein und dein zarter Liebhaber soll unter den 
Händen meiner Henkersknechte dir ein Hochzeitslied singen, das dir zeidebens 
in den Ohren gellen soll. Glaube ;a nicht, in deinem törichten Wahne an Rettung! 
Morgen i^ der Tag, an dem du mir ganz verfallen bi^, und keine Macht der 
Hölle soll dich mir entreißen.« Da wurde der Zauberer plöfelich still/ blaß wie 
der Tod stand er da und horchte ängsdich mit vorgeneigtem Körper nach einer 
Ecke des Zimmers. Deudich vernahm man dort das langsam gemüdiche Ticken 
einer Uhr. Tick — tack — tick — tack. »Wer hat mein Gebot übertreten?« schrie 
der Zauberer, zur alten Negerin gewendet. »Weißt du nicht, daß es strenge ver« 
boten i^, bei mir nur den Namen einer Uhr zu nennen, viel weniger eine solche 
zu besi&en.« Er stürzte wie wütend nach der Ecke, um die Uhr zu zertrümmern, 
aber es war nichts zu sehen und eine Uhr war nirgends zu finden. Der Zauberer 
rannte wie besessen umher, er vergaß ganz die arme Gefangene, zerrte die Negerin 
an den Haaren, stieß nach ihr mit den Füßen und schrie: »Wo hait du die Uhr? 

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Fünfhundert soM du bekommen — her mit der Uhr!« Dabei drehte er sich wie 
ein Kreisel zertrümmerte kostbare Spiegel, rijj die seidenen Tapeten von den Wänden, 
warf die goldenen Vogelkäfige von ihren Gestellen, immer auf der Suche nach dem 
C»enslande seiner Wut, den er nicht finden konnte und der doch vorhanden sein 
mufne. 

Der Zauberer schrie und fluchte — das alte Negerweib heulte und stöhnte. Scheiben 
brachen und klirrten — Vasen stürzten und krachten — Vögel mepsten und kreischten 
dazwischen hinein, es klang immer gleich, immer in demselben RWthmus und unbe« 
irrt vom Lärm und Toben das Ticken und Tacken der unsicntbaren Uhr. Der 
Zauberer hielt sich schließlich die Ohren zu und stürzte m wilder Flucht vor dem 
fatalen Ton hinaus, durmeilte die langen Korridore, stürmte die Treppe hinab in 
das Frde und irrte lan^e Zeit plan« und ziellos in seinem Garten m lautem Selbst« 

S espräch umher. »Nem ~ nein«, sagte er, »abermals nein! Es war keine Uhr, 
ummes Ammenmärchen, immer diese Furcht, daß eine Uhr mir einmal Unglück 
bringt Ich habe nur gehört und nichts gesehen, ako war auch nichts vorhanden 
und meine erregte Phantasie hat mich getäuscht Jawohl so war es, nichts — nichts I 
We man nur so dumm sein kann. Haha!« Hiermit beruhigte er sich, obwohl 
sein Lachen noch sehr gezwungen klang. Die Hummel aber, welche genug ^e« 
hört hatte, schwang sich je&t von der hohen Müfee aus m die Luft und beeilte sich, 
dem Männlein so bald wie möglich Bericht zu erstatten. 

Das Männlein hatte in der Zwischenzeit am Waldesrande sich häuslich niederge« 
lassen. Der rote Regenschirm stand bereits aufgespannt unter den tief herab« 
sinkenden Ästen der mächtigen Tannen, und vom Stamme herab tickte gemütlich 
die alte Uhr. JeH saß das Männlein auf seinem Felleisen, rauchte nachdenklich 
aus der langen Pfeife und hörte aufinerksam auf den Bericht der Hummel vor 
ihm auf einer Blume Pla& genommen hatte und im Gefühle ihrer Wichtigkeit und 
mit lebhaften Aktionen erz^lte. »Und jctt i^ jeder Zweifel ausgeschlossen«, sprach 
die Hummel >cs war das Ticken einer Uhr, es klang laut und deutlich, ganz genau 
so, wie deine Uhr geht und wenn ich genau hinhorche, so meine ich wieder das 
Ticken der Uhr beim Zauberer zu vernehmen.« Hier schwieg die Hummel. Auch 
das Männlein saß lange da und dachte nach. Dann stand es auf, stellte sich vor 
seine Uhr, betraditete dieselbe aufmerksam und horchte auf ihren Gang. In der 
Zwischenzeit war es Abend geworden. Ein weißer Nebel, der dem Kanäle vor 
dem Zauberschlcssse entsti» türmte und ballte sich dort in seltsamen Gestalten, 
während im Walde das volle Mondlicht sich ergoß. Lange stand das Männchen 
und horchte und lauschte. Bald undeutlicher, bald deutlicher vermeinte es dem Ticken 
der Uhr gewisse Worte entnehmen zu können und je mehr es sich anstrengte, desto 
mehr erlangte es Gewißheit, daß der Perpendikel der im Mondlichte glänzend hin« und 
herschwang/ ihm eine Nachricht zu vermitteln habe. Er^ hörte das Männlein 
nur einzelne Worte, dann aber erfaßte es allmählich den ganzen Sinn der Nach« 
rieht, welche die Uhr inuner wieder und wieder durch gleichmäßiges TacktSchlagen 
ihm zum Bewußtsein brachte: 



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Tide — Tadl, Rauditabak 
Tide — Tade, Raucht^lbak 
Böse Mohren sind verloren 
Mißbehagen nicht vertragen 
Zauberer auch, beißt der Rauch. 

»Da haben wir 's«, rief das Männlein lustig. »JeM i^ mir 's nicht mehr bang. Jett 
wird zuvor die Kanone geladen und dann wollen wir gut schlafen und uns zum 
Kampfe stärken. Für den Zauberer tu's ein schlechter auch«, sagte das Männlein 
und stopfte seine Pfeife mit dunklem Knaster, der in seinen schwarzen, dicken 
Rippen unheimliche Kräfte für alle Beteiligen zu enthalten schien. Dann legte es 
sich nieder unter seinen Schirm zu der H^e, die im Gestell des Schirmes Plafe 
genommen hatte. Die Hummel aber zog es vor, bei der lauen Juninacht in dem 
blauen Kelch einer GIcxkenblume zu übernachten und sich von süß duftendem 
gelben Blütenstaub bedecken zu lassen. Hr^ spät schlief das Männlein ein und 
auch Im Schlafe noch hörte es zwischen das Singen und Zirpen der Cikaden hinein 
den Schlag der Uhr, der zu ihm sprach; 

Tick — Tack, Rauchtabak 
Tick -- Tack, Rauchtabak 
Böse Mohren sind verloren 
Mißbehagen nicht vertragen 
Zaubererer auch, beißt der Rauch. 

Als aber am anderen Morgen, da die Sonne schon längere Zeit aufgeganra war, 
die auf Kundschaft ausgeschickte Hummel meldete, d^ es jett hödiste Zeit sei, 
die Mohren seien vor dem Palaif des Zauberers aufgestellt und die ro^ekleideten 
Henker erwarteten bereits mit glühenden Zangen, mit Messern und Stricken das 
Opfer, nahm das Männlein eilends den Schirm unter den Arm, schwang sein bem 
reits gepacktes Ränzlein auf den Rücken und eilte, bedrohendliche Dampfwolken 
cjualmend, dem Schlc^sse zu. Die Henne und die Hummel gackernd, brummend 
und voll Kampfeslu^ waren im Vordertreffen. Da die Zugbrücke herabgelasscn 
war, so kam das Männlein rasch bis zu dem großen freien Pla&e vor dem c^osse. 
Dort herrschte reges Leben. Auf einem Thronsessel saß der Zauberer, umgeben 
von fächertragenciffl Sklavinnen. An seiner Seite stand die gefangene Königstexhter 
bräutlich gesdimückt und von zwei Sklavinnen gestü&t Ihr gegenüber erwartete 
der bldche Jüngling, an Händen und Füßen geicsselt, sein hartes Schicksal, und 
die gefühllosen Henkersknechte konnten den Augenblick nicht erwarten, an dem 
sie ihres grausamen Amtes walten durften. Schmetternde Fanfaren ertönten. Der 
Zauberer erhob sich und sprach zur Königstochter; »Die Stunde iil gekommen. 
Wähle! Du hai! jett so lange Zeit als die Kohle, die ich aus dem Kohlenbecken 
hier auf diesen Teller lege, leuchtet und glüht.« 

Br nahm mit goldener Zange eine glühende Kohle aus einem neben ihm stehen« 
den Becken und legte sie auf einen goldenen Teller, den eine Sklavin knieend ihm 

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überreichte. Alles wcir ruhig und stiü. Man hörte fail das leise Zischen der ver« 
gfimnienden Kohle. Er^ leuchtete sie in voller Glut, dann zeigte sich ein schwarzer 
Fledcen, der inuner mehr von der roten Glut verzehrte, dann nur mehr ein kldner 
glühender Punkt — ein kurzes Aufleuchten — dn schwacher Blife — eine Idchte 
Dampfwolkc stieg in die Höhe, das Feuer war erstorben — verglommen, 

>Han du gewählt?« biiß der Zauberer je^ indem er sich erhob. »Ich habe ge« 
wählt«, sprach die Jung^au laut und deudich. »ich verfluche dich!« Und ehe man 
sie hindern konnte, stürzte sie dem Jüngling entguen, warf sich an seinen Hals 
und 6el dann ohnmächtig zu sdnen Fü^en nieder. Ho^ flammten jett die Feuer« 
becken auf, m denen die wilden Schemen geschäftig ihre Zemgen wendeten. Viele 
Hände streckten sich in gieriger Haif den Jüngling zu ergrdfen. Der Zauberer 
stand hoch aufgerichtet und schrie mit kreischender Stimme mit erhobenem Arme 

nach dem Königssohn deutend: »Man « Da starb ihm der Ton auf der 

Lippe, der Arm fid schwach herab, denn mächtig und tonvoO drang der Schall 
einer Uhr wie von fern her vom Winde getragen an sein Ohr. Ruhig und tief und 
mahnend klang Jeder dnzelne Schlag und zitterte im Nachhall summend wdter. 
Erschreckt lauschte alles dem ungewohnten Klang und in diesem Augenblicke er- 
schien auch das Männchen, sdnen Regenschirm wie eine Lanze schwingend. 
Schwarzer Qualm entstieg seiner Pfeife und wirbdte in dichten Wolken, während 



die Hummd, ihren Schlachtgcsang singend, mit sieghaftem Stachd sich auf die vor 
Schrecken bldchen Mohrennasen stürzte. Ernster wurde die Luft von dem Qualm 
der Pfeife, der wie einer Esse entstieg und sich mit schwarzen Wetterwolken, die 
ein tobender Sturmwind heranjagte, zu Schreck und Graus verband. Wie tot 
fiden Sklaven, Henkersknechte und Leibwache vom Pfdfencjualm betäubt nieder. 
Donner grollte und Hagelschauer sauste herab. Ein grdler Blifestrahl leuchtete 
auf und zdgte das Männidn, das mit seinem geöffneten roten Regenschirm die 
Königskinder, die nebeneinander zu Boden gesunken waren, beschüfete, während der 
Zaubrer immer noch aufrecht mit aufgenssenen Augen und geöffnetem Munde 
wie eine steineme Säule dastand. 



Ein neuer Schl^, der die Grundfeste der Erde erbeben machte, folgte und alles 
hüllte sich in tiefe schwarze Nacht Lange noch hallte der Donner in tausendfachem 
Echo, dazwischen aber klang wie von fern her, fried« und glückbedeutend feier« 
liches Glcxkengeläute und mit einem Male ward es heller Tag. Zauberer, Mohren 
und Henkersknechte, alles war verschwunden. 

Auf einem grünen Rasenteppich, der sich vor dem hochgewölbten gotischen Tore 
eines Burghofes ausbreitete, lagen aneinandergeschmiegt, die beiden Königskinder. 
Das Männlein, das seinen Schinn geschlossen, betrachtete sie mit zufriedenem Blick, 
geschäftig pickte die Henne im Grase, während die Hummel naschend von Blume 
zu Blume eines Rosenstockes flog, der an der Verzierung des gotischen Tores 
emporgerankt war. Eine niedere Mauerbrüstüng umgab vcm der einen Seite den 
Burghof. Man sah von dort auf eine gro^e Stadt die sich auf den Berg hinaufzcjg, 
an den die Burg gebaut war und auf der anderen Seite sich nach der Ebene ver« 



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breitete. Ein Strom, von mSditieen Brücken überspannt und von segelnden Sdiilfen 
belebt, durchschnitt die Stadt und drüber hinaus folgten weiter wogende Felder bis 
sich der Blick im Dunkel ferner Wälder verlor. 

Die Schläfer erwachten wie aus bösem Traum. Sie richteten sich auf und sahen 
erstaunt umher. Bekannte Räume umgaben sie und der Anblick des Männleins, 
das sie freundlich begrüßte, erinnerte sic an die Vergangenheit, und ließ sie an die 
Gegenwart glauben. Sie küßten dem Männlein die Hände und dankten ihm als 
ihrem Retter. 

»Sprich und verlange was du willit«, sprach der Königssohn, «und wolltet du 
mein ganzes Königrach verlangen, so würde ich doch ewig dein Schuldner bleiben.« 
»Ich habe das Glück schon, das ich brauche«, sagte das Männlein. »Zufrieden 
mit dem, was ich bin und habe, will ich segenspendend weiterziehen, selb^ glück« 
lieh und denen Glück bringend, die mich erkennen und verstehen.« Dann führte 
cs die Beiden zur Brüstung des Burghofes. 

Die ScMine neigte sich dem Untergänge, und holder Abendfrieden kam auf unsicht« 
baren Schwingen leis herangeflogen. Freundlich nickend spannte das Männlein 
seinen roten Regenschirm auf, die Henne fli^ ihm auf die Schulter, die Hummel 
auf die schwankende Gockclfedcr. Kleine Wölkchen entstiegen der Pfeife und ein 
leichter Wind erfaßte den Schirm und trug das Männlein von der Mauerbrüstun^ 
auf die es ^tiegen war, sachte — sachte dahin. Es flog über die große Stadt mit 
ihren roten Dächern und rauchenden Kaminen. Es flog über den braten schimmern« 
den Fluß/ }ett schwebte es über den wogenden Felciem, jett sah man den Schirm 
nur noch wie ein rotes Blatt, das im Winde treibt, und zulefet glänzte die Messing« 
spifec als leuchtender Punkt im Sonnengold des Abendglanzes. — Dann war nichts 
mehr zu sehen. 

Lange, lange schauten die Beiden ihm nach, die Augen tränenfeucht und die edlen 
Herzen voll guter, warmer Gedanken. Sie hatten die Hände gefaßt und sahen 
wortlos hinaus ins Abendgold, während auf den heiligen Schwingen der Glocken« 
töne, die von den Kirchen tief unten im Tal zu ihnen heraufgeklungen kamen, ein 
tiefer Gottesfriede in ihre Seelen drang. 

Hexh oben an einer Königskrone, die den ragenden Torbogen zierte, hatte ein 
Schwalbenpärchen sein bescheidenes Nestchen angeklebt Dort saßen die Schwälb« 
chen munter zwitschernd im lefrten Abendstrahl und sangen das immer junge Lied 
vom Heimatland und Heimatglück. 

Das ist die Geschichte von dem kleinen Männlein mit dem roten Schirm, den großen 
Stiefeln, der alten Uhr, der langen Pfeife und den beiden, braven Tieren. 



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REDAKTIONELLE MITTEILUNGEN: 

Die H. Verleger und Verfasser werden crsudiC von der Zusendung belang« und 
wertloser Büdier an die Herausgeber des *Hc abzusehen. Die Zeitschrift ver» 
ölfentlicht keine Buchkritiken, sondern nennt ihren Lesern nur empfehlend jeweils 
das Wertvollste der neuen Erscheinungen. Für diesmal seien sehr empfohlen: 
Dauthendey,InsichversunkeneLieder im Laub ^Stuttgart Juncker). Heinrich Mann, 
Die Bösen <Leipzig, Insel-Verlag). Baudelaire, Oeuvres posthumes < Paris, Mercure 
de France). Stendhal, Correspcxidance/ publice par Paupe et Cheramy/ 3 vo- 
lumes (Paris, Bosse). Die erste vollständige Gesamtausgabe. Wilhelm von Scholz, 
Deutsche Mystiker (Berlin, Marcpiardt u. Cie). Robert Walser, Der Gehülfc/ 
Roman (Berlin, Cassirer). Strindberg, Historische Miniaturen (München, Müller). 
Era. Signoret, Oeuvres Mt p. A. Gide (Paris, Mcrcnire de France). Rudolf 
Kassner, Melancolia (Berlin, Fischer). Hofmannsthat Prosaische Schriften, Band 
Zwd. (Berlin, Fischer). Jensen, Das Rad/ Roman (Berlin, Fischer). Montaigne,’ 
Gesammelte Werke. Deutsch nach J. v. Bode von W. Weigand und O. Flake. 
Erster Band (München, Müller). Diese beste deutsche Montaigneübertragung 
wird hier in 8 Bänden neu gedruckt Max Brod, Der Weg des Verliebten. Ge- 
dichte (Juncker, Stut^art). E v. Keyserling, Dumala/ Roman (Berlin, Fischer). 
Aubrey Beardsley, Briefe und Kalendemotizen/ deutsch von F. Waemdorfer 
(München, Weber). Heinrich Lautensack, Hahnenkampf/ Komödie (Berlin, A. 
R. Meyer). Artur Schnibler, Der Weg ins Freie/ Roman (Berlin, S. Fischer). 
A. Pope, Der Lockenraub/ deutsch vonR. A. Schröder/ mit 9 Bildern Beardleys. 
(Insel-Verlag). Schopenhauer, Werke HI. (H. W, E. A. Inselverlag). GoeÖie, 
Werke HI. (H. W. E. A. Inselverlag). W. von Scholz, Der Spiegel/ Gedichte 
(München, S. Müller). Kokoschka, Die träumenden Knaben (Wiener Werk- 
stätte). The Cambridge History of English LiteratUre. Vol. II. (C^ambridge 
Unrversity Press). Max Brod, Schloß Nemepyggc/ Roman (Stuttgart, Juncker). 



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MITTEILUNGEN DES VERLAGES 
Die Ledcrdctken für die 3 Doppelbände <je z Hefte) des »H.« 
gelangen im Oktober zur Versendung an die Abonnenten der 
Japanausgabe. Die Decke wurde in der Wiener Werkstätte her- 
gestellt. Angleidtem Orte werden dieGanzleinendeckenderVelin- 
ausgabe hergestcllt, über deren Bezug später Mitteilung erfolgt 
Der Preis für die 3 Decken wird etwa 1 5 Mark betragen. 

REDAKTIONELLE MITTEILUNGEN 

Der N achdruck von Stücken aus dieser Zeitschrift Ül nichtgestattetT 
Unaufgefordert eingesandten Manuskripten oder Zeichnungen i^ 
.dies Rückporto beizulegen. Sendungen sind an die Redaktion 
München, Hubertusstra^ 1 3 zu richten. 

Das vierte Heft wird Lithographien, Lichtdrucke und A^ngen 
nach Blättern von Signac, Rodin, Mailoll, Mathes, Toulouse- 
Lautrec, Van Gogh, Klimt und Millet bringen, alle aus den 
Sammlungen des Herrn A.W, von Heymel. Im Textteil Beiträge 
von: R. Borchardt A. Gide, R. Musit H. Bahr, C. Stemheim, 
P. Blei, R. Schickele u. A. 

BERICHTIGUNG: Die Auflage derVelinausgabe wurde an 
dieser Stelle des zweiten Heftes irrtümlich mit pex) angegeben. 
Sie beträgt locx) Exemplare. 



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. — DEUTSCHE KUNST UND DEKORATION—' 



Herausf egeben u. redigiert von Hofrat ALEXANDER KOCH 

Illustrierte Monatshefte für Wohnungskun^, Malerd, Plastik, 
Architektur, C&rten und künsd. Frauenarbeiten. Rdcbhaltigste und 
vornehmste Zdtsduift für angewandte Kun^. Der neue J^gang 
brachte bisher eingehende Würdigungen von CAMPBELL U. 
PULLICH, L. V: CISSARZ, FRlTZ ERLER, WALTER 
GEORGI, FLORENCE I. HOESEL,JUL. KLINGER, 
HUGO LEDERER, FRANZ METZT^R, KOLOMAN 
MOSER, NICOLA PERSCHEID, RIEMERSCHMID, 
AUG. RODIN, ART.VOLKMANN, OSCAR ZWINT- 
SCHER, JOS. HpF^NN, CZESCHKA, KLI^-Wien, 
etc Jährlioi 1 2 rdch illustr. Hefte 24 M., Einzelpreis 2.50 M. 
lUustr. Prospekte kostoilos. 



VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH • DARM.STADT 



DRAMEN: 

PAUL CLAUDEL, MITTAGSWENDE. Gedruckt bei 
Poeschd und Trepte in Ldpzig. Deutsch von Franz Bld. 
Broschiert 3.50 Mark, 50 numerierte Exemplare auf Van 
Gelder, gebunden 1 z Mark. 

CARL STERNHEIM, ULRICH UND BRIGITTE. 
Gedruckt in der Offizin W. Drugulin in Leipzig. Broschiert 
2 Mark, Luxusausgabe Gcx> Exemplare in einem altholl&i» 
dischen Pergeunenffiande) to Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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FRIEDRICH HEBBEL • JUDITH 
Neudruck der ersten Ausgabe mit i oVignetten 
und I oVoIibildem vcmi Thomas Theodor Heine 




Luxusausgabe : i cx) numerierte, vom Künstler signierte Exem« 
plare auf Kaiserlic^apan in Ledereinband nach dem Ent> 
würfe von Th. Tn. Heine zum Preise von 30 Mark. 
Bültenausgabe: 1 000 Exemplare aufVan Gelder^Bütten, mit 
den Vollbildern auf echtem Japan zum Preise von 10 Mark. 



JACQUES CAZOTTE 
BIONDETTA, DER VERLIEBTE TEUFEL 
Eine Novelle. Mit handkolorierter Umschlagzeich« 
nung und Rahmen von Thomas Theodor Heine 
1 000 Exemplare auf italienischen BüSen, in englischem Bütten 
broschiert 3 Mark. In japanischem Orangekarton gebunden. 
4 Mark 50 Pf. 

Luxusausgabe: 50 numerierte Exemplare auf Kais. Japan in 
goldgedruckten Orangelederbande nach Heines Zeichnung, in 
dunkelblauer Kapsel zum Preise von 1 5 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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DAS LESEBUCH DER MARQUISE 
Ein Rokokobudi für die Damen, herausgegeben von Franz Blei 
Mit Einbandzeichnung, acht zum Teil mit der Hand kolorierten Voll- 
bildern, vielen Vignetten, Rahmen, Cul-de-lampes v. Cc^tantin Somoff 




Ausgabe auf Van Geldern -Bütten: 800 Exemplare in rotem Maro- 
(]uin- Einbande nach Somoffs Zeichnung, zum Preise von 25 Mark. 
Luxusausgabe: 50 numerierte Exemplare auf Kaiserlich Japan, in Leder 
gebunden, mit emter Moireeseide als V orsah, zum Preise vem 50 Mark. 



DAS LUSTWALDCHEN 
GALANTE GEDICHTE 
aus der deutschen Barexkzeit herausgegeben von Franz Blei 
Mit handkolorierter Umschlagzeichnung von Constantin 
Somoff und Rückentitel von Elsa Gcricke. Broschiert 3 Mark, 
gebunden 4 Mark 5oPfeimig. Vorzugsausgabe <tcx> nume- 
rierte Exemplare auf Zandersbütten) 10 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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ADALBERT VON CHAMISSO 
PETER SCHLEMIHLS WUNDERSAME GESCHICHTE 
Neudrudc des ersten Druckes. Mit « i Vollbildern, 23 Sil- 
houetten und Einbandzeichnung von Emil Preetorius. 

1 000 Exemplare auf echt italienisches Bütten gedruckt, der 
Vollbilder auf Kaiserlich Japan, in goldgepre^ter, türkisgrüner 
Kartonnage, zum Preise von 6 Mark. 100 numerierte Exem- 
plare wurden auf Kaiserlich Japan gedruckt und in grauge- 
pre^tes Canzleder gebunden zum Preise von 1 8 Mark. 



AUBREy BEARDSLEy 
BRIEFE UND KALENDERNOTIZEN 
Mit den vier Zeichnungen zu E. A. Poe. 

Beardsleys Briefe, die eine reiche Quelle zur Kenntnis seiner Persönlich- 
keit erschließen, sind einzeln und fragmentarisch da und dort veröffentlicht 
worden. Die hier angekündigte Sammlung wird etwa 196 Briefe, zum 
Teil ganz unbekannte, sowie die sehr merkwürdigen Notizen Beardsleys 
enthaften/ des weiteren die vier Zeichnungen des Künstlers zu E. A. Poe. 
Der Preis des Exemplars auf Velin beträgt 14 Mark. 20 Exemplare 
werden auf Kaiserlich Japan abgezogen und in Leder gebunden. Der 
Pros eines solchen Exemplars beträgt 25 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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FJODOR SOLLOGUB, DAS BUCH DER MARCHEN 

Autorisierte Übersetzung aus dem Russisdien von Hans von 
Cuenther, Mit Umsdilagzeidinung, Frontispice usw, von 
Otto zu Gutenegg. 

Broschiert in Büttenumsdilag zum Preise von z Mark. Auf 
Velin gedruckt, Ledereinband mit reicher Goldpressung, zum 
Preise von 5 Mark. 50 numerierte Exemplare aufKcüserlich 
Japan in goldgepre^tem Einbande aus Leder in Purpur und 
Dunkelblau, in Kapsel zum Preise von 1 5 Mark. 



VALERIUS BRJUSSOFF 
DIE REPUBLIK DES SÜDKREUZES 

Novellen. Autorisierte Übersetzung aus dem Russischen von 
Hans von Guenther. Umschlag, Titel und Initialen von 
Otto zu Gutenegg. 

Broschiert in Büttenumschlag zum Preise von 3 Mark. In 
goldgepre^tem Ganzleinenbande gebunden zum Preise von 
4 Mark 50 Pfennig. Fünfzig numerierte Exemplare wurden 
auf Van Gelder abgezogen und in goldgepre^tes Leder ge« 
bunden zum Preise von 1 5 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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ANTIQUARIAT VON EMIL HIRSCH 
IN MÜNCHEN, KARLSTRASSE 6 
INKUNABELN. AUTOGRAMME 
HOLZSCHNITTWERKE. ERST- 
DRUCKE DER DEUTSCHEN UND 
FREMDENLITERATUREN.PRIVAr- 
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HYPERIC3N 

VIERTES HEFT 
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DAS VIERTE HEFT:-- 

Rudolf Bordiardt: Zwei Sestinen. Andr^ Gide: Bedi» 
sabc/ Drain atisdies Cedi dit in drei Monologen . Deutsdi 
von Franz Blei. Franz Blei: Ein Gesprädi von deut- 
schen Dingen. Hans Carossa: Der Morgengang. 
Ren^ Schickele: Das Meer. Karl VoUmöllcr: Zwei 
Gedichte. R^y de Gourmont: Marginalien über 
Edgar Pc}e. Carl Stemheim: Don Juan/ Fcirtgang und 
Schluß des ersten Teiles der Tragödie. Paul EmÄ: 
Der Dichter und die Schauspielerin/ Eine Novelle in 
Briefen. Franz Blei: Drei Gedichte. Paul Wiegier: 
Anmerkungen. Heinrich Lautensack: Die Judentochter/ 
Eine Novelle. — Otto Vrieslander: Abendlied. — 
Bilder vcxi: Millet, Van Gogh, E. Matthes, P. Signac;, 
Maillol Rcsdin, Toulouse-Lautrec.—'^...^ 



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WJTOIJBCmiARDT/ZWEI SESTlNfiN 

SESTINE VON DER BLEICHEN DAME 

Der OÄ verbrennt der lefet entorungnen blddien 
Gestirne Grün«Li<bC geisterhalt zu sehn, — 

Tag wird nun sein, wie T<ue nun sich gleichen, 

Nacht wars, wie mir die Nächte nun vergehn/ 

Das kühle Blau macht alle Süchte weichen. 

Die grauen, lauen, tauigen Nädite flehn. 



Aus Nächten aufgestanden mit dem Flehn, 

Aus Mitternächten so in deiner bleichen 

Pupillen goldnes Ineinandergehn 

Vcxi Ücht in Licht darin sie Sternen gleichen. 

Schaut ich wie ins Planeten« Wiedersehn 

Der Wäditer schaut von Aufgang bis Entweichen. 



Und weil uns vor dem \Ctt«Tag kein Entweichen, 
Und vcxi Verhängnissen uns kein Erflehn 
Erlösen wird und ewig kein Erbleichen, — 

Und weil vcm allen, die hier stehn und gehn. 

Nur meine Hände deinen Händen gleichen. 

Und weil die andern flüstern, die es sehn. 



So hei$ mich nun an ehr vorüber sehn 
So wmke mir, aus deiner Bahn zu weichen. 

So deute nicht als Fliehn und nicht als Flehn 
Nun da du sprachil, mein finsteres Erbleichen 
Nun da du wieder schweigt mein Wiedergehn, 
O Miene sonder Fehl und sonder Gleichen 



Denn wenn ich zaudre, flebr' ich von den gleichen 
Wahrsagungen, die meine Träume sehn — 

Dir lauschen, hei^t gewahren, was che bleichen 
Durchklui^en NämtC meinen, wenn sic flehn, ~ 
Erwidern hei^t aus meinen Losen weichen 
Und wie ein Stern im Sprung verloren gehn — 



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Idi bin von denen die vorüber gehn. 

Ich bins in dem die Dinge sich vergleichen: 
Gerechtes Glas, drin sie sich selber sehn. 

Je näher zu, je ferner muß ich weichen. 

Urlaub, ein Urlaub! flieh n um nicht zu fleh'n 
Hei^ du mich selb^, oh Dame alles Bleichen! 

DER URLAUB 

Dame der Bleichen Augen, heißt mich gehn. 

Euch länger sehn, gebührt nicht meines Gleichen — : 
Entweichen muß ich oder müßte fldi n. 



EINE SESTINE VON DER MAGNOLIE IM HERBST 

Ich fand mein Herz am hohen Morgen starr 
Von einem Tone, den es nicht ertrug, 

Ausblicken straßenabwärts gegen Staub ~ 

Mit Augen schwellend von verfangnem Blut 
Suchte mein Herz, und fand da keinen Baum, 

Ncjch irgend Tro^, nur Stein und eine StadtT 

Da ich dies ansah, sprach ich: »dieser Stadt 
Glaubt du zu blindlings/ aber sie i^ starr. 

Wie Lult«Spuk über wüsten keinen Baum 
Trägt noch ernährt mit allem seinem Tri«: 

Sieh, wie gespenstisch ohne Wucht und Blut 
Sich das gebärdet, Schemen über Staub I 

Oktober heult und schleppt den kalten Staub 
Rückwärts und vorwärts durch die wüste Stadt 
Was aber bände großgebomes Blut 
Wie niedres an den Spuk, und also starr 
An das Gesjjcn^ des Herb^es, dich an Trug? 

Geh in dich, und du sieh^ in deinen Baum — « 

Mein Herz ^ng in sich bis vor Jenen Baum, 

In dessen Haus kein Fuß gemeinren Staub 
Als goldenen seiner Königs Kelche trug, — 

Und stand versteinert: An der Blüten Statt 



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Ja stiller Herbste, weste zxnefacli starr 
Und starb einsam an Fraß und braciiem Blut 

Ein wädisencr Grcul, der als die zweite Blüht 
Todkrank aufbrach im stumm gewordnen Baum — 
Der war nicht starr wie Heiliges, sondern starr 
Wie ein Verpesteter im Straßm-Staub, 

Der nachts entwichen aus verheerter Stadt 
Hier hinschlug mit der Beule, die er trug. 

Mein Herz sprach mit den ersten Tränen: »Trug? 

Dies auch? o wohl! es i^ in meinem Blut, 

Was mich so glauben macht an diese Stadt. 

Es i^ so elend flüchten. Sieh den Baum! 

Besser, mich packt Oktober wie den Staub. 

Es i^ so elend, lügen. Besser starr* 

DER URLAUB 

Ich seMe einen Baum, der mir nicht trw 

Sein Laub wird starr. Ich baute eine ^dt 

Sie fiel. Der Staub üt durch und durch voll BlutT 

Oktober 1905. 




ANDR6 GIDE: BETHSABE, DRAMATISCHES GEDICHT IN DREI 
MONOLOGEN. DEUTSCH VON FRANZ BLEI 

ERSTER AKT. DAVID, KÖNIG VON JUDÄA. JO AB, SEIN HEER^ 
FÜHRER 

<Der König David, halb pricsterlich, halb kriegerisch gekleidet, rezitiert 
Miend ein Gebet, an dem er schreibt) 

DAVID: 

... Selb^ der kr &ltige Mensch wird schwach, und selb^ der junge Mensch 
strauchelt, wer sich aber Gott vertraut . . . <Joab tritt einA EÄ kommil 
zu früh, Joab/ ich habe mein Gebet noch nicht vollendet Sei still. — Wo 
war ich nur? . . . Ja! . . . Der wird nicht straucheln. Gott wird dem seine 
Starke leihen, der müde i^/ die Flügel werden ihm wachsen wie Adlern. 

Ich hatte er^ geseht: ihre Flügel werden wachsen wie jene . . . aber: 
wie Adlern üt b^er. Was wiM du von mir? 

JOAB: 

Der Hetiter üt zurück. 

DAVID: 

Wer i^ dieser Hetiter? Woher kommt er? 

JOAB: 

Er liegt vor Rabba und bringt Nachrichten von dort Ansonü iil er ein 
Soldat nichts weiter, und wenn der König . . . 

DAVID: 

Solltet du eifersüchtig sein auf ihn, Joab? Uriel der Hetiter i^ der Tap- 
ferste meiner Leute. Ich tat, als kennte ich ihn nicht, um dich lügen zu 
hören. Soll ich vergessen, wer die Philister bei Gath besiegte? Wer guen 
sie die Ebenen von Dammim verteidigte? Sag: wer ers^ug die baden 
Löwen von Moab? Er war's. Und die vier Kiesen, des Rapha Söhne? 
Er war's. 

JOAB: 

Vielleicht , . . 

DAVID: 

Hör weiter: Zur Zeit der Ernte war ich in der Höhe vcxi Baullam, da 
suchte ich nach Kühlung vergeblich. Die Philister lagerten im Tale/ seit 
zwei Tagen hatten sie Bedehem eingenommen. Du weißt, in Bedehem üt 
eine bittre Qyelle/ nach deren Wasser dürstete mich den Tag, und ich 
stöhnte danadi . . . Wer schritt durch das Lager des Feindes? Und wer 
wagte sein Leben dafür, mir einen Becher Wasser zu bringen? Wer, sag 
doch! Es war der Hetiter Urias. Tu nicht, Joab, als ob du es vergessm 
hättet/ am Rand des Grabes denke ich's noch. Ich will nicht, daß einer 
sagen kann, man sei dem König ohne Nutz gefällig. Ich erwarte, daß Urias 



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an meinem Tische i^t Alles, vas mein i^, gehört ihm. Ich erwarte ihn/ 
man la^ esißn wissen. <Joah gibteinemDiener ein Zeichen und den Befehl 
des Königs./ Er i^ der Freund des Nathan, nicht wahr? 

JOAB: 

E)es Propheten Nathan, ja, Herr (und wiO sich zurüchziehen). 

DAVID: 

Geh nicht fort. <Da\dd schweigt eme Weile.) Ich habe Ang^ vor dem 
Propheten . . . Du lächelt? Du kenn^ nicht seine Macht, cfehalb. Das 
Volk gehorcht seiner Stimme/ ich selber, vor ihm, wie ein Kind bin ich 
stumm/ sagt er »der Ewige...«, man glaubt Gott selber zu hören. Ja ja, 
ich habe auch andere Propheten gehört: sie prophezeien, dann sind sie still. 
Die Stimme dieses aber hört nicht auf Ich will ihn zxvingen, da^ er schweigt 
Mein Joab, ich habe Ang^ vor Nathan. 

Es kommt eine Stunde im Tag, da die Kraft der Könige sich mindert: Es 
kommt ein Tm im Leben, da der rüstige Sdireiter sich müde fühlt Ich 
denke meiner Kräfte, der Gebete meiner Jugendj/ der damals mit Gott 
sprach, war ich. Ich denke des König Saul . . . Auch ich, wie er, fange an, 
vor meinen Schritten den Schatten wachsen zu sehen. Ich bin es nicht mehr, 
den der Ewige hört/ er spricht nicht mehr durch meinen Mund, er richtet 
das Wcjrt nicht mehr an mich . . . Doch trag ich schlecht seit einer Zeit sein 
Schweigen. Ich will ihn zwingen, da^ er redet 

Wie ein ausgehungerter Hund an einem faserlosen Knexhen nagt wie eine 
Mutter in die Arme ihr totes Kind drückt, so drückte ich nachtlang den 
Namen meines Gottes auf meine Lippen. In meinen gebeteekreuzten Händen 
wärmte ich, was mir an Glauben blieb, um zu beten. Und sieh — ich hörte 
es über mir wie einen Flügelschlag ... es war die Stunde, da das Licht der 
Lampe flackert da das Ol derL^pe versiegt/ die Stunde/ da der Mutige 
erschnckt, da sein kraftvoller Entsdiluß schwach wird, da der Wein des 
Schlafes trunken macht die Könige und die Menschen. Meine Seele aber 
in mir blieb wach/ ich hatte Gott erwartet die Nacht lang. " Ich vernahm 
es über mir wie einen Hauch; der scdiwerlose Gei^ Gottes, der zu mir 
herabstieg. Gd^ Gottes, wdchen Namen geb ich dir? . . . Joab, ich sah oft 
die Taube um ihr Ne^ flattern, wenn sie eine Wdle zöeett: soll ich mich 
niederlassen? Und wie sie zögert sich niederzulassen. Über meinem Lager 
schlug der Gei^ Gottes mit dem Flügel. Er kam immer näher . . . Goldene 
Taube, mdne Hand wird dich bald greifen, vielldcht ... Ich streckte den 
Arm. Erhob mich und verfolgte sie von SaeJ zu Saal bis hin zur Treppe 
rechts, die zu den Gärten hinau&tdgt. Sie wuchs/ sie leuchtete wie einBlife, 
ruhte manchmal — da fühlte ich mit einem Schlag ganz kraftlos meine Knie, 
und ganz nah, sie zu greifen, fa^te Bestürzung meine ganze Seele. Sie ging 

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weiter/ sie hOpfite von Stufe zu Stufe/ idi wollte Sie fassen und wagte nidit 
. . . Wohin du audi fliegt, Taube, i<h warte hier . . . 

