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Full text of "Der entwurf eines bürgerlichen gesetzbuchs für das Deutsche Reich und seine beurteilung"

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Die besonderen Reclitszweige im Entwürfe 

eines 

biirgerlieben Ocsetzbuclis fTir das deutsche Reich. 



Fortsetzung und Schluss 

der den allgemeinen Bechtslehren angewandten Abhandlnng: 

Der EntwTarf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich 
und seine Beurteilung in einer kurzgefassten Uebersicht hergestellt 

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^ } 



von 



Dr. Rudolf Leonhard, 

Profetsor der Rächte »n der CDlTersltit Uerburg. 



Marburg. 

N. G. Elwert’sche Verlagsbuchhandlung. 
1892. 










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Sonderabdnick aux dem Hechtxgelccrd Magazljn 
vcrCffentlicbt mit Zustimmung der V'erlagsbuchbandlung dieser Zeitschrift 
(de Erven E. Bobn zu Haarlem). 




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ni. 



Die starken Abweichungen von den römischen Regeln , 
welche den besondern Rechtszweigen im Entwürfe ini Ge- 
gensätze zu seinen allgemeinen Vorschriften eigentümlich 
sind, haben verschiedene Wurzeln und verschiedene Ziele. 
Sie stammen theils aus rein wissenschaftlichen , theils aus 
wirtschaftlichen Quellen und stellen sich theils als Verarbei- 
tungen der rörai.schen Gedanken dar, verbunden mit Fortfall 
veralteter Zuthaten, theils als absichtliche Umgestaltungen, 
welche dahin streben , eine in Rom bereits gelöste Aufgabe 
nunmehr nochmals auf bessere Weise zu lösen, endlich drit- 
tens als spätere Schöpfungen , die aus nachröraischen Schutz- 
bedürfnissen oder Schutzmitteln erklärt werden müssen. 

Die zuerst erwähnte Stellung nimmt der Entwurf vornehm- 
lich auf demjenigen Gebiete ein , in welchem das römische 
Recht sich die meiste Anerkennung zu verschaffen gewusst 
hat, den besonderen Lehren des Forderungsrechtes. Gerade 
hier ist aus den römischen Quellen selbst der Trieb herge- 
leitet worden, unvollkommene Gestaltungen zu vollenden 

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und Veraltetes ab/.ustreifen. Die Verfasser des Entwurfs sind 
sich dieser Aufjrabe wohl bewusst gewesen. Es zeigt sich 
die.s namentlich schon in den Grundgedanken der Anordnung, 
welche von dem römischen System vielfach abweichen. Die 
Schuldverhältnisse sind in 3 Gruppen geteilt: 

1) . Verpflichtungen aus Rechtsgeschäften unter Lebenden 
(also vornehmlich aus „Verträgen“); 

2) , aus unerlaubten Handlungen; 

3) . aus andern Gründen. 

Wir finden hier im Wesentlichen die Dreitheilung in 
obligatioues ex contractu , ex delicto und ex variis causarum 
liguris nachgebildet. Weggelassen sind also die Gruppender 
obligationes quasi ex contractu und der obligationes quasi 
ex delicto ') , was weniger Bedenken erwecken wird , als es 
der Fall sein sollte, da ihnen ein vernünftiger Gedanke zu 
Grunde liegt, nämlich das Bestreben einer gleichen recht- 
lichen Behandlung reohtsähnlicher Beziehungen. Mag man 
gegen diese Eiutheilung .sagen , was man will , kein vernünf- 
tiger Mensch wird bestreiten , dass mandatum und negotiorum 
gestio, Societas und communio incidens zusammen gehören. 
Natürlich giebt es weder „Quasikontrakte“ noch „Qua.side- 
licte“, wohl aber obligationes, quae quasi ex contractu (nicht 
ex qua.si contractu) nascuntur, d. h. Pflichten, die den Ver- 
tragspflichten ähnlich sind , weil sie wie diese zum Besten 
des Verkehrsschutzes von der Rechtsordnung anerkannt sind. 
Dass diese Nichtachtung der römischen Systematik zu einer 
völligen Verkümmerung der Quasidelictsobligationen , welche 
von vielen Seiten beklagt worden ist, beigetragen hat, ist 
wahrscheinlich. 

Man hätte also eintheilen sollen : 

1) . Schuldverhältnisse, deren Anerkennung dem Verkehrs- 
schutze dient : a. aus Rechtsgeschäften ; b. aus andern Ereig- 
nissen. 

2) . Schuldverhiiltnisse , deren Anerkennung dem Schutze 



■) Motive, Bd. 2 , S. 1 , 745. 



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gegen Rechtswidrigkeiten dient: a. aus unerlaubten Hand- 
lungen; h. aus andern Ereignissen. 

Die dritte Klasse (Schuldverhältuisse zu andern Zwecken) 
hätte sich dann ganz auilüsen oder jedenfalls vereinfachen 
lassen. 

Noch schwereren Bedenken unterliegt der Plan , nach dem 
uns die Schuldverhältnisse vorgeführt werden (§§ 437 tf.). 
Neben einander stehen unvermittelt: 1) Schenkung. 2) Dar- 
lehen. 3) Kauf und Tausch. 4) Miethe und Pacht. 5) Ge- 
brauchsleihe. 6) Dienst- und Werkvertrag. 7) Auslobung. 
8) Auftrag. 9) Anweisung. 10) Hinterlegungsvertrag. 11) Ein- 
bringung von Sachen bei Gastwirthen. 12) Gesellschaft. 
13) Leibrente. 14) Spiel und Wette. 15) Vergleich. IC) Bürg- 
schaft. 17) Verpfändungsvertrag. 18) Schuldversprechen (das 
„abstrakte“ Versprechen ist xar’ so genannt). 19) 

Schuldverschreibung auf den Inhaber. 

Wir sehen, dass hier mit dem römischen Contractsystem 
gebrochen ist. Dies kann nur gebilligt werden '). Der Bau dieses 
Systems gliederte sich nach der Art und Weise, in welcher 
die römische Entwicklung dem Grundsätze der Formlosigkeit 
entgegen strebte. Nachdem das Ziel erreicht ist, ist der Weg 
ohne Bedeutung für die gegenwärtige Rechtspflege. So musste 
denn der stolze Bau zertrümmert werden. Allein schmerzlich 
berührt es , dass nunmehr seine Stücke neben einander liegen , 
ohne zu einem neuen Ganzen verbunden zu sein. 

Und doch war es wohl nicht allzu schwer , dieses Durch- 
einander in wenige übersichtliche Gruppen zu ordnen. Das 
römische System ist veraltet; allein das heutige Verkehrs- 
leben drängt dem Beobachter einen vollwerthigen Ersatz auf. 
Die drei Hauptgruppen: 1) Versprechen gegen Entgelt, 
2) Versprechen ohne Entgelt, 3) Versprechen , das ohne An- 
gabe des Schuldgrunds klagbar sein soll (sogenanntes abs- 
traktes Versprechen), liegen nahe. Die Versprechen gegen 

*) Für daaselbo erklärt sich übrigens wider den Entwarf BernhOfty 
Kaufy Miethe und venoanite Verträge nach dem Entwürfe a. 8. w., Ber- 
lin, 1889, S. 65. 



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Entgelt (1) sind wieder Iheils a. Rückgabeversprechen (Dar- 
lehen, Gebrauchsleihe, Verpfandungavertrag , Hinterlegung 
und Aehnliches) , theila b. Austausehgeschäfte. Die Austausch- 
geschäfte zerfallen wieder in «. Austausch hleibeuder Ver- 
mögensvortheile (Kauf, Tausch, Leibrente , Spiel und Wette , 
Vergleich und dergleichen) und ff. in die Belohnung vorOher- 
gehender Begünstigungen, nämlich aa. Austausch von Lohn 
gegen Sachbenutzung (Sachmiethe) oder gegen Arbeitsbe- 
nutzung (Dienst- und Werkvertrag), endlich ■//. in gegen- 
seitigen Austausch von Mitarheitsthätigkeit zu gemeinsamem 
Gewinne (Gesellschaft). 

Die Versprechen ohne Entgelt (2) sind wieder theils o. 
Versprechen aus Wohlwollen, nämlich a. Schenkung , ji. Auf- 
tragsObernahme aus Gefälligkeit (so ist m. E. raandatum zu 
verdeutschen ') ; denn der nicht übernommene Auftrag ist 
zwar ein Auftrag, aber kein Verpflichtungsgrund) und b. 
Sicherungsversprechen zur Verstärkung einer Zusage. liier 
hätten nun «. die Conventionalstrafe — warum nicht Ver- 
tragsstrafe? — und |i. die Bürgschaft untergebracht werden 
können. 

Die Versprechen ohne Pflicht zur klageweisen Schuld- 
grunds-Erwähnung (Nr. 3, abstrakte Versprechen) würden 
neben a. dem einfachen abstrakten Schuldversprechen auch 
b. die Inhaberpapiere , nach der Meinung des Verfa-ssers 
auch c. das Versprechen nach erfolgter Anweisung (g§ 605 — 
613) umfassen müssen; denn auch bei diesem liegt eine 
Schuldverpflichtung vor, in der die beiderseitigen Beziehun- 
gen , in welchen sowohl Schuldner als auch Gläubiger zu dem 
anweisenden Dritten stehen, verschleiert sind*). 

In die allgemeine Lehre von den Verträgen würde die Aus- 
lobung (gg 581 flf.) zu überweisen sein, da sie nach ihrem 
Inhalte bald eine bedingte Schenkung, bald Werkvertrag, 
bald Verkauf u. a. mehr sein kann und sich von den gewöhn- 



') Vgl. hierzu auch La band, Archiv f. civ. Pr., Bd. 74, 8. 323. 

^ Vgl. hierzu auch Lab and, Archiv f. civ. Pr., Bd. 74, 8. 331 (f. 



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liclipii Verträgen nicht durch den Inhalt, sondern die Art 
ihres Abschlusses auszeichnet. Auch das receptiim cauponum 
und stabulariornni (§§ f>26 — G28) ist, seitdem die besondere 
Klageformel unpraktisch geworden ist, nichts mehr , als eine 
Summe von Sondervorschriften über eine ausnahmsweise stren- 
gere Haftung in gewissen Miethsverhältnissen. Ein Anachro- 
nismus dürfte es sein , hier noch von einem besondern Vertrage 
mit dem Gastwirthe zu reden , der neben der Zimmer- und 
Stallmiethe steht. Kein Nichtjurist wird begreifen , warum 
bei solchen Geschäften zwei Verträge neben einander ange- 
nommen werden sollen. Die Vorschriften, welche die Haf- 
tung der Gastwirthe erschweren , gehören daher zu den all- 
gemeinen Vorschriften über Steigerung der ursprünglichen 
Verpflichtungen durch Schuld oder Zufall. 

Nach diesem Blicke auf die Anordnung der Vertragspflichten 
können wir sie einzeln an unserm geistigen Auge vorüber- 
ziehen lassen. 

Die Schenkung (§§ 437 — 4.52) setzt Annahmeerklärung 
voraus , weil ihr Empfang gewisse Pflichten erzeugt Die voll- 
zogene Schenkung ist formlos ohne Rücksicht auf ihre Höhe 
(§ 441), nur das Versprechen muss stets gerichtlich oder 
notariell sein. Es scheint hierbei weniger beabsichtigt zu sein , 
die Schenker selber vor den Folgen leichtsinniger Au.s.sprüche 
zu schützen , durch welche sie in einer Geberlaune wohl- 
thätige Verhei-ssungen aussprecben , die sie später gereuen. 
Viel grösser ist vielmehr die Gefahr, dass lügnerischer Weise 
formlose Schenkungen nach dem Tode des angeblichen Spen- 
ders ohne Grund behauptet und durch einen Scheinbeweis 
gekräftigt werden können. Wäre dies möglich , so würde es , 
wie die Motive ') richtig bemerken , ein Leichtes sein , die 
Formvorschriften über letztwillige Verfügungen zu umgehen. 

Eine Auslegungsregel , über deren Berechtigung sich strei- 
ten lässt, die jedoch, wie alle Regeln dieser Art, in den 
Händen einsichtiger Richter ungefährlich sein wird, liegt 

*) Bd. 2, S. 298. 



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in dem Satze, dass im Zweifel die Erben des Schenkers aus 
dem Versprechen immer wiederkehrender Unterstützungen 
nicht haften sollen (g 447). Der Widerruf soll (nicht wegen 
nachgeborner Kinder, wohl aber) wegen Undanks möglich sein 
und zwar unter ähnlichen Bedingungen (§ 449), wie sie 
J u s t i n i a n anfgestellt hat. 

Der Begriff des Darlehns ist nicht so weit abgesteckt, 
wie es den Bedürfnissen eines höher entwickelten Verkehrs- 
lebens entspricht (§ 453). Nicht jede empfangene Bereiche- 
rung in Höhe einer bestimmten Summe soll als Grundlage 
eines Darlehnsversprechens gelten , sondern nur die hinge- 
gebene und die vom Schuldner zurOckbehaltene Summe. 
Eine freie Auslegung wird freilich vielleicht auch andere 
Fälle , z. B. auch solche Gelder dahin rechnen , welche 
ein Schuldner dadurch erlangt , dass er eine Sache des Gläu- 
bigers in dessen Aufträge verkauft; wenigstens ist nicht 
einzusehen , warum hier keine Darlehnsgrundsätze gelten 
sollen. Nach dem Vorgang des Preuasischen Landrechts ist 
eine gesetzliche Kündigungsfrist für Darlehen bestimmt, 
jedoch nicht, wie dort eine doppelte, sondern eine einfache 
von G Wochen (§ 457). Viel zu lang ist diese Frist bei klei- 
nen Darlehen , die im gesellschaftlichen Verkehr üblich sind , 
z. B. um einem Freunde auszuhelfen, der gerade kein Geld 
bei sich hat. Allerdings führen solche Geschäfte nur selten 
zu einer Klage. Dass das Versprechen, ein Darlehn zu ge- 
währen (§ 458), bei erheblicher Vermögensminderung des 
Darlehnsanwärters im Zweifel hinfällig werden soll , ist als 
eine durchaus angemessene Auslegungsregel anzuerkennen. 

Die Lehre vom Kauf ') (§§ 459 ff.) ist in 2 Punkten 
(Haftung für Gefahr und Eviktion) schon besprochen. Ist 
der Eigeutumsübergaug ins Grundbuch eingetragen , so soll 
dies der Uebergabe auch insofern gleichstehn , als die Gefahr 
damit auf den Käufer übergeht, was im Preussischen Recht 
zweifelhaft war (§ 463). Dass auf den Verkäufer, der für 



’) Vgl. zu ihr Laband, a. a. O., S. 299 ft". 



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die verkaufte Sache Borgt, die VorBchriften über Geschäfts- 
führung ohne Auftrag gelten sollen (g 464) , ist ein Gedanke , 
der zwar ohne erhebliche Tragweite ist, aber doch nicht 
unbedenklich erscheint. Wer ohne Vertragspflicht für eine 
fremde Sache sorgt, haftet bei Abwendung einer drohenden 
Gefahr nur für grobe Fahrlä.ssigkeit (§ 750). Es ist nicht 
gerechtfertigt, dass diese wohl verständliche Begünstigung 
auch den vertragsmässig Verpflichteten zu Gute kommen 
soll. Dass niemand Preis und verkaufte Sache zugleich aus- 
nutzen soll (g 467), hält Beruh oft') für eine veraltete 
Vorschrift des römischen Rechts. Die Verkehrssitte macht 
nur für den Handel von Kleinkaufleuten mit dem Pu- 
blikum hiervon eine Ausnahme. Wegen des Verkehrs unter 
Geschäftsleuten über grö.ssere Gegenstände (Miethshäuser , 
Fabriken u. dergl.) em]ifiehlt sich die Beibehaltung der durch- 
aus billigen Regel. Wenn der Entwurf es für nöthig hält, 
dem Versteigerer den Selbstkauf zu verbieten (g 468), so 
kommt es daher , dass seine Verfa.sser ein Contrahieren eines 
Menschen mit sich für denkbar halten, so dass z. B. jemand 
eine Sache für sich erwirbt und zugleich für einen andern 
veräus.sert '). Es ist dabei z. B. an einen Vormund gedacht , 
der eine Mündelsache als Vertreter seines Schützlings sich 
selbst verkauft und dergleichen. Diese neuerdings vorherr- 
schende Ansicht ’) vermag der Verfasser nicht zu theilen. 
Dies Geschäft ist wohl nur deshalb nach römischem Recht 
nicht verboten, weil es nicht möglich ist. Würde jetzt der 
Entwurf ein solches Geschäft ausdrücklich anerkennen , 
dann wäre es ein einseitiger Erwerbs- und Verpflichtungs- 
akt unter besonderen Bedingungen, niemals aber ein Ver- 
trag, da zu solchem gegenseitige Erklärungen abgegeben 
werden müssen. Ein Schauspieler kann zwar zwei Rollen 
im selben Drama bekleiden , nur dürfen dies nicht solche 

') A. a. O., S. 56. 

•) Vgl. Motirt, Bd. 3, S. 94 , 182, 826. 

Vgl. hierüber insbesondere M. Rümelin, das Selbstcontrahia'en 
des Stellvertreters. Freiburg^ 1888, bes. S. 276 ff. 



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Personen Bein , die zugleich auf der Bühne in einem Dialoge 
erscheinen müssen. Dass ein .solches Selbstcontrahieren für 
die Vermögenslage des dabei vertretenen abwesenden Geschäfts- 
herren viel zu gefährlich ist, um seine Einführung herbei- 
zuwünschen , bedarf wohl keines weiteren Beweises. 

Die ,in dieni addictio“ (§ 474) erscheint als „Vorbehalt 
der Annahme eines bessern Gebots eines Dritten.“ Das an- 
genommene bes.sere Gebot soll keinen für alle verbindlichen 
Rückfall der Sache an den Veräusserer begründen , .sondern 
eine blosse Forderung auf Rückgabe (§g 474 , 427). Diese 
Abweichung vom römischen Recht erklärt .sich wohl, wie 
vieles andere, aus der durchgreifenden Rücksicht des Ent- 
wurfs auf etwaige redliche Dritte. 

Die Vorschriften über Wiederkauf, persönliche Vorkaufs- 
rechte und Erbschaftskauf (§§ 470 — 501) enthalten im We- 
sentlichen nur angemessene Auslegungsregeln, die auf dem 
Boden der neueren Pandektenlehre erwachsen sind. 

Der Tausch soll dem Kauf gleichstehen (§ 502). Zur Er- 
möglichung dieses Grundsatzes ist die Vorschrift beigefügt: 
„Jeder der’ Vertragschliessenden ist in Ansehung der von 
ihm versprochenen Leistung gleich einem Verkäufer und in 
Ansehung der ihm zugesicherten Leistung gleich einem Käufer 
zu beurtheilen*. Wenn es erlaubt ist, die römische Rede- 
weise heutzutage anzuwenden , so sollen hierdurch zwei An- 
sprüche entstehn, die beide den Vorschriften über actiones 
empti unterliegen; die Vorschriften über actiones venditi da- 
gegen sollen bei dem Tausche einfach ausser Betracht bleiben. 

Die Lehre von der Miethe und Pacht (§§ 503 ff.) enthält 
eine Vorschrift (§§ 509 ff.), die einen wahren Sturm der 
Entrüstung hervorgerufen hat, die Beibehaltung des Satzes 
„Kauf bricht Miethe“ '). Dieser Satz ist übrigens ge- 

') Ueber sie liegt bereits eine ziemlich umfangreiche I.itteratur vor, 
vgl. die Outaebten von Kck und Fischer in den Verhandlungen des 
19ten Juristentages f Bd. 2, S. 229 ff., S. 312 ff. Ein einstimmiger Be- 
schluss des 19ten Juristentages (Bd. 3, S. 305) missbilligt den Entwurf , 
ebenso B e r n b ö f t , a. a. O. , 8. 72 ff. und ein Beschluss des preussischen 






by tiewigle 



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mildert durch die Bestimmung, dass der Miether, wenn das 
Eigentum der Sache oder ein Recht, das ihn beeinträchtigt , 
von einem Dritten erworben wird , wenigstens während der 
gesetzlichen Kündigungsfrist in der Sache verbleiben darf. 
Die weitgehenden, maaslosen Folgerungen, welche man aus 
dieser Vorschrift auf den „Geist“ des Entwurfs gezogen hat, 
sind überaus ungerechte. Mag man die.selbe noch so hart 
verurtheilen , die Verfasser des Entwurfs haben sie zweifellos 
aus keinem andern Grunde angenommen, als weil sie that- 
sächlich in breiten Flächen Deutschlands gilt, die Orte, in 
denen dies der Fall ist, z. B. Frankfurt am Main und Ham- 
burg, sich durch wirthschaftliche Blüte auszeichnen und 
die .Turi.sten und das Volk in diesen Gegenden mit diesem 
unbequemen Rechte schliesslich leidlich zufrieden sind. An- 
dererseits giebt die viel gerühmte Regelung dieser Ange- 
legenheit im Preussischen Landrecht zu vielen Bedenken 
Anlass. Nach diesem wird dem Miether im neuen Hausherrn 
ein neuer Vermiether aufgedrängt, z. B. statt eines lieben.s- 
würdigen Vertragsgenossen ein zänkischer. Dies kann härter 
sein als die Exmission. Der Verfasser beabsichtigt übrigens 
in dieser vielerörterten Frage keineswegs, geradezu wider 
den Strom zu schwimmen. Er erkennt an, dass auch nach 
seinem Gefühl etwas Barbarisches darin liegt, den Satz 
„Kauf bricht Miethe“ im Sinne der gemeinrechtlichen Lehre 
anzuwenden. Er hält ihn aber nicht für römisch. Die Römer 
verlangen vom Miether nur , dass er den neuen Herrn in’s 
Haus hineinlässt, damit dieser es besichtigen kann, nicht 
aber dass er .selbst hinausgeht. Der Miether bleibt vielmehr 
Vertragsgenosse des bi.sherigen Vermiethers und hat gegen 
den neuen Herrn, der das Verhältniss kennt, zum Schutze 
seines Miethsrechts ra. E. nach allgemeinen Grundsätzen 
eine exceptio doli. Wenn man in Deutschland dies allerdings 
nicht beachtet und die Rechte der Miether arg geschmälert 

LandeK-Oekonomie-Colle(;iam8, a. a. O. , S. 131 nr. 11. Vgl. auch .1 a- 
cobi, Miethe und Pacht, Berlin 1889, und die 3/o(ire, Bd. 2 , 8. 380 ff. 



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hat, so war dies wohl eine Folge des Hediirfiiisses nach 
einer baulichen Umwandlung der mittelalterlichen Städte 
nach den Bedürfnissen der Neuzeit. Ohne Verletzung der 
Miethsrechte hätte sich dieser Kulturaufschwung schwer 
durchführen lassen. Im Osten lag dies Bedürfniss aus be- 
kannten Gründen weniger vor; daher dort der Satz .Kauf 
bricht Miethe“ gar kein Verständnis findet. Allein auch im 
Westen des Vaterlandes hat er seine culturgeschichtliche 
Aufgabe erfüllt; ein anderes Recht sollte ihn ersetzen, am 
Besten das oben geschilderte wahre römische Recht; im 
Nothfalle lässt sich aber auch mit dem preussischen Rechte 
auskommen, das sicherlich unter dem Drucke der öffent- 
lichen Meinung noch Anerkennung finden wird. 

Eine besondere Beachtung hat auch des Vermiethers ge- 
setzliches Pfandrecht an den eingebrachten Sachen des Miethers 
gefunden (§ 521) '). Der Vorschlag es auch auf solche ein- 
gebrachte Sachen auszudehnen , welche dem Miether nicht 
gehören , hat nur hinsichtlich des Vermögens seiner Frau 
und seiner Kinder den Beifall des Juristentags gefunden '). 

In der Gebrauchsleihe (§§ 549 ff.) .sind commodatum und 
precarium verschmolzen. Hiernach gilt das Recht des Coni- 
modats auch bei Sachen , die einem anderen zur beliebigen , 
eigenthumsähnlichen , aber jederzeit widerruflichen Benutzung 
hingegeben sind und die Empfänger solcher Leihe werden in 
Zukunft nicht blos für grobes, sondern für leichtes Versehen 
einstchen müssen (§ 558). Dasselbe gilt wohl von den im 
Entwürfe nicht erwähnten precaristischen Verhältnissen , bei 
denen Jemand einem andern auf äViderriif die Mitbenutzung 
einer Saehe gestattet , die der Gestattende selbst nicht aus 
der Hand giebt, so wenn eine Person ihrem Stubengenossen 
erlaubt, auf ihrem Clavier raitzuspielen , die ihr gehörige 
Kleiderbürste zu benutzen, oder wenn jemand gestattet, dass 

') Vgl. Cohn und Boyens, in den Gutachten a. d. Anicaltstande , 
8. 159 ff. u. 723 ff. 

‘) Verhandlungen d. iOten d. Juristentags, Bd. 4, 8. 204. Vgl. die 
Gutachten von Thomeen u. Lewineohn, Bd. 3, 8. 152 ff., 207 ff. 






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ein fremder Wanderer des Nachts in seinem Hause schläft. 
Für solche schenkungsähnliche Verhältnisse würde eine we- 
niger strenge Haftung mindestens begreiflich sein. 

Der „Dienstvertrag“ des Entwurfs (§§ 559 — 566) ist weit 
weniger wegen dessen angefochten, was bestimmt ist, als 
was man zu bestimmen unterliess '). Dass mit dem Wegfall der 
Sklaverei hier eine grosse Lücke entstanden ist, die ausge- 
füllt werden muss, ist zweifellos. Der Entwurf rechnet dabei 
offenbar auf Ergänzung durch das Reichsrecht , das neben 
ihm in Geltung bleiben soll , namentlich die Reichsgewerbe- 
orduung , die Handelsgesetzbuchs- Vorschriften über Handels- 
gehülfen und die im Flusse begriffene Arbeitergesetzgebuug, 
deren Endziel noch niemand vorhersehn kann. 

Die Werkverdingung (locatio, conductio operis) ist als 
„Werkvertrag“ (§§ 567 ff.) dem Kaufe gegenüber in gleicher 
Weise abgegrenzt, wie nach römischem Rechte, d. h. wer 
den Stoff neben der Arbeit liefert, ist Verkäufer, nicht Werk- 
meister (§ 568). Dies ist nicht unangefochten geblieben ’). 
Bedenkt man aber, dass mit dem Verkaufe oft Arbeiten an 
der Waare verbunden sind, z. B. Verpacken des verkauften 
Gegenstands, Aufstellen ‘der verkauften Maschine u. dergl., 
und dass die Grenze zwischen solchen Handlungen und den 
wirklichen Arbeitsleistungen eine verschwimmende ist, so 
wird man zugestehen müssen , dass der römi.sche Grundsatz , 
der bei der entgeltlichen Lieferung verarbeiteter Stoffe ein 
für alle Mal Kauf annimmt, jedenfalls der Rechtssicherheit 
dienlich ist. Dass die vom Werkmeister gelieferte Arbeit nur 
dann bezahlt wird, wenn der Besteller sie abgenommen hat, 
nicht aber auch daun, wenn sie fertig und tadellos war, aber 
vor dem Empfange zu Grunde gegangen ist, ist eine Abän- 
derung des römischen Rechts, deren Härte nur durch den 



') Vgl. Damentlich Menger, das bürgerliche Recht und diebesitzlo- 
sen Volksklassen ,8. 104 ff. 

’) Dagegen namentlich aus wirthschaftlichen (iründen : Ehrenburg, 
Jahrbücher f. Dogmatik , Bd. 27 , S. 253 ff. 



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Gedanken ;;eniildert wird , dass ihr Anwendiingsgehiet ein 
geringes ist. 

Dem Werkmeister wird für Lohn und Auslagen ein Pfand- 
recht an den von ihm bearbeiteten beweglichen Sachen ge- 
währt (§ 574). Dies nach dem Vorbilde des französischen 
Uechtes auf unbewegliche Sachen auszudehnen, beantragte 
zn Stuttgart ') ein Ausschu.ss des Innungsverbandes Deutscher 
Baugewerkmeister. Dagegen erklärte sich w'ider diese (voraus- 
sichtlich nicht sehr bedeutsame) Neuerung eine Abtheilung 
des 20*'“ d. .Juristentags, freilich nur mit der Mehrheit einer 
einzigen Stimme ’). 

Nicht ohne Grund ist tadelnd hervorgehoben worden’), 
dass der Entwurf bei den entgeltlichen Dienstleistungen zwi- 
schen höheren und niederen Dienstleistungen nicht unter- 
scheidet. Man hält freilich neuerdings auch diese Unterschei- 
dung für eine plutokratische Schrulle der Römer , die nicht 
zugeben wollten, dass auch das Honorar nur ein Arbeits- 
lohn ist. Allein noch jetzt besteht der Unterschied zwischen 
höheren Diensten , denen sich die Eigenart ihres Urhebers 
aufprägt, und den niederen, die unter sich gleichwerthig 
sind , mögen sie vorgenommen worden sein , von wem sie 
wollen. Er mag mit der Sklaverei im Zusammenhang ge.stan- 
den haben , aber er ist nicht mit ihr weggefallen. In Wahr- 
heit sind die Mandatsvorschriften für das Versprechen höherer 
Dienste noch heute passend , namentlich das freie RUcktritts- 
recht gegen Ausgleichung des verursachten Vermögensscha- 
dens, welches eine Realexecntion zur zwangsweisen Herstel- 
lung eines Kunstwerks unmöglich macht , und die Aufhebung 
des unausgeführten Vertrages beim Tode des Bestellers. Nicht 
blos aus Achtung vor der Würde der Kunst und Wissenschaft , 
sondern aus Zweckmässigkeitsgründen im Hinblick auf die 

') Am 4 Septbr. 1888. Vgl. IIÜBe, in Kohlcr's Archiv f. bürg. R., 
Bd. 2, 8. 73—80 und in den Verhdl, dev 20. D. Juristentags, Bd. 1, 
B. 218 flf. , daselbst auch Staub, B. 248 ff. 

’) Verhdl., Bd. 4, S. 238. 

') Zuletzt auf dem aoeben in Hamburg abgebaltencn Anwaltatage. 






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Werthlosigkeit der erzwungenen höheren Leistung hätte dies 
Rechtens bleiben sollen. Durchführbar ist der Unterschied zwi- 
schen niedern und höheren Diensten , weil die ersteren mit 
einem festen Marktpreis versehen sind , die letzteren aber einen 
Marktpreis nicht zu haben pflegen. Dass die Bezahlung des 
höheren Dienstes als Entschädigung für Zeitverlust empfun- 
den wird, nicht als Lohn des erreichten Erfolges, hängt 
hiermit zusammen '). 

Beim Hinterlegungsvertrage (g§ G14 ff.) ist Entgeltlichkeit 
als möglich anerkannt, aber nicht bestimmt, woran man im 
einzelnen Falle bei entgeltlicher Hinterlegung einer Sache 
erkennen soll , ob ein entgeltlicher Hinterlegungsvertrag oder 
eine Lagermiete vorliegt. Hoffentlich wird die Praxis stets 
das letztere Geschäft annehmen und dem entgeltlichen Hinter- 
legungsvertrag , diesem Kinde einer unzulänglichen Quellen- 
exegese, nur ein rein theoretisches Dasein übrig lassen. 

In der Ordnung des Gesellschaftsvertrages (§§ 629 ff.), 
dessen Anlehnung an das römische Recht ’) besonders scharf 
angefochten worden ist ’) , ist dem Inhalte des Handelsge- 
setzbuches insofern eine Ausdehnung zu theil geworden, als 
die Gesellschafter auch ausserhalb des Handelsrechts die 
Befugniss erhalten sollen , sich dem Rechte der offenen 
Handelsgesellschaft zu unterwerfen. 

Die Thatsache , dass der Staat , seitdem man der römischen 
Processwetten nicht mehr bedarf, an der Klagbarkeit der 
Wette in keinem höheren Maasse interessiert ist, als an 
derjenigen des Spiels, ist vom Entwürfe mit Recht aner- 
kannt worden (§ 664). Indem er zugleich die Rückforderung 
bezahlter Wett- und Spielschulden verbietet, bringt er die 

KQr die gobübrondo Schätzung der höheren LeUtungen insbesondere 
liöwenfeld in den Gutachten aus dem AnKalistandt ^ S. 858 ff. 

^ Vgl. insbosondoro Aber dos ^Kinstimmigkeitsprincip^* : Motive^ Bd. 
2, S. 602. 

’) Oierke, der Entwurfs 8 . 252 ff.; Peraonettgemeinschaften und 
Vermogeniinbegriffe^ S. 95 ff. Bojens, in den Gutachttn aus d. An^ 
waltstande^ S. 1015 ff. 



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Gebote des Rechts und des Anstands mit einander in Einklang. 

In dem Biirgschaftsrechte (§§ 668 ff.) sind fidejussio und 
constitutum debiti alicni unter einander und mit dem Credit- 
auftrage verschmolzen, .soweit nicht ein anderer Wille der 
Vcrtragschliessenden erhellt“ (§ 680). Das beneficium excus- 
sionis (§§ 674 ff.), das dem römischen Recht entnommen 
ist, ist Gegenstand eines Angriffs geworden'). 

Von grösster Bedeutung ist die gesetzliche Anerkennung 
des sogenannten .Schuldver.sprechens“ (g 683). Dies ist, wie 
der Entwurf definiert, ein Versprechen, bei dem ein beson- 
derer Verpflichtungsgrund nicht angegeben (oder nur im 
Allgemeinen bezeichnet) ist. Hierzu ist zu bemerken , dass 
strenge genommen solche Versprechen überhaupt nicht Vor- 
kommen. Leute, die bei gesunden Sinnen sind, geben immer 
unter sich den Verpflichtungsgrund an, sofern .sie einen 
Schuldvertrag schliessen , etwa mit alleiniger Ausnahme des 
Versprechens aus der Anweisung, bei dem der angewiesene 
Schuldner und der Empfänger seines Schuldversprechens 
durch Hervorhebung der Thatsache , dass jeder im Hinblicke 
auf das Vermögen des anweisenden Dritten handelt, die Art 
ihrer Beziehungen zu diesem Dritten verhüllen können. Das 
abstrakte Versprechen ist also nicht ein solches , dessen 
Grund bei der Abrede verhüllt bleibt, sondern dessen Grund 
bei einer etwaigen späteren Klage auf Erfüllung soll verhüllt 
bleiben dürfen. Die Praxis wird wohl in diesem Sinne den 
Gesetzestext auszulegen wissen. 

Da die Vor.schriften über die Vorbedingungen einer gül- 
tigen Klage öffentlichen Rechtes sind, so würde ihre Aus- 
Bchliessung durch die ge.schilderte Abrede ohne besondere 
Gesetzesvorschrift nicht gültig sein, obwohl das Gegenteil 
in neuerer Zeit längst herrschende Meinung geworden ist. 
Um bei dieser schwierigen Streitfrage keiner Partei Unrecht 

■) Von Ungor, der ca nach deutschen Rechtganschauungon für über- 
flüssig hält: Jahrb. f. Dogm., Bd. 29, S. 1—26. Zur exceptio divi- 
»ionis. Vergl. Sokolowski in der Zeitschrift der Saeigmj- Stiftung . 
Bd. U, 8. 278 fl'. 



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87 



zu thun , muss man zunächst auf das römische Recht blicken. 
Dieses gab aus der cautio indiscreta eine Klage und verur- 
theilte , falls der Verklagte keinen glaubwürdigen Wider- 
spruch gegen den Schein erhob. Geschah dies, so fiel die 
Beweislast auf den Kläger; er musste den Schuldgrund 
nachweisen. Es ist das zwar bestritten ; allein ohne diesen 
Satz wären die vielen Verbote wucherlicher und anderer 
unerwünschter Verträge prakti-sch völlig werthlos gewesen. 
Da der Wucherer sich ohne Zeugen einen Schuldschein aus- 
stellen zu lassen pflegt, so würde sein Opfer eine Gesetzes- 
vorschrift , welche ihm gegen abstracte Schuldscheine ein 
Anfechtungsrecht gewährt, als eine brauchbare Hilfe nicht 
empfinden ‘). Da die herrschende Meinung hiervon nichts 
wissen will, so ist es auch nicht verwunderlich, dass der 
Entwurf in dem abstrakten Schuldscheine den Wucherern 
eine neue Waffe in die Hand drückt'). Das würde nicht 
möglich sein , wenn nicht in der vom Entwürfe angenom- 
menen Lehre ein wahrer Kern läge , nämlich ein Widerspruch 
gegen unsere strengen (nachrömischen) Klagebegründungs- 
schriften , welche bei der cautio indiscreta schon in der 
Klageschrift einen Nachweis des Schuldgrunds verlangen. 
Den unangefochtenen Schuldschein ohne Schuldgrund wird 
man in Zukunft als zureichenden Klagegrund ansehen dürfen; 
darin liegt ein Fortschritt. Wird aber der Einwaud des 
fehlenden oder unerlaubten Schuldgrunds erhoben, so wird 
nunmehr die Beweislast darüber , wie es sich mit dem Schuld- 
grunde verhält, auf den Verklagten fallen, und dies wird 
ein empfindlicher Nachtheil sein. So soll z. B. das abstrakte 
Versprechen , wenn es eine Schenkungszusage in sich birgt, 
nach § 440 an deren Form gebunden sein. Diese Vorschrift 
wird jedoch nur dann wirksam sein können , wenn nicht 
dem Schuldner die meist unerschwingliche Beweislast darüber , 

') Giorke, der Entwurf, 8. 226. 

’) Dagegen auch der in v. Kir c ben h ei m's Centralblatt , Bd. ItC , 
S. 131, unter nr. XII abgedruckte Beachlusa dea preuaaiachen Landca- 
Oekonomie-Kollegium. 



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88 



dass dem einfacheu Schuldversprechen eine Schenkung zu 
Grunde lag, aufgebürdet wird. 

Auch in dem Schuldversprechen auf den Inhaber (g§ ü85 
ff.) ') hat die herrschende Lehre einen Triumph gefeiert. 
Die Creationstheorie ist anerkannt , die Schuldverschreibung 
soll verpflichten, nicht das Versprechen, das in der Ausgabe 
liegt. Dass diese Gestaltung der Dinge übrigens nicht blos 
vom theoretischen , sondern auch vom praktischen Stand- 
()unkte schweren Bedenken unterliegt, hierüber möchte der 
Verfasser auf die neueste Auslassung seines sehr verehrten 
Herrn Collegen Heinrich Lehmann (Professor in Mar- 
burg) verweisen ’). 

In der Lehre von den unerlaubten Handlungen *) bewegt 
sich die Reichsgesetzgebung in der Hauptsache in den rich- 
tigen Bahnen. Zunächst stellt sie einige allgemeine Lehren 
auf, die zum Theil Uber die Grenzen des Gesetzgebungs- 
befehls in das Gebiet unwandelbarer psychologischer Erschei- 
nungen , welche vom Gesetzgeber nur beobachtet , aber nicht 
beeinflusst werden können , hinUberreichen. 

Die Frage , was eine Uebelthat (oder widerrechtliche Hand- 
lung) ist, ist merkwürdiger Weise nur halb beantwortet. Es 
ist nämlich in § 705 mitgetheilt, dass die schädliche Hand- 
lung gegen die guten Sitten .auch“ als widerrechtliche Hand- 
lung gelten soll; was aber sonst, also in erster Linie dafür 
zu gelten hat , darüber ist geschwiegen. 

Die Delicte werden in vorsätzliche und fahrlässige einge- 
theilt. Dolus malus ist also hier (g§ 704 ff.) als Vorsatz über- 
setzt*), nicht als .boshafter Vorsatz“. Vielleicht wird die 



’) Vgl. hierzu Koch, Geld und Werthpapiere, 1889, S. 36 ff. — 
8. J a 0 0 b y , in den Annalen dee Deutschen Reichs f. Geselzgeburtg u. b. w. , 
1888, 8. 583 ff. 

■) Festgaben der juristischen FacuUät zu Marburg für Georg Wilhelm 
Wetzeil, Marburg, Eiwert 1890, 8. 285 ff. 

’) Vgl. 0. 8chmidC, in den Gutachten aus dem Anwaltstande , 8. 
1183 ff. 

Vgl. hierzu von Liszt, Beiträge, 5tei Heft, § 4, 8. 14 ff. 



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80 



Praxis hier durch einschränkende Auslegung nnchhelfen. Es 
giebt bekanntlich auch ein vorsätzliches Unrecht aus Edel- 
mnth , z. B. wenn die Schwester eines Physiologen einen Vogel 
aus Mitleid wissentlich davon fliegen lässt, um ihn den Qualen 
der Vivisektion zu entziehen '). Wenn der Gesetzgeber der- 
artige Fehlgriffe als Schlechtigkeiten und nicht als Willens- 
schwächen behandelt, so macht er sich derselben Gefühls- 
härte schuldig, welche zu bekämpfen seine Beruf'spfiicht ist. 

Die schwierige Frage , ob zur verschuldeten Schädigung 
auch eine Voraussehbarkeit des Schadens gehört , ist im Ent- 
würfe (§ 704) in einer so wenig klaren Weise beantwortet , 
dass die getroffene Bestimmung auf einen erheblichen prak- 
tischen Einfluss nicht würde rechnen können. Es soll nämlich 
in der Kegel nur auf Voraussehbarkeit der Entstehung, nicht 
des Umfangs des Schadens ankommen, ausnahmsweise aber 
auch auf die erstere nicht, wenn schuldhafter Weise „das 
Recht eines Anderen verletzt ist* (§ 704). „Als Verletzung 
eines Rechts im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch 
die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, 
der Freiheit und der Ehre anzusehen“. Hier befremdet es, 
Guter, die das Staatsgebot nicht zu geben vermag, wie 
Leben und Gesundheit, als „Rechte* bezeichnet zu sehen. 
Im Grossen und Ganzen wird also zum Begriffe der Schuld 
Vorhersehbarkeit des thatsächlich eingetretenen Schadens 
nicht verlangt. Was allerdings z. B. ein Bahnwärter , der 
aus Schlaftrunkenheit eine Weiche falsch gestellt und eine 
Entgleisung verursacht hat , vorhersehen konnte , w’ar nur 
ein unbestimmtes Nebelbild des Eisenbahnunglücks, ein Chaos 
von zertrümmerten Wagen, zerbrochenen Gliedern, getöd- 
teten Menschen und Thieren und dergleichen. Wann und 
wie die Entgleisung stattfinden werde und mit welchen 
Folgen, konnte er nicht genau wissen; was er aber immer- 
hin vorhersehen konnte, wareine unendliche Menge möglichen 
Unheils und er sollte nur für dasjenige haften, was inuer- 



*) L. 7 § 7 Dig. de dolo male 4, 3. 

7 



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90 



halb dieser als möpilich denkbaren Unprlücksmasse lieRt. 
Insofern also hätte die Vorhersehbarkeitslehre allerdings eine 
Anerkennung verdient. 

Dom heutigen gemeinen Recht entspricht die grnndsiitzliche 
Beseitigung der actiones , qnae poenam persequnntur. Die 
Strafklagen sind fallen gelassen. Sie sind allmählich ver- 
schwunden . vermuthlich nicht ohne Einfluss des Morulgebotes . 
das die Rachsucht verwirft. Nur soweit die Privat.strafe in 
besonderen Reichsgesetzen unter dem Namen der Busse fort- 
lebt, i.st sie beibehalten (§ 721). 

Wenn alle Schadensersatzansprüche in 3 .lahren nach 
dem Vorbild des prenssischen Rechts verjähren (§ 719), so 
lässt .sich dies aus demselben Grunde rechtfertigen , der oben 
für die blos einjährige Anfechtbarkeit der durch Trug und 
Zwang veranla.ssten Geschäfte angeführt wurde. Dass die 
Bereicherungsansprüche länger dauern sollen, als die Er- 
satzklagen , ist eine Art Nachbildung des bei der actio doli 
gültigen römischen Rechts. 

Der Titel, welcher die Deberschrift trägt , einzelne uner- 
laubte Handlungen“ (gg 722 ff.), enthält nur einige Anw'ei- 
sungen für Schadensersatzbercchnungen in gewissen zweifel- 
haften Fällen, Tödtung, Körperverletzung, nicht aber etwa 
nach Art der Pandektenlehre die einzelnen haftbarmachenden 
Delicte. Vielmehr ist mit dem römischen Rechte, das aus 
verschiedenen Uebelthaten verschiedene Ansprüche gab , ge- 
brochen und der naturrechtliche Satz , den auch schon das 
preussische Recht aufstellte, dafür eingetauscht, dass jede 
widerrechtliche Handlung ersatzpflichtig macht. Hinsichtlich 
der böslichen Uebelthaten ist dies sicherlich ein Fortschritt. 
Es war ein Misstrauen gegen den Richter, welches die 
Römer erst spät dahin führte, die actio doli als „everriculum 
malitiarum“ wenig.stens subsidiär zuzuhassen. .Jetzt hat .sie 
gewi.sser Maassen alle ihre Vorgänger in .sich verschlungen. 

Dass dagegen die actio legis Aquiliae von den Verletzungen 
und Entziehungen der körperlichen Gegenstände auf alle 
\^ermügen.sschädigungen erweitert ist, entspricht zwar einem 



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natürlichen Gefühl . nicht, aber Her von Her Snchkeimtni.ss 
geleiteten höheren Einsicht. Dass wir alle fortwährend in 
einer gewissen Schuld uns fortbewegen, von Uebereilung in 
Süuraniss stürzen und umgekehrt, kann nur derjenige läug- 
neu , der sich in den Anforderungen gegen sein Gewissen 
durch unerfreuliche Genügsamkeit anszeichnet. Dass wir 
nun durch unsere Schuld fortwährend mehr oder weniger 
Schaden anrichten , der sich schliesslich häufig in baarer 
Münze geltend macht, steht gleichfalls fest. Man denke nur 
an den verhängni-ssvollen Einfluss schlechter Bücher . böser 
Beispiele , verkehrter Rathschläge u. dergl. Soll all solche 
Schuld ersatzpflichtig machen? Das wird die Praxis nun 
und nimmermehr annehmen , auch wenn es bestimmt sein 
wird. Dazu kommt, dass das verschuldete Unglück oft fort- 
zeugend neues gebärt. Aus der von uns verschuldeten Ver- 
niügensverletzung des Nachbarn kann sich sein Selbstmord , 
aus diesem der Untergang seiner Kinder entwickeln und so 
fort. Die Voraussehbarkeit des Schadens vermag hier keine 
Grenze zu ziehen, und auch der ,blos mittelbare* Schaden , 
von dem man gesprochen hat , ist ein praktisch werthloses 
Wort, dem kein genau bestimmbarer Begriff entspricht. Das 
römische Recht zog hier eine feste Grenze, indem es einen 
sichtbaren beschädigten oder entzogenen Gegenstand als 
Vorbedingung der Krsatzpflicht voranssetzte ; das zukünftige 
Reichsrecht überlässt hier die unvermeidliche Abgrenzung 
dem richterlichen Ermessen , woraus eine gewis.se Reebts- 
nnsicherheit entstehen kann. Ersatzklagen leichtsinniger Kläger, 
die ihr Glück versuchen, und rauthloser Verzicht auf wohl- 
begründete Schadensersatzansprüche würden sich in Folge 
dessen möglicher Weise häufig einstellen. 

Dass die obligationes quasi ex delicto so gut wie gänzlich 
beseitigt sind, ist mit Recht beklagt worden. Unschuldige 
sollte das Recht ausnahmsweise dann haften lassen , wenn 
diese Haftung einerseits nicht allzu beschwerlich , anderer- 
seits aber durch ein allgemeines Interesse erwün.scht ist. 
Statt dessen ist die strenge Haftung Unschuldiger bei der 



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92 



sogenannten actio de effusis ve! dejectis /,n einer blns-^en 
Vermutung zn Ungunsten der Leute , aus deren Wohnung 
etwas herausgegossen oder geworfen worden ist , abgeschwächt 
(g 729), und im gleichen Sinne ist auch der Fall der römi- 
schen actio de positis vel suspensis der Veraltung wieder 
entrissen worden (§ 733). Auch den Inhabern von Thieren 
ist ihre Haftung, namentlich gegenüber dem strengen französi- 
schen Rechte, sehr leicht gemacht; sie sollen nur für eigene 
Verschuldung haften (§ 734) , nicht wie nach römischem Recht 
für ungewöhnliche Wildheit des Thieres, deren Folgen vom Ver- 
letzten nicht erwartet und daher nicht vermieden werden konn- 
ten (sogenannte Gefährlichkeit contra naturam sui generis). 

Die cautio danini infecti .soll dadurch ersetzt werden , 
dass (§ 735) jeder Hausbesitzer sein Gebäude erhalten muss 
und für die Folgen eines Einsturzes haftet. Dadurch wird 
den Besitzern werthloser Ruinen , die durch ihren Einsturz 
ein ko.stbares Nachbarhaus bedrohen , eine oft unerschwing- 
liche Last auferlegt, vor der sie sich durch Preisgeben des 
werthlosen Bauwerks bei Zeiten werden sichern müssen. 

Die römische Haftung dos lüchters , qui male judicavit, 
ist , dem neueren deutschen Rechte entsprechend , in dop- 
pelter Veränderung beibehalten (§ 736). Einmal ist sie auf 
alle fahrlässigen Amtshandlungen auch nichtrichterlicher Be- 
amten ausgedehnt und zweitens nach dem Vorbilde des 
Deutschen Rechtes für die Rechtsprechung erleichtert wor- 
den (§ 736, 3). Sie soll bei Pflichtverletzung im Leiten 
oder Entscheiden einer Rechtssache nur da eintreten , wo 
auch das Strafrecht den Pflichtvergessenen eine Haftung auf- 
legt. Der strengere römische Kcchtsgriindsatz mag sich vor- 
trefflich bewährt haben , als man die Privatgeschworeneu 
nur aus reichen Leuten wählte und für die Rechtskenntnisse 
der Urteiler noch keine Gewährleistung in den Staatsprüfun- 
gen besass. Uns müsste ein gleicher Druck auf die Richter 
Angesichts der vielen Schwierigkeiten und Dunkelheiten des 
Rechts als eine zwecklose Härte erscheinen. 

Die obligationes ex variis causarum figuris („Einzelne 



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93 



Schuldverhältnisse aus underen Gründen“) haben zunächst der 
aus dem Entwurf verbannten Klasse der obligationes quasi 
ex contractu eine Zufluchtsstätte gewährt *). Wir finden daher 
hier die Bereicherung, die Geschäfufühiung ohne Auftrag und 
die Gemeinschaft behandelt. Bei der allgemeinen Haftung 
für grundlose Bereicherung (§§ 737 fl.) sind einige besondere 
Fälle ausgezeichnet: die condictio indebiti (die merkwürdiger 
Weise nach § 738 bei den zu frühe getilgten betagten Ansprü- 
chen ganz Wegfällen soll), die condictio ob causam datorum 
(§§ 742 fl’.), die von Neueren sogenannte condictio causa 
data, causa finita (§§ 745 ff.) und die condictio ob turpem 
causam (§ 747). Die übrig bleibende condictio sine causa 
(§ 748) hat somit die condictio ob injustam causam in sich 
verschlungen ’). Eine auflfallende Abweichung vom römischen 
Hecht liegt darin , dass bei diesen Bereicherungsklagen 
(mit Ausnahme des § 748) nicht von Rückgabe der zur 
Zeit der Klage vorhandenen Bereicherung die Rede ist, 
sondern einfach von Rückerstattung des .Geleisteten“ (S§ 737 , 
742, 745, 747). Wer z. B. einem Bräutigam eine Mitgift vor 
der Hochzeit in baarem Gelde geschenkt liat, wird, wenn 
die dafür gekauften Möbel unversichert in Flammen auf- 
gehen und die Verlobung sich auflöst, das .Geleistete* ver- 
langen dürfen. Aus dem Satze , dass es unbillig ist, wenn 
sich jemand mit dem Schaden des anderen bereichere, wird 
man also in Zukunft diese Klage nicht mehr begründen 
können. Vielleicht hängt hiermit der Wegfall derjenigen 
Fälle der negotiorum gestio zusammen , welche man eine 
.unechte“ negotiorum gestio genannt hat, nämlich der ne- 
gotiorum alienorum gestio sui lucri causa. Die Bereicherungs- 
Klage soll hier an Stelle der in den Quellen gewährten 
Haftung aus der Geschäftsführung ohne Auftrag treten (§ 761). 

') Vgl. zu dom Folgenduo Hurt mann, in den Gutachttn a. dem 
Amraltslande j S. 323 fT. 

Eine aueserordontlicbc Vereinfachung; dieser Vorschriften bringt 
Zitelmaiin in Vorschlag (Dit liechUyeachUfte im Entwurf u. s. w. , 
Theil II, ö. I«5). 



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94 



Tn der I^eljre von der Oenieiuscliaft ist der Fortfall dea 
ric'literlicheu Zuaclilaffsurteils in Theiluugspro/.esaeu hervor- 
'/.uiieben (§ 7ü9). Wenn die I^arteien sich hinsichtlich der natür- 
lichen Theilung des gemeiiisauien Grundstücks nicht einigen , 
so soll ein Verkauf für ihre Kechnung erfolgen müssen. 

Alle die Forderungen, die man noch sonst bei den obli- 
gutiones ex variis cau.sarum figuris zu suchen gewöhnt ist, 
sind zu den Üechtszweigen gestellt worden, zu deren Unter- 
stützung diese Ansprüche vom Staate gewährt sind. So ist 
die Ergänzung des Grundeigenthunisrechts durch Ansprüche 
der Nachbarn unter einander in das Sachenrecht verwiesen 
()5§ 8ö0 ö.) , die Ernährungsansprüche aus verwandtschaft- 
lichen Beziehungen haben im Familienrechte eine Unterkunft 
gefunden (§g 1 480 ft.). Nur die dem l’rocessrechte als Er- 
gänzung dienende actio ad exhibendum ist der Forderungs- 
lehre treu geblieben. Sie erscheint als erster Theil des 
Titels „Vorlegung und Offenbarung* (§i; 774 — 777). Die 
„Offenbarung“ erklärt sich daraus, dass ein auskunftsjifiich- 
tiger Geschäftsführer , der über mehrere Vermögensstücke 
Hechenschafl zu legen schuldig ist, seinen Bericht durch 
einen Manifestatiouseid ergänzen muss. Dieser Eid, den man 
bei der Verdeutschung unserer technischen Ausdrücke wohl 
zum .Auskunftseide“ hätte stempeln können, hat bereits in 
der Reichs-Civilprozessordnung den Namen Offeiibarungseid 
erhalten. Der Name klingt für die nüchterne Sache, die er 
bezeichnet , ein wenig feierlich. Wenn ein Krämer von seinem 
Lehrling über einige Früchte, die dieser für ihn verkauft 
hat, eine Auskunft erfragen wird, so wird man die Antwort 
in der Sprache des Entwurfs eine .Oßenbarung“ nennen 
müssen. 



Da.s Sachenrecht (Buch 3) ') ist in seinem Inhalte weit 

*) Vgl. M. Wolff, in den Gutachten a. d. Anwaltstande, S. 619 ff. 
— Coauck, das Sachenrecht mit Ausschluss des besonderen Hechts der 
unbeweylichen Sachen im Entwurf, BurliuOSS9. 



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mehr von den Wandlungen der nachrömischen Rechtsge- 
Bchichte beeinflusst, als die Grundsätze des fordorungsrecht- 
lichen Verkehrs. Wir finden hier Nachwirkungen der mittel- 
alterlichen Landwirthschaftsverhältuisse wie des bevormun- 
denden Polizeistautes , sowie die Spuren des modernen 
Creditwesens. In der Anordnung dagegen ist das Vorbild 
der PandektenlehrbOcher unverkennbar. Der Abschnitt 1. 
beginnt mit einer allgemeinen Sachenlehre, wie man sie 
wohl anderweitig auch im allgemeinen Theile der Pandekten 
als Seitenstück der Lehre von den Personen findet. Hierauf 
wird der Besitz vor den Rechten abgehandelt, das ,that- 
sächliche Abbild“ der dinglichen Rechtsbefugnis.se vor dem 
[Trbilde, einem Schäften vergleichbar, den das eigentliche 
Sachenrecht vor sieh hervvirft (Abschnitt 2.). Ehe nun im 
Folgenden die einzelnen dinglichen Rechte durchgesprochen 
werden, ist im Abschnitt 3. noch ein fernerer allgemeiner 
Theil aufgestellt: „Rechte an Grundstücken“. Er enthält 
die Hauptgesichtspunkte des Rechtes der unbeweglichen 
Güter, dessen Scheidung von dem übrigen Sachenrechte 
eine Errungenschaft der nachrömischen Rechtsgeschichte ist, 
die wohl ursprünglich aus der politischen Bedeutung des 
Grundbesitzes die Hauptkraft ihrer Geltung entnahm , später 
aber als Grundlage und Quelle unseres Creditwesens unent- 
behrlich wurde. 

Hinter dem Eigenthum (Abschnitt 4.) finden wir dort, 
wo uns die Erinnerung an die Pandektenlehrbücher die em- 
phyteusis und superficies vcrmuthen lässt, das Vorkaufsrecht 
(Abschnitt 5.) und das Erbbaurecht an Grundstücken (Ab- 
schnitt (5.). Dies erklärt sich daraus , dass ersteres als 
Surrogat der nicht aufgenommenen Erbpacht betrachtet wird , 
letzteres aber eine verkümmerte superficies ist. Dass in die 
Aufzählung der dinglichen Rechte hinter den Dienstbarkeiten 
(Abschnitt 7.) die Pfandrechte aufgenommen (Abschnitt 9.) 

'V.und vor ihnen die Reallasten (Abschnitt 8.) eingeschobeu 
'nd, erklärt sich aus der Auffassung des dinglichen Rechts , 
sie dem Entwürfe vorschwebt und die nicht ohne An- 



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9(i 



fechtun>5 geblieben ist. Will man unter den dinglichen Rechten 
nur solche Befugnisse verstehen , bei deren Ausübung der 
Berechtigte die dienende Suche anfasst oder betritt oder doch 
wenigstens (wie im Balkenrecht) durch eine dauernde Anstalt 
berührt, so sind nicht blos die besitzlosen Pfandrechte , son- 
dern auch die servifutes prnhibendi aus diesem BegritFe aus- 
zuscheiden ; will man unter dem dinglichen Recht ein nach allen 
Seiten geschütztes Verhältniss zu einer Suche verstehen '), 
so würde es keine actiones in personam in rem scriptae geben 
können. In Wahrheit aber i.st das Merkmal der Dinglichkeit in 
Bezug auf bestimmte körperliche Sachen sehr wohl zu finden 
und in etwas ganz. Anderem zu suchen , nämlich in der 
Wirkung des verbietenden Rechtsbefehls, welcher den Be- 
rechtigten schon jetzt nach allen Seiten sichert, und in dem 
dauernden Einflüsse , den dieser Befehl auf die Schicksale 
der Sache hat. Jeder Rechtsbefehl beeinflusst freilich zunächst 
nur Menschen , nicht Sachen , denn nur Menschen können 
ihn vernehmen und befolgen; allein indem sie es thnn, er- 
leidet die Sache ganz andere Schicksale , als ohnedies der 
Fall sein würde, z. B. ein Platz bleibt wegen einer Aus- 
sichtsgerechtigkeit unbebaut. Das Recht drückt hemmend 
auf die Seele des sonst baulustigen Platzeigenthümers und 
somit auch auf den Platz , von dem es das Gebäude fern- 
hält, das sich ohne jenes Recht auf ihm erheben würde. 
Aus diesem Gesichtspunkte beeinflusst auch die Hypothek 
die Schicksale ihres Gegenstandes ; sie zerstört z. B. Ver- 
kaufsgelegenheiten oder Baupläne, welche ohne ihr Vor- 
handensein verwirklicht werden würden. In diesem Sinne 
ist der Begriff des dinglichen Rechts genau festgehalten 
worden. 

Auch noch in einer andern Richtung hat sich der Ent- 
wurf bei der Unterscheidung der persönlichen und dinglichen 
Rechte nicht irre machen lassen , indem er das jus ad rem , 
wie es diis Preiissische Landrecht der Wissenschaft seiner 



') So Fuchs, Das IFssen der Üinglichkeit , Berlin 1889. 



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97 



Zeit entnommen hatte, verwarf '), allerdings nicht ohne Wider- 
spruch zu finden '). Es handelt sieh bei dieser Zwischen- 
bildung um den Anspruch auf bestimmte Sachen (z. B. auf 
einen erkauften Gegenstand) und darum , dass ein Dritter , 
der in Kenntniss dieses Anspruchs die Sache vom Schuldner 
erwirbt, dem hierdurch Beeinträchtigten wegen seiner Bei- 
hülfe zum Vertragsbrüche des Schuldners haften soll. Aus 
den allgemeinen Sätzen über .dolus“ lässt sich — wenigstens 
nach der herrschenden Lehre — eine solche Haftung nicht 
herleiten. Will man sie anordnen , so kann man dies jeden- 
falls durch Schöpfung einer besonderen Delictsforderung in 
einfacherer Weise bewirken, als durch die Annahme eines 
Mitteldings zwischen persönlichen und dinglichen Rechten. 

Neben den Sachenrechten fehlen die sonstigen durch all- 
oder vielseitige Befehle geschützten Rechte , nämlich die 
Rechte zur ausschliesslichen Benutzung bestimmter Erwerbs- 
quellen, das geistige Eigenthum, das Recht an Photogra- 
phien und Bildwerken u. s. w. ’). Diese ganze , im Wesent- 
lichen nachrömische Rechtsgruppe der allseitig geschützten 
Erwerbsrechte ist den besonJern Reichsgesetzen überlassen 
geblieben , auf denen ihr Schutz beruht. Hier hätte freilich 
eine Zusammenfassung vereinfachen und für die weitere 
Rechtsentwicklung die.ser monopolartigen Erwerbsvorrechte 
eine feste Grundlage schaffen können. 

Wenden wir uns nunmehr dem Sachenrechte des Entwurfs 
im Einzelnen zu. 

Die in Ab.schnitt 1. vorangeschickte allgemeine Lehre von 
den Sachen, welche von den rechtlich wichtigen Sacheigen- 
schaften der Dinge handelt , kann ihren lehrhaften Charakter 



') Vgl. hierzu Motive, Bd. 2, 8. 5, 281, 384. 

^ Vgl. die Schrift von W, Kindel, das Hecht an der Bres- 

lau 1889, welche Bich mit den grundlegendüten Sätzen uoBerer Pandek- 
tenduktrin in einen »chrolfeD WiderBprueb BCtzt. 

’) Auch hinsichtlich des \S'a8serrechta ist eine Ergänzung des Ent- 
wurfes Torgescblagen von Metz, in den Gutachten aus dem Anwalt^ 
Stande^ S. 9ö5 ff. 



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08 



nicht verleugnen. Wenn irgend etwas eine bio.sse Betrach- 
tung ist und kein Befehl, so sind es die Begriffsbestimmungen 
der Vertretbarkeit, Beweglichkeit und ähnlicher Dinge. Man 
vergleiche z. B. § 781 , Absatz, 1 : .Unbewegliche Sachen 
sind die Grundstücke“. Merkwürdig ist auch, dass z. H. 
nach dem Wortlaut des Entwurfs in einer Kunsthandlung^ 
die dort verkäuflichen Marmorstatuen als verbrauchbare Sachen 
gelten müssten'), wais doch offenbar nur in ganz bestimmten 
Beziehungen wahr sein soll, z. B. insofern, als ein Niess- 
brauch an einem solchen llaudlungsgeschäfte dem Berech- 
tigten die Veräusserung derartiger Stücke ge.statten soll. 

Im Begriffe des Zubehörs (Pertineuz) sieht der Entwurf 
nichts , als ein Mittel zur Auslegung von Rechtsgcschällen 
(g 790), d. h. was von der Hauptsache bestimmt ist, gilt 
im Zw'eifel auch vom Zubehör. Dies ist mit Lebhaftigkeit 
augefochten worden , freilich , ohne dass m. E. dieser nüch- 
ternen Auffassung eine gleich brauchbare abweichende Lehre 
eutgegengestellt worden wäre ’). Bei der Dotinition des g 792 : 
„Früchte einer Sache sind die Erzeugnisse der letzteren und 
diejenige sonstige Ausbeute aus derselben, deren Gewinnung 
zur bestimmungsniässigen Nutzung der Sache gehört“ ist 
offenbar vergessen worden hervorzuheben , da.ss e.s sich nur 
um eine solche Ausbeute handeln kann, die von Zeit zu 
Zeit in gleicher Art wiederkehrt *). Ümnis definitio periculosa. 

Das schon oben besprochene Streben des Entwurfes nach 
einem möglichst vielseitigen Schutze des redlichen Dritten 

’) § 780, 2, „Ala verbrauchbare Sadieu geiten auch diejenigen be- 
weglichen Sachen, welche zu einem SacliiiibegrifTe gehören, desaeti 
»tinituungsuifisbigo Nutzung m der VeräuKserung der einzelnen Suchen 
büftleht.“ 

*) Vgl. hierzu Köhler, in Jhering^a Jahrb.^ Bd. 26, S. 23 ff. — 
Die Gutachten von Hachenburg und Köhler, in den VerhantUungen 
dm 20/tfH d. JuviattnUig» y Hd. 3, S. 122 ff., 145 ff. — ferner die Ver~ 
handlungeHy Bd. 4,8. 138 ff. 

*) Vgl. hierzu CoBuck, Diia Sachenrecht mit Ausschlnim dm henon- 
deren Recht» der unbetceglichen Sachen im Entwürfe «.«.♦«»., Berlin 
1880, 8. 3 und 4. 



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99 



zeij;ft sich auch in dem Satze , dass niemand auf seine Ke- 
fugniss zur Verfügung über ein ihm gehöriges dingliches 
Recht mit Wirkung gegen Dritte verzichten kann (tj 79(5). 
(Dieser Satz hat auch zu der keineswegs unbedenklichen Vor- 
schrift geführt, dass das pactum de non cedendo nicht gelten 
soll, § 295, 2). 

Dass die Vorschriften über Besitz und Inhabung (§§ 797 ff.) 
nicht allgemeine und unbedingte Anerkennung finden würden , 
war vorherzu.sehen ‘). Es ist vielmehr ei’staunlich genug, 
dass auf diesem Gebiete, auf dem ein lebhafter Streit tobt, 
überhaupt ein geschlossenes Ganze entstanden ist. dessen 
Stil nicht mit Dnrecht besonderes Lob erfahren hat ’). 

Die Verfasser haben in der Besitzlehre die beiden Haupt- 
aufgaben ’) richtig erkannt. Zunächst mussten Besitzorwerb 
und Verlust deshalb nonuirt werden, weil von ihnen eine 
ganze Reihe anderer Vorschriften abhängen soll, z. B. Eigen- 
thumserwerb durch Erbeutung, Eigenthumsübergang durch 
Besitzüberlassung u. dergl. mehr. Sodann kam es darauf an , 
festzustellen, wann und wie der Besitz geschützt werden soll. 

Die Entstehung des Entwurfs hat sich hier deshalb unter 
besonders ungünstigen Bedingungen vollzogen , weil für sie 
nicht nur das genannte Werk J h e r i n g’s noch nicht benutzbar 
war, sondern auch eine andere vielfach bahnbrechende Dar- 
stellung einiger Hauptpunkte der Besitzlehre *) so spät er- 
schienen ist, dass von ihrer Beachtung nicht die Rede sein 
konnte. Es scheint überhaupt , als wolle eine Zeit der Klä- 



*) Vgl. hierzu Wondt, im Archiv f. civ. Praxis^ Bd. 74, S. 13ÖtF. 
— V. Jhering, der Bcsitzwi/Ie^ Jena 1889 (eine der bedeutsaiUBtea 
Publicationcu der neuesten Zeit), S. 470 — 534. — MoiHchcider, die 
alten Streitfragen gegenüber dem Entwürfe u.e.w.^ 1889, S. 76 fF. 

') Von Koatz, iu den Gutachten aue dem Anwalteiandcy S. 749. 
Für den Entwurf vgl. Planck, Archiv f. d. civ. Praxis y Bd. 75, S. 
394 ff. 

*) Vgl. den Bericht in V. Kircbenheim's CV;i//*ö/W(i((,Bd. 7 (1888), 
8. 240. 

^) Graf Leo Pininaki, der Thatbestand des Sachbesitza'wei'hs y 
Leipzig 1885, 1888. 