Das war eine heimliche kleine Terrasse, von der ich glaubt^ ich kennte sie 
noch nicht. Der Vogel Gottes hatte sich plötdich hoch in die Luft ge* 
Schwüngen/ es kam mir plöfelich vor, als nehme er all mein Verlangen mit 
sich. Es war bald die Stunde, da der Himmel erwacht, da die Mauer blauC 
Die Gärten zu meinen Fü^en waren tiefe Schattenbecken, in die mein sich* 
tiger Blick durch den Nebel tauchte. Wem gehören diese Gärten, Joab? 
Ich, ich wei^ es nicht/ ich weij) nur, da$ hier mein Haus aufhört Ich beugtfc 
mich hinübö', denn ich unterschied nicht deudich genug, was ich im Grunde 
eines Gartens Weißes sich bewegen sah. Ich ahnte am stärkeren Dunte 
einen Brunnen/ bd dem Brunnen dne gebeugte Gestalt/ war das ein ver* 
schldertes Weib? Ein wdßer Flügel am Wasserrand? ... Ja, das bewegte 
sich, das tat wie dn Flügel/ eine Wdle glaubte ich, ich hätte meinen Vogel 
wiedergefunden. Die angehende Sonne zwang mich, die Lider zu schließ^/ 
da ich die Aueen wieder öffnete, war ich von Licht geblendet, aber nichts 
son^ als dn Weib war da/ die nackten Füße standen im Wasser. Zwischen 
Rosenbüschen durch schritt die Frau bis ans Herz des Brunnens. Und wdter 
noch scdiritt sie in mdn Herz. Ihr Gesicht, ich konnte cs nicht sehen, und 
ihr Haar deckte schwarz die Schultern/ aber durch die Rosenbüsche sah ich 
ihren Bauch zucken, eine Blume schien sich zu erschließen zwischen ihren 
Knien, die sic auscinandertat . . . Mcm Herz stieg mir in die Kehle und 
sprang in dnem Schrei heraus . . . (Der Diener, der zum HetitCr geschickt 
war. Kommt zurück.) 

DER DIENER; 

Herr, Urias läßt dem König, seinem Herrn, vermelden . . . 

DAVE): 

Er kommt nicht? 

DER DIENER: 

Er sagt: Ich soll in das Haus des Königs treten und Rabba i^ noch nicht 
eingenommen. 

DAVE): 

Es i^ gut Wenn er nicht kommt so werde ich zu ihm gehen. Geh, loab. 
Er soll dn sehr einfaches Mahl berdten, und ich werde diesen Abend sein 
Gail sein. Mdd es ihm. <Exit Joab.) 

ZWEITER AKT: DAVE). JOAB 

(David siht bekümmert. Joab stdit vor ihm) 

DAVID; 

Er bewohnt einen kleinen Garten . . . 



I lO 



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Der Tisdi unter der Wclnlaube, auf dem miA das Mahl erwartete, war 
wei^. — Sieh, sagte, er, meine Rehe, und wie sie SAattengibt. — Und liA« 
liA war der SAatten auf dem Tisdi, — Der wenige Wot, den sie mir 
spendet der hier, König David/ er üt süß/ ko^ ihn. — Und seinWcA, 
das herbeigekommen war — BeAsabe nennt sie si A — neigte siA und füllte 
meinen BeAer. Die dunkle Flut ihres Haares sAien um sie zu zittern. lA 
hatte sie niAt wiedererkannt und auA, anfangs, den Garten niAt wieder« 
erkannt Sie kam mir, bekleidet, noA viel sAöner vor. Ihr ungekanntes 
Antlife l&chelte . . . Aber der Garten, Joab! der Garten! Wie sag iA es 
nur? Er gliA niAt mehr jenem des Morgens, den Nebel füllten/ das war 
ein heimliAer Ort . . . IA trank den BeAer Weines. IA habe manAen Wein 
getrunken, Joab, aber naA Aesem da, glaube iA, dürstete miA seit langem/ 
er stieg in miA hinab wie ein tiefes GlüdC/ er erfüllte mein Herz wie Ae 
Erhörung der Gebete/ iA fühlte meine Kräfte jung werden. Bethsabe 
läAelte/ der Garten füllte siA mit LiAt/ alles strahlte vonUebe undGlüA 
des Urias. — Du siehit all mein Glück, König DaviA SMte er/ es i^ ein- 
faA/ es hält siA im SAatten eines Gartens. Es schläft in den Mauer« 
löAem deines Palastes. Gegen Kälte, g^en Wind sAü&t es dein Haus, 
unwissentliA sogar . , . Ich, einer deiner Gering^en, CToßer König DaviA 
was bin iA vor dir? ~ Vor den Philistern sAüht mich deine Stärke, sagte 
iA, — was bin iA vor Gott, Hetiter? DiA aber kenn iA als einen meiner 
Tapfersten, und von der Höhe meines Hauses herab unterschied iA deinen 
Garten. Er war bleiA und blau von den Nebeln des Morgens/ Ae Sonne 
hob siA kaum hinein . . . IA konnte Aese NaAt niAt schlaim, iA hatte so 
^ebeteC daß iA trunken war/ und da iA Ae Treppe hinau&tieg, strauAelte 
lA bei jedem Schritt/ wie im Schlafe ncxh verfolgte iA einen Traum und 
träumte von einem wundersamen Vogel, der flog von Saal zu Saal, und 
iA wurde müde, da iA ihm folgte/ aber es führte miA wohl Gott durA 
ihn bis zu Aeser schmalen Terrasse, siA, Ae dort oben. IA sah meinen 
Vogel in deinem Garten wieder, Urias. Als Ae Sonne durA den Nebel 
Aang, ja, der Vogel, den iA verfolgte ... du läAelit? er war da — komm, 
zeig sie mir — an einer Quelle/ er hatte das RosengebüsA auseinander« 
gezwängt, und da, ruhig, allen Au^ ferne, glaubte er wohl, da badete er 
in dem zitternden Wasser ... Vor Kabba zurüAgAalten, konntest du ihn 
niAt sAen, lieber Urias, aber BeAsabe viAeiAt . . .? Und BeAsAe sAwieg 
errötend und beugte siA zum Wasser und ließ, SAam oder LäAeln zu 
verbergoi, ihr Haar vor das Gesicht fallen. SAon neigte siA der Tag/ der 
ganze Garten sog siA mit SAatten voll ... — Urias, sa^e ich, weshalb bi^ 
du niAt in den Palaü gekommen? M es, wA NaAan . . . -- IA habe 
Nathan ncxh mAt gesAen, Herr/ niAt seit meiner Rückkehr von der Be« 
lagerung von RAba. König David, König David, das stolze RAba üt 
nciA nicht gencxnmen! . . . IA soll im Palaste des Königs ruhen, und dein 

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Volk wartet in Ungeduld! Nein, so lange die Krieger, o König, diese 
Mauern nicht gestürmt haben, iü mein Pl^ im Felde, bei ihnen/ diesen 
Abend noch koire idi zurück. — Bleib mit uns nc}<h eine Weile, Urias/ wie 
lange braucht du nach Rabba? Ein paar Stunden . . . Schon hebt sich die 
Nacht. Und dann sprachen wir nichts mehr. Der Himmel war so klar, da& 
man die Onelle hörte und da$ das Dunkel um Urias einer stillen Tiefe 
seines Glückes glich . . . 

Aber das Verlangen, Joab! Das Verlangen tritt in die Seele ein wie ein 
Fremder, den hungert. 

JOAB: 

Und was, König David, hält dich zurück? Nimm dir dieses Weib. 
DAVID: 



Das tat ich alsbald, Joab. Er hat einen kleinen Garten. Die geringe 
meiner Terrassen iit größer ! Ich habe die Hände schon voll Gut und Glück, 
da^ ich nicht mehr ein Korn darin hedten kann/ aber dieses kleine Glück 
da, dafür la^ ich alle andern zur Erde fallen ... Es i^ aus so wenig ge« 
macht, dieses Glück! Als ob es genügte, da|J ich meine Hand ausstrecke, 
es haben wollte, um es zu nehmen, daß ich meine Hand darauf lege, um 
es zu haben . . . 

JOAB: 

Und Bethsabe, Herr. 

DAVID: 

Ja, Bethsabe. Ja, ich glaubte sie schöner. Sie i^ schöner so in ihrem 
Garten, als da sie in der Quelle badete. Bethsabe! Bethsabe ...... 

Biil du das Weib? Bi^ du die Quelle? Meines Verlangens schwankendes 
Bild. Joab, da ich sie endlich in meinen Armen hielt, wir^ du es glaut^ 
kam mir beinah ein Zweifel, ob sie es war, die ich verlangte, ob's nicht 
etwa der Garten wm ... Und dieser Wein! Der Wein, den ich trank, der 
Wein ihrer kleinen Rebe! Trank ich mit einem Zug den ganzen Inhalt? Ich 
habe Ang^ davor. Es ül der Wein, nach dem ich dürste, sag ich dir. Als 
ob er rührte, Tropfen um Tropfen mir einen dürren Winkel meines Her- 
zens feuchtete. Du denk^ noch: dies Wasser von Bedehem, das Urias mir 
an einem Fibert^e holen ^g/ er allein konnte meiner Lippe ihre Frische 
geben: mich dür^t nach diesem Glücke des Urias, und sei es auch gemacht 
aus allerwenigstem ... Genug, Joab! Du sichit, es iil unmöglich. Weshalb 
besifee ich nicht mehr. Bring mir dies Weib zurück in den Kleinen Garten 
des Hetiters. Alles ginge gut, verlangte mich bloß nach ihr/ so aber . . . 
Dann weiß ich auch, daß er zurückXommt diesen Abend Er soll sein 
ruhiges Glück wieder finden, wie er' es verlassen hat/ zummdedt glaubt er 

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so. Denn des Schiffes Spur auf der Welle, des Mannes Spur auf dem 
Leibe des tiefen Weibes, Gott selber, Joab, erkennte sie nicht Doch sieh 
immer zu, da$ Nattian der Prophet davon nichts weiß ... <Hxit Joab) 

DRITTER AKT: DER GLEICHE SAAL. DER KÖNIG DAVID IST 
ALLEIN, IN DER NACHT 

Bi^ du es, Joab? . . . Nein. Noch nichts. Soll ich allein bleiben bis zum 
Morgen? Und diese Nacht, endet denn diese Nacht nicht? Ich betete zu 
Gott/ und dann, hoBte ich, würde ich gleich einschlafen. Aber gibt es denn 
hinfort noch eben Schlaf für David? Idj wollte zu Gott beten und ich be- 
gann zu sinnen ... Schön bt die Tat den leiblichen Augm am hellen Tage, 
unheilvoll dem, der sie des Nachts mit dem Auge des Geiiles wiedersimtl 
Wer auf dem Gipfel der vollbrachten Tat nicht alsobald einschlummert, aber 
sie im Dunkel sich immer wieder erinnert, der gleicht einem Blinden, der, 
um es wiederzuerkennen, mit semen Händen das AnÜife eines Toten, den 
er liebte, liebko^. Fand ich wo Ra^! Joab! Gott schüfe uns vor Nächten, 
b denen mcht Schlaf nexh Liebe wohnt 



Alles schickte sich an, mich schlafen zu lassen/ alles war still, und alles 
schlief schon, in meinem Herzen, im Himmel und auf Erden, und ich wollte 
einschlafen ... Da kam der Hetiter. Plöfelich kam er aus der Nacht heraus/ 
und ich erkannte ihn kaum/ nur die Lampe an meinem Lager leuchtete auf 
ihn. Wie kam er hereb? Die Tore sbd doch geschlossen. Er stand vor 
mir ohne eb Wort und ohne seben Mantel abzuwerfen. — Urias, sagte 
ich, bi^ du es? Antworte! Weshalb kommet du? Waswill^ du tun? Hai! 
du über Rabba gesiegt? Wohl nicht Ich wüßte es son^ schon . . . Leg 
deben Mantel ab. Ich kann deine Augen nicht sehen. Sprich zu mir. So 
sprich dcxhl Weshalb biÄ du so unbeweglich? Wer ließ didi kommen? Was 
wiM du von mir? Deine Bethsabe erwartet dich. Dein Plafe i^ b ihrem 
Bett, neben ihr, in deinem Garten. Geh doch. Geh heim. Ich will schlafen. 
. . . Weshalb geht er nicht fort Joab? . . . Weshalb bleibt er ohne eb Wort? 
Was will er von mir? — Geschenke? — Er hat sie immer zurückgewiesen 
...Und er wollte nicht ebmal den süßen Wein trinken, den ich ihm reichte, 
als ich ihn so bleiben sah. Und sebe Anwesenheit, b der Nacht, weilte 
und weilte/ es schien mir zuweilen, daß die Lampe an meinem Lager ver- 
löschen wolle oder daß der Hetiter im Schatten verfließe . . 

War er wirklich fort als der Prophet Naflian kam? . . . Ah! Ich schlief nicht 
diese Nacht Ich habe es dir ja gesagt! Nathan war fürchterlich . , . Jefet 
aber, Joab, frage ich Gott: was soll der Mensch tun, wenn hbtCr jeder 
seber Begierden Gott sich verbirgt? 



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Als ob er jedes seiner Worte aus mir herausrisse in derNaAt, so begann 
Nathan zu spreAen. Was hat er gesa^! AA! lA möAte seine Worte aus« 
lösAen in mir , . . Er spraA von einem Armen, der niAts besa$ als ein Lamm. 
Ein Lamm, sag iA Ar, das er gekauft und aufgezogen, das er heransraAsen 
gesAen, das auf seiner Bru^ sAlief, das er liAte. — Genug, Nathan! IA 
weiß. Bethsabe heißt es! SAweig! — Er aber, als ob er miA niAt hörte, 
spraA weiter: — NAen dem armen Mann wohnte ein sehr reiAerMann, 
der besaß ReiAtümer in solAer ZAl und ViA so viel, daß er es nidht 
zählen konnte. Ein sAweifender Wanderer kam zu dem ReiAen . . , — 
Genug, Nathan! Genug! IA erkenne in ihm mein Verlangen ... — Er 
hatte Hungtt. — IA wußte niAt, wie seinen Hunger stillen. — Der ReiAe 
Aer, der Güter in soIAct Zahl sein nannte ... — NiAls von all meinem 
Besife geßel mir mehr. — Tat, ab sAlösse er über seinem ReiAtum Ae 
Augen und ging an Ae Habe des Armen. — Das wollte er, der Wanderer. 
NiAts andres, sag iA dir, hätt ihn beCrieAgen können. Umsonst wollt iA 
ihn sAweigen maAen/ er spraA so laut wie ein König im Hause. — Das 
Lamm, das der Arme hatte für sein einzig Gut, der ReiAe hat es ge« 
nommen. — Genug, Nathan! Genug! ...Dein ReiAer hat den Tod ver« 
dient! — Das Lamm, das der Arme hatte für sein einziges Gut, der ReiAe 
hat es genommen ... — AuA das iit es niAt, was das sAweifende Ver« 
langen begehrte... Und sieh! Seine Bethsabe, iA hA sie ihm zurüAgegeben, 
IA verlangte ihrer nur mit dem SAatten ihres Gartens. ^onaA iA ver« 
langen trug, war der Frieden des Urias, zwisAen seinen so einfaAen 
Dingen, und Ae er ließ, um mir zu dienen . . . IA will, iA will bereuen, 
aber was hA iA getan? In der Zeit meines Verlangens war BeÖisAe vor 
meinen Augen, und iA sA niAts A sie, jett aber...Bi^ du es, JoA? 
<Ein tritt JoA. Er steht ganz aulreAt an derTür im Dunklen/ spricht niAt.) 
Ja, du bi^ es. EndliA.' IA erwartete AA wie das Morgengrauen. Du 
kehr^ von R Aba? I^ der Hetiter mit dir zurü Agekommen ? Die Stadt bt 
genommen? Nein. Du hättet es mir gesagt ohne Frage. Was tatet ihr da 
unten? Ha^ du meine Befehle Ae ausgeführt? IA erinnere miA ihrer niAt 
mehr genau. HA iA Ar niAt gesagt. . . Urias war unter den TMfersten, in 
der vordersten Reihe, niAt wahr?. . . Du spriA^ niAt. . . Hieße« du ihn bb 
ganz M Ae Mauer gehen? Zu nA . . . dann . . . ließet ihr ihn, A ihr flöhet. . . 
SAweig, JoA! Das darf selb^ Gott niAt vernAmen, und iA darf cs niAt 
wissen, aus Ang^, es niAt mehr vergessen zu können. . . . Nein ! Nem! Sag 
mir, daß er in seinem Garten sAläft, unter seiner Wcinlaube!... 

< Das Morgengrauen dringt lAe insGemaA und beleuAtetsAwaAJoA/ 
man unters Aeidet hinter ihm ein vcrsAleicrtes Weib in Trauerkleidern.) 
Was i^s, was du hinter Ar hersAlepp^, im Dunkel und ganz in Trauer? 
. . . Bethsabe! . . . GA! Bring sie weg! lA sagte dir, daß iA sie niAt mehr 
sAen will ... IA hasse sie!' 



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FRANZ BLEI: EIN GESPRÄCH VON DEUTSCHEN DINGEN 
DER ALTERE: 

Du warst lange unterwegs und wir^ zurückgekehrt manches bei uns ver» 
Ändert finden. 

DER JÜNGERE: 

Soll ich sagen zum Guten? 

DER ALTERE: 

Wie mein^ du das? 

DER JÜNGERE: 

Ich meine, was anfangs und für eine Zeit ein Gutes war, wirkt fortgese&t 
über seine Zeit hinaus sich zum Schlechten. Gegengift wird wieder Gift 
wenn es seine Wirkung, das erste Gift zu kompensieren, getan hat. Man 
dosiert, dünkt mich, dem deutschen Leib noch immer das Gegengift, und 
ich sollte dcxh mdnen, es mü|}te läng^ seine gute Wirkung getan haben 
und tut nun eine schlechte. 

DER ALTERE: 

Ein gutes Mittel iil in die Hände der Kurpfuscher gefallen. Du weißt wie 
die smd, es wird ihnen zur Panacce, besonders wenn es ihrem Geschäft 

hdft. 

DER JÜNGERE: 

Und dann sind also andere wieder darangegangen, primär zu vermften, 
daß die Wirkung des Gegengifts au^ehoben wäre. Ja, das iit mein Ein* 
druck: mit Gift und Gegengift bemüht man sich um einen angeblich oder 
wirklich, sicher aber von den Ärzten aus Kranken. Stimmt das? 

DER ÄLTERE: 

Ja und nein, je nachdem. 

DER JÜNGERE: 

Also auch du mit Ja und Nein? Ich höre, seit Ich wieder In Deutschland 
bin, keine andere Antwort als Ja und Nein in einem Atem. Sie haben 
noch immer ihre Nachgedanken, diese Deutschen, dieses Auseinanderfallen 
in Aktion und Sentiment, in Gewehre und Gefühle, Wirklichkeit und 
Vision, ‘meinandergefärbt in ein unentschiedenes Grau. Sie sollten doch 
den Engländern ihre Hypocrisie ablemen, öffentlich nicht sagen, was man 
heimlich tut und denktT 

DER ÄLTERE: 

Daß ich es dir nur gleich lachend bestäl^: ja, wir sind sehr vielfach und 
schwer auszurechnen auf eine Formel. Wir sind nämlich kein Volk, son* 
dem eine Rasse. Das iit der Wurzelbereich unserer Schönheitm und 
unserer Leiden. Wir haben wortkarge Friesen und geschwäfeige kindliche 
Rheinländer, haben hartnäckige kleinschlaue bayrischeBauem und schwer* 

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fälliee lannamdenkende O^preu^, träumerisdi weiche Schlesier und 
solide praktische Schwaben, von Erwerb und Arbeit krankerre^e Sachsen 
und launisch lebhafte Elsässer, gern leichtsinnige, doch gut auf ihrem alten 
deutschen Minnesingerboden hausende Wiener und gar nicht behauste^ 
hintergrundlose, unbestimmbare Berliner, 

DER JÜNGERE: 

Ja, und Dichter und Denker und Musiker. 

DER ÄLTERE; 

Und Chemiker und Ingenieure und Kaufleute. 

DER JÜNGERE: 

Niefesche 

DER ALTERE: 

Und Bismarck. Was willst du? 

DER JÜNGERE: 

Dein Ja und Nein. Ich bin seit zwei Monaten s^eder hier und fühle mich 
nicht zu Hause. Es bedrängt mich etwas, daß ich nicht ^enau bestimmen 
könnte. Es sind, scheint mir, keine verläßlichen Sicherheiten da. Als ob 
man einen Steg über reißendes Wasser schritte und läse: Achtung, die 
morschen Bretter sind noÄ nicht ausgewechselt! Achtung! Das Geländer 
i^ noch nicht vernietet! In Wien genoß ich die bei allen kleinen Stürmen 
nicht wankende Ruhe fester Gesittungen, und es gibt da, scheint mir, nur 
kleine Stürme. In Italien freute ich mich unaufhörlich über das Unwahre 
einer Auslandlegende, die in diesem wundervollen Lande ein Volk wirf» 
schaftlichen und gdstigen Niederganges wohnen läßt, wo es in der Tat voller 
Energien und voll stolzestem Sdbstgefühl ^t. Spanien war eine angenehme 
ErhoTungsstation bei alten dunklen Sitten, nicht lange zu ertragen, aber für 
eine kleine Weile eine Erquickung für die vom Lärm der Zwecke ermüdeten 
Nerven. London: der Anblick eines Musterkontors einer alten Firma, 
mit Ministern als Commis, sofort entlassen beim kleinsten Fehler in den 
Geschäftsbüchern. Paris — eine wundervolle Erregung immer, Reden über 
Schluchten geschlagen als Brücken, die ein ganzes Vo& llirchtlos beg^t in 
Bewunderung des Redners, immer im Lcfeten lebend, den Kopf voller Dinge, 
kindisch und groß, prahlerisch und herzlich, die menschlichste Stadt 
New»york und das große Land darum ein Lernen, nicht aus Büchern, 
sondern ein wirkliches Erfahren um Europa vor fünfhundert Jahren. Hier 
werden nur wegen des teuren Holzpreises keine Hexen mehr verbrannt 
So mannigfaltig das alles und doch bestimmt und deutlich in Konturen, leicht 
sich einzuordnen, gern um Opfer manches Mitgebrachten erworben, die 
man nie als Entbrfirungen spürt. Ja manchmal sogar als Förderungen. In 
Deutschland aber . . . Als ich vor sieben Jahren in die Fremde ging, schien 
mir hier alles verwirrt nber ich gab meiner Jugend die Schuld solcher Mei» 



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nung mehr als den äußeren Dingen. Und sagte ich mir, es i^ die heftige 
Bewegung in der Lösung, bevor die Atome zum Kristalle schienen. Deine 
und anderer Hantierung war es )a auch, ich erinnere mich, Faden in die 
aufgerührte Mischung zu hälfen, da^ sich daran, wie du sagtest, die festen 
Cuilde der Dauer hängen. M es gedungen? 

DER ÄLTERE: 

Ö , wir waren damals in die Lonk verliebt und die führt ;a immer zur 
topie. Das Leben geht seinen Weg, das Denken seinen — _die beiden Wege 
schneiden sich nur zufällig manchmal. Wir bedachten das Ubermoreen und 
hatten das Morgen vergessen. Aber ich komme wie du zurück. Nicht von 
Reisen in Ländern, sondern von Reisen in Zeiten, um Zeit, die mir lästig 
geworden, zu verlieren, und um Zeit, die ich brauchte, zu gewinnen. Zu 
Mancher Verwunderung und Anderer Mißdeutung — keiner iit gehalten, 
in eines Mitmenschen nicht weiter wichtigem Tun um die Motive sich zu 
kümmern — wandte ich mich verlorenen, ja nichtigen Dingen zu. Es sah 
aus wie böse Lu^, cs war dne Ircjnie. Nun, ich wollte eine Distanz, die 
ich mir zeitlich schuf, da ich es räumlich nicht konnte 
DER JONGERE: 

Und das Ziel? 

DER ÄLTERE: 

Du fräg^ so schnell. Vielleicht weil du etwas Unerhörtes erwartet. Und 
i^ etwas ganz Gewöhnliches. So, daß ihm jedes Wort schon mehr Be« 
deutung gibt, als ihm zukommt 

DER JÜNGERE: 

Du mach^ mich neugierig. 

DER ÄLTERE: 

Ich werde dich enttäuschen. Unläng^ hat einer das Bemühen um dieSyn» 
these schwächlich genannt, wohl ein Kraßstrofeender, der aus seinen ana^ 
lysierten Gefühlen — er hat keine andern — Gedichte macht, aus sdnen 
weiblichen Verhältnissen noße Schmerzschafferinnen und aus seinem lotte« 
rigen Daherleben einen Entwicklungsroman. 

DER JÜNGERE: 

Grassiert dieses Genre noch immer? 

DER ÄLTERE: 

Rdicpjcnvcrehrung der dgenen Windd. Was will^ du? Wenn niemand 
einen wichtig nimmt tut man's selber etwas muß der Mensch verehren. 

DER JÜNGERE: 

Meinit du nicht daß dieses Mißtrauen gegen die S^these daher kommt 
daß sie sich immer nur im Gedanklichen voUzogm hat? Und jede Philo« 
Sophie hat schließlich nur für den Philosophen Wert 

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DER ALTERE; 

und wer sie praktizieren wiü, verirrt sein Leben/ ich meine, wer das 
Denken eines andern praktisch machen will. Es kann aber für mich selber 
mein Denken durchaus identisch mit meinem Tun sein, oder nicht? 

DER JÜNGERE; 

Mit kleinen Konzessionen. 

DER ÄLTERE; 

An Bräuche und Sitten, gewiß. Was aber unwesentlich iü. 

DER JUNGEREr 

Also die Synthese? 

DER ÄLTERE: 

Ich möchte lieber Ordnung sagen. Das Suchen der Ordnung im Ungeord« 
neten, das Schaffen der Ordnung aus Chaotischem i^ das Leben der mensch- 
lichen Energie, ackerte sie sich auch in welchen Neigungen immer, kün^- 
lerisch, kaufmännisch, politisch. So stark i^ das, daß die Energie dort wo 
sie ihrer genialen Ordnung, die sie will, nicht genug Chaos findet, sich 
Chaos schafft um ihm die Macht ihrer Ordnung zu geben. Denk an Na- 
poleon und Bismarck und ihre Verwirrungen der Wdt aus ihrer Not ihr 
ihre Ordnungen zu geben. Denk an Goethes junge Stürme seiner Seele 
— hier war clas Chaos in den Gefühlen —, denk an Nietzsches Zerstörun- 
gen der Werte ~ hier war das Chaos in den Begrififen. Ich meine, dieser 
Sinn nach Ordnung i^ wirkend in jedem Menschen, der etwas will : er katm 
son^ nichts wollen als die Ordnung, aus dem mystischen Gesefe der voll- 
kommenen Menschennatur heraus, deren Herzschlag der Rhythmus der 
Welt i^. 

DER JÜNGERE: 

Du stellt ein Theorem voran, wie zur Versicherung dessen, was du sagen 
will^. 

DER ALTERE: 

Nein, nein! Ich will dem Gedanken keinen Zwedl geben, der ihn entweihte; 
sei der Zweck auch weicher immer. Du kenn^ mich doch als einen, der 
berauschende Freude an den Gedanken hat, die nicht Beweises wegen in 
die Welt geseM sind. Es liegt mir nichts daran, einen, meinen Gedanken 
gegen einen andern zu stellen, daß ein törichter Streit entsteht mit Schlau- 
heit, Wife und allen Infamien Rechfliabenwollens. Wir haben solcher sich 
balgender und einander deshalb aufhebender Meinungen genug und viel 
zu viel als daß ich Luit verspürte, in die aufgeregte Arena dieses Schein- 
gefechtes zu steigen und den Lärm zu vermehren. Der Gedanke iit der 
Schild der Schönheit also eines Zweckenthafteten und so selber zu Zwecken 
nur mißbrauchbar . . . Was ich da von dem Gesefe der Ordnung sagte und 



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sich in ihm das kosmische Gesefe des Ganzen durch den Menschen 
&u|}ert und nicht nur durch ihn natürlich, das wollte ich nicht als eine ein» 
leitende c:aptatio sagen. Nur als den grojjen Hintergrund dir für den Vorder- 
grund andeuten, d^ dessen Verhältnisse und Perspektiven sichtbar werden 
und dir nicht kleinlich erscheint, was nur klein, dir nicht verzerrt erscheint, 
was nur verkürzt i^. Wir waren ja im Zuge, von den deutschen Dingen 
uns zu unterhalten. 

DER JÜNGERE: 

Die du, ich vermute es nun, größer und freundlicher mir weisen wiM, als 
ich sie seh& 

DER ALTERE; 

Als sie deinen aus Weiten zurückkehrenden Augen erscheinen, die zu 
blinzeln und zu tränen beginnen, wenn sie sich auf Nahes einstellen sollen. 
Ist's nicht so? 

DERJÜNGEI^: 

Soli ich sie lieber schließ und sagen: wie schön und gut? 

DER ALTjSRE: 

lü dir beim andern wohler? 

DER JÜNGERE; 

Ich schaue teilnahmslos zu. 

DER ÄLTERE: 

Wenn das gelänge! 

DER JÜNGERE: 

Also du meinil, man könne sich nicht au^halb stellen und mu^ teilnehmen 
irgendwie? 

DER ÄLTERE: 

Ja, irgendwie fördernd nach Neigung und Fähigkeiten und des Ganzen 
bedacht. Wir fördern den europäischen Begriff, wenn wir als Deutsche dem 
deutschen Begriff dienen, wozu uns minde^ das gro^ Erbe unseres Stammes 
veipflichten mu^. Seien wir mindeif in schlimmen Zeiten gute Hüter dieses 
Erbes für die Nachkommenden. 

DER JÜNGERE: 

Geschieht das denn nicht? Sieh doch die neuen Editionen unserer großen 
Literatur* 

DER ÄLTERE; 

Und die Schulen und so weiter. Verzeih da^ ich dich unterbreche. Ich meine 
etwas anderes. Es handelt sich zum Geringsten um die Künste vielleicht. 
Ich meine: deutsche Wesenheit dürfe dem europäischen Begriff nicht fehlen. 
Und dies zu erreichen, dürfen wir nicht nur ein Volk mit cmer Vergangen- 
heit sein, die man uns zugib^ scmdem mit einer Gegenwart, die man uns 

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abspricfit, die man sidi bei uns selber gern abspridit. Aber die barbarisdie 
GesundheiC der deutsdicn Stämme verträgt viel. Die Ang^ und der Wife 
spielen sie gegeneinander aus. Nord und Süd werden von W ohlmeinenden 
zum Tausojverkehr ihrer besten Güter eingeladen, und der Geschäfts« 
kundige wci^ aus den pointierten Gegenübö-stellungen Geld zu machen. 
Ja, es verträgt der Deutsche sogar den offensten Spott über seine heim« 
liehen Übel, wie keine andere Rasse sich das leisten kann. Hr billigt ihn 
oft nicht, aber er geht nicht daran zu Grunde. Denn er hat eine Neigung, 
sich selber nicht in Ruhe zu lassen und iü oft der eingebildete Kranke, nur 
um sich recht oft den Puls fühlen zu können. Die Frohheit der südlichen 
Völker üt zögernder bd ihm, das naive Sclbstbewu^tsein der Rhetoren 
wird bei ihm, der gar kein Redner i^, leicht grob und renommistisch sich 
äußern, was beides eine immer wache Selbstironie nur übertönen soll. Diese 
Deutsche waren Dichter und Denker und sind nun Arbeiter im Schweiße 
man darf von ihnen nicht die schickliche forensische Haltung verlangen. 
Wessen Leben schwer i^, dem wird leichtes Tun immer schlecht stehn und 
dessen etwas gekrümmter Rücken wird keine gute Figur auf der Tribüne 
machen. Man sollte diese Tatsachen und Bedingungen der heutigen deut« 
sehen Existenz kennen, bevor man Formen von ihr verlangt, me zu er« 
werben noch keine Zeit war, die schnell zu entlehnen nur die zeitlosen Snobs 
und deren Gefolge Eile haben, denn sie ahnen, sie leben nur gegönnte kurze 
T(^e. Ihre neurasthenischen Krämpfe über den schlechten Kleiderschnitt 
sächsischer Touristen, aus dem sie che völlige Verrottung des Stammes und 
alles deutsche Unvermögen deduzieren, das rührt keinen und an nichts. 
Daß der deutsche Kaiser m Kunstdingen einen minder guten Geschmack zeigt 
als etwa der Großherzog von Hessen und der von Weimar, i^ für das Wohl 
der von ihnen regierten Völker durchaus belanglos. Die Verfassung ver« 
flichtet einen Regenten nicht auf den Geschmack. Alles das üt nur Geschrei 
Bauunkundiger über die mißglückte Dachfahne eines Hauses, aus welchem 
Umstande ihre Unkenntnis schließt, daß auch in des Hauses Fundamenten 
durchaus der Schwamm si&en muß. Die angebliche Sensibilität jener Leute, 
zu denen nun durch schlecht bedienende Gazetten als Phrase gedrungen 
yj, was wir vor etwa einem Jahrzehnt in bewußt übermäßiger Betonung 
und in der Utopie der Logik und damals von den gleichen Leuten ver« 
höhnt mit unserem ganzen Pathos sagen mußten, mese Sensibilität im« 
wissender Gehirne und von Faulheit geschundener Nerven, diese paar 
tausend Leute, die Zeit genug haben, alle Häuser mit ihrem Kulturgcschwäfe 
zu erfüllen, mit ihrer Lehre von der allein seligmachenden Hosenfalte und 
ewiger Verdammnis aller Röllchenträger, diese kleine Sippschaft des großen 
Maules, diese Kenner der modernen Literatur und son^ keiner, diese 
Sca-ibenten ihrer eigenen Hinfälligkeit, die nach dem starken Leben jammern, 
das ihre blinden Augen nie sehen können, diese Erneuerer auf allen Ge« 

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bieten, von denen sie nichts verstehen, diese Herren und Damen und die 
ihnen aus Dummheit oder Gewinnsucht Gefälligen, — lieber Freund, lach^ 
du nicht vielmehr darüber, über diesen Kork auf dem Meere, der sich ein 
Schiff dünkt, über diese Fistelstimme im Chore der paartausend Statisten, 
die alle zu übersingen meint mit dem feinsten Ton, über diese Allerfeinsten, 
die sich nichts aus dem Leben wirken, weil sie untauglich sind und so dem 
Leben die Schuld geben, diesem Deutschland, das die Schwä&er nur so 
lange gutmütig duldet als es von ihnen bei der Arbeit nicht gestört wird 
und auch dann noch die Lungerer nicht wegjagt wegen ihrer Possierlichkeit? 
Dieses kleine zeitgemäß Übet diese vapeurs! 

DER JÜNGERE: 

Aber sag, sind dir denn die andern lieber, du weißt schon, diese juchtenen 
Deutschtümler und Werdandibündler und Monisten? 

DER ÄLTERE: 

dasselbe, i^ dasselbe. Sie sprechen die Vokabeln nur anders aus, aber 
es sind die gleichen Vokabeln. 

DER JÜNGERE: 

Du siehit also nichts förderndes in der Kritik des Bestehenden? 

DER ALTCRE: 

Besteht denn schon etwas? Ich glaube, es wird er^ etwas. Und Kritik 
steht er^ auf in der Höhe des Werkes. Nie verschwendet ein Mächtiger 
sein kritisches Wort an ein Werdendes, an den Keim. Nur die Verfall- 
zeiten haben gr^e Kritiker, Zeiten aber wie die unsere haben nur Leute, 
die kritisieren. Wir wissen genau, was wir nexh nicht sind, wissen gut, 
was wir nexh nicht haben. kennen unsere Mängel und sind nicht so hin- 
fällig, sie alle durch unsere Historie zu entschuldigen, um sie beejuemer zu 
tragen. Wir wissen, daß in der son^ so fruchffiaren Verschiedenheit und 
Vielheit unserer Stämme auch etwas von unserer politischen Schwäche liut, 
die uns die Aufgabe, eine starke politische Einheit zu werden, schwer machC 
oft unmöglich erscheinen läßt Daß unsere seperatistbchen Neimngen oft 
nur mit cict tönenden Phrase in S^ach zu halten sind, wie »derErbfeind« 
und ähnliche kriegerische Stimulantien. Die Nachbarn ahnen nicht, daß 
dieses deutsche S^elrasscln ein Mittel der innem deutschen Politik i^,eine 
brutale Erinnerung zur Einheit Und dann: die mächtig und auf einmal 
über uns gekonunene Großwirtschaft Industrie und Handels hat diese 
Deutschen, die ein Landvolk zumal waren, unsicher gemacht, auch über- 
mütig, aber unsicher vor allem. Daß sich alles festige und die Tradition 
wieder aufnehme, dazu war noch kerne Zeit und bt noch zu schwankend 
unser Besife. Und die Siege zweier Feldzüge wirkten eine Ideologie aus, 
die oft zum Schaden des Ganzen eilig als überwunden, verdient und fester- 
worben vorstellte, was es im Grunde nicht war. Kein Mensch und kein 

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Volk sind ohne Nachteil für sich selber siegreich. Wir wissen alles das 
und haben es gesagt als die Zeit dafür war. 

DER JÜNGERE; 

Wenn die Dummköpfe einer Sache sich bemächtigen, so sucht man sich 
eine andere. 

DER ÄLTERE; 

Aber da$ die E>ummköpfe der Sache sich bemächtigten, zeigt wohl auch 
an, da$ sie irgendwie c^solet geworden iü. 

DER JÜNGERE; 

Aber doch nicht durchaus aufhören mu^, eine Wahrheit zu bleiben? 