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100 



run«; in diesem Gebiete, dessen Aufgaben für viele der 
Quadratur des Cirkels gleiehstehen , heraufdäinmcrn. Zunächst 
wird man die Fragen, warum der Gesetzgeber llesitzverhältnisse 
schützt , und unter welchen tliiitsächlicheu Bedingungen er 
sie schützt, trennen müssen, und die ersteie mit J h e r i n g 
unl)edingt dahin zu beantworten haben , dass dies nicht aus 
Rücksicht auf den Einzelwillen des Besitzers, sondern aus 
Rücksicht auf praktische Bedürfnisse des Gemeinwohls ge- 
schieht. Was dagegen die zweite Frage betrifft, so haben 
hier gro.s.se Mi.ssverstündni.s.se in Folge verkehrter Quellen- 
übersetzung gewaltet. Wie mau in dem „acquirere pos- 
sessionem corpore“ schon längst nicht mehr einen Hin- 
weis auf ein körperliches Betasten oder Betreten des Erwerbs- 
gegenstandes sieht , so wird eine spätere Zeit auch in dem 
,animus“ beim Besitze nicht mehr einen dauernden Seelen- 
zustand des Erwerbers sehen , sondern an eine nach Raum 
und Zeit bestimmte Erklärungshandlung denken, die, wenn 
sie erst einmal vorgenommen ist, bis zu ihrem Widerrufe 
fortwirkt '). 

Die bisher übliche Eintheilung des Besitzes in „wahren 
Sachbesitz mit aniinus domini“ und „Detention mit animus 
alieno nomine rem habendi“ entspricht ungefähr den beiden 
Ausdrücken des Entwurfes: Besitz und Inhabung ’). Es ist 
dies aber nur ungefähr der Fall; denn der gemeinrechtliche 
Sachbeaitzer ist allerdings der „Besitzer“ des Entwurfs und 
der gemeinrechtliche sogenannte Detentor heisst nun „In- 
haber“ ; im Uebrigen aber geht der Begriff der Inhabung 
im Entwürfe noch weiter, er bezeichnet die „thatsächliche 
Gewalt über die Sache“ (g 797), wie sie der Sachbesitzer 
noch neben dem Be.sitzwillen hat, also nicht ein Seitenstück 



') Vgl. hierzu neuerdings auch Baron, in J heri n g’a Jahrb. f. Dogtn., 
Band 29, S. 192 ff., der eich in den wesentlichsten Punkten an J be- 
ring anschliesst. Vgl. ferner eine Abhandlung Hekker's in Bd. 30 
derselben Zeitschrift: zur 7{c,'or»i i/rs JSi'»iVrrrc/i/cs (wührend des Druckes 
dieses Aufsatzes dem A'erfasscr zugegangen). 

*) Vgl. über diese Terminulogie auch Baron, a. a. 0., S. 236. 



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101 



des Sachenbesitzes , sondern eine Seite seines Thatbestandes. 
Hiernach wird man auch von einer unwissentlichen Inhabung 
reden können , die wir z. B. an einem Packet haben , das 
ein Laufbursche ohne unser Wissen und Willen in unserem 
Garten hinterlegt hat. Ja, man wird, sofern nicht eine ein- 
schränkende Auslegung aushilft , solchen Verhältnissen .sogar 
(nach § 809) einen klageweisen Schutz zusprechen müssen , 
obwohl der durch sie Begünstigte eines solchen keinesfalls 
bedarf. 

Im Uebrigen sind die Grundgedanken des Besitzesschut- 
zes insofern den römischen Vorschriften über Besitzklagen 
ähnlich , als der Besitzer keineswegs gegen jede Beeinträch- 
tigung des Besitzes geschützt ist, sondern nur gegen beson- 
ders schlimme Formen der Besitzstörungen, im Entwürfe 
.verbotene Eigenmacht“ genannt (§ 814). Den Vorwurf der 
Besitzstörung braucht sich niemand gefallen lassen , der un- 
befangenen Sinnes ein fremdes Besitzthum berührt hat. Nur 
bei einem besonderen Frevel, den der Verletzer beging, ist 
die strenge Haftung gerechtfertigt. Zu den Störungsfällen , 
den Sünden des Besitzrechtes, gehören bekanntlich nicht 
nur gewaltsame und heimliche Antastungen von Sachen , 
sondern auch der Missbrauch einer bittweisen üeberlassung 
einer Sache (des .precario“ Hingegebenen). Von dieser letz- 
teren Veranlassung zur Besitzklage spricht der Entwurf nicht ; 
vgl. § 814 : .Niemand darf, soweit nicht das Gesetz für 
besondere Fälle ein Anderes bestimmt , ohne den Willen des 
Inhabers einer Sache demselben die Inhabung entziehen oder 
ihn darin stören (verbotene Eigenmacht)“. Wer sich hier- 
nach eine verkäufliche Sache z. B. betrügerischer Weise zur 
Ansicht erbittet und unter Missbrauch des geschenkten Ver- 
trauens sie als sein angebliches Eigenthum zurUckbehält , 
der wird in Zukunft den Vorschriften über Besitzstörungen 
nicht unterliegen. Dies ist eine Aenderung des Rechts, 
welche schwerlich ein anderes Bedürfniss befriedigt , als das- 
jenige nach Vereinfachung der Rechtsvorschriften. 

Die beiden Hauptunterschiede der Besitzklagen von den 



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102 



Rechtsklarrcn , wie sie das gemeine Recht kennt, siiidin den 
Entwurf aufgenommen ; zunächst die (»rössere Leichtis^keit ihrer 
Durchführung, welche darin liegt, dass der Kläger keine 
Einreden aus dem Rechte des Verklagten zu dulden braucht 
(S 822), sodann als die unvermeidliche Kehrseite dieser 
Medaille: der geringere Werth des klägerischen Sieges in 
Besitzsachen, welcher die Rechtsfrage unberührt lässt. Nur 
in einem Punkte stimmt der Entwurf weniger mit dem rö- 
mischen Recht überein, als mit neueren Doktrinen, näm- 
lich in der Ausdehnung des Besitzschutzes auf die blosse 
Inhabung ();§ 819, 820). Diiss der blosse Detentor , welcher 
die Sache für einen andern besitzt, z. 15. ein Miether , wegen 
Besitzentziehung nicht klagen kann , ist eine zwar herr- 
schende, aber mit gutem Grunde angozweifelte Lehre, da.ss 
ihm jedoch bei blossen Besitzstörungen (ohne Entziehung) 
der Interdictenschutz versagt wird , Ist für das gemeine 
Recht unbestritten. Nun verletzt es allerdings unser Gefühl, 
dass wir den wohl verständlichen Schutzbedürfnissen eines 
solchen Menschen in nichts entgegenkommen dürfen, und 
diesem Gefühle gab der Entwurf nach , indem er es voll 
und ganz befriedigte. Allein der lebhafte Widerspruch, wel- 
chen seine Vorschrift gefunden hat'), beweist, wie gering 
der Werth des blossen Empfindens bei Gesetzgebungsfragen ist. 
Man bedenke z. B. , dass mir nach dem Entwürfe unter allen 
Eraständen das Recht gewahrt bleiben soll, einen Bösewicht, 
der mich aus meinem Hause herausgeworfen hat, in seinem 
fehlerhaften Besitze zu stören (§ 820 .Absatz 2). Hat nun- 
mehr der Üebelthäter das eroberte Haus an einen Unschul- 
digen vermiethet oder sonst zur Inhabung überhassen . so 
ändert dies nach gemeinem Recht meine Störungsbefugniss 
nicht, da der Miether als solcher wegen Störung keinen 
Klageschutz haben .soll und dem Vermiether die Einrede 
fehlerhaften Besitzes entgegenstehen würde. Ein gewaltthä- 

') Vgl. z. B. Meischei der, dieallen Sireilfragen, n.a.O.',y. .Ihe- 
ring, s. a. O.; BShr, in der Krit. VJSchr., Bd. II, S. 481 ff. 



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103 



tiger Eindringlinr; kann sich also nach römischem Recht 
nicht dadurch gegen Störungen schützen , dass er einen un- 
schuldigen Inhaber in die Sache hineinsetzt. Dies wird sich 
in unerfreulicher Weise ändern , wenn derartige entweder 
wirklich oder doch dem Anscheine nach redliche Miether 
in solchen Fällen werden klagen können. Mehr noch , als 
gegen Dritte, ist aber auch der Besitzschutz des Miethers 
wegen Storungen gegen seinen Vermiether misslich. Dieser 
pflegt auf das Recht, die vermiethete Sache zu berühren 
oder zu betreten , nicht gänzlich zu verzichten (z. B. nicht 
soweit er sie zum Zwecke nothwendiger Reparaturen be- 
sichtigen will); ob er nunmehr hierin zu weit gegangen ist 
oder nicht, diese Frage lässt sich in einem Besitzprocesse , 
der von allen Rechtsfragen grundsätzlich absieht, kaum 
erörtern. Allein weit mehr, als dieser wenig beachtete Um- 
stand , ist ein anderer wider den Entwurf in’s Feld geführt 
worden. Man hat mit Recht den Schutz des Detentors ver- 
schieden beurtheilt, je nachdem jemand meine Sache zu 
eigenem Vortheile mit Recht besitzt (so der Niessbraucher, 
Miether, Pächter) ') oder sie blos als Diener eines andern 
in seiner Hand hat. Das.s ein Gutsinspector oder ein Reit- 
knecht seinen Herrn , der ihm sein anvertrautes Eigenthum 
entrei.sst, wegen verbotener Eigenmacht soll verklagen kön- 
nen , das ist ein Ergebuiss der Entwurfsbestimmungen , wel- 
ches entweder im Gesetzestexte oder doch durch eine ein- 
schränkende Praxis wird verbessert werden mü-ssen. 

Dem Besitzrechte fremd , aber doch ihm einvcrleibt ist 



‘) Bähr redet in Anlehnung nn die Ausdrucksweisc Eck’« (Köhler'« 
Archiv für bürg, liecht, Bd. 2, 8. 118) von „Sulzbesifr.“ im Gegcn- 
«Rtzo zum „Eigenthumsbeeitze“; v. Jliering, der Besitztcilie, unterRchei* 
det, 8. 510 ff.: 1. dR« häusliche, 2. das prokuratorische, 3. das momen- 
tane Dicn«tvcrhältniss; C o «r c k, r. a. O. , 8. 5 ff. : Eigenbesitz, Unterbesitz 
und Oewnhrsam ; Strohal in den Jahrb. f. Dogm., Bd. 29, 8. 336 
ff. will neben dem Eigenbe«itzer und dem Nutzbesitzer auch noch den 
auf ein unentziehbare« Recht gestutzten Verwaltungsbcsitzer geschützt 
wissen. 



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104 



eine Beweisregel {§ 825). Bei Klagen wegen Entziehung oder 
Beschädigung einer Sache soll vernnithet werden , dass ihr 
blosser Besitzer den entzogenen oder geminderten Werth der 
Sache verlangen darf. Es ist dies ein guter Gedanke, der, 
wie wir sehen werden , auch in der Gestaltung der reivindicatio 
strenger hätte festgehalten werden sollen. 



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IV. 



An den Besitz reihten sich, wie wir oben sahen, .allge- 
meine Vorschriften über Hechte an Grundstücken“. Von be- 
sonders grossem Einflüsse war hier das preussische Recht, 
sowohl in seinen älteren als auch in den neueren Strömungen. 
Im Streben , aus den unzulänglichen Verhältnissen des heiligen 
römischen Reichs deutscher Nation herauszukommen , stand 
Preussen auch hier in erster Linie. In ihm wirkte die Natur- 
rechtsbewcgung , welche den geschichtlichen Ballast über Bord 
zu werfen einlud , mehr als anderswo. Der Zweifel an der 
Älleingültigkeit römischer Grund.sätze war wohl nirgends von 
so zerfressender Schärfe , wie dort. Aber auch in un.serem 
.Jahrhunderte war Preussen vor allen anderen Staaten be- 
müht, den wirthschaftlichen V^orspning Frankreichs vor den 
deutschen Landen, der sich sehr fühlbar gemacht hiitte , so 
viel wie möglich einzuholen. In dem Streben , den völlig 
veränderten wirthschaftlichen Verhältnissen, namentlich dem 
Immobiliarcreditwesen , Genüge zu thun , hat sich die neuere 
preussische Gesetzgebung vor allen ausgezeichnet ‘). 



■) Vgl. Kreoh, Die Rechte a» Grundetilcken mich dem Entwürfe 
M. «. KJ., üerlin 1889. 



S 



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lOG 



So ist denn hier der Entwurf, ebenso wie das neuere 
preussische Recht, dem Streben nach Kapitalsanlage ver- 
möge einer Grundsttlcksverschuldung allerdings in hohem 
Maasse entgegengekommen ') und hat hierfür in durchgrei- 
fenden Sätzen des Immobiliarrochts zunächst eine feste Grund- 
lage gelegt. Dieser dritte Abschnitt hat eine eingehende Er- 
gänzung in dem inzwischen veröflentlichten „Entwurf einer 
Grundbuchordnnng“ ’) gefunden , dessen Bedeutung am Besten 
mit den eigenen Worten seiner Motive ’) dahin angegeben 
wird , dass die äussere Einrichtung der Grundbücher durch 
die Vorschrift des Einführungsgesetzes im Allgemeinen der 
partikularen Regelung üborla.ssen worden ist, es aber doch 
unumgänglich erschien , gewisse reichsgesetzliche Anforde- 
rungen an sie zu stellen. 

Das Grundbuchwesen steht bekanntlich überall auf nachrö- 
mischer Grundlage. Sein P’ormalismus dient weniger der Ver- 
kehrssicherheit (dass ein lebhafter Handel mit Grundstücken 
nicht erwünscht ist, ist unbestritten) als dem Creditwesen, 
das sich auf der Sicherheit der Grundeigenthumsverhältnisse 
aufbauen soll. In seinen geschichtlichen Wurzeln mag das 
Grundbuchwesen freilich mehr der Rechtssicherheit , nament- 
lich der Beseitigung von Beweisschwierigkeiten und der 
Klarstellung desjenigen Augenblicks , in welchem der Eigen- 
thumsübergang erfolgt, gedient haben, späterhin aber dräng- 
ten sich andere Gesichtspunkte in den Vordergrund. Das 
von socialistischer und agrarischer Seite hart angefochtene 
Creditwesen findet in diesem Grundbuchwesen eine feste Stütze, 
und man könnte hier in der That von „Kapitalismus“ des 
Entwurfes reden, insoweit als in dem Immobiliarrecht des 
Entwurfs ein Hauptmittel zur verzinsbaren sicheren Kapitals- 

Wider dieses Streben vgl. Schneider, Utber die demnächstige 
Gestaltung des Gnindbesitzrechts in Deutschland ^ insbesondere die Ver- 
wirklichung eines Heimstilttenrechtes ^ Leipzig 2890. Dieselbe Schrift be- 
gehrt eine erhöhte Sorge dafür, dass der Qrundbuchsinhalt und die 
wirkliche Besitzlage sich möglichst decken. 

3) Berlin, Guttentag, 1889. 

3) A. a. 0., ö. 19. 



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107 



anlage gefestigt worden ist. Allein dieser „Kapitalismus* ist 
eine Erscheinung , die eine unvermeidliche Folge wirth.schaft- 
licher Umwälzungen war und von unserer Privatrechtsord- 
nung schwerlich getrennt werden kann. Sie dient der unum- 
gänglichen Vereinigung der Arbeitsmittel mit der Arbeitskraft. 
Als der Kapitalist den Arbeiter selbst kaufte , da mochte das 
Creditwesen nur als eine vorübergehende Aushülfe in wirth- 
schaftlichen Nothlagen in Frage kommen , desgleichen als 
der Bauer an die Scholle gefesselt in einer sklavenähulichen 
Lage sich befand. Seitdem der Arbeiter frei und der Capi- 
talist genöthigt i.st, ihm seine überflüssigen Arbeitsmittel 
anzuvertrauen , bedarf der Credit neuer fester Stützen , damit 
nicht das angesammelte Capital für die Menschheit nutzlos 
werde und die Arbeitskraft ohne die Möglichkeit der Be- 
thiitigung verkomme. Insoweit unser Creditwesen beides hin- 
dert , erweist es sich als eine Grundlage unserer Gesellschafts- 
ordnung. Wohl behaupten deren socialistische Gegner, dass 
dieser Segen durch Nachtheile überwogen werde, weil er 
eine unbillige Ausbeutung der arbeitenden Classen mit sich 
bringt. Wie dem auch sein mag, hier marschirten die Ver- 
fasser un.seres Gesetzbuches mit gebundener Marschroute. 
Selbst wenn sie Anhänger der socialistüschen Lehre gewesen 
wären, welche in dem Fortfall der bestehenden Verbindungs- 
forin zwischen Arbeitsmittel und Arbeitskraft einen Fortschritt 
erblicken will und überaus gewagte , unerprobte Ersatzmittel 
für den bisherigen Bechtszustand für zulässig erachtet , selbst 
dann würden sie mit der geltenden Rechtsordnung nicht haben 
brechen dürfen. Der unverkennbare Wunsch ihrer Auftrag- 
geber verbot ihnen dies nicht minder, als der Gedanke an 
die Unmöglichkeit, für sozialistische Reformpläne die Zu- 
stimmung der Gesetzgebungsträger zu erreichen '). Ihre Auf- 
gabe war daher hier nicht eine Neuordnung, sondern eine 
Abklärung von Zweifeln und Rechtsverschiedenheiten. So 

<) Etwas anderes ist die Frage, ob cs nicht möglich wilre, die Härten 
unseres Verscbuldongswesens durch das sog. Ueimstättcnrecht zu mil- 
dern; vgl. hierzu die angeführte Schrift von Schneider. 



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108 



erklärt es sich , warum hier mehr als sonst feste , unbeug- 
same Grundsätze aufgestellt sind , ein modernes ,jus stric- 
tum*, dessen Strenge und Härte sich von den milden Grund- 
sätzen des spätrömischen Rechts scharf abheben , wie auf 
einem alterthiiralichen Gebäude ein in neuerem Baustile er- 
richteter Thurm. 

Ein Bruch mit den spätrömischen Rechtsgrundsätzen liegt 
aber namentlich in der grundbuchrechtlichen Begünstigung 
der abstracten Verträge. Die dinglichen Verträge des zukünf- 
tigen deutschen Grundbuchrechtes sollen (§ 829), wie über- 
haupt alle dinglichen Verträge, durchaus abstract sein'), 
dafür sollen sie aber zur Gültigkeit der Eintragung bedürfen 
(Eintragungsprincip) und nicht als blosse einseitige Erklä- 
rungen des Belasteten dem Grundbuchamte eutgegentreten , 
sondern als gegenseitig gebilligte Anordnungen, also als Ver- 
träge (§ 828, .sog. Konsensprincip). Nur der Verzicht auf 
eingetragene Rechte wird — in der Regel — in blos ein- 
seitiger Form vor dem Grundbuchamte zugelassen (§ 834), 
uni entweder sogleich oder durch Eintragung wirksam zu 
werden. Hierbei ist auch die Zulassung einer einseitigen Ver- 
zichterklärung auf das Eigenthum angeordnet, eine Vor- 
schrift, die wohl weniger einem praktischen Bedürfnisse 
genügen sollte , als einem theoretischen Streben nach voll- 
ständiger Berücksichtigung aller denkbaren Fälle. 

Dass das Grundbuch öffentlichen Glauben haben soll (§ 820, 
Grundsatz der Publicität), entspricht seinem eigentlichen ge- 
genwärtigen Hauptzweck : diejenigen zu sichern , welche an 
dem Grundstücke ein Recht erwerben wollen , sei es nun , da.ss 
es für sie bestellt werden soll oder sei es , dass sie ein be- 
•stehendes in ihr \''ermogen aufzunehmen wünschen. Sofern sie 
nicht die Unrichtigkeit des Grundbuches kennen , also eines 

') Vgl. Motive, Bd. 2, S. 3. Einen Freund findet dieses allgemeine 
Princip in Krech, die Rechte an Grundstücken nach dem Entwurf 
u. s. w., Berlin 1889, 8. 13; Gegner in Wendt, Jahrb.f. Dogmatik, 
Bd. 29, S. 35 ff. und Klöppel, in den Beiträgen u. s. w. , Bd. 32, 8. 
644 ir. 



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109 



Schatzes {jegeii dieselbe nicht bedürfen , sollen sie sich auf 
dessen Inhalt verlassen können. So wird der fälschlich ein- 
f'etra^'ene Eigenthümer einem redlichen Gläubiger gültige 
Hypotheken bestellen können, und der Geschädigte wird auf 
eine Ersatzforderung nur gegen ihn , nicht gegen den red- 
lichen Erwerber, angewiesen sein (§§ 837 ff.). 

Dass für die Eintragungen dinglicher Rechte der Grund- 
•satz ,prior tempore potior jure* beibehalten wurde (§ 840), 
bedarf keiner Rechtfertigung. Ohne ihn wären alle Pfand- 
rechte gegenüber der Gefahr weiterer Verpfändungen völlig 
werthlos. Dagegen hat zu vielfachen Beschwerden ‘) die Vor- 
schrift (§ 841) Anlass gegeben, welche die Abtretung des 
Vorrechts eines vorstehenden Pfandgläubigers au einen nach- 
.stehenden regelt (Prioritätscession). Es ist dies mehr als ein 
blosser Austausch zweier hinter einander stehender Hypo- 
theken , weil bei ihm an die Stelle des begünstigten Rechts 
ein ganz anderes treten soll. Zu solchem durchaus nicht 
seltenen Ge.schäft soll nicht blos Eintragung seines Inhalts 
nothig sein (wogegen sich schwerlich etwas einwenden Hesse), 
sondern auch noch die Zustimmung sowohl des Grund.stücks- 
eigenthümers als auch aller zwischenstehenden Berechtigten. 
Diese letzteren werden allerdings beeinträchtigt, wenn z. B. 
eine unanfechtbare, bessere Forderung statt der bisher vor- 
stehenden, schlechteren ihren Rechten in Zukunft Vorgehen soll. 

Als eine Schutzmassregel gegen die Gefahren der Glaub- 
w'ürdigkeit des Grundbuchs dient die Möglichkeit, sich durch 
einen mit richterlicher Hülfe einzutragenden Widerspruch 
(Vormerkung) gegenüber seinem Inhalt ein Recht auf Ein- 
tragung oder Löschung zu sichern (§ 844) ’). 

Dass die Verjährung wider den Grundbuchsinhalt ausge- 
schlossen sein soll , ist nur eine unvermeidliche Folge des 
Publicitätsgrundsatzes (g 847). Mit ihm hängt auch die streng 

') Vgl. z. B. Fachz, in Kohler's Archiv für bürg. B., Bd. 2, 
S. 7—30. 

») V. Meib om, ün Archiv f. civ. Praxis, Bd. 74, erklärt sich, S. 
364, für eine Ausdehnung dieses Rechtszweiges. 



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110 



gononimen unausführbare Bestimmung (i^ 835) zusammen, 
dass dingliche Hechte an Grundstücken nicht mehr durch 
Confusion wegfallen sollen. In Wahrheit handelt es sich 
freilich hierbei nur um da.s sofortige Wiederaufleben der 
durch Confusion erloschenen Rechte, sobald es wieder mög- 
lich wird , sie einem Nichteigenthümer zuzutheilen ; denn der 
Satz, ; ,nulli res sua servil“ spottet als logi.sche Nothwen- 
digkeit der Macht des Gesetzgebers. 

Das Eigenthum (Abschnitt 5) *) ist in 5 Titeln abgehan- 
delt worden. Der erste spricht von , Inhalt und Begrenzung 
des Eigenthuras“. Hier finden wir unter anderem auch die 
alte Lehre von der Luftsäule über dem Grundstück , in der 
dem Eigenthüraer der freie Aufblick zum Himmel nicht ge- 
schmälert werden darf (g 849). Schon vor Abfassung des 
Entwurfs vielfach angefochten , ist sie auch nach seiner Ver- 
ötTentlichung wieder Gegenstand des Spottes geworden ’). 
Allein selbst ihre Anhänger werden nichts dagegen haben, 
dass jenes Recht auf Unberührtheit der Luft.säule nur insoweit 
gelten soll, als es einem vernünftigen Bedürfnisse dient, 
soda.ss z. B. durchfliegende Brieftauben, Eisenbahnviadukte, 
die in schwindelnder Höhe über fremdem Eigenthum schwe- 
ben, davon nicht betroffen werden, und mit dieser Ein- 
schränkung, welche sogar durch Gesetzesauslegung erreich- 
bar sein würde, kann man sich allenfalls zufrieden geben “). 

Das Nachbarrecht ist in vielen Punkten den Landesge- 
setzen Vorbehalten (§ 867), in anderen allerdings reichs- 
rechtlich geregelt (§§ 850 — 865). Da die Gefälligkeiten, 
welche ein Nachbar dem andern leisten kann , ohne sein 
Eigeuthum zu entwerthen , nur geringfügig zu sein vermögen , 
so gleicht dieser Rechtazweig nur einer Welle , mit der die 
gute Sitte den Rand des Rechtsgebietes bespült, und ist 
somit von minder schwerwiegender Bedeutung. Hervorzu- 
heben ist hier die gesetzlich anerkannte (g 857) Nothwen- 

‘) Vgl. RieBS, in den Gutachten aus dem Anwattstande, 8. 747 ff. 

’) Vgl. I. B. Oierke, der Entwurf, 8. 323, 

’) Vgl. auch Dernburg, Pandekten, Bd. 1 § 198. 



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111 



clii'keit gt'gen verletzende Grenzüberschreitungen durch Bauten 
sofort Widerspruch zu erheben, widrigenfalls der Bau un- 
versehrt bleiben muss und nur eine Entschädigungsforderung 
eintritt. Diese letztere kann in der langwierigen Form einer 
Rente (§ 857) oder in der bequemeren einer verkaufsweisen 
üeberlassung des rechtswidrig bebauten Landes (§ 859) an- 
erkannt werden. Hier wird den Bauten ein Schutz gegen 
Zerstörung gewährt , den nach rörni.scheni Recht vielleicht 
die Praxis anerkannte, jedenfalls aber die herrschende Dok- 
trin nicht anerkennt. Noch klarer weicht der Entwurf vom 
römischen Rechte in Anlehnung an einen älteren deutschen 
Brauch darin ab, dass er das „Ueberfallsrecht“ zulässt (in 
einer eigenartigen Fictionsform , § 802; „Die Früchte, welche 
von einem Baume auf ein Nachbargrundstück hinüberfallen, 
werden wie vom Boden getrennte Früchte der letzteren an- 
gesehen“). Hier ist der Entwurf, indem er dem Grundherrn, 
der die über die Grenze gefallenen Früchte seines Baumes 
abholen will, die Thüre verschlies.st, germanistisch und doch 
.unsozial“. 

Der Eigenthumserwerb wird unserem gegenw'ärtigen 
Rechte entsprechend bei Grundstücken (Titel 2) und bei 
fahrender Habe (Titel 3) besonders behandelt. Die Eigen- 
thunisveräusserung durch Vertrag ist nach dem Vorgänge des 
neueren preussischen Rechts von einer Eintragung abhängig , 
der ein abstracter Vertrag vor dem Grnndbuchamte vorher- 
gehen muss. Bei diesem muss der eine .sein Eigenthura fort- 
geben und der andere es entgegennehmen (§ 868). Diesem 
Geschäfte , einer Ausgeburt modernen juristischen Denkens 
und Erwägens, haben seine Verfasser dadurch eine gewisse 
Volksthümlichkeit zu verleihen gewu.sst, dass sie ihn mit 
einem Namen versahen , der einerseits einen ofienbaren alt- 
deutschen Ursprung verräth und dennoch dadurch , dass er 
längst in Vergessenheit gerathen war und von den Todten 
auferweckt wurde, des Reizes der Neuheit nicht entbehrte, 
dem Worte: „Auflassung“. Diese „Auflassung“ ist aus dem 
preussischen Rechte in den Entwurf hinübergewandert. 



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112 



Die Occupatioii hat bei dem allgemeinen Streben nach 
Verdeutschung der juristischen Kunstsprache ein allzu gutes 
Loos gezogen ; ihr ist der schöne Name .Zueignung“ zuge- 
fallen *) , der unserem Sprachgefühle freilich fUr die Thä- 
tigkeit des Jagens oder Plünderns allzu sinnig erscheint. 
(§ 872, bei Mobilien vgl. gg 903 — 909) Der Ausdruck .Erbeu- 
tung“ würde vielleicht dieselben Dienste haben leisten können. 

Die Veräusserung beweglicher Sachen (§§ 874 ff.) hat der 
römischen Tradition angepasst werden sollen, d. h. der Tra- 
dition, wie die neuere Wissenschaft sie sich vorstellt. Man 
hält sie neuerdings für ein abstractes Geschäft. Es erklärt 
sich dies aus dem bekannten Satze, dass die Tradition auch 
dann gültig ist, wenn die Vertragsgenossen über ihren Zweck 
in Folge eines Missverständnisses Widersprechendes wollen, 
z. B. der eine schenken und der andere ein Darlehn empfan- 
gen will. Die Unschädlichkeiteinessolchenunbewu.ssten Wider- 
spruchs beweist jedoch keineswegs ihre abstracte Natur'). Eine 
solche entspricht weder den Quellen noch würde es zweck- 
mässig sein , abstrakte Erklärungen bei formlosen Verträ- 
gen zu begünstigen , weil durch sie für unsaubere Geschäfte 
ein unredlichen Leuten erwünschter Deckmantel gewährt wird. 
W'as oben vom abstrakten Schuldscheine gesagt ist, muss 
auch hier gelten. Bleibt in diesem Punkte der Entwurf un- 
verändert, so wird in Zukunft der Richter eine vollkräftige 
Eigenthumsübertragung als geschehen annehmen müssen , 
wenn ihm ein Schriftstück vorgelegt wird , in welchem der 
bisherige Eigenthümer sich einfach unbedingt oder für einen 
gewissen f'all einen Nachfolger ernennt ’). Obwohl die Gül- 
tigkeit derartiger Urkunden unseren Anschauungen wider- 
spricht , so werden sich doch gar bald Leute ßnden , die 
eine gesetzliche Anerkennung solcher Schriftstücke für ihre 

') Vgl. hiergegen Bekker, Syatem und Sprache dea Entuurf» u. s. 
w., § 60 . 

*) Vgl. Strohal, in Jhering'a Jahrb. f. Dogm., Bd. 27,8. 336 ff. 

•) Vgl. hierzu inebeeondere Oeraon, in Kohle r’a Archiv für bürg. 
R,, Band 2, 8. 63 ff. 



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113 



Zwecke Verwerthen werden, und diese Zwecke werden nicht 
immer die besten sein '). 

In der Behandlung der Tradition ist eine der wichtigsten 
Abweichungen vom römischen Rechte enthalten, welche allen- 
falls auch bei der rei vindicatio hätte erledigt werden kön- 
nen , der völlige Bruch mit der alten Regel: ,Ubi meam 
rem invenio, ibi vindico“ (§§ 877 ff.). Hier hat die im Ent- 
würfe immer wiederkehrende Begünstigung des sog. redlichen 
Erwerbers ’) ihren Höhepunkt erreicht , nach dem Vorbilde 
des französischen Satzes: ,En fait de meubles la po.sses.sion 
vaut titre“ ’). Es ist hart für den Eigenthümer, ohne Grund 
seine Sache zu verlieren. Es ist aber ebenso hart für den 
redlichen Käufer, eine vom Nichteigenthümer erworbene Sache 
herausgeben zu müssen. Eine dieser Härten ist jedoch für 
den Gesetzgeber unvermeidlich ; er muss von beiden zwei- 
fellosen öebeln das kleinere auswählen. Das römische Recht 
sah die Schmälerung des redlichen Erwerbers als das kleinere 
an; trotz der Blüthe des Welthandels wurde der Eigenthums- 
schutz bei den Römern höher geachtet, als die Gefahren, 
welchen kauflustige Erwerber entgegengingen. Das neuere 
deutsche Recht hat hier Erinnerungen an altdeutsche Vor- 
schriften aufgewärmt (hand muss hand wahren) , die wahr- 
scheinlich weniger auf einem nationalen Empfinden beruhten , 
als auf dem Grundsätze einer unga.stlichen , verkehrsarmen 
Zeit , welche es für nnvonsichtig hielt , Sachen vertrauens- 
selig aus der Hand zu geben , und deshalb unvorsichtigen 
V’ermiethern oder Verleihern die Vindicationsrechte gegen 
Dritte abschnitt. Dieser Gedanke hat aber unter ganz ande- 
ren Wirthschaftsverhältnissen eine ganz neue Bedeutung ge- 
wonnen. Er schützt jetzt den Kleinhandel , namentlich den 
Handel mit alten Gegenständen , gegen den gefährlichen 

') Vgl. hierzu auch Menger, s. a. 0., S. 79. 

^ Den Schutz des guten Glaubens innerhalb des Sachenrechts im 
Entwurf entwickelt in zusammenfassendor Darstellung KlOppel, Gutach- 
ten aus dem Anwaltetande , S. 1415 if. 

Art. 2279 Code civil. 



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Ankauf von Sachen, die den Veräusserern nicht «ehören. 
Das ma<; insofern ein Fortschritt sein, als der pliitokratische 
Römer der späteren Kniserzeit in diesem Punkte den Klein- 
kaufleuten eine mindere Nachsicht gezeigt hat; wir dürfen 
aber nicht vergeasen , dass jene menschenfreundliche Vor- 
schrift nur allzu oft der Hehlerei zu Gute kommt, und in- 
dem sie den Hehler sichert, auch den Stehler ermuthigt '). 
In dieser Richtung bewegt sich auch das preussische Recht , 
indem es (auch hei verlorenen und gestohlenen Sachen) dem 
redlichen Erwerber einen Gegenanspruch für seine Aus- 
lagen (Lösungsanspruch) dem Eigenthümer gegenüber zubil- 
ligt*), obwohl die Redlichkeit eines solchen Erwerbers oft 
genug mit dem Satze ,Quisquis praesumatur bonus“ steht 
und fällt. In gleichem Sinne bestimmt das Handelsgesetzbuch 
für die gewerblichen Veränsserungen der Kaufleute , dass das 
veräusserte Gut, sobald es weder gestohlen noch verloren 
ist, sogar in das volle Eigenthura des redlichen Erwerbers 
übergehen soll (Art. 306). Heide Grundsätze, der preussische 
Lösungsanspruch und die handelsrechtliche , dem französischen 
Rechte nahe verwandte Regel , sind gewisser Maassen im Ent- 
würfe vereinigt (§g 877 — 870 und § 939)*). Hiernach bleibt 
lür die ordentliche Ersitzung kein Raum mehr. Für Grund- 
stücke verbietet sie der Glaube des Grundbuchs, für beweg- 
liche Sachen erscheint sie darum überflüssig , weil der red- 
liche Erwerber nicht mehr ein Eigenthum würde ersitzen 
können , welches ihm .schon ohne Zeitablauf gegeben werden 
soll. Nur für die gestohlenen und verlorenen beweglichen 
Sachen *) bleibt dem Erwerber neben seinem Lösungsan- 
spruche auch noch die Möglichkeit der Ersitzung übrig und 
zwar ist sie als zehnjährige ausserordentliche (d. h. vom 



') Vgl. daher die EinBchrankungon in nrt. 2279 und 2280 des Code civil. 
’) Art. 2280 Code civil thut dies nur unter besondern Bedingungen. 
’) M enger sieht darin eine erhebliche Abschwächung des Eigcn- 
thumsschutzes (a. a. 0., 8. 77, 82, 83). 

Mit Ausnahme des Oeldes, der Inhaherpapiere und üfTeitlich ver- 
steigerten Sachen (§ 879). 



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Nachweise der Erwerbsthatsaehen iinabhänpge) Ersitzung 
den redlichen Erwerbern gewährt (§§ 881 ff.). 

Die Lehre vom Eigenthumserwerb durch Verbindungen 
oder Vermischungen gehört zu den Rechtszweigen, deren 
Schwierigkeit zur Seltenheit ihrer praktischen Bedeutung in 
einem gewissen Missverhältnisse steht und die vielleicht aus 
diesem Grunde bi.sher noch nirgends zur vollen Klarheit 
durchgebildet worden ist. Auch der Entwurf wird hier manche 
Zweifel unerledigt lassen. Aus einem Streben nach Verein- 
fachung erklärt sich, ditss .Verbindung, Vermischung , Ver- 
arbeitung“ in einen einheitliclien Rechtszweig verschmolzen 
■sind (g§ 890—897), namentlich insofern jede durch derartige 
Eigenthumsverschiebungen erworbene Bereicherung ersatz- 
pflichtig machen soll (t; 897). Das Gesetzbuch sucht die 
Hauptfragen dieser dunkeln Lehre vornehmlich durch zwei 
bekanntlich sehr zweifelhafte Begriffe zu lösen: „Wesent- 
lichkeit“ und „Werth“. Die Wesentlichkeit einer Verbin- 
dung soll ihre Untrennbarkeit bestimmen , was wohl , streng 
genommen, auf eine Tautologie hinausläuft'). Der VVerth 
verbundener Sachen soll die Hauptsache feststellen (§ 891) 
und auch für den SpecificationshegrifF von Bedeutung sein 
(§ 894). Nur leider lässt sich nach geschehenen Verbindun- 
gen der frühere Werth ihrer Elemente nicht immer erwei- 
.sen ; auch haben gewisse Dinge , namentlich Kunstwerke und 
Antiquitäten , also gerade Sachen , die verbindenden Hand- 
werksarbeiten in besonders hohem Grade au.sgosetzt sind , oft 
überhaupt keinen sicher feststellbaren Verkaufswerth. Rich- 
terliches Ermessen wird hier nachhelfen und von der Wissen- 
schaft genauere leitende Gesichtspunkte verlangen müssen ’). 

In der Lehre vom Fruchterwerbe (§§ 898 — 902) werden 

Im Uebrigen gewähren gerade hier die A/o/ire vortreffliche Kriäute- 
rungon : Bd. 3, S. 40 fl*. , woRelbRt S. 41 dat) Schwergewicht auf das 
durch Trennungen gefährdete volkswirthachaftliche IntercsBC mit Kecht 
gelegt wird. 

*) In der Regel wird es wohl darauf ankommen , wer von den Herren 
der verbundenen Sachen schwerer getroffen wird, wenn er statt seines 
Gegenstandes eine blosse Oeldabflndung erhalt. 



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es die Meisten als einen Fortschritt betrachten , dass nicht 
blos der redliche Besitzer, sondern auch der Niessbraucher 
schon dann die Früchte erwirbt, wenn sie von der Haupt- 
sache getrennt sind (§ 899). Und doch kann diese Verein- 
fachung der Vorschriften nur durch eine Minderung der 
Rechtssicherheit erkauft werden. Nehmen wir z. B. an , dass 
eine zum Niessbrauche berechtigte Wittwe im Spätsommer 
mitten in nächtlichem Schlafe stirbt, so sind die in dieser 
Nacht abgefallenen Früchte, welche sich loslösten, bevor 
die Lebensuhr der Niessbraucherin abgelaufen war , nach 
dem Entwürfe das Eigenthum ihres Erben , die später abge- 
trennten aber gehören dem Gründstücksherrn. Man kann 
sich dies Beispiel leicht vergrössern und vervielfältigen und 
wird sehen, dass es misslich ist, ein Erwerbsrecht an den Au- 
genblick eines Todesfalls anzuknüpfen, der bekanntlich zuwei- 
len so ungewiss ist , dass seinetwegen der ganze Rechtszweig 
der Verschollenheitsvorschriften entwickelt werden musste. Zu 
erwähnen ist hier noch , dass in einem Beschlüsse des preus- 
sischen Landes-Oekonoinie-Collegiums ') der Wunsch geäus- 
sert worden ist, die Fruchterwerbsregelung des Entwurfs auf 
den Grundsatz zu stellen: ,Wer säet, der mähet“, d. h. der 
die Saat ausstreuende Eigenthümer soll ein Recht auf die 
Ernte haben. Dieser Satz empfiehlt sich allerdings unserem 
Billigkeitsgofühle, jedoch nur in.sofern wir nach seiner vor- 
aussichtlichen praktischen Tragweite nicht fragen. Thun wir 
dies, so erkennen wir, da.ss er die Auseinandersetzung zwi- 
schen Fruchtbezugsberechtigten und ihren Vorgängern oder 
Nachfolgern erschwert, weil er die Nothwendigkeit hervor- 
ruft , bei der nächsten Ernte nochmals abzurecbiien. 

Bei der Zueignung beweglicher Sachen hat die Bienen- 
zucht durch einige besondere Vorschriften eine Berücksich- 
tigung gefunden (g§ 906 — 909), die im Wesentlichen mit 
Anerkennung begrüsst worden ist ’). 

') Abgedruckt in von Kirchonheim’s CaUralblatl , Bd. 9, S. 133 
nr. 32. 

’) Vgl. Kölligs im Archiv f. civ. Praxis, Bd. 74, 8. 433 ff. nnd 



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Die Behandlung gefundener Sachen im Entwürfe ($;§ 910 — 
928) ist im Wesentlichen eine Fortbildung ähnlicher Vor- 
schriften des preussischen Rechts, das seinerseits auf deut- 
scher Praxis beruht (Pflichten des Finders, Fundlohn, Auf- 
gebot, Eigenthumserwerb am Gefundenen unter gewissen Be- 
dingungen, u. s. w.). Die Verpflichtung, gefundene Sachen 
bei der Obrigkeit anzumelden , ist bei geringwerthigen Sachen 
(bis zu 3 Mark) grundsätzlich fallen gelassen (§ 921). 

In der Behandlung des Eigenthuinsanspruches (§§ 929 — 
945) finden wir vorwiegend Anlehnungen an bekannte ge- 
meinrechtliche Doktrinen. Dieser Anspruch wird , abweichend 
vom preussischen Rechte , dem Eigenthümer allein gegeben , 
nicht dem blossen Inhaber. Der der Sache beraubte bisherige 
Besitzer hat zwar als solcher nach § 825 ohne Weiteres 
einen Entschädigungsanspruch auf ihren Werth; dass jedoch 
die hierin liegende Vermuthuug eines Rechtes für ihn aus- 
reichen soll, um darauf einen Eigenthumsanspruch zu grün- 
den, ist nirgends gesagt. Der Eigenthümer wird hiernach 
wohl in Zukunft seinen Erwerb voll nachweisen sollen und also 
auch bei einem abgeleiteten Erwerb eine volle Ahnenreihe 
früherer Eigenthümer bis zu einem ursprünglichen Erwerbs- 
acte abzurollen genöthigt sein (sog. probatio diabolica) '). Dass 
dieser überaus unpraktische Klagebegründungszwang nicht 
römischen Geistes und auch nicht römischen Rechtes ist, 
daran hat der Verfasser seit vielen Jahren keinen Zweifel 
mehr ’). Es ist erfreulich , dass der unerschütterte Besitz- 
stand, dessen er sich innerhalb der herrschenden gemein- 
rechtlichen Lehre erfreut, nunmehr neuerdings auf dem Boden 
der Quellenexegese eine Anfechtung erführt ^). Hoffentlich 

den Beschluss des preussischen Landes-Oekonomio-Collogiams , nr. 29, 
a. a. O., 8. 132. 

') Hiergegen im Sinne des preussischen Rechts; Co sack, a. a. 0. , 
8. 52 ff. 

Vgl. seine Ausführungen in den Verhandhmgtn de> Ißten d. 
Jurütentags, 6d. 1, S. 299, bes. Anni. 1. 

’) Vgl. Wendt, im Archiv f. civ. Praxis, Bd. 76, S. 397 ff. Für 
den Verfasser scheint als Gegengrund wider die herrschende Lehre von 
besonderer Wichtigkeit die 1. 5 pr. D. si usnsfr. petctur (VII , 6). zu sein. 



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wird ihm im Entwürfe oder weni;jstens doch in seiner Aus- 
legung der Boden entzogen werden. 

Dass neben den Eigenthiimsschut/. ein entsprechender (Pu- 
blicianischer) Schutz des redlichen Erwerbers gestellt ist , 
war zu erwarten (§ 945). 

In der Miteigenthumslehre (§§ 940 — 951 , zu ergänzen 
aus den §§ 703 — 773) ist der Entwurf, um in der Sprache 
seiner germanistischen Gegner zu reden, „unsozial* und „in- 
dividualistisch“, und zwar beides nach römischem Vorbilde. 
Es zeigt sich dies in einer grossen Unabhängigkeit, welche 
er den Einzelnen gewährt , wie in seiner Gunst gegenüber 
der Auflösung dieses Verhältnisses (g 707). Allein da ein- 
mal das Wort „coramunio raater rixarum“ gilt und der 
Wunsch nach freier Bewegung in einem gesonderten Herr- 
schafts-Kreise vom Standpunkte der Privatrechtsorduung als 
berechtigter gelten soll , so wird man auch zugeben müssen , 
dass es nicht die Aufgabe des Rechts sein kann , Miteigen- 
thümer zur Tugend der Nachgiebigkeit zu erziehen. So darf 
man denn auch die Absonderungs- und SelbständigkeiLsge- 
lüste des Miteigenthüiuers nicht für völlig verwerflich ansehen. 

Nachdem der Entwurf (§§ 952 — 900) für die Erbpacht in 
dem dinglichen Vorkaufsrechte einen schwerlich zureichenden 
Ersatz zu bieten gesucht hat, will er auch statt der römi- 
mischen superficies in dem „Erbbaurechte“, wie schon der 
Name sagt, eine Beschränkung dieses Instituts verwirk- 
lichen (g§ 901 — 905). Das römische Erbnutzungsrecht des 
Superficiars greift bekanntlich über Bauten hinaus, berührt 
einzelne Theile von Gebäuden und der richtigen Meinung 
nach auch Bäume und Pflanzen. In diesem weiteren Umfange 
soll es nunmehr wegfallen. Das in einzelnen Theilen Deutsch- 
lands viel verbreitete Stock werkseigenthum ist somit gleich- 
falls dom Entwürfe fremd und hat nur im Einführungsge- 
setze Anerkennung gefunden '). Was aus den Bäumen werden 

') Allerdings nur in einer gekünstelten Verquickung mit dem Mit- 
eigenthumsrechte, vgl. KinfObrungsgesetz, Art. T3, und hierzu die ifolice, 
S. 197. 



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soll, welche man auf fremden Landstrassen unpflanzt, um sich 
eigenthumsähnliche Rechte an ihnen vorzubehalten , bleibt 
hiernach eine offene Frage. 

ln der Lehre von den Dienstbarkeiten ist das Eintragungs- 
princip festgehalten, d. h. auch diese Rechte sollen ohne 
Eintragung nicht entstehen können. Dagegen hat sich eine 
Abtheilung des IO*®" deutschen Juristentages erklärt '). 

Obwohl von einem besonderen Schutze des „Rechtsbesitzes“ 
im Entwurf nicht die Rede sein soll , da ihn der weitgehende 
Besitzesschutz des Inhabers in seinen Hauptanweudungsfällen 
entbehrlich macht ’), so ist doch der Zustand, welchen 
man so nennt, bei Grunddienstbarkeiten rechtlich geschützt 
(§ 979). 

Der Niessbrauch ist mit besonderer Genauigkeit geregelt 
(§§ 980 — 1043). Die Bestellung des Niessbrauchs verlangt 
Uebergabe (§ 983), m. E. ohne Grund. Der Nachtheil, 
welchen die gleiche Vorschrift beim Eigeuthume ab wehrt, 
besteht in einer Verdunkelung der Eigenthumsverhältnisse 
innerhalb der Verkehrsbewegungen durch eine Trennung von 
Besitz und Eigenthum. Bei den viel seltneren Niessbrauchs- 
bestellungen kann eine gleiche Besorgniss kaum in Betracht 
kommen. 

Dass der Niessbraucher nicht erst durch ein besonderes 
V^ersprechen , sondern unmittelbar kraft Gesetzes verpflichtet 
ist, für Schonung und ordnungsgemässe Rückgabe der Sache 
zu sorgen (§ 991), ist ein Ergebniss der gemeinrechtlichen 
Gewohnheit; die entgegengesetzte veraltete Vorschrift des 
römischen Rechts erklärt sich wohl nur aus einer Lücke des 
alten jns civile , in welchem noch nicht vorhergesehen war , 
dass sich später derartige Rechte auf dem Boden des Ver- 
tragsrechts und der Testierfreiheit bilden würden. 

') VerhanfUunffen f Bd. 3, S. 130. Vgl. jedoch auch Krech, a. a. 0., 
S. 96 ff und V. Meibom, im Arch. f. cic. Praxis^ Bd. 75, S. 451. 
Oomildert iut die Strenge diesoa Eintragungszwunges durch Art. 109 
des Einfflhrungsgesetzes zum Entwurf. 

■) Klöppel, Gutachten aus dem Anwaltstaiide , S. 1426. 



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Eine mehr scheinbare , als wirkliche Aenderunj^ steckt in 
der Vorschrift (§ 1011), dass in Zukunft der Niessbrauch 
dem Rechte , nicht blos der Ausübung nach , übertragbar 
sein soll'); denn auch in Zukunft soll der Niessbraucher 
weder die Pflichten , die ihm infolge seines Rechts obliegen , 
dadurch abwälzen können , dass er sein Recht einem ander- 
ren abtritt*), noch soll es einer niessbrauchberechtigten 
Greisin möglich werden , das mit ihr zum Sterben reife Recht 
dadurch zu verjüngen, dass sie es auf die Schultern eines 
Kindes legt; ihre eigene Lebensdauer soll vielmehr auch 
nach der üebertragung des Rechts diesem ein Endziel stec- 
ken (§ 1011, 2 und 1014). Dass also die üebertragung 
eines Niessbrauchs weder den Veräusserer von seiner Pflicht 
befreien noch seinem Rechte eine neue Lebensdauer erwer- 
ben kann, das war aber gerade wohl der Punkt, welchen man 
im Auge hatte , wenn mau die Uebertragbarkeit des Rechtes 
bestritt und nur seine Ausübung als veräusserlich betrachtete. 

Eine besondere Cautionspflicht (§ lOOö) des Nie.ssbrau- 
chers soll nur noch Platz greifen, wenn er die Unversehrt- 
heit der Sache durch sein Verhalten gefährdet; dann freilich 
wird ihre Geltung oft genug zu spät kommen. 

Der Niessbrauch an Rechten und an einem ganzen Ver- 
mögen ist besonders geregelt (§g 1021 — 1043). 

Unter den beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten (>5§ 
1044 ff.) hat der Entwurf nur bei dem Wohnungsrechte 
angegeben, worin es ira Zweifel bestehen soll (§ 1050). 

Die Reallasten, ein absterbendes Rechtsiustitut , sind nur 
durch wenige Vorschriften geregelt (§§ 1051 — 1061) und nur 
für den Fall, dass nicht die Landesgesetzgebung ihr Fortbe- 
stehen ausschliesst ’). 



') Eine iihulicho Ansicht vertraten früher Dernburg, in Linde 's 
ZeiUchrift, N. F., II, 2, und Elvers, die rSm. Sensitutenlehre 
Vgl. Arndts, Pandekten, § 179 Anm. 4. 

>) Allerdings lüsst ihn § 1013 von der Vcnlusserung sh nur als selbst- 
schuldnerischen Bürgen für seinen Nachfolger haften. 

’) Art. 70 des Entwurfes eines Einführungsgesetzes. 



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121 



Dass (las Pfandrecht im Kutwurfe nicht mehr als einheit- 
liches Ganzes behandelt wird, sondern in 4 Gruppen zer- 
apalten ist ') (Pfandrechte an Grundstücken , Grundschulden , 
Pfandrechte an beweglichen Sachen uud Pfandrechte an 
Rechten), beruht nicht blos auf der bekannten Schwierig- 
keit der Aufgabe , alle pfandrechtlichen Erscheinungen unter 
einen Hut zu bringen. Eine ganz allgemeine Begriffsbestim- 
mung dieser Rechtsgebilde Hesse sich wohl allenfalls dahin 
fassen, da.ss das Pfandrecht die Befugniss ist, ein fremdes 
Verraögensstück zu beeinträchtigen , um sich dadurch wegen 
einer erwarteten Leistung zu sichern. Nach der Verschie- 
denheit der Beeinträchtigungsformen und ihrer Vorbedingun- 
gen sind dann Unterarten zu bilden, und da diese Beein- 
trächtigungsformen bei Rechten andere sein müssen , als bei 
greifbaren Dingen , so müssen auch die Pfandrechte an beiden 
einer gesonderten Behandlung unterstellt werden. Was ferner 
die Trennung des Grundstückspfaudes von der verpfTindeten 
beweglichen Sache anlangt, so ist sie ein Ergebniss der 
schon oben geschilderten neueren Creditverhältnisse. Diese 
machen die Grundstückspfander zu regelmässigen Formen 
der heutigen Capitalsverwerthung , während die beweglichen 
Pfänder hierzu untauglich sind , weil sie der Gefahr unter- 
liegen, von den Verkehrswellen weggespült und den Blicken 
des Gläubigers entzogen zu werden. Dadurch hat das Leihen 
auf bewegliche Pfänder bei uns dieselbe Natur behalten , 
welche der richtigen Meinung nach in Rom auch das Grund- 
stückspfand niemals abgestreift hat , nämlich die Zweckbe- 
stimmung, in vorübergehenden Nothlagen als eine gelegent- 
liche Hülfe zu dienen. Es zeigt sich dies schon darin , dass im 
Entwürfe die Grundstückspfäuder Geldleistungen sichern , die 
beweglichen Pfänder auch andere Schulden (§ 1145). 

Auf dem Gebiete der Grundstückspfäuder dagegen tritt uns 
nunmehr eine weitere Mannigfaltigkeit entgegen. Der Entwurf 

') Vgl. za dem Folgenden BSIir, Kril. Vierteljuhrsschriß , Bd. 30, 
ä. ÖI8 II'., und Oberhaupt zu dem Plandreclite : Scholler und Wer- 
ntck in den Gutachten aus dem Anicattstanäe j ä. 35 ff., 376 ff. 

■J 



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huldigt hier dem Grundsätze: ,Wer vieles bringt , wird man- 
chem etwas bringen* ; denn in nicht weniger als vier Formen 
lässt er Grundstückspfander zu , für welche gewisse allgemeine 
Vorschriften gemeinsam sind ') , während sie im fiebrigen 
einer verschiedenen Behandlung unterliegen. Wir finden neben 
einander; 1. Buchhypothek’); 2. Brief hy pothek ; 3. Sicher- 
heitshypothek; 4. Grundschuld (die, wie wir sahen, nicht 
unter, sondern neben die übrigen Grundstückspfänder gestellt 
ist), alle verschiedenen Grundsätzen unterworfen. Dass der 
Verkehr aus der Häufung so verschiedener Mittel zu ähn- 
lichen Geschäftszwecken leicht in Verwirrung gerathen kann , 
ist geltend gemacht worden ’) und wird sich schwerlich be- 
streiten la.ssen. Immerhin bedarf es jedoch einer geschicht- 
lichen Erklärung dieses merkwürdigen Auseinaudergehens 
eines einheitlichen Rechtsverhältnisses in so viele Unterarten. 
Es scheinen hier ähnliche Kräfte gewaltet zu haben , wie bei 
der Entstehung der Inhaberpapiere, namentlich der Wech- 
selschulden. Die Neuzeit ist, wie wir sahen, darauf ange- 
wiesen , Kapital und Arbeitskraft durch Creditgewahrung 
zusammenzubringen. Der Hauptbebel dieses wirtschaftlichen 
Erfolges ist aber die Hoffnung, eine durch Creditieren er- 
worbene Forderung im Nothfalle verwerthen zu können. Die 
Beitreibung ist jedoch nur die eine, langwierigere Verwer- 
thungsform , die andere, bequemere ist der Forderungsver- 
kauf. Ihn begünstigen heisst die Creditgewährungen befördern. 
Wie nun die Wechselfordernngen durch Sondervorschriften 
an Veräusserlichkeit gewinnen, so lag es nahe, auch den 
Hypotheken eine gleiche Eigenschaft auf ähnlichem Wege 
zuzuwenden. Auf zwei Arten ist vornehmlich die Wechsel- 
forderung übertragbarer gemacht, als die gewöhnliche For- 

‘) Ueber diese vergleiche Klöppel ia den Gutachttn aus dtm An- 
waltstande, S. 1446. 

>) Diesen Ausdruck schlägt namentlich Brettner in Kohle r's Ar- 
chiv f. bürg, S., Bd. 2, S. 182 vor. Der Entwurf spricht von einer 
Hypothek ohne Hypothekenbrief. 

’) Ygl. Dernburg in den Verhandiungen dts 20lsn Deulschm Juris- 
tenlags, Bd. 4, S. 238. 



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123 



deruug es ist: durch ihre Anknüpfung an ein Papier, au 
dem sich der Uebertragungsakt vollziehen kann ohne jede 
Rücksicht auf den abgetretenen Schuldner, und zweitens 
durch ihre erhöhte Unempfindlichkeit gegen Einreden. In 
ähnlicher Art den Hypotheken nachzuhelfen , rechtfertigte 
sich dadurch , dass sie ihren Zweck , eine Schuld zu sichern , 
für den Gläubiger auf zwei Arten erreichen können : durch 
Beitreibung und durch Veräusserung ‘). Wenn es hiernach 
ein begreifliches Streben der Gesetzgebung ist , dem Hypo- 
thekenveräusserungsbedflrfnisse entgegenzukommen , um zum 
Besten der Landwirthschait die Creditgewiihrungslust auf 
Gründstücke hinzulenken , so mussten andererseits alle die 
schweren Ausbeutungsgefahren, welche bekanntlich das Wech- 
selrecht mit sich führt, sich auch hier in hohem Maasse 
geltend machen. Nirgends lässt ein Gesetzgeber ungestraft 
Klagerechte aus Verabredungen von den Vertragszwecken 
abstrahieren. Der leichtsinnige Schuldenmacher , der auf Kos- 
ten eines zukünftigen Erwerbes , vielleicht sogar zukünf- 
tiger Erbschaften, schon jetzt sein Leben geniessen will, und 
der Wucherer, der in ihm sein Opfer sucht, diese beiden 
Erscheinungen sind die unzertrennlichen Begleiter der ab- 
strakten Geschäfte innerhalb der Rechtsgeschichte. Wo Wohl- 
stand, Verkehr-skenntniss und Gesittung sie wenigstens in der 
Regel unschädlich machen , da kann der Gesetzgeber über 
ihr Vorhandensein allenfalls hinwegsehen (dies gilt nament- 
lich für die grösseren Handelsplätze , welche zugleich die 
Sammelstellen wirthschaftlicher Einsicht zu sein pflegen) ; 
wo dies nicht der Fall ist, namentlich in abgelegeneren 
Landstrecken, da werden sie sich in unliebsamer Weise be- 
merkbar machen und nur durch ein künstliches Steigern 
der Volksbildung nach der wirtschaftlichen Seite mildern 
lassen. Die Gesetzgebung eines grossen Gebietes findet sich 

') Dass sie tuben dem Sioheron^szweck ,den Zweck haben , Gegen- 
stand des Verkehrs zu sein" (so der Bericht in von K i rc h e n h ei m’s 
Centralblau, 1888, Bd. 7, S. 245) ist somit nur insofern richtig, als 
der zweitgenannto Zweck ein Mittel für den ersteren ist. 



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liier in der Übeln Luge, einheitliche Vorschriften für ver- 
schiedene Schutzbedürfnisse aufstellen zu sollen. Der solide 
Geschäftsbetrieb redlicher und einsichtiger Geschäftskreise 
begehrt eine Degünstigung der verkehrsbelebeuden abstrak- 
ten Geschäfte ; dagegen erschallen aus weiten Landgebieten 
Klagerufe über eine Ausbeutung der geistig und wirlhschaft- 
lich Armen durch gewandte Speculanten. Eine Grenze zwi- 
schen der Heilsamkeit und der Verderblichkeit jener Geschäfte 
zu ziehen , ist kaum thunlich ; die eine Seite allein zu be- 
tonen, würde verfehlt sein. Die preussische Gesetzgebung 
von 1872 war hierin vielleicht zu verkehrsfreundlich, indem 
sie als ihre beiden PfandrechLsfornieii nur die abstrakte Grund- 
schuld und eine gegen Einwendungen in hohem Maa.sse un- 
empfindliche Hypothek zuliess. Indem nunmehr der Entwurf 
im Hypothekenrechte dem Verkehre verschiedene Formen 
bietet, die gewisser Maasseu eine Scala der Gefährlichkeit 
für den Schuldner zum Besten des Gläubigers bilden (wie 
er ja auch neben der Wechselschuld die gewöhnliche Schuld 
bestehen lässt) , hilft er vorsichtigen Creditsuchern wenig- 
stens insoweit zu der Möglichkeit, den Grundbesitz in einer 
minder strengen Art zu verpfänden , als nicht ihre Noth sie 
zu den ihnen ungünstigeren Creditformen zwingt. So rettet 
sich der Gesetzgeber aus einem unlösbaren Zwiespalt der 
Schutzbedürfnisse , indem er den Parteien .selbst eine Ge- 
legenheit bietet, sich vor einer allzu strengen Haftung zu 
schützen. 

Auf dieser viersprossigen Stufenleiter der Gefährlichkeit 
bildet den untersten, unbedenklichsten Grad die Sicherheits- 
hypothek, den obersten die Grundschuld. Dazwischen finden 
wir, näher an der erstgenannten Form, die Buchhypothek 
und, der Grundschuld näher verwandt, die Briefhypothek. 

Die Sicherungshypothek (g§ 1125 — 1134) ist wohl deshalb 
so genannt, weil bei ihr der Schuldner nicht schlimmer be- 
lastet wird, als der Sicherung-szweck der Hypothek es unbe- 
dingt erfordert, nämlich durch Herstellung eines streng 
accessorischen Hechts , das uneingeschränkt denselben Ein- 



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125 



reden unterliegt wie die Hauptschuld. Strenge genommen 
sichern alle Hypotheken eine erwartete Leistung , daher bes- 
ser gewesen wäre von „unselbstständigen“ oder „abhängigen“ 
Grundstückspfandern zn reden. 

Diese .schlichte Form soll auch bei der sogenannten Kau- 
tionshypothek (§ 1 1 29) gelten , sowie bei den Zwangs- und 
Arresthypotheken (§§ 1130 ff.). Sie ist die an Eintragungs- 
zwang gebundene Hypotliek des römischen Rechts. 

Den Erwerber der Buchhypothek dagegen schützt das 
Gesetz in ähnlicher Weise, wie den Wechselindossatar gegen 
überraschende Einreden (vgl. §g 1083, 1084, 1108), um 
gutgläubige Erwerber gegen Enttäuschungen zu sichern. Sie 
ist aber, sofern sie ohne Brief begründet ist, einer schwer- 
fälligeren Veräus.serungsform unterstellt, insofern ihre Ueber- 
lassung an andere Gläubiger lediglich durch Bucheintragung 
möglich ist'). Hierdurch wird der neue Erwerber genöthigt , 
alle diejenigen Einwendungen kennen zu lernen oder doch 
kennen zu müssen , welche das Grundbuch ersichtlich macht. 

Die Briefhypothek dagegen ist auch ohnedies abtretbar, 
nämlich durch gerichtliche oder notarielle Deberlassung und 
Uebergabe dos Briefs (§ 1112), ohne dass ihr üebergang 
eingetragen zu werden braucht. 

Die Grundschuldsbestcllung, welche das Grundstück nicht 
für eine Schuld, sondern einfach für eine Summe haftbar 
macht (g 1135), ist diejenige Verpfändungsart, deren Begrün- 
dung am Meisten von allen der Papiergeldfabrication ähn- 
lich ist ") , denn sie sichert nicht eine Schuld , sondern nur 
eine erwartete Zalilung. Darum ist auch die Schattenseite 
der Papiergeldserzeugung ihr nicht fern geblieben , die Ent- 
stehung von Werthpapieren ohne Deckung, mit anderen Wor- 

') gesea diese Vorschrift: v. Meibom, \m Archiv f. civ. l‘raxi)i, 
Bd. 75, S. 450. 

') Neue nnregende Ucsichtspunkto über dieses llcelitsgobildo erülfnet 
Bühr in Kohler’s Archiv für bärgerlichvs Recht, Bd. Z, 8. 175. 
Vgl. auch die gedankenreiche Schrift von Kühnast, die Grundschuld 
des Knttpurfs u.s.w., Berlin 1888. 



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12 () 



ten die starke Ueberschuldung der Grundstücke über ihren 
Werth durch derartige abstrakte Belastungsscheine. Dass solche 
Papiere trotz ihrer Werthloaigkeit oft genug Käufer finden 
und die Solidität des Verkebrslebens gefährden, ist dem Ver- 
fasser aus eigener Anschauung in früherer richterlicher Thä- 
tigkeit vor Augen getreten. Immerhin hat diese Verptän- 
dungsform, deren Gefahren vor ihrer Einführung in Preussen 
vorhergesehen wurden und welche daher nicht ohne Wider- 
sjiruch in das neuere preussische Recht eingedrungen ist, 
sich auf die.sem Gebiete doch so viel Freunde erworben, dass 
ihre Heibehaltung mehrfach Billigung gefunden hat '). 

In diese Viergestaltnng der Grundstückspfänder '), welche 
an die Stelle der preussischrechtlichen Hypothek und Grund- 
schuld vier Arten setzt, würde sich höchstens durch eine 
Beseitigung der Buchhypothek eine Vereinfachung bringen 
lassen , eine Streichung der sog. Sicherungshypothek aber sich 
schwerlich rechtfertigen ’). 

Die grosse Räthselfrage , ob es eine Eigenthümerhypothek 
giebt, oder ob dasjenige, was man so benennt, eigentlich 
etwas ganz anderes ist, hat der Entwurf dahin entschieden, 
dass er dies Recht einfach zuliess und regelte (§§ 107ti, 
1094 — 1101, für Grundschulden vgl. § 1142), ein Pfand- 
recht ohne accessorischen Charakter, gewisser Maassen ein 
neben dem Eigenthume stehendes Recht am Grundstfick- 
werthe *). Dabei bleibt die Frage offen, ob nicht die Form 
die.ser Anordnung einen Widerspruch in .sich selbst enthält, 
weil sie dem Eigenthümer das Recht auf den Wert seiner 
Sache als eine besondere Befugni.ss gewährt, während es schon 
iin Eigenthume liegt, und weil daher der Vortheil , der dem 

') Sogar durch einen Beschluss des preussischen Landes-Oekonomie- 
Collegiums, a. a. 0., nr. 20, 8. 132. 

’) Vgl. Aber sie auch Levy in den Verhandlungen des 20len deut- 
schen Juristentags, Bd. 8, 8. 261—286. 

’) Die Formen der Rovenuenhypolhek und des sog. Nutr.pfnndcs sind 
dem Entwürfe fern geblieben. Vgl. Brettner in Kohler’s Archiv f. 
bürg. R., Bd. 2, 8. 179 if. 

*) Klöppel, B. s. 0., 8. 1445 hiilt es geradezu für eine Orundschuld. 



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127 



Bof^en. Pfandgläubiger an eigener Sache zusteht, genau be- 
trachtet nicht ein ihm eigenthümliches Reclit ist, sondern 
eine Beschränkung der Rechte der Nachhypothekare , also 
nur eine Ausnahme ihres grundsätzlichen Nachrückens '). 
Diese Frage liegt jenseits der Grenze des Gebiets, welches 
der Gesetzgeber zu beherrschen vermag, und wird die Wis- 
senschaft auch in Zukunft beschäftigen. 

In der Faustpfandsregelung treten vornehmlich zwei Unter- 
schiede vom römischen Rechte hervor , welche sich allge- 
meiner Billigung erfreuen, nachdem das preussische Land- 
recht ihnen einen grossen Geltungskreis verschafft hat. Der 
eine liegt in der Erschwerung der Verpfändungsform, der 
andere in derjenigen der Veräusserungsform bei beweglichen 
Pfändern. Beseitigt sind hier die Pfandrechte aus formloser 
Abrede (§§ 1147, 1196) und der private Pfandverkauf (g§ 
1171 ff.), der letztere freilich nur, sofern er nicht im beider- 
seitigen Interesse des Pfandgläubigers und des Pfandeigen- 
thümers liegt, ein Fall, über dessen Vorhandensein aller- 
dings leicht ein Streit entbrennen kann. Dass es sich bei 
diesen Abweichungen vom römischen Rechte um nationale 
Gegensätze handelt, wird mit Unrecht vielfach behauptet. 
Die Gründe , welche sich für das neuere Recht ins Feld 
führen lassen, müssen sich auch schon im römischen Ver- 
kehrsleben einsichtigen Rechtspflegem aufgedrängt haben. 
Beide Vorschriften haben vielmehr einen bevormundenden 
Charakter und steuern gewissenlosem und trügerischem Ge- 
bühren. Die Unzulässigkeit, Sachen, deren Besitz man nicht 
weggeben kann , einem Pfandrechte zu unterwerfen , macht 
den Eigenthümern eine betrügerische Doppelverpfändung 
ihrer Sachen zu deren vollem Werthe unmöglich und ver- 
hindert Handwerker so wie andere Arbeiter leichtsinniger 
Weise ihr unentbehrliches Werkzeug als Grundlage eines 

*) Das System der so(f. festen Prioritäten , welches den OrnndsaU des 
Nachrflekens verwirft, ist in den Entwurf nicht aufgenommen, vgl. 
hierüber die Ontachten von Staub und Arnheim in den Gutachten 
aus dem Anwalt/tande , 8 . 40" ff., 1086 If. 