DER ALTERE; 

Die Wahrheit kann Ursache des Niederganges, ;a des Endes sein, nicht 
nur für das Individuum, auch für eine Nation. 

DER JÜNGERE; 

Steht es so schlimm? 

DER ALTERE; 

Das Leben einer Naticm folgt dem Nu&en, und nicht der Wahrheit Das 
kanni! du an der Politik ablesen, wie die Temperatur an einem Thermo- 
meter. Ihr Auf und Ab bezeichnet die Schwankungen im Nu6en, nicht 
etwa Siege oder Niederlagen irgend einer Wahrheit oder gar einer Partei. 
Natürlich gibt man dem Nu&en allerlei Namen, aber das sind Worte, auch 
kaschiert man ihn hinter allerlei Fakten, aber auch diese sind nur Worte. 
Es gibt keine andere gute Politik, als eine macchiavellistische und je bewußter 
sie es i^, d. h. je weniger sie sich em^ nimmt desto besser i^ sie. 

DER JÜNGERE; 

Ein schmubiges Handwerk. 

DER ÄLTERE; 

Das liegt am Material, in dem es arbeitet; die anonyme Zahl, die Men- 
schen. Man will bei uns diesem Handwerk feinere Arbeitsmethoden bei- 
bringen/ und da man das Material kennt, will man natürlich auch dieses 
besser machen. Die einen sagoi, es wird besser, wenn man den Kollekti- 
vismus einführt das i^ eine Theologie; das Jerusalem der grauen Ameisen. 
Die andern meinen, es war mit uns einmal besser, damals als wir »eine 
Kultur« hatten. Aber die äsdietisdi-ethische Quacksalberei unserer gebil- 
deten Kulturoolitiker kuriert den kranken Deutschen so wenig wie es die 
wortreichen Heftigkeiten der Kollektivisten tun oder die satirischen Zug- 
pflaster der geschäftskundigen Zahnrei^ auf den Märkten. Kultur 
weder eine Verwaltungs- noch eine Polizeia^elegenheit Wer ihre Schafiiing 
— als ob sie sich mit Verordnungen imd Gese£;en schaffen lie^! vom 



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Staate verlangt, der mi^kennt beides, Staat und Kultur. Den Staat kann 
nur das Ponderable kümmern: in Zahlen ausdrückbare Macht der Nation. 
DER JUNGER: 

Lassen sich denn die geistigen Werte einer Nation, und die sind doch auch 
eine Macht, m Zahlen ausdrücken? 

DER ALTERE: 

Die sind imponderabel und kümmern den Staat nicht. Jeder Versuch, diese 
Sorge von ihm zu verlangoi oder sie sich anzuma^en, wird dem Ganzen 
schaden. Zwingt er sich Geistiges ein, so wird es sich gegen ihn richten, 
früher oder später, und ihn auflöscn. Er soll auf eine gute Geschäfts- 
bilanz bedacht sein, also: Exakflieit des Betriebes, Sauberkeit des Lokales, 
Gesundheit der Angestellten, Prestige der Firma, kulante Phraseologie und 
respektvolle Haltung gegenüber dem Geistigen der Rasse. Und wir stellen 
uns dazu wie Alfred de Vigny vorschlägt: On ne doit avoir ni amour ni 
haine pour les hommes c{ui gouvement. On ne leur doit cjue les sentiments 
m'on a pour son cocher: il conduit bien ou conduit mal, voilä touL 
DER JÜNGERE: 

Die Menschen erwarten immer etwas: ein Trinkgeld oder Prügel — , sie 
wissen nicht, was von beiden kommt, aber einer tut, ab wüjjte er es für 
sie: der Politiker. 

DER ALTERE: 

Und die Zeitungen. Aber es bi dcxh nichts besonders neues, da|J man aus 
der menschlichen Dummheit ein Geschäft macht und da^ wir in unsem 
Lastern mehr sind als in unsem Tugenden. Und Laster nennt man die 
Leidenschaften anderer. Das alles hat sein Regulativ in sich selber und i^ 
keine Entrüstung wert, die schließlich doch nur das Cache einer Nieder- 
lage bi. 

DER JÜNGERE: 

Was will^ du, daß man tun soll? Zugegeben, daß wir ein sehr vitales 
Interesse an der Exbtenz unserer Rasse haben, daß sie im europäbchen 
Begriff sich behaupten muß, daß wir uns mit manchen schlechten Mitteln, 
diese Behauptung durchzusefeen, abfinden, — wir werden doch niemab im- 
stande sein, so in der Zahl aufzugehen, daß sie ihre Anonymität verliert. 
Ja wir werden uns Schlimmeres tördern: unsere naticmalen Gefühle wird 
dieser gewisse Skandalpatriotismus aufsaugen und noch unverschämter 
werden, unsere Konservativität wird die irgend einer Geschäftspartei stär- 
ken — es bt der umgekehrte Gebt des M^hbto. Und der Tro^, für die 
Zukunft zu sorgen, bt ein sdir zweifelhafter, wenn ich mir auf den Bauch 
treten lassen muß, um eine Brücke für den Menschen dieser Zukunft zu bilden. 
DER ALTERE: 

Wenn wir nichb tun, und mit steb bereiter Kritik uns nur an das Üble 

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hängen auch nichts tun, so sinci wir eben die Brücke der getretenen 
Bäuche, gerade das, was du nicht sein will^. Glauben wir an un& damit 
w an die andern glauben können. Und seien wir kritisch nur im Au^er« 
sten, da aber auch bis zur Vernichtung. Aber der Glaube iü das Wesent- 
liche. Der Glaube i^ die Lofpk des Temperaments — das Leben hat nur 
diese Logik. 

DER JÜNGERE; 

Auch das Denken hat keine andere, scheint mir. Die Menschen glauben 
und bilden sich ein zu denken. 

DER ÄLTERE; 

War es anders, wären wir schon läng^ eine gelöste Rechenaufgabe und 
hätten nicht mehr Leben als zwei mal zwei Üt vier. Denk an die Ver- 
zweiflung Pasods. 

DER JÜNGERE; 

Ich dachte ... ja, ich dachte an dein Geselt der Ordnung, an die SynÜiese. 
Es wird immer ein Widerspruch sön zwischen mir und der Zahl, zwischen 
mir und andern, ja zwischen mir und Einem. Ein unlösbarer. M es nicht 
bloß vernünftig, daß du diesem das Wort rede^, die neue Generation soll 
sich nicht nur um ihre Partikularitäten kümmern, semdem um das Ganze 
— i^ das nicht bloß vernünftig und ja, eine Politik der Politik? 

DER ALTERE; 

Alles im kleinsten Ganze fördert das Ganze des Großen. Keiner soll 
anderem als seiner Kraft folgen, so mehrt er die Kräfte des Ganzen. Jeder 
steh im eigenen Dienit und dient so jedem am besten. Das Gedeihen des 
Ganzen liegt bei ihm, fördert er es, so fördert es ihn wieder, und das Maß 
der Kräfte wäch^ zum Äußersten. Der Gemeinplati i^ die brauchbarste 
Wahrheit 

DER JÜNGERE; 

Immer noch scheint mir es nur vernünftig was du sagit. 

DER ÄLTERE; 

Was will^ du, der Wahnsinn der Zahl iÄ mir nötig, um nicht der Weis- 
heit der Einsamkeit zu erliegen. Ich warne che andern. Ich stelle che Frage 
neu, weil die Antworten sich alle aufheben. 



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HANS CAROSSA: DER MORGENGANG 



Ein Gipfel waut, der blasse Vollmond sinkt . . 
Verloren smwebt im Trug der tiefen Düfte 
Die stille Stadt. Vom honen Dom nur blinkt 
Der grüne Ro^ des Kupfers. Durch die Klüfte 

Der flutenden Dunstcrand grüßen noch einmal 
Schiffer und Bc3ot herauf aus kalten Wogen, 

Von Schatten überschwankt, gro^, trüb und fahl, . . . 
Schon sind auch sie vom Nebel eingesogen . . 

Im Schreiten öffnet sich der Blick ins Weite, 

Der Pfad schleicht über karg bewachsnes Land, 

Der zähe Dun^ fließt nach der andern Seite, 

Ein Haus verlischt an dunkler Gegenwand . . . 

Fern schläft nun alles was die Nacht noch hält 
In langer Dumpfheit schwarz geschlossnem Schreine 
Dexh hier! Wie jugendlich gährt hier die Welt! 

Wie ragt aus blauem Dämmerzweifelscheine 

So tierhaft bleich der wettermorsche Baum! 

Wie mischen weich die schwadien Birkenstände 
Ihr Laubgewölk dem trüben Himmelsaum! 

Wie zieht der Strom den Dun^ nach dem Gelände! 

Der Mond versank. Dexh schon vermag die Helle 
Den lefeten Stern vom Himmel weg zu schauem. 
Ergriffen an des Eichenforstes Schwelle 
Sen ich der Stämme dicht hindämmemde Mauern. 

Starr steht der Wald. Er schweirf sein volles Schweigen. 
Kein Blatt i^ wach, das grüne Märchen flistert . . 

Den Nebel hör ich nur hoch in den Zweigen, 

Der fallend an den rauhen Rinden knistert. 

Und dich fühl ich, du Löserin der Ringe, 

Die sich an Menschenstimen har^ercjstet. 

Die gute Deuterin der stillen Dinge, — 

O Einsamkeit! bleib bis ich ausgekostet 




Mein Selbii in dir! Die Hüllen laß midi streifen 
Von meinem lefeten schweigsamsten Gehalt! 

Sehn möcht ich midi wie meine Träume reifen 
Zum eignen Sinn, zur geltenden Gestalt! 

Die liebe Welt gibt mir mein täglich Brot, 

Doch mein Gefühl muß ich vor ihr behüten, — 

Nur du kenn^ meiner Jugend ganze Not 
Du mein Entzücken und das dunkle Brüten, 

Das den erfüllt der früh sich überwindet 
Der nur in Liebe leidet oder handelt 
Sich hingibt und sich immer wieder findet 
In fremdem Leben wundervoll verwandelte 

Es tagt Dem Hang, um den kein Duft mehr wittert 
Entprägt im Hain sich wie aus Erz getrieben. 

Ich seh das Zweignefe, luftig aufgesphttert 
[>ie Blättnr schon vom Lichte schwach beschrieben. 

Wachholderbüsche blaugrän eine Schaar 
Graun auf Granit von Ferlenblässe triefendl 
Und es entkreiif dem Berg ein Adlerpaar, 

Die Flugkraft noch, die fro^eklommene, prüfend, 

efet freier schon, hoch mit erwärmenden Schwingen, 
Jnd nun erglühn sie hell mit einem Male, 

Is i^ als ob die Federn Feuer fingen, — 

Da kehr^ du dich zu deinem finstern Tale 



Und weißt nun, daß dein Schaun, all deine Wonne, 
Ein Unsichtbarer dir herüberspendet — 

Nexh siehil du nicht noch ahim du nur die Sornie, 
Dich grüßt ihr Glanz, doch du stehü ungeblendetT 



Dich schauert . . . wohin führt dich dies Empfinden? 
Sind hier Gesefee neu für dich zu lesen. 

Dran du vorübergingil gleich einem Blinden 
Und denen du viäleicht doch treu gewesen? 



DiA glüht hier eine Welt an überwoben 
Von Bcelenduft im ahnungsvollsten Lichte, 

Du tritte! ihr nah, — und alles zerstoben. 
Unfaßbar geistiger Schmelz, er i^ zunichte. 

Ermanne diA! Was frommt Aes trübe Wühlen? 
Weißt du denn, welAcn Willen du erfüllet? 

Ließ nie dein eigenes GeAAt AA fühlen, 

Was AA beschränkt und was du darfit und willit? 

Du darfit AA keiner SehnsuAt überlassen! 

Im kleinsten Ringe wags diA reiA zu lAenI 
Ein Ganzes, niAt das Ganze wirit du fassen, 

Um es zu dir, ins MenschliAe; zu heben! 

Aus vielen Spiegeln will der Geiit dir winken, 

DiA lockt das LiAt mit tausend farbigen Wellen, 
Und jede Welle Aoht dir ein Versmken, — 

Drum hüte deinen BliA! Und niAt zersAellen 

Wird was du bildeit, — und wenn deine Brüder 
Der Glanz des Alls berausAt, — du taumle nicht! 
Du sAlag vor keinem Geiit Ae Augen nieder. 
Wenn ihm dein Erdensinn still widerspriAt! 

Der Morgen kommt Wie Meteore bli&en 
Blaue Eisvögel übers wilde Grün, 

Daß Bugentstreilt Ae nassen Berberi&en 
GleiA Tropfen Blut ins Moosfeld niedersprühn. 

Und hoA und hoA vom sonnengoldnen Gipfel, 
Hexh über meinem Haupte, kraAt und laAt 
Ein erster SAuß ins Tal, — die träumenden Wipfel 
ZuAen erschreAt " der ganze Wald erwaAt 

Und weithin, tiethin, talwärts — mensAenwärtS 
klärt siA Ae Welt aus glühendem Dunitgewirr, — 
Welt gib mir Liebe! LiAe, gib mir Schmerz! 

Und segnet meine Hand und euA in ihr! 




RENfe SCHICKELE: DAS MEER 
Fünf» oder sedismal verließ Paul Merkel das Meer. 

Er glaubte wahnsinnig zu werden an den kalten, durchsichtigen T^en, da er am 
Strand umherirrte, wo die verlassenen Lu^häuser standen und die Schatten bieg» 
samer, hellgekleideter Frauen sich im Wind bewegten. Sie waren eine lichte An» 
mut. Weiß auf Blau, in die sich der wilde rote Fiedcen eines Mundes bohrte. 
Aber hatte er sie denn nicht genugsam gekannt? Hatte nicht sein ganzer erster 
Winter in Paris ihnen gehört? Er war so schnell ein Ga^ geworden, wo er der 
Liebhaber gewesen war. Ihre Sicherheit, ihr unbekümmerter Instinkt gefielen ihm/ 
er hatte davon lernen wollen. Endlich wußte er; sie waren unedle Tiere. Aber 
jttt, da sie froren, hatte er Mitleid mit ihnen, sie rührten ihn. Wie sollten sie hier 
leben, in dieser Kälte, vor einem erzürnten Meer, dessen Gewalt ihre leichten 
Schatten zerriß? Wie sollten sie leben, in diesen schwächlichen Villen, zwischen 
den verwelkten Gärten, je&t, da die lauwarmen Quellen der goldenen Abend» 
musiken gefroren waren, und der bittere Nordwind jeden Duft zerfraß? 

Paul konnte nicht bleiben, er m^te reisen. 

Sobald er seinen Pla& im D»Wa^en eingenommen hatte, begann die Baumblüte 
in den unwirklichen Gärten der Einsamkeit. 

Er trat seine Reisen Immer nachts an. 

Das Abteil, w^orin er sich einrichtetc, wurde zur Zelle. Das war dne kleine schwach 
erleuchtete Höhle mit Fremdheiten und Dunkel ringsum, in der er, immer weiter 
entrückt, die Schmerzen der Loslösung von seinem Menschen erduldete. Er war 
mit allen Nerven in das große fliegende Nefe von rhythmisch starken und unbe» 
stimmten Gedanken verwebt. Sein Herzschlag blieb vom gewaltigen, aber so 
sichern Takt des Elsens bezwungen. Das zärtlichste Gefühl hatte einen ehernen 
Gang, die germgste Sehnsucht die weite und doch nicht ausschweifende Gebärde. 
Er wurde festlich begrüßt von GIcxken, die einsam austönten. Manchmal zerriß 
ihr Klang und hing sich flatternd an seine Fahrt: Trophäen, die er mit sich fortriß, 
mit denen er spielte, und die er In die Nacht zurückfallen ließ. Er wurde von fliehen» 
den Lichtem begrüßt imd von menschenfremden Phantomen, die aufleuchteten und ver» 
gingen. O, das Licht über den Städten vor ihm, die lefeten Häuser der Städte und 
das jähe V erstummen hinter ihm, die Berge, die Wege ,. . die Ebenen, die ihn zurück» 
nahmen und au& neue tiefer veremsamteni Sie waren stumme Meere in der Nacht 
Die kühne Fahrt schien ohne Ende/ es war der dramatische Vorbeizug des äuß^en 
Lebens vor seiner Unbewegtheit Er erstarrte In ihr und lauschte nur dem leisen 
Echo einer neuen Seele, die im Begriff war, sich zu formen und eine bestimmte 
Musik zu werden. Während er das Alte, Gewohnte absterben fühlte, zitterte ein 
Neues In den Erschütterungen, In den Erschöpfungen und Anläufen, blieb be» 
ständig In den Widersprüchen und Kämpfen und formte sich. 

Paul wußte: es war seme beständige, eingeborene Seele, die sich aus den Ver» 
wirrungen befreite und sich anschickte, von ihm Besife zu nehmen. Das wäre der 

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vollkonuncnc Spiegel seiner Erlebnisse, sicher und untrüglich, wie sein Schicksal. 
Was ein Abenteuer war, würde eine Erkenntnis und so, endlich, sein Eigentum. 

In seiner rasenden Zelle war er von Schatten und Licht Überflossen, unter der 
Oberfläche des Vergessens geborgen und begraben: sinkend, emporsteigend tmd 
stok, weil der gro^e Tanz in der Feme lockte: das Unbekannte, das Abenteuer 
der fremden E)uwe und seiner morgigen Empfindungen. 

Mitten in der Nacht war eine crleu^te Bahnhofhmle. 

Paul stieg aus und durchschritt die Kreuzgän« seines inneren Klosters. Er ver» 
weilte in einem Saal, wo bunte Türme von Früchten zwischen Butterbroten und 
rauchenden Kaffeetassen standen und sich in den sprühenden Spiegeln insUnend« 
liehe fortpflanzten. Er wu(lte, da^ er dem Stall der Gemeinsamkeit entronnen war. 
Die geheimstOi, niederträditigsten Empfindungen waren wie Ketten vcm ihm ge» 
fallen. Hundert Lüste, die ihn benebelten, waren verraucht. Bei dieser Berührung 
mit derAu^welt merkte er, da^ er ein andrer war, ein Fremder, der wandert... 
Er war gesammelt und abgeschlossen. Seine Einkehr hatte Bestand/ und er genoiß 
diesen ersten Sieg. Eine innere Willkür war dem hypnotischen Zustand gefolgt 
worin die Cewalkamkeit fremder Übergriffe und die Heimtücke derTatsaej^ ihn 

e en hielten. Er hatte die Leichtigkeit derSieg»/ er war höhnisch und mild. 

kam der paflietische Augenblick, als der Zw sich wieder langsam in Be> 
wegung sehte und Paul sich leise, voll verhaltener Freude, mit feinen Fäden in den 
Rhythmus der Fahrt einspann. Die Transfiguration seines tierischen Lebens war 
beendet Er traf Anstaltcm, um sich das erste Konzert seiner neuen Eindrücke zu 
geben. Er bereitete das erste Abenteuer der neugeborenen Seele. 

Paul Merkel reiste, er stand auf den Türmen der Städte und sah die gro^ Ströme 
in ihren schweren, aufgerollten Flechten die Majestät über den Tcxl und das Leben 
verkünden: hingegeben den Verzauberungen des Lichts, königlich das erhabene 
Bild der Felder und der Wälder spiegelnd, imd wie groß sie das Schicksal der 
Jahreszeiten trugen. Sie strahlten ihn an aus ihrer Feme, er stand auf den Türmen 
der Städte, uncT sie tauschten Grüße aus. 

Als die Schlachten des Abends begannen, übernahm er den Oberbefehl über seine 
Schicksale, die sich in drohenden Kolonnen über die Felder bewegten. Er hißte das 
Signal, aus dem die Berufung sprach; Malva, die Geliebte, die er verriet. 

Er erkannte den Si^, als das lefete Leuchten der Ströme versank und mit den 
Sternen die große Einsamkeit in die Welt kam. Da fand er sich gerüstet und ge« 
wappnet: unnahbar glücklich. 

Und zu ihm herauf durch die gesunkene Nacht tönten die Städte Sieg, Sieg! schrie 
das Licht; das an allen Enden aufflammte, es war em trunkener OrKan vem Sieg, 
der sich zu ihm aufwarf und die Zinnen der Türme mit gleißendem Gischt krönte. 
Der Stundenschlag vielstimmiger GIcxken schenkte ihm das Lefete, den gemessenen 
Pulsschlag, und sein Blut blieb noch lange in der Höhe schwebend, ak er läng^ 
von den Türmen in die Städte hinabgestiegen war . . . 



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Es gab für ihn kein größeres Glück. Die Welt war unendlidi vielfältig/ er konnte 
nichts Lebendes über das Leben lieben. 

Das brennende Mal des Glückes trieb ihn inuner wieder ans Meer. 

Paul Merkel reiste. 

Er liebte die Einsamkeit der Hotelzimmer. Da war er von den barmherzigen 
Bestien verlassen, die schon vor der Reife sein Blut tranken, bis er, ihrem töbsüch« 
tigen Mitgefühl unterjocht, auf Mord sann . . . 

In so einem armseligem Hotelzimmer eines fremden Landes, morgens vor Sonnen« 
aufgang, fühUt du er^ bis auf die Nieren dich selb^. Je länger du wachlieg^ und 
die elenden Gardinen, die zerschlissenen Teppiche betrachtet, dem erten Vcjgel» 
gezwitscher dich hingibt und deine Gedanken vcm seiner dummen Monotonie zer« 
reiben läßt, je inniger du dich der irrsinnigen Tortur einer solchen Morgendämmerung 
ausliefert, in einem gemeinen Hotelzimmer, durch das schon Tausende vor dir ihr 
unglaubliches Leben geschleppt haben, desto einziger bit du. Du wirt unbarm« 
herzig bis aufs Herzwasser ausgepreßt, und deine Seele befreit sich zu beglänzten 
Höhen. 

Nur in der Ekstase des Hungers noch wird mit so englischen Zungen zu dir ge« 
redet Keine Liebesnacht und auch deine Augen m'cht Lais, sind diese Morgen im 
armseligen Hotelzimmer eines fremden Landes wert Alle Schönheit die Schönheit 
wie sie in den Gewittern ihre erderschüttemden Falten wirft, und das Lied der 
Schalmei, sie wird, vom reinen, weißen Licht der Erkenntnis umflossen, neben dich 
auf das wonnige Brautlager gebettet und sie schenkt dir die Ausgeburt ihrer Pracht 
die große Schönheit! 

Vor dieser Lu^ fürchte dich nicht! Es gibt kein Erwachen. Du verlort nichts... 

Auf einer seiner le&ten Fahrten sammelte Paul Merkel die Erfahrungen, die sie 

f ebracht hatten. Er betrachtete sie und faßte sie in einen kleinen Prolog zusammen. 
)arin war ungefähr folgendes gesagt: 

Es üt falsch, dem Erlebnis, d. h. der Speumung, die durch den Verkehr mit Men« 
sehen entsteht, mehr Wichtigkeit beizulegen, als den vielen Eindrücken, die uns 
durch Bilder, in der Musik, durch irgend eine Fabet durch Landschaften mi^eteilt 
werden. Das sind alles Anregungen, die ich brauche, um genußfähig zu bli^en. 
Alles, was geschieht, geschient für mich, um meine natürlichen Anlagen zu ent« 
wickeln. Die Ereignisse aller vergangenen und zukünftigen Tage sind \mkommene 
Feinde, mit denen ich mich herumschlage, von denen ich nehme, indem ich ihnen 




meiner Sache zu machen. Idi muß so tun, ob ich nun will oder nicht 
Wir lieben keinen Menschen um seinetwillen. Wir lieben ihn, weil er eine Abeut 
von uns i^, eine unserer Schwächen, einer unserer Jahresringe, eine Sehnsucht oder 
eine Vollkommenheit Sie sind gut genug, um Leicienschaften in uns au&uwühlen, 

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die unsrer eigensten Natur angchören, um die Gedanken zu sdileifen, die uns nodi 
nidit geblendet haben. Wir lassen uns schinden, auf daß unsere Empfindlichkeit sich 
vermehre und die Reize, die wir den Dingen abgewinnen, heimlicher, ungewöhn» 
lieber, ergreifender werden. 

Unser Leben, auch das seelische, i^ eine Selbstverbrennung. Wir gedenken dieser 
tragischen Feuersbrun^ mit Gewinn zuzuschauen und einigemal, im Verlauf der 
I^e, die unser sinci die wundersame Passion des Phönix m uns zu erleben. 

Es üt das einzig Schöne, solche Ostern einzuläuten. 

Glaube nicht an die Göttin Wissenschaft in der viele die unerschütterlicheReligion 
der Zukunft sehn. Eine Kurie, aus deren Weltempfinden jeder Schimmer von 
\fystizismus gewichen wäre, wäre furchÖ>er. 

Man kann sich nie tief genug in Ungewißheiten versenken, und die seelischen Un- 
gewißheiten sind die tieften. Die Wissenschaft, wie die Kun^, wie das ganze Leben 
überl^amer Geister, i^ ein Mittel, um die Kenntnis vom Menschen zu fördern. 
Der rund des Radiums und die Entdeckung eines Bazillus sind gleich wichtig für 
die Psychologie und ebenso romantisch. 

Das geistliche Rom, in das alle Wege münden, die synthetische Metropole der 
Seele, üt die Wissenschaft der menschlichen Empfindungen, und alle be- 
stiefeiten Eroberer und alle seelischen Abenteurer haben am Tefeten Ende nichts 
getan, als dem großen Archiv einige mehr oder mmder wichtige Dokumente zu 
hinterlassen/ uncTieae Schönheit i^ eine solche Auskunft. 

Es lohnte sich nicht mehr zu leben, wenn die Wahrheit in die Welt käme . . . 

Dann behielt ihn das Meer. 

Der Gedanke der Reinheit die die Schönheit i^, beherrschte ihn vollkommen/ die 
radikale Richtung der Seele, die wir mit Fleiß unterdrücken und verleugnen, weil 
wir furchten, son^ nicht mehr leben zu können. 

Paul Merkel wurde zum Pilger der Ekstase, zum Asket des Gedankens. In der 
klösterlichen Strenge eines nordbehen Winters vor der seelenerschüttemden Offen- 
barung des Meeres wurde er bb ins Le&te einsam und fremcL 
Jeder, der einmal abseits ging, hat diesen schneidenden Winter und die Drohungen, die 
Erlösungen eines Meeres gcKannt Überall sindPilger auf solcherWallfahrt begriffen. 
Er lag stundenlang am Strand von Dieppe und li^ sich von den ungeheuerlichen 
Melancholien der unsterblichen Geliebten rühren. & schüttelte. Es würgte. Fa^ 
meßte es das Herz ab. 

Es kam mit dem sinnenpeitschenden Lärm eines Eilzuges an, mit dem unaufhalt- 
sam rasenden Verlangen ^nicht länger, nicht länger!) nach einer allen zertrümmern- 
den Widerstand aufnehmenden Vereinigung, einer überlegenen Güte, die Höllen 
zu vcmichtungstrunkenem Glück erlö^ — gewaltsame Leidenschaft die alles, was 
am Wege stmt, unwiderstehlich in den Staub reißt, vor das brennende Gesicht 
ihrer Allmacht hin . . . und die auf dem Wege i^, sich schicksalsvoll hinzugeben 
... in einem, das ganze wilde Leben der Wdt überschreienden Glück! 



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t£cr ii! des Ende des Mensciilidien. 

Sdila^ die Tore ein, an die sich der Flug der ekstatischen Seele stö|)t zerschmettert 
am I^en Horizont euer zeitliches Gesdiick, vollbringt euch in Erdrosselungen — 
— hier i:^ das Ende! Schon leuchtet vrie das wüste Wahnsinnshaupt emes Gottes 
ein Stern in den entrückten Chören blasser Morgenröten. Das üt der leichte Wein 
der Trunkenheit, auf dem die blumengeschmückten Gondeln, eure sinnlos singen« 
den Seelen, tanzen . . . 

Aber es riß die Seele gnädig an den Leib zurück. Es kam mit der Gewalt der 
zielnahen Sehnsucht an und brach über seiner Ang^ in einem katastrophisdben Er« 
gusse zusammen. Rieselte mit der Sanftmut eines vorsintflutlichen Ungeheuers zu« 
rück. Mit ihr, der mütterlichen Geliebten, fl^ er immer wieder über von Liebe, 
maßlos, verbrecherisch, bis zu Krämpfen der Ersch^ftiM. 

Er fuhr hinaus. Als der Augenblick kam, da das ochiu des Meeres unantastbar 
keuschen Gürtel durchschnitt, xrurde er ohnmächtig vor Glück. 

O du von keinem Schmerz entstellte Tragödie. O sanfteste, unverbrauchbare Ge« 
liebte. Du unwiderbringbeh lehte Gelio>te. Er war ihr wie in Taumeln über« 
menschlicher Gefahr vermählt 

Als die Sonne unterpng, stand er mit einer Schar blasser Pilger am Strand Jeden 
Abend kamen sie aus den Erdhöhlen, worin sic wohnten, hervorgekrexhen. Sie 
stellten sich der Sonne gegenüber und sangen: 

Die Eispaläste der Horizonte standen blendend oflfen. 

Die Sonne auf dem Meer &or zu. 

Fackeln zum Ziel; verzuckendes Hoffen, 

Brandrote Gedanken rasten zur Ruh. 

Irgendwo i^ ein Mädchenkörper eingefroren. 

Der ward vor millionen Jahren gebeira. 

Irgendwo i^ ein Weib verendet 
Nie geschändet 

Die Welt erfriert 

Ob le&te Glut den Salamander gebiert? 

Und über die Nacht her kam es, zwd dumpfe Glockenschlüe; Redemptio mundi. 
Die blassen Pilger knieten nieder, um die GIcxkenschläge in ihrem Herzen zu emp- 
fangen. Dann sah man sie klein und grau in ihren Höhlen verschwinden. 

Die grünflimmemden Streifen des Lcuchtturms wanderten, Paul lag geborgen in 
seinem Schattenbereich und wanderte leuchtend, warnend, mutsprechend übers Meer. 
Er war eins mit dem Meer. Er spürte die Schauer auf der bloßen Haut, wenn 
in der Höhe der leuchtende Streifen über ihn wegging . . . 

Und die Tabernakel der silbernen Leere wurden weit aufgetan. 

Er fohlte bis in die Fingerspihen, wie vor ihrem beständigen Glanz alles Dunkel 
versank. 

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Die ganze nSdisCe Zeit war das Meer in Aufruhr. Es rausdite Tag und Nadit 
in den wehenden Gesängen der Macht Und die drangen in das Blut der Men« 
sehen und verführten ihr Herz zu unbedenklichen Großtaten und gewaltsamen Er« 
lösungen. Sie gaben ihnen den Rausch jener erhabenen Stunden, me noch über den 
finstern Tagen und den ungewissenNächten als beständige Sterne stehn, dieTrophäen 
innerlicher Eroberungen. 

Der Chor der Pilger sang: 

>Der Rausch steigt, und wir erstarken.« 

Paul war ganz durchbrau^ von höhnenden Gesängen der Macht Ritomelle von 
jubelnder Härte hatten ihren Tanzplah in ihm. Ersah, am Fenster seines Zimmers 
lehnend, in sein vergangenes Leben: eine Abendlandschaft die ihn dimenhaft an« 
fächelt Er winkte ihr zu. Reingewaschen von der unanständigen Dummheit der 
Jugendjahre war er fröhlich wie nie. Er ging mit glänzendem L^e an den Strand 
hinunter, rüstete und fuhr hinaus. Er winKte lamend zurück. Dann wurde der 
Gesang der Wogen unwiderstdilich, und machtvoller durchbrauste ihn der er« 
schüttemde Frieden. 

Um ihn war die Hoheit strahlender Strudel. 

Er redete. 

Redete die infamste Litanei herunter. O ihr Heiligen! O ihr Madonnen! 

Es i^ die Zeit violette Banner in den trüben Himmel zu hängen. 

Heute i^ das Fe^ Immacrulata. 

Heute weht ein Südwe^ aus der Zeit der ersten Seefahrer ^Reine Kinder an 
Rohhdt). 

Seelel habe den Flug der Möwen, und das Herz im Sturm und die Augen voll 
falscher Wollu^. 

Und tunken warf er sich zurück und ließ sich von einem Gipfel zum andern schleudern. 
Hundertmal wurde er begraben, hundertmal stand er aus dem Grabe auf. O ehe 
schwelende Inbrunst der Liebe, bis in ihm die Kommunion des Himmels mit dem 
Meere vollbracht war. Er hörte im Innern der Erde die Glocken stärker stürmen 
bei dem feierlichen Akt 

. . . Die Himmel schimmerten von lichten Scharen der Engel 

Sie streuten rote Rosen au& Meer, mit denen die unbändigoi Gipfel sich schmückten 

und die feurig m den Tälern blühten. 

Er schloß die Augen. So fern war er, so weit 

Er trug ein Heiligstes im Gesang durch Wüsten und Meere, über Wälder und 
Gebirge, über Türme, über die b^länzte Nacht in die Feme. 

Er las in den Briefen Malvas. 

Und in tiefen Atemzügm genoß er che berauschten Sommernächte ihrer Augen« 
aufschläge, che wilden Gelübde, che tropische Flora ihrer Worte. Die Nächte. Die 
hellen Tänze der Anmut und che Mittemachtstürme. Er genc^ so viel Wollu^ m 
entrückter Feme. 



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Die Perne! Die Landsdiaften unsrer Sünden. Erlö^ von den AUtS^üddCeiten, 
entsdileiert die Seelen. Strahlend die Seelen, in ihrer in Ewigkeit gebetteten Spradie. 
Wo dieWblluit die Gestalten der Bäume durchwandelt, stark und zwecklos, be« 
rückende Symbole. Wo im Flug der Vögel Melodien von brutaler Brun^ ent- 
schweben: selige Kadenzen, — und alle tme Treue wirbelt mit den Blüten. Keine 
Schreie, keine Schwüre! Die WolluÄ verlor den Stachel: die Lüge. Und gleich 
wurde sie überirdisch, wunschlos: in Wellenschlägen von brennendblauen Ofem 
herüber. Schattenlos. 

Pan lie^ ein Echo zurück: 

»Glückseligkeit! Die Schöpfung hat ihren Gott 
verschlungen, der Mensch tot!« 

Das blühte durch Höhen und Tiefen . . . 

Er las in den Briefen der schönen Malva. Er sah sie und liebte sie: die Madonna 
mit dem feuchten, roten Mund und dem aufreizenden Schleier ihrer verlogenen 
Seele über dem Kindergesicht den kein Sturm von ihr nimmt Dieser starke Zauber, 
der ihr die Vergangenheit jener knabenhaft zarten und zärtlichen Amoureusen an- 
dichtet die durch ciiejcüirhundcrte in einer nebligen Nacht geraubt auf den Armen 
leidenschaftlicher Geliebter durch Wachen und Hinteihalte getragen, in den vielen 
Gefahren so sehr geliebt worden s'md. Geraubte Kinder, che zu Abenteurerinnen 
wurden — die schönen, schlanken Raubtiere des Himmels. Heuchleritmen roman- 
hafter Perspektiven und sü^e, fanatische Verräter. 

Jede Vollmondnacht betete Paul zur unverwü^lichen Jungfräulichkeit der Jägerin, 
und er mengte den Namen Dianas in die Litanei unserer lieben Frau: am diesen 
wonnevollen Kontrwunkt stellte er die mitternächtliche Missa solemnis seiner voll- 
mondüberglänzten Einsamkeit nachdem er sie, seine Geliebte, angerufen und also 
gesprochen hatte: 

»In der ewigen Strahlenbläue blühen die EpiÖieta, die Symbole für deine Art sind, 
Geliebte. 

Mit seltenen Blumen in blanken Scherben möchte ich dein Bild umstellen, da^ es 
blendend werde und in den eintausendundeinen Seelen schillernd. Lauter Ex votO 
für dein finsteres Martyrium. 

Siehe, alle Seelen, die um dich sind, schmücken dich, Geliebte. 

Sie übersprühen deine VerderbÖieit wagerecht mit Regenbogenfarben, Geliebte. 
Du nimm^ die Vernichtung und die Gewalt der Treibhäuser mit wohin du geh^, 
Geliebte. 

Gewitter von Düften glänzen um deine Schritte, und dein Fleisch iü mit den frem- 
desten Salben und Ölen gesättigt aus den Kelchen kaum geahnter Blumen, Geliebte. 
Deine Augen erblinden vordemTageslicht Sie überglänzen die Nacht und morden 
den vollen Mond. 

Vcjn den aufgelösten Haaren hebt dein erglühtes Leben sich gleich wie von tra- 
gischen Horizonten ab, entfernt und knisternd nahe, Geliebte. 

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Ofine Lippen sind weidi und matt wie ein zerknittertes Seidenkissen/ Geliebfe. 
Dein ersduaflter Mund nodi I&utet Sturm. 

In deinen Puppenzähnen bleiben Tag und Nacht die Unschuldsträume wach... 
Dein Körper i^ seelenlos. Es galt den Körper zu überwinden. Dein höheres Genie 
verband es, das Gewöhnliche mit Grazie zu verhüllen, Falten und Bäusche zu 
verteilen, mit einer ganzen und völligen Bekleidung aufzureizen, den Kopf über 
den Blu^esang zu heben, den die Kleidung für den ganzen Körper flüstert und 
schreitr 

Du darf^ dich nie entkleiden. Deine fanatische Stirne leidet es nicht Der Mund 
nicht, nicht die Haare. 

. . . Da nun die elende Gloria des Einsamen begonnen hat, la^ mich, heiliger Gei^, 
ich bitte dich, die feurigen Zungen sehn und erKennen, in denen du dich zu offen« 
baren lieb^, auf di^ ich mit sorgsamen Beschwörungen Gräber der Seele sprenge 
und die heimlichen Türen, wo nur die Schu&engel cm« und ausgehn, sich meinem 
leMen Sehnen nach ihrer Schönheit öffnen mögen. Amen.« 

Es war im Mai und im sechsten Monat seines Exils. Paul Merkel hatte die Nacht 
durchwacht Er öffnete das Fenster und sah aufs Meer. 

Weit drau^ standen dieSegel der Fischerbc^te, platonische Sehnsüchtc/Femsüchte. 
Die Glocken in der Stadt läuteten zur Frühmesse. Sie verstummten gleich wieder. 
Die Welt iÄ ein Kleister, dachte er. Irgendwo blühen Gärten, singen Vögel, Frauen 
lächeln und lieben, und man i^ önsam. Man glaubt sterben zu müssen, wenn in 
der Feme eine GIcxkc tönt wenn in der Luft dn Glücksgedanke sich rectT 
Alle Städte, an die Paul dachte, schienen nur in ihrer Vergangenhdt zu Iwen. Die 
Gegenwart war ein tiefer Schlaf, den die Glcxkenschläge gdangen hielten. Dann 
fiel ihm das Bild der Stadt ein, in der Malva wohnte. Eine brate, leere Stra^ 
führte zwischen Gebäuden, die läng^ verlassen waren, zu dnem schweren Tor 
^vergessene Triumphe . . und wenn man die Schritte unter seiner Wölbung 
schauen hörte, sah man wieder auf die selbe brdte Strafe, die nun zwbchen zwd 
Reihen hddenhaft dnsamer Pappeln hinauszog, immer geradeaus und niemals ins 
Frdc. Gärten blühten, Vögel sangen, ins Irmerste entrückt . . . 

>Ich mu^ hin, wo Malva wohnte Paul hielt den Atem an, als ob das Glück mit 
überirdischer Traumstimme ihn riefe. Es war Malvas Stimme, die ihm etwas un« 
endlich Einfaches sagte. Welche Erlösung, als aus der tiefsten Schwermut dn 
Lächeln in ihre Augen stieg. Wie dieses Lächeln war! ... Malva hätte aus der 
Welt verschwinden können, ihr Lächeln wäre geblieben: grenzenlos fröhlich und 
vollkommen . . . welcher To<i als das Lächeln Wort geworden war! Sie gingen auf 
jener brdten Stra^, und um ihn war der Augenbli^ da in ihrer Stimme die ganze 
Sü^ und die Stärke eines Lebens in dnem einzigen Wort erblüht war. Es hob 
alles Vergangene auf, ein ganzes Leben starb, damit das eine Wort mit allen un« 
getdlten Kräften des Körpers und der Seele lebendig werde. Wie dne schwere 
Blüte schwankte es vor ihm. Tiefe Farben und berauschte Gebärden sanken auf 
ihn herab, und er zitterte. 



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I 



Paul reiste dorthin, wo Malva wohnte. £r wollte sie nur wiedersehn/ nur ihren 
Gang und die Farhe ihrer Haare ... die Augen, den Bli<k, ihre Lippen wieder« 
sehn und dann c^e einen Mensdien glücklid) sein, wenn die Stunde gnädig wäre. 
Am Abend des andern Tages begegnete er Malva auf der Strafe. Sie ging am 
Arm eines Mannes, der ihr glüddich ins Gesicht sah. 

Was Paul danach tat, war in einen Nebel gehüllt, in dem er sich nicht erkannte. 
Er fühlte eine Dumpfheit, die ihn bezwang, er war glücklich und traurig auf um« 
wölkten Höhen/ ihm schwindelte. 

In der Nacht fuhr er zurück. Er sehnte sich inbrünstig nach der grausamen Ein« 
samkeit der frühen Morgenstunden am Meer. Nach der erlösenden Gewalt seiner 
Unmenschlichkeit, die dem Leben entfremdet und in eisigen Lüften vor dem Ein« 
Samen die Schönheit tanzen läßt 

Als es Tag geworden war, stmPaul meilenweit nichts als schwarze Prühlingserde, 
über der che Sonne flammte. 

Er zog die Vorhänge vor die Fenster und sann Trauermärschen nach, die keinen 
Anfang hatten und nie ein Ende nahmen. Sie führten ihn in ein Freudenhaus, wo 
zwischoi ungeordneten Betten, japanischen Fächern und staubigen Papierrosen 
seine schwerblütigen Erinnerungen dngekerkert waren und che Unzucht an« 
lächelten. 

Auf der Treppe war che traurige Maskerade plöfehch fort Ein Hochzeitsmarsch 
kam von unten herauf und brachte ihn bis vor eine Tür. Er bemerkte, d^ er in 
seinem Hotel war und mitten in einer großen Gesellschaft vor seinem Zimmer 
stand. Weijje und braune Frauenschultem streiften einander mit dem Ausdruck 
selbstänchger Wesen ... Lippen hatten Gedanken und Gefühle, eigme Leiden« 
schalten, die in ihnen ausbrachen, oder che sie verbargen; besonnene Tiere. Grelle 
Gewänder ghtten unter Kosen und Knirschen durchonander/ auch sie waren ein 
Leben für sich, ein elementares Geschehen. Das alles brach ins Zimmer und wir« 
beite durcheinander in eiligen tmd heftigen Genüssen, in Umarmungen, che Scherze 
waren. Auf einem Gesicht fre^ das Leid, das andere verdunkelte che Lu^. Die 
Stoffe brannten im Licht einer Fackel, che jemand in der Luft schwang und dann 
einer Frau ins Gesicht stieß, worauf es Nacht wurde. Aber neue Fackeln tanzten 
in den Spiegeln empor. 

Das erfüllte das Zimmer und überschwemmte che Erde. 

ln der blutigen Beleuchtung der vielen Gesichter taumelten che leidenschaftlichen 
Schicksale, che sein Gei^ und sein Blut geboren hatten, und che unsterblich für ihn 
verbren waren. Und dexh hatten sie einige Formen seines Geistes angenommen. 
Augen lebten, in denen che Umrisse früherer Umarmungen nexh nicht verwischt 
waren. Lippen, che nexh genußfähig waren, wölbten sich ihm erinnerungssüchtig 
entgegen, und er durfte sie nicht bergen, weil sie schwer an einer Vergangenhat 
trugen, che ihm feindheh war. Fremde Küsse waren auf die gehäuft und die Er« 
eignisse vieler Tage, unter denen seine Liebkcjsungen und sogar die Erinnerung 
daran verkümmert waren. Und doch fühlte er diese Lippen auf den seinen ab« 

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f 'czeidinet. Und viele dieser Menschen, die er sehr liebte, hatte er nie gekannt. Viel» 
ddit hatten sie nie gelebt . . . 

Da faßten alle einander an. Sie vollführten einige Tanzfiguren, er ’svurdc von der 
Tür in die Mitte des Zimmers gesdioben. Sic warfen die FadCeln in einer Edce 
zusammen, sie stellten sich von neuem auf, und ein Cancan, der alles in Brand 
se&te, flammte wie ein Feuerwerk und erlosch plöhlich im Dunkel. Im Augenblick, 
da die lefeten beschatteten Aufr^ngen im Hintergrund des Zimmers vergingen, 
und während aus der Feme der Lärm und die Musik eines Festes herüberklangen, 
trat Malva vor. Sie war ihm en^egengegangen und stand nun in der Mitte des 
Zimmers. Mit einer tiefen Verbeugung begrüßte sie ihn. Langsam streifte sie die 
Röcke, daß in der dünnen roten Seide mit einer schmiegsamen Wendung Schenkel 
und Knice hervortraten. Sie verdrehte langsmn die Hüften und stüMe bli&schnell 
gleitend den Arm auf/ und indeß sie sich räkelte und den geschminkten Kopf wiegte, 
sah sie ihn em. Die prahlerischen Lockungen einiger hunc^t Kokotten umwirbelten 
ihn, und ihr Mund war kein Mund mehr. 

Paul kam nach Mitternacht inDieppie an. Er wollte sich vom Portier einen Punsch 
brauen lassen, von heiligen Jungfrauen träumen und dazu eine Zigarette rauchen. 
Ein Duhend »Leben der Heiligen« lag zwischen fliegenden Blättern auf seinem 
Tisch umher: er würde die Notizen sammeln und ein Gebet an die himmlische 
Liebe verrichten: nur von fern, leichtsinnig und beschwingt, weil er müde war und 
nichts wünschte, als in einem weißen Garten schlafen zu gehn. 

Aber als Paul im Dunkel langsam die Treppe hinaufstieg, glaubte er, daß er in 
Malvas Zimmer ginge/ und wenn er Jett einträte — Er fühlte wieder die heißen 
Blutströme, die Malva und ihn in anderen Nächten umrannen, durch eine Treib» 
hausnacht im Zimmer toben. Sie zerfleischten, was an warmen, unvergänglichem 
Leben in der Luft lebte . . Wenn sie nun irgendwo in einer Ecke säße, stumm, und 
so ihn lange erwartet hätte . , Wenn sie aufetände, irgendwo aus dem Dunkel, wenn 
nur ihre Augen sich erhöben, wie eine Flut bestirnter Pinstemis, und ihn umschlän» 
gen.. Es waren die Blicke, die im Dunkel schwammen, die zarte Gestalt so schmal 
und entschwindend, und ihre Stimme, die plö&lich ^räche . . 

Er stand lange vor der Tür und wagte nicht zu öflGien,bis er den Portier kommen 
hörte. Nun riß er die Tür auf, tastete zur Konsole und entzündete mit zitternden 
Händen die Kerzen vor dem Spiegel. Und ein gleißendes Dunkel wurde farbig/ 
er sah sein Gesicht in einem erstarrten Taumel von Nächten und Tagen, in sie 
verdämmernd, leise leuchtend und entzückt, wie das Gesicht der Toten. , 

Der Portier trat mit einer rauchenden Punsdischüssel herem. Er stellte sie vor» 
sichtig auf den Tisch. 

»Noimen Sic, Francois.« 

. . Es waren Menschen in das Sterbezimmer getreten. 

Fran9ois sah sich um. Er ging auf den Fußspifecn zum Waschtisch, ergriff den 
Krug und leerte ihn. Er scUich zurück, hielt das Gefäß in den Dampf der Schüssel 

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und drdite es behutsam hin und her. Dabei sagte er leise: »Sie werden sehn. Sie 
werden sehn, wie das fröhlich macht« 

Er schöpfte Punsch in seinen Krug, und dann war er fort Seine Schritte schlürften 
die Treppe hinunter. Paul lauschte ihnen, und lauschte noch, als sich kein Laut mehr 
im Hause regte. 

. . Die Menschen waren leise hinausgegangen. Es war still. 

Dann brach in der Feme ein Tumult los und wälzte sich mit rasender Eile heran. 
Und plöfelich fühlte Paul in emer furchtbaren Zerknirschung die Stille und die Nähe 
des Meeres in der Nacht Und dann, ab er sich in den Lehnstuhl warf, wurde er 
vom Gedanken an Malva wie von einem Strudel ergriffen, die Monologe der Ein> 
samkdt überstürzten sich, es war nicht ihr Zimmer, sie war fern, und er hatte sie 
für immer verloren . . Em schluchzendes Klagelied zog über ihn weg, wie dn end- 
loser Zug entschwindender Stunden. 

Die Stille schien sich in den Kerzen zu verzehren. Auch jenes unwirkliche Leben 
im Spiegel erstarb. Paul fühlte, wie der Wunsch, Malva zu besi&en, tropfenweise 
im Pochen sdnes Blutes schwand, und es war der einzige Laut in der Nacht: dieses 
Entsagen, das wie ein langsames Verbluten war. 

Als er so still geworden war, da$ er sich nicht mehr leben fühlte, erhob sich die 
Gegenwart der Geliebten aus der Tiefe seiner Sede, und die Stille verwanddte 
sich in sie. Es war ihr Zimmer, m dem er war, sie war ihm nah, er sah ihre Augen, 
und das sanfte Licht ihrer Hände und die samtne Wehmut ihrer Gestalt. Er sah 
sie ganz, die Geliebte, in ihrem fernen, vom Strahlen ihrer Sede gereinigten Leben . . 
Er war des Glückes voll, ab er das grofk teppichschwere Zimmer wieder sah, in 
der Dämmerung, wenn die Schatten cw Bäume an den Wänden schwankten und 
ein anhaltendes Sausen des Windes diesen kostbarsten Fleck der Erde mit magi- 
schen Kreben umschloß. 

Ihre kleine zarte Gestalt schmiegte sich an seine Kniee, die schimmernden Händchen 
tasteten in süßer, o so verlorener Trunkenhdt über sein Haar, sdn Gesicht hidten 
sich auf sdnem Munct wie zwd Vögd in der warmen Ecke aneinandergeschmiegt 
und horchten auf das Zittern in Meeres Blut. Alles ertrank in ihren Augen, diesen 
Augen einer durchs Unermeßliche sich neigenden Hingabe, dieser toebanften Finster- 
nb des Letten, des nie mehr Erwachens und ewigen lebenden Duftens am Herzen 
emer übermenschlichen Güte . . Die schluchzende Dankbarkeit, das selige, selige 
Erfüllen ihrer Augen, die die Wdt begruben und sie beide tief darunter, einzig 
Lebendes in eben verstummter Musik . . 

Oder war es nicht so7 Hatte er sie nur in seinen Armen gehalten, damit ihre Sede, 
die ihn in ihrem Leib, der wie ein geängsÜgtes Tier gezittert hatte, nicht zu Tränen 
rühren konnte, durch alle Poren in ihn dndränge; in jenen Dämmerungen, Stunden 
schmerzensschönen Erkennens, sich nicht ganz hingeben zu können, so mit dem 
letten verrinnenden Odem: auf daß später, nach Jahren, ihre unstreblichcSchönhdt 
in ähnlichen Stunden aubteh und übernächtig die Wdt erfülle und ihn in die Kniee 
zwänge vor dem rauschenden Flügebchlag ihrer Hingabe und ihm das Herz aus dem 

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Leibe risse und es hinaushalte in das ungewisse Licht des T agendes, tierisch zuckendes 
Weh, verblutende Reue . . und es aufjubelnd hinausschleudere unter die Sterne! Daß 
sich ihr kalter Chor belebe . . zu ihrem Lob, zum schmelzenden Hochgesang einer 
Frau, die süßer war, als die gereifte Traube, zarter als das Riedgras, das vor dem 
Sonnenlicht erzittert und die so gewaltig liebte, mit hingerissenem Herzschlag, mit 
erbleichenden Händen und ausgeclorrten Augen, mit einem Beben um den Wimpern- 
schlag des Geliebten, daß von dem Anblidc die Engel Gottes erstarrt wären. 

Es war geschehen, daß er sie wiedersah, als ihre neue Liebe in lichten Höhen über 
ihr schwebte. Durch das Blau des Himmels jagten einander die Liebesgedanken, 
von ihrem Herzschlag gelenkt, der sie wie ein beglückender Südwind hin- und her- 
warf. Er dachte: ihre Liebe i^ ihr Leben, ihren braunen Leib berührte nie das 
Feuer der Feme. Sie i^ eine schwache Irdische und sehr keusch. Ihre Liebe i^ ihr 
Leben, welchen Namen auch der Ruf vom hohen Turm verkünde. Wieviel leiden- 
schaftliche Gewalten brachen sich schon auf einem kindlichen Traumgesicht, von 
wieviel zweifelhaften Ozeanen überschwemmt glänzt es in unverwüsuicher Rein- 
heit: — sie spiegeln immer die alten Sterne, die wechselnden Gewässer, die aus dem 
Grund ihrer Seele aufsteigen und ihr Antlife verfinstern. 

Er ging an ihr vorüber der sinkenden Sonne en^egen, die den Asphalt der Straße 
kühlte. In flimmernden Zaubern ^gen sie einander vorüber. Goldgrüne Lichter 
mit Opal schimmernden und rötlichbraunen, rauschenden Flecken und Stichflammen 
mischten sich in ihren sich kreuzenden Blicken. Die Sonne tanzte. 

Zwei fremde, farbige Schicksale schwebten einander vorbei in den wirbelnden Ka- 
tarakten der Abendlichter — ewig den Täuschungen der bunten Stunde auMeliefert 
Und bei beiden, in aufleuchtenden Hintergründen, klang, — ein kurzer Cymbel- 
schlag, — der Haß auf Da fühlte er, daß er reif für diese eituige Liebe geworden 
war, weil er Haß empfiraden hatte. Zäh und hart wie ein Cymbelschlag. 

Im starken Rausch einer seiner Erfüllungen schritt er aus durch ein Tor, zwischen 
festlichen Pappelreihen, dem Triumpf des Tages entgegen. Aus der sinkenden Sonne 
stürzten die roten Wölfe und fra^ alles ^tleiden, alle Qual der Schwäche, alle 
Liebe, allen H^. Flogen in feurigen Rudeln, dem Käfig entronnen, gegen dessen 
Stäbe sie eine Ewigkeit gewütet hatten, in dem so viel Lebensatem verglüht war. 
Sein Herz flammte in der Brun:^ reißender Tiere . . 

Er betrat eine Kirche 

Hinten im Chor, der mit barbarisch bunten Stoffen ausgeschlagen war, auf smaragd- 
g^rünen Polstern kauerten Geschöpfe des Orients. Janitsmarenmusik bließ zum 
Sturm, begleitete irgend eine Himmelfahrt . . . Und im Ruf der Instrumente endete 
die überirdische Me&elei, verblutete grell und dampfend die geschlachtete Semne. 
Ein Stück blutendes Herz blieb in der Ecke des gemalten Chorfensters kleben und 
gerann. — Nun hätte er die Hymnen der bittren Notwendigkeit singen wollen. Die 
stählernen Gesänge der Unentrinnbarkeit. Die Sprache des ungeheuerlichen Her- 
zens erforschen, d^ mit eisernen Schlägen die Wut lenktT 



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Aber der müde Rhyftmus Mensch bricht in die Kniee, Malva ... Wer erhöbe 
sein Haupt über das Blühen der Welt! Blut i^ unser Schicksal, und die Spradie 
des Blutes, die dem Höheren fremd i^, und die wir lieben sollen bb zum Tod und 
Vergehen, bis in der Feme der erste SchW der Hymnen ertönt, die die bittere 
Notwendigkeit singen, das Uhrwerk der Welt, und die einit unser taubes Ohr 
treffen werden. Dann i^ alles vergangen, unsere Liebe, und alle Liebe und alle Zärt» 
lichkeit, die gewesen i^, und auch unsere Fremdheit und das Erinnern, das dir wie 
Essig schmeckte... Alles, was i^, wird hingeschlachtet. O greulicher Mord, wenn 
uns, die in einem Schlachthaus wie in feenhaften Verzauberungen, in wechselnden 
Schauspielen von Pracht und Herrlichkeiten gingen, ciie über geliebten Händen in 
wehmütigem Glück erweichten und die ganze Seele in die Schönheit eines Abends 
ausströmten, wenn uns die kosmische Mathematik das Genick bricht! Die selbe 
viehische Pedanterie, die uns zur symbolischen Verrichtung unseres eigenen Schick- 
sals verführt, wenn wir uns von Tieren nähren, die wir umbringen, und von vielem 
Wachsenden, was wir ausreißen und hinunterschlingen. Verdammter Totenschädel 
der Welt! Lächerlicher Wiederkäuer! Du unendlicher, grimmassierender Magen, 
du ewige Verdauung eines ungeheuerlichen Wahnsinns. Legt euch in Blumen uncl 
fühlt durch ein brausendes Blühen den Schweirm desTandaradei. Die grünen und 
roten und blauen Erdenräusche wachen. 

Malva, ich liebe dich, komm! Ich war krank, lag im Fieber der Feme, war trunken 
vom glanzvollen Aufstieg des Frühlings in das blaue Feuer der himmlischen Licht- 
wüsten, ich war totkremk. — Nun gib mir deinen Schoß, ich will mich in ihn wühlen, 
in breit aus gelockerten Schollen atmende Frühlingserde, die bis in die fernsten 
Horizonte mit Flügeln schlägt Sie erzeugen den dunklen beseligenden Rausch, in 
dem wir bald vereint emporfahren werden, durch viele böse Erdennächte in die 
Heimat der blühenden Aprikosenbäume, ins Land der goldgesponnenen Bienen- 
schwärme und der blauen Gewässer, die em kristallenes Feuer sind. O komm, 
Malva! — Das Echo deiner Liebe ruft dich, mit deinen Worten ruf ich dich, ich bin 
reif für deine große Liebe, die die Sturmflügel ausgebreitet hat und den jauchzenden 
Orkan der Erfüllung beschwört, daß er mit herzbrechendem Glanz über dich 
komme, deine Augen blind mache und taub deine Ohren, dir die Glieder losbinde 
zum rasenden Spiel und deinen Schoß erlöse. — O komm, Malva, mich verzehrt 
die Glut deiner Liebesschwüre, und die trunkene Wut, mit der du mich begehrt, 
zerfefet mein Gehirn. Deine liebkosenden Hände wühlen in meinem Fleisdi und 
greibcn mein Herz aus. Deine Haare erdrosseln mich mit ihrem wilden Duft — und 
dein Schoß ruht klaffend über der Sonne in Rasereien. Du empfängt die Gewalt 
der stürmenden Systeme, in unerhörten Ausbrüchen und Zusammenbrüchen, in 
aufheulenden Weldavinen, die du unersättlich aufnimm^, in Zuckungen eines wüten- 
den Triumphes, einer unaufhörlichen, nie endenden Sättigung durch Jahrtausende, 
die wie eine Sekunde sind und die begnadend über dich gehen: in Ausbrüchen, in 
Zusammenbrüchen, in Il2unmenden Lavinen, die mit ihrem Wolluifgeheul an die 
Stirn des Meisters schlagen, daß ihr immer neue Welten entstürzen. Die Ver- 

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nicfiteten nimmt er in seinem Atem auf, er schenkt sie dir zurück, daß du sie auf'- 
nehmet, denn seine Lu^ iit in dir” 

Hin^ kommt die Zeit, dann fliege auch ich ciir entgegen, dann stöhnü du wieder 
— o mit wie größerer Hmgabe — unter mir auf, der ich mich jubelnd in deinem 
Schoß vernichte Ich komme in den schießenden Glutmassen, die sich vom Hoch- 

f [ebirge des ewigen Feuers gelö^ haben und Millionen zukünftige Welten, Mil- 
iarden zukünftige Sterne und die ganze Nahrung der Schöpfung mit sich führen. 
Ich komme in den Rudeln der roten Wölfe, die mit ihrem hungrigen Geheul am 
ewigen Schweigen der Tiefe nagen und durch den Raum von einem Ende zum 
andern ihren alles überflammenden Weg ziehn — doch bei dir i^ ihr Ende ... In 
einer gewaltigen Feuergarbe werden sie aus deinen Gliedern schlagen. Sie werden 
in das ewige Schweigen der lebten Tiefen stürzen. Sie werden im Wiegenlied der 
Schöpfung ertrinken: dem unergründlichen Spiegel für die Ausbrüche deiner Luit, 
der dich wie das eigene Herz mit seiner traumhaften Seele trägt und es hütet. Es 
schwebt in gewaltiger Gegenwart, in unglaublicher Freude hoch über seiner traum- 
haften Wehmut, die finster lächelt. Denn du hait das ewige Schwdgen der Tiefen, 
das große Gedenken hait du für alle Zeit beglückt, Geliebte. I 

Wenn die Zeit kommt, da die Sterne, meine Brüder, mich in ihrer flammenden 
Litanei entfuhren, wenn auch ich dir en^egenfliege, um mich jubelnd in deinem 
Schoß zu vernichten, so wird es nur einer meiner zeitlichen Wünsche sein, die ein- 
mal durch mein Blut geirrt sind und aus Berufung sich zu Tode heben müssen. 
Meine Liebe i^ tiefer. Ich will dich mit dem Traum meiner Seele tragen, du mein 
Herz, das in feurigen Nebeln über mir ruhtT 

Die Kerzen waren heruntergebrannt und erloschen. Es war Nacht gewesen, und 
jebt begann es im Zimmer zu dämmern. Paul saß unbeweglich und mit toten 
Augen. Als es heller wurde, raffte er sich auf. Er sah die Punschschüssel, die un- 
berührt auf dem Tisch stand. Er kostete das Getränk. Es widerte ihn an. 

Er stand auf und wollte zum Fenster gehn. 

Aber da begannen draußen die Glcjcken das Angelus zu läuten, und Paul schrak 
vor der gespenstischen Nüchternheit dieser Stunde zurück. Er warf sich angekleidet 
aufs Bett und schloß die Augen. Seine Lippen bewegten sich . . . 

»Ich will dich mit dem Traum meiner Seele tragen, du mein Herz, das in feurigen 
Nebeln über mir ruht . . .« 

Die Glcxken verstummten. ' 

Am übernächsten Tag sah Paul zum lebtenmal das Meer. Er war über das Land 
immer dem Brausen der Brandung en^egengelaufen. Er fürchtete, er käme zu spät. 
Endlich sah er das Meeir 

Es war strahlend heller Mittag. Das Licht kam von abertausend schimmernden 
Kronleuchtern in den Lüften ... Sie leuchteten so sehr, daß es unmöglich war, einen 
einzelnen von ihnen zu unterscheiden . . . Das Meer glänzte in wogender Seide . . . 
Der Strand war schwarz von Menschen, die im He^kreis auf hölzernen Klapp- 

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fauteuils saßen.,. Paul kam mit einigen Na Azügicrn ... Sic nahmen behutsam, wie 
in einem KonzertSaeil, ihre Pläfee ein . . . Als eine Dame ihrem Bereiter etwas zu« 
flüsterte, schnellte dn Du&end bldcher Köpfe herum und machte r^! 

P^l Das Meer spielte. 

Die Menschen hatten die Köpfe auf dieKniee gelegt, oder sie hielten die Hand vc5r 
die Augen. 

Das h«cr spielte, und eine Ewigkdt verran. 

Paul hatte das Gefühl, als ob sie alle, die hier saßen, langsam in die Erde ver« 
sänken. Dann wieder stand sdn Stuhl aufdem Rand eines Abgrunds und er lehnte 
über ihn hinüber. Er glaubte, daß hinter seinem Rücken die Menschen, die ihm 
nahe gewesen waren, gemordet und gcvierteilt, daß ihre Häuser in Brand gesteckt, 
ihre Frauen und Kinder geschändet würden. 

Das Meer spielte. 

Eine Frau bekam Herzkrämpfe und schrie auf Ein nackter Mann mit dnem Hammer, 
w sie Steinklopfer haben, mit dnem langen Stid, der ein schmales Eisen hidC kam 
die Rdhen herauf bis zu ihrem Plah. Er hob den Hammer wie eine Gerte und 
schlug ihr den Schädel ein. Überall hörte man sie ;efet au&chrden, die wunder« 
schönen, blassen Frauen, denen das Spid gewaltsam ihr Leben entriß, und über« 
all sah man die nackten Totschläger sich durch die Reihen schieben und sah das 
Idchte Schwingen des Hammers. 

Das Meer spielte. 

Da stürzte neben Paul ein braunes, fdngliedriges Mädchen vcMn Stuhl und wälzte 
sich auf dem Boden. Sie schlug die Zähne in das Holz, um nicht auLuheulen. Aber 
schon kam ein Mann mit dem Hammer die Reihe herauf, behutsam auftretend wie 
in einem Konzertsaal. Den Rücken gegen das Meer schob er sich an den Stuhl« 
lehnen endang. Jeht stand er vor Paul. Er stieß ihn mit dem Knie. Paul wetr steur 
und kalt und sah ihn an. Der andre vemdgte sich ideht, sehr höflich, als ob er um 
Entschuldigung bäte. Dann hob er mit der linken Hand den Hammer wie eine 
Gerte und schlug dem schlanken braunen Mädchen, das mit dem Gesicht auf der 
Erde lag und wimmerte, den Schädel dn. 

Das Meer spielte und dne Ewigkdt verrann. 

Da kam das Meer herauf dne Frauengestalt gezogen. Das Meer legte sich zu 
ihren Füßen. Sie ging bis an den Rand und blid> stehn. 

Malva! 

Ein großer rothaariger Herr mit dnem pexkennarbigen Gesicht, der in der ersten 
Reihe saß, erhob sim und sprach; 

»Ich bitte um Aufmerksamkdt für die Es dur«Sonate, in die sich unser aller Mutter, 
das heilige Meer, ergehen wird. Die Stinune der Liebe wird aus dem glänzenden 
Spiegd aufstehn und das Hosianna über dem Leben singen. Lauscht, ihr Gott« 
besessenen, die ihr dnem ausschweifenden Seelenwandd ti^t, lauscht, ihr mond« 
süchtigen Ünkeuschen!« 

Der Herr nahm Plafe, nachdem er sich dner korrekten Verbeugung entledigt hatte. 
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Das Meer spielte. 

Malva wartete. 

Dann sefete sie ganz hodi ein. Man hörte keinen mensdilidien Laut, ihr Mund tat 
siA nur weit auf, sie breitete die Arme ausdnander, sie legte den Kopf tief in den 
Nadcen zurück. Und die Stimme der Liebe durAdrang hoch und blendend weiß 
Ae Herzen aller MensAen, die hier sa^en. Hinter seinem RüAen spürte Paul bebend 
das kristallene Blühen der Erde, und Ae Stimme sang, lautlos, schreddiA . . . sang, 
sang durA Ae lange blendendliAte Ewigkdt das Hosianna über dem Leben. 

Die Helligkdt uncT Ae Glut nahmen ab. Die KronleuAter erlosAen dner naA 
dem andern. Es wurde finstere NaAt. Aber in derDunkelhdt sah man sie stehn, 
mit wd^eöffnetem MunA mit ausgebrdteten Armen, den Kopf zurückgeworfen, 
auf dem sddenen Wogen des Meeres, von dem nur noA dn kleines Stückchen um 
ihren Kopf wie eine Aureole glomm, und Ae Stimme der Liebe sang! 

Eine hei^Ewigkdt verrann. Die Stimme der Liebe sang. Das Meer spidte,hei$e 
schimmemdwd^ Ewigkdten lang. Und Ae Stimme der Liebe sang, die erstarrte 
Seele von allem Glanz, der dahinzog, " hoA und schimmernd weiß sang sie in 
der NaAt.--.^ 



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KARL VOLLMÖLLER: ZWEI GEDICHTE 



Aut quod periit id 
pcrditüm puCas? 

I. Nun das hingin^ was doch unendlich war, 
und was hell schien, so ganz und gar verdunkelt, 
und das Licht losch, das noch zule&t geTunkelt, 
und mir der Glanz und E)uft von deinem Haar 

und dein mir eigner Leib nun angstvoll stumm; 

Da dies hinging, was soll ncxh weiter kommen! 

O du mein Gott, wie leid ich, und warum 
ha^ du, der du viel schenktet, mehr genommen? 

Du reichtet mir des Lebens seltne Tränke 
früh: Leiden die wie fremde Blüten prunken 
und lastende wie starre Wolkenbänke. 

Wie trank ich Lu^ und wie besa^ icdi trunken 

die NachC den Wald, cCe Liebe und das Meer 
die starren Gletscher. Süßigkeit des Windes — 
doch sieh, mein Herz blieb das Herz eines Kindes 
und eines Kindes Seele rein, doch leer! 

Nur Wunden glühen fort die ich geschlagen. 

Du bi^ sehr «oß und groP, o Gott, dein Hohn: 

Die falschen Siege, blutigen Niederlagen 
da alles tie&te mir nicht Frucht getragen 

so gib das leMe tiefe mir: den Tod . . 



II. Mein Sohn, 

heb auf dein Haupt und gürte deine Lenden. 
Gib mir die Hand. Schau her, was dir verliehen 
sind meine göttlichen Melancholieen, 
daP was du schuft in dir sich mup vollenden 
und stets die eigenen Gebilde fliehen 



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und die göSlidie Unersättlidikeit 
fürstiidies Gut und schaurigste Gewalten 
tro&ig verschwendend dennoch zu gestalten, 
mit Händen schöpfend aus dem Strom der Zeit 
das AU ergreifend keines zu behalten 

dem Dämon dienend, kindlich stets bereit 
mit Weh erzeugtes lächelnd zu zerstören, 
mit Schmerzen liebend keinem zu gehören — 
wei^t du ob höchster Stolz nicht bestes Leid; 

Dir ward ein Wiegenlied aus Föhrenchören 

Kampf Wahn, Verzweiflung, Sturz und dumpfer Schrei. 
Stemnoher Nächte fimkelnci^ Gepränge 
die tausend lauten Sonnenuntergänge 
glaubt du, das aUes dieses je verloren sei . . 

Noch bleibt die Schwermut ewiger Gesänge. 

Sieh diese Traurigkeit bewahrt vereint 
was dich je angerührt des Hohen Gro^ 
was du verschmäht, versagt und was genossen 
und Liebesz ähren die um dich geweint 
und Muttertränen die um dich geflossen. 



I. Sie, die den rechten Kinderweg verlor 
Die Schar der blind Verirrten und Verwirrten! 

— Da schem zur Tat wir froh die Rosse schirrten. 

Klingt noch ersticktes Rufen dir ins Ohr 

Und schaut im Dunkel du verstörter Larven 
Gerauftes Haar, erloschner Augen Brände. 

Vergiß das Jammern der gerungnen Hände -■ 

Uns rührt der Wind die goldnen Abendharfiui; 

Uns ward das Reich. — Sie sind verdammt zu schweifen 
Um bittre Seen (vergiß!) in Aschenfemen. 

Durch schwarze Flüsse, hallende Cavemen 
Verhülltes Weh che toten Seelen schleifen. 




Die nie geschöpft aoi Borne der EnÖiüUung, 
Die nie die Frucht des runden Lebens — 
Und wandern stets die langen Sehnsuchtstra^ 
Und kommen nie zum Lande der Erfüllung. 



II. Noch steht das Bild mit unbewegten Mienen. 

— Nun wir in sieben Jahren bleicher Frohn 
Mit vielen Brüdern der Verhüllten dienen. 

Und mancher seufzend sank und manchem schon 
Die ehmen Lippen sich zu regen schienen. 

Wie leicht da^ }ctt im (gewissen Licht 
Daß plöfelich einer der sich ganz gereinigt 
Daß eines Kindes Stimme also spricht: 

,Sie> der ihr knietet, der ihr euch gepeinigt. 

Sie die ihr suchtet iä die Höchste nichT. 

Dann werden viele freilich jäh erbleichen 
Doch du laß mich es sein, der Antwort gibt. 

Denn du biit müd — ,So geht! Beweint die Leichen! 
Seht dieser hier, mein Freund, den meine Seele liebt, 
Er spürte lang aus den geheimen Zeichen 

Die milden Schauer tieferer Heiligtume. 

Er blieb, getreu dem Dien^, dem er verschrieben. 
Doch was euch leuchtend schien aus Renern Ruhme 
War ihm nur Vorglanz dner reinem Blume 
Und nur ein Weg um tiefer noch zu lieben 

Zu tiefem Tiefen gleitendes GeleitT 
Er war ein Liebender. Er hat gerungen: 

Der viel' erkannt und wenige geuiz umschlungen 
Zum Trost der schauerlichm Einsamkeit — 

Und stand dem Hohn, und litt die Kreuzigungen 

Und trug cCe Dornenkrone seiner ZeiL 



REMy DE GOURMONT: MARGINALIEN UBER EDGAR POE 

Ich glaube nicht dajl das amerikanische Milieu Pc^e feindlicher gewesen iil als das ^ i ) 
französische Milieu iijendeinem unserer Zei^enossen. Er hatte Feinde, aber auch 
literarische Freunde, Bewunderer/ er lebte mit zwei Frauen, die er anbetete, Mrs. 
Klemm und Virginia/ er gewann sein Leben durch eine Arbeit die ihm nicht mi^« 
fallen zu haben scheint, denn er liebte es, zu schreiben, und nicht nur seine Ge« 
schichten, seine Gedichte, sondern auch seine Artikel/ er i^ sfreitsüchtig, er schl^ 
sich, er gefällt sich in Polemiken, wo er das lefete Wort haben will, wenn auch seine 
Insolenz nicht geeignet i^,die Gegner zu entwaffnen. — Man erkannte seinen Wert 
nicht, aber man gab seine relative Überlegenheit zu/ man kann für sicher sagen: 
hätte er sie erlebt, so wären seine leftten Jahre die eines literarischen Herrschers 
gewesen/ er war, selb^ in der verscheuerten Intelligenz seiner Landsleute, die Re- 
putation Langfellows zu besiegen bestimmt, gegen den er grausam und der doch 
gegen ihn gerecht war, 

ln England wäre er Ja mehr gewürdigt worden, denn hier i^ ein wirklich intellek- 
tuelles, wirklich aristokratisches Publikum, für das eine originale Seite eine Wohl- 
tat üt und das sich geldlich dankbar zu zeigen wci^. Der Engländer zahlt für 
sein Vergnügen. 

In FranKreim hätte Poe vielleicht mehr gelitten. So wenig wie Baudelaire, wie 
Flaubert, wie Villiers, wie Verlaine, wie Mallarme wäre er imstande gewesen, 
sich sein Brot zu verdienen. Seine Erzählungen wären wie die Villiers von der 
Masse der demokratischen Leser mißachtet worden, und keine Revue, keine Zei- 
tung hätte seine höhnischen, heftigen Kritiken gebracht die plöfelich ihre ann^fende 
Heiligkeit nur aufgeben, um in einem Stil von manchmal etwas harter rredsion 
die dunkelsten Probleme des Ausdrudts und des Gedankens zu behandeln. 

Ein Schriftsteller von hoher Intelligenz beurteilt immer sein Milieu als das schlimmste 
von allen. In denen er hätte leben können. Die Verachtung Poes für die Ameri- 
kaner hatte Schop^auer für die Deutschen, Carlyle für die Ei»länder, Lcopardi 
für die Italiäner, Räubert für die Franzosen. Einige wissen, daß alle menschlichen 
Herden einander gleichen: sie haben keine Sehnsucht auf andern Wiesen ein immer 
von der Schlechtigkeit der Menschen vergiftetes Gras zu weiden. 

Es iit nicht immer ein Ic^gischer Bezug zwischen dem Leben und dem Werk eines G) 
Schriftstellers. Das Leben geht wie das Wasser eines Bergstromes, dnes tr^en 
Flusses, eines lustigen Baches, und die Blumen, und die Werke, die an den Uf^ 
wachsen, haben ihren distinkten Charakter: das Bächlein schmückt sich mit den 
stolzesten Schwertlilien und der Bergstrom mit den fadesten Blümchen/ der FIu^ 
läuft durch einförmiges Gras. Ein tragisches Werk impliziert nicht ein stürmisches 
Leben/ die Literatur revolutionärer Epochen i^ oft das Schafsg^Iöke einer Hut- 
weide/ man hat in Cromwell die Erklärung Miltons gesucht: die Fabeln des Florian 
erschienen 1793, 

Pc^es Leben hatte nichts Ungewöhnliches. Es war das dnes Schrifbtellers, Mit- 
arbdters und Herausgebers von Zdtschriften. Wie andere hatte er klug sdn Leben 

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zwdgeteiK; der große Dichter wtir auch ein tätigerLiferat, clcr oft Ws zumPedan« 
tismus ein eingerorenes Bedürfnis seinen Zei^enossen die Epistel zu lesen steigerte. 