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128 



Credits aiiüiisclien. Andrerseitsistuberdie.se Verbotsvorschrifl 
leicht zu umgehen ') und beraubt wichtige Berufsstände (Vieh- 
züchter, Fabrikanten, Handwerker u. dergl.), welche ihre 
Betriebswerkzeuge nicht aus der Hand geben können , der 
Möglichkeit, auf das in diesen Sachen steckende Capital in 
wirlhsehaftlichen Nolhlagen Darlehnssummen aufzunehmeii *). 

Abgeschaffl ist die sog. retentio Gordiana (§ 1194), d. i. 
das für den Verkehr nur wenig bedeutsame Recht des Ffaud- 
gläubigers, nach Tilgung der Hauptschuld das Pfand wegen 
sonstiger Forderungen gegen de.ssen Eigenthümer zurückzu- 
behalfen *). 

Der letzte Titel des Sachenrechts (Pfandrecht an Rechten, 
1206 — 1226) zeichnet sich durch da.s nicht unbedenkliche 
Streben aus, sehr ungleichartige Dinge, wie es die Pfand- 
rechte an den verschiedenen Rechten sind , unter einheitliche 
Rechtsregeln zu bringen. 

Das Familienrecht des Entwurfs ist in drei Theilen be- 
handelt, die sich aus den natürlichen Beziehungen der Haus- 
genos.sen zu einander ergeben: 1. Eherecht; 2. Verwandt- 
schaftsrecht, 3. Vormundschaftsrecht. Die an zweiter Stelle 
.stehende „ Verw'audtschaft“ ist eine Erweiterung der Vor- 
schriften über väterliche Gewalt, welche die übliche Lehre 
zwischen Eherecht und Vormundschaftsrecht einzuschieben 
gewöhnt ist. 

Eine Scheidung des sog. reinen Familienrechts vom Fanailien- 
güterrecht ist vermieden und zwar mit gutem Grunde. Beide 
Rechtszweige suchen auf eine angemessene Gestaltung der 

') Vgl, über diesen Punkt Leist, die Sicherung von Forderungen 
durch Uebereignung von Mobilien, Jena 16S9, 8. 6 ff. Vgl. auch Cosaok, 
a. a. 0., 8. 14, 15. 

’) Vgl. des Verfassers Ausführungen in den Ueiträgen zur Erläute- 
rung des Deutschen Rechts, Bd. 25, 8. 177 ff., und hierzu Weriiick 
in dun Gutachten aus dem Anwaltslande, 8. 376 ff. auch Khrlich iu 
den Wiener Juristischen BhWrr« 1891, Nr. 1 1, 8. 123 ff., Nr. 12, 8. 135 ff. 

’) Für dasselbe ans Rücksicht auf das Vorkchrsloben : Poland, De- 
merkungen zu d. Entwurf u. s. w., 1888, 8. 13. 



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120 



häusslichen Verliältnisse hinzuwirken und man würde sie 
wohl nicht so oft von einander gesondert haben , wenn nicht 
rechtsgeschichtliche Ursachen auf dem Eherechtsgebiete dazu 
gedrängt hätten. Eheschliessungen und Ehetrennungen galten 
lange Zeit als kirchliche Sachen , ihre Verweltlichung liegt 
in dem Entwürfe als das Endergebniss einer langen Ent- 
wicklung vor uns '). 

Die kirchliche Herkunft dürfen diese Gebiete jedoch niemals 
gänzlich verleugnen. In der Sonderung der reinen Familien- 
rechte von den Vermögensangelegenheiten liegt eine Aner- 
kennung der Menschenwürde , der stärkste Rückschlag gegen 
die Gleichstellung der Hausgenossen mit den vernunftlosen 
Sachen , von der einst das altrömische Recht ausgegangen 
war. In diesem Sinne bahnt das Einführungsgesetz zum neuen 
Gesetzbuche in einigen Bestimmungen , welche dem Entwürfe 
-selbst bereits in der Form von Anmerkungen beigefügt sind 
(§§ 027a — 627c), einen bedeutsamen Fortschritt an , den Ver- 
such, die Familienrechtsprocesse in ihren Hauptgrundsätzen 
zu den vermögensrechtlichen Streitigkeiten in Gegensatz zu 
stellen , und beugt namentlich für derartige Processe Rechts- 
veränderungen vor, welche in Folge einer unsachgemässen 
Processführuug eintreten könnten ’). 

Im Beginne des Eherechtes ’) bemerkt der Entwurf (§ 1227): 
.Durch das Verlöbniss wird eine Verbindlichkeit der Ver- 
lobten zur Schlie.ssung der Ehe nicht begründet.“ Einem 
ungenannten Beurteiler des Werkes (in einem Zeitungsartikel) 

') Scheurl, Archiv f. eiv. Praxis, Bd. 74, 8. 387—398, führt mit 
Recht hierzu aus, dass das protestantische Eherechl dem weltlichen 
Eherechte des Staates den We^ gebahnt hat. 

') Umfang und Ziel dieser durchgreifenden Reform hat der Y e rfa sser 
zuin Gegenstände einer besonderen Schrift gemacht: Die Eideszuschie- 
bung in Familienrechtsprocessen Marburg, Eiwert 1890 (in den Fest- 
gaben der juristischen Faculiät zu Marburg für Georg Wilhelm Wetzcll , 
Marburg, Eiwert 1890, S. 25 ff.). 

’) Vgl. zu diesem Berolzlieimer in den Gutachten aus dem An- 
waltstande, 8. 295 ff.; auch Pfizer, Ehe, Staat und Kirche, Ham- 
burg 1890 (Deutsche Zeit- und Streitfragen, Nr. 73). 



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130 



erschien dies so wunderlich , dass er (glaubte , hier müsse das 
, nicht“ auf einem Druckfehler beruhen*). In VVahrheitwill 
der angeführte Test die Treulosigkeit der Verlobten nicht 
geradezu als berechtigt hinstellen , sondern nur eine klag- 
bare Verpflichtung ablehnen. Er hält offenbar bei einem 
Zerwürfnisse unter Brautleuten das Auseinandergehen für 
ein geringeres Uebel als eine widerwillige Eheschliessung. 

Auf dem Gebiete des Eheschliessungsrechtes hat das Deutsche 
Einheitsbedürfniss die Entstehung der neuen Privatrechtsord- 
nung nicht abgewartet, sondern zu dem Reichs-Gesetze vom 
6*'“ Februar 1875 geführt, das für ganz Deutschland die 
unumgängliche Civilehe angeordnet hat. Der Inhalt dieses 
Gesetzes liegt mit wenigen Abweichungen , die es den übri- 
gen Theilen des Entwurfs anzupassen suchen , dem Eheschlies- 
sungsrechte des Entwurfs zu Grunde. Unter den Ursachen 
ungültiger Ehen werden Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe 
unterschieden; jene sind die Gründe einer Ungültigkeit, welche 
von einer Anfechtungserklärung unabhängig sind , diese die 
Gründe einer solchen, welche von einer derartigen Erklä- 
rung abbängen *). Die ,nur auf Wunsch eines Gatten zer- 
störbare“ Ehe und die ,auch wider den Willen beider Gatten 
zerstörbare* Ehe, das ist ungefähr der Gegen.satz zwischen 
der anfechtbaren und der nichtigen Ehe in der Redeweise 
des Entwurfes. 

Dabei ist ein Einklang zwi.schen der Ausdrucksweise des 
Eherechbi und derjenigen des allgemeinen Theils (§g 1 08 ff.) 
zwar angestrebt, inde.ssen keineswegs hergestellt. .Nichtig“ 
heis.st sonst das ohne Anfechtungserklärung ungiltige; in 
diesem Sinne giebt es (abgesehn von § 1252, Absatz 2) 
nichtige Ehen überhaupt nicht. In Anlehnung an das gemeine 
Recht be.stimmt vielmehr der Entwurf (§ 1252, Absatz 1), 
dass in der Regel jede thatsäcblich (d. h. in gehöriger Form) 

•) Vgl. auch Stoltcrfoth, Beitrage zur Beurteilung des Entw., 
Leipzig, 1890, S. 82. 

’) Vgl. hierüber Fiecher in Jhering's dogm. Jahrb,, Bd. 29, 
S. 248 ff. 



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131 



•jesclilossene Ehe so lanpre gütig ist , bis eine richterliche 
Nichtigkeitserklärung sie zerstört. Die Rücksicht auf die 
vielen am Bestände einer Heirath betheiligten Dritten duldet 
keine Rechtsunsicherheit in der Frage , ob eine Ehe gütig 
ist, und darum auch keine unsichtbare, nicht obrigkeitlich 
anerkannte üngiltigkeit eines so wichtigen Verhältnisses. Die 
scheinbare Ausnahme, welche hiervon gemacht ist (§ 1252, 
2), ist keine wahre Ausnahme. Die wegen Formmangels 
unzulängliche Eheschlie.ssung soll auch ohne Nichtigkeitser- 
klärung keine Ehe nach sich ziehen. Dies folgt aber schon 
daraus, dass hier gar keine Ehe.schliessung vorhanden ist, 
nicht einmal eine nichtige, sondern höchstens, so zu sagen, 
der Versuch einer Eheschliessung. Die Verwechslung des 
Nichtigen mit dem überhaupt nicht Vorhandenen ist ein 
hartnäckiges Grundübel der neueren Wissen.schaft, und die 
Redeweise des Entwurfs passt sich ihm an. Wo der Thatbe- 
stand eines Vertragsschlusses vorliegt, da kann man immer- 
hin von einem Vertrage reden und ihm das Beiwort .hohl“ 
oder „nichtig“ anhängen, sobald er unfähig ist, die in ihm 
angeordneten Folgen hervorzurufen. Wo jedoch ein solcher 
Thatbestand gar nicht vorhanden ist, da sollte man von 
einem Vertrage überhaupt nicht reden, auch nicht unter 
Hinzufügung eines Beiwortes , das seine Werthlosigkeit kenn- 
zeichnet. Hinsichtlich der Anfechtungsgründe darf nicht ver- 
schwiegen werden , dass hier unter der Nachwirkung älterer 
individualistischer Doktrinen den Wünschen der Einzelnen 
gegenüber dem allgemeinen Bedürfnisse nach Erhaltung der 
Würde der Ehe ein sehr weiter, vielleicht ein zu weiter 
Spielraum gewährt ist, namentlich hinsichtlich der Anfech- 
tung der Ehe wegen Betruges (§ 1259) '). 

') Der VerfttBser hat dies näher ausgefflhrt in seiner Schrift: Der 
Irrthum ah NicJitigkeitsgrund , §§ 70 ff. , Verhandlungen de« 20len 
Jurislentages, Bd. 2, S. 92 ff. Vgl. auch HioBchius im Areh. f.civ- 
Praxis, Bd. 74, 8. 69 ff. — Schilling, Aphorismen zu dem Ent- 
teurfe u.s.w., Cöln 1888, S. 15 meint , dass, wenn der Entwurf mit dem 
Eherecht als integrirendem Bestandtheile zur Abatimmnng im Reichstag 



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132 



Unter den .Wirkungen der Ehe* (g§ 1272 ff.) versteht 
der Entwurf theils allgemeine Grundsätze , die da.s Verhält- 
niss der Gatten regeln , theils die Lösung der sehwierigen 
Frage de.s ehelichen GOterrechts, vielleicht der schwierigsten , 
welche den Verfassern des Entwurfes vorlag ’). In der allge- 
meinen Auffassung des ehelichen Verhältnisses hat das Ge- 
setzeswerk sich von der ungeschichtlichen Anschauung früherer 
Zeiten, welche auf dem Privatrechtsgebiete die Wünsche des 
Einzelnen überall den allgemeinen überzuordnen geneigt war, 
durchaus freigemacht. Er fasst den Lebensbund zwischen Mann 
und Frau als das innige Verhältniss auf, welches es schon 
aus Rücksicht auf die menschliche Würde sein soll und muss ’). 
Damit hängt ein Übergewicht der Stimme des Mannes als 
des Vorkämpfers des Familienwohls (g 1273) nicht minder 
zusammen, als das Recht der Frau, den Mann im häus- 
lichen Wirkungskreise zu vertreten (§ 1278). 

Bei der Lösung der schwierigen Fragen des ehelichen 
Güterrechts wurde die Gesetzgebungscommission ganz auf 
das Gebiet der germanistischen Privatrechtswissenschaft liin- 
übergefUhrt , deren bedeutendste Vertreter zugleich die ent- 
schiedensten Gegner des Entw urfes sind ’). Und doch ist 
gerade hier nicht ohne Glück ein überaus kühner Wurf ge- 
wagt worden : Herstellung eines einheitlichen gesetzlichen 
Güterstandes gegenüber einer Unzahl zersplitterter Rechts- 
systeme *). Gerade auf dem Eherechtsgebiete schien der Deut- 

gubracht wurden eullte , die katliolischen Abgeordneten dem Ganzen ihre 
Zustimmung würden verengen müssen. 

') Mitteis in der Xeiluclirifl für Ja« Pricat- und öffentliche Recht 
der Gegenwart ^ ßd, 16, S. 545. 

^ Dieser Gedanke durchzieht auch den vortreiSich geschriebenen vier- 
ten Band der Motive. 

>) Vgl. hierzu namentlich Gimlie, der Entwurf, 8. 393 ff. — SchrOder, 
das Familiengilterrecht in dem Entwürfe u. s. w., 1889. Etwas günstiger 
bcurtheilt diesen Theil des Entwurfes hinsichtlich des Inhalts (nicht 
hinsichtlich der Form) Mitteis, in Grünhut's Xeitechrift f.d. Privat- 
und öffentl. R. der Gegenwart, Bd. 16, 8. 545 ff. 

') Allerdings ist gerade hier die 8chwerfälligkeit der Form in beson- 
ders hohem Grade angegriffen worden. Rühr hat deshalb im Archiv 



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133 



sehe Particularisinus besonders berechtigt zu sein ; die Sess- 
haftigkeit des Hausstandes erschien vor allem zu erheischen , 
dass seine rechtliche Regelung an die Scholle gebunden blieb, 
und zwar an die althergebrachten Formen, die sich auf ihr 
eingenLstet hatten '). Ja selbst bei der Veränderung des W ohn- 
sitzes hielten viele die Un Wandelbarkeit des ehelichen Rechts 
für das Natürliche. Hier war es ein Wagniss, den verän- 
derten Zeit- und Verkehrsverhältiiissen Rechnung zu tragen, 
insbesondere die Folgen der Freizügigkeit ins Auge zu fassen 
und Deutschland auch da zu einigen , wo es bisher die Son- 
dereigenthümlichkeiten seiner Theilgebiete am hartnäckig- 
sten gewahrt hatte. Neben einer einheitlichen regelmässigen 
Ordnung des Güterreehts sind mehrere Ausnahms-Systeme 
aufgestellt, nur um den Parteien zur Auswahl dienen zu kön- 
nen. Beseitigt ist der Fortbestand aller der andern zahlreichen 
Systeme, welche in Deutschland gelten, sogar die Möglichkeit, 
sie durch Privatverträge von den Todten aufzuerwecken ’). 

Wenn man aber die grundsätzliche Einigung des Güter- 
rechts, seine nähere Ausgestaltung in der regelmässigen Form 
wie in den Ausnahmssystemen würdigen will, so muss man 
sich von zwei Gedanken frei machen , welche , wie die Kri- 
tiken des Entwurfs beweisen, auf diesem Gebiete einen über- 
grossen Einfluss ausgeUbt haben : einer Ueberschätzung des 
Einflusses, den das Recht überhaupt auf das Familienleben 
auszuüben im Stande ist, und einer übertriebenen Schätzung 
des Werthes der Nationaleigenthümlichkeiten für die Gestal- 
tung des ehelichen Güterrechtes. 

/. bürg. II. (Bd. 1, X. 3, S. 233 — 266) einen Oegenentwurf vorSITcnt- 
licht, durch welchen er veranschaulichen will, dass sich die Lehre vom 
ehelichen Qüterrecht mit weit geringeren Mitteln hätte verständlich 
machen lassen. 

') Wider die vom Entwürfe vertretene Einheitlichkeit erklärt sich 
daher Bähr in Kohle r’s Archip f. bürg, ff., Bd. 1, S. 233 ff. Vgl. 
dagegen Mommsen, Ärcb. f. civ. Praxis^ Bd. 76, S. 162. 

Hierdurch wurden die Uebergangsbestimmungon zu diesem Theilo 
des Rechtes von ganz besonderer Bedeutung, vgl. über sie die Motive 
zum Einführungagesetze, S. 280 ff. 



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134 



Zunächst hat die im Entwürfe vielfach gewährte Möglich- 
keit von Processen zwischen den Gatten wohl in zu hohem 
Maasse die Besorgniss erweckt , dass das Mögliche auch wirk- 
lich werden und das zukünftige Eheleben in eine Kette ge- 
richtlicher Streitigkeiten ausarten könnte. Was das Uecht 
erlaubt, verbieten oft Sitte, Religion und natürliche Liebe; 
ja selbst den Befehlen der Staatsordnung stellen diese un- 
sichtbaren Mächte häufig genug eine hemmende Kraft ent- 
gegen. Die deutsche Ehe würde sich in ihren Vorzügen 
durch keinerlei Gesetzesvorsclirift verunstalten lassen und 
eine mangelhafte Ge.setzgebung würde höchstens eine Ent- 
werthung des Rechtsschutzes bewirken , nicht eine Zerstörung 
der Verhältnisse, welche dieses Schutzes bedürfen. Wäre 
es die regelmässige Gestaltung der Ehe, welche der Gesetz- 
geber zu bestimmen hätte, so würden allerdings seine Vor- 
schriften in hohem Maasse räumlichen und zeitlichen Ver- 
schiedenheiten anzupassen sein. Da aber jene Gestaltung 
vornehmlich der Sitte gebührt und es lediglich die Auf- 
gabe des Gesetzgebers ist, die Störungen abzuwehren , 
welche einer solchen Gestaltung von Seiten der in Raum 
und Zeit immer wiederkehrenden menschlichen Schwächen 
drohen , so ergiebt sich , dass gewisse Gefahren , denen das 
Recht vorzubeugen sucht, immer wieder Berücksichtigung 
verlangen. Die Ausbeutungsgeloste und der Leichtsinn des 
Mannes wie das Misstrauen und die Herrschsucht der Frau sind 
Untugenden , mit denen die Gesetzgebung überall zu rechnen 
haben wird. Richtig ist nur , dass das Recht seinen Schutz 
nicht stets und überall in der gleichen Stärke den Bedürf- 
nissen beider Parteien gewähren kann. Der gewaltige Um- 
fang der Mannesrechte in der altrömischen Manusehe, ein 
Überrest einer patriarchalischen Gesellschaftsordnung, und 
die rücksichtslos durchgeführte Gütertrennung in der Zeit 
des Sittenverfalls bilden zwei extreme römische Gestaltungen 
des Eherechtes, gewLssermaassen ein patricisches und ein 
plebejisches Ideal , zwischen denen sich die Deutsche Ent- 
wicklung überall in der Mitte hält. Allein auch die Richtung 



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135 



der erwünschten Mittellinie wird nicht stets und überall die- 
selbe sein können, und zwar werden hierbei die nationalen 
V^erschiedenheiten der Rechtssätze weniger in Betracht kom- 
men, als der allgemeine Entwicklungsgrad der wirthschai't- 
licheu und gesellschaftlichen Verhältnisse des Volkes. Leider 
fährt überall und auch bei uns die Entwicklung nicht bei allen 
Volksschichten zu denselben Schutzbedürfnissen. In der Be- 
merkung eines Kritikers ') des Entwurfes, dass für die ver- 
schiedenen Vermögensklassen verschiedene VVirthschaftsord- 
nungen angemessen sind , liegt zweifellos ein richtiger Kern. 
Für die meistbegünstigste wohlhabende Volksschicht , in wel- 
cher Geschäftskenntniss ein Vorrecht des stärkeren Geschlechts 
zu sein pflegt, hält er eine Verwaltung-sgemeinschaft mit 
überwiegenden Mannesrechten für angemessen ; für den Mit- 
telstand, in welchem Manu und Frau oft mit einander ar- 
beiten , eine Errungenschaftsgemeinschaft , für die ärmeren 
Klassen , in denen jede der beiden Ehehälften mit gleicher 
Kraft den Nahrungssorgen zu steuern sucht , die Güterge- 
meinschaft, wogegen freilich zu bemerken ist, dass bei den 
Armen der Unterschied zwischen Errungenschafts- und Güter- 
gemeinschaft kein grosser ist, und die Selbstständigkeit der 
weiblichen Berufsthätigkeit hier eher die Gütertrennung als 
passend erscheinen lässt. Allein diese Verschiedenheit der 
wirthschaftlichen Bedürfnisse ist nur von geringem Werthe 
für unsern Gesetzgeber, welchem die politische Lage ver- 
bietet , Kasten zu bilden. Der Mittelstand hat keine scharfen 
Grenzen , weder nach oben noch nach unten ; die erwähnten 
drei Volksklassen gehen in der Wirklichkeit unmerklich in 
einander über, wie die Farben des Regenbogens. Darum ver- 
langen sie für sich ein einheitliches , kein dreifältiges Recht. 

Dass der Entwurf hierbei nicht die Mittelstrasse der Güter- 
gemeinschaft eingeschlagen hat , ist ihm zum Vorwurfe ge- 
macht worden ’) , weil diese Rechtsordnung der Innigkeit des 

') H enger, daa bilrgerlieha Recht und die besitzlosen Volksklassen, 
S. 32. 

5) Von Mommsen im Archiv f. cit. Praxis, Bd. 76, 8. 171 ff. 



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13t) 



ehelichen Lebens in huhem Maasse förderlich ist; nur sind 
leider die erheblichen Verraögensopfer , welche sie den Gatten 
xumnthet , ein für diesen Zweck übermäasig starkes Mittel. 
Überhaupt ist der geschäftstreibende Mittelstand derjenige , 
welcher noch am ersten im Stande ist , ein unpassendes ge- 
setzliches Güterrecht durch Eheverträge von sich abzuwehren. 
Bei der Wahl zwischen der Verwaltungsgemeinschaft und der 
Gütertrennung gab aber der Entwurf der ersteren den Vor- 
zug'), nicht, wie Menger meint’), aus Missgunst wider 
die Armen, sondern in der berechtigten Hoffnung, dass mit 
steigender Gesittung und zunehmendem Wohlstände allmäh- 
lich auch die unteren Klassen die Fähigkeit gewinnen werden , 
sich der Lebensordnung der höheren anzupassen. Allerdings 
sind dem Gedanken der Gütertrennung starke Zugeständnisse 
gemacht worden. Die Hechte des Mannes sind in erheblichem 
Maasse abgeschwächt, um den Zeitverhältnissen Kechnung 
zu tragen. Bei dem Streben nach einem nicht blos der Deut- 
schen Art , sondern auch ihrer gegenwärtigen Entwicklungs- 
stufe entsprechenden Rechte war sogar das römisch-plebejische 
System der unbedingten Gütertrennung durch beachtenswerthe 
Stimmen aus dem Volke empfohlen worden ’). Es erscheint dies 
nicht wunderbar, da es, wie gesagt, den untersten breiten 
V'ülksschichten besonders zuzusagen scheint und einem neueren 
vielverbreiteten Streben nach Frauenemancipation entspricht. 
Indem jedoch die Gesetzgebungscommission in Anlehnung 
an die germanistische Wissenschaft die Gütertrennung nicht 
zur normalen Form erhob, hat sie nicht blos im national- 
deutschen Sinne ein gutes W erk gethan , sondern auch vom 

') ln Uebereinstimmung mit den Beschlüssen des 12ton und ISten 
Juristentags (Verhandlungen, Bd. 2, 8. 33—80, 302 ff. bezw. Bd. 2, S. 
65—137, 407—415), in denen namentlich Schrüder’s Kingreifen von 
grossem Einflüsse war. 

5) A. B. 0. , 8. 33. 

’) Vgl. das Organ des allgemeinen Deutschen Frauenvereins; Xene 
Bahnen , nr. 8— 1 1 , und einige deutsche Gesetzesparagraphen über die Stel- 
lung der Brauen, herausg. vom allg. Deutschen Frauenvereiii , Leipzig 
1876, ungezogen in den Motiven, Bd. 4, 8. 143. 



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137 



ull^femein inenschüchen Standpunkte einer Einseitij^keit der 
Rechtsordnung vorgebeugt. Der Schutz der Frau ist, wie wir 
oben sahen , doch nur die eine Seite des ehelichen Güterrechts ; 
neben ihm und den Interessen redlicher Dritter, welche mit 
den Ehegatten in Beziehungen treten, bedarf auch die Würde 
des vermögenslosen Mannes , der für den Unterhalt des Hauses 
verantwortlich ist, des Schutzes. Tn dieser Hinsicht sind ganz 
besonders von germanistischer Seite Bedenken gegen den Ent- 
wurf erhoben worden, namentlich deshalb, weil er das Mo- 
bilienveriiusserungsrecht des Mannes streicht '). Man hat von 
„Handschellen“, die dem Manne angelegt sind , und von einer 
„undeutschen* Gestaltung des vaterländischen Familienlebens 
geredet. Allein auch hier handelt es sich im Grunde nicht 
um eine blos nationale Frage. Bei allen Völkern drängt die 
Entwicklung dahin, die Lage der Frau mehr und mehr zu 
verbessern. Je schwächer und ärmer der Staat ist, desto 
wichtiger ist Selbsthilfe und kampfesfreudiges Auftreten vor 
Gericht und im Verkehr. Dort muss die Frau ihr hilfloses 
Dasein dem Manne völlig opfern , um Sicherheit und Schutz 
zu erlangen. Je strenger die Staatszucht wird , desto milder 
werden die Sitten und desto weniger bedarf die Frau der 
Vertheidigung durch den Ehemann. In der Zeit unbedingten 
Faustrechts nahezu genöthigt, sich einer Dienerin gleichzu- 
stellen, wird sie da, wo das Beamtenthum und die Anwalt- 
schaft ihr hilfreichen Beistand leisten und ein entwickeltes 
Verkehrsleben sie mit einer Schutzmauer umgiebt, selbst- 
ständig und schliesslich sogar leicht zur Tyrunnin des Hauses. 
Nirgends ist diese Entwicklung zu so scharfer Ausprägung 
gekommen , wie in der römischen RechLsgeschichte auf dem 
Wege von der alten Manusehe bis zur Gesetzgebung .Justi- 
nian’s, welchen man einen „legislator uxorius“ genannt hat. 
Es mag also immerhin richtig sein , dass dem neuesten römi- 
schen Recht eine allzu scharfe Betonung der weiblichen Inte- 
ressen innewohnte. Indem Deutschland aber in der Lage war , 



‘) Vgl. insbesondero Solirödor, Verhandlungen des 2Uen Deutschen 
Juristentags, 8. 167. 



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eine der römischen ähnliche Entwicklung nochmals darchzn* 
machen, konnte es sich von vorn herein davor hüten, sie 
ausarten zu lassen. Auch in Deutschland mus.ste die Lage 
der Frau mit der Möglichkeit eines unabhängigen Auftretens 
sich verbessern, und ein radicaler Evolutionismns drängt dabin, 
diesen Entwicklungsgang bis aufs äusserste Maass der Frauen- 
emancipation fortzutreiben. Geht man jedoch davon aus , dass 
die werthvollen Gedanken früherer Zeiten in die höhere Cul- 
turstufe so viel, wie möglich , hinfiberzunehmen sind , so muss 
man aus der altdeutschen .gewere zur rechten Vormund- 
schaft' so viel zu retten suchen , als den veränderten Zeit- 
verhältuissen entspricht. Insofern ist also der Kampf der 
germanistischen Wissenschaft gegen eine allzu starke Ein- 
schränkung der ehemännlichen Hefugnisse grundsätzlich zu 
billigen. Nur darf nicht übersehen werden , dass das deutsche 
Haus der Gegenwart sich seit der Zeit des Sachsenspiegels 
nicht bloss äusserlich fortentwickelt hat und dass die neu- 
deutsche Abweichung vom altdeutschen nicht ohne Weiteres 
, undeutsch“ ist '). 

Dass das mitgebrachte Gut der Frau z. B. nicht mehr den 
vorehelichen Schulden des Mannes zum Opfer Tällt , also das 
Sprüchwort: .Die den Mann traut, traut dessen Schulden' nicht 
gelten soll, ist ein Fortschritt gegen ältere Hechtszustände, 
denen kein weibliches Opfer für die Ehre des Mannes hoch 
genug schien. Dass es sich bei solchen Fragen nicht um eine 
deutsche NationaleigenthQmlichkeit, sondern um eine Beson- 
derheit der niedrigeren Entwicklungsstufe handelt, beweist 
ein Blick auf die altrömische Manosehe. Ein Gegendruck 
gegen die Beutepläne verschuldeter Lebemänner und ver- 
unglückter Speculanten , welche sich bei ihrem leichtsinnigen 
Treiben die Ehe als einen Rückzugshafen Vorbehalten und 
in der Gattin nur die wirtschaftliche Erretterin suchen , ist 
unter der Undurchsichtigkeit der modernen Lebens- und Ver- 
mögensverhältnisse nöthiger geworden als früher. Insoweit 

‘) Vlg. Planck, Archiv f. civ. Praxi», Bd. 75, S. 352. 



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also liefet in diesen Grundsätzen der Gütertrennung ein be- 
achtenswerther vom Entwürfe anerkannter Kern. Dagegen 
ist aus der altdeutschen Zeit her der Grundsatz gewahrt, 
dass das Mitgebraclite , nicht blos insoweit zu Wirthschafts- 
zwecken ein besonderes Haushaltungsvermögen als dos be- 
stellt ist, sondern vollständig als „Ehegut“ in des Mannes 
Verwaltung tritt, soweit es die Frau nicht eigener Verwal- 
tung Vorbehalten hat (Vorbehaltsgut). So ist und bleibt er 
Herr, auch im Hause der Frau, und dessen Vertheidiger 
nach aussen. Dass er auch die Nutzniessung des Ehegutes 
ganz behält und daher alle Ersparnisse für sich und nicht 
für die Frau zurücklegen darf, entspricht gleichfalls alther- 
gebrachten , heutzutage allseitig verbreiteten Anschauungen , 
welche sich übrigens doch wohl kaum in alle Zukunft er- 
halten werden. Dass der Mann aus dem Frauengute zum 
Nachtheile der Frau und ihrer Kinder und zum eigenen Besten, 
sowie zum Wohle der Kinder aus einer früheren Ehe, Er- 
sparnisse machen darf, dies dürfte wohl ein üeberrest seiner 
unumschränkten Uerrschergewalt sein, wie sie eben nur auf 
der niederen Entwicklungsstufe dem Schutzbedürfnisse der 
Frau entsprach *). 

Am Meisten hat der Entwurf die Sicherheit des Frauen- 
gutes insofern begünstigt, als er die Veräusserungsrechte 
des Ehemanns in hohem Maasse beeinträchtigt (vgl. § 1319). 
Er bricht hier allerdings mit dem deutschen Satze; „Wem 
ich meinen Leib gönne , dem gönne ich auch mein Gut“ ’) und 
mit deutschrechtlichen Gesetzgebungsvorbildern ’). Soweit der 

*) Der Verfasser glaabfc, dass die Zukunft dem Manne nur den An*“ 
Spruch auf Deberweisun^ eines angemessenen Hausbaltungskapitals zu 
unbeaufsichtigter, aber verantwortlicher YorwaUung gewähren wird. 

Vgl. Schröder, Verhandlungen dee 2Uen Deutschen JuristentagSy 
Bd. 1 , 8. 166. Bei den Tüchtern unseres Zeitalters weicht die Empfin- 
dung der reichen Erbin, welche sich glficklich preist , wenn der Erwählte 
des Herzens ihr Out dahinnimmt, in der Regel vorsichtigeren Erwägun- 
gen, und es ist fraglich, ob der Qesetzgeber die Macht besitzt, sie zu 
der opferfreudigen Denkweise früherer Zeiten zurückzudrängen. 

’) Schröder, a. a. 0., 8. 168, Anm. 4. 



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140 



Mann für die Hauslialtungswirthscliaft handelt, erscheint seine 
Beschränkung vielleicht zu hart; soweit er jedoch darüber 
hinaus Veräiisaerungsvvünsche hegt, ist die Strenge des Ent- 
wurfs nicht ungerechtfertigt. Die Gefahr einer Verschleude- 
rung des Frauengutes während der Ehe ist sehr gross, nicht 
minder gross, als die Gefahr seiner Verschuldung. Nicht blos 
sträflichem Eigennutze , sondern auch einem berechtigten Ge- 
fühle der Selbsterhaltung und der Kindesliebe entstammt der 
Wunsch der Frau, nicht ein Opfer ihres Mannes zu werden. 
Durch die neuere Entwicklung sind die altdeutschen An- 
schauungen durchbrochen. Das Vertrauen der Gesetzgeber in 
•schlichten , ländlichen Zuständen , die arm an Versuchungen 
und an Mitteln zur Befriedigung unerlaubter Gelüste waren, 
passt nicht mehr auf entwickeltere Lebensverhältnisse. Dies 
hat schon das neuere preussische Recht zu weitgehenden 
Interventionsrechten der Frau geführt , einem Seitenstücko 
zu dem Pfaiidprivileg, mit dem die ostromische Gattin ihre 
dos den Gläubigern des Mannes entreissen durfte. Ja , das 
berechtigte Schutzbedürfuiss der Frau geht noch weiter. Ihr 
liegt nicht nur an der Erhaltung ihres Kapitals, sondern 
auch au einer solchen Verwendung ihrer Einkünfte, welche 
der Lebensführung des Mannes dient , dessen Namen und 
Wohl mit dem ihrigen eng verknüpft ist. Einer derartigen 
Erwägung entstammt die Vorschrift, dass auch die Früchte 
des ehelichen Nutzungsrechts des Mannes seinen Gläubligern 
entzogen sein sollen, soweit sein standesgemässer Unterhalt 
es verlangt (§ 1299). 