Es i^ absurd, sich Poe als einen krankhaften Träumer vorzustellen/ er war ge» , 

bildet bis zur Gelehrtheit und seine precise und scharfsinnige Intelligenz hatte etwas , 

von dem, was Pascal den esprit grämetrique nannte. Man kann annehmen, daß • 

er sich seines Schicksals und seines Genies völlig bewußt war. 

<3 ) Die Familie Poes war Irländischen Ursprungs. Karm dies, und sein Weshnort in 
Baltimore, das katholische Odeur seines Werkes erklären? Er spricht manchmal wie 
Tertullian und Joseph deMaistre. Er liebt die Regel, er verteichgt die Reget glaubt 
sich der Regel zu bedienen, er, dessen Originalität so besonders i^. 

<4) Er glich merkwürdig seiner Mutter/ es I^ dasselbe Gesicht, das eine weiblich, das 
andere männlich/ etwas Jungenhaftes in der Haltung der Schauspielerin erhöht noch 
die Illusion. Sie dürfte auf ihn nur einen rein physiscdien Einfluß gehabt haben/ er 
verlor sie im Alter von zwei Jahren/ seinVater war bereits gestorben. Poes Origi- 
nalität entwickelt sich um so freier, als sie von keiner angenehmen Autorität ge- 
hemmt wurde/ viele allzu überwachte, zu gut erzogene« zu sehr geliebte und nah- 
gehaltene Kinder bilden ihre junge Intelligenz nach der der Eltern, empfangen so 
oft so tiefe Eindrücke, daß diese für Immer ihre cerebrale Aktivität bestimmen und ' 

meistens aufheben. Viele mittelmäßige Eltern haben so ihre Kinder unterdrückt 
Keine Spur im Leben Pexs von großen Freundschaften von Mann zu Mann/ aber 
tiefe weibliche Afiektionen, Mrs. Clemm, Frances Osgewd. Er hat übrigens gar 
kein Vorurteil gegen die Frauen/ in seinen Kritiken macht er niemals eme vor- 
herige Distinktion zwischen Büchern von Männern und Büchern von Frauen. Er 
bewunderte aufrichtigFrances Osgood. Er liebte die Gesellschaft der Frauen, ihre 
Konversation, ihren Gei^, scheint aber niemals mehr von ihnen verlanrf zu haben/ 
die Keuschheit seiner Schriften war die seines Lebens, ein recht seltenes Zusammen- 
trefien, denn man weiß, daß dies der unbeständigste Bezug zwischen Werk und 
Mensch ist »Lasciva est nobis paglna« schrieb Ausonlus an Paulin, da er ihm 
die Epigramme schickte, und »vita proba«, wobei er alle alten Autoren zitiert: 

»ejuibus severa vita fult et laeta materla«. 

<5) Hier i^ der Kontra^ zwischenPoe und Baudelaire, Intelligenzen so gleicher Form, 
exccssiv. Eine nicht veröflentlichte Vorrede der Reurs du Mal resümiert seine 
Ästhetik; 

Son vice v^nCTable etale dans la sole 
Et sa vertu risible — 

Car j'al de chacpie chose eztralt la ejuintessenex: 

Tu m'as donne la bouc et j'enai fait de Tor. 

Baudelaire verachtet die zivilisierte Frau, weil sie zu wenig zivilisiert zu natürlich, 
zu instinktiv i^: »Das Weib hat Hunger und will essen/ Dur^ und will trinken. 

Sie lit läufig und will geküßt werden: auch ein Verdient!« Er behandelt sie als 
inferior, weil die Frau in ihren Liebesäußerungen nie die Seele vom Ldbe tixnnt 

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das Gefähl von der Empfindung. Man kann ja nun darin wirklidi eine Sdivrädie 
sehen, aber an dem Tage, da die Frau die Kraft erworben hat, wie der Mann 
Sentiment und Sensation zu trennen, wird sie von dem uns bekeuintcn Wesen so 
sehr verschieden geworden sein, daß man ihr einen andern Namen wird geben 
müssen. Es i^ wahr, ihre Freiheit kostet so viel/ i^ aber vielleicht em bischen teuer. 

Poe äu^t nirgencb seine Meinungen über das Volk. Das Proletariat existierte zu (6) 
seiner cjaSi in der Union nicht, wie es in Europa nicht existierte zur Zeit, da es 
nexh freies Land gab. Er sah keine Revolution. 

er^ sieht man das Volk, wenn es aus seinen Höhlen geht und sich für den 
Profit eines Duzend Lumpenkerle umbringen läßt. Baudelaire sah die politische 
Rolle der Spi&buben nicht verächtlich an/ er fand die honnetesgens zu feige: >Bloß 
die Spiftbuben sind hinreichend überzeugt, um zu reüssieren«. Er dduite die Be« 
deutung des Wortes sehr weit aus, wandte sie auch auf den schweren und apho« 
rismenreichen Bourgois: »Personnage froid, raisonnable et vulgaire/ ne parlant 
Sans ccssc cpie de vertu et d'ecxmomie, il assode vobntiers ces deux idees/ il a une 
e»d:e dintelligence ä la Franklin/ c'est un cxxpiin ä la Franklin.« Eheses rapide 
Ulteil üt nicht ohne Eleganz. 

Poe verteidigt gern die Dichter. Erklärt, ihre Reizbarkeit komme daher, daß sie ^7) 
eine sehr genaue Perzeption des Schönen eignen und daher auch des Häßlichen, 
des Wahren, Falschen, Rechten und Unrechten. Wer nicht reizbar sei, sei kein 
Dichter. Er verteidigte sich selber, denn er war sehr irritabel/ manche seiner litc» 
rarischen Urteile sind bös bis zur Grausamkeit Baudelaire verteidigt Dichtung 
und Dichter anders: »Canaille. Par Canaille, j'entends ceux cpii ne se cemnaissent 
pjß en po^ie«. 

Edgar roe zwingt sich uns weniger durch die logischenWahrscheinlichkeiten seiner (8> 
Deduktionen aut, als durch den souveränen Ton eines affirmativen und absoluten 
Wortes/ er hat eine Art, sich des Lesers mit den Gesten einer verachtunnvollen 
Herrschaft zu bemächtigen, gegen die man keine Abwehr findet So der Anfang, 
die sechs ersten dürren, starKen, sauberen, wahren, mächtigen, bedrohenden Seiten 
der »Handschrift in der Flasche«: er hat uns und führt uns wie Sklaven zu dem 
ironischen Nichts seiner Konklusion, und wir verlieren uns gern in den mythischen 
Tiefen des Stromes Ozean. 

Eines Tages, da ich den Gefesselten Prometheus las, hatte ich den Eindruck einer <9) 
Erzählung von Poe, des »Hauses Usber«. Kein Dichter seit den Griechen hat wie 
Poe das Gefühl des Fatums, der tragischen Notwendigkeit 

Selb^ in Leidenschaft und Verzweiflung bewahrt Poe eine ironische Kälte. Es (10) 
zu viel des Gesuchten und Gewollten (cioch weniger als er glauben zu machen ver« 
sucht) im Ausdruck seiner Schmerzen und Träume. Übrigens hat er, wie schon 
Baudelaire sajrfe, nie sein poetisches Ideal erreicht als welches der oratorischeVers 
war, breit fließend, klar, heftig. Es üt wahr, anderwärts sagt er das Gegenteil und 
behauptet clie Dichtkun^ muß ein Werk des Willens und der Präzision sein: Poe, 
der sidi oft wiederholt hat hat sich auch oft widersprochen. 



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< 1 1 > Poe der subjektivste der subjektiven DiditCr. Die Sdiretken, die er kalt zu er» 

6 nden sidi rühmt, spürt er und erleidet er. Die Fur<bt und der Sdunerz, der die 
Furcht schwängert, das iit fa^ das einzige Thema seiner Gedichte sowohl wie 
auch seiner schönsten und seinem Genie konforme^ geborenen Erzählungen. Aber 
bloß in den Gedichten gibt er das Geständnis seiner tiefen Zärtlichkeit, die sein 
Leben verwirrte und entzückte/ er schrieb seine Erzählungen für jedermann, seine 
Gedichte für sich und einige Frauen: die Erzählungen sind nur der halbe Poe, die 
Gedichte enthalten ihn ganz. 

< 1 2 > Einige haben geglaubt der wahre Poe sei der Mann des Magnetismus, der Fantas» 

magorie, der Perversität, der Mystifikation. Ich denke das nicht Dieser, das ül 
der gegen die demokratische Plebs irritierte Poe, gegen den ignoranten Journalismus, 
und der, statt sich zu ereifern, spottet. Aber wenn ein Poe spottet so erhebt er sich 
so hoch, da^ sein Ulk eine wohltuende Lekticm scheint: und jene selb^, denen er 
vergeblich das Absurde und Unverstehbare erklärt, lassen sich mystifizieren um 
des Vergnügens willen, an so mächtigen und vollendeten Spielen teilzuhaben. 

<1 3> Von allen Mystifikationen i^ jene der »Entstehung eines Gedichtes« die am lieb» 
sten und längsten geglaubte. Der Vulgus war geschmeichelt, vom Dichter selber 
zu hören, daß die Dichtkun^ nichts weiter sei als eine gewollte Kombination von 
Tönen und sorgfältig danach gewählten Gedanken. Es i^ klar, daß Poe sich herr» 
lieh amüsiert hat, als er sein Paradox schrieb: das genügt, es legitim zu machen. 
Dies Paradox i^ durchaus nicht die Bekanntmachung der Arbeitsmethode Poes: 
die bleibt ims wie alle andern ewig unbekannt. Kaum, daß wir selber wissen, wie 
wir arbeiten, wie uns die Gedanken kommen, wie wir sie gestalten: wissen wir es 
zu gut, so können wir überhaupt nicht mehr arbeiten. Das sind Fragen, die zu 
vertiefen ein Schriftsteller sich hüten solL Es Ut recht gefährlich, zu viel über seine 
Handlungen, sän Leben zu reflektieren: das Erkenne dich selb^ Ut vielleicht che 
schädlichste Dummheit, che je vorgebracht wurde. — Poes System im »Raben« 
nimmt an, daß ein Dichter in dner kurzen Spanne Zdt alle möglichen Kombi» 
nationen aller Worte sich vorstellen kann, die um dnen Gedanken sich gruppieren 
können. Das will sagen, d^ es das Absurde annimmt, denn das Prinzip jeder 
geschriebenen Kompositicm in che Assoziation und Verkettung vc^n Gedanken, 
Bildern, Tönen. Man bewegt sich also in einem wenigstens relativ Unendhehen/ 
die Direktion des Willens kann nur auf das Unmittelbare g|^bt werden, auf das 
Bekannte, che Sinne, che Gedanken, che Bilder, che aus dem Plane des Bewußtsdns 
aufstdgen/ der Wille kann nicht auftauchen machen und das Bewußtsein kann nicht 
kennen, was außerhalb der gegenwärtigen Aktivitäten der Intelligenz sich bewegt. 
Also m in der Komposition dn ungeheurer Teil unerwartet, unvermutet ent» 
standen. Meint dn Dichter, er rechgicre rationell und aus frden Stücken ein Ge» 
chcht, so düpiert ihn eine psychologische Täuschung. Man kann ein Bild aus sdnem 
Gehirn nur wählen, wenn das Bild ^e dn Gestirn am Horizont des Bewußtseins 
auAaucht/ wie es aufgestiegen, wie es sichtiiar geworden i^, davon wissen wir 
nichts: das vollzieht sim m der undurchdringhehen Nacht des Unterbewußten.^ — ' 

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CARL STERNHEIM; DON JUAN/ FORTGANG UND SCHLUSS 
DES ERSTEN TEILES DER TRAGÖDIE 

(Derselbe Raum. Auf dem Altäre brennt nur noch das ewige Licht) 
RIPIO (schleicht durchs Zimmer und zum Fenster) : 

Feuerl In meinen entzückenden Traum hinein. Vor Qualm und Dun^ 
nichts zu erkennen. Hui — was für eine Funkenfont&ne in der Richtung 
des gro^ Gartens — Heiland, was vermute ich! Kann es möglich sein? 
Sonst steht dort kein Haus. O Gott die Kniee werden mir schwach. 
LAURENTXA (tritt aus dem Alkoven und hält sich am Vorhang feit): 

Wo bin ich? 

RIPIO: 

Mir scheint nicht weit von mir. 

LAURENTIA: 

Tiefe Nacht dcxh noch. Und er? Ich bin so taub, benommen. 

(sie fällt) 

RIPIO (fän^ sie auf): 

Auch das nocL Die Ereignisse Jagen sich. Wann kamt Ihr, Donna? 
LAURENTIA (schwach): 

Wo i^ er? 

RIPIO: 

Wie gelangtet Dir ohne mein Wissen hierher? Wann? 

LAURENTIA: 

Spät. 

RIPIO: 

Und weiter? 

LAURENTIA; 

La^ er Luft herein. 

RIPIO: 

Sie üt von schlechter Qualität Höllisch elend scheint das arme Weib/ 
sollte sie schon zu viel von dieser Pe^ eingeatmet haben. Sie erholt sich .. 
ich wül ihr Wasser bringen. 

(geht in den Alkoven und kehrt das Fläschchen in der Hand, zurück.) 
LAURENTIA; 

Sag er mir endlich . . 

RIPIO: 

des Rätsels Lösungl 
LAURENTIA: 

Welches Rätsels. 

RIPIO: 

M Euch wirklich und wahrhalDg besser? 



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LAURENT^: 

Ich meine. 

RIPIO: 

Gelobt meine nie ruhende VorsichtT 

LAURENTIA; 

Antwort I 

RIPIO: 

Gelobt meine nie ruhende Vorsicht Ich will hinunter und Euch vom Feuer 
Nachrichten bringen. 

<für sich): 

die sie noch mehr schmerzen werden, fürchte ich, als ihre schmerzenden 
Eingeweide. 

(er geht) 

JUAN (kommt aus dem Alkoven): 

Laurentia! Vom Feuerschein bekränzt 
und lieblich eingehüllt Ich dachte nicht 
dich noch zu finden. He, was willst du denn? 

Die Toten stehen auf und die Lebendigen 
sind totr 

LAURENTIA (wendet sich zur Tür): 

Wohin? Was wiM du? Schweige nicht 
und geh mit anderen Schritten. Diese Ruhe 
erregt mich furchtbar, bringt mich stürmisch auf. 

(Laurentia dreht sich ihm zu.) 

JUAN: 

Was tritt^ du mir entgegen? Welchen Sinn 

verbindet du damit? M komme her, 

ganz arglos, unbefangen, aber du 

cehit auf mich zu und jett ~~ du sieh^ mich an. 

Wie schamlos eines Weibes Augen sich 
gebärden können! Glaubt du denn, ich fände 
nicht durch den frommen Schleier deiner Güte 
und Anteilnahme, die du dir und mir 
nur vortäusch^, bis zum Grunde deiner Seele? 

Mitleidige du Falsche! Dieses Mitleid 
üt Wollu^, harte, wüste Grausamkeit 
Beseligen soll dich mein Gram. E)ie Kraft 
des Jammers, diese ungeheure, soll 
auf dich hemiederstürzen , meines Atems, 
des glühenden, dem an geweihter Stätte 
ich wehren mu^te, wilm du dich erfreuen. 



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Mein ganzes Wesen, das Erhörung fordert 
der innem Not, idi soU's in didi verströmen. 

Du füll^ didi an, berausdiit dich, sättigt dich 
und dann, von meinem Feuer brennena stark 
von mir, will^ du als Retterin am Ende 
mir deinen Tro^ von meinen Gnaden spenden. 

O du! Ihr alle! Feige, keines Kampfs 
mit blanken Waffen fähig, holt den Sieg 
ihr euch durch Demut die nicht Demut üt, 
durch Schveigra, das uns In den Ohren gellt 
und unserer Großmut sicher, legt ihr In c!^ Blick 
das Fürchterliche, das den Arm des Siegers 
Im Schlage hemmt und ihn zum Sklaven machtT 
Was aus des Mannes Herz mit stürmischer Gewalt 
wie eine Flamme bricht in euem Scho^ 
elnfahren möchte, um das Leben stärker 
und ewiger der Menschheit zu vererben, 
es muj) sich vor dem Eingang unterwerfen, 
die Kraft mit eurer Schwäche Frieden machen 
und eurer Eitelkeit Ihr wollt gebeten 
und angebcttelt sein. In dieser Welt 
i^ für den Mann und seine wahren Güter, 

Gewalt und Kraft, kein Plafe ^ sonit mußte Ich siegen. 

Dies Bilct das ich von deinem Halse stahl, 

es hatte mich so überangefüllt 

mit unseres Geschlechtes schönstem Vorrecht 

daß Ich erschüttert fühlte, neben mir 

Üt auf der Welt wie ich kein Mann ein Mann, 

und jedes Weib, das seinen Meister sucht 

i^ überwunden. 

Aber siehe doch 

ich sagte nichts, schon ändert sich der Blick 
in deinen Augen, und er bricht nicht fähig, 
die Ang^ mmr zu verbergen. Endlich bricht 
dein Blick im Schicksal, und er rührt mich nicht 
nicht mehr, nie mehr! 

(jauchzend) 

Maria liebe Ich, 

die ich auf diesen beiden seligen Armen 
dem Feuer, das ihr Vaterhaus verbrannte, 
entriß, und das ich sefl>^ gelegt, 
um ihrem Bett und ihrem süßoi Leib 

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r 



\ 

in dieser selben Nacht noch nah zu sein. ^ 

Als ich sie sah, wie auf dem Bild sie lächelt, 
mu^te ich mein Sehnen enden oder sterben. 

Gott selb^ und keines Cherubs Schwert vermochte 
mich mehr zu halten, und mich trug ein Sturm 
hinfort zu meiner irdischen Brgänzung. 
ln Flammen stand ich vor ihr, willenlos 
vor meinem Willen lag sie in den Kissen 
wie festgeschraubt uncT rührte sich kein Glied/ 
ich brauchte nur zu greifen, mußte nur 
die Hände strecken, zwei, drei Schritte machen, 
mein Dasein hätte göttlich sich erfüllt. 

Und siehe, plöfelich werden ihre Augen 

ganz bodenlos/ mein Blick, den keine Schranke 

mehr hält, ertrinkt auf ihrem Grunde, 

und ohne Blicke stehe ich seelenlos 

und blind. Die kostbaren Minuten fliehen 

und dann, zu spät, ich mu^ sie aus dem Feuer 

nur eilig retten. 

Bin ich toll? Ich lebe 
und stehe wieder hier, verschwende dann 
aufe neue Wochen, sefee alle Hebel 
in stürmische Bewegung, jage Menschen 
von Ort zu Ort und drohe Tcjd, Verderben 
und zünde Welten an, ihr nah zu sein, 
bin endlich bei ihr, und sie sieht mich an, 
und meine Hand ül lahm und mein Begehren 
gefesselt? So entfessele ich denn jefet 
in mir, was noch gebändigt niederlag/ 
die untersten Gewalten seien frei, 
die niedrigsten. Was irgend Krall bedeutet, 
erhebe sioi und herrsche schrankenlos 
und werde endlich dieser Schwäche Herr 
und knechte sie. Ein Scheusal bin ich lieber, 
als da^ ein anderer Wille mich besifet. 

Nun sprach ich! Und nun soll^ du auch das Icfete 
noch wissen, da^ ich läng^ die ganze Schöpfung 
vergessen hatte und allein nexh wußte, 
ich habe diese Nacht Maria nicht, 
und darum muß ich träumen, von ihr träumen, 
und nahm ein Weib, in dessen müdem Auge 
und fahlem Antlife keine Seele liegt 



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und keine Spur von Leben, adi, da|) ich 
in seine leeren Züge dichten kann, 
was ich ersehne! 

<er reißt den Vorhang auseinander. Ein Mädchen sifet eingeschlafen auf 
einem Stuhl im Alkoven): 

Sieh, ich lüge nicht, 

da si&t mein blasses Schemen, schläft mein Traum. 

<Laurentia verläßt weinend den Raum. Juan geht wie ein Schlafwandler 
zum Alkoven und kniet vor der Schlafenden): 

Mädchen 
ich liebe dich, 
bebe cbch grenzenlos, 
sieh dcxh — ich bebe cbch! 

Liege im Staube. 

Vermag denn nichts 
eine Ahnung cbr 
ins Herz zu geben, 
daß diese Lidie 
das Herlichste idt, 
was die Erde birgt, 
und dir gehört 
und im Staube begt? 

Wie reich du büt, Königin. 

Alles verschwende, 
wirf cbe Kleinode 
von cbr, das GolcL 
Aber diese Liebe 
sieh dir doch an, 
die herrlicher flammt 
als die Sonne 
tmd im Staub begen muß. 

Prüfe des Mannes Herz, 

ob es nicht stark und kostbar i^ 

und so rein, kristallenklar 

einem Sehnen hingegeben, 

wie einit ein andres Herz mit einem Wunsche 

still und verklärt am Kreuze hing 

und sich verblutete 

wie ich, im Staube. 



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(DerGartfn der Metuk>za. Im Hintergrund die Trümmer des raudicnden 
Hauses. Nacht. Inez steht mit Dienern und Mägden vor einer Steinbank, 
auf der Maria liegt) 

MARIA (erwachend): 

Wo i^ er? 

INEZ: 

Heilige Jungfrau, Dank, sie lebt! 

MARIA: 

Wo i^ er? 

EIN ALTER DIENER (beugt die Kniee): 

O sie lebt Das Fräulein lebt! 

MARIA (richtet sich auf und sieht um sich): 

Das Haus verbrannt/ all meine Kinderspiele. 

INEZ: 

Ach, da$ du leb^l 
MARIA: 

Du tu^, als sei's ein Wunder. 

EIN ANDERER DIENER: 

Es i^ em Wunder. 

INEZ: 

Als die Flammen sprühten 
und aus den Fenstern, aus den Türen rasten, 
die Mauern wankten, fielen, als mit einem 
der Vorhang deines Zimmers Feuer fing ... 

MARIA: 

Ich war vor Angi! schon tot und halb erstickt" 

Und wollte beten. Meine Lip|>en liefen 

sich nicht bewegen, meine Glieder waren 

so spröd und hart wie Glas. Da plöfelich 

begegnen meine Augen mir im Spiuel, 

nur größer, schöner, ach, weiß selb« nicht wie, 

und war kein Spiegel da. Die Glieder lösen 

sich auf, der Blick verschleiert überfließt 

ich sinke hin und meine Seele bebt 

O dieser Held! Ein Sturm weht aus den Kissen 

mich hoch, ich fliege über alle Flammen, 

und vor den Ohren jauchzt ein heller Ton. 

Als ich ihn singen will, da sterbe ich 
vor Seligkeit und stürze in die Nacht" 



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INEZ: 

Wir aber waren au^ uns vor Jubet 
als raucbgjpdiwärzt und didi auf seinen Armen 
er in die Türe sprang. Zu Füßen stürzte 
ihm alles. Und er bettete dich sanft 
auf diese Steine, sah dich an und ging. 

MARIA: 

Und ob ich lebte, war ihm wenig wcrtT 

INEZ: 

O über unsern Kleinmut! Daß er dich 
verlassen konnte, war Beweis, du lebtet. 
Bescheidenheit verbot ihm, noch zu bleiben, 
bis du erwachtest und ihm danken mußteSt. 

MARIA; 

Muß ich ihm danken? 

INEZ: 

Kind, o Kindl NächSt Gott 
bist du am engsten diesem Mann verknüpft, 
der dir dein iJeben, das verloren war, 
aufs neue schenkte. Dieser milden Nacht 
gehciinnisvolle Zwiesprach, die wir führen, 
des neuen Tages Sonne dankSt du ihm, 
und dieser Atem, der von dir mich streift, 
das dunkle Rot der Wangen, dein Bew^en, 
es stammt im lefeten Grund aus seiner Gnade. 

MARIA: 

E)u sagSt es. 

INEZ; 

Lüge ich? Wo war die Mutter 

zur Stunde? Trofedem, ich verrate nicht, 

was ich vermute/ ich verklage nicht/ 

dcxh soviel sei nun endlidi auch gesagt: 

der Mann iSt viel gelästert viel gescholten, 

du selbst haSt über ihn ein Wort gesprochen, 

und denncxh läßt zum Schluß des Herzens Meinung 

sich nicht verhenlen, er gefällt uns dcxh. 

Er muß uns /a gefallen, wenn wir sehen, 
ihm ist das nackte Leben nicht das höchste, 
das eigene so wenig wie ein fremdes, 
ihn trä>t ein Wille, der unbeugsam iSt. 




MARIA: 

Idi will ihn wiedersehn! Ihm danken. Bald/ 
so sdincll du's ihm nur sagen kann^. Erzähle 
ich sei, ich habe läng^, ich mü^te nur 
ach, du versteht schon, was idi sagen will 
Er soll nur kommen, alles i^ vergessen, 
nein, nicht versessen/ mir sei wohl bewußt ... 
o Inez, unser Leben iil doch schwer. 

INEZ ^neckend): 

Und was du mir durchaus nicht glauben wolltet? 

MARIA: 

Bi^ du mir böse? 

INEZ; 

Weil du glücklich biü? 

MARIA: 

Noch nicht. 

INEZ: 

Du soll^ es sdn. 

MARIA: 

Wer kann 's versprechen? 

INEZ: 

Der liebe Gott und ich. 

MARIA; 

Dann stell' ich mir 

zu Gott und ihm dein Bild im Herzen auf. 

^Festlich geschmückte und hellerleuchtete Säle im Stadthaus zu Valadolid. 
Im vorderen Saal i^ seitlich links eine Bühne aufgeschlagen, deren Vor- 
hänge noch geschlossen sind. Masken schwärmen durcheinander. > 

ERSTE MASl^: 

Ihr seid nicht aufgeräumtT 

ZWEITE MASKE: 

Ich gebe es zu, 

der Leichenqualm macht mir nexh immer übel. 

ERSTE MASI^: 

Der König üi erbittert/ des Infanten 
Don Carlos Tod von ihm nicht überwunden/ 
da gibt es für die Kc&er keine Gnade, 
sie mußten alle brennen. Und sdn Blick 
hing leer und ungerührt an diesem Licht, 



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das sidi vom Blut und FIcisdi der Menschen speiste, 
und sah in weite Femen weit zurück. 

ZWEITE MASKE: 

Es i^ ein übles Stück lebendig brennen. 

ERSTE MASKE: 

Zu rat für die verrannte Kefeerhorde. 

Ich hebe unseren woßen König mehr 
als seinen poßen Vater, weil im Glauben 
er stärker i£t und bis zum Tod entschlossen. 

Denn spanisch und kadiolisch ii! nur eins, 
und stirbt das eine, stirbt es mit dem anderen. 

Die Welt, die aus den Fugen brechen will, 
in denen sie I^rtausende verharrt, 
braucht eine Fau^ von Eisen, die sie hältT 
Und darum war Don Carlos Tod ein Segen/ 
denn er entmenschte diesen harten König. 

Die Niederlande merken 's schon besonders/ 
bald wird es auch den andern deutlich sein. 

ZWEITE MASKE: 

Man spricht von einem Aufstand der Morisken. 

ERSTE MASKE: 

Weh ihnen, wenn cs wahr i^l 

ZWEITE MASKE: 

Sehr bemerkt 

wird ein Interesse, das der König nimmt* 

ERSTE MASKE: 

Erinnert m'cht daran! Ich könnte sterben 
vor Wut wenn ich bedenke, es i^ wahr* 

An solchem Elenden! 

ZWEITE MASKE: 

Die Quixadas 

sind außer sich vor Freude. 

ERSTE ^SKE: 

Dieser Mensch! 

^er läuft davon). 

ZWEITE MASKE: 

Was hat er? 

DRITTE MASKE (tritt hinzu): 

Der Alkadc? Spracht Ihr ^ar 

von Juan de Quixada? Dieser hat 

dem alten Herrn das junge Weib verführtT 




ZWEITE MASKE: 

Wer seid Ihr und was wi^t Ihr? 

DRITTE MASKE <IaAt und geht); 

Nur so viel 

als ringsum alle Welt davon erz&hltT 

VIERTE MASKE <zur fünften): 

Ein Mädchen war s! Ich hätte sie gern gerettet, 
sie war so schön! Als lichterloh sie brannte, 
die Flammen um die süßen Örter leckten, 
die meiner Glut so lange widerstanden 
und gierig sie verzehrten, rief sie: Jesus! 
lang hingezogen und verzückte sich. 

Das Schwarze ihrer Augen hing im Himmel, 
und durch die Glieder fuhr ein Wcjnnestrom. 
Dann war sie totT 
FÜNFTE MASKE: 

Es gab noch wüste Bilder, 
ein Alter brüllte wie ein wundes Vieh, 
dieselben Töne immer. Und was halfs, 
daß ich die Augen schloß/ die Ohren hörten 
den fürchterlichen, immer gleichen LautT 

VIERTE MASKE: 

Und eine wüste alte Hexe lachte 
wie blöd im Feuer. 

FÜNFTE MASKE: 

Dieser Ungestüm 

EX)n Juan Quixada stand neben ihr, 
ich sah es, schaut sie an und lachte mit, 
ein wildes und gespensterhaftes Duo. 

Dann wieder dieser Abstand, Spiel und Lachen. 
<beide gehen.) 

INEZ: 

Nicht gar so schnell und nicht an solche Pläfee, 
wo du allein biit und gesehen wird!. 

Wenn dich die Mutter frofe gefärbten Haars 
und durch die Maske doch erkennen würde, 
mir ging's nicht gut Hätte ich an Jenem Abend 
es dir cTcxh nicht versprochen: hundertmal 
habe ich mich schon gescholten, daß ich's tat 
und Ueber wäre mir, wir kehrten }ett 
noch um. Komm mit! 



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MARIA: 

Wie albern/ warfen wir/ 
idi sehe midi besser vor. Wir bleiben hicr- 
ALFONSO DE LA PAZ <zu Maria): 

Wer büi du? 

INEZ <mit verstellter Sdmme): 

Niemand. 

ALFONSO <zu Maria): 

Spridi ein Wort 

INEZ: 

Warum? 

Und au^dem i^ diese Maske stumm. 

ALFONSO: 

Nidit stumm, nidit stumm. leb weij) nicht was mich treibtT 
Wer büt du? 

MARIA: 

Idi? 

ALFONSp: 

Maria! O Maria. 

MARIA: 

Da^ du midi nicht verrät^. Bin ich nicht schön? 

ALFONSO: 

Doch schön. Warum kam^ du hierher? 

MARIA: 

Warum Alfonso? 

Und warum du? Nun weil ich sehen will. 

ALFONSO: 

Den König? 

MARIA: 

Wer sich zeigt. Auf Wiedersehen. 

^Maria geht mit Inez.) 

ALFONSO: 

Was förchfc ich. So i^ es wahr. Maria! 
tjuan kommt.) 

ALFONSO (stellt ihn) : 

Ich hasse, hasse dich, du Ungeheuer! 

(sie messen sich. Alfonso gwt) 

JUAN: 

Das war ein Wirt Das klang mir wie Fanfare. 

(geht) 



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DRITTER HOFMEISTER <zuni zi^ätmh 
So hört mir zu. Der Gatte üt verreib, 
der Seladon bei ihr, er spd^ die Frau 
mit Honigworten. Plöfelidi kehrt der Mann 
ganz unerwartet heim. Man hat nodi Zeit, 
das Weibdicn zu verstecken, und die Männer 
beßnden sich allein. Der Gatte zieht, 
da er das Unheil ahnt, den Übeltäter 
zu morden/ dcxh der listig Weltgewandte 
vermag durch Worte und Sophistereien 
den schon durchaus Betrogenen zu betrügen, 
die Gattin, der Betrüger seien rein 
wie Gottes Ewel. Und er selb^, er selb^ 
ein schlimmer Gatte, der sich ändern müsse. 

ZWEITER HOFMEISTER: 

Deks i^ ja ein galantes Stück! 

DRITTER HOFMEISTER: 

Ein Schwank. 

ZWEITER HOFMEISTER: 

Den soll der König hören? 

DRITTER HOFMEISTER: 

Glaubt Ihr denn 

er lacht nicht gern? Es war die Rede cr^ 
von einer vaterländischen dynastischen 
Apotheose/ doch das Schreiben kam 
zurück. Mit einem Wort vom König selb^: 
»Bewahre mich Gott davor.« So schrieb ich denn 
dies Stückchen und der Rat hat zugestimmt. 

ZWEITER HOFMEISTER: 

Viel Glück. 

DRITTER HOFMEISTER: 

Ich hoffe auch, es hat Sukse^z 

denn es sind wirklich starke Stellen drin, 

besonders diese: wie der Herr Galaa 

die Klinge, die ihm droht, geschickt vermeidet, 

und alles wifeig zur Versöhnung leitetT" 

ZWEITER HOFMEISTER: 

Der Vers? 

DRITTER HOFMEISTER: 

Ein Blankvers. Viermal lang und kurz. 



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ZWEITER HOFMEISTER: 

Wer spielt? Wieviel Personen treten auf? 

DRITTER HOFKffilSTER: 

Nur drei. Die Gattin, Donna Teresita 
der Gatte Don Alfonso/ der Galan 
Don Juan Quixada. 

ZWEITER HOFMEISTER <laAt>: 

Hche! 

DRITTER HOFMEISTER: 

Was ladit Ihr? 

ZWEITER HOFMEISTER: 

Nun, ich dachte nur 

von Eurem Stück ein Stückchen hin ins Leben. 

(sie gehen). 

EINE WEIBLICHE MASKE (von Juan verfolgt, auf zwä Männer zu): 
Nehmt mich nur mit! Nur schnell! Nur fort von hier! 

(die drei verschwinden). 

EINE ZWEITE WEIBLICHE MASKE (zur dritten): 

Verzeiht mir Donna, wißt Ihr einen Ort — 
die Hifee — Wein — ich bin ein wenig matt 
und möchte ruhen. 

DIE DRITTE MASKE: 

Geht durch diesen Raum, 
passiert das schmale rote Kabinett, 
daneben liegt ein Zimmer völlig abseits. 

(die beiden gehn). 

JUAN (ihnen nach): 

Ich folge Schöne. 

RIPIO (eilig): 

Herr, der König kam. 

Wollt fürs Theater Ihr Euch nicht bald schicken? 

JUAN: 

Merk' dir das Wort einmal: Theatrum mundi. 

(er folgt der Maske). 

LAURENTIA (kommt. Zu Ripio): 

I^ Euer Herr im Saal? 

RIPIO: 

Der König? 

LAURENTIA: 

Euer Herr! 



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RIPIO: 

I(fi wü^te nidit, wer sich so nennen dürfte. 

LAURENTIA (demaskiert sich); 

Sieh wer ich wirklich bin, du Unverschämten* 

RIPIO: 

Kin Weib. 

LAURENTIA: 

Er i^ ein Lümmel! 

RIPIO: 

Dafür Dame 

hab' ich nur eine Antwort; kdne Antwort 
(Bewegung. Fanfaren. Die Masken teilen sich). 

DER KÖNIG (ohne Maske, nach vom kommend, stu&t vor Laurentia, die 
sich tief verneigt) : 

Wo sah ich diesen seltenen Ohrschmuck schon, 
so reiches Haar? 

LAURENTIA; 

Sire . . . 

PHILIPP (beugt sich auf ihre Hand): 

Ah, ich irrte nicht 
Es i^ an mir, des Festes Königin 
zu grü|5en. Bog ein junger Für^ nicht ein^ 
bezaubert sich auf diese schöne Hand 
vor Jahren? Unvergessen iil der Tag 
und dieser Hände Schlankheit unvergessen. 

Beim Schauspiel bitte ich Euch in meine Nähe. 

(verabschiedet sie und sagt zu Gomez): 

Gomez? 

GOMEZ; 

Sire? 

PHILIPP: 

Nun? ^ 

GOMEZ; 

Es i^ entschieden Sire. 

PHILIPP: 

I^s nicht mehr möglich, seiner Majestät 
den Knaben hinzubringen, wie er bat? 

GOMEZ; 

Ob ihm der Anblick auch erfreulich i^? 



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PHILIPP: 

lA zweifle niAt. Der Vater findet immer 
das Kind entzüAend, das ihm selb^ bedeutend 
an AussAn gldAt. Und Juan gleiAt Am sAr. 

GOMEZ; 

Wenn von den Tugenden der Majestät 
er eine hätte . . . 

PHILIPP: 

Wohl gesproAen, Lieber. 

<Masken strömen naA vom. Comez wird bAragt). 

GOMEZ; 

Vergönnen Eure Majestät? 

PHILIPP: 

Man fange an. 

<er nimmt die Maske vor und sefet siA in der ersten Reihe, Laurentia bei 
Am. Die übrigen seten siA auA. Der Vorhang der Bühne teilt siA. Oben 
em klemer mtlmer Raum). 



DIE FRAU (auf der Bühne): 

DoA wie lange büi du mem? 

DER LIEBHABER (Don Juan): 

Heute. Jefet. SAon eine Stunde 
bin iA's, will's die näAste sem. 

DIE FRAU: 

SAwur^ du niAt an meinem Munde 
Teufel Ewigkeit So sAwöre! 

DER LIEBHABER: 

SAwöre du mir: lA betöre 
diesen Mann von neuem wieder, 
durA Ae Seele, durA Ae Glieder, 
da^ er allem sonü entsage. 

DIE FRAU; 

Litt iA darum viele Tage 
eh' iA den Betrug besAlo^, 
litt iA darum namenlos 
A' den Gatten iA betrog? 

DER LIEBHABER: 

Aber da^ der Gatte log, 
als er prahlend siA vermag. 



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dir fürs Leben zu genügen, 
als er töridit mich vergaß 
und das größere Vergnügen, 
das In meinem Arm du suchtet, 
fandet und ihn stark verfluchte^/ 
daß er vieles vorenthalten 
süßer tiefer Lul^ewalten, 

Liebste, das bedenkit du nicht 
Geh' mit ihm drum ins GerichtT 
Mich nur liebe, liebe tüchtig, 
meinetwegen eifersüchtig, 
wild und grenzenlos. Nur liebe, 
liebe, schweige, schlafe, liebe. 