Der Erwerb der Frau während der Ehe ') ist auch erst 
nach der üeberwindung einfacherer wirthschaftlicher Verhält- 
nisse von gesetzgeberischer Bedeutung geworden. Ursprüng- 
lich kam er nur im Dienste der ehemännlichen Wirthschaft 
in Frage; insoweit führt er auch jetzt nur noch zum Man- 

*) Brühl epricht von einem „Arbeitsvermögen“ der Frau, das von 
ihrem „Kapitalvermögen“ grundsätzliuh gesondert werden soll (Archiv 
f. civ. Praxis, Bd. 73 , 8. 400; Bd. 74, 8. 390 If. , und Veritandlungen 
des 'ZUcii Deutschen Jurisleiilags , Bd. I, 8. 172 ff., besonders 8. 205). 



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141 



noserwerbe. Das soiistij.'e Einkoiuinen soll in Zukunft freies 
Eigeuthum der Frau werden (§ 1289). 

Neben diesem regelmässigen Güterrecht.ssysteme , das mau 
mit dem neuerding.s üblichen Ausdruck VertcaUungaeinheit 
bezeichnen kann, überlässt der Entwurf dem Frivatbelieben 
der Gatten einige Ausnahm.sformen zur freiwilligen An- 
nahme '). 

Diese Verträge .sind zum Schutze redlicher Dritter an ge- 
wisse öffentliche Formen geknüpft; insbesondere dient hier 
ein „eherechtliches Register“ (§§ 1435 ff.) zur Sicherung 
des Verkehrslebens. Die Güterrechtsordnungen , welche auf 
die.se Weise gütig werden können, sind drei Gütergemein- 
schaftsformen (die allgemeine Gütergemeinschaft, die Errun- 
genschaftsgemeinschafl und die Gemeinschaft des beweglichen 
Vermögens und der Errungenschaft), und eine zu Gunsten 
des Mannes beschränkte Gütertrennung. Bei dieser letzteren 
finden wir einen neuen beachtenswerthen Gedanken. Die Frau 
muss aus ihrem Erwerbe einen Beitrag zu den ehelichen 
Lasten leisten. Hier ist ein neues eheniännliches liecht aus- 
geprägt: Anspruch auf Beitrag zu den ehelichen Lasten'). 
Besser wäre eine Verallgemeinerung die.ser Befugni.ss zu einem 
Anspruch auf Ueberlas-sung eines Kapitals, de.ssen Zinsen zu 
einer verhältnissmässigen Deckung der ehelichen Kosten aus- 
reichend sind. In dieser Bestimmung ist eine lobenswerthe 
Rücksicht auf die Würde und die Aufgabe des Mannes zu 
sehen , welche die deutsche Rechtsentwicklung im Gegensatz 
zur spätrömischen zu schonen verstanden hat. 

Das Eherecht des Entwurfes schliesst mit dem Scheidungs- 
rechte '). Diesem Theile des Gesetzbuchs lässt sich der Vor- 
wurf einer allzugrossen Rücksicht auf die Bedürfnisse der 



') Dau auch noch während der Ehe eine solche Wahl des Qflterrechts 
erlaubt sein soll, hält Mommsen im Hinblicke auf die Creditverliält- 
nisse für bedenklich {Archiv f. civ. Praxis^ Bd. 76, S. 192). 

") § 1339. Klöppel, Guloehlen aus dem Anicallslandr, nennt diesen 
Ausspruch „stark verklausuliert* (S. 1463). 

*) Vgl. hierzu Thudichum im Archiv f. civ. Praxis, ]td. 16, S. 193. 



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142 



Kinzflnen ^'ej^enüber dem Wohle des Ganzen sicherlich nicht 
machen. Der Entwurf sticht hier vielmehr in vortheilhafter 
Weise von der gros.?en Freiheit ab, mit der das preus-sische 
Landrecht das Ehescheidungsrecht behandelte. Leider blieb 
hierbei ein gewisser Doktrinarismus nicht aus, d. h. eine 
verfehlte Methode, nach der man nicht die einzelnen mög- 
lichen Scheidungsgründe ihrer Zulässigkeit nach , den einen 
hinter dem andern , prüfte , sondern schlankweg ein allge- 
meines „Princip* suchte, das man denn in dem Satze fand: 
,Ohne Verschuldung keine Möglichkeit, eine Scheidung 
erdulden zu ntü.ssen“. So stritt man denn den Gatten 
schlechtweg das Recht ab , wegen Geisteskrankheit des andern 
Theils eine Scheidung zu erlangen. Diese Bestimmung ver- 
warf als zu hart ein Beschluss des 20*'“ Deutschen Juristen- 
tags '). Trotzdem wird man bei einer etwaigen Umgestaltung 
die.ses Punktes hofl'entlich nicht übersehen , dass unmöglich 
jede augenblicklich für unheilbar erklärte Geisteskrankheit 
einen Scheidungsgrund geben kann’). Es giebt Formen dieses 
Uebels , in denen es nicht blos für Hausgenossen ungefähr- 
lich ist, sondern eine Untreue des gesunden Gatten eher 
noch schärfer vom kranken empfunden wird , als im Zustande 
der Gesundheit, ja in denen der unglückliche Kranke der 
Pflege seitens des Gatten in besonders hohem Maasse bedarf. 

Die Scheidungsgründe sind im Einzelnen : Ehebruch und 
einige ihm gleichgestellte Verbrechen (§ 1441), Lebensnach- 
stellung (§ 1442) und bösliche Verlassung (§ 1443). Ausser- 
dem kann (nach § 1444) richterliches Ermessen diese Schei- 
dungsgründe erweitern und die Ehe bald für einige Zeit (höch- 
stens 2 Jahre), bald für immer trennen’). Den alten Namen 

') Vgl. die Verhandlungen des 20len Deutschen Juristentags, Bd. 4, 
8. S39 If. , S. 406; ,Die KhetcheidnngBgrfindo sind nicht auf die Fülle 
einer Verschuldung zu beschrünkon.“ 

Sn der Wortlaut des Juristentagsbeschlusses, a. a. 0., 8. 407. 

’) Auf Antrag Mayor’s befürwortete der 20te Juristeiitag eine Ein- 
schrünkung dieser weitgebenden richterlichen Befugniss (Verhdt., Bd. 
4, 8. 408). Vergl. hierzu die Gutachten von Mayer und Jacobi in 
den Verhandlungen, Band 2, 8. 92 ff. , 110 ff. Daselbst auch Brie, 



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143 



»Trennung von Tisch und Bett* (§§ 1444 ff.) verwendet der 
Entwurf als Namen der bloB vorübergehenden Scheidung bei 
minder schlimmen Trennungsgründen. Die dauernde »Schei- 
dung von Tisch und Bett“ dagegen hat er nicht aufgenom- 
men , in Anlehnung an das Reichsgesetz vom G**“ Februar 
1875, welches sie verwarf. 



S. 235, über die EbeaoheidungsstrafeD , statt deren der Entwarf eine 
blosse Unterhaltspflicht anordnet. 



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V. 



Der zweite Haupttheil des Funiilienrechta , welcher von der 
Verwandtschaft handelt, zerflllt in acht Titel, deren Anord- 
nung sich wohl verbessern Hesse. Drei haben einen allge- 
meinem Inhalt. Nr. 1 redet von der ehelichen Abstammung 
als der Grundlage aller gesetzlichen Verwandtschaft und 
Nr. 2 von der Unterhaltspflicht der Verwandten, während 
Nr. 8, von diesen Titeln durch fünf andere getrennt, die 
Feststellung familienrechtlicher Verhältnisse betrifft und in 
einem einzigen Paragraphen (§ 1032) die Allseitigkeit der 
Rechtskraft der Urtheile in den wichtigsten Familiensachen 
bestimmt. Die übrigen Titel sind dem Verhältnisse zwischen 
Eltern und Kindern gewidmet. 

In den Vorschriften über eheliche Abstaniraiing (!^§ 140(5 
ff.) sind bekannte Vermuthungen über die Ehelichkeit der in 
der Ehe geborenen Kinder im Wesentlichen dem gemeinen 
Rechte nachgebildet ‘). Wie die angetraute Ehefrau zunächst 



') Wider die alliugrosee Strenge dieser Yermutbungen West rum 
in den Gutachten aas dem Anu^aitstande ^ S. 969—974. Ergiebt, S. 973, 
folgendes Beispiel; ,Die deutsche Ehefrau eines deutschen Mannes, mit 
dem sie bis in die letzte Zeit verkehrt, entflicht mit ihrem Liebhaber, 
einem schwarzen Abkömmlinge unserer afrikanischen Besitzungen, und 
bringt fast 10 Monate später einen kleinen Mulatten zur Welt. Soll 



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145 



die thiüsächlich erlan<;te Würde der Ehefrau bewahrt, bis 
ihr die Eigenschaft der Gattin aberkannt ist , so geniesst auch 
das von einer verheiratheten Frau in die gesellschaftliche 
Stellung eines ehelichen Abkömmlings hineingeborene Kind 
zunächst den Vortheil dieser seiner Lage, bis seine Ehelichkeit 
ihm durch eine Anfechtung seitens des Vaters abgestreift 
worden ist (§§ 1467, 1470). 

Bei Regelung der verwandtschaftlichen Unterhaltspflicht 
(S§ 1480 ff.) ist (im Einklänge mit dem preussischen Land- 
rechte) bestimmt, dass auch bedürftigen Geschwistern ein 
uothdürftiger Unterhalt zu gewähren ist (§§ 1480 und 1489); 
freilich ist hiergegen ein wohlbegründeter Widerspruch er- 
hoben worden ’). 

Titel 3 — 7 sprechen von den rechtlichen Beziehungen der 
Eltern und Kinder. Zunächst sind die gesetzliche» Kinder 
erwähnt, sodann die Kinder aus ungültigen Ehen, ferner die 
unehelichen Kinder und neben ihnen in einem besonderu 
Titel (Nr. 6) ihre künstliche Erhebung zum vollen Kindes- 
rechte (Legitimation), endlich die an Kindes Statt angenom- 
menen Kinder. Die Eigenartigkeit dieser Eintheilung hängt 
mit der geminderten Bedeutung der väterlichen Gewalt zu- 
sammen , an deren Stelle eine auch der Mutter zugängliche 
„elterliche Gewalt“ treten soll, ferner mit der Ab.schwä- 
chung , welche der Satz „spurii sine patre sunt“ in der Deut- 
schen Rechtsentwicklung erfahren hat , endlich mit der Ver- 
kleinerung der Adoption.skraft , so da.ss es wohl nicht mehr 
angängig erschien , Legitimation und Adoption einfach als 
Entstohungsgrüude der väterlichen (oder elterlichen) Gewalt 
hinzustellen. 

Auf den Boden des französischen Rechts stellt sich der 
Entwurf in der Grenze , welche er der kindlichen Hausab- 
hängigkeit steckt (§ 1557, 1). Mit der Volljährigkeit des 



dieser Mulatte ala Kind ihres Khemnnns gelten? Der Entwurf sagt ; ja! 
Der gesunde Menschenverstand sagt; nein!“ 

') Von Ubbclohde im Archiv f. civ. Praxis, Bd. 75, 8. 36 ff. 



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14ß 



Kindes soll die elterliche Gewalt endigen '). Hierin liegt eine 
Annäherung des väterlichen Gewaltsverhältniases an das 
Pflichtverhältnisg der Vormundschaft. Die deutsche Rechts- 
entwicklung hat hier die schon in der römischen Geschichte 
erkennbare allmähliche Abschwächung des hausväterlichen 
Rechts in derselben Richtung weitergefUhrt. Beseitigt ist 
daher das Rechtsgeschiift der Kmancipation , das eigentlich 
nur bei volljährigen , also voll erzogenen Kindern eine Be- 
rechtigung hatte , bei minderjährigen aber leicht auf eine 
pflichtwidrige Verstossung hinauslaufen konnte. So bat die 
deutsche .emancipatio tacita*, welche sich an eine Haus- 
standsgrflndung anscbloss, in ihrer Verschärfung durch das 
französische Recht, dem die blosse Volljährigkeit zur Befrei- 
ung aus der Gewalt genügt, die römische Vorläuferin ver- 
drängt. 

Der Umwandlung der väterlichen Gewalt zur Schntzpflicht 
entspricht auch eine starke obervormundschaftliche Aufsicht, 
die über der elterlichen Vermögensverwaltung steht (§§ 1544 
ff.). Sie greift zwar nicht so weit, wie die dem Vormunde 
auferlegte gerichtliche Controle , aber dämmt immerhin die 
Macht des Hau.sherrn in empfindlichster Weise ein (vgl. auch 
§ 1511). 

Die Spuren des alten Gewaltverhältnisses, welches das 
Kind mit allem , was es erwarb , dem Herrschaftsrechte des 
Vaters unterwarf, sind jedoch keineswegs völlig verwischt. 
Der Hauptunterschied zwischen Vater und Vormund , das 
Nutzungsrecht des Vaters (§g 151G — 1537), ist beibehalten. 
Wie die Nutzung des Eheguts nicht auf die Haushaltungs- 
bedürfnisse beschränkt ist, so greift auch der Niessbrauch 
am Kindesgnte über die Erziehungs- und Unterhaltungskos- 
ten hinaus. Die Erfordernisse des Wohls des Schützlings setzen 
hier nicht den Befugnissen des Beschützers eine Grenze. Im- 
merhin umfassen die letzteren nicht das volle Kindesver- 



*) Code civil, Art. 372. Motive^ Bd. 4, S. 727. Ebenso ein eioBtimmi' 
ger Beschluss des 12ten Deutschen Juristentages, Bd. 8, S. 82 ff« 



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147 



mögen. Schon da.s neueste römische Recht unterschied das 
vom Vater nutzbare Kindesgut (peculium adventicium regu- 
läre) von dem nutzungsfreien Vermögen des Kindes; das 
letztere zerfiel bekanntlich in drei Gruppen (castrense , quasi 
raatrense , adventicium irreguläre) , deren Unterschiede vor- 
wiegend aus geschichtlichen ür.sachen erklärbar sind , darum 
auf Deutschem Boden keinen rechten Anklaug fanden und 
schon im preussischen Rechte unter dem Namen des »freien* 
Vermögens als ein Ganzes zusammengefasst waren. In glei- 
chem Sinne unterscheidet der Entwurf nur unfreies und freies 
Kindesvermögen (j§§ 151C flf.). Der Niessbrauch am unfreien 
Gut soll jedoch bei verbrauchbaren Sachen nicht den allge- 
meinen Niessbrauchsregeln unterstehen (§ 1523) '), damit 
nicht der Gewalthaber durch Umsetzung des Kindesgutes in 
Geld das Kind in die Lage eines Schuldners hinabdrücken 
könne. Nur diejenigen verbrauchbaren Sachen , welche »durch 
Verbrauch genutzt zu werden pflegen“ (ein sicherlich nicht 
scharf genug bestimmter BegriflF) , soll der Gewalthaber ver- 
äussern oder verbrauchen können. 

Eine der kühnsten Neuerungen des Entwurfes (vom 19**" 
Deut-schen .Juristentag gebilligt) *) ist die Herstellung einer 
mütterlichen Gewalt mit ähnlichen Befugnissen , wie sie der 
väterlichen innewohnen. Sie soll sowohl nach dem gänzlichen 
Wegfall der letzteren, als auch, wenn diese ruht, an deren 
Stelle treten (§§ 1501, 1555). Der Schwäche des weiblichen 
Geschlechts , welcher diese neue Anordnung zu trotzen scheint, 
ist dabei wenigstens soweit Rechnung getragen , als der Mutter 
unter gewissen Bedingungen ein Beistand zur Seite treten soll 
(gjS 1538 ff.). Diese elterliche Gewalt der Mutter wird sich 
in vielen Punkten mit der schon jetzt zulässigen und häu- 
figen mütterlichen Vormundschaft decken '). Somit erscheint 



') Aehnliches bestimmt für Efaefranen § 1294 (S. Motive, Bd. 4, 
8. 778). 

’) Vgl. Pfaff in den Verhandlungen de$ 19/«» Jurislenlags, Bd. 2, 
8. 153 ff. und Köhler, ebenda, 8. 220 ff.; Bd. 3, 8. 136, 137. 

’) Vgl. Klöppel in den Gutachten aus dem Anicaltatande , 8. 1470. 



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148 



sie nicht nis eine willkürliche Neuschöpfnn^ , sondern verma«' 
eine geschichtliche Wur/el nachzuweisen. 

Die rechtliche Lage der Kinder au.s ungültigen Ehen ist 
von ähnlichen Gedanken aus geordnet, wie sie für das ka- 
nonische Recht bei seinen Vorschriften über matrimonia pu- 
tativa leitend waren. Zur Sicherung Unschuldiger gegen allzu 
schwere unverdiente Nachtheile Lst hier die Strenge des Rechts 
gemildert (§§ 15t>2 — 1567). 

Die unehelichen Kinder .stehen im Verhältnis.se zu ihrer 
Mutter auf dem ihnen günstigen Roden des römischen Rechts 
(g§ 1568 ff.); doch ist ihr nicht die elterliche Gewalt anver- 
traut, sondern nur eine Sorge für die Person des Kindes 
(§ 1570). Dem Vater ist die Pflicht zur Ernährung bis zum 
vollendeten 14**" Lebensjahre auferlegt (gg 1571 ff.). Mit 
dem franzö.sischen Grundsätze: ,La recherche de la patemite 
est interdite“ ist also gebrochen worden. Es hat dies von 
den verschiedensten Seiten den lebhaftesten Beifall gefunden ; 
die Kritik findet sogar den Entwurf zu nachsichtig gegen die 
Erzeuger der ausser der hihe geborenen Geschöpfe *), gegen 
welche sie die bittersten Tadelworte richtet. Insbesondere 
hielten mehrere Stimmen es für eine übergro.sse Milde , dass 
demjenigen, der die Möglichkeit der Vaterschaft mit anderen 
theilt, die „exceptio pliirium concumbcntium* gewährt wird. 
Dass diese von einem Kritiker als „Einrede der Untreue* 
bezeichnet wird, beweist, wie sehr er die einem solchen Ein- 
wande regelmässig zu Grunde liegende Sachlage mit flbergros- 
sem Zartgefühle auffasst. Der Entwurf hat hier offenbar einer 
Schwäche des oft mit Unrecht sogenannten stärkeren Ge- 
schlechts eine gewisse Nachsicht entgegengebracht (g 1572 
Abs. 1), welche sich, wenn auch vielleicht nicht rechtfer- 
tigen , so doch jedenfalls begreifen lässt. 

Die Erhebung unehelicher Kinder zur Ehelichkeit (Legi- 
timation) soll entweder durch nachfolgende Ehe erfolgen kön- 

’) Vgl. nainentlicb Fuld, .•IitAip f, civ. I‘raxk , Bd. 75, 8. 68 ff. 
Mongor, a. a. O., 8. 60 ff. L iuc k el mau n , in den Gutachten aas 
dem AnwultHtande, S. 446 ff. 



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14!) 



iien (§§ 1579 ff.) oder durch Ehelichkeit-serkläruug (g 1583). 
Es ist dies die alte „legitimatio per rescriptum principis* 
im Gnadenwege, deren nähere Vorbedingungen den Landes- 
geset/.en innerhalb gewisser reichsrechtlieher Schranken zur 
Reglung überlassen sind. Durch den Familienzuwachs, der 
in dieser Form ohne seine Mutter in des Vaters Haus ein- 
tritt , sollen die Verwandten und die Ehefrau des Vaters 
nicht berührt werden (§ 1596). 

Die Annahme .an Kindesstatl (§g 1601 ff.) ist gegenüber 
dem römischen Rechte vereinfacht. Diu Kindesannahme eines 
Abkömmlings wird von den sonstigen Adoptionsl'ällen nicht 
unterschieden , was sich schon durch ihre Seltenheit vollkom- 
men rechtfertigt. Im Allgemeinen ist aber dieser Vertrag 
immerhin wirkungsvoller, als nach Justinian's Vorschrift 
die adoptio minus plena war; er soll im Grossen und Gan- 
zem den Angenommenen die Stellung eines ehelichen Kindes 
gewähren (g 1601). An Vorschriften, die gegen unziemliche 
oder nachtheilige Adoptionen .schützen sollen, fehlt es nicht 
(gg 1602 ff.). Die bei der Annahme bereits lebenden Abkömm- 
linge des Wahlkindes brauchen nicht, wenn sie nicht wollen , 
ihrem Vater mit in die neue Familie zu folgen, und auch 
die Verwandten des Wahlvaters werden von .solchem Fami- 
lienzuwachse , der nicht durch die Bande des Bluts an sie 
gefesselt ist, nicht berührt (§ 1620). 

Auf dem Gebiete des Vorinundschaftsrechtes ') hatten die 
Verfasser des Entwurfs eine leichte Arbeit. Hier lag ein 
fertiges Werk aus neuerer Zeit vor, die preussische Vor- 
mundschaftsordnung vom 5*®“ Juli 1875, welches mit den 
strengen Vorschriften des Polizeistaates gebrochen und den 
neuesten Verhältnissen Rechnung zu tragen versucht hatte. 
Trotz manchen Anfeindungen, welche dieses Gesetz erfahren 
und manchen üebelständeii , welche es mit sich gebracht hat , 
ist es ihm schliesslich doch gelungen , in dem Gesammtge- 



') Vgl. hiorzu Brettner, in Kohler’s Archiv f, bürg. R., Bd. 2, 
3. 197 ff. oad Foycrabend, im Archiv f.civ. Fraxi» , Bd. 76, S. 69 ff. 



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150 



biete deB preussischen Königreiches feste Wurzeln zu fas- 
sen. Hierdurch rechtfertigte sich seine durchgreifende Be- 
nützung in dem Entwürfe. Da.s Vorbild ist im Gro.s.sen und 
Uuii'zen beibebalten und im Wesentlichen nur in soweit ura- 
gestaltet, als es den übrigen Theilen des Entwurfes ange- 
passt werden musste. Auch ist die Zügelung des Vormunds 
durch das Gericht, welche gegenüber dem älteren preussi- 
schen Rechte in der genannten Vorraundschaftsordnung sehr 
gelockert worden war, nunmehr wieder etwas straffer ge- 
worden. Namentlich sind hinsichtlich der Aufbewahrung von 
Werth papieren , der Lieblingsform moderner Kapitalsanlage, 
besonders sorgfältige Vorsichtsmassregeln getroffen (§§ 1670, 
1671). Auch die Zahl der Geschäfte, bei deren Abschluss 
der Vormund an die Genehmigung des Gegenvormuuds oder 
des V'^ormundschaftsgerichts gebunden ist, ist erheblich ver- 
mehrt (§§ 1669, 1674); endlich ist die letztwillige Befreiung 
des Vormundes von den gewöhnlichen Verwaltungs.schranken 
nur in geringerem Umfänge zugelassen (§§ 1690 — 1695, 
1733, 1745). 

Die scharfe Unterscheidung zwischen tutor und curator, 
wie sie die Quellen des römischen Rechts kennen , findet sich 
im Entwürfe nicht mehr vor. Schon ini preussischen Land- 
rechte deckte sich die Unterscheidung des Vormundes vom 
Curator nicht mit der genannten Redeweise der Quellen. Der 
römische tutor ist grundsätzlich „Befehlsherr“, Träger einer 
Erziehungsgewalt, der curator lediglich fürsorglicher „Ver- 
mögensverwalter“, mehr Freund, als Herr. In überaus fein- 
sinniger Weise haben die Römer die Altersstufe , welche von 
der Pflicht zum Gehorsam befreit, niedriger ange.setzt, als 
diejenige , auf welcher eine durchgereifte Willenskraft fremde 
Fürsorge entbehrlich macht. Dies hat sich bei uns geändert. 
Seitdem einmal nach dem Gebote der Reichspolizeiordnungen 
der Vormund bis zur Volljährigkeit beibebalten werden mnsste, 
also auch für eine Zeit , in der er mehr zum Ratheu , als zum 
Befehlen sich berufen fühlen mochte, verwischte sich die 
römische Unterscheidung des Vormunds von den Beschützern 



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151 



des Verschwenders und des Wahnsinnigen , denen gegenüber 
von einer Eraiehungsgewalt niemals die Rede sein konnte. Um 
so mehr aber machte sich das Redürfniss geltend , die Fülle, 
in welchen ein Beschützer die umfassende Verwaltung aller 
Geschäfte eines Schützlings führt , von den Besorgungen ein- 
zelner Angelegenheiten und eines bestimmten Kreises von 
Geschäften zu unterscheiden. 

Jene Träger einer umfassenderen Vollmacht nennt das 
Preussische Landrecht und ebenso der Entwurf „Vormünder“, 
die mit dem minderen Geschäftskreise Betrauten ') heLssen 
nunmehr, wie in der Vormundschaftsordnung, Pfleger (im 
Preussischen Landrecht hiessen sie Curatoren ’) ). 

Die Fälle einer möglichen Pflegschaft sind in der preus- 
sischen Vormundschafts-Ordnung nach einer generalis clausula 
geregelt, jetzt durch eingehendere Einzelbestimmungen (§§ 
1738 ff.). Hierbei ist auch der curator absentis als .Abwe- 
senheitspfleger“ erwähnt (§ 1740)’). 

Bei den Berufungsgründen zur Vormundschaft sind die 
Spuren der römischen Rechtsgeschichte möglichst verwischt 
worden. In Rom wuchs die Tutel aus einem Familienzusam- 
menhalt heraus, der dem alten Geschlechterstaat entsprach. 
Mehr und mehr trat das Interesse des Staates an den beson- 
dern Familienbedflrfnissen zurück und demnach das Schutz- 
bedürfnbs des Mündels in den Vordergrund. Im neueren 
Recht beherrscht dasselbe diesen Rechtszweig ganz *). Das 
zeigt sich schon in der tutela testamentaria. Nicht mehr die 
väterliche Gewalt, welche die Macht der Familie absolutis- 
tisch vertritt, befähigt zur Ernennung von Vormündern , son- 
dern die elterliche Liebe, welche zu der dem Kinde segens- 

') Theils fOr einzelne Qetchäfte, tbeile für alle Klassen kommen 
Pfleger vor, ausnahmsweise für alle VermögensangelegenhoUen (§ 1739), 
niemals für andere Oeschüfte. 

’) Allgem. Landrecht, Theil II, Tit. 18, Abschn. 9. 

’) Im preussischen Recht war er Vormund, nicht Pfleger {Motive, 
Bd. 4, 8. 1011). 

*) David, in den Gutachten de» AnvalUtande» , 8. 76, redet von 
einer Verstaatlichung der Vormundschaft. 



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152 



reichsteu Wahl befähigt. Schon im römischen liecht erlangt 
der Vater des emancipierten Kindes und die Mutter eine von 
obrigkeitlicher Nachprüfung abhängige Vormundsernennungs- 
befugniss. Jetzt darf jeder Vater in erster Linie und die .Mut- 
ter in zweiter die Vormundsberufung anordnen (g 1635). 

Die alte .tutcla legitima“ war schon dadurch sehr abge- 
schwächt worden, dass ihr in Deutschland eine obrigkeitliche 
Bestätigung folgen musste, was auch im Entwürfe angeord- 
net ist*); jetzt ist sie so gut wie gänzlich beseitigt. Der 
Satz; ,lJbi emolumentum hereditatis, ibi onus tutelae“ hat 
für uns keine rechte Geltung mehr. Er verblasste mit dem 
Schwinden der staatlichen Fürsorge dafür , da.ss das Mün- 
delgut der Familie erhalten bleibt. Nur Grossvater und 
Grossmutter werden hinter den von den Aeltern Ernannten 
zur Vormundschaft berufen (§ 1635). Der erbgierige Verwandte 
eignet sich überdies zuweilen zum Beschützer des Hilflosen 
nicht besser, als der Bock zuin Gärtner. 

Wohl finden wir auch im Entwürfe neben dem schon er- 
wähnten Rechte der Grosseltern eine gesetzliche Vormund- 
schaft bei volljährigen Schützlingen ; diese ist jedoch etwas 
anderes, als die römische tutela legitima. Man sieht das schon 
darin, da.ss sie der testamentarischen vorgeht (§ 1729, letz- 
ter Abschnitt), nicht nachfolgt, und auf einen ganz geringen 
Umfang beschränkt ist, sie betrifft nur Vater, Mutter und 
Grosseltern (g§ 1729, 1733). Warum das älteste römische 
Recht eine Bevormundung Volljähriger durch den Vater oder 
die Mutter nicht vorsah, ist klar, da es die Emancipationen 
ursprünglich nicht kannte (also auch kein Bcvormundungs- 
bedürfniss bei Lebzeiten des Vaters) , und da die Frau erst 
auf höherer Culturstufe zur Vorkämpferiu fremder Angele- 
genheiten mächtig genug erschien. Dass jetzt, nachdem das 
Ende der väterlichen Gewalt sehr häufig geworden ist, der 

*) Die Motive (Bd. 4 , 8. 1010) nennen dies „Bostollun^princip*. 
Eine vereinzelte Ausnahme soll die den Landesrechten üherlassene Vor- 
mundschaft der Leiter von Vorpflegunpsanatalten hilden. Art. 79 des 
KinlQhrungsgcsetzos. 



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153 



frühere Gewalthaber in erster Linie dazu befähigt erscheint , 
(las gewaltfreie Kind, falls es durch Wahnsinn oder aus 
ähnlichen Gründen einer Bevormundung bedürftig wird, zu 
beschützen und demnach die zu frühe verlorene Gewalt in 
der neuen Form der Vormundschaft wieder aufzunehmen, 
ergiebt sich aus seiner früheren Erziehungsthätigkeit nicht 
minder, als durch die Nähe seiner Blutsverwandtschaft und 
hat auch in den Befugnissen des parens uianumissor ein Vor- 
bild. 

Die Unfähigkeits- und Ablehnungsgründe des Entwurfes 
(g§ 1640 ff.) sind in ähnlicher Weise gestaltet, wie im ge- 
meinen Recht, und haben die Ueberreste römischer Natio- 
naleigenthümlichkeiten völlig abgestreift. 

Dos Vormundschaftsgericht soll sich unter Umständen aus 
Verwandten eines Unmündigen zu einem Familienrath ergän- 
zen (§§ 1712 ff.), in dem der Richter den Vorsitz zu führen 
hat (§ 1714)'). Auch ohnedies können Familienmitglieder 
bei Führung der Obervormundschaft zu Rathe gezogen werden 
(§ 1678) und auch den Gemeinden ist ein gewisser Autheil 
gesichert (§ 1725, Einführungsgesetz Art. 80). 



Auf dem Erbrechtsgebiete hat der Entwurf die berechtigte 
Erwartung einer Vereinfachung des gemeinen Hechtes in hohem 
Maasse erfüllt. Die erbrechtliche Reichhaltigkeit des corpus 
juris civilis steht in einem schroffen Missverhältnisse zu der 
geringen Zahl erbrechtlicher Gedanken , welche die Anschau- 
ungen unseres Volkes beherrschen. Es erklärt sich dies dar- 
aus , dass gerade auf diesem Gebiete solche rechtsgeschicht- 
liche Spuren vergangener Zeiten Justinian’s Rechtsbuch 
aufgedrückt sind , denen die Naturrechtsschule eine instink- 
tive Abneigung entgegeubrachte , wahrend die geschichtliche 

') Dieser Familicnrath ist von der gleichnamigen Kinriohtung des 
französischen Rechtes verschieden. Die letztere ist im Entwürfe besei- 
tigt und zwar unter Zustimmung aus der Praxis (vgl. David, in den 
Gutachten aus dem Aniealtetande , S. 79). 

11 



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154 



imcliweist, dass sie einst eine Wolilthat waren und eben 
darum für veränderte Verhältnisse eine Plage werden muss- 
ten Wenn irgend wo, so musste man hier naeh Jhering’s 
bekanntem Worte durch das römische Recht hindurch Ober 
das römische Recht hinauskouimen. War dies ja schon iin 
prcussischen Landrechte in weitem Umfange geschehen. Trotz- 
dem ist dieser verwickelte Rechtszweig so reich an Vorschrif- 
ten , dass auch hier nur die allerwichtigsten zur Besprechung 
herausgegriffen werden können '). 

Allerdings lässt die Anordnung des Krbrechts manches zu 
wünschen übrig. Eis ergiebt sich dies aus den Überschriften 
der sechs Abschnitte des fünften Buches (Elrbrecht: 1. All- 
gemeine Vorschriften; 2. Letztwillige V'erfügungen ; 3. Ver- 
trag (Erbvertrag); 4. gesetzliche Erbfolge; 5. Erbverzicht; 
t). Rechtsstellung des Erben), und mehr noch zeigt es sich 
in den Unterabtheilungen. 

Den Systematiker befremdet zunächst hier, wie sonst, die 
Ungleichartigkeit der Dinge, die als gleichwerthige Grössen 
nebeneinander gestellt sind. Neben drei Berufsgrüudeu steht 
der Erbverzicht, ein Grund des ausnahmsweisen Fortfalls der 
gesetzlichen Berufung, welcher daher als Unterabtheilung in 
die Vorschriften über gesetzliche Berufung hätte eingereiht 
werden können. Ueberhaupt liessen sich die letztwilligen Ver- 
fügungen und Erbverträge als zwei Unterarten einer einzi- 
gen Hauptgruppe (der Anordnungen für den Todesfall) hissen 
und als eines von zwei Gliedern des Rechtes der Berufungs- 
gründe neben die gesetzliche Erbfolge stellen. 

Diese Berufungsgründe könnten als thatsächliche Vorbe- 
dingungen dos Erwerbes von Todeswegen die erste Hälfte 
der besonderen Erbrechtsvorschriften bilden , während die 



‘) Näheres vergl. bei Oiorke, der Entwurf, 8. 505 ff. Menge r, 
a. a. 0., 8. 139 ff., besonders 8. 145 ff., wo selbst auch den neueren 
Reformplänen auf dem Erbroohtsgebieto Beachtung geschenkt ist. Baron, 
im Archir für civilUlischt 1‘raxia, Bd. 75, 8. 177. Eok, die Stellung 
des Erben, dessen Rechte und Verpflichtungen in dem Entwürfe u. s. w., 
Berlin 1890. 



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155 



zweite die ,P’olgeii des Erwerbes von Todeswegeu“ uiiifiisseii 
könnte. Diese zweite Hälfte mösste dann Titel G: „Rocbts- 
stellung des Erben“ in sich aufnehiuen. Dann hätten wir zwei 
Ilaupttheile des Erbrechts: 1. Vorbedingungen; 2. Folgen 
des Erwerbs von Todeswegen. 

lui üebrigen war es ein glücklicher Gedanke , dass die 
in den Lehrbüchern übliche Trennung der Vermächtnisse von 
den Erbschaften aufgegeben ist. Die Vermächtnisslehre ist 
von der Testanientslehre untrennbar und wird auch bei den 
Vorschriften über Erwerb der Erbschaft oftmals als bekannt 
vorausgesetzt. Ein weiterer Vorzug der Anordnung des Ent- 
wurfes liegt darin, dass in Abschnitt 4 die Pflichttheilserb- 
schaft als Unterart der gesetzlichen Erbschaft erscheint. Die 
durch Gesetz berufenen Gesamnitnachfolger , die nicht blos 
in Ermanglung eines Testaments , sondern auch wider ein sol- 
ches eintreten , hören dadurch nicht auf, gesetzliche Erben 
zu sein ‘). 