Jedes Wort i^ viel zu viel, 
alles sei Gebärde,^ Spiel, 

Widerstand und Überwinden, 
Wollu^, Abscheu, Wiederfinden, 
der Empfindung schwanke Leiter 
aufwärts, abwärts, immer weiteir 
Fassen, lassen, jauchzen, fluchen, 
immer neue Himmel suchen: 
in der Liebe gilt das Schenken/ 
ganz verboten ein Denken. 

DIE FRAU: 

Dämon. 

DER LIEBHABER: 

Göttin! 

DIE FRAU: 

Ungeheuer! 

DER LIEBHABER: 

Ungeheuer, ich hasse dich . . . 

DIE STIMME DES SOUFFLEURS; 
Ich ersticke dich im Feuer. 

DER LIEBHABER: 

Ich ersticke dich im Feuer 
meiner männlichen Gewalt" 

Rufe doch, so rufe Halt, 
wenn du kann^. Der Raum iü still 
und ich tue, was ich will 
DER ALTE DIENER <stürfet herein): 
Herrin, ach, der Herr kommt wieder! 



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DIE FRAU: 

Großer Gott ich bm verloren! 

DER LIEBHABER: 

In die Kammer! Leg' didi niederr 
<der Diener und die Frau ab). 

DER LIEBHABER: 

Gottes Radie auf die Toren, 
die am falsdien Ort erscheinen 
und zur falschen Stunde kommen/ 
kann zu nichts und gar nichts frommen. 

Aufgepaßt! Hier muß es scheinen. 

DER GATTE <Alfonso stürmt herein): 

Sib^ du endlich in der Falle, 

Hab' ich endlich dich erwischt! 

Wie dein Lebenslicht erlischC 
sänftigt sich mir Wut und Galle. 

Füchschen, Wolf im Schafsgewande, 
merk^ du deutlich, wie am Rande 
deines Grabes du meirschier^? 

Fühl^ du dich schon einejuartiert 
in der Hölle, auserkoren 
in der Pfanne mitzuschmoren, 
die von Satanas gerührt, 
was gemordet und verführt 
und betrogen hat auf Erden 
hält um ein Ragout zu werden. 

L<^ dich mit dem Degen kibeln, 
er« ein wenig/ mit dem Wibeln, 
mit dem Spötteln i^s vorbei: 
ich bereite dich zu Brei. 

DERLIEBI^ER: 

Dies i^ zu albern, dies i^ Wahnsinn. 

DER GATTE: 

Hier ein Stich und da ein Stoß. 

DIE STIMME DES SOUFFLEURS: 

Lieber Freund, ein toller Spaß! 

DER GATTE: 

Hier ein Stich und da ein Stoß. 

DIE STIMME DES SOUFFLEURS: 

Lieber Freund, ein toller Spaß! 

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JUAN: 

Bei Gott ein toUer Spa^! Idi (rag' ihn nicht 
Voran, gefochten! So. Verteicfige dich. 

Kein Püchschen, nein, ein Puchs. Im Scha&gewande 
niemals. Dir ins Gesicht ganz offen, ehrlich, 
ich — ich verachte dich, ich lache dich aus 
und tu' trofe deiner weiter, was ich will. 

(er schlägt ihm die Waffe aus der Hand. Alfonso, schamüberwältigt stürzt 
ab). 

DRITTER HOPMEISTER (stürzt auf die Bühne): 

Was macht Ihr! Ihr verderbt mir ja mein Stück! 

JUAN: 

Das Stück i^ aus. So laßt den Vorhang nicdeir 

PHILIPP (zu dem dritten Hofmeister): 

Wie mußte es nach Eurem Villen enden? 

DRITTER HOPMEISTER: 

Mit allen Künsten seiner Überredung 
soll er den Gatten täuschen, ihn begaukeln 
und listig alles zur Versöhnung wenden. 

PHILIPP: 

Dexh schien Uns dies nicht minder eindrucksvoll/ 
ein wenig schnell/ jedoch der Gegensafe 
von Scherz und Em^ wirkt prächtig und für Euch 
sei dies ein Tro^, wir alle sind zufrieden. 

(Dritter Hofmeister verbeugt sich. Der Vorhang fällt Alles erhebt sich. 
Die Masken schwärmen zurück. In den hinteren Sälen Musik). 

PHILIPP (zu Laurentia): 

Ich sehe Euch durch dieses Spiel bewegtT 
LAURENTIA: 

Ich bin es wirklich, Sire. 

PHILIPP: 

Und sogar Tränen? 

So kommt für diesen kühnen, jun^ Mann 
noch ein Erfolg zustande. In der Tat 
es war ein freies, lügenloses Stück, 
das sehr unmittelbar zu Herzen ^ng 
und über ihn genug zu denken giebt 
Ihr kennt ihn näher. Wißt Ihr mir vielleicht 
ein wenig mehr von ihm noch zu erzählen. 

(sie gehen). 



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SECHSTE MASKE: 

Nidit zu ertragen dieser fredie Dünkel! 

SIEBENTE MASKE: 

Nur Vorsidit. Wie die Dinge einmal liegen, 
idi bin ganz sidier, das Gerüdit hat recht, 
gilt's größte Vorsicht. Dieser freie Stolz 
und königliche Übermut sind tief 
in ihm begründet. Sah^ die Majestät 
du heute nicht schon oft mit ihm beschäftigt? 

Um Cotteswillen Freund, man kann da leicht, 
mit einem Worte kann man sich vernichten. 

Ein königlicher Prinz! Es hei^t sogar, 
der König sei zur Anerkennung fcft 
entschlossen. Und vielleicht geschieht es schneller 
als jemand ahnt. Ich gab auch schon Befehl 
ihn m'emals, was er Schlimmes auch be|^t 
zu halten, jemals in Verhaft zu nehmen/ 
und als der Inc^isitor kaum erfuhr 
was ich befohlen hatte, tat er gleiches. 

SECHSTE MASKE: 

Als gestern Abend er auf offiier Stra^ 
ein Mädchen überfiel und Leute kamen, 
die der Bedrängen schleunig^ helfen wollten, 
mit Knütteln, Gabeln, schon ein hübscher Haufe, 
man freute sich, ihm gründlich heimzuzahlen. 

Da rief er: »daß mich keine Hand berühre!« 
mit einem so metallenen Klang der Stimme, 
absonderlich, imd solchem Glanz des Auges, 
daß alles Volk zurückwich, und ich selb^ 
beteolfen war. So zog mit seiner Beute 
er frei und vöUig unbehindert hin. 

SIEBENTE MASFE: 

E)u sieh^. In jedem Falle warten wir. 

Bestätigt sich clie Fabel über ihn, 
so lacht er über uns, im anderen Falle 
wird ihm das Ganze gründlich heimgezahltT 
^bdde gehn). 

INEZ (kommt suchend): 

Wo i^ sie nur? 

ALFONSO DE LA P.^; 

Bi^ du es Kupplerin? 



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INEZ: 

Wer seid ihr? 

ALFONSO: 

Sduiell, wo iit sie? 

INEZ: 

Laßt midi, Herr! 

ALFONSO: 

Du ha:^ sic für ihn hergelodct, gestehe. 

INEZ: 

Ich sage nur, daß Ihr mir lästig seid. 
ALFONSO: 

Gib Antwort, oder — 

INEZi 

Herr ich werde laut! 

ALFONSO: 

So rufe, und es wird sich bald entscheiden, 
wo du den Abend und dein Leben ende^. 

Wo i^ sic? 

INEZ: 

Ach ich weiß nicht. Im Gewühl 
kam sie von meiner Seite. 

ALFONSO: 

Und die Mutter 

beim Köni^ gänzlich unerreichbeu’. Komm. 
jett iit Minute Ewigkeit. So komm. 

(beide gehen). 

JUAN (kommt verkleidet): 

Jett leben! Vorwärts! Keiner kennt dich mehr, 
dir selb^ bi^ du verkleidet Von dir fiel 
die Wirklichkeit/ du sche'm^ dir gänzlich Maske 
und fremd und auch die Welt dir gegenüber 
i^ für den Augenblick nicht was sie i^. 
Einbildung kann ;cfet müheloser schweifen, 
und muß nicht fürchten, plö&lich schauderhaft 
beim Aufsehn in ein grinsendes Gesicht 
unsanft geweckt zu werden wie leMhin, 
da alles für den Traum bereitet war. 

Stolz und bedeutend wirkt jett jede Puppe, 
erschütternd eine Larve, deren Antlife 
du himmlisch bildet. Jeder Laut der nun 



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von Prauenlippcn auf didi niedergeh^ 
eine Silbe, welche fiebernd immer 
vom Morgen bis zum Abend du ersehntet. 

Nicht mehr bei Dunkelheit zu deinen Kissen 
sprichst du die wunderbaren und von Trfinen 
geschliffenen Worte; Weib, ich liebe dich, 
du rußt es dem lebendigen Leibe zu, 
der dir gesellt i^, und entzückten Auges 
steht eine Frau vor cL’r und hört es an. 

Der Druck vcm ihrer Hand zerreißt dich gar, 
weil du für deine Sterbestunde kaum 
ihn noch erhofftet, ach und ^ädige Götter, 
sie führen mich vielleicht an Rosenhänden 
ncxh wdfcr diese Nacht. Wohin mein Heiland, 
wohin? Zerbrich nicht schwache Form vor Glück 
und tobe nicht so fürchterlich mein Blut 

<im hinteren Saale erklingt ein Menuett Maria in der Tür mit einer männ- 
lichen Maske). 

JUAN (erblickt sie): 

Ah sieh die schöne Maske! 

MARIA (erblickt Juan): 

O Gott er kommt zu mir. 

JUAN: 

Für mich sie einzufangen 
muß erit der Mann vcxi ihe 
(er nähert sich der Maske): 

Mir war, Ihr wurdet grade 
von Freunden sehr vermißt/ 
es schien, als ob der König, 
wär s möglich, daß es i^7 

MARIA: 

Was mag er mit ihm flüstern? 

DIE MASKE: 

Bewahrt Ihr sie so lang? 

JUAN: 

Mein Wort mit meinem Leben. 

MARIA: 

Mir ßl so weh und bang. 

(die Maske geht). 

JUAN: 

Muß ich Euch er^ beschwören, 
daß Ihr die Schönte seid? 



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MARIA; 

Hin Mäddien zu betören, 

EuA nur Zeitvertreib. 

JUAN: 

A<b, ohne Glauben, ohne Sinn 
spricht der sü^ Mund 
es hin, 

denn in den Augen ein wunderbares, 
seltsames Leben 
verr&t der Seele 
Bemühen, 

zitternde Sehnsucht, 

dem Käfig des eigenen Sdb^ zu entfliehen. 
Hin Glühen 

der Glieder, dos Huch verschönt 

kündet, Ihr wollt aus den Grenzen 

Hures entzückenden Leibes 

mit dem Glücke des Weibes 

heute Huch kränzen, 

ruft, daß Huch stürmisch bewußt 

bis ins Innerste 

ohne Verhüllung, 

klar wie der Tag; 

Dieser i^ meine Hrfüllungl 
Was Euch gelidirt, 
was Ihr verdhrt, 
olles i^ plö&Iich Lüge, 
und die einzige Wahrheit, 
die dir noch frommt 
trägt meine Züge. 

Erde und Himmel 
Gebet und Amen, 

olles wurde zu einem einzigen Nomen. 

MARIA: 

Juonl 

JUAN: 

Nur sfiü, nicht loutT 
Verrate mir nichb. 

Sage Bräutigam, 
ich Braut. 

Lo$ es die einzigen Worte sein 



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uns nldits mehr voneinander wissen 

und des Geheimnisses Schein 

und Schleier 

laß unserem Glück 

Nicht auf die Erde zurück 

aus dem seligen Gefild 

wo alles Bild 

und AhnuM üf, 

jeder Begriff unc) alles Benennen 

schwindet 

imd die verschenkte Seele 

sich selb^ nicht mehr findetT 

(er rei^t sie mit sich in das Zimmer vom links). 

RIPIO (nach einer Weile): 

Da sehe ich die Witwe Jungfer Fromm 
von einem Herrn gez^en clurch die Säle 
sich eilends schieben. Dieser Herr war eben 



noch ein gehörnter Ehemann, ich irre nicht, 
und sah so aus, als ob er Böses sänne, 
sehr Böses. Gegen wen? Hier i^ die Frage 
zugleich die Antwort. Beide stürzen lebhaft 
der Gruppe zu, die um den König üt: 

Aus dieser wird die Donna kaum entlassen, 
der gerade hier ich die Leviten las 
und sehr gebührend meinen Standpunkt wies, 
als dieser Herr und unsere Witwe Fromm 
mit rasenden Gebärden auf sie stürzen, 
mit aufgeregten Worten sie bedeuten. 

Die wirft die Arme hoch. Was soll das sein? 

Dies fürchte ich, hat wieder bösen Grund. 

Sie kommen her — je&t Ripio aufgepaßC* 

(er steht hinter einer Säule. Alfonso, Inez und Laurentia kommen). 
ALFONSO: 

Nichts! 



INEZ: 



Nirgcn 
ALFONSO: 



ds. Überall nichtT 



Weiter, weiter, 
(alle drei ab). 



RIPIO: 

He? Nirgends. Überall nicht. Weiter, weiter I 
Was heipt denn das? das sind ja PantominenT 




das sieht )a «’ieder wie Theater aus. 
lit das vielleicht theatrum mundi oder 
so ähnliches? Mir kommt schon wieder 
die ungeheure tolle Wut, die ich erfinde 
wenn gegen meinen Herrn ich die Philister 
vermute. Dcxh gefehlt Ich gebe acht" 

JUAN <aus dem Nebenzimmer): 

Heil meiner Seele, was beginne ich? 

Soll mir das Toben, kann das Rasen helfen? 
Und immer tiefer sinke ich in NotT 

RIPIO: 

Wohin, Herr? 

JUAN (außer sich): 

Frag' nicht frage nicht! Du weißt's. 

Verrate nur, wenn jemand mich vermißt 
daß Juan, dem sich jede hier erböte 
zu ölück und Uebe, in die Nacht hinaus 
und vor das Fenster seines Liebchens iif, 
dort wie ein Knabe, zitternd cmd verzweifelt 
um einen blassen Schatten barmt und bctteltT 
(er stürzt davon). 



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PAUL ERNST: DER DICHTER UND DIE SCHAUSPIELERIN, 
EINE NOVELLE IN BRIEFEN 



Mllc. Eugenie Chabcrt an Herrn de Votsenon. 



Paris, April 1750. 

Lieber Freund: darf idi Sie noA so anreden, naA den harten Worten, Ae vir 
geweAselt heAen, Ae Sie von Paris abreisten, noA mAr: darf iA Ae aAt Tage 
gSnzliA aus meinem CedäAtnis entfernen, in denen unser Verhältnis pIö&IiA so 
ganz anders ersAien, und wäre es Ihnen mö^liA, auf den VorsAlag einzugAen: 
daß alles zwisAen uns wieder so sein soll, wie es in den Monaten vor jener stür» 
misAen WoAc war? 

IA verlange vielleiAt viel. Aber Sie_ werden mir gewi^ glauben, daß die Erfüüung 
meines WunsAes miA Aenso viel Überwindung der SAam kostet wie Sie ~ viel» 
leiAt noA mAr, da iA Weib bin, und d^ iA ihn nur ausspreAe, weil iA denke: 
auA Ihnen wird seine Erfüllung etwas sein. Wir sind ja beide einsam in der WA: 
Sie auf Ihrem stillen StübAen und iA inmitten der vielen MensAen, welAe miA 
umAängen. Sie hAen siA wohl nie falsAe Begriffe über das Leben gemaAt, 
mir wurde cr^ klar durA Sie, daß iA immer allein g^esen, wie mir eiA seit 
unserer Trennung klar wurde, welches GlüA mir Ihre Freundschaft bereitete. Es 
war ein merkwür Ages Glück, denn es entstand ni At durA das, was sie mir g Aen, 
wiewohl das ko^ar genug war, sondern dadurA, daß iA selb^ miA pIö&liA 
reiA fühlte, daß iA geben konnte, und Dinge geben, von denen iA vorher m'e ge« 
wußt halte, daß iA sie besaß. 

Seit Sie miA verlassen hAen, bin iA wieder arm geworden, so arm, daß selb^ 
Ae Erinnerung an meinen vorigen Rei Atum mir unglaubliA wird und daß iA miA 
oft fri^e: waren das Diamanten, Ae du damds besaßet, waren es nicht Aeselben 
armseagen Kieselsteine, Ae du nun ha^? Sie sagten mir in jener Zeit einrnd, 
daß au A Sie neueSAä&e in siA entdeAten, und Sie glaAten in jenen Tagen, daß 
der DiAter Ae SAauspielerin brauAe wie Ae Schauspielerin den Dichter. Wir 
sprachen von dem AusdruA der Empßndungen durA Ae Hdtung des NaAens, 
und Sie erzählten mir, wie Ihnen fange gesu Ate Worte gekommen seien durA eine 
plöhliche Wendung des Kopfes, Ae iA ba einer Ihrer Bemerkungen maAte. Gewiß 
erinnern Sie siA noA. Sie erzählten noA manAes, was iA niAt verstand iA 
verstAe es auA jefet noA nlAt aber es maAte mir eine merkwürAge Freude: 
daß für den DiAter das Leben eine sAwere Lait sei durA den Kampf zwisAen 
Schamlosigkeit und Stolz, und daß Ae LdAtigkeit meiner Füße Ihr Leben 
leiAter maAe. 

Sic sAen: wenn iA an Acsc Erinnerungen komme, so werde iA gesAwähig. 
Aber iA darf in Aesem Brief einen soIAen Ton mAt ansAIagp. IA mtte Sie um 
eine Gun^: Sic sollen mein Vertrauter sein, viAaAt mein Ka^ebcr — iA hAc 
ja memanden in der Welt, dem iA miA vertrauen kann, wie Sie, Sic, den iA so 
sehr gekränkt habe. Aber Sie müssen miA anhören, denn erst durA Sie habe 



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ich die Notimidigkcit kennen gelernt, zu sprechen wissen Sie noch, was wir 
»sprechen« nannten, damals! — und klar zu werden durch einen ^derhall. Ein 
Wort von Ihnen lä^t mich nicht mehr ruhen. Sie sagten; »Künstler sein hei^t 
Lügner sein ^ Sie sind glücklich, daQ Sic das nicht begreixen.« Ich habe cs begriffen, 
ganz em^ spreche ich, ich habe es begriffen/ vieüeidit verstehe ich heute manches 
mehr von Ihrem Betragen in der letztm Zeit, von meinem eigenen Betr^en: wes« 
halb empfand ich plöäich Leere? Aber was sind denn die anderen Menschen, 
warn wir Lügner sind? 

~ Ich hatte bis hierher geschrieben/ aus einem Gefühl der Unruhe las ich meine 
Sähe wieder durch, und ich 6nde, daj) ich in einem Hawtpunkte mich falsch aus« 
gedrückt habe: nicht ich habe Sie, sondern Sic haben mich gekränkt. Ich bot Ihnen 
ein Herz an — was machten Sie mit meinem Herzen! Aber ich will Ihnen keine 
Vorwürfe machen/ nur: schreiben Sie mir eine Zeile, daß ich Ihnen meine Mit« 
teilung machen darf, daß Sie mein Vertrauen ehren und in Freundschaft auf« 
nehmen wollen. 



Herr de Voisenon an MUe. Eugenie Chabert. 

Ich habe lange darüber nachgedacht: insoweit man von Schuld sprechen kann bei 
unserer Trennung, auf wessen Seite lag dann die Schuld? Aber ich bin zu dem 
Ende gekommen, daß das eine unlösbare Frage i^. Als wir zusammen waren, 
entstand ein Neues zwischen uns beiden, das weder Sic waren, noch ich — das 
auch nicht einmal Züge von uns beiden hatte, sondern es war ganz neu entstanden. 
Und wie das mit dem Glück war, so war das nachher auch mit dem Streit und 
mit dem Auseinandergehen: es war ein neues Wesen zwischen uns entstanden, 
das uns trennte. 

Von Herzen danke ich Ihnen für Ihren Brief. Er beweist, was er zwar mir nicht 
bewösen mußte, daß Sie groß denken; dafür danke ich Ihnen, daß Sie das ver- 
mögen, wie ich Ihnen immer dankbar bin dafür, daß Sie sind. Erzählen Sie mir, 
was Ihnen auf der Seele liegt, ich werde Ihre Worte treu aufnehmen. Vielleicht 
gibt Omen das eine gewisse Beruhigung in der Aufregung, in welcher Sie sich 
offenbar jeM befinden, daß Sie zu einem Mann sprechen können wie zu einem 
Fremden, der ein Beichtvater iü: nicht wahr. Sie wissen, daß Sie nicht mehr von 
mir erwarten dürfen, wie einen Fremden, einen sehr gütigen Fremden, der ein 
Beichtvater i^? Als wir uns trennten, sagte ich Ihnen: »loi werde immer Güte 
fühlen gegen Sie« / auch das haben Sie gewiß nicht vergessen, denn als ich es sagte, 
wollte ich, daß Sie es in Ihrem Sinn bäaltoi sollten. 

Ich schließe mit den Worten, mit denen Sie Ihren Brief beginnen: liebe Freundin. 



MUe. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. Paris April 1750 

Lieber Freunct, hier i^ meine Erzählung. Vor etwa vier Wochen erhielt ich einen 
seltsamen Brief von einem mir unbekannten Vicomte de Palafoy. Der Schreiber 



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hatte mich am Abend in einer großen Rolle gesehen — die Sie gewi^ ahnen, die mir 
sehr teuer ül Ihretwe^ — und hatte, nadi seiner Darstellung, einen sehr tiefen 
Eindruck gewonnen. Br erzählte, da^ er noch sehr jung sei und eben den Nach« 
mittag er» in Paris eingetroffen sei. Meine Darstellung der edlen und schönen 
Empfindungen, welche me Heldin des Stückes habe (merkwürdig, da^ der imge 
Mann in seiner Begeisterung doch den Unterschied zwischen den WortOi des Dich- 
ters und der Darstellung machte, den die meisten unserer Verehrer vergessen/ ein 
Zeichen für seine Intelligenz) — werde bestimmend für sem ganzes L^en sein. 
Der weitere Inhalt des Briefes kann Sie nicht interessieren. 

Ich empfand den Wunsch, den Briefsefareiber selb^ kennen zu lernen. Es stellte 
sich mir ein wirklich sehr junger Maim vor. Um die äußeren Dinge gleich mitzu- 
teilen: er treibt hier wissenschaftliche Studien, i^ sehr reich und sehr vornehm und 
völlig sein eigener Herr, da beide Eltern tot sincL 

Liebo* Freund, es soll zwischen uns die größte Offenheit herrschen, nicht wahr? 
Sie wissen, welchen Teil in meiner Seele Sie einnehmen; nie wird jemand Sie aus 
diesem Besi& verdrängen können. Aber dieser achtzehnjährige ViexMnte hat noch 
ein neues Land in mir entdeckt Ich glaube Ihr skeptisches Lächeln zu sehen, aber 
Sie haben unrecht: ich habe die Schönheit der Tugend empfunden. Mein Ausdruck 
iü schlecht Er sagte einmal: er werde am nächsten Abend zu einer bestimmten 
Stunde einen Stern ansehen, den er mir zeigte/ ich solle zu derselben Zeit meine 
Blicke fe^ auf den Stern heften, und wir würden dann glücklich sein, indem wir 
empfänden, da^ unser gereinigtes Ich sich auf jenem Stern trefle. 

Während ich diese Zeilen schreibe, fühle ich selb^, wie lächerlich ich mich Ihnen 
zeige. Könnte ich mich ausdrücken ^ ach, gerade Ihnen gegenüber kann ich mich 
nicht ausdrücken! Ihnen habe ich einmal ges^t; Ehe ich Ihre Freundschaft hatte, 
habe ich mich selb^ nicht gekannt Und ich nabe dasselbe dem jungen Vicomte 
gesagt, ich habe es ihm sagen müssen, indem ich dabei an Sic denken muj)tc/ und 
wir sa^ in demselben Zimmer, das Ihnen so gut bekaimt i^, an demselben Tisch- 
chen, und alles war dasselbe wie damals, nur auf Ihrem Stuhle sa$ der Vicomte! 

Ich mu$ mich fragen: Et denn unser ganzes Leben nur ein Theaterspiel? Spiele 
ich nur eine Rolle, heute in einem Stück, das der Vicomte dichtet, wie gestern in 
einem, daß Sie gedichtet hatten? Aber ich schwöre es Ihnen; ich bin gegen Sie die 
Alte, und der Vicx>mte hat Ihnen nichts, nichts genommen: er hat sich eine neue 
Welt entdeckt und ein herrenloses Land erobert 

Als ich meinen ersten Brief an Sic schrieb, ahnte ich, de^ die Begegnung weitere 
Folgen für mich haben werde, und ich fühlte mich zu schwach, allein denen ent- 
gegeiuutreten. Ich fühlte, da^ Ich Ihnen imd Ihren Gefühlen ein Unrecht antun 
werde durch meine Mitteilungen, aber Sie sind ja der einzige Mensch, dem ich mich 
anvertrauen kann in meiner Lage, und Sie sind großmütig. Sie wissen, weshalb 
wir Frauen oft grausam sind ~ schlecht sind. Ich bm schlecht gegen Sie, aber Sic 
sind ein guter Mensch. 

Gestern war der Vicxmite bei mir und trug mir seme Hand an. Ich hatte seine 

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Worte erwartet/ aber als er sprach, war ich so überrascht, daß ich in Tränen aus« 
brach, aus dem Zimmer ging und mich einschloß. Hr verließ das Haus, ohne mich 
nochmals gesprcxhen zu hal^. 

Habe ich Ihnen einmal die Geschichte Emilies und des Herrn de SainUC^r er- 
zählt? Hätte ich Emilie noch hier! Aber ich weiß nicht, m welcher entl^enen 
Gegend Frankreichs sie sich verborgen halten mag. 

Herr de Voisenon an Müe. Eugenie ChabertT 

Chateau Toumay, April 1 750. 
Liebe Freundin, der Vicomte de Palafoy 18 Jahre alt. Sie seu^ zäMen 26. 
Sollte eine so kluge Frau, wie Sie sincl, die so viel gesehen hat, nicht wissen, 
welcher Art die Liebe des Jungen Mannes üt, welcher Art Ihre eigene Zimeigung 
sein kann? Lassen Sie uns sprechen als die zwei Erfahrenen der Liebe, die wir 
sind; der Jüngling ahnt in Ihnen das Wdb, das ihn bilden kann, das den dop^ten 
Reiz von Gäebter und Mutter auf ihn ausübt Er üt gut, vornehm und un- 
schuldig/ er versteht den Zug der Natur nicht zu deuten; das üf die Sache der 
Erfahrung, i^ Ihre Sache, liebe Freundin. Können Sie glauben, daß seine Be- 
ziehung zu Ihnen auch nur wenige Wochen das Angesicht behalten kann, das sie 
jett hat das neue und ersehnte Angesicht, das sie in den ersten Tagen des Tau- 
mels erfüllter Liebessehnsucht haben wird? M seine Natur vornehm imd gut und 
iit seine Jehige Verfassung nicht durch bloße Zufälligkeiten eines behüteten und 
zurückgezogenen Lebens in der Provinz verursacht so wird er durch Sie aus dem 

ß igling ein Mann werden und muß dann seine Neigung einem unberührten 
ädchen zuwenden, das in ihm den Geliebten und Vater sehen wird. Um Ihre 
neue Ausdrucksweise zu gebrauchen; so tugendhaft wie seine Jefeige Liebe zu 
Ihnen wird dann seine neue Liebe sein, denn er folgt einem durch die Menschen 
veredelten Triebe der Natuir 

Möchten Sie wünschen, den heute noch Unerfahrenen durch ein unlösliches Band 
an sich gekettet zu haben, seine Vorwürfe zu hören, denn wenn er ein Mann wird, 
muß er die Ihnen machen/ Ihre eigenen Vorwürfe zu übertäuben/ unglücklich zu 
machen und unglücklich zu sein? Ich glaube. Sie sind zu klug, eine sol^e Tat zu 
begehen, und wenn Sie vielleicht auch nicht Güte des Herzens haben, so haben Sie 
doch die wertvollere Güte des Verstandes, die Ihnen eine solche Schlechtigkeit ver- 
bieten wird 

Aber ich weime Sie auch vor anderem. 

Frauen sind in der Liebe immer klüger als wir Männer, so lange es sich nur um 
Gefühl und Empfindu^ handelt/ aber sie werden törichter wie der törichtste Mann, 
sobald die bürgerliche Ordnim^ der Licbesbeziehimgen in Frage kommt Sie haben 
alle recht in ihrer Klugheit; in ihrer Torheit haben die Geringeren noch mehr recht 
denn die i^ ihnen eine wichtige Waffe im Lebenskampf, der für die Kleinen Ja nun 
einmal den Lebensinhalt bildet Wenn ich von unserer Beider Beziehung sprechen 
darf, Sie begannen mich nicht mehr zu verstehen, als ich das von Ihnen verlangte, 

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was Sie nannten: »ein Opfer bringen«. Ich habe mich beschießen, denn ich bin stolz 
und wei^, was meine Liebe wert i^, daß sie reichlich auch das aufwiegt, was Sie 
Opfer nannten/ denn wenn ich liebe, so will und kann ich geben und brauche nicht 
zu nehmen/ wo die Hand nicht au^estredct i^ zum Nehmen, wo sie geballt iü 
zur Verteidigung, da freilich ein Geben nicht möglich. 

Dieselbe Torheit die Sie mir zeigten, zeigen Sie nun auch dem Vicsomte. Liebste, 
Liebste, sind Sie denn so wenig, daß es erstrebenswert für Sie ül, mehr zu sein? 
Sie wollen Vic:omtesse werden, Schloßherrin, reich, und den ganzen Traum einer 
kleinen Grisette zur Wirklichkeit machen. Es i^ also nichts, eme in ihrer Art ein- 
heitliche Persönlichkeit zu sein? Der junge Mann stammt aus einer vornehmen 
Familie/ er muß eme Frau vornehmer Abstammung haben, die von seinen Standes- 
genossen anerkannt wird, in ihre Lage hineingehört ihm nachfolgcberechti^te Kinder 
gibt und die nach den Anschauungen und Bedürfnissen ihres Standes erzieht Eine 
solche Frau wird auf Grund ihrer Eigenschaften und ihrer gesellschaftlichen Stel- 
lung geachtet Werden Sie nicht geachtet auf Grund Ihrer Eigenschaften und Ihrer 
Stellung In der geistigen Gesellschaft? Würden Sie es nicht töricht finden, wenn 
eine Dame aus den vornehmen Kreisen, bloß weil sie Ihre Stellung wünschens- 
werter findet wie die, zu welcher Natur und Gesellschaft sie bestimmt haben, das 
werden wollt^ was sie sind? Und Sie wollen werden, was jene üt? lene könnte 
nicht unglücklicher werden ab Sie. Oder meinen Sie, daß die Schloßherrinnen 
glücklicher sind ab die Schauspieleritmen? Ich habe das Glück als Regel nur ge- 
funden bei den körperlich schwer arbeitenden und sich den Tieren nähernden Men- 
schen/ als Ausnahme in den Kreben, welchen Sie angehören, wo man die Kun^ 
versteht sich vorzulügen, was man will, und für den Augenblick zu sein, wer man 
will/ und nie fand Ich es In der höheren Geselbchalt Haben Sie sich das nie klar 
gemacht?: Je höher Einer steht desto mehr sieht er, desto mehr muß er wünschen, 
desto mehr bleibt ihm unerfüllt — desto wenber bedeutet ihm eine Erfüllung. 
Wenn meine Worte Sie überzeug haben sollten, so werden Sie vielleicht auf einen 
neuen Weg für Ihre Wünsche kommen. Denn Sie lieben den Vicomte. Wollen 
Sie ein freies Herzensbündnb mit ihm schließen und woüen Sie ihm gewähren, was 
Sie mir versagten? Ich verstehe durchaus, daß Ihre neue Neigung s^ker sein muß 
ab die Neigung, die Sie zu mir haben konnten. Ich sprach zu Ihrem Verstand, zu 
Ihrer Phantasie, mit mir lebten Sie in jenem Krds, der bis zu einem gewissen 
Grade — nämlich soweit die schausmcierische Darstellung Kun^ bi — cIct Krcb 
bi, in welchem sich Ihre höchsten Empfindungen bewegen. Aber der Vicomte 
spricht zu Ihrem Herzen, m seiner Gegenwart kann das tiebte Menschliche m 
Irmen warm überströmen, das in meiner Gegenwart erstarren mußte. Er kann 
Ihnen Kind sein/ Ich war Ihnen immer Lehreir 

Sie flössen, daß mich selb^ nie ein Leiden abhalten würde, wenn Ich meine Seele 
bereichern kann/ und ich kann Ihnen nicht raten, was für Ihr kleines Wohlbefinden 
^t bi/ dazu schähe Ich Sie zu sehr, halte ich Sie zu sehr für meinesgleichen/ Ich 
kann Ihnen nur raten, was ich selb^ tun würde. Das i^: Geben Sie sich ihm hin. 



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madioi Sie ihn ganz glüddidi und suchen Sie jedes Glück, das Sie mit ihm haben 
können/ indem Sie wissen, daß er in kurzem Sie unglücklicher machen wird, als 
jemals ein Mensch Sie gemacht hat/ denn Sie können ihm mehr geben, als Sie sonü 
jemandem geben konnten, und deshalb wird nachher seine Lindüikbarkeit die größte 
sein, Ihre Leere die vollständigste. 

Aber mu^te ich Ihnen das alles sagen? Haben Sie das nicht alles vorher gewußt, 
wollten Sie nicht nur, nach Prauenart, eine Bestätigung oder — einen Vorwand zur 
Blindheit? Wird Ihnen diesen Vorwand nicht mein Bnef dennoch verschaffen, denn 
er i^ ja der Brief eines Verschmähten? 

Was üt das für eine Geschichte von Herrn de Saint»Cyr und Emilie? Es lebt in 
meiner Nähe ein Ehepaar dieses Namens. Ich lernte den Herrn auf der Jud 
kennen, als ich bei der Pirsch durch Unkenntnis in sein Revier geraten war. E 5 k 
beiden scheinen sehr liebenswürdig/ nur i^ die Frau wohl etwas gedrückt, viel« 
leicht, weil die Ehe kinderlos i^. Der Mann gibt sich viele Mühe, sie zu erheitern. 
Sie haben ihr Gut vor etwa zwei Jahren gekauft, und es kennt sie sonü niemand 
von dem umwohnenden Adel. 



Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Voisenon. 

Paris, Mai 1 7|jo. 

Lieber Freund, Sie haben mich freilich nicht geschemt in Ihrem Brief, und vielleicht 
haben Sie nicht bedacht, da$ Sie ihn an eine Frau schrieben. Gestehen Sie nur: 
wr Frauen mögen unsere poffe Torheit haben/ aber es wirklich klug, den 
Schleier, den die Natur selbig uns treibt über manche Empfindungen zu decken, 
unbarmherzig zu zerreiben? Wäre es nicht möglich, d^ diese Empfindungen da« 
durch etwas anderes würden, als sie waren und m Wahrheit sein müssen? Sie 
nennen den Schleier vielleicht Lüge: üben Sie darin nicht Rache an der Liebe? Ich 
habe nicht gedacht, was Sie aus^rechen/ nachdem Sie es ausg^rochen, mu^ ich 
es denken. Die Natur gibt selb» den Tieren in der Zeit der Li w irgend etwas, 
das nur ein schöner Schein ül, und merkwürdig! es i^ meistens das Männchen, 
dem sie diese Sorgfalt zuwendet. Sollten nicht auch die Frauen deuten und über« 
legen, und wenn ein Mann zum Dichter wird in der Zeit, da er um ein Weib 
wirbt, wie das Männchen einer Vogelart neue und glänzende Federn erhält: 
Könnte da nicht dem Weib der Gedanke kommen: das i» nur ein bedeutungsloses 
Prunken, ein Mittel, um dich für einen bestimmten Zweck gefiigig zu machen? 
Sollten wir Frauen alle so unwissend sein, da^ wir diesen Schönheiten die Be« 
deutung zuerteilten, welche sie beanspruchen: nämlich dauernd zu sein und wesent« 
liehe Eigenschaften des liebenden Mannes? O, viele von uns sind klug genug, um 
die Wahrheit zu wissen, welche sich hinter dem Schleier verbirgt, aber nur eine 
ganz Verworfene wäre so unedel, sie zu sagen. Ich will Ihnen keinen Vorwurf 
machen, denn ich wei^, daß die Männer schamlos sind, daß sie das sein müssen/ 
aber ich dachte, daß auf den höchsten Stufen der Gesittung die Männer von uns 
Eigenschaften annehmen, wie wir von ihnen/ und ich habe mich gefragt — achten 



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Sie ernsftaft darauf, was idi mich gefragt habe: ob Sie an MUe. de Villars ge« 
schrieben hätten, wie Sie an mich schneben. Ich bin nicht eifersüchtig, und ich habe 
kein Recht, eifersüchtig zu sein/ aber wenn Sie meinen Stand und meine Lage als 
nicht problematisch ^wie sie meines Erachtens sind), sondern als in ihrer Art 
gleich vollendet und selb^genügsam hinstellen wie die einer Dame aus der Ce« 
Seilschaft so mu^ ich auch verlangen, d^ Sie in entsprechender Weise Rücksichten 
nehmen, indem oie das schonen, was Sie ja in Ihrem Innern meine LebenslüK 
nennen mögen. Noch einmal: Stellen Sie sich recht lebhaft vor, wie Sie an MI1& 
de Villars gnchrieben haben würden, an das junge Mädchen von 1 8 Jahren aus 
vornehmer Pamilie, das eben aus dem Kloster gekommen üt, und das oie zu Ihrer 
Gattin zu machen beabsichtigen. Sie würden nicht gedacht haben: ich will ihr 
schreiben, was ich sdb^ tun würde, nachdem ich ihr geschrieben, was ich selb^ 
denke/ sondern ich will mir vorstellen, was sie empfinden mi^, was ein Mensch, 
der so empfindet denken und tun muß/ denn ein Mann muß Frauen schonen. 