Dass die letzt willigen Verfügungen (Testamente) vor dem 
gesetzlichen Erbrechte geregelt worden sind, hat Beschwer- 
den hervorgerufen ’) , welche in dieser Anordnung wohl mehr 
sehen , als zu finden war ’). Jeder Nachlassgläubiger oder 
Nachlassrichtor , welchem es obliegt, festzustellen, wer der 
Erbe eines bestimmten Verstorbenen ist, wirft sich hinter 
einander die beiden Fragen auf: 1. Liegt ein Testament vor? 
2. Sind gesetzliche Erben da? Da nun ein gutes Gesetzbuch 
die Antworten auf die Fragen des Lebens bietet, so darf es 
sich auch in der Reihenfolge dieser Antworten derjenigen 
der Fragen anpassen. Diiss jedoch durch die Voranstellung 
des Testaments der Einfluss, den das Familienleben auch auf 

') Vgl. Motive, lid. 5, S. 353. 

') Vgl. z. B. l’eturson, die Beruf u»;/ zur Erbschaft und die letzt - 
utilligen Verfügungen überhaupt nach dem Entwürfe, Berlin, Gatten- 
tag, 1889, S. 32. 

’) Bin Buscblusa des preussisebon Lundus-Ockonoinie-Cullegiums 
(v. Kircbenbeim’s Centralblatt, Bd. 9, S. 134) hält es für nötbig , 
eine Umstellung dieser beiden Oesetzbuchstbeile zu beantragen. 



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160 



den liihult der letztwilligen Verfügungen ausübt, missachtet 
oder beeinträchtigt worden ist oder werden kann , ist eine 
unhaltbare Behauptung. 

Auffallend ist die gänzliche Beseitigung der ,codicilli‘ 
(§§ 1753, 1750). Diese Testamente zweiten Ranges begannen 
bekanntlich ihr Dasein in höchster Freiheit der Form und 
des Inhalts ; später wurden sie mehr und mehr unter die 
Testamentsgrundsätze gezwängt und nun endlich sind sie 
ganz vom Testament verschlungen worden. Für kleinere Ver- 
mächtnisse wird ihre Wiederbelebung empfohlen '), jedenfalls 
liegt in der Ausdehnung der Testamentserfordernis.se auf blosse 
Vermächtnisse der richtige Gedanke, dass Anordnungen, deren 
Urheber nicht mehr über die Echtheit der hinterlassenen 
Verfügungen gehört werden können, und bei deren Herstel- 
lung der Geisteszustand ihres Errichters nicht geprüft wor- 
den ist, so wenig, wie möglich, ein Anrecht auf Gültigkeit 
erhalten sollten. 

Die Definition der Vermächtnisse als der letztwilligen Zu- 
wendungen, die nicht Erbeseiusetzungen sind (§ 1750), ist 
durch ihre verneinende Fassung , von deren Nothwendigkeit 
mau sich nicht leicht überzeugen wird , mit Recht aufgefallen. 

Die Regelung der Vorschriften über den Testamentsinhalt 
ist fast durchweg ansprechend. Der »mortis tempore non- 
dum conceptus“ soll nur als zweiter Erbe hinter einem anderen 
(als sogen. Nacherbe) bedacht werden können, soda.ss die 
Erbschaft nicht verwaist bleibt , während die Möglichkeit 
seines Werdens in der Luft schwebt (§ 1757). 

Dass den juristischen Personen volle Erbeinsetzungsfahig- 
keit gewährt wird, beseitigt eine alte Streitfrage (§ 1758). 

Der Satz: »Nemo pro parte testatus, pro parte intestatus 
decedere potest“ ist fortgefallen (§ 1788). Wenn seine Geltung 
wirklich, wie vielfach behauptet worden ist, eine logische 
Nothwendigkeit wäre , so würde er sich nicht schon längst 
haben durch das preussische Recht beseitigen lassen. Seitdem 



') Baron, a. a. 0., 8. 245. 



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157 



überdies J ii s t i n ia ii's Gunst für fromme und milde Stiftuii- 
(?en die noch unbestimmten Personen (personae incertae) 
einsetzungsfäbig gemacht hat, ist es folgerichtig, auch die 
zur Zeit der Testamentserrichtung ungewissen gesetzlichen 
Erben neben den ausdrücklich genannten Nachfolgern als 
stillschweigend eingesetzte Miterben zum Nachlasse zuzulassen. 
Bei unsern vortrefflichen Standesregistern wird dies ohnehin 
nur selten zu störender Hechtsungewissheit führen. 

Uuzulänglich ist das über den „heres ex re certa* Gesagte. 
Er soll im Zweifel im Sinne des Erblassers nur als Ver- 
mächtnissnehmer gelten. Damit ist jedoch nicht der andere, 
nicht seltene Fall geordnet, in dem der Erblasser einem 
Erben lediglich eine bestimmte Sache (z. B. ein Landgut) 
und doch die vollen Rechtsbefugni.sse des Erben zuwenden 
will '). 

Der Substitut hat ein deutsches Sprachgewand angezogen 
und heis.st .Ersatzerbe“ (§§ 1800 flf.). Der Name passt aller- 
dings nicht auf den Pupillarsubstituten ; dieser hat jedoch 
keine Gnade vor den Augen des Gesetzgebers gefunden. In 
einer Rechtsordnung, welche Nacherben (ex die) kennt, be- 
darf es freilich einer solchen Einrichtung nicht mehr ’). Ihr 
Zweck ist trotz der Schwierigkeit der ihr gewidmeten Texte 
doch ein einfacher , der Schutz unmündiger reicher Erben 
vor dem .periculum insidiarum* seitens seiner gesetzlichen 
Nachfolger. Wenn die Motive hierzu bemerken, dass der 
Schutz des Lebens und der Gesundheit nicht Aufgabe des 
Gesetzgebers sein soll*), so halten .sie sich jedenfalls in 
diesem Punkte von dem ihnen vorgeworfenen Individualismus 
weit entfernt. 

Der Entwurf kennt, wie soeben schon erwähnt wurde, 
„Vorerben“ und „Nacherben“ (§ 1804). Der Satz: „semel 
heres semper heres“ ist also fallen gelassen. Im Grunde ge- 
nommen galt er in seinem praktischen Haupterfolge bereits 

') Vgl. Baron, a. a. 0., S. 225 ff. 

') Vgl. Klöppel, Gutachten aus dem Amraltstande , 8. 1490. 

') Motive, Bd. 5, 8. 1S3. 



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158 



nicht mehr, seitdem der Universalfideiconimissar .heredisloco“ 
war. Das Universnlfideiconmiiss ist freilich wej;gefallen ; aber 
die rechtlichen Vortheile, welche es ffewährte, sind als „Nach- 
erbfolge“ erhalten. Hier folgt der Entwurf ganz dem Vor- 
bilde des Preussischen Landrechts ') , auch insofern, als er 
dein Vorerben grundsätzlich die Befugnisse eines Nie.ssbrau- 
chers giebt. Der lebhafte Widerspruch , welcher gegen diese 
letztere V'^orschrift erhoben ist ’) , muss daher durch den Ge- 
danken daran abgeschwächt werden , dass hier ein praktisch 
bewährtes Vorbild nachgeahmt worden ist. 

In dem Satze „semel heres semper heres“ lag zweifellos 
auch der Gedanke , daas Niemand allzuweit über seine Lebens- 
grenze hinaus in fremde Schicksale und unbekannte Verhält- 
nisse eingreifen soll. Wo jener Satz wegfällt, da muss .sich 
derselbe Gedanke, wenigstens in anderer, abge.schwächter 
Form, geltend machen, nämlich in der Beschränkung der 
Nacherbfolge’). Nur einmal, nicht öfter, darf hinter den Er- 
ben ein Nacherbe geschoben werden , der ihn ablösen soll 
(§ 1812: „Die Nacherbfolge kann nur einmal eintreten“). 

Wider Umgehung des Verbots einer letztwilligen Verga- 
bung des eigenen Vermögens für eine allzu weite Zukunft 
schützte auch der Satz: ,a legatario legari non potest“,der 
schon bei dem laxeren Fideicommissrechte nicht galt. An dieses 
lehnte sich bekanntlich in Deutschland eine eigenartige Schöp- 
fung an , das Familienfideicommiss. Dieses hat der Entwurf 
den Landesrechten überlassen*); es ist zweifellos eine künsU 
liehe Nachahmung der alten Stammgüter und bezweckt, be- 



') Th. I, Tit. 12, § 466. 

*) Baron, im Archiv f. civ. Praxis, Bd. 76, 8. 236. 

’) Dos prouss. allg. Landrecht, I, Tit. 12, § 55 lässt nur 2 Substi- 
tutionen zu. 

*) In dieser Hinsicht ist freilich eine reformirende Ergänzung des 
Entwurfs begehrt worden in der Schrift des Grafen H. von Bothmor: 
Die Jieform des adeligen Erbrechts, Dresden 1888. Sie tritt namentlich 
fOr eine Verbesserung der Lage der jüngeren Geschwister von Majo- 
ratsbesitzern ein. 



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150 



vorzugte Familien durch ihren ständigen Grundbesitz aus der 
Masse herauszuheben. Die Errichtung von Farailienfideiconi- 
inissen ist überall an besondere Schranken gebunden , und es 
bedarf eines gesetzlichen Gegendruckes wider die Lust, solche 
Schranken zu überspringen. Es könnte .sonst jemand ein Gut 
als Vermächtniss an eine Familie binden, indem er gewisse 
Familienglieder hinter einander in alle Zukunft hinein zu ihm 
beruft. Dies würde darum möglich sein, weil der Entwurf 
Nachvermächtnisse zulässt (§ 1884) und auch, die bei dem 
Tode des Erbla.sser.s noch nicht im Mufterleibe befindlichen 
Kinder Verniächtnissnehnier sein können. In dieser Richtung 
ist die mit grosser Schwerfälligkeit .stilisierte Vorschrift zu 
deuten (g 1860)'), dass ein Nachvermächtnissnehmer das 
Zugewandte nicht erhalten darf, wenn dreissig Jahre seit 
dem Erbfalle verstrichen , der erste mehrerer hinter einander 
beschwerter Vermächtnissnehmer bereits gestorben und der 
jetzt Berufene noch nicht empfangen ist. Einfacher und näher 
liegender wäre es gewesen , für Vermächtnisse schlechtweg 
blos zwei Berufungen hinter einander zuzulassen und zwar 
nur an Personen, die beim Verniächtnissanfalle schon emp- 
fangen sein mü.ssen. 

Eine bedeutsame Aenderung uralten Rechtes (gg 1842 ff.), 
die mit gutem Grunde angefochten worden ist ') , ist die Aus- 
merzung der letzten Spuren des Vindicationslegats. Der Vcr- 
inächtnissnehmer soll niemals mehr ein dingliches Recht an 
dem Gegenstände der Zuwendung erhalten , immer nur eine 
Forderung. Dass diese Gestaltung der Dinge neben Nacb- 
theilen auch praktische Vorzüge vor der bisherigen hat, i.st 
zweifellos ’). Niemals kann aber zugegeben werden , dass die 
blos.se Möglichkeit, auf irgend einem Gebiete einen voraus- 



*) Diese epricht zuerst von den „Beecliwerten“ und eugt dann hin- 
terher, dnee mit diesem "Worte unter ümetSnden nicht er aelbet, son- 
dern einer seiner Vorgänger gemeint sein soll. 

') Dagegen ein Beschluss des I9ten Deutschen Juristentags ( Ko-Annd- 
lungen, Bd. 3, 8. 105), der auf Antrag Dernhurg’s gefasst worden ist- 
’) Vgl. Motive, Bd. 5, 8. 134. 



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IfiO 



Hiclitliclien Nutzen zu erreichen, dazu genügen darf , altehr- 
würdige Einrichtungen , welche durch Jahrhunderte sich als 
vortheilhaft erwiesen und zu ernstlichen Beschwerden keinen 
Anlass gegeben haben, einfach wegzustreichen. Dieser Ge- 
danke scheint deshalb um so richtiger, weil da, wo unsern 
deutschen Rechtsinstituten eine feste geschichtliche Grund- 
lage fehlt, dieser Mangel sich in der Arbeit des Gesetzbuchs 
unwillkßrlich abspiegelt. Dies zeigt sich namentlich in der 
mühevollen Aufgabe, welche die Lehre von der Testaments- 
vollstreckung der Gesetzgebungscommission gestellt bat (§!§ 
1889—1910)'). 

Erst hinter dem Testamentsinhalte (§§ 1911 ff.) ist die 
Errichtungsform erörtert. Der Grundsatz der Publicität ist, 
wie im preu.ssischen Rechte, als Regel durchgeführt; nur 
ist dem gerichtlichen Testamente das notarielle gleichgestellt 
(g 1914), worin wohl ein Einfluss französischer Anschau- 
ungen über die Bedeutung des Notariats zu sehen ist ’). Die 
Zeugen werden verschwinden und mit ihnen ein Anachronis- 
mus; denn in diesem Massenaufgebote von Menschen stecken 
die Nachfolger der 5 Mancipationszeugen , deren Menge nur 
in der Zeit allgemeiner Schreibensunkunde erklärlich war, 
des libripens und des familiae emptor, zwei Wesen von nahezu 
räthselhafler Alterthümlichkeit. 

Dass die wechselseitigen Te.stamente beseitigt sind , hat 
mehrfache Missbilligung hervorgerufen ’). 

Die Verfügungen von Todeswegen durch Vertrag (Erb- 
und Vermächtnissvertrag) sind dem gemeinen Rechte ent- 
sprechend zugelassen (§§ 1940 ff.); doch bat ein beachtens- 

') Vgl. hierzu die Gutachten Hartraann’e und von Cuny’a in den 
yerhandlungen des 2Uen Deutschen Juristeiilaga , Bd. 1 , 8. 3 ff-, 8. 43 ff. 

*) Vgl. hierzu 8tein, in den Gutachten aus dem Anu>altstande, 
8. 470-486. 

*) Vgl. hierzu in den Verhandlungen des 20ten Deutschen Juristen- 
tags: Land (Rd. 1, 8. 3 ff.), 'Wilke (Bd. 1,8. 13 ff.), Ennecce- 
rua (Bd. 4, 8. 314 ff.) und Eck (Bd. 4, 8. 328 ff.) Der Bcschluaa 
des J uristentages (Bd. 4, 8. 337) richtet sich auf die Zulassung dieses 
Rochtsgeschäftos für Gatten und Veriubte. 



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IGl 

werther Widerspruch gegen diese Einrichtung') dargethun , 
dass trotz den Jahrhunderten , während deren sie gilt , das 
den Römern eigene Gefühl für die Gefahren , welche solche 
Geschäfte, ohne gerade unsittlich zu sein, der guten Sitte 
bringen, noch nicht eitödtet ist. Wer sich hinsichtlich seines 
Nachlasses vertragsraässig bindet, kommt immer mehr oder 
weniger in eine unwürdige Abhängigkeit von den undank- 
baren Empfängern seiner Wohltaten, welche auf dem Hoden 
ihres Vertragsrechts seiner Ungnade trotzen können. Freilich 
wurzelt die Einrichtung der letztwilligen Verträge so fest in 
unserer Gewohnheit , dass auf ihre Streichung kaum zu 
rechnen sein wird. 

Der vollständigste Bruch mit der römischen Rechtsan- 
schauung ist auf dem Gebiete des gesetzlichen Erbrechts 
geschehen’). Hier strebte man nach Einfachheit, Billigkeit, 
Versöhnung von Gegensätzen ’) und griff in Anlehnung an 
das österreichische Vorbild zu der Parentelordnung (Lineal- 
system), ohne zu verkennen, dass die angeblich deutsch- 
nationale Grundlage dieses Systems überaus zweifelhaft ist '). 
Nach dieser Ordnung folgt der ersten Klasse der Abkömm- 
linge, deren bevorzugter Platz über allen Zweifel erhaben 
ist (§ 1965), die Gruppe der Eltern des Erblassers mit ih- 
ren Abkömmlingen (§ 1966). Als dritte treten die Gross- 
eltern mit ihrer Descendenz auf und so fort (g§ 1968 fif.). 
Während die erste und die zweite Linie noch nach Stämmen erbt 
(§ 1967), tritt von der dritten Linie Gradualerbfolge in den 
Linien ein : d. h. der Nähere schliesst den Entfernteren 



') Von Ubbelohde, Archiv f. cic. Praxi», Bd. 75, 8. 54 ff. 

’) Vgl. hierzu Wilke, in den Gutachten au» dem Anwaltatande , 
8. 975 — 1014, der den Entwurf billigt (abgesehen von der den natür- 
lichen Kindern erzeugten Ungunst). Hier, wie vielfach sonst, deckt 
sich das Werk mit der hervorragenden Schrift Fr. Mommscn’s: Ent- 
wurf eine» härgerlichen Keichtgeeetse» über da» Erbrecht neb»t Motiven. 
Braunschweig, 1876 (vgl. hierzu Motive, Bd. 5, 8. 337). 

’) Motive, Bd. 5, 8. 356, 357. 

') Motive, Bd. 5, 8. 356. 



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102 



aus, um die Masse nicht zu sehr zu zersplittern (§ 1008) '). 

Dies System ist verständlich , einfach und feinsinnig. Nur 
eins fehlt ihm leider; man sieht nicht recht den vortheil- 
haften Einfluss auf das Wohl der lletheiligten , welche diese 
Ordnung vor anderen voraus hat. Ob sie sich in die breite 
Mn.sse des V'olks einleben wird , ist überdies nicht zweifellos , 
weil nur der geübte Jurist sich die Familie in der Stamin- 
bauniforra veranschaulicht, aus der allein .sich der Grundge- 
danke des Lineahsystems empfiehlt. Ueberdies liegt in seiner 
Verbindung zwischen Blutsgemein-schaft und Erbrecht ein 
starkes Zuriickstreben zur Enipfindungsweise früherer Zeiten , 
welche gern Eigenschaften , die aus Erlehnis.sen nnd Erfah- 
rungen hervorgehn , auf angeborene Eigenthümlichkeilen zu- 
rOckffihrte und daher auch die durch Zusammenleben erzeugte 
Fähigkeit zur üebernahme der wirthschaftlichen Stellung des 
vertrautesten Lebensgenossen in einen unmittelbaren Zusam- 
menhang zur Blutroischung setzte. Auch das Gradualsystem 
erklärt sich weniger aus der Gleichheit des Bluts, welche 
allerdings mit der Verwandtschaftsnähe steigt, als aus der 
in demselben Grade wachsenden Innigkeit des Zu-sammenle- 
bens. Nicht die Naturanlage, sondern die Lebensgeschichte 
.sollte in erster Linie die Erbfolge bestimmen. Wer an der 
wirthschaftlichen Gedankenwelt des Erbla.ssers als dessen 
Vertrauter bei Lebzeiten ein Mitempfinden und Mitwissen 
besessen hat , der ist in der Regel der geeignete Mann , die 
IMänc seines Freundes nach dessen Tode in richtiger Weise 
weiterzuspinnen. Dass in einem Ge.schlechterstaate , wie es 
das alte Rom war, der Agnat als Namensträger dem Erb- 
lasser , der selb.st keinen höheren Stolz kannte , als der 
Träger seines Namens zu sein, am Niich.sten stand, ist 
eben.so begreiflich, wie das Streben Justinian’s, diese 
Denkart dadurch zu bekämpfen , da.ss er jedem , auch dem 
entferntesten Cognaten dieselben Rechte gab , wie dem gleich 
nahen Naraensträger. In der That sind die erste und vierte 



') Motine, Bd. 5. 8. 364. 



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163 



Klasse J 11 s t i n i an’s nichts anderes, als die 12 Tafeln, aus 
dem agnatischen in’s cognatische übersetzt. Dort der suus 
und hinter ihm der nächste Agnat, hier der unmittelbare 
Abkömmling und hinter ihm der nächste Cognat. DerPrator, 
welcher bei dem Gten und 7tcn Cognaten .seinen ordo unde 
cognati abschloss und dadurch die lachenden Erben vom 
Nachlasse fernhielt, findet bei den neueren Juristen mehr 
lieifall, als Justinian und der Entwurf, welche beide 
den Nachla.ss in die entferntesten Winkel des Stammbaums 
hinabgleiten lassen. Mit gutem Grunde ist von vielen Seiten 
her der Antrag gestellt, die allzu entfernten Verwandten 
vom Nachlasse auszuschliessen '). 

Im Uebrigen war es jedenfalls von Justinian wohlge- 
tlian, dass er zwischen den nächsten Descendenten und den 
nächsten Cognaten noch gewisse nahe Verwandte einschob. 
Man könnte sie (mit einem allerdings nur ungefähr richtigen 
Ausdrucke) als das „Elternhaus“ bezeichnen. Die Personen, 
in deren Nähe wir aufwachsen , sind allerdings in der Regel 
vor allen andern die Kenner und Vertrauten unserer Lebens- 
pläne. Um die Novella 118 richtig zu würdigen, mu.ss mau 
bedenken , dass in späterer Zeit die sog. emancipatio Saxo- 
nica das byzantinische Haus in ein im Wesentlichen von 
ihm verschiedenes , deutsches Haus verwandelt hat. Der er- 
wachsene Sohn hat bei uns in der Regel einen eigenen 
Haushalt, die Enkel werden bei uns fast immer in die Ge- 
walt des Vaters und nicht des Grossvaters hineingeboren, 
und deshalb widerstrebt es uns, den nächsten Ascendenten 
den verstorbenen Eltern gleichzustellen. Das Haus unserer 
Grosseitem ist nicht mehr derselbe Sammelpunkt aller Ab- 
kömmlinge, der es in der Regel war, als die väterliche 
Gewalt erst mit dem Tode des Gewalthabers zu erlöschen 
pflegte. Unser Neffe wächst somit nicht mehr in der Regel 
mit uns im .selben Hause auf, wie es in Byzanz der Fall 

') Vgl. *. B. Peterson, s. a. 0., S. 83. Ubbelohde, a. a. 0., 
S. 44 ff. Baron, s. a. 0., 8. 192. Eck, a. a. 0., 8. 92 und andere. 



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lf>4 



war , als erst der Tod des Groasvaters dua Eiikelkiud von 
aoineni jjleichfalls gewaltunterworfenen Oheim zu trennen 
pflegte. Indem das preussiache Landrecht und der Entwurf 
nicht bloa Neffen, sondern auch unter Umständen Neffen- 
kinder und Neffcnenkel den Brfidern des Verstorbenen gleich- 
stellen, dehnen sie einen byzantinischen Rechtssatz, der för 
unsere Verhältnisse ohnehin nicht mehr paaat, aus, statt 
ihn zu beschränken. Nur Eltern und Geschwister verdienen 
noch Vorzugsrechte vor andern , und zwar uuter ihnen jene 
vor diesen '). Sie sollten zwischen den Abkömmlingen und 
dem nächsten Verwandten stehen. Das Richtige wäre also 
für unsere Zeit folgende Reihenfolge : 

1. Kinder; 2. Eltern; 3. Geschwister; 4. der nächste Uluts- 
verwandte bis zum 4ten (oder 5ten) Grade; 5. Staats- (oder 
Gemeinde-)Kasse ’). 

Nach dieser Ordnung wird der vermuthliche nächste Freund 
des Verstorbenen berufen, wie er sich durchschnittlich nach 
Beobachtung der wirklichen Lebensverhältnisse ergiebt. 

In der Ordnung des Pflichttheilsrechts ist zunächst die Zahl 
der Berechtigten be.schränkt worden. Dass nur die Eltern , 
nicht entferntere Asceiidenten , Pflichttheilserben sind , folgern 
die Motive nicht ohne Grund aus der vom Entwürfe gewähl- 
ten Pareiitelenordnung ’). Auch das gemeinrechtliche Pflicht- 
theil.srecht der Ge.schwister gegenüber der persona turpis ist 
weggefallen (§ 1975). Die letztere mochte wohl in der Regel 
eine erbschleichende Person, z. B. eine Beischläferin, sein, 
welche die Familie des Erblassers aus dem Hause hinaus- 
drängte. Aehnlichc Zustände sind bei uns , namentlich in den 
besitzenden Klassen , selten , so dass wir nach der Regel 
»leges generaliter constituuntur* darüber hinwegsehn können *). 



') Zu ähnlichen Ergebniagen gelangt Baron, a. a. 0., 8. 194. 

') Die Bevorzugung der Oemcindekagge vor der 8taa(gkagge befürwor- 
tet namentlich Ubbelohde im Archiv f. de. I^raxU^ Bd. 75, S. 48. 
’) So Motive, Bd. 5, 8. 383. 

') Andere begründen die Motive, Bd. 5, 8. 383, die Abweichung vom 
rüm. Rechte. 



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1Ü5 



Eine weitere Verbesserung ist die Rückkehr zur einheit- 
lichen Berechnung des Pflichttheils und dessen Festsetzung auf 
die Hälfte des gesetzlichen Erbtheils (§ 1978). Die Verdopp- 
lung der alten quarta, die Justinian nur für kleinere Erb- 
theile ganz durchgeführt hat, ist somit jetzt völlig verwirk- 
licht, eine halbe Massregel also zu einer ganzen geworden. 

Minder unbedenklich ist die Herabdrückung des Pflicht- 
theilsrechts vom römischen Miterbrechte zum blossen per- 
sönlichen Ansprüche (§ 1978), welche im Gebiete des Preu.s- 
sischen Landrechts Gegenstand einer Streitfrage war '). Man 
nimmt neuerdings an, dass Justinian in dem Rechte auf 
Erbeinsetzung, das die Novella 115 ihren Notherben ge- 
währt, lediglich einem zwecklosen Formalismus gehuldigt 
hat'). Indessen es ist mehr als ein blosser Ehren Vorzug, dass 
ein Sohn dagegen geschützt wird , abgefunden mit einem 
persönlichen Anspruch von Haus und Hof des Vaters ver- 
jagt zu werden , ohne Autheil an den Nachlass.stOcken und 
an der Nachlassregelung und ohne Möglichkeit, bei der Ver- 
äusserung der hinterlassenen Sachen mitzureden und die Be- 
rechnung seines Pflichttheils gegenüber den Durchstechereien 
erbschleichender Geschwister zu beaufsichtigen. Auch die un- 
bedingte Vererblichkeit des Pflichttheilsanspruchs ’) , die dem 
sog. Inofficiositätssystem zuwider ist, hat mancherlei gegen 
sich*). Es war nicht blos eine geschichtliche Zufälligkeit, 
dass die römischen Contumviru die querela inofficiosi als eine 
Beschuldigung des Wahnsinns, als eine racheschnaubende 
Klage behandelten. Es liegt vielmehr in jeder Pflichttheils- 
klage eine Art Todtengericht , eine Gehässigkeit gegen den 
Verstorbenen, dessen Andenken durch sie öfientlich herab- 

') Gegen sie erklärt sich auch Wilke (Gutachten aus dem Anwalt- 
etande, S. 075—1014), der auch daselbst die Gnterbungsgrande und 
die Enterbung in guter Absicht bespricht. 

’) Vgl. Dernburg, Pandekten, Bd. 3, § 152, 2te Aufl. S. 305. 
Vgl. jedoch auch KQhnast, dat Erbrecht des Entwurfs u. s. w., 
1888, 3. 20. 

') § 1992 r »Der Pflichttheilsanspruch ist vererblich und Obortragbar.“ 

*) Gegen eie auch Baron, a. a. 0., 3. 208. 



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lUG 



('eset/.t wird. Wer sich zu ihr aus Achtung vor dem Ent- 
schlafenen nicht hat entachlies.sen können , der sollte , wenn 
er aus dein Leben scheidet, mit dem Sicherheitsgefiihle ster- 
ben , dass fremde Nachfolger, welche für sein Empfinden kein 
rechtes Verstündniss haben können , nicht die befuguiss erlan- 
gen werden , die von ihm versäumte Aufdeckung einer Schande 
seine.s Hauses aus Gewinnsucht nachzuholen. 

Eigenthümlich ist auch , dass der PHichttheil , welcher nicht 
wider die Erben, sondern gegen den Empfänger einer über- 
mässigen Schenkung eingeklagl wird , den Namen des .ausser- 
ordentlichen Pflichttheils“ tragen soll (§ 2010), weilereine 
Erhöhung des Pfliohttheilsbetrages bildet , der sich aus der 
beim Tode vorhandenen Masse ergiebt '). 

Der letzte Abschnitt: „Rechtsstellung des Erben“ enthält 
acht Titel , eine verbesserungsfähige Anordnung , die z. B. 
in Titel 4, 7 und 8 von Dingen redet, welche mit unter 
die Ueberschrift des 3‘*“ Titels „Wirkungen des Erbschafts- 
erwerbes“ fallen, nämlich von der Fürsorge des Nachlass- 
gerichtes, dem luventarrechte und der Auseinandersetzung 
der Miterben. 

Der wichtigste Punkt in diesem letzten Gesetzbuchsab- 
schnitte hängt mit einer starken Bewegung zusammen , die , 
vom Preussischen Landrechte ausgehend, den Deutschen Ju- 
ristentag für sich gewonnen ’) und dem Gesetzgeber Beach- 
tung abgenöthigt hat , nämlich dem Zurückstreben zu dem 
altdeutschen Satze: „Der Todte erbt den Lebendigen“’). 
Erbschaften sollen also durchweg ohne Antretungserklärung 
erworben werden. Da nun die Erbschaften mehr Schulden 
enthalten können, als Vermögenswerthe , also unter Umstän- 
den Danaerge.schenke sind, so ist jener altdeutsche Grund- 
satz nur dann ohne grosse Schädigung Unschuldiger durch- 
zufUhren , wenn man auf die Interessen der Gläubiger für 

') Vgl. hierzu Wilke in deu Gutachten aus dem Anwaltelande , 
8. 1010-1014. 

’) Verhandlungen des ISten Juristentags , Bd. 2,8. 138— 171,415 — 421. 

’) Vgl. ilotice, Bd. 5, 8. 458 ff. Eck, a. a. 0., 8. 1 ff. 



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Itj? 

Handel und Credit so weni;; Rücksicht zu nehmen geneif't 
ist, wie es in der altgermanischen Naturalwirtlischaft möglich 
war. Für unsere neueren V'erhältnisse, in denen die Erben 
für Schulden des Erblassers eintreten sollen, ist jene Ein- 
richtung kaum noch berechtigt. Der Laie begreift nicht , dass 
ihm bei einem völlig werthlosen Nachlasse die Pflicht zu ge- 
richtlichen Erklärungen oder Inventarisationen obliegen soll '). 
Trotz dem glaubte das lebhafte nationale Bewusstsein der 
neueren Zeit, hier Anlass zu einer erwünschten Abweichung 
von römischen Sätzen zu finden. Der Gesetzgeber befindet 
sich nun in der Übeln Lage , einerseits die Erben , denen er 
die Erbschaft aufladet, ohne sie zu fragen, ob sie diese Last 
wünschen , schadlos zu stellen und andererseits eine Schädi- 
gung des Handels und Gewerbes zu vermeiden. 

Der V^ersuch eines Ausweges aus dieser Calamität ist ein 
wahres Schmerzenskind des Entwurfs, das sog. /»eenfa/rec/if , 
das von der Kritik mit allseitigem Tadel überschüttet wor- 
den ist (§§ 2092 — 2150)’). Schon der Name hat Spott erregt. 
Das , Inventarrecht“ kann nämlich ohne Inventar erworben 
werden ’). Der Name stammt daher aus geschichtlichen Erin- 
nerungen. Das Inventarrecht des Entwurfes ist dasjenige Recht 
des Erben , an welches der romanistisch gebildete Jurist denkt , 
wenn von dem „beneficium inventarii“ die Rede ist. Eis ist 
also, um deutsch zu reden, ,der Schutz gegen die Gefahr 
des Erbschaftserwerbs“ oder ,das Recht yefahrlosen Erb- 

') In Berlin heirathete z. B. ein« arme eugliaolie äprachlobrorin einen 
Oatten, der bald darauf im Kriege fiel und kein Vermögen, wohl aber 
viele Schulden binterlicas. Des Hechts unkundig erachtete sie cs nicht 
fOr nöthig, eine gerichtliche Erkifirung abzugeben, obwohl sie allein 
als gesetzliche Erbin berufen war. Nach Ablauf der Aussehlagungs- und 
der Inventarisationsfrist, den die Qlilubiger abwarteten, verfiel sie ihnen 
mit allem zukünftigen Arbeitserwerhe als Schuldnerin für den vollen 
Betrag der Erbschaftspassiva. 

*) Vgl. hierzu Bähr, in der Krit. VierUljahrsDcUrift, Bd. 30, N. F. 
Bd. 11, S. 561 ff. Qierke, der Entwurf, S. 557 ff. Eck, die Stellung 
de» Erben, 8. 7 ff. 

’) ,Es ist also eine Benennung nach Analogie von lucus a non lu- 
cendo*. Bühr, a. a. 0., 8. 561. 



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Iü8 



schafherwerbs“ . Justinian sagt von einem Inventarerben: 
»hereditatem sine periculo habeat* '). Leider ist die Gefahr- 
losigkeit dieses Erwerbs im Kntwiirte eine einseitige. Der 
Erbe soll schlechtweg nur mit dem Nachlasse haften (§ 2092) 
und hat deshalb eine sog. Abzugseinrede , deren Durchführung 
mit sehr künstlichen Berechnungen verknüpft sein soll ’). 
Die Gläubiger aber können ihn wegen versäumter Inventar- 
errichtung nur dann haftbar machen , wenn sie ihn auf Her- 
stellung dieses Inventars besonders belangt haben (§§ 2095, 
2096). Vorher ist er zu ihr nicht verpflichtet. Gerade dies 
hat lebhaften Widerspruch erfahren. Eine erhöhte Sicherung 
der Gläubiger wird begehrt. Zwar ist man darüber einig, 
dass in dieser Uichtung des Guten zu viel geschehen kann 
und beispielsweise im österreichischen Rechte geschehn ist. 
Dagegen ist das württembergische Recht mit seiner Fürsorge 
für die Unversehrtheit des Nachlasses warm empfohlen wor- 
den ’). Auch i.st der Vorschlag gemacht worden , dem Erben 
eine gesetzliche luventarpflicht ohne Gläubigerantrag aufzu- 
legen, bei deren Nichterfüllung er zur Strafe für die volle 
Schuld haften soll, falls er nicht nachweist, wie viel im 
Nachlasse beim Erbfalle vorhanden war *). Vielleicht kann 
man auch so helfen , da.ss man die Frist zur Erfüllung der 
Inventarisationspflicht nicht eher laufen lässt, als bis der 
Erbe die Masse thatsächlich berührt hat. Erst von diesem 
Augenblicke an beginnt die Gefahr, dass seine Nachlässig- 
keit oder Bosheit den Erbschaftsbestand verdunkelt , eine Ge- 



') L. 22 § 4 Cod. de jure delib. (VI, 30). 