Sie wollen Emilies Geschichte wissen/ ich will sie Ihnen erzählen/ vielleicht, daß 
Sie aus ihr lernen, was einem Dichter hätte die Natur lehren sollen. 

Sie wurde als ganz junges Mädchen von ihrer Mutter dem Leiter unserer Truppe 
vorgestclit uncfda sie eine vorzügliche Bühnenfigur besaß, nahm man sie gleich mit 
einem kleinen Gehalt an. In der Folge stellte es sich heraus, daß sie keinerlei 
schauspielerische Buabung hatte/ nicht daß es ihr an Phantasie, Temperament und 
Verstand gemangelt hätte, aber sie war durch eine eigenartige Vornehmheit ihres 
Wesens gründen und kcmnte nicht aus sich herausgehen/ Siesten einmal selb^: 
jede Kui^ steht in einem gewissen Gegensa& zur Vornehmheit/ man konnte sie 
höchstens zu Anmelderollen verwenden. Von ihrem Herkommen sprach sie nie, 
es schien mir aber, daß sie von guter Familie sein müsse. Ein geringer Re^ von 
Verm^en, der wohl ncxh vorhanden war, wurde im Laufe der Zeit ausgegeben, 
da sie mit ihrer Mutter von ihrem Verdient beim Theater nicht leben konnte, und 
es stellte sich die Notwendigkeit heraus, daß sie den Bewerbungen eines reichen 
Verehrers nachgab. Uber diese Dii^e sprach sie nie mit mir, tro&dem ich die ein« 
^e unter uns war, zu der sie ein Zutrauen gefaßt hatte. Sie wissen, wie es am 
Theater hergeht, und daß selb^ ein Mädchen ohne besondere Reize, wenn sie nur 
irgendwie mit der Bühne in Beziehung steht, auf das Lebhafteste von unseren vor« 
nehmen jungen Herrn umworben wird. Emilie scheint ihre Verehrer mehrfach ge« 
wechselt zu haben, aus welchen Gründen, i^ mir unbekannt/ jedenfalls wußten 
wir alle, daß sie in einigen Jahren durch die Freigebigkeit der Herren und ihr ein- 
faches Leben ein beträchtliches Vermögen erworben hatte. Ihre Mutter staib in 
dieser Zeit und als ich sie bei dem Begräbnisse besuchte, sagte sie mir, daß sie sich 
ein Landgut in einer entfernten Gegend kaufen woüe, wo sie niemand kenne, um 
dort ihr Leben zu beschließen. Sie haben wohl nie von ihr gehört durch Ihr ein- 
sames und zurückgezogenes Leben/ bei jedem anderen Herrn Ihres Standes und 
Alters würde es mich wundern, daß Sie Emilie nicht gekannt haben sollen. 

Herr de Saint«Cyr kam um diese Zeit nach Paris. Durch einen Zufall nahm er seine 

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Wohnung In dem Hause, wo Hmilie wohnte, nur durdi den Korridor von ihren 
Zimmern getrennt. Diese sah den vornehm aussehenden, aber sehr besdieiden ge» 
kleideten ;ungen Mann täglich an ihrem Fenster Vorbeigehen, und sein höflioier 
und achtungsvoller Gruß machte einen tiefen Hindruck auf das arme Mädchen, 
das sehr unter ihrer Stellung litt. Sie bemerkte, da$ der Ausdruck seines Gesichtes 
täglich traui^er wurde. Da er sich um die Zeit des Mittuessens immer aufsdnem 
Zimmer aufhieit und sie ihn nie mit irgend welchen Einkäufen zurückkehren sah, 
so wurde sie durch ihr Mitgefühl getrieben, ihn durch das Schlüsselloch zu beob« 
achten,- sie sah, da^ er ein Stück Brot aus dem Schrank nahm, es sorgfältig ab« 
ma^, ein Stück abschnitt und dieses dann ohne weitere Beigabe verzehrte. 

Für den nächsten Tag lie^ sie ihre Köchin etwas reichlichere Einkäufe machen und 
ein für mehrere Personen genügendes Essen vorberciten/ dann erwartete sic ihn an 
Ihrem geöffiieten Fenster, mdem sie sich an ihren Blumenstöcken zu schaffen machte. 
Er wollte mit seinem gewöhnlichen Gruß Vorbeigehen, sie redete ihn aber an, in- 
dem sie ihm scherzend vorwarf, cs sei unhöflich, daß er noch nie zu ihr gesprochen 
habe, und indem er erwiderte und sie antwortete, lud sie ihn am Ende zu ihrem 
Essen rin und drängte ihn so, daß er kommen mußte. 

Nach der Mahlzeit, als sie noch Verschiedenes geredet hatten und vertrauter ge- 
worden waren, sagte sie zu ihm: »Ich sehe, mein Herr, daß Sie sehr unglücklich 
sind, und vermute wohl mit Recht, daß Sic hier keinen Freund oder Bekannten 
haben, dem Sie Ihre Sorgen erzählen können. Deshalb möchte Ich mich Ihnen als 
Vertraute anbieten, ob Im vielleicht Sie trösten oder Ihnen son^ irgendwie helfen 
kann. Und damit Sie die Scham überwinden, welche ein Unglücklicher naturgemäß 
hat, wenn er einem Fremden sein Herz öffiien soll, so will ich selb^ mit einem 
Geständnis beginnen, welches mir viel schwerer werden muß als alles, was Sie mir 
gestehen können, denn mein Leiden i^ schwerer, als es das Ihre sem kaim: Ich bin 
ein Mädchen, das seinen Unterhalt davon hat daß es seine Ehre prdsgegeben hat.« 
Herr de Saint-Cyr erzählte, daß er ohne Eltern sei und durm die Nachlässigkeit 
seines Vormundes sein gesamtes Vermögen verloren habe. Seine Verwandten, 
die denselben Namen trügen wie er, seien sehr einflußreich am Hofe, und er sei 
nach Paris gekommen, um durch ihre Verwendung eme bescheidene Stellung zu 
erhalten. Aher da es Ihnen offenbar unangenehm sd, einen verarmten Vetter anzu- 
erkennen, so sei er bd allen entweder durch leere Versprechungen hingchalten oder 
mit peinlichen Worten entlassen worden/ und gerade heute habe er seinen lefeten 
Besuch gemacht und es bleibe ihm keine Aussidit oder Hoffnung mehr. 

Emilie dachte dne Wdic nach, dann erwiderte sie ihm: »Ein anderes Betragen i^ 
von Verwandten In solchen Fällen nicht zu erwarten, wenn man nicht ein Mittel 
besiM, um sie auch gegen ihren Willen zur Hilfe zu zwingen.« Und als Herr de 
Saint-Cyr sie fragte, ob sie dn solches Mittel wisse, fuhr sie fort indem sie noch 
mehr errötete, wie bei den Worten, durch welche sie ihm mitgetdit hatte, wer sie 
sd; »Sie müssen ihren Verwandten drohen, daß Sie sich werden durch che Not 
um Ihr Leben zu erhalten, zu einer ehrlosen Handlung treiben lassen/ und da diese, 

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weil Sie den gleidien Namen haben wie Ihre Verwandten, audi denen Unehre 
machen würde, so werden sie gewij) alles aufbieten, um Ihr gerechtes Verlangen 
zu erfüllen. Als eine solche Handlung schlage ich Ihnen folgendes vor. Ich habe 
mir ein Vermögen erworben, welches selbst für den standesgemäßen Haushalt einer 
Familie genügen würde: mein Name und meine Lebensweise sind in den Kreisen 
der vornehmen jungen Leute bekannt genug, cs genü^, wenn Sie erzählen, daß 
Sic mich kennen gelernt haben und mich hwaten woQcn, um nicht Hungers zu 
sterben.« 

Auf diese großmütige Rede Emiliens konnte de Saint^Cyr nicht mit Worten er« 
widern. Er küßte ihre Hand, die sic ihm schnell entzog, und ging. Gegen Abend 
kam er zurück und suchte Emilie in ihrem Zimmer auf. \ht traurigem Gesicht 
erzählte er, als einzige Antwort habe er vcm semen Verwandten erhalten, daß 
man ihn alsdann als einen Betrüger, der sich seinen vornehmen Namen fälschlicn 
beigelegt habe, werde verhaften und in die Bastille führen lassen. Dann fuhr er 
fort; >lch habe meine Eltern nicht mehr gekannt und war stets unter fremden 
Leuten. Sie sind der erste Mensch gewesen, der mir eine Freundlichkeit erwiesen 
hat. Ich biete Ihnen in Wirklichkeit meine Hand an und verspreche Ihnen, daß ich 
Sic lieben und ehren will, wie sic es verdienen. Wir werden Paris verlassen und 
an einem entfernten Ort leben, und mit einer Güte, welche der gleich sein soll, die 
Sie mir erwiesen, will ich mich mühen. Sie Ihre bisherigen Leiden vergessen zu 
machen.« 

Emilie antwortete ihm, daß er ihr etwas Unmögliches vorschlage, denn kein Mann 
könne vergessen, was sie bis jefet gewesen sei, und wenn er auch jc&t glaube, daß 
er mit ihr eine Ehe führen könne, wie sie sein müsse, nämlich mit Aditung und 
Liebe für seine Gattin, so werde doch eine Zeit kommen, wo er seinen Schritt be« 
reuen müsse, sie aber würde es nie ertragen können, sich als Ursache seiner Er« 
niedrigung zu fühlen, selbst wenn er ihr, wie sie glaube, nie ein Wort sage. 

Sie erzählte mir alles, was ich Urnen schreibe, mit häufigen Tränen nexh an dem« 
selben Abend und sagte, daß sie am nächsten Tage an einen Ort gehen werde, 
wo sie niemand finden könne. Am nächsten Tage kam Herr de Saint«Cyr zu mir, 
die er als einzige Fretmdin Emiliens kannte, berichtete mir ihr Verschwinden und 
teilte mir mit, daß sic ein Landgut auf seinen Namen habe überschreiben lassen, 
er war in höchster Erregung und sagte, er werde nicht eher ruhen, als bis er sie 
wieder getroffen habe. 

Nun haben sich die beiden also doch noch gefunden und sind glücklich. 

Herr de Voisenon an Mlle. Eugenie ChabertT 

Chateau Toumay, Mai 1750. 
Liebe Freundm, Ihre Erzählung finde ich erstaunlich. Gestatten Sie mir jedenfdls 
eine kleine Zurechtsefeung : ich habe nicht geschrieben, daß das Ehepaar glücklich üt. 

Ich habe immer gefunden, daß Schauspieler behaupten, gute Mensäenkenner zu 
sein, und Menschenkenntnis nennt man ja wohl me Begabung zum Mißtrauen. 

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Idi sclb^ bin Diditer, und Diditcr sind glaube Menschen — für meine eigene 
Person mißtraue ich nicht, auch Mile. Hugenie Chabert gegenüber war ich ja stets 
gläubig, ungläubig war ich immer nur gegen mich selbiT Aber wäre ich Schau» 
»ieler, so würde ich sagen: vermutlich hat Mlle. Emilie Herrn de SainUCyr das 
Suchen nicht allzu schwer gemacht. Ich habe selten einen so vornehm empfindenden 
, Mann getroßen, wie ihn: er kann unmöglich in irgend einer Lage seines Lebens, 
auch wenn er sein Teuerstes suchte, eine hervorragende Intelligenz entwickelt haben. 
Gewöhnlich verbindet die gütige Natur — auch das haben Sie ihr gewiß abge» 
lauscht! — Vornehmheit der Gesinnung mit einem Vermögen, das den Besiher vor 
den Folgen schüM/ da Herr de SainUCyr einen begabten Vormund hatte, der 
ihn sdnes natürlichen Schubmittels beraubte, so war es wohl ganz natürlich, daß 
schon sein erster Schritt ihn in eine unmögliche Lage brachte. Aber man bewundere 
die nie versagende Weisheit der Natur: sie pflanzte den Lcbenskünstlerinnen ein, 
daß sie einem solchen Manne rettungslos erbegen müssen/ ich bin gewiß, daß 
Emiüe ihren Mann bebt mit einer Lcidenschall und Aufopferung, wie nun, das 
»wie« sage ich Ihnen nicht. Sie wissen es nur zu gut das zeigen Sie' mir täglich. 
Aber bin ich ein Schauspieler? Ich bin ein Dichter: was ich eben sagte, war eine 
Verstandesplattheit Nein,Emibe i^ gegen ihren Saint»Cyr wahr gewesen/ haben 
denn nicht die Frauen ehe Begabung, immer wahr zu sein? Alle ihre Lüge — und 
sie lügen wohl immer — i^ ja nur Oberfläche, ihre Tiefe i^ wahr: auch Sie sind 
wahr. Liebste, Allerliebste! — Glauben Sie es auch? Ach, wir Dichter sind allzu 
schamhaft! 

Bekannte schreiben mir, Ihr junger Vicomte habe die Bekanntschaft von Mlle. 
de Villars gemacht. Sollten Sie nichts davon gehört haben? Ich finde eine allzu 
große Klugheit unanständig/ wenn wir cbe H^dlungen und Beweggründe der 
anderen Machen zu gut erraten, so müssen wir ihnen wohl sehr ähnbeh sein und 
nahe stehen/ ich für meine Person wünsche nicht solche Ähnlichkeit und Nähe. 
Deshalb möchte ich Ihnen nur schreiben, daß ich MUe. de Villars sehr bebe — wenn 
ich ein Ihnen nicht unbekanntes Bild brauche: sie besiht einen Teil meiner Seele, 
der Ihnen unbekannt i^. 

Wenn ich das Glück hätte, sie zu meiner Gattin zu machen, so würde ich mit ihr 
in cbesem alten ehrwürdigen Haus leben, das von tüchtigen Vorfahren gebaut i^/ 
wir würden Kinder haben, welche cbe Züge meines Geschlechtes haben, und hoffient» 
lieh keine Erbschaft von ihrem Vater, dem Dichter, überkommen, sondern Krieger 
werden und gar nicht bedeutend, wie meine Vorfahren/ ich würde tägbeh ihre Hand 
küssen, sie würde zu Tisch in großer Toilette erscheinen, und .wir würden jeder 
unsere Mauer um uns ziehen/ denn finden Sie nicht auch: man kann sich nicht mehr 
achten, wenn man zu vertraut miteinander wird/ und seine Gattin muß man doch 
wohl achten? Ich fürchte, ich habe zu viel verachtet in meinem Leben. 

Ich glaube, besonders sind es cbe Menschen, cbe durch sich {ich sage nicht: an sich) 
leiden, die sich mit andern vertraut machen. Gott schuf vielleicht das Weib, d^ 
sie zu dem Manne kommt und ihm sagt, wer er i^ Er schuf sie demnadi als 

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Scfaauspielerin. Sie ladit und zu dem Manne; Du bi^ ja nicht einsam, du 
ha^ ja mich. Aber verlefet es nimt die Scham, wenn sie mit dem Mann mit leidet, 
mehr ncxh; nur in ihrer Phantasie mit leidet? Denn ich glaube ihr ja nicht, da$ sie 
mit leidet. Sie hat da ein gewisses Land in ihrer Seele, das sie in solchen Fällen 
entdeckt Für jede neue Rolle entdeckt sie ein solches Land. Nebenbei, es fällt 
mir ein: Haben Sie ncxh Ihre frühere Auffassung von der Rolle in meinem Lust« 
spiel. Sie wissen, das an jenem Abend gegeben wurde, wo der Vicx>mte Sie zu« 
er^ sah? — 

Sie sagen vielleicht wieder; ich bin herrschsüchtig? Ich werde Mlle. de Villars nach 
meinem Willen formen, wenn ich sie heircden sollte, und ich werde auf ihre Per- 
sönlichkeit keine Rücksicht nehmen? Tiy ich möchte, da$ sie vornehm wirct da$ sie 
das Leben in Heiterkeit erträgt, dap ich sie immer achten kann/ darum liebe ich 
dieses Kindchen; ich wei^, daß sie eine Frau zu werden vermag, die ich immer 
achten kann. Und ich s^ne mich so danach, jemanden zu achten! Ich werde sie 
lieben mit aller meiner Kraftr 

Und liebe ich denn nicht Sie? Weshalb dürfen wir nicht ein Spiel aus unserem 
Leben machen, dem wir in Heiterkeit zuschauen! Ich sagte Ihnen einmal; ich möchte 
mein Gesicht in Ihrem SchoP bergen und weinen. Sie haben mich nicht verstanden. 
Ich bat Sie einmal um etwas, ^ Sie mir hätten geben müssen/ und indem ich 
fühlte; ich dürfte nicht bitten, ich mü^te nehmen/ und ich würde nehmen, wenn ich 
Sie nicht so unendlich liebte, dap ich durch die Liebe schwach bin/ — indem ich das 
fühlte, schmerzlich und nicht ingrimmig, sa^ ich: Ich habe vor Ihnen keine Scham. 
Auch das haben Sie nicht verstanden: dachten Sie etwa, ich sei Ihresgleichen? Viel« 
leicht verlangte ich zu viel von Ihnen/ Sie sollten gleichzeitig ein Stern sein, den ich 
ersehne, und eine Blume, die ich pflücke : unerreichbar und erreicht. Aber verlangte ich 
wirklich zu viel? Sollte ein Weib das nicht beides sein können? Vielleicht gerade, wenn 
sie Schauspielerin i^? Es scheint, daP Dichter leicht närrisch werden, wenn sie lieben. 
Mlle. de Villars liebt der Edelmann, Sie liebt der Dichter. Ich bin nicht stolz auf 
die Tatsache, daP ich ein Dichter bin. Sie hätten Grund, stolz zu sein, daP ein 
Dichter Sie liebtT 



Mlle. Eugenie Chabert an Herrn de Vobenon. 

Paris, Mai i y o. 

Geehrter Herr, Ihr Brief i^ mir nicht verständbeh gewexden/ nur weiP ich, dap er 
auf jeder Zeile eine Kränkung für mich enthält Aber ich verstehe je^ besser Ihr 
Lcb^; Sie hatten recht, sich von den Menschen abzuschließen/ denn ein solcher 
selbstsüchtiger Hexhmut muP Jeden zurückstopen, der sich Urnen in Güte nahen 
will. Hoffentlich kennt Mlle. de Villars nicht Ihre Pläne/ wenigstens wird sie ver« 
mudich den Gesprächen des Vkomte de Palafoy mehr Geschmack edigewinnen. 
Uber Emilie denken Sie vielleicht anders, wenn Sie den beigeschlc^ssenen Brief ge« 
lesen haben/ ich bitte Sie, ihn mir zurückzusenden. 



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Frau de Saint-Cyr an Mlle. Eugcnie ChabertT 

Chateau Annccy, Mai 1 750. 
Verehrtes Fräulein, Ihre häufig mir bewiesene Güte ermutigt mirh, nach langer 
Zeit mich Ihnen wieder zu nahen. Ich bin Emilie, das damab so unglückliche Mäd« 
chen, dem vielleicht nur Ihre Freundlichkeit und Großmut ein furchtbares Leben 
erträglich machte. Heute bin ich Gattin des Mannes, von dem ich Ihnen erzählte, 
des edebten und besten Mannes, den ich ;e sah, dem ich vielleicht nur einen Fehler 
vorwerfen kann: da^ er sich keine würdigere Lebensgefährtin gewählt hat" 

Sie haben meine Beichte entgegengenommen/ Sie wissen, da^ ich vor meinem Glück 
fliehen wollte — nur zu laut rief freilich mein Herz nach diesem Glück/ und m 
Stunden, wie diese bl, wo mein ganzes Leben wieder vor mir steht und die schöne 
Gegenwart verdeckt, klage ich oft meine Sehnsucht und Hoff^nung an, die meinen 
Gatten zu mir riefen gegen meinen Willen, die ihn zu einem Schritt führten, den 
ich nie billigen kann, auch wenn er mich namenlos glücklich machte. Seit zwei Jahren 
sind wir vermählt/ und meine ehrfürchtige Liebe bl nur grö^ geworden. 

Aber nicht im Glück brauchen wir unsere Freunde, wir haben sie im Unglück nötig/ 
und ich ahne ein nahendes Unglück. Mein Gatte hat seit einiger Zeit die Bekannt- 
schaft eines Herrn de Vobenon gemacht, der in der Nachbarschaftt begütert i^. 
Er erwähnte einmal, da^ er auch Sie kennt/ wissen Sie etwas über ihn? Ich fürchte 
von ihm, und diese Furcht bl die Ursache meines Schreibens. 

Er bl gewi^ kein guter und einfacher Mann/ nie sah ich eine so harte Selbsbucht, 
eine so rücksichtslose Verachtung aller anderen Menschen und ihrer berechtigten 
Wünsche. Vielleicht bt er nicht eigentlich schlecht, aber auch der schlechteste und 
gemeinste Mensch, den ich bisher sah, schien mir nicht so unmenschlich wie er. 
Meinen Mann hat er wie bezaubert, so da^ der nur noch mit seinen Augen sicht 
— und was sind das für Augen! Ich möchte sagen: Er sucht überall sein Unglück, 
und in seinem Gesicht steht geschrieben, da^ er es überall gefunden hat. Sichö- hat 
er nie Etwas geglaubt, nie einem Menschen vertraut, nie einen Menschen geliebt/ 
bb jett wu^te ich nicht, d^ es möglich bl, der Liebe gänzlich unfähig zu sein. 
Aber ich wei(J nexh nicht einmal, ob das alles richtig bl, was ich sage, denn er 
scheint nur aus Widersprüchen zu bestehen. Er will Kriegsdien^ nehmen, obgleich 
er stark lahmt/ nur das Kriegswesen scheint ihn zu interessieren, und wiewohl bei 
seinem Körperfehler doch eine soldatbche Laufbahn ausgeschlossen sein müjjte, 
wiewohl er schon an die dreißig zu sein scheint, erstrebt er sie doch mit aller Leiden- 
schaft, die diesem pflegmatbchen Menschen möglich bl. Für alles Gebtige bezeigt 
er eine tiefe Verachtung, und insbesondere die Dichtung scheint er geradezu zu 
hassen, obschon er ein sehr lebhaftes Interesse für sie zu bcsifeen schemtT 
Ich habe keine Kinder und wünsche nichC welche zu haben. Ich weiß genau, daß 
mein Charakter unedler i^ ab der meines Mannes, daß nur in meinem Gefühl 
zu ihm das Gute, dessen ich fähig bin, zutage kcMnmt, vielleicht auch sogj^ eibi 
gebildet wird/ und ich würde unsagbar betrübt sein, wenn unsere Kinder Eigen- 
schaften von mir hätten, nicht ganz Abbilder meines edlen Matmes wären. Durch 

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einen UMlüdUichen Zufall kam das Cespradi auf Kinder, und statt midi zu sdionen, 
statt auf eine Ablenkung einzugehen, die idi versuchte, stellte er die unerhörtesten 
Behauptungen auf: nur als Mutter werde das Weib liebenswert, nur gegen ihre 
Kinder zeige sie ihre Schönheit, und man müsse ein Weib hassen, das keine Kinder 
gebären könne. Als ich weinend aufstand und mein Mann einige verlegene Worte 
sprach, entschuldigte er sich und sagte, er habe nur mit Worten gespielC und seine 
eicene Ansicht sei vielmehr: nur die kinderlose Frau könne ehe Freundin des 
Mannes sein und ihn in seinem Wesen ergänzen, und er^ durch eine solche Be> 
ziehung entstehe ein vollkommener Mensch. Ich konnte mich nicht halten und rief 
ihm zu: »wer nicht an das Gute glaubt, der wird es nie erleben.« Er verbeugte 
sich und s^e ironisch: »Sie haben recht.« 

Schreiben Sie mir, ich bitte Sie flehend: wer i^ dieser Mensch, wie kann ich mich 
vor ihm schütten? Er macht mich selb^ unsicher. Ja, ich wünschte, daß mein Gatte 
mich linden möge, ich betete zu Gott, daß er seine Schritte zu mir führen möge/ 
aber ich schwöre es Ihnen: ich bin ihm nicht en^egen gekommen. Seit dieser neuen 
Bekanntschaft muß ich immer über mein Leben nachclmken, und überall finde ich 
Grund, mir Vorwürfe zu machen. Ja, bei seinem spöttischen Blick glaube ich nicht 
mehr an das Gute in mir selb^z das Einzige, was er mir nicht rauben konnte, i^ 
der Glaube an meinen Mann: aber ich fürchte, ihm wird er alles nehmen. 

Herr de Voisenon an Mllc. Eugnie ChabertT' 

Chateau Toumay, Mai 1 750. 
Den Brief von Frau de Saint»Cyr sende ich Ihnen mit verbindlichstem Danke zu- 
rück. Ich habe in demselben freilich keine Veranlassung gefunden, meine Ansichten 
über die Dame zu ändern/ indessen hat mir aber mein Porträt, das er enthielt, 
große Freude gemacht Man erfährt doch zu selten, wer man eigentlich iit. Be- 
sonders interessierte mich der Bericht meines indiskreten Gespräches über Kinder, 
das ich, wie Sie sich wohl gedacht haben, aufbrachte, um zu erfahren, bei welchem 
Teil der Ehegatten der Vunsch der Kinderlosigkeit vorhanden i^. 

Ihrem eigenen Briefe habe ich natürlich nichts hinzuzufügen. Nur möchte ich doch 
noch einmal von der Beziehung Ihres jungen Vicomte zu Mlle. de Villars sprechen. 
Ich schreibe sehr em^/ hielten mich nicht zur Zeit ganz dringende Geschäfte hier 
fe^, so würde ich nach Paris reisen: Wenij;stens diese Angelegenheit wird mir nicht 
zum Lustspiel in meiner Empfindung. <Sie wissen, ich habe eine unüberwindliche 
Neigung, das Tragische komisch zu finden: möchten Sie nicht die Colombine in 
meinem nächsten Lustspiel spielen? Es heißt »Der verliebte Dichter«.) Also: Sie 
werden nicht verstehen, was ich schreibe, vielleicht werden Sie es wenigstens fühlen: 
Ich hasse die Unvernunft, ich hasse die Unsittlichkeit, und ich bin an beide gekettet 
durch meine dichterische Begabung,- ich hasse diese dichterische Begabung, cienn sie 
macht den Menschen zu ihrem Wo'kzeug, der sie besittt, sie zwin^ ihn zu Dingen, 
die er nicht will und nicht darf/ ich hasse eine unvernünftige und unsittliche Leidm- 
schaft; die dem Manne vorgaukelt, er werde ein vollkommenes Wesen er^ durch 

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eine notwendige Brgänzung. Idi will eine vernünftige und sittlidie Leidensdiaß, 
bei der idi fra bin, unabhängig von einem anderen Menschen, von einer Mauer 
umgeben. mein ^Ue weniger mein Selb^ als meine Begabung? Mdne Be- 
gabung 1^ es weniger, denn mein Setbit üt nicht unvernünftig und nicht unsittlich, 
lit nicht unterjocht durch etwas Fremdes, sondern iit frei — frei, hören Sie Hugenie? 
Ich habe mich sehr töricht gegen Sie benommen — Sie meinen, weil ich töricht bin? 
Glauben Sie, ich weij) nicht, wie man ein Weib nimmt? Glauben Sie, ich wu^te 
nicht, wie ich Sie hätte nehmen können, da$ Sie willenlos mir gegenüber würden? 
Aber ich streife da an Dinge, die in Wcdirheit verhüllt werden sollen/ denn wer 
auch die beiden Menschen sein mögen, es iit etwas Heiliges um den Augenblick, 
wo das Weib, das so lange verweigert hatte, begehrt Seien Sie nicht wieder klein, 
werden Sie nicht gekränkt darüber, da^ ich den Augenblick empfanci ihn nicht be» 
nubte und Ihnen das je&t sogar nexh sage/ es ging Furchtbares vor in mir, ich 
liebte Sie zu sehr und ich hapte meine Leidenschaft/ Sie hätten mich damals schonen 
müssen, schonen Sie mich wenigstens j^tT 



Mlle. Hugenie Chabert an Herrn de Voisenem. 

Paris, Juni 1 750. 

Geehrter Herr, ich fand gestern bei mir Ihre Karte vor. Wenn Sie wünsoien, 
wegen der mir zugewiesenen RoOe in Ihrem neuen Lustspiel mit mir Rücksprache 
zu nehmen, so erwarte ich die Hhre Ihres Besuches, zu dessen Annahme mich mein 
Beruf verpflichtet, morgen zu der Ihnen bekannten Stunde. Sollten Sie wegen der 
Verlobung von Mlle. deVillars mit Herrn Vicomte de Palafoy Näheres von mir 
zu erfahren wünschen, so muß ich Ihnen schon jefet mltteilen, daß die Nachricht mir 
selb^ eine völlige Überraschung war* 



Herr de Vobenon an Mlle. Hugenie ChabertT 

Paris, Juni 1 750. 

Liebe Freundin, ich liebe Sie mehr, ab ich Sie je geliebt aber ich sage Urnen Lwe« 
wohl. Wenn ich nur an Sie denke, so fiihle ich Glück, aber ich muß mich von Ihnen 
trennen. Alles war ja Glück, was vem Ihnen kam, auch das, daß Sie ein Glück 
für mich zerstörten. In Ihnen habe ich mich vergessen, und mein ganzes Leben habe 
ich mich danach gesehnt einmal nur ein einziges Mal mich zu vergessen, mich, diesen 
grausamen Tyrannen, der mich cpjält seit meiner frühesten Kindheit Wissen Sie 
noch, im Vorfrühling, im Anfang des März, ab das verwesende Gras noch auf 
dem Rain lag und noch keine jungen Spifeen waren, da sagte ich: >Ich habe keine 
Scham vor Innen« / ich weiß nicht ob im es damab nicht im Haß sagte, und sicher 
habe ich Sie später tief gehaßt darum, daß ich das einmal sagte/ abo- gestern, ab 
wir uns trennten, ab idi Ihre dunkle Trrope lebe tastend Itoabstieg, vorsichtig 
tastend Ihre Haustür aubchloß, um den Pförtner nicht zu wecken: da erinnerte ich 
mich plö&lich an diese Demütigung, diese tiefste Demütigung, die ich je erlitt/ und 
ich war Ihnen dankbar dafür uncT empfand Glück/ denn iä hatte mich verloren, 
selig verloren, \rie eine Welle im wogenden Meer, mein Ich war weit geworden. — 



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Idi habe mein ganzes Leben dem SdiidCsal geflucht, das mich zum Dichter machte, 
denn mir war die Kun^ eine Qual, eine Krankheit, an der ich litt, ein Alb, der 
mich bedrückte. Gestern empfand ich es, da^ es ein Glück sein kann, ein Dichter 
sein das Glück, das höchste Glück. Ich wollte nicht mehr Welle sein, ich wollte 
das ganze Meer sein, alles ^iegeln: den blauen Himmel, den Mond, die Sterne, 
Ufer mit Bäumen und den Zug der fliehenden Kraniche, alles spiegelnd in meiner 
Tiefe bergen, eine Insel schaflien und die schmeichelnd umspülen. Meine Bru^ hätte 
ich weit machen mögen, denn so viel Glück umschloß sie, daß sie nun alle Leiden 
umschließen woüte/ alles wollte ich fühlen, fühlend alles genießen, die Leiden nicht 
weniger als die Freuden. 

War ich einmal hart gegen Sie, war ich grausam? Gegen mich war ich es, und 
weil Sie schon in mir waren, war ich es gegen Sie. Habe ich gegen Sie gekämpft? 
Gegen mich habe ich gekämpft, die junge Saat des Glückes in mir beß ich zer« 
treten durch die rohen Hufe wilder Gedanken. Aber heute fliegen meine Gedan» 
ken wie Tauben bli&end im Sonnenschein um einen Kirchturm, und ihre erstaunten 
Augen trinken die Weite, die sonnig i^. 

Wie ganz anders i^ die Welt geworden! Ich wußte ja stets, daß sie i^, was ich 
sehe/ aber ich wußte es nur, ich glaubte es nicht Ich war ja steinern geworden/ 
als Sie mir Emilies Selbstmord er^lten, als Sie mir aus ihrem Brief vorlasen, daß 
sie sich töte, weil sie fürchte, ihr Mann könne beginnen, seine Liebe zu bereuen, 
da rief ich lachend: »Ich glaube nur dem Menschen, ich zweifle an seinen Taten, 
mißtraue seinen Worten und glaube nie seinen Empflndungim.« War das ich, der 
das sagte? Habe ich Emilies Schönheit nicht empfunden? Er^ mußte ich memcn 
Stolz vergessen, er^ mich in meiner Liebe verlieren, er^ mich des Dichters freuen, 
bis mein Herz mitschlagen konnte bei Emilies Empfindungen. 

Früher hätte ich gesagt; ein Dichter darf nicht vornehm sein, er muß ein gemeiner 
Mensch sein/ heute liebe ich den Buchenwald, in dem die Zweige sich oben ver- 
einen und eine weite Halle ded^en, die getr^en wird von befreundeten Stämmen/ 
wie heiter i^ diese leichte Halle, wie glücklich geht das Reh ^ und ich hasse den 
Fichtenwald und die starren, himmeistrebenden Stämme, die jeder einzeln sein 
wollen und sich wehren mit Nadeln, die zu einer Spilte aufragen — 

Ja, ich weiß nun, was Glück i^, und ich bin zufrieden, daß ich es dnmal erfahren 
habe/ es wäre dexh merkwürdig: älter werden, und sterben, und wie ein Farben- 
blinder sterben kann ohne zu eriahren, daß er nie die höchste Trunkenheit des Auges 
erfahren hat/ so sterben, ohne Wissen, was Glück i^. 

Ich liebe Sie, denn Sie sind großmütig/ glücklich b'm ich, daß ich Sie lieben darf. 
Wissen Sie noch, wie ich einmal weinen wollte in Ihrem Schoß? Damals hatte ich 
Kampf. Heute möchte ich weinen vor Glück in Ihrem Schoß/ so glücklich bin ich, 
daß mir mein Herz weh tut — eben tat es weh, nun aber schwebe ich wie fliegend 
in der Luit und die Erde sinkt unter mirr 

Aber ich muß Ihnen Lebewohl sagen, für immer Lebewohl. Fühlen Sie, daß ich 
muß? Ach, Sie sind ein Weib und können es nicht fühlen: Sie dürfen es nicht fühlen, 

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denn son^ könnte ich Sie nicht lieben. Käme ich nochmals zu Ihnen, öffnete Ihre 
Tür, Sie gincen mir entgegen mit Freude auf Ihrem schönen Gesicht und mit aus» 
gebreiteten Armen — dann müßte ich Sie hassen, denn ich würde mich als Unter» 
jochter fühlen/ idi würde wieder den Gedanken in mir aufsteigen fühlen, Sie zu 
töten. Fühlen Sie, was idi meine? Ich kann mich nicht deutlicher ausdrücken/ aber 
Sie fühlen ;a, denn Sie haben ;a mit mir gelitten, und daß Ihre Seele wie eine gleich» 

f timmte Saite zart mitschwang bei meinen Tönen, das war ja mein höchstes Glüdc 
äre es Demütigung gewesen? Jeden anderen Menschen müßte ich hassen, der 
mit mir litte. Sie liebe ich/ aber ich muß mich hüten, daß mein Gefühl nicht um» 
schlägt, denn ich will diese Liebe bewahren, und wenn ich ein^ weißhaarig bin und 

E ebückt, dann will ich sic noch empfinden wie heute. 

,assen Sic mich nicht auf den Gedanken kommen, daß Sie, die ich empfinde, nur 
meine Empfindung sind/ daß in Wirkbehkeit ein triumphierend lächelndes Weib 
eine sklavische Huldigung annimmt/ haben wir gegeneinander gekämpft, und bin 
ich besiegt? Ich will solche Gedanken nicht haben, denn ich will Sie lieben bis an 
das Enclc meines Lebens. Es genügt ja für mich, daß ich einmal geliebt habe, ich 
bin zufrieden, und wie ein Geizhals will ich täglich meine Geldstücke zählen. 
Leben Sie wohl — nicht um meinetwillen allein, um Ihretwillen. Ich will Sie bc» 
halten in meinem Gei^, aber Sie sollen mich vergessen/ Sie sollen wieder glücklich 
sein, wieder vergessen und wieder glücklich sein. Umarmen Sie einen neuen Vi» 
cx)mte de Palafoy/ ich freue mich bei dem Gedanken, deiß Sie neues Glück ge» 
nießen; Sie, die Wirklichkeit, nicht meine Empfindung/ denn Ihr wahres Ich i^ 
gänzlich mein Werk/ ich habe es gedichtet und behalte es für mich allein/ auch Sie 
sclb^ sehen es nie mehr. Sie, die Wirkbehkeit/ in ewiger Jugend wird es bei mir 
leben. 

Herr de SainUCyr an Mlle Eugem'c ChabertT 

Chateau Anncey, S^tember 1750. 
Verehrtes Fräulein, ich bin glücklich. Ihnen endlich durch eine kleine Gefälbgkeit 
ein Zeichen meines dankbaren Sinnes geben zu können/ meine gebebte Gattin, der 
Sie in den schwersten Zeiten ihres Läens mit solcher Güte zur Seite standen, 
dachte täglich an Sie/ und seit ihrem frühzeitigen Tode durch den cntse&bchen Un» 
fall hat sie mir Ihre Gesinnungen fa^ wie eine Erbschaft hinterlassen/ denn in 
Wahrheit hätte ich nicht Ihre tröstenden Briefe empfangen, ich wüßte nicht, wie ich 
die ersten Zeiten meines Schmerzes überstanden hätte, emes Schmerzes, der nicht 
frei von Selbstvorwürfcn war,- denn ich hätte sie, che son^ so sanft und gefügig 
war, vielleicht durch inständiges Bitten abgehalten, das unglückselige Pferd zu b^ 
steigen, dem ihre Reitkun^ nicht gewachsen wair 

Heute hatte ich endlich eine Unterredung mit Herrn de Voisenon. Auf Ihren Wunch 
faßte ich Mut zu der indiskreten Frage, was ihn, den ich son^ als spielenden 
Skeptiker kannte, als einen Philosophen, dessen freundbeher Gleichmut durch nichts 
zu erschüttern war und den gewiß nie ein Gefühl zu übermannen vermochte, dessen 

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selbstlose Güte ihm gewi^ nie erlaubt hat, irgend einem Menschen Böses zuzu« 
fügen, der nicht einmal einem böswilligen Diensd)oten ein heirtes Wort sagen konnte/ 
wenn es also weder Frömmigkeit, noch Weltüberdruj), noch Reue war; was ihn 
denn veranlassen konnte, sich dergestalt von allen Menschen zurückzuziehen und 
wie ein Asket zwischen Büchern und Papieren in einem ärmlichen Stübchen zu leben. 
Er sah mich mit einem gütigen und liebenswürdigen Lächeln an und erwiderte: 
>Wenn die Kämpfe, die wir gegen uns selb^ führen, allzu gefährlich werden, so 
i^ es gut, unserer Kriegslu^ ein neues Ziel zu sefeen.« Mehr vermochte ich nicht 
von ilmi zu erfahren. Er schien an einem großen Werk zu arbeiten/ ich sah Zeich- 
nungen von Kriegsmaschinen auf seinem Tisch/ er vermied cs aber, von seiner 
BesaiäfiSgung zu sprechen. 

Eine Weile dachte ich, da^ vielleicht sein körperlicher Fehler, der ihn verhinderte, 
nach seinem Lieblingswunsche Soldat zu werden, die Ursache zu seinem Schritt 
gewesen sei. Aber ich gab diesen Gedanken auf, als ich ihn sah, wie er mit einer 
sonderbaren Zärtlichkeit eine Rose berührte, die er in einem Blumenscherben im 
Fenster stehen hatte. Vielleicht war seine Seele zu weich geschaffen, und er hat 
allzu jugendbeh trofe seiner bereits männlichen Jahre, irgend eine zufällige trübe Er- 
fahrung mit Menschen verallgemeinert. Solche Verallgemeinerungen sind gewi^ 
ein Unrecht, das wir an der Menschheit begehen, denn im Grunde sind dom alle 
Menschen ^t, mögen sie auch oft anders scheinen/ aber wer könnte einer so zarten 
und feinen Empfindung einen Vorwurf machen? 

Daß Sie solches Interesse für den Freund von Emilies Gatten nehmen. Ui mir 
ein neues Zeichen für die reine Güte Ihrer Seele/ seien Sie versichert, daß Ihnen 
mein Herz immer erkenntlich sein wird. 



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FRANZ BLEI: DREI GEDICHTE 



PROLOG ZU EINEM MASKENSPIEL 

In allen Dingen lii dasselbe Leben, 
und alle träumen wir den gldchen Traum. 

An einem Webstuhl sifeen wir und weben 
das graue Tu<h von Zeit und Ding und Raum, 
und jedem iil die Täuschung eingegeben, 
daß er sich seinen bunten Faden spinnt 
und glaubt, er leb und sterb ein eignes Leben, 
da ich wie du und wir wie alle sind. 

Doch Wort und Schweigen lügt uns auseinander 
und macht dich fremd zu mir und mich zu dir, 
macht den zum Arlekin, den zum Cassandcr, 
zum Helden den, und den zum blöden Tier. 

Wir wissen nicht und haben viele Worte, 

wir suchen Licht und gehen in die Nacht, 

ganz müde leidet^s uns an keinem Orte, 

und wissen nicht was uns so müde macht 

In eine Laune sind wir tief beschlossen 

und drücken fe^ die Maske vors Gesicht 

das Spiel geht emä und oft iil Blut geflossen, 

und einer sagt ein rührendes Gedicht 

von Scham und Scheu und Herzen wund gestoßen. — 

So spielts mit uns, wir aber spielen nicht 

Wir haben keinen Ort und keine Stunde 

und nicht mehr Dauer als ein Traumgesicht/ 

wir sagen Schmerz, und was iit unsre Wunde? 

Wir sagen Luil, und was i^ unser Licht? 



STUMMES GESPRÄCH 

Hier i^ der Schlüssel zu der Tür. 
Schließ auf Tritt ein. Was zögert du? 
Du war^ so lange nicht bei mir, 
da stand ich immer hier 
und wartete. 

Was h^ du denn! Ach laß nur, laß! 
Es üt ja tot Ich trag es fortT 



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Es sAon ganz venrclkt und bla^ 
es dein ie&tes Wort. 

Hrkcnn^ du s nodi7 

Das hauste hier die ganze Zeit 
und lie^ mich vor der Türe stehn 
des Wartens graue Ewigkeit. 

Nun lal) uns weiter gehn, 
den lebten Weg. 

Den H^el nodt, dann i^ vorbei. 

Dann tä das Ruhen dein und mein. 

O lächle noch! Bald iiis vorbei, 

und Stern und Licht und Wort und Schrei 

hüllt schon der trübe Abend ein. 

Was lebter Frage Antwort sei? 

— Alles i^ nichts. 



SERENADE 

Hör^ du mich? Komm heraus! Horch, es singt die Nachtigall. 
Silbermonci Lindendull rinnen durch die weiche Nacht; 
und es wird mein Arm dich halten und mein Ku^ dir 
sagen, meine Allerschönste, was der Liebe Macht i^ 

Z^e nicht! Riegel auf! Liebe geht auf leisem Schuh. 

All« schlält keiner höiTs, nicht den Schritt und nicht dein Herz. 

Wie es dir so laut schlägt hör ich's bis zu mir her >- 

Komm! und mit des meinen Schlagen klopft es dann im ZweitakL 

Halt ich dich? Seligkeit! Ach du meine weil^ Braut! 

Was sag^ du? Fürchtet dich? Komm, ich nehm das Fürchten dir 
Sieh^ du nicht den Hain dort, wo der kleine Gott steht? 

Er verjagt du Allerschönste mit dem Pfeil die Furcht dir~ 



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PAUL WIEGLER: ANMERKUNGEN 

DAS BUCH DES ZWIESPÄLTIGEN. Die »Reflexionen« von Walther 
Rathenau hören sich oft wie eine Bekenntnisschrift an, ehe mit dunklem, schwerem 
Em^ dem Ideal Gefolgschaft leistet. Sie rühmen das reine Denken, das Denken 
als Selbstzweck, sie ehren Gottheit und Transzendenz und deuten die Rätsel der 
Ästhetik nach einem »Gesefe latenter Zweckm^igkeit«, das schon Dozenten in 
Unabhängigkeit voneinander gefunden haben. So sehr i^ diese Betrachtung in 
Metaphysik gehüllt, da^ uns der Verfasser kaum der sein zu können scheint, als 
welcher er durch skeptische Studien uns bekannt iil; ein Talent aus Hardens Kreis, 
an Harden gebildet, begabt mit der Lu^ am Widerroruch. Ein Partikulier, der 
fragmentarisch schreibt, überlegen, ohne Drang, der aus Frankreich, Spanien, Amerika 
Motive nahm und jefet mit der Rabbinenweisheit des Talmud sich beschäftigt, je&t 
mit Fragen des Erwerbs. Dennn er i^ <das wei^ man, seit er seinen Namen ^anz 
aufgedeckt hat) der Kopf einer Gesellschaft. Er befindet sich in den Vierzigen, 
steht in reger Tätigkeit und hat Ostafrika mit einem Staatssekretär der Kolonien 
durchfahren, dessen robuste Erfolgwirtschaft eine zeitlang im Mantel des Geistes 
Argwöhnische überrumpelte. 

Der Autor der >Reflexionen< i^ <wenn wir den befremdenden Eindruck ergänzen, 
der uns bei der Sprache der Gedanken zu beharren zwingt) sogar ein Dogmatiker 
des Rassendualismus. Er wendet den Begriff der Polarität, des dynamischen Gegen- 
teils, auf die Menschen an, die er in Menschen der Furcht sondert und Menschen 
des Mutes, in zweckhafte und zweckbefreite. Hier i^ es, als seien ihm Gei^, Zweck 
und Furcht identisch. Das verborgenste Problem Niefesches meldet sich, der trofeend 
den Gei^ Leben nannte, das ins Leben schneide. Aber die »Reflexionen« hul- 
digen vertrauend dem Geiit des Starken. Sie bewundern seine Entschließungen, 
»die, wie von einem Gotte diktiert, unanta^ar wie die Wahrheit selb^ hervor- 
brechen«. Sie glauben an sdne Innigkeit, sein Gemüt, die Frömmigkeit seines 
Herzens, an Größe der Einfachheit und Ebenmaß. Sie stellen die naturbegeisterten, 
ethischen, transzendenten, enthusiastischen Mutvölker den Furchtvölkem en^egen, 
den Schwachen, die durch Klugheit erobern, den Kainssöhnen, den Sklaven. Auf 
den Scheitel der Adligen häufen sie den Glanz der Welt. Hinfort wird man 
Raflienau der Schule der Woltmann und Driesmans einzuordnen haben. Er ver- 
weilt bei physiognomischen Merkmalen, bd den Löwennasen der Mutinenschen, 
den Affennasen der Furchtmenschen, zu denen er die entschwundene Sippe der 
Satyrn zählt, bdm schwärzlichen Urbewohner Sokrates, dem »fromm gewordenen 
Mime«, dem der ritterliche blonde Phanta^ Platon sich unterworfen habe, bd der 
herkulischen Kindhdt der Arier und bd der »Nordifikation<, der Zuchtwahl unter 
schärfsten Bedingungen. Eine lefete Aristokratie der Nationen wünscht er, die, ehe 
die Idee erlischt, nochmals die demokratische Kosmcjpolitie, die Gemeinschaft der 
Klugen, überwältige: »Sie selb^ werden dann die versprengten Nachkommen jener 
Menschen zu sammeln und zu erhalten suchen, die ein» das lensdtige auf die 
Erde herabholten, der Menschen ohne Zweck, Furcht und Tacld.« Die Scham- 

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haßigkdt der Dcufsdien hat Rathenau verführt. Und so liebt er ihre angestammte 
Kun^, die Kun^ ihrer Vergangenheit Er betet zu den Meistern des Center 
Altarbilds, und er zweifelt, ob die Kun^ Grö^e wiedererlangen könne. Ein 
Gegenstand des Spottes sind ihm die Armut der Talente, die in der heutigen 
Massenkultur aultauchen, und die Programme der Sezessionen. Er verschmäht 
die Literatur der Schwachen, die Literatenliteratur, etwa wie Horacc Walpole den 
Voltaire, Hume, Lyttleton und Grenville den Sämann vorzog. 

Indessen man wäre falsch beraten, wollte man die »Reflexionen« nur bis dahin 
lesen. Ohne übergroße Geduld dringen wir, nach solchen Eingängen, zu ihrem 
Wesen vor. Sie verraten sich, während sie ihre Unsicherheiten als ebenso viele 
Sicherheiten vortragen, durch ihre Sensibilität, ihre eingestreuten Analysen und 
durch oflenes Geständnis. Sie greifen an, sie fordern, nur um sich zu verteidigen. 
Sie bedienen sich des Rüstzeugs der Klugen, der Schwächlinge, von deren Gemein- 
schaft sie sich lossagen, sie sind das Wort eines wachen, sAnsüchtigen, im tiefsten 
Grunde jüdischen Intellekts, ein Wort aus einem »temple desaffecte«. Und mit ge- 
spannter Auhnerksamkeit wird man dieses Doppelspiel im Helldunkel begleiten, 
den Dialog eines Heimatlosen, der seine dgene Herkunft, seine eigene Entwicklung 
in die Formeln bringt: »Niemals haben Zweckfreie aus Gd)urt so lautere Trans- 
zendenz gelehrt wie Zweckfreie aus Kontra^ und Renegation.« »Es gibt Men- 
schen, bei denen ehe Erfahrungsreihe der Ahnen, die sich im Instinktiven äußert, 
plöfelich aussefet, gleichviel, ob hier in der Erblichkeit eine Lücke eintritt oder ob 
der überlieferte geizige Vorrat vernichtet wurde, ja durch Selb^zucht vernichtet 
werden mußtet« Auch Raflienau i^ geblieben, was er im skeptischen Anfang war: 
ein Entwurzelter. 

Persönlichkeiten wie er bestätigen, welche neue, feinere Gesundheit, welch neues 
Leben einem unruhigen Deracine, einem Menschen des gemischten Blute, der ge- 
mischten Kultur, erlaubt i^. Sein Buch i^ zugleich ein Buch der Rechtfertigung für 
gerade diejenigen Funktionen, die sowohl den Sinn der sagenhaften Germanen als 
die spifee Dialektik der ererbten jüdischen Religion verdrängt haben und das Deutsch- 
land der Gegenwart bestimmen: für die politische und wirtschaftliche Organisation, 
für die Strateie des »Geschäfts«. Zum erstenmal in Deutschland Uf hier eine 
kommerzielle Philosophie, an distinguierter Kühle den Briefen Chesterfields ähnlich. 
Der Herold der »Nordifikation«, der »Royali^ aus Abneigung«, schildert das 
physische Leben der Unternehmung, die Tragödien des Wachstums und der An- 
erkennung, welche »einen Hartgewordenen trifft, der sich um die Meinung der 
Menschen nicht mehr kümmert«. Er treibt PsyAologie der Angestellten, Psycho- 
logie des brieflichen Verkehrs, Psychologie der Ubertetung. Er bietet die Schluß- 
glieder ökonomischer Gedankenketten, Glossen über die englische Industrie, den 
Segen der Not, über den Besifr als das Recht zu beseitigen, über die Selektion der 
Talente, deren Befreiung die Gesellschaft fördern müsse, um sich nicht Legionen 
von Feinden zu schaffen. Er erforscht die Phänomene industrieller Krisen, mit 
der Klarheit eines Staatsmannes, eines zur Regierung Erkorenen. 

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In dessen Beruf hat der Skeptiker Rathenau in Ostafrika dilettiert. Nicht an die 
eallischen fenniers>gaicraux, sondern an dieRedienzimmer der englischen Handels« 
Kompanien erinnert die Situation: Rathenau und der zum Staatssekretär erhobene 
BanKdirektor Säfee über die Vertraltung der Kolonien »in langen Stunden des 
Wechselgesprächs« prüfend, Rathenau das Ergebnis in einem privaten Weißbuch 
skizzierend. Die Aussichten der Neger erörtert er, der Plantagen, der Eisenbahn^, 
mit nur einem Re^ von Koketterie. Und nur ein leiser Rückfa^ iil, daß er in seine 
Argumentation über wirtschaftliche Notwendigkeit des Kolonialsystems die Klausel 
einrückt; »wenn man von transzendenten Momenten absieht«. 

Das Wertvollste: der aphoristische Gehalt des Buches, das desillusioniertc und 
denncxh illusionssüchtige, kleine »Philcjsophem« als des Verfassers Siegel. Er 
spricht von der Schweigsamkeit der Natur, die uns davor bewahre, der Macht 
ihrer Erscheinung in jeder Stunde zu erliegen, sa^ antimetaphysisch, daß »nur 
etwas Begrenztes vollendet« i^, »rieht von der Musik, von der Verantwortung 
des Individuums für die Welt, von Vergänglichkeiten, vcjm Schmerz, von der Sug- 
gestion der Lyrik, von Charakter und Leidenschaft, die, wie die Flamme, »nur in 
der Verzehrung beglücken«. 

Ein Komplizierter, nicht stätig und dadurch sehr reizvoll. Und wie die kleine Szene 
aus dem Staatsrat Napoleons, hinter den grüngoldnen Flügdtüren, beweist, ein 
Arti^ mit ungenufeter, aus innerer Hygiene zurückgedrängter ProduktionsfähigkeiL 

DIE KÜNSTLICHE SPRACHE. In Dresden sollen jefet I^genie und Ore^ 
als schlotternde esperantistische Lemuren über die Bühne des »Kega Operdomo« 
huschen. Ein Schauspieler, der den Buddhismus abgeschworen hat, iü der Impre- 
sario. Vor Deutschen wird die atmende Weimarer Griechin, die niemals Griechin 
war und der bezauberndste Protei gegen zeitlosen Humanismus, mit den Worten; 
»Auskultu mi devenas deTantalo!«, in einem Idiom, das, halb portugiesisch, halb 
slovenisch, von einer delirierenden Sprachlehrerin ausgeschwifet scheint, sich dem 
Thoas erö&en. Desgleichen soll irgendwann der »Hamlet« im Bette dieses Espe- 
ranto zerbrochen werden, das »lingvoinstruado« und »pripensuado« reimt. Es iil 
gierig nach den Wirkungen der Poesie, statt in den Übertragungen der Vorschriften; 
»Nicht hinauslehnen!« und »Nicht inden Wagen spucken!« seinen Stolz zu sehen. 
Die Götterdämmerung der Literaturen beginnt. 

Die Sekte, die dn unlütiges Surrc^at für Sprache mit dem Apparat desVerdns- 
zdtalters, Journalen, Kongressen, Resolutionen, Sammlungen bis zu diesem Punkt 
gebracht hat, i^, wie alle Sekten, schon von häuslichem Zwi^ erfüOt. Neben dem 
»Esperanto« des Doktors Zamenhof aus Bialvstock i^ eine »Linguo intemaciona« 
entstanden, wdche die Esperantisten des verkehrten Gebrauchs vcjn Grammatik- 
formen und Suffixen beschuldigt und für sich selb^ die reineTradition in Anspruch 
nimmt. Athemasianer und Arianer wüten. Es vollzieht sich, was das Schicksal der 
Wdtsprachc werden mußte : der Zerfall in Untercoterien und bald in ebenso vidc 
neue Nationalsprachen. Soll man er^ noch konstatieren, weshalb diese ganze 

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Farce sich selber riditef? Daß sie <was Mauthner gezeigt hat) vom Gehirn, von 
der Muttersprache ihres Erfinders, von vagen Reminiszenzen beeinflußt wird, ganz 
wie Zamenhofs Vorläufer, der Pfarrer Schleyer, sein mysteriöses Volapük nur 
durch Verstümmelung des englischen »world-speakc gewann? Es i^ nicht aus- 
zudenken, wie das Antlife der Welt geworden wäre, hätte der Pariser Plakat- 
schreiber Bolack mit seiner >langue bleue« über die Völker gesiegt Der Wahn 
der künstlichen Sprachen wird von einem Professor der Chemie unterstüfet die, um 
ihr System auszubauen, der abenteuerlichsten WorfleviaChane nicht entraten kann, 
und er i^ würdig einer Epoche, die mit Kontraktionen aus ersten Buchstaben, mit 
industriellen Absurditäten wie »Damuka« ihr Schöpfertum affichiert 
Nexh mehr verbirgt er. Nicht bloß die Schwärmerei des neunzehnten Jahrhunderts, 
die, ehe Bismarck den wahren Willen der lebenden Deutschen verkörperte, Taine 
die »volonK reelle des Fran;:ais vivants« belauschte, vem einer Völkerfamilie mit 
einem Stammbaum der Sprachen träumte. Nicht bloß die Scholastik der Revo- 
lutionsgesellen, denen in ein paar leeren Worten, den Thesen über die Menschen- 
rechte, der Morgen des Menschheitstages dämmerte. Die künstliche Sprache i^, 
wie der künstliche Mensch, ein Erbe der Utopisten. Für »Notbremse« »Alarm 
haltigilo« sagen zu dürfen, bereitet den Esperantisten die schlaffe Genugtuung, die « 
Campanella empfand, als er das Oberhaupt des Sonnenstaats Ho taufte, seine 
Gehilfen Po <Macht), Sin ^Weisheit) und Mor (Liebe). Die schlaffe Genug- 
tuung, derentwegen Vairasse d'Allais die Geschichte der Prestaramben, Struka- 
ramb^ und Sweramben, Fontenelle die Satungen der Minchrists und der 
Minchiskoa niederschrieb. Es i^ der Hang lallender Kinder, ein atavistisches 
Symptom, dessen Erneuerung uns wohl schwanken läßt, ob Ren ans Tro^: »II y 
aura eu de Tavantage ä passer sur cette plante le plus tard possible« gültig üf. 

DIE ROMANTISCHE LIEBE. Ein Mordprozeß aus der Sphäre der kleinen 
Bürger hat damit geendet, daß das angeklagte Mädchen, die Tochter eines sächsi- 
schen Bürgermeisters, zum Tode verurteilt wurde. Es hat den Bräutigam erschossen 
und dessen Testament gefäbcht, um einem amant de cxjcur, einem tenebrösen jun- 
gen Kaufmann, nach verbotener sinnlicher Beziehung in legitimem Glück zu ge- 
horchen. Die Delinciuentin hat so wild gehandelt, so wenig sich versteckt, üt so 
naiv gewesen, daß man, der becpiemen Orthodoxie der italienischen Schule sich 
überlassend, mit gefeiter Entrüstung sie eine geborene Dirne gescholten hat. Der 
Fall i^ darum typisch, weil er wiecl^m nahe legte, d^zwisdhen der Gesellschaft 
und der explosiven Logik solcher Morde es keinen Waffenstillstand gibt, daß Un- 
vereinbares gegeneinander stürmt. Zufälle senken, wenn die Opfer liegen, die Wage 
nach der Schale entweder der Sühne hin oder der Sentimentalität, die, weil alfc 
Wissenschaft heißt als »Pafliologie« heute maskiert wird. 

Der Fall yt im besonderen ein Beitrag zur Chronik der romantischen Liebe. Dieser 
entarteten Bürger&au war die unerwiderte Leidenschaft, die sie zum Abgrund riß, 
und deren Konseejuenzen sie wehrlcTS erfüllte, beseligender, essentieller Inhalt Sie 

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hat, eine >Ver<latn]nte«, den amant de coeur, da sie reli^ösen Trieb hatte, unter 
der Pastoralen Metapher des »verlorenen Sohnes« gesehen. Er war ihr ein An- 
tony, da er Untersduagungen begangen hatte. »Ich liebe dich«, beteuert sie ihm, 
»wie ncxh nie ein Weib einen Mann geliebt hat« Die Lüge, mit der sie einen 
Selbstmord jenes vermögenden Bräutigams erklären wollte — die Lüge von Leo- 
nore Veroni, die, ihrer toten Schwester Rächerin, in düsterer Qualehe um der 
Mission willen den Beischlaf nicht gestattet — iit ein romantisches Paradigma. Es 
auszuschöpfen, halte man sich an das Quartett von Venedig, die Tamowska 
zwischen ihren Liebhabern Komarowski, Prilukow und Naumow. Nur daß dort 
die Madonna della Salute und die Paläste der Cappello und Falieri im Imter- 
grund leuchteten und der Canalc Orfano flo^, während bei dem fait divers aus 
sächsischen Stra^ die zu Grölern prädestinierte Heldin von einer Umwelt 
umgeben i^, die FlaubertS VisicMi vor der Ausmalung der »Madame Bovary« 
entspricht: »la crouleur de moisissure de Texistence des Sportes«. 

DER HISTORISCHE MOMENT, Seit Rußland auf der Basis der fünfziger 
Jahre i^ und die Westmächte Deutschland bedrücken, entrinnt Europa dem Kriegs- 
stern nicht. Plöblich kann das verjährte Ungemach wieder sich herwälzen: eine 
militärische Katastrophe, Zwangsanleihen, Kontinentalsperre, wirtschafUicher Text 
Zerrüttung. Die Optimisten werden diese Barbarei im Namen der Vernunft bemnen, 
als hätte je der teleologische Kantianismus die gegen Ihn zeugenden Gesellschafts- 
formen zu tilgen vermexht Jedoch das Seltsamste bei cbesen irrationalen Ur- 
sprüngen der Kriege üt, daß sie fa^ hinter dem Rüdten der Zeitgenossen geschehen. 
Als der Krieg gegen den mitten Napoleon losbrach, war die Ph)^IoIc}gie unsres 
Volkes nicht anders als heute. Die lachenden Siegfriede sind der Traum eines der 
Wirklichkeit Fremden. Der historische Moment i^ eine läng^ von Stendhal im 
Kapitel über die Schlacht bei Waterlcx) entÖironte, posthume Fiktion, eine Täu- 
schung aus der Distanz. In der Nähe waltet nur, was uns Lebende beherrscht: 
che Niedrigkeiten, der Lärm, der schlechte Geruch der Stunde. 



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HEINRICH LAUTENSACK: DIE lUDENTOCHTER; EINE 
NOVELLE 

I Sei fremder zu mir, fremd. Laß toten Raum 
von je&t sein zwischen meinem Atem und 
dem deinen. Denn beut wissen wir ;a kaum 
die Grenze mehr von deines Busens Rund 

zu meinen Aimen, deines Schoßes Schaum 
zu meinen Lc^en, Lefzen wie ein Hund. 

Komm mir mit Lippen, Zähnen, Zung und Gaum 
so nicht en^egen mehr! flieh mich, du Schlund! 

Drei Tage waren, daß ich dich nicht sah, 
seit wir uns kennen. Und in dieser Zeit 
grub ich drei Zeichen in die Ewigkeit, 

in den c!rei Tagen, die du mir nicht nah . . . 

Nun wieder aber stehen dir die Zifeen 
geil ab vom Leibe, spi& wie Nadelspi&en! 



II Küßt mir den Mund und saug^, ihn küssend: >Nennt 
er, den ich küsse, mich denn nie mehr wieder 
scherzend wie oft: Mein Altes Testament . . .? 

Weißt du, das singt das klingt! Wie Marsch und Lieder 

ein^ an che Mauern Jerichos, so rennt 
das wider all mein Blut! ... Ja! hier durchs Mieder 
bohrt Judenmädchenbusen I . . . Ein Perexnt 
vom Juden, Chridt, hadt auch!« 

Und ihre Glieder 

aufrauschen wie der Wildstrom in dem Walde 
in meiner Heimat Und ihr Haar i^ Sausen 
in Wipfeln. Ihre Brüste Specre. Grausen 

zielt nach mir, und ich bin gehe&tT 

>Du! Skalde! 

Barde! Sing mir des Judenvolkes Schrei, 
als ob es Ja«d in Ochns Wäldern sei!« 



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niE^ Idi den Staub von deinen Fü^en: wie 

von Wüste Staub, so sduneckt er. Und vermengt 
mit Manna mundets. Opferbluftesprengt 
audi. Deine Pü^, deine Sohlen, sie 

haben Vernarbtes, blasse Narben, die 
sind, weil der Väter Fuß ein^ ward versengt 
von gottszornglühenden Spbttem ward versengt 
aus ;enen weggesdunissenen Tafeln. Und nie nie 

mehr heilt das vollends . . . »Wie? Und euere Füjje? 

Wateten euere denn nicht in MeÖi, 

bis an die Knöchel in Hcmigbier? O Sü^ 

läng^ abgestandener Zucker! O noch weht 
mich euer Meth>Rausch an aus deinem Mund! 
dich von meinen Fü^en nüchtern und gesund!« 



rVUnd dieses Spiel, grad eh der Vorhang fallen 
mu^: 

Eine Judenwohnung. Juden an den Wänden 
auf Bildern. Aus der A^emalten Lenden 
lebendige Juden um den Tisch hier. Allen 

i^ Gleiches eigen. Und sie schweigen. Und gefallen 
sich in dem Schweigen . . . Wie soll ichs beenden, 
der ich hier steh, wie mit gefesselten Händen? 

Wie? welche Worte mir zum Wurfe ballen 

und schleudern auf sie alle? 

Da! vom Wein 

Trunkene könnten nicht so ähnlich schrein 
als die Entse&enstrunkenen hier — 

Trat ein 

die meine, durch die Tür, ganz nackt am Leibe. 

Und sang; »Ihr Judenvolk!« Und tanzte fein: 

»SO hatte Je und Je er mich zum Weibe!« 




REDAKTIONELLE MITTEILIINGEN: 

Der dritte Akt von Andre Gide's Bedisabe iil aus dem Manuskripte übertragen/ 
ein französisdier Drudt liegt davon nicht vor. — Die Originale der Bildbeigaben 
dieses Heftes befinden sich in der Sammlung Alfred W. von Heymel. Die acht« 
farbige Lithographie nach Signac's Aquarell i^ von Max Arthur Stremei. — Den 
Lesern des >H.« seien diese neuen Bücher sehr empfohlen: Walter Rathenau, Re« 
flexionen <Hirzet Berlin). R. A. Schröder, Baumblüte im Werder <Inselverlag>, 
Rudolf Borchardt, Die Villa <Inselverlag>. Strindberg, Das Blaubuch (Müller, 
München). Straparola, Die lustigen Nächte/ deutsch von H. Floerke/ mit Bildern 
von Paul Renner. Zwei Bände (Müller, München). Epigramme des Client 
Marot/ überseht von Margarete Beuder, herausgegeben von Fr. Freksa. Bild« 
schmuck von P.Renner (Müller, München. Druck in 350 Exemplaren). Cyrano 
de Bergerac, Lcs plus heiles pages (Mercure de France). Marinetti, Les Dieux 
s'en vonC d'Annunzio reste (Sansot, Paris). RudolfWilly, Die Gesamterfahrung 
(Zürich, Schulthe^). Oscar Bie, Constantia Somoff (Bard, Berlin). Elfis Bell, 
Der Sturmheidhof. Deutsch von Gisela Ehel (Zeider, Leq>zig). 

MITTEILUNGEN DES VERLAGES 

Die Lederdecken für die 3 Doppelbände (je 2 Hefte) des »H.< gelangen im Oktober 
zur Versendung an die Abonnenten der Japanausgabe. E)ie Decke wurde in der 
Wiener Wcrkstälte hergestellt. An gleichem Orte werden die Ganzleinendecken der 
Vefinausgabe hergestellt, deren Preis nunmehr gültig auf 10 Mark für die drei 
Bände des Jahrgangs fes^eseht werden konnte. 

Der Nachdruck von Stücken aus dieser Zeitschrift i^ m'cht gestattete Unaufgefordert 
eingesandten Manuskripten oder Zeichmmgen üt das Rückporto beizulegen. Sen« 
düngen sind an die Redaktion München, Hubertusstraße 1 3 zu richten. 

Der Verlag bittet um Interesse für die Voranzeigen neuer Bücher im Anzeigenteile. 



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^DEUTSCHE KUNST UND DEKORATION—' 



Hcrausjfcgeben u. redigiert von Hofrat ALEXANDER KOCH 

Illustrierte Monatshefte für Wohnungskun^, Malerei, Plastik, 
Ardütektur, Gärten und künstl. Frauenarbeiten. Reidihal^ste und 
vornehmste Zeitschrift für angewandte Kun^. Der neue Jahrgane 
brachte bisher eingehende Würdigungen von CAMPBELL U 
PULLICH, h.V. CISSARZ, FRITZ ERLER, WALTER 
GEORGI, FLORENCE I. HOESEL, JUL. KLINGER, 
HUGO LEDERER, FRANZ METZ>ffiR, KOLOMAN 
MOSER, NICOLA PERSCHEID, RIEMERSCHMID, 
AUG. RODIN, ART.VOLKMANN, OSCAR ZWINT- 
SCHER, JOS.HOF^NN, CZESCHKA KLI^-Wien, 
etc. JährliÄ 1 2 reich illustr. Hefte 24 M., Einzelpreis 2.50 M 
Ulustr. Prospekte kostenlos. 



VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH • DARMSTADT 



FRIEDRICH HEBBEL • JUDITH 

Neudruck der ersten Au^abe mit t o Vignetten und loVoIIbildem 
von Tornas Theodor Heine 

Luxusausgabe: too numerierte, vom Künstler signierte Exemplare 
auf Kaiserlich Japan in Ledereinband nach dem Entwürfe von 
Th. Th. Heine zum Preise von 30 Mark. Büttenausgabe: 1000 
Exemplare auf Van Gelder-Büttcn, mit den Vollbildern auf echtem 
Japan zum Preise von lO Meuk. 

Da die beiden Ausgaben dieses B uches nahezu vetgriffien sind, wd 
im November 1908 eine ZWEITE BILLIGE AUSGABE 
erscheinen, mit den Illustrationen auf Kaiserlich Japan, in ameri- 
kanischem Büttenumschlag broschiert, zum Preise vcm 6 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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ADALBERT VON CHAMISSO 
PETER SCHLEMIHLS WUNDERSAME GESCHICHTE 

NeudruA des ersten Drudces. KCt 1 1 Vollbildern, 23 Sil- 
houetten und Einbandzeichnung von Emil Preetorius. 

1000 Exemplare auf echt italienbdies Bülten gedruckt die 
Vollbilder auf Kaiserlich Japan, in goldgepre^ter, türki^üner 
Kartonnage, zum Preise von 6 Mark, too numerierte Hxem- 
plcu'e wurden auf Kaiserlich Japan gedruckt und in grauge- 
pre(|tes Ganzleder gebunden zum Prebe vcm 18 Mark. 

Da diese beiden Ausgaben nahezu vergriffen sinct wird vom 
»Peter Schlemihl« im November 1 908 eme in starken orange- 
farbenen Karton brosdiierte Ausgabe 
zum Prebe von 4.50 Mark erschemen. 




HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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DAS LESEBUCH DER MARQUISE 
Ein Rokokobud) für die Damen> kerausgegebcn vonFranzBId 

Mit Einbandzeiduiung, acht zum Teil mit der Hand kolo» 
rierten Vollbildern, vielen Vignetten, Rahmen, Cul«deolampes 
von Constantin Somoff 

Ausgabe auf Van Celdem«Bütten; 800 Exemplare in rotem 
Maroquin^Einbande nach Somofe Zeichnung, zum Preise 
von 25 Mark. Luxusausgabe: 50 numerierte Exemplare auf 
Kaiserlich Japan, in Leder gebunden, mit echter Moireeseide 
als Vorsatt, zum Preise von 50 Mark. 

Auch von diesem Buche wird eine billige Ausgabe vorbe- 
reitet, über die nähere Angaben im nächsten Hefte, sowie in 
dem \htte November erscheinenden Veriagskatälog ver<- 
öftendicht werden. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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Anfang November erscheint'. 

DR. PAUL STEFAN • GUSTAV MAHLERS ERBE 

Ein Beitrag zur neuesten Geschichte der deutschen 
Bühne und des Herrn Felix vcjn Weingartner. 
Gedruckt in Behrens «Antiejua, in Büttenumschlag. 

Preis 1 Mark 



AUBREy BEARDSLEy 
BRIEFE UND KALENDERNOTIZEN 
Mit den vier Zeichnungen zu E. A. Poe. 

Beardsleys Briefe, die eine reiche Quelle zur Kenntnis seiner 
Persönlichkeit erschließ, sind einzeln und fragmentarisch da 
und dort veröffentlicht worden. Die hier angekündigte Samm- 
lung enfliält etwa 1 96 Briefe, zum Teil ganz unbekannte, sowie 
die sehr merkwürdigen Notizen Beardslcys/ des weiteren 
die vier Zeichnungen des Künstlers zu E. A. Poe. Der Preis des 
Exemplars der Alexandra -Ausgabe betragt 14 Mark. 25 
Exemplare wurden auf KaiserL Jwan abgezogen und in Leder 
gebunden. Der Preis eines solchen ^emplars beträgt 25 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 





I 



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VORANZEIGE 

Im November 1 908 ersdieinen im Verlage von Hans von Weber, München: 

ANDR6 GIDE: DER SCHLECHT- 
GEFESSELTE PROMETHEUS 
Deutsch von Franz Blei Mit 6 Bildern von Pierre Bonnard. 



Die_ Schriften dieses französischen Dichters smd dem deutschen Leser auch 
in Übertragungen nicht embekannt. Diese groteske Novelle behandelt in 

§ eistvoller weise das Problem des Gewissens, als welches der Adler iit, 
er sich von des Prometheus Leber nährt, bis ieser zu besseren Einsichten 
kommend den Adler schlachtet und in sonderbarer Gesellschaft verspeiit. 
Die Wirkung Nie&sches auf den heutigen französbehen Gei^ wird aus 
diesem ebenso tiefrinnigen, wie humorvoDen Buche deutlich. Es erscheint, 
von PoeschePSDTrepte, Leipzig, auf Velin gedruckt, in Kartonnage zum 
Preise von etwa 5 Mk, — 25 numerierte Exemplare werden auf Van Gelder 
gedruckt und in der Werkstatt von Carl Sonntag, Leipzig in englisches 
Leder gebunden zum Preise von etwa 1 2 Mk. 



MAURICE DE GUÖRIN 
DER CENTAUR • DIE BACCHANTIN 
Deutsch von Andreas Marschlius. Mit 6 Bildern von H Kley. 

Von dem Buche des 1 83g mit neunundzwanzig Jahren Verstorbenen sagt 
Goncourt im Journal: >Unter den Modernen hat bislang nur Einer den 
Fund einer Sprache gemacht, die von der Antike reden Kann und dieser 
Eine bt Maurice de Gu6in.« Dieses Gedicht m Prosa i^ eine H^ne 
auf das einfache Leben, von einer Zartheit und Innigkeit, dem wenig m der 
Literatur zur Seite zu stellen i^. Das in Frankreich läM^ bekannte Buch 
erscheint erstmalig in deutscher Qbertragui^ zu der H. W<y sehr reizvolle 
Zeichnungen gemacht hat, von Pcxschel '^Trepte in Leipzig auf Velin 

f ednickt, in BuntkartOnnage zum Preise von etwa 5 Mk 25 numerierte 

Lxemplare werden aufVan Gelder gedruckt und in der Werkst^ von Carl 
Sonntag, Leipzig, in englisches Leder gebunden zum Preise von etwa 1 z Mk. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 



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WIENER WERKSTATTE, WIEN VH 
NEUSTIFTGASSE 32 U. GRABEN 20 
LEITUNG: JOS. HOFMANN, KOLO 
MOSER, FRITZ WAERNDORFER. 
HÄUSER. WOHNUNGSEINRICH. 
TUNGEN. SCHMUCK. KOSTÜMR 
SPIELZEUG. GARTENANLAGEN. 
BUCHEINBÄNDE. BUNTPAPIERE. 



Im November dieses Jahres wird erscheinen: 

r6mv de gourmont 

TRÄUME EINER FRAU 
Ein Roman in Briefen. 

UberscM von Anna Sofie Gasteiger. 
Preis brosch. ca. 4 Mark, gebunden ca. 5 Mark. 



HANS VON WEBER VERLAG • MÜNCHEN 

rOR TEXT UND BODER VERARTWORTUCa RULKZ BLEI, MOhCBEII, HTOE R TD SS IR. ij. 
rOR DIE AWZEIGEX HAUS VOR WEBER. HORCHER, ADALBERTSTR. 7«. 



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Abends. 

De la Motte- Fouque. 





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