^ Vgl. hierober Dero, a. a. 0., 8. 118 ff. Munk, 8. 61 ff. 

’) Von Probet, im Archiv f. eiv. Praxis, Bd. 75, 8. 1 ff. Auch 
Mengor, a. a. 0., 8. 153, befürwortet eine Naolilaeerogulirung von 
Amtewegen. 

*) So Baron, a. a. 0., 8. 274, und Eck, a. a. O., S. 25. — Der 
Verf. dieeer Abhandiung etellto am 11 Soptember 1801 in der ersten 
Abtheiiung des 21ten Deutschen Juristentages in Cöln den Antrag, den 
Wunsch nach Vereinfachung des Inrentarrechts und nach Erhöhung 
des Schutzes der Nachlassgläubigor auezusprechen. Diener Antrag wurde 
einstimmig angenommen. 



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lOÜ 

fahr, der die Errichtung eines Inventars zwar nicht unbe- 
dingt, aber doch bis zu einem gewissen Grade entgegenzu- 
treten vermag. 

Die Gemeinschaft der Erben ist nach römischem Vorbilde 
geregelt. Hier , wie überall , ist das Gemeinschaftsrecht des 
Entwurfes dessen germanistischen Gegnern in hohem Maasse 
zuwider; das Streben, den Gemeinschaftsgenossen ihre An- 
theile möglichst schnell und glatt zur Verfügung zu stellen, 
das namentlich dem Satze „notnina ipso jure divisa sunt“ 
zu Grunde liegt, wird als eine romanistische , unsoziale Ver- 
irrung getadelt. Die sehr umständlichen Miterbrechtsverhält- 
nisse des Preussischen Landrechts werden dagegen als 
deutschrechtliches Muster gerühmt. Diese Strömung ist so 
stark und wird von so vielen in der Praxis wohlbewährten 
Männern vertreten ') , dass ihr gegenüber die einfachen rö- 
mischen Hechtssätze wohl kaum werden errettet werden 
können. Nichtsdestoweniger möchte der Verfasser seiner 
Ueberzeugung dahin Ausdruck geben , dass ihm sowohl in 
gerichtlicher Thätigkeit als in der Ordnung privater Ange- 
legenheiten das vielgerührate preus.sische Recht, welches 
den Nachlass zunächst als ungetheilte Masse zusammenhält 
und für die wichtigsten Verwaltungsmassregeln unbedingte 
Einstimmigkeit der Erben erzwingt, immer sehr zeitraubend 
und umständlich vorgekommen ist , namentlich wenn ein 
Theil der Erben im Auslände wohnt oder gar vor vollende- 
ter Erbtheilung verstirbt. Vom Standpunkte des Satzes , time 
is money* schien ihm immer das römische Streben nach 
schnellster Auflösung erbschafllicher Gemeinschaften als das 
natürliche. 

Auch die Feststellung der gesetzlichen Erbeseigenschaft 
durch Erbschein (§§ 20G8 ff.) auf Grund öffentlicher Ur- 
kunden wird mancherlei Mühseligkeit für Erbschaftsregelun- 
gen gewähren. 

') Vgl. die Verhandlungen des 20ten üeutachen Jurietenlage , Bd. 4, 
8. 288 ff. und die Outaolitcn von StrOtzki und Cosaok, Bd. I, 3. 
132 ff. und 199 ff. ; Eck, die Stellung des Erben , 3. 39 ff. 

12 



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170 



Die Colliitioii ist als , Ausgleiclmtig des Vorempfangenen“ 
in angemessener Weise verdeutscht (§ 2157). In diesem stark 
vereinfachten Rechtszweige ist der gemeinrechtliche Unter- 
schied zwischen der älteren und der neueren Collation be- 
greiflicherweise völlig beseitigt worden ; die Collation erscheint 
durchweg als Beitrag des den Abkömmlingen zum Gewinne 
einer selbstständigen Lebensstellung bezahlten Kapitals (nicht 
aber der blossen Erziehungsgelder, § 2159). Die Ausgleichung 
soll in der Form eines Geldbetrages geleistet werden (§ 2163). 
Uebrigens soll sie nur bei gesetzlicher Erbfolge eintreten 
(§2157). Bei te.stamentarischer bringt der Entwurf also der 
Ein.sicht des Erblassers die Erwartung entgegen , dass er den 
Vorausempfang bei seiner Anordnung mitberücksichtigen 
werde ; während J u s t i n i a n bekanntlich ihnen ein gleiches 
Vertrauen nicht gewährte. 



Ehe wir von der vorstehenden Schilderung der Grundzüge 
des Entwurfs zu seiner Beurtheilung übergehen, erscheint 
es angemessen , dem Gesammtbilde der reichen , oben nur an 
einzelnen Stellen berührten Literatur , welche sich an ihn 
angeschlossen hat, einen Blick zuzuwenden '). Viel Gedan- 
kenreichthum und Gesetzgebungsweisheit ist aus den verbor- 
genen Tiefen des deutschen Geisteslebens herausgetreten , 
als die öffentliche Aufforderung, das neue Werk durch frei- 
willige Beurtheilung zu fördern, ergangen war. Es wird 

') Cntor den Beurtheilern dos Werkes sind namentlich ausser den 
oben Oenannten hervorzuheben : Ludwig Goldsohmidt, KrittKht 
Erörterungen zum Entwurf u. s. w., Heft 1, Leipzig 1889, ein Gegner 
dos Werkes. Auch Dernburg tadelt es in der Vorrede zur zweiten 
Auflage seiner Pandekten. Vgl. ferner Zrodlowski, Codificalionsfra- 
gen und Kritik des Entwurfs u. s. w., Prag, 1888. Ein anerkennendes 
Urtheil fällt Ryok, Die Lehre von den Schuldverhältnissen nach ge- 
meinem deutschen Rechte, Berlin, 1889, in der Einleitung. AlsVerthei- 
diger dos Entwurfes ist namentlich Planck zu erwähnen, Archiv f. 
civ. Praxis, Bd. 75, S. 327 II. Eine vollständige Uebersicht der auf den 
Entwurf bczflglichen Literatur wird zusammengostollt von Otto Mflhl- 
b recht in Berlin (Verlagsbuchhandlung Puttkammer u. Hühlbrocht). 




171 



nicht allzu schwer werden, die Spreu vom Weizen zu son- 
dern, und das Werk an zahllosen Stellen zu verbessern. 
Unmöglich dagegen würde es sein, allen geäusserten Wün- 
schen gerecht zu werden , zumal sie zu einem sehr grossen 
Theile nicht berechtigt sind. Einer scharfen Gegen kritik 
wird es bedürfen, um die Kraft vieler grundloser Angriffe 
auszugleichen. Ein Theil der Gegner des Werkes hat sich 
freilich an mehr als einer Stelle Blossen gegeben. Manchem 
unerbittlichen Splitterrichter fehlt der Balken ira eigenen 
Auge nicht; aus der Mücke eines untergeordneten Missgriffs 
ist oftmals ein Elephant gemacht; die politischen und ge- 
schichtlichen Schranken des Werkes sind vielfach übersehen 
worden; unter mehreren möglichen Lösungen einer Gesetz- 
gebungsaufgabe wurde die eigene oft für die allein denkbare 
gehalten. Unglücksprophezeiungen über die voraussichtlichen 
Folgen der vorgeschlagenen Rechts-Umgestaltung sind aus- 
gesprochen worden , welche weit über den Gesichtskreis 
hinausreichen, welcher selbst den erleuchteten Geistern von 
der Natur der Dinge gesteckt ist. Von allen derartigen 
grundlosen Beschwerden müssen wir vorweg absehu. Sodann 
müssen wir aber erwägen, welche Aufgaben einer Gesetz- 
gebung überhaupt nach dem heutigen Stande der Wissen- 
schaft gestellt sind ') und welche jetzt für Deutschland ge- 
löst werden müssen. 

Die erste Frage ist unter allen Umständen auf geschicht- 
lichem Boden zu beantworten. Von einem .reinen Privat- 
recht“, einem Seiteustücke der reinen Vernunft, hat nur eine 
vereinzelte Stimme gesprochen ’) und die wachsende Einsicht 
in die zeitliche und räumliche Bedingtheit aller Geisteserzeug- 
nisse wird schwerlich dahin führen , diese Eigenschaft gerade 
den Rechtssätzen abzusprechen. Die Maassstäbe für die 
Durchführbarkeit und Gemeinnützigkeit eines Gesetzbuchs 

') Diese Frage hat der VerfoBoer in seiner Schrift; dit Kideszuschie- 
bung in Familienrechtsprocessen, S. 1 ff., nSher behandelt. 

') Kroch, Die Rechte nn Grundstücken nach dem Jinticurf n. 8. vr. 
Berlin, 1889, S. 4. 



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künneti also nur der Geschichte des Volkes entnuiumen 
werden , dem es angepasst werden soll '). Nicht also nach 
Nützlichkeitserwäguugen, die auf alle möglichen Zeiten und 
Völker bemessen sind , sondern nach dem ganz besondem 
Entwicklungsgänge Deutschlands ist dessen liecht abzuschät- 
zen. In diesem aber musste au die Gegenwart angeknUpft 
werden , an das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, nicht an 
die Zeit Barbarossa’s oder Ma x i mili an's. Die Gegen- 
wart bestimmt die Durchführbarkeit und die Heilsamkeit des 
Gesetzeswerkes , die Vergangenheit giebt nur die Richtung 
an , in welcher die Aufgabe fortzuführen ist. Hierbei musste 
allerdings die Frage entschieden werden, ob die politische 
Erneuerung Deutschlands uns dahin treibt, die in unser 
Rechtslebeu seit dem Mittelalter eingedrungeueu Anschauun- 
gen der Antike wie einen kranken Stoff aus unserem Geis- 
tesleben herauszubringen , um ihm statt dessen die Gedanken 
einer entschwundenen deutschen Vergangenheit als frisches 
Blut einzuflössen , oder ob ein derartiges Unternehmeu schäd- 
lich und sogar unmöglich sein würde. Solche Frage kann 
kein Rechtskenner anders beantworten , als aus dem Ge- 
sammteindrucke seines Wissens von den Rechtsquellen und 
den Lebensbedürfnissen ; darum vertritt hier jeder seine Ue- 
berzeugung , ohne auf eine Bekehrung des Gegners zu hoffen. 
Die Ansichten über den Werth des römischen Rechts gehen 
himmelweit auseinander; der Glaube, dass es eine ,ratio 
scripta* bt, scheint neuerdings in das gerade Gegentheil 
umznschlagen ’). Der Verfasser kann sich in seinem Glauben 

') Insoweit bedarf die geistvolle Bemerkung Bekker’s (b'ystem und 
Sprache, S. 6b), der Vier haus (Deulschee Wochenblatt, 1890, S. 412) 
zustimmt , dass die B'rage , ob unser Recht dem römischen gleicht , ebenso 
gleicbgiltig ist, wie die Aehnliehkeit unseres Schwertes mit demjenigen 
der rümisoben Legionüre, einer gewissen Einschränkung. Das Volk zeigt 
in der Aufnahme von Privatrechtssätzen nicht dieselbe Subordination , 
wie das Heer bei der Annahme von Waffen. 

') Vgl. z. B. das mit grosser Anschaulichkeit geschriebene Buch von 
Wi Im an ns, die Seeeption de» rämiechen Rechtes und die sociale Frage 
der Gegenu-arl, Berlin, 1890, ein getreues Abbilil der um sich grei- 
fenden Abneigung gegen das römische Recht. 



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an (len Geist hoher Milde und edler Menschlichkeit, welche 
den römischen Satzungen innewohnt, sowie an ihre untrenn- 
bare Verbindung mit den Wurzeln unserer nationalen Kraft 
nicht irre machen lassen und ist eher geneigt, der Meinung 
derer beizutreten, welche diesen Geist ini Entwürfe an vie- 
len Stellen zu ihrem Bedauern vermissen '). Jedenfalls ist 
der Glaube an die Brauchbarkeit der aus Rom übernomme- 
nen bewährten Sätze in der Mehrheit unseres Beamtenthums , 
das unter allen Umständen bei der neuen Reform initreden 
muss, herrschende Meinung. Dieses Beamtenthum, dessen 
Einfluss sich auch in der weitgreifenden Rücksicht zeigt, 
welche der Entwurf auf die Beschlüsse des deutschen Ju- 
ristentags genommen hat, muss die Verantwortung für die 
Rechtspflege tragen und kann daher keine widerspruchsvollen 
oder unzweckniässigen Sätze dulden, selbst dann nicht, wenn 
sie aus vaterländischen Rechtsquellen belegt werden *). 

') In dieser Hinsicht verdient ^anz besondere Beachtung das von 
Hartmann im Archiv f. civ. Praxis^ Bd. 73, S. 309 Ausgefübrte, 
insbesondere über die ohne Grund den Pächtern geraubte remissio mer- 
cedis, S 358 ft. u. dorgl. mehr. Nur für die in integrum restitutio (S. 
351 ff.) und das 8. C. Vellejanum (S. 369), welche beide dem Entwürfe 
fremd sind, kann sich der Verfasser nicht begeistern. Ersteres ist eine 
Folge der in Deutschland nicht üblichen magistratlichon Unumschränkt- 
beit, letzteres ein Sonderrecht für die vornehmeren Volksklasscn. Ein 
offenkundiger Rückschritt des Entwurfs gegenüber dem rdmischen Rechte 
ist dagegen, dass er das Verbot ebikanöser Rechtsausübung nicht kennt 
(vgl. Baron, in Conrad's Jahrbüchern f. Nationalökonomie und Sta^ 
tistik^ N. F. Bd. 19, S. 234; vgl. auch Ladenburg, im Archiv f. 
civ. Praxis^ Bd. T4, S. 445—461). Hiergegeu richtet sich der in v. 
K i r c h on bei m Ceniralblatt ^ Bd. 9,8. 129 mitgetheilte Beschluss des 
preuBsischcD LandcH-Oekonomie-ColIegiums, nr. 5. 

*) Vgl. auch V. Gneist, den ehrwürdigen Leiter des deutschen Juris- 
tentags, in den Verhandl. des tOten Detäschen Juri3tentag»^^d. fS. 

Der Verf. mochte, um nicht missverstanden zu werden , versichern, dass 
er den Werth der germanistischen Rechtswissenschaft in vollem 3(aasse zu 
würdigen glaubt, insoweit sie sich nicht zu einer ungerechten Unterschät- 
zung der antiken Beimischung in unserm heutigen Geistesleben hinreissen 
lässt. Sie hat vor allen das Mährohen der Möglichkeit einer ewigen ,,ratio 
scripta*^ widerlegt, von den deutschen Anschauungen, namentlich auf 
ofrentlichrechtltchem Gebiete, unannehmbare Kigenthümlichkeiteii des spat- 




174 



Aber nicht bloa in dieaem Punkte musate die Commission 
mit fremden Meinungen rechnen. In der Zeit des Absolutis- 
mus war e.s leicht , auf die Durchführung eines Ge.setzge- 
bungswerke.s zu hoffen. Jetzt, da die Mehrheiten eines Bun- 
desraths und eines Reichstags für da.sselbe gewonnen werden 
müssen, ist für kühne Neuerungspläne von vorn hereinkein 
Raum ; eine möglichste Anpa.ssung an die vorhandenen Ver- 
hältnisse und Anschauungen ist unter solchen Umständen 
nicht l)los erlaubt und nicht blos heilsam , sondern geradezu 
unvermeidlich. Darum konnte der Entwurf nicht eigentlich 
schöpferisch sein ; denn er sollte es nicht sein. 

Gesetzgebungsaufgaben sind überhaupt unter verschiedenen 
Zeitumständen ganz verschiedenartige Dinge. Etwas anderes 
ist die staatliche Neubegründung eines in Entstehung be- 
griffenen Gemeinwesens , etwas anders die Codification un- 
geschriebenen Rechtes und noch wieder etwas anders eine 
innere Einung verschiedener Codificationen. Die letztere Auf- 
gabe allein war diejenige der Commission ; die Codifications- 
frage ist längst gelöst; denn auch das gemeine Recht hat 
nicht blos da , wo es durch Landesrechte verdrängt ist , son- 
dern auch durch die Abfassung der in der Praxis vorwiegend 
geltenden Lehrbücher bereits eine Codification hinter sich. 
Aus verschiedenen Gesetzbüchern ein einziges herzustellcu , 
welches mehr ist, als die blosse Wiederholung der Vor- 
schriften eines der zu vereinigenden Gebiete, dies war die 
eigentliche Hauptaufgabe der Commi.ssion. Eine andere durfte 
sie sich nicht stellen , wenn sie hoffen wollte , ihre Arbeit 
zur Gesetzeskraft durchdringen zu .sehen. Da das Gesetzbuch 
den einzelnen Staaten Deutschlands nicht wider ihren Willen 
aufgezwungen , .sondern ihren Bedürfnissen angepasst werden 
soll , so durften diese verlangen und erwarten , von dem ge- 



rümiachen Kaiseratiuites nbgowehrt, die nachrömische Kechtsenlwick- 
lung gepflegt , die Lücken des nur theilweise bei nna brauebbaren rö- 
miachen Recbta auageatepft und den Romaniaten durch die V'crbindung 
dea Rechts mit den übrigen Cnlturaweigen ein noch nicht veil erreichtes 
Vorbild culturgeachicbtlichor Rechtsdarstellung gegeben. 



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i7r. 

wohnten und bewährten Rechtsschutze keine empfindlichen 
Verluste bei der geplanten Neuerung zu erleiden. Die Er- 
reichung eines .solchen Ziels musste aber w'eit weniger eine 
gesetzgeberisch-schaffende , als eine systematisch-sammelnde 
Arbeit sein. So verschieden auch Gesetzgebung und Syste- 
n)atik sind, im vorliegenden Falle mussten sich beide in 
Folge der eigenthümlichen politischen Lage des Vaterlands 
beinahe verschmelzen. Diese gab von vom herein dem neuen 
Plane ein ganz anderes gebundenes Ziel , als es den unum- 
schränkten Herrschern der Einzelstaaten und als es Napo- 
leon, der auf den Trümmern einer zerstörten Gesellschafts- 
ordnung mit freiem Belieben .schaltete , vorschwebte. Nicht 
ohne Grund und nicht ohne Erfolg gewährte man daher dem 
bewährtesten Systematiker Deutschlands bei der Arbeit den 
grössten Einfluss. Das der Entwurf, wie man tadelnd hervor- 
gehoben hat, vielfach nur das Pandekten-Lehrbuch Wind- 
Rcheid’s wiederholt, gereicht diesem letzteren Werke mehr 
zum Lobe, als den Nachahmern zum Tadel. 

Um einem Missverständnisse vorzubeugen , mag hier daran 
erinnert werden, dass die Systematik zw'ei verschiedene Auf- 
gaben hat , eine niedere und eine höhere. Sie ist nicht blos 
Anordnungskunst, sondern vor Allem Schutzwehr gegen in- 
nere Widersprüche in dem Ganzen der Rechtsvorschriften. 
In der ersteren Hinsicht wurden oben mancherlei Verbes.se- 
rungsvorschläge gemacht; sie ist jedoch minder wichtig. Weit 
bedeutsamer ist die zweite Aufgabe. In ihr ist die Syste- 
matik mehr, als die blo.sse Dienerin des Inhaltes der Texte , 
vielmehr genügt sie selbst dem wichtigsten aller praktisch- 
politischen Bedürfnisse , demjenigen nach Wirksamkeit der 
Rechtsvorschriften. Ein Rechbsbuch, dessen Theile sich wider- 
sprechen , gleicht einem Garten , in dem die zu eng an ein- 
ander gepflanzten Bäume .sich gegenseitig vernichten. Ohne 
Systematik keine Wirksamkeit der Rechtsordnung. 

So mag es sich denn erklären , warum die einzelnen Theile 
des Ganzen mit bewundemsw'erther Ausdauer sich gegcn.sei- 
tig angepasst, zu einander in Beziehung gesetzt und in ein- 



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17C. 



ander Vfiwoben worden sind. Ein Missjrriff' war e.s freilicli , 
diesen innem Zusunmienhang durch unausgesetzte Citatc , 
welche oft die Geduld des Le.sers geradezu auf die Folter 
spannen , in den Text seihst hineinziuspinnen '). Die Llerstel- 
lung diese.s Zusammenhangs war jedoch überaus verdienstlich. 

Dass in dieser Innern Einung eines mannigfachen Stoffes 
etwas Ausserordentliches geleistet worden ist , ist wohl von 
keiner Seite bestritten w'orden ’). Darum ist der Vorwurf des 
Doktrinarismus ’), der bis zu einem gewissen Grade richtig ist, 
nicht in vollem Umfange begründet. Die scharfe Unterschei- 
dung zwischen einem Uehrbuche und Gesetzbuche lässt sich 
nicht so streng durchführen , wie behauptet worden ist *). Einer- 
seits kann ein gutes Lehrbuch schliesslich nichts anderes bieten, 
als was in den Anordnungen steckt, die es schildert. Rechts- 
wahrheiten , die vom Befehle irgend eines Gesetzgebers unab- 
hängig sind, giebt es, genau betrachtet, nicht. Der Glaube 
an sie ist der Üeberrest eines naturrechtlichen Irrthums. 
Darum unterscheiden sich knapp gefasste Lehrbücher, wie 
z. B. Puchta’s Pandekten, kaum von einem Gesetzbuebe. 
Andererseits wird es schwerlich einen Lehrbuchsbestandlheil 
geben , der sich nicht auch als Theil eines Gesetzbuches 
rechtfertigen Hesse. Das Recht ist , wie in einem trefflichen 
Worte*) gesagt worden ist, zugleich „Macht und Lehre“. 

') Vgl. aber diesen »an allen Seiten geragten , abrigene ohne allzu- 
grosee Mähe »ertilgbaren Uebcletand , statt vieler, 0 ie rke, der EnUrurf, 
8. 66 ff. Vgl. hierzu auch Stolterfoih, Beitrüge zur Beurtheilung 
de» Entieurfs u.e. w., Leipzig 1890, 8. 5. 

*) Mit Recht eicht Jacoby, Entstehung und Inhalt des Entwurfs 
U.8.W., Berlin 1888, S. 12 , hierin den Hauptvoriug des Werkes. Daeelhet 
finden eich S. 27 und 28 Zahlenbelege für die KOrze dos Kntwurfs. 

’) Be kk er 's Endurteil über das AVerk lautet: „nicht wissenschaft- 
lich , sondern doktrinär** {System und Sprache des Entwurfs u. s. w., 8. 67). 

') In dieser Hinsicht wendet eich namentlich wider den Entwurf 
Holder, a. a. 0., und in seinem Vortrage: Ueber den Entwurf eines 
deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, Erlaugen und Leipzig 1889 ; ferner 
Uierke, a. a. O., 8. 12, 55 ff., 243, 323 und suiist, und Ludwig 
üoldschmidt, a. a. 0., cap. 2 ff., 8. 54 ff. 

*) Von M 0 r k e I , j'uristiscAe Encyklopüdie , 1885, § 22, 8. 12. 



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177 



Ein Buch der Rochtssätze kann also der Lehrmittel nicht 
entbehren. Selbst eine jede Definition, die es bietet, ist nur 
ein Befehlssatz: „Du sollst dies Wort, wo es sich in meinem 
Gesetzbuche findet, so und nicht anders deuten!“ Damit 
werden alle die Gesetzesstellen, die das erklärte Wort ent- 
halten , hinsichtlich dieses Au.sdrncks erläutert und ergänzt. 
Jede Definition ist daher mehr oder weniger eine Collektiv- 
interpretation und, wo der Gesetzgeber sie vornimmt, eine 
collective Legalinterpretation. Dass eine solche zur Steuerung 
des Missverständnisses hier und da nöthig ist,istzweifello.s, 
und selbst logische Folgerungen ans einem Ge.setze darf 
dessen Urheber dann anbefehlen , wenn er befürchten muss , 
dass sie ohne dies übersehen werden könnten. 

Etwas ganz anderes i.st der Vorwurf des Doktrinarismus 
in der Begründung der Gesetzesvorschriften , der in der Ver- 
kennung des Satzes: „Non jus ex regula“ beruht '). Der 
Richter steht im Dien.ste allgemeiner Sätze , der Gesetzgeber 
aber ist ihr Herr. Wo der Richter zum Gesetzgeber wird, 
bindet er sich zuweilen selbst ohne Noth an die gewohnten 
Fesseln, die er als „Priucipien“ sich selbst auflegt. Dass in 
dieser Hinsicht z. B. hinsichtlich der abstrakten Natur der 
dinglichen Geschäfte und der Ehescheidungsgrüude nicht blos 
die Motive , sondern auch der Gesetzestext geschädigt wor- 
den sind , haben wir oben gesehen. Da es sich aber hierbei 
um eine Krankheit handelt , deren Symptome genau fest- 
steben , so würde ihre Heilung sicherlich möglich sein. 

Dass hier und da in der Rücksicht auf die ärmeren Klas- 
sen ein besserer Rechtssatz hätte gefunden werden sollen , 
als er aufgenommen ist*), und hier und da dem Einzelwil- 
len hätten strengere Schranken gesetzt werden sollen , mag 
wohl richtig sein. Es handelt sich aber dort immer nur 

') Beispiele hierfür bietet "Wen dt in seinem Aufsätze: Rechtssatz 
und Dogma, in v. Jhoring's Jahrbüchern für Dogmatik, Bd. 29, 8. 
29— 106. Eine populäre Durstellung dieses Missgriffs findet sich bei 
Ehrlich in der Zeitschrift ,Vnsere Zeit‘, 1890, Heft 7, 8. 25. 

') So z. B. hinsichtlich der remissio morcedis, des Verbotes der ge- 



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178 



um einzelne Fragen, nicht um Grundlaf^en des Ganzen ^). 

Nur in einem Punkte lässt sich der dem Werke entge- 
gengehaltene Tadel schwerlich ahschwächen und dies ist 
sein sprachliches Gewand. Schwerfällig und ohne Sinn für 
die Schönheiten unserer Muttersjwache , insbesondere für 
leichtgefögte Satzbildung und wohlklingende Wortformen, 
spricht in den meisten seiner Theile der Entwurf zum Leser. 
So sollte ein Gesetzbuch nicht zu einem Volke reden, das 
sich einer schönen und edlen Sprache erfreut *). Man hat 
aus der Noth eine Tugend machen und die ünschonheiten 
der Redeweise des P^ntwurfs mit seinem lobenswerthen Stre- 
ben nach Genauigkeit des Ausdrucks in Zusammenhang 
bringen wollen *). Allein beides trifft nur zufälliger Weise 

fährlichen abdtrakton Geschäfte, der Beibehaltung des OewohnbeiterechU 
u. dergl. mehr. 

') Don entgegengesetzten Standpunkt vertritt namentlich A. Menge r, 
das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen ^ Tübingen 1890, 
vgl. namentlich S. 17, 23, 33, 57, 69, 89, 151. Oierke hält die 
Landbevölkerung für da« ^Stiefkind des Entwurfs* (8. 77) und auch 
Opitz {Gutachten vher den Enhrurf eines bürgerlichen Gesetz-Buches ^ 
Leipzig 1889, 8. 36) spricht von einer „manchcsterlichen“ Bevorzugung 
der Kapitalisten vor den Grundbesitzern. 

*) Vgl. hierüber vornehmlich Gierke, der EnUrurf^ 8. 2 ff. Bek- 
ker, a. a. O,, 8. 50 ff. Darum sind gerade unter Meistern in der Be- 
handlung der deutschen Rede, wie Felix Dahn (in der Schlesischen 
Zeitung^ 1888, nr. 834, zweiter Rogen; idgliche Rundschau, Jahrgang 
1888, nr. 291), Bahr u. a., besonders scharfe Gegner des Entwurfes 
aufgetreten. Vergl. auch die Schmerzensrufe Bernhöffs, Kauf, Mit- 
the n. 8. w., 8. 62. Auch die sehr scharfen Angriffe, welche L. Gold- 
schmidt, a. a. 0., gegen das Werk richtet, wenden sich vorzugsweise 
wider seine Form. Allerdings hat auch diese Kritik gerade wegen ihrer 
Form einen Gegenangriff erfahren (Planck, Archiv f. eiv. Praxis, 
Bd. 75, 8, 429). 

’) So z, B. Zit el mann, die Rechtsgeschäfte im Entwurf, Bd. 1, 
S. 1 ff., auf den sich Planck, a. a. 0-, Bd. 75, S. 420 ff. bezieht. 
Uehrigons enthalten Zitelmann's Gegenvorschläge, ebenso wie die 
oben erwähnten Bähr’», zweifellose stilistische Verbesserungen. Soeben 
erscheint auch eine Veröffentlichung fortlaufender Veibcsserungsvor- 
schlnge von K och o 1 1 {Vorschldge zur Abänderung des Entwurfes u. s. w. 
Erstes Buch. Breslau, 1890). 



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17fl 

'/.iisiitiimen. Nur insofern liegt darin etwas Richtiges, ah 
wohlklingende Wendungen (wie z. B. die bekannten franzö- 
sischen Sätze „en fait de meubles la possession vaut titre* 
oder ,1a recherche de la paternite est interdite“) in der 
Regel nicht ganz genau sind oder näherer Erläuterung be- 
dürfen ’). Damit hängt wohl zusammen, dass dem Entwürfe 
jedes Streben nach sprichwortartigen, geflügelten Worten 
gänzlich abgeht. Die Motive beweisen , dass die Verfasser 
die deutsche Sprache wohl beherrschen, wo es sich um 
Gedankenreihen handelt , welche begründen und nicht be- 
fehlen ; allein zwischen der juristischen Ausführung und der 
festgeprägten Gesetzesregel ist ein gewaltiger Unterschied. 
Die Fähigkeit, unantastbare, Gohorsara gebietende Formeln 
abzufassen , will mehr geübt und gelernt sein , als jede an- 
dere. In ihr wai’en die Verfasser des Entwurfs keine Meister. 
Non omnia possumus omnes. Den Männern , welche ihr Werk 
revidieren werden , wird es nicht allzu schwer fallen , sie 
in dieser Hinsicht zu überbieten. Indessen wenn sie selbst 
fähig wären , mit Menschen- und Engelzungen zu reden , 
so würden sie dem Wunsche nach einem volksthümlichen 
Rechtsbuche doch nicht genügen können ’). Es ist ein unver- 
meidliches Vorrecht der allgemeinen Regeln , über den Ge- 
sichtskreis des unhelehrten Mannes hinauszugreifen ; das 
Geltungsgebiet eines Satzes steht im umgekehrten Verhält- 
nis.se zu der Grösse des Krei.ses, der ihn versteht, und ,le- 
ges generaliter constituuntur*. Man wird daher gut thun, 
auch in dieser Richtung auf unerfüllbare Wünsche von vorn 
herein zu verzichten. 

Und nun zum Schlüsse. Die Gefahr, dass die Arbeit der 
Commission als gänzlich werthlos bei Seite gelegt werden 
könnte, ist beseitigt, und zwar, wie der Verfasser glaubt, 
zum Besten DeuUchlands. Die Gefahr , dass bei der Uraar- 

') Vgl. hierzu Stolterfoth, Beiträge zur Beurtheilung des Knt- 
Kurfs u. B. w., Leipzig, 1890, 8. 17 ff. 

’) So mit Recht Moischeider, die allen Streitfragen gegenüber 
dem Entwürfe u. s. w., 1889, 8. 34. 



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180 



beitimg des Werkes zu viel oder zu wenig geschehen köuiite, 
dünkt ihm minder wichtig. Es ist nach nienBchlicher Vor- 
aussicht wohl ziemlich sicher, dass aus demjenigen, was 
vorliegt , ein einheitliche.s Reichsgesetzbuch hervorgehn wird. 
Nehmen wir aber auch an, dass die gemachten Verbesse- 
rungsvorschläge in weitestem Umfange Beachtung finden 
sollten und ein gründlicher Umbau keinen Stein auf dem 
anderen bestehen liesse, nehmen wir ferner an, dass erst 
ein gänzlich unigestaltetes Werk Gesetzkraft erlangen würde, 
selbst dann müsste das Hauptverdien.st an dem Gelingen 
des grossen Unternehmens doch denjenigen zugeschrieben 
werden, die zuerst seine Lösung als ein Ganzes zusammeuge- 
schweisst haben. Ein jeder, der sich in schriftstellerischen 
Leistungen versucht hat , weiss , welcher gewaltige Unter- 
schied zwischen dem ersten Entwürfe eines vollständig durch- 
geföhrten Gesammtbildes und seiner Austeilung im Einzel- 
nen ist. Wer an jenem nicht gescheitert ist, darf mit Fleiss 
und gutem Willen auch durch diese hindurchzukoramen 
hoflen. So steht es auch hier. Die grosse That liegt in dem 
Nachweise , dass die Herstellung eines einheitlichen Gesetz- 
buchs für Deutschland möglich ist. Er ist gelungen und 
den Männern, die ihn durchfilhrten , gebührt vaterländische 
Anerkennung. Leider muss der vollste unserer Dankeskränze 
auf ein Grab gelegt werden. Pape, der Leiter und die Seele 
des Unternehmens, starb kurz nach Veröffentlichung des 
Werkes unter den unfreundlichen Eindrücken, die dessen 
erste Aufnahme hervorrufen mu.sste. Es liegt tief im mensch- 
lichen Herzen die Neigung, grösseren Werken dann eine 
vertrauensvollere Anerkennung entgegenzubringeii , wenn der 
Glorienschein eines Martyriums über ihnen schwebt. Möge 
der Gedanke an den unglücklichen Zeitpunkt, in welchem 
einer der ersten Gesetzgeber Deutschlands starb , vom Glücke 
getäuscht um die Frucht seiner bedeutendsten Leistung, die- 
sem seinem Werke zum Geleitbriefe dienen. 




